Abhandlungen zum Strafprozessrecht und zum Strafrecht: Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Michael Hettinger [1 ed.] 9783428540631, 9783428140633

Einen Schwerpunkt in diesem Band bilden Probleme rund um den Beweis. So fragt $aRainer Paulus$z nach der prozesslogische

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German Pages 287 Year 2013

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Abhandlungen zum Strafprozessrecht und zum Strafrecht: Ausgewählte Aufsätze. Hrsg. von Michael Hettinger [1 ed.]
 9783428540631, 9783428140633

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Schriften zum Strafrecht Band 252

Rainer Paulus

Abhandlungen zum Strafprozessrecht und zum Strafrecht Ausgewählte Aufsätze

Herausgegeben von

Michael Hettinger

Duncker & Humblot · Berlin

RAINER PAULUS

Abhandlungen zum Strafprozessrecht und zum Strafrecht

Schriften zum Strafrecht Band 252

Rainer Paulus

Abhandlungen zum Strafprozessrecht und zum Strafrecht Ausgewählte Aufsätze

Herausgegeben von

Michael Hettinger

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 978-3-428-14063-3 (Print) ISBN 978-3-428-54063-1 (E-Book) ISBN 978-3-428-84063-2 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Wenn ein langjähriger Weggefährte, der zum Freund geworden ist, ganz plötzlich stirbt – das nächste Treffen war für drei Wochenenden später vereinbart –, ist das auch für das Nichtfamilienmitglied ein Schock. Rainer Paulus, dem sein Fakultätskollege Klaus Laubenthal zum 70. Geburtstag am 20. Januar 2009 eine Festgabe organisiert und dann auch überreicht hatte, ist am 15. Mai 2011 nach kurzer Krankheit verstorben. Sein beruflicher Werdegang findet sich im Vorwort zur Festgabe ebenso geschildert wie Einiges von dem, was diesen Richter und außerplanmäßigen Professor als Lehrer und Wissenschaftlicher auszeichnete (S. V – VI). Warum es auch sachlich gerechtfertigt ist, seinem Wunsch zu entsprechen, diese Sammlung von Aufsätzen zu publizieren, hat Ulrich Weber 1990 anlässlich einer Würdigung Rainer Paulus’ trefflich formuliert: „Die Sprache ist lebendig und farbig, mitunter scharf und bissig, provokant und ohne jeden Respekt vor ,herrschenden Meinungen‘, echten oder vermeintlichen Autoritäten und Kapazitäten. Damit wird der Eindruck einer engagierten, kompromisslosen, unbeugsamen und geradlinigen Haltung hervorgerufen, die man in der rechtswissenschaftlichen Literatur häufiger anzutreffen wünscht. Alle Veröffentlichungen durchzieht eine unübersehbar nonkonformistische Grundstimmung. Es fällt auf, das sich Herr Paulus mit Vorliebe Themen aussucht, bei deren Bearbeitung er gegen die erdrückende Übermacht einer ,h.M.‘ anzukämpfen hat. … Der damit geleistete Beitrag zur Entmythisierung der ,h.M.‘ kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden“ (S. VI f.). Persönlich war er ein stiller, bescheidener, wenn man ihn näher kannte, höchst liebenswerter warmherziger Mensch, ein jederzeit verlässlicher Kollege, fachlich ein bedeutender Prozessualist, wovon seine Kommentierungen im KMR viele Jahre lang Zeugnis ablegten; aber nicht nur sie, sondern eben auch der weit überwiegende Teil der hier wieder abgedruckten Aufsätze aus Gedächtnisschriften, Festschriften sowie Fachzeitschriften. Der vorliegende Band enthält, geordnet nach den Erscheinungsjahren, 12 Abhandlungen, die Rainer Paulus in dem Zeitraum von 1987 bis 2008 veröffentlicht hat. Mainz, im Herbst 2013

Michael Hettinger

Inhaltsverzeichnis Die „falsche Aussage“ als Zentralbegriff der §§ 153 – 163 StGB . . . . . . . . . . . . . . .

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Methodik der Fallbearbeitung. Rechtsdogmatische Bemerkungen zum Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

Dogmatik der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

91

Prozessuale Wahrheit und Revision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 Rechtsstaatliche Übermaßverbote im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß . . . . . . 139 Materielles Strafrecht im „prozessualen Raum“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Die begründete „Verfahrensrüge“ in der strafprozessualen Revision . . . . . . . . . . . . 201 Abstraktion und Konkretisierung in der „gesetzlichen Beweistheorie“ des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Gerichtsüberzeugung als Prozesshandlungsvoraussetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 Strafprozessuale Beweisstrukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267

Die „falsche Aussage“ als Zentralbegriff der §§ 153 – 163 StGB* I. Befund 1. Fehlkonzeption der Aussagedelikte Zwei Gründe rechtfertigen die vernichtenden Urteile, daß „kaum eine andere Gruppe von Delikten in ihrer Grundlage so fragwürdig wie die Gruppe der Aussagedelikte“1 ist, ja ihnen ein „grundgedankliches Fundament fehlt“2. a) Das gilt zunächst für das juristisch irrationale, rechtsgüterschutzfremde3, zur Förderung prozessualer Wahrheitsfindung untaugliche4 und damit sinnlos gewordene Institut des Eides. Obgleich mit dem säkularisierten Eid5 der Aussagende ebenso rituell wie sachlich bedeutungslos versichert, er habe seiner vorgegebenen, nicht anders auch bei uneidlicher Aussage zu erfüllenden Pflicht genügt, zieht die einst sakrale Aureole des Schwurs Spuren noch im geltenden Recht. Nur sie erklärt die sachlich, rechtlich und kriminalpolitisch unbegründbaren, mit dem verfassungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot folglich kaum mehr zu vereinbarenden massiven Brüche etwa in den Strafandrohungen des § 154 StGB verglichen mit § 153 StGB6 oder der Teilnahme (§§ 26, 27; 30; 159 StGB) an §§ 153, 154, 156 StGB in Relation zur (substantiell) mittelbaren Täterschaft7 des § 160 StGB8. Das kann * Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Manfred Just u. a. (Hrsg.), Recht und Rechtsbesinnung, Gedächtnisschrift für Günther Küchenhoff. Verlag Duncker & Humblot, Berlin 1987, S. 435 – 455. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 Schmidhäuser, Aussagepflicht und Aussagedelikt, in: Göttinger Festschrift für das OLG Celle, 1961, S. 207. 2 Kohlrausch/Lange, StGB, 43. Aufl., 1961, § 160 Anm. I. 3 Vgl. unten II. 1. a) bb), II. 2. a) aa), III. 1. a). 4 Dazu Paulus, in: KMR. StPO, 7. Aufl., 1981, § 59 Rn. 2 – 5. A.M. insbes. H.-J. Hirsch, Literaturbericht (zu Herrmann, vgl. unten Fn. 32), ZStW 88 (1976), 761, 764 – 767 m.w.N. 5 Vgl. insbes. auch §§ 66c II, 66d StPO, 481 II, 484 ZPO, 155 StGB. 6 „Drastisch verschärfte Strafdrohung“ (Rudolphi, in: Syst. Kommentar zum StGB, Bd. II, Bes. Teil, 3. Aufl., 1976 ff., Rn. 6 vor § 153) des § 154 StGB. 7 Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl., 1931, § 160 Anm. I: „Der Schwörende weiß nicht, und der Wissende schwört nicht“. 8 Heute unstreitig. Zur gesetzgeberischen Intention im einzelnen Gallas, Verleitung zum Falscheid, Engisch-Festschrift, 1969, S. 600, 601 – 603. – Vgl. bereits v. Liszt, Die falsche Aussage vor Gericht oder öffentl. Behörde nach deutschem und österr. Recht, 1877, S. 108

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de lege ferenda, ohne daß freilich die Zeit dafür reif erschiene, nur heißen: Streichung aller Eidesvorschriften aus den Verfahrensordnungen (namentlich §§ 59 – 66e, 79 StPO; 391 – 393, 409, 452, 478 – 484 ZPO) und entsprechende Neukonzeption des 9. Abschnitts des Bes. Teils des StGB9. b) Nicht Näheres hierzu ist jedoch das Thema, sondern die für das (Un-)Verstehen schon der lex lata entscheidende zweite Ursache: Der prominent ausgetragene, scheinbar ausweglos festgefahrene Jahrhundertstreit10 über das Wesen der falschen Aussage (§§ 153, 154, 156 2. Alt., 157, 158, 159, 160, 163 StGB). Sie ist der allen Aussagedelikten gemeinsame Grundbegriff, da auch die „Versicherung an Eides Statt“ (§ 156 1. Alt. StGB) und das „Schwören“ (§ 154 I StGB) lediglich die Wahrheit einer Aussage in besonderer Form bekräftigen, mithin – für Zeugen- und Sachverständigenaussagen – § 153 StGB Grund- und § 154 StGB Qualifikationstatbestand ist11. Dieser Rechtsbegriff der „falschen Aussage“ ist ohne Stellungnahme zu logisch-erkenntnistheoretischen Wahrheitstheorien rein rechts-argumentativ zu bestimmen. Denn wie regelmäßig für juristische Definitionen die herrschende Korrespondenztheorie der Wahrheit (veritas est adaequatio intellectus et rei), so darf auch hier der formal-sprachlogische Ausgangspunkt genügen12 : Falsch ist die Aussage, die mit ihrem Gegenstand inhaltlich nicht übereinstimmt13. Der Streit der Aussagetheorien kreist um die Kernfrage, was dieser „Gegenstand“ sei.

(§ 160 StGB enthalte „eine ganz unbegreifliche Begünstigung des Schuldigen“); Berner, Lehrb. des Dt. Strafrechts, 17. Aufl., 1895, S. 427 („Dieses widersinnige Gesetz befreit den Verleiter zum falschen Eide von der wohlverdienten Strafe des Meineides“); Binding, Lehrb. des gemeinen dt. Strafrechts, BT, Bd. II/l, 2. Aufl., 1904, S. 167 (§ 160 StGB „privilegiert aus lauter Übereifer in Bekämpfung des Meineides schwerste Fälle desselben in unbegreiflichem Maße“); Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. III 3 vor § 153 (Die „enorme Spannung zwischen der Strafdrohung des § 159 und § 160“ erkläre sich durch den „Anachronismus“, daß hier „der Rechtsgüterschutz … durch den Sündengedanken überwogen“ werde). Die Berechtigung der Kritik bei Berner und Binding relativiert nicht der Umstand, daß beide – entgegen jetzt einhelliger Auffassung – in den Eidesdelikten keine eigenhändigen Straftaten sehen und deshalb § 160 StGB auch schon als dogmatisch verfehlt abqualifizieren. 9 Dezidiert anders wiederum Hirsch, a.a.O. (Fn. 4). – Das StGB der DDR v. 12. 1. 1968 kommt mit zwei Vorschriften aus: § 230 („Vorsätzliche falsche Aussage“) und § 231 („Falsche Versicherung zum Zwecke des Beweises“). Vgl. erg. Fn. 116 (a.E.). 10 Vgl. die Nachw. in Fn. 15 u. 24. 11 Allg. M. seit BGHSt (GrS) 8, 301, 309. Vgl. Gallas, Zum Begriff der „Falschheit“ der eidlichen und uneidlichen Aussage, GA 1957, 315; Badura, Erkenntniskritik und Positivismus in der Auslegung des Meineidstatbestandes, GA 1957, 397; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), § 153 Anm. I; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 223 f.; Wilms, in: StGB. Leipz. Komm. (LK), 10. Aufl., 1978 ff., § 154 Rn. 2; Maurach/Schroeder, Strafrecht, BT, Teilbd. 2, 6. Aufl., 1981, § 73 I 3; Arzt/Weber, Strafrecht, BT, LH 5, 1982, Rn. 252; Lenckner, in: Schönke/Schröder, StGB, Kommentar, 22. Aufl., 1985, Rn. 3 vor § 153 u. § 153 Rn. 16; Haft, Strafrecht, BT, 2. Aufl., 1985, § 8 I 1; Krey, Strafrecht, BT, Bd. 1, 6. Aufl., 1986, Rn. 565; Wessels, Strafrecht, BT 1, 10. Aufl., 1986, § 17 II 1; Dreher/Tröndle, StGB, 43. Aufl., 1986, § 154 Rn. 25. 12 Zutr. Schröder, Unwahrer und unwahrhaftiger Eid, 1939, S. 11 – 14. 13 So auch Schröder (Fn. 12), S. 10 f.; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 4 vor § 153.

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2. Grundpositionen zum Begriff der „falschen Aussage“ Inhalte und Ergebnisse der im wesentlichen zwei Lösungsansätze – objektive Theorie und subjektive Theorien – verdeutlicht das alte Schulbeispiel14: Ein Zeuge sagt (objektiv) wahr (d. h. wirklichkeitsgetreu) aus (z. B.: „A war zur Tatzeit am Tatort“ – abgekürzt: „A = TO“) in irriger Vorstellung, das sei (objektiv) falsch (d. h. realitätswidrig), da er infolge Personenverwechslung glaubt, B sei zur Tatzeit am Tatort gewesen (abgekürzt: „B = TO“).

a) Objektive Theorie aa) Nach der gegenwärtig ganz herrschenden obj. Theorie15 ist jene Aussage („A = TO“) wahr, weil sie mit der äußeren Wirklichkeit (A = TO) übereinstimmt. Der somit i. S. der Aussagedelikte nicht tatbestandsmäßig handelnde Zeuge16 ist strafbar wegen (untauglichen) Versuchs (§ 23 I StGB) allein im Fall des § 154 14

Vgl. die Nachw. in Fn. 16, 17 u. 26. Mittermaier, Ueber den Meineid …, NACrR 2 (1818), 85 ff, 111 f.; Wächter, Lehrb. des Röm.-Deutschen Strafrechts, II, 1826, § 185 A. 30 (S. 258); Heffter, Lehrb. des Gemeinen dt. Strafrechts, 6. Aufl., 1857, § 410 A. 2 (S. 328); Oppenhoff, StGB für die Preuß. Staaten (PrStGB), 1858, § 126 A. 9; Das StGB für das Dt. Reich (RStGB), 6. Aufl., 1877, § 153 A. 17; Dochow, Holtzendorffs Handb., III, 1874, S. 236; v. Liszt (Fn. 8), S. 45 ff., 54 f., 57, 79; Hälschner, Das gemeine dt. Strafrecht, II/2, 1887, § 262 (S. 914 f.), § 264 (S. 920 ff.); Berner (Fn. 8), S. 421; Liepmann, Der fahrl. Falscheid des Zeugen, Hänel-Festgabe, 1907, S. 350 f.; Meyer/Allfeld, Lehrb. des Dt. Strafrechts, 7. Aufl., 1912, § 137 III 2 (S. 662); Wachenfeld, Lehrb. des dt. Strafrechts, 1914, § 142 I 1 (S. 567); Kern, Die Aeußerungsdelikte, 1919, S. 40; Olshausen/Freiesleben, StGB, 11. Aufl., 1927, § 153 A. 4; v. Liszt/Schmidt, Lehrb. des Dt. Strafrechts, 25. Aufl., 1927, § 181 I 1 b (S. 833); Mezger, Urteilsanmerkungen, JW 1927, 1176 f., 2006 u. 2008; ders., Dt. Strafrecht (StrR), 3. Aufl., 1943, S. 218 f.; ders., StGB, Leipz. Komm., 8. Aufl., 1958, § 153 Anm. 2b; Frank (Fn. 7), § 153 Anm. III; Ebermayer, StGB, Leipz. Komm., 5. Aufl., 1938, § 153 Anm. 4; Schröder (Fn. 12), S. 54, 58; ders., StGB, Kommentar, 17. Aufl., 1974, Rn. 7 vor § 153; Badura (Fn. 11), GA 1957, 404; Kohlrausch/ Lange (Fn. 2), Anm. IV 1 – 4 vor § 153; Welzel, Das dt. Strafrecht, 11. Aufl., 1969, § 77 I 1 a; Hruschka/Kässer, Der prakt. Fall – Strafrecht, JuS 1972, 709, 710; Dreher, StGB, 37. Aufl., 1977, Rn. 5 vor § 153; Preisendanz, StGB, 30. Aufl., 1978, Anm. 2 vor § 153; Bockelmann, Strafrecht, BT 3, 1980, S. 4, 9; Eser, Strafrecht III, 2. Aufl., 1981, Fall 17 A 37 ff., 43 ff.; Maurach/Schroeder (Fn. 11), § 73 I 4; Steinke, Probleme des Falscheides durch forensische Sachverständige, MDR 1984, 272; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 269 ff.; Lackner, StGB, 17. Aufl., 1987, Vorb. 2a vor § 153 (mit Tendenz zur Pflichttheorie); Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153; Haft (Fn. 11), § 8 II 1 c; Wessels (Fn. 11), § 17 I 2 a; Dreher/Tröndle (Fn. 11), Rn. 5 vor § 153, § 154 Rn. 6 u. 14, § 163 Rn. 1 (vgl. jedoch Rn. 7 vor § 153: „Pflichttheorie …, die den Vorzug verdient“). – Aus der Rechtsprechung: RGSt 6, 205; 7, 185, 187; 37, 398; 39, 42; RG LZ 1921, 66; JW 1926, 1178 (m. abl. Anm. Mannheim); 1927, 2006 ff. (m. zust. Anm. Mezger); 1936, 880, 881; BGH St 7, 148; BGH LM § 156 Nr. 5; MDR (Dallinger) 1953, 596; OLG Koblenz NStZ 1984, 551 (m. Anm. Otto, Jura 1985, 389, und Bohnert, JR 1984, 425 ff.). Weitere Nachw. in Fn. 16. 16 RGSt 61, 159; 76, 94, 96; RG JW 1933, 2703 (m. zust. Anm. Doerr); BGH LM § 153 Nr. 6; Wächter, Heffter, Hälschner u. Wachenfeld, alle a.a.O. (Fn. 15); Oppenhoff (Fn. 15), RStGB, § 154 A. 10; Liepmann (Fn. 15), S. 352; Badura (Fn. 11), GA 1957, 404; Dreher (Fn. 15), Rn. 5 vor § 153; Dreher/Tröndle (Fn. 11), Rn. 5 vor § 153. 15

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StGB17, nicht des § 153 (ebenso § 156) StGB. Als Teilnahme pönalisiert sind nur Anstiftung (§ 26 StGB) und Beihilfe (§ 27 StGB) zum versuchten Meineid (§§ 154, 22 StGB) sowie die versuchte Anstiftung nach §§ 154, 30 StGB und § 159 StGB18. Umgekehrt: Sagt der Zeuge „objektiv“ falsch aus („B = TO“) im Glauben, „objektiv“ Wahres („A = TO“) zu bekunden bleibt – vorbehaltlich § 163 StGB (§ 16 I 2 StGB) – er mangels Vorsatzes zu §§ 153, 154 (ebenso § 156) StGB straflos. Für Dritte gilt § 160 StGB. bb) Modifikationen der objektiven Aussagetheorie sind Auffassungen, Wahrheitskriterium sei der „soziale“ Maßstab der Wahrnehmbarkeit des äußeren Sachverhalts durch andere Personen in gleicher Situation wie der Zeuge19, die Übereinstimmung der Aussage mit dem wirklichen oder tatsächlich erreichbaren (in Ausnahmefällen besonderer Wahrnehmungspflichten) Erlebnisbild des Zeugen20, die Deckung der Bekundung mit ihrem „Gegenstand“, zu dem alles „gehört …, was als Wissen der Beweisperson dem Gericht zur rechtsfehlerfreien Überzeugungsbildung vermittelt werden muß“21, oder Konkordanz der Aussage mit der obj. Wirklichkeit („Wahrheit“) und dem subj. Vorstellungsbild („Wahrhaftigkeit“) des Zeugen22. b) Subjektive Theorien Die beiden subj. Theorien vergleichen nicht Wort („A = TO“) und Wirklichkeit („A = TO“)23, sondern Wort und Wissen („B = TO“)23 des Zeugen. Nur in der Qualität dieses Wissens unterscheiden sie sich in ihrem Selbstverständnis. aa) Die strenge subj. Theorie24 stellt ab auf die faktische Überzeugung, die aktuelle Kenntnis („B = TO“) des Zeugen vom festzustellenden Sachverhalt im Aussa17 A.M. (Straflosigkeit): Dochow, a.a.O. (Fn. 15); v. Liszt (Fn. 8), S. 54 – 56; Frank (Fn. 7), § 153 Anm. III 2, § 154 Anm. III 1 a. 18 Dazu im einzelnen Vormbaum, Versuchte Beteiligung an der Falschaussage, GA 1986, 353 ff. 19 Dedes, Die Falschheit der Aussage, JR 1977, 441 ff, 445; ders., Grenzen der Wahrheitspflicht, JR 1983, 99ff, 102. 20 SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 43 vor § 153. Entgegen eigener Einschätzung Rudolphis (a.a.O.) ließe seine Ansicht sich mit guten Gründen auch der Pflichttheorie [unten I. 2. b) bb)] zuordnen (zutr. Maurach/Schroeder [Fn. 11], § 73 I 4b). 21 Blei, Strafrecht, II, BT, 12. Aufl., 1983, § 107 IV 1 m.w.Hinw., es könne zwar „kein Zweifel bestehen, daß allein eine objektive Aussagetheorie den §§ 153 ff. zugrunde zu legen ist“, doch stehe seine Meinung der Pflichttheorie [unten I. 2. b) bb)] „zumindest nahe“. 22 Bohnert, Beschlußanmerkung (zu OLG Koblenz), JR 1984, 425, 426 mit einer i.E. gemischt obj.-subj. Theorie: Der Zeuge müsse sagen, wie es war und wie er sich erinnert. 23 So die griffige Formel Niethammers, Über das Wesen des Meineids und die rechtliche Möglichkeit eines fahrlässigen Falscheids, DStR 1940, 161. 24 Abegg, Praktische Erörterungen, betr. … Lehre von dem Meineide, ACrR n. F. 1834, 579 ff., 602 – 606; ders., Fernere Bem., über die Lehre von der Verletzung der Eidespflicht, ACrR n.F. 1838, 296 – 300; v. Bauer, Lehrb. des Strafrechts, 1833, S. 440; v. Schwarze, Meineid, in: Weiskes Rechtslexikon 7 (1847), 168, 182 f.; Frank, Das StGB für das Dt. Reich,

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gezeitpunkt. Die dem nicht konforme Aussage („A = TO“) ist falsch, selbst wenn sie (objektiv) realitätsgemäß („A = TO“) ist. Daher handelt im Ausgangsfall der Zeuge tatbestandsmäßig25 nach §§ 153, 154 (ebenso § 156) StGB26. Teilnehmer sind – bei entspr. Vorsatz – nach §§ 153 (156), 154; 26, 27 StGB auch dann strafbar, wenn sie wissen, daß der Aussagende den äußeren Sachverhalt zutreffend schildert. Bekundet er dagegen der Realität („A = TO“) zuwider sein derzeitiges Wissen („B = TO“), sind §§ 153, 154 (ebenso § 156) StGB tatbestandsmäßig nicht verwirklicht, so daß für Dritte, auch wenn sie den wirklichen Sachverhalt kennen, §§ 26, 27 StGB und § 160 StGB27 ausscheiden und nur §§ 154, 30; 159 StGB in Betracht kommen. bb) Für die abgewandelte subj. Theorie in Gestalt der Pflichttheorie28 gilt prinzipiell Gleiches.29 Hiernach ist das Zeugnis falsch, sofern es nicht übereinstimmt mit dem „erreichbaren“ Wissen, dem „reproduzierbaren“ Erlebnisbild des Aussagenden, das er vom Beweisthema bei bestmöglicher Anspannung seiner Geisteskräfte und Prüfung seines Erinnerungsvermögens haben kann30. Selbst wenn er eine diesen 3./4. Aufl., 1903, § 163 Anm. II 2 (anders 18. Aufl., vgl. Fn. 15); Thomsen, Kann der Zeugeneid aus Fahrlässigkeit verletzt werden? GS 60 (1902), 56 ff, 62 f., 71 ff; ders., Der Zeugeneid kann nicht aus Fahrlässigkeit verletzt werden, GS 64 (1904), 219 ff.; Stenglein, Gutachten zum 26. DJT, in: Verh. des 26. DJT, I (Gutachten), 1902, S. 56 – 62 ( = GS 60 [1902], 56 ff.); Olshausen, Ueber die Strafwürdigkeit des fahrl. Falscheides, GA 50 (1903), 8 ff., 11; Freudenthal, Literaturbericht, ZStW 24 (1904), 782 ff.; Binding (Fn. 8), S. 134, 142; Stooss, Meineid, in: Vergl. Darst. des dt. und ausländ. Strafrechts (VD), BT, III, 1906, S. 290, 299; ders., Lehrb. des österr. Strafrechts (Lb.), 1910, § 155 I 1 (S. 483); Oetker, Besprechung von Liepmann (Fn. 15), GS 72 (1908), 464, 465; Hegler, Die Unterscheidung des Sachverständigen …, AcP 104 (1909), 151 ff., 286; Rissdorf, Studien zum Meineid und dem Unternehmen der Verleitung zum Meineid, Diss. 1910, S. 45 ff.; Mannheim, Beiträge zur Lehre von den Eidesdelikten, GS 81 (1913), 392 ff., 418 f.; ders., Urteilsanmerkung, JW 1926, 1178; ders., Fahrlässiger Falscheid, Frank-Festgabe, II 1930, S. 315 ff.; Veh, Wahrheit und Unwahrheit des Zeugen- und Sachverständigeneides, Diss. 1914, S. 95 ff.; H. Mayer, Meineid und falsche Aussage nach dem Entwurf, GS 93 (1926), 172 ff., 185; Gerland, Dt. Reichsstrafrecht, 2. Aufl., 1932, S. 371; Schaffstein, Der Meineid in der neuesten Rspr. des RG, JW 1938, 145 ff.; Peters, Zeugenlüge und Prozeßausgang, 1939, S. 151 Anm. 1; Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 163 ff.; ders., Lehrb. des BT des Strafrechts (Lb.), 1950, S. 65; ders., Buchbesprechung (Mezger, Strafrecht II, 1949), DRZ 1950, 287; Sauer, System des Strafrechts, BT, 1954, S. 214 f.; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 315 ff. (anders – S. 323 ff. – zu §§ 160, 163 StGB; vgl. unten zu II. 2. b) vor aa) und Engisch-FS [Fn. 8] S. 614 f.). Auf das Wissen des Aussagenden stellen auch ab: RGSt 65, 22, 27; 65, 274; 68, 278, 281 f. (= JW 1934, 2336); 77, 371, 372 f. (= DR 1944, 722 f.); RG JW 1937, 755; HRR 1940 Nr. 523; BGH LM § 3 Nr. 2, § 154 Nr. 5 (m. zust. Anm. Werner); OLG Bremen NJW 1960, 1827. Vgl. ferner Fn. 22. 25 Zu § 163 StGB unten II. 2. b) bb). 26 RGSt 77, 371, 372 f.; OLG Bremen NJW 1960, 1828; Abegg (Fn. 24), ACrR n.F. 1834, 202 f. und 1838, 296 f.; v. Schwarze, Stooss (Lb), Binding (dazu auch unten Fn. 77!) u. Gerland, alle wie in Fn. 24; Mannheim (Fn. 24), Frank-FG S. 315. 27 Dazu unten II. 2. b) aa). 28 Benennung durch Schmidhäuser (Fn. 1), S. 237. 29 Vgl. unten II. 2. a) cc) (1). 30 Schmidhäuser (Fn. 1), S. 211 ff., 218 f., 232 f.; ders., Strafrecht, BT, 1980, Kap. 23 Rn. 10; Mumm, Zum Wesen der Aussagedelikte, 1964, S. 88, 94 – 96; LK-Wilms (Fn. 11),

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Kriterien zwar nicht genügende, zufällig aber dem obj. Sachverhalt entsprechende aktuelle Überzeugung bekundet, sagt er in Konsequenz dessen pflichtwidrig, also falsch aus.

II. Kritik Bereits die kurze Darstellung der Aussagetheorien läßt ahnen und ihre in ebenfalls knappen Strichen zu skizzierende Kritik wird bestätigen: Keine von ihnen ist zureichend begründbar. Wie häufig, so auch hier: Richtiger Rechtsfindung schaden rechtsdogmatische Denkmodelle mehr als sie nützen, wenn sie, obgleich die juristischen Grundfakten nur partiell abdeckend, Allgemeingültigkeit fordern. Da der Theorienstreit auch nicht in einem tertium comparationis auflösbar ist, sollte er künftig nur noch historisches Interesse beanspruchen dürfen. 1. Objektive Theorie Nicht für, sondern in Wahrheit gegen die obj. Aussagetheorie sprechen die wesentlichen zu ihrer Begründung vorgetragenen Argumente. a) Rechtsgüterschutzfunktion der §§ 153 ff. StGB Denkmethodisch richtig zwar setzt die obj. Theorie zur Sinndeutung des Tatbestandsmerkmals „falsch“ an dem durch §§ 153 – 163 StGB geschützten Rechtsgut an: „Schutz der Rechtspflege“31 vor falschen Aussagen im (Allgemein-)Interesse richtiger Entscheidungen ihrer Organe auf zutreffender Tatsachengrundlage32. Dieses Fundament trägt jedoch nicht, was daraus die obj. Theorie inhaltlich ableitet: daß die als Rechtsgut geschützte Aufgabe der Rechtsprechung, den wirklichen Sachver-

Rn. 10 vor § 153; Otto, Grundkurs Strafrecht, Die einzelnen Delikte (BT), 2. Aufl., 1984, § 97 II 1 b, § 97 III 5 a; ders., Entscheidungsanmerkung (zu OLG Zweibrücken), JR 1982, 296, 297; ders., Die Aussagedelikte, §§ 153 – 163 StGB, JuS 1984, 161, 162 f.; ders., Die falsche Aussage i.S. der §§ 153 ff. StGB, Jura 1985, 389, 390. Vgl. erg. oben Fn. 20, 21. 31 BGHSt (GrS) 8, 301, 309. Dazu jedoch u. III. 1. a). 32 Insoweit nunmehr allg. M. und unstreitig zwischen Vertretern der obj. – z. B. Badura (Fn. 11), GA 1957, 397; Maurach/Schroeder (Fn. 11), § 73 I 3; Hruschka/Kässer (Fn. 15), JuS 1972, 711; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 269; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 3 vor § 153; Wessels (Fn. 11), § 17 I 1; Dreher/Tröndle (Fn. 11), Rn. 1 vor § 153; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 2 vor § 153 m.w.N. – und subj. – z. B. Gallas (Fn. 11), GA 1957, 316; Stooss (Fn. 24), Lb. S. 482 und VD III S. 285; Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 402; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 208; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 6 u. 10 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 I 1 und JuS 1984, 161 – Aussagetheorien. Zur histor. Entwicklung des Rechtsgutsgedankens im einzelnen Herrmann, Die Reform der Aussagetatbestände, 1973, S. 112 ff., 124 ff. m.w.N.

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halt zu erforschen, nur durch realitätswidrige, nicht aber durch wirklichkeitsgetreue Aussagen zu gefährden sei33. aa) Scheinbar schlüssig, ist diese Argumentation gleichwohl prozeßdogmatisch unvereinbar mit dem Prinzip der freien Beweiswürdigung (§§ 261 StPO, 286 ZPO, 108 VwGO, 46 ArbGG, 128 SGG, 96 FGO, 30 BVerfGG), und sie mißachtet, daß Richter- und Zeugenrolle beweisstrukturell divers sind34. Es gibt keine als Wahrheitskriterium vorgegebene außerprozessuale Wahrheit, die mit ihr übereinstimmende Beweisaussagen dem Gericht qua gesetzlicher Beweistheorie als den rechtsrelevanten Sachverhalt vermitteln könnte. Weder normativ bestimmt noch Zeugenfunktion, sondern Gerichtsaufgabe ist es, wägend und wertend zu würdigen, ob und als wie zuverlässig Erkenntnisquellen, Erinnerungsvermögen und -wiedergabe des Aussagenden empirische Schlüsse auf die festzustellende Wirklichkeit rechtfertigten. Insofern interessiert nicht das Ergebnis, sondern die Genesis des Ausgesagten; vornehmlich sie hat der Vernehmende nachzufragen35. Rechtsgutsgefährdend, weil irreführend, ist die objektiv zwar wahre, als wahr aber nicht erkennbare Aussage36, wenn der Zeuge die Realität überhaupt (oder so) nicht wahrnehmen oder wissen konnte. Auf den Punkt gebracht: Gerade die „objektiv“ wahre, aber als subjektiv unglaubwürdig irreführende Aussage gefährdet37, die „objektiv“ falsche, subjektiv indessen gewissenhafte38, wahrhaftige39, „echte“40 Bekundung fördert gerichtliche Wahrheitsfindung. bb) Zugleich ist damit festgestellt, daß die obj. Theorie die materielle Rechtsgüterschutzaufgabe der §§ 153 – 163 StGB im Kern verfehlt. Als abstrakte Gefähr33 So z. B. Liepmann (Fn. 15), S. 352; Badura (Fn. 11), GA 1957, 404; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. IV 3 a vor § 153 (dezidiert); Dedes (Fn. 19), JR1977, 442; Preisendanz (Fn. 15), Anm. 2 vor § 153; Maurach/Schroeder (Fn. 11), § 73 I 4; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 269, 274. – Das konzedieren der obj. Theorie selbst die „Subjektivisten“ Schaffstein (Fn. 24), JW 1938, 146, und Gallas (Fn. 11), GA 1957, 317. 34 Zutr. insbes. Schmidhäuser (Fn. 1), S. 213 ff., 234 ff., und Otto (Fn. 30), BT § 97 II 1 b bb sowie JuS 1984, 163. Ähnlich bereits Oetker (Fn. 24), GS 72 (1908), 464: die obj. Theorie identifiziere unzulässig den Gegenstand der Beweisführung mit dem der Aussage. Zu entspr. Einwänden gegen die subj. Theorien unten II. 2. a) aa). 35 Schmidhäuser (Fn. 1), S. 212 – 215; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 11 vor § 153; Otto (Fn. 30), JuS 1984, 162 und Jura 1985, 389. Zum Ganzen Eisenberg, Vernehmung und Aussage (insbes.) im Strafverfahren aus empirischer Sicht, Teil 2, JZ 1984, 961 – 966 m.N. 36 Schmidhäuser (Fn. 1), S. 235; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 40 vor § 153. 37 Gallas (Fn. 11), GA 1957, 317; Otto, a.a.O. wie Fn. 34. Bereits v. Schwarze (Fn. 24), S. 183, weist darauf hin, daß „die Täuschung des Richters eine vollendete sei, indem der Richter die eidliche Aussage für die wahrhaftige Mitteilung der Überzeugung und der Wissenschaft des Deponenten hält und halten muß“. 38 Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 402 f.; H. Mayer (Fn. 24), GS 93 (1926), 187. 39 Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 172 („Auch die eidliche Lüge des betrogenen Betrügers ist gefährlich“); LK-Willms (Fn. 11), Rn. 9 vor § 153; Bockelmann (Fn. 15), S. 5; Bohnert (Fn. 22), JR 1984, 425 f. 40 Binding (Fn. 8), S. 134.

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dungstatbestände41 bedrohen diese Vorschriften bestimmte Arten prozessualen Aussageverhaltens mit Strafe, die, ungeachtet konkreter Beweislagen, dem geschützten Rechtsgut abstrakt-generell, weil typischerweise, gefährlich sind. Diese Gefahr begründen aber, wie ausgeführt, nicht realitätswidrige Aussagen, soweit diese durch Rechtspflegeorgane anhand von Denkgesetzen und Erfahrungssätzen auf ihren Wahrheitsgehalt hin kritisch zu würdigen sind. Mithin interpretiert die obj. Theorie Handlungen als strafwürdiges Unrecht i. S. der §§ 153 – 163 StGB, deren Pönalisierung als zur Erreichung des Rechtsgüterschutzzwecks weder geeignet noch notwendig42 erscheint. cc) Drittens durchbricht – für den Regelfall der Zeugenaussage43 – die obj. Theorie die Schranken verfassungskonformer Auslegung des Tatbestandsmerkmals „falsche Aussage“. Sie überschreitet die durch das Verhältnismäßigkeitsgebot gezogenen Grenzen44 dessen, was der Staat als strafwürdiges und -bedürftiges Unrecht dem Bürger zurechnen darf. Illegitim wird staatliches Strafrecht, wo seine „ Bestimmungsnormen“ bei Meidung von Strafunrecht zu leisten fordern, was zu leisten ihre Adressaten nicht imstande oder sonst nicht verpflichtet sind45. (1) Entgegen allgemeiner Auffassung der „Subjektivisten“ ist dieser Einwand freilich nicht zureichend begründbar mit der – spätestens seit RGSt 7, 185, 18746 diskutierten – allgemein erkenntnistheoretischen, als „die Vernunft der subj. Aussagetheorie“47 respektierten Einsicht, daß jede Aussage, ungeachtet ihrer auf den äußeren Sachverhalt („es war so“) oder das subjektive Wissen („ich weiß, glaube, meine, daß

41 Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 172; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 316 – 319 und (Fn. 8) Engisch-FS, S. 614; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. 1 u. 2 vor § 153; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 237; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 10 vor § 153; Sch/Sch/ Lenckner (Fn. 11), Rn. 2 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 I 2 und JuS 1984, 165 f. – A.M. – konkretes Gefährdungsdelikt –: Dedes (Fn. 19), JR 1977, 442. 42 Zu den verfassungsrechtlichen Kriminalisierungsschranken der Eignung und Erforderlichkeit näher Günther, Strafrechtswidrigkeit und Strafunrechtsausschluß, 1983, S. 189 – 198. 43 Vgl. im übrigen unten III. 1. a) bb) (2) (a). 44 Dazu Sax, „Tatbestand“ und Rechtsgutsverletzung, JZ 1976, 9, 10 f. Im einzelnen wiederum Günther (Fn. 42), S. 199 – 242. 45 Grundsätzlich unvereinbar mit dem „verfassungsrechtlichen Gebot sinn- und maßvollen Strafens“ (BVerfG NJW 1984, 33; in gleichem Sinn BVerfG NJW 1957, 865; 1969, 738; 1970, 1498; 1973, 797; 1979, 1039, 1040; 1987, 43, 48) wäre es, das notwendige Korrektiv ausschließlich in die subj. Vorwerfbarkeit zu verlagern (so aber Schröder [Fn. 12], S. 49; Maurach/Schroeder [Fn. 11], § 73 I 4; Arzt/Weber [Fn. 11], Rn. 270). 46 „Zwar handelt es sich … beim Wahrheitseide, obschon die Eidesformel direct auf die zu erweisende Thatsache gestellt wird, eigentlich nicht um einen Schwur über die letztere selbst, sondern … über das Wissen von derselben, da für den Schwörenden die Thatsache nur existiert, sofern er sie weiß.“ 47 Arzt, Falschaussage mit bedingtem Vorsatz, Jescheck-Festschrift I, 1985, S. 391 ff., 394. Selbst „Objektivisten“ räumen ein, dieser Gesichtspunkt habe „viel für sich“ (Haft [Fn. 11], § 8 II 1 c) und spreche „für die subjektive Theorie“ (Bockelmann [Fn. 15], S. 5); vgl. auch Schröder (Fn. 15), S. 42 f., und SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 41 vor § 153.

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es so war“) bezogenen Formulierung48, inhaltlich die Wirklichkeit stets nur insoweit wiedergeben könne, als der Zeuge „ihr ,Spiegelbild‘ in seinem Bewußtsein vorfindet“49. Denn rechtliches Wahrheitskriterium darf grundsätzlich das auch sonst sozial Übliche: das Messen des Aussageinhalts an der Realität, sein, falls an Übereinstimmungsexaktheit nicht mehr, als in concreto zu leisten möglich, gefordert ist50. Insoweit zutreffend verweist die obj. Theorie auf Paralleltatbestände, die verwirklicht sind, wenn die behauptete (§§ 164; 186, 187 StGB), vorgetäuschte (§§ 145d, 263 StGB) oder beurkundete (§§ 271 – 273; 348 StGB) Tatsache der Wirklichkeit nicht entspricht51; ihre Allgemeingültigkeit stützt sie auf dieses Analogieargument jedoch zu Unrecht, da sie weder die Rechtsgleichheit der zugrunde liegenden Sachverhalte dartut noch berücksichtigt, daß Wahrheit bzw. Richtigkeit in weiteren Vergleichsnormen – etwa § 27852 und § 336 StGB53 – auch „subjektiv“ interpretierbar erscheinen. (2) Vielmehr ist der „Erfolgsunwert“ abstrakter Gefährdung der Sachverhaltsaufklärung durch falsche Angaben als strafwürdiges Unrecht dem Aussagenden zurechenbar nur als Folge sozialethisch intolerablen „Verhaltensunwerts“54, d. h. soweit ihn der Staat in die – gesetzliche oder allgemeinstaatsbürgerliche – Pflicht, zur Wahrheitsfindung beizutragen, nehmen und ihn für das Risiko, dabei zu scheitern, strafrechtlich haftbar machen darf. Strafrechtlich verletzen kann jene „Wahrheitspflicht“ der Aussagende aber nicht, wenn er rechtlich nicht verpflichtet war oder ist, eben jene „Wahrheit“ sich zu verschaffen und aussagend weiterzugeben. So typischerweise der Zeuge55 : Er hat „vor dem Richter seine Wahrnehmungen über Tatsachen durch Aussage kundzugeben“56. Zeuge und damit „wahrheitspflichtig“ aber wird erst, wer konstitutiv „als“ Zeuge durch Justizbehörden prozeßordnungsgemäß (z. B. Ladung, Vernehmung) in das Verfahren einbezogen wird; vorher muß er nichts (bzw. nicht zuverlässig) wahrnehmen, wissen, erinnern, berichten. „Vorprozessuale“ objektive Wirk48 Vgl. Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 170 f. und (Fn. 24), Lb. S. 65, Gallas (Fn. 11), GA 1957, 322, und Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. IV 4 b vor § 153: Jede Aussage stehe unter dem ausdrücklichen oder stillschweigenden Vorbehalt des „ich weiß, daß“, „soviel ich weiß“. Ähnlich Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 396 ff.; Otto (Fn. 30), BT § 97 II 1 b aa, JuS 1984, 162 und Jura 1985, 389. 49 Gallas (Fn. 11), GA 1957, 320. In der Sache ebenso RG HRR 1940 Nr. 523; Thomsen (Fn. 24), GS 60 (1902), 60; Binding (Fn. 8), S. 134; Oetker (Fn. 24), GS 72 (1908), 465; Veh (Fn. 24), S. 95 f.; Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 415; Gerland (Fn. 24), S. 371; Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 167, 169, 170 f. und Lb. (Fn. 24), S. 65; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 234 und BT (Fn. 30), Kap. 23 Rn. 10; Mumm (Fn. 30), S. 94; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 9 vor § 153; Otto, a.a.O. in Fn. 48. 50 So i.E. auch BGH LM § 153 Nr. 6; Badura (Fn. 11), GA 1957, 402. 51 Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. IV 3 c vor § 153; Hruschka/Kässer (Fn. 15), JuS 1972, 710; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 274; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153. 52 Dazu insbes. Otto, Anm. zu OLG Zweibrücken, JR 1982, 296 f. 53 Vgl. nur Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 485, und Otto (Fn. 30), BT § 98 I 3, je m.w.N. 54 Zur entspr. dogmatischen Begründung der subj. Theorien s.u. II. 2. a) aa). 55 Anders der „Augenscheinsgehilfe“ (vgl. u. III. 1. a) bb) (2)). 56 RGSt 52, 289.

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lichkeiten scheiden deshalb als unrechtskonstitutive Maßstäbe tatbestandsmäßiger Falschaussagen von Zeugen aus. b) Bewußtseinsinhalte als Aussagegegenstand Vor der Verfahrenswirklichkeit kapitulierend gibt schließlich die obj. Theorie sich selbst auf57 mit ihrer – vorgeblich sich gleichsam von selbst verstehenden, tatsächlich aber suizidären – Einsicht, der Zeuge sage in ihrem Sinn falsch auch dann aus, wenn er eigene Bewußtseinsinhalte (etwa: „bestes Wissen“, Überzeugungen, Erinnerungen, Vorstellungen. Meinungen) von einem Sachverhalt bekundet, die er nicht oder nicht in der behaupteten Art und Weise hat58, sollte er selbst den äußeren Sachverhalt dabei richtig wiedergeben59. Ihr schönender Hinweis, hier verliere der „Unterschied zwischen der ,obj.‘ und ,subj.‘ Lehre … wesentlich an Bedeutung“60, macht das Begründungsdefizit nur noch deutlicher: Die Argumentation, falsch sei die von ihrem Gegenstand divergierende Aussage61, jener könne auch eine „innere Tatsache“ sein62 und der Zeuge dürfe insoweit seine Aussage frei gestalten63, läßt außer acht, daß Rechtsinhalte rein formal-aussagenlogisch unerschließbar sind64, daß die obj. Theorie notwendig eine auf die äußere Wirklichkeit, sofern Beweisthema, abstellende Aussagegestaltung dem Zeugen abverlangen, eine „obj.“ oder „subj.“ Aussageformulierung folglich bedeutungslos sein muß65. Angelegt war dieses unausweichliche Dilemma66 der obj. Theorie bereits in der Diversität des Aussagengegenstands nach dem früheren „ Wahrheitseid“ (§ 459 I a. F. ZPO) und „Überzeugungseid“ (§ 459 III 57

Vgl. auch Gallas (Fn. 11), GA 1957, 319; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 11 vor § 153. RGSt 63, 373; BGH (Dallinger) MDR 1953, 597; GA 1973, 376; OLG Köln NJW 1966, 1020 und MDR 1980, 421; OLG Koblenz JR 1984, 422, 423; Oppenhoff (Fn. 15), RStGB, § 154 Anm. 7; Meyer/Allfeld, v. Liszt/Schmidt, Wachenfeld, LK-Ebermayer und Mezger (StR), alle a.a.O. in Fn. 15; Schröder, (Fn. 12), S. 27, 49 ff; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. IV 1, 2a und 4a vor § 153; Badura GA 1957, 400 f., Bockelmann S. 7, Maurach/Schroeder § 73 I 4, Arzt/Weber Rn. 268, Krey Rn. 552, Haft § 8 II lc, Wessels § 17 I 2 b und Dreher/Tröndle Rn. 6 vor § 153 (alle Fn. 11); Dedes (Fn. 19), JR 1977, 443 und 1983, 100 f.; Bohnert (Fn. 24), JR 1984, 425; Lackner (Fn. 15), Vorb. 2 b vor § 153. 59 RGSt 17, 185; 37, 395, 396; 68, 278, 272 = JW 1934, 2336; v. Liszt (Fn. 8), S. 56, 58; Frank (Fn. 7), § 154 Anm. III 2; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 7 vor § 153; Bohnert JR 1984, 426. 60 RGSt 68, 278, 282 f. I. E. ebenso Kohlrausch/Lange, Badura, Bockelmann, Arzt/Weber und Haft, alle a.a.O. in Fn. 58. 61 Bockelmann, S. 4 und Lackner, Anm. 2a vor § 153 (beide Fn. 15). 62 RGSt 37, 395, 396; 68, 278, 282 f.; OLG Koblenz JR 1984, 422; Badura (Fn. 11), GA 1957, 400; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 7 u. 8 vor § 153. 63 So z. B. RGSt 37, 395, 396; 68, 278, 281; RG JW 1926, 1178 f; v. Liszt/Schmidt u. Bohnert, beide wie Fn. 58. 64 Oben I. 1. a. E. 65 Zutr. Arzt (Fn. 47), S. 393 (dort mit Fn. 9), 394. Insoweit zum erkenntnistheoretischen Einwand der subj. Theorie vgl. oben II. 1. a) cc) (mit Fn. 48). 66 Vgl. bereits Gerland (Fn. 24), S. 371 („unüberbrückbarer Gegensatz“). 58

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a.F. ZPO)67: Die ursprüngliche Auffassung, die obj. Wirklichkeit sei Wahrheitskriterium auch beim – rechtlich ebenfalls Vollbeweis begründenden – „Überzeugungseid“68, verwechselte Aussageinhalt und prozessuale Beweiswirkung69; so wurde früh schon eingeräumt, daß hier nicht die (äußere) Tatsache, sondern das (innere) Wissen des Schwörenden Gegenstand des Eides sei70. 2. Subjektive Theorien Die folgenden Einwände gegen den „subj.“ Denkansatz treffen im wesentlichen gleichermaßen die strenge subj. Theorie wie die eng mit ihr verwandte Pflichttheorie. a) Pflichtwidrigkeit als „personales Unrechtselement“ Nicht wie die obj. Theorie im (abstrakten) Rechtsgutsgefährdungserfolg, sondern entscheidend in der Verletzung der Wahrheitspflicht als personalem Handlungsunwert71 sehen die subj. Theorien das strafwürdige Unrecht der Aussagedelikte72: „Falsch“, weil „pflichtwidrig“, sei die das – aktuelle73 bzw. erreichbare (reproduzierbare)74 – Wissen des Zeugen nicht wiedergebende Aussage. Doch kann dieser nur partiell richtige Ansatz jenes Wahrheitskriterium nicht begründen. aa) Während (bei Zeugenaussagen) die obj. Theorie den Gesichtspunkt strafwürdiger Zurechenbarkeit zugunsten überbetonten Rechtsgüterschutzes vernachlässigt, favorisieren umgekehrt die subj. Theorien tendenzdeliktartig75 das Handlungsunrecht zu Lasten des Wahrheitserforschungszwecks. Das hat Tradition. Das Fundament rechtsstaatlicher Straflegitimation bricht ein, wenn der Subjektivierungsgedanke im Verständnis der Eidesdelikte etwa als Fälschungstatbestände76 übersteigert, als 67

Aufgehoben durch Gesetz v. 27. 10. 1933 (RGBl. I 780). So insbes. RGSt 7, 185, 188 f.; Liepmann (Fn. 15), S. 350. 69 Richtig Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 399 f. 70 So bereits RGSt 12, 58, 60. Vgl. ferner RGSt 17, 185; v. Schwarze (Fn. 24), S. 154; v. Liszt (Fn. 8), S. 85 – 87; v. Liszt/Schmidt (Fn. 15), § 181 I 1 b (S. 833); Frank (Fn. 7), § 153 Anm. III 2. 71 Dazu allg. Welzel, Studien zum System des Strafrechts, ZStW 58 (1939), 513. 72 Vgl. vor allem Thomsen (Fn. 24), GS 60 (1902), 61, 62 f.; Binding (Fn. 8), S. 133 f.; Stooss (Fn. 24), Lb. § 155 I 1 (S. 483); Oetker (Fn. 24), GS 72 (1908), 465; Schaffstein (Fn. 24), JW 1938, 146; Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 169; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 317 – 320 und (Fn. 8) Engisch-FS, S. 614 f.; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 210 – 212, 217 ff., 223 f., 237 u. (Fn. 30) BT Kap. 23 Rn. 10; Mumm (Fn. 30), S. 94 – 96; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 9 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 III 1 b bb, JR 1982, 297, JuS 1984, 163 u. Jura 1985, 390. 73 Oben I. 2. b) aa). 74 Oben I. 2. b) bb). 75 Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 274. 76 Vgl. – die äußere Sicherheit des Beweisverkehrs mit der inhaltlichen Aussagewahrheit verwechselnd – z. B. Binding (Fn. 8), S. 108 ff., 115 (Rechtsgut sei die „durch Echtheit und 68

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(auch) „Verbrechen gegen die Religion“77 irrationalisiert oder als dem „Willensstrafrecht“ des „völkischen Gemeinschaftsdenkens“78 der NS-Zeit gemäße Pflichtverletzung“79 pervertiert wird. Bei der notwendigen Rückkehr auf den Boden (auch) der Rechtsgutsverletzung lief jedoch der Versuch80, die subj. Theorie in der grundgesetzlichen Strafrechtsordnung neu zu etablieren, auf halbem Wege fest. Wie schon (entgegen der obj. Theorie) der (nur) die äußere Wirklichkeit berichtende81, so genügt (entgegen den subj. Auffassungen) auch der „pflichtgemäß“ (lediglich) sein – aktuelles oder erreichbares (reproduzierbares) – Wissen bekundende Zeuge nicht der Rechtsgüterschutzfunktion der §§ 153 ff. StGB. Denn nicht diese behauptete innere Tatsache (als Erkenntnisresultat), sondern allein die Gesamtheit ihrer Entstehungsgründe (als Erkenntnisvorgang) rechtfertigt – Stichwort: Rationalität der Beweiswürdigung – Induktionsschlüsse bestimmter Qualitäten auf den gerichtlich festzustellenden Sachverhalt81. bb) Der die subj. Theorie dominierende „Pflichtgedanke“ und damit ein auf das Zeugenwissen beschränkter Aussagegegenstand lassen sich, wie dargelegt82, nicht ableiten aus der erkenntnistheoretischen Erwägung, menschliches Wissen sei vielfach bedingt, begrenzt, oft bruchstückhaft, nicht selten falsch, eben „subjektiv“. Diese Begründung wäre auch unvereinbar mit gesetzlich allgemein normierten und prozessual in concreto zulässig auferlegten Pflichten der Beweisperson, der (äußeren) Wirklichkeit getreu auszusagen83. Wahrhaftigkeit der Beweismittel bedingte Reinheit der Beweisführung“), 134 f. und H. Mayer (Fn. 24), GS 93 (1926), 180 Fn. 1 („der Zeuge wird eine lebende Urkunde“). Dazu Herrmann (Fn. 32), S. 122 f. m.w.N. – Ähnlich die Deutung der Eidesdelikte als Verbrechen „wider öffentliche Treue und Glaube“ (Mittermaier [Fn. 15], NACrR 2 [1818], 98, 100; v. Schwarze [Fn. 24], S. 179), als „Täuschung“ des „Vertrauens …, welches der Staat jemanden schenkt“ (Mittermaier, a.a.O. S. 108). Zu dieser „publica-fides-Theorie“ ebenfalls Herrmann, a.a.O. S. 120 f. m.w.N. 77 So noch RGSt 10, 339. Früher vor allem Abegg (Fn. 24), ACrR n. F. 1834, 581 f., 603; Binding (Fn. 8), S. 134 („Es muß eine der seltsamsten Verirrungen krimineller Doktrin genannt werden, wenn gelehrt worden ist und noch gelehrt wird, daß sich die Anrufung Gottes als der Macht ewiger Wahrheit ruhig vertrüge mit einem bewußt falschen Zeugnisse, wenn dieses nur zufällig dem objektiven Sachverlauf entspreche …“). Im einzelnen dazu wiederum Herrmann (Fn. 32), S. 113 – 118. Vgl. bereits oben zu I. 1. a). 78 Dahm, Verrat und Verbrechen, ZStW 95 (1935), 283 ff., 295. 79 Schaffstein, Das Verbrechen als Pflichtverletzung, in: Grundlagen der neuen Rechtswissenschaft, 1935, S. 108 ff.; ders. (Fn. 24), JW 1938, 146: „Sobald man … den Kern des Delikts in der Verletzung der Wahrheitspflicht des Zeugen, also nicht in der ,Rechtsgutsverletzung‘, sondern in dem irrational-ethischen Moment der Pflichtverletzung sieht, gelangt man zur subjektiven Auffassung … Die letzten Zweifel an der Richtigkeit der subjektiven Meineidslehre müssen schwinden, wenn man den nationalsozialistischen Grundsatz des Willensstrafrechts zugrunde legt“. 80 Vgl. insbes. Gallas (Fn. 11), GA 1957, 315 ff. 81 Dazu oben zu II. 1. a) aa). 82 Oben zu II. 1. a) cc) (mit Fn. 46 – 50). 83 Dazu unten zu III. 1. a) bb) (2).

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cc) Als starke Stütze reklamierte ursprünglich die (strenge) subj. Theorie für sich die Eidesformel der §§ 66 c StPO, 392 ZPO (Zeugeneid), §§ 79 II StPO, 410 I ZPO (Sachverständigeneid), § 452 II ZPO (Parteieid) und § 807 a.F. ZPO (Offenbarungseid), deren Inhalt, „nach bestem Wissen“ auszusagen, als entsprechende Pflicht den Gegenstand dieser Aussage normiere84. (1) Dies zwang zunächst freilich beide Aussagetheorien zu Korrekturen: Die objektive sah (und sieht) darin den Aussagegegenstand limitiert i. S. einer reservatio menschlicher Erkenntnisfähigkeit überhaupt85, die subjektive dagegen erweitert ihn auf eben jenes „beste“ Wissen86, das der Zeuge bei höchstmöglicher Bemühung seines Denk- und Erinnerungsvermögens erlangt haben87 und bekunden kann88. Zugleich erhellt daraus, daß die moderne Pflichttheorie, abstellend auf das „erreichbare“ bzw. „reproduzierbare“ Wissen89, in der Sache Altbekanntes nur neu etikettiert, allenfalls in Details präzisiert. (2) Auch diese Grundlage, sollte sie überhaupt tragfähig gewesen sein, ist jedenfalls seit Pönalisierung der uneidlichen Falschaussage gem. § 153 StGB90 der subj. Theorie entzogen. Die Eidesnormen können den Aussagegegenstand nicht (mehr)

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Vgl. – alle wie Fn. 24 –: Thomsen GS (1902), 63 und 64 (1904), 224; Olshausen GA 50 (1903), 12; Freudenthal ZStW 24 (1904), 786; Binding S. 141 f.; Oetker GS 72 (1908), 465; Mannheim GS 81 (1913), 392, 396, 404, 418 f.; H. Mayer GS 93 (1926), 185; Schaffstein JW 1938, 146. – I. E. ebenso RGSt 65, 22, 27 (zum damaligen § 377 I AO); 68, 278, 282 f.; 77, 372 (= DR 1944, 722 f.); RG HRR 1935 Nr. 978 und 1940 Nr. 523; BGH LM § 3 Nr. 2; OLG Bremen NJW 1960, 1827, 1828. 85 v. Liszt/Schmidt (Fn. 15), § 18 I 2 b Fn. 8 (S. 834); Mezger (Fn. 15), JW 1927, 2008 und 1928, 778 f.; Frank (Fn. 7), § 154 Anm. III 1 a; Kohlrausch /Lange (Fn. 2), Anm. IV 4 a vor § 153; Dreher/Tröndle (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153. 86 So namentlich Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 404 ff. und Frank-FG S. 317. 87 Daß „durch bloße Willensanstrengung das Gedächtniß nicht dazu gebracht werden kann, richtig zu funktioniren“ (RGSt 22, 297, 299), mag für fest eingewurzelte Irrtümer, kann aber nicht für das Erwecken sog. „schlummernden Wissens“, das auf einem früheren Erkenntnisakt beruht, gelten (zutr. Olshausen [Fn. 24], GA 50 [1903], 11 f.; Birkenfeld DJZ 1904, 786; Mannheim [Fn. 24], GS 81 [1913], 420; Schmidhäuser [Fn. 1], S. 211 f. – A.M.: Thomsen [Fn. 24], GS 64 [1904], 221 f.; vgl. auch Schröder [Fn. 12], S. 33: „unbewußtes Wissen“ sei ein „Paradoxon“). 88 So ausdrücklich z. B. Thomsen (Fn. 24), GS 60 (1902), 71 (der Zeuge müsse „mit der vollen Anspannung seiner geistigen Kräfte … bemüht sein, sowohl seinem Erinnerungs- als seinem Urtheilsvermögen die höchsten Leistungen abzugewinnen …“) und GS 64 (1904), 221 f.; Freudenthal (Fn. 24), ZStW 24 (1904), 786; Stooss (Fn. 24), VD III S. 299; Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 419 und JW 1926, 1179; H. Mayer (Fn. 24), GS 93 (1926), 207 ff.; Niethammer (Fn. 23), DStR 1940, 172; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 324. Vgl. auch OLG Bremen NJW 1960, 1827, 1828. 89 Vgl. oben zu I. 2. b) bb). 90 StrAnglVO v. 29. 5. 1943 (RGBl. I 339) und 2. VO z. Durchf. d. StrAnglVO v. 20. 1. 1944 (RGBl. I 41).

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bezeichnen91, da er für den Grundtatbestand des § 153 StGB92 und dessen Qualifikation in § 154 StGB, wie auch im Fall des § 163 StGB, notwendig gleich sein muß93. dd) Entgegen einhelliger Auffassung unter den Vertretern der subj. Theorie94 schließlich gibt es keine den Aussagegegenstand konstituierende prozessuale Wahrheitspflicht der Beweisperson, insbesondere des Zeugen. Dieser muß, vorbehaltlich eines Aussage- oder Zeugnisverweigerungsrechts, prozessual erzwingbar (§§ 70 StPO, 390 ZPO) nur überhaupt, nicht auch wahr, aussagen. Seine Wahrheitspflicht folgt allein aus den materiellen Imperativen der §§ 153 ff. StGB. Diese wiederum bestimmen nicht das jeweilige Wahrheitskriterium der Aussage, sondern setzen es voraus95. b) Vereinbarkeit mit §§ 160, 163 StGB Die klassischen Einwände gegen die subj. Theorien resultieren aus deren „notorischen Schwierigkeiten“96 im Verständnis der §§ 160, 163 StGB. In letzter Konsequenz haben sie bei Gallas97 zu dem – weil ohne tertium comparationis – „höchst unbefriedigenden Synkretismus“98 geführt, daß, obwohl prinzipiell „subjektiv“, der Begriff „falsch“ in §§ 160, 163 StGB ausnahmsweise „objektiv“ zu interpretieren sei. aa) § 160 StGB kann die (strenge) subj. Theorie nur insoweit nicht erklären, als sie auf das „aktuelle“ Wissen des – gutgläubig den wirklichen Sachverhalt nicht kennenden – Zeugen abhebt. Bekundet er dieses Wissen, könnte seine Aussage nie „falsch“, § 160 StGB in der Tat nie verwirklicht sein99. Voreilig wäre es indessen, aus diesem Negativum der subjektiven mit der ganz h.M.100 ein maßgebliches Positivum der objektiven Theorie zu folgern. Denn nicht nur wäre § 160 StGB, wenn auch – gesetzgeberischen Intentionen und gegenwärtigem Rechtsgüterschutzzweck gewiß zuwider – sehr eingeschränkt, anwendbar, falls der Zeuge fahrlässig nur sein augenblick91 Seit BGHSt 7, 147, 149 unstreitig. Vgl. etwa Badura (Fn. 11), GA 1957, 401; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. III 4 vor § 153; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 212, 229, 232; Blei (Fn. 21), § 107 VI; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 8 vor § 153. 92 Vgl. oben zu I. 1. b). 93 Dreher/Tröndle (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153. 94 Vgl. nur Thomsen (Fn. 24), GS 60 (1902), 63; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 315 ff., 324; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 217 ff., 223 f., 237; Otto (Fn. 30), BT § 97 II 1 b, JR 1982, 297, JuS 1984, 164 und Jura 1985, 390. 95 Dazu unten zu III. 1. a) aa) und bb). 96 Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 272. 97 GA 1957, 323 – 325 (vgl. oben Fn. 11) und Engisch-FS (Fn. 8), S. 615 – 617. 98 Maurach/Schroeder (Fn. 11), § 73 I 4. Abl. auch Lackner (Fn. 15), Vorb. 2 a vor § 153. 99 Dazu Frank, wie oben Fn. 7. 100 Vgl. z. B. BGH LM § 153 Nr. 6; Schröder (Fn. 12), S. 34 – 36; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), § 160 Anm. II; Dedes (Fn. 19), JR 1977, 444; Bockelmann (Fn. 15), S. 6; Hruschka/ Kässer (Fn. 15), JuS 1972, 710; Krey (Fn. 11), Rn. 552; Haft (Fn. 11), § 8 II 1 c; Sch/Sch/ Lenckner (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153; Lackner, wie Fn. 98.

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lich zufällig präsentes unvollkommenes, nicht aber sein auch i.S. der subjektiven, insbesondere der Pflichttheorie, potentiell bestes (erreichbares, reproduzierbares) Wissen mitteilt101. Auch übersähen so Schließende die Alternativen, daß als Gegenstand des Zeugen-„Wortes“ nicht nur „Wirklichkeit“ und „Wissen“, sondern, und zwar entscheidend, ferner Umstände in Betracht kommen, die – wie vor allem die Art und Weise der Wahrnehmung, die Stärke oder Schwäche der Erinnerung des Zeugen daran – die Qualität des über die „Wirklichkeit“ oder das „Wissen“ Ausgesagten zu beurteilen ermöglichen102. bb) Ähnliche Strafbarkeitslücken103 reißt die (strenge) subj. Theorie im Bereich des § 163 StGB. Nicht lediglich kaum nachweisbar104, sondern bereits in der Regel105 begriffsunmöglich ist die fahrlässige Falschaussage, wenn ihr Gegenstand die „aktuelle“, rein faktische Überzeugung106 oder ein entsprechendes Wissen107 des Zeugen von der obj. Wirklichkeit ungeachtet dessen ist, ob er den Mangel beim Zustandekommen seiner Angaben hätte beheben können oder nicht. „Weiter Raum“108 für § 163 StGB ist nur, soweit die subj. Theorien dem Zeugen „bestmögliches“ Wissen abfordern109, ihm damit Sorgfaltspflichtverletzungen hierbei als straf-

101 Schmidhäuser (Fn. 1), S. 227; Mumm (Fn. 30), S. 96; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 10 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 IV 3 a und JuS 1984, 170. 102 Vgl. oben zu II. 1. a) aa) und II. 2. a) aa) (a.E.). Dazu auch Blei (Fn. 21), § 107 IV 1; Otto (Fn. 30), JR 1982, 297. 103 Mannheim (Fn. 24), JW 1926, 1178 f. und Frank-FG S. 316; Schröder (Fn. 12), S. 33; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 323 f.; Kohlrausch/Lange (Fn. 2), Anm. IV 1 vor § 153 und § 163 Anm. I; Hruschka/Kässer (Fn. 15), JuS 1972, 710; Dedes (Fn. 19), JR 1977, 444; Bockelmann (Fn. 15), S. 5 f.; Maurach/Schroeder (Fn. 11), § 73 I 4; Krey (Fn. 11), Rn. 552; Arzt (Fn. 47), S. 395; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153; Lackner (Fn. 15), Vorb. 2a vor § 153. 104 Vgl. bereits Mittermaier (Fn. 15), NACrR 2 (1818), 111; Oetker (Fn. 24), GS 72 (1908), 465. 105 Ausnahmen: Der Zeuge verkennt den Umfang (z. B. Angaben auch zur Person) seiner Wahrheitspflicht (Binding [Fn. 8], S. 152; Stooss [Fn. 24], VD III S. 301; Gallas [Fn. 11], GA 1957, 324; Kohlrausch/Lange [Fn. 2], § 163 Anm. I; Maurach/Schroeder [Fn. 11], § 73 I 4; Otto [Fn. 30], BT § 97 III 5b und JuS 1984, 169), er hält den Vernehmenden irrig für unzuständig (Binding, Kohlrausch/Lange und Otto, alle a.a.O.) oder er verspricht bzw. drückt sich mißverständlich aus (Binding [Fn. 8], S. 151 f.; Stooss, a.a.O.; H. Mayer [Fn. 24], GS 93 [1926], 207 ff.; Schröder, Gallas, Bockelmann, Maurach/Schroeder und Arzt, alle wie Fn. 103). 106 RGSt 12, 58, 60; v. Liszt (Fn. 8), S. 50 f., 88 (Unmöglichkeit „der juristischen Construction eines fahrlässigen Glaubenseides“); Stooss, wie in Fn. 105; Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 423 („für den Normalfall ist also ein fahrlässiger Falscheid eine contradictio in adiecto“); v. Liszt/Schmidt (Fn. 15), § 181 I 6 (S. 836). 107 Thomsen (Fn. 24): Der fahrl. Falscheid sei ein „Begriffshomunculus“ (GS 60 [1902], 74), ein „Fehlgriff des Gesetzgebers“ (GS 64 [1904], 226). Für eine Beseitigung des § 163 StGB plädierten auch Stenglein und Olshausen (beide wie Fn. 24). 108 So aber – generell für § 163 StGB – Niethammer (Fn. 24), Lb. S. 81. 109 Oben zu II. 2. a) cc) (1).

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würdiges (Fahrlässigkeits-)Unrecht zurechnen dürfen110. Doch spiegelt dieses Ergebnis wiederum klar den bereits angesprochenen dogmatischen Grundfehler111 aller subj. Theorien: die Gleichsetzung von „falsch“ und „pflichtwidrig“, die Vermengung von Aussagegegenstand und Fahrlässigkeitsvorwurf112 – beides unvereinbar mit Systematik und Struktur der vorsätzlichen (§§ 153, 154, 156 StGB) und fahrlässigen (§ 163 StGB) Aussagedelikte, denen ein Tatbestandsmerkmal gemeinsam vorgegeben ist: die „falsche“ Aussage113.

III. Definition 1. Der Rechtsbegriff der „falschen Aussage“ Befreit von irreleitendem Hindernis vermeintlichen Zwangs, zu einer der Aussagetheorien – und sei es zur als jeweils noch am wenigsten für unvertretbar erachteten – hinführen zu müssen114, und trassiert zugleich ist nunmehr der Weg zur rechtsgutsorientierten, strafunrechtskonstitutiven, verfassungs- und gesetzeskonformen Konzeption des Gegenstands als Falschheitskriterium115 nach §§ 153 ff. StGB mit Strafe bedrohter Aussagen. a) Verhängnisvoll, aus der Überschrift zum 9. Abschnitt des StGB-BT nicht ableitbar und ersichtlich gesetzeswidrig verengen bisherige Bemühungen, die „Falschaussage“ zu deuten, das Rechtsgut der §§ 153 ff. StGB auf den Schutz der Wahrheitsfindung im Bereich der Rechtspflege116. Pflichtschuldige Hinweise bei der Rechts-

110 Insbes. die „Pflichttheorie“. Vgl. Schmidhäuser (Fn. 1), S. 224; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 10 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 II 1 b dd und JuS 1984, 163. 111 Oben zu II. 2. a) dd). 112 Zutr. Schroeder (Fn. 12), S. 25, 33; Hruschka/Kässer (Fn. 15), JuS 1972, 710; Dedes (Fn. 19), JR 1977, 445 und 1983, 102; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 42 vor § 153; Bohnert (Fn. 22), JR 1984, 452 Fn. 2; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 6 vor § 153. 113 Oben zu I. 1. b). Zutr. Dreher/Tröndle (Fn. 11), § 163 Rn. 1. Ebenso bereits v. Liszt (Fn. 8), S. 57; Binding (Fn. 8), S. 133 („Eine ,falsche Aussage‘ bildet das Grunddelikt“); Stooss (Fn. 24), VD III S. 295; Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 394. 114 Ausdrücklicher Verzicht, vom Theorienstreit auszugehen, auch bei Blei (Fn. 21), § 107 IV. 115 Vgl. oben zu I. 1. b) (a.E.). 116 Z.B. Stooss (Fn. 24), VD III S. 379 und Lb. S. 482; Meyer/Allfeld (Fn. 15), § 137 I; Wachenfeld (Fn. 15), § 142 I (S. 566); Gerland (Fn. 24), S. 369; Badura (Fn. 11), GA 1957, 403 – 405; Hruschka/Kässer (Fn. 15), JuS 1972, 711; Blei (Fn. 21), § 106; Dreher/Tröndle (Fn. 11), Rn. 1 vor § 153. Weitere (auch rechtsvergleichende) Nachw. bei Herrmann (Fn. 32), S. 124 – 126. Deutung als „Rechtspflegedelikte“ auch in BGHSt 8, 301, 309; StGB-Entwurf 1962 („Gefährdung der Rechtspflege“); StGB der DDR (Fn. 9) mit der Überschrift zum 3. Abschnitt des 9. Kap. des BT: „Straftaten gegen die Rechtspflege“.

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gutsbestimmung auf sonstige Verfahren vor Behörden u. a. Stellen117 erscheinen schöner Dogmatik der Aussage – als „Rechtspflegedelikte“ eher lästige, vernachlässigenswerte Randerscheinungen, sind in Wahrheit jedoch richtiger Rechtserkenntnis unverzichtbare Essentialien118. Denn wie durch §§ 153, 154, 156, 163 StGB die – funktionell verstandene119 – (inländische) staatliche Rechtspflege (nur) gegen Gefährdung der Wahrheits- als Tatsachenerforschung in Erfüllung ihrer Aufgaben in gerichtlichen Verfahren, ebenso unzweifelhaft geschützt wurden früher durch §§ 154, 163 StGB (gegen falsche Offenbarungseide)120 und werden heute durch § 156 StGB (gegen falsche Versicherungen an Eides Statt) rein private Interessen121 des Gläubigers in der Zwangsvollstreckung (§ 807 II ZPO) oder sonst Berechtigten (§§ 259 II, 260 II, 2006 I, 2028 II, 2057 BGB; 883 II ZPO; 33 II 5 FGG). Ein also umfassenderer Rechtsgüterschutzbereich und das Erfordernis unrechtskonstitutiver Rechtspflichtverletzung des Täters122 gebieten, bei Bestimmung des Aussagegegenstands grundsätzlich zu unterscheiden: aa) In Fällen allgemein-gesetzlicher Regelungen ist, deren Inhalten und Zwecken gemäß, der rechtsrelevante Aussagegegenstand normativ vorgegeben und vom Pflichtigen selbst durch Versicherung an Eides Statt (§ 156 StGB) festzustellen. Etwa: Vermögensbestandteile und Verfügungen i. S. des § 807 I ZPO123 (§ 807 II ZPO124); Einnahmen (§ 259 II BGB); Verbleib von Nachlaß-und Erbschaftsgegenständen (§§ 2006, 2028 II BGB); nach §§ 2050 – 2053 BGB ausgleichspflichtige Zuwendungen (§ 2057 BGB); herauszugebende u. a. Gegenstände (§§ 260 II BGB; 883 II ZPO; 33 II FGG; 90 III OWiG). Prinzipiell Gleiches gilt für durch eidesstattliche Versicherung gem. §§ 56 S. 2 StPO, 294 I ZPO125, 15 II FGG prozessual glaubhaft gemachte Tatsachen, da von ihrer Richtigkeit nach Sinn und Zweck dieses Instituts 117 Z.B. bei Frank (Fn. 7), Anm. I vor § 153; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 3 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 I 1 und JuS 1984, 161; Wessels (Fn. 11), § 17 I 1; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 2 vor § 153; Lackner (Fn. 15), Vorb. 1 a vor § 153. 118 Gesetzesnäher waren frühere Auffassungen, die – weiterreichend – die Eidesverbrechen gerichtet sahen „gegen die Staatsverwaltung überhaupt, gegen die Rechtspflege insbesondere, soweit diese die … Aussage der Staatsbürger zur Grundlage ihrer Entscheidungen machen“ (v. Liszt/Schmidt [Fn. 15], § 180 II) oder, noch allgemeiner, gegen die Rechtssicherheit bei der Verwirklichung der Gerechtigkeit (RGSt 10, 339; v. Liszt [Fn. 8], S. 17 – 21). 119 SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 15 vor § 153; Herrmann (Fn. 32), S. 130 f. 120 Offenbarungseide wurden durch G. v. 27. 6. 1970 (BGBl. I 911) mit Wirkung ab 1. 7. 1970 ersetzt durch Versicherungen an Eides Statt. 121 Zutr. Herrmann (Fn. 32), S. 128 f. Vgl. auch SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 7 vor § 153: Schwierigkeit, § 156 StGB als Rechtspflegedelikt zu deuten. Rechtsgutsirrelevant ist, daß nur bestimmte Arten solcher Interessengefährdungen, nämlich durch falsche eidesstattl. Versicherungen in behördl. Verfahren, wegen dieses besonderen „Handlungswerts“ pönalisiert (§ 156 StGB) sind (anders Hirsch [Fn. 4], S. 763 f.). 122 Vgl. oben zu II. 1. a) cc) (2) und II. 2. a) dd). 123 Für alle: RGSt 6, 205, 207; BGHSt 7, 147, 149. Auch die Pflichttheorie sieht sich hier nahe der obj. Theorie (Schmidhäuser [Fn. 1], S. 232). 124 Ähnlich §§ 125 KO, 69 II VerglO, 284 AO. 125 Vgl. §§ 104 II; 118 II; 236; 296 IV; 377 III, IV; 435; 424 Nr. 5; 920 ZPO.

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das Gericht „ohne den Fortgang des Verfahrens verzögernde weitere Ermittlungen“126 soll ausgehen dürfen. Stimmt somit die durch eidesstattliche Versicherung bekräftigte Aussage mit der behaupteten Tatsache, i. d. R. einem Vorgang oder Sachverhalt i. S. des Wahrheitskriteriums der obj. Theorie, nicht überein, ist sie falsch. bb) Davon qualitativ divers ist das gerichtliche Beweisverfahren, in dem das Gericht mit dem Aussagegegenstand konkret-prozessual die Wahrheitspflicht der Beweisperson bestimmt und die entscheidungsbedeutsamen Tatsachen (vgl. § 244 II StPO) rechtskonstitutiv feststellt (§§ 261 StPO, 286 ZPO). (1) Das prozessual dafür gegebene Mittel ist die Vernehmung im Rahmen des Prozeßgegenstands (§§ 155 I, 264 I StPO) im Straf- (§§ 68 – 69; 72 StPO) bzw. Ordnungswidrigkeitsverfahren (§ 46 I OWiG) und i. d. R. des Beweisbeschlusses (§§ 284, 358 – 360; 450 ZPO) im Zivilprozeß (§§ 395, 396; 402; 445 ZPO). Als richterliche Prozeßhandlung begründet und umgrenzt sie den Prozeßhandlungscharakter auch der Aussage einer Beweisperson in ihrer prozessualen Rolle: Wenn und wozu sie nicht „vernommen“ wird, kann sie nicht tatbestandsmäßig i. S. der §§ 153 ff. StGB „aussagen“. Bereits hieran fehlt und entgegen wohl allgemeiner Meinung nicht erst eine Frage der „Falschheit“ ist es, wenn „ungefragt“, nur gelegentlich ihrer Vernehmung, die Beweisperson spontan Entscheidungserhebliches127 bekundet und das Gericht dieses nicht nachträglich in die Vernehmung einbezieht128. Umgekehrt umfaßt die Aussage auch rechtsirrelevante129 Umstände, sofern sie Gegenstand der Vernehmung oder zugelassener Fragen (§§ 68, 69 II, 240 – 242 StPO; 395 II 2, 397 ZPO) anderer Prozeßbeteiligter sind130. Ebenso „aussagenbegrifflich“ zu bejahen ist die Streitfrage, ob für §§ 153 ff. StGB Aussagen tatbestandsmäßig sind, die unter Verletzung zwingender Belehrungs- (z. B. §§ 52 III 1, 55 II StPO; 383 II ZPO) und sonstiger Formvorschriften (z. B. §§ 69 I StPO, 396 I ZPO) oder von Ver126

BGHSt 21, 334, 347. Von selbst versteht sich, daß bloßes „Beiwerk“, sachfremde belanglose Nebensächlichkeiten ausscheiden (RGSt 63, 49; RG JW 1938, 2196; Oppenhoff [Fn. 15], PrStGB § 126 Anm. 9 und RStGB § 153 Anm. 19; SK-Rudolphi [Fn. 6], Rn. 24 vor § 153; LK-Willms [Fn. 11], Rn. 25 und 36 vor § 153; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 264; Otto [Fn. 30], BT § 97 II 2a cc und JuS 1984, 164; Sch/Sch/Lenckner [Fn. 11], Rn. 15 vor § 153. 128 Vgl. dazu BGHSt 25, 244, 246 (m. zust. Anm. Demuth NJW 1974, 484); Rudolphi JR 1974, 293; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 263; Blei (Fn. 21), § 107 II; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 24 vor § 153; Krey (Fn. 11), Rn. 560; Otto, a.a.O. wie Fn. 127; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 15 vor § 153; Dreher/Tröndle (Fn. 11), § 154 Rn. 15; Lackner (Fn. 15), § 154 Anm. 4a; eingehend Bruns, Die Grenzen der eidlichen Wahrheitspflicht des Zeugen …, GA 1960, 161 ff., 173. 129 A.M. z. B. Oppenhoff (Fn. 15), RStGB, § 154 Anm. 8; Berner (Fn. 8), S. 422; Binding (Fn. 8), S. 133; Kuttner, Die jur. Natur der falschen Beweisaussage, 1931, S. 64 – 69; Voscherau, Die unerhebliche falsche Aussage, 1970. 130 RGSt 10, 339; RG HR 1936 Nr. 1198; JW 1938, 2196; BGHSt 2, 90; 3, 332; BGH (Dallinger) MDR 1953, 401; NStZ 1982, 464; KG JR 1978, 77, 78 m. Anm. Willms; Hälschner (Fn. 15), § 262 (S. 913); Bruns, a.a.O. wie Fn. 128; Hirsch (Fn. 4), S. 768 f.; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 24 vor § 153; Otto, a.a.O. wie Fn. 127; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 15 vor § 153; Dreher/Tröndle (Fn. 11), § 154 Rn. 7. 127

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eidigungsverboten (z. B. §§ 60 StPO, 393 ZPO) zustande gekommen sind131; denn diese gerichtlichen Verfahrensfehler berühren nicht die Wirksamkeit der dem Zeugen abgeforderten Aussage. Dagegen fehlt es an einer „Vernehmung“, wenn, §§ 69 StPO, 396 ZPO grob mißachtend, der Richter den Zeugen etwa pauschal die Richtigkeit seiner früheren protokollierten Aussage bestätigen läßt132, und an einer eigenverantwortlichen „Aussage“ des Zeugen, falls sie nach § 136 a III 2 StPO unverwertbar ist133. (2) Die jeweilige Prozeßrolle der Beweisperson bestimmt und umgrenzt, was als Gegenstand der Vernehmung Wahrheitskriterium jener „Aussage“ sein darf. Ihn zu konkretisieren durch Bekanntgabe (vgl. §§ 69 I 2 StPO, 377 II 2 ZPO) und in stetem Bemühen, durch leitende Hinweise, Ermahnungen, Fragen und Vorhalte den Vernommenen „am Thema“ zu halten, ist eine gleichermaßen die Pflichtenstellung des Aussagenden begründende wie zuverlässiger Wahrheitserforschung dienende, ganz entscheidende Aufgabe des Richters134. (a) Hat er eine von der Beweisperson wahrgenommene äußere Tatsache festzustellen, ist zu unterscheiden: Diese Tatsache selbst ist Aussagegegenstand, wenn der Vernommene – in einer bereits begründeten Prozeßrolle – zu zuverlässiger Wahrnehmung verpflichtet gewesen ist: So i. d. R. der durch Verfolgungsbehörde oder Gericht beauftragte Sachkundige als sachverständiger Zeuge (§§ 85 StPO, 414 ZPO) oder als Sachverständiger135 im Rahmen seiner Gutachtenerstattung136 ; ebenso der im Auftrag eines Justizorgans tatsächliche Umstände wahrnehmende und sie sodann berichtende Augenscheinsgehilfe (Beweismittler)137, grundsätzlich auch die im Zivilprozeß vernommene Partei138. Dagegen nur über die Art und Weise, Qualität

131 So die Rspr. und h. M. in der Literatur (vgl. Sch/Sch/Lenckner [Fn. 11], Rn. 23 – 24 vor § 153, und Krümpelmann/Hensel, JR 1987, 39, je m. zahlr. Nachw.); a.M.: Bruns (Fn. 128), GA 1960, 177; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 34 – 35 vor § 153; Otto (Fn. 30), BT § 97 II 3 b cc und JuS 1984, 165. Das pro und contra im einzelnen ist hier nicht zu erörtern. 132 Dazu Schneider, Über den Begriff der „Aussage“, GA 1956, 337 ff., 340 f. 133 Gleiches Ergebnis zu diesen beiden Ausnahmefällen auch bei LK-Willms (Fn. 11), Rn. 30 vor § 153; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), Rn. 22a-23 vor § 153. 134 Vgl. insbes. Liepmann (Fn. 15), S. 368 – 378; Mannheim (Fn. 24), GS 81 (1913), 421, JW 1926, 1179 und Frank-FG S. 319 f.; LK-Willms (Fn. 11), Rn. 11 vor § 153; Otto (Fn. 30), JuS 1984, 162 und Jura 1985, 389 f. 135 Vgl. Binding (Fn. 8), S. 153; Stooss (Fn. 24), VD III S. 301; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 229; Maurach/Schroeder (Fn. 11), § 73 V la; Otto (Fn. 30), JuS 1984, 169; Dreher/Tröndle (Fn. 11), § 163 Rn. 6; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), § 163 Rn. 8 m.w.N. 136 Dazu KMR-Paulus (Fn. 4), Rn. 66 – 68 vor § 48. 137 Dedes (Fn. 19), JR 1983, 101; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 43 vor § 153. 138 RGSt 62, 126 = JW 1929, 2977; 65, 22, 28; BGH bei Dreher/Tröndle (Fn. 11), § 163 Rn. 4; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 230 f.; Mumm (Fn. 30), S. 96; Arzt/Weber (Fn. 11), Rn. 326; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 45 vor § 153; Otto (Fn. 30), JuS 1984, 169; Sch/Sch/Lenckner (Fn. 11), § 163 Rn. 9 m.w.N.; a.M.: Dreher/Tröndle, a.a.O.

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etc. seiner Wahrnehmung139 und jetzigen Erinnerung an sie muß und darf der Zeuge aussagen, wenn er diese – nicht wahrnehmungspflichtig140 – außerhalb seiner Zeugenrolle gemacht hat141. (b) Sind aber – frühere oder, gegenwärtige – innere Tatsachen materiell- oder prozeßrechtlich entscheidungsrelevant, so werden derartige Bewußtseinsinhalte (z. B. Gutgläubigkeit, Meinungen, Vertrauen, Interessen, Wissen, unsicheres Wissen, Unkenntnis) oder Gefühle und Empfindungen (z. B. Haß, Mitleid, Feindschaft) selbst – bei vergangenen auch die Art und Weise, wie die Beweisperson sich ihrer erinnert – Gegenstand ihrer Aussage142. So auch das Gutachten des Sachverständigen: Widerspricht es seiner Überzeugung, ist es ungeachtet „objektiver“ Richtigkeit eine Falschaussage143. b) So lautet das Fazit einer weder objektiven noch subjektiven, sondern richtigen „Theorie“: Tatbestandsmäßig i. S. der §§ 153 – 163 StGB falsch ist die Aussage, wenn ihr Inhalt mit ihrem gesetzlich vorgeschriebenen144 oder prozessual zugelassenen145 Gegenstand nicht übereinstimmt. Der Begriff also nicht der „Falschheit“146, sondern der „Aussage“ liefert den Lösungsansatz. 2. Folgerungen a) Im Ausgangsfall147 hat der Richter weder die (äußere) Wirklichkeit148 noch die (subj.) Meinung149 des Zeugen zu erfragen, sondern das Ob, Was, Wann, Wie und ggf. Warum seiner damaligen Wahrnehmung davon und heutigen Erinnerung daran: Un139 Schröder (Fn. 12) verwechselt Aussagegegenstand und dessen Erkenntnis, wenn er das Wahrheitskriterium in der „gegenwärtigen Vorstellung des Richters von dieser Wirklichkeit“, die er „für die Allgemeinheit als deren Substitut“ feststelle, sieht (S. 57 f., 68, 72 – 75). 140 Thomsen (Fn. 15), GS 60 (1902), 71; Binding (Fn. 8), S. 153; Liepmann (Fn. 15), S. 348 f.; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 324. – Daher unrichtig Dedes (oben zu I. 2. a) bb) mit Fn. 19). 141 Dazu bereits oben zu II. 1. a) cc) (2). Vgl. auch RG HRR 1940 Nr. 523; Berner (Fn. 8), S. 422; Stooss (Fn. 24), VD III S. 290, 293 und Lb. § 155 I 1 (S. 483); Hegler (Fn. 24), AcP 104 (1909), 286; H. Mayer (Fn. 24), GS 93 (1926), 185; Schneider (Fn. 132), GA 1956, 338; Gallas (Fn. 11), GA 1957, 320 f.; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 214; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 6 vor § 153. 142 Vgl. bereits oben zu II. 1. b). 143 RG GA 55, 223; v. Liszt (Fn. 8), S. 68; Schmidhäuser (Fn. 1), S. 229; SK-Rudolphi (Fn. 6), Rn. 46 vor § 153; Steinke (Fn. 15), MDR1984, 273; Dreher/Tröndle (Fn. 11), § 154 Rn. 16); Lackner (Fn. 15), § 154 Anm. 4b. 144 Vgl. oben III. 1. a) aa). 145 Vgl. oben III. 1. a) bb). 146 Dazu oben I. 1. b). 147 Oben zu I. 2. [vor a)]. 148 Oben, zu II. 1. a) aa). 149 Oben zu II. 2. a) aa).

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richtige Behauptungen nur über diese Thematik können eine „falsche Aussage“ gem. §§ 153 ff. StGB sein. Die Lösungsfrage i. S. einer „obj.“ oder „subj.“ Theorie stellt sich nicht. b) Für Anstiftung (§§ 153, 154, 156; 26 StGB), versuchte Anstiftung (§§ 154, 30 I; 159 StGB) und Verleitung zur Falschaussage (§ 160 StGB) wirft die gefundene Lösung keine neuen Probleme auf. Wird insbesondere der Zeuge über seine frühere Wahrnehmung vernommen, ist auf sie150, nicht auf die (obj.) Realität, abzustellen bei der Frage, ob die Aussage falsch und ein entsprechender Anstifter- bzw. Verleitervorsatz gegeben sei151.

150 151

Vgl. soeben III. 2. a). Erg. oben II. 2. b) aa) (a. E.) mit Fn. 102.

Methodik der Fallbearbeitung* Rechtsdogmatische Bemerkungen zum Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens** Verständlicher denn je angesichts fort- und fehlentwickelter Dogmatik strafprozessualen Urkundenbeweisrechts erscheint heute das Verdikt Schneidewins1, die §§ 249 – 256 seien „ein besonders heikles und schwieriges, wenig geglücktes Stück“ der StPO, mit denen „praktisch zu arbeiten“ eine „mißliche und manchmal fast erschreckende Aufgabe“ bedeute. Dem ist bei rechtsrichtiger Sicht gerade auch des „besonders Heiklen“ jedoch begründet zu widersprechen: Es gilt, hier nur skizzenhaft möglich, darzutun, daß Urkundenbeweisrecht weder „erschreckender“ noch „schwieriger“ zu begreifen ist als Strafprozeßrecht im übrigen, freilich auch nicht leichter, mithin schwer genug – nicht nur für Jurastudenten und Generalstaatsanwälte – allemal.

I. Begriff und Funktion des Urkundenbeweises 1. Urkundenbeweis und allgemeines Beweisrecht a) Prozessualer Beweis als Rechtsfindungsvorgang aa) Strafverfahren ist Rechtsprechung mit dem Ziel, Rechtsfrieden – je nach Sachund Rechtslage im Rahmen des Legalitäts- oder Opportunitätsprinzips – zu schaffen durch verfahrensbeendende Prozeß- (§§ 170 II; 204; 206a; 260 III) oder Sachentscheidung (insb. §§ 260 I; 153 ff.) über den Prozeßgegenstand (§§ 155 I, 264 I), d. h. über die Frage, ob die (rechtliche) Unschuldsvermutung (Art. 6 II MRK) als rechtsstaatlich unabdingbares Regulativ des (faktischen) Tatverdachts prozeßförmig widerlegbar sei oder nicht2. Recht aber „ist“ nicht vorgegeben als anzuwendender Gegenstand oder Maßstab, sondern „wird“ erst am – realen oder gedachten – Fall, kann also nur konkret, nie abstrakt sein. Rechtsvorschriften begründen hypothetisches, nicht kategorisches Sollen; sie sind nicht selbst „Recht“, sondern lediglich *

Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in der Zeitschrift für Juristische Schulung (JuS) 1988, S. 873 – 879. Der Nachdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags C. H. Beck, München. ** §§ ohne Gesetzesangabe sind solche der StPO. 1 JR 1951, 481. 2 Paulus, in: KMR, 7. Aufl., § 244 Rdnrn. 302 – 310.

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(notwendige, nicht stets auch zureichende) Bedingungen des in der konkreten Entscheidung zu „sprechenden“ Rechts. Insofern ist „Recht“ weder (ontologisches) Gegenstands- noch (gnoseologisches) Erkenntnis-3, sondern (semantisches) Aussagenprädikat. „Es ist Recht, daß B (= bestimmte Sollensaussage) sein soll, weil A (= bestimmte Seinsaussage) ist“, oder metasprachlich formuliert: „Die Aussage ,Es ist Recht, daß B (sein soll), weil A (ist)‘, ist wahr (bzw. rechtsrichtig)“. bb) Rechtsgleich strukturiert ist der prozessuale Beweis. Auch er ist Rechtskonkretisierung mit dem Ziel, die „Wahrheit“ zu erforschen (§ 244 II), d. h. Seins-Sachverhalte festzustellen als Untersätze konkreter (prozeß- und/oder materiell-)rechtlicher Sollensaussagen („Urteile“). Als Rechtsbegriff ist auch jene „Wahrheit“ rechtliches Aussagenprädikat. Folglich ist die Aussage (Entscheidung, Urteil) des Gerichts etwa über die „für erwiesen erachteten Tatsachen“ (§ 267 I 1) rechtsrichtig (und irrevisibel, § 337 II) auch dann, wenn diese „Wahrheit“ trotz prozeßordnungsgemäßer Aufnahme (§ 244 I, II) und Würdigung (§ 261) der Beweise divers der Realität ist, etwa ein in Wirklichkeit „Unschuldiger“ verurteilt wird4. Scheidet aus Rechtsgründen also der ontologische Wahrheitsbegriff aus, ist unrichtig auch die herkömmliche Definition des prozessualen Beweises als „Herbeiführung der gerichtlichen Überzeugung von der Existenz einer Tatsache“5. Vielmehr bedeutet er: rechtsrichtige Begründung der – rechtlich „wahren“ – „Aussage“ des Gerichts6, es sei „überzeugt“ (§ 261), daß der von ihm im Urteil (vgl. § 267 I 1) oder in einer anderen Entscheidung als „feststehend“ behauptete Sachverhalt der Wirklichkeit entspreche. Auch die „Tatfrage“ ist deshalb – auf Sachrüge (§ 344 II 1) hin – revisionsgerichtlich überprüfbare „Rechtsfrage“ (§ 337 i. V. mit § 261).

3 „Überzeugung“ (§ 261) als prozessuales Kriterium der „Wahrheit“ i. S. des § 244 II bedeutet daher weder „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ (angesichts der erkenntnislogischen Unmöglichkeit, die Übereinstimmung Wissen-Sein induktiv-erfahrungsgesetzlich als Sicherheit zu erschließen) der Wirklichkeitserkenntnis noch „conviction intime“ (vgl. Art. 342 Code d’instruction criminelle v. 17. 11. 1808), rein subjektives Fürwahrhalten. 4 Obsolet ist der im ontologischen Wahrheitsbegriff verhaftete Streit, ob das Urteil i. S. eines „nullum crimen sine processu“ das staatliche jus puniendi erst schaffe (materielle Rechtskrafttheorie) oder einen durch Straftatbegehung entstandenen Strafanspruch nur prozessual feststelle (prozessuale Rechtskrafttheorie; h. M.) und ob letzterenfalls ein die Wirklichkeit und materielle Rechtslage verfehlendes Urteil ein „Fehlurteil“ sei. 5 Vgl. Roxin, StrafverfahrensR, 20. Aufl. (1987), § 24 A; Jauernig, ZPR, 22. Aufl. (1988), § 49 I. Besonders deutlich Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. (1985), § 371: „Begründung der Richtigkeit oder Unrichtigkeit von Tatsachen“. 6 Beweisführungspflichtig ist, was sich im formal-akkusatorischen, im übrigen aber inquisitorischen Amtsprozeß des Strafverfahrens von selbst versteht, stets das Gericht, sind aber auch im Zivilprozeß niemals die Parteien: Auch dort hat das Gericht die Richtigkeit seiner Tatsachenfeststellung zu „beweisen“ (§ 286 ZPO); Verhandlungsmaxime und Beweislastverteilung betreffen davon zu unterscheidende Fragen des Umfangs des zu Beweisenden und der Konsequenzen des in diesem Rahmen – vom Gericht! – geführten bzw. nicht geführten Beweises.

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b) Rechtsinhaltliche Bedingungen rechtsrichtiger Sachverhaltsfeststellung aa) „Überzeugt“ (§ 261) von einer Tatsache, d. h. nach Sachlage sich ihrer vernünftigerweise unbezweifelbar sicher sein darf das Gericht, wenn seine Argumentation im Beweiswürdigungsvorgang (1) widerspruchsfrei den Regeln formallogischen (allgemeine, mathematische und syntaktische Logik) und induktiven (Erfahrungssätze aller Gebiete empirischer Wissenschaften) Schließens genügt und (2) lückenfrei-umfassend ist in dem Sinne, daß sie sich auf „alle Tatsachen und Beweismittel“ erstreckt (§ 244 II: Aufklärungspflicht), die geeignet sind, eine noch nicht bestehende Überzeugung (mit) zu begründen oder eine bereits gebildete (vorläufige) Überzeugung auszuräumen, zumindest aber durch Wecken „vernünftiger“ Zweifel an ihrer Richtigkeit zu erschüttern.

Normativ bestimmt sind (beweisextern) nur die für die Rechtskonkretisierung unmittelbar rechtserheblichen Tatsachen, insbesondere die materiell-rechtlich mit Strafe bedrohten Verhaltensweisen. Im übrigen (beweisintern) sind Überzeugungsbildung – folglich insoweit auch Art und Umfang der Beweiserhebung (§ 244 I, II) – rechtlich „frei“ (§ 261) namentlich auch nicht präjudizierbar durch vorgeblich zuverlässige Wahrheitsfindung steuernde Beweisverbote [unten II. 1. a), 2. a)]: „An die Stelle der gesetzlichen Beweistheorie7 ist eine wissenschaftliche Beweistheorie getreten“8. bb) Ist Überzeugungsbildung (§ 261) sein Zweck, folgt für das Beweisaufnahmeverfahren (§ 244 I, II) als ihr Mittel daraus ein Doppeltes: (1) Die Art der gem. § 261 festzustellenden Tatsache, d. h. das jeweilige Beweisthema, bestimmt Art und Umfang der dazu erforderlichen Beweisaufnahmeergebnisse (= Inhalte von Beschuldigten-, Zeugen- und Sachverständigenaussagen sowie von verkörperten Gedankenerklärungen; Beschaffenheit von Personen und Gegenständen); diese wiederum legen die Art des Beweisaufnahmemittels fest „als“ Zeuge, Sachverständiger, Urkunde oder Augenscheinsobjekt. (2) Da erstens von Rechtsstaats wegen der Zweck der beweisthematischen Überzeugungsbildung nicht alle faktisch dazu möglichen geeigneten und erforderlichen Mittel (Gewinnung von Beweisergebnissen durch Ausschöpfung von Beweismitteln) legitimiert9 und zweitens prozessuale Formvorschriften, von Regelungen rein technischer Zweckmäßigkeit abgesehen, als gesetzgeberische „Wertentscheidungen im Hinblick auf eine umfassende Gerechtigkeitsverwirklichung“10 unverzichtbare Essentialien jeden Verfahrens sind, muß – und kann nur – Gegenstand vielfältiger Ge- und Verbote das Beweisaufnahmeverfahren (§ 244 I, II) sein [unten II.].

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Eine dem § 286 II ZPO entsprechende Vorschrift ist der StPO fremd. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 11. Aufl. (1964), S. 186 f. 9 Berühmte Sentenz in BGHSt 14, 385, (365) (vgl. auch BGHSt 31, 304 [309]): Es ist „kein Grundsatz der Strafprozeßordnung, daß die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müßte“. 10 Sax, JZ 1958, 177. 8

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2. Konsequenzen für Wesen und Begriff des Urkundenbeweises Das Beweisthema „Inhalt einer Gedankenerklärung“ ist gemeinsam nicht nur dem Personal- und Urkundenbeweis, sondern auch dem Augenscheinsbeweis insoweit, als bestimmte Gegenstände z. B. zeichnerische (Skizzen, Pläne) oder akustisch reproduzierbare (Tonaufnahmen) Gedankeninhalte verkörpern. Das diese Beweisarten voneinander unterscheidende Begriffsmerkmal kann deshalb nur die jeweilige prozessuale Form des Beweisaufnahmeverfahrens (§ 244 I, II) sein. a) Urkunden- und Augenscheinsbeweis aa) Urkundenbeweis wird erhoben durch Verlesen (§ 249 I)11 oder in der Ersatzform des Selbstlesens (§ 249 II; vgl. auch § 78 I 2 OWiG), d. h. durch unmittelbares Umsetzen von Schriftzeichen in Worte (§ 249 I) bzw. Gedanken (§ 249 II)12. Keine Urkunden (im prozessualen Sinn), sondern nur mögliche Augenscheinsobjekte, sind deshalb verlesbare Schriftstücke ohne geäußerten Gedankeninhalt (z. B. reine Schreibübungen) sowie verkörperte Gedankenerklärungen ohne Verlesbarkeit (z. B. „Beweiszeichen“ als Urkunden i. S. des § 267 StGB). Im Unterschied zum materiellrechtlichen Urkundenbegriff des § 267 StGB ist für § 249 unerheblich, ob die Schrift beweisbestimmt ist oder einen Aussteller erkennen läßt. bb) Augenscheinsbeweis – auch zur Gewinnung eines anderweitig manifestierten Gedankeninhalts als Beweisergebnis – findet, soweit Beweis nicht durch Verlesung (Urkundenbeweis) oder Vernehmung (Personalbeweis) zu erheben ist, statt durch visuelle (Skizzen, Zeichnungen, Pläne) oder akustische (Tonträger) Wahrnehmung des Gerichts. Weder unmittelbar noch – mangels („unbewußter“) gesetzgeberischer Regelungslücke – analog anwendbar13 sind die nur den förmlichen Urkundenbeweis betreffenden §§ 249 – 256, 325 selbst bei identischem Beweisthema des Augenscheinswie Urkundenbeweises, wenn etwa ein gem. §§ 100a, 100b aufgenommenes Telefongespräch sowohl durch Abspielen der Tonbandaufzeichnung als auch durch Ver-

11 Weder dogmatisch noch mit praktischen Bedürfnissen begründbar ist die h. M., daß anstelle der Verlesung der Urkunde der Vorsitzende ihren Inhalt auch in anderer Weise feststellen und bekanntgeben dürfe (zugelassen nur nach § 78 I 1 OWiG), falls kein Prozeßbeteiligter widerspreche und Verlesung nicht kraft Aufklärungspflicht (etwa wegen des entscheidenden Wortlauts) geboten sei (näher Paulus, in: KMR, § 249 Rdnr. 20 m.N.). 12 Zum Ganzen grundlegend Krause, Zum Urkundenbeweis im Strafprozeß, 1966, S. 101 ff., 113 ff., 126. 13 Ganz h.M.; die Gegenauffassung (insb. Schmitt, JuS 1967, 539; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. [1983], Rdnr. 541; vgl. auch Sarstedt, Die Revision in Strafsachen, 4. Aufl. [1962], S. 189 f., und Koffka, JR 1966, 389: polizeiliche Unfallskizzen als „Augenscheinsprotokolle“), die auf das gleichartige Beweisthema abstellt, müßte folgerichtig auch die Zulässigkeit des Beweises mit Zeugen vom Hörensagen nach §§ 250 – 252 beurteilen. Umfassend hierzu Geppert, Der Grundsatz der Unmittelbarkeit im deutschen Strafverfahren, 1979, S. 280 ff.

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lesen einer darüber gefertigten Niederschrift beweisförmig in die Hauptverhandlung eingeführt werden kann14. b) Urkunden- und Personalbeweis Begrifflich scheinbar eindeutig unterschieden durch die Beweisaufnahmeform der Verlesung und Vernehmung, berühren dennoch beide Beweisarten sich im Institut des Vorhalts, einem gefürchteten, „besonders heiklen Kapitels“15 des Strafverfahrens: stets als reiner Vernehmungsbehelf Teil des Personalbeweises16 oder in Fällen der §§ 253, 254 II förmlicher Urkundenbeweis17? aa) Vorhalte sind durch die Aufklärungspflicht (§ 244 II) gebotene, den Vernommenen informierende Fragen oder Aufforderungen mit dem Ziel, eine wahre, beweisthemaerschöpfende Aussage herbeizuführen, wenn der Vernehmende (oder gem. § 240 Frageberechtigte) Anlaß hat, die Wahrheit bisheriger Angaben des Aussagenden zu bezweifeln oder sein Erinnerungsvermögen zu stärken. Begrifflich sind alle Vorhalte deshalb reine Vernehmungsbehelfe. Beweisergebnis wird nie das Vorgehaltene durch Vorhalt, sondern bleibt ausschließlich das daraufhin Ausgesagte18 auch dann, wenn das Vorgehaltene – z.B. der Inhalt einer anderen Zeugenaussage oder einer Urkunde – bereits vorher beweisförmig [unten bb)] in die Hauptverhandlung eingeführt worden war. Vorhalte sind, sofern Beweisverbote nicht entgegenstehen [unten II. 1. a) cc)], stets und in formfreier Zweckmäßigkeit, notfalls (ultima ratio!) auch durch vollständiges Vorlesen einer Urkunde19, statthaft. bb) Daß §§ 253, 254 II gleichwohl förmlichen Urkundenbeweis normieren, ohne ein „heilloser“ und „durch nichts zu begreifender Widerspruch“ zu § 250 S. I20 oder ein „einziger Verrat“ am „Unmittelbarkeitsprinzip“ des § 250 S. 221 zu sein, und daß der Aufbau der § § 249 – 256 keineswegs einer klaren Konzeption [zu § 252 vgl. II. 1.

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BGHSt 27, 135 = JR 1978, 117 m. Anm. Gollwitzer. Eb. Schmidt, StPO I, 2. Aufl. (1964), Rdnr. 442. Zust. Schroth, ZStW 87, 103, Geerds, in: Festschr. f. Blau, 1985, S. 77. 16 So zu § 253 II: Eb. Schmidt, StPO II, 1957, § 253 Rdnr. 1; Grünwald, JZ 1966, 493; Peters (o. Fußn. 5), § 39 III 3b; Hanack, in: Festschr. f. Schmidt-Leichner, 1977, S. 87, 94. – Zu § 254 II: Eb. Schmidt, § 254 Rdnrn. 1, 10. 17 H. M.; vgl. BGHSt 1, 337; 3, 201 u. 282; 11, 340; 20, 162 = JZ 1965, 649 m. abl. Anm. Peters; BayObLGSt 1953, 215; 1957, 8; KG, NJW 1979, 1668; OLG Saarbrücken, JR 1973, 472 m. Anm. Fuhrmann; Schneidewin, JR 1951, 484; Alsberg-Nüse-Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. (1983), S. 277; Fezer, II 14/72, 73. 18 Unstreitig; vgl. nur RGSt 72, 221, 223; BGHSt 14, 310 (314); BGH, MDR 1986, 159. 19 RGSt 36, 53; 61, 74; 64, 88; BGHSt 1, 8; 3, 283; 11, 341; 14, 312; 21, 150; KleinknechtMeyer, StPO, 37. Aufl. (1985), § 249 Rdnr. 28; – a.M.: Eb. Schmidt (o. Fußn. 15), Rdnr. 442 Fußn. 230; Niese, JZ 1953, 598; Hanack (o. Fußn. 16), S. 99 ff. 20 So aber Eb. Schmidt (o. Fußn. 15), § 250 Rdnr. 3. Vgl. auch Hanack (o. Fußn. 16), S. 88. 21 So jedoch Schneidewin, JR 1951, 484. 15

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b) aa)] entbehrt22, ist mit dem entscheidenden Kriterium des jeweiligen Beweisthemas [oben I. 1. b) bb)] zwanglos begründbar. Denn § 250 S. 2 untersagt urkundenbeweisliche Vernehmungsersetzungen nur, falls Beweisthema der Inhalt eigener Wahrnehmungen der Beweisperson [ergänzend unten II. 1. b) aa)], also des früher Vernommenen ist. (1) Daran fehlt es bei „freien“ Vorbehalten (= solchen außerhalb der §§ 253, 254 II), da sie ermöglichende Urkundenvorlesungen überhaupt nicht Beweiszwecken dienen, aber auch bei beweisförmiger Verlesung gem. § 249, sofern Beweisthema nur Existenz und/oder Inhalt des von der früheren Verhörsperson Protokollierten ist. (2) Protokollverlesungen nach §§ 253, 254 II sind Mittel zum Zweck von Vorhalten an den früher Vernommenen, die sein Gedächtnis unterstützen (§ 253 I) bzw. der Feststellung oder Behebung von Widersprüchen zwischen seiner damaligen und jetzigen Aussage (§§ 253 II, 254 II) dienen sollen. Sinn derartiger Verlesungen ist es, über reine Vorhaltszwecke hinausgehend und nunmehr abweichend von § 250 S. 2 als Beweisthema auch den Inhalt der damaligen Aussage, d. h. die Wahrnehmung der früheren Verhörsperson, ohne deren umständliche Vernehmung (§ 250 S. 1) und ohne ggf. ihre prozeßverzögernde Ladung (§§ 253 II, 254 II) aus prozeßökonomischen Gründen sogleich urkundenbeweisförmig (nur) zu den vorzuhaltenden Punkten in die Hauptverhandlung einzuführen23. Folglich findet Urkundenbeweis gem. §§ 253, 254 II statt nur in Anwesenheit des früher Vernommenen als jetzt zu Vernehmenden, nicht auch bei Vernehmung der damaligen Verhörsperson, und ebenfalls nicht zwecks Vorhalten aus Niederschriften über frühere Vernehmungen anderer Beweispersonen bzw. Angeklagter (insoweit gilt das oben zu [1] Ausgeführte). Ist Urkundenbeweisthema gem. §§ 253, 254 II aber gar nicht der Inhalt rechtserheblicher Wahrnehmungen des in der Hauptverhandlung Vernommenen, bleibt insoweit § 250 S. 2 unberührt24. Gleichwohl darf nunmehr – anders bei Vorlesungen zwecks „freier“ Vorhalte [oben (1)] – der gem. §§ 253, 254 II festgestellte Inhalt des vom jetzt Vernommenen früher Ausgesagten (Urkundenbeweisergebnis) zur Würdigung (§ 261) seiner Aussage in der Hauptverhandlung über seine rechtserheblichen Wahrnehmungen (Personalbeweisergebnis) herangezogen werden.

II. Rechtliche Zulässigkeit und Grenzen des Urkundenbeweises 1. Beweisverbotsrechtliche Prozeßhandlungshindernisse a) Zur allgemeinen Dogmatik der Beweisverbote Ausschließlich „beweisexterne“ rechtsstaatsimmanente Gründe sind es [oben I.1. b) aa)], die zwecks „beweisintern“ [I. 1. b) aa)] rechtsrichtiger Überzeugungsbildung 22 A. M.: Schneidewin, JR 1951, 481; 1967, 230; Hanack (o. Fußn. 16), S. 85, 88; vgl. auch Geerds (o. Fußn. 15), S. 73: §§ 253, 254 „bringen … bei Licht besehen mehr Unsicherheit als Klarheit“. 23 Vgl. u. Fußn. 68. 24 RGSt 61, 72 (74); Schneidewin, JR 1951, 485; – a.M.: Niese, JZ 1953, 598; Grünwald, JZ 1968, 754.

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an sich notwendige und faktisch auch mögliche Beweisergebnisse [I. l. b) aa (1)] verschließen: Beweisverbote als rechtliche Grenzen umfassender Wahrheitserforschung (§§ 261, 244 II), anderweitigen rechtsschutzwürdigen und -bedürftigen Interessen Rechnung tragend, letztlich stets gründend im Verhältnismäßigkeitsgebot (bzw. Übermaßverbot). aa) Bereits keine rechtsbegrifflich-inhaltliche [oben I. 1. a) aa)], sondern eine nur rechtspolitische Frage ist es, ob (etwa: Gesetzesperfektionismus oder case law) und ggf. wie stark (etwa: Enumerationsprinzip oder Generalklauseln) der Vorgang der Rechtsverwirklichung aus weiteren Gründen z. B. der Rechtssicherheit, Systemgerechtigkeit, Prozeßökonomie, Praktikabilität oder revisionsgerichtlichen Nachprüfbarkeit ex ante abstrakt-generell legislativ zu steuern ist25. Ebenso können zur Unzulässigkeit des Strafverfahrens in toto (Prozeßhindernisse)26 oder in Teilen (Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse)27 führende, umfassender „Verwirklichung des materiellen Rechts“ entgegenstehende rechtswerthafte Sachverhalte entweder gesetzlich für alle Prozeßlagen (und damit ausnahmslos geltend) als übergewichtig präsumiert oder (andernfalls) als erst durch Abwägung der rechtsrelevanten Umstände gegeneinander in konkreter Dezision als vorrangig (und damit das Verbot sie verletzender Beweiserhebungen als „Recht“) festzustellen sein. bb) Beweisverbote wurzeln in rechtsstaatlicher Unzulässigkeit, rechtliche Aussagen (und damit „Recht“) zu begründen mit Beweisergebnissen, deren Gewinnung oder/und Verwertung in der bezeichneten Weise [oben aa)] das Übermaßverbot verletzte. Weil Gesetz oder/und Verfassung bestimmte Beweisergebnisse [oben I. 1. b) bb) (1)] – z. B. den Inhalt der Aussage eines entgegen §§ 52 III 1, 55 II nicht belehrten Zeugen28 oder eines behördlich dem Gericht willkürlich bzw. ohne Angabe von Gründen vorenthaltenen29 oder die rechtsstaatlichen Grenzen zulässiger Tatprovokation überschreitenden“30 V-Mannes, der Angaben eines auf sein Schweigerecht nicht gem. § 136 I2 hingewiesen früheren Mitbeschuldigten31, ferner den Inhalt einer Urkunde i. S. des § 252 [unten II. l.b) bb)], einer die Intimsphäre tangierenden Tagebucheintragung32 oder das Persönlichkeitsrecht am eigenen Wort verletzenden heimlichen Tonbandaufnahme33 – für prozeßrechtliche Zwecke, insbesondere für die 25

Näher Paulus, in: KMR, § 244 Rdnr. 5. Im einzelnen Paulus, in: KMR, 206 a Rdnrn. 19, 22 – 38. 27 Dazu Paulus, in: KMR, Vorb. § 48 Rdnrn. 79 f. 28 Paulus, in: KMR, § 52 Rdnr. 34 und § 55 Rdnr. 25. 29 Paulus, in: KMR, § 54 Rdnr. 36. 30 Paulus, in: KMR, § 206 a Rdnr. 29. 31 Eb. Schmidt, § 251 Rdnr. 7; ders., NJW 1968, 1218; Kleinknecht-Meyer, § 251 Rdnr. 2; a. M. BGHSt 10, 186 (190); 22, 170 (173 f.); 31, 395. 32 BGHSt 19, 325 m. Bespr. Händel, NJW 1964, 1139, Heinitz, JR 1964, 441, Dünnebier, MDR 1964, 965, und Sax, JZ 1965, 1; BGHSt 34, 397, (399 f.) m. Bespr. Amelung, NJW 1988, 1002. 33 BVerfGE 34, 238 (245); BGHSt 14, 358 (365); 31, 296 (299 f.); 31, 304 (306); 34, 39 (43) m. Bespr. Bottke, Jura 1987, 356. 26

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Überzeugungsbildung (§ 261) – „reprobiert“34, sind diesen Zwecken als Mittel dienende Beweismittelverschaffungs- und Beweiserhebungsakte (Vernehmung, Verlesung, Inaugenscheinnahme) prozessual „nichtig“. Ebenfalls in Konsequenz dieser Zweck-Mittel-Relation verbieten StPO und Grundgesetz damit unvereinbare Beweisverschaffungsmaßnahmen bereits im prozessualen Vorfeld, etwa unverhältnismäßige körperliche Untersuchungen und Eingriffe nach § 81a35, die Blutprobenentnahme bei einem nicht gem. § 81c III belehrten Zeugen, die Beschlagnahme schriftlicher Mitteilungen i. S. des § 97 I 1, die Überwachung und Aufnahme des Fernmeldeverkehrs ohne die Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 100 a36. Für eine positivoder (ungeschriebene) verfassungsrechtliche Norm des Verfahrensrechts ist deshalb – entgegen allgemeiner Auffassung37 – Voraussetzung, nicht erst Folge, das verbotswidrig erlangte Beweisergebnis zu verwerten: Beweis-„Verwertungsverbote“ sind innerer Grund38 wie äußere Wirkung von Beweis-„Erhebungsverboten“. Weil sinnvoll „Verwertung“ nicht „an sich“, sondern nur „wozu“ diskutierbar, also funktional zu verstehen ist, und zwar bezogen auf „Prozeßhandlungen“ i. S. der Rechtsverwirklichung [oben I. 1.a], weil „Verwertung“ mithin nicht in dem engen Sinn nur eines Heranziehens der Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung (§ 261) zu begreifen ist, bleibt die allgemeine Einteilung der „Beweisverbote“ in Erhebungs- und Verwertungsverbote orientiert nur an formalverfahrensmäßigen, nicht an rechtsinhaltlichen Kriterien. Beweis-„Erhebung“ ist nur eine Sonderform der „Verwertung“ in der Hauptverhandlung präsenter Beweismittel39. Dies erklärt, warum es Beweis-,,Verwertungsverbote“ ohne Beweis-„Erhebungsverbote“ gibt40, nicht umgekehrt und warum ein rechtlich ausgeschlossenes Beweisergebnis (= Beweisthema) auch nicht in anderer Beweiserhebungsform – z. B. Zeugenbeweis über den Inhalt einer nach §§ 97 I 1, 252 unverlesbaren Urkunde, Personal- oder Urkundenbeweis [oben I. 2. c) bb)] über den Inhalt einer nach § 100 a unverwertbaren Tonbandaufnahme – zwecks „Verwertung“ festgestellt werden darf [unten b) bb)]. 34

BGHSt 25, 165 (170) m. Hinw. auf Eb. Schmidt, § 94 Rdnr. 14. BVerfGE 16, 194 (202); 17, 108 (117); 27, 211. 36 BGHSt 27, 355 (357); 31, 296 (297 f.); 32, (70 f.); 35, 32 ff. 37 Vgl. für alle: BGHSt 19, 325 (331) („… bedarf es der Einzelfallprüfung, ob eine Verletzung des Beweisverbots auch ein Verwertungsverbot zur Folge hat“) und BGHSt 31, 304 (307) („Aus der Rechtswidrigkeit der Erlangung des Beweismittels folgt … das Verbot, das … Beweismittel … zu verwerten“). 38 Vgl. auch Beling, Dt. ReichsstrafprozeßR, 1928, S. 202: Prozessual unwirksam ist ein Verhalten, „wenn es als Bedingung für ein nachfolgen sollendes Verhalten gedacht, dafür rechtlich nicht genügt, so daß das dennoch nachfolgende Verhalten prozeßordnungswidrig sein würde, es bedeuten also die Zulässigkeitsvoraussetzungen für das spätere Verhalten zugleich Wirksamkeitsbedingungen für das frühere“. 39 So durfte der BGH im 1. Tagebuchurteil (BGHSt 19, 325 [329]: „… Verwertung als Beweismittel“; ähnl. BGHSt 29, 109 [111]: „Verwertung eines Beweismittels“), ohne damit ein „Verwertungsverbot“ i. S. der herrschenden Systematik zu etablieren, das Verlesen der Tagebuchaufzeichnung (Beweiserhebung gem. §§ 244 I, II; 249) eine „Verwertung der betr. Urkunde nennen. 40 BGHSt 28, 122 (124). 35

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cc) Ein rechtlich unverwertbares Beweisergebnis (= Beweisthema) ist prozessual „nichtig“, es gilt als im prozessualen Raum nicht existent. Es kann nicht Grundlage einer rechtsrichtigen Aussage, insb. einer Prozeßnormkonkretisierung (in der Regel also einer Prozeßhandlung) sein. Wird es gleichwohl verwendet zur Begründung etwa des Tatverdachts bei prozessualen Beweismittelverschaffungsmaßnahmen (§§ 81, 81a, 81c, 97 ff., 100a, 102 ff. etc.) oder als Element von Beweisaufnahmehandlungen (vor allem als Gegenstand von Vorhalten41 bei Vernehmungen oder als Anknüpfungstatsache für ein Sachverständigengutachten42), so kommt ihm Fernwirkung zu mit der Folge, daß diese rechtsfehlerhaft gewonnenen weiteren Beweismittel bzw. -ergebnisse ebenfalls prozessual unverwertbar sind. Anders, sofern das – nur tatsächlich, nicht auch rechtlich vorhandene – Beweisergebnis ausschließlich faktisch äußerer Anlaß für Ermittlungen43 in bestimmte Richtung oder für konkrete Fragestellungen (bei Vernehmungen) ohne Vorhalt war und die neuen Beweismittel bzw. -ergebnisse im übrigen eigenständig-rechtsfehlerfrei gewonnen worden sind44. b) Das Beweisverbot des § 25245 Weitgehend ausgemacht erscheint es heute, daß § 252 entgegen der RG-Rechtsprechung46 über ein (unstreitiges) Verlesungsverbot (= Beweismittelverbot) hinaus ein umfassendes47, allenfalls durch Vernehmbarkeit der richterlichen48 Verhörsperson durchbrochenes49 Verwertungsverbot (= Beweisthemaverbot: Inhalt der protokollierten Aussage einer später in der Hauptverhandlung berechtigt das Zeugnis gem. §§ 52 ff. verweigernden Beweisperson) normiere. Dem ist zu widersprechen: 41

Unzulässig sind daher Vorhalte jeder Art (oben I. 2. b))] aus beweisverbotswidrig erlangten Beweismitteln bzw. -ergebnissen. 42 BGHSt 34, 39 (43 ff.): Stimmvergleichsgutachten unter Verwendung einer unzulässigen heimlichen Tonbandaufnahme. 43 Einen Sonderfall (vgl. BGHSt 30, 317 [319]; 32, 68 [71]) bildet das schon wortlautgemäß weitergehende Verwertungsverbot des § 7 III G 10 (BGHSt 29, 244 [251]). 44 Zu dieser grundsätzlichen Unterscheidung bereits Paulus, in: KMR, § 244 Rdnrn. 542 – 546. So im Ergebnis später auch BGHSt 32, 68 [71]: Kein Verwertungsverbot, wenn eine nach § 100 a unstatthafte Telefonüberwachung nur „auf die Spur“ des Beschuldigten geführt habe. Im übrigen jedoch begreift der BGH, jene prozeßqualitative Differenzierungsnotwendigkeit nicht sehend, „Fernwirkung“ als Problem rein faktischer Kausalität, wenn er Aussagen trotz unzulässiger Vorhalte aus § 100a verletzenden Tonbandaufnahmen für verwertbar hält, wenn diese vom Vorhalt „unbeeinflußt“ bzw. „eigenständig“ erstattet worden sind (BGHSt 27, 354 [358]; 32, 68 [70 f.]; 35, 32 [34 f.]). 45 Neueste Zusammenfassung der Gesamtproblematik bei Geppert, Jura 1988, 305 f., 362 ff. 46 Vgl. z. B. RGSt 5, 142; 10, 120; 48, 246; 70, 6 f.; 72, 221 ff. 47 H.M. in der Lit.; Nachw . bei Gollwitzer, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 24. Aufl. (1984 ff.), § 252 Rdnr. 5 Fußn. 14. 48 Weitergehend (auch nichtrichterliche Verhörspersonen): Schlüchter (o. Fußn. 13), Rdnr. 4973; Nüse, JR 1966, 283. 49 BGHSt 2, 99 (102); 18, 146; 20, 384; 21, 218 f.

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§ 252 begründet nach Wortlaut, systematischer Stellung sowie Sinn und Zweck in der Tat ein reines Urkunden-Verlesungsverbot. aa) Unrichtig ist, daß § 252, begriffen allein als Verlesungsverbot, überflüssig sei, weil ein solches sich bereits aus § 250 S. 2 ergebe, insbesondere ein Ausnahmefall nach §§ 251, 253 nicht vorliege50. Zwar trifft letzteres zu, weil der zu Vernehmende in der Hauptverhandlung anwesend ist (so daß § 251 entfällt) und nicht aussagt (so daß gem. § 253 vorzubereitende Vorhalte ausscheiden). Indessen folgt hieraus noch kein Verlesungsverbot, da § 250 S. 2 ein solches – gegen die ganz h.M. – überhaupt nicht vorschreibt. Denn51: „Materielle“ Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme i.S. der Ausschöpfung des jeweils bestmöglichen Beweismittels ist lediglich Folge aus § 261 i. V. mit § 244 II [oben I. 1. b) aa)]. Dem entspricht die – an sich überflüssige – Vorschrift des § 250, die für das Beweisthema „Inhalt der Tatsachenwahrnehmung einer Beweisperson“ deren Vernehmung durch das erkennende Gericht (zwecks umfassender Ausschöpfung dieses Beweismittels und zuverlässiger Würdigung dieses Beweisergebnisses) gebietet und ihm untersagt, sich mit der Verlesung einer „Berichtsurkunde“ zu begnügen angesichts des dann eingeschränkten Beweisthemas „Existenz und Inhalt der eigenschriftlichen bzw. protokollierten Aussage“. § 250 S. 2 enthält daher auch insoweit kein Verlesungsverbot, sondern nur das § 250 S. 1 klarstellende Verbot zusätzlicher Nichtvernehmung der Beweisperson, mit anderen Worten das Gebot, (auch) sie zu vernehmen. Nicht die (erfolgte) Verlesung (§ 249) einer „Berichtsurkunde“ verletzt § 250, sondern allein die (unterlassene) Vernehmung der Wahrnehmungsperson; verlesbar also ist eine „Berichtsurkunde“ (§ 250 S. 2) nicht nur eben dem Personalbeweis52, sondern sogar ohne diesen, in beiden Fällen freilich nur über das Beweisthema „Existenz und Inhalt der Berichtsurkunde“53. Hinzu kommt, daß § 250, richtig verstanden als gesetzliche Konkretisierung der Aufklärungspflicht (§ 244 II), in Fällen des § 252 schon deshalb nicht verletzt sein kann, weil das Gericht keine rechtlich und tatsächlich an sich möglich gewesene Vernehmung der Beweisperson aufklärungspflichtwidrig unterlassen hat54. Gesetzgeberisch gem. § 252 ein 50 So aber z. B. BGHSt 2, 99 (102 ff.); Geppert (o. Fußn. 45), S. 307; Fezer, II 15/68 und JuS 1977, 670; vgl. bereits RGSt 10, 374 (375). 51 Zur Begründung im einzelnen Paulus, in: KMR, § 244 Rdnrn. 192 – 195. 52 BGHSt 20, 160 (161 f.) = JZ 1965, 649 m. abl. Anm. Peters; BGH, NJW 1970, 1558; 1987, 1093; Hanack, JZ 1972, 203; Roxin (o. Fußn. 5), § 44 B I 42e; Wömpner, NStZ 1983, 295 f.; – a. M.: Schneidewin, JR 1951, 486; Eb. Schmidt, § 250 Rdnr. 4; Geppert (o. Fußn. 13), S. 199 f. 53 Daher kann von einer unzulässigen „Ersetzung“ einer Wahrnehmungsaussage keine Rede sein (a. M.: Dahs, Strafverteidiger 1988, 171). 54 Da § 252 nicht gilt und ein Beweisthemaverbot nicht begründet ist, wenn ein Zeuge in der Hauptverhandlung (ganz oder teilweise) gem. § 55 die Aussage verweigert und dies als rechtliches Vernehmungshindernis auch kein Verlesungsgrund nach § 251 II 2 ist (BGH, NStZ 1982, 342; NJW 1984, 136; OLG Köln, NJW 1982, 2457), sind Niederschriften über frühere Vernehmungen des Zeugen und von ihm selbst verfaßte Wahrnehmungsberichte verlesbar gem. § 249, freilich begrenzt auf das Beweisthema „Existenz und Inhalt der betr. Urkunde“; über die Aussage des früher Vernommenen darf gem. §§ 250 S. 2, 244 II grundsätzlich nur

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Urkundenbeweisverbot zu statuieren, erscheint nach allem – auch im Kontext der §§ 249 – 256 – sinnvoll, um den (beweisexternen) Regelungszweck dieser Vorschrift [unten bb)] zu erreichen. bb) Trotz richtiger Sicht, daß § 252 sachlich mit §§ 52 ff. zusammenhängt, ziehen daraus die insoweit nahezu einhellige Rechtsprechung und Literatur nicht die zwingende prozeßdogmatische Konsequenz55, daß § 252 als reine Folge der Schutzzwecke in der Hauptverhandlung ausgeübter Zeugnisverweigerungsrechte nicht selbst wieder Rechtsgrund eines allgemeinen Verwertungsverbots sein kann, daß vielmehr ein solches ebenfalls unmittelbar aus jenen Schutzzwecken abzuleiten ist: Diese dürfen in ihrem Sinngehalt, wenn die Beweisperson ihr Zeugnis berechtigt verweigert, nicht in der Weise umgangen werden, daß das, was sie zu vermeiden gebieten, anderweitig bewirkt würde etwa dadurch, daß die verweigerte Wahrnehmungsaussage durch Verlesung gem. § 249, Vernehmung der früheren Verhörperson oder mit Hilfe von Vorhalten bei Vernehmungen ganz oder teilweise doch wieder Grundlage gerichtlicher Prozeßhandlungen (speziell Entscheidungen) wird. Begrenzt aber der Schutzzweck einer Norm zugleich ihren „fernwirkenden“ Schutzbereich56, so gilt das Verlesungsverbot des § 252 in Fällen nur der §§ 52, 53, 53a (insoweit unstrittig), nicht auch der §§ 5457, 5558. (1) Die „institutionellen“ Beweisverbote des § 52 (Schutz auf natürlichen familiären Beziehungen gründender persönlicher Vertrauensverhältnisse)59 und der §§ 53, 53 a (Schutz berufsbezogener Vertrauensbeziehungen, die unverzichtbar sind angesichts unabweisbarer Lebensbedürfnisse des Bürgers, ohne Furcht vor Strafverfolgung bei sachkundigen Angehörigen bestimmter Heil- und Beratungsberufe Schutz suchen zu dürfen, und wegen des öffentlichen Interesses am ungestörten Wirken besonders gemeinschaftswichtiger Berufszweige) wirken „beweisthematisch“: Wird qua berechtigter Zeugnisverweigerung60 ein solches Vertrauensverhältnis de jure unwiderleglich vermu-

durch Vernehmung der Verhörsperson (und ggf. zusätzlicher Protokollverlesung) Beweis erhoben werden. 55 Dazu näher Paulus, in: KMR, § 252 Rdnrn. 2 f. 56 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob fehlerhafte, insb. unter Verletzung der §§ 52 III 1, 55 II erlangte Aussagen schon aus diesem Grund unverwertbar sind (Fußn. 41, 66). 57 RGSt 48, 38 f.; BGH b. Dallinger, MDR 1951, 275; Mayr, in: KK, 2. Aufl. (1987), § 252 Rdnr. 8; – a.M.; Kleinknecht-Meyer, § 252 Rdnr. 4; – offengelassen von OLG Celle, MDR 1959, 414 f. 58 BGHSt 6, 209 (211); 17, 337 (350); BGH b. Holtz, MDR 1983, 796; BayObLG, NJW 1984, 1246 f.; Kleinknecht, NJW 1966, 1539; – a.M: Eb. Schmidt, § 252 Rdnr. 3; Fezer, II 15/ 94; Hanack (o. Fußn. 16), S. 92. 59 BVerfG, NJW 1981, 1943. 60 Daran fehlt es, wenn der in der Hauptverhandlung gem. §§ 52 ff. Zeugnisverweigerungsberechtigte nicht zur Verfügung steht, etwa weil er verstorben, flüchtig oder sonst unauffindbar ist, so daß § 252 schon wortlautmäßig nicht eingreift und auch die Schutzzwecke der §§ 52 ff. eine Vernehmung der damaligen Verhörsperson oder eine Verlesung gem. § 251 I, II nicht hindern (BGHSt 22, 35 = JR 1968, 429 m. abl. Anm. Peters; 27, 139 (143 f.) = JR 1977, 433 m. Anm. Hanack; – a.M. Roxin (o. Fußn. 5), § 24 D III 2a.

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Methodik der Fallbearbeitung tet [oben II. 1. a) aa)], dürfen grundsätzlich61 selbst prozessual ordnungsgemäß gewonnene62, aber in diesen geschützten Bereich einbrechende Erkenntnisse nicht auf anderem Beweismittelweg (vgl. § 252 für den Urkundenbeweis) festgestellt werden; denn auch hier wäre ein Stück möglicher „Wahrheit“ (§ 244 II) erkauft mit dem „unverhältnismäßigen“ Opfer jener rechtlich geschützten Beziehung zwischen Beweisperson und Angeklagtem. (2) Dagegen nur „personal-individuelle“ Beweismittelverbote regeln § 54 (Geheimhaltungsinteresse öffentlich-rechtlicher Körperschaften und Anstalten, insbesondere des Staates, zur wirksamen Erfüllung anderweitiger Aufgaben im Gemeinschaftsinteresse) und § 55 (Ausfluß des dem Persönlichkeitsrecht der Beweisperson63 und dem rechtsstaatlichen Prozeßfairneßgebot64 Rechnung tragenden Verbots jeglichen Selbstbelastungszwangs: Schweigerecht der Beweisperson im möglichen Aussagekonflikt zwischen Wahrheitspflicht und Zwang, hierdurch für sich oder einen Angehörigen Strafverfolgungsgefahr zu schaffen oder zu mehren65): Die Schutzzwecke dieser Vorschriften werden nicht vereitelt, nicht umgangen, wenn über den Inhalt einer prozeßordnungsgemäß66 erlangten Aussage bei späterer Zeugnisverweigerung (§§ 54, 55) in der Hauptverhandlung anderweitig Beweis erhoben wird. Denn § 54 (wie auch § 96) ermächtigt die Genehmigungsbehörde nur, dem Gericht ein Beweismittel vorzuenthalten, nicht auch das Amtsgeheimnis selbst; wird die Aussagegenehmigung erst in der Hauptverhandlung versagt, begründet § 54 für frühere Aussagen (über das hierdurch bereits bekanntgewordene „Amtsgeheimnis“) kein Beweisthemaverbot67. Die durch § 55 erfaßte, von der Beweisperson in Kenntnis ihres Schweigerechts (§ 55 II) früher durch Aussage, in der Hauptverhandlung durch Zeugnisverweigerung gelöste (mögliche) Konfliktlage wird durch beweisförmige Einführung68 damaliger Angaben und Verwertung in der Hauptverhandlung weder neu begründet noch, da sie entfallen war, intensiviert oder auch nur aufrechterhalten69.

61 Die Frage, ob und ggf. unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise eine richterliche Verhörsperson über frühere Aussagen einer in der Hauptverhandlung das Zeugnis gem. §§ 52, 53, 53 a verweigernden Beweisperson vernommen werden darf (dazu Paulus, in: KMR, § 252 Rdnrn. 4, 22 – 30), liegt außerhalb des (Urkundenbeweis-)Themas dieser Erörterungen. 62 Kein Beweisthemaverbot bei späterer Zeugnisverweigerung, wenn der Berechtigte eigeninitiativ und noch außerhalb des prozessualen Raumes, insb. noch vor Einleitung eines Ermittlungsverfahrens, Sachangaben (z. B. durch Strafanzeige oder an die Polizei gerichtete Hilfeersuchen) gemacht hat (näher Geppert, Jura 1988, 366 f.). 63 BVerfG, NJW 1975, 104; NStZ 1985, 277. 64 BayObLG, NJW 1984, 1247. 65 RGSt 36, 116; BVerfG, NStZ 1985, 277; BGH b. Pfeiffer-Miebach, NStZ 1985, 493. 66 Vgl. o. Fußn. 56. Verletzungen der §§ 54, 55 (insb. auch § 55 II) machen die Aussage von vornherein unverwertbar (str.; im einzelnen Paulus, in: KMR, § 48 Rdnr. 99, § 54 Rdnr. 48, § 55 Rdnr. 28. 67 A.M. OLG Celle, MDR 1959, 414; Gössel, NJW 1981, 2220. 68 Gem. § 250 (i. V. mit § 244 II) (auch) durch Vernehmung der Verhörsperson über den Inhalt der damaligen Aussage, da urkundenbeweisliche Protokollverlesung nur Existenz und Inhalt der Niederschrift beweisen. 69 Aus gleichen Sachgründen werden Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit eines in der Hauptverhandlung (leugnenden oder) gem. § 243 IV 1 schweigenden Angeklagten nicht unzulässig dadurch umgangen, daß (über § 254 hinaus) seine früheren Angaben beweismäßig

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2. Beweisrechtliche Prozeßhandlungsgebote a) Beweisinterne Regelungen beweisthematisch richtiger Überzeugungsbildung Zuverlässiger Wahrheitsforschung dienende Verfahrensvorschriften haben nie Beweisverbotsfunktion in dem Sinne, Beweisergebnisse von der Überzeugungsbildung auszuschließen [oben I. 1. b) aa)]. Sie normieren, wie für § 250 bereits dargelegt [oben II. 1. b) aa), stets nur Gebote bestimmter Art und Weise der Gewinnung von Beweisergebnissen [oben I. 1. b) bb (2)]; deren Arten selbst und notwendigen Umfang bestimmen §§ 261, 244 II. Zwar kann (nicht muß) auch die Nichtbeachtung echter Beweisverbotsvorschriften die Zuverlässigkeit des betreffenden Beweismittels für die Sachaufklärung beeinträchtigen. Das gilt insbesondere für „konfliktbehaftete“ Aussagen nicht gem. §§ 52 III 1, 55 II belehrter Zeugen, auf ihr Schweigerecht (§§ 136 I 2, 243 IV 1) nicht hingewiesener Beschuldigter oder unzulässig gem. § 136 a (§ 69 III) Vernommener, ebenso für die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG, § 33) sowie für sonstige Beeinträchtigungen der Verteidigung (namentlich von Anwesenheits- und Fragerechten). Gleichwohl ist entgegen verbreiteter Auffassung70 die (mögliche) Gefährdung der Wahrheitsfindung nicht (auch) als Grund (Sinn und Zweck) der betreffenden Beweisverbote zu sehen. Vielmehr hat das Gericht bei Meidung rechtsfehlerhafter Bildung seiner – von rechtlichen Beweisregeln „freien“ – Überzeugung (§ 261) eben jene Unsicherheitsfaktoren einer (evtl.) „konfliktbelasteten“ Aussage oder eines (möglicherweise) unvollständig-einseitig ausgeschöpften sonstigen Beweisergebnisse zu berücksichtigen und u. U. kraft Aufklärungspflicht den mangelhaften Beweisaufnahmeakt fehlerfrei zu wiederholen. b) Folgerungen für den Urkundenbeweis nach § 251 aa) Als Ausnahmevorschrift zu § 250, der als Gebot [oben I. 2. b), bb); II. l. b) aa)] grundsätzlicher Vernehmung von Beweispersonen über eigene Wahrnehmungen in der Hauptverhandlung eine zuverlässige Sachverhaltsaufklärung bezweckt, gestattet § 25171 aus Gründen der Prozeßökonomie und -beschleunigung, um Beweispersonen nicht unzumutbar zu belasten und um Beweisverlusten entgegenzuwirken, den Personalbeweis (einschließlich der Vernehmung von Verhörspersonen) über Wahrnehmungen (= Beweisthema) zu ersetzen durch Urkundenbeweis. Dabei sind richterliche Vernehmungsniederschriften (§§ 168, 168a, 168c; 223, 224) i. S. des § 251 I weitergehend verlesbar (vgl. auch § 254 I, II) als nichtrichterliche Protokolle (der Staatsverwertet werden etwa durch Vernehmung der damaligen (nichtrichterlichcn) Verhörsperson, zusätzliche (§ 250 S. 2) Verlesung jener Niederschrift (§ 249) oder – „formfreien“ – Vorhalten daraus an Beweispersonen oder Angeklagte. 70 Vgl. für Zeugnisverweigerungsrechte allg. Busch, JZ 1953, 703; Jescheck, GA 1959, 84; Henkel, StrafverfahrensR, 2. Aufl. (1968), § 49 III 3; Roxin (o. Fußn. 5), § 26 B II 1 a; – zu § 136a: OLG Oldenburg, NJW 1955, 683; Kleinknecht, NJW 1964, 2185. 71 Weitere Ausnahmen zu § 250: §§ 253, 254, 256, 325.

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anwaltschaft oder Polizei) gem. § 251 II, weil die StPO jene generell für „justizförmiger“ und zuverlässiger als diese erachtet72 angesichts der richterlichen Unabhängigkeit sowie der bei nichtrichterlichen Vernehmungen fehlenden Vereidigungsmöglichkeiten (§§ 161 a I 3 StPO; 153 ff. StGB), Anwesenheits- (§§ 168c II, V2; 224) und Fragerechten Prozeßbeteiligter (§§ 161a, 163a verweisen nicht auf § 168c II). Vorrang hat aber stets die Aufklärungspflicht73 (§§ 261, 244 II): Sie kann – unter Rückkehr zur Regel des § 250 – bei einem rechtsrichtiger Überzeugungsbildung nicht genügenden Urkundenbeweisergebnis dem Gericht gebieten, soweit noch möglich und nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache anstelle oder neben der Protokollverlesung den früher Vernommenen, u. U. auch zusätzlich die damalige Verhörsperson, persönlich zu vernehmen74. bb) Prozeßfehlerhafte richterliche Vernehmungsniederschriften sind prozessual generell unverwertbar, wenn ein Beweisverbot [oben II. 1. a) bb)] verletzt ist; dies hindert sowohl ihre Verlesung als auch Vorhalte jeder Art daraus oder die Vernehmung der Verhörsperson über ihren Inhalt [oben II. 1. a) cc); b) bb)]. Bei sonstigen Mängeln [oben II. 2. c)] ist zu unterscheiden: (1) Als richterliche Protokolle (mit personalbeweisersetzender Wirkung) gem. § 251 I unverlesbar sind Vernehmungsniederschriften, die essentiell formell fehlerhaft (zustandegekommen) sind, weil z. B. (a) die Vernehmung ein ausgeschlossener oder erfolgreich abgelehnter Richter (§§ 22 ff.) durchgeführt bzw. Protokollführer beurkundet (§ 31) hat, (b) Richter und Protokollführer die Niederschrift nicht unterzeichnet (§ 168a IV, § 271 I) haben75, es sei denn, ein Mitglied des erkennenden Gerichts hat als beauftragter Richter (§ 223 I) die Vernehmung geführt und gegen die sachliche Richtigkeit des Protokolls werden keine Einwendungen erhoben76, (c) eine als Protokollführer zugezogene Person entgegen § 168 S. 3 nicht vereidigt worden ist77 oder nicht mit Aufgaben eines Urkundsbeamten der Geschäftsstelle (§ 153 V GVG) betraut war78, (d) der Dolmetscher entgegen § 189 GVG unvereidigt geblieben ist79, 72 BGHSt 2, 99 (106) (zu § 252); 21, 218; Peters, JR 1977, 476; Fezer, JuS 1977, 383 f. Dies und der Umstand, daß Angaben des Angeklagten i. S. des § 254 prinzipiell bedeutsamer sind als Zeugenaussagen i.S. des § 253, erklären auch, warum nach § 253 alle, gem. § 254 II aber nur richterliche Vernehmungsprotokolle zu Vorhaltezwecken urkundenbeweisförmig verlesbar sind: Dem Gesichtspunkt der Prozeßökonomie trägt die StPO in § 254 II nur insoweit Rechnung, als sie die Ersetzung (§ 250 S. 2) der Vernehmung lediglich richterlicher Verhörspersonen zuläßt. 73 BGHSt 10, 186 (191 f.); BGH, NJW 1952, 1305. 74 RGSt 30, 72. 75 RGSt 41, 216; 53, 107; OLG Hamm, JMB1NRW 1983, 51. 76 BGHSt 9, 297 (301); OLG Düsseldorf, Strafverteidiger 1984, 107. 77 BGHSt 22, 118 (120); 27, 339 = JR 1978, 525 m. Anm. Meyer-Goßner. 78 BGH, NStZ 1984, 564. 79 BGHSt 22, 118, 120; BGH, Strafverteidiger 1985, 314.

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oder die (tatsächlich oder möglicherweise) inhaltliche, die Zuverlässigkeit der Wahrheitserforschung beeinträchtigende Mängel aufweisen insofern, als z. B. (a) § 68 S. 1 zuwider die Identität des Zeugen, namentlich eines vernommenen V-Mannes, nicht festgestellt worden ist80, wodurch eine sachaufklärungsfördernde Glaubwürdigkeitsbeurteilung erschwert und die Verteidigung beeinträchtigt sein kann81, (b) entgegen § 69 I 1 dem Zeugen kein „Sachbericht“ abverlangt, sondern von ihm nur die Richtigkeit früherer Angaben pauschal bestätigt worden ist82, (c) Anwesenheitsrechte und Benachrichtigungspflichten nach § 168c II, V 2, § 22483 und damit Verteidigungsrechte verletzt worden sind, weil der Beschuldigte oder/ und sein Verteidiger nicht Gelegenheit hatten, auf die Qualität dieses Beweismittelergebnisses Einfluß zu nehmen84, (d) Fragerechte Prozeßbeteiligter nach § 240 unzulässig beschnitten worden sind. (2) Ungeachtet zu (1) angeführter „beweisinterner“ Mängel (außerhalb echter Beweisverbote) bleiben richterliche Vernehmungsniederschriften gleichwohl urkundenbeweisförmlich verlesbar (a) nach § 249, sofern Beweisthema nicht die Wahrnehmung des früher Vernommenen ist, sondern Existenz und tatsächlicher Inhalt (nicht dessen Richtigkeit) des Protokollierten [oben I. 2. b) bb) (1)], und (b) nach § 251 II, im Fall des § 251 II 2 unter dessen strengeren Voraussetzungen (gegenüber § 251 I), als nichtrichterliches Protokoll, gleichgültig, ob ein essentieller Formfehler [oben (1)] begangen85 oder speziell gegen §§ 168c, 224 verstoßen worden ist86, da bei Protokollierung nichtrichterlicher Vernehmungen87 die für richterliche Anhörungen geltenden Vorschriften88, wie auch §§ 168c II, V 2, 224, nicht beachtet zu sein brauchen. Weil diese Verlesung aber prozessual nicht die – u. U. für Vollbeweis ausreichende – Funktion des Urkundenbeweises gem. § 251 I [oben II. 2. b) aa)], sondern – gesetzlich vermutet, häufig auch tatsächlich – geringeren Beweiswert hat, kann eine rechtsrichtige Überzeugung (§ 261) die gem. §§ 168c, 223, 224 fehlerhaft gewonnene Aussage nie bereits für sich allein, sondern nur zusammen mit weiteren sie bestätigenden Beweisergebnissen begrün-

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BGHSt 32, 115; BGH, NStZ 1984, 178. BGHSt 23, 245; 33, 83 (87) = JZ 1985, 494 m. Anm. Fezer. 82 RGSt 37, 330; 74, 35; BGH, NJW 1953, 35; vgl. auch BGH, NStZ 1987, 85. 83 BGHSt 29, 1 (3); 31, 140 (143); BGH b. Pfeiffer-Miebach, NStZ 1985, 15. – Art. 103 I GG ist insoweit nicht berührt (BVerfG, NJW 1981, 1721 f.; BayObLG, NJW 1977, 2037). 84 BGHSt 26, 332 (335); Fezer, Strafverteidiger 1986, 373. 85 BGHSt 22, 118 (120) zu § 189 GVG; BGH, NStZ 1984, 564 zu § 168 S. 3. 86 BGHSt 34, 231 (234 f.) = Strafverteidiger 1987, 233 m.abl. Anm. Fezer = JR 1988, 80 m. abl. Anm. Hanack. 87 Mangels einer solchen „Vernehmung“ auch nach § 251 II unverlesbar ist die Niederschrift (BGH, Strafverteidiger 1981, 269), wenn unter Mißachtung des § 69 I 1 der Vernehmende den Vernommenen lediglich die Richtigkeit früherer Angaben hatte bestätigen lassen. 88 BGHSt 22, 118 (120). 81

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Methodik der Fallbearbeitung den89 ; oft wird kraft Aufklärungspflicht (§ 244 II) zusätzlich die damalige Verhörsperson zu vernehmen sein90. Unter diesen Voraussetzungen wird § 251 I durch Verwertung nach § 251 II nicht unzulässig umgangen91, sondern die Niederschrift in ihrer gegenüber prozeßordnungsgemäßen richterlichen Vernehmungsprotokollen geminderten Beweisqualität gewürdigt92. (3) Entgegen echten Beweisverboten [oben II. l. b) bb)] begründen Mängel sonstiger Art [oben (1)] im Zustandekommen oder Inhalt richterlicher Vernehmungsprotokolle keine beweisthematische Fernwirkung, sondern, weil die Ausnahmevorschrift des § 251 I nicht eingreift, nur ein Ersetzungsverbot nach § 250 S. 2. (a) Die allgemeine Ansicht, die Unverlesbarkeit nach § 251 I hindere auch in diesen Fällen stets die Vernehmung der damaligen richterlichen Verhörsperson in der Hauptverhandlung, da andernfalls das Ersetzungsverbot des § 250 S. 2 sinnund zweckwidrig umgangen würde93, beruht auf einem unzulässigen, weil von qualitativ unterschiedlichen Voraussetzungen ausgehenden Analogieschluß: Es wird verkannt, daß erstens hier Beweisthema nur die Wahrnehmung jenes Richters, nicht die des von ihm seinerzeit Vernommenen (nur ihn betrifft § 250 S. 2!) ist, [I. 2. b) bb (2)], daß zweitens diesem (i. d. R. unzuverlässigeren) Hörensagen-Beweis nicht die Ersetzungsfunktion des § 251 I zukommt und ihm auch vom Gericht nicht gegeben werden darf, und daß drittens die Vernehmung dieses Richters die Wahrheitsfindung sogar fördern kann insofern, als durch Vorhalte, Fragen und Erklärungen Prozeßbeteiligter (etwaige) zuverlässigkeitsmindernde Mängel der früheren Vernehmung aufgedeckt und sachrichtige Beurteilungen (§ 261) des vom damals vernehmenden Richter Gehörten und Protokollierten ermöglicht werden können. (b) Ebenso bleiben Vorhalte aus derartigen nach § 251 I unverlesbaren richterlichen Niederschriften zulässig94. Sie sind keine Surrogate nach § 251 I verbotener Protokollverlesungen, § 251 I wird auch hier nicht sinn- und zweckwidrig umgangen. Denn Thema „freier“ Vorhalte sind nur Existenz und Inhalt des – insoweit sogar gem. § 249 verlesbaren [oben I. 2. b) bb) (1)] – Protokollierten, und Beweisthema urkundenbeweislicher Verlesung nach § 253 ist lediglich die Wahrnehmung der damaligen richterlichen Verhörsperson [oben I. 2. b) bb) (2)] als eines – auch in der Hauptverhandlung vernehmbaren [oben (a)] – Zeugen vom Hörensagen: Beide Beweisthemen sind qualitativ divers von dem des § 251 I [oben II. 2. b) aa)]. Unstatthaft ist daher nicht ein – beweisthematisch ordnungsgemäß formulierter – Vorhalt aus einer wegen Verstoßes gegen §§ 168c V 2, 224 nach § 251 I unverlesbaren Niederschrift95, sondern nur die Verwertung ihres Inhalts als Wahrneh-

89 Vgl. zu Niederschriften nichtrichterlicher Vernehmungen behördlich (im übrigen) geheimgehaltener V-Leute BVerfG, NJW 1981, 12723; BGHSt 33, 83 u. 181. 90 Hanack, JR 1988, 82. 91 A. M. Hanack, JR 1988, 82. 92 Krit. und im Ergebnis abl. Fezer, JZ 1985, 497 f. 93 BGHSt 26, 335 = JR 1980, 252 m. Anm. Meyer-Goßner; BGH, NStZ 1987, 133. 94 Vgl. zu § 168c V BGHSt 34, 231 = Strafverteidiger 1987, 233 m. abl. Anm. Fezer = JR 1988, 80 m. abl. Anm. Hanack; – a. M. Kleinknecht-Meyer, § 168c Rdnr. 6. 95 A. M.: BGHSt 31, 140 (144) = JZ 1983, 354 m. Anm. Fezer.

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mungsaussage des früher Vernommenen, wenn etwa dieser in der Hauptverhandlung auf jenen Vorhalt hin bestätigt, damals so, wie protokolliert, ausgesagt zu haben; denn nicht sinn- und zweckwidrig § 251 I, sondern § 261 ist verletzt, falls jene vorgehaltene Aussage bei formfreiem Vorhalt (kein Beweismittel!) überhaupt nicht96 oder – bei zusätzlich beweisförmiger Verlesung nach § 249 oder § 253 wegen dann abweichenden Beweisthemas [oben I. 2. b) bb) (1) und (2)] – nicht unmittelbar als solche beweisförmig in der Hauptverhandlung festgestellt worden ist.

cc) Das Ersetzungsverbot des § 250 S. 2 durch Verlesung fehlerhafter richterlicher Vernehmungsniederschriften nach § 251 I wirkt verfahrensübergreifend97, weil Beweisverbots- wie auch Formnichtigkeits- und Zuverlässigkeitsminderungsgründe prinzipiell in einem anderen Strafverfahren (gegen denselben oder einen anderen Angeklagten) als dem, in dem die richterliche Vernehmung erfolgte, auch dann zum Tragen kommen98, wenn in der Hauptverhandlung des früheren Verfahrens die Verletzung etwa der §§ 168c V, 224 nicht beanstandet worden war. Denn ein solcher Rügeverzicht ist stets konkret-verfahrens- und beweislagenbezogen und widerlegt nicht ohne weiteres auch für ein anderes Verfahren die Vermutung, daß der Protokollinhalt – angesichts damals möglicherweise unzureichender Beweismittelausschöpfung – die Wahrheitsfindung beeinträchtigte.

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Pauschale Richtigkeitsbestätigung genügt nicht (o. Fußn. 87). Roxin (o. Fußn. 5), § 44 B I 2a; – a. M. BGH, NJW 1986, 1999 f. m. abl. Anm. Fezer, Strafverteidiger 1986, 372 f. 98 Zutr. Fezer gegen BGH, je o. Fußn. 97. 97

Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung* I. Funktionalität juristischer Begriffsbildung 1. Ziel jeder Wissenschaft ist Erkenntnis, als Denkinhalte objektiviert in Aussagen (Sätzen, Definitionen, Urteilen), gemeinhin versehen mit den Attributen „wahr“ oder „richtig“.1 Sind Erkenntnisgegenstand z. B. „Beweisverbote“ (= ein System normativer, von der Rechtsordnung der Aufklärungspflicht gem. § 244 II StPO gegenüber höher gewerteter Sachverhalte) und ist Erkenntnisziel das Verstehen, Begreifen ihres Sinnes oder Wesens, ihrer Bedeutung oder Funktion, ist ein Zweifaches zu tun: eben jene rechtliche Sinndeutung strukturell zu analysieren und (rechts-)erkenntnismethodisch zu legitimieren (implizit damit die Grenzen syntaktisch und semantisch möglicher Begriffsbestimmtheit abzustecken), zuvor aber das wissenschafts-pragmatisch überhaupt notwendige Maß von Satzexaktheit (i.S. von Begründungsvollständigkeit) zu markieren.2 Denn das stets gebotene Streben nach einem möglichst einfachen und fruchtbaren, widerspruchsfreien und gegenüber dem Definiens präziseren Explikat3 darf ohne überflüssige Vorabbemühungen um einen meta-theoretischen Begriff des „Begriffs“ enden4, sobald sein rechtlich vorgegebener, außerbegrifflicher Erkenntniszweck erreicht ist.5 *

Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Ellen Schlüchter/Klaus Laubenthal (Hrsg.), Recht und Kriminalität, Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause. Carl Heymanns Verlag, Köln/Berlin/Bonn/München 1990. S. 53 – 76. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 Engisch, Formale Logik, Begriff und Konstruktion in ihrer Bedeutung und Tragweite für die Rechtswissenschaft, Klug-FS I, 1983, S. 33, 50; Klug, Jur. Logik, 4. A., 1982, S. 22 f. 2 Deshalb ist hier weder ein von seinem Verifikationskriterium der Nützlichkeit und Effizienz in der langfristigen Praxis (vgl. insbes. James, Pragmatism, 1907; ders., The Meaning of Truth, 1909; Dewey, Essays in Experimental Logic, 1916; ders., The Theory of Inquiry, 1938; ähnl. Ansätze im Marxismus-Leninismus, vgl. Wagner/Terton/Schwabe, Zur marxistisch-leninistischen Wahrheitstheorie, 1974, S. 35 u. pass.) zu definierender pragmatischer, vom jeweiligen Erkenntnisobjekt grundsätzlich unabhängiger Wahrheits-Begriff zugrunde gelegt, noch steht lediglich eine Wahrscheinlichkeits-Aussage in Rede. Es geht allein um den Abbruch des Verifikationsverfahrens, sobald – aus weiteren Erwägungen heraus – die bisher angeführten Gründe dem verfolgten Erkenntniszweck genügen. 3 Essler, Wissenschaftstheorie I, 1970, S. 50; Stegmüller, Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie II, 1970, S. 26; Wank, Die juristische Begriffsbildung, 1985, S. 58 ff. 4 Zu einzelnen Begriffsauffassungen vgl. Herberger/Simon, Wissenschaftstheorie für Juristen, 1980, S. 244 – 248. – Außer Betracht bleiben darf insbesondere der das Verhältnis des Allgemeinen zum Einzelnen betreffende „Universalienstreit“ zwischen „Nominalisten“ (abstracta als post res nur Gedachtes und sprachlich Benanntes), „Realisten“ (universalia ante

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2. „Wahrheit“ als solche ist kein zu verwirklichender Wert.6 Es gibt kein Verstehen, Begreifen oder Wesen eines zu Erkennenden „an sich“, sondern nur Verstehen „auf etwas hin“, Begreifen „als etwas“, Wesentlichkeit „für etwas“. Sinn gibt den Erkenntnisakten erst diese Finalität als transzendentaler Zweck7 – am Beispiel der „Beweisverbote“: im praktischen Entscheidungszwang Sicherheit der Rechtsverwirklichung bei bestimmten Formen strafprozessualer Tatsachenfeststellung (§§ 244 II, III 1; 261 StPO), ihre Statthaftigkeit oder Unzulässigkeit, kurz: ihre (rechtsstaatliche) Justizförmigkeit im Einzelfall. Juristische Methodik dient normgebundener Rechtsfindung am – realen oder gedachten – „Fall“8; nur an „Sachverhalten“ wird Recht „wirklich“, „gelten“ Werte, vermag Jurisprudenz zu begründen, was res) und „gemäßigten Realisten“ (das Generelle habe Sein in rebus als deren „Wesen“). Da diese an die copula „ist“ in einer Definition anknüpfende ontologische Fragestellung nach der Seinsweise des Allgemein-Begrifflichen nicht wissenschaftslogisch, sondern -philosophisch (metaphysisch) angelegt ist, sprengt sie den Rahmen der hier zu leistenden erkenntnistheoretischen Aufgabe, „als was“ wir den Begriffsgegenstand (z. B. „Beweisverbot“) zu erkennen haben. Sie tangiert unser Anliegen ebensowenig wie die auf sie zurückgehende Kontroverse (Nachw. bei Engisch, Log. Überlegungen zur Verbrechensdefinition, Welzel-FS 1974, S. 343, 345 ff.; dazu ferner Sigwart, Logik I, 5. A., 1924, S. 379; v. Freitag-Löringhoff, Logik, 2. A., 1957, S. 47 f.; Kamlah/Lorenzen, Log. Propädeutik oder Vorschule des vernünftigen Redens, 1967, S. 89 f.; Essler [Fn. 3], S. 39 ff.; Bochenski, Die zeitgenössischen Denkmethoden, 5. A., 1971, S. 90 f.) darüber, ob jede Definition notwendig eine nur auf Wort(Zeichen-)erklärung gerichtete, auf Konvention beruhende, feststellende oder festsetzende (oder auch nur wortaustauschende), längere Ausdrücke lediglich abkürzende und ihnen synonyme Aussage, kurzum Nominaldefinition sei, oder vielmehr Realdefinition deshalb, weil sie durch z. B. „Wesens-“, „Bedeutungs-“, „Inhalts-“ und „Umfangsbestimmung“ die Dinge selbst explizieren müsse, um als „Definition“ gelten zu dürfen. Denn erstens muß uns die Realdefinition nicht sagen, was ein Ding „ist“, sondern wie wir es uns (begrifflich) denken (vgl. auch Rickert, Die Lehre von der Definition, 2. A., 1915, S. 85: „Definiert wird nicht der Name und nicht die Sache, sondern allein der Begriff“). Zweitens hat die Nominaldefinition außerhalb der logisch-mathematischen und sprachlich-syntaktischen Bereiche, sobald sie – z.B. bei veränderter Wortwahl, aber demselben Gemeinten (Kamlah/Lorenzen, a.a.O. S. 85 f.) – „Inhaltslogik“ wird (wie für Rechtsinhaltsbegriffe notwendig), einen semantischen Bezug zum Sachverhalt, d. h. eine (analytisch oder synthetisch) feststellbare „Bedeutung“, einen an den Kriterien der Wahrheit bzw. Richtigkeit orientierbaren „Sinn“, der auch bei festsetzenden Nominaldefinitionen Maßstab zumindest seiner Zweckmäßigkeit ist. Nominal- und Realdefinitionen unterscheiden sich also nicht wesens-, sondern nur aspektmäßig, die Grenzen können fließend sein, Übergänge von der einen zur anderen sind möglich (Engisch, a.a.O. S. 346; Essler [Fn. 3], S. 44 f.). 5 Vgl. auch Rickert, Die Grenzen der naturwiss. Begriffsbildung, 2. A., 1913, S. 43, 44 ff., 48 f.): solange die Bestimmtheit eines Begriffs die Sicherheit seiner Anwendung garantiert, sei völlige Bestimmtheit des Begriffsinhalts nicht stets unerläßlich. Ähnl. Schlick, Allg. Erkenntnislehre, 2. A., 1925, S. 43; Popper, Obj. Erkenntnis, 1973, S. 68, 72, 92. 6 Scheler, Der Formalismus in der Ethik und die materiale Wertethik, 5. A., 1966, S. 197, 198. 7 Ähnl. Jacoby, Allg. Ontologie der Wirklichkeit I, 1925, S. 2, 555; Hartmann, Grundzüge einer Metaphysik der Erkenntnis, 4. A., 1949, S. 432; Bollnow, Philosophie der Erkenntnis, 1970, S. 124. Allg. zur „Relativität“ der Begriffsbildung vgl. Wank [Fn. 3], S. 110 ff., 151 f. 8 F. Müller, Jur. Methodik, 3. A., 1989, S. 157 ff., 163, 168; Arthur Kaufmann, Über das Problem der rechtswiss. Erkenntnis, Armin Kaufmann-GedS 1989, S. 1, 4.

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rechtens „ist“.9 Folglich kann den zu fordernden Grad der Definitionsexaktheit weder eine das Aussagenergebnis betreffende „Wahrheit“ festlegen noch eine rein methodengerechte „Richtigkeit“ des Denk- bzw. Verstehensvorgangs, sondern allein jene spezifische, vom (begriffsinhaltsbestimmenden) Sinn und Zweck (etwa § 52 StPO: Schutz bestimmter Angehörigenverhältnisse gegen Eingriffe zwecks prozessualer Tatsachenfeststellung) des Gegenstandes (im Beispiel: Zeugnisverweigerungsrecht) eines Begriffs (hier: „Beweisverbot“ als ratio essendi) zu unterscheidende Funktion dieses Begriffs (ratio cognoscendi)10: die eines Mittels, einer Methode, determiniert von einem „Erkenntnisinteresse“11 i.S. eines „Entscheidungsinteresses“12 des Rechtsanwenders als Erkenntnissubjekt der Rechtsverwirklichung. 3. Begriffsinhalte und -zwecke, damit Definitionen, sind zwangsläufig unfertig, wandelbar.13 Begriffe haben keine starre Intension, ja sie können in ihr Gegenteil um9 Arthur Kaufmann, Über die Wissenschaftlichkeit der Rechtswissenschaft, ARSP 72 (1986), S. 425, 432. 10 Engisch (Fn. 1), S. 39 f. – Zu dieser Relativität der Begriffsklarheit auch Bierling, Jur. Prinzipienlehre IV, 1917 (Neudruck 1961), S. 34 f.; Engisch, Begriffsbildung und Klassifikation in der Jurisprudenz, Larenz-FS 1973, S. 126; Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, 1910, S. 367 („Jede Teilerfahrung wird danach befragt, was sie für das Gesamtsystem bedeutet: und diese Bedeutung ist es, die ihr das Maß der Objektivität bestimmt. So handelt es sich im letzten Grunde nicht darum, was eine bestimmte Erfahrung ,istÐ, sondern um das, was sie ,wert ist‘, d. h. welche Leistung ihr, als besonderem Baustein, im Aufbau des Ganzen zukommt.“); Essler, Analyt. Philosphie I, 1972, S. 300 (wichtigstes Kriterium für die Wahl eines Begriffssystems sei seine Brauchbarkeit für die Erkenntnis der Zusammenhänge zwischen den Gegenständen des Bereichs); Frege, Begriffsschrift, 1879, Vorwort S. XI (wie Kalkül und Mikroskop für Spezialaufgaben unentbehrlich seien, so könnten gerade wegen ihrer logischen bzw. optischen Unvollkommenheiten die „Sprache des Lebens“ und das Auge eine fast unbegrenzte Aufgabenfülle mit praktisch hinreichendem Wirkungsgrad erledigen); Wittgenstein, Philosoph. Untersuchungen, Suhrkamp TB 14, 1971, § 88 („… das Unexakte erreicht sein Ziel nicht so vollkommen wie das Exaktere. Da kommt es also auf das an, was wir ,das Ziel‘ nennen. Ist es unexakt, wenn ich den Abstand der Sonne von uns nicht auf 1 m genau angebe; und dem Tischler die Breite des Tisches nicht auf 0,001 mm?“). Dazu auch Poppers (Fn. 5, S. 69) Beispiel zu seinem Begriff der „Wahrheitsähnlichkeit“: ist es in Wirklichkeit 9.48 Uhr, so sind die Aussagen „es ist 9.40 Uhr“ und „es ist 9.50 Uhr“ falsch, wahr dagegen ist der Satz „es ist zwischen 9.40 Uhr und 9.50 Uhr“. – Entgegen Popper handelt es sich aber, da eine Aussage nur entweder wahr oder unwahr sein kann, um eine Frage nicht etwa abgestufter „Wahrheitsähnlichkeit“, sondern für vorgegebene Zwecke erforderlicher Erkenntnisexaktheit. Gleiches ist einzuwenden gegen den Vorschlag (Puppe, Vom Umgang mit Definitionen in der Jurisprudenz, Armin Kaufmann-GedS 1989, S. 15, 18 ff., 22 ff.), klassifikatorisch-qualitative Begriffe in der Jurisprudenz notfalls zu ersetzen durch disjunktive und partielle Definitionen. 11 Habermas, Erkenntnis und Interesse, 1968, S. 234, 242 u. passim. In gleichem Sinn bereits M. Weber, Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis, in: Max Weber, Gesammelte Aufsätze zur Wissenschaftslehre, 3. A., 1968, S. 146 ff., 176 f.; Rickert, Der Gegenstand der Erkenntnis, 6. A., 1928, S. 136; Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1968, S. 5, 14. 12 Müller (Fn. 8), S. 21, 162 f. Vgl. auch Engisch (Fn. 10), S. 42. 13 Hartmann, Der Aufbau der realen Welt, 1940, S. 601 ff., 604; Rickert (Fn. 5), S. 19; Wundt, Allg. Logik und Erkenntnistheorie, 5. A., 1924, S. 91; Geiger, Idee und Wahrheit,

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schlagen.14 Diesem Prozeß sind auch zunächst rein wissenschaftlich-nominale Begriffsfestsetzungen – z.B. der Terminus „Beweisverbote“15 – unterworfen zufolge fortgesetzter Aufnahme neuer Merkmale, aber „gemäß … der Idee eines offenen und immerfort zu berichtigenden Begriffs, … über den … hinausgehend eine präsumtive Idee, die Idee eines Allgemeinen“ erwächst.16

II. Struktur der Rechtsverwirklichung 1. Logische Struktur rechtlicher Aussagen Die staatliche Gemeinschaft, i. d. R. die Legislative, setzt nicht Recht, sondern Normen; diese begründen nur hypothetisches, kein kategorisches Sollen. „Recht“ ist kein dem Handeln „rechtsprechender“ Subjekte vorgegebener Gegenstand bzw. Maßstab, sondern Aussagenprädikat17: „Es ist rechtens (d. h. ,richtiges‘ Recht bzw. rechtlich ,richtig‘), daß B (= bestimmte Sollensaussage, z. B. Verbot der Heranziehung eines Zeugen als Beweismittel), weil A (= bestimmte Seinsaussage, z. B. Zeugnisverweigerung durch einen Angehörigen des Beschuldigten)“, oder, metasprachlich: „Die Aussage: ,Es ist rechtens, daß B (sein soll), weil A (ist)‘, ist wahr“. Muß also der Maßstab für die „Wahrheit“ des Recht sprechenden Urteils notwendig rechtsinhaltlicher Art sein, gilt Gleiches für das diesem Ziel dienende Mittel der Bildung rechtswissenschaftlicher Begriffe: sie sind als hinreichend bestimmt brauchbar erst dann, wenn sie nach Inhalt und Umfang den „Sachverhalt“ derart abdecken, daß sie, wie ein passender Schlüssel den Schloßmechanismus betätigend, den Anforderungen18 der copula „ist“ in jenem justiziellen Urteil genügen.

2. A., 1968, S. 125 („Die unendliche Revision des Begriffssystems ist ein Aspekt des Erkenntnisfortschrittes“); Klug (Fn. 1), S. 98 f.; Wank (Fn. 3), S. 49 f. – Begriffsoffenheit ist der analytisch-positivistischen Gegenposition fremd (vgl. z. B. Schlick [Fn. 5], S. 5). 14 Das gilt nicht nur für die „dialektische“ Logik Hegels (dazu Essler [Fn. 10], S. 84 ff., 86 f.), sondern für jede „Inhaltslogik“, und unabhängig von einem hegelianischen oder neukantianischen Ansatz (wonach die Begriffe – genauer: das Bewußtsein von ihnen – das reale Sein gestaltend erzeugen und die Urteile bestimmen) und von der marxistischen oder phänomenologischen Antithese, das eine vorgegebene Struktur aufweisende Sein bestimme die Begriffe, der Stoff die Methode. 15 Vgl. Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, 1903, S. 3: „Ich nenne sie Beweisverbote und verstehe darunter …“. 16 Husserl, Erfahrung und Urteil, 1948, S. 401. 17 Vgl. ergänzend u. zu II. 3. b) aa) sowie Verf., in: KMR, StPO, 8. A., 1990, Rnr. 4 vor § 33 u. § 244 Rnrn. 4 – 5. – Im Grunde nur dies erklärt auch den Befund, daß die „neueren rechtsphilosophischen Darstellungen … durchweg darauf (verzichten), sich auf eine genaue Definition des Rechts festzulegen“ (Pawlowski, Einf. in die Jur. Methodenlehre, 1986, Rz. 277). 18 Dazu unten II. 3. b) aa) und III. 1. a).

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2. Bestimmung des „relevanten Sachverhalts“ und der „einschlägigen Rechtsnorm“ a) Struktur des Vorgangs der Rechtskonkretisierung: Vorbedingung ist Klarheit, welches Schloß überhaupt zu öffnen, welcher Schlüssel folglich zu verwenden sei. Weil aber allein Form, nicht Inhalt rechtlichen Erkennens, ist jene Gleichheitsfrage nicht beantwortbar aus dem vielfach analysierten19, als „ständige Wechselwirkung, ein Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“20 umschriebenen Vorgang suchender Auswahl rechtsrelevanter Tatsachen und auf den so geformten „Sachverhalt“ hin auszulegender Normen, der Erfassung des Gesetzessinnes vom Fall her und um dieses Falles willen.21 Auf Grund eines – rechtlichen – „Vorverständnisses“ als Bedingung für die Möglichkeit von Verstehen überhaupt22 bildet der Urteiler zunächst stets eine Hypothese, welcher Ausschnitt aus dem historisch-faktischen Geschehen als rechtlich lösungsbedürftiger „Sachverhalt“ („Tatbestand“) in den „Lichtkegel der Relevanz“23 tritt und damit rechtlich verstehbar wird.24

19 Vgl. nur Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft, 1953, S. 85 ff.; Scheuerle, Rechtsanwendung, 1952; Hruschka, Die Konstitution des Rechtsfalles, 1965; Hassemer, Tatbestand und Typus, 1967; Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 1967; Weimar, Psycholog. Strukturen richterlicher Entscheidung, 1969; Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970; Leenen, Typus und Rechtsfindung, 1971; Arthur Kaufmann, Über den Zirkelschluß in der Rechtsfindung, Gallas-FS 1973, S. 7 ff. 20 Engisch, Log. Studien zur Gesetzesanwendung, 3. A., 1963, S. 13 ff., 15. 21 Gadamer, Wahrheit und Methode, 5. A., 1986, S. 331; Kaufmann (Fn. 8), S. 4 f. 22 Grundlegend Heidegger, Sein und Zeit, 1927 (11. A., 1967), §§ 32, 33. Vgl. auch Gadamer (Fn. 21), S. 270 ff., 281 ff. („Vorurteile“), 334 f.; Husserl (Fn. 16), S. 23 („vorprädikative Erfahrung“), S. 27 („Erfahrungshorizont“), S. 34 („Unbekanntheit“ als „Modus der Bekanntheit“); Hartmann, Möglichkeit und Wirklichkeit, 2. A., 1949, S. 363 f. („Begreifen“ heiße „eines ,auf Grund‘ eines anderen oder aus anderen heraus so zur Einsicht bringen, wie es abgelöst in der bloß anschaulichen Gegebenheit nicht eingesehen werden kann“). 23 Rothacker, Die dogmatische Denkform in den Geisteswissenschaften und das Problem des Historismus, 1954, S. 41. 24 Dieser nur scheinbar logisch und methodisch denkfehlerhafte hermeneutische Zirkel, der in Wahrheit ontologisch (nicht nur psychologisch) zur Natur des Denkens (Verstehens) gehört (Heidegger [Fn. 22], S. 148 ff., 153, 312 ff.; Gadamer [Fn. 21], S. 270 ff. – 296 ff.; Habermas [Fn. 11], S. 204 ff., 217, 239; Esser [Fn. 19], S. 137 f.; Hruschka [Fn. 19], S. 10 ff.; Hassemer [Fn. 19], S. 101, 104 ff.; ders., Jur. Hermeneutik, ARSP 72 (1986), S. 195, 201 f., 206 ff.; Kaufmann [Fn. 9], S. 427 u. [Fn. 19], S. 7 ff., 18 f.; krit. Stegmüller, Der sog. Zirkel des Verstehens, 1974), ist unvermeidlich, weil es nicht Verstehen schlechthin, sondern nur Verstehen (eines Teiles) auf etwas (ein Ganzes) hin (Gadamer [Fn. 21], S. 296) gibt: der zu beurteilende Sachverhalt ist in seiner Rechtserheblichkeit verstehbar eben nur mit Blick auf Rechtsnormen; die in Betracht kommenden Rechtsnormen wiederum und ihr Sinn erschließen sich nur über das Verständnis jener Sachverhalte.

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Diese allgemein-geisteswissenschaftliche Denkweise zeichnet indessen nichts spezifisch Juristisches aus.25 Der Prozeß der Zubereitung von Ober- und Untersatz, d. h. deren „Konkretisierung“ als Voraussetzung ihrer „Ist-gleich“-Setzung, liefert dafür nicht selbst die Kriterien; er konstituiert als „relevanten“ Sachverhalt in Begriffs- bzw. Aussageform erst das Objekt rechtlicher Bewertung und umreißt die „einschlägigen“ rechtlichen Beurteilungsmaßstäbe, ohne selbst schon gleichsetzender Wertungsvollzug zu sein. Zur Feststellung als Ziel der selektiven Vorarbeit, ob A der relevante Sachverhalt und B die einschlägige Norm sei, führt der Weg über eine zunächst nur hypothetische26 Setzung jener Prämissen (mit anschließender Bestätigung oder Verwerfung) und Annahme ihrer „Gleichheit“.27 Er endet, sobald28 die Gleichheitsfrage als quaestio ipso iuris aus dem zu beurteilenden gesamten Wirklichkeitsausschnitt heraus kategorisch bejahend oder verneinend beantwortbar ist.29 b) Funktion typologischen Denkens im Rechtsfindungsprozeß: Ebenfalls keine Verifikationsmethode für Sein-Sollens-Gleichsetzung (und daher auch kein zureichendes Mittel rechtlicher Begriffsbildung), sondern eine nur rechtliches „Vorverständnis“ begründende Selektionsmethode ist das – wiederum nicht spezifisch rechtliche – Instrument des Typenvergleichs.30 Typenbildung ist Ergebnis von Erfahrung31, induktiv erschlossen aus der Menge beobachteter Gegenstände, die ein gemeinsames Allgemeines (ihr „Wesen“, ihre „Natur“ oder „Sachlogik“) aufweisen.32 Rechtliche Typenfeststellung jedoch ist nicht Ziel, sondern nur Mittel der Rechtserkenntnis. Sie trägt einen nur (rechtliche) Wahrscheinlichkeit begründenden Analogieschluß, daß 25 Ebensowenig wie die Topik (grundlegend Vieweg, Topik und Jurisprudenz, 5. A., 1974) als nur empirisch-deskriptive Darstellung des Aufsuchens wissenschaftlicher Argumente ungeachtet ihrer Richtigkeit. 26 Popper (Fn. 5), S. 371; Essler (Fn. 10), S. 83; Engisch (Fn. 20), S. 85; Esser (Fn. 19), S. 28. 27 Nicht i.S. von Ähnlichkeit als partielle Gleichheit (unter bestimmten rechtl. Gesichtspunkten); denn eine Aussage darüber wäre nicht mehr ein hypothetisch-problematisches, sondern bereits ein kategorisch-assertorisches Urteil. 28 Dazu unten zu III. 1. a). 29 Im Ergebnis ebenso Engisch, Einf. in das jur. Denken, 8. A., 1983, S. 216 Anm. 54. Vgl. auch Kaufmann (Fn. 8), S. 5: „Subsumieren kann man nur ,Sachverhalte‘ unter ,Tatbestände‘, nicht aber Fälle unter Normen“. 30 Engisch (Fn. 19), S. 237 ff. (wesentlich aufbauend – S. 243 ff. – auf Hempel/Oppenheim, Der Typusbegriff im Lichte der neuen Logik, 1936). Dazu allg. Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 5. A., 1983, S. 207 ff., 211 ff., 443 ff.; Gerken, Der Typusbegriff in seiner deskriptiven Verwendung, ARSP 50 (1964), S. 367 ff.; Strache, Das Denken in Standards, 1968; Leenen (Fn. 19), S. 177 ff.; Hassemer (Fn. 19), S. 109 ff.; Kuhlen, Typuskonzeptionen in der Rechtstheorie, 1977; Peschka, Typus und Analogie im Recht, ARSP 66 (1980), S. 85 ff. 31 Husserl (Fn. 16), S. 398 („Die faktische Welt der Erfahrung ist typisiert erfahren“). 32 Hierbei sind nicht (empirisch-statistische) Real(Normal-, Häufigkeits-, Durchschnitts-) typen (i.S. von Gleichförmiges, Gesetzmäßiges, Übliches), sondern (empirisch-hermeneutische) Ideal(Ganzheits-, Gestalt-)typen (i.S. von Allgemeines, Merkmalsgesamt charakteristischer Züge) gemeint (zur Unterscheidung auch Engisch [Fn. 19], S. 239 ff.; Larenz [Fn. 30], S. 444 ff.).

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ein weiterer jenes Allgemeine aufweisender Gegenstand33 ebenfalls der betr. Menge (Gattung) angehören kann; (rechtliche) Gleichheit vermag diese – auch logisch nicht zwingende – conclusio nicht zureichend zu verifizieren.34 Deshalb nur heuristisch ergiebig sind Aussagen, der Typus halte eine „Mittelstellung … zwischen abstrakter Allgemeinheit und eigentlicher Individualität“35, ihm sei nicht begriffliche Geschlossenheit, sondern „Offenheit“ seines Gegenstandsbereichs eigen36, er sei nicht definierbar, sondern nur explizierbar37, Individuelles könne ihm daher nicht klassifikatorisch „subsumiert“, sondern nur quantitativ-komparativ (damit allerdings ein System abgestufter Ordnungsgesichtspunkte ermöglichend38) „zugeordnet“ werden.39 Überdies methodisch und inhaltlich angreifbar ist die rechtsontologisch gegründete, repräsentativ von Arthur Kaufmann40 vertretene Auffassung, typologische Zuordnung erübrige subsumtive Gleichsetzung von Sachverhalt und Norm, weil „Recht“ die Entsprechung von Sein und Sollen41 und Rechtsfindung „ein In-die-Entsprechung-Bringen, eine Angleichung, eine Assimilation von Lebenssachverhalt und Norm“ sei42, für die als vorauszusetzendes tertium die „Natur der Sache“ (der „Sinn“) den „methodischen Ort der Verbindung von Wirklichkeit und Wert“ bilde43 und die ihrerseits auf den Typus verweise: „Das Denken aus der Natur der Sache (sei) typologisches Denken“.44 – Dem ist entgegenzuhalten: aa) Die Objektbereiche von Normzwecken und Normtypen sind inkongruent. Ein Gesetzestatbestand kann sowohl atypische Sachverhalte als „Recht“ umfassen als auch typische außer Betracht lassen und so in concreto, wenn das Regelmäßig-Wahrscheinliche nicht „Fall“-Wirklichkeit geworden ist, zur Ungleichbehandlung typolo-

33 Vgl. zu § 53 StPO (Schutz berufstypischer Vertrauensverhältnisse im Allgemeininteresse): Sozialarbeiter. 34 Vgl. im Beispielsfall zu Fn. 33; kein Zeugnisverweigerungsrecht von Sozialarbeitern „analog“ § 53 StPO (BVerfGE 33, 367, 376 ff.). 35 Engisch (Fn. 19), S. 251; Hassemer (Fn. 19), S. 113; Wank (Fn. 3), S. 128 ff. 36 Larenz (Fn. 30), S. 447, 451 ff.; Leenen (Fn. 19), S. 33, 34 ff., 53. 37 Strache (Fn. 30), S. 53; Larenz (Fn. 30), S. 440 f., 447; – a.M.: Herberger/Simon (Fn. 4), S. 337 f.; Koch/Rüssmann, Jur. Begründungslehre, 1982, S. 73 ff., 76 f., 209 f.; Puppe (Fn. 10), S. 25 ff. 38 Otte, Komparative Sätze im Recht, Jb.f. Rechtssoziologie und Rechtstheorie 2 (1972), S. 301, 313 f.; Wank (Fn. 3), S. 123 ff., 126 f.; Puppe (Fn. 10), S. 25 ff. 39 Hempel/Oppenheim (Fn. 30), S. 21 ff., 39 ff., 81; Engisch (Fn. 19), S. 242 u. (Fn. 10) S. 125 ff., 129; Larenz (Fn. 30), S. 211 f., 446 f. 40 Kaufmann, Analogie und „Natur der Sache“, 2. A., 1982. 41 A.a.O. (Fn. 40), S. 18 (vgl. auch Hassemer [Fn. 21], S. 206). 42 A.a.O. (Fn. 40), S. 38. 43 A.a.O. (Fn. 40), S. 44. 44 A.a.O. (Fn. 40), S. 47 (vgl. auch S. 75). Ebenso Larenz (Fn. 30), S. 454; Leenen (Fn. 19), S. 65 f.; Hassemer (Fn. 19), S. 113.

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gisch gleichliegender Sachverhalte führen.45 Derartige Verschiedenheit darf der Gesetzgeber in Kauf nehmen, wenn er mittels abstrakt-genereller Normierung „typische“ regelungsbedürftige Sachverhalte „nicht um jeden Preis und unter allen Umständen“ der gesetzlichen Rechtsfolge als „Recht“ zuführen, sondern dabei weiteren, ebenfalls legitimen Zwecken, die im Vorgang der Rechtsverwirklichung ebenfalls durch teleologische Auslegung zu ermittelnde Normziele darstellen, auf Grund einer „Sekundärwertung“46 Rechnung tragen will oder muß. Mithin sind in der „Sache“ vorgegebene seinsmäßige (reale oder ideale) Ordnungsstrukturen kein aktuelles Recht, sondern nur Grundlage verschiedenartig möglichen – nicht notwendigen – Rechts. bb) Da für das judikative Gleichheitsurteil formallogisch aus seinen Prämissen nicht mehr Gehalt ableitbar ist, als sie bereits enthalten, müßten in der „Natur der Sache“47 gegründete „sachlogische Strukturen“ von Seinssachverhalten inhaltliche Maßstäbe an die Hand geben, um die (deskriptive) Sachverhaltsaussage A in den Umfang einer (präskriptiven) Sollensnorm B einfügen zu können. Daran fehlt es: gleich „Kryptoargumenten“48 wie „vernünftig“, „sachgerecht“, „selbstevident“, „ersichtlich“ etc. sind die Topoi „Natur der Sache“, „Sachlogik“, „Standards“ u. a. nur Kürzel für das einem Erkenntnisobjekt „Wesentliche“, ohne das es nicht wäre, was es für ein Erkenntnissubjekt und sein „Erkenntnisinteresse“ ist. Auch eine solchermaßen als „Sachlogik“ begriffene juristische „Logik“49 oder „Methodik“50 kann, weil das Undefinierbare (nämlich der „Typus“, die „Natur der Sache“) nicht verifizierbare Voraussetzung, sondern Argumentationsergebnis ist, ebenfalls nur negative Richtigkeitskontrolle leisten am Maßstab einer evidenten „Sachwidrigkeit“ etwa im Sinn des Willkür- oder Übermaßverbots.

45 Beispiel: Schützt § 52 StPO besondere, Angehörigenverhältnisse typischerweise tragende persönliche Bande und daraus erwachsende Interessen des Zeugen, nicht zum Schaden eines Angehörigen aussagen zu müssen („Primärwertung“ des Gesetzgebers), ist die Anwendung des § 52 StPO gleichwohl „Recht“, wenn im Einzelfall solche Bindungen inhaltlich nicht (mehr) existieren („Sekundärwertung“ des Gesetzgebers: festzustellen, ob solche an sich zu erwartenden Bande in jedem Einzelfall einer Zeugnisverweigerung gem. § 52 StPO auch tatsächlich bestehen, wäre prozeßökonomisch undurchführbar, unverhältnismäßig). 46 Leenen (Fn. 19), S. 108 ff. 47 Aus der umfangreichen Literatur: Radbruch, Die Natur der Sache als jur. Denkform, Laun-FS 1948, S. 166 ff.; Stratenwerth, Das rechtstheoret. Problem der „Natur der Sache“, 1957; Maihofer, Die Natur der Sache, ARSP 44 (1958), S. 145 ff.; Ballweg, Zu einer Lehre von der Natur der Sache, 1960; Engisch, Zur „Natur der Sache“ im Strafrecht, Eb. Schmidt-FS 1961, S. 90 ff.; Kaufmann (Hrsg.), Die ontolog. Begründung des Rechts (Sammelband), 1965; Diesselhorst, Die Natur der Sache als außergesetzliche Rechtsquelle, 1968; Grimmer, Die Rechtsfigur einer „Normativität des Faktischen“, 1971; Sprenger, Naturrecht und Natur der Sache, 1976; Garrn, Die „Natur der Sache“ als Grundlage der jur. Argumentation, ARSP 68 (1982), S. 60 ff. 48 Scheuerle, Das Wesen des „Wesens“, AcP 163 (1964), S. 429, 430 f. 49 Esser (Fn. 19), S. 103, 105. 50 Müller (Fn. 8), S. 21 f., 102 f., 290.

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cc) Was dem Juristen „Natur der Sache“ ist, bestimmt das Recht. Rechtliche Regelungszwecke erweisen, ob und wie das Sein normativ zu bewerten ist. Nicht im Tatsächlichen, sondern im Begriff des Rechts ist angelegt, daß z. B. faktisch Unmögliches nicht gesollt oder zur (Rechts-)Zweckerreichung ungeeignete Mittel nicht erlaubt sein dürfen. Zu reden ist nicht von einer „normativen Kraft des Faktischen“, sondern von einer „faktischen Kraft des Normativen“, nicht von „sach“-, sondern von „rechts“-logischen Strukturen. Weder bestimmt – phänomenologisch – die Wirklichkeit die (Rechts-)Erkenntnis, noch konstituiert – neukantianisch – die Erkenntnis die Wirklichkeit. Vielmehr werden durch das Raster erkenntnisleitender Rechtsvorstellungen bestimmte Wirklichkeitsausschnitte bewertet als rechtsrelevant oder rechtsunerheblich. Juristisch interessierende „Natur der Sache“ ist nicht Axiom, sondern Ergebnis fallgebundener Rechtserkenntnis. Diese wiederum setzt inhaltliche Maßstäbe voraus dafür, was – rechtlich – einem Sachverhalt als zu seiner „Natur“ gehörendes, ungeachtet alles Zufälligen Allgemeines „wesentlich“ ist. Zwar tragen „Lebensverhältnisse …, wenn auch mehr oder weniger entwickelt, ihr Maß und ihre Ordnung in sich“.51 Beides ist aber nicht Maßstab für, sondern Objekt von Rechtsbewertungen, die selbst bei konstanten Seinsgesetzlichkeiten angesichts möglicher weiterer Normziele zu „ungleichen“ – trotzdem und gerade deswegen nicht „willkürlichen“ – Ergebnissen führen können und deren prinzipielle Unabhängigkeit vom Sein aus der grundsätzlichen menschlichen Entscheidungsfreiheit im Bereich ethischen bzw. rechtlichen Sollens folgt. Solche Bewertungsmaßstäbe gilt es freizulegen, will man letztlich sich auf eine weder naturrechtliche (durch unmittelbaren Bezug auf „Gerechtigkeit“) noch positivistische Lösung (durch Rückführung auf eine „Grundnorm“52) zurückziehen. 3. Begriff und Grenzen rechtlicher Subsumtionslogik Nur notwendige Bedingung, nicht auch zureichender Grund für das judikative Gleichheitsurteil ist die methodengerechte Art und Weise, wie nach Konstituierung der Bewertungsobjekte „relevanter Sachverhalt“ und „einschlägige Norm“ der Bewertungsvorgang zu vollziehen ist. a) Formallogische Struktur des judikativen Gleichheitsurteils: Zum Satz, es sei B (= konkrete Sollensaussage), weil A (= konkrete Seinsaussage) ist, führt formallogisch ein zweistufiges Schlußverfahren: (1) Abstrakt-genereller Obersatz ist die hypothetische Relation in Form des „modes ponens“: Wenn A (= z. B. das Zeugnis verweigernder Angehöriger des Beschuldigten), dann B (= Vernehmungs- und Verwertungsverbot). – Nun ist A (= das Zeugnis verweigernder Verwandter 1. Grades in der Seitenlinie). – Also ist B. 51 Dernburg, Pandekten I, 5. A., 1896, S. 87: diese „den Dingen innewohnende Ordnung“ nenne man „Natur der Sache“. 52 Etwa i.S. von Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. A., 1960, S. 197 ff., 199 f., 201 ff., 209.

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(2) Weil hypothetische Urteile aber nur über die (Folge-)Richtigkeit des Nexus zwischen Bedingung und Bedingtem, nicht über deren „Sein“ oder „Geltung“ eine „Wahrheit“ aussagen, aus einem hypothetischen Satz ein apodiktischer nicht ableitbar ist, die Wahrheit der (materiellen) Implikation vielmehr von den Wahrscheinlichkeitswerten ihrer Teilurteile abhängt, ist die Bedingung semantisch zu erarbeiten in einem konkret-individuellen Untersatz der syllogistisch-kategorischen Form des „modus barbara“: Alle A’ sind A. – M (= Bruder des Beschuldigten) ist A’. – Folge: M ist A. (3) Der „(folge-)richtige“ Schluß: „M ist B“ – oder als konkret-imperativistischer Sollenssatz gefaßt: „Weil M (ist), deshalb (soll) B (sein)“ – ist dank des semantischinduktiven Elements in seinem Untersatz aber keine logische Identitäts-53, sondern (angesichts logischer Unüberbrückbarkeit von Sein und Sollen) allenfalls eine analogische Gleichheitsaussage.54 Weil diese Aussage also Ergebnis nicht nominalistisch-deduktiver Ableitung, sondern nur maßstabsorientierter Bewertung sein kann, ist obige Behauptung, die Beachtung denk- und sprachlogischer Gesetze sei conditio sind qua non jeder Rechtsverwirklichung, richtig erst mit der Einschränkung, daß derartige Bedingung – negativ – allein das Fehlen logischer Verstöße sein kann. Denn ob im Einzelfall logische Regeln überhaupt zu beachten sind, hängt davon ab, ob und wie streng der Gesetzgeber aus Zweckmäßigkeitsgründen Obersätze in Gestalt von Gesetzesnormen sprachlich positiviert und damit dem Recht-Sprechenden die Bandbreite an sich möglicher Rechtswertentscheidungen eben mittels klassenlogischer Begriffe und/oder syntaktischer Regeln beschneidet55, oder ob er, seine konstitutionelle Kompetenz nicht ausschöpfend, darauf verzichtet hat. Die das traditionelle Problem des Wortlauts56 als Voraussetzung und Grenze der Gesetzesinterpretation aufwerfende und aus rechtspolitischen Erwägungen postulierte logisch-positivistische Sub53 Auch kein Teil-Identitätsurteil i.S. einer Identität von Teilen oder bestimmten Merkmalen. – Zur logischen „Grundform des jur. Schlusses“ näher Klug (Fn. 1), S. 48 – 65. 54 Kaufmann (Fn. 8), S. 5 und (Fn. 9), S. 431. Die analogische Argumentation charakterisiert der Schluß von einem Begriff auf einen anderen, konträren Begriff (Sax, Über Rechtsbegriffe, Nottarp-FS 1961, S. 133, 136) über einen Oberbegriff als tertium comparationis (zur Frage logischer Kalkülisierbarkeit des „argumentum a simile“ vgl. Klug, [Fn. 1], S. 109 m. Hinw. S. 136, daß die „wesentliche Frage“ die nicht formallogisch, sondern nur inhaltlichteleologisch zu leistende „Definition des jeweiligen Ähnlichkeitskreises“ sei). 55 Möglicherweise bis zum völligen Ausschluß jeder Einzelfallwertung, wenn z. B. gem. § 2 BGB die Volljährigkeit mit Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt oder § 3 III 2 c StVO die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 100 km/h begrenzt mit der Folge (ebenso wie bei Legaldefinitionen oder rein juristisch-technischen Klassenbegriffen), daß der Recht-Sprechende darauf verwiesen ist, im Wege rein syllogistischer Subsumtion festzustellen, „was nach dem Gesetz Recht ist“ (RGZ 94, 271, 276). Für diese Fälle gilt nicht die Pauschalfestsetzung, daß kein Jurist heute mehr glaube, daß Normanwendung nichts anderes sei als die Subsumtion eines feststehenden Sachverhalts unter die gleichfalls feststehende Norm (so aber Larenz, JuS 1971, 449, 451). 56 Näher unten zu II. 3. b) bb).

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sumtion ist nur mögliches, nicht stets notwendiges Merkmal einer Rechtsverwirklichung.57 Subsumtion ist Voraussetzung für (formal-abstrakte) „Rechtssicherheit“, (grundsätzlich) nicht für (materiell-konkrete) „Gerechtigkeit“. Logische und erkenntnistheoretische Maßstäbe allgemein gelten nur für rational-argumentativ Begründbares. Sie versagen bei „dezisionistischer“ Rechtsfindung im Wege allein rechtswertender Abwägung58, soweit nicht die „Richtigkeit“ dieses Bewertungsvorgangs selbst – nicht die „Wahrheit“ seines (Urteils-)Ergebnisses59 als „Recht“ – die Rechtskontrolle gewährleistend verifizierbar ist.60 57 Darin liegt der entscheidende Einwand gegen Fikentschers (Methoden des Rechts in vergleichender Darstellung, Bd. IV: Dogmat. Teil, 1977) „Theorie der Fallnorm“ (a.a.O. S. 186), wonach formallogische Subsumtion stets unverzichtbares Element des Rechtsfindungsvorgangs sei: da „Sachwertung und Gleichwertung zusammen … erst die gerechte Entscheidung“ ergäben (a.a.O. S. 190), sei für jeden Fall als abstrakter Obersatz (a.a.O. S. 207) eine „Fallnorm“ zu entwickeln, d. h. im Hinblick auf den lösungsbedürftigen Sachverhalt ein Rechtssatz vorzubereiten (a.a.O. S. 191, 202), für den als Rechtsquelle „Richterrecht“ der „treffendste Ausdruck“ sei (a.a.O. S. 221); nach Konkretisierung der in Betracht kommenden Norm auf den Sachverhalt bis zu einem „hermeneutischen Umkehrpunkt“ (a.a.O. S. 194 ff., 198) sei der Syllogismus, weil nun „von allen Gleich- und Sachgerechtigkeitswertungen befreit“ (a.a.O. S. 186), rein logisch vollziehbar. – Im übrigen bleibt Fikentscher den Nachweis schuldig dafür, wie selbst nach (quantitativ) weitestgehender Anpassung von Sein und Sollen, die nur als Vorgang selektierender Wertung erfolgen kann, ein Umschlag in die (qualitativ) andere Kategorie durch rein logische Folgerung vonstatten gehe. Fehlt für einen rechtlicher Entscheidung bedürftigen Sachverhalt ein vom Normgeber positivierter „Obersatz“ (lex scripta), ist eine syllogistisch-syntaktische Subsumtion weder möglich noch notwendig; es bleibt allein eine semantische Gleichsetzung von Sachverhalt und Rechtswert zu leisten. Deshalb trifft der wiederholte Hinweis Engischs (Literaturbericht, Philosophie Teil I, ZStW 1978, 658 ff., 664 ff., 667) zur Struktur der Rechtsverwirklichung zu, daß „nicht der Untersatz dem Obersatz subsumiert wird und der Untersatz auch nicht den Lebenssachverhalt enthält, sondern die Subsumtion zusammen mit der Feststellung des Lebenssachverhalts im Untersatz vollzogen wird und so die zweite Prämisse liefert, die zusammen mit dem Obersatz … den syllogistischen Schluß ermöglicht“, und daß (a.a.O. S. 668) die Subsumtion „als Bestandteil des Untersatzes nicht das logische Verhältnis von Untersatz und Obersatz betrifft …, daß sie überhaupt kein ,logischer‘ Akt ist, sondern die nach juristischen Gesichtspunkten in aller Regel mit Wertungen durchtränkte Würdigung des Lebenssachverhalts gemäß dem Sinngehalt des als Rechtsbegriff fungierenden rechtlichen Tatbestandsbegriffs“. 58 Daß auch Wertaussagen „genau wie jedes Urteil logisch ,richtig‘ sein, d. h. den formalen Regeln der Urteilsbildung entsprechen müssen“ (Scheler [Fn. 6], S. 197), hat nichts zu tun mit der hier gemeinten gesetzgeberischen, insbesondere aus rechtspolitischen Gründen in Gesetzesvorschriften positivierten besonderen Aufgegebenheit sprachlichen Denkens bei der Rechtsverwirklichung. M.a.W., es ist zu unterscheiden zwischen (allgemein-wissenschaftstheoretischer) formaler Logik und (rechtlich geforderter) deduktiv-axiomatischer Ableitung. 59 Dieses ist – aus sich heraus, d. h. ohne Rekurs auf die Art und Weise seines Zustandekommens – lediglich falsifizierbar (widerlegbar) am Maßstab der offensichtlichen Unwahrheit, evidenten Unvertretbarkeit, unbezweifelbaren Unerträglichkeit (Willkür, Unverhältnismäßigkeit). 60 Das Ausgeführte widerlegt zwei Extrempositionen: das klassifikatorische Subsumtionsideal und die „freie Rechtsfindung“. Zum ersten: Ein wissenschaftslogisch kalkuliertes Axiomensystem kann Rechtsdenken nicht errichten (Engisch [Fn. 10], S. 149; Klug [Fn. 1],

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b) Inhaltslogisch-erkenntnistheoretische Struktur des judikativen Gleichheitsurteils: Der (notwendig) sprachliche Vollzug semantischer „Ist-gleich“-Setzung von (seinsbegrifflich geformtem) „relevantem Sachverhalt“ und (sollensbegrifflich gefaßter) „einschlägiger Norm“ erfordert wegen dieser logisch konträren, nicht identisch setzbaren Ebenen eine meta-sprachliche Kategorie (in der gesprochen wird), in der jene beiden Objektsprachen (über die zu reden ist) übereinkommen, d. h.

S. 15 ff., 192 ff.; Schreiber, Logik des Rechts, 1962, S. 34) mangels eines numerus clausus feststehender, nicht weiter zurückführbarer und miteinander harmonisierender „Basissätze“. Deduktiv-axiomatische Methoden in der Rechtswissenschaft (vgl. Priester, Rechtstheorie als analyt. Wissenschaftstheorie, in: Beiträge zur Grundlagendiskussion, 1971, S. 13 ff.; E. v. Savigny, Zur Rolle der deduktiv-axiomat. Methode in der Rechtswissenschaft, in: Rechtstheorie 1971, S. 315 ff.) zeigen nur Ableitungszusammenhänge zwischen Sätzen auf, rechtfertigen aber nicht die Satzaussagen selbst als „wahr“ oder „gerecht“. Versuche, mittels deontischer (Norm-)Logik Wertaussagen oder präskriptive Sätze – als solche (dazu auch u. III. 2. b) mit Fn. 107) – stringent zu begründen (dazu Philipps, Braucht die Rechtswissenschaft eine deontische Logik?, in: Beiträge zur Grundlagendiskussion, 1971, S. 352 ff.; Haag, Bemerkungen zur Normlogik, in: Rechtstheorie 1, 1971, S. 140 ff.; v. Kutschera, Einf. in die Logik der Normen, 1973, S. 14 – 51; Oelmüller (Hrsg.), Materialien zur Normendiskussion, 1978; Haberstumpf, Bemerkungen zu einigen Paradoxien der deontischen Logik, ARSP 67 (1981), S. 407 ff.; Lampe, „Juristische“ Logik, „logische“ Jurisprudenz?, Klug-FS I, 1983, S. 113, 127 ff.; Herberger/Simon [Fn. 4], S. 179 – 204; Koch/Rüssmann [Fn. 37], S. 43 ff.), blieben Ansätze, Gedankenspiele (zur davon zu unterscheidenden Möglichkeit spezieller Normenlogik-Systeme vgl. Klug [Fn. 1], S. 199 ff., 202 ff.) und sind zur Kontrolle richtigen Rechts nicht gefordert (Klug, a.a.O. S. 64, 204). – Zum zweiten: Zurückzuweisen ist auch die – an die grundsätzlich richtige Erkenntnis notwendiger Unvollständigkeit, Zeitbedingtheit und Mangelhaftigkeit der Gesetze anknüpfende – Gegenmeinung, Rechtsfindung geschehe stets gesetzesunabhängig: zufolge G. Cohns (Existentialismus und Rechtswissenschaft, 1955) existentialistischem Ansatz allein aus den Bedingungen der einmalig-konkreten „Situation“ (vgl. a.a.O. S. 156 f.: „Die richtige Entscheidung“ sei „keineswegs von der Möglichkeit ihrer Ableitung aus dem sog. objektiven Recht abhängig“, sondern „auf sich selbst gegründet“ und sie habe „alle Voraussetzungen sowie ihren Erkenntniszweck in sich selbst“; auf vergleichbarer Basis, jedoch einschränkend, vgl. Less, Vom Wesen des Richterrechts, 1954, S. 81 f., 106, 109, 110 ff., und Maihofer, Die Bindung des Richters an Gesetz und Recht, 1960, S. 10, 20 f., 32); nach C. Schmitt (Gesetz und Urteil, 2. A., 1969) vorhersehbar und berechenbar (a.a.O. S. 98, 114) am Maßstab des vom (nicht Ideal-, sondern) empirischen Normaltypus eines Richters in gleicher Lage zu erwartenden Urteils (a.a.O. S. 41, 78, 79, 89, 100, 109); gemäß Auffassung der Freirechtsschule (Kantorowicz, Der Kampf um die Rechtswissenschaft, 1906; Fuchs, Gerechtigkeitswissenschaft, in: Ausgewählte Schriften zur Freirechtsschule, 1965; Isay, Rechtsnorm und Entscheidung, 1929) intuitiv-volitiv (Kantorowicz, a.a.O. S. 13, 15 f., 41 ff., 49; Isay, a.a.O. S. 18 f., 45 f., 53 ff., 335, 338, 344, 370), weil Gerechtigkeit „für den Verstand schlechthin unerfaßlich“ sei (Isay, a.a.O. S. 59); namentlich nach Esser (Fn. 19), S. 13, 71 ff., 113 ff. und Kriele (Fn. 19), S. 60 ff., 64, 160, 195, 299, 311 f. argumentativ„vernunftrechtlich“ bis zur Bildung einer „Richtigkeitsüberzeugung“ (Esser, a.a.O. S. 139 ff.) bzw. „Normhypothese“ (Kriele, a.a.O. S. 311 ff. u. passim), da die Methoden der Gesetzesauslegung sich als Rechtsverwirklichungskriterien untauglich erwiesen hätten (Esser, a.a.O. S. 7, 122 f.; Kriele, a.a.O. s. 25 f.) und das positive Gesetz, wenn überhaupt, nur zweitrangig zur Kontrolle einer bereits anderweitig gefundenen Rechtsentscheidung diene (Esser, a.a.O. S. 9, 16, 130, 139 ff.; Kriele, a.a.O. S. 204 f.).

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„gleich“ sein können.61 Diese metasprachliche Kategorie ist als zureichende, d. h. „Wahrheit“ bzw. „Richtigkeit“ des Gleichheitsurteils gewährleistende Bedingung zu formulieren.62 aa) Es bedarf indessen keines Versuchs, eine logisch-syntaktische Lösung des Verhältnisses reiner Struktursysteme zu den von ihnen bezeichneten Objektbereichen durch Konstituierung eines „Wahrheitsbegriffs in formalisierten Sprachen“63 zu finden, etwa mit dem Ziel formallogischer Subsumierbarkeit von Tatsachenaussagen unter (Rechts-)Werturteile. Selbst wenn diese beiden Gruppen formalisierbar wären, bedürfte es angesichts des infiniten Regresses von Objektsprache, Metasprache, Meta-Metasprache usw. einer autoritativen oder konventionellen Festsetzung, wie ein semantischer Begriff metasprachlich zu verwenden sei.64 Im übrigen ist – jedenfalls für rechtliche Aussagen – die „Basisfrage“ der reinen Satzlogik formalisierter Sprachen nur urteils-, d. h. inhaltslogisch beantwortbar, weil die „Umgangssprache stets die oberste Metasprache bilden“ muß.65 Andererseits erklärt eine nur als „Subsumtion“ – i.S. einer Beziehung zwischen Allgemeinbegriffen, einer „Einordnung dieses Sachverhalts, des ,Falles‘, in die Klasse der durch den Rechtsbegriff … bezeichneten Fälle … durch Gleichsetzung des neuen Falles mit denjenigen Fällen, deren Zugehörigkeit zur Klasse bereits feststeht“66 oder einer „Zuordnung des Sachverhalts zum Tatbestand einer Rechtsnorm“67 – verstandene Rechtsverwirklichung nicht die Möglichkeit schöpferischer Rechtsfortbildung; sie setzt unzutreffend „Recht“ als stets abstrakt-begrifflich bzw. als Wert existent (etwa in Gestalt positiver 61 Grundlegend Tarski, Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, 1935 (zit.: „Wahrheitsbegriff“); ders., Die semantische Konzeption der Wahrheit und die Grundlagen der Semantik, in: Sinnreich (Hrsg.), Zur Philosophie der idealen Sprache, 1972, S. 53 ff. (zit.: „Konzeption“); ders., Grundlegung der wissenschaftl. Semantik, in: Berka/Kreiser, LogikTexte, 1971, S. 250 ff. (zit.: „Grundlegung“). Dazu auch Klug (Fn. 1), S. 104 f.; Herberger/ Simon (Fn. 4), S. 226 – 232; Wank, Objektsprache und Metasprache, Rechtstheorie 13 (1982), S. 465 ff. – Tarski unterscheidet verschiedene Sprachebenen, weil semantische Begriffe sich stets auf eine bestimmte Sprache bezögen. Seien z. B. zwei verschiedenen Sprachebenen zugehörige Begriffe selbst Aussagenobjekte, so sei ein ihnen beiden zugedachtes Prädikat in einer ihnen gemeinsamen Sprache höherer Ordnung auszudrücken (vgl. „Wahrheitsbegriff“ S. 390 f., 399; „Grundlegung“ S. 353 f.): dann sei A (= Aussage in der Objektsprache) genau dann wahr in S (= in einer Metasprache formuliertes und auf eine Objektsprache bezogenes, die Wahrheitsbedingung für jeden Satz der Objektsprache bestimmendes Regelsystem), wenn B (= der A entsprechende Satz in einer Metasprache). 62 Tarski (Fn. 61), „Grundlegung“ S. 350 ff., 353 f., „Wahrheitsbegriff“ S. 379 f., und „Konzeption“ S. 65; ebenso Popper (Fn. 5), S. 59. 63 Vgl. den in Fn. 61 angeführten Titel von Tarskis Hauptwerk. 64 Die „Festlegung einer sachlich richtigen Verwendungsweise auf dem Boden der Metasprache“ findet nach Tarski (Fn. 61) statt in einer „semantischen Konvention“ („Grundlegung“ S. 353; vgl. auch „Konzeption“ S. 55, „Wahrheitsbegriff“ S. 264: es gehe um eine Definition, die „sachlich angemessen und formal richtig ist“). 65 Stegmüller, Das Wahrheitsproblem und die Idee der Semantik, 1957, S. 42. 66 Engisch (Fn. 29), S. 56. 67 Larenz (Fn. 30) S. 263 f.

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Gesetze, allgemeiner Rechtsprinzipien usw.) und durch Normauslegung erkennbar voraus.68 Nur als „eines unter mehreren Argumenten“69 kommt (teleologisch-)begriffliche Subsumtion bei Normanwendungen in Betracht, weil Normen nicht selbst Rechtswerte, sondern zu deren Verwirklichung nur generell mögliche Mittel sind. Ebenfalls nicht „Recht“, sondern dafür nur Maßstäbe – die zudem für sich offenlassen, in welchem Umfang sie anzulegen sind und wieviel von ihnen abzumessen ist – sind allgemeinrechtliche Wertvorstellungen; auch sie sind nicht um ihrer selbst willen anzustrebende Zwecke, sondern haben nur funktionale Bedeutung. Folglich muß der „Sinn und Zweck“ rechtlich-hypothetischen Sollens in Gestalt von Gesetzesvorschriften oder/und solcher Rechtswertüberzeugung das tertium comparationis sein, in dem „relevanter Sachverhalt“ und „einschlägige Norm“ im konkreten Fall sich (kategorisch) „gleichen“, d. h. in bezug auf Aussagen darüber „wahr“ (bzw. „richtig“), m.a.W. „Recht“ sind. bb) Jener „Sinn und Zweck“ normativer Obersätze ist zugleich Kriterium dafür, ob der Wortlaut positivierter Rechtsvorschriften verbindliche Grenze ist70 oder nur heuristische Signalfunktion im Rechtsfindungsvorgang hat. Es ist zu unterscheiden: Verfolgt der Gesetzgeber inhaltlich mit der Kodifizierung einer Norm einen über die Regelung materiellen oder prozessualen (hypothetischen) Rechts („Primärwertung“) hinausgehenden – insbesondere einen staatsrechtlichen (z. B. wegen des Grundsatzes „nullum crimen sine lege“ oder des Gesetzesvorbehalts bei Hoheitseingriffen in Individualrechte) – Zweck („Sekundärwertung“), so ist dieser „mögliche Wortsinn“ Grenze an sich in concreto umfassend möglicher Verwirklichung der „primären“ Normziele.71 Ist der Wortlaut dagegen lediglich Mittel, nur „Primärzwecke“ 68 Vgl. o. zu II. 1. mit Fn. 17. – Auslegung als Sinnverstehen normativer Obersätze kann nur eine Palette „möglichen“, nicht die Begründung „wirklichen“ Rechts liefern. 69 Hubmann, Wertung und Abwägung im Recht, 1977, Vorwort S. V. 70 Prominentes Beispiel: Elektrische Kraft (§ 248 c StGB) keine „Sache“ i.S. des § 242 StGB (RGSt 29, 111; 32, 165). 71 Die Standardformel, der „mögliche Wortsinn“ sei Grenze zulässiger Gesetzesauslegung, trifft deshalb nur bedingt die Sache: der Wortlaut ist beachtlich nur secundum oder praeter, nie aber contra rationem legis. Mit Recht betonen höchstrichterl. Entscheidungen, daß höher als der Wortlaut des Gesetzes dessen immanenter Sinn und transzendenter Zweck stünden (RGZ 142, 36, 40; BAGE 3, 159, 161), daß Rechtsfindung, die „nicht am Wortlaut der in Betracht kommenden Norm haften bleibt“, gerechtfertigt sei, „wenn die Annahme geboten ist, daß der Gesetzgeber unter Berücksichtigung der seiner Norm zugrundeliegenden Werturteile bestimmte, von ihm nicht vorausgesehene besondere Tatbestände vernünftigerweise abweichend von dem vorliegenden Wortlaut geregelt haben würde“ (BGHZ 2, 176, 184, 187; in gleichem Sinn BGHZ 4, 153; 13, 360, 367 f.; BAGE – GrS – 13, 1, 12 f.; BFH JZ 1963, 261), daß der Richter „nach dem Grundgesetz nicht darauf verwiesen (sei), gesetzgeberische Weisungen in den Grenzen des möglichen Wortsinns auf den Einzelfall anzuwenden“, denn eine „solche Auffassung würde die grundsätzliche Lückenlosigkeit der positiven staatlichen Rechtsordnung voraussetzen“, so daß „fraglich … nur die Grenzen sein (könnten), die einer solchen schöpferischen Rechtsfindung mit Rücksicht auf den aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit unverzichtbaren Grundsatz der Gesetzesbindung der Rechtsprechung gezogen werden müssen“ (BVerfGE 34, 269, 287 f.; ferner BVerfGE 9, 89, 104 f.). Wegen der lediglich relativen Bedeutung des Gesetzeswortlauts liegt nur scheinbar eine Methodeninkonsequenz darin, daß

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verfolgende Vorschriften formal-syntaktisch darzustellen, fehlt mithin die abwägende legislatorische ex-ante-Entscheidung zwischen „Primär-“ und „Sekundärzwecken“ zugunsten letzterer für den Konfliktfall, so hindert der sachlich nicht weiter bedeutsame Wortlaut die Realisierung der „Primärziele“ als ius weder praeter noch contra legem.72 Bindung an den Wortsinn ist deshalb nicht Grund, sondern – mögliche – Folge von Normverstehen.73

III. Struktur „wahrer“ rechtlicher Aussagen Die aufgezeigten Formalstrukturen des Rechtsverwirklichungsvorgangs, die Wahl und richtige Anwendung traditioneller Rechtsfindungsmethoden, sind nun zwar notwendig für formale „Rechtssicherheit“, aber noch nicht ausreichend für inhaltliche „Rechtswahrheit“. Zu analysieren bleibt der auf diese „Rechtswahrheit“ zielende „Akt des bewertenden Erkennens, dem auch willenhafte Elemente nicht fehlen“74, und der einmündet in eine rechtsqualitative Aussage der oben (zu II. 1.) bezeichneten Art. 1. Semantischer Wahrheitsbegriff als Grundlage von Rechtsaussagen a) Semantische Wahrheit: Das aus der Struktur der Rechtsverwirklichung abgeleitete semantische Wahrheitskriterium75 als „Basisfrage“76 des judikativen Gleichetwa das BVerfG, wie aufgezeigt, den Wortlaut beiseite schiebt, um eine sinnvolle oder der Wertordnung des GG gemäße Möglichkeit der Normanwendung freizulegen (vgl. auch BVerfGE 13, 261, 268; 14, 260, 262; 22, 28, 37; 35, 263, 278 f.; 49, 304, 318; 52, 303, 349), in anderen Fällen aber wieder im Wortlaut des Gesetzes eine absolute Auslegungsgrenze sieht (z. B. BVerfGE 48, 264 f.: rechtspolit. Erwägungen legitimieren keine „berichtigende Auslegung“ einer unzweideutigen Norm, die einem Verfassungsgebot entspricht; BVerfGE 54, 277, 299: im Wege der Auslegung dürfe einem nach Wortlaut und Sinn eindeutigen Gesetz nicht ein entgegengesetzter Sinn verliehen, der normat. Gehalt der auszulegenden Norm nicht grundsätzlich neu bestimmt und das gesetzgeberische Ziel nicht in einem wesentl. Punkt verfehlt werden). Welcher „Wortsinn“ im Einzelfall „noch möglich“ ist, erhellt somit nicht schon aus der Syntax oder Semantik der „Wörter“ selbst (zutr. spricht Sax, Das strafrechtl. Analogieverbot, 1953, S. 80 f., insofern von einer „verschwommenen Formel“). 72 Lex hier verstanden als rein syntaktisches Gebilde. 73 Unrichtig daher insoweit Hassemer (Fn. 24), S. 203 f., daß die „Methodenlehre … keine Meta-Regel der Auslegung“ enthalte. – Das ist zugleich der prinzipielle Einwand gegen alle Versuche (z. B. Herberger/Koch, Zur Einführung in Methodenlehre und Sprachphilosophie, JuS 1978, 810, 813 ff.), das Problem des „möglichen Wortsinns“ sprachanalytisch in den Griff zu bekommen. Gleiches gilt für die in der Unterscheidung „Begriffskern“ – „Begriffshof“ (Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, 1914 S. 173) oder „Kernbereich“ – „Randbereich“ (Larenz [Fn. 30], S. 328) gründende Auffassung, ein Hinausgehen über den „Begriffshof“ bzw. „Randbereich“ verlasse die Grenzen zulässiger Auslegung (Larenz, a.a.O.). 74 BVerfGE, 34, 269, 287. 75 Oben zu II. 3. b) aa).

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heitsurteils ist – rechtsimmanente und verfassungsrechtliche Maßstäbe einbezogen – endgültig (metasprachlich) zu formulieren als die den Erfordernissen des „Willkür“und „Übermaßverbots“ genügende Übereinstimmung von Sein („relevanter“ Sachverhalt) und Sollen („einschlägiger“ Rechtssatz) im Sinn und Zweck von positiven Gesetzen (legislatorische „Primär-“ und – evtl. – „Sekundärwertung“) und Verfassungsprinzipien. Die Begründung einer Aussage (eines Urteils) darüber ist (rechtlich) richtig, sofern sie Denk- oder juristische Methodenfehler nicht erkennen läßt; ihr Ergebnis „gilt“ (d. h. wird pragmatisch bewertet) damit als „Recht“. Die Aussage selbst ist „wahr“77, wenn der in ihr behauptete Sachverhalt (= das Geltung beanspruchende Urteil, sein Inhalt, das Gemeinte) besteht, m.a.W. eine Tatsache ist.78 b) Wahrheitsbegriffe und Wahrheitskriterien: Nur struktureller Ausgangspunkt für diesen Wahrheitsbegriff kann folglich die klassische, aristotelisch-scholastische Definition (= herrschende „Korrespondenztheorie“ der Wahrheit) sein: Veritas erst adaequatio rei et intellectus. Denn es geht nicht um Wesen oder Sein des Rechts im Einzelfall, sondern um die notwendigen Bedingungen für die Geltung eines Urteils „als Recht“. Daher ist „Wahrheit“ hier weder als (ontologisches) Gegenstands- noch 76

Unstreitig gründet selbst die moderne analytisch-positivistische Wissenschaftstheorie ihre „Basisaussagen“ (= ihre innerhalb eines bestimmten Objektbereichs sprachlich nicht weiter zurückführbaren Axiome oder „Protokollsätze“) auf ihrerseits keineswegs unwiderrufliche, konventionalistisch getroffene „Entscheidungen“, daß eine bestimmte Grundannahme als „Basissatz“ „gelten“ soll. Vgl. auch Stegmüller, Metaphysik, Skepsis, Wissenschaft, 2. A., 1969, S. 6, 311, 327 („Konventionalismus bezüglich der Basissätze impliziert also logisch den Konventionalismus in bezug auf das theoretische System. Die Annahme oder Nichtannahme einer Theorie kann nur … durch außerlogische, außerwissenschaftliche Motive erfolgen: Zweckmäßige Verwertbarkeit, Brauchbarkeit für praktische Lebensbelange … usw.“), und Albert, Traktat über die kritische Vernunft, 1968, S. 32 („Die radikale Durchführung des Prinzips der zureichenden und damit sicheren Begründung führt also zur Ersetzung der Erkenntnis durch die Entscheidung“). Popper, Logik der Forschung, 7. A., 1982, S. 74 f., vergleicht die Aufstellung eines „Basissatzes“ mit dem Urteil in einem „Schwurgerichtsverfahren“: wie dieses kraft prozessualer Vorschriften gelte, beruhe die Gültigkeit von Basissätzen auf einem Konsensus der Wissenschaft. 77 Vgl. auch Menne, Was ist Wahrheit, Ratio 16 (1974), S. 62, 64 („,Wahr‘ heißt eine Aussage genau dann, wenn sie mit dem intendierten Sachverhalte übereinstimmt“); Tarski (Fn. 61), „Wahrheitsbegriff“ S. 268 („… eine wahre Aussage ist eine Aussage, welche besagt, daß die Sachen sich so und so verhalten, und die Sachen verhalten sich eben so und so“); Stegmüller (Fn. 65), S. 21 ff. (dort S. 215 ff. auch zu Einwänden gegen den semantischen Wahrheitsbegriff); Kamlah/Lorenzen (Fn. 4), S. 17; Bochenski (Fn. 4), S. 13 f.; Essler, Einf. in die Logik, 2. A., 1969, S. 35. 78 Scheler (Fn. 6), S. 196; Popper (Fn. 5), S. 59; Schlick (Fn. 5), S. 178 („Wirklich ist alles, was zu einer bestimmten Zeit als seiend gedacht werden muß“); Kamlah/Lorenzen (Fn. 4), S. 135; Habermas, Wahrheitstheorien, in: Wirklichkeit und Reflexion, W. Schulz z. 60. Geburtstag, 1973, S. 211, 215 (Tatsache ist, was wir von einem Gegenstand behaupten); Tugendhat, Vorlesungen zur Einf. in die sprachanalyt. Philosophie, 1976, S. 251 („Der behauptete Sachverhalt, daß p, ist wahr dann und nur dann, wenn er ein wirklicher Sachverhalt [eine Tatsache] ist“); Hübner, Kritik der wiss. Vernunft, 1978, S. 56 ff., 273 ff., 280 („relationale“ Wahrheit wissenschaftl. Aussagen).

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als (gnoseologisches) Erkenntnis-, sondern allein als (semantisches) Aussagenprädikat von Bedeutung. aa) Der ontologische Wahrheitsbegriff (Wahrheit als „Übereinstimmung zwischen dem Wissen und dem Seienden“)79 liegt zugrunde – außer der älteren Philosophie80 – insbesondere phänomenologischen81, dialektisch-materialistischen82 und logisch-empiristischen83 Ansätzen sowie (unausgesprochen) in der Jurisprudenz verbreiteten84 Auffassungen, daß – weil das Induktionsprinzip erkenntnislogisch nur zu „objektiver Wahrscheinlichkeit“ führen kann – als („absolute“) „Wahrheit“ i.S. des § 244 II StPO auch die nur „formelle“, „prozessuale“, „relative“ Wahrheit gelten dürfe, sofern nach Ausschöpfung aller prozessualen Erkenntnismittel die Existenz der Beweistatsache mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bzw. „der gewöhnlichen Lebenserfahrung entsprechender Wahrscheinlichkeit“ feststeht, und daß die „Überzeugung“ gem. § 261 StPO von jener „Wahrheit“ keine jede theoretische Möglichkeit des Gegenteils ausschließende Gewißheit, sondern nur einen „für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit“85 voraussetze. Die Legitimation dazu wird abgeleitet aus dem „allgemeinen sittlichen Grundsatz: … wo unser Han79

Coreth, Metaphysik, 2. A., 1964, S. 350. Zur „ontologischen Begriffsbildung“ vgl. Wank (Fn. 3), S. 143 ff. 80 Nachweise u. a. zu Hobbes, Locke, Leibniz, Fichte, Scheiermacher, Trendelenburg u. Brentano bei Eisler, Wörterbuch der philosoph. Begriffe III, 4. A., 1930, S. 452 – 459, 464 f. 81 Z.B. Husserl, Log. Untersuchungen, 4. A., 1928, Bd. I S. 190 f.: „Das Erlebnis der Zustimmung zwischen der Meinung und dem Gegenwärtigen, Erlebten, das sie meint, zwischen dem erlebten Sinn der Aussage und dem erlebten Sachverhalt, ist die Evidenz, und die Idee dieser Zustimmung die Wahrheit“; ferner Bd. II S. 594 f.: Wahrheit sei „die volle Übereinstimmung zwischen Gemeintem und Gegebenem als solchem“. 82 Dazu Schwarz, Marxistische Philosophie. Das Wahrheits- und Praxisproblem in der Gegenwart, 1976; Wagner/Terton/Schwabe (Fn. 2), S. 37: „Eine Aussage ist wahr genau dann, wenn sie mit dem von ihr abgebildeten Sachverhalt übereinstimmt in dem Sinne, daß der in ihr behauptete (oder bestrittene) Sachverhalt auf der unabhängig von ihr existierenden Objektebene wirklich besteht (oder nicht besteht)“. 83 Z.B. Wittgenstein, Tractatus logico-philosophicus, in: Bd. 1 der Suhrkamp-Ausgabe der „Schriften“, 2.21 („Das Bild stimmt mit der Wirklichkeit überein oder nicht; es ist richtig oder unrichtig, wahr oder falsch“) und 2.161 („In Bild und Abgebildetem muß etwas identisch sein, damit das eine überhaupt das Bild des anderen sein kann“); Russel, Philosophie, Die Entwicklung meines Denkens, 1959 (deutsch 1973), S. 194 f. („Jede Meinung … hat den Charakter eines Bildes, das mit einem Bejahungs- bzw. Verneinungsgefühl kombiniert ist. Wenn es mit einem Bejahungsgefühl kombiniert ist, ist es ,wahr‘, wenn es eine Tatsache gibt, die zu dem Bild in der Art von Ähnlichkeitsbeziehung steht, die wir von der Ähnlichkeit zwischen einem Abbild und dem auf ihm Dargestellten erkennen“). 84 Vgl. die dafür repräsentative Definition bei Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im jur. Denken, 1963, S. 6: Wahrheit als „Übereinstimmung einer Aussage … mit dem Sachverhalt, der in der Aussage ausgesagt wird“. Ähnlich definiert die herrschende „objektive“ Theorie den Begriff „falsch“ in §§ 153, 154,156, 160 StGB als Nichtübereinstimmung der Aussage mit der „Wirklichkeit“ (dazu Verf., Die „falsche Aussage“ als Zentralbegriff der §§ 153 – 163 StGB, Küchenhoff-GedS 1987, S. 435, 437 f.). 85 BGHZ 7, 117.

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deln unerläßlich ist, mögen wir uns auf die Wahrscheinlichkeit getrost verlassen, über die hinaus zur Gewißheit zu gelangen unmöglich ist …“.86 bb) Der gnoseologische Wahrheitsbegriff87 bleibt außer Betracht, weil „wahre Erkenntnis“ eine Tautologie und der Begriff „Erkenntnis“ nicht Voraussetzung, sondern Folge des Begriffs „Wahrheit“ ist.88 cc) Sprachanalytische Wahrheitstheorien89, die auf die Termini „wahr“ und „falsch“ als überflüssig, weil „ohne Bedeutung und im Satz nur als Zeichen der Bejahung oder Verneinung“ fungierend90, verzichten, unterscheiden nicht zwischen logischer Übereinstimmung und Bedeutungsäquivalenz.91 Der Rekurs auf die „Korrespondenztheorie“ für inhalts- bzw. bedeutungsbezogene Aussagen ist unvermeidlich. dd) Angesichts der für rechtliche Aussagen notwendigen Relation zu „Sachverhalten“ (i.w.S.) und der Unmöglichkeit, sie auf ein rein syntaktisches System zu gründen, scheidet als (alleiniges) Wahrheitskriterium die logische Übereinstimmung von Sätzen bzw. ihre syntaktische Widerspruchsfreiheit in einem kalkülisierten, konsistenten Aussagensystem (Kohärenztheorie der Wahrheit)92 aus. Daß freilich das Fehlen von Verstößen gegen solche „Kohärenzstrukturen“ – wie auch gegen logische Gesetze – conditio sine qua non grundsätzlich für die Richtigkeit auch rechtlicher Aussagen bleibt, steht außer Frage.

86 Lotze, System der Philosophie, 1. Teil: Logik, 1912, S. 425. Ähnl. Windelband, Ueber die Gewissheit der Erkenntniss, 1873, S. 43 („Wären wir nur denkende Wesen, so würden wir unser Urtheil zurückhalten, wo das Material dazu nicht ausreicht; aber wir wollen, ja wir müssen urtheilen, weil es unsere Interessen verlangen, und darum urtheilen wir falsch“). 87 Vgl. Hartmann (Fn. 7), S. 421 (Wahrheit sei „Übereinstimmung“ – scil.: der Erkenntnis – „mit dem realen Gegenstande“, eine „rein gnoseologische Angelegenheit“); Scheler (Fn. 6), S. 68 f., 93, 196, 198. In diesem Sinn zu verstehen ist auch das proz. Wahrheitskriterium der „conviction intime“ gem. Art. 342 des code d’instruction criminelle v. 1808. 88 Vgl. Jacoby (Fn. 7), S. 553; Kraft, Die Grundlagen der Erkenntnis und der Moral, 1968, S. 11; Prauss, Einf. in die Erkenntnistheorie, 1979, S. 162 ff. 89 Z.B. Ramsey, Facts and Propositions, in: Pitcher (Hrsg.), Truth, 1964, S. 16 ff.; Ayer, Sprache, Wahrheit, Logik, 1970; Strawson, Truth, in: Analysis 9 (1949), S. 83 ff. 90 Ayer (Fn. 89), S. 116. 91 Dazu im einzelnen White, Truth, 1972, S. 92 ff. und sein Beispiel: Die Aussagen „A, B und C ist ein gleichseitiges Dreieck“ und „A, B und C ist ein gleichwinkeliges Dreieck“ sind nur logisch gleich, nicht bedeutungsäquivalent. 92 Neurath, Soziologie und Physikalismus, in: Erkenntnis 2 (1932), S. 383 ff.; ders., Protokollsätze, in: Erkenntnis 3 (1932/33), S. 204 ff.; Carnap, Über Protokollsätze, in: Erkenntnis 3 (1932/33), S. 215 ff.; ders., Empiricism, Semantics and Ontologic, in: Carnap, Meaning and Necessity, 2. A., 1956, S. 205 ff.; Hempel, On the Logical Positivists Theory of Truth, in: Analysis 2 (1934/35), S. 49 ff.; Rescher, The Coherence Theory of Truth, 1973. Vgl. auch Puntel, Wahrheitstheorien in der neueren Philosophie, 1978, S. 215 f. („Eine Aussage ist wahr“ bedeute, der mit der Aussage X erhobene Geltungsanspruch sei als Eingliederbarkeit dieser Aussage in einen Kohärenzrahmen diskursiv einlösbar).

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2. Semantische „Wahrheit“ als „richtige“ Aussagenverifikation Rechtliche Aussagen müssen als „wahr“ verifizierbar und falsifizierbar sein. Unabhängig von Aussagen gibt es keine „Sachverhalte“ oder „Tatsachen“93 ; nicht das Sein, wie es ist, „bildet“ die Sprache „ab“, sondern Begriffe, in denen es als Gedachtes ausgedrückt wird. Inhaltlich ist für rechtliche Aussagen der den Sinn von „Wahrheit“ bezeichnende94 Terminus „adaequatio“ zu bestimmen mittels rechtlicher Kriterien: im Sinn nicht von „Identität“, sondern von „Gleichheit“ im metasprachlichen tertium des Sinnes und Zweckes rechtlicher Sollenssätze, für das „relevanter Sachverhalt“ und „einschlägige Rechtsnorm“ bedeutungsgleich sind.95 Gegeben, mithin „Tatsache“, ist die nur als Satzbehauptung vorliegende „Gleichheit“ aber erst dann, wenn an (rechts-)pragmatisch geschaffenen Richtigkeitskategorien96 das Urteil als „gültig“ erwiesen wird.97 (a) Die Existenz derartiger „archimedischer Punkte“ für wahre Aussagen über richtiges Recht und strafprozessual festzustellende faktische Umstände des Sachverhalts erspart der Jurisprudenz, wollte sie dem modernen wissenschafts-theoretischen Positivismus folgen, grundsätzlich (d. h. soweit jene Maßstäbe verifizierbar sind) die Verlegenheit, auf die Attribute „wahr“ und „falsch“ für solche Sätze verzichten und sie nur (negativ) am Gesichtspunkt mißlungener Falsifikation bewähren, also das Prinzip der zureichenden Begründung aufgeben und sich mit der Idee einer kritischen Prüfung begnügen, mithin allein „Wahrheitsnähe“ gewinnen zu müssen durch „error

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Kamlah/Lorenzen (Fn. 4), S. 85. Kraft (Fn. 88), S. 85. 95 Dieses aus rechtlichen Vorgegebenheiten entwickelte Verständnis von „Wahrheit“ als Prädikat von Rechtsaussagen kommt am nächsten den formal-semantischen Wahrheitstheorien in der Allgemeinphilosophie etwa bei Davidson, Truth and Meaning, in: Sukale (Hrsg.), Moderne Sprachphilosophie, 1976, S. 104 ff., und Tugendhat (Fn. 78), S. 52 ff. Im Anschluß an Tarski erarbeitete Davidson eine Theorie der Bedeutung („Interpretation“) für natürliche Sprachen, indem er in dem Satz „s bedeutet, daß p“ den „unklaren Ausdruck ,bedeutet, daß‘„ durch das Prädikat „T“ (= „ist wahr“) ersetzt (a.a.O. S. 110) und zur Formel kommt: „s ist T dann und nur dann, wenn p“; der notwendigen Relativierung des Wahrheitsbegriffs als Grundlage einer formalen Semantik natürlicher Sprachen trägt die Präzisierung Rechnung: „Der Satz s ist wahr (in der Sprache 1) für den Sprecher u in der Zeit t dann und nur dann, wenn p“ (Davidson, True to the Facts, in: The Journal of Philosophy 66 (1969), S. 748, 756). Tugendhat versucht, die Wahrheitsbedingungen mittels Verwendungs- und Verifikationsregeln zu konkretisieren (vgl. Fn. 109). 96 Z.B. – für strafprozessuale Tatsachenfeststellungen (§ 244 II StPO) – die aus dem (rechtlich verwertbaren) „Inbegriff der Hauptverhandlung“ geschöpfte „Überzeugung“ des Gerichts (§ 261 StPO). 97 Ähnl. Kraft (Fn. 88), S. 326. Vgl. auch Rickert (Fn. 5), S. 55: „Nur Gebilde, die gelten, können wahr sein und daher einen Urteilsinhalt ausmachen“. – Gleiches gilt für Feststellungen, Wahrheit gebe es nur „innerhalb unseres Erkenntnis- und Aussagensystems“ (Strombach, Die Gesetze unseres Denkens, 1970, S. 5) bzw. es existiere in jeder für die Wirklichkeitserkenntnis geeigneten Sprache ein System von in ihr wahren synthetischen-apriorischen Urteilen (Essler [Fn. 10], S. 287). 94

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und trial“.98 Andererseits scheidet reine Intersubjektivität als Wahrheitskriterium – etwa so verstanden, daß (in tatsächlicher oder/und rechtlicher Hinsicht) „ein anderer Richter ebenso entschieden hätte“99 – prinzipiell aus, und zwar sowohl als Regulativ für Überzeugungsrevisionen100 wie auch i.S. einer Konsens- bzw. Diskurs-101, Dialog-102 oder Konvergenztheorie103 der Wahrheit. Denn abgesehen davon, daß solche 98 Diese Konsequenz ziehen – angesichts des „Münchhausen-Trilemmas“ (Albert [Fn. 76], S. 13): entweder praktisch undurchführbarer infiniter Regreß; oder zirkelhafte Begründung mittels selbst schon begründungsbedürftiger Aussagen; oder Abbruch des Begründungsverfahrens an einem bestimmten Punkt – z.B. Popper (Fn. 5), S. 27 ff. u. pass. sowie (Fn. 76), S. 8, 14, 17, 198 ff., und Albert, a.a.O. S. 29, 35, 41 ff., als prominenteste Verfechter jener wissenschaftstheoretischen Richtung. Sie verwirft nicht nur als wissenschafts-analytisch (logisch) unbegründbar, weil empirisch nicht verifizierbar und damit sinnlos, „metaphysische“ Aussagen, sondern auch das Induktionsprinzip für synthetische Sätze, weil die Berechtigung einer derartigen allg. Regel für induktive Schlüsse eine legitime Annahme genereller Hypothesen voraussetze, so daß ein Induktionsprinzip wieder nur durch ein solches höherer Ordnung begründet werden könnte usw. Daraus erhellt, daß allein die Gültigkeit bzw. Verbindlichkeit der Erkenntnismethode darüber entscheidet, ob „unser Wissen … ein kritisches Raten; ein Netz von Hypothesen; ein Gewebe von Vermutungen“ (Popper [Fn. 76], S. XXV) nur sei, oder ob Aussagen darüber als zureichend begründbar mit den Attributen „wahr“ und „falsch“ versehen werden dürfen. 99 C. Schmitt (Fn. 60), S. 71 (wobei „ein anderer Richter“ hier „den empirischen Typus des modernen rechtsgelehrten Juristen“ bedeute). 100 Peirce, Schriften, 2 Bde., hrsg. von K.O. Apel. 1967/70 (vgl. Bd. 2 S. 457: „Wahrheit ist Übereinstimmung einer absoluten Feststellung mit dem idealen Grenzwert, an den unbegrenzte Forschung die wissenschaftliche Überzeugung anzunähern die Tendenz haben würde …“; in gleichem Sinn Bd. 1, S. 127). 101 Vgl. insbes. Habermas (Fn. 78), S. 218, 219 (der Geltungsanspruch einer als wahr bezeichneten Behauptung sei in einem begründeten Konsens diskursiv eingelöst, falls „jeder andere, der in ein Gespräch mit mir eintreten könnte, demselben Gegenstand das gleiche Prädikat zusprechen würde“), S. 239 f. (der begründete Konsens „gilt als Wahrheitskriterium …Wahrheit bedeutet ,warranted asserbility‘“), S. 257 ff. (Rückführung des Konsenses auf die durch formale Eigenschaften des Diskurses, durch Freizügigkeit zwischen den Diskursebenen und durch Verweis auf eine „ideale Sprechsituation“ definierte „Vernünftigkeit“); Luhmann, Systemtheoretische Argumentation, in: Habermas/Luhmann, Theorie der Gesellschaft oder Sozialtechnologie – Was leistet die Systemforschung?, 1971, S. 291 ff., 348 („Wahrheit liegt dann vor, wenn jedermann dasselbe erleben würde, falls er sein Bewußtseinsfeld auf denselben Gegenstand richten würde“); Apel, Die Kommunikationsgemeinschaft als transzendentale Voraussetzung der Sozialwissenschaften, Neue Hefte für Philosophie 1/2, 1972, S. 1 ff.; Korff, Norm und Sittlichkeit, 1973, S. 76 ff.; Kaufmann (Fn. 9), S. 433ff; Lüderssen, Jur. Topik und konsensorientierte Rechtsgeltung, Coing-FS I, 1982, S. 549 ff. Vgl. auch Ryffel, Rechts- und Staatsphilosophie, 1969, S. 289 ff. u. (ihm folgend) Pawlowski (Fn. 17), Rz. 292: „regulative Idee“ des „gemeinsamen Richtigen“. 102 Z.B. Kamlah/Lorenzen (Fn, 4), S. 120 („Da wir bei … Beurteilung der Wahrheit von Aussagen auf das Urteil anderer rekurrieren, die mit uns dieselbe Sprache sprechen, können wir dieses Verfahren interpersonale Verifizierung nennen. Wir stellen auf diesem Wege … Übereinstimmung zwischen dem Sprecher und seinen Gesprächspartnern her, eine Übereinstimmung, die in der Sokratischen Dialogik ,Homologie‘ genannt wurde“); K. Lorenz, Der dialogische Wahrheitsbegriff, Neue Hefte für Philosophie 2/3, 1972, S. 111 ff., 117 – 119; Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns I, 1983, S. 134 ff., 172 ff., 190 ff.; Alexy,

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Prozeduren die Wahrheitskriterien verfehlen können und auch Konsense – spätestens bis zu ihrem Eintritt zu schaffende – Konsensbedingungen voraussetzen, ist (z. T. aus verfassungsrechtlichen Gründen, vgl. Art. 20 III, 97; 101 I 2 GG) die Kompetenz für Rechtsentscheidungen stets bestimmten Organen zugewiesen, die autonom und grundsätzlich verbindlich Rechtsaussagen zu machen haben. Intersubjektivität dieser Aussagen kann deshalb nicht Voraussetzung, sondern allenfalls Folge ihrer „Wahrheit“ sein.104 Gleiches gilt für die Attribution Evidenz105, die regelmäßig als in „unmittelbarer Anschauung“ gegründet gesehen wird.106 b) Zwar sind – wegen ihres imperativistischen, präskriptiven Charakters – nicht normative Sätze als solche, wohl aber, wie aufgezeigt, Aussagen über sie „wahrheitsfähig“.107 Sinnlos wäre diese Behauptung freilich, gäbe es keine Verifikationsmethoden als zureichende Erkenntnisgründe für Urteilswahrheit108 ; erst sie erschließen die

Theorie der jur. Argumentation, 1978, S. 134 ff., 221 ff.; Neumann, Jur. Argumentationslehre, 1986, S. 107 ff.; Bender, Ethische Urteilsbildung, 1988, S. 75 ff. 103 Kaufmann (Fn. 9), S. 441 f. („Konvergenz“ als Ineinssetzung verschiedener, von verschiedenen Subjekten herrührender und untereinander unabhängiger Erkenntnisse von demselben Seienden sei „Kriterium der Wahrheit“); ders. (Fn. 8), S. 9 ff. 104 Etwa i.S. der Definition bei Eisler (Fn. 80), S. 451: „An sich wahr ist jedes Urteil, dessen Geltung … in der ,Natur der Dinge‘ (bzw. in der Gesetzlichkeit des Erkennens) so gegründet ist, daß zu jeder beliebigen Zeit von jedem Denkfähigen das gleiche Urteil gefällt werden muß oder müßte“. 105 Dazu insbes. F. Brentano, Wahrheit und Evidenz, hrsg. von O. Kraus, 1930 (z. B. S. 140: „Die wahre Garantie für die Wahrheit eines Urteils liegt in der Evidenz, die es entweder unmittelbar besitzt oder mittels des Beweises durch die Verbindung mit anderen Urteilen, welche unmittelbar evident sind, erlangt“); ferner Scheler (Fn. 6), S. 198 (Wahrheit sei eine Idee, die sich erfüllt, wenn ein satzartig formulierter Bedeutungsgehalt eines Urteils mit dem Bestand eines Sachverhalts übereinstimmt und diese Übereinstimmung selbst evident gegeben ist); auch Husserl (Fn. 81), Bd. II/2 S. 121, 122 (evidentes Sein als endgültiges, nicht mehr zu übertreffendes Erkenntnisziel). – Zur Kritik der „Evidenz“ vgl. Kraft (Fn. 88), S. 176 f., 206 f.; Stegmüller (Fn. 76), S. 162 ff. 168 f, 320 ff. 106 Wundt (Fn. 13), S. 80; Rickert (Fn. 11), S. 112; Husserl (Fn. 16), S. 7 ff., 12, 21; Jaspers, Von der Wahrheit, 1958, S. 465 („Von zwingender Gewißheit sprechen wir bei der Evidenz unmittelbarer Einsicht in einen Sachverhalt“); Rödig, Die Theorie des gerichtl. Erkenntnisverf., 1973, S. 6 ff., 151 ff.; ebenso Koch/Rüssmann (Fn. 37), S. 45, im Anschluß an v. Kutschera, Logik der Normen, Werte und Entscheidungen, 1973, S. 11 ff.: Unterscheidung zwischen (ge- und verbietenden oder erlaubenden) Normen und (behauptenden, also wahrheitsdefiniten) Normsätzen (Behauptung, etwas sei ge- bzw. verboten oder erlaubt). 107 Zutr. Adomeit, Rechtswissenschaft und Wahrheitsbegriff, JuS 1972, 628, 632. A.M.: Wank (Fn. 61), S. 476. 108 Carnap, Introduction to Semantics, 1942, S. 22 („… einen Satz verstehen, wissen, was er aussagt, ist dasselbe wie zu wissen, unter welchen Bedingungen er wahr wäre“); Wittgenstein (Fn. 83), 4.024 („Einen Satz verstehen heißt, wissen was der Fall ist, wenn er wahr ist“); ders., Schriften III, 1967, S. 244 („Der Sinn eines Satzes ist die Art seiner Verifikation“); Bochenski (Fn. 4), S. 62, 63 („Eine Aussage ist semantisch sinnvoll, wenn man eine Methode aufweisen kann, durch die sie verifizierbar ist“, „d. h., wenn es möglich ist, zu zeigen, daß sie wahr bzw. falsch ist“); Kamlah/Lorenzen (Fn. 4), S. 143; Tugendhat (Fn. 78), S. 258.

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Bedeutung einer Aussage, machen sie verstehbar.109 Die Festlegung der Richtigkeitskriterien selbst dagegen beruht auf rechtspragmatisch wertender Entscheidung; sie ist keine Erkenntnis in Gestalt als „wahr“ beweisbarer Aussagen.110 Für Aussagen im Rahmen des Rechtsfindungsvorgangs findet jene Verifikation statt nur in den Grenzen der Rationalisierbarkeit, d. h. Beweisbarkeit (durch Tatgerichte) und Überprüfbarkeit (durch Revisionsgerichte). „Beweisgegenstand“ ist sowohl das Wahrheitskriterium des judikativen Gleichheitsurteils111 (für Aussagen über normative Verhältnisse) wie auch die „freie Überzeugung“ gem. § 261 StPO (für Aussagen über nach § 244 II StPO festzustellende tatsächliche Umstände).112 Wo im übrigen rechtliches Handelnmüssen die Verifizierbarkeit juristischen Erkennenkönnens übersteigt, bleibt nur der Ausweg einer Kompetenzzuweisung i.S. des Satzes Radbruchs113 : „Vermag niemand festzustellen, was gerecht ist, so muß jemand festsetzen, was rechtens sein soll …“. Diese „Festsetzungen“ sind nicht mehr (inhaltlich) verifizierbar, sondern nur noch (formal) falsifizierbar, wenn ihre Voraussetzungen fehlen, Methodenverstöße vorliegen oder falls ihre Ergebnisse „unvertretbar“, insbesondere „willkürlich“ oder „unverhältnismäßig“ sind.

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Vgl. auch Hartmann (Fn. 22), S. 56 f. („Begreifen und verstehen kann man eben nur aus Bedingtheiten, Gründen, Voraussetzungen heraus“); Tugendhat (Fn. 78), S. 256 („Die mittels eines assertorischen Satzes gemachte Behauptung versteht jemand, wenn er erstens die Wahrheitsbedingungen der Behauptung kennt und wenn er zweitens weiß, daß der Sprecher dafür garantiert, daß diese Bedingungen erfüllt sind“), S. 258 („Wer eine Behauptung versteht, weiß zwar nicht, ob sie wahr ist, aber er weiß, wie … darüber zu entscheiden wäre, ob die behaupteten Wahrheitsbedingungen erfüllt sind oder nicht“). 110 „Daß man ,Erkenntnis‘ so und so definiert, dafür gibt es keinen Beweis der Allgemeingültigkeit. Das ist eine Entscheidung, und diese ist nicht eindeutig determiniert“; sie „kann nur motiviert werden. Man kann nur seine Gründe dafür angeben, warum man seine Definition der Erkenntnis so wählt, warum man die und die Merkmale als wesentlich für Erkenntnis aufstellt. Aber das sind keine theoretischen Gründe der Geltung, sondern praktische, die im Zusammenhang mit anderen Zielen liegen, darin, daß man auf eine gewisse Leistung besonders Wert legt oder gewisse Konsequenzen oder Voraussetzungen vermeiden will“ (Kraft [Fn. 88], S. 31; vgl. auch Bollnow, Das Doppelgesicht der Wahrheit, 1975, S. 10: bei der Wahrheitsfrage gehe es „im Kern um ein ethisches Problem“). 111 Vgl. oben zu II. l. 112 Denn das Revisionsgericht prüft nicht diese selbst, sondern allein die in den schriftlichen Urteilsgründen (§ 267 StPO) niedergelegte „Aussage“ des Tatgerichts über jene Umstände an Hand des durch § 261 StPO geforderten Bestätigungsgrads. Zur Revisibilität der „Tatfrage“ vgl. Verf. (Fn. 17), § 244 Rnr. 22 – 41. 113 Rechtsphilosophie, 6. A. (hrsg. von E. Wolf), 1963, S. 179.

Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse* Thema ist nicht eine rechtsinhaltliche Legitimierung1, sondern die prozeßlogische Struktur der Beweisverbote als „Prozeßhandlungs“-Hindernisse. Aus ihr erhellt, daß – etablierter Dogmatik zuwider – Beweiserhebungsverbote nicht Grund, sondern (selbstverständliche) Folge von Beweisverwertungsverboten sind und daß ihre Fernwirkung nicht faktisch-kausal, sondern nur (prozeß-)rechtlich begründbar ist2.

I. Begriff der „Prozeßhandlung“ Der Ertrag wissenschaftlicher Bemühungen um einen Begriff der „Prozeßhandlung“ ist bemerkenswert gering geblieben; der Streit um ihn ist – ungelöst – „gewissermaßen zum Stillstand gekommen“3. Die Auffassung, der Terminus „Prozeßhandlung“ bezeichne einen für alle Verfahrensarten gültigen einheitlichen „prozessualen Grundbegriff“4, der als solcher durchaus notwendig und fruchtbar sei5, erweist sich bei näherem Zusehen als unhaltbar. Angesichts methodisch verfehlter Ansatzpunkte darf nicht verwundern, daß „beinahe jede Arbeit über Prozeßhandlungen … mit der

* Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Klaus Geppert/Diether Dehnicke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer. Verlag Walter de Gruyter, Berlin/ New York 1990, S. 309 – 329. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 Dazu näher Verf., KMR-Kommentar zur StPO, 8. Aufl. 1990, Rdn. 80 vor § 48 und § 244 Rdn. 483 ff., 512 – 522. 2 Beide – hier näher zu begründenden – Ergebnisse habe ich bereits anderweitig ausgeführt (zuletzt: Rechtsdogmatische Bemerkungen zum Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens, JuS 1988, 873, 875 f. [sub II. l. a)]. 3 Baumgärtel, Neue Tendenzen der Prozeßhandlungslehre, ZZP 87 (1974), S. 121. Vgl. auch Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 130; Gössel, Überlegungen zur Zulässigkeit im Strafverfahren etc., H. Kaufmann-GedS 1986, S. 977, 984. 4 Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 82. Ähnlich Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 90 Fn. 3; Sauer, Allg. Prozeßrechtslehre, 1951, S. 130; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Teil I, 2. Aufl. 1964, Rdn. 94 Fn. 204. Vgl. auch R. Bruns, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1979, Rdn. 99: Prozeßhandlungen als „kleinste Verfahrenseinheiten“. 5 Niese (o. Fn. 4), S. 82; Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 2 ff.; Baumann, Grundbegriffe und Verfahrensprinzipien des Strafprozeßrechts, 3. Aufl. 1979, S. 138 ff., 142; Schlüchter (o. Fn. 3), Rdn. 130. – A.M.: Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 3. Aufl. 1982, § 23 I; Dencker, Willensfehler bei Rechtsmittelverzicht und Rechtsmittelzurücknahme im Strafprozeß, 1972, S. 18 ff.

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Aufstellung eines eigenen Prozeßhandlungs-Begriffs“ beginnt6 und bezweifelt wird, ob es einen einheitlich-konturierten Begriff der „Prozeßhandlung“ überhaupt gebe7. 1. Herkömmliche Definitionsversuche a) Deduktiv aus dem „Wesen“ des Prozesses abgeleitet ist nach der ältesten8, im zivilprozessualen9 Schrifttum10 aber noch immer ganz überwiegend vertretenen Prozeßrechtstheorie der Prozeß ein – öffentlich-rechtliches – Rechtsverhältnis, d. h. die Gesamtheit der prozessualen Rechtsbeziehungen zwischen den Verfahrensbeteiligten11. Antithetisch zu dieser rechtskonstruktiven Methode hat J. Goldschmidt12 in empirisch-phänomenologischer, „moralinfreier“13 Sicht den in der Strafprozeßlehre14 6

Niese (o. Fn. 4), S. 82. Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. X 1; Grunsky (o. Fn. 5), § 23 I. 8 Begründet von Bülow, Die Lehre von den Proceßeinreden und Proceßvoraussetzungen, 1868 (vgl. S. 1: „Verhältnis gegenseitiger Berechtigung und Verpflichtung, d. h. ein Rechtsverhältnis“), und Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältnis, 1888, zurückgehend auf die Scheidung von mat. Recht (subj. Anspruch) und Prozeßrecht (actio) bei Windscheid, Die Actio des röm. Zivilrechts vom Standpunkt des heutigen Rechts, 1856. Zum Ganzen Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses von mat. Recht und Prozeßrecht seit Savigny, 1965. 9 Gleiches gilt für die ältere strafproz. Literatur: Birkmeyer, Dt. Strafprozessrecht, 1898, S. 5 („ein öffentliches, in fortschreitender Entwicklung begriffenes Rechtsverhältnis zwischen Gericht und Parteien …,“); v. Kries, Lehrb. des Dt. Strafprozeßrechts, 1892, § 2 I (S. 4 f.); Ullmann, Lehrb. des Dt. Strafprocessrechts, 1893, S. 10; Bennecke, Lehrb. des Dt. ReichsStrafprozeßrechts, 1895, S. 6; Rosenfeld, Der Reichs-Strafprozeß, 4./5. Aufl. 1912, S. 28 f. – Ähnlich neuerdings Dimitrijevic, Handlungsbegriff und Rechtsverhältnis im Strafverfahren, K. Peters-FS 1974, S. 253, 258 ff.; mit Einschränkungen auch Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1968, S. 116, und Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. 1985, § 16 I. 10 Nikisch, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1952, § 4 II 1; Schönke/Schröder/Niese, Lehrb. des Zivilprozeßrechts, 8. Aufl. 1956, § 2 I; Blomeyer, Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1985, § 11 II; Schönke/Kuchinke, Zivilprozeßrecht, 9. Aufl. 1969, § 4 I, II; Stein/Jonas/Pohle, Kommentar zur ZPO, 19. Aufl. 1972, Einl. E II 1; Stein/Jonas/Schumann, Kommentar zur ZPO, 20. Aufl. 1980 ff., Einl Rdn. 228 m. w. Nachw. in Anm. 1; Rosenberg/Schwab, Zivilprozeßrecht, 14. Aufl. 1986, § 2 I 1; Jauernig, Zivilprozeßrecht, 22. Aufl. 1988, § 32 III; Nakano, Das Prozeßrechtsverhältnis, ZZP 79 (1966),. S. 99, 105 ff. Weitere Nachw. in Fn. 11. 11 Nach heute h. M. in der Zivilprozeßliteratur i.S. eines dreiseitigen Rechtsverhältnisses sowohl zwischen Gericht und Parteien als auch den Parteien untereinander. Vgl. Blomeyer, Pohle, Schumann, Rosenberg/Schwab, alle aaO (Fn. 10); Wach, Handb. des dt. Civilprozeßrechts, 1. Bd. 1885, § 4 V; Zöller/Vollkommer, Zivilprozeßordnung, 15. Aufl. 1987, Einl. II 1. Ebenso Ullmann u. v. Kries, aaO (Fn. 9), sowie Henkel (o. Fn. 9), S. 114 (einschränkend für das Strafverfahren). – A.M. (Rechtsverhältnis nur zwischen Gericht und Parteien): Hellwig, System des dt. Zivilprozeßrechts, Teil 1, 1912, § 138 II; Nakano (o. Fn. 10), S. 110 ff.; ähnlich Peters (o. Fn. 9), § 16 II (zum Strafprozeß). – Wiederum a.M. (Rechtsverhältnis allein zwischen den Parteien): Kohler (o. Fn. 8), S. 6 ff. 12 Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, 1925. 13 Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 292. 14 Niese (o. Fn. 4), S. 57 ff.; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 50 – 56; Foth, Reines Prozeßrecht, Diss. 1953, S. 30 ff.; Henkel (o. Fn. 9), S. 114 f; Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. I 2; ders., Das 7

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nunmehr herrschenden Begriff der Rechtslage15 als „Inbegriff von prozessualen Aussichten, Möglichkeiten, Lasten und Befreiungen von Lasten einer Partei“16 entwickelt und den Prozeß als einen dynamischen17, von Prozeßlage zu Prozeßlage sich fortentwickelnden Vorgang charakterisiert18. Auf dieser Grundlage werden „Prozeßhandlungen“ als Akte definiert, die den Prozeß als „Rechtsverhältnis“ bzw. als „Prozeßlage“ gestalten19. Eine Kritik jener beiden Gegenpositionen muß, was Einzelheiten angeht, Bezug nehmen auf anderweitige Literatur20 und als wesentliches Ergebnis konstatieren, daß derzeit keine von ihnen mehr ihrem jeweiligen methodischen Ansatz gemäß puristisch vertreten wird, sondern daß die „statische“ Theorie des „Prozeßrechtsverhältnisses“ stark modifiziert worden ist durch Anerkennung der unbestreitbaren Dynamik des Prozesses21, und daß umgekehrt auch die „Prozeßlagendoktrin“ heute die Verbindlichkeit rechtlicher Maßstäbe für die Bewertung prozessualer Vorgänge durchweg anerkennt: ein Indiz dafür, daß beide Grundauffassungen sich möglicherweise gar nicht gegenseitig ausschließen, sondern einander ergänzen. Diese Vermutung verdichtet der Befund, daß beide Prozeßauffassungen den Prozeß lediglich in seinen verschiedenen Erscheinungsformen erfassen: als „Prozeßrechtsverhältnis“ ausgehend von einer konstruktiven – als rechtliche Einheit jedoch nicht begründbaren – Zusammenfassung der Vielzahl prozeßrechtlich geregelter Situationen, die den Verfahrensbeteiligten22 entstehen können, als „Prozeßlage“ aber anknüpfend allein unrichtige Sachurteil als Zentralproblem der allg. Prozeßrechtslehre, ZZP 67(1954), S. 21, 23 f. 15 Besser, weil eben „rechtsfrei“ verstanden, wäre die Bezeichnung „prozessuale Lage“ (vgl. Sax [o. Fn. 14], S. 22 Anm. 6) oder „Prozeßlage“. 16 Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 259. 17 Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 227 ff. Vgl. zur Gegenauffassung etwa Rosenberg/Schwab (o. Fn. 10), § 2 I 2: „Der Prozeß als Ganzes ist ein Rechtsverhältnis, die einzelnen Stadien der Prozeßführung sind Rechtslagen“. 18 Vgl. z. B. Niese (o. Fn. 4), S. 24 ff., 57 – 80 u. pass.; Foth (o. Fn. 14), S. 30 ff.; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 50 – 56; Henkel (o. Fn. 9), S. 114 f.; Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. I 1; ders. (o. Fn. 14), S. 22 ff.; Kleinknecht/Meyer, StPO, Kommentar, 39. Aufl. 1989, Einl. 2. 19 In diesem Sinn z. B. Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 363, 498; Niese (o. Fn. 4), S. 85; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 203; Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 18), Einl. 95; BayObLG MDR 1976, 165. – Für das zivilproz. Schrifttum vgl. Arens, Willensmängel bei Parteihandlungen im Zivilprozeß, 1968, S. 38; Rosenberg/Schwab (o. Fn. 10), § 63 V; Zöller/Stephan (o. Fn. 11), Anm. II vor § 128; Thomas/Putzo, ZPO, 15. Aufl. 1987, Einl. III 1; Jauernig (o. Fn. 10), § 30 I. 20 Gegen die Lehre vom „Prozeßrechtsverhältnis“ vgl. die in Fn. 12 und 19 angeführte Literatur. Zur Kritik der „Rechtslagentheorie“ s. die Nachw. in Fn. 10 sowie Konzen, Rechtsverhältnisse zwischen Prozeßparteien, 1976, S. 113 ff., 121 ff. 21 Worauf schon Bülow (o. Fn. 8), 2 f. (Prozeß als „stufenweise vorwärtsschreitendes, sich von Schritt zu Schritt entwickelndes Rechtsverhältnis“) hingewiesen hatte. Vgl. auch Glaser, Handb. des Strafprozesses, Bd. I, 1883, S. 3 (Prozeß als „Vorgang“), und Beling, Dt. Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 102 („der Prozeß ist Tätigkeit, kein ,Verhältnis‘“). 22 Dazu unten Fn. 30 – 32.

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an das seinsmäßige Prozeßgeschehen. Daraus sind jedoch keine zureichenden inhaltlichen Merkmale für einen Begriff der „Prozeßhandlung“ ableitbar. Dies zeigen schon die völlig kontroversen Ergebnisse, zu denen jene beiden Ansätze – bemerkenswerterweise querbeet und nicht getrennt nach den Grundauffassungen – geführt haben. Strittig ist z. B., ob Prozeßhandlungen „das prozessuale Geschehen unmittelbar beeinflussen“ müssen23 oder ob mittelbare Einwirkungen genügen24, ob unter Prozeßhandlungen nur willensgemäße Auslösungen prozessualer Wirkungen25 fallen oder alle verfahrenserheblichen Verhaltensweisen26, insbesondere auch Realakte27 und beweisrelevante Wissensbekundungen (Aussagen)28, ob es Prozeßhandlungen durch Unterlassen gebe29 und ob als Prozeßhandlungssubjekte nur Prozeßbeteiligte im engeren Sinn30 in Betracht kommen31 oder auch Dritte32. Der entscheidende Einwand freilich richtet sich gegen die Methodik jener Begriffsbildung. Rechtsbe23 Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. X 1. Vgl. auch RGZ 160, 241, 242; Siegert, Prozeßhandlungen, ihr Widerruf und ihre Nachholung, 1929, S. 4, 23, 24; Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 78; Baur, Richtermacht und Formalismus im Verfahrensrecht, in: Summum ius summa iniuria, 1963, S. 97, 114; Henkel (o. Fn. 9), S. 30. 24 RGZ 77, 324, 329; Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, 2. Aufl. 1929, S. 167, 168 Fn. 3; Stein/Jonas/Pohle (o. Fn. 10), Anm. XI 1 c Fn. 134 vor § 128; Rosenberg/Schwab (o. Fn. 10), § 63 IV. 25 Peters (o. Fn. 9), § 32 II 2; Roxin, Strafverfahrensrecht, 21. Aufl. 1989, § 22 A I („wie z. B. Strafantrag, Anklage, Haftbefehl, Anordnung der Hauptverhandlung, Urteil, Rechtsmitteleinlegung“). 26 H.M.; vgl. etwa Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 457 ff., 512; Baumann (o. Fn. 5), S. 140; Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 18), Einl. Rdn. 95; Peters (o. Fn. 9), § 32 II 2, 9 (beschränkend auf „die proz. Rechtssphäre berührende Akte“); Dencker (o. Fn. 5), S. 21 Fn. 51; w. Nachw. in Fn. 27. 27 Z.B. Öffnen der Saaltüren als Herstellung der Öffentlichkeit (Beling [o. Fn. 21], S. 163; – a.M.: Peters [o. Fn. 9], § 32 II 2), Aktenvorlage (BGHSt. 26, 384; zu § 69 OWiG vgl. BayObLG MDR 1976, 165), Befragungen und Vernehmungen (Beling, aaO); Eb. Schmidt [o. Fn. 4], Rdn. 219; Henkel [o. Fn. 9], S. 237 Anm. 9; Peters [o. Fn. 9], § 32 II 9), Belehrungen und Benachrichtigungen durch den Vorsitzenden (Eb. Schmidt [o. Fn. 4], Rdn. 225 m. weit. Beisp.). 28 Allg. bejahend: Beling (o. Fn. 21), S. 163, Henkel (o. Fn. 9), S. 236, und Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. X 1 (je m. Hinw. auf unmittelbare Beeinflussung richterl. Überzeugungsbildung); Sauer (o. Fn. 4), S. 40; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 202 Anm. 358. – Generell verneinend: Peters (o. Fn. 9), § 32 II 8; Roxin (o. Fn. 25), § 22 A I, Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 18), Einl. Rdn. 95; Zipf, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. 1977, S. 92. 29 H.M.; vgl. Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 28 (dort m. w. Nachw. in Anm. 147); Jauernig (o. Fn. 10), § 30 IV. – A.M.: Siegert (o. Fn. 23), S. 21; Sax (o. Fn. 14), S. 23 Anm. 9. 30 Dazu gehören nach h.M. nur Richter, Ankläger (Staatsanwalt, Privat- und Nebenkläger), Beschuldigte (einschließlich Nebenbeteiligte gem. §§ 431, 442 II, 444 StPO) und Verteidiger, grundsätzlich aber nicht Zeugen und Sachverständige (BVerfG NJW 1975, 103, 104; Eb. Schmidt [o. Fn. 4], Rdn. 76; Peters [o. Fn. 9], § 16 IV 1). 31 RGZ 77, 324, 329; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 222; Schlüchter (o. Fn. 3), Rdn. 164. 32 Etwa Anzeigeerstatter, Strafantragsteller (vgl. Peters [o. Fn. 9], § 16 IV 1; Sax, KMR [o. Fn. 1], Einl. X 1) oder Beweispersonen (Beling [o. Fn. 21], S. 163; Kleinknecht/Meyer [o. Fn. 18], Einl. Rdn. 95; Rüping, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, S. 15).

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griffe sind weder „sachlogisch“ noch aus einer „Natur der Sache“ begründbar: es ist fehlerhaft, den Begriff der „Prozeßhandlung“ als vorgegeben in den Raum zu stellen und – in der Denkweise empirischer Wissenschaften – erst dann (kreisschlußverdächtig) zu untersuchen, was er bedeute, insbesondere dabei dem Gesichtspunkt der „Handlung“ zentrale Bedeutung beizumessen33, gar den Prozeßhandlungsbegriff praeter legem aus dem allgemeinen Handlungsbegriff abzuleiten34. Vielmehr ist rechtsinhaltlich zu beantworten, ob die Bildung eines Begriffs der „Prozeßhandlung“ überhaupt sinnvoll ist und ggf. welche Merkmale ihn prägen. b) Ein zweiter Versuch geht dahin, das für eine „Prozeßhandlung“ sinngebende Begriffsmerkmal teleologisch-funktional von dem mit ihr verfolgten Zweck bzw. erstrebten Ziel her zu bestimmen und diese in der Gewinnung eines Urteils35, teils sogar eines das materielle Recht verwirklichenden Sachurteils36, zu sehen. Auch diese Maßstäbe erweisen sich als untauglich: aa) Bereits empirisch-statistisch enden keineswegs alle Strafverfahren mit einem Urteil. Die weitaus meisten werden (prozeßförmig) auf andere Weise erledigt, etwa nach dem Opportunitätsprinzip (§§ 153 ff., 383 II StPO, 47 OWiG) oder durch Entscheidungen nach §§ 170 II, 204 StPO. Beschränkt man in Erkenntnis dessen die Funktion von „Prozeßhandlungen“ auf die „Fortentwicklung“37 oder „Gestaltung“38 des Verfahrens, ist der darin liegende Kreisschluß evident: den Prozeß gestaltende Akte seien Prozeßhandlungen, wenn sie den Prozeß gestalten (können und dazu bestimmt sind). Auch rechtlich ist das (Sach-)Urteil weder innerprozessuales noch ideales („metaphysisches“) Ziel des Strafverfahrens. Denn gegen die h. M., Verfahrensrecht bezwecke die „Verwirklichung des materiellen Rechts“39 durch „Bestrafung Schuldiger 33

Vgl. z. B. Stein/Jonas/Pohle (o. Fn. 10), Anm. X 2 vor § 128; Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 22 ff. 34 So aber Siegert (o. Fn. 23), S. 18, 24; Roeder, Die; Begriffsmerkmale des Urteils im Strafverfahren, ZStW 79 (1967), S. 250, 259 f. 35 RGZ 56, 331, 334; Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 124, 288, 289 Anm. 1494; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 202 (Prozeßhandlungen seien Handlungen der Prozeßbeteiligten, „die die dynamische Entwicklung des Prozesses von einer Lage zur anderen mit dem Ziel auf Verwirklichung und Gewinnung eines Urteils bewirken und die durch ihre Urteilsbezogenheit zu einer Sinneinheit zusammengeschlossen werden“). 36 Niese (o. Fn. 4), S. 126; Sax (o. Fn. 14), S. 23, 40; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 230, 235; Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 87 f., 93; Henckel, Prozeßrecht und materielles Recht, 1970, S. 33. 37 Siegert (o. Fn. 23), S. 60. 38 RGZ 77, 324, 329; BayObLG MDR 1976, 165; Sauer (o. Fn. 4), § 9 II 2; ders. (o. Fn. 24), S. 168 f.; Stein/Jonas/Pohle (o. Fn. 10), Anm. XI 1 c vor § 128; Zöller/Stephan (o. Fn. 11), Anm. B II 1 vor § 128; Jauernig (o. Fn. 10), § 30 IV; w. Nachw. bei Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 58 Anm. 378. 39 v. Grolman, Grundsätze der Criminalrechts-Wissenschaft, 4. Aufl. 1825, § 422; Abegg, Lehrb. des gemeinen Criminal-Prozesses, 1833, S. 3; Mittermaier, Die Lehre vom Beweise im deutschen Strafprozesse, 1834, S. 1; Köstlin, Der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens im 19. Jahrhundert, 1848, S. 18; Zachariae, Handb. des deutschen Strafprozesses, Bd. I, 1.

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und Schutz Unschuldiger“40 in einem auf materieller „Wahrheit, und Gerechtigkeit“41 gründenden Urteil, ist einzuwenden: Daß „materielles Recht verwirklicht“ werde, ist zunächst kein prozeßrechtliches Gebot, sondern ein solches der – als hypothetische Imperative strukturierten – Strafnormen: „Wer einen Straftatbestand verwirklicht, soll bestraft werden“. Derart präventive Rechtsgüterschutzfunktion hat zwar auch das Prozeßrecht (gesetzgeberische „Primärwertung“42); denn „Strafrecht ohne Strafprozeß ist ein Messergriff ohne Klinge und Strafprozeß ohne Strafrecht eine Klinge ohne Messergriff“43. Jedoch verschafft angesichts des Opportunitätsprinzip der Legalitätsgrundsatz (§ 152 II StPO) den materiell-rechtlichen Imperativen nur beschränkt Geltung im prozessualen Raum, und selbst im Rahmen des Legalitätsprinzips ist eine materiell-rechtliche Sachentscheidung vielfach eingeschränkt oder sogar gehindert z. B. durch Beweisverbote, Prozeßhindernisse, das Verbot der reformatio in peius (§§ 331 I, 358 II, 373 II StPO) oder die nur begrenzte Anfechtbarkeit des Urteils mit der Revision (§§ 337 StPO): Wahrheitserforschung (§§ 160 I, 244 II StPO) „nicht um jeden Preis“44, sondern nur unter bestimmten, weiteren schutzwürdigen Interessen45 Rechnung tragenden „justizförmigen“ Voraussetzungen (legislatorische „Sekundärwertung“42). bb) Das Ziel des Strafverfahrens ist vielmehr prozeßspezifisch, vom materiellen Recht also unabhängig, zu formulieren: In formeller (innerprozessualer) Hinsicht

Abt., 1861, S. 38; Geyer, Lehrb. des gemeinen deutschen Strafproceßrechts, 1880, S. 3; Glaser (o. Fn. 21), S. 276 f.; v. Kries (o. Fn. 9), S. 1; Vargha, Das Strafprozessrecht, 2. Aufl. 1907, S. 35; Beling (o. Fn. 21), S. 25; R. v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, 1941, S. 3; Sauer (o. Fn. 24), S. 615; Radbruch, Rechtsphilosophie, 6. Aufl. (hrsg. von E. Wolf) 1963, S. 281; Niese (o. Fn. 4), S. 31; Sax (o. Fn. 14), S. 43; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 20, 24; Henkel (o. Fn. 9), S. 17, 84; Pfeiffer, Karlsruher Kommentar zur StPO (KK), 2. Aufl. 1987, Einl. Rdn. 1; BVerfG NJW 1966, 243, 1259 u. 1703; 1972, 2216 u. ständ. Rspr. – Im Zivilprozeß: RGZ – GrS – 158, 55; BGHZ 10, 350, 359; Gaul, Zur Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses, AcP 168 (1968), S. 27, 53, 59; Stein/Jonas/Pohle (o. Fn. 10), Einl. C I; Rosenberg/Schwab (o. Fn. 10), § 1 III 1. 40 Kleinschrod, Grundzüge der Theorie von Beweisen in peinlichen Sachen, ACrR IV (1802), 3. Stück, S. 44 ff.; 96; Geyer (o. Fn. 39), S. 3; Wach, Das Recht der Zeugnisverweigerung, GS 66 (1905), S. 1, 3; Beling (o. Fn. 21), S. 27; Kohlrausch, Strafprozeßordnung und GVG, 24. Aufl. 1936, S. 7; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 21; Henkel (o. Fn. 9), S. 88. 41 Hinweis auf das Wahrheitspostulat z. B. bei RGSt. 72, 156; Abegg (o. Fn. 39), S. 40; Geyer (o. Fn. 39), S. 4; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 20, 329; Jescheck, Der Strafprozeß – Aktuelles und Zeitloses, JZ 1970, 201, 204; Krause, Grenzen richterlicher Beweiswürdigung im Strafprozeß, K. Peters-FS 1974, S. 323, 328. 42 Verf., KMR (o. Fn. 1), § 244 Rdn. 5. 43 Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899, Vorwort S. VII. Vgl. auch Mittermaier (o. Fn. 39), S. 1: „Nur in der Gewissheit, dass Niemand darauf rechnen darf, dem Arme der strafenden Gerechtigkeit und den verwirkten Strafen seines Unrechts sich entziehen zu können, liegt das sicherste Mittel, welches den zum Verbrechen Entschlossenen von der Begehung der Verbrechen abhalten kann und die Sicherheit der bürgerlichen Gesellschaft garantiert“. 44 BGHSt. 14, 358, 365; 31, 304, 309. 45 Vgl. unten zu II. 3. b).

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ist es die „justizförmige“ Entscheidung (= wahre, d. h. rechtsrichtige „Aussage“46) der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts über den „Prozeßgegenstand“, also darüber, ob die Prozeßvoraussetzungen bestehen (§§ 170; 203, 204; 205; 206 a; 260 III StPO) und ggf. der Beschuldigte eine Straftat wahrscheinlich (§§ 170; 203, 204 StPO) bzw. überzeugungssicher (§§ 260 I, 261 StPO) begangen hat oder (möglicherweise) nicht und welches bei bewiesener Tat die materiell (§§ 38 – 76 a StGB) oder formell (z. B. §§ 153 ff., 383 II StPO) im Einzelfall rechtsrichtige, „angemessene“ (strafrechtliche) Folge dieser Tat sei47. – In staatsrechtlicher Beziehung ist Verfahrensziel – bei gegebenen Prozeßvoraussetzungen – die „justizförmige“ Entscheidung der Staatsanwaltschaft bzw. des Gerichts, ob die Unschuldsvermutung widerlegbar (§§ 170; 203, 204 StPO) bzw. widerlegt (§§ 260 I, 261 StPO) sei48. Das ist der Fall nur dann, wenn alle tatsächlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit gerichtlichen Prozeßhandelns überhaupt und für die Anwendung materiell-rechtlicher Strafvorschriften prozeßförmig rechtsrichtig festgestellt sind (prozessualer Wahrheitsbegriff49), und zwar unabhängig davon, ob diese Feststellungen der Realität entsprechen (ontologische Wahrheit) oder nicht: rechtlicher Maßstab für ein „Fehlurteil“, ein „unrichtiges Sachurteil“, sind nicht die Wirklichkeit (das Sein, eine außerprozessuale „materielle“ Rechtslage) bzw. die hypothetischen Imperative des materiellen Rechts, sondern die kategorischen Imperative50 des Verfahrensrechts. Prozeßziel kann also nur die Rechtsstaatlichkeit („Justizförmigkeit“) der Durchführung des Verfahrens und die Rechtsrichtigkeit (in den Grenzen der „Vertretbarkeit“) seines abschließenden Ergebnisses sein. c) Die verbreitete Formel schließlich, Prozeßhandlungen charakterisiere, daß sie „nach Voraussetzungen und Wirkungen vom Prozeßrecht geregelt“ seien51, beruht auf einem Kreisschluß: Prozeßhandlungen seien nach Prozeßrecht zu beurteilende Handlungen mit der Folge, daß für sie Prozeßrecht gelte. Zudem läßt sie offen, welcher Art die „Wirkungen“ sein müssen. Verlangt man „typische“ (prozessuale) Wirkungen52, etwa unmittelbare Beeinflussung des prozessualen Geschehens53, blieben 46

Näher Verf., KMR (o. Fn. 1), Rdn. 4 vor § 33 und § 244 Rdn. 4. Vgl. die tendenziell ähnlichen Auffassungen, Prozeßziel sei die Entscheidung über die Anklage, die Klagebehauptung, den geltend gemachten Strafanspruch (z. B. RGSt. 4, 355, 357; Bennecke [o. Fn. 9], S. 129; Birkmeyer [o. Fn. 9], S. 63; Vargha [o. Fn. 39], S. 1; Rosenfeld, Dt. Strafprozeßrecht, Bd. I, 1926, S. 18, 26; Baumann [o. Fn. 5], S. 13, 15) oder die „Verdachtsklärung“ (Krauß, Der Grundsatz der Unschuldsvermutung im Strafverfahren, in: Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, 1971, S. 153, 171). 48 Näher Verf., KMR (o. Fn. 1), § 244 Rdn. 303 – 310. 49 Verf. (o. Fn. 2), S. 874 (sub I 1 a). 50 Radbruch (o. Fn. 39), S. 281. 51 Siegert (o. Fn. 23), S. 4, 22, 24; Niese (o. Fn. 4), S. 83, 85; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 203; Peters (o. Fn. 9), § 32 I; Gössel (o. Fn. 3), S. 978; ders., Strafverfahrensrecht, 1977, § 193 I; Bruns (o. Fn. 4), Rdn. 100 b; Thomas/Putzo (o. Fn. 19), Einl. III 1; Jauernig (o. Fn. 10), § 30 IV; ähnl. BGHZ 49, 384, 386. 52 So Baumgärtel (o. Fn. 3), S. 87 f. (typische Wirkung einer Prozeßhandlung sei „die Gestaltung der Prozeßentwicklung und die Einwirkung auf das Urteil“). Vgl. auch Lent, Zi47

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„atypische“ prozessuale Folgen begründungslos ausgespart und es würde übersehen, daß schon methodisch eine nur typologische Argumentation der rechtlichen Begriffsbildung nicht genügt. Daß jene Formel indessen einen richtigen Kern aufweist, wird nunmehr die Lösung, wie „Prozeßhandlungen“ prozeßdogmatisch einzuordnen sind, zeigen. 2. „Prozeßhandlungen“ als Konkretisierungen von Prozeßrechtsnormen a) Lösungsansatz: Da es einen außerrechtlichen Begriff der „Prozeßhandlung“ nicht gibt, müssen die ihn konstituierenden Merkmale rechtsinhaltlicher Natur sein. Daraus folgt negativ, daß das Kriterium der „Handlung“, weil rechtlich nicht vorgegeben, ohne entscheidende Bedeutung ist, und positiv, daß an die prozessualen Normen des (einfachen) Verfahrensrechts und des Verfassungsrechts anzuknüpfen ist, die überhaupt erst die spezifischen Förmlichkeiten bestimmen, in bzw. unter denen die Überprüfung, ob die Unschuldsvermutung widerlegbar sei, stattfinden darf54. Prozessuales Handeln ist daher nichts anderes als nur eine von mehreren Möglichkeiten der Konkretisierung solcher prozessualer Normen; ein nur zeitlicher und räumlicher Zusammenhang eines Aktes oder Vorgangs mit einem Strafverfahren genügt deshalb nicht. b) Folgerungen: Zu den „Prozeßhandlungen“ gehören auch Realakte, soweit sie in Konkretisierung prozessualer Normen erfolgen, wie z. B. das Öffnen der Türen des Sitzungssaals als Herstellung der Öffentlichkeit der Hauptverhandlung (§ 169 GVG), Platzzuweisung in der Hauptverhandlung zur Gewährleistung hinreichender Verteidigungsmöglichkeiten55, gesetzlich vorgeschriebene Aktenvorlagen56, Benachrichtigungen (z. B. §§ 168c V, 224 StPO), Unterrichtungen (z. B. §§ 231 a II, 231 b II, 247 S. 4 StPO) und sonstige Hinweise (z. B. § 265 StPO), Belehrungen (z. B. §§ 33 a; 136 I 2, 243 IV 1; 52 III, 55 II; 63 StPO), Entgegennahme von Aussagen (als Teil von Vernehmungen bzw. der Gewährung rechtlichen Gehörs) sowie überhaupt alle Anordnungen der Sachleitung i.S. des § 238 II StPO, Erscheinen des Angeklagten in der Hauptverhandlung (§ 230 StPO), Erscheinen einer Beweisperson sowie Erstattung der Aussage57 und Eidesleistung58. – Prozeßrechtlich falsch gestellt ist die Frage, ob Prozeßhandlungen auch durch Unterlassen möglich seien59 ; entvilprozeßrecht, 6. Aufl. 1955, § 29 IV: Zu ihrer Unterscheidung von „Nebenwirkungen“ sei zu fragen, „welche Wirkung die primäre, charakteristische, nicht wegzudenkende und welche nur aus der anderen abgeleitet, sekundär, begrifflich entbehrlich ist“. 53 Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. I 1. 54 Vgl. unten zu II. 3. 55 Verf., KMR (o. Fn. 1), Rdn. 42 vor § 226 m. Nachw. 56 Vgl. o. Fn. 27. 57 Dazu die Nachweise o. Fn. 28. 58 Im Rahmen ihrer allg. Zeugen- bzw. Sachverständigenpflichten (§§ 161 a I 1; 48, 51, 70; 77; 59, 79 StPO). 59 Vgl. die Nachweise o. Fn. 29.

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scheidend ist allein, ob durch die Unterlassung eine Verfahrensnorm prozeßordnungsgemäß konkretisiert worden ist60 oder nicht61. – Gleichgültig ist, ob die Normkonkretisierung unmittelbar oder nur mittelbar auf das Verfahren einwirkt und ob überhaupt sie eine solche „Wirkung“ hat. Allenfalls didaktischen Wert62 hat daher die gängige Unterscheidung63 zwischen „Erwirkungs-“ und „Bewirkungshandlungen“. – Ob ein Prozeßbeteiligter (i. e. Sinn) oder ein Dritter64 eine Prozeßnorm konkretisiert, ist gleichfalls ohne Belang. Im übrigen entzöge bzgl. Dritter sich vernünftiger Einsicht, weshalb die Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts (§§ 52 ff. StPO), ein Antrag nach § 238 II StPO (etwa bei Fragen i.S. der §§ 68 S. 2, 68 a StPO) durch einen Zeugen oder die Beschwerdeeinlegung gem. § 181 GVG durch einen mit einem Ordnungsmittel nach § 178 GVG in der Hauptverhandlung belegten Zuhörer keine „Prozeßhandlungen“ sein sollten. – Prozeßnormen werden prinzipiell „angewandt“ auch dann, wenn dies nicht willentlich65, sondern nur zufällig geschieht oder auf einen Willensmangel zurückgeht66. – Prozeßhandlung ist insbesondere auch jede (prozedurale) Beweiserhebung (im Streng- und Freibeweis) gem. §§ 160, 244 II StPO und (rational-wertende) Beweisverwertung durch Begründung (§§ 34, 268 II, 267 StPO) von Tatverdacht (§§ 152 II, 160 I, 170 I; 203, 207; 112 I etc. StPO) und Überzeugung (§ 261 StPO) als Grundlage prozessualer Entscheidungen i. e. Sinn, von der Einleitung des Ermittlungsverfahrens bis hin zum Urteil.

II. Bewertung von „Prozeßhandlungen“ 1. Differenzierung zwischen materiell- und prozeßrechtlichen Wertungen Zweifelsfrei richtig angesichts der verschiedenen Ziele (= Zwecke, Werte), die materielles Recht und Verfahrensrecht verfolgen, ist es, wenn demgemäß seit 60

Etwa Unterlassen unzulässiger Fragen (§§ 68 a, 241 II StPO) oder Beweiserhebungen (vgl. § 244 III 1 StPO). 61 Im Sinn einer Gesetzesverletzung durch Nichtanwendung einer Rechtsnorm (vgl. § 337 II StPO). 62 Krit. auch Sauer (o. Fn. 4), S. 141; ders. (o. Fn. 24), S. 175; Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. X 3; ders. (o. Fn. 14), S. 24 Anm. 11. 63 Im Anschluß an Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 364, 456, 509, teilt die h.M. – vgl. z. B. Niese (o. Fn. 4), S. 89 ff.; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 213 – 226; Henkel (o. Fn. 9), S. 236; Peters (o. Fn. 9), § 32 II 6; Baumann (o. Fn. 5), S. 140; Schlüchter (o. Fn. 3), Rdn. 135; Gössel (o. Fn. 51), S. 160; Roxin (o. Fn. 25), § 22 A II – die Prozeßhandlungen ein in Erwirkungshandlungen (= auf Herstellung einer anderen Prozeßhandlung, zumeist einer richterl. Entscheidung i. e. Sinn, gerichtet, insbes. Anträge) und Bewirkungshandlungen (= alle anderen Akte, die unmittelbar aus sich selbst heraus den Prozeß gestalten). 64 Vgl. o. Fn. 30 – 32. 65 Zutr. Dencker (o. Fn. 5), S. 21 Anm. 51. 66 Zur prinzipiellen Unanfechtbarkeit und Unwiderruflichkeit prozessualer Erklärungen (dazu auch u. Fn. 111) vgl. Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. X 24 – 36.

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J. Goldschmidt67 und W. Sauer68 die Prozeßrechtsdogmatik unterscheidet zwischen spezifischen Wertkategorien des materiellen Rechts („rechtmäßig – rechtswidrig“) und des Prozeßrechts („beachtlich – unbeachtlich“; „gültig – ungültig“; „wirksam – unwirksam“; „zulässig – unzulässig“; „begründet – unbegründet“), die, grundsätzlich voneinander unabhängig, als Maßstäbe rechtlicher Bewertung faktischer Vorgänge (funktional) jeweils nur innerhalb „ihres“ jeweiligen (materiellen bzw. prozessualen) „Raumes“ gelten. Dabei werden die prozessualen Begriffspaare „gültig – ungültig“ und „wirksam – unwirksam“69 meist zusammengefaßt unter den Kategorien „beachtlich – unbeachtlich“70; die Werturteile „zulässig“ (= formell gestattet) und „begründet“ (= inhaltlich gerechtfertigt) werden den – „beachtlichen“71 – „Erwirkungshandlungen“ zugewiesen72, während für „Bewirkungshandlungen“ es prinzipiell nur darum gehe, ob sie „beachtlich“ seien oder nicht73. Ob die in notwendiger Bewertungsverschiedenheit gründende Selbstverständlichkeit, daß auch ein und dasselbe Geschehen, je nach seinem konkreten Funktionszusammenhang, einmal nur materiellrechtlich, das andere Mal ausschließlich prozeßrechtlich zu beurteilen ist, es rechtfertigt, solche Vorgänge in eine Kategorie der „doppelfunktionellen“ Prozeßhandlungen74 einzubinden, darf dahinstehen75. 67

Goldschmidt (o. Fn. 12), S. 367 ff. Sauer (o. Fn. 4), S. 518 ff.; ders. (o. Fn. 24), S. 105 ff., 227 ff.; ders., Jur. Methodenlehre, 1949, S. 518 ff. 69 Diese auf Sauer (o. Fn. 68, aaO) zurückgehende Unterscheidung wurde übernommen z. B. von Baumann (o. Fn. 5), Kap. 4 I 4 a, und Peters (o. Fn. 9), § 33 II. 70 H.M.; vgl. z. B. Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 235, 238, 241. „Unbeachtlich“ ist eine „Prozeßhandlung, die keinerlei Wirksamkeit (Gültigkeit) besitzt, daher im Fortgang des Verfahrens als nicht vorhanden angesehen werden muß“ (Henkel [o. Fn. 9], S. 240). 71 Teilweise wird angenommen (dazu auch Gössel [o. Fn. 3], S. 983), diese Kategorie gelte für „Erwirkungshandlungen“ (o. Fn. 63) nicht (Goldschmidt [o. Fn. 12], S. 370 f.; Niese [o. Fn. 4], S. 94 f.; Foth [o. Fn. 14], S. 54 ff.; Eb. Schmidt [o. Fn. 4], Rdn. 235 m. Anm. 435). 72 Foth (o. Fn. 14), S. 57 f; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 235; Henkel (o. Fn. 9), S. 240 f.; Peters (o. Fn. 9), § 33 II 3, 4; Gössel (o. Fn. 3), S. 978; ähnl. Beling (o. Fn. 21), S. 168, 169. 73 Foth (o. Fn. 14), S. 64 f.; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 241; Henkel (o. Fn. 9), S. 239 f. 74 Niese (o. Fn. 4), S. 46 ff., 135 ff.; ders., Narcoanalyse als doppelfunktionelle Prozeßhandlung, ZStW 63 (1951), S. 199, 215 ff.; Foth (o. Fn. 14), S. 30 ff.; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 35 – 37, 65 – 67; Henkel (o. Fn. 9), S. 238. Vgl. auch Peters (o. Fn. 9), § 32 II 10: „doppelwirksam“. – In Betracht kommen insbes. proz. Zwangsmaßnahmen zur Sicherstellung einer Person oder von Beweismitteln für die Untersuchung, die regelm. zugleich Eingriffe in materiell-rechtliche, oft sogar grundrechtlich geschützte Rechtsgüter darstellen – z.B. §§ 112 ff. StPO (Art. 2 II GG, § 239 StGB), §§ 81 a, 81 c StPO (Art. 2 II GG, § 223 StGB), §§ 94 ff. StPO (Art. 14 GG, §§ 242, 249 StGB), §§ 102 ff. StPO (Art. 13 GG, § 123 StGB), §§ 100 a, 100 b StPO (Art. 10 GG, § 201 StGB) –, deren Prozeßordnungsmäßigkeit aber jeweils zugleich materiell-rechtlicher Rechtfertigungsgrund ist. Dogmatische Problemfälle sind erst diejenigen mit „pathologischer Doppelfunktion“ (Niese [o. Fn. 4], S. 56), d. h. nur materiell rechtswidrige Handlungen, vor allem Straftaten – z. B. strafbare Pflichtverletzungen (i.S. des § 359 Nr. 3 StPO) durch ein Justizorgan (etwa nach §§ 336, 331, 332 StGB) oder einen Dritten (z. B. strafbare Geheimnisoffenbarung i.S. des § 203 StGB im Rahmen verfahrensrechtlich zulässiger Aussagen gem. §§ 53 I, 53 a StPO) –, die nicht auch prozessuales Recht verletzen. 68

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2. Notwendige Einheitlichkeit der prozessualen Wertung a) Unrichtig indessen ist die allgemeine Auffassung, die verschiedenen prozessualen Wertungen – „(un)beachtlich“, „(un)gültig“, „(unwirksam“, „(un)zulässig“, „(un)begründet“ – seien von unterschiedlicher Qualität. In Wirklichkeit bedeuten sie, prozessual richtig verstanden, alle das gleiche: wie nur eine materiellrechtliche Rechtmäßigkeit (Rechtswidrigkeit), so gibt es auch verfahrensrechtlich nur eine Prozeßordnungsmäßigkeit (Prozeßordnungswidrigkeit), nämlich die rechtsfehlerfreie (bzw. rechtsfehlerhafte i.S. des §337 II StPO) Konkretisierung prozessualer Kann-, Soll- oder Muß-Vorschriften76, wonach bestimmte Handlungen verfahrensrechtlich erlaubt (= „zugelassen“) bzw. sogar geboten oder verboten, der Prozeßordnung also gemäß sind oder nicht77. Prozeßhandlungen sind also stets bereits für sich (prozeß-)gesetzmäßig (= „beachtlich“, „wirksam“, „gültig“, „zulässig“, „begründet“) oder (prozeß-)gesetzwidrig (= „unbeachtlich“, „unwirksam“, „ungültig“, „unzulässig“, „unbegründet“). Daß dies in bestimmten Fällen ausdrücklicher Feststel-

75 Krit. z. B. Sendler, Die Verwertung rechtswidrig erlangter Beweismittel im Strafprozeß usw., Diss. 1956, S. 69; Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. X 4; Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, 1977, S. 23 f. 76 So i.E. auch Beling (o. Fn. 21), S. 82, 168. Für ihn ist „grundlegend“ nur die Unterscheidung zwischen „Zulässigkeit“ und „Wirksamkeit“ (S. 168). Aber auch diese Einschränkung ist nicht sachgerecht. Belings Hinweise (aaO S. 169 Anm. 1, 203) auf die Verletzung von „Sollvorschriften“ (dazu Verf., KMR [o. Fn. 1], § 337 Rdn. 17 – 18 und NStZ 1986, 521, 522 sub III 1 a) und auf Untersuchungshandlungen eines örtlich unzuständigen Gerichts (§ 20 StPO) als Beispiele „unzulässiger“, aber „wirksamer“ Prozeßhandlungen lassen unberücksichtigt, daß hier allein auf Grund besonderer Zusatzerwägungen (Verfahrenspraktikabilität bzw. Prozeßökonomie) des Gesetzgebers jedenfalls an sich fehlerhafte Handlungen prozessual ohne Sanktion bleiben und ihre Ergebnisse als prozeßordnungsgemäß gelten sollen [vgl. unten zu II. 2. b)]. 77 Verdeutlicht am Beispiel des Beweisantrags: Er ist das – als typische „Erwirkungshandlung“ (o. Fn. 63) verstandene – „beachtliche“, „wirksame“, „erlaubte“, „zugelassene“, rechtlich „begründete“ Begehren eines dazu Legitimierten, das Gericht möge zur Wahrheitserforschung (§ 244 II StPO) über bestimmt bezeichnete Tatsachen durch Gebrauch bestimmt bezeichneter Beweismittel Beweis erheben; es ist nach §§ 337, 353 I StPO prozessual durchsetzbar, damit verfahrensrechtlich geschützt. Prozeßordnungswidrig wäre es und seine Ablehnung bliebe prozessual sanktionslos, würde den Antrag ein dazu nicht Befugter einbringen oder griffe ein Ablehnungsgrund (§§ 244 III–V, 245 II 2, 3 StPO) ein. Die übliche Wertung, der (zulässige) Beweisantrag sei ersterenfalls auch „begründet“, im zweiten Fall aber „unbegründet“ (vgl. z. B. Gössel [o. Fn. 3], S. 986), ist in Wahrheit die Bewertung der gerichtl. Entscheidung („Aussage“) über diesen Beweisantrag als prozeßordnungsgemäß („rechtsrichtige Aussage“: Ablehnung z. B. „zulässig“, weil das Gesetz die mit dem Antrag erstrebte neue „Prozeßlage“ mißbilligt) oder prozeßordnungswidrig („rechtsfehlerhafte Aussage“: Ablehnung z. B. „unzulässig“, weil das Gesetz die begehrte neue „Prozeßlage“ wünscht). Dem steht nicht entgegen, daß die rechtsfehlerhafte Zulassung eines – i.S. des § 244 III 2 – V StPO – prozeßordnungswidrigen Beweisantrags, weil für die durch das Beweisantragsrecht geschützte Wahrheitsfindung und Verteidigung i. d. R. unschädlich, prozessual nicht sanktioniert ist.

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lung durch justizielle Entscheidung bedarf, beruht auf weitergehenden Bedürfnissen etwa nach Rechtssicherheit oder Rechtsklarheit78. b) Ebenfalls kraft legislatorischer „Sekundärwertung“79 gibt es „Prozeßhandlungen“, die zwar prozeßgesetzwidrig und daher an sich prozessual „unbeachtlich“ etc. sind (gesetzgeberische „Primärwertung“79), aber – im Interesse z. B der Verfahrenswirtschaftlichkeit oder Rechtssicherheit – prozeßrechtlich gleichwohl als ordnungsgemäß („wirksam“, „gültig“, „zulässig“, „begründet“) gelten80 und (nur) deshalb im weiteren Verfahren „beachtlich“ bleiben. Diese Fiktion prozessualer Rechtswirksamkeit kommt zu etwa der gesetzwidrigen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 46 II StPO), der fehlerhaften Eröffnung des Hauptverfahrens (§ 210 I StPO) oder der unrichtigen Entscheidung des Revisions- und Beschwerdegerichts in letzter Instanz, insbesondere aber auch dem nicht oder nicht ordnungsgemäß angefochtenen, rechtsfehlerhaften tatgerichtlichen Urteil81, es sei denn, diese Mängel überwiegen den „Sekundärwert“ so stark, daß dessen Verwirklichung außer Verhältnis stünde zu anderen Werten (insbesondere der „materiellen Gerechtigkeit“) mit der Folge, daß diese Akte wieder als prozeßordnungswidrig (etwa i.S. der „Primärwertung“) und damit als von sich aus unwirksam82 – oder jedenfalls mit Rechtsbehelfen anfechtbar83 – zu behandeln sind. 3. Bedeutung prozessualer Förmlichkeiten a) Prozeßziel ist, wie ausgeführt, eine rechtsstaatlich-justizförmige Entscheidung über den „Prozeßgegenstand“ (formell), also darüber, ob die – verfassungsrechtlich vorgegebene – Unschuldsvermutung widerlegt sei oder nicht (materiell-staatsrechtlich). Mittel dazu84 sind die das Verfahren konstituierenden prozessualen Formen85.

78 Z.B. Klarstellung der ordnungsgemäßen Gerichtsbesetzung nach §§ 27, 28 (§§ 22, 23, 24 I) bzw. §§ 222 a, 222 b StPO oder der Rechtsposition des Nebenklägers (§ 395 StPO) gem. § 396 II StPO; Interesse der Prozeßbeteiligten, ihr weiteres Prozeßverhalten sachgemäß gestalten zu können bei Zurückweisung von Fragen (§§ 241 II, 241 a II, 238 II StPO) oder Ablehnung von Beweisanträgen (§ 244 VI StPO); Gesichtspunkt der Rechtskraft bei Verwerfung eines unzulässigen Rechtsmittels bzw. Rechtsbehelfs (§§ 319 I, 322 I; 346 I, 349 I; 368 I; 46 I StPO). 79 Vgl. o. Fn. 42. 80 Es handelt sich um „ein Opfer, das die Logik dem praktischen Bedürfnis bringt“ (Niese [o. Fn. 4], S. 101; vgl. auch Goldschmidt [o, Fn. 12], S. 501 f.). 81 Vgl. auch die gesetzl. Rügepräklusionen der §§ 6 a, 16, 222 b; 25 I 1, II; 217 II, 218 S. 2 StPO. 82 Etwa „nichtige“ Eröffnungsbeschlüsse (dazu Verf., KMR [o. Fn. 1], §207 Rdn. 35 – 38) oder Urteile (RGSt. 40, 273; 75, 59; BGH NStZ 1984, 279 m. w. Nachw.; näher Roeder [o. Fn. 34], S. 250 ff.; Eb. Schmidt [o. Fn. 4], Rdn. 252 – 263; Henkel [o. Fn. 9], S. 257 – 259; Sax, KMR [o. Fn. 1] Einl. X 7 – 17; Peters [o. Fn. 9], § 55 I). 83 Vgl. die Wiederaufnahmegründe der §§ 359, 362 StPO. 84 Sauer (o. Fn. 24), S. 49 ff.

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Ihre Beachtung ist notwendige und hinreichende „rechtliche Bedingung für die Anwendung des Strafgesetzes“86 oder einer sonstigen verfahrensabschließenden, Rechtsfrieden87 schaffenden Entscheidung. Von – im übrigen wertneutralen – Regelungen rein verfahrenstechnischer Zweckmäßigkeit abgesehen, gilt seit jeher und überall für Art und Qualität von Verfahrensförmlichkeiten der Wertmaßstab: Strafprozeßrecht ist „angewandtes Verfassungsrecht“88, eine Ausprägung jeweiligen staatlichen Selbstverständnisses89. Reine Zweckmäßigkeit als prozessuales Gestaltungsprinzip war selbst dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß fremd; er kannte vielfältige Vorkehrungen im Interesse zuverlässiger Wahrheitserforschung und zum Schutz des Inquisiten. Bürgerschutz gegen obrigkeitliche Willkür, Ersetzung der – angeblichen – Regellosigkeit des Inquisitionsprozesses durch „schützende Formen“ war erklärtes Anliegen des liberalistisch-„reformierten“ Prozesses90. Daß demgegenüber totalitäre Systeme zur Auflockerung prozessualer Formen tendieren, liegt in der Natur der Sache91. b) Wenn die heutige Prozeßrechtsdogmatik ebenfalls die Funktion prozessualer Förmlichkeiten92 für die Wahrheitsfindung („materielle Gerechtigkeit“) und damit

85 Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 22 (m. w. Nachw. dort Anm. 49); Vollkommer, Formenstrenge und prozessuale Billigkeit, 1973, S. 39 f. (m. w. Nachw. dort in Anm. 1). 86 Glaser (o. Fn. 21), S. 279. 87 Verf., KMR (o. Fn. 1), § 244 Rdn. 302 m. Nachw. 88 BVerfGE 32, 373, 383; BGHSt. 19, 325, 330. 89 Mitteis, Die Rechtsidee in der Geschichte, 1957, S. 399 Anm. 1; Baur (o. Fn. 23), S. 115; vgl. bereits Abegg (o. Fn. 39): die Form sei „selbst etwas Wesentliches, weil sie die zeitgemäße Gestaltung ist, in welcher die Wahrheit zum Vorschein kommen soll …“. 90 Henke, Darstellung des gerichtl. Verfahrens in Strafsachen, 1817, S. 102; Mittermaier, Handb. des peinlichen Processes usw., Bd. 1, 1810, S. 6 ff.; ders., Das System der Nichtigkeit wegen Verletzung von Formvorschriften im Strafproceße usw., GS 2 (1850), S. 292, 297; Zachariae (o. Fn. 39), S. 145, 146; ders., Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, 1846, S. 123 ff.; Köstlin (o. Fn. 39), S. 86; Geyer (o. Fn. 39), S. 3 f., 445; Vargha (o. Fn. 39), S. 35; w. Nachw. bei Vollkommer (o. Fn. 85), S. 39 f. Anm. 1. Vgl. auch Montesquieu, Vom Geist der Gesetze (hrsg. von E. Forsthoff, Bd. 1, 1951), Buch VI Kap. 2 S. 109 (die Förmlichkeiten „vermehren … sich in dem Verhältnis der Bedeutung, die man … der Ehre, dem Vermögen, dem Leben und der Freiheit der Bürger beimißt“) und v. Jhering, Geist des röm. Rechts, II 2, 5. Aufl. 1898, S. 471 („Die Form ist die geschworene Feindin der Willkür, die Zwillingsschwester der Freiheit“). 91 Zur Rechtspolitik etwa des Nationalsozialismus unter diesem Gesichtspunkt vgl. Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 22 (mit Anm. 52); Baur (o. Fn. 23), S. 115; Vollkommer (o. Fn. 85), S. 36 f. – Insbes. Eb. Schmidt (aaO Rdn. 22, 23; ferner: Materielle Rechtskraft – materielle Gerechtigkeit, JZ 1968, 681 ff.) war es, der vor dem historischen Hintergrund polizeistaatlicher Erfahrungen immer wieder den hohen Wert rechtsstaatlich-prozessualer Formen betont hat. 92 Vgl. etwa §§ 57, 69 I 1; 240; 244 III–V, 245 II 3; 250 S. 2 StPO; Gewährleistungen wirksamer Verteidigung in formeller (§§ 137 ff. StPO) und materieller Hinsicht (§§ 230, 231; 168 c, 201, 213, 215 – 219; 222, 224, 228, 240, 136 I 2, 243 IV 1, 257, 265, 320, 324 StPO) sowie des rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG; §§ 33, 33 a StPO u. v. a.).

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den Schutz Unschuldiger betont93, ist ihre Bedeutung damit nicht erschöpft. Ein großer Teil davon ist im Interesse der Rechtssicherheit (Gleichförmigkeit des Prozedierens, Vertrauensschutz, Bestandskraft von Entscheidungen) zu beachten (z. B. Organisations- und Zuständigkeitsnormen zur Bestimmung des gesetzlichen Richters94, Vorschriften über bestimmte Formen95 und Fristen96), u. U. auch zum Nachteil des Beschuldigten. Wieder andere dienen der Verfahrenseffizienz, Prozeßökonomie und Beschleunigung97. Eine vierte Gruppe schützt außerprozessuale Interessen, namentlich die „Beweisverbote“98. Schließlich gibt es die bereits erwähnten rein formal-ordnungsrechtlichen, rechtsstaatlich neutralen Ordnungsvorschriften. c) Diese verschiedenen, nicht selten einander widerstreitenden, dennoch angemessen zu berücksichtigenden Werte hat – in der Regel kompromißfähig99 – der Gesetzgeber in die Gestaltung des Strafverfahrens, für das eine zeitlos gültige Form fehlt100, einzubringen unter dem Gesichtspunkt, einen „gesunden Ausgleich zwischen der Notwendigkeit, dem Verfahren um der Gleichmäßigkeit der Rechtsanwendung willen eine Ordnung durch Formgebung zu schaffen“ und zugleich „dem Verfahren die Elastizität und die Fähigkeit der Anpassung an die Bedürfnisse des Einzelfalls zu sichern“101. In den verfassungsrechtlichen Grenzen seiner „Gestaltungsfreiheit“ muß er am Maßstab des Rechtsstaatsprinzips abwägen, ob und in welchem Umfang er der Rechtssicherheit durch abstrakt-generelle Normierung jenen schützenswerten Interessen Rechnung tragen und durch solche Formzwänge im konkreten Einzelfall Einbußen an materieller Gerechtigkeit, möglicherweise sogar die Verurteilung Unschuldiger102, in Kauf nehmen darf103. Rechtsstaatlichkeit bedeutet hier Ver93 Abegg (o. Fn. 39), S. 92; Baur (o. Fn. 23), S. 104 ff., 107, 115; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 22, 23. 94 Art. 101 I 2 GG, §16 GVG. 95 Z.B. Mündlichkeit, Schriftform, (eigenhändige, dazu RGZ – GrS – 151, 82, 85 f.) Unterzeichnung (§§ 168a III 3, 271 I 1, 275 II; 172 III 2, 345 II, 366 II, 390 II StPO), Erklärung zu Protokoll der Geschäftsstelle (§ 306 I, 314 I, 341 I, 345 II, 366 II StPO). 96 Vor allem Handlungs- und Erklärungsfristen (§§ 45, 172 I, II 1; 311 II 1, 314 I, 319 II, 341 I, 345 I, 346 II, 349 III 2, 409 I 1 Nr. 7, 439 II 1, 463 c II StPO) sowie prozeßlagenabhängige Ausschlußfristen von unbestimmter Dauer (o. Fn. 81). 97 Einzelnachweise bei Verf., KMR (o. Fn. 1), Rdn. 39 vor § 226. 98 Näher Verf., KMR (o. Fn. 1), Rdn. 79 – 82 vor § 48 und § 244 Rdn. 512 – 521, 531. 99 Baur (o. Fn. 23), S. 100 ff. 100 Näher Sax, KMR (o. Fn. 1), Einl. II („Wandel des Strafprozeßrechts und Rechtsstaatsprinzip“). 101 BVerfG NJW 1981, 1719, 1723. Ähnl. Geyer (o. Fn. 39), S. 4; Sauer (o. Fn. 24), S. 51 f.; Henkel (o. Fn. 9), S. 90. 102 Vgl. bereits Möser, Von dem wichtigen Unterschied des wirklichen und förmlichen Rechts, in: Patriotische Phantasien, Bd. IV, 1780 (Ausg. 1858), Abh. XXX, S. 116: „Es ist besser, daß ein einzelner Mann traure, als daß man alles in Gefahr setze“. Ferner Beling, Grenzlinien zwischen Recht und Unrecht in der Ausübung der Strafrechtspflege, 1913, S. 16: der Schaden für die Allgemeinheit durch Ausfall der Strafjustiz sei gegenüber den möglichen, an sich unerwünschten Leidenszufügungen gegen Einzelne das größere Übel. Schließlich

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hältnismäßigkeit104, weder materielle Gerechtigkeit noch formale Rechtssicherheit (einschließlich der damit verfolgten an sich legitimen Interessen) „um jeden Preis“, sondern Möglichkeit einer Korrektur jener legislatorischen „Sekundärwertung“105, wenn mit der Anwendung abstrakt-genereller Regeln eintretende Folgen im Einzelfall außer Verhältnis106 stünden zu Nachteilen für andere rechtlich – insbesondere grundgesetzlich – anerkannte Interessen. d) Die Abwägung zwischen (abstrakt-genereller) Rechtssicherheit und (konkreter) materieller Gerechtigkeit (Billigkeit) im Einzelfall muß der Grundsatz leiten: Soll die gesetzliche Regelung (auch) die Verwirklichung des materiellen Rechts sichern (insbes. Vorschriften zwecks zuverlässiger Wahrheitserforschung107 oder über Rechtsmitteleinlegung108), kann trotz Verstoßes gegen die formale Norm wegen übergewichtiger Gesichtspunkte der Gerechtigkeit die entsprechende Prozeßhandlung in concreto (prozeß-)rechtsrichtig sein und umgekehrt109; dient die Vorschrift aber anderen Zwecken (wie insbesondere die Beweisverbote110), ist sie grundsätzlich ius strictum, ihre Nichtbeachtung läßt in der Regel eine – rechtswirksame – Prozeßhandlung nicht entstehen111. BVerfGE 2, 380, 403: Rechtssicherheit sei „von so zentraler Bedeutung für die Rechtsstaatlichkeit, daß um ihretwillen die Möglichkeit einer im Einzelfall vielleicht unrichtigen Entscheidung in Kauf genommen werden muß“. 103 Dabei zeigt das gegenwärtige Strafverfahrensrecht eine Tendenz der Abwendung vom Formalismus hin zum Materialen (vgl. Engisch, Form und Stoff der Jurisprudenz, F. v. HippelFS 1967, S. 67; Vollkommer [o. Fn. 85], S. 45). 104 Verf., KMR (o. Fn. 1), Rdn. 28 u. 30 vor § 226. 105 Vgl. o. Fn. 42. 106 Allg. zum Verhältnismäßigkeitsprinzip vgl. Verf., KMR (o. Fn. 1), § 244 Rdn. 12 – 14. 107 Vgl. o. Fn. 92. 108 Vgl. RGZ – GrS – 138, 53, 56: Wiederholung der (zivilprozessualen) Berufung innerhalb der Berufungsfrist auch dann zulässig, wenn die zunächst eingelegte Berufung unzulässig war, da der Gesetzgeber insoweit die Grenze zwischen Rechtssicherheit (Bedürfnis, das Verfahren abzuschließen) und Gerechtigkeit (Bedürfnis nach Durchsetzung des materiellen Rechts) nur durch die Rechtsmittelbefristungen gezogen habe. 109 Wegen vorrangigen Sachaufklärungsinteresses (§ 244 II StPO) kann im Einzelfall die Ablehnung eines Beweisantrags trotz gegebenen förmlichen Ablehnungsgrunds (z. B. nach § 244 III 2 StPO) prozessual fehlerhaft sein (BGHSt. 10, 116, 118; 23, 176, 187; im einzelnen Verf., KMR [o. Fn. 1], § 244 Rdn. 234 – 238). 110 Vgl. oben zu II. 3. b). 111 Willensmängel bei Prozeßhandlungen (vgl. auch o. Fn. 66) sind im Rechtssicherheitsinteresse (vgl. RGSt. 57, 83: „… die im öffentlichen Interesse zu fordernde Sicherstellung eines geordneten Fortgangs des Verfahrens …“) prinzipiell unbeachtlich, berühren die Wirksamkeit der Prozeßhandlung also nicht, es sei denn, daß ausnahmsweise „überwiegende Gründe der Gerechtigkeit den Vorrang vor dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit beanspruchen müssen“ (BGHSt 17, 14 = JR 1962, 290 m. Anm. Eb. Schmidt = JZ 1963, 226 m. Anm. (Oehler): so etwa auch bei offensichtlichen (kein Vertrauensschutz!) Schreibversehen (diese dürfen selbst in Hauptverhandlungsprotokollen und Urteilen „berichtigt“ werden) oder wenn die Prozeßhandlung (z. B. ein Anerkenntnis nach § 307 ZPO) von einem Wiederaufnahmegrund betroffen ist (RGZ 150, 392, 397; 153, 65, 69 = JW 1937, 544 m. Anm. Jonas;

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III. Beweisverbotsbegründende Wirkung prozessualer „Unwert“-Urteile 1. Rechtliche Nichtigkeit Faktisches Geschehen, vor allem prozeßbezogenes Verhalten, das eine Verfahrensnorm nicht oder nicht rechtsfehlerfrei konkretisiert und das auch nicht kraft gesetzgeberischer „Sekundärwertung“ als prozeßordnungsgemäß gilt112, ist prinzipiell kein konstitutives Element im Aufbau gesetzlich geordneten Verfahrens. Es ist faktisch zwar vorhanden, rechtlich aber „als“ Prozeßhandlung nicht existent113, also nichtig und folglich prozeßrechtlich für das (weitere) Verfahren als Grundlage erneuter „Prozeßhandlungen“ unbeachtlich114, d. h. „unverwertbar“115. Ihr fehlt der erst durch (ordnungsgemäße) Normkonkretisierung entstehende Rechtswert. Dieser Mangel (das Un-Recht, die Rechts-Widrigkeit) ist insofern etwas „an sich Nichtiges“116. 2. Formelle Reichweite der Nichtigkeit a) An anderer Stelle117, worauf ich verweise, ist dargetan, daß Beweisverschaffungs- bzw. Beweiserhebungsverbote (= Mittel) in Beweisverwertungsverboten

156, 70, 80 ff.; BGHZ 12, 284, 285; 35, 73 = ZZP 73, 448 m. Anm. Baumgärtel; NJW 1982, 2193; BAG NJW 1966, 76; BSG FamRZ 1963, 237 m. Anm. Bosch). Umgekehrt sind von außerprozessualen Bedingungen (Schmid, Bedingte Prozeßhandlungen im Strafprozeß?, GA 1982, 99 ff.) abhängig gemachte Prozeßhandlungen unwirksam (Schmid, aaO S. 105 f.). 112 Vgl. oben zu II. 2. b). Diese Fiktion entfällt bei anderweitiger gesetzlicher Bestimmung (z. B. § 8 IV RpflG) oder unter den oben zu II. 2. b) a. E. angeführten Voraussetzungen (vgl. auch Kleinknecht/Meyer [o. Fn. 18], Einl. Rdn. 104 m. Hinw. auf §§ 44, 46 VwVfG). 113 Beling, Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, 1903, S. 31; ders. (o. Fn. 21), S. 202; Bennecke/Beling, Lehrb. des Dt. Strafprozeßrechts, 1900, S. 328 (als „pro non factum“ anzusehen); Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, 1926, S. 16 („Die Erhebung verbotener Beweise steht … unter Androhung der Nichtigkeit“). So i.E. auch Roeder (o. Fn. 34), S. 261 – 263: „Nicht-Prozeßhandlungen“. 114 Es „bewirkt“ keine neue „Rechtslage“ (Eb. Schmidt [o. Fn. 4], Rdn. 251), es kann keine prozessualen Folgen auslösen (Sax, KMR [o. Fn. 1], Einl. X 6). – Zutr. Beling (o. Fn. 21), S. 168: „Soweit … eine Prozeßhandlung mit dem Anspruch auftritt, fortan … beachtet zu werden und die Rechtsordnung ihr diese Beachtung nicht zugesteht, ist sie ,unwirksam‘; ,wirksam‘ ist sie, soweit ihr Rechtswirkungen von der Rechtsordnung beigelegt werden“. Vgl. auch Peters (o. Fn. 9), § 33 II 2: „wirksam“ sei eine Prozeßhandlung, „wenn sie im Prozeß Rechtsfolgen auslöst, wenn sie bewirkt, daß sich der Prozeß fortentwickelt, daß sich ihr neue Prozeßakte anschließen und der dem Prozeß zugrundeliegende Vorgang seiner prozessualen Gestaltung zugeführt wird“. 115 Niese (o. Fn. 4), S. 101, 142; ders. (o. Fn. 74), S. 221; Foth (o. Fn. 14), S. 65; Eb. Schmidt (o. Fn. 4), Rdn. 109; Henkel (o. Fn. 9), S. 240. 116 Niese (o. Fn. 4), S. 101. 117 Verf. (o. Fn. 2), S. 876 sub II 1 a bb.

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(= Zwecke) wurzeln118 und daß, genau besehen, alle derartigen Beweis(erhebungsund -verwertungs-)verbote „Verwertungsverbote“ sind mit der Folge prozessualer Nichtigkeit als Beweismittel (unzulässige Zeugen, Sachverständige, Urkunden, Augenscheinsobjekte) bzw. Beweisergebnisse (Aussagen- und Urkundeninhalte, Sachbeschaffenheiten). Die Frage der h. M.119, ob und ggf. unter welchen (weiteren) Voraussetzungen120 die Verletzung eines Beweiserhebungsverbots ein Verwertungsverbot nach sich ziehe, stellt sich nicht, und es darf angesichts dieses Fehlansatzes nicht verwundern, daß hierfür „allgemeine Grundsätze … bisher nicht gefunden worden“ sind121. b) Die Diskussion, ob beweisverbotswidrig gewonnenen (= nichtigen) Beweisergebnissen Fernwirkung insofern zukomme, daß nicht nur sie selbst122, sondern auch die mit ihrer Hilfe gewonnenen weiteren – im übrigen an sich prozessual zulässigen123 – Beweismittel bzw. -ergebnisse prozessual unverwertbar (– nichtig) seien124, hat sich festgefahren mit (je für sich nicht von der Hand zu weisenden) Pro-Argumenten der Achtung rechtsstaatlicher und rechtsethischer Prinzipien, der Umgehung und Aushöhlung von Beweisverboten einerseits, und (ebenfalls an sich 118

Belings (o. Fn. 113), These (S. 5, 30 f.), jede unzulässige Beweisgewinnung begründe ein Verwertungsverbot, ist deshalb umzukehren. 119 Zusammenfassend: Fezer, Strafprozeßrecht, 1986, 16/31 – 48; Rogall, Hypothetische Ermittlungsverläufe im Strafprozeß, NStZ 1988, 385, 386 ff.; Verf., KMR (o. Fn. 1), §244 Rdn. 496 – 522. 120 Etwa: Revisionsbegründete Verfahrensfehler (BGHSt – GrS – 11, 213: „Rechtskreistheorie“; Schlüchter [o. Fn. 3], Rdn. 4.1 – 3 und JR 1984, 519, 520); Abgrenzung zu „Beweisregelungen“ bzw. „Ordnungsvorschriften“; (endgültige) Vereitelung des Normschutzzwecks (Grünwald, JZ 1966, 489 ff.; Rudolphi, MDR 1970, 97 ff.; Gössel NJW 1981, 2217 ff.); das Strafverfolgungsinteresse überwiegendes Individualschutzinteresse des Beschuldigten („Abwägungslehre“; vgl. Rogall [o. Fn. 118], S. 389, 391 f. und ZStW 91 [1979], S. 1, 29 ff.; Wolter, NStZ 1984, 276 ff.) und umgekehrt (vgl. die Rspr.-Hinweise auf die Gefahr einer Verfahrenslahmlegung durch Fernwirkung in BGHSt. 22, 129, 135; 27, 355, 358; 28, 122, 128; 32, 68, 71; 34, 362, 364 f.; BGH NStZ 1988, 142; OLG Stuttgart NJW 1973, 1941, 1942); „generalpräventive“ Wirkung auf Justizorgane (Dencker [o. Fn. 75], S. 65 u. pass.); Berücksichtigung „hypothetischer Ermittlungsverläufe“ (Rogall [o. Fn. 119], S. 391 f.). 121 Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 18), Einl. Rdn. 55. 122 Insbesondere: Unter Verstoß gegen § 136 a I, II StPO erlangte Aussage; Inhalt einer die Intimsphäre (BGHSt. 34, 39, 43 ff.) oder Art. 10 GG mangels Voraussetzungen der §§ 100 a, 100b StPO (BGHSt. 27, 354, 358; 32, 68, 70 f.; 35, 32, 34 f.) verletzenden Tonbandaufnahme. 123 Daher keine Frage der „Fernwirkung“, sondern eines unmittelbar „reprobierten“ (BGHSt. 25, 165, 170 m. Hinw. auf Eb. Schmidt) Beweismittels (i.w.S.), wenn z. B. auch bei späterer Aussage eines zunächst unter Verstoß gegen §§ 136 I 2, 243 IV 1 bzw. § 136a I, II StPO Vernommenen dessen Entschließungsfreiheit, sich einzulassen oder zu schweigen, jener Verfahrensfehler noch fortwirkend beeinträchtigt (BGHSt 17, 364, 367 f; 22, 129, 133 f.; 32, 68, 71; 35, 32, 34; 35, 328, 332; BGH NStZ 1988, 142). 124 § 136 a III 2 StPO taugt, weil ambivalent, nicht als Lösungsansatz (zutr. Dencker [o. Fn. 75], S. 78; Rogall, ZStW 91 [1979], 1, 39); die Vorschrift läßt offen (a.M.: OLG Stuttgart NJW 1973, 1941, 1942), wozu die unter Verstoß gegen § 136 a I, II StPO zustande gekommene „Aussage“ nicht „verwertet“ werden darf.

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gewichtigen) Contra-Aspekten kriminalpolitischer Bedürfnisse125 sowie der Schwierigkeit des Kausalitätsnachweises auf der anderen Seite126. aa) Die Fernwirkungsproblematik, nach Dünnebier127 das „schwierigste Problem der Beweisverbote“, ist, wie ausgeführt, nicht zureichend lösbar mittels Kriterien128, die ein Beweismittel bzw. -ergebnis – für sich und ohne Rücksicht auf die Reichweite des ein anderes Beweismittel betreffenden Verwertungsverbots – als prozessual unzulässige (nichtige) Erkenntnisquelle zu qualifizieren bestimmt sind. Ausscheiden müssen insbesondere in der Literatur dominant angestellte Erwägungen hypothetischer Kausalität zwischen dem (nichtigen) früheren und einem späteren Beweismittel in dem Sinn, daß Fernwirkung nur dann entfalle, sofern letzteres auch prozeßordnungsgemäß hätte erlangt werden können129. Zwar trifft dieses Argument nicht der Einwand, daß (zutreffend) ein solcher Kausalitätsnachweis kaum einmal sicher zu führen sei130 ; denn beweisverbotsbegründend sind Verfahrensfehler bereits bei fehlender Überzeugung des Justizorgans von ihrer Nichtexistenz131, Fernwirkung wäre mithin in aller Regel zu bejahen132. Dies wiederum hätte aber zur untragbaren Konsequenz, daß Erkenntnisse aus unverwertbaren Beweisergebnissen auch nicht rein faktisch – wie unstreitig statthaft bei prozessual nicht existentem Privatwissen oder prozeßhandlungsmäßig unverwertbarer Kenntnis des Inhalts einer Urkunde i.S. des § 252 StPO – Anstoß zur Fragestellung (keine Vorhalte!) bei Vernehmungen oder Forschung nach weiteren Beweismitteln und deren Gewinnung auf Grund jeweils „eigenständigen Erkenntnisvorgangs“133 sein dürften134. 125

Vgl. die Rspr.-Nachw. o. Fn. 120. Vgl. auch die Zusammenstellung der Argumente in BGHSt. 29, 244, 248 m. Nachw. 127 MDR 1964, 967 Fn. 27. 128 Vgl. die o. Fn. 120 angeführten Gesichtspunkte. 129 So aber z. B. Grünwald, JZ 1966, 489, 500 u. StV 1987, 472 Fn. 9; Schlüchter, JR 1984, 519, 520; Wolter, NStZ 1984, 276, 277; Rogall (o. Fn. 118), S. 392 u. ZStW 91 (1979), 1, 33 f.; Reichert-Hammer, JuS 1989, 446, 450. Vgl. auch OLG Köln NJW 1979, 1216, 1217. 130 So jedoch BGHSt. 25, 171; 32, 68, 71; 34, 362, 364 f. m. Anm. Fezer, JZ 1987, 937, Grünwald, StV 1987, 470 u. Seebode, JR 1988, 427 sowie Bespr. Geppert, JK 1987 StPO § 136 a/3, Hassemer, JuS 1988, 409, Kramer, Jura 1988, 520, Wagner, JR 1989, 34 f. u. Reichert-Hammer, JuS 1989, 446; OLG Stuttgart NJW 1973, 1941, 1942. 131 Näher Verf., KMR (o. Fn. 1), § 244 Rdn. 345 – 346. 132 Enger z. B. Schlüchter, Wolter u. Rogall (alle aaO Fn. 129): keine Fernwirkung, wenn das weitere Beweismittel (überwiegend bzw. höchst-)wahrscheinlich auch legal gewonnen worden wäre. 133 BGHSt. 27, 355, 358. 134 Daher verneint i.E. richtig die Rspr. eine Fernwirkung in diesen Fällen (BGHSt. 27, 355, 358; 32, 68, 70 f.; 34, 362, 364; BGH NStZ 1988, 142 m. Anm. Dörig; OLG Stuttgart NJW 1973, 1941, 1942; Hamburg MDR 1976, 601). – Trotz abweichender Begründung stehen die zu § 7 III G 10 ergangenen, ebenfalls i.E. zutr. Entscheidungen BGHSt. 29, 244, 251 u. OLG Köln NJW 1979, 1216, 1217 nicht entgegen, da sie auf Erkenntnisse aus unzulässigen Abhörmaßnahmen gestützte Durchsuchungsanordnungen (= Prozeßhandlungen) betreffen [dazu sogleich u. zu bb)]. – Die Behauptung, bzgl. weiterer Beweismittel hätten Verwertungsverbote wieder die „Wirkung“ eines Beweisverbots (so z. B. Henkel [o. Fn. 9], S. 271; 126

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bb) Daß eine „allgemeine Regel … sich nicht aufstellen“ lasse135, um Beweisverbots-Fernwirkung zu begründen, trifft nicht zu. Das Lösungsprinzip ist erarbeitet. Es lautet: Fernwirkung hat ein prozessual unverwertbares (nichtiges) Beweismittel bzw. -ergebnis stets, wenn es rechtlich als Grundlage einer Prozeßnormkonkretisierung (= Prozeßhandlung)136 verwertet wird137. Dann folgt Fernwirkung aus der prozessual unzulässigen Primär-Erkenntnisquelle notwendig und ohne weiteres138, entgegen allgemeiner Auffassung also nicht zusätzlich begründungsbedürftig.

vgl. schon Kleinschrod, ACrR 1 [1799], 2. Stück, S. 67, 86: sei ein Geständnis nichtig, „so muß eben dies von allen Folgen und Wirkungen desselben behauptet werden“), läßt offen, ob das eine faktische und/oder rechtliche Kausalität bedeute. 135 BGHSt 29, 244, 249. 136 Vgl. o. zu I. 2. b) am Ende. 137 So auch i.E. die Rspr. Vgl. insbes. zu Vorhalten (= Prozeßhandlungen, weil Vernehmungsbehelfe): BGHSt. 27, 355, 358; 32, 68, 71; 35, 32, 34; BGH NStZ 1988, 142. Zu Durchsuchungsanordnungen s. BGHSt. 29, 244 u. OLG Köln NJW 1979, 1216 (o. Fn. 134). Stimmenvergleichsgutachten unter Verwendung unzulässiger heimlicher Tonbandaufnahme: BGHSt. 34, 39, 43 ff. 138 So i.E. auch Beling (o. Fn. 21), S. 202: Prozessual unwirksam sei ein Verhalten, „wenn es als Bedingung für ein nachfolgen sollendes Verhalten gedacht, dafür rechtlich nicht genügt, so daß das dennoch nachfolgende Verhalten prozeßordnungswidrig sein würde“.

Dogmatik der Verteidigung* I. Verteidigung und Nicht-Verteidigung 1. In seinem – im Ergebnis richtigen – Urteil vom 18. 6. 19911 formuliert der BGH zunächst einleuchtend, dann (als obiter dictum) provokativ: „verteidigungsfremdes“ Verhalten „jenseits aller denkbaren Verteidigungszwecke“ sei prozessual (insbesondere durch § 53 I Nr. 2 StPO) nicht geschützt; das ist communis opinio. Aber: „naheliegend“ möge anderes gelten, „wenn der Verteidiger in … strafbarer Weise nur darauf hinwirkt, die Bestrafung seines Mandanten zu vereiteln“; dies überrascht, gilt doch als ausgemacht2, daß prozeßnormorientierte Verteidigertätigkeit – jedenfalls grundsätzlich – weder nach § 258 StGB (Strafvereitelung) pönalisiert3 noch *

Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in der Neuen Zeitschrift für Strafrecht (NStZ) 1992, S. 305 – 311. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags C. H. Beck, München. 1 NStZ 1992, 343. 2 RGSt 35, 128, 129; 66, 316, 325 f.; BGHSt 2, 375, 377 f.; 29, 99, 105 ff. m. Bespr. Bottke JA 1980, 448 u. Anm. Müller-Dietz JR 1981, 76; BGHSt 31, 16 m. Anm. Gössel JR 1982, 118; KG NStZ 1982, 556; 1988, 178 f. m. Bespr. Schneider Jura 1989, 344; OLG Düsseldorf StV 1986, 288 (= JZ 1986, 408) u. 1992, 57; Beling, ReichsstrafprozeßR, 1928, S. 150; Frank, Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich, 18. Aufl. (1931), § 257 Anm. V 1; Gallas, Grenzen zulässiger Verteidigung im Strafprozeß, ZStW 53 (1934), 256, 257 u. 267 f.; Niese, Doppelfunktionelle Prozeßhandlungen, 1950, S. 132; Waldhorn, Das Verhältnis von Strafverteidigung und Begünstigung, 1967, S. 6, 49 ff., 64; Ostendorf, Strafvereitelung durch Strafverteidigung, NJW 1978, 1345, 1349 f.; Welp, Die Rechtsstellung des Strafverteidigers, ZStW 90 (1978), 804, 818; Müller-Dietz, Strafvereitelung und Strafverteidigung, Jura 1979, 242, 247, 251 ff.; KMR-Sax, 8. Aufl. (1990), Einl. IV Rn. 18, 46; Beulke, Der Verteidiger im Strafverfahren, 1980, S. 98 f., 218 ff.; Lüderssen, Aus der grauen Zone zwischen staatlichen und individuellen Interessen – Zur Funktion der Strafverteidigung in einer freien Gesellschaft, in FS Sarstedt, 1981, S. 145, 157; Seier, Die Trennlinie zwischen zulässiger Verteidigungstätigkeit und Strafvereitelung – OLG Frankfurt NStZ 1981, 144, JuS 1981, 806, 808; Bottke, Wahrheitspflicht des Verteidigers, ZStW 96 (1984), 726, 729 f.; Pfeiffer, Zulässiges und unzulässiges Verteidigerhandeln, DRiZ 1984, 341, 348; Heinicke, Der Beschuldigte und sein Verteidiger in der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 469, 472; Fezer, StrafprozeßR I, 1986, 4/38, 39, 58; Vormbaum, Der strafrechtliche Schutz des Strafurteils, 1987, S. 416; Krey, StrafverfahrensR I, 1988, Rn. 668, 672; Krekeler, Strafrechtliche Grenzen der Verteidigung, NStZ 1989, 146; Mehle, Strafvereitelung durch Wahrnehmung prozessualer Rechte, in Festg. L. Koch, 1989, S. 179, 180; LK-Ruß 10. Aufl. (1989), § 258 Rn. 19; S/S-Stree 24. Aufl. (1991), § 258 Rn. 20; Maurach/Schroeder/Maiwald, StrafR, BT/2, 7. Aufl. (1991), § 100 Rn. 16, 20; Dreher/Tröndle, 45. Aufl. (1991), § 258 Rn. 7; Lackner, 19. Aufl. (1991), § 258 Rn. 8; SKStGB-Samson, 4. Aufl. (1991), § 258 Rn. 40. 3 Zur Frage fehlender Tatbestandsmäßigkeit oder Rechtswidrigkeit vgl. unten III. 1. c) mit Fn. 121.

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(folglich) gem. §§ 97 II 3 (Beschlagnahme), 138 a I Nr. 3 (Ausschließung) StPO prozessual sanktioniert ist. Beide BGH-Thesen führen zu den Kernfragen: Was ist – rechtlich – „Verteidigung“? Wer ist – zu ihm „in dieser Eigenschaft“ anvertrauten oder sonst bekanntgewordenen Umständen schweigepflichtiger (§ 203 I Nr. 3 Alt. 3 StGB) und zeugnisverweigerungsberechtigter (§ 53 I Nr. 2 StPO) – „Verteidiger“? Vorab die letzte Frage zuerst beantwortet4: Außerprozessual gibt es keine „Verteidiger“5, sondern nur „Rechtsanwälte“6; für sie gelten im übrigen § 203 I Nr. 3 Alt. 1 StGB und § 53 I Nr. 3 StPO. Als prozessualer Begriff ist „Verteidiger“ funktional zu definieren7: nur wer in seiner Verfahrensrolle als Verteidiger prozessual „für“ (§ 137 I 1 StPO „Beistand“) den Beschuldigten – i. d. R., aber nicht notwendig, schon durch seine Bestellungserklärung8 – agiert, ist auch Verteidiger; die Verteidigungs-Handlung ist Grund, die Verteidiger-Stellung ihre (notwendige) Folge9. 2. „Fallen also die Würfel im Prozeßrecht“10 – die Frage ist: dort wie? –, sind gleichwohl Bedingungen rechtlich zulässigen Verteidigens heillos im Streit zweier Grundkonzeptionen, der „Vertreter-“ und der „Organtheorie“. Es geht um ein allgemeines Maßprinzip und damit Grenzen, an denen formal an sich statthaftes Prozeßverhalten (z. B. Akteneinsicht, Richterablehnung, Beweis- und Aussetzungsanträge, Ausübung von Anwesenheits- und Fragerechten, Stellungnahmen und Erklärungen) des Verteidigers wegen – „mißbräuchlich“11 – damit inhaltlich verfolgter Ziele (etwa Information des Beschuldigten über drohende Verhaftung oder Beschlagnahme, Vernehmung meineidsbereiter Zeugen, Prozeßverschleppung, Zeugeneinschüchterung bei Vernehmung, Beeinträchtigung der Sachaufklärung durch Lügen) soll umschlagen können in prozessuale Unzulässigkeit (Unbeachtlichkeit, Unwirksamkeit, Nichtigkeit) und ggf. materiell-rechtliche Strafvereitelung. Rechtsaxiomatisch diese Grenze zu allgemeiner oder auch nur eindeutig überwiegender Akzeptanz zu markieren, ist bisher nicht gelungen12, zum Teil mit der Folge, daß unter Verzicht auf eine generelle Leitlinie nur punktuell-kasuistische Lösungen angeboten sind13. 4

Vgl. Verf., Anm. zu Beschlüssen der OLGe Düsseldorf und Celle NStZ 1982, 473, 474. Ebensowenig wie etwa „Zeugen“, „Sachverständige“ (Verf. in KMR, 8. Aufl. (1990), vor § 48 Rn. 18, 47, 63 – 68 u. 70). Somit ist das Verbot berufswidriger Werbung mit der Selbstbezeichnung „Strafverteidiger“ (BGH NStZ 1992, 88 f.) auch prozeßbegrifflich begründbar. 6 Und sonstige gem. §§ 138, 139, 142 II StPO zu – künftigen – Verteidigern wähl- bzw. bestellbare Personen. 7 Näher Verf., Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung, in FS F.-W. Krause, 1990, S. 53 ff. 8 BVerfG NJW 1977, 99, 100. 9 Zum „Vertragsprinzip“ als Gegenposition unten II.1. 10 Beulke, Die Strafbarkeit des Verteidigers, 1989, Rn. 2. 11 Gallas (o. Fn. 2), S. 208; Weber, Der Mißbrauch prozessualer Rechte im Strafverfahren, GA 1975, 289, 291 ff.; KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 21 – 22; Spaniol, Das Recht auf Verteidigerbeistand im GG und in der EMRK, 1990, S. 277 ff.; vgl. auch BGHSt 29, 99, 105. 12 Fezer (o. Fn. 2), 4/40; Beulke (o. Fn. 10), Rn. 13; Wassmann, Strafverteidigung und Strafvereitelung, 1982, S. 122, 254; Mehle (o. Fn. 2), S. 184. 5

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II. Lösungsversuche im Dualismus zwischen Individual- und Allgemeininteresse Bei gesetzeskonformer (§ 137 I 1 StPO; Art. 6 IIIc EMRK) Konkordanz über die Aufgabe des Verteidigers, als Beistand14 – sachlich zunächst nur eine erkenntnislose Tautologie15 – des Beschuldigten einseitig zu dessen Gunsten wirkend „rechtsstaatlicher Garant der Unschuldsvermutung“16 zu sein, konkretisieren seine prozessualen Befugnisse rechtsinhaltlich zwei dominierende Konzepte divers akzentuiert. Beide sind dem Strafprozeßrecht, verstanden durchaus als „angewandtes Verfassungsrecht“17, fremd und untauglich als allgemeine Leitlinien, prozeßordnungsgemäßes Verteidigungsverhalten von verfahrensrechtlich unzulässigem zu scheiden. Keines von ihnen wird „dem Wesen des Verteidigeramts gerecht“18. Die „Vertretertheorie“ (unten 1.) gibt, die „Organtheorie“ (unten 2.) nimmt keine Rechte. 1. Verteidiger als „privater Interessenvertreter“ des Beschuldigten a) Die klassische „Vertretertheorie“19 allerdings kann und will kein Kriterium über prozeßbeachtlich hinaus auch materiell-rechtmäßigen (straflosen) Verteidigens liefern. Nicht im Innenverhältnis Verteidiger-Beschuldigter gründende (inhaltliche) Befugnisse sind ihr Thema, sondern formale Wirksamkeit und Folgen Verteidigerhandelns im Außenverhältnis zu Justizorganen: Kraft seiner nach Inhalt und Umfang 13 So ausdrücklich Fezer, 4/41 – 58, Mehle, S. 187 u. SK-Samson – jew. o. Fn. 2, § 258 Rn. 38a; weitgehend auch die Lehrbuch- und Kommentarliteratur zu § 258 StGB. 14 RGSt 17, 315; 35, 128; 44, 284, 285; 64, 164, 165; 66, 325; BVerfGE 39, 238, 245; 43, 79, 91 ; 46, 202, 210; BGHSt 9, 356, 357; 12, 367, 369; 15, 326, 328; 26, 291, 292; 37, 395, 396; BGH NStZ 1992, 140; OLG Frankfurt NStZ 1981, 144, 145; v. Liszt, Die Stellung des Verteidigers in Strafsachen, DJZ 1901, 179 f.; Glaser, Handbuch des Strafprozesses II, 1885, S. 225; v. Lilienthal, Die Wahrheitspflicht des Verteidigers im Strafprozeß, DJZ 1914, 28, 30; Dohna, Das StrafprozeßR, 3. Aufl. (1929), S. 73; Eb. Schmidt, Lehrkomm. II, 1957, vor § 137 Rn. 17; KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 21; LR-Dünnebier, 23. Aufl. (1976 ff.), vor § 137 Rn. 6; Beulke, (o. Fn. 2), S. 164; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. (1983), Rn. 102; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. (1985), § 29 II; Welp (o. Fn. 2), S. 813 ff.; Krey (o. Fn. 2), Rn. 535, 536; Kühne, Strafprozeßlehre, 3. Aufl. (1988), Rn. 82; Krekeler (o. Fn. 2), S. 146; LR-Lüderssen, 24. Aufl. (1989), vor § 137 Rn. 92; Kleinknecht/Meyer, 40. Aufl. (1991), vor § 137 Rn. 1. 15 Zutr. R. v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, 1941, S. 290. 16 Roxin, StrafverfahrensR, 22. Aufl. (1991), § 19 A I; KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 35. 17 BVerfGE 32, 373, 383 u. BGHSt 19, 325, 330 – jew. m. Hinw. auf Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, in: Bettermann/Nipperdey/Scheuner, Die Grundrechte, III/2, 1959, S. 966. 18 Gallas (o. Fn. 2), S. 261. 19 Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafprozeßrechts, 1880, S. 433; v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, 1892, S. 117, 233; v. Hippel (o. Fn. 15), S. 291 f.; Horber, Die Rechtsstellung des Verteidigers im Strafprozeß, 1933; Spendel, Zur Vollmacht des Strafverteidigers, JZ 1959, 737, 740; Waldhorn (o. Fn. 2), S. 16 ff., 19.

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durch öffentliches Recht, die Prozeßordnung, bestimmten „Generalvollmacht“20 vertrete der – gewählte (§ 137 I 1 StPO) oder bestellte (§§ 140, 141 StPO21 – Verteidiger als „Prozeßbevollmächtigter“ im „Zivil- wie im Strafprozeß rechtswirksam die Partei“22; die von ihm als „Vertreter des Beschuldigten … vorgenommenen Handlungen gelten als solche des letzteren“23, bei betonter Verteidigerautonomie24 (insbesondere früher) fokussiert auf die Streitfrage, ob Verteidiger-Prozeßhandlungen – außerhalb der Beweisfunktion, namentlich Sacheinlassung des Beschuldigten25 – rechtswirksam und inhaltlich beachtlich (d. h. nicht schon a limine als unzulässig zurückweisbar) trotz Widerspruchs bzw. gegenteiligen Antrags des Beschuldigten seien26. Dem ist – neben allgemeiner Kritik einer „Vertretertheorie“27 – entscheidend entgegenzuhalten28 die Autonomie des Beschuldigten als Prozeßsubjekt. Er selbst entscheidet in der Regel (Ausnahmen: z. B. §§ 140, 231 a StPO, § 34 III 1 EGGVG), ob 20

v. Hippel (o. Fn. 15), S. 291, 292 f. Vargha, Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, S. 348 ff., und Glaser (o. Fn. 14), S. 245 f. Fn. 45. Richtig v. Hippel (o. Fn. 15), S. 292, daß diese Unterscheidung nur die Entstehung, nicht den Inhalt der Verteidigerstellung betreffe. A. M. v. Holtzendorff, Handbuch des deutschen Strafprozeßrechts I, 1879, S. 405; Gerland, Der deutsche Strafprozeß, 1927, S. 151. 22 v. Hippel (o. Fn. 15), S. 291, 292; ebenso Spendel (o. Fn. 19), S. 738 ff. – Die Gleichstellungsbegründung (so Geyer (o. Fn. 19), S. 433; v. Hippel (o. Fn. 19), S. 291; Spendel (o. Fn. 19), S. 741; Waldhorn (o. Fn. 2), S. 20) mit Parallelität der ZPO (auch dort Rechte der Partei und ihres Prozeßbevollmächtigten nicht deckungsgleich; ferner § 445 ZPO) übersieht die in der Dispositions- (Zivilprozeß) und Offizialmaxime (Strafverfahren) angelegte Prämissendiversität mit qualitativ unterschiedlichen Rechtsstellungen des Prozeßbevollmächtigten (grundsätzlich der Parteidirektive unterworfen) bzw. Verteidigers (prinzipielle Autonomie, vgl. auch Fn. 24) und damit Wirkungen ihrer Erklärungen und Prozeßhandlungen bei Widerspruch des Mandanten (dazu Fn. 26). 23 v. Kries (o. Fn. 19), S. 233. 24 v. Kries (o. Fn. 19), S. 244 (der Verteidiger sei „jedenfalls bei der Beweisaufnahme und seinen Ausführungen und Anträgen völlig unabhängig vom Verhalten des Angeklagten“); v. Hippel (o. Fn. 15), S. 298. 25 RGSt 18, 138, 141; 44, 284, 285; v. Kries (o. Fn. 19), S. 233; v. Hippel (o. Fn. 15), S. 291; Spendel (o. Fn. 19), S. 739. Unrichtig OLG Hamm JR 1980, 82 (m. abl. Anm. Fezer), daß der Angeklagte auch „insoweit seines Verteidigers als Vertreter bezüglich der Abgabe einer ihm selbst zustehenden Erklärung“ sich bedienen dürfe. 26 Daß „Widerspruch und entgegengesetzte Behauptungen“ des Beschuldigten „ohne formelle Bedeutung“ seien (v. Kries (o. Fn. 19), S. 244), ist seit langem widerlegt durch Hinweise darauf, daß jeweils eigene prozessuale Befugnisse verzichtbar seien nur durch den jeweils Berechtigten selbst (Rosenfeld, Der Reichs-Strafprozeß, 1912, S. 128; Gleispach, Das deutschösterreichische Strafverfahren, 1919, S. 165 f.; Gerland [o. Fn. 21], S. 151; Beling [o. Fn. 2], S. 151), Prozeßrechte des Beschuldigten also lediglich bei zulässiger AbwesenheitsVertretung (z. B. nach § 234 StPO) durch den Verteidiger (v. Holtzendorff [Fn. 21], S. 406; Rosenfeld, aaO, S. 127; Gerland [o. Fn. 21], S. 150; Beling [o. Fn. 2], S. 152; Dohna [o. Fn. 14], S. 73), und daß bei Verteidigerhandlungen zugunsten des Beschuldigten dessen Widerspruch unbeachtlich sei (Glaser [o. Fn. 14], S. 299 mit Anm. 2 unter Hinw. auf RGSt 17, 315). 27 Unten II. 1. b). 28 Zutr. LR-Lüderssen (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 90. 21

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er sich eigenverantwortlich selbst verteidigt, einen Verteidiger wählt, ihm das Mandat entzieht. Wie in „Tatfragen“ der Sachverständige dem Gericht, so ist in Prozeßfragen der Verteidiger („Gehilfe“) dem Beschuldigten („Täter“) nur unterstützender „Beistand“ (§ 137 I 1 StPO)29 ; lediglich Mittel, diesen Zweck bestmöglich zu erreichen, ist die prozessuale Unabhängigkeit auch des Verteidigers30 in Ausübung dieser seiner Beistandsfunktion. b) Die moderne31, neoliberalistische „Vertretertheorie“32 akzentuiert eben jene Prozeßsubjektrolle des Beschuldigten, der autonom, frei von obrigkeitlich-fürsorgender Bevormundung33 mit Hilfe seines durch Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) ausschließlich ihm – nicht (auch) öffentlichem Interesse der Strafrechtspflege – weisungsgebunden-verpflichteten Verteidigers34, z. T. verstanden sogar als „soziale Gegenmacht“35, der Strafjustiz konfrontiert seine subjektiven Interessen wahre. Kern des „Vertragsprinzips“ ist, „daß die Tätigkeit des Verteidigers nicht aus eigenem Recht erfolgt, sondern akzessorisch zum Beschuldigten“36, somit Prozeßhandlungen des Verteidigers zulässig (wirksam, rechtmäßig) sind grundsätz29 Vgl. Eb. Schmidt, Lehrkomm. I, 2. Aufl. (1964), Rn. 71: „Prozeßrechtssubjekts-Gehilfe“. Näher unten II. 1. b). 30 Vgl. unten II. 1. b). 31 Vgl. jedoch bereits v. Holtzendorff (o. Fn. 21), S. 405 zum Wahlverteidiger: „Sein Verhältnis zum Clienten ist abhängig von den besonderen Abreden, die unter den Beteiligten getroffen werden, so daß der gewählte Verteidiger nichts gegen den ausgesprochenen Willen des Clienten unternehmen darf …“ (S. 206: z. B. auch keine Beweisanträge stellen). 32 Knapp, Der Verteidiger – ein Organ der Rechtspflege?, 1974, S. 31 ff., 122; Welp (o. Fn. 2), S. 813 ff., 817, 822; ders., Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90 (1978), 101, 117 ff.; Ostendorf (o. Fn. 2), S. 1350; Seelmann, Die Ausschließung des Verteidigers, NJW 1979, 1128, 1130; Holtfort, Der Anwalt als soziale Gegenmacht, in: ders. (Hrsg.), Strafverteidiger als Interessenvertreter, 1979, S. 37, 45; Grünwald, Die Verteidigung, AnwBl 1980, 5, 6; Wassmann (o. Fn. 12), S. 64 ff., 71 ff., 73; Lüderssen, Wie abhängig ist der Strafverteidiger von seinem Auftraggeber? in FS Dünnebier, 1982, S. 263, 266 ff., 270 ff.; ders. (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 33 – 74; Gatzweiler, Möglichkeiten und Risiken einer effizienten Strafverteidigung, StV 1985, 248 ff. – Vgl. auch Arbeitskreis Strafprozeßreform (Bemmann/Grünwald/Hassemer/Krauß/Lüderssen/Naucke/Rudolphi/Welp), Die Verteidigung – Gesetzentwurf mit Begründung, 1979, § 1 I 1: „Der Verteidiger vertritt die Interessen des Beschuldigten“. 33 Vgl. etwa Grünwald (o. Fn. 32), S. 5, 6; LR-Lüderssen (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 22, 24 u. 64. 34 Vgl. z. B. Ostendorf (o. Fn. 2), S. 1348, 1349; Wassmann (o. Fn. 12), S. 73; LR-Lüderssen (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 42, 49 u. 85 (m. Hinw. auf §§ 675, 665 BGB); ders. (o. Fn. 32), S. 270 ff. Gegen Weisungsgebundenheit jedoch Welp (o. Fn. 2), S. 820 f. 35 Isermann, Recht und Politik, 1976, S. 119; Holtfort (o. Fn. 32), S. 37 ff. – Gegen diesen rechtsunbegrifflichen, normativ unfundierten und rechtsentscheidungsuntauglichen Topos zutr. Beulke (o. Fn. 2), S. 61, 64 ff.; Strzyz, Die Abgrenzung von Strafverteidigung und Strafvereitelung, 1983, S. 43; LR-Lüderssen (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 88; Lamberti, Strafvereitelung durch Strafverteidiger, 1988, S. 46 f. Im übrigen ist Strafverteidigung „ein Recht innerhalb des Verfahrens, kein Recht gegen das Verfahren“ (Hassemer, Reform der Strafverteidigung, ZRP 1980, 326, 331). 36 LR-Lüderssen (o. Fn. 14), § 138a Rn. 78.

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lich nur innerhalb seiner Stellvertretungs-Vollmacht (§§ 164 ff. BGB)37. Insbesondere: da der Beschuldigte prozessual zur Lüge berechtigt, jedenfalls sie ihm verfahrensrechtlich sanktionslos unverboten sei, gelte – gegen die „Organtheorie“38 – zumindest im Rahmen jener Einlassungsfreiheit Gleiches39 für den entsprechend beratenden Verteidiger ohne Konsequenzen aus § 258 StGB, § 138 a I Nr. 3 StPO40. Gegen „Vertretungs“-Konzepte ist einzuwenden: Erstens sind sie illegal, weil die StPO echte Stellvertretung im wesentlichen vorsieht nur für Bekanntmachungen (§ 145a I StPO), Abwesenheitsverhandlungen (i. S. der §§ 234, 234a StPO)41 und Ermächtigungen gem. § 302 II StPO (in der Sache auch § 297 StPO), sonst aber vielfältige, häufig vertretungsausschließende eigene prozessuale Rechte/Pflichten des Beschuldigten42 und Verteidigers43 normiert. – Zweitens ist das Strafverfahren kein Parteienprozeß frühliberalistischer Vorstellungen oder anglo-amerikanischer Provenienz. Grundsätzlich stehen weder Durchführung noch Ergebnis des Verfahrens zur Disposition des Beschuldigten. Nicht dessen (subjektive) Interessen44, sondern (objektive) Rechte45 sind prozessualen Schutzes würdig und bedürftig. Seine „Privatautonomie“ begrenzen – als Schranken der „verfassungsmäßigen Ordnung“ (Art. 2 I GG) – die Prozeßnormen46. Diese sichern verteidigungsfinal, jeweils unverzichtbar für den Beschuldigten, zum einen (Stichwort: Waffengleichheit) seine Menschenwürde (Art. 1 I GG) als (positiv) mitwirkungs- und dialogfähiges Prozeßsub-

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LR-Lüderssen (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 65, 66 – 74. Dazu unten II. 2. b) mit Fn. 66. 39 A. M. jedoch Welp (o. Fn. 2), S. 819: Die Rücksicht auf die „notstandsähnliche Situation“ des leugnenden Beschuldigten entfalle für den – somit wahrheitspflichtigen – Verteidiger. Soll er aber seinen Mandanten aus diesem „Notstand“ nicht retten dürfen, ja dessen Verteidigungsfreiheit durch disfunktionales Prozeßverhalten u. U. sogar konterkarieren müssen? Dies gefährdete entscheidend die Effizienz einheitlicher Verteidigung (zutr. Gatzweiler [o. Fn. 32], S. 250; Schlothauer, Vorbereitung der Hauptverhandlung durch den Verteidiger, 1988, Rn. 73; Lamberti [o. Fn. 35], S. 216 f.). 40 Ostendorf (o. Fn. 2), S. 1345, 1349; Holtfort (o. Fn. 32), S. 45; Wassmann (o. Fn. 12), S. 87 f., 133 ff.; Strzyz (o. Fn. 35), S. 268, 303, 304; Gatzweiler (o. Fn. 32), S. 250. Vgl. auch Vormbaum (o. Fn. 2), S. 426; LR-Lüderssen (o. Fn. 14), § 138a Rn. 45 – 47; i. Erg. ebenso bereits Frank (o. Fn. 2), § 257. 41 §§ 232, 233, 329 I, 350 II 2, 387 I, 411 II StPO, § 74 II OWiG. 42 Z. B. §§ 136 I, 243 IV 1 (vgl. Fn. 25); 230, 231 I, 329 I 1; 240 II 1, 257 I, 258; 240 II 2, 247; 216, 217; 168 c II, 168 d I, 224 I 1, 224 II, 225; 61 Nr. 5, 251 I 4, 251 II 1; 201, 219, 244 III-V, 245; 220, 44 StPO. 43 Etwa §§ 147; 148; 222a III; 239, 240 II 1; 118 a II 2, 168 c II, 168 d I, 224 I 1, 224 II, 225, 233 III; 222 a I 2 Halbs. 2; 218; 257 II, 345, 366 II; 61 Nr. 5, 79 I 2, 251 I 4, 251 II 1; 201, 219; 244 III-V, 245, 220 StPO. 44 Z. B. der eine (ungerechtfertigte) Verurteilung wünschende (etwa um den wirklichen Täter zu decken, einen Zeugen nicht bloßzustellen, seine eigene Geisteskrankheit nicht offenbaren zu müssen) Beschuldigte wendet sich gegen Entlastungsbeweise. 45 Vehling, Die Funktion des Verteidigers im Strafverfahren, StV 1992, 86, 87. 46 Dazu unten III.1. 38

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jekt in einem rechtsstaatlichen Strafverfahren47 mit (negativ) qualifizierter Kontrollierbarkeit gegen ihn gerichteten Staatshandelns48, zum andern (Stichworte: audiatur et altera pars, rechtliches Gehör, Dialektik des Anklageprozesses) die Wahrheitsfindung gerade auch durch einseitig-beschuldigtenbegünstigendes Verteidigen49, damit – im eigenen Interesse des Staates und seiner Strafrechtspflege – dem Beschuldigten kein Unrecht geschehe50. Effektivität dieser Verteidigungsfunktionen erfordert: das 47

BVerfGE 26, 66, 71; 34, 293, 302: „Das Recht der freien Verteidigerwahl und der seit einem Jahrhundert anerkannte Grundsatz der „freien Advokatur“ … sind wesentliche Voraussetzungen eines Strafverfahrens, in dem der Beschuldigte nicht zum Objekt staatlichen Handelns wird, sondern seine Stellung als Prozeßsubjekt behauptet und die damit verbundenen Rechte auch wirksam zu nützen vermag“. Vgl. auch BVerfGE 38, 105, 111; 70, 297, 323; Gössel, Die Stellung des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren, ZStW 94 (1982), 5, 24 f., 30; Krey (o. Fn. 2), Rn. 541 f.; Vehling (o. Fn. 45), S. 89. Vgl. bereits Planck, Systemat. Darstellung des deutschen Strafverfahrens auf der Grundlage der neueren Strafprozeßordnungen seit 1848, 1857, S. 151: der Anklageprozeß „sichert … vollkommen dem Angeklagten die seiner persönlichen Würde als Staatsbürger zukommende rechtliche Stellung, kraft deren er in seinen durch die Strafe gefährdeten individuellen Rechten dem Staatsganzen ebenbürtig gegenüber steht“. – Für die Staatsanwaltschaft s. Nr. 127 I 1 RiStBV: „Der Staatsanwalt wirkt darauf hin, daß das Gesetz beachtet wird“. 48 Mittermaier, Anleitung zur Vertheidigungskunst im deutschen Strafprozesse … 1845, S. 8 f.; Beling (o. Fn. 2), S. 150; Dohna (o. Fn. 17), S. 67; Gössel (o. Fn. 47), S. 30; Hassemer (o. Fn. 35), S. 30; Fezer (o. Fn. 2), 4/11; Roxin (o. Fn. 16), § 19 A I; Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 1 mwN. 49 Motive (Hahn, Die gesammten Materialien zur StPO, 1. Abt., 1880), S. 142 (zu § 124 StPO-Entwurf = § 137 StPO): „Ist auch nicht zu leugnen, daß es Fälle geben wird, in denen die Zulassung der Vertheidigung im Vorverfahren der Ermittlung der Wahrheit hinderlich sein kann, so ist es dem gegenüber doch außer Zweifel, daß die Vertheidigung in vielen Fällen dieser Ermittlung förderlich sein … kann.“ Noch deutlicher der Bericht der Kommission des Reichstags über den StPO-Entwurf (Hahn, Die gesammten Materialien zur StPO 2. Abt., 1881), S. 1532: „Eine verständige Vertheidigung, welche als ihre Aufgabe das Bestreben verfolgt, die dem Angschuldigten günstigen Thatsachen zu erforschen … wird stets als ein willkommener Beistand zur Feststellung der materiellen Wahrheit eine wichtige und dankbare Funktion im Strafverfahren ausüben, und die Gesetzgebung wird ihre Aufgabe sicherer erfüllen, wenn sie der Vertheidigung die Mittel gewährt, um diese Funktion allseitig durchzuführen“. In gleichem Sinn BVerfGE 34, 293, 302; Mittermaier (o. Fn. 48), S. 2, 35 („formelle Vertheidigung, an deren Begünstigung der Staat selbst ein höheres Interesse hat, in so fern die Vertheidigung als sicheres Mittel der Entdeckung der Wahrheit und Verhinderung ungerechter Strafurteile erscheint, und er nur dann hoffen kann, daß die von den Gerichten gesprochenen Urtheile volles Vertrauen genießen, wenn die allgemeine Ueberzeugung begründet ist, daß dem Angeschuldigten seine Vertheidigung auf die ausgedehnteste Weise möglich gemacht werde“), S. 40, 59 f.; v. Holtzendorff (o. Fn. 21), S. 416 f.; Planck (o. Fn. 47), S. 49; Glaser (o. Fn. 14), S. 222 f., 241; v. Kries (o. Fn. 19), S. 232; Birkmeyer, Dt. StrafprozessR, 1898, S. 348 f.; Bennecke/Beling, Lehrb. des Deutschen Reichs-Strafprozeßrechts, 1900, S. 134; Gallas (o. Fn. 2), S. 268, 270; v. Hippel (o. Fn. 15), S. 294; Knapp (o. Fn. 32), S. 122; Heinicke (o. Fn. 2), S. 445 ff.; Welp (o. Fn. 2), S. 816 f.; Armbrüster, Die Entwicklung der Verteidigung in Strafsachen, 1980, S. 139; Fezer (o. Fn. 2), 4/16; Beulke (o. Fn. 10), Rn. 17; Roxin (o. Fn. 16), § 19 A I; Mehle (o. Fn. 2), S. 187. 50 Dohna (o. Fn. 14), S. 69 f.; Gerland (o. Fn. 21), S. 151; LR-Dünnebier (o. Fn. 14), § 140 Rn. 1; Welp (o. Fn. 2), S. 815; ders. (o. Fn. 32), S. 117; KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 27; Barton, Das Vertragsprinzip – ein neues Strafverteidigungs-Paradigma?, StV 1990, 237, 238 f.

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Institut der – nur sekundär auch verfahrenssichernden – notwendigen Verteidigung51, wenn Defizite52 jener (objektiv-rechtlich zu begreifenden) Eigenverteidigung durch den Beschuldigten konkret erkennbar (§ 140 II StPO) oder generell-gesetzlich fingiert (§ 140 I StPO) sind53; Verzicht auf Vertrauen des Beschuldigten als stets notwendige Bedingung wirksamen Verteidigerhandelns54 ; Verteidigungsqualitäten in personeller (§§ 138, 139 StPO) und sachlicher55 Hinsicht; funktional-sachliche56 Unabhängigkeit des Verteidigers vom Beschuldigten57. Vgl. auch RGSt 64, 164; 66, 211; 77, 153, 154; BVerfGE 34, 293, 302; BGHSt 29, 99, 106; Beulke (o. Fn. 2), S. 61 ff., 147 ff. 51 Daß Verteidigerbeiordnung – sachlich (§ 140 StPO) oder persönlich (§ 142 StPO) – gegen den Beschuldigtenwillen mit der Theorie der „Interessenvertretung“ vereinbar sei (abl. auch Barton (o. Fn. 50), S. 329), ist deshalb auch nicht zu retten mit dem Gesichtspunkt notwendigen Ausgleichs des „Autonomiedefizits“ (so aber LR-Lüderssen [o. Fn. 14], vor § 137 Rn. 63 – 64), zumal sodann „subjektive Interessen“ prozeßrelevant nur noch innerhalb objektiv-rechtlicher Verteidigerfunktionen sein können. 52 Staatliche „Fürsorge“ ist insoweit primär nicht eine soziale (a.M. Welp [o. Fn. 2], S. 821), sondern rechtsstaatlich-prozessuale Aufgabe: „Es muß im höheren Interesse des Staats an der Gerechtigkeit auch dafür gesorgt werden, daß wenigstens bei Anklagen wegen schwerer Verbrechen ein rechtsgelehrter Vertheidiger aufgestellt werde, selbst wenn Verzweifelung oder falsche Ansicht, durch Unterwerfung unter die Gnade des Regenten etwas gewinnen zu können, den Angeschuldigten bewogen haben sollten, auf eine förmliche Defension zu verzichten“ (Mittermaier [o. Fn. 49], S. 6). 53 Motive (o. Fn. 49), S. 143 (zu § 126 StPO-Entwurf = §§ 140 – 143 StPO): Die Verteidigung soll „eine nothwendige sein dergestalt, daß sie selbst gegen den Willen des Beschuldigten vom Gericht angeordnet werden muß. Das Motiv hierfür ergiebt sich einerseits aus der Erwägung, daß, je größer das den Angeklagten vielleicht treffende Strafübel ist, desto ausgiebiger die Schutzmittel gegen die Möglichkeit einer unbegründeten Verurtheilung zu bemessen sind …“. Daher unrichtig Welp (o. Fn. 2), S. 816 f. u. (o. Fn. 32), S. 119, das Strafverfahren lege alle Bedingungen für ein gerechtes Urteil schon außerhalb formeller Verteidigung an; diese sei hierfür nicht notwendige Funktion, sondern nur zusätzliche Sicherheit. Denn materielle Verteidigung ist stets (auch) formelle dann prozeßkonstitutives Strukturelement (Mittermaier [o. Fn. 48], S. 40; Gallas [o. Fn. 2], S. 262; KMR-Sax [o. Fn. 2], Einl. IV Rn. 27; Beulke [o. Fn. 2], S. 73; Lamberti [o. Fn. 35], S. 52), wenn sie notwendiges Mittel ist, materielle Verteidigung sachgerecht zu üben (oben II.1.a) a.E.). 54 KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 31; a. M. Welp (o. Fn. 32), S. 102. 55 Insb. Ausschließung nach §§ 146, 146a, 138a ff. StPO. 56 Vgl. bereits o. Fn. 26. 57 BVerfGE 53, 207, 214; BGH NStZ 1992, 140; Planck (o. Fn. 47), S. 168; Glaser (o. Fn. 14), S. 241, 245; v. Kries (o. Fn. 19), S. 244; Ullmann, Lehrb. des Deutschen Strafprocessrechts, 1893, S. 255; Beling (o. Fn. 2), S. 151; Dohna (o. Fn. 14), S. 74; v. Hippel (o. Fn. 15), S. 293, 298 Anm. 4; KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 30; Gössel (o. Fn. 47), S. 33 f.; Fezer (o. Fn. 2), 4/10 u. 17; Krey (o. Fn. 2), Rn. 536, 547; Kühne (o. Fn. 14), Rn. 82; Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 1; Ranft, StrafprozeßR, 1991, § 21 B III 1; Vehling (o. Fn. 45), S. 88; auch Welp (o. Fn. 2), S. 817, 820 f. (auf Fragen bloßer Zweckmäßigkeit innerhalb rechtlicher Bindungen des Verteidigers reduziertes Weisungsrecht des Beschuldigten). Vgl. bereits RGSt 16, 376, 377 f. (Verteidiger habe „das Recht und die Pflicht, seiner Aufgabe der Verteidigung nachzukommen in der Weise, wie seine Überzeugung es ihm vorschreibt“); RGSt 17, 315 („Die Stellung des Verteidigers … wurzelt … im öffentlichen Rechte und

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2. Verteidiger als „Organ der Strafrechtspflege“ a) Die „Organtheorie“ sieht in ihrem Selbstverständnis den Verteidiger als zwar institutionell unabhängig vom Gericht58 ihm und der Staatsanwaltschaft gleichberechtigt59 und auch funktional gehalten, einseitig zugunsten des Beschuldigten zu wirken60. Gebunden jedoch sachlich an die Prozeßziele „Wahrheit und Gerechtigkeit“61, als „Diener am Recht“62 auch dem Staatsinteresse an effektiver, funktionsfähiger Strafrechtspflege verpflichtet63, dürfe er diese als „nicht nur seines Clienten, sondern auch des Staates Mandatar“64 nicht (bewußt) behindern65. Er unterliege insbesondere einem (durch § 258 StGB gesicherten) prozessualen Lügeverbot66 und sei erweist sich insofern von jeder anderen Kontrolle als derjenigen des eigenen Gewissens unabhängig“). 58 BVerfGE 16, 214, 217; Gallas (o. Fn. 2), S. 270; Krey (o. Fn. 2), Rn. 536. 59 RG JW 1926, 2756; DRZ 1928, 470; BGHSt 9, 20, 22. 60 Nachw. in Fn. 49. Ferner BGH NStZ 1992, 140, 141; Schlüchter (o. Fn. 14), Rn. 101; Beulke (o. Fn. 10), Rn. 17; Vormbaum (o. Fn. 2), S. 423; Krey (o. Fn. 2), Rn. 535; Kühne (o. Fn. 14), Rn. 90; Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 1; Krekeler (o. Fn. 2), S. 147; Ranft (o. Fn. 57), § 21 B II 1 a. 61 RGSt 66, 316, 326; 70, 390, 392 f.; BVerfGE 38, 105, 119 („staatlich gebundener Vertrauensberuf“ des Rechtsanwalts, „der ihm eine auf Wahrheit und Gerechtigkeit verpflichtete amtsähnliche Stellung zuweist“); BGHSt 9, 20, 22; OLG Hamburg NJW 1978, 1172; Mittermaier (o. Fn. 48), S. 59; Beulke (o. Fn. 10), Rn. 17 („Dies ist der Kern der Organtheorie“); Dreher/Tröndle (o. Fn. 2), § 258 Rn. 7; Liemersdorf, Grenzziehung zwischen zulässigem und unzulässigem Verhalten des Strafverteidigers im Umgang mit seinem Mandanten, MDR 1989, 204. 62 RGSt 17, 315, 316; 24, 296; 35, 128; 40, 303; 42, 1; 70, 82; BGHSt 2, 375, 377; KG DJZ 1932 Sp. 1409; OLG Hamburg JZ 1979, 275. 63 BVerfGE 15, 226, 234; 16, 214, 216 f.; 33, 367; 34, 293, 300, 302, 306 f.; 39, 156, 165; 39, 211, 219; 39, 238, 245; 41, 246, 250; BGHSt 15, 326, 327; 18, 396, 397; 25, 272, 275; 26, 221, 224, 226; BGH NJW 1980, 64 f. m. Anm. Bottke JA 1980, 448; Beulke (o. Fn. 2), S. 69, 82, 114, 144, 149, 200 f., 218; ders. (o. Fn. 10), Rn. 11 (mwN.); Eb. Schmidt (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 17; LR-Dünnebier (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 9; Peters (o. Fn. 14), § 29 II; Heinicke (o. Fn. 2), S. 323; Müller-Dietz (o. Fn. 2), S. 248; Schier, Die Stellung des Rechtsanwalts in der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte, AnwBl 1984, 410, 415; Schlüchter (o. Fn. 14), Rn. 101; Krey (o. Fn. 2), Rn. 536; Roxin (o. Fn. 16), § 19 A II 1. Vgl. auch Fn. 80. 64 Vargha (o. Fn. 21), S. 350. 65 RGSt 66, 316, 326; BGHSt 2, 375, 377; 9, 20, 22. Ähnlich Ullmann (o. Fn. 57), S. 254; Beling (o. Fn. 2), S. 150; Dohna (o. Fn. 14), S. 68; Schlüchter (o. Fn. 14), Rn. 102. Vgl. bereits die Materialien zur StPO (o. Fn. 49), S. 1532: Verbot, den wahren Sachverhalt zu verdunkeln und auf die Ermittlung der gegen den Angeklagten sprechenden Tatsachen hindernd einzuwirken. 66 RGSt 35, 128, 129; BGHSt 9, 20, 22; BGH NJW 1972, 2140, 2141; OLGe München NJW 1976, 253 und Frankfurt NStZ 1981, 144, 145 m. Bespr. Seier (o. Fn. 2); Mittermaier (o. Fn. 48), S. 64, 141; Fuld, Die Aufgabe der Verteidigung, JW 1882, 53, 54 f.; v. Liszt (o. Fn. 14), S. 179; v. Lilienthal (o. Fn. 14), S. 101; Ebermayer, Verteidigung und Begünstigung, DJZ 1927, 138; Gallas (o. Fn. 2), S. 268, 269; LR-Dünnebier (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 11; Müller-Dietz (o. Fn. 2), S. 249, 250 f.; Beulke (o. Fn. 2), S. 145 ff., 164 ff., 195, 200 f.; ders. (o. Fn. 10), Rn. 17; Peters (o. Fn. 14), § 29 I; Schlüchter (o. Fn. 14), Rn. 101, 105; Klein-

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als Folge in jenem Sinn verteidigungswidrigen Verhaltens, namentlich bei Strafvereitelungsverdacht, vom Verfahren auszuschließen67. Kurz: Beschränkung prozessualer Beistandsmöglichkeiten infolge „Organstellung“ des Rechtsanwalts. b) Die „Organtheorie“ ist ungeeignet, prozessual legales und illegales Verteidigen zu trennen: Erstens ist ihre prozessuale Begrenzungsfunktion nicht historisch begründbar. Entbeamtet68 durch Gesetz von 187869 und aufgewertet zum „unabhängigen Organ der Rechtspflege“70, war dem Rechtsanwalt entscheidend Unabhängigkeit von anderen Justizorganen attestiert und – selbstverständliche – Bindung an Gesetz und Recht aufgegeben71. Daß und wie nun die „Organ“-Eigenschaft taugliches Kriterium geworden sein könnte, Prozeßnormen zu korrigieren oder auch nur zu interpretieren, ist weder ersichtlich noch begründbar, da, Grund und Folge richtig sehend, „allenfalls genau umgekehrt erst aus einer vorherigen Bestimmung von Inhalt und Grenzen des legitimen prozessualen Handelns des anwaltlichen Verteidigers gefolgert werden (kann), ob und wie weit er als unabhängiges Rechtspflegeorgan tätig wird“72. – Zweitens ist der – wesentlich rechtspolitisch besetzte – „Organ“-Begriff als solcher vage, substanzlos73 und ideologieanfällig74. Strafprozeßirrelevante75 In-

knecht/Meyer (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 2; Pfeiffer (o. Fn. 2), S. 345; Krey (o. Fn. 2), Rn. 662; Roxin (o. Fn. 16), § 19 A II 3b, c, d; Ranft (o. Fn. 57), § 21 B II 1a; LK-Ruß Rn. 19, Dreher/ Tröndle, Rn. 7, Lackner, Rn. 9 und Stree, Rn. 20 (jew. o. Fn. 2), alle zu § 258. 67 Seit 1974: §§ 138a ff. StPO (zuletzt BGHSt 37, 395, 396 m. Hinw. auf „Beistands“- und „Organ“-Stellung). Früher: RG JW 1926, 2756; DRiZ 1928, 470, 471 (abl. Beling [o. Fn. 2], S. 149; Gallas [o. Fn. 2], S. 262 f. mwN. pro u. contra). Vgl. auch BGHSt 26, 221, 226 (Tatbeteiligung); BGHSt 9, 20; 15, 326. – Daß diese „schärfste Maßnahme … gegenüber dem Anwalt des Beschuldigten überhaupt“ (BVerfGE 34, 293, 302) gesetzlicher Grundlage bedarf (BVerfGE 22, 114 ff.; 34, 293, 299 ff.), ist entgegen dem BVerfG allerdings ein Erfordernis nicht (nur) des Art. 12 GG (zumal auch Nicht-Rechtsanwälte Verteidiger sein können), sondern bereits prozessualer Gesetzmäßigkeit (dazu unten II. 2. b)). 68 Zur – kurzfristigen – Institution der preußischen „Assistenzräthe“ näher Beulke (o. Fn. 2), S. 29 – 31. 69 v. Liszt (o. Fn. 14), S. 180; Wassmann (o. Fn. 12), S. 97; Mehle (o. Fn. 2), S. 183. 70 Heute § 1 BRAO. Zur Begriffsentwicklung durch die (Ehren-)Gerichte vgl. Armbrüster (o. Fn. 49), S. 141 f.; Rspr.-Nachw. auch bei Bottke (o. Fn. 2), S. 739 Anm. 6. 71 Insoweit ist der Begriff „Organ der Rechtspflege“ zwar formell berechtigt (Armbrüster [o. Fn. 49], S. 143, 144; Mehle [o. Fn. 2], S. 187; Vehling [o. Fn. 45], S. 87), doch wäre er zirkelschlüssig verwendet, würden daraus sodann wieder inhaltliche Kriterien (un-)zulässigen Verteidigens abgeleitet (zutr. Gössel [o. Fn. 47], S. 7). 72 KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 18. 73 Waldhorn (o. Fn. 2), S. 18 ff.; Knapp (o. Fn. 32), S. 98, 123, 140 f.; Beulke (o. Fn. 2), S. 20 ff. 74 Hassemer (o. Fn. 35), S. 328; Bottke (o. Fn. 2), S. 742; Lamberti (o. Fn. 35), S. 39; Barton (o. Fn. 50), S. 239. Etwa: Versuche hieraus in der NS-Zeit, den Verteidiger als „Rechtswahrer“ zwecks Sicherung der „völkischen Lebensordnung“ zur Mitwirkung an der Sachaufklärung auch zum Nachteil des Beschuldigten zu zwingen (Staege, Amtliche Ehrengerichtsbarkeit, DR 1941, 519, 523; Hanssen, Die Stellung des Rechtsanwalts als Organ einer starken nationalsozialistischen Rechtspflege, DR 1944, 353, 354).

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haltsmaßstäbe sind Grundsätze anwaltlichen Standesrechts76, abgeleitet aus § 1 BRAO oder konkretisiert in den Richtlinien gem. § 177 II 2 BRAO77, zumal auch der Verteidiger nicht notwendig Rechtsanwalt sein muß78, und der „formell“ unverteidigte Beschuldigte besser stünde als der sich Anwaltsbeistands bedienende79. – Drittens sind selbst bei Annahme, der Verteidiger müsse als „Organ“ der Strafrechtspflege (auch) ihre Funktionsfähigkeit80, deren Notwendigkeit vernünftigerweise nicht bestreitbar ist81, achten, seine (gesetzlich gewährten) prozessualen Befugnisse gesetzlos82 (!) beschränkbar auch dann nicht83, wenn ihre Ausübung den „Kernbereich“ effektiver Strafrechtspflege träfe84 oder diese in eine „Notwehrsituation“ brächte85. Nur vordergründig ist der Einwand vager Unbestimmtheit86 dieser Krite75 A. M. z. B. BGHSt 32, 243, 247; OLG Frankfurt (wie o. Fn. 66); Horber (o. Fn. 19), S. 47; Müller-Dietz (o. Fn. 2), S. 249; Kuckuk, Anm. zu BGHSt 29, 99 in NJW 1980, 298; Beulke (o. Fn. 10), Rn. 17; Liemersdorf (o. Fn. 61), S. 204 f.; Krey (o. Fn. 2), Rn. 537 – 539; Kühne (o. Fn. 14), Rn. 90, 91.1; Kleinknecht/Meyer (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 2; LK-Ruß (o. Fn. 2), § 258 Rn. 19; Dreher/Tröndle (o. Fn. 2), § 258 Rn. 7; Ranft (o. Fn. 57), § 21 B 1a u. 2. 76 Zutr. Gallas (o. Fn. 2), S. 267 f.; KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 18 u. 49; Knapp (o. Fn. 32), S. 104 f., 134; Ostendorf (o. Fn. 2), S. 1350; Fezer (o. Fn. 2), 4/11 u. 39; LR-Lüderssen (o. Fn. 14), vor § 137 Rn. 79; Krekeler (o. Fn. 2), S. 147. So auch BGHZ NJW 1991, 42 zu § 23 der RiL des anwaltl. Standesrechts (standeswidrige Erwirkung eines Versäumnisurteils gegen eine anwaltlich vertretene Partei „entfaltet keine rechtliche Wirkungen“). 77 Insbesondere (ungeachtet BVerfG NStZ 1988, 74) § 68 RiL: „Der Rechtsanwalt unterliegt auch als Verteidiger der Pflicht zur Wahrheit. Beweismittel, die die Wahrheit verfälschen, darf er nicht verwenden. In diesen Grenzen ist es seine Aufgabe, dafür zu sorgen, daß über den Beschuldigten nur auf Grund einer nach der StPO zulässigen Beweisführung geurteilt wird“. 78 KMR-Sax Einl. IV Rn. 14; Ostendorf, S. 1346; Mehle, S. 183 – jew. o. Fn. 2. 79 v. Liszt (o. Fn. 14), S. 180; Wassmann (o. Fn. 12), S. 97; Mehle (o. Fn. 2), S. 183. 80 Dazu auch BVerfGE 51, 324, 343 f.; 64, 116; 77, 76; BVerfG NStZ 1987, 276 u. 419; NJW 1988, 1075; StV 1990, 1. – Allgemein abl. Hassemer, Die „Funktionstüchtigkeit der Strafrechtspflege“ – ein neuer Rechtsbegriff?, StV 1982, 275 ff.; Niemöller/Schuppert, Die Rspr. des BVerfG zum StrafverfahrensR, AöR 1982, 389, 394 ff.; Strzyz (o. Fn. 35), S. 194 ff., 198 f.; Lamberti (o. Fn. 35), S. 117 ff.; SKStPO-Wolter 1990, vor § 151 Rn. 34 ff.; Roxin (o. Fn. 16), § 1 B II. 81 Zutr. Gössel (o. Fn. 47), S. 27; Bottke (o. Fn. 2), S. 747 f. 82 KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 22 u. 25 sowie X 82. Vgl. auch Gallas (o. Fn. 2), S. 270; Weber (o. Fn. 11), S. 295, 299 f.; Spaniol (o. Fn. 11), S. 278 f. 83 So i. Erg. auch BVerfGE 22, 114, 120; 37, 66, 77 f.; 41, 231, 242 f.; 43, 79, 90 f.; 48, 118, 124; 56, 99, 109 (vgl. auch o. Fn. 67). Dazu Schier (o. Fn. 63), S. 415; Lamberti (o. Fn. 35), S. 58 f. – A. M.: Lüderssen (o. Fn. 2), S. 264. 84 So aber Beulke (o. Fn. 2), S. 145 ff.: im Ermittlungsverfahren bei Gefährdung des Untersuchungszwecks z. B. durch Verletzung der „Wahrheitspflicht“ (S. 149, 154); in der Hauptverhandlung etwa bei Freispruchsantrag, obwohl der Verteidiger vom bewiesenen Schuldvorwurf überzeugt ist (S. 150 f.), bei Einbringung unwahrer Zeugenaussagen ins Verfahren (S. 151 f.), bei grundloser Abqualifizierung eines Zeugen wider besseres Wissen als unglaubwürdig (S. 152); ferner OLG Frankfurt (wie o. Fn. 66). – Abl. Wassmann (o. Fn. 12), S. 93; Strzyz (o. Fn. 35), S. 199 f.; Lamberti (o. Fn. 35), S. 122 f.; SK-Samson (o. Fn. 2), § 258 Rn. 38 a. 85 Dahs, Ausschließung und Überwachung des Strafverteidigers – Bilanz und Vorschau, NJW 1975, 1385, 1389; ders., Wehrhafter Rechtsstaat und freie Verteidigung – ein Wider-

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rien. Denn sie sind letztlich Versuche, das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu konkretisieren87. Dieses aber vermag zwar gesetzlich an sich zulässiges Staatshandeln zu begrenzen, niemals jedoch hoheitliche Eingriffe in gesetzliche Rechte privater Prozeßbeteiligter zu legitimieren88 ; prinzipiell Gleiches gilt für den Versuch89, aus dem Gebot der Prozeßfairneß eine „Wahrheitspflicht“ des Verteidigers abzuleiten90. Um prozessuale Verteidigungsrechte, weder erweitert durch die „Vertreter-“ noch begrenzt durch die „Organtheorie“, geht es also. Es gilt das (verfassungsmäßige) Gesetz, nichts sonst. Die allgemeine Leitlinie, die prozeßordnungsgemäßes von verfahrenswidrigem Verhalten trennt, muß die – normativ vorgegebene – „Struktur des Strafprozesses“ liefern91.

III. Der Begriff strafprozessualen Verteidigens 1. Dogmatische Grundlegung a) Ziel des Strafverfahrens92 ist die rechtsrichtige Entscheidung (= „Aussage“) des Gerichts (im Ermittlungsverfahren: der Staatsanwaltschaft, § 170 StPO) formal über den Prozeßgegenstand (§§ 155, 264 i. V. mit §§ 203, 204, 260, 261 StPO), staatsrechtlich darüber, ob die prozessuale Unschuldsvermutung93 widerlegt sei, ob also alle tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Verfahrens und ggf. die Anwendung materiell-rechtlicher Strafnormen rechtsspruch?, ZRP 1977, 164, 165. – Abl. KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 23; Lamberti (o. Fn. 35), S. 116. 86 Lamberti (o. Fn. 35), S. 116, 122 f.; SK-Samson (o. Fn. 2), § 258 Rn. 38 a. Die „Vagheit“ seiner „Kernbereichsthese“ räumt Beulke (o. Fn. 2), S. 146, selbst ein. 87 Zutr. KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 23. 88 Insoweit z. B. zu den Beweisverboten vgl. Verf. (o. Fn. 5), vor § 48 Rn. 79, § 244 Rn. 513, 514. Daher unrichtig (und zudem kreisschlüssig) BGHSt 32, 243, 247 (m. Hinw. auf BGHSt 29, 99, 102 f.): Begünstigt (an sich zulässiges) Verteidigerverhalten den Fortbestand einer terroristischen Vereinigung (§ 129a StGB), seien bei gebotener „Abwägung“ die Grenzen erlaubter Verteidigung „jedenfalls dann überschritten, wenn die Außerachtlassung des Verbots, einer terroristischen Vereinigung Hilfe zu leisten, wegen der Art der schweren Folgen der Handlung von der Verteidigerstellung nicht mehr gedeckt ist, was nur anhand des Einzelfalles beurteilt werden“ könne. 89 Bottke (o. Fn. 2), S. 750 – 755. 90 Abl. auch Lamberti (o. Fn. 35), S. 107 ff., Krekeler (o. Fn. 2), S. 147, und Mehle (o. Fn. 2), S. 184, weil das rechtsstaatliche Fairneßgebot (dazu krit. Verf. [o. Fn. 5], vor § 226 Rn. 29 – 35) „die strafende Staatsgewalt, nicht aber den Beschuldigten bindet“ (KMR-Sax [o. Fn. 2], Einl. X Rn. 76 – 77 gegen Schmid, Die Verwirkung von Verfahrensrügen, 1967, S. 311). 91 KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 49; vgl. auch Gössel (o. Fn. 47), S. 8. 92 Näher Verf., Beweisverbote als Porzeßhandlungshindernisse, in GedS f. K. Meyer, 1990, S. 309, 313 – 316. 93 Zu ihrer – häufig verkannten – Funktion vgl. Verf., Anm. zum Beschl. des BVerfG v. 29. 5. 1990, NStZ 1990, 600 f.; Verf. (o. Fn. 5), § 244 Rn. 303 – 310.

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richtig festgestellt sind. Daher prozeßspezifisch zu definieren ist auch der (normative) Begriff – als Zentralaufgabe jedes Strafverfahrens zu ermittelnder (§§ 244 II, 261 StPO) – prozessualer Wahrheit94, deren Kriterium nicht eine (ontologische) „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ oder/und „subjektive Gewißheit“ sein kann95, sondern allein rechtsrichtig begründete Überzeugung96, die – wie „Recht“ überhaupt97 – nicht als vorgegeben Seiendes („deklaratorisch“) zu erkennen, sondern in rechtsstaatlich-justizförmiger“ Weise als Verfahrensergebnis zu konstituieren ist. Folglich kann entgegen der h. M.98 auch der Verteidiger nicht (rechtsirrelevanter)99 „ontologischer“ Seins-, sondern, wenn überhaupt, nur „semantischer“ Aussagen(Argumentations-)-Wahrheit verpflichtet sein. Deren Gegenstand aber sind nicht Tatsachenbehauptungen. b) Mittel zu jenem Prozeßzweck sind (verfassungskonform zu interpretierende) Regelungen der verfahrenskonstitutiven prozessualen Formen100, die „materielle“ und „formelle“ Verteidigung einschließen mit ihrer Funktion, den Beschuldigten in seiner Prozeßsubjektsqualität und vor ihm nachteiligen Sachaufklärungsdefiziten bestmöglich zu schützen101. Beachtung prozessualer Förmlichkeiten ist notwendige Bedingung staatlichen Strafens; sie sind in ihrer Gesamtheit ein rechtsstaatsverfahrensprägender Ausgleich verschiedener Rechtswerte – prozessuale Wahrheit, Rechtssicherheit, Prozeßökonomie, Verfahrensbeschleunigung, beweisverbotsgeschützte außerprozessuale Interessen – infolge gesetzgeberischer gegenseitiger Abwägung102. Alle diese Rechtskomponenten tragen auch das Institut der Verteidigung. Der durch StPO-Normen (i. S. der „verfassungsmäßigen Ordnung“ des Art. 2 I GG) nicht eingeschränkten, in Art. 1 I, 2 I GG gründenden Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit des Beschuldigten entspricht seine – verfassungskonform nur durch §§ 137 I 2, 146, 138a ff. StPO begrenzte103 – aus Art. 2 I i. V. mit Art. 20 III GG (Rechtsstaatsprinzip)104 folgende prozeßgrundrechtliche Befugnis, zu jenem 94

705. 95

Eingehend Verf., Prozessuale Wahrheit und Revision, in FS Spendel, 1992, S. 687, 696 –

Verf. (o. Fn. 9), S. 70 f. u. (o. Fn. 94), S. 688 – 696. Verf. (o. Fn. 9), S. 72 – 76 u. (o. Fn. 94), S. 697, 703 – 705. 97 Verf. (o. Fn. 9), S. 56 f., 68 f., 72. 98 Oben II. 2. b) mit Fn. 66. 99 Selbst die Wahrheit bzw. Falschheit einer Zeugenaussage ist, der h. M. („objektive Theorie“) zuwider, nicht an ihrer Übereinstimmung mit der Wirklichkeit zu messen (dazu Verf., Die „falsche Aussage“ als Zentralbegriff der §§ 153 – 163 StGB, in GedS Küchenhoff, 1987, S. 435, 440 ff., 450. 100 Dazu Verf. (o. Fn. 92), S. 322 – 325. 101 Oben II. 1. b) mit Fn. 46 – 50. 102 Verf. (o. Fn. 92), S. 323 f. 103 BVerfGE 22, 114 ff.; 34, 293 ff.; 39, 156, 166; 45, 272, 292. 104 BVerfGE 16, 214, 217; 34, 293, 302; 39, 156, 163; 39, 238, 243; 45, 272, 293; 64, 135, 149; 66, 313, 318. Zur Ableitung dieses Anspruchs aus Art. 6 III c EMRK vgl. Spaniol (o. Fn. 11), S. 56 – 65. 96

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Zweck einen Beistand (§ 138 StPO) seines Vertrauens zu wählen (§ 137 I 1 StPO)105. Ist dem Beschuldigten prozeßgesetzlich aber die Lüge nicht verboten, sondern in Konsequenz seiner Verteidigungsfreiheit (grund)rechtlich (Art. 2 I GG) erlaubt, gilt dies auch106 für den – gesetzlich daran ebenfalls nicht gehinderten107 – Verteidiger in seiner beistehenden Beratungsfunktion108, sofern dem Beschuldigten prozeßsubjektsgemäß die eigenverantwortliche Entscheidung verbleibt, ob er dem Rat, zu leugnen, folgt oder nicht109. c) Angesichts in den qualitativ diversen Zielen des materiellen Rechts und des Prozeßrechts angelegter, jeweils unterschiedlicher Wertkategorien110 für straftatbestandsmäßiges Verhalten (rechtmäßig bzw. gerechtfertigt – rechtswidrig) und Prozeßhandlungen (beachtlich – unbeachtlich, wirksam – unwirksam, zulässig – unzulässig, begründet – unbegründet) ist prozeßdogmatisch verfehlt die allgemeine Auffassung111, Verteidigerhandeln sei, wenn und weil prozeßordnungsmäßig, nicht strafbar nach § 258 StGB112. Anzusetzen ist vielmehr am Begriff der Prozeßhandlung, der nichts anderes bedeutet als die „Konkretisierung von Verfahrensnormen“113, im Rahmen der Verteidigung namentlich Ausübung von Antrags-, Rüge-, Frage-, Erklärungs- und Anfechtungsrechten. Selbst wenn in concreto solche Verteidigung (inhaltlich) prozessual unzulässig (z. B. weil sach- oder verfahrensfremd, überflüssig, ungeeignet, rein verfahrensverschleppend oder sonst „rechtsmißbräuchlich“114) geübt wird, geschieht sie (formell) in verfahrensrechtlich allgemein an sich statthafter Weise. Läge darin bereits eine (versuchte) Strafvereitelung (§§ 258, 22 StGB, § 138a I Nr. 3 StPO), wäre 105 Zusätzlich abgesichert durch das – ebenfalls in Art. 11 GG wurzelnde (BVerfGE 7, 275, 278 f.; 55, 1, 6) – Grundrecht auf rechtliches Gehör (Art. 103 I GG) jedenfalls (ausnahmsweise) dann, wenn der Beschuldigte es sinnvoll nur mit Hilfe eines Verteidigers ausüben kann (Gusy, Grundrechtsschutz der Strafverteidigung, AnwBl 1984, 225; Spaniol (o. Fn. 11), S. 220 – 225, 234 mwN), und zwar ungeachtet des Grundsatzes, daß Art. 103 I GG rechtliches Gehör nur als solches, nicht auch durch Vermittlung eines Verteidigers, verbürgt (BVerfGE 9, 124, 132; 31, 297, 301; 31, 306, 308; 38, 105, 118; 39, 156, 168). 106 Ebenso, obgleich Vertreter der „Organtheorie“, Kühne (o. Fn. 14), Rn. 91.1. – Zur Streitfrage vgl. oben b) (mit Fn. 38 – 40) und II. 2. b) (mit Fn. 66 – 67). 107 Vgl. oben II. 2. b) (mit Fn. 88). 108 Nicht dagegen für eigene falsche Tatsachenbehauptungen des Verteidigers, zumal diese keine „Prozeßhandlungen“ (dazu unten c)) sind und (im Strengbeweis) prozeßrelevant nur in – die Verteidigerfunktion insoweit ausschließender – Zeugeneigenschaft wären. 109 Davon zu unterscheiden ist die Zweckmäßigkeitsfrage, ob der Rat, ein – in aller Regel rechtsfolgenmilderndes – Geständnis abzulegen, nicht die in concreto bessere „Verteidigung“ wäre. 110 Dazu grundsätzlich Verf. (o. Fn. 92), S. 318 – 321. 111 Oben I. mit Fn. 2. 112 Zur notwendigen Einheitlichkeit der prozessualen Wertung als (prozeß-)gesetzmäßig bzw. (prozeß-)gesetzwidrig vgl. Verf. (o. Fn. 92), S. 320 f. 113 Zur Begründung Verf. (o. Fn. 92), S. 309 ff., 319 ff. 114 Vgl. oben I. mit Fn. 11.

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die prozessuale Verteidigungsfreiheit substantiell berührt, weil die Grenze zwischen prozessual Zulässigem und Strafbarkeit nach § 258 StGB dann in der Tat oft „hauchdünn“ ist115. Dies ist jedoch nicht der Fall, soweit aus Rechtssicherheitsgründen116 (auch) mit dem Ziel, unbefangen-freie Rechtsausübung exakt abgegrenzt vom Gefahrenbereich der §§ 258 StGB, 138a I Nr. 3 StPO zu garantieren, hierzu das Verfahrensrecht selbst unmittelbare prozessuale Wirkungen oder gerichtliche Reaktionsmöglichkeiten vorsieht117, etwa zeitliche Begrenzungen oder Zurückweisungen als unzulässig118 ; kraft dieser legislatorischen „Sekundärwertung“119 ist die Möglichkeit selbst des Mißbrauchs prozessual gegebener Verteidigungs-„Waffen“ eine gesetzgeberisch in Kauf genommene120, verfahrensimmanent und prozeßförmig zu lösende Frage. Auch derartige „Prozeßhandlungen“ des Verteidigers sind deshalb als solche niemals tatbestandsmäßig121 vollendete oder auch nur versuchte Strafvereitelung. Strafbar nach § 258 StGB sein kann vielmehr nur Verhalten, das – als außerhalb des prozessualen Raumes liegend – nicht „Prozeßhandlung“ ist. 2. Folgerungen für Zeugnisverweigerungsrecht und Strafvereitelung a) Weil gem. § 53 I Nr. 2 StPO das – instituts-, nicht tatsachenbezogene – Vertrauensverhältnis Beschuldigter-Verteidiger um effektiver Verteidigung willen gegen prozessualen Offenbarungszwang geschützt ist, umfaßt das Zeugnisverweigerungsrecht des Verteidigers nur (ihm anvertraute oder sonst bekanntgewordene) Umstände, die für Verteidigungs-„Prozeßhandlungen“, z. B. einen Beweisantrag, von Bedeutung sein können, selbst wenn sie – außerprozessual – eine materiell-rechtliche Straftat122 begründen, sei es des Beschuldigten, sei es des Verteidigers selbst. b) Keine Strafvereitelung (§ 258 StGB)123 begeht der Verteidiger, der ohne unzulässige Willensbeeinflussung (Täuschung, Drohung, Zwang) den Beschuldigten über 115 So OLG Frankfurt (wie o. Fn. 66) im Anschluß an Dahs, Handbuch des Strafverteidigers, 4. Aufl., Rn. 52. Ähnlich Müller-Dietz, (o. Fn. 2), S. 244 (der Verteidiger befinde sich ständig in der „Nähe strafbarer Strafvereitelung“). 116 Vgl. auch Verf. (o. Fn. 92). S. 321. 117 Grdl. KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 40, 46, 49 und X 76 – 77, 82 – 83. 118 Z. B. §§ 6a, 16; 25, 217 II, 218 S. 2; 222b I; 225a III 2, IV 2; 336 S. 2; 45 I, 311, 314, 341, 345 I; 241 I, II; 241 a III; 244 III-V, 245 II 2; 266 III 1; 230 II, 236 StPO. 119 Verf. (o. Fn. 5), § 244 Rn. 5. 120 KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 20. 121 So i. Erg. auch KMR-Sax (o. Fn. 2), Einl. IV Rn. 44 – 46, 49. Ferner die h. M. zu „prozeßordnungsgemäßem“ Verteidigerverhalten (vgl. BGHSt 29, 99, 101, 105; BGH bei Holtz, MDR 1982, 970; Lackner (o. Fn. 2), § 258 Rn. 8). 122 Etwa Anstiftung eines Zeugen zur den Beschuldigten entlastenden Falschaussage (§§ 153, 154, 26; 159 StGB), Verfälschung einer Beweisurkunde (§ 267 StGB), Anfertigung einer unzulässigen Tonaufnahme (§ 201I StGB). 123 Instruktive Gesamtübersichten bei Beulke (o. Fn. 10), Rn. 176 – 331; Hassemer, Grenzen zulässiger Strafverteidigung, in: Hamm/Lohberger (Hrsg.), Beck’sches Formularbuch für Strafverteidiger, 1988, S. 21 ff.

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seine prozessualen Befugnisse berät124 oder Dritte (selbst z. B. gegen Belohnung) veranlaßt, freientscheidend ihnen zustehende Rechte ausüben (etwa nach §§ 52, 53, 55, 81c III StPO) oder auf sie zu verzichten (z. B. Strafanzeige, Strafantrag, Privat- oder Nebenklage). Gleiches gilt für Prozeßhandlungen, wenn der Verteidiger z. B. nach ihm gewährter Akteneinsicht (§ 147 StPO)125 den Beschuldigten über bevorstehende prozessuale Zwangsmaßnahmen der Justizorgane informiert, einen zugunsten des Angeklagten falschaussagebereiten Zeugen zur Hauptverhandlung lädt oder dessen Vernehmung beantragt126, einen beschuldigtenbegünstigend lügenden Zeugen während dessen Vernehmung befragt, oder (angesichts prozessualer Reaktionsmöglichkeiten des Gerichts127) die angeklagtennachteilige Glaubwürdigkeit eines Zeugen angreift, unzutreffende Bewertungen (etwa des Beweisergebnisses, einer Rechtslage, Freispruchsantrag trotz „erdrückender“ Schuldbeweise) vornimmt bzw. Aussetzungsanträge zwecks Prozeßverschleppung oder Beweisverlustes stellt.

IV. Zusammenfassung 1. Die Ergebnisse sind: Verteidigung ist nicht Vereitelung (§ 258 StGB), sondern Bedingung rechtsstaatlichen Strafens. Maßstäbe zulässigen Verteidigens sind gemäß klassischer „Vertretungstheorie“128 die öffentlichrechtliche Vollmacht, nach moderner „Interessenvertretungstheorie“129 der privatrechtliche Geschäftsbesorgungsvertrag, in jeweils deren Grenzen der Verteidiger, den Beschuldigten vertretend, prozessual zu handeln befugt ist (insbesondere: keine „Wahrheitspflicht“); für die „Organtheorie“130 dagegen ist der Verteidiger zwar zu ebenfalls einseitig-beschuldigtenbegünstigendem, jedoch auch die Funktionsfähigkeit der Strafrechtspflege mit ihren (vermeintlichen) Prozeßzielen „Wahrheit und Gerechtigkeit“ achtenden Prozeßverhalten verpflichtet (namentlich: „Lügeverbot“). Angesichts durchgreifender Bedenken131 taugt keiner dieser Ansätze, Prozeßverteidigung von Strafvereitelung zu scheiden. Das rechtliche Trennungskriterium ist allein aus der Struktur des Strafprozesses abzuleiten. Prozeßziel ist die Frage, ob am Maßstab „prozessualer Wahrheit“ die Un124 Z. B. Rat zum Lügen bzw. Widerruf eines (wahren) Geständnisses oder (sofern Haftbefehl nicht besteht) zur Flucht (anders die Fluchthilfe, wiederum ausgenommen „sozialadäquate“ Unterstützung). Strafvereitelung (§ 258 StGB) kann dagegen beweisverändernde oder -vernichtende Einwirkung auf sächliche Beweismittel auch dann sein, wenn dies nicht strafbar ist etwa nach §§ 267, 274, 303, 242, 246 StGB. 125 Zum Recht auf Zugang zu allen prozeßrelevanten Informationen vgl. BVerfGE 64, 135, 149; 70, 297, 323. 126 Unberührt bleibt Strafbarkeit des Verteidigers z. B. nach §§ 153, 154, 26; 258 StGB auf Grund der Überredung oder Bestimmung zur Falschaussage. 127 Vgl. oben III.1. c). 128 Oben II. 1. a) mit Fn. 19 – 26. 129 Oben II. 1. b) mit Fn. 31 – 40. 130 Oben II. 2. a) mit Fn. 58 – 67. 131 Oben a) mit Fn. 27 – 30; b) mit Fn. 41 – 57; II. 2. b) mit Fn. 68 – 91.

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schuldsvermutung widerlegbar sei132 in prozeßförmiger, die „materielle“ und „formelle“ Verteidigung einschließender Weise (vor allem: keine „Wahrheitspflicht“ des Verteidigers)133. Anknüpfungspunkt dafür, ob Verteidigerverhalten Strafvereitelung sei, ist schließlich nicht die „Prozeßordnungswidrigkeit“, sondern die „Prozeßhandlung“; eine solche kann nie tatbestandsmäßig i. S. des § 258 StGB sein134. 2. Die Methodik war: Prozessuales Denken, begründet von J. Goldschmidt, W. Sauer, fortentwickelt von W. Niese, Eb. Schmidt und Walter Sax, dem nachträglich zum 80. Geburtstag am 15. 4. 1992 vorstehende Überlegungen gewidmet sind.

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Oben III. 1. a) mit Fn. 92 – 99. Oben b) mit Fn. 100 – 109. 134 Oben III. 1. c) mit Fn. 110 – 121.

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Prozessuale Wahrheit und Revision* Vor gut einem Vierteljahrhundert schrieb Günter Spendel1 über die „fundamentale Bedeutung des Wahren“; so notwendig, es zu suchen, so schwierig sei, es zu finden, weil „problematisch seine Erkennbarkeit“. Zumal im Strafverfahren: Philosophen und Erkenntnistheoretiker dürfen, begründet gleichermaßen wie unverbindlich, streiten über ihre Wahrheit(en)2 ; der – theoretisch über oder/und praktisch im Prozeß arbeitende – Jurist muß wissen, was seine Wahrheit bedeute. Denn gem. § 244 II StPO ist, als die Zentralaufgabe jedes Verfahrens, beweisförmig die „Wahrheit“ zu erforschen, und das Revisionsgericht prüft auf Rüge3, ob das „Tat“-Gericht dieser Rechtspflicht genügt hat (§ 337 I, II StPO). Um so mehr enttäuscht – trotz Spendels Diktum – das Ergebnis dogmatischer Bemühungen unseres Säkulums: ungeklärt ist jener prozessuale Wahrheitsbegriff, und – als „Tatfrage“ – prinzipiell irreversibel sei, ob das Gericht ihn rechtsrichtig konkretisiert habe. Das Folgende skizziert, wie prozessuale Wahrheit zu verstehen und volle Revisibilität der „Tatfrage“ – weil notwendige Rechtsfrage4 – begründbar ist5.

* Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Manfred Seebode (Hrsg.), Festschrift für Günther Spendel. Verlag Walter de Gruyter, Berlin/New York 1992, S. 687 – 718. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 Wahrheitsfindung im Strafprozeß, JuS 1964, 465. 2 Näher Verf., Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung, in: FS F.-W. Krause, 1990, S. 51, 69 – 71 mit Nachweisen. 3 Dazu unten II. 2. a). 4 Vgl. bereits Verf., KMR-Kommentar zur StPO, 7. Aufl., 1980, § 244 Rdn. 24 – 33, insbes. Rdn. 27. 5 Ungeachtet – z. T. schon frühzeitiger – resignativer Warnungen wie: „Knoten, dessen Lösung allen Menschenwitz übersteigen würde“ (Dohna, Das Strafprozeßrecht, 3. Aufl., 1929, S. 199); es blieben nur mehr „eine Handvoll vergessener Ähren“ auf einem „abgeackerten Feld“ aufzulesen (Kadecˇka, Empfiehlt sich im Rechtsmittelverfahren gegen ein Gerichtshofurteil eine Überprüfung der Tatfrage?, Ref. z. 8. DJT, 1937, in: Ges. Aufsätze, hrsg. von Rittler/Nowakowski, 1959, S. 199); wo „genau die Grenzen der Eingriffsmöglichkeit in die tatrichterliche Beweiswürdigung liegen, vermag heute niemand zu sagen“ (F.-W. Krause, Grenzen richterlicher Beweiswürdigung im Strafprozeß, in: FS K. Peters, 1974, S. 323, 331); „dogmatische Ratlosigkeit“ (Rieß, Zur Revisibilität der freien tatrichterlichen Überzeugung, GA 1978, S. 257, 261). Denn der Neuansatz einer Lösung dieser „Frage ohne Antwort“ (H.-E. Henke, Rechtsfrage oder Tatfrage – eine Frage ohne Antwort, ZZP 81 [1968], S. 196 ff., 321 ff.) ist von einem außerhalb des circulus vitiosus bisheriger Argumentationsfülle liegenden archimedischen Punkt her zu entwickeln. – Hinweis: Künftige Hervorhebungen in den wörtlichen Zitaten sind jeweils solche im Original.

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I. Der Wahrheitsbegriff des § 244 II StPO 1. Logisch-empirischer Begriff der ontologischen Wahrheit6 a) Befund: Die formal-strukturelle, aristotelisch-scholastische Wahrheitsdefinition „veritas est adaequatio intellectus et rei“7 wird für das Strafprozeßrecht inhaltlich nahezu einhellig konkretisiert in dem ontologischen Sinn der res als realer Sachverhalt („Tat“ = historisches Ereignis i.S.d. §§ 155 I, 264 I StPO), der adaequatio als freie Überzeugung (§ 261 StPO) und des intellectus als (urteilsförmige) Aussage des Gerichts: diese sei „wahr“, wenn Überzeugung und Wirklichkeit übereinstimmen8; es gehe um „materielle Wahrheit“9, Verfahrenszweck sei „Verwirklichung

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Dazu Verf. (Fn. 2), S. 70 f. Aristoteles, Metaphysik, Die Lehrschriften, hrsg. von Gohlke, 1951, M7: „Wahr ist es, vom Seienden zu sagen, es sei, und vom Nichtseienden, es sei nicht“; Kant, Kritik der reinen Vernunft, I, in: Werke III, hrsg. von Weischedel, 1968, S. 103: „Wahrheit“ bestehe „in der Übereinstimmung der Erkenntnis mit ihrem Gegenstande“; Jarcke, Bemerkungen über die Lehre vom unvollständigen Beweise …, NACrR 8 (1825), S. 97, 98: „Die Wahrheit liegt in der Übereinstimmung der Überzeugung des urtheilenden Subjects mit dem erkannten Objecte“; C. J. A. Mittermaier, Die Lehre vom Beweise im deutschen Strafprozesse …, 1834, S. 63 f.: „Wahrheit“ sei „die Übereinstimmung der Vorstellung von einem Gegenstande mit dem wirklichen Wesen desselben“; Engisch, Wahrheit und Richtigkeit im jur. Denken, 1963, S. 6: Wahrheit als „Übereinstimmung einer Aussage … mit dem Sachverhalt, der in der Aussage ausgesagt wird“. 8 Vgl. z. B. § 393 PrCrimO v. 1805: „Der Richter hat hinreichende Gewißheit, wenn für die Wahrheit eines Umstandes vollkommen überzeugende Gründe vorhanden sind und nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge ein bedeutender Grund für das Gegentheil nicht wohl denkbar ist“; BGHSt. 10, 208, 209: Für die Schuldfrage komme es allein darauf an, „ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht“; Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821, § 227: Das Gericht habe den „empirischen Inhalt, wie eine Thatsache ist“ bzw. die „empirische Wahrheit einer Begebenheit zu erkennen“; C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren, I, 1832, S. 358 f.: „Ueberzeugung … von der Wahrheit“, „Wahrheit der die Anklage begründenden Thatsachen“; Hellwig, Wahrheit und Wahrscheinlichkeit im Strafverfahren, GS 88 (1922), S. 417, 442: Wahrheit sei „eine Eigenschaft des Objekts … Wahrscheinlichkeit dagegen ist eine Beziehung, welche das Subjekt zwischen dem Objekt und einer sich auf dieses Objekt beziehenden Vorstellung herstellt“; Sauer, Allg. Prozeßrechtslehre, 1951, S. 105: Wahrheit lasse sich „bestimmen als die möglichste Übereinstimmung einer Aussage (eines Urteils) mit ihrem Gegenstand, als möglichste Annäherung von Einzelheiten an das ihrer Aufgabe gemäß zugeordnete Ganze (des geschichtlich-sozialen Lebens)“; Spendel (Fn. 1), S. 466: „Wahrheitsfindung im Strafprozeß bedeutet … als Sachverhaltsaufklärung Wirklichkeitserkenntnis“; Freund, Normative Probleme der „Tatsachenfeststellung“, 1987, S. 13, 41, 43, 47 (u. pass.): Erfordernis einer „ontologischen Urteilsbasis“. 9 H.M.; vgl. z. B. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, I, 2. Aufl., 1964, Rdn. 363 ff.; Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl., 1968, S. 100; Spendel (Fn. 1), S. 466: „Bei keiner der … richterlichen Tätigkeiten wird die … Definition der Wahrheit als der Übereinstimmung zwischen Gegenstand und Denken, zwischen dem ,wirklichen‘ und dem ,vorgestellten‘ Sachverhalt, zwischen der … tatsächlich begangenen und der gedanklich festgestellten Straftat so deutlich wie bei der Tatsachenermittlung“. 7

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des materiellen Rechts“10, d. h. „Bestrafung Schuldiger, Schutz Unschuldiger“11, gerichtliche Wahrheitssuche bedeute (normativ begrenzte) Historikerarbeit12. Ist die Übereinstimmung (adaequatio) zwischen Vorstellung (Aussage) und Wirklichkeit (Sachverhalt) als (gerichtliche) Überzeugung das wahrheitskonstituierende Maßprinzip der StPO, kann § 244 II StPO (Beweiserhebung und Aufklärungspflicht) nicht eigenständige Voraussetzung13, sondern nur instrumentale Folge aus § 261 StPO sein14 ; dies bestätigt auch die prozeßgeschichtliche Entwicklung des § 244 II StPO15. 10

H.M.; vgl. z. B. RGSt. 72, 156 („Das Strafverfahren dient der Rechtsfindung. Diesen Zweck kann es nur erreichen, wenn es auf Wahrheit aufgebaut ist.“); BVerfG NJW 1966, 243, 1259 u. 1703; 1972, 2216 (ständ. Rspr.); Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 25; R. v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, 1941, S. 3; Eb. Schmidt (Fn. 8), Rdn. 20, 24; Volk, Wahrheit und materielles Recht im Strafprozeß, 1980, S. 18 ff., 24. Vgl. bereits P. J. A. Feuerbach, Betrachtungen über das Geschwornen-Gericht, 1813, S. 112: Zweck der „Criminalgerichtsbarkeit ist volle Gerechtigkeit und, weil der gerechte Wille die Erkenntniß des Gerechten voraussezt, Wahrheit“. 11 Für alle: Eb. Schmidt (Fn. 8), Rdn. 21. Vgl. auch Schmidhäuser, Zur Frage nach dem Ziel des Strafprozesses, in: FS Eb. Schmidt, 1961, S. 511, 522: „ideales Ziel“. 12 Jarcke (Fn. 7), S. 104 („Zwischen dem Historiker und dem Criminalrichter waltet … eine Aehnlichkeit ob, daß die Ueberzeugung beider eine historische Ueberzeugung ist …“); Mittermaier (Fn. 7), S. 64 („Uns beschäftigt das Wesen der historischen Wahrheit“); Möhl, Über das Urtheilen rechtsgelehrter Richter ohne gesetzliche Beweistheorie, ZStrVerf. 2 (1842), S. 277, 283 (der jur. Beweis bedeute niemals mathematische, sondern nur „geschichtliche“ Gewißheit); Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, 1892, S. 322 („die Rechtspflege muss sich bei ihrer Aufgabe auf die für alle thatsächliche Erkenntniss massgebende historische Gewissheit beschränken, welche die Möglichkeit des Gegentheils nicht ausschliesst“); Mezger, Der psychiatrische Sachverständige im Prozeß, 1918, S. 26 ff., 41 ff., 46 („Der Historiker und der Richter suchen die individuellen Tatsachen …“); Beling (Fn. 10), S. 281 („Das gesamte Beweisrecht steht im Strafprozeß unter dem Gedanken der ,materiellen Wahrheitserforschung‘: alle Tatsachenfeststellung soll mit historischer Treue erfolgen …“); Niethammer, Der Kampf um die Wahrheit im Strafverfahren, in: FS Sauer, 1949, S. 26, 27 (Richter als „Geschichtsforscher“); Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl., 1963, S. 39 ff., 61 Anm. 2; ders. (Fn. 7), S. 6 („Der Jurist verfährt nicht anders als der Historiker, wenn er Beweise erhebt und würdigt, um dahinter zu kommen, wie sich etwas zugetragen hat“); Spendel (Fn. 1), S. 466; Krause (Fn. 5), S. 325; Freund (Fn. 7), S. 19. 13 So aber z. B. Niemöller, Die strafrichterliche Beweiswürdigung in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, StV 1984, 431 („Die Beweiswürdigung beginnt dort, wo die Beweisaufnahme endet“); Meurer, Beweiserhebung und Beweiswürdigung, in: GedS H. Kaufmann, 1986, S. 947, 953 f., 958 ff., 960 („strikte Trennung von gebundener Beweiserhebung und freier Beweiswürdigung“); Moos, Die Ausdehnung der Nichtigkeitsbeschwerde auf die Beweiswürdigung nach § 281 Abs. 1 Z. 5 a StPO, ÖJZ 1989, 97, 135, 140 (Stoffsammlung durch Beweiserhebung gehe seiner Bewertung bei der Beweiswürdigung „gedanklich und prozedural voraus“). 14 Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn.112, 122, 143, 220. Strukturell Gleiches gilt für das Verhältnis der Beweiserhebungsverbote zu den Beweisverwertungsverboten (vgl. Verf., Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse, in: GedS K.Meyer, 1990, S. 309, 326 f.). 15 Nach den Motiven (Hahn, Die gesammten Materialien zur StPO …, 1. Abt., 1880, S. 192) findet § 207 des StPO-Entwurfs, worauf § 244 II StPO i. d. F. v. 1. 2. 1877 („In den Verhandlungen vor den Schöffengerichten … bestimmt das Gericht den Umfang der Be-

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b) Kritik: Das Wahrheitskriterium der „freien Überzeugung“ (§ 261 StPO) aber inhaltlich zureichend zu definieren, ist bis heute nicht gelungen und mußte scheitern angesichts verfehlten „materiellrechtlich“ empirischen Denkansatzes: weil das an sich anzustrebende Idealziel „absoluter“, „materieller“ Wahrheit induktionslogisch und wegen stets begrenzter menschlicher Erkenntnisfähigkeit unerreichbar sei16, müsse und dürfe das Gericht sich begnügen mit als Wahrheit i.S.d. §§ 244 II, 261 StPO „geltender“17 (objektiv „hochgradiger“ bzw. „an Sicherheit grenzender“) Wahrscheinlichkeit18 oder/und (subjektiver) Gewißheit19 Dann aber ist evident entweisaufnahme, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein“) beruht, „seine Rechtfertigung“ in §§ 135 II, 223 des StPO-Entwurfs (heute: §§ 155 II, 264 StPO), und enthalte die „Ablehnung eines Beweisantrags … den Ausspruch, daß der angetretene Beweis, selbst wenn er die Behauptung des Antragstellers bestätigte, auf die richterliche Ueberzeugung … ohne Einfluß sein würde“, so daß der Ablehnungsbeschluß „im gewissen Sinne schon ein Bestandtheil des Endurtheils“ sei. M.a.W.: „freie“ Überzeugung legitimierte Freiheit der Beweisaufnahme. Erst rund 50 Jahre später entwickelte – wiederum als Konsequenz aus Rationalitäts- und Begründungsanforderungen zu § 261 StPO (dazu unten I. 2. b) aa), bb)) – das RG (dazu im einzelnen Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachen, 5. Aufl., 1983, S. 197 ff.) ein Beweisantragsrecht mit grundsätzlichem Beweisantizipationsverbot, das zunächst in § 244 II StPO („Das Gericht hat von Amts wegen alles zu tun, was zur Erforschung der Wahrheit notwendig ist“) i. d. F. d. Gesetzes v. 28. 6. 1935 (RGBl. I S. 44; zu Einschränkungen in der NS-Zeit vgl. Meurer [Fn. 13], S. 955 – 957) und schließlich durch das REinhG v. 20. 9.1950 (BGBl. I S. 455) in § 244 II – V StPO Gesetz geworden ist. 16 Pars pro toto: RGSt. 61, 202, 206 (vgl. Fn. 17); BGHSt. 10, 208, 209 = JR 1957, 368 m. Anm. Eb. Schmidt; Dohna (Fn. 5), S. 97 (Überzeugung als Ziel des Beweises „kann nie den Grad absoluter Gewißheit erreichen“); Herdegen, Bemerkungen zur Beweiswürdigung, NStZ 1987, 193, 198; Meurer, Beweiswürdigung, Überzeugung und Wahrscheinlichkeit, in: FS Tröndle 1989, S. 533, 547. Zu Ullmann s. Fn. 12. – Gleiches meinen Hinweise in ständ. Rspr. auf die Irrelevanz rein „abstrakt-theoretischer“ Zweifel bzw. Möglichkeiten anderen faktischen Geschehens (z. B. RG DRZ 1927 Nr. 964; 1928 Nr. 236; JW 1928, 116 m. Anm. Mannheim; JW 1929, 862, 863 f. m. Anm. Alsberg; BGH NJW 1951, 83 u. 122; BGHSt. 10, 206, 211; BGH NStZ 1982, 478, 479; 1984,180; 1990 [Miebach], 27; MDR 1989, 371); vgl. auch Wimmer, Überzeugung, Wahrscheinlichkeit und Zweifel, DRZ 1950, 390, 402: „Nichtbezweiflung von Bezweifelbarem“. 17 Vgl. Hellwig (Fn. 8), S. 442 (S. 443: „Fiktion“); Herdegen, Tatgericht und Revisionsgericht – insbesondere die Kontrolle verfahrensrechtlicher „Ermessensentscheidungen , in: FS Kleinknecht 1985, S. 173, 177 u. 179 (richterliche Überzeugung „steht für die Wahrheit“). Fundamental RGSt. 61, 202, 206: „Ein ,absolut sicheres‘ Wissen – demgegenüber das Vorliegen eines gegenteiligen Tatbestandes ,absolut ausgeschlossen‘ wäre – ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen. Wolle man eine Sicherheit so hohen Grades verlangen, so wäre eine Rechtsprechung so gut wie unmöglich. Wie es allgemein im Verkehr ist, so muß auch der Richter sich mit einem so hohen Grade von Wahrscheinlichkeit begnügen, wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Mittel der Erkenntnisse entsteht. Ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit gilt als Wahrheit, und das Bewußtsein des Erkennenden von dem Vorliegen einer so ermittelten hohen Wahrscheinlichkeit als die Überzeugung von der Wahrheit“. 18 So i.S. eines kantianischen Wahrheitsbegriffs (vgl. Kant [Fn. 7; II; in: Werke IV], S. 687: „Das Fürwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstande, die auf objektiven Gründen beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im Gemüte dessen, der urteilt, erfordert. Wenn es für jedermann gültig ist, sofern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben hinreichend, und das Fürwahrhalten heißt alsdann Überzeugung …“); RGSt. 61, 202, 206 (vgl. Fn. 17; im

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Anschluß an RGZ 15, 338, 339); 75, 324, 327; RG JW 1929, 862, 863; 1930, 761; 1935, 543; BGH MDR 1989, 371; Geyer, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafprozeßrechts, 1880, S. 693; Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. I, 1883, S. 346 f., 349; Rupp, Der Beweis im Strafprozeß, 1884, S. 29, 36; Mezger (Fn. 12), S. 159 ff.; Gleispach, Das deutsch-österreichische Strafverfahren, 1919, S. 213; Hellwig (Fn. 8), S. 442, 448, 450; Sauer (Fn. 8), S. 106 f, 151; ders., Grundlagen des Prozeßrechts, 1919, S. 64 f., 66 ff.; Fincke, Die Gewißheit als hochgradige Wahrscheinlichkeit, GA 1973, 266, 269 ff.; Cuypers, Die Revisibilität der strafrichterlichen Beweiswürdigung, 1974, S. 65 ff.; Heescher, Untersuchungen zum Merkmal der freien Überzeugung in § 286 ZPO und § 261 StPO, 1974, S. 79 ff., 92 f.; Musielak, Grundfragen des Beweisrechts, 2. Teil: Beweiswürdigung, JuS 1980, 427, 428; Rieß (Fn. 5), S. 271, 272, 277; Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdn. 567; Herdegen (Fn. 16), S. 198; ders. (Fn. 17), S. 175 f., 177, 179; Freund (Fn. 8), S. 22 – 25. Deutlich auch BGHZ 53, 245, 256 (Fall „Anastasia“): „absolute Gewißheit“ sei nicht gefordert; der Richter dürfe sich „mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewißheit begnügen …, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen“. Dazu schon Feuerbach (Fn. 10), S. 123 f.: „Jede historische Gewißheit, so wie die moralische, nach welcher wir über menschliche Handlungen entscheiden, ist… zuletzt aus blossen Elementen der Wahrscheinlichkeit zusammengesezt … Je … öfter wir das Eine in Begleitung des Andern wahrgenommen haben, je weniger Beispiele des Gegentheils unserer eigenen oder fremden Beobachtung vorgekommen sind, desto höher steigt bei der Gewißheit der einen Thatsache die Wahrscheinlichkeit der andern, bis sie den Grad erreicht, wo sie zur Gewißheit wird, vor welcher alle Wahrscheinlichkeit des Gegentheils schwindet … Allein es gibt keine Wissenschaft, welche die Elemente der Gewißheit … darstellen, und im Allgemeinen bestimmen könnte, wo die Gewißheit, wo die Wahrscheinlichkeit zu finden“. 19 Hegelianischer Denkansatz (vgl. Hegel [Fn. 8], § 227 zur Unterscheidung von Tat- und Rechtsfrage: „Die erste Seite, die Erkenntniß des Falles in seiner unmittelbaren Einzelheit und seine Qualificirung, enthält für sich kein Rechtsprechen. Sie ist eine Erkenntniß, wie sie jedem gebildeten Menschen zusteht. Insofern für die Qualifikation der Handlung das subjektive Moment der Einsicht und Absicht des Handelnden wesentlich ist, und der Beweis ohnehin nicht Vernunft- oder abstrakte Verstandesgegenstände, sondern nur Einzelheiten, Umstände oder Gegenstände sinnlicher Anschauung und subjektiver Gewißheit betrifft, daher keine absolut objektive Bestimmung in sich enthält, so ist das Letzte in der Entscheidung die subjektive Ueberzeugung und das Gewissen …“) der h. M.; vgl. z. B. RGSt. 72, 156; OLG Celle NJW 1976, 2030 m. Anm. Peters, JR 1978, 82; Alsberg (Fn. 16), S. 863; Bohne, Zur Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung, 1948, S. 19 ff.; Küper, Die Richteridee der Strafprozeßordnung und ihre geschichtlichen Grundlagen, 1967, S. 294 – 298 m. zahlr. Nachw.; Henkel (Fn. 9), S. 351; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. 1985, S. 298 ff.; Krauß, Das Prinzip der materiellen Wahrheit im Strafprozeß, in: FS Schaffstein, 1975, S. 411, 425; Käßer, Wahrheitserforschung im Strafprozeß, 1974, S. 44 ff.; Walter, Freie Beweiswürdigung, 1979, S. 133 ff.; Fezer, Strafprozeßrecht II, Jur. Studienkurs, 1986, 17/41; KK(2.)-Hürxthal, § 261 Rdn. 2; Kleinknecht/Meyer, StPO, 40. Aufl. 1991, § 261 Rdn. 2; Prütting, Grundprobleme des Beweisrechts, JA 1985, 313, 315 – 320. Grundlegend RGSt. 66,163,164 („Objektive Wahrheit ist nur gedanklich vorstellbar. Ihr Nachweis durch menschliche Erforschung und Erkenntnis ist begrifflich unmöglich, weil diese als an die erkennende Person gebunden von Natur subjektiv, also relativ sind … Auch dem Richter ist deshalb die Findung absoluter Wahrheit verschlossen; auch er vermag sich nur … zu einer für sein richterliches Gewissen gültigen, also subjektiven oder relativen Wahrheit, nämlich zur richterlichen Überzeugung durchzuringen“) und – im Anschluß an BGH GA 1954, 152, 153 – BGHSt. 10, 208, 209 (es komme allein darauf an, „ob der Tatrichter die Überzeugung von einem bestimmten Sachverhalt erlangt hat oder nicht; diese persönliche Gewißheit ist für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend. Der Begriff der Überzeugung schließt die Möglichkeit eines anderen, auch gegenteiligen Sach-

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weder der vorausgesetzte durch einen davon diversen Wahrheitsbegriff substituiert oder lediglich „Wahrheitsnähe“ in qualitativ minderwertigeren Maßprinzipien gefordert, ohne daß dargetan oder ersichtlich ist, wie jenes faktisch-erkenntnistheoretische Argument, außerjuristisches Handeln und Entscheiden zu legitimieren sicherlich geeignet20, ohne weiteres auch rechtsgenügend dem Sein folgendes Sollen – positiv – begründen könnte. Somit ist die postulierte Prämisse ontologischer Wahrheit in Frage zu stellen; dazu zwingt weitere interne Kritik. aa) „Objektive Wahrscheinlichkeit“ und „subjektive Gewißheit“ sind weder je für sich noch miteinander verknüpft21 taugliche Maßkriterien prozessualer Wahrheit. (1) Objektive Wahrscheinlichkeit: Wo Wahrscheinlichkeit, wie hoch quantifiziert auch immer, umschlägt in Wahrheitsqualität, ist nicht begründbar: Empirisch-erkenntnistheoretisch weder mittels Häufigkeitsskalierungen von Erfahrungswerten des Alltags oder der Statistik22 (zumal aus zusammentreffenden hohen Wahrscheinlichkeiten wiederum nur – wenn auch höhere – Wahrscheinlichkeit folgt), noch mit Hilfe kreisschlüssiger Leerformeln23, daß Wahrscheinlichkeit so hoch sein müsse, daß die Annahme des Gegenteils „unvernünftig“ wäre24, daß sie „in die Nähe einer für jeden Verständigen anzunehmenden Gewißheit rückt“, „als vertretbar akzeptabel erscheint“ bzw. „daß deren Bezweiflung … als unvertretbar im Sinne eines höchstwahrscheinlich mit der Realität nicht übereinstimmend bezeichnet werden kann“25, wie generell auch nicht am Maßstab „intersubjektiver“26 Akzeptanz verhaltes nicht aus; vielmehr gehört es gerade zu ihrem Wesen, daß sie sehr häufig dem objektiv möglichen Zweifel ausgesetzt bleibt. Denn im Bereich der vom Tatrichter zu würdigenden Tatsachen ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit ein absolut sicheres Wissen über den Tathergang, demgegenüber andere Möglichkeiten seines Ablaufs unter allen Umständen ausscheiden müßten, verschlossen“). Vgl. schon Köstlin (zit. nach Küper aaO, S. 221, 226): das Urteil müsse „innerste Überzeugung des Richters zu seinem letzten Fundamente haben“. 20 Verf. (Fn. 2), S. 70 f. 21 Im Sinn „hochgradiger Wahrscheinlichkeit überkreuzt mit subjektiver Nichtbezweiflung“: Rieß (Fn. 5), S. 271, 277; Herdegen (Fn. 17), S. 179; ders., Grundfragen der Beweiswürdigung, in: Die revisionsgerichtliche Rechtsprechung der Strafsenate des BGH, 1986, S. 106, 115; Küper (Fn. 19), S. 295; Schlüchter (Fn. 18), Rdn. 567; Roxin, Strafverfahrensrecht, 22. Aufl. 1991, § 15 C II 1 a; Neumann, Die Abgrenzung von Rechtsfrage und Tatfrage und das Problem des revisionsgerichtlichen Augenscheinsbeweises, GA 1988, 387, 400. Vgl. bereits Peters (Fn. 19), S. 298: „Grundsatz der objektiv-subjektiven Beweiswürdigung“. 22 Vgl. – insbes. zu zivilprozessualen Beweislastentscheidungen – Kegel, Der Individualanscheinsbeweis und die Verteilung der Beweislast nach überwiegender Wahrscheinlichkeit, 1967, S. 321 ff.; R. Schreiber, Theorie des Beweiswertes für Beweismittel im Zivilprozeß, 1968, S. 41; Maassen, Beweismaßprobleme im Schadensersatzprozeß, 1975, S. 5 ff., 32 ff., 51; Bender/Röder/Nack, Tatsachenfeststellung vor Gericht, Bd. 1, 1981, S. 174, 177 f., 193 ff., 199; Motsch, Vom rechtsgenügenden Beweis, 1983. Ferner Cuypers (Fn. 18), S. 80 ff.; Käßer (Fn. 19), S. 41 ff., 44 ff. – Abl.: Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit, 1978, S. 94 – 113; Walter (Fn. 19), S. 173 – 189; Prütting (Fn. 18), S. 315 – 320. 23 Zutr. Freund (Fn. 8), S. 77 f: „begriffliche Leerformeln“. 24 So z. B. Geyer (Fn. 18), S. 693; Hellwig (Fn. 18), S. 450. 25 So etwa Rieß (Fn. 5), S. 272, 273.

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bzw. Überzeugungskraft27 für einen „besonnenen Beobachter“28, „vernünftigen“, „gewissenhaften“, „lebenserfahrenen“ Beurteiler29, weil derartige idealtypische Maßfiguren weder empirisch noch normativ existieren und „Intersubjektivität“ nur (mögliche) Folge, nicht aber Voraussetzung wahrer Aussagen sein kann30 ; so wird denn auch von kompetentester Seite eingeräumt, daß für den „Begriff der hochgradigen Wahrscheinlichkeit … ein exakteres Explikat noch nicht gefunden worden ist“31. Auch normativ ist jener qualitative Sprung nicht nachweisbar etwa als „Legitimationsfrage“ für ein „Fehlurteilsrisiko“, einer „Verurteilung trotz bestimmter Zweifel“ bzw. „welche Bedingungen des absolut verbürgten Erfassens der materiellen Wahrheit bei einer Verurteilung außer Betracht bleiben dürfen und welche nicht“32 ; denn diese Konzeption setzt ebenfalls eine von Wahrheit diverse Wahrscheinlichkeit voraus33, ohne das nicht hinwegdiskutierbare, auch hier fragliche Maß empirischer Wahrscheinlichkeit als „Wahrheit“ definieren zu können. (2) Subjektive Gewißheit: Auch sie ist weder empirisch noch normativ Bedingung für (Gegenteiliges zu behaupten implizierte eine petitio principii), sondern nur (mögliche) Folge von – anderweitig gegründeter – „Wahrheit“ als „die innere Zustimmung des Urteilenden zu dem gedanklich als richtig erkannten Ergebnis“34 i.S. eines „per26 Zur grundsätzlichen Untauglichkeit der „Intersubjektivität“ als Wahrheitskriterium vgl. Verf. (Fn. 2), S. 73 f. 27 Nowakowski, Reform der Rechtsmittel im Strafverfahren, Gutachten, in: Verh. des 2. ÖJT 1964, Bd. I, S. 6 ff., 16 f., 22, 61 f.; Moos (Fn. 13), S. 103; Steininger, Die Kontrolle der Tatfrage im schöffengerichtlichen Verfahren – Geschichte, Gesetz, Praxis, Reform, 1989, S. 359, 360. 28 BGH VRS 39 (1970), S. 103. 29 Sauer (Fn. 18), S. 76 f., 85; Döhring, Die Erforschung des Sachverhalts im Prozeß, 1964, S. 449, 466 ff.; Heescher (Fn. 18), S. 65; ähnlich Musielak (Fn. 18), S. 429. Vgl. auch Herdegen (Fn. 16), S. 198 (Erfordernis der intersubjektiven „Diskutierbarkeit“ und „Einsehbarkeit [,Gültigkeit‘] für den Sachkundigen“); ders. (Fn. 17), S. 177 (Tatsachen und Tatsachenzusammenhänge, „die intersubjektiv – jedem nach rationalen Kriterien die Wahrheitsfrage prüfenden Subjekt – das Bewußtsein eines hohen Grades von Wahrscheinlichkeit vermitteln“); Moos (Fn. 13), S. 103 („Ab einem gewissen Erkenntnisstand kann es … nicht auf die subjektive Vernunft des Richters, sondern nur darauf ankommen, was allgemein von einem erfahrenen und einsichtigen Menschen unter den konkreten Umständen für vernünftig gehalten wird, oder mit anderen Worten, was intersubjektiv überzeugt“). 30 Verf. (Fn. 2), S. 74. 31 Herdegen (Fn. 16), S. 199. 32 So Freund (Fn. 8), S. 26, 57, 58, 71. 33 Daß unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten das „Fehlurteilsrisiko“ tolerabel sei, sofern in concreto die Entscheidung „eindeutig höherrangigen Wert“ gegenüber einer „Inkaufnahme der Verurteilung eines möglicherweise Unschuldigen“ (Freund [Fn. 8], S. 67) dann habe, wenn vom Angeklagten „von Rechts wegen zu verantworten“ sei, daß „die ,Tatsachenfeststellung‘ mit der geschehenen Wirklichkeit nicht übereinstimmt“ (aaO, S. 70), überzeugt nicht, weil damit die verfassungs- und prozeßrechtlich verbürgte Mitwirkungsfreiheit des Angeklagten bei der Wahrheitsfindung konterkariert würde. 34 Alsberg (Fn. 16), S. 863. Ebenso Greger (Fn. 22), S. 36; Herdegen (Fn. 17), S. 177 („innerliche Bejahung des … gefundenen Ergebnisses“).

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sönlichen Evidenzerlebnisses“35. Der psychologische Befund, daß persönlichkeitsgebundene36, irrational-dezisionistische37, gefühlsmäßige38 Komponenten die Überzeugung, verstanden als subjektive Gewißheit, mitkonstituieren, disqualifiziert sie, logisch-empirische Wahrheit zu begründen39, Rechtsentscheidungen zu legitimieren40. Prozessuale Wahrheitsfindung als zwar rational und rechtlich nicht verifizierbarer, letztlich aber entscheidender Persönlichkeitsakt wäre insoweit eine rechtsstaatlich unerträgliche Anmaßung. Rechtsstaatlich unverzichtbar dennoch ist solche „Überzeugung“ in anderem Sinn: aus rechtlich-verantwortungsethischen Gründen41. „Wahrheit“ – jedenfalls zu Lasten Dritter – darf nicht beanspruchen, wer selbst „unwahrhaftig“ ist42; seinem eigenen Gewissen zu folgen hat der Richter für sich selbst 35 Fezer (Fn. 19), 17/41. Vgl. auch Bohne (Fn. 19), S. 42: „Durchdrungensein von der Gültigkeit eines Urteils, die innerlich festgegründete Bestimmtheit des Denkwillens, der sich der logischen Zustimmung (Beifall, Synkathesis) nicht erwehren kann infolge unmittelbarer und mittelbarer Evidenz“; Küper (Fn. 19), S. 296: „gesamtpsychischer Erlebnisvorgang“. 36 Mezger (Fn. 12), S. 43 ff., 159 ff.; Bohne (Fn. 19), S. 55 ff., 76 ff.; Engisch (Fn. 12), S. 94 ff.; Krause (Fn. 5), S. 54; Müller-Dietz, Der Wahrheitsbegriff im Strafverfahren, in: Zeitschrift f. evang. Ethik, 1971, S. 257, 262; Fezer (Fn. 19), 17/40. 37 Alsberg (Fn. 16), S. 863; Rieß (Fn. 5), S. 265; Küper (Fn. 19), S. 296 m.w.Nachw.; Herdegen (Fn. 16), S. 197; ders. (Fn. 17), S. 174. 38 Greger (Fn. 22), S. 19; Fezer (Fn. 19), 17/40; Moos (Fn. 13), S. 105. 39 Lebenserfahrung, Intuition, Vorverständnisse etc. können nur Mittel sein, im Rahmen der Beweiserhebung (§ 244 II StPO: Aufklärungspflicht) die erforderlichen Erkenntnisquellen heranzuziehen und zweckdienlich auszuschöpfen, nicht aber Maßstäbe sachgerechter Beurteilung und Würdigung (§ 261 StPO). 40 Herdegen (Fn. 17), S. 174. Vgl. bereits Jarcke (Fn. 12), S. 100 („Welche Garantie hat der Mensch für die Richtigkeit seines Urtheils, oder dafür, daß sein Fürwahrhalten mit der Wahrheit übereinstimme? … Die einzige Garantie dafür kann nur in den Gründen liegen; sie kann namentlich nicht in der Überzeugung selbst liegen, sonst hätte der Mensch bei sich und bei andern nur zu untersuchen, ob er oder ob der andere überzeugt sey …“) und Mittermaier (Fn. 7), S. 69, 70 (kein genügendes Wahrheitskriterium sei rein subjektives „Fürwahrhalten“, in dem „wir etwas für wahr annehmen, ohne uns entweder der Gründe dafür deutlich bewußt zu sein oder ohne völlig zureichende Gründe zu haben“). Ferner: C. Schmitt, Gesetz und Urteil, 2. Aufl., 1969, S. 98 („… ein Kriterium der Richtigkeit kann keine psychologische Analyse liefern“); Klug, Juristische Logik, 4. Aufl. 1982, S. 3 (es ist „von Wissenschaft nicht mehr zu reden“ und kann „keine sinnvolle Diskussion geben, … wo nur noch der Austausch von Stimmungen, Emotionen und Gefühlen möglich ist“); Freund (Fn. 8), S. 52 f., 54. 41 Küper (Fn. 19), S. 297; Volk (Fn. 10), S. 8 f., 12, 18 („Element normativer Legitimation von Entscheidungen“); Herdegen (Fn. 16), S. 197. 42 Zur (subjektiven) „Wahrhaftigkeit“ vgl. Spendel (Fn. 1), S. 465; Käßer (Fn. 19), S. 41 ff.; Herdegen (Fn. 17), S. 175 („Wer ernsthaft etwas behauptet, verbürgt sich für die Wahrheit des Behaupteten … Mit dem Urteil gibt der Tatrichter … die Versicherung ab, daß er selbst an die … Behauptung glaubt, die Feststellung für wahr und geeignet hält, auf sie den Urteilsspruch zu stützen …“). In gleichem Sinn bereits v. Wick, Zur Theorie des Indicienbeweises, NACrR 1852, 468, 474 (Bei der Beurteilung der richterlichen Entscheidung sei zu fragen: „hat der Richter selbst als wahrhafter Zeuge gesprochen? D.h. hat er das, was vor Gericht ausgesagt ist, treu und unentstellt seinem Urtheile untergelegt, und hat er seine Ueberzeugung wirklich so ausgesprochen, wie er sie in sich trägt? In beiden Beziehungen ist der Richter nichts als Zeuge“).

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das Recht (Art. 1 I, 2 1 GG)43, gegenüber Dritten die Pflicht44. Schließlich ist „Überzeugung“ kein Tatbestandsspezifikum des § 261 StPO, sondern notwendige Bedingung jeder Rechtsentscheidung, deren Richtigkeit (bzw. Wahrheit) der, welcher Recht spricht, sich persönlich sicher sein muß. (3) Die Kombination zweier je für sich untauglicher Kriterien könnte „Wahrheit“ konstituieren, käme dieser Verbindung über ein quantitatives Mehr hinaus eine kategorial neue Qualität zu45. Welches Verifikationskriterium diesen Sprung zu leisten vermöchte, ist weder dargetan noch erkennbar. bb) Prozeßdogmatisch unlösbar widerspricht eine ontologisch-materiell begriffene „Wahrheit“ (§§ 244 II, 261 StPO) dem Verfahrensziel eines „gerechten“ (Sach-) Urteils. Das „Fehlurteil“ ist prozeßimmanent vorprogrammiert, weil angesichts faktisch und rechtlich begrenzter Erkenntnismöglichkeiten46- prinzipiell notwendig – die Wirklichkeit als Entscheidungsbasis ganz oder teilweise verfehlt wird. Zu Versuchen, das „unrichtige Sachurteil als Zentralproblem der allgemeinen Prozeßrechtslehre“47 unter jener Wahrheitsprämisse zu legitimieren, läßt sich streiten nur darüber, welche der jeweils unzureichenden Begründungen die weniger schlechte ist48: Nach (gegenwärtig kaum noch vertretener) „materieller Rechtskrafttheorie“ verändert das einen Unschuldigen verurteilende oder einen Schuldigen freisprechende Urteil rechtskonstitutiv die materielle Rechtslage; gemäß „prozessualer Rechtskrafttheorie“ (h.M.) ist das die materielle Rechtslage nur deklaratorisch feststellende Urteil, falls sachlich unrichtig, zwar „rechtswidrig“, soll aber dennoch den unschuldig Ver43 Zur Handlungsverantwortung vor der Gewissensinstanz vgl. nur RGSt. 66, 163, 164 (zit. in Fn. 19); BGHSt. 10, 208, 209 (vgl. bereits Fn. 19; und: „Es ist … die für die Schuldfrage entscheidende, ihm allein übertragene Aufgabe des Tatrichters, … nur seinem Gewissen verantwortlich zu prüfen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann oder nicht“); BVerfG NJW 1991, 2893 f (nahezu wortgleich wie BGH aaO); v. Hippel (Fn. 10), S. 100 („Überzeugung“ des Richters, daß er „die Tat nach seinem Wissen und Gewissen als feststehend erachtet“); Lampe, Richterliche Überzeugung, in: FS Pfeiffer 1987, S. 353, 368 (subjektive Gewißheit als „Maßstab, an dem der Richter sich selbst ,vor seinem Gewissen‘ messen kann“); Herdegen (Fn. 17), S. 178 („In der Anerkennung des subjektiven Moments liegt die Respektierung der Persönlichkeit des Richters“). Dazu auch schon W. Endemann, Die Beweislehre des Civilprozesses, 1860, S. 639 („Kein Gesetz, selbst wenn es Entscheidungsgründe anbefiehlt, kann verhindern, daß trotzdem flüchtig oder gewissenlos verfahren wird. In letzter Instanz hängt Alles von dem Geist der Rechtsprechung ab, den das positive Gesetz weder zu schaffen, noch zu hindern vermag“). 44 Vgl. den Richtereid nach § 38 DRiG („… nach bestem Wissen und Gewissen … zu urteilen …“); Küper (Fn. 19), S. 297. Auch Hegel (zit. in Fn. 19); v. Savigny, Ueber Schwurgerichte und Beweislehre im Strafprozesse, GA 6 (1858), S. 469, 476 („Die Gewähr für die Wahrheit des Urtheils über die Thatfrage ist … darin zu suchen, daß der Urtheilende neben dem unerschütterlichen Willen, der Wahrheit die Ehre zu geben, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitze, und daß er davon in besonnener Reflexion Gebrauch mache“). 45 Ablehnend auch Lampe (Fn. 43), S. 368 f. 46 Oben I. 1. b). 47 Sax, ZZP 67 (1954), S. 21 ff. 48 Vgl. auch Sax, in: KMR-Kommentar zur StPO, 7. Aufl. 1980, Einl. XIII Rdn. 10.

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urteilten gem. herrschender, allerdings nach Spendels Kommentierung des § 32 StGB in Frage zu stellender Meinung ausnahmslos ohne Notwehrrecht verpflichten, die Vollstreckung zu dulden49. 2. Normativer Begriff semantischer Wahrheit a) Grundlegung: Formalrechtlich (unten aa)) und rechtsinhaltlich (unten bb)) erweist auch externkritisch-prozeßrechtliches Denken es als notwendig, den prozessualen Wahrheitsbegriff neu zu definieren. aa) „Wahrheit“ i.S.d. § 244 II i.V.m. § 261 StPO stellt das Gericht, diese Normen konkretisierend, prozeßhandlungsförmig50 im Vorgang der Überzeugungsbildung durch Beweiswürdigung fest. Denn die „freie Überzeugung“ des § 261 StPO „ist ein Rechtsbegriff“51, seine Anwendung eine Rechtsaussage. So wenig wie (prozessuale) Wahrheit ist aber auch Recht kein als ontologisch oder axiologisch vorgegeben zu Erkennendes, sondern stets ein in konkret-juristischer Entscheidung Werdendes, zu Schaffendes. Es ist nicht Gegenstands- oder Erkenntnis-, sondern (semantisches) Aussagenprädikat52. Gleiches gilt für die (i. d. R. urteilsförmige) Aussage des Gerichts über Sachverhalt (§ 267 I 1 StPO: „die für erwiesen erachteten Tatsachen“) und überzeugungsbildende Beweiswürdigung (§ 261 StPO): Sie ist (prozessual) wahr, wenn rechtsrichtig und, dies vorausgesetzt, auch dann kein „Fehlurteil“53, wenn sie nicht übereinstimmt mit ontologischer Wirklichkeit und ihrer materiellrechtlichen Bewertung54. bb) Rechtsrichtig ist seine Erkenntnis, falls das Gericht prozeßordnungsgemäß die Unschuldsvermutung widerlegt (Verurteilung) oder als unwiderlegbar (Freispruch, Einstellung) erkennt55. Dieser Nachweis prozessualer Wahrheit bedarf rechtlich zureichender Begründung (Art. 103 I GG, § 34 StPO).

49 Zur „Rechtswidrigkeit“ des Fehlurteils s. Eb. Schmidt (Fn. 9), Rdn. 275 ff., 286; Roxin (Fn. 21), § 50 B I 3; zur Notwehr des „unschuldig“ Verurteilten Spendel, Leipz. Komm., 10. Aufl., Bd. 2, 1985, § 32 Rdn. 104 ff. 50 Ausführlich Verf. (Fn. 14), S. 310 ff., 316 f. 51 v. Hippel (Fn. 10), S. 386, 597, der fortfährt: „Freie Beweiswürdigung bedeutet … logische Schlußfolgerung aus gewissenhaft festgestellten Tatsachen. Verstößt eine rechtlich erhebliche Feststellung gegen diese Anforderungen, so beruht das Urteil auf Rechtsirrtum und unterliegt der Aufhebung“. 52 Zum Ganzen Verf. (Fn. 2), S. 56 f., 62 ff., 68 ff., 72 ff. – Vgl. bereits Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 4 – 7, 19 – 22, 43; Verf., Rechtsdogmatische Bemerkungen zum Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens, JuS 1988, 873, 874. 53 Verf. (Fn. 52), S. 874 Anm. 4. 54 Zudem angesichts der Unschuldsvermutung (Art. 6 II MRK) die Figur eines (konkreten) Straftäters „im materiell-rechtlichen Sinn“ der Rechtsordnung fremd ist; materiell-rechtlich gibt es nur die (abstrakt-hypothetischen) Strafnormen. 55 Im einzelnen Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 302 – 310; Verf. (Fn. 14), S. 313 – 316.

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b) Folgerungen: Prozessual-semantische Wahrheit als rechtsrichtige Aussagenverifikation56 mit prozeßzielbestimmter „Finalstruktur“57 ist auch im Bereich – prozeßhandlungsmäßiger58- Seins-Behauptungen über Untersätze konkret-rechtlicher Sollensaussagen rechtlich begründungsbedürftig59und begründbar60. aa) Der historische Befund ist eindeutig: „Frei“ (§ 261 StPO) nur von abstraktgenerellen, subsumtiv anzuwendenden gesetzlichen Beweiswürdigungsregeln61, sollte das Gericht im Wege nicht mehr rechtlicher Subsumtion, sondern – zuverlässigerer – logisch-empirischer Begründung sich die „Überzeugung“ bilden, „Wahrheit“ festgestellt zu haben. Als die Errungenschaft des „reformierten Strafprozesses“ des 19. Jahrhunderts62 war „an die Stelle der gesetzlichen Beweistheorie eine wissenschaftliche Beweistheorie getreten“63, eine Beweistheorie aus § 261 StPO. Ländergesetzlich normiert64 und wissenschaftlich anerkannt65 war freie Überzeugung Sache allein der Logik, des Verstandes, der Vernunft66. Durchgesetzt hatte sich 56

Verf. (Fn. 2), S. 72 ff. Müller-Dietz (Fn. 36), S. 261, 264, 270. 58 Zu Bewertungskategorien für prozessuale Rechtsrichtigkeit vgl. Verf. (Fn. 14), S. 318 – 325. 59 Weil „im modernen Rechtsstaat richterliche Entscheidungen niemals unbegründet sein dürfen“ (Klug [Fn. 40], S. 156). Vgl. schon v. Savigny (Fn. 44), S. 491: Entscheidungsgründe „haben eine doppelte Bedeutung; einmal, indem sie die gründliche Erwägung befördern, und sodann, indem sie die Anfechtung des Erkenntnisses durch Rechtsmittel sowie die Prüfung durch den höheren Richter vorbereiten und möglich machen“. R. v. Hippel (Fn. 10), S. 362 weist auf den Aspekt des „Vertrauens in die Gerechtigkeit der Strafrechtspflege“ und darauf hin, daß man „überzeugen“ könne „nicht durch Behauptungen, sondern nur durch Gründe“ (zu § 267 II StPO). Schließlich BVerfGE 40, 101, 105; 47, 182, 189; 54, 43, 46; 58, 353, 357: „Die wesentlichen, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen jedenfalls in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden“ (dazu auch Verf. [Fn. 4], Rdn. 62 vor § 33). Umfassend: Brüggemann, Die richterliche Begründungspflicht, 1971; Lücke, Begründungszwang und Verfassung, 1987. 60 Auch aus diesem rechtlichen Grund darf ein – ganz oder teilweise – irrational gegründetes Evidenzerlebnis „subjektiver Gewißheit“ (oben I. 1. b) aa) (2)) kein prozessuales Wahrheitskriterium sein. 61 v. Savigny (Fn. 44), S. 485 f.: „Der Gesetzgeber … vermag keine Regeln aufzustellen, welche … die Wahrheit des richterlichen Ausspruchs verbürgen. Die Regeln, wonach der reflektierende Verstand sein Urtheil bildet …, beruhen auf Sätzen der Erfahrung und auf Kenntniß der sittlichen und sinnlichen Natur des Menschen. Allerdings kann die Wissenschaft hierin Erfahrungen verbreiten, Prinzipien entwickeln und dem Richter und der Gesetzgebung vorarbeiten … Das, was wir Gewißheit einer Thatsache nennen, beruht auf so vielen einzelnen, in ihrer Zusammenwirkung nur dem einzelnen Fall angehörenden Elementen, daß sich dafür gar keine wissenschaftlichen allgemeinen Gesetze geben lassen“. 62 Umfassende Nachweise bei Küper (Fn. 19), S. 214 – 245. 63 Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 11. Aufl. besorgt von K. Zweigert, 1964, S. 329. 64 Glaser, Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß, 1883, S. 31. Vgl. bereits § 393 PrCrimO (zit. in Fn. 8). Nach Einführung der freien Beweiswürdigung: § 19 II 3 des Preuß. Gesetzes v. 17. 7. 1846 (dazu Abegg, Betrachtungen über das Gesetz betr. das Verfahren in den 57

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die Auffassung67 daß jene Rationalität der Beweiswürdigung der Überzeugungsbildung durch Berufsrichter und (Laien-)Geschworene gleichermaßen eigen war68. Der bei dem Kammergerichte und dem Criminalgerichte zu Berlin zu führenden Untersuchungen …, ACrR 1847, 103 ff., 155 ff.): „Der erkennende Richter hat fortan unter genauer Prüfung der erhobenen Beweise … nach seiner freien … Überzeugung zu entscheiden, ob der Angeklagte schuldig oder nicht schuldig sei. Er ist aber verpflichtet, die Gründe, welche ihn dabei geleitet haben, in dem Urteil anzugeben“; § 249 I 2 des Entwurfs der ZPO (heute: § 286 I 2 ZPO): „In dem Urteil sind die Gründe anzugeben, welche für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind“. 65 Feuerbach (Fn. 18), S. 121 f. („Das Vermögen, … über irgend eine Thatsache oder Begebenheit Wahrscheinlichkeit oder Gewißheit zu haben, liegt allein in dem Verstande … Gleichwohl kann jedes Erkennen zweifacher Art seyn, entweder ein wissenschaftliches Erkennen, oder ein nicht wissenschaftliches, gemeines. Bei jenem ist sich der Verstand seiner Gründe bewußt, nicht bei diesem“), 140 (der „wissenschaftliche“ Verstand „ist erst dann überzeugt, wenn ihn feste Gründe zur Ueberzeugung zwingen“); Jarcke (zit. in Fn. 40); Möhl (Fn. 12), S. 283 („geschichtliche“ Gewißheit werde hergestellt „durch einen Inbegriff objektiver, die Überzeugung des Richters bestimmender Gründe“); Mittermaier, Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Oeffentlichkeit und das Geschwornengericht …, 1845, S. 367 („Zur gründlichen Abwägung der Beweise gehört nicht blos Kenntniß der Lebensverhältnisse und der menschlichen Handlungsweise, sondern auch eine Fülle von Erfahrungen über die Gefahren gewisser scheinbar gewichtiger Beweise, ein logischer Geist, welcher die Thatsachen zergliedert und richtige Schlüsse zieht, Uebung in einer scharfen Kritik des Materials …“); v. Savigny (zit. in Fn. 61); Arnold, Prüfung der Beweise ohne gesetzliche Beweistheorie, GS 10 (1858), 40, 43 (Beweiswürdigung bedürfe der „Regeln der Logik und der Wahrscheinlichkeit, letztere gegründet auf die Erfahrung“); Walther, Lehrbuch des bayer. Strafprozeßrechts, 1859, S. 324 („freie Beweiswürdigung“ bedeute „Freiheit, welche … sich … durch Logik und Erfahrung leiten lässt“); Ortloff, Beweisregeln und Entscheidungsgründe im Strafprozesse, GA 8 (1860), 461, 473 (Forderung einer wissenschaftlich-praktischen Beweistheorie mit „in der vorzugsweisen Berücksichtigung des konkreten Falles mit Beobachtung allgemeiner, aus dem Erfahrungswissen hergenommener Regeln“); Endemann (Fn. 43), S. 4 („Die freie Beweistheorie … folgt lediglich dem, was die konkrete Erkenntniß des Stoffs, die praktische Erfahrung und das Denkgesetz dem Gewissen befehlen“), 633 f. („Wahrheitsfindung nach freier logischer Ueberzeugung … will materielle Wahrheit nach vollständigster, gründlichster Erkenntniß der Wahrheitsgründe in ihrer konkreten Beschaffenheit, vermittelst derjenigen Prüfung, welche das allgemeine Denkgesetz und das Gewissen befehlen, aufsuchen“), 634 f. („Die Ueberzeugung soll das Ergebniß einer reinen und gründlichen Verstandesoperation darstellen“); Dollmann, System des bayer. Strafprozessrechts, 1864, S. 91 f. („freie Beweiswürdigung“ verweise den Richter an die Beobachtung der Gesetze der „Logik und Lebenserfahrung, an eine gewissenhafte Abwägung der Gründe und Gegengründe auf dem Wege der Reflexion“). 66 Küper (Fn. 19), S. 243 f.; vgl. auch Kant (zit. in Fn. 18). 67 Anders – in der Tradition der „conviction intime“ (Art. 342 Code d’Instruction Criminelle v. 1808), verstanden i.S. eines intuitiv-gefühlsmäßigen, subjektivistisch-irrationalen Fürwahrhaltens – z. B. Feuerbach (Fn. 18), S. 33 („Da der Ausspruch der Jury blos durch subjectives Fürwahrhalten bestimmt werden soll, sind die Geschwornen wegen ihres Ausspruches unverantwortlich. Sie haben kein anderes Gesez als ihr Gewissen, keinen andern Richter als ihr eigenes Bewußtseyn. Ihr Ausspruch gleicht dem Spruche eines Orakels, welcher … in seinen Gründen unerforschlich und stets heilig ist“); Köstlin, Der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens im 19. Jahrhundert, 1849, S. 25, 33, 120 f.; Binding, Grundriss des Gemeinen Deutschen Strafprocessrechts, 1881, S. 132 („Schwurgerichtsurteile stehen „in scharfem Gegensatze zu allen übrigen“: sie „können keine Gründe für die Entscheidung der

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als so verstanden von ihm vorgefundene „Grundsatz der freien Beweiswürdigung“ bedurfte für den Gesetzgeber „gegenwärtig nicht mehr der Rechtfertigung; er liegt allen in neuerer Zeit ergangenen deutschen Strafprozeßordnungen zugrunde“69. Daß Gesetzgeber und lex lata in § 267 I StPO (in S. 2 sogar nur instruktionelle Sollvorschrift70) auf formale Dokumentation des Beweiswürdigungsvorgangs in Urteilsgründen verzichten71, spricht, genau besehen, nicht gegen, sondern geradezu für rechtlich geforderte, jedenfalls inhaltliche Rationalität gerichtlicher Überzeugungsbildung. Insoweit bezweckte § 267 I StPO ursprünglich nicht, eine Darlegungs- bzw. Begründungspflicht (rudimentär) zu statuieren, sondern die in § 34 StPO – auch für Urteile – normierte72 zu suspendieren vor allem73 aus zwei prozessualen Gründen. Erstens die Anfechtungsfrage: Bewertung der Beweisergebnisse, z. Z. gesetzlicher Beweistheorien Rechtsfrage, war nach damaliger Auffassung rein faktischer, logisch-empirischer Vorgang in mündlich-unmittelbarer Hauptverhandlung geworden, somit in höherer Instanz rechtlich unüberprüfbar74, folglich nicht begründungsbeSchuldfrage geben, weil das Verdict ohne solche ergeht“). Zum Ganzen Schwinge, Der Kampf um die Schwurgerichte bis zur Frankfurter Nationalversammlung, 1926, S. 88 ff.; Küper (Fn. 19), S. 214 ff. 68 Jarcke (Fn. 12), S. 102 f.; Mittermaier, Über den neuesten Zustand der Ansichten … über den Indicienbeweis …, NACrR 1844, 274, 293 f.; ders., Über den Zustand der Strafproceßordnung in Deutschland …, NACrR 1854, 120, 134 („Das Geschäft des Urtheilens über die Schuldfrage ist die nämliche geistige Arbeit des Ueberlegens und der Abwägung der Beweise, mögen Staatsrichter oder Geschworne zu urtheilen haben“); Abegg (Fn. 64), S. 163 f.; Glaser (Fn. 64), S. 32; Ullmann (Fn. 12), S. 325; Gleispach (Fn. 18), S. 213; Küper (Fn. 19), S. 225. 69 Motive (Fn. 15), S. 198. 70 Zum „Ordnungscharakter“ des § 267 I 2 StPO als Folge aus § 261 StPO vgl. Verf. (Fn. 4), § 267 Rdn. 38. 71 Eine „bedenkliche Wendung, welche die Entwicklung eines gesunden Beweisrechts hindert und der Revisionsinstanz auch die Aufgabe der Gesetzesanwendung erschwert …“ (Glaser, Handbuch des Strafprozesses, II, 1885, S. 586 Anm. 69). 72 Motive (Fn. 15), S. 210. 73 In den späteren Kommissionsberatungen nicht übernommen (vgl. Küper [Fn. 19], S. 299) wurde die Argumentation (abl. auch v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, 1892, S. 587) der Motive (Fn. 15), S. 211, das Gesetz müsse „auf die Forderung verzichten, daß die verschiedenen Richter in den Gründen ihrer Ueberzeugung übereinstimmen … Deshalb ist die Forderung, daß die Gerichte die Gründe ihrer Ueberzeugung in dem Urtheil angeben sollen, bei Kollegialgerichten nicht selten geradezu unerfüllbar“ . Auch für den Gesetzgeber beruhte also die „Überzeugung“ inhaltlich auf „Gründen“! 74 Motive (Fn. 15), S. 211; RGSt. 2, 136, 138; 3, 51; 3, 250, 251; 4, 313, 314 f.; 15, 85 f.; Feuerbach (Fn. 10), S. 33; Glaser (zit. in Fn. 71); v. Hippel (Fn. 10), S. 596. – Vgl. auch die Hinweise der Motive, „daß mit dem Prinzip einer auf mündlicher Verhandlung beruhenden Urtheilsfällung, … die nicht auf dem Grunde positiver Beweisregeln, sondern auf einer freien Beweiswürdigung beruht, eine Appellation grundsätzlich unvereinbar ist …“ (S. 242 f. zur Berufung), und „daß dem Revisionsrichter die Beurtheilung des rein Thatsächlichen nicht zusteht …“ (S. 251 zur Revision), insbesondere daß „die rein thatsächliche Würdigung des Straffalls, also namentlich die Würdigung der erbrachten Beweise, von der Thätigkeit des höheren Richters ausgeschlossen bleiben muß. Diese Würdigung ist dem Richter erster In-

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dürftig75. Zweitens das Schwurgericht (Jury)76 : Naturgemäß war den Geschworenen nicht abzuverlangen, die (inhaltlichen) Gründe für ihren – schon deshalb77 mit Rechtsmitteln unanfechtbaren78 – „Wahrspruch“ formal darzulegen79, ein prozessuales Defizit der Jury-Verfassung80, das auch nicht wirksam auszugleichen war durch die – kaum praktizierte81 – Befugnis der Berufsrichter, gem. § 317 a.F. StPO die „Urtheilsfällung zu versagen“, falls „sie ihrerseits der Ueberzeugung“ waren, „daß die Geschworenen bei Abgabe ihres Spruchs zum Nachtheil des Angeklagten sich geirrt haben“82. bb) Selbst heute noch wird kaum bezweifelt, daß angesichts § 267 I 2 StPO, einhellig als nicht zwingende Sollvorschrift begriffen, das Gesetz eine Begründung der Überzeugungsbildung durch Beweiswürdigung im Urteil nicht vorschreibe, daß folglich die gleichwohl in der revisionsgerichtlichen Rechtsprechung der letzten ca. 60 Jahre83 entwickelten, sehr weitgehenden Begründungsanforderungen84, stanz ausschließlich überlassen, und das von diesem festgestellte thatsächliche Ergebniß ist für die höhere Instanz maßgebend, insoweit dasselbe nicht etwa im Wege eines gesetzwidrigen Verfahrens gewonnen worden ist. Die Aufgabe des höheren Richters besteht nur in der rechtlichen Beurtheilung der Sache …“ (S. 250). 75 Vgl. Motive (Fn. 15), S. 95 (zu § 28 StPO-Entwurf = heute § 34 StPO): „Soweit gerichtliche Entscheidungen durch Rechtsmittel anfechtbar sind, bedarf es schon mit Rücksicht auf diese der Angabe der Entscheidungsgründe“. 76 Beseitigt durch die „Emminger-Reform“ von 1924 und ersetzt durch einen Spruchkörper mit drei Berufsrichtern und sechs Geschworenen. 77 Hier dahinstehen kann, ob der Spruch der Geschworenen mit Rechtsmitteln unanfechtbar schon deshalb sei, weil er „als von dem ganzen Volke selbst erkannt betrachtet“ werden müsse (Mittermaier [Fn. 8], S. 395; vgl. auch S. 399). 78 RG (wie Fn. 74); Feuerbach (Fn. 18), S. 33; Glaser (Fn. 71), S. 586 Anm. 69; v.Hippel (Fn. 10), S. 596. 79 Feuerbach (Fn. 10), S. 205; Endemann (Fn. 43), S. 638; Binding (Fn. 67), S. 132; Ullmann (Fn. 12), S. 329; Gleispach (Fn. 18), S. 213; Schwinge (Fn. 67), S. 89; Sarstedt, Beweisregeln im Strafprozeß, in: FS Hirsch 1968, S. 171, 173 f.; Krause (Fn. 5), S. 324; Paeffgen, „Ermessen“ und Kontrolle, in: FG K. Peters 1984, S. 61, 80. Vgl. auch Hauser, Zur Reform der Rechtsmittel im Strafprozeß, insbesondere der Anfechtung von Tatsachen, ÖJZ 1981, 533: Beseitigung der klassischen Jury in den Schweizer Kantonen (zuletzt 1980 Freiburg), seit Art. 227 der Schweizer Bundes-StPO v. 1934 eine Begründung kantonaler Urteile verlangt und ein Urteil des Kassationshofs des Bundesgerichts von 1952 (BGE 78 IV 134 ff.) dies – zumindest in Form eines detaillierten Fragebogens – auch für Schwurgerichtsurteile forderte. 80 Vgl. bereits Feuerbach (Fn. 10), S. 135 ff., 140. 81 v. Kries (Fn. 72), S. 632. 82 Motive (Fn. 15), S. 235 (zu § 272 des StPO-Entwurfs im Anschluß an Art. 253 Code d’Instruction Criminelle v. 1805). 83 Umfassende Darstellungen bei Hempfling, Die Tatsachen in der Rechtsprechung der Revisionsgerichte in Strafsachen, Diss. 1956, S. 24 – 51, 67 – 69; Schmid, Der Revisionsrichter als Tatrichter, ZStW 85 (1973), 360, 361, 365, 370 – 375; Cuypers (Fn. 18), S. 144 – 199, 265 – 307, 326 – 328, 403 – 411; Fezer (Fn. 19), 17/57 – 66 u. 20/19 – 28; ders., Die erweiterte Revision – Legitimierung der Rechtswirklichkeit?, 1974, S. 51 ff.; ders., Möglichkeiten einer Reform der Revision in Strafsachen, 1975, S. 65 – 94, 97 – 129, 142 – 170; Otto, Möglichkeiten

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deren Verletzung die Revision begründen kann, gesetzlicher Grundlage entbehre85, sogar als gesetzwidrig abzulehnen86, zumindest aber Richterrecht praeter legem87 sei, das die Rechtssicherheit beeinträchtige88. Dem ist entgegenzuhalten: Sedes materiae ist nicht § 267 I 2 StPO, sondern sind (wieder) §§ 261, 34 StPO89. Denn erstens hat § 267 I 2 StPO seine (Begrenzungs-)Funktion mit Beseitigung des Jury-Systems 1924 verloren; entfällt sein Zweck, endet das Gesetz. Zweitens bedeutet, gesetzgeberischer und auch derzeit dominierender Auffassung zuwider90, logisch-empirische Rationalität der Beweiswürdigung nicht „Tat-“, sondern Rechtsfrage, weil „Anwendung“ der Verfahrensnorm91 des § 261 StPO: dieser und nur dieser (inhaltliche) Vorgang ist (formal) zu dokumentieren in rechtlich überprüfbaren Urteilsgründen92 ; eine

und Grenzen der Revision in Strafsachen, NJW 1978, 1, 3 – 10; Peters, Der Wandel im Revisionsrecht, in: FS K. Schäfer, 1980, S. 137 ff.; Niemöller (Fn. 13), S. 433 ff.; LR(23.)-Meyer, § 337 Rdn. 108, 118 – 135, 143 – 145; LR(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 131 – 179; Maul, Die Überprüfung der tatsächlichen Feststellungen durch das Revisionsgericht in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, in: FS Pfeiffer, 1987, S. 409, 411 – 418. Zur österreichischen Rspr. Steininger (Fn. 27), S. 134 – 175; zur zivilgerichtlichen Judikatur Gottwald, Die Revisionsinstanz als Tatsacheninstanz, 1975. 84 Dazu unten II. 2. a) aa) und b) aa). 85 Schmid (Fn. 83), S. 369; Otto (Fn. 83), S. 1; Niemöller (Fn. 13), S. 432; Maul (Fn. 83), S. 419 f. 86 Roxin (Fn. 21), § 53 D III 3. 87 Rieß (Fn. 5), S. 272, 277; Otto (Fn. 83), S. 10; Schünemann, Grundfragen der Revision im Strafprozeß, JA 1982, 71, 73; Paeffgen (Fn. 78), S. 78 Anm. 75; LR(24.)-Hanack, Rdn. 7 vor § 333; Steininger (Fn. 27), S. 18. 88 LR(24.)-Hanack, Rdn. 5 u. 11 vor § 333, § 337 Rdn. 130; Fezer (Fn. 19), 20/28. 89 Dazu auch v. Hippel (zit. in Fn. 51). Näher Verf. (Fn. 4), § 267 Rdn. 36 – 38. Bereits in den „Protokollen der Kommission für die Reform des Strafprozesses“, Bd. 1, 1905, S. 246 f. ist eine Ergänzung des § 267 I StPO (Angabe auch der „Gründe, weshalb diese Tatsachen für erwiesen erachtet wurden“) gefordert, weil erkennbar sein müsse, „ob das Gericht seiner Pflicht zur eingehenden Prüfung und Würdigung der Beweisergebnisse nachgekommen sei und ob die Feststellung der erheblichen Tatsachen auf rechtlich einwandfreien Schlußfolgerungen beruhe“. 90 Zutr. auf § 261 StPO abstellend v. Hippel (zit. in Fn. 51); Klug (Fn. 40), S. 157 f.; Gössel, Die Nachprüfung von Tatsachenfeststellungen in der Revisionsinstanz in Strafsachen, in: Schlosser u. a., Tatsachenfeststellung in der Revisionsinstanz, 1982, S. 117, 133. Vgl. auch Herdegen (Fn. 21), S. 116: „Ich wage die Prognose, daß die Fragen der Beweiswürdigung für die Zukunft des Revisionsrechts von entscheidender Bedeutung sein werden“. – Anders die ganz h.M.; vgl. für alle: Rieß (Fn. 5), S. 269; LR(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 120 („Verfahrensrechtlich ist der Tatrichter nicht verpflichtet, … die Beweiswürdigung im Urteil mitzuteilen“). 91 Unten II. 2. a) bb). 92 Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 40. Vgl. schon Endemann (Fn. 43), S. 638: „Die freie Beweiswürdigung findet in der Forderung von Entscheidungsgründen keinen Widerspruch …“ – ebenso Glaser (Fn. 64), S. 31 f.; Binding (Fn. 67), S. 132 – „Im Gegentheil hat sie erst, indem sie diesem Erforderniß genügt und stets im weitesten Sinn öffentliche Kritik der Wahrheitsprüfung … vor Augen hat, ihre volle Berechtigung“.

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davon verselbständigte „Darstellungs-“, „Feststellungs-“ bzw. „Berichtspflicht“93, auf deren Verletzung das – bereits verkündete – Urteil im übrigen nicht „beruhen“ (§ 337 I StPO) könnte94, ist nicht begründbar. cc) Ist prozessuales Wahrheitskriterium weder eine „objektive Wahrscheinlichkeit“ noch „subjektive Gewißheit“ (oben I. 1. b)), sondern die prozessuale Rechtsrichtigkeit beweiswürdigender Überzeugungsbildung (§§ 244 II, 261 StPO), so ist die Urteilsaussage über die „Tatfrage“ wahr (und das Urteil rechtsrichtig), wenn der in ihr behauptete Sachverhalt durch Gründe rechtlich bewiesen wird, damit rechtlich als „Tatsache“ i.S.d. §§ 244 II, 267 I 1 StPO gilt95, die Unschuldsvermutung widerlegt96. Der rechtsqualitative Maßstab ist abzuleiten wiederum aus der Funktion des Strafverfahrens97: Gewährleistung sozialer Ordnung durch Rechtsgüterschutz im Wege prozeßförmiger Konkretisierung der (hypothetisch-)imperativen Normen materiellen Strafrechts. Deshalb ist für die prozessuale „Wahrheits“-Frage aus Rechtsgründen keine höhere Erkenntnisqualität zu fordern, als sie im sozialen Leben mit den dort gegebenen Mitteln bestmöglich zu leisten ist98. Konkordanz semantischer und ontologischer „Wahrheit“ ist zwar faktisch möglich, aber rechtlich nicht notwendig. Ihr Fehlen verletzt auch nicht den materiell-rechtlichen Schuldgrundsatz99; denn angesichts der Unschuldsvermutung ist real-ontologische „Schuld“ stets nur hypothetischer Art, im sozialen Leben rechtlich relevant wird „Schuld“ erst durch prozeßförmigen Nachweis in einer rechtskräftigen Sachentscheidung100. Daraus folgt: Weil „Überzeugung“ (§ 261 StPO) Rechtsbegriff101 und ihr Gegenstand die Richtigkeit einer Rechtsaussage ist, wird nun auch begründbar, daß trotz in 93 So aber die h.M. (z. B. LR[24.]-Hanack, § 337 Rdn. 120 ff.; Kleinknecht/Meyer [Fn. 93], § 337 Rdn. 21), wesentlich zurückgehend auf Fezer (Fn. 19), 20/18 – 32 (pointiert 20/19: „Damit haben sich auf der ,Darstellungsebene‘ weitreichende revisionsgerichtliche Prüfungsmöglichkeiten entwickelt, während die Beweiswürdigung selbst der revisionsgerichtlichen Kontrolle naturgemäß entzogen bleibt“), sowie Reform (Fn. 83), S. 9, 62 ff., 70, 76, 91, 113, 130 f., 155 f., 170 – 176 u. öfter. – Zur „Darstellungsrüge“ gem. § 281 Nr. 5 österr. StPO vgl. Nowakowski (Fn. 27), S. 22, 27, 29; Moos (Fn. 13), S. 97 f., 102, 139, 140 (S. 101: es seien „formale Mängel der Darstellung und inhaltliche Mängel der Beweiswürdigung grundsätzlich verschieden“); Steininger (Fn. 27), S. 134 – 175. 94 Zutr. Fezer (Fn. 19), 20/53 und 20/70. 95 Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 21. Der „vom positiven Recht verwendete Tatsachenbegriff ist ein Rechtsbegriff wie jeder andere“ (Scheuerle, Beiträge zum Problem der Trennung von Tatund Rechtsfrage, AcP 157 [1958/59], S. 1, 9). 96 Oben I. 2. a). 97 Verf. (Fn. 14), S. 313 ff., 315 f. 98 Richtig ist daher nur das Ergebnis der Begründung (oben I. 1. b) mit Fn. 16), eine „absolute“ Wahrheit sei, weil regelmäßig nicht erreichbar, im Strafverfahren auch nicht zu verlangen. 99 Dazu etwa BVerfGE 20, 323, 331; 45, 187, 259; BGHSt. 2, 194, 200 f.; 10, 35, 38. 100 So i. E. auch Freund (Fn. 8), S. 67 f. 101 Oben I. 2. a) mit Fn. 51.

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concreto abweichenden faktischen Zweifels bzw. Glaubens das Gericht rechtlich überzeugt sein muß (wenn etwa logisch-mathematische Regeln, Allgemeinkundigkeit102 oder empirisch-wissenschaftlich feststehende Gesetzmäßigkeiten103 eine bestimmte Schlußfolgerung – normativ – erzwingen) bzw. nicht überzeugt sein darf (z. B. bei auf Konklusion allein aus einem sonstigen, nicht nomologischen Erfahrungssatz beruhender subjektiver Gewißheit); denn rational zu begründen ist eben eine nicht auf ontologischer Wirklichkeit, sondern auf Rechtsrichtigkeit entscheidungsförmiger „Aussage“ bezogene Gerichtsüberzeugung. Und zweitens leuchtet nun ein, daß für Aussagenrichtigkeit rechtsrelevant nicht rein abstrakttheoretische, sondern nur verfahrensgegründete konkret-empirische Argumentationsmöglichkeiten104 sein dürfen, die geeignet sind, die Stringenz der Überzeugungsbildung zu erschüttern und – als Folge dessen – Raum zu geben einem „reasonable doubt“ (i.S. unwiderlegter prozessualer Unschuldsvermutung) an ihrer Richtigkeit105.

II. Revisibilität gerichtlicher Wahrheits-Aussagen 1. Die „Tatfrage“ als Rechtsfrage a) Meinungsstand: Noch immer gilt – gesetzgeberischer Intention gemäß106 – nahezu unbestritten, daß dogmatisch die „Tatfrage“ (= Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung im Urteil) als prinzipiell irrevisibel von der revisionsgerichtlich überprüfbaren „Rechtsfrage“ (§ 337 I, II StPO) abzugrenzen sei. aa) Subsumtionstechnische Begründungsversuche aus § 337 StPO – „Verletzung des Gesetzes“, falls „eine Rechtsnorm nicht oder nicht richtig angewendet worden ist“ – erscheinen angesichts diverser Eigenart im Syllogismus107verwendeter Begrif102 Notorisch sind Individualtatsachen und Allsätze, „welche dergestalt allgemein bekannt sind, daß kein vernünftiger Grund, sie in Zweifel zu ziehen, vorhanden ist“ (RGSt. 16, 327, 330 f.). 103 Ungenau formuliert die Rspr., daß hier für gegenteilige Überzeugungsbildung „naturgemäß kein Raum mehr“ sei (BGHSt. 10, 208, 211; 29, 18, 21). Bindung an allgemeingültige, nomologische Erfahrungssätze, insbesondere gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse (BGHSt. 6, 70, 72 f.; 21, 157, 159; 30, 251, 252 f.; BGH NStZ 1990, 232, 233 u. 491, 492; 1991, 481) „ist vielmehr Wesensmerkmal rechtsrichtiger Überzeugungsbildung“ (zutr. Meurer [Fn. 16], S. 544). 104 Im Ergebnis Gleiches ist gemeint, wenn nach allg. M. nur „vernünftige“ bzw. „konkrete“ Zweifel die Überzeugungsbildung hindern können (ausführlich Walter [Fn. 19], S. 88 ff.). In Wahrheit geht es jedoch nicht um (psychologische) „Zweifel“ (a. M. früher Verf. [Fn. 4], § 244 Rdn. 151), sondern um Begründungselemente! 105 Zu einzelnen Begründungselementen unten II. 2. b). 106 Motive (zit. in Fn. 74); ebenso die Motive zur ZPO (dazu Wach, Die That- und Rechtsfrage bei der Revision im Civilprozeß, JW 1881, 73, 74). 107 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Teil II, Buch I Kap. X: „Hingegen liefert den förmlichsten und großartigsten Syllogismus … jeder gerichtliche Prozeß. Die …

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fe („rechtliche“, „natürliche“) im wesentlichen in drei, allerdings nicht exakt trennbaren Formen: (1) Der frühesten, rein logisch-begrifflichen Unterscheidung zwischen factum (Untersatz) und ius (Obersatz)108 folgen vergleichbare Ansätze109 : Tatsache und Rechtssatz könnten wegen gegenseitiger Wesensfremdheit erst dann vereinigt werden, wenn die Tatsache abstrakter und die Norm konkreter gestaltet worden sei110 ; der in diesem Individualurteil („aktuelles Sein“) gedachte Sachverhalt sei ohne „Trennungskomplikationen“111 unter in Begriffsurteilen gedachte Rechtsbegriffe („potentielles Sein“) subsumierbar112 ; setze der in „reine“ Tatsachen bezeichnende Begriffe aufzulösende „Obersatz“ voraus, „daß gewisse normative Vorstellungen vorliegen“, so sei es „Rechtsfrage“, welchen Inhalts jene normativen Vorstellungen sein müssen, dagegen „Tatfrage“, ob diese Vorstellungen in der Laiensphäre auch tatsächlich vorgelegen haben113 ; unter „Berücksichtigung der Entwicklungen und Resultate der modernen Logik, analytischen Sprachphilosophie und Wissenschaftstheorie“114 seien Rechts- und Tatfrage abgrenzbar bei Betrachtung der Sätze, die eine logische Ableitung des konkreten richterlichen Urteils gestatten, nämlich Rechtssätze einerseits und faktisches Geschehen (bzw. Zustände) beschreibende Sätze andererseits115. Kriminalübertretung ist die Minor … Das Gesetz für solchen Fall ist die Major. Das Urteil ist die Konklusion, welche daher, als ein Notwendiges, vom Richter bloß , erkannt‘ wird“. 108 Wach (Fn. 106), S. 75 f., 76 – 78; ders., Vorträge über die Reichszivilprozeßordnung, 2. Aufl. 1896, S. 285 ff.; Stein, Das private Wissen des Richters, 1893, S. 13, 107 ff.; Birkmeyer, Deutsches Strafprozessrecht, 1898, S. 712; v. Kries (Fn. 73), S. 295; Beling, Bindings Lehre von der Abstimmung im Strafgericht, ZStW 37 (1916), S. 365, 381. 109 Abl. Radbruch, Rechtsidee und Rechtsstoff, ARSP 17 (1923/24), S. 343, 347, 349: „Bei der Rechtsanwendung wird die mittels sozialer Begriffe vorgeformte Gegebenheit den diesen Begriffen nachgebildeten Tatbestandsbegriffen subsumiert. So erscheinen übereinstimmende Begriffe bei der Beantwortung der Tat- und bei der Beantwortung der Rechtsfrage, es wird zu einer Sache des Beliebens, ob man die Anwendung solcher Begriffe als tatsächliche Feststellung oder als rechtliche Würdigung aufmacht, und die auf diesem Gegensatz gegründete Unterscheidung von Berufung und Revision erweist sich … als … undurchführbar“. 110 Sauer (Fn. 18), S. 62 f. 111 Dazu Scheuerle (Fn. 95), S. 42 – 73. 112 Scheuerle (Fn. 95), S. 20 ff., 36 ff., 41, 72 f. 113 Zippelius, Einf. in die jur. Methodenlehre, 1971, S. 100 f. 114 Grundlegend Rüßmann, Zur Abgrenzung von Rechts- und Tatfrage, in: Koch (Hrsg.), Jur. Methodenlehre und analytische Philosophie, 1972, S. 242, 243. Ihm folgend Kuhlen, Die Unterscheidung von Rechts- und Tatfrage und ihre Bedeutsamkeit für das Strafprozeßrecht, in: Burgmann/Fögen/Schminck (Hrsg.), Cupido Legum, 1985, S. 99, 101 – 105; Neumann (Fn. 21), S. 389 ff., 393 ff. – Ähnlicher Ansatz bei Nierwetberg, Die Unterscheidung von Tatfrage und Rechtsfrage, JZ 1983, 237: die Unterscheidung zwischen „Sachverhalt als Geschehen“ und „Sachverhalt als Aussage“ (S. 238), also zwischen „sprachlich-begrifflichem“ und „außersprachlichem“ Bereich bilde die „theoretische Grenzlinie zwischen Tat- und Rechtsfrage“ (S. 240). 115 Rüßmann (Fn. 114), S. 261. Und weiter: Wenn nicht das faktische Geschehen mit Begriffen beschrieben werde, die auch schon zur Normformulierung verwendet worden sind, seien weiterhin notwendig beteiligt Sätze über die Sprache – semantische Regeln –, welche

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(2) Erkennend, daß bereits in die Feststellung von Tatsachen (etwa bei Prüfung ihrer Relevanz oder ihrem Begreifen „als“ etwas) Wertungen einfließen, unterscheidet ein zweiter Lösungsansatz zwischen Tatsachenfeststellung als Ermittlung des Objekts der richterlichen Beurteilung und Tatsachenbewertung als „alles, was nicht Tatsachenfeststellung ist“116, zwischen kognitivem Tatsachenurteil (Faktenerkenntnis) und dezisiver rechtlicher Faktenbewertung als „willensmäßig neue Schöpfung“117, zwischen Wirklichkeit und Werturteil118. (3) Die Möglichkeit exakter rechtslogischer Abgrenzung von „Tat-“ und „Rechtsfrage“ wird grundsätzlich bejaht mit Begründungen wie: „Tatsachenfeststellung“ habe es „mit der Existenz von ,wirklichkeitsartigen‘ Gegenständen zu tun, deren Vorhandensein letztlich auf Grund von Wahrnehmung festgestellt“ werde, die Subsumtion drehe „sich dagegen um die Gleichsetzung des konkreten Falles mit den vom gesetzlichen Tatbestand gemeinten Fällen auf Grund von Wertung oder Erfahrung“119, und die „Subsumtion eines real gesetzten konkreten Sachverhalts unter einen Begriff“ könne gedeutet werden „als die Einordnung dieses Sachverhalts, des ,Falles‘, in die Klasse der durch den Rechtsbegriff bzw. den abstrakten Tatbestand des Rechtssatzes bezeichneten Fälle“120, wobei „nichts Konkretes mit Abstraktem, sondern Konkretes mit Konkretem verglichen“ werde121; oder: angesichts des „Gebots logisch-begrifflicher Trennung“ bestimme sich „die Unterscheidung von Tatsachenfeststellung und rechtlicher Würdigung nach der Herkunft des jeweils vom Richter angewandten faktischen oder rechtlichen Obersatzes“122 ; oder: eine rechtliche Würdigung liege „immer dann vor, wenn unter Rechtsbegriffe (d. h. unter im Rahmen der Umgangssprache verwendete Ausdrücke) subsumiert wird“123. Diese dritte Auffassung räumt jedoch eine – allerdings nur rechtspraktische – Untrennbarkeit ein für „Gesamtsituationen“, in denen auf Unwägbarkeiten komplexer persön-

die Begriffe der Rechtssätze mit denen der das faktische Geschehen beschreibenden Sätze so verbänden, daß eine Ableitung des konkreten richterlichen Urteils möglich werde. Die Rechtssätze und die Sätze der Sprache unterfielen der Rechtsfragen-Kompetenz des Revisionsgerichts. Allein die Wahrheit der Sachverhaltsschilderung sei ihr entzogen (S. 261), jedoch auch insoweit nur „bei den singulären empirischen Sätzen über Begebenheiten, die von den Instanzgerichten selbst beobachtet worden sind“, wozu nicht die Anwendung von Erfahrungssätzen zähle (S. 269). 116 Mannheim, Beiträge zur Lehre von der Revision wegen materiell-rechtlicher Verstöße im Strafverfahren, 1925, S. 40 f., 61 ff. 117 Mezger (Fn. 12), S. 84 ff., 175 ff. 118 Pohle, Revision und neues Strafrecht, 1930, S. 26 ff., 33 ff., 43 ff. 119 Engisch (Fn. 12), S. 82 ff., 102 ff., 113. 120 Engisch, Einführung in das juristische Denken, 7. Aufl. 1977, S. 56. 121 Engisch (Fn. 120), S. 199 Anm. 43. 122 H.-E. Henke, Die Tatfrage, 1966, S. 139 – 147, 308. 123 Roxin (Fn. 21), § 53 D III 1; ebenso Schünemann (Fn. 87), S. 74.

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licher, unmittelbarer Eindrücke beruhende, bewertend-intuitiv getroffene tatrichterliche Feststellungen sprachlich nicht mitteilbar seien124. bb) Revisionsrechtliche Ableitungen, die eine rechtslogisch-begriffliche Lösung für undurchführbar erachten125und Wesen/Zweck der Revision als Trennungskriterium heranziehen, gehen in zwei Richtungen126: Eine Auffassung sieht – für die Sachrüge – den Zweck der Revision primär darin, Rechtseinheit zu schaffen und das Recht fortzubilden. Daher habe „sich der Revisionsrichter nur mit demjenigen Teil des Urteils der Vorinstanz zu befassen …, dem Richtliniencharakter innewohnt, der also zum Muster für künftige Entscheidungen dienen kann … Nur typische, rechtsgrundsätzliche Verstöße sind nachprüfbar, das konkrete Tatbild ist irrevisibel“127. Die andere, Einzelfallgerechtigkeit als Revisionszweck in den Vordergrund stellende Ansicht128 hebt entscheidend ab auf Erkenntnismöglichkeiten und Leistungsfähigkeit des Revisionsgerichts129 zur Herbeiführung einer „besseren und wertvolleren Entscheidung“130 ; mit der Folge der Irrevisibilität sei dies prinzipiell nicht der Fall bei Feststellungen, die der Tatrichter auf der Grundlage strengbeweislicher Mündlichkeits- und Unmittelbarkeitsmaxime getroffen habe131.

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Engisch (Fn. 12), S. 102 f., 113; Henke (Fn. 122), S. 308 i.V.m. S. 177 – 187; Frisch, Revisionsgerichtliche Probleme der Strafzumessung, 1971, S. 234 f. 125 Vgl. bereits Radbruch (zit. in Fn. 109). 126 Ähnliche Ergebnisse, im einzelnen jedoch abweichende Begründungen bei Kuchinke, Grenzen der Nachprüfbarkeit tatrichterlicher Würdigung und Feststellungen in der Revisionsinstanz, 1964, insbes. S. 124, 132 (zusammenfassend S. 223): Unterscheidungskriterium sei die „funktionelle Bedeutung einer Feststellung im Rahmen eines richterlichen Beurteilungszusammenhanges“. Da aber jede Feststellung und Frage irgendwie auf die Aufgaben der Rechtsprechung und der Revisionszwecke bezogen seien, könne sich „der Grund ihrer Relevanz nur aus spezifischen Zwecken ergeben, die außerhalb des sachlich-rechtlichen Zusammenhanges liegen“. Diese Zwecke seien „im Prozeßrecht zu suchen, so daß vom Standpunkt des Trennungsproblems diejenigen Fragen relevant sind, deren Problematik mit Rücksicht die generellen Ziele einer bestimmten sachlich-rechtlichen Norm und die spezifischen Zwecke des Prozeßrechts so erheblich sind, daß sie als Rechtsfragen gelten müssen“. Im sog. „tatsächlichen Sachverhalt“ seien nur solche „Elemente zusammengefaßt, deren Fixierung im Hinblick auf eine bestimmte durch die Rechtsnorm indizierte Problemlage und die Aufgaben der Revision von geringerer Bedeutung sind“. 127 Schwinge (Fn. 67), S. 48 f., 50 ff., 56 ff. 128 Maßgeblich entwickelt von Peters, Tat-, Rechts- und Ermessensfragen in der Revisionsinstanz, ZStW 57 (1938), S. 53, 70 ff. 129 Ähnlich Henkel (Fn. 9), S. 375; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, II, 1957, § 337 Rdn. 16; ders., Deutsches Strafprozeßrecht, Ein Kolleg, 1967, Rdn. 384 f.; Warda, Dogmatische Grundlagen des richterlichen Ermessens im Strafrecht, 1962, S. 73, 77, 178 ff.; Rieß (Fn. 5), S. 269 f. 130 Peters (Fn. 128), S. 69. 131 Peters (Fn. 128), S. 70; ders. (Fn. 19), S. 638 f.; ders. (Fn. 83), S. 137 ff.

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b) Kritik: Trotz dieser hervorragenden Bemühungen ist das „klassische Problem“132 einer positiven rechtstheoretischen Scheidung von „Tat-“ und „Rechtsfrage“ bisher mit Hilfe weder jener (logisch-)begrifflichen noch der revisionsrechtlichen Kriterien gelöst133, und die Revisionsgerichte134 ließen jene rechtswissenschaftlichen Versuche – völlig zu Recht – in toto auf sich beruhen: gewichtige Anzeichen für falschen Denkansatz, in dessen Axiom „Tatsachenfeststellung, also Irrevisibilität“ Grund und Folge verwechselt sind135. Ohne hier weder mögliche noch nötige Einzelkritik der Ansichten genügt es, auf Grund des bisher Erarbeiteten die prozessualen Denkprämissen neu zu setzen; aus ihnen ist zwanglos abzuleiten, daß festgefahrener Dogmatik zuwider die „Tatfrage“ grundsätzlich nicht irrevisibel, sondern gemäß § 337 StPO überprüfbar ist. aa) Gegen (rechts-)logisch-empirische, im ontologischen Wahrheitsbegriff verhaftete Auffassungen, Rechtskontrolle gem. § 337 StPO müsse „zwangläufig die Gegenüberstellung von Tatsächlichem und Rechtlichem begünstigen“136, ist entscheidend einzuwenden, daß revisionsgerichtlicher Prüfungsgegenstand die Rechtsrichtigkeit („Wahrheit“) der (semantischen) Aussage (im Urteil) des Tatgerichts über den „Sachverhalt“ (§ 267 I 1 StPO) als Ergebnis und über die „Beweiswürdigung“ (§ 261 StPO) als Vorgang der „Wahrheitserforschung“ (§ 244 II StPO) ist, nicht etwa die Existenz des „Sachverhalts“ oder/und die Beweiskraft (als solche) der Beweisergebnisse (im einzelnen bzw. in ihrer Gesamtheit)137; jene „Aussage“ aber ist stets „Rechtsfrage“, weil Konkretisierung („Anwendung“ i.S.d. §337 II StPO) der §§ 244 II, 261 StPO138. Über sie hat das Revisionsgericht am Maßstab des § 337 StPO rechtsrichtig (meta-rechtlich) in Beschluß- (§ 349 StPO) oder Urteilsform (§§ 353, 354 StPO) „auszusagen“, ob es überzeugt139sei, daß das Tatgericht materielles oder formelles Recht nicht verletzt hat (§ 337 II StPO) bzw. daß auf einer nachgewiesenen Gesetzesverletzung das Urteil jedenfalls nicht „beruht“ (§ 337 I StPO)140. bb) Die revisionsrechtlichen Lösungsvorschläge scheitern, weil – unbegründbar – sie bestimmte Revisionszwecke als absolute, zumindest „primäre“, postulieren141. 132

Scheuerle (Fn. 95), S. 2. Dazu Fn. 5. Vgl. auch Otto (Fn. 83), S. 2; Neumann (Fn. 114), S. 395 (zu der von ihm favorisierten „logisch-begrifflichen“ Trennung): „Der Stein der Weisen ist auch mit dem Kriterium der logischen Struktur einer Behauptung nicht gefunden“. 134 Übersichtsnachweise in Fn. 83. 135 Vgl. bereits Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 25. Zutr. auch Gössel (Fn. 90), S. 117 ff. Wohl erstmals gesehen von Schmid (Fn. 5), S. 366, allerdings noch ohne inhaltliche Begründung und im wesentlichen indiziert allein durch das Ergebnis einer Rechtsprechungsanalyse. 136 Otto (Fn. 83), S. 2. 137 Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 26. 138 Oben I. 2. a). 139 Vgl. oben I .1. b) aa) (2) (2. Absatz). 140 Verf. (Fn. 4), § 337 Rdn. 3. 141 Verf. (Fn. 4), Rdn. 6 vor § 333. 133

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Den Zweck der Revision normiert § 337 StPO; „Rechtseinheit“, „materielle Gerechtigkeit“142, „Gewährung realistischen Rechtsschutzes“143 sind nur (mögliche) Wirkungen jenes Rechtsgrunds im Einzelfall. Er ist kein anderer als der des Strafverfahrens: justizförmige Prüfung, ob die Unschuldsvermutung widerlegt sei oder nicht, allerdings im Wege nun nicht mehr einer (appellatorischen) Verifikation, sondern nur noch (kassatorischen) Falsifikation. Diese wegen Art. 101 I 2 GG zugleich verfassungsrechtlich bedeutsame Kompetenzverteilung144 zwischen Tat- und Revisionsgericht und deren qualitativ diversen Erkenntnisgrundlagen (im Strengbeweisbereich) verbieten dem Revisionsgericht „tatgerichtsgleiche“ Aussagen über faktische Umstände zur sog. Schuld-und Straffrage145; diese bedürfen rechtsnotwendig der Zuverlässigkeitsgarantien unmittelbar-mündlichen Strengbeweises in einer Hauptverhandlung146. 2. Folgerungen für Gegenstand und inhaltliche Grenzen revisionsgerichtlicher Kontrolle a) Den Prüfungsgegenstand (§ 352 StPO) konstituiert die (jeweils zulässig erhobene) Sach- (§ 344 II 1, 2. Alt. StPO) und/oder147 Verfahrensrüge (§ 344 II, 1. Alt., II StPO)148. 142 Eine „Leistungstheorie“ (Peters [Fn. 128], S. 56 ff.; Henkel [Fn. 9], S. 375; Eb. Schmidt [Fn. 129], § 337 Rdn. 7; Zipf, Die Strafmaßrevision, 1969, S. 174 f.; Rieß [Fn. 5], S. 270; Schünemann [Fn. 87], S. 74) abstrakt-genereller Art ist nicht begründbar. Ziel des Instituts „Revision“ kann nur sein, was das Revisionsgericht grundsätzlich besser als das Tatgericht zu leisten vermag und (deshalb) rechtlich bewirken darf (krit. auch Schmid [Fn. 5], S. 369; Fezer, Möglichkeiten [Fn. 83], S. 84 f.; Neumann [Fn. 21], S. 389). Das hängt ab von seinen Erkenntnisquellen; welche ihm zur Verfügung stehen, ist Ergebnis rechtspragmatischer Erwägungen (insbesondere der Prozeßökonomie, Verfahrensbeschleunigung) des Gesetzgebers. Mit ihrer Hilfe hat – eine selbstverständliche Folge – das Revisionsgericht in seinem Bemühen um das Recht soviel „Rechtseinheit“ (Rechtssicherheit) und soviel „Einzelfallgerechtigkeit“, wie jeweils nach den konkreten Umständen nur möglich, zu schaffen. 143 Schünemann (Fn. 87), S. 71, 73; Roxin (Fn. 21), § 53 B II. – Abl. Rieß (Fn. 5), S. 269 Anm.73. 144 BVerfG NJW 1991, 2893, 2894. 145 Insoweit zutr. ist die Prämisse, „daß die rein thatsächliche Würdigung des Straffalls … dem Richter erster Instanz ausschließlich überlassen“ (Hervorhebung von mir) ist, falsch jedoch die Folgerung, daß dieses „festgestellte thatsächliche Ergebniß … für die höhere Instanz maßgebend“ (Motive, zit. in Fn. 74), weil rechtlich unüberprüfbar, sei. 146 Zum Ganzen Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 349 – 366. 147 Strittig ist, ob „Tatfragen“-Fehler als Verletzung einer „Rechtsnorm über das Verfahren“ (Minderheitsmeinung; Nachw. in Fn. 156) oder einer „anderen Rechtsnorm“ (h.M.; Nachw. in Fn. 155) zu rügen seien, letzteres teils mit der Begründung, Denkgesetze und Erfahrungssätze seien als „Normen des ungeschriebenen Rechts“ zu beachten (BGHSt. 6, 70, 72; OLG Braunschweig NJW 1955, 1202; KMR[6.]-Sax § 337 Anm. 1 c). 148 Die Verletzung in jeder Verfahrenslage von Amts wegen zu beachtender Prozeßvoraussetzungen bedarf keiner eigenen Revisionsrüge.

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aa) Sachrüge: Ihre klassische Domäne ist die Subsumtion der „für erwiesen erachteten Tatsachen“ unter die „gesetzlichen Merkmale der Straftat“ (§ 267 I 1 StPO) mit ihren beiden Konstitutivelementen: Rechtsrichtigkeit der Normauslegung und der Sachverhaltsaussage als Bedingungen – nur in concreto möglichen – richtigen Rechts149. In sich fehlerhafte „Sachverhalte“ führen zur „Verletzung des Gesetzes“ (§ 337 StPO), d. h. der den Urteilstenor tragenden „angewendeten Vorschriften“ (§ 260 V StPO), auf Grund der Subsumtion. Folglich ist (auf Sachrüge) auch die tatgerichtliche Sachverhalts-Aussage revisionsgerichtlich überprüfbar150, ob sie alle Voraussetzungen für methodengerechte Subsumtion unter die „anzuwendenden“ Rechtsnormen enthält151, und zwar – ohne nur formelhafte, unklare, unverständliche Wendungen – hinreichend substantiiert152, widerspruchsfrei, lückenlos, unzweideutig und im Einklang mit gesicherten Allsätzen des Denkens und der Empirie153. bb) Verfahrensrüge: Ob die – von der Sachverhalts-Aussage zu unterscheidende154 – tatgerichtliche Beweiswürdigungs-Aussage (§ 261 StPO) im Wege der Sach-155 oder Verfahrensrüge156 angreifbar ist, bestimmt der Charakter der als nicht oder nicht richtig angewendet (§ 337 II StPO) gerügten Norm. 149

Oben I. 2.a) aa). Vgl. OGHSt. 1, 117; BGHSt. 3, 213, 215; 14, 162, 165; BGH NJW 1978, 113, 115; Klug (Fn. 40), S. 157 f. 151 Umfassende Einzelnachweise bei LR(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 131 – 136, 141 – 143; Fezer (Fn. 19), 20/10 – 17; vgl. auch u. II. 2. b) aa) mit Fn. 170. 152 RGSt. 71, 25, 26; BGH NStZ 1981, 33; Niemöller (Fn. 13), S. 433; Maul (Fn. 83), S. 411. 153 A. M. (Subsumtion nur in ihrem „rechtlichen“ Element revisibel, Sachverhaltsaussagen selbst bei „empirischer Unmöglichkeit“ unangreifbar) noch RGSt. 8, 351, 355; Löwe, StPO, 4. Aufl. 1884, § 376 a.F. Anm. I 2 a; Stein (Fn. 109), S. 111; Beling (Fn. 10), S. 412, 413 (insbes. dort Anm. 5). 154 Vgl. Stein (Fn. 109), S. 125; Mezger (Fn. 12), S. 172: Für die Subsumtion interessiere nur, daß – nicht auch, wie – Tatsachen festgestellt worden sind. Drost, Das Ermessen des Strafrichters, 1930, S. 69: Mißt ein Schneider die zur Anfertigung eines Anzugs benötigte Meterzahl irrtümlich vom Stoff A anstatt vom Stoff B ab, so hat er nicht falsch „gemessen“, wohl aber unrichtig „ausgewählt“ (d. h. beide Vorgänge sind an Hand unterschiedlicher Kriterien zu bewerten). 155 H.M., insbes. die Rspr.; grundlegend RGSt. 61, 151, 154 („Die Berücksichtigung allgemeiner Erfahrungssätze, Denkgesetze und Auslegungsregeln fällt nicht in das Gebiet der durch § 261 StPO dem Tatrichter vorbehaltenen Beweiswürdigung und der hierauf gestützten Feststellung von Tatsachen …, sie gehört vielmehr zur ,richtigen‘ Anwendung der Rechtsnorm auf die festgestellten Tatsachen, die das Revisionsgericht nach § 337 StPO nachzuprüfen hat“); BGHSt. 3, 213, 215; Sarstedt, Die Revision in Strafsachen, 4. Aufl. 1962, S. 227; Schmid (Fn. 5), S. 376, 382; Eb. Schmidt (Fn. 129), Nachtrag I, 1967, § 337 Rdn. 20; Kleinknecht, StPO, 35. Aufl. 1981, § 337 Rdn. 11; Otto (Fn. 83), S. 5 ff.; LR(23.)-Meyer, § 337 Rdn. 99; LR(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 144; KK(2.)-Pikart, § 337 Rdn. 29. 156 Mezger (Fn. 12), S. 26 ff.; v. Hippel (Fn. 10), S. 387; Schwinge (Fn. 67), S. 198; Sarstedt (Fn. 78), S. 180; Klug (Fn. 40), S. 157; Henkel (Fn. 9), S. 376 Anm. 6; Gössel (Fn. 90), S. 137; Fezer, Grenzen der Beweisaufnahme durch das Revisionsgericht, in: Ebert (Hrsg.), Aktuelle Probleme der Strafrechtspflege, 1991, S. 89, 90, 113. 150

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(1) Prozeßbegrifflich handelt es sich um eine Verfahrensrüge, da gerichtliche Beweiswürdigungsaussagen die Verfahrensnorm des § 261 StPO prozeßhandlungsmäßig157 konkretisieren. Verfahrenstechnisch bedarf sie jedoch nicht förmlicher Begründung nach § 344 II 2 StPO158. Wegen des ausschließlich prozeßökonomischen Zwecks dieser Vorschrift, das Revisionsgericht der Pflicht zu entheben, zur Aufspürung nicht bereits aus den schriftlichen Urteilsgründen ersichtlicher (und auch kein Prozeßhindernis begründender) Mängel die Akten, insbesondere das Hauptverhandlungsprotokoll, durcharbeiten zu müssen159, ist dieses Normziel bereits erreicht, wenn – in den vom Gesetzgeber des Jahres 1877 noch nicht gesehenen Fällen160 – Beweiswürdigungsfehler schon aus der Urteilsurkunde ersichtlich sind. Der diesem Sinn und Zweck des § 344 II 2 StPO zu deutende Wortlaut des § 344 II 1 StPO hindert eine umfassende revisionsgerichtliche Nachprüfung in den Urteilsgründen nicht, falls die Rüge einer „Verletzung des Rechts“ (vgl. § 337 I StPO) – gleichgültig, ob in einer der beiden Formen des § 344 II 1 StPO oder nur allgemein – formund fristgerecht (§ 345 StPO) erhoben ist: Sie wäre also zwar inhaltlich eine Verfahrensrüge, müßte, um zulässig zu sein, aber weder der grundsätzlich dafür vorgesehenen Form des § 344 II 2 StPO entsprechen noch ausdrücklich das Urteil wegen Verletzung des § 261 StPO als „Rechtsnorm über das Verfahren“ (§ 344 II 1 StPO) anfechten161. (2) Hieraus ergibt sich: Für die Verfahrensrüge zu § 261 StPO genügt prozeßtechnisch die Form der Sachrüge, wenn rechtsfehlerhafte beweiswürdigende „Überzeugungsbildung“162, beweisverbotswidrige163 Verwertung von Erkenntnissen als zum „Inbegriff der Verhandlung“ gehörend164, Nichtausschöpfung des prozessual verwertbaren „Inbegriffs der Verhandlung“165 oder bei rechtsrichtiger Beweiswürdigung „sich aufdrängender“ Erkenntnisquellen (§ 244 II StPO)166 bereits in den Urteilsgründen manifest sind167. Sie bedarf dagegen der Form des § 344 II 2 StPO, falls derartige – sodann in der Revisionsbegründung als Verletzung der jeweiligen Einzelvorschriften darzulegende – Mängel urteilsexternen Nachweis erfordern.

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Verf. (Fn. 14), S. 316 f.; vgl. bereits o. I. 2. b) (mit Fn. 58). So i. E. auch Sarstedt (Fn. 78), S. 180. 159 Selbst dann nicht, wenn ein konkreter Fehler in procedendo gerügt ist: Die Schlüssigkeit dieser Rüge muß sich allein – ohne Verweisungen auf andere Schriftstücke oder Aktenbestandteile – aus der Revisionsbegründungsschrift selbst ergeben (§ 344 II 2 StPO). 160 Dazu oben I. 2. b) aa) sowie Fn. 74. 161 Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 39. 162 Einzelheiten unten II. 2. b). 163 Etwa § 252 StPO (dazu BGHSt. 15, 347; 21, 149). 164 Zutr. Fezer (Fn. 156), S. 100; ders. (Fn. 19), 20/47. 165 BGH NStZ 1991, 548 m.w.N. 166 Aufklärungspflicht (§ 244 II StPO) ist Folge rechtsrichtiger Überzeugungsbildung (§ 261 StPO). Vgl. o. I. 1. a); Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 143. 167 A.M. Meurer (Fn. 13), S. 953 ff., 960. 158

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b) Den Maßstab der Prüfung168, ob § 261 StPO verletzt sei, normiert § 337 StPO169 : falsifikatorischer revisionsgerichtlicher Nachweis einer „Gesetzesverletzung“ (§ 337 II StPO). aa) Die tatgerichtliche Beweiswürdigungsaussage verletzt § 261 StPO etwa170 bei: Verstößen gegen die sprachliche (z. B. Begriffsvertauschungen), mathematische oder allgemeine (z. B. Kreisschlüsse) Logik; Verwendung nicht zwingender Folgerungen oder Erfahrungssätze (als Prämissen eines Schlusses) als zwingend (und umgekehrt); Anwendung eines nicht oder nicht in dieser Form existenten Erfahrungssatzes (bzw. Offenkundigkeit) oder Nicht- bzw. Fehlanwendung (z. B. Verkennung des Beweiswerts) eines Erfahrungssatzes (als Prämisse eines Schlusses); Verwendung von Nichtbewiesenem (z. B. nur Vermutungen) oder nicht Festgestelltem (z. B. unbegründetes Hinwegsetzen über die Ansicht eines Sachverständigen; Nichtanführung der Beweisergebnisse oder der – Fehlerquellen ausschließenden – Voraussetzungen für die Durchführung naturwissenschaftlicher, medizinischer oder sonstiger kriminalistischer Beweismethoden) als Prämissen für Schlußfolgerungen; widersprüchlicher, inhaltsleer-formelhafter, unverständlicher oder lückenhafter (z. B. Nichtausschöpfung oder fehlende Würdigung aller aus dem Urteil erkennbaren Umstände und/oder Beweismittel auf naheliegende, sich aufdrängende Möglichkeiten tatsächlicher Art hin) Beweiswürdigung. bb) Weil nur ein § 261 StPO verletzender nachgewiesener Verfahrensfehler171das Urteil revisionsrechtlich falsifizierbar macht, bleibt die Beweiswürdigungs-Aussage irrevisibel und folglich (!) „Tatfrage“, wenn z. B. tatgerichtliche Schlußfolgerungen aus Beweisergebnissen zwar nicht (positiv) zwingend oder zumindest wahrscheinlich, aber auch nicht denkgesetzlich „unmöglich“172 und nicht „unvertret168

Oben II. 1. b) bb). Unrichtig Rieß (Fn. 5), S. 268, daß für den Bereich der Beweiswürdigung der „Versuch des Gesetzgebers von 1877, die Revisionsgrenze mit dem Begriff der Rechtsverletzung zu erfassen, … als gescheitert gelten“ müsse. Im Gegenteil: den Motiven (zit. in Fn. 74 a.E.) ist beizupflichten mit der Maßgabe, daß „im Wege eines gesetzwidrigen Verfahrens gewonnen“ auch ein solches „thatsächliches Ergebniß“ ist, das auf Verletzung des § 261 StPO infolge Beweiswürdigungsfehlern beruht. 170 Das Folgende ist ein Konzentrat der Rspr.-Zusammenstellungen der zu Fn. 83 Genannten. Unübertroffen Klug (Fn. 40) zu syntaktischen (S. 160 – 169), semantischen (S. 169 – 170) und pragmatischen (S. 170 – 173) Paralogismen. Ergänzend o. II. 2. a) aa) zur „Sachverhalts“-Aussage. 171 Dazu Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 348. 172 Nahezu einhellige Meinung. Vgl. BVerfG NJW 1991, 2893, 2894; BGHSt. 10, 208, 210 = JR 1957, 368 m. Anm. Eb. Schmidt; BGHSt. 11, 1, 4; 12, 311, 315; 25, 365, 367; 26, 56, 62; 29, 18, 20; BGH NJW 1951, 325; GA 1974, 61; StV 1981, 508; 1983, 359; BayObLG GA 1970, 220. – Ebenso zum Nichtigkeitsgrund des § 281 Nr. 5 der österr. StPO: Unanfechtbarkeit bei „nicht geradezu unschlüssiger“ Folgerung, bei nicht „geradezu grobem Fehlschluß“; vgl. Foregger/Serini, Die österr. StPO, 4. Aufl. 1989, Anm. zu § 281 Nr. 5; Pallin/Meyerhofer, Das österr. Strafverfahrensrecht, III/2, 1967, § 281 Ziff. 5 Nrn. 64 ff., 74 ff.; Hager/Meller, Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, Wien 1986, S. 47; Steininger (Fn. 27), S. 214 f. – In diesem Sinn bereits Glaser (Fn. 64), S. 124 (zum Indizienbeweis an Hand von Erfahrungs169

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bar“173 bzw. „willkürlich“174 sind. Schon deshalb ist es dem Revisionsgericht auch versagt, durch eigene Beweiswürdigung im Strengbeweisbereich die des Tatgerichts (positiv) zu ersetzen175 oder (negativ) zumindest über jene revisionsrechtlichen Prüfungsmaßstäbe hinausgehende „erhebliche“ bzw. „schwerwiegende Be-

sätzen): Man gehe nicht vom Obersatz aus und prüfe, ob der Untersatz darunter paßt, sondern von einer konkreten Tatsache und versuche, ob die aus ihr abgeleitete Generalisierung denkgesetzlich möglich ist. – Davon zu unterscheiden sind denkfehlerhaft als zwingend erachtete Schlüsse (vgl. Klug [Fn. 40], S. 166 – 169) etwa aus „nicht zwingenden“ Erfahrungssätzen (o. II. 2. b) aa); vgl. z. B. BGH NStZ 1981, 33; 1982, 478; 1986, 325 u. 373; JR 1983, 163 m. Anm. Peters); ersichtlich solche Fälle sind gemeint, wenn der Satz „Schlußfolgerungen müssen nur möglich sein“ als „irreführend“ (so Herdegen [Fn. 17], S. 175 f.; vgl. auch Maul [Fn. 83], S. 416 f.) bezeichnet wird. 173 Vgl. BGHSt. 29, 18; Schmid (Fn. 5), S. 362, 374, 382 – 390 m. Nachw.; Nowakowski (Fn. 27), S. 16 f., 61 f.; Volk (Fn. 10), S. 27; Niemöller (Fn. 13), S. 440; Fezer (Fn. 19), 20/27. – Das gilt vornehmlich für tatrichterliche Auslegung von Willenserklärungen (RG JW 1938, 1013; KG JR 1980, 291 m. Anm. Volk; dazu Wach [Fn. 106], S. 79 f.; Schmid [Fn. 5], S. 381 f.; Kuhlen [Fn. 114], S. 103; LR[24.]-Hanack, § 337 Rdn. 117 – 119; KK[2.]-Pikart, § 337 Rdn. 3; a.M. – Deutung des Geschriebenen/Gesagten sei Rechtsfrage – Nierwetberg [Fn. 114], S. 241). – Außerhalb § 261 StPO – weil Frage, ob die Sachverhaltsaussage (§ 267 I 1 StPO) subsumtionsfähig hinreichend (ggf. im Wege des § 267 I 3 StPO) substantiiert ist – liegt tatgerichtliche Konkretisierung „unbestimmter“ (wertausfüllungsbedürftiger) Rechtsbegriffe (dazu Verf. [Fn. 4], § 337 Rdn. 24; Peters [Fn. 128], S. 72 – 75; Schünemann [Fn. 87], S. 74 f.; Gössel [Fn. 90], S. 134; Paeffgen [Fn. 78], S. 63 f., 89; Kuhlen [Fn. 114], S. 123 ff.; Herdegen [Fn. 17], S. 181 f.; Neumann [Fn. 21], S. 398 f.; Fezer [Fn. 156], S. 98; ausführlich Pfitzner, Bindung der Revisionsgerichte an vorinstanzliche Feststellungen im Strafverfahren, 1988, S. 165 – 195), etwa ob eine Strafe (§ 46 StGB) nicht übermäßig hart bzw. unvertretbar milde, sondern „angemessen“ sei (Schmid [Fn. 5], S. 392 – 397; Frisch [Fn. 124], S. 88 ff.; Zipf [Fn. 142], S. 163 – 182; LK[24.]-Hanack, §337 Rdn. 180, 194 – 204; Fezer [Fn. 19], 20/ 17), eine Handlungspflicht (§ 13 StGB) begründet (BGHSt. 19, 152, 155 f.), eine Verteidigung (§ 32 StGB) „erforderlich“ (RGSt. 55, 82, 85), eine Abbildung (OLG Frankfurt JZ 1974, 516) pornographisch (§ 184 StGB), eine Äußerung (RGSt. 67, 373, 374) oder Karikatur (OLG Hamburg JR 1985, 429 m. Anm. Geppert) beleidigend (§ 185 StGB), Gewahrsam (§ 242 StGB) gegeben (RGSt. 55, 82, 85), die Sache (§ 248 a StGB) geringwertig (BGHSt. 6, 41, 43), Verstandesschwäche i.S.d. §60 Nr. 1 StPO (Herdegen [Fn. 17], S. 187; a.M.: BGHSt. 22, 266, 267), Verdacht gem. § 60 Nr. 2 StPO (BGH [Holtz] MDR 1980, 630; 1983, 281) oder Verhandlungsunfähigkeit (RGSt. 57, 373; BGH NStZ 1984, 178) zu §§ 205, 206 a StPO begründet, ein Beweismittel (§ 244 III 2 StPO) ungeeignet (RG JW 1927, 2467 m. Anm. Mannheim; 1930, 637 m. Anm. Alsberg) oder unerreichbar (BGH NStZ 1982, 212 u. 341; 1984, 375), das Hindernis (§ 251 I 2 StPO) nicht zu beseitigen (BGH NStZ 1984, 178) oder die Entschuldigung (§ 329 I StPO) genügend (RGSt. 61, 175; 64, 239, 245) sei. Revisionsgerichtlich dem Tatrichter insoweit zugestandener „Ermessens-“ bzw. „Beurteilungsspielraum“ (dazu Fezer [Fn. 156], S. 96 – 98 m. Nachw.) ist also nicht Voraussetzung, sondern (mögliche) Konsequenz rechtsrichtiger Normkonkretisierung. 174 Hauser (Fn. 79), S. 536 f.; Schultz, Zur Reform der kantonalen Rechtsmittel, SchwZStrR 98 (1981), S. 203, 206, 208 Anm. 27; Rehberg, Ein einheitliches Rechtsmittel für den Zürcher Strafprozeß, in: GedS P. Noll, 1984, S. 357, 362. 175 BGHSt. 10, 208, 210; 20, 164; 29, 18, 20; BayObLGSt. 1965, 32. Vgl. auch unten II. 2. c) aa).

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denken“ gegen die Sachverhalts- und/oder Beweiswürdigungsaussage geltend zu machen176. c) Mittel revisionsgerichtlicher Überprüfung sind stets – über zutreffende Interpretation der Rechtsnormen hinaus – von den konkreten Bedingungen mündlich-unmittelbarer Hauptverhandlung unabhängige, dem Revisionsgericht bekannte oder von ihm freibeweislich festzustellende logische und empirische Allsätze im jeweils weitesten Sinn. Was die Tatsachengrundlage rechtsrichtiger Revisionsentscheidung betrifft, ist zu unterscheiden: aa) Strengbeweisförmig zu gründende177, nur metarechtlich überprüfbare Tatsachenaussagen kann und darf das Revisionsgericht nicht (positiv) ersetzen durch eigene, auf Freibeweis beruhende Tatsachenaussagen, sofern diese abwichen von dem, was prozessual wiederum der Feststellung auf Grund mündlich-unmittelbarer Hauptverhandlung bedürfte, also tatrichterlicher Entscheidung vorbehalten wäre. Kompetenzmäßig ergibt sich: (1) Grundsätzlich nur (kassatorisch) falsifizierbar auf Verfahrensrüge178 sind tatgerichtliche Aussagen über Art und Inhalt der Beweisergebnisse, vor allem darüber, 176

Einer dem „Nichtigkeitsgrund“ des § 281 Nr. 5 a der österr. StPO („wenn sich aus den Akten erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit der dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegten entscheidenden Tatsachen ergeben“), eingefügt durch das österr. StrRÄG v. 1. 3. 1988 (Moos [Fn. 13], S. 97: „Änderungen von geradezu säkularer Bedeutung“) ähnlichen Regelung – grundsätzlich befürwortend z. B. Peters, Gutachten z. 52. DJT 1978, Bd. I C S. 7 ff., 25 ff., 32 ff.; Rieß, Referat z. 52. DJT, Bd. II, L S. 8 ff.; Hauser (Fn. 79), S. 537; Moos (Fn. 13), S. 97 ff., 135 ff.; vgl. auch § 314 II des „Diskussionsentwurfs für ein Gesetz über die Rechtsmittel in Strafsachen“ v. 1975, abgedruckt bei Fezer, Möglichkeiten (Fn. 83), S. 302 f. – bedarf das deutsche Strafverfahrensrecht (zur Reformdiskussion Fezer, aaO S. 6 ff., 13 ff.; LR [24.]-Hanack, Rdn. 14 – 19 vor § 333) nicht. Denn bereits de lege lata sind erstens „erhebliche Bedenken“ ohnehin nur begründbar (vgl. bereits Gleispach [Fn. 18], S. 329 Anm. 1) mit Rechtsfehlern der Sachverhalts- und Beweiswürdigungsaussage, die – in richtiger Praxis – die Revisionsgerichte schon gegenwärtig beanstanden (abl. daher auch u. a. Bertel, Das mangelhaft begründete Urteil im österr. Strafprozeß, in: Die Entscheidungsbegründung in europ. Verfahrensrechten, 1974, S. 179 ff., 189 ff.; Rehberg [Fn. 172], S. 364; Fezer [wie Fn. 83], Möglichkeiten S. 94 ff., 185 ff. u. Erweiterte Revision S. 51 ff.; Krauth, Zu den Bemühungen um eine Rechtsmittelreform in Strafsachen, in: FS Dreher 1977, S. 697 ff.; Sarstedt, Zur Reform der Revision in Strafsachen, in: FS Dreher 1977, S. 681, 685; Stellungnahme des Richtervereins beim BGH, DRiZ 1976, 17 f.), und ist zweitens oben dargelegt, daß die revisionsgerichtliche Nachprüfung der „Tatfrage“ prinzipiell unbeschränkt statthaft, insbesondere die Unterscheidung zwischen inhaltlichen und darzustellenden Beweiswürdigungsgründen nicht begründbar ist. 177 Oben I.a.b)bb) a.E. 178 In ihr sind gem. § 344 II 2 StPO anzuführen: der tatsächliche Inhalt eines Beweisergebnisses und die davon abweichende Darstellung im Urteil. Ob der gerügte Verfahrensfehler begangen war, ermittelt das Revisionsgericht i. d. R. durch Einholung dienstlicher Erklärungen Prozeßbeteiligter, u. U. zusätzlich einer Stellungnahme des Vernommenen, ggf. auch an Hand eines Inhaltsprotokolls (§ 273 II StPO); da dieses den Verfahrensfehler jedoch nur indizieren kann (§ 274 StPO gilt nicht), weil revisionsrechtlich relevante Beweisergebnisse grundsätzlich allein das Urteil feststellt (BGHSt. 20, 18, 20; zit. in Fn. 182), erscheint prozeßökonomisch

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wie und was der Angeklagte bzw. eine Beweisperson ausgesagt hat oder welcher „Sachbestand“ augenscheinsbeweisförmig „vorgefunden“ (§ 86 StPO) worden ist. Infolge gerichtlicher Wahrnehmungs- (bzw. Verstehens-) oder Erinnerungsfehler basiert Beweiswürdigung auf prozessual „nichtigen“ Prämissen179; sie verstößt gegen § 261 StPO („Inbegriff“) und Art. 103 I GG (der Angeklagte konnte zu einem gerichtlich – irrig – angenommenen Beweisergebnis nicht Stellung nehmen)180, dessen Verletzung möglichst bereits das Rechtsmittelgericht zu beheben hat181. Der ganz h. M.182 zuwider sind auch nicht aus der Urteilsbegründung selbst ersichtliche derartige „Feststellungsmängel“ revisibel183, sofern sie an o. a. Maßstäben184 nachgewiesen sind und das Urteil auf ihnen „beruht“ (§ 337 I StPO)185. (2) Ausnahmsweise zulässig ist eine positive revisionsgerichtliche Tatsachenaussage auch im Strengbeweisbereich, falls, ohne tatgerichtliche Kompetenz durch (partielle) „Rekonstruktion der Hauptverhandlung“186 zu usurpieren, dem Revisionsge-

die Forderung de lege ferenda nach einem Inhaltsprotokoll auch in Strafkammersachen nicht berechtigt (a. M. Fezer [Fn. 156], S. 113 f.). 179 BayObLG JZ 1965, 291 (§ 261 StPO gebiete auch, daß die „Erkenntnisquellen in einer Weise benutzt werden, wie dies dem Gang der Hauptverhandlung auch wirklich entspricht“); Pfitzner (Fn. 173), S. 121. 180 Dazu allg. BVerfGE 6, 12, 14; 29, 345, 347 f. (ständ. Rspr.). Vgl. auch Pfitzner (Fn. 173), S. 155; Hanack, Die Rspr. des BGH zum Strafverfahrensrecht, JZ 1973, 727, 729: angesichts BGHSt. 22, 26 (revisionsgerichtliche „Rekonstruktion der Hauptverhandlung“ zulässig bei Verstoß gegen Art. 103 I GG infolge Verwertung nicht zum „Inbegriff der Hauptverhandlung“ gewordener Erkenntnisquellen) könne „die bisherige Rechtsprechung“ – d.h. grundsätzliches Verbot einer „Rekonstruktion der Hauptverhandlung“ (BGHSt. 15, 347, 349; 17, 351, 352; 21, 149, 151; 29, 18, 20 f. = JR 1980, 168 m. Anm. Peters; 31, 139, 140; BGH StV 1984, 185, 186; Fezer [Fn. 19], 20/45 – 47) – „leicht noch weitere und problematische Durchbrechungen erfahren“. 181 BVerfGE 41, 243, 248 f.; 47, 182, 191. 182 Vgl. BGHSt. 10, 18, 20 („Das Ergebnis der Hauptverhandlung festzustellen und zu würdigen ist allein Sache des Tatrichters; der dafür bestimmte Ort ist das Urteil. Was in ihm über das Ergebnis der Verhandlung zur Schuld- und Straffrage festgestellt worden ist, bindet das Revisionsgericht; ein Gegenbeweis ist nicht zulässig“). In gleichem Sinn RGSt. 5, 352, 353; 49, 315, 316; BGHSt. 15, 347, 349; 17, 351, 353; 21, 149, 151; 31, 139, 140 = NStZ 1983, 278 m. Anm. Fezer; 35, 238, 241; BGH MDR 1966, 164; Hartung, Zur Frage der Revisibilität der Beweiswürdigung, SJZ 1948, 579; Verf. (Fn. 4), § 244 Rdn. 361, § 261 Rdn. 39; Schmid (Fn. 5), S. 374; KK(2.)-Herdegen, § 244 Rdn. 46; KK(2.)-Pikart, § 337 Rdn. 26; LR(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 80. 183 Zutr. Fezer (Fn. 156), S. 106 ff., 110 f.; ders. (Fn. 189), S. 108; Pfitzner (Fn. 173), S. 121 – 160. Vgl. bereits v. Wick (zit. in Fn. 47). 184 Oben II. 2 b) bb). 185 Unproblematisch bleibt als Verfahrensfehler rügbar, das Gericht habe Beweisergebnisse (§ 261 StPO) oder Beweismittelmöglichkeiten (§ 244 II StPO) nicht oder unzureichend ausgeschöpft (o. II. 2. b) aa)), etwa infolge tatsächlich „falscher“ (oder rechtlich sonst unzulässiger) Fragen bzw. Vorhalte an eine Beweisperson. 186 Dazu Fn. 180 mit Nachweisen.

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richt (auf Rüge in der Form des § 344 II 2 StPO187 hin) ein allein aus sich heraus, ohne Zusammenhang mit anderen prozessualen Erkenntnisquellen188 vom Tatgericht gewürdigtes und zu würdigendes, in den Urteilsgründen dargestelltes Beweisergebnis – etwa der referierte Wortlaut bzw. wortlautgleiche Inhalt verlesener Urkunden189, insbesondere pornografischer (§ 184 StGB) Schriften190, die generelle (d. h. zweifelsfrei und ohne Vergleich mit der abgebildeten Person feststellbare) (Un-)Ergiebigkeit z. B. eines in Augenschein genommenen Geschwindigkeits-Meßfotos191, der Inhalt eines Tonträgers192 oder pornografischen Spielfilms193 – in gleicher Weise zu abstrakter, „eindeutig“194 möglicher Bewertung offensteht zwecks Prüfung, ob § 261 StPO verletzt sei195. bb) Freibeweisförmig zulässige, d. h. unmittelbar-mündlicher Hauptverhandlung generell nicht bedürfende Sachverhalts- und Beweiswürdigungsaussagen196 sind uneingeschränkt revisibel197 auch dann, wenn sie Ergebnisse tatgerichtlichen Strengbe187 Dieser bedarf es nicht, sofern durch zulässige Verweisung (vgl. § 267 I 3 StPO) das Tatgericht Inhalt bzw. Beschaffenheit des Beweismittels zum Bestandteil seiner Urteilsaussage gemacht hat. 188 Peters (Fn. 128), S. 81; Gössel (Fn. 90), S. 136; Maul (Fn. 83), S. 417 f. 189 BGH (Pfeiffer/Miebach) NStZ 1987, 18; BayObLGSt. 1985, 226 = GA 1985, 569 = StV 1985, 226; OLGe Bremen VRS 48, 372; Köln NJW 1974, 1150; Hamm MDR 1975, 245; LR(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 84 m.w.N. in Anm. 139. – Z. B.: BZR-Auskunft (Gottwald, [Fn. 83], S. 211; a.M.: RG HRR 1938 Nr. 920; 1940 Nr. 46; KG VRS 16, 111); richterliche (BGH StV 1983, 321; BGHR StPO § 261 „Inbegriff der Verhandlung“ Nr. 25) oder polizeiliche (BGH [Holtz] MDR 1976, 989) Vernehmungsniederschriften (§ 251 I 3, II 2 StPO); Geständnis nach § 254 I StPO (LR[24.]-Hanack, § 337 Rdn. 85 m.Nachw. zur Gegenauffassung in Anm. 140, z. B. BGH [Dallinger] MDR 1975, 369); ärztlicher Untersuchungsbericht gem. § 256 I 2 StPO (BGH 1 StR 642/81 v. 4.5.82 bei Maul [Fn. 83], S. 417 Anm. 60); Wortprotokoll (§ 273 III StPO; BGH JZ 1992, 106 m. Anm. Fezer; str., vgl. Fezer [Fn. 19], 20/ 47; LR[24.]-Hanack, § 337 Rdn. 83 m.w.N. in Anm. 138); Vernehmungsprotokoll gem. § 325 StPO (falls kein Gegenschluß zu insoweit nicht überprüfbaren erstinstanzlichen LG-Urteilen geboten erscheint). 190 BGHSt. 22, 282, 289; 29, 18, 22 = JR 1980, 168 m. insoweit zust. Anm. Peters; OLG Hamburg JR 1982, 76; 1985, 429 m. Anm. Geppert; Schlüchter (Fn. 18), Rdn. 696; weitere Nachw. zur Streitfrage bei Neumann (Fn. 21), S. 396. 191 Fezer (Fn. 19), 20/49; Neumann (Fn. 21), S. 400; – a.M.: BGHSt. 29, 18, 22 = JR 1980, 168 m. insoweit abl. Anm. Peters (krit. auch LK[24.]-Hanack, § 337 Rdn. 116 Anm. 119 u. Maul [Fn. 83], S. 418); OLG Stuttgart VRS 71, 287. 192 A.M.: BGHSt. 23, 64, 78; OLGe Köln GA 1968, 344; Frankfurt JZ 1974, 516. 193 OLGe Hamm JMBlNRW 1969, 246; Schleswig SchlHA 1970, 198. 194 BGHSt. 29, 18, 21; BayObLG (wie Fn. 189). 195 Daß dem Revisionsgericht es im übrigen versagt ist, tatgerichtliche Sachverhaltsaussagen an Hand des Akteninhalts, insbesondere eines Protokolls i.S.d. § 273 II, 1. HS. StPO, zu überprüfen, steht nicht entgegen; denn revisionsrechtlich sind die Urteilsfeststellungen maßgebend (vgl. Fn. 178). 196 Oben II. l. b) bb) a.E. 197 Peters (Fn. 128), S. 71; Paeffgen (Fn. 78), S. 86; Fezer (Fn. 156), S. 108 f.; zu § 60 Nr. 1 StPO (Lebensalter): RGSt. 20, 163; zu § 136 a I, II StPO: BGHSt. 14, 189, 191; 16, 164, 168;

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weisverfahrens sind198. Am Maßstab nun nicht etwa prozeß(un)ökonomischen revisionsgerichtlichen Ermittlungsaufwands, sondern prozessualer Aufklärungspflicht ist zu unterscheiden: Das Revisionsgericht ist zwecks rechtsrichtiger Entscheidung zu eigenen Feststellungen (Tatsachenaussagen) im Freibeweis gedrängt, wenn von der tatgerichtlichen Tatsachenaussage abweichende Umstände aus dieser selbst bzw. den Akten erkennbar oder in der Verfahrensrüge199 geltend gemacht worden sind. Fehlen solche Anhaltspunkte, darf das Revisionsgericht die vorinstanzliche Tatsachenaussage als eigene ohne weiteres seiner Rechtskontrolle zugrunde legen200.

zu §§ 48 ff. 72 ff. StPO (Vernehmung eines „Zusatztatsachen“ bekundenden Sachverständigen als Zeugen): RGSt. 43, 437, 439; BGH NStZ 1985, 135; zu §§ 230, 338 Nr. 5 StPO (Abwesenheit während „wesentlichen“ Verhandlungsteils): BGH (Holtz) MDR 1983, 93; NJW 1984, 1245; vgl. auch BGHSt. 21, 180, 182 zur Verteidigung Mitangeklagter; zu § 231 II StPO (Verhinderungsgrund): BGHSt. 10, 304, 305; 16, 178, 181; 37, 249, 251 ff.; BGH NStZ 1988, 421 m. Anm. Meurer; zu § 261 StPO (Erörterung gerichtskundiger Tatsachen in der Hauptverhandlung): BGH NJW 1963, 598; OLG Hamm StV 1985, 225; zu § 265 StPO (hinreichende Unterrichtung durch den Verfahrensgang): BGHSt. 28, 196, 198; BGH StV 1984, 325; OLG Frankfurt StV 1985, 224; zu § 275 II 2 StPO (Verhinderungsgrund): BGHSt. 28, 194, 195; KG StV 1986, 144; zu § 329 I StPO (Ladungsmangel): BGH NJW 1987, 1776, 1777; BayObLG NStZ 1986, 281 (gegen OLG Düsseldorf StV 1982, 216); zu § 42 GVG (Schöffenwahl): BGH NStZ 1985, 582. – A.M.: LK(24.)-Hanack, § 337 Rdn. 78; zu § 60 Nr. 1 StPO (Einsichtsfähigkeit): BGHSt. 22, 266, 267; zu § 231 II StPO: OLG Hamburg NJW 1953, 235; zu § 329 I StPO (sonstiger Entschuldigungsgrund): BGHSt. 28, 384, 387; Nöldecke, Zur Vereinfachung des Rechtsschutzes gegen die Verwerfungsurteile nach §§ 329 Abs. 1 und 412 StPO, in: GedS K. Meyer, 1990, S. 295, 303 ff.; zu § 21 e III GVG (Verhinderungsgrund): BGHSt. 12, 33, 34; BGH 2 StR 426/90 v. 19. 12. 1990. 198 Die Problematik „doppelrelevanter Tatsachen“ ist hier nicht zu erörtern. 199 Näher Verf. (Fn. 4), §329 Rdn. 68 – 69. 200 RGSt. 53, 37, 38; BGH (Holtz) MDR 1979, 281; Ditzen, Dreierlei Beweis im Strafverfahren, 1926, S. 76 f.; Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl., 1983, S. 158.

Rechtsstaatliche Übermaßverbote im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß* I. „Regellosigkeit des Strafverfahrens“1, „gänzliche Rücksichtslosigkeit auf die mögliche Unschuld des Angeklagten“ und der Richter habe „alle Mittel, den Angeklagten schuldig zu finden, während diesem gegen die Übereilung seiner Richter … auch nicht ein einziges Schutzmittel gegeben ist“2, „schrankenlose Gewalt des Untersuchungsrichters“3, „schonungslose Verfolgung der Zwecke des Gesammtwohles auf Kosten des Wohles und der Rechte des Einzelnen“4, es seien der Inquisit „mehr als Sache behandelt …, die Rechte freier Persönlichkeit ignorirt und … hiermit unverträgliche, an sich verwerfliche und nur durch den Zweck gerechtfertigte Mittel“ angewandt worden5 : solche Verdikte über den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß insbesondere von Protagonisten des „reformierten Strafprozesses“ wirkten meinungsprägend weit bis in das 20. Jahrhundert hinein. Winfried Trusen, dem neue Einsichten in Grundlagen und Wesen des Inquisitionsprozesses zu danken sind6, rügt zutreffend, daß dessen „übler Ruf“7 und jene „fast durchweg negative(n) Wertung(en) … nicht selten in völliger Verkennung der historischen Bedeutung“ gründen.8 So sei * Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Norbert Brieskorn u. a.(Hrsg.), Vom mittelalterlichen Recht zur frühzeitlichen Rechtswissenschaft, Festschrift für Winfried Trusen. Verlag Ferdinand Schöningh, Paderborn/München/Wien/Zürich 1994, S. 285 – 315. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 C. Beccaria, Über Verbrechen und Strafen (Dei delitti e delle pene, Livorno 1764, übersetzt von K. Esselborn), Leipzig 1905, S. 66. 2 P. J. A. Feuerbach, Die Aufhebung der Folter, in: Themis, oder Beiträge zur Gesezgebung, Landshut 1812, S. 263 (zum Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31]). 3 R. Köstlin, Der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens im neunzehnten Jahrhundert, Tübingen 1849, S. 104. 4 J. Vargha, Die Vertheidigung in Strafsachen, Wien 1879, S. 270. 5 H. A. Zachariae, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens, Göttingen 1846, S. 41 (ferner S. 43: „subjektive Willkür“). 6 Strafprozeß und Rezeption, in: Strafrecht, Strafprozeß und Rezeption, hrsg. von P. Landau und F.-C. Schroeder, Frankfurt a. M. 1984, S. 29 ff.; ders., Der Prozeß gegen Meister Eckhart, Paderborn 1988; ders., Vom Inquisitionsverfahren zum Ketzer- und Hexenprozeß, in: FS P. Mikat, hrsg. v. D. Schwab, Berlin 1989, S. 435 ff.; ferner Fn. 8. 7 W. Sellert, Die Bedeutung und Bewertung des Inquisitionsprinzips aus rechtshistorischer Sicht, in: FS H. U. Scupin, hrsg. v. N. Achterberg, Berlin 1983, S. 161. 8 Der Inquisitionsprozeß. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, in: ZRG (KA) 105 (1988), S. 168. Ebenso Sellert (Fn. 7) S. 181.

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auch hier versucht, dem (neuzeitlichen) Inquisitionsprozeß gerecht werdend die Erkenntnis zu fördern, daß, notwendig – veritas filia temporis (Giordano Bruno) – gemessen an der Elle jeweils zeitbedingten staatlichen Selbstverständnisses, jenes Inquisitionsverfahren nicht weniger Rechtsstaatlichkeit gewährleistete als unser Strafprozeß. Rechtsstaatlichkeit verstanden als Herrschaft des Rechts im Staat: formell mittels richterlicher Gesetzesbindung, materiell durch Postulate des Verhältnismäßigen, d. h. des Notwendigen und Angemessenen, des Rechts also in concreto, der aequitas.9 In diesem Sinne kannte das Inquisitionsverfahren, ungeachtet seines Zwecks, „ne crimina remaneant impunita“10, vielfältige Grenzen prozessualen Zwangs. Aufklärens, Strafens. Seine rechtlichen Schranken faktisch an sich möglicher Machtausübung mag das Folgende skizzenhaft andeuten.

II. 1. Das Verbot, härtere Mittel zu gebrauchen, wo gelindere genügten (Notwendigkeitsprinzip) und der Aufruf, es „solle in peynlichen Fragen gantz bescheydentlich gehandelt vnnd kein Vnmaß gebraucht werden“11, durchziehen als Manifeste einer – wie auch immer gegründeten – selbstverständlichen Menschlichkeit12 von der Mah9 D. 50, 17, 90 (Paulus): In omnibus quidem, maxime tamen in iure aequitas spectanda est. Näher dazu W. Engelmann, Die Wiedergeburt der Rechtskultur in Italien durch die wissenschaftliche Lehre, Leipzig 1938, S. 128 ff. 10 B. Carpzov, Practica Nova Imperialis Saxonia Rerum Criminalium, Pars III, Editio Secunda, Wittenbergae 1646, qu. 117 n. 11, qu. 113 n. 20, qu. 112 n. 35, qu. 114 n. 16, qu. 117 n. 8.–Vgl. auch Klagspiegel (Der Richterliche Clagspiegel, verfaßt gegen 1497, hrsg. von Sebastian Brandt), Straßburg 1553, fol. 185d: „wann es ist ein gemeiner nutze, das die übelthatt nit vngestrafft sol bleiben“; A. Gandinus, Tractatus de Maleficiis, Siena 1298 – 1301 (in: H. Kantorowicz, Albertus Gandinus und das Strafrecht der Scholastik 2. Bd.: Die Theorie; Kritische Ausgabe des Tractatus de Maleficiis nebst textkritischer Einleitung, Berlin 1926), rub. De penis reorum, § 51; J. Oldekop, Observationes criminales practicae, Bremen 1654, tit. II obs. VIII n. 1 und 10; H. Rauchdorn, Practica und Proces Peinlicher Halsgerichtsordnung aus Geistlichen und Weltlichen/Keyserlichen und Sächsischen Rechten, Leipzig 1699, Vorrede; Joh. Chr. Frölich de Frölichsburg, Commentarius In Kayser Carl des Fünfften und des Heil. Röm. Reichs Peinliche Hals Gerichts Ordnung, Erster Tractat, Franckfurt und Leipzig 1741, 3. Buch Tit. I Nr. 3; D. Clasen, Commentarius in Constitutiones Criminales Caroli V Imperatoris, Lipsiae 1718, Art. 47 Anm. I 3 e; S. Fr. v. Boehmer, Observationes selectae ad Benedicti Carpzovii Practicam Novam Imperialem Saxonicam Rerum Criminalium, Frankfurt/M. 1759, obs. I ad qu. 107 n. 33; R. Engelhard, Versuch eines allgemeinen peinlichen Rechtes aus den Grundsätzen der Weltweisheit und besonderst des Rechtes der Natur hergeleitet, Frankfurt und Leipzig 1756, §§ 449, 451. 11 A. Perneder, Halßgerichtsordnung, Ingolstadt 1592, Tit. 3 Art. V. 12 Sie hatte sich vornehmlich auf dem Prüfstand des medium eruendae veritatis der Tortur zu bewähren, „damit das christlich plut mit unmenschlicher marter und peynigung nit also unschuldiglich vergossen“ werde (so bereits das Gutachten der Kaiserlichen Räte von 1518 in Vorbereitung der CCC, zit. nach R. v. Hippel, Der Deutsche Strafprozeß, Lehrbuch, Marburg 1941, S. 33 f. Anm. 11). Dies setzte voraus, „quod omnis iudex … ante omnia habere debet iuris et humanitatis considerationem hanc, videlicet, ut non facile nec repente ad questionem

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nung etwa der Wormser Reformation (1499), „masse und bescheidenheit“ zu halten und die „lychter Wege“ einschneidenderen Maßnahmen vorzuziehen13, bis zur Theresiana14 (1768) die Jahrhunderte gemeinrechtlicher Inquisitionstheorie. Der Klagspiegel15 etwa mahnt: „In dysen sachen soll die strengykeit nit auß übermut, sunder der richter sol ein temperament der güttigkeit vnd der strengigkeit der rechten myschen“; Carpzov16 erinnert „die Obrigkeit wohl fürzusehen /damit sie in Schrancken des Rechten verbleibe / und der Sachen / zumahle bey exekution der scharffen Frage / nicht zuviel thue …“; Rauchdorn17 sieht für sie in den Gesetzen „Richtschnur vnnd maß …, damit sie der sachen nicht zu viel noch zu wenig thun / sondern gebürlich ziel / vnnd richtige maß“ halte. a) Als „medium extraordinarium“18 und „postremum refugium“19 durfte, wie schon im römischen20, kanonischen21 und italienischen22 Recht, die Folter gegen den Inquisiten erst angeordnet werden, „si veritas aliter23 explorari nequit“24; sie prosiliat, si aliqua leviori via potest obiecti criminis veritas inverniri …“ (Gandinus [Fn. 10], rub. De questionibus et tormentis, § 1). Vgl. auch Fn. 36. 13 Vgl. Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, Leipzig 1940, S. 74. Schon D. 48, 18, 10, 3: „ut moderate rationis temperamenta, desiderant“. 14 Constitutio Criminalis Theresiana, oder der … römisch kaiserlich … und königlich Apost. Majestät Mariä Theresiä … peinliche Gerichtsordnung, Wien 1769, Art. 39 § 14. 15 (Fn. 10), fol 120a. Vgl. auch fol. 152b: „wann wo grosser schäd sorgfeltigkeit oder gefährlichheyt wirt do soll man synniglicher vnd fürsichtiger procedieren“. 16 B. Carpzov, Peinlicher Sächsischer Inquisition- und Achts-Proceß, Leipzig 1673, Tit. X vor Art. I. 17 Rauchdorn, wie Fn. 10. 18 J. S., Fr. v. Boehmer, Elementa Jurisprudentiae Criminalis, in usum auditorii commoda methodo adornata, Editio quarta, Halae 1749, sect. I cap. XIII § CCXXXV. 19 M. Berlich, Conclusiones Practicabiles Secundum Ordinem Constitutionum Divi Augusti Electoris Saxoniae, Editio quarta, Lipsiae 1652, pars IV concl. IV n. 140. 20 L. 8 pr. D. de quaest. (dazu G. Geib, Geschichte des römischen Criminalprocesses bis zum Tode Justinians, Leipzig 1842, S. 616); D. 48, 18, 8 und 9. 21 Innozenz IV. in der Bulle „Ad exstirpanda“ von 1252 (zit. nach F. Helbing, Die Tortur, Bd. I, Berlin 1902, S. 110): „Regulariter non devenitur ad torturam nisi in defectum aliorum probationum.“ 22 J. Clarus, Opera omnia, sive practica civilis atque criminalis; Liber quintos, sive practica criminalis, Genevae 1666, add. 15 zu qu. XXI; Gandinus, wie Fn. 10. 23 Nach Art. 46 CCC etwa im Wege „gütlicher“ Befragung oder nur Androhung der Folter (Territion). 24 Carpzov (Fn. 10), qu. 119 n. 2. Ebenso Clasen (Fn. 10), Anm. zu Art. 45; Oldekop (Fn. 10), tit. IV obs. VII n. 5; ders., Cautelae criminalis, 2. Aufl. Hildesheim 1639, S. 411; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 7 Nr. 3 und Tit. 3 Nr. 1, Buch 2 Tit. 6 Nr. 5; Rauchdorn (Fn. 10), Teil 1 Cap. VI sub I; Klagspiegel (Fn. 10; zit. nach E. Brunnenmeister, Die Quellen der Bambergensis, Leipzig 1879, S. 165): „Merk wann in den schwoeren vnd grossen Sünden die warheyt nit anders erfaren mag werden, so soll sy durch pyn tormenta in latein erfaren werden“; Polizey-, Gerichts-, Malefiz- und andere Ordnungen der Fürstenthumben Obern und Nidern Bayern, 1616, Tit. III Art. 9; Perneder (Fn. 11), Tit. 3 Art. III; J. Zanger, Tractatus de quaestionibus seu torturis reorum, Wittenbergae 1593, cap. II Nr. 2 („si

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war „überflüßig und widerrechtlich“25 gegen einen bereits voll Geständigen oder Überführten.26 Das gleiche Prinzip bestimmte die Erzwingung von Zeugenaussagen mittels Tortur27 die Auferlegung der „tortura spiritualis“28 des Reinigungseides29 und die Spezialinquisition.30 b) Nicht nur dem „Ob“, auch dem „Wie“ inquisitorischer Zwangsmaßnahmen galt jener Vorbehalt des Maßes und Zieles. Für die Haft gab Art. 11 CCC „sonderlich zumerken, daß die gefengknuß zu behaltung, vnd nit zu schwerer geuerlicher peinigung der gefangenen sollen gemacht vnd zugericht sein“; Carpzov31schrieb vor, hierbei „behutsam zu verfahren“. Die – häufig schon als 1. Grad der eigentlichen Folter eingestufte32 – territio realis33 setzte eine (erfolglose) territio verbalis34 voraus.35 Der im aliis probationibus veritas illuminari non possit“); J. Brunnemann, Anleitung zu vorsichtiger Anstellung des Inquisitions-Processes, Halle 1697, cap. 8; Engelhard (Fn. 10), §§ 452, 459; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XI § CXC; Manzius (Fn. 95), Art. XLV n. 3; J. G. Scopp, Theoretisch-Practisches Criminal-Tractat, Nürnberg 1758, Cap. 5 § 3. 25 Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 3 Abs. 1. 26 Art. 69 CCC; Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 36 ff. und 42, qu. 119 n. 4; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XIII § CCXXXII; ders., Meditationes in Constitutionem Criminalem Carolinam, Halle-Magdeburg 1770, Art. 22 § 3; A. X. W. Frhr. v. Kreittmayr, Anmerckungen über den Codicem Juris Bavarici Criminalis, München 1752, Teil II Cap. 8 § 1 lit. c. Denn die Tortur ist ein „Rechtliches Mittel, um den in Negativis verharrenden Uebelthäter aus Mangel einer genugsamen Ueberweisung, zur wahren Bekanntniß zu bringen, oder von dem wider ihn vorkommenden Verdacht zu reinigen“ (Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. VIII § 1; vgl. auch unten III. 1. b) mit Fn. 124). 27 P. Farinacius, Opera omnia, Pars II: Tractatus de Testibus, Frankfurt/M. 1622, qu. 78 n. 106 – 112; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 2 Tit. 9 Nrn. 3 und 4. 28 Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 156. So auch K. v. Grolman, Grundsätze der Criminalrechts-Wissenschaft, 4. Aufl., Gießen 1825, § 505; C. Hofacker, Systematische Uebersicht des Teutschen gemeinen und des Württembergischen Strafprocesses, Tübingen 1820, § 172; C. A. C. Klenze, Lehrbuch des Strafverfahrens, Berlin 1836, S. 90; A. Bauer/E. Morstadt, Lehrbuch des Strafprocesses, 2. Ausgabe, Göttingen 1848, S. 98; C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren in der Fortbildung durch Gerichts-Gebrauch und Particular-Gesetzbücher …, Theil II, 4. Aufl., Heidelberg 1846, S. 496; H. A. Zachariae, Grundlinien des gemeinen deutschen Criminal-Processes, Göttingen 1837, S. 240; J. C. Althof, Über die Verwerflichkeit des Reinigungseides in Strafsachen nebst erläuternden Criminal-Fällen, Rinteln 1835, S. 39 Fn. 1. 29 Carpzov (Fn. 16), Tit. X Art. V Nr. 1; Engelhard (Fn. 10), §§ 456, 459. Zum Reinigungseid vgl. unten Fn. 66. 30 Der Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31) verbot sie „in kleineren Frevlen“ oder „Verbrechen, welche keine Criminal-Straff nach sich ziehen“ (Teil II Cap. II § 21). – Zur Gegenüberstellung vgl. K. Hupka, Sätze über das peinliche Recht nach der Theresianischen Halsgerichtsordnung mit angehängten Abweichungen vom karolingischen Rechte, Wien 1784, § 541. 31 (Fn. 16), Tit. IV vor Art. I. Vgl. auch Carpzov (Fn. 10), qu. 111 n. 46; J. P. Kress, Commentatio succincta in Constitutionem Criminalem Caroli V. Imperatoris, Editio quarta, Hannover 1744, Art. 218 Anm. 4; Boehmer (Fn. 10), obs. IV ad qu. 111; Codex Juris Bavarici Criminalis de anno 1751, München 1751, Teil II Cap. VI § 9, Cap. VIII § 1. 32 Vgl. etwa J. Brunnemann, Inquisition-Proceß, Franckfurt und Leipzig 1717, cap. VIII membr. V Nr. 42; Boehmer (Fn. 10), obs. IV ad qu. 119; Ch. Blumlacher, Commentarius in Kayser Carl des Fünfften und des Heil. Röm. Reichs Halßgerichts-Ordnung, Salzburg 1678,

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Einzelfall „nach ermessung eyns guten vernünftigen Richters“ (Art. 58 CCC)36 den „reifflich überlegten“37 Gesamtumständen des Einzelfalls (Alter, Geschlecht, persönliche Konstitution und Gesundheitszustand des Delinquenten, Gewicht der Verdachtsgründe und Höhe der Straferwartung)38 gemäß vom Urteilerkollegium39 als Art. XLV Nr. 6; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 3. Anderer Meinung Carpzov (Fn. 10), qu. 117 n. 44, 47, 52 und 54. – Die italienischen Kriminalisten hatten zumeist die Territion als die beiden ersten Stufen einer 5 Grade umfassenden Folterskala gesehen (z. B. Clarus [Fn. 22], qu. 64 n. 31). Zum Ganzen auch Clasen (Fn. 10), Art. LVIII Nrn. I und II; H. Meckbach, Anmerkungen über Kayser Carl des V. und des H. R. Reichs Peinliche Halßgerichts-Ordnung, Jena 1756, Anm. zu Art. LIIX. 33 Leichtes Schnüren des Inculpanten auf der Leiter oder Anlegen der Daumenschrauben (Carpzov [Fn. 10], qu. 117 n. 52 – 54). 34 Dem Inquisiten wurden die Folterwerkzeuge vorgezeigt und in ihrer Wirkung beschrieben. 35 Clarus (Fn. 22), qu. 64 n. 31; Carpzov (Fn. 10), qu. 117 n. 47 – 49; Brunnemann, Boehmer und Meckbach, wie Fn. 32; Blumlacher (Fn. 32), Art. XLV Nr. 5; Clasen (Fn. 10), Art. LVIII Nr. I; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 4 Nr. I; Engelhard (Fn. 10), § 455. 36 Vgl. auch D. 48, 18, 10, 3; Gandinus (Fn. 10), rub. De questionibus et tormentis, §§ 10, 11; Menochius (Fn. 57), lib. II cent. III casus 270 n. 1 u. 273 n. 5; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 38 n. 83, 88 u. 89 („Et nihilomnius hoc debebit arbitrari, non ex cervice, sed secundam regulas iuris, arbitrio boni viri, et in dubio pro non repetitione, et sic in mitiorem partem“); Kress (Fn. 31), Art. L.V1II § 3 („Sufficit regula generalis, quod tortura debeat esse medium indagnandi & eliciendi veritatem durius quidem, tale tamen, quod innocentem vitae non inutilem, nocentem autem ad supplicium ferendum non inidoneum reddat, …“); J. Fr. Ludovici, Einleitung zum Peinlichen Proceß, 10. Aufl. hrsg. von J. G. Schlitte, Halle 1732, Cap. V § XIV; Engelhard (Fn. 10), § 451; Seyner Königl. Majestät in Preußen etc. etc. vor dero ChurMark Brandenburg verfaßten Criminalordnung, 1717, Cap. IX § 1 befahl, bei der peinlichen Frage „… mit der größesten Behutsamkeit und Sorgfalt zu verfahren …“; Theresiana (Fn. 14), Art. 34 § 19 Abs. 2 („Bei Zuerkanntniß einer schärffer- oder gelinderen Tortur allemal eine billige Maß zu halten seye, damit der Sache weder zu wenig, weder zu viel gethan werde“; ferner Art. 38 § 10: da die Tortur „an sich selbst eine Sache von äusserster Wichtigkeit, und unersetzlichem Nachtheil“ sei, müsse „hierinnenfalls mit größter Behutsamkeit und Sorgfalt … fürgegangen werden, damit Niemand ohne redliche Ursachen an die Marter gezogen, weder bey Vernehmung der rechtlich zuerkannten Tortur die rechte Maß überschritten … werde“). Dazu ferner Fn. 12. 37 Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 26 Nr. 4. 38 Art. 58 CCC (Art. 71 CCB folgend): „Item die peinlich frag soll nach gelegenheyt des argkwons der person, vil, offt oder wenig, hart oder linder nach ermessung eyns guten, vernünfftigen Richters, fürgenommen werden …“; Gandinus, wie Fn. 36; Menochius (Fn. 57), lib. II cent. III casus 270 n. 1; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 38 n. 83; (zu den von den italienischen Juristen angewandten Maßstäben „secundum personae conditionem“ – so bereits D 48, 18, 7 – und „qualitatem criminis“ allgemein vgl. auch Brunnenmeister [Fn. 24], S. 234); Carpzov (Fn. 10), qu. 117 n. 9 und 25; Brunnemann (Fn. 24), Cap. X § IV; Clasen (Fn. 10), Art. LVIII Anm. II; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 3 Nr. 8; Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 9; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII §§ 8, 9; Theresiana (Fn. 14), Art. 34 § 19 Abs. 2: „Und gleichwie überhaupt die Bestimmung der Peinigungsart allzeit nach der Eigenschaft des geringer- oder schwereren Verbrechens, nach den mehr- oder minderen Kräften des Thäters, und nach der verschiedenen Beschaffenheit der Umstände angemessen ist“ (vgl. auch die detaillierten Vorschriften der Theresiana über Vorbereitung – Art. 34 §§ 12, 13 – und Durchführung – Art. 34 §§ 14 – 32 – der Tortur).

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„erforderlich“ zur Geständniserlangung und „verhältnismäßig“ zum Prozeßzweck festzusetzende und vom Inquirenten in concreto nicht verschärfbare Torturgrad40 war nach – soweit ersichtlich – allgemeiner Meinung gleichwohl nicht auszuschöpfen, „so lange . .. ein geringerer Staffel der Folter ausreichig seyn könnte“41. Durfte schon den im Einzelfall überhaupt als zulässig anzuordnenden Grad der Folter nicht reines Zweckermessen bestimmen, so war der inquirierende Richter weiter in den Methoden ihrer – auch der Dauer nach auf grundsätzlich höchstens eine Stunde begrenzten – Durchführung beschränkt42 auf wenige Folterwerkzeuge: Daumenund Beinschrauben, Strick und Leiter, Feuer.43 2. Zur Prozeßzweckerreichung an sich geeignete und notwendige Zwangsakte mußten unterbleiben, wenn ihre Nachteile insgesamt als den mit ihnen erstrebten Nutzen überwiegend galten, ihre Anwendung mithin unverhältnismäßig (i. e. S.) erschien. a) Deshalb grundsätzlich unstatthaft war, von Zeugen Aussagen mit gleicher Schärfe wie vom Inquisiten Geständnisse zu erzwingen44 oder der Folter zu unterwerfen Beschuldigte45 bei „defectus iudicii et intellectus“46 „corporis debilitas“47 oder „dignitas rei“48. 39 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 25; Boehmer (Fn. 10), obs. II ad qu. 124; ders. (Fn. 26), Art. 58 § 3. 40 Sächsischem Gerichtsgebrauch folgend sah Carpzov (Fn. 10), qu. 117 n. 46 und 59, drei Stufen der Tortur vor: schmerzhaftes Schnüren der Glieder (n. 60 – 61), Aufziehen auf die Leiter und Strecken der Glieder (n. 62 und 64) sowie – beschränkt auf crimina nefanda et excepta (n. 65 – 67) Schütteln auf der Leiter, Brennen des Inquisiten u. ä. Verschärfungen (n. 63 – 64, 43). 41 Engelhard (Fn. 10), § 454, der fortfährt: „Weil man nun nicht gleich wissen kann, ob nicht ein geringerer anreichig seyn möchte: muß man mit dem kleinsten den Anfang machen.“ 42 Carpzov (Fn. 10), qu. 117 n. 39. 43 Carpzov (Fn. 10), qu. 117 n. 40 – 41. Zum Ganzen auch E. Boehm, in: Der Schöppenstuhl zu Leipzig und der sächsische Inquisitionsprozeß im Barockzeitalter, ZStW 59 (1940), S. 375 – 378. 44 Carpzov (Fn. 10), qu. 119 n. 50; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII §§ 23, 25; nicht anders bei peinlicher Befragung eines Inculpanten nach Mittätern (A. Diana, Practicae Resolutiones lectissimorum casum, Antverpiae 1651, „Inquisitores“ Nr. XXXVIII). 45 Zu den vom Folterzwang Befreiten auch Gandinus (Fn. 10), rub. De questionibus et tormentis, §§ 7 – 12, 33 – 35; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 41 n. 1 ff.; Perneder (Fn. 10), Tit. III Art. 42, 47 – 49; Blumlacher (Fn. 32), Art. XLV Nrn. 7 – 21; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 5; Rauchdorn (Fn. 10), Teil I Cap. V Nr. 2; Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 9; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 5; Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 11. 46 Carpzov (Fn. 10), qu. 118 n. 7 (dazu zählte er altersmäßige Unreife, Geisteskranke, Taubstumme, vgl. n. 10, 16, 18 u. 21); Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 41 n. 79 ff. u. 89 ff. 47 Carpzov (Fn. 10), qu. 118 n. 34 (vgl. auch Art. 59 CCC). Diese nahm er an bei körperlich oder seelisch gebrechlichen alten Menschen (n. 35, 38 – 40), Kranken oder Verletzten, sofern bei Folterung Lebensgefahr bestand (n. 46), sowie schwangeren oder stillenden Frauen (n. 61 – 63; auch Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. VIII § 5; bereits Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 41 n. 16, 101).

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b) Bei Verfolgung nur von „delicta levia“49 waren Haft50 oder Folter51 untersagt, „damit nicht das Mittel … zur Straffe schärffer sey / als die Straffe an sich selbsten“52. Hatten starke, unzweifelhafte Anzeigen53 die Täterschaft des Beschuldigten dargetan, ließ man unter Verzicht auf einen (an sich möglichen) Vollbeweis (mit gesetzlicher Straffolge) es bei einer (milderen) poena extraordinaria54 bewenden. c) Als „übermäßig“ verboten waren schließlich – bei identischem „corpus delicti“55 – unbegrenzte Wiederholungen der Folter (bei verweigerter bzw. später wider48

Carpzov (Fn. 10), qu. 118 n. 65. Solche personae clarissimae et dignitate eminentiori waren für ihn Fürsten, Herzöge, Grafen, Barone, Adlige, Doktoren u. ä. gestellte Leute (n. 65 ff.; dazu ferner Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. VIII § 5 und Farinacius [wie Fn. 47], n. 37, 57 ff., 73 ff.). 49 Im Anschluß an Carpzov (Fn. 10), qu. 102 n. 56 (dieser wiederum unter Berufung auf Clarus) hatte sich eine Dreiteilung der Straftaten nach ihrer Schwere eingebürgert in delicta levia (nur mit Geld- oder leichter Körperstrafe bedrohte Vergehen), atrocia (bzw. atrocioria) und atrocissima. 50 Carpzov (Fn. 10), qu. 111 n. 5 und (Fn. 16), Tit. IV Art. I (mit Clarus [Fn. 22], qu. 28 n. 1, gegen P. Farinacius, Praxis et theoricae criminalis libri duo, Frankfurt 1622, lib. I tit. IV qu. 27 und 39); Blumlacher (Fn. 32), Art. VI Nr. 5; J. T. Carrach, Kurze Anweisung zum Proceß in Civil- und Criminal-Sachen, Halle 1776, S. 249; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VI § 2; Theresiana (Fn. 14), Art. 29 §§ 7, 9. Nur ausnahmsweise und wegen des Grundsatzes „qui non habet in aere, luat in corpore“ (Carpzov [Fn. 10], qu. 130 n. 4) war bei Vermögenslosigkeit des nur eines delictum levium Verdächtigen die Kaptur gestattet (Carpzov [Fn. 10], qu. 111 n. 10; Scopp (Fn. 24), Cap. II § 5; J. Brunnemann, Tractatus juridicus de inquisitionis processu, Frankfurt-Leipzig 1714, cap. VIII membr. I n. 9). 51 D. 48, 18, 8; Art. 8, 10 CCC; Gandinus (Fn. 10), rub. De questionibus et tormentis, § 2; Hippolyt de Marsiliis, Practica criminalis, Köln 1581, § Expedita n. 58 – 61; J. Gobler, Der Rechten Spiegel, Franckfurt 1558, fol. CLXXIII; Perneder (Fn. 11), Tit. 3 Art. I; J. Damhouder, Praxis rerum criminalium (Deutsch von M. B. v. Carlstatt), Frankfurt/M. 1575, Cap. XXXV Nr. 3; Carpzov (Fn. 10), qu. 119 n. 2 und 6 – 8, qu. 116 n. 54; Oldekop (Fn. 10), tit. IV obs. I n. 1 (mit Hinweis u. a. auf Clarus und Hippolyt de Marsiliis); Brunnemann (Fn. 24), Cap X § III und (Fn. 50), cap. VIII membr. V n. 20 – 21; Ludovici (Fn. 36), cap. V § XI; Blumlacher (Fn. 32), Art. XLV Nr. 4; Rauchdorn (Fn. 10), Teil I Cap. IV Nr. I; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 4 Nr. 5; Scopp (Fn. 24), Cap. IIII § 10 u. Cap. V § 3; Manzius (Fn. 95), Art. VI n. 28, Art. XLV n. 2, Art. LVIII n. 12; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XIII § CCXXXIII; Chr. G. Gmelin, Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen, Leipzig 1786, § 255 Nr. I. 52 Carpzov (Fn. 16), Tit. IV Art. I m. Hinw. auf (Fn. 10), qu. III n. 7. Ebenso die Begründung bei A. Bossius, Practica et Tractatus varii ad criminales causas, 2. Aufl., Venedig 1565, tit. De Indiciis et considerationibus ante torturam, Nrn. 7, 91 – 92; Hippolyt de Marsiliis (Fn. 51), § Expedita n. 58; Clarus (Fn. 22), qu. 64 n. 4; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 38 n. 6, qu. 42 n. 3 – 4, 6 – 7, 9, 15 (,,… tortura locum habeat nisi in criminibus capitalibus et atrocibus“); Blumlacher (Fn. 32), Art. XLV Nr. 4; Meckbach (Fn. 32), Anm. zu Art. XLV; Carrach (Fn. 50), S. 249; Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 9 (damit die Tortur „nit schwerer sei als die Straff, die auff das erwiesene Verbrechen gehörig“); Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 6; Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 8. 53 Dazu unten III. 1. b) mit Fn. 107 – 129. 54 Dazu unten c) (2) mit Fn. 67 – 72. 55 Vorzüglich K. A. Hall, Die Lehre vom corpus delicti, Stuttgart 1933.

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rufener Urgicht) oder Inquisition nach (definitivem) Freispruch, Verurteilung nur zu außerordentlicher Strafe oder angeordneter absolutio ab instantia in solchen Fällen rechtskraftähnlicher Verfahrenserledigungen. (1) Überstand der Verdächtige die Tortur ohne Geständnis („Urgicht“), so hatte „er sich von den vorigen Innzüchten . .. genugsam gereiniget“56. Für weitere Versuche, eine confessio zu erfoltern, mußten „sich neue und solche Indizien hervorthun, welche nicht nur von den vorigen ganz unterschieden und specifie distinguiret, sondern auch so stark, wo nicht stärker als die vorige, mithin für sich selbst, ohne Beyziehung jener, ad Torturam erklecklich seynd“57. Ob nun ein solches novum bereits die nicht ratifizierte Urgicht – ohne Anführung glaubhafter Widerrufsgründe58 – war59, ob schon deshalb, weil der Beschuldigte hier die ihn belastenden Indizien nicht „getilgt“ hatte60, eine repetitio torturae zulässig war oder erst aus beiden Gründen zusammen, bleibe offen61; jedenfalls fand sie auch unter diesen Voraussetzungen 56 Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 28. Ebenso Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 13; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. 8 § 12. Vgl. schon Bossius (Fn. 52), tit. De confessis n. 26, 28; Clarus (Fn. 22), qu. 64 n. 38; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. I qu. 4 n. 26 und tit. V qu. 38 u. 72 („Tortura regulariter repeti non potest“). 57 Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. 8 § 21 (ebenso Cap. 10 § 14). In gleichem Sinn D. 48, 18, 1 („evidentiora argumenta“); Bay. MalefizO wie Fn. 56; Preuß. Landrecht v. 1685, Buch VI Tit. II Art. VI §§ I, II („… nova Indicia …, welche von den vorigen, an sonderbahrer Gestalt oder gantzer Wesenheit, unterschieden …“); Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 27 (,,… ganz neue erhebliche, und zu Verhängung der Tortur an sich selbst hinreichende Anzeigungen …“); J. Menochius, De Arbitrariis Judicium Quaestionibus et causis, Genevae 1691, lib. II cent. III casus 272 („multum urgentia“) u. 273; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 38 n. 76 (neue Verdachtsgründe „fortiora primis“) u. 79; Zanger (Fn. 24), Cap. V n. 12 u. 14 („evidentiora argumenta“); Kress (Fn. 31), Art. 57 § 3; Boehmer (Fn. 26), Art. 57 § 7; Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 31; Clasen (Fn. 10), Anm. zu Art. LXI; Brunnemann (Fn. 24), Cap. X § 25 und (Fn. 50), cap. VIII membr. V n. 84; Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XLVI; zum Klagspiegel (Fn. 10) und zur italienischen Doktrin vgl. Brunnenmeister (Fn. 24), S. 166 – 168; Baldus (zit. bei J. Kohler, Beweis im Strafprozeß, GA 63 [1917], S. 70, 74). 58 Wenn der Inquisit z. B. dartun und beweisen konnte, „solch bekantnuß auß irrsal gethan“ zu haben (Art. 57 S. 2 CCC; ergänzend Fn. 147). Vgl. auch Carpzov (Fn. 10), qu. 126 n. 48; Brunnemann (Fn. 50), cap. VIII membr. V n. 90. 59 So Carpzov (Fn. 10), qu. 126. n. 42 – 43 mit Hinweis auf das römische Recht, das – auch wegen der Unbeständigkeit der Aussage des Angeschuldigten – darin eine neue probatio semiplena sah (ebenfalls Art. 70 CCB sowie, für den italienischen Strafprozeß, A. Ariminiensis im Anschluß an Baldus, vgl. Brunnenmeister [Fn. 2], S. 168), Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 38 n. 91 („Torqueri potest reus, qui in tortura falsus est, deinde non vult suam confessionem ratificare“); ähnlich Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XLVII; Bay. MalefizO, wie Fn. 56. 60 Carpzov (Fn. 10), qu. 126 n. 38 und 44, qu. 125 n. 3. Ebenso, wenn der Inquisit nicht alle von mehreren, jeweils selbständig die Folter rechtfertigenden Indizien „getilgt“ hatte (Bay. MalefizO v. 1636 [Fn. 24], Tit. III Art. 13; Farinacius [Fn. 50], lib. I tit. V qu. 38 u. 39: „… si indicia erant gravissima et urgentia, quia tunc per unicam torturam non censentur purgata“). 61 Nach Art. 55 CCC durfte der Richter den sub tortura zwar nicht geständigen, aber mit nachweislich falschen Angaben sich verteidigenden Angeklagten „mit peinlicher frag auch zum andern mal angreiffen, damit er die … vmbstende, recht vnd mit der warheyt anzeyge“.

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höchstens zweimal – bei delicta atrocissima dreimal – statt62, bevor die peinliche Frage abgeschlossen war und gegen den Angeklagten die poena ordinaria nicht mehr verhängt werden durfte. (2) Auf endgültigen Freispruch war zu erkennen in drei Fällen: als selbstverständlich bei gelungenem „Verteidigungsbeweis“ mit positiv festgestellter Unschuld des Inquisiten63; zweitens im Fall ohne Urgicht überstandener Tortur, sofern dabei weitere Beweisgründe nicht aufgedeckt wurden64 ; schließlich nach Ableistung des Reinigungseides65 durch den Beschuldigten.66 62 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 31 und 47; Brunnemann (Fn. 24), Cap. X § XXV und (Fn. 50), cap. VIII membr. V n. 87, 89, 91; Kress (Fn. 32), Anm. zu Art. 57; A. Matthaeus, De criminibus ad lib. XLVII et XLVIII Dig. Commentarius, Editio tertia, Vesaliae 1672, lib. 48 tit. XVI n. 19; Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 13; Peinliche Landgerichtsordnung des Erzherzogthumbs Oesterreich unter der Enns v. 30. 12. 1656, Art. 38 § 5, Art. 39 §§ 1 ff.; Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 28. Anders, jedoch beschränkt auf den Fall „wiederruffener Bekanntnuss“, Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 21; hier greife die Tortur „allzeit wiederum ganz und zwar so oft von neuen Platz, als die Wiederruffung geschehen ist“. Vgl. auch unten IV. mit Fn. 224. 63 Carpzov (Fn. 10), qu. 104 n. 60; Brunnemann (Fn. 24), Cap. IX Nr. 1; Kress (Fn. 31), Art. 99 § 2; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V § 21, Cap. X § 9. 64 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 10; Berlich (Fn. 10), pars V concl. XLIV n. 67, pars IV concl. XV n. 38, 40 – 41; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 22, Cap. X § 9. So auch Boehmer (Fn. 26), Art. 61 § 1 (mit der Maßgabe, daß der Inquisit in Sicherungsgewahrsam zu halten war, solange erneute Straffälligkeit drohte). Zum Begriff „Urgicht“ Fn. 147. 65 Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 77 – 79; Berlich (Fn. 19), pars I concl. III n. 50; Brunnemann (Fn. 24), Cap. IX Nr. VI; Boehmer (Fn. 10), obs. 8 ad qu. 116 und (Fn. 18), sect. I cap. XIV § CCLVIII; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. IX § 12, Cap. X § 9; v. Grolman (Fn. 28), § 505; Klenze (Fn. 28), S. 90; G. W. C. Cavan, Anweisung zu Criminalprocessen bei Civil- und Militärgerichten, Berlin 1805, S. 360; Hofacker (Fn. 28), § 172; A. Bauer, Grundsätze des Criminalprocesses, Marburg 1805, S. 321. Vgl. dazu auch Zachariae (Fn. 28), S. 242 f. und Mittermaier (Fn. 28), S. 501 f. (beide gegen Chr. C. Stübel, Das Criminalverfahren in den deutschen Gerichten, Bd. 3, Leipzig 1811, § 1266, der nur Instanzentbindung eintreten lassen wollte); P. J. A. Ritter v. Feuerbach/C. J. A. Mittermaier, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 14. Aufl., Gießen 1847, § 599; Althof (Fn. 28), S. 32; K. Hildenbrand, Die Purgatio canonica und vulgaris, München 1841, S. 84, 91. 66 Der Reinigungseid als eine auf „Abnöthigung eines Geständnisses durch die Furcht vor den göttlichen Strafen des Meineids“ (Bauer [Fn. 65], S. 316 f.; vgl auch Feuerbach/Mittermaier [Fn. 65], S. 598; Zachariae [Fn. 28], S. 238) zielende „tortura spiritualis“ (oben I.1.a) mit Fn. 28) wurde dem weder geständigen noch überführten Inquisiten als „probatio subsidiara“ (Berlich [Fn. 19], pars I concl. 53 n. 34) auferlegt etwa bei „halbem“ Beweis mit Verdachtsmomenten, die für Freispruch zu stark, für die Folter bzw. eine außerordentliche Strafe (bei delicta levia) aber zu schwach erschienen (Carpzov [Fn. 10], qu. 116 n. 51, 56, 61 – 62, 85 und [Fn. 16], Tit. VII vor Art. I; Berlich [Fn. 19], pars I concl. 53 n. 4; Boehmer [Fn. 10], obs. VI ad qu. 116 und [Fn. 18], sect. I cap. XIV § CCLV; Carrach [Fn. 50], S. 288 f.; LGO Österr. u. d. Enns [Fn. 62], Art. 19 § 7; Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. IX § 11). Geboren aus dem germanischen Beweismittel des Eides mit Eidhelfern als grundsätzlich dem Beklagten (nur selten, z. B. bei handhafter oder offenkundiger Tat, dem Kläger) eingeräumtes Verteidigungsrecht (iuramentum credulitatis), eingegangen in die mit-

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Eine außerordentliche Strafe67 wurde verhängt bei erstens durch indicia indubitiata nachgewiesenen delicta levia68, zweitens Verweigerung des dem Angeklagten auferlegten Reinigungseides bei delicta levia69, drittens Widerruf der Urgicht nach (wiederholter) Folter70, viertens Hervortreten neuer Schuldindizien nach erfolgter (wiederholter) Tortur71, und fünftens Leugnen des Inculpanten auf der gegen ihn – zur Feststellung seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit oder subjektiver Verbrechensmerkmale – trotz bereits geführten Vollbeweises (mittels Zeugen) angeordneten Tortur.72 telalterlicht purgatio canonica (vgl. Klenze [Fn. 28], S. 89; Zachariae [Fn. 28], S. 238 f.; Fr. A. Biener, Beiträge zu der Geschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte, Leipzig 1829 [Neudruck Aalen 1965], S. 22 ff.; J. Glaser, Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß, Leipzig 1883, S. 281; C. Gross, Die Beweistheorie im canonischen Prozeß …, 2. Bd., Innsbruck 1880, S. 68 f.; Hildenbrand [Fn. 65], S. 123 ff. m. w. Nachw.), fortgebildet in der italienischen Prozeßrechtswissenschaft (dazu Klenze [Fn. 28], S. 89 f.), nicht erwähnt in der CCB und CCC, gleichwohl rezipiert in Deutschland, begriffen aber nun als eine dem Inquisiten aufzuerlegende Pflicht (iuramentum veritatis), war in dieser Funktion das Institut des Reinigungseides bereits Mitte des 18. Jahrhunderts als nahezu untauglich und die Meineidsgefahr fördernd erkannt (Boehmer [Fn. 181], sect. I cap. XIV § CCLIII; Engelhard [Fn. 101], § 456; Beccaria [Fn. 1], S. 88; Cavan [Fn. 65], S. 361; Bauer/Morstadt [Fn. 28], S. 99: Mittermaier [Fn. 28], S. 499, 504; Zachariae [Fn. 28], S. 240 f.; Althof [Fn. 28], S. 42 – 49. Bedenken schon bei Carpzov [Fn. 16], Tit. IV Art. III Nr. 1) und später landesgesetzlich beseitigt worden (z. B. § 392 PrCrimO von 1805; zum kanonischen Recht Hildenbrand [Fn. 65], S. 156 ff.). 67 Fr. Schaffstein, Verdachtsstrafe, außerordentliche Strafe und Sicherungsmittel im Inquisitionsprozeß des 17. und 18. Jahrhunderts, in: ZStW 101 (1989), S. 493 ff.; B. Thäle, Die Verdachtsstrafe in der kriminalwissenschaftlichen Literatur des 18. und 19. Jahrhunderts, 1993. 68 Dazu unten III. 1. b) mit Fn. 112 – 116. 69 Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 81; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XIV § CCLVIII; Carrach, S. 289, Hofacker § 172 und v. Grolman § 505 (alle Fn. 28); Bauer (Fn. 65), S. 323; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V § 21 und IX § 12; Nachw. zum kanonischen Recht bei Zachariae (Fn. 28), S. 243. – Bei den übrigen, schwereren Straftaten war in diesem Fall zur Folter zu schreiten (Carpzov [Fn. 10], n. 77 – 81, 82; Cavan [Fn. 65], S. 360; Cod. Jur. Bav. Crim. [ebd.], weil in der Weigerung des Inquisiten eine „confessio ficta“ (Bauer [Fn. 65], S. 323) gesehen wurde (Clarus [Fn. 22], qu. LXIII n. 4; Carpzov [Fn. 10], n. 8, 78 f.; Berlich [Fn. 19], pars I concl. III n. 45; Brunnemann [Fn. 24], Cap. IX Nr. VI; Engelhard [Fn. 10], § 456; Cavan [Fn. 65], S. 360; Carrach [Fn. 50], S. 289; C. A. Tittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesetzkunde, Bd. 3, Halle 1824, S. 546; ReichskammerGO von 1555, Teil II Tit. 10 § 1. – Gegen die Unterstellung eines Geständnisses und für die Annahme nur eines zusätzlichen Schuldindizes jedoch Klenze [Fn. 28], S. 90 und Mittermaier [Fn. 28], S. 496 f. m. w. Nachw. S. 501). 70 Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 56 – 59; Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 29. Für Freispruch: Brunnemann (Fn. 50), cap. VIII membr. V Nr. 89. 71 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 76; Verbessertes Landrecht des Königreichs Preußen v. 27. 6. 1721, Teil 3 Buch 6 Tit. III Art. XII § 1. Vgl. auch Theresiana (Fn. 14), Art. 34 § 11; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. X § 9. 72 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 17, 24 – 26. Entgegen Carpzov blieb hierdurch für Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 tit. XVI cap. III n. 22, die probatio plena, bestehen, doch war die Strafe (ebenfalls) – in Anrechnung der vom Inquisiten erlittenen Folterqualen – zu mildern.

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Die absolutio ab instantia war eine den Inquisiten „ab observatione iudicii“73, „stantibus rebus prout stant“74, d. h. – unter Perpetuierung des Angeschuldigtenstatus – nur solange entbindende Sentenz, „als nicht neue Umstände sich ergeben, welche die Hoffnung begründen, nach wieder aufgenommener Untersuchung den mangelnden Beweis zu ergänzen“75. Mit ihr war eine dem inquisitorischen Prinzip gemäße Form geschaffen, „den fortdauernden Zustand des Zweifels zum Ausdruck zu bringen“76, falls gegen den weder geständigen noch überführten oder als unschuldig erkannten Inquisiten die Indizien zur Verhängung von Reinigungseid, Tortur oder poena extraordinaria zu schwach waren, also weniger als eine probatio semiplena erbrachten.77 – Kannte die (historisch frühere) akkusatorische Prozeßform allein die Alternative Verurteilung – Freispruch (actore non probante, reus absolvitur: formale Beweisfrage als Urteilsgegenstand), wurde in Italien78 nach erfolgter Ausbildung des Verfahrens per inquisitionem sowie nun auf einer Scheidung des Freispruchs „mangels Beweises“ und „wegen erwiesener Unschuld“ gründend79 jenes – vorbildlose80 – Instrument für den Fall entwickelt, daß eine Entscheidung in der Sache selbst (materielle Seinsfrage als Urteilsgegenstand: keine Gleichbehandlung des möglicherweise Schuldigen und des tatsächlich Unschuldigen) nicht ergehen konnte, weil weder Schuld noch Unschuld des Inculpanten positiv feststellbar war. Seit dem 17. Jahrhundert81 war es in Deutschland in Gebrauch82 und wurde beibehalten83 73 Bossius (Fn. 52), tit. De Sententiis, n. 67; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. I qu. 4 n. 24; ebenso Salicetus (vgl. J. W. Planck, Die Mehrheit der Rechtsstreitigkeiten im Prozeßrecht, Göttingen 1844, S. 272). 74 Clarus (Fn. 22), qu. 57 n. 3, qu. 62 n. 2. 75 Feuerbach/Mittermaier (Fn. 65), § 617. 76 Zachariae (Fn. 5), S. 52. 77 Vgl. unten III. 1. b) mit Fn. 113 – 116. 78 Bossius (Fn. 73), n. 61, 65, 67; Hippolyt de Marsiliis (Fn. 51), § Quoniam n. 49, 50; Clarus (Fn. 22), qu. 57 n. 62; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. I qu. 4 n. 24 und 24; ders., Variarum quaestionum et communium Criminalium, Frankfurt 1612, pars I arg.: accusatore non probante . .. n. 27; ferner Salicetus (vgl. Planck (wie Fn. 73), und Alicatus (dazu O. Elben, Die Entbindung von der Instanz vom dogmengeschichtlichen und allgemein rechtlichen Standpunkt aus erörtert, Tübingen 1846, S. 17), wohl auch der Niederländer Damhouder (Fn. 51), cap. 40 (vgl. Elben, S. 27 f.). Zum Ganzen G. A. Kleinschrod, Ueber die Lossprechung von der Instanz im peinlichen Processe, in: Abhandlungen aus dem peinlichen Rechte und peinlichen Processe, Bd. I, 1. Theil, Erlangen 1797, S. 165 ff.; Zachariae (Fn. 28), S. 267 ff.; ders., Über die Lossprechung von der Instanz, NACrR 1839 S. 371 ff., 373 ff.; Scholz, Die Entbindung von der Instanz bei Untersuchungssachen, NACrR 1834 S, 396 ff. Durantis, Gandinus, Bartolus und Baldus behandeln die Instanzentbindung noch nicht. 79 Clarus (Fn. 22), qu. 57 n. 2. 80 Zu seinen Abweichungen von der römisch-rechtlichen „ampliatio“ und „abolitio“ vgl. Elben (Fn. 78), S. 7 – 9, Planck (Fn. 73), S. 31 f. und Geib (Fn. 20), S. 147, 368 ff., 372 ff. 81 Zu den vereinzelten Versuchen, bereits Art. 99, 201 CCC i.S. einer absolutio ab instantia zu interpretieren, vgl. Elben (Fn. 78), S. 12 – 16. 82 Zu seinen Befürwortern zählten u. a. Brunnemann (Fn. 50), cap. I Nr. 15, cap. IX Nr. 1; Ludovici (Fn. 36), cap. 10 § 8; T. Granz, Defensio inquisitorum, 2. Aufl., Frankfurt-Leipzig 1718, cap. VI membr. I sect. 1; Kress (Fn. 31), Anm. zu Art. 99; Boehmer (Fn. 26), Anm. zu

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bis zur Ablösung des gemeinrechtlichen Inquisitionsverfahrens durch den „reformierten Anklageprozeß“ im 19. Jahrhundert.84 (3) Ausnahmslose und unbezweifelte Vorbedingung jeder Wiederaufnahme einer ohne poena ordinaria abgeschlossenen Spezialinquisition85 waren ebenfalls indicia nova, von den früheren diversi generis. Lediglich deren geforderte Beweiskraft variierte nach der Wirkung vorausgegangener Verfahrensbeendigungen auf die ursprünglichen Verdachtsmomente: galten diese – bei endgültigem Freispruch (infolge vom Angeklagten überstandener Tortur, geleisteten Reinigungseids oder geführten Verteidigungsbeweises) – als getilgt86 bzw. (weil bereits Grundlage einer poena extraordinaria) verbraucht, so war, anders als im Fall ihres Fortbestehens nach absolutio nur ab instantia87, ohne Rückgriff auf sie88 zu würdigen, ob die nova für sich allein den für weiteren prozessualen Zwang vorausgesetzten Verdachtsgrad tragen und eine exceptio rei „iudicatae“ ausräumen konnten. Der „aus der Natur der richterlichen Gewalt“ folgende Grundsatz: diese „befaßt sich nur einmal mit derselben Sache“89, Art. 99; J. Ch. Quistorp/Ch. Ross, Grundsätze des teutschen Peinlichen Rechtes, Bd. 3, 1. Abt., 6. Aufl., Leipzig-Rostock-Schwerin 1821, §§ 775, 776; Quistorp, Rechtliches Erachten, Wie in Ermangelung eines vollständigen Beweises, wider einen Angeschuldigten, bey vorhandenen genügsamen Verdacht zu verfahren sey, besonders an denjenigen Oertern, wo die Tortur abgeschaffet worden?, Rostock 1774. – Ablehnend z. B. Oldekop (Fn. 10), tit. II obs. VIII n. 10 – 14; Matthaeus (Fn. 62), lib.48 tit. 16 cap. 4 n. 16 – 18; ferner Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 7 f., 10 f., der für diesen Fall definitiven Freispruch verordnete, hiergegen die Wiederaufnahme jedoch in weitem Umfang zuließ (dazu im einzelnen Elben [Fn. 78], S. 29 – 33; J. M. Allmann, Außerordentliche Strafe und Instanzentbindung im Inquisitionsprozesse nach den wichtigsten Quellen bearbeitet, Diss. München 1903, S. 42 – 44), so daß dieses Ergebnis der Wirkung einer Lossprechung nur von der Instanz nahekam (zutr. Allmann, a.a.O.). 83 Beispiele: Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. 10 § 9; Österr. Gesetzbuch über Verbrechen und schwere Polizeiübertretungen von 1803, Teil I § 428, Teil II § 386; Bayer. StGB von 1813, Teil II Art. 356, 390 – 395. 84 Dazu Elben (Fn. 78), S. 44 und Allmann (Fn. 82), S. 77 f. 85 Vgl. unten III. 1. b). 86 Bossius (Fn. 52), tit. De Confessiis n. 28; Clarus (Fn. 22), qu. 64 n. 38; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. I qu. 4. n. 26, qu. 64 n. 38; Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 77 f., qu. 125 n. 3 und 7 ff.; Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 tit. 16 cap. 4 n. 16 ff.; Boehmer (Fn. 26), Art. 99 § 1 und (Fn. 10), obs. IV ad qu. 125: „perpetuae veritatis regula sit, exceptionem rei iudicatae cessare, quoties ex diversa prorsus causa bis olim decisa denuo agitatur“; Granz (Fn. 82), cap. VI membr. I sect. 1 n. 30. – So für den Fall des nicht verweigerten Reinigungseides auch Tit. 4 §6 des Reichsabschieds von 1512 (zit. bei Zachariae [Fn. 28], S. 243); übereinstimmend ReichskammerGO von 1555, Teil II Tit. X § 1; Granz a.a.O. n. 26; Tittmann (Fn. 69), § 864; v. Grolman (Fn. 28), § 505; Bauer (Fn. 65), S. 321; Feuerbach/Mittermaier (Fn. 65), § 599. 87 Nach Lossprechung nur von der Instanz waren die früheren Anzeigen mit den später aufgefundenen gemeinsam in eine Gesamtwürdigung einzubeziehen, ob sie nunmehr „sufficienta“ waren (Carpzov [Fn. 10], qu. 125 n. 4; Clarus [Fn. 22], qu. 57 n. 2 f., qu. 62 n. 2; Brunnemann [Fn. 50], cap. IX n. 1; Boehmer [Fn. 86]; Kreittmayr [Fn. 26], Teil II Cap. 10 § 14 lit. e). 88 Vgl. schon oben II. 2. c) (1) mit Fn. 56 – 57. 89 Planck (Fn. 73), S. 3, 25, 538.

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seit römischem Recht90 „communis doctorum opinio“91 das prozeßrechtliche Verhältnis verschiedener Verfahren zueinander bestimmend, war nicht etwa suspendiert für die absolutio ab instantia: sie entband den Angeklagten eben nur ab observatione iudicii, war also keine definitive Entscheidung über das ihn belastende Tatsachenund Beweismaterial.92

III. In einer zweiten Bedeutung ist „Verhältnismäßigkeit“ zu sehen: als jede Strafverfahrensordnung tragende Abwägung, bis zu welchem Grad allgemein, d. h. unter welchen generellen Voraussetzungen, die Verfolgung des Prozeßziels („Verwirklichung des materiellen Strafrechts“) nicht übergewichtig (rechtlich) gehindert sein soll durch die (faktische) Möglichkeit in concreto einer Verurteilung auch Unschuldiger und deren Belastung mit prozessualen Zwangseingriffen. Damit ist die Frage nach dem Maß verfahrensrechtlicher Garantien zuverlässiger Wahrheitserforschung – zwecks Verurteilung Schuldiger und Schutzes Unschuldiger93 – gestellt. 1. Die Trajan-Sentenz des römischen Rechts94 : „satius est nocentem absolvere quam innocentem condemnare“, beherrschte unbezweifelt den gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß95; er wurde ihr in seiner Ausgestaltung weitestgehend gerecht. 90 Zu den wenigen Ausnahmen vgl. Planck (Fn. 73), S. 28; C. Remeis, Die Wiederaufnahme im Strafverfahren, Erlangen 1864, S. 16. 91 Clarus (Fn. 22), qu. 57. 92 Zu den verschiedenen Auffassungen über die Rechtsnatur der Instanzentbindung – Endoder Zwischenurteil - im einzelnen Elben (Fn. 78), S. 45 – 47. 93 Vgl. Art. 13 CCB; Carpzov (Fn. 16), Prolog S. 3 und (Fn. 10), qu. 124 n. 60 (es sei Aufgabe des Richters, „ne innocentem opprimat vel nocentem dimittat“); Clasen (Fn. 10), Art. 47 Anm. I 3 e; v. Grolman (Fn. 28), S. 442; J. Fr. Ranfft, Über den Beweis in peinlichen Sachen nach positiven Gesetzen und philosophischen Grundsätzen, Freyberg 1801, S. 1 f.; Dabelow, Lehrbuch des deutschen gemeinen peinlichen Rechts, Halle 1807, § 339; schon Thomas von Aquino, Summa theologica (1266 – 1272), II 2, qu. 64 Art. 6: „nullo modo licet occidere innocentem“. 94 D. 48, 19, 5 (Ulpian): „sed nec de auspicionibus debere aliquem damnari Traianus Adsidio Severo rescripsit: satius enim esse impunitum relinqui facinus nocentis quam innocentem damnari“. 95 J. Ayrer, Tractatio Methodica … de triplici Genere Homicidorum, Frankfurt 1604, S. 263; A. Gaill, Practicarum observationum, tam ad processum judiciarum …, libri duo, Köln 1697, lib. II obs. 110 n. 1 und 2; Lud. Gilhausen, Arbor Judiciaria Civilis et Criminalis, Frankfurt 1622, cap. II tit. III n. 21; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 tit. VI Nr. 3; Perneder (Fn. 11), tit. IV Art. VI, tit. III Art. XV; Zanger (Fn. 24), cap. V n. 17; Gandinus (Fn. 10), rub. De presumptionibus et indiciis indubitatis …, § 1; G. Durantis, Speculum juris, Frankfurt 1592, pars I part. IV § 8; Hippolyt de Marsiliis (Fn. 51), § Occurunt, fol. 142; Damhouder (Fn. 51), cap. 55 n. 5; P. Theodoricus, Criminale collegium, Jenae 1618, disp. VIII th. V lit. a, disp. XI th. VI lit. b; J. Fichard, Consilia, Frankfurt 1590, Teil II cons. CI sub 5 f; Klagspiegel (Fn. 10), fol. 134; Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 tit. XVI cap. IV n. 17, cap. V, Prol. cap. II; C. Manzius, Commentarius Rationalis in Criminalem Sanctionem Carolinam, Frankfurt/Oder 1676, Art. XLVII n. 3; Brunnemann (Fn. 24), cap. X § XVI; Oldekop (Fn. 10),

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a) Willküreindämmend gebunden waren Richter an Verfahrensregeln („schützende Formen“). Solche Grenzen obrigkeitlicher Machtausübung fixieren zugleich rechtsinhaltlich den Stellenwert des (einer Straftat verdächtigen) einzelnen im Gemeinschaftsganzen.96 Spätestens mit der Rezeption des römisch-italienischen Rechts97 war richterliches Handeln – nach Johann von Schwarzenberg – „auß lieb der gerechtigkeyt, vnd umb gemeynes nutz willen“ (Art. 125 CCB, 104 CCC) unverzichtbar gefordert. Formuliert aus humanitär-religiöser Grundhaltung heraus in rechtspolitischem Streben, zuvor weitgehend regellos geübte Strafrechtspflege98 in einer nach damaligen Maßstäben erträglichen Weise zu begrenzen sowie Auswüchse und Mißstände auszurotten99, sollte jener Zweck gewährleistet sein vornehmlich durch Formalisierung des gerichtlichen Verfahrens100 : (Neu-)Organisation des Getit. IV obs. I n. 4, obs. VI n. 5, obs. VII n. 4; Carrach (Fn. 50), cap. I § 8; Ranfft (Fn. 93), S. 296. 96 Denn Formalismus ist „keine specifisch rechtliche, sondern eine allgemein culturhistorische Erscheinung …, die innerhalb des Rechts nur einen ungewöhnlich günstigen Boden vorfindet, nur eine besonders gesteigerte Wirksamkeit entfaltet“ (R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, 2. Theil, 2. Abt., 5. Aufl., Leipzig 1898, S. 505). 97 Gegen die Auffassung, der Inquisitionsprozeß habe in Deutschland sich eigenständig ausgebildet, weist Trusen (Fn. 8) zutreffend auf seine Wurzeln im römischen (Folter!) und kanonischen Recht hin. 98 Zu den um 1500 beim Reichskammergericht eingelaufenen Beschwerden über entartete, von einseitig polizeilichem Zweckdenken – deshalb auch die Ablehnung des Wormser Entwurfs einer CCC von 1521 durch die Reichsstädte auf dem Esslinger Städtetag 1522 (dazu C. Güterbock, Die Entstehungsgeschichte der Carolina, Würzburg 1876, S. 180 ff.; Eb. Schmidt, Strafrechtspflege und Rezeption, in: ZStW 62 [1944], S. 260 f.) – geleitete Strafverfolgungstätigkeit vgl. Eb. Schmidt, a.a.O. S. 257. § 17 des Reichsabschieds zu Worms 1521 (in: Reichsabschiede. Neue und vollständige Sammlung, Frankfurt 1747) beklagt, daß „biss anher grosse Unordnung … an den peinlichen Gerichten geübt und gebraucht, dadurch die Unterthanen des Reichs in viel Weg beschwert und belästiget, auch etwann viel unschuldiglich gepeiniget und vom Leben zum Tod gerichtet werden “. 99 Eb. Schmidt (Fn. 13), S. 76 f. Vgl. auch aus der „Vorrede des peinlichen halsgerichts“ zur CCC: da die Gerichte „an viel orten offter mals wider recht vnd gute vernunfft gehandelt vnnd entweder die vnschuldigen gepeinigt und getödt, oder aber die schuldiger, durch unordentliche geuerliche vnd verlengerliche handlung den peinlichen klegern, vnd gemeynem nutz zu grossem nachtheyl gefristet, weggeschoben vnd erledigt werden“, sei nunmehr kodifiziert worden, „wie vnd welcher gestalt inn peinlichen sachen, vnd rechtfertigungen, dem rechten vnd billicheyt am gemeßten gehandelt werden mag …“. 100 Unter ständiger Erinnerung des Richters daran, was auf dem Spiel stand: „Inn dem allem eyn jede oberkeyt möglichen fleiß anwenden soll, damit die peinlichen gericht zum besten verordnet, vnd niemandt vnrecht geschehen alßdann zu diser grossen sachen, welche des menschen ehr, leib, leben vnd gut belangen sein, dapffer vnd wol bedachter fleiß, gehörig …“ (Art. 1 CCC); es gezieme dem Richter nicht, „tumultuarie und superficialiter … zu verfahren … / Sondern es wird zu diesem schweren und gefahrlichen Werck da nicht allein des inquisiti ehr und guter Name / besondern auch sein Leib und Leben periclitiret, eine gute Bescheidenheit und sonderbare Behutsamkeit erfordert / damit nicht an einem Theil mit Hindansetzung der Rechten und üblicher observantz hinläßig und nulliter procediret, anders Theils aber unbescholdene ehrliche Leute unverschuldeter weise in Schimpff gesetzet / … werde“ (Carpzov [Fn. 16], Vorrede S. 3; vgl. auch Carpzovs – [Fn. 10], qu. 113 n. 21 – Mahnung an den Inquirenten zu sorgfältiger, verantwortungsbewußter Wahrheitserforschung

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richtswesens mit ausführlichen Instruktionen an die Strafrechtspflegeorgane über ihre Pflichten101; Beweisverbote der Carolina102 in bezug auf „vnbekante“, „belonte“ und „falsche“ Zeugen (Art. 63, 64, 68), Zeugen nur vom Hörensagen (Art. 65 S. 2) und kaptiöse oder suggestive Fragen (Art. 56) sowie Regelungen der Art und Weise des Zeugenverhörs (Art. 71)103 und der Beschuldigtenvernehmung (Art. 46, 47)104 ; Trennung des Nachweises von Tat und Täterschaft in Generalund Spezialinquisition zum Schutz des Inquisiten selbst dann, wenn dieser schon in der Generalinquisition geständig war105 ; Einführung des – von CCB und CCC noch nicht rezipierten – „artikulierten Verhörs“ des Beschuldigten in der weiteren Ausbildung des gemeinrechtlichen Strafverfahrens.106 b) Strengste Anforderungen an den Verurteilungsbeweis (probatio plena) stellte die gemeinrechtliche „gesetzliche Beweistheorie“. Im Anschluß an Art. 29 CCB ließ Art. 22 CCC Verurteilung „zu peinlicher straff“ nie auf „eyncherley anzeygung, argwon, warzeichen oder verdacht“, sondern allein auf „eygen bekennen“107 oder mit dem Hinweis, daß es hier nicht um Handel mit Weizen oder Öl, sondern Menschenschicksale gehe); „das mit großem fleyß sol die verhörung geschehen wo man von des menschen heil oder unheil oder schaden verhört und erkennt“ (Klagspiegel [Fn. 10], fol. 120); „strictius enim in eis“ (d. h. in criminali causa) „proceditur, cum circa huminis salutem agatur“ (A. Aretinus, Super Maleficiis, 1535, fol. 138, 2 c). Vgl. ferner § 1 der CrimO vor die Chur- und Neumark Friedrich Wilhelms I. von Preußen vom 8. 7. 1717; Buch VI Tit. II Art. II des Verbesserten Landrechts Preußens von 1721; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. II § 15; Brunnemann (Fn. 24), cap. VIII Nr. 2; Boehmer (Fn. 10), obs. III ad qu. 102 („Quo gravius es poena praejudicium imminet, eo cautius et diligentius inquisitio formanda, eoque minus a regulis ordinariis recedendum“). 101 Art. 3 – 9 CCB, 1 – 5 CCC. Vgl. vor allem den Inhalt der nach Art. 3 – 5 CCC von Richtern, Urteilern und Gerichtsschreibern zu leistenden Eide über gewissenhafte Befolgung der Vorschriften der PGO. 102 Im Anschluß an die CCB und italienische Juristen (dazu Brunnenmeister [Fn. 24], S. 223). 103 Vgl. auch Theresiana (Fn. 14), Art. 33 § 19; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V §§ 15, 16. 104 Dazu auch Theresiana (Fn. 14), Art. 31 §§ 1, 3 – 36; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VII §§ 1 – 13. 105 Carpzov (Fn. 16), Tit. II Art. 1, Tit. VI Art. 1 (dazu Boehm [Fn. 42], S. 335). 106 Einer Konstitution aus dem Jahr 1579 folgend schrieb Carpzov (Fn. 10), qu. 113 n. 11, für die Vernehmung des Inquisiten über zuvor schriftlich zu fixierende Punkte u. a. vor, daß die interrogatio sich auf die rechtlich bedeutsamen, durch Indizien in der Generalinquisition geklärten Tatsachen zu beschränken habe (n. 23 – 24), daß sie für den Angeklagten verständlich sei (n. 32 – 33) und daß jeder Artikel möglichst nur eine Frage enthalten solle (n. 33). Vgl. ferner Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 39 n. 2u. 117; Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 2 – 5; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VII §§ 1 – 4. Ein summarisches Verhör war nur bei leichten Delikten statthaft (Biener [Fn. 66], S. 185; v. Quistorp/Ross [Fn. 82], §§ 665 f.; zu Boehmer vgl. G. Boldt, J. S. F. von Boehmer und die gemeinrechtliche Strafrechtswissenschaft, Berlin und Leipzig 1936, S. 123 Anm. 136). 107 Nach der Theresiana (Fn. 14), mußte die „Bekenntniß, die ein Inquisit entweder freywillig, oder durch rechtmäßige Tortur gezwungener ableget“ (Art. 32 § 1 S. 2), „wenn selbe

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„beweysung“ – d. h. nach Art. 67 CCC „mit zweyen oder dreien glaubhafftigen guten zeugen, die von eynem waren wissen sagen“108 – hin zu. -„Vnzwyfelhaftige Vermutungen vnd anzeigen daruft geurteilt mag werden“ hatte schon die Wormser Reformation (1498), dem rezipierten italienischen Recht folgend, in einem Geständnis (entweder freiwillig abgelegt oder als unwiderrufene Urgicht) oder in den Aussagen zweier tüchtiger und vereidigter Zeugen gesehen.109 Als letzte große Kodifikation gemeinrechtlicher Inquisitionsverfahren110 ließ noch die Theresiana (1769) es bei dem „bishero üblich gewesten Grundsatz fernershin bewenden, daß nämlich in peinlichen Fällen, die an Leib und Leben gehen, oder eine dem Tod gleichende Bestraffung nach sich ziehen, Niemand aus alleinigen Vermuthungen, sie seyen so stark, und hefftig, als sie immer wollen, zum Tod, oder einer dem Tod gleich zu achtenden Straffe verurtheilt werden könne“ (Art. 34 § 2).111 Ausnahmsweise eine Verurteilung – allerdings nur zu einer (milderen) poena extraordinaria112 oder civilis (Geldstrafe) schon auf Grund von indicia indubitata oder einer probatio semiplena113 gestatteten nach italienischem Vorbild114 die spätere Theorie und Praxis115 hauptsächlich bei delicta wider den Bekennenden einen vollständigen Beweis ausmachen solle, … klar, deutlich; … umständlich; … gründlich; … gerichtlich; und … beständig seyn“ (Art. 32 § 2). 108 Vgl. schon Art. 75 – 77, 78 CCB. Auch die Theresiana (Fn. 14), ließ einen Zeugen allein selbst dann nicht ausreichen, „wenn er auch sonst von größtem Ansehen wäre“ (Art. 33 § 3 S. 2), und sie forderte „zum vollständigen Beweis der Missethat … insgemein zwey zeugen“ (a.a.O.); diese mußten „aber tauglich, und untadelhaft seyn …“ (Art. 33 § 3). 109 Buch 6 Teil 2 Tit. 10 (vgl. Brunnenmeister [Fn. 24], S. 105). 110 Die LGO Österr. u. d. Enns (Fn. 62), bestimmte in Teil I Art. 42 § 6, daß „weder auß Vermuettungen, sie seyen so stark als sie wollen, weder auß Indizien oder unvollkommener Prob kan auch in haimblichen Lastern kein Mensch verurteilt werden“. Ebenso Buch VI Tit. III Art. III § IV des Verbesserten Landrechts Preußens (Fn. 71), von 1721 (aus „bloßer Anzeigung, Argwohn, Vermutung oder Verdacht soll Niemand zu peinlicher Strafe verurtheilt werden …“) und Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V §§ 1, 18, 21 sowie Cap. X § 11 (die „ordinari-Straf“ erfordert „vollständig sonnenklaren Beweis“, der nur durch Geständnis oder völlige Überweisung führbar war). Aus der gemeinrechtlichen Literatur exemplarisch Carpzov (Fn. 10), qu. 114 Einl. und n. 1; Boehmer (Fn. 10), obs. I ad qu. 114 und (Fn. 26), Art. 22 § 2; Clasen (Fn. 10), Anm. zu Art. 22; Brunnemann (Fn. 32), cap. VIII membr. II n. 1. 111 Ergänzend Theresiana (Fn. 14), Art. 32 § 1 (vgl. auch Art. 39 § 10): „Niemand, der nicht entweder einer Uebelthat selbst geständig oder derselben überwiesen ist, kann mit der auf die That aufgesetzt-ordentlichen Straffe beleget werden”. Andernfalls war gem. Art. 34 § 17, je nach Verdachtsgrad, der Angeklagte „des Arrestes einstweilig zu entlassen“, ihm „der Reinigungseid aufzutragen“, er mit der „scharffen frage … zu belegen“ oder es war „zu einer willkührlichen Bestrafung fürzuschreiten“. 112 Vgl. bereits oben II. 2. c) (2) mit Fn. 69 – 72. 113 Art. 23, 30 S. 1 CCC: „mit eynem guten Zeugen“. Vgl. ferner Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 51 – 57 („Reus de crimine leviori inculpatus et praesumtionibus violentis ac semiplena probatione gravatus …“); Theresiana (Fn. 14), Art. 34 § 11 („ein halber Beweis oder sehr starke Anzeigungen … “); Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V § 8. 114 Hippolyt de Marsiliis (Fn. 51), § Diligenter Nr. 13, § Quoniam Nr. 33; Bossius (Fn. 52), tit. De Convictis, n. 26 f., 34 f., 45; Clarus (Fn. 22), lib. VI qu. 63 n. 2 f.; Farinacius (Fn. 27), qu. 86 n. 18 f., 62, 78, 110, 113 und (Fn. 50), lib. I tit. V qu. 36 n. 35; weitere Nachw. bei Kohler (Fn. 57), S. 71.

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levia.116 Das Prinzip hat Boehmer formuliert: „quo gravior imminet poena, eo fortior probatio requirenda sit.“117 Wiederum „quia in criminalibus, dum de hominis salute tractatur“118, mußten mit dem Ziel auch möglichster Verschonung Unschuldiger bereits mit den Belastungen gerichtlicher Zwangsakte wie Spezialinquisition, Haft, Folter – als deren notwendige Voraussetzungen und dem heutigen Begriff der „Überzeugung“ nach § 261 StPO119 durchweg genügend120 die Tatindizien „luce meridiana clariora“121 sein, „ut nihil 115

Carpzov (Fn. 10), qu. 116 n. 51 – 57 und (Fn. 16), Tit. VII Art. II Nr. V unter Berufung u. a. auf Hippolyt de Marsiliis, Farinacius und Menochius; Berlich (Fn. 19), pars I concl. 36 n. 9 f., 12 (beim delictum furti); Brunnemann (Fn. 24), cap. IX Nr. 5; Verbessertes Landrecht Preußens von 1721 (Fn. 71), Buch VI Tit. III Art. XII § I; Theresiana (Fn. 14), Art. 34 § 2 (Art. 34 § 3 überließ es hier „dem vernünftigen Ermessen der Halsgerichte . .. ob die Umstände, und Anzeigungen so unzweiflich, unfehlbar, und überweislich seyen“, daß bei „keine Todes- oder schwere Leibsstraffe auf sich tragenden Verbrechen“ die „ordentliche Straffe mit standhaften Grund verhänget werden könne“; Art. 39 § 10 spricht hierzu von „gar heftigen und überweislichen Anzeigungen“; Art. 34 § 5 läßt in diesen Fällen eine Verurteilung auch allein auf Grund eines Beweises durch „Schriften“ zu). Der Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), erlaubte als poena extraordinaria jede Strafart mit Aufnahme der Todesstrafe bei indicia proxima (Teil II Cap. 4 §§ 2 – 5, 7, 9; Cap. 5 §§ 1, 18) oder beim Zusammentreffen mehrerer indicia remota (Teil I Cap. 12 § 11). – Ablehnend z. B. J. Oldekop, Contra Dn. Benedictum Carpzovium IC. Tractatus Duo, Bremen 1664, Nrn. 9 – 17 (mit Hinweis in Nr. 15, daß die qualitas delicti wohl die Strafe, nicht aber die probatio mildern könne). Damhouder (Fn. 51) erwähnt die außerordentliche Strafe nicht: fehlt ein Vollbeweis, so ist bei praesumtiones violentae et validae oder bei indicia indubitata die Tortur anzuordnen (Cap. X Nr. 16; Cap. XXXVI Nrn. 11, 14; Cap. LIX Nrn. 4 – 6). Gegen außerordentliche Strafen, weil – ungeachtet Art. 22 CCC – auf poena ordinaria bereits bei indicia indubitata erkennend, auch Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 Tit. XV cap. I N. 3 und 5, cap. VI n. 1 (vgl. n. 4: „Crimen probatum est argumentis, aut non est. Si probatum est, nulla causa est, cur ordinaria poena infligi non debeat. Si probatum non est, nullus puniendi relinquitur, sed aut in reum amplius inquirendum, aut sententia iudicis absolvendus est“). 116 Dazu Fn. 49. 117 (Fn. 26), Art. 22 § V (ähnlich [Fn. 18] sect. I cap. XI § CXC); ihm folgend Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. V § 8. 118 Gandinus (Fn. 10), rub. Qui ad probationem fame possint et debeant de iure admitti, § 2 (wo er fortfährt: „debent probationes esse lucide et aperte“). 119 Verf., Prozessuale Wahrheit und Revision, in: FS G. Spendel, 1992, S. 687, 703 ff. 120 Vgl. auch G. Radbruch, Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), hrsg. und erläutert, Stuttgart 1967 (Reclam-Ausgabe), S. 17 f. 121 So – im Anschluß an L. 25 Cod. de probat. – die Postglossatoren Bartolus und Baldus (zit. bei J. Ph. Lévy, La hiérarchie des preuves dans le droit savant du moyen-âge depuis la Renaissance du Droit Romain jusqu’à la fin du XlVe siècle, in: Annales de l’université de Lyon, 3. série, Paris 1939, S. 5 ff., S. 145 Anm. 42; Baldus auch bei Kohler [Fn. 57], S. 71). Ferner: Perneder (Fn. 11), S. V; Gobler (Fn. 51), Teil VIII S. CLXX; Gaill (Fn. 95), obs. CIX; Gandinus (Fn. 10), rub. De praesumptionibus et indiciis indubitatis …, § 1; Damhouder (Fn. 51), Cap. X Nr. 15, Cap. LI III Nr. 5; Clasen (Fn. 22), Anm. zu Art. LXII; Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 tit. XV cap. VI n. 2; Oldekop (Fn. 24), S. 357 und (Fn. 10), tit. IV obs. I n. 3, 13, 14; Carpzov (Fn. 10), qu. 120 n. 13; Boehmer (Fn. 26), Art. 22 § 4 und (Fn. 18), sect. I cap. XI §§ CLXXXIX, CXC und CXCVI; Manzius (Fn. 95), Art. XXII n. 2; Carrach (Fn. 50), S. 252; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V § 1.

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aliud deesse videatur quam Rei confessio“122. Die Tortur – ein „rechtliches Zwangsmittel, um einen läugnenden Uebelthäter, welcher der verübten That123 halber stark beschweret ist, in Abgang eines vollständigen Beweises zur Bekanntniß zu bringen, oder andernfalls denselben von dem ihme zur Last fallenden Verdacht, und Innzüchten zu reinigen“124 – erfolgte erst nach „redlich anzeigung“ (Art. 13 CCB; Art. 6, 20 CCC)125 des „corpus delicti“126, d. h. nach der Carolina „bewisen“ mit „zweyen guten zeugen“ (Art. 23) oder einem Tatzeugen (Art. 30). Hierzu war ein höherer Ver-

122 Carpzov (Fn. 10), qu. 120 n. 12, ähnlich qu. 108 n. 17 (wie eine Ulpian-Stelle in D. 48,18,1,1); Gandinus (Fn. 10), rub. Dr quaestionibus et tormentis, § 3: „… quod sola quasi torquendi confessio deesse videatur …“ Brunnemann (Fn. 24), cap. X § II; Manzius (Fn. 95), Art. XX n. 4 (mit Hinw. auf Farinacius u. Zanger); Scopp (Fn. 24), Cap. V § 3; Engelhard (Fn. 10), § 452; Meckbach (Fn. 32), Anm. zu Art. XLV. 123 Diese (das „corpus delicti“) mußte feststehen (Art. 6, CCC; Carpzov [Fn. 10], qu. 139 n. 54 f.; Clasen [Fn. 10], Anm. zu Art. 145; Theresiana [Fn. 14], Art. 25 § 10, Art. 38 § 3 Abs. 2; Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. III § 1, Cap. VI § 3, Cap. VIII §§ 7, 24). Vgl. bereits D. 29, 5, 1, 24. 124 Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 1; ähnlich Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 1; vgl. auch Fn. 26. 125 So auch LGO Österr. u, d. Enns (Fn. 62), Art. 33 § 1; Verbessertes Landrecht Preußens von 1721 (Fn. 71), Buch VI Tit. III Art III § IV („wo die Anzeigung bewiesen und genugsam ist“); Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII §§ 7, 24; Theresiana (Fn. 14), Art. 27 § 1, Art. 29 § 1 („rechtmäßige Innzüchten, oder Anzeigungen“), Art. 38 § 3 Abs. 3 („genügsame Ursachen und Anzeigungen“) und Art. 27 § 2 („Rechtmäßige Anzeigungen sind lauter solche Umstände, welche zwischen der begangenen That, und dem Thäter einen schicksamen Zusammenhang haben, also daß hieraus ein vernünftiger Argwohn, und Vermuthung entspringet, kraft dero man einen wahrscheinlichen, und bisweilen ganz bündigen Schluß auf eine gewisse Person, als den Uebelthäter machen könne“). Zu den ähnlich strengen Anforderungen der Wormser Reformation und des Klagspiegels (Fn. 10) siehe Brunnenmeister (Fn. 24), S. 112 – 114,165 f. – Bereits Gandinus (Fn. 10), rub. De praesumptionibus et indiciis dubitatis, quibus proceditur ad tormenta (im Anschluß an das römische Recht), wonach die Beweise „verisimiles et probabiles“ (C. 9, 41, 3 und 9, 41, 8, 1) sein mußten (rub. De questionibus et tormentis § 13: „indicia sufficienta et verisimilia“). Ferner Carpzov (Fn. 10), qu. 123 n. 51 ff., 55 ff.; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 7 Nr. 1; Oldekop (Fn. 10), Tit. IV obs. I; Clasen (Fn. 10), Art. 20 Nr. I („urgentia indicia“); Gobler (Fn. 51), fol. CLX-XI; B. Zieritz, Ad Inuictissimi Imperii Constutionem Criminalem Notae et Observationes Nomicopoliticae, Francofurti 1625, cap. XX; Gmelin (Fn. 51), § 255 sub II. 126 Weil dieses „gleichsam der Haupt-Grundstein ist, worauf die ganze peinliche Inquisition beruhet, und ohne welche auch weder eine freywillige Bekanntnuß noch Ueberweisung zur Todes-Straff erklecklich seyn mag“ (Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. III § 1). Vgl. bereits Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 7: es sei eine „Rechts Regel / wann gleich jemandt böses lebens halber in verdacht / er doch weder gefenklich angenommen / vil weniger Peinlich gefragt werden soll / es sey dann sach /daß warhafftig ein Vbelthat fürüber gangen sey / welches man zu latein corpus delicti nennt“). – Da in criminibus occultis et facti transeuntis ein solcher Beweis in der Regel nicht zu führen war, ließ Carpzov (Fn. 10), qu. 119 n. 63, hier die Feststellung des corpus delicti „ex certis atque indubitatis indiciis et praesumptionibus“ ausreichen.

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dachtsgrad gefordert127 als für die Anzeigen zur Einleitung der inquisitio specialis128, die in der Regel auch die Kaptur rechtfertigten.129 c) Den Schutz Unschuldiger garantierten ferner Begünstigungen des Inculpanten bei verbliebenen Zweifeln tatsächlicher (bei der Sachverhaltsfeststellung) oder rechtlicher (bei der Gesetzesauslegung) Art: „in dubio semper in mitiorem partem sit praesumendum“130 ; denn es ist „in dieser gefährlichen Sache … in zweiffelhafften Fällen / weit beßer 10. schuldige zu absolviren / als einen unschuldigen zu torquiren / und mit Gewalt zum Bekantniß zuzwingen / und hernach zum Tode zu verurtheilen“131. Jenes im römischen Zivil- und Strafrecht wurzelnde132, auch bei richterlicher Stimmengleichheit133 greifende Prinzip war in seiner Ausformung durch die italie127 Carpzov (Fn. 10), qu. 108 n. 50; Bossius (Fn. 52), tit. De indiciis et considerationibus ante torturam Nrn. 7 und 71, tit. De inquisitione Nr. 61; Boehmer (Fn. 10), obs. IV ad qu. 108 und (Fn. 26), Art. VI § XI. Nach Art. 27 § 12 der Theresiana (Fn. 14), konnte „zur Richtschnur genommen werden, daß zur blossen Special-Inquisition auch die entferntere, doch redliche Anzeigungen hinreichend; dahin gegen zur gefänglichen Einziehung nahe, und zur scharffen Frage allernächste Anzeigen, und Vermuthungen erforderlich sind“ (vgl. auch Art. 27 § 4: „Je mehr, je natürlicher, je begreiflicher durch solche sich hervorthuende Umstände die Verknüpfung zwischen der That, und dem verdächtigen Thäter sich darstellet, desto wahrscheinlicher, und näher wird der Verdacht, und Vermuthung; dahero auch die Anzeigungen dreyerley sind: nämlich die entferntere, die sehr nahe, auch die allernächste“). 128 Art. 6 CCC; Carpzov (Fn. 10), qu. 108 n. 44 und 46 und (Fn. 16), Tit. III Art. I Nr. 3; Berlich (Fn. 19), pars IV concl. IV n. 15; Brunnemann (Fn. 24), Cap. II Nr. 11, Cap. IV Nrn. 7 ff.; Hupka (Fn. 30), §§ 431, 432. Bereits die Wormser Reformation hatte im Anschluß an das römisch-italieni-sche Recht (z. B. Aretinus, vgl. Brunnenmeister [Fn. 24], S. 104 Anm. 3) verlangt entweder offenbaren oder gemeinen Leumund oder aber strenge Vermutungen bzw. glaubliche Anzeigen (Buch 6 Teil 2 Tit. 1). Der geforderte Verdachtsgrad sollte verhindern, daß „wieder ehrliche / vnbeschuldete Leute / … nicht alsbald mit der Inquisition verfahren werde“ (Carpzov [Fn. 10], qu. 108 n. 46). Ohne „ad inquisitionem erkleckliche“ Indizien war nach dem Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31) auch eine „Haus-Suchung“ unzulässig (Kreittmayr [Fn. 26], Teil II Cap. 3 § 9 lit. a). 129 Dazu Art. 10 CCB; Art. 6, 11, 218 CCC; Carpzov (Fn. 10), qu. 111 n. 3, 6, 16 – 22, 26, 71 und (Fn. 16), Tit. IV Art. II Nr. 1; Brunnemann (Fn. 32), cap. VII membr. I n. 10; Oldekop (Fn. 10), Tit. III obs. I n. 1; Kress (Fn. 31), Art. 218 § 5; Manzius (Fn. 95), Art. VI Nr. 15; Blumlacher (Fn. 32), Art. VI Nr. 2; Zieritz (Fn. 125), Cap. XI; Perneder (Fn. 11), Tit. II Art. 1; Tib. Decianus, Tractatus criminalis, Venetiis 1590, lib. V cap. XXXIII n. 1; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. VII § CXLIII; Carrach (Fn. 50), S. 249 f.; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. IV § 1; Theresiana (Fn. 14), Art. 27 § 1. Die Maximil. HalsgerichtsO für Tirol von 1499 setzte „pöse anzaigen oder vnnzicht“ voraus (Brunnenmeister [Fn. 24], S. 81). 130 Carpzov (Fn. 10), qu. 123 n. 69. 131 Brunnemann (Fn. 24), Cap. X § XVI. In gleichem Sinn schon Hippolyt de Marsiliis (Fn. 51), fol. 86 n. 67: „in dubiis et obscuris et maxime in criminalibus, ubi tractatur de vita hominis, benignior via est amplectanda“. 132 Prozeßrechtlich: D. 50, 17, 56: „Semper in dubiis benigniora praeferenda sunt“; D 50, 17, 125: „Favorabiliores rei potius quam actores habentur“; D. 50, 17, 9: „Semper in obscuris quod minimum est, sequimur“. – Materiellrechtlich: D. 50, 17,155: „In poenalibus causis benignus interpretandum est“; D. 48, 19, 42: „Interpretatione legum poenae molliendae sunt quam asperandae“. 133 D. 42, 1. 38.

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nischen Juristen134 so unbestritten gültige Entscheidungsdirektive im inquisitorischen Verfahren geworden135, daß Friedrich von Spee136 feststellen durfte: „Es lehren alle Theologen und Rechtsgelehrten, man müsse, solange ein Fall noch nicht geklärt ist, die günstigere Lösung annehmen.“ d) Weiteres Mittel zum selben Ziel war der favor defensionis als „Quelle so vieler Ausnahmen …, die bey Defensionen Platz greifen“137: „Notandum autem est quod in favorem defensionis multa admittantur, quae regulis Juris alias contrariari videntur.“138 Für den „Entschuldigungsbeweis“ entfiel die Beweisregel des Art. 22 134 Z. B. Aretinus (Fn. 100), fol. 157, 159; Hippolyt de Marsiliis (Fn. 51), fol. 86 n. 67, fol. 142; Farinacius (Fn. 27), lib. III tit. VII qu. LXVIII n. 45 („testium dubia verba in benigniorem partem interpretanda sunt“), vgl. auch qu. LXV n. 73; J. Menochius (Fn. 57), lib. I qu. 85 n. 4; ders., De Praesumptionibus, Genevae 1686, lib. V praes. 49 n. 2 („Caterum in dubio partem mitiorem debet sequi“); Gandinus (Fn. 10), rub. De Praesumptionibus et indiciis indubitatis, ex quibus condemnatio potest sequi, § 1 („Et in talibus dubiis et incertis probationibus melius est facinus impunitum relinqui nocentis, quam innocentem damnare … et quia in dubiis pene sunt potius molliende, quam exasperande …“), und rub. De penis reorum in genere …, § 51. 135 Vgl. ferner Boehmer (Fn. 26), Art. 28 § 1; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 6 Nr. 3; Damhouder (Fn. 51), Cap. LIIII Nr. 13 („Im zweivel sollen die straffe ehe gelindert / denn geschärfft werden“); Blumlacher (Fn. 32), Anm. zu Art. 28 („Wenn aber theyls anzeigungen für den Gefangenen und theyls wider denselben seyen, so muß man in dubio den milderen Weg ergreifen und die Tortur unterlassen “); J. Harpprecht, Tractatus Criminalis, Frankfurt 1603, S. 411 Nr. 108 („Si vero ex circumstatiis innocentiae quaedam praesumptio extet, vel indicia nonnulla pro Reo, nonnulla contra eundem extet, in mitiorem absolutionis partem inclinandum … “; Zanger (Fn. 24), Cap. II n. 177 („In dubio enim semper in mitiorem partem praesumere debemus“); Perneder (Fn. 11), Tit. III Art. X („Wann etliche Vermutung für / vnnd etliche wider den Gefangenen seyn / soll im Zweyffel allweg das wenigest an die Hand genommen / vnnd die gütigere Meynung für den armen Gefangenen mehr / dann die Schärpffe angesehen werden“; ferner Art. XV: „So lang im Zweyffel stehet / ob der Beklagte der angegebenen That schuldig oder nicht schuldig sey / so ist die Vermutung allwegen für den Beklagten / also daß der Richter in solchem Zweyffel allwegen geneygter seyn soll / den Beklagten zu absoluieren / dann zu condemnieren“); U. Tengler, Layen Spiegel, Augsburg 1509, fol. 82 (es seien „zweyfflich sachen in den besten theyl zuverstehen“); Klagspiegel (Fn. 10), fol. 135 („Ist aber der selb statut durch gewohnheit in ein gewissen Weg oder Form nit verstanden / so sol es interpretiert werden in den güttigen und sänfftigen weg und theil“); Fichard (Fn. 95), conc. CIIII Nr. 16 („deß der Richter sonderlichen in solchen hochwichtigen Sachen in zweiffei allwegen mehr zu der Miltigkeit dann zu der Schärpffe und Strengkeit sol geneigt sein“, „dieweil die Recht mehr zu der erledigung dann der Verdammung geneigt seind“). – Art. 38 § 8 der Theresiana (Fn. 14) untersagte die – nur bei Verfolgung mit Todesstrafe bedrohter Verbrechen zugelassene – Folter und erlaubte statt dessen nur die Territion in Fällen, „wo Zweifel vorfällt: ob das Verbrechen eine Todes- oder geringere Straffe nach sich ziehen dürffte“ (ebenso Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. VIII § 6). 136 Cautio criminalis oder rechtliches Bedenken wegen der Hexenprozesse. Deutsche Ausgabe der Editio Secunda, Francofurti 1632, von J.-F. Ritter, Weimar 1939, S. 74. 137 G. A. Kleinschrod, Über Suggestionen im peinlichen Processe, in: Abhandlungen aus dem peinlichen Rechte und peinlichen Processe, Bd. I, 1. Theil, Erlangen 1797, S. 61 ff., 94. Einschränkend Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V § 20 Nr. 6. 138 Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 75. Auch Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 tit. XV cap. VII n. 3; Manzius (Fn. 95), Art. XLVII n. 7 („Ratio: quia defensio est valde favorabilis“) u. 46 („Ratio

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CCC, für ihn reichte eine probatio semiplena (z. B. unus testis, indicia, praesumtiones) aus139, ja er durfte, gemäß der „Ratio: … quia Innocentia adeo favorabilis“140, geführt werden sogar mit – im übrigen ausgeschlossenen – testes inhabiles141. Bei unklärbar widersprüchlichen Aussagen war den Entlastungszeugen zu folgen.142 Der Richter hatte nach Art. 47 CCC den Beschuldigten ex officio ins Bild zu setzen über Möglichkeiten, den „Unschuldsbeweis“ zu erbringen.143 Schließlich war der dem Inquisiten obliegende Nachweis einer Notwehreinrede (Art. 141 CCC) favorisiert durch gesetzliche Vermutungen von Notwehrlagen (Art. 143 CCC). e) Dem Angeklagten wurde in allen Prozeßlagen gegen ihn beschwerende Gerichtsakte – wie Spezialinquisition, Haft (Art. 155 CCC), Territion, Folter (Art. 47 CCC), Gegenüberstellung, Reinigungseid, Verurteilung – eine Verteidigung (defensio) eingeräumt144, selbst bei offenkundiger145, handhafter146 oder zugestandener147 Tat. nulla est alia, nisi favor defensionis & innocentiae, ne quisdam innocens & indefensus condemnetur“); v. Quistorp (Fn. 82), S. 6; Zieritz (Fn. 125), Cap. XLVII („Est enim defensio faurabilior quam offensio“); bereits D. 50, 17, 125: „Favorabiliores rei potius quam actores habentur“ (hierzu auch W. Danz, Grundsätze der summarischen Prozesse, Stuttgart 1798, S. 279; E. F. Klein, Grundsätze des gemeinen deutschen und preussischen peinlichen Rechts, Halle 1796, S. 74). 139 Vgl. z. B. Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 75; Theodoricus (Fn. 95), disp. 11 thes. 6 lit. C; Boehmer (Fn. 26), Art. 47 § VII. Dazu auch Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. 5 §9 lit. b mit w. Nachw.; Zachariae (Fn. 28), S. 187 f.; Feuerbach/Mittermaier (Fn. 65), S. 817; v. Quistorp (Fn. 82), S. 6. 140 Manzius (Fn. 95), Art. XLVII n. 8. 141 Clarus (Fn. 22), qu. XXIV n. 129; Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 tit. XV cap. VII n. 3; Carpzov (Fn. 10), qu. 114 n. 43, qu. 113 n. 10, 77 und 78 sowie (Fn. 16), Tit. VIII Art. I; Berlich (Fn. 19), pars IV concl. XII n. 44; Clasen (Fn. 10), Anm. zu Art. 66; A. Leyser, Meditationes ad Pandectas, Editio Tertia, Lipsiae et Guelpherbyti, Vol. IV (1743) spec. CCLXXIII Nr. XXX, Vol. VIII (1746) spec. DLXII Nrn. XXIII, XXIV; Hupka (Fn. 30), § 585; Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. 5 § 20 lit. m; Theresiana (Fn. 14), Art. 33 § 7 Abs. 3. Ebenso das römische Recht (vgl. Vargha [Fn. 4], S. 58; A. Wach, Das Recht der Zeugnisverweigerung, GS 66 [1905], S. 1 ff., 3). 142 Blumlacher (Fn. 32), Anm. zu Art. 28; Boehmer (Fn. 26), Art. 47 § 7 und Art. 74 § 1, sowie (Fn. 10), pars III obs. VII ad qu. 115 n. 78 und obs. IV ad qu. 123 n. 69. 143 Manzius (Fn. 95), Art. XLVII n. 3 („Ratio: cum itaque satius fit impunitum relinqui facinus, quam innocentem damnare“). Vgl. auch Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 3l), Teil II Cap. V § 20 (ähnlich Cap. VII § 9): „Damit … der Inquisit … an seiner Defension nicht verkürzet werde, so soll der Richter die Stell des Advocatens selbst ex officio vertreten, und all Jenes, was ihm von Rechts wegen zu Guten kommen mag, genau beobachten“. Um den „Unschuldsbeweis“ zu fördern, waren dem Richter dabei – nach Art. 56 CCC zum Nachteil des Angeklagten verbotene (vgl. schon D., 48,18,1, 21) – „Suggestionen gewissermassen zur Pflicht gemacht“ (Vargha [Fn. 4], S. 177; dazu auch Kleinschrod [Fn. 137], S. 93 f.). 144 Etwa Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 21 und 35 – 38 sowie (Fn. 16), Tit. VIII Art. 2 Nr. 2; J. Otto, Corpus Juris Criminalis Caroli V. Imperatoris oder Peinliche Halß-Gerichts-Ordnung Kayser Carls des Fünfften, Ulm 1696, Art. 156 lit. g; Brunnemann (Fn. 32), cap. VIII membr. 3 Nr. 17; Clasen (Fn. 10), Anm. zu Art. 74. Der Angeklagte durfte z. B. zur Vermeidung der Spezialinquisition das Fehlen des constare de delicto rügen (Carpzov [Fn. 10],

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(1) Die materielle Verteidigung konnte als im ius naturale148 gegründet, „weder per statutum noch sonst ex plenitudine potestatis benommen werden“149. Denn die im Sinn des christlich geprägten, griechisch-römischen Gedankens einer vernünftigen qu. 115 n. 21 ff. und 32; v. Quistorp/Ross [Fn. 82], § 758) oder zwecks Abwendung der Folter (deren Anordnung nach Art. 28 CCC voraussetzte, „daß die vrsachen des argkwons grösser seind dann die vrsach der entschuldigung“) die gegen ihn vorgebrachten Indizien beanstanden und andere anführen (Carpzov [Fn. 10], qu. 125 n. 61 – 64; Diana [Fn. 44], „Inquisitores“ Nr. XXXVI mit Hinweis auf Farinacius; Kommentierungen zu Art. 47 CCC z. B. bei Kress [Fn. 3], § 2, Clasen [Fn. 10], Anm. I, Manzius [Fn. 95], Nr. 1; Theresiana [Fn. 14], Art. 38 § 6). Wiederholte Defensionen mit neuen Verteidigungsgründen waren statthaft (Carpzov [Fn. 10], qu. 115 n. 35 – 38). 145 Oldekop (Fn. 10), Tit. I obs. X n. 13; Ludovici (Fn. 36), cap. VIII § IV; Brunnemann (Fn. 32), cap. VIII membr. 3 n. 6; Leyser (Fn. 141), vol. VIII spec. DLXII n. X; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XV § CCLXI; Engelhard (Fn. 10), § 467. Zum kanonischen Recht nach dem Decretum Gratiani vgl. H. Rüping, Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs und seine Bedeutung im Strafverfahren, Berlin 1976, S. 19 f. m. w. Nachw. S. 20 Anm. 30 (S. 56 Anm. 185 mit Nachw. auch zu Hippolyt de Marsiliis, Bossius, Gandinus, Clarus und Farinacius). Auch Art. 16 CCC gestattete bei solchen „vnzweiffenlichen mißthaten”, wozu ferner das Betreffen des Täters auf frischer Tat zählte (dazu auch Fn. 146) nicht eine sofortige Verurteilung. Die Zulässigkeit der Verteidigung auch in solchen Fällen begründet Blumlacher (Fn. 32), Art. XLVI, XLVII n. 5:„Nullum enim delictum tam notorium est, quam habere possit suas excusationes, vel occultas circumstantias excusantes“. 146 Blumlacher (wie Fn. 145); Oldekop (Fn. 115), tract. 2 decas 2 qu. 9; w. Nachw. bei Rüping (Fn. 145), S. 58 Anm. 219. Nach Art. 155 CCC (wie Art. 107 CCB) war auch ein in die Acht Erklärter bei Gefangennahme mit seinen Ausführungen zuzulassen. 147 Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 30 u. 31; Leyser (Fn. 141), vol. VIII spec. DLXII n. IX; Boehmer (Fn. 26), Art. 55 § 1 u. (Fn. 18), sect. I cap. XV § CCLXVII; Oldekop (Fn. 10), tit. I obs. X n. 13 u. tit. II obs. XIV n. 18 (ferner wie Fn. 146); Ludovici (Fn. 36), cap. VIII § 5. Der Inquisit durfte zu seiner Verteidigung etwa dartun, daß sein (widerrufenes) Geständnis – auch eine Urgicht, „welches ein uhralt Wort / und eben so viel ist als peinliches Bekantnuß“ (Carpzov [Fn. 16], Tit. X Art. III Nr. I) – auf Irrtum (Art. 57, 91 CCC; vgl. auch Boehmer [Fn. 10], obs. VI ad qu. 126: „defensio pro avertenda ulteriori tortura“) oder unzulässiger Folter (Carpzov [Fn. 10], qu. 126 n. 8 – 11) beruhe (vgl. auch Fn. 58). 148 Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 2: „quanto certius est, defensionem esse juris naturalis, adeo ut ne bestiis quidem, nedum homini, imo nec diabolo auferri debeat“; ähnlich bereits zum kanonischen Recht S. Vantius, Tractatus de nullitatibus processum ac sententiarum, Coloniae Agrippinae 1575, tit. 12 n. 2, 3, 9 und 10 sowie n. 5: „Hoc enim jus naturale postulat, ut quivis Reus audiatur“. Vgl. im Anschluß an Carpzov auch Carrach (Fn. 50), S. 285: es sei ein „Spruchwort: neque diabolus indefensus est relinquendus“ (ähnlich Blumlacher [Fn. 32], Art. XLVI, XLVII Anm. 5; J. H. Rother, Der peinlichen Processe rechtsgelehrte Kunst … nach Kayser Caroli V. peinlicher Hals-Gerichts- … wie auch … neuesten Criminal-Ordnungen, Leipzig 1748, Cap. IX § VIII lit. g). Ferner: Berlich (Fn. 19), pars IV concl. XII n. 7; Theodoricus (Fn. 95), disp. XI thes. 1 lit. A; Clasen (Fn. 10), Anm, ad Art. XLVII sub I 1; Manzius (Fn. 95), Art. 47 Nr. 44 („quia defensio est juris naturalis“); Oldekop (Fn. 10), tit. I obs. 4 n. 11, Tit. IV obs. 2 n. 25; v. Spee (Fn. 136), S. 60, 66. Dazu auch Theresiana (Fn. 14), Art. 36 § 1: „Es erheischet Recht und Billigkeit, daß demjenigen, so einiger Uebelthat halber berüchtiget, oder angegeben wird, und dadurch in die peinliche Untersuchung verfällt, zu seinem Schutz und Schirm all-nöthige Hülff, und Rettungsmittel zu statten konmen“. 149 Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. 5 § 20 lit. a m. Hinw. auf Brunnemann (Fn. 32), cap. 8 membr. 3 n. 2; ebenso bereits Diana (Fn. 44), „Reus“ Nr. XIII.

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Weltordnung150, einer in der Schöpfung wirkenden göttlichen Entelechie151 verstandene lex naturae war vorgeschrieben von einer natürlichen und erarbeitet von der menschlichen Vernunft152, und sie rief dazu auf, „naturam sequi et eius quasi lege vivere“ (Cicero). Als Grundlage und Maßstab, weil auf das Gute und Vollkommene ausgerichtet, mußte sie jede positive Gesetzgebung binden.153 Folglich hatte die defensio den Charakter einer unverzichtbaren Prozeßessentiale.154 – Die formelle Verteidigung, zu der die Carolina schweigt, sie jedoch zuließ155, wurde unter Berufung auf Art. 47 CCC als – selbst gegen den Willen des Beschuldigten – notwendig postuliert.156 Prozessual bewirkte sie z. B. Information des Inculpanten über Verdachtsgründe und Beweismittel157 und Einflußnahme auf die Abfassung der Inquisitionsartikel158 sowie Aussagenverlesung nach dem artikulierten Verhör159, Vorführung von Entlastungszeugen160, Akteneinsichtsrechte des Verteidigers161 und ab150 D. I, 1, 1 (Ulpian): „Ius naturale est, quod natura omnia animalia docuit: nam ius istud non humani generis proprium, sed omnium animalium … commune est; D. 1,1, 11 (Paulus): „Ius pluribus modis dicitur: uno modo, cum id quod semper aequam ac bonum est ius dicitur, ut est ius naturale“. 151 Thomas von Aquino (Fn. 93), I 103, 1; I II 93, 1; vgl. auch II II qu. 57 und 58: Gerechtigkeit bezwecke die Regelung des rechten Verhältnisses des einzelnen oder von Sachen zu anderen Menschen, das sich als „Naturrecht“ aus der gegebenen Ordnung der Dinge selbst erschließe. 152 Dazu auch Fn. 164. 153 Vgl. auch Fn. 148. 154 Leyser (Fn. 141), Vol. VIII spec. DLXII n. VII: „Defensio necessaria et essentialis judici criminalis pars est“. Ähnlich Carpzov (Fn. 10), qu. i 13 n. 1, 2 – 6 (er verglich n. 9 die Bedeutung des Verhörs des „auditum Reum“ mit der „responsio“ und der „litis contestatio“ des Akkusationsprozesses); Dabelow (Fn. 93), § 339. Vgl. auch Vargha (Fn. 4), S. 181. Zur gemeinrechtlichen „Essentialientheorie“ unten III. 2. a) mit Fn. 182 – 191. 155 Zachariae (Fn. 28), S. 170 f. mit Verweis auf Art. 219, 47, 88, 90 CCC. 156 C. J. A. Mittermaier, Anleitung zur Vertheidigungskunst …, 3. Aufl., Landshut 1828, S. 44. Einschränkend allerdings Tit. IV Art. 1 der Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24) und Art. 36 § 10 der Theresiana (Fn. 14): für das „vernünftige Ermessen“ des Richters, ob der Antrag des Angeklagten auf „Zugebung eines Rechtsfreundes zu verwilligen seye, oder nicht“, sei „zur Richtschnur zu nehmen, daß solchem Begehren in klaren offenen Thaten, und überhaupts, wo es auf eine blosse Verzögerung angesehen ist, keinerdings, sondern nur damalen zu willfahren seye, wenn der Inquisit vorgiebt, daß er seine Vertheidigungsbehelffe von selbst fürzuwenden nicht vermöge …“. Der Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31) versagte in Teil II Tit. V § 19 den Verteidigerbeistand gänzlich, gebot aber in § 20, es solle „… der Richter die Stell des Advocatens selbst ex Officio vertretten …“. 157 Dazu Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 99; Brunnemann (Fn. 32), cap. VIII membr. 3 Nr. 18; Blumlacher (Fn. 32), Art. 46 Nr. 3; Otto (Fn. 144), S. 92. 158 Carrach (Fn. 50), S. 272. Zu Brunnemann und Carpzov vgl. Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 2. Aufl., Göttingen 1965, S. 197. 159 Ludovici (Fn. 36), cap. 5 § 20; Carrach (Fn. 50), S. 277. 160 Blumlacher (Fn. 32), Art. 47 Nr. 9. 161 Carpzov (Fn. 10), qu. 115 n. 99 – 105 und (Fn. 16), Tit. VIII Art. III; Boehmer (Fn. 10), obs. 10 ad qu. 115 n. 106.

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schließendes Gehör zum Beweisergebnis,162 Sie förderte nicht nur eine umfassende Sachaufklärung163 und war schon deshalb aus „gesunder Vernunft“164 geboten, sondern trug überdies dem natürlichen Selbsterhaltungstrieb des Beschuldigten Rechnung.165 (2) Enthielt die defensio so, keineswegs nur rudimentär, aus heutiger Sicht der Verteidigung166 Wesentliches (etwa Anwesenheits-, Gehör-, Beweisantrags- und Beschwerderecht, Beistand durch einen Verteidiger), so ersetzte sie weiter als „remedium ulterioris defensionis“ die im Inquisitionsprozeß ausgeschlossene Urteilsappellation. Denn Rechtsmittel waren wegen Uneinigkeit der Reichsstände über sie in die Carolina nicht aufgenommen worden. Die im römischen Recht ratione humanitatis vorgesehene Appellation in Strafsachen167 fand auch zum Reichskammergericht gemäß Reichsabschied von 1530168 als „dem alten hergebrachten Brauch im heiligen Reich zuwider“169 nicht statt; hieraus folgerte die h. M. eine generelle Un162 Mit der Begründung, es könne „ein Missethäter niemalen ungehört verurtheilet werden“, bestimmte Art. 33 § 20 der Theresiana (Fn. 14), daß der Inquisit auch nach geführtem Vollbeweis mit zwei Zeugen „zu seiner Vertheidigung” nochmals zu vernehmen sei. Art. 36 § 7 gestand ihm nach beendeter Inquisition noch drei Tage Bedenkzeit zu, „was er zu seiner Entschuldigung, oder Milderung der Straffe, und überhaupt zu seinem Nutzen, und Behuf annoch weiteres für Rechtsbehelffe anzubringen vermöge“. 163 „Defendere se, vel alium, nihil aliud est, quam allegare causas innocentiae“ (Boehmer [Fn. 18], sect. I cap. XV § CCLX). Dies entspricht dem Aufruf der CCC an den Richter, alles zu tun, was „zu erfindung der warheyt dinstlich ist“ (Art. 8) und sich deshalb von Amts wegen auch um die Verteidigung des – dazu selbst möglicherweise unfähigen – Angeklagten zu kümmern (Art. 47). Auch Gobler (Fn. 51), Teil VII fol. 144b mahnte, „… daß der Richter mit höchstem Fleiß dahin sehen sol, daß er vor allen andern vnschuld beweisen wollen, so lange biß er zu voller vnd vollkommener Wissenschaft vnd erkantnis der Sachen komme“. Ferner Theresiana (Fn. 14), Art. 11 § 1: der Richter habe „zugleich und hauptsächlich auf all dasjenige, was dem Inquisiten zur Entschuldigung oder Milderung der That, und Verringerung der Straff fürtragen kann, fleissig nachzuforschen “; Art. 31 § 21: bei der Vernehmung des Angeklagten habe „der Richter sowohl auf die Ueberweisung der Schuldigen, als auf Rett- und Erledigung der Unschuldigen mit gleichem Eifer fürzusorgen …“ (in gleichem Sinn Art. 36 § 6). 164 Hupka (Fn. 30), § 423. Den Maßstab der „Vernunft“ legt Teil II Tit. 28 § 5 der Reichskammer-GO von 1555 an für die Statthaftigkeit der querela nullitatis auch in Strafsachen, falls „unerfordert und unverhört / und also nichtiglich / oder sonst wider natürliche Vernunfft und Billigkeit” prozediert worden war. Ebenso spricht Gobler (Fn. 51), Teil I Vorrede S. 1, von „Gesatz oder Recht / vn alte erbare /billiche vn löbliche Gewonheyten / welche auß guter vernunfft vn rechtem verstand herfliessen““. Ergänzend Fn. 99. 165 Vgl. bereits Fn. 148. 166 Verf., Dogmatik der Verteidigung, in: NStZ 1992, 305, 309 ff. 167 L. 29. Cod. 7, 62: „ut ibi diligentius examinentur, ubi contra hominis salutem per errorem vel gratiam cognitionis oppressa putatur iustitia“ (vgl. F. C. Th. Hepp, Dritter Beitrag zum Inquisitionsprozeß, Ueber das Verhältnis desselben zum Anklageprozesse, in: ZDtStrVerf. N. F., Bd. 3 (1846), S. 153 ff., 167). 168 Vgl. auch ReichskammerGO von 1355, Teil II Tit. 28 § 5; Concepta Ordinatio Cameralis von 1613, Teil II Tit. 31 § 14. 169 v. Hippel (Fn. 12), S. 37 f. Anm. 7.

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zulässigkeit der Appellation, weil mit dem Inquisitionsverfahren unvereinbar.170 An die Stelle der von ihm nur im Akkusationsprozeß zugelassenen171 Berufung, die er für überflüssig hielt angesichts der Pflicht des Richters, mit gleicher Sorgfalt wie dem „Anschuldigungs-“ sich dem „Exkulpationsbeweis“ zu widmen, ließ Carpzov im Inquisitionsprozeß die „defensio“ treten.172 Wie weit ihm die ihm bekannte173, im kanonischen und mittelalterlich-italienischen Recht entwickelte querela bzw. exceptio nullitatis174 vorbildgebend war, darf mit dem hier genügenden Hinweis offenbleiben, daß diesem ebenfalls aus dem ius naturale begründeten175 Rechtsbehelf, „quod sit favorabile et benique recipiendum“176 gleichermaßen Defensionsfunktion zukam.177 Noch die Theresiana versagte die Appellation, gestattete jedoch den „Recurs“ zum Obergericht.178 Diese Lücke füllte die defensio: sie wirkte sich in praxi wie ein Rechtsmittel aus179 und wurde z. T. als solches auch dargestellt.180 2. Um Mißachtungen vorstehender Regeln und Grundsätze vorzubeugen und ggf. zu ahnden, standen mit Sanktionen und Kontrollen verläßliche Sicherungen ord170

Mittermaier (Fn. 28), S. 610; J. F. H. Abegg, Lehrbuch des gemeinen Criminal-Prozesses mit besonderer Berücksichtigung des Preussischen Rechts, Königsberg 1833, S. 322; H. A. Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses, Bd. II, Göttingen 1868, S. 577. 171 (Fn. 10), qu. 139 n. 14 ff., 31, 37 – 41; qu. 115 n. 35 – 38; qu. 116 n. 67. 172 (Fn. 10), qu. 139 n. 37: „ut loco appellationis in processu inquisitorio defensio inquisiti admittatur“. Vgl. auch das Verbesserte Landrecht Preußens v. 1721 (Fn. 71), Teil 3 Buch 6 Tit. 4 § 4: „… soll statt der Appellation eine Ausfuehrung weiterer Defension … zugelassen seyn“. 173 Vgl. seine Schriften: Processus iuris in foro Saxonico, Jenae 1667; Jurisprudentia forensis romano-saxonica, Lipsiae et Francofurti 1694; Opus decisionum illustrum saxonicarum, Lipsiae 1704. Dazu A. Skedl, Die Nichtigkeitsbeschwerde in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Leipzig 1886, S. 173 ff., 177 Anm. 1. 174 Dazu unten III. 2. a) mit Fn. 182 – 191. 175 B. Altimarus, Tractatus de nullitatibus sententiarum, decretorum, laudorum, arbitramentorum, et quorumcunque actum, judicialium, Teil 2, Köln 1698, rub. I qu. 12 n. 17; Carpzov (Fn. 10), qu. 139 n. 38: „Quare ne appellatione in processu inquisitorio probibita et rejecta, defensio quoque, quae juris naturae est, per quandam consequentiam denegetur …“. 176 Vantius (Fn. 148), cap. 1 n. 18. 177 Vantius (Fn. 148), cap. 1 n. 7 („et non solum auxilium, quinimo nullitatis est remedium hoc vocatur, et est mera defensio“); S. Scaccia, Tractatus de appellationibus in duas partes divisus, Francoforti 1615, qu. XIX rem. I concl. 1. – Gleiches galt bei Rüge der Nichtigkeit nur incidenter per viam exceptionis gegen die Urteilsvollstreckung (Altimarus [Fn. 175], rub. I qu. 12 n. 14) oder sogleich im Anschluß an einzelne Prozeßakte (Vantius, cap. 8 n. 1 und 8 – 10; Altimarus, rub. VIII qu. 1 n. 1; Scaccia, qu. XIX rem. I concl. 3 n. 2, 10 und 19). 178 Womit die Angeklagten „nicht nur allein alle im Wege der Gnaden ihnen verträglich seyn mögenden Beweggründe, sondern auch all jenes, was sie allenfalls im Weg Rechtens ihnen zu guten zu kommen glauben, anfahren können“ (Art. 42 § 1; dieser Rechtsbehelf hatte Suspensivwirkung „in Straff-Fällen, welche einen unwiederbringlichen Schaden auf sich tragen“). 179 „… so daß die Praxis was sie mit der einen Hand nahm, um so reichlicher mit der andern wiedergab“ (Hepp [Fn. 167], S. 169). 180 Vgl. dazu etwa Biener (Fn. 66), S. 174, 178.

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nungsgemäßen Prozedierens zu Gebote: auf rechtsfehlerhafte Richterhandlungen gegründete „Rechtssicherheit“ wurde, abgewogen gegen allgemeine Erfordernisse der „materiellen Gerechtigkeit“, in vielen Fällen als generell zu leicht befunden. a) Geschah die Inquisition nicht in „gebürlicher Form“, war „sie unkräfftig / und nichts wehrt“181. Das betraf z. B. Verstöße gegen Verteidigungsgarantien182 sowie, weil das Geständnis außerhalb der peinlichen Frage „frey / ohne Zwang und Betrug und gutwillig geschehen“ mußte183, um glaubwürdig-wirksam zu sein184, verbotene Ermittlungsmethoden – etwa Suggestionen185, über (zulässig angeordnete) Territion bzw. Folter hinausgehende Zwangs- oder Drohungsakte186, unerlaubte Versprechungen187 – beim Beschuldigtenverhör.188 Es galt für Nichtbeachtung „wesentlicher“ 181 Damhouder (Fn. 51), Cap. 8 Nr. 12 f. – Ähnlich Otto (Fn. 144), S. 63: „Nullität“ des Inquisitionsprozesses trete ein, „wann dessen vornehmste Stück nicht beobachtet werden“. Zur Nullitätsklage nach der ReichskammerGO siehe Fn. 164. 182 Clarus (Fn. 22), qu.l n. 1; Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XXXVII; Granz (Fn. 82), Teil I cap. 5 membr. 2 n. 392; Leyser (Fn. 141), vol. VIII spec. DLXII Nr. IX; Brunnemann (Fn. 32), cap. 8 membr. 3 n. 14; v. Spee (Fn. 136), S. 68; Oldekop (Fn. 10), tit. V obs. I n. 21; Dabelow (Fn. 93), § 339; Otto (Fn. 144), S. 92. – Zum römischen Recht vgl. C. 3,1,9; 7, 57, 5; 7,43, 3; 7,43, 7; ferner D. 48, 8, 1, 3. Zur Nichtigkeitsfolge nach dem Decretum Gratiani, den Dekretalen und Clementinen siehe Rüping (Fn. 145), S. 18 (mit Anm. 19), 19. 183 Carpzov (Fn. 16), Tit. IV Art. II Nr. IV. Zum Erfordernis der ratificatio extra torturam durch den Inquisiten, „wann er wider zu ruehe kumbt“ (Art. 3 der Regensburger Peinl. GerichtsO von 1565/75) – Vorlagen im römischen Recht insbesondere in D. 48. 1, 1 (Ulpian; ferner 23, 24 und 26), 48. 18, 1 und 2 (Paulus) – bereits Mitte des 14. Jhdt. das Brünner Schöffenbuch (vgl. Trusen, Strafprozeß und Rezeption [Fn. 6], S. 61 f.) und die Wormser Reformation von 1499, B. 6, 2, Tit. 10 („… item so einer bekennet in pynlicher frag vnd daruff beharret vnd bestet“; zit. nach Trusen a.a.O., S. 91). Später Art. 54, 56, 58, 59, 64 CCC, Carpzov (Fn. 10), qu. 126 n. 17 und allg. Auffassung. 184 Carpzov (Fn. 10), qu. 113 n. 50; Brunnemann (Fn. 32), cap. VIII membr. I n. 58; Manzius (Fn. 95), Art. VI n. 20 – 22 (mit Hinw. auf Clarus, Farinacius). Schon C. XV, q. VI, c 1 des Decretum Gratiani (zit. nach Trusen [Fn. 183], S. 35) normierte, daß Aussagen, die „per metum aut fraudem aut per vim extortae fuerint“, zum Nachteil des Beschuldigten unverwertbar waren. Denn: „Omnis enim confessio, que fit ex necessitate, fides non est. Confessio ergo in talibus non debet extorqueri, sed sponte profiteri. Pessimum enim est de suspicione aut extorta confessione quemquam iudicare “. Und: „Confessio vero in talibus non compulsa, sed spontanea fieri debet“. – Dies erklärt auch das Scheinparadoxon, daß einerseits Geständniszwang insbesondere mittels Territion und Folter gestattet, andererseits aber, dem heutigen § 136a StPO durchaus korrespondierende Beeinträchtigungen der Aussagefreiheit verboten waren (dazu auch Fn. 188). 185 Oldekop (Fn. 10), tit. IV obs. 10 und (Fn. 24), S. 414; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 2 Tit. I Nr. 8; Manzius (zit. in Fn. 202); Theresiana (Fn. 14), Art. 31 § 23, Art. 33 § 19 Abs. 3; vgl. auch Kleinschrod (Fn. 137), S. 85 f. 186 Clarus (Fn. 22), add. 35 zu qu. L; Carpzov (Fn. 10), qu. 113 n. 47 – 49 und (Fn. 16), Tit. IV Art. II Nr. III; Manzius (Fn. 95), Art. XX n. 27; Scopp (Fn. 24), cap. III § 16; Brandenburg. CrimO v. 1717 (Fn. 36), Cap. IV § 11. 187 Clarus (Fn. 22), add. 11 und 65 zu qu. LV: Carpzov (Fn. 10), qu. 113 n. 50 – 51; Oldekop (Fn. 24), S. 449 f.; Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XXXIII; Brandenburg. CrimO v. 1717 (Fn. 36), Cap. IV § 17; Scopp (wie Fn. 186); Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. 5 § 4 lit. e mit Hinweis auf Carpzov, Leyser u. a.: wenn der Richter „gleich eigenmächtiger Weis die

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Verfahrenselemente allgemein: Die gemeinrechtliche „Essentialientheorie“ – Urteilsnichtigkeit bei „insanabilem defectum aus der Person des Richters/oder der Parthey/oder aus den Substantialibus des Processus“ (§ 122 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654) – beruht auf einer im oberitalienischen Recht (ebenso die Kanonistik) entwickelten Synthese des römisch-rechtlichen Prinzips nicht im Rechtsmittelweg rügebedürftiger, sondern per exceptionem nullitatis geltend zu machender (rechtlicher) Nichtexistenz von Prozeßakten bei Formfehlern jeder Art mit der germanischen Tradition grundsätzlicher Rechtsbeständigkeit und Formalkraft des Urteils, deren im Zivil- und Strafprozeß im wesentlichen parallel verlaufene Entwicklung in den Vorschriften der §§ 121, 122 des JRA v. 1654 gipfelt: begriffliche Scheidung von Nullität und Iniquität, Nichtigkeitsbeschwerde und Appellation, substantiellen (insanablen) und unwesentlichen (heilbaren) Mängeln. Der Versuch, begrifflich-deduktiv aus dem Wesen, der Natur des Prozesses substantialia abzuleiten, schied die im ius naturale gegründeten Prozeßfordernisse, ohne die „res illa non esse potest“189, von denen iuris positivi.190 War seit dem römischen Recht nahezu EinigPardon oder andere seinen Gewalt übersteigende Dinge verspricht, oder Lügen vormacht, dann dergleichen Bekanntnuß ist nichtig und kan mit der Ordinari-Straff niemahl darauf verfahren werden “. 188 Zu ihrer Unzulässigkeit mit der Folge ggf. eines Verwertungsverbots – auch z. T. unter Berufung auf D. 48, 18 und auf Art. 31, 56 CCC – Oldekop (Fn. 24), S. 414; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 2 Tit. 1 Nr. 8; v. Quistorp/Ross (Fn. 82), §§ 670, 684; Tittmann (Fn. 69), 777, 832; Ranfft (Fn. 93), S. 164; Stübel (Fn. 65), Bd. IV §§ 1974 – 1997; Abegg (Fn. 170), S. 178 ff.; Mittermaier (Fn. 28), S. 353 f.; Feuerbach/Mittermaier (Fn. 65), § 633; Bauer (Fn. 65), §§ 180, 181; Carrach (Fn. 50), S. 275; Klenze (Fn. 28), S. 117; Vargha (Fn. 3), S. 548 f.; Art. 182 BayStGB II von 1813; § 66 PreußCrimO von 1805; ausführlich Kleinschrod (Fn. 137), S. 76 ff. Vgl. exemplarisch die Theresiana (Fn. 14): es solle „für allgemein verboten seyn“, den lediglich „ernst doch bescheidentlich zur Wahrheitsbekanntniß“ zu ermahnenden (Art. 31 § 24) Inquisiten „über seine Aussage mit einem Eyd zu belegen“ oder ihm „fürzuhalten“, „ob er dasjenige, was er ausgesaget, auf sein Gewissen nehmen? oder er darauf schwören könne? welch widerrechtlicher Fürgang, zumalen andurch zu schweren Meineyd Anlaß gegeben wird“ (Art. 31 § 27); es solle „sich gegen den Gefangenen zu Herauslockung der Geständniß keiner Unwahrheit, oder sonstig gefährlichen Hintergehung gebraucht werden. Als da wäre, wenn der Richter dem Inquisiten mit Ungrund fürsagete, daß sein Verbrechen von anderen wider ihn bereits bekennet, und ausgesaget worden, und was mehr dergleichen betrügliche Verführungen sind …“ (Art. 31 § 30); es „solle dem Inquisiten auch niemalen die Erlangung der Gnad, oder Strafmilderung versprochen, oder hierzu eine Hoffnung gemacht werden, wenn er das Ausgefragte bekennen würde“ (Art. 31 § 31); „Weder solle der Richter den Inquisiten in der gütigen Verhör scharff anfahren oder ihn wohl gar mit der Tortur, oder sonst bedrohen, viel weniger mit Schlägen, oder anderen harten Verfahren die Wahrheit herauszubringen suchen“ (Art. 31 § 32 Abs. 1; ähnlich Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31] Teil II Cap. VII § 6). Bei Verletzung dieser – schon bei der „summarischen Ausfrag“ zu beachtenden (Art. 30 § 5) Regeln – „sollen derley aus Hoffnung der Gnad, aus Furcht der Pein, oder durch Schläge erfolgte Antworten, wenn auch andurch einige Bekanntniß heraus gelocket worden wäre, in geringsten nicht beobachtet, sondern als etwas unnütz-null- und nichtiges bey der Urtheilsfällung angesehen werden“ (Art. 31 § 32 Abs. 2). 189 Vantius (Fn. 148), cap. XIII n. 9. 190 Altimarus (Fn. 175), rub. V qu. 36 n. 17 f.; Vantius (Fn. 148), cap. V n. 13 und 19; Scaccia (Fn. 177), qu. XIX rem. I concl. 2 n. 19 und 27; Gobler (Fn. 51), Teil VII fol. 147b,

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keit über „wesentliche“ Mängel in der Person des Richters (vor allem fehlende Jurisdiktion und Zuständigkeit, falsche Gerichtsbesetzung, Urteil in eigener Sache) oder der Parteien (insbes. Prozeßunfähigkeit, fehlerhafte Vertretung), blieben – abgesehen von wenigen seit jeher als „wesentlich“ erachteten Formalien (z. B. Ladung der Parteien und rechtliches Gehör, Litiskontestation, Kalumnieneid, ordnungsgemäße Urteilsfällung und -verkündung) und der sententia manifesta iniqua et iniusta – Art und Zahl der substantialia processus strittig und kasuistisch. Auf derartige Fehler in procedendo hin fand – bei ausgeschlossener Appellation aus materiell-rechtlichen Gründen (gegen die sententia iniqua) – gegen die sententia nulla auch in Kriminalsachen die Nichtigkeitsbeschwerde (zum Reichskammergericht) statt.191 b) Fehlten die für inquisitorische Zwangsmaßnahmen erforderlichen Indizien oder waren sie nicht gehörig bewiesen192, blieben entsprechende Prozeßhandlungen „nulla“, gewonnene Beweise unverwertbar. Hauptanwendungsgebiete waren Spezialinquisition193 und Tortur194. Sub poena nullitatis durfte – selbst im Rahmen einer zulässigen inquisitio specialis – der Inquisit nicht befragt werden über andere

148. So auch – in Vorbereitung der §§ 121,122 des JRA von 1654 – das Conclusium im Fürstenrat vom 18./28. 4.1654 (vgl. J. G. v. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia publica de 1653 et 1654, oder Regenspurgische Reichstagshandlungen von den Jahren 1653 und 1654, Göttingen 1740, S. 653), aufgenommen in das gemeinsame Gutachten der drei Reichskollegien und bestätigt durch kaiserliche Resolution vom 23. 4. – 4. 5. 1654 (vgl. v. Meiern S. 657). 191 Teil II Tit. 28 § 5 der ReichskammerGO von 1555; Teil III Tit. 40 der Concepta Ordinatio Cameralis von 1613; §§ 121, 122 des Jüngsten Reichsabschieds von 1654. 192 Oben III. 1. b) mit Fn. 121 – 128. 193 Art. 6, 20, 61 CCC; Carpzov (Fn. 10), qu. 108 n. 44 (unter Berufung auf Hippolyt de Marsiliis, Mascardus, Menochius), qu. 126 n. 10 f.; Clarus (Fn. 22), add. 5 zu qu. L; Farinacius (Fn. 50), lib. I tit. I qu. 1. n. 40; Kress (Fn. 31), Art. VI § 9; Oldekop (Fn. 10), tit. II obs. VIII n. 4; Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. VI § CI; Rauchdorn (Fn. 10), S. 23; Scopp (Fn. 24), cap. III § 8 („der ganze Inquisitions-Process vor nichtig gehalten wird“); Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. IV § 1. Zu der vom kanonischen Recht geforderten „infamia“ vgl. Biener (Fn. 66), S. 49 und P. Hinschius, Das Kirchenrecht der Katholiken und Protestanten in Deutschland, System des Katholischen Kirchenrechts, Bd. VI, Berlin 1897, S. 68 – 70. 194 Art. 20 S. 1 CCC (vgl. schon Art. 28 CCB): „item wo nit zuuor redlich anzeygen der mißthat darnach man fragen wolt vorhanden, vnnd beweist wurde, soll niemants gefragt werden, vnd ob auch gleich wol, auß der marter die mißthat bekant wurd. So soll doch der nit geglaubt noch jemants darauff verurtheylt werden“. Klagspiegel (Fn. 10), fol. 145: „was darwider geschicht ist krafftlos vnd vernichten“. Römisches Recht: D. 48,18,20 (Paulus). – Ferner: Carpzov (Fn. 10), qu. 123 n. 1 und 8, qu. 126 n. 9 und 11 (vgl. auch qu. 123 n. 23 f.: selbst ein die Folter anordnender Fürstenbefehl konnte fehlende Indizien nicht ersetzen); Clarus (Fn. 22), add. 31 und 34 zu qu. LV, add. 4 zu qu. XIX; Perneder (Fn. 11), Tit. IV Art. XVI (mit Hinweis auf Hippolyt de Marsiliis); Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XLI; Zieritz (Fn. 125), cap. XX; Zanger (Fn. 24), cap. 5 n. 24, 31 und 34; Berlich (Fn. 19), pars IV concl. XV n. 19; Manzius (Fn. 95), Art. XX n. 21; Clasen (Fn. 10), Art. XX Nr. II; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 26 Nr. 1; Oldekop (Fn. 10), tit. IVobs. II n. 9 f. und (Fn. 24), S. 376 f., 528 f.; Meckbach (Fn. 32), Anm. zu Art. XX; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. IV § 1, Cap. VIII § 27.

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Delikte, für die ein „redlich anzeygen“ (Art. 20 S. 1 CCC) fehlte.195 Gleiche Konsequenz hatten unzulässige Überschreitungen des Maßes der Folter196 und Torturwiederholungen ohne zureichende neue Anzeigen.197 Unabhängig davon traten diese Rechtsfolgen ein, ob nachträglich genügende Beweisgründe beigebracht wurden198, der Inquisit ein Geständnis ablegte199 oder die Urgicht ratifizierte200; denn „quoniam quod ab initio nullum est, non potest postea confirmari“201. Nichtigen Prozeßakten und Beweisergebnissen wurde in bezug auf nachfolgende, jedenfalls sofern sie auf ihnen beruhten, „Fernwirkung“ zugesprochen.202 c) „Eines der wichtigsten Mittel, für vernünftige, der Wahrheit und Gerechtigkeit dienende Anwendung der Verfahrensvorschriften zu sorgen“203, Rechtsunsicherheit, 195

Carpzov (Fn. 10), qu. 113 n. 24 – 26; Oldekop (Fn. 24), S. 496; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VII § 4 und § 5, Cap. VIII § 18; Theresiana (Fn. 14), Art. 31 § 28. Ebenso Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XXXIII zur peinlichen Befragung des Inquisiten nach Mittätern. 196 Carpzov (Fn. 10), qu. 124 n. 65, qu. 126 n. 11; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 4 Tit. 3 Nr. 18; Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 32. 197 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 32; schon D 48, 18, 1 (Ulpian) und 20 (Paulus). 198 Carpzov (Fn. 10), qu. 123 n. 23 f.; Damhouder (Fn. 51), Cap. 54 n. 28 – 30; Oldekop (Fn. 10), tit. II obs. VIII n. 6 f.; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 26 Nr. 1; Manzius (Fn. 95), Art. XX n. 25. – Anderer Meinung – mit dem Ziel, dem Angeklagten eine (nunmehr zulässige) weitere Folter zu ersparen – Boehmer (Fn. 10), obs. I ad qu. 123 und obs. III ad qu. 108 n. 46, sowie (Fn. 26), Art. XX § 2; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. IV § 1; Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. 7 § 8 lit. g. 199 Berlich (Fn. 19), pars IV concl. IV n. 44; Oldekop (Fn. 10), tit. II obs. VIII n. 8. 200 Dazu auch Fn. 183 und 184. 201 Clarus (Fn. 22), qu. LV n. 14, add. 31 zu qu. LV: und sei die confessio auch „millies ratificata“. In gleichem Sinn Aretinus und Brunus (Nachw. bei Brunnenmeister [Fn. 24], S. 168 mit Anm. 4); Damhouder (Fn. 51), Cap. CIIII n. 26; Carpzov (Fn. 10), qu. 123 n. 16; Manzius (Fn. 95), Art. XX n. 23 f.; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 26 Nr. 1; Zanger (Fn. 24), cap. V n. 24,31 und 34; Oldekop (Fn. 10), tit. IV obs. II n. 3, 5, 12 und 34; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 27 („Was durch unrechtmäßige Tortur erpreßt worden, erlangt sogar durch nachfolgende Bestättigung ohne neuen hinlänglichen Behelf, keine Kraft, sondern bleibt ein für allemahl mit einer solchen Nullität behaftet, welche sich per reassumtionem Processus nicht ersetzen läßt … “). 202 Carpzov (Fn. 10), qu. 108 n. 45 mit Hinweis auf Hippolyt de Marsiliis, Decianus u. a. („In tantum, ut hujusmodi inquisitionis nullitas ex defectu indiciorum promanans, omnia acta post facta inficiat, nulla reddat“); Oldekop (Fn. 10), tit. IV obs. II n. 13 („non solum confessionem, in torturam repetita factum, sed omnia alia, talem illicitam torturam secuta, esse nulla“); Manzius (Fn. 95), Art. XX n. 24 („tunc talis est ipso iure nullius et ex illegitimo principio non potest legitima nasci consequentis“), Art. LVI n. 5 (mit Hinw. auf Farinacius), Art. LVIII n. 58; Scopp (Fn. 24), cap. I § 3 (das „corpus delicti“ sei „von der wesentlichen Gestalt des ganzen Inquisitions-Process … , welche, wann sie mangelt, alles, was erfolget, null und nichtig ist“). Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 26 Nr. 1 unterschied: Nichtigkeit des gesamten Prozesses, falls der ganze Beweis auf einem rechtwidrig erzielten Geständnis beruhte; Nichtigkeit allein des Einzelakts, wenn z. B. die Aussage des Inquisiten nur hinsichtlich einer Nebenfrage ihm mittels Suggestionen entlockt worden war. 203 Eb. Schmidt (Fn. 13), S. 79.

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-willkür und -zersplitterung zu verhüten und zugleich an die Rechtsprechung wissenschaftliche Einsichten aus dem rezipierten römisch-italienischen Strafrecht heranzutragen, waren die Institute der Aktenversendung und des Ratsuchens bei den „nechsten hohen schulen, Stetten, Communen oder anderen rechtuerstendigen“ (Art. 219 CCC) in zweifelhaften Tat- oder Rechtsfragen.204 d) Wirksame Kautelen norm- und sachgerechten Prozedierens mußten schließlich die zivil- (auf Schadenersatz und „Schmerzensgeld“)205 und strafrechtliche206 Haftung207 der Richter für Rechtsverstöße sein.

IV. Dem aufgezeigten Diktat der „Rechtsstaatlichkeit“ auch gemeinrechtlich-inquisitorischer Strafrechtspflege nichts prinzipiell Gegenteiliges erhellt der „bekante Recht-Spruch“208, „quod in delictis atrocissimis propter criminis enormitatem jura transgredi liceat“, und zwar „non solum in puniendo209, sed etiam in proceden204

Während die Carolina nur in Zweifelsfällen Richter und Schöffen zum „rath suchen“ anwies, waren sie nach sächsischem Recht – von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. Boehm [Fn. 43], S. 345) – dazu vor Auferlegung der Folter oder Spruch des Endurteils verpflichtet (Carpzov [Fn. 16], Tit. II Art. I Nr. I), womit eine Aufgabenverteilung auf (ermittelnde) Richter und (erkennende) Urteiler geschaffen war. Eb. Schmidt (Fn. 13), S. 75 Anm. 267 zählt 34 entsprechende Vorschriften der CCC auf. Erfolgte die Aktenversendung auf Antrag des Angeklagten, war das Untergericht an den eingeholten „rath“ gebunden (vgl. A. Hegler, Die praktische Thätigkeit der Juristenfakultäten des 17. und 18. Jahrhunderts in ihrem Einfluss auf die Entwicklung des deutschen Strafrechts von Carpzov ab, Freiburg-Leipzig-Tübingen 1899, S. 6). – Die bei der Einrichtung der Aktenversendung notwendig vorausgesetzte zuverlässige Aufzeichnung der Verfahrenshandlungen erklärt auch die umfangreichen Vorschriften der Carolina über Stellung und Pflichten des Gerichtsschreibers (Art. 5, 15, 181 – 190). 205 Art. 20 S. 2, 21 S. 2 CCC; Carpzov (Fn. 10), qu. 127 n. 35 – 39 und (Fn. 16), Tit. X Art. II Nr. III f.; Zieritz (Fn. 125), cap. XX; Blumlacher (Fn. 32), Art. XX Nrn. 1 f.; Boehmer (Fn. 10), obs. II ad qu. 127; Meckbach (Fn. 32), Anm. zu Art. XX; Scopp (Fn. 24), cap. II § 4; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. VIII § 27; Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 32. 206 Art. 61 S. 2 CCC; Carpzov (Fn. 10), qu. 127 n. 3 ff., 41 ff. und (Fn. 16), Tit. X vor Art. I; Perneder (Fn. 11), Tit. 3 Art. V (mit Hinweis auf Hippolyt de Marsiliis); Oldekop (Fn. 10), Tit. IVobs. II Nr. 11; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 3 Tit. 26 Nr. 4; Manzius (Fn. 95), Art. XX Nrn. 30 f.; Rauchdorn (Fn. 10), Teil 1 Cap. IV Nr. III. – In schwersten Fällen (etwa bei Tötung des Inquisiten infolge vorsätzlicher Überschreitung des zugelassenen Torturgrades) drohte dem Inquirenten sogar die Todesstrafe (Carpzov [Fn. 10], qu. 127 n. 3 und 7; Blumlacher [Fn. 32], Art. XX Nr. 3; Clasen [Fn. 10], Art. 20 Anm. III; Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. VIII § 27). Dies entsprach dem römischen Rechtsgrundsatz: „Quod quisque iuris in alterum statuerit, ut ipse eodem iure utatur“ (D. 2, 2, Titel). 207 Ohne Haftpflichtversicherungsschutz, ohne das Spruchrichterprivileg des § 839 II BGB, ohne die heute durch § 839 I 2 BGB i. V. mit Art. 34 GG gezogenen Grenzen, Bestrafung schon bei fahrlässiger „Rechtsbeugung“ (crimen repetundarum). 208 Blumlacher (Fn. 32), Art. XLVII Nr. 6. 209 Es galt das Analogiegebot (zum römischen und italienischen Recht vgl. Engelmann [Fn. 9], S. 39, 128 ff., 158 f.), nicht der Satz „nullum crimen, nulla poena sine lege“. Die

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do …“210. Solche schwerste, die Staatssicherheit bzw. Einheit der Kirche bedrohend erachtete Verbrechen (z. B. Hochverrat, Ketzerei) waren die „crimina laesae maiestatis“ (der weltlichen und göttlichen).211 Gleiches galt „in delictis occultis et difficilis probationibus“212 wie etwa Ehebruch, Zauberei, Hexerei. Darin – vorschnell – einen Freibrief für schrankenloses Inquirieren in rechtsfreier Zweckmäßigkeit zu sehen213, wäre oberflächlich. Fraglos zwar wurde in criminibus exceptis, die Verteidigung beschränkend214 und Prozeßförmlichkeiten suspendierend, auch ohne indicia sufficienta erkannt auf Spezialinquisition215 und (selbst (gesetzliche) poena ordinaria war Normalfall-Strafe, von der mit dem Ziel, sachliche Gerechtigkeit (aequitas, vgl. oben I. mit Fn. 9) zu verwirklichen, der Richter nach pflichtgemäßem Ermessen („Wilkür“) mit einer poena arbitraria nach „gelegenheyt vnd ergernuß der übelthatt“ (Art. 104 CCC; vgl, auch Art. 125 CCB) auch schärfend abweichen durfte (Carpzov [Fn. 10] pars I qu. 24 n. 10: „ob immanitate criminis judex hoc facere et poenas ordinarias transgredi debet; quoniam favor publicae disciplinae suadet, ut maleficia puniantur“). 210 Carpzov (Fn. 10), qu. 102 n. 67. Anderer Meinung z. B. Boehmer (Fn. 10), obs. III ad qu. 102 und (Fn. 26), Art. 83 § 1: Beschränkung dieser Ausnahme auf den Strafausspruch, weil die Feststellung, ob der Beschuldigte überhaupt eine solche Tat begangen habe, Voraussetzung für und nicht erst Ergebnis von Rechtsüberschreitungen sein müsse. 211 Dazu die entwicklungsgeschichtliche Skizze bei Fr. Schaffstein, Verräterei und Majestätsdelikt in der gemeinrechtlichen Strafrechtsdoktrin, in: FS W. Weber, Berlin 1974, S. 63 ff. Vgl. auch W. Trusen, Benedict Carpzov und die Hexenverfolgung, in: FS F.-W. Krause, 1990, S. 19, 23. – Maßstab war nach h. M. die generelle Deliktsnatur, nicht die konkrete Tatsituation (Farinacius [Fn. 27], lib. II tit. VI qu. 62 n. 50 f.; Carpzov [Fn. 10], qu. 114 n. 36 f. – A. M.: Brunnemann [Fn. 32], Tit. VII Art. II Nr. I. – Zum Ganzen auch Frölich de Frölichsburg [Fn. 10], Buch 2 Tit. VI Nr. 10; Kreittmayr [Fn. 26], Teil II Cap. 5 § 9). 212 Clarus (Fn. 22), qu. 20 n. 1 und 5; Farinacius (wie Fn. 211); Carpzov (Fn. 16), Tit. VII Art. II Nr. I und (Fn. 10), qu. 108 n. 33, qu. 114 n. 35 – 37, sowie Brunnemann (Fn. 32), Teil II Cap. VIII Nrn. 25 f., 38, je m. Hinw. auf Mascardus und Farinacius; Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. XXXV; Oldekop (Fn. 10), Tit. IV obs. 16; Ludovici (Fn. 36), cap. 6 § IX. 213 So aber überwiegend die heutige Einschätzung (vgl. z. B. Schaffstein [Fn. 211], S. 64). Dagegen zutr. (zu Carpzov) Trusen (Fn. 211), S. 23 ff., 30 f. 214 Carpzov (Fn. 10), pars I qu. 41 n. 1 und 7; w. Nachw. bei Oldekop (Fn. 10), tit. I obs. X n. 1 – 8 und Rüping (Fn. 145), S. 20 (zum kanonischen Recht). Gegen diese Praxis jedoch Matthaeus (Fn. 62), lib 48 Tit. XVI cap. IV n. 4, Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XV § CCLXI und Oldekop a.a.O., n. 11 – 13 (er versagte in jenen Fällen einen Verteidiger nur, falls „crimen sit notorium“). 215 Vornehmlich bei Ketzer- und Hexenverfolgungen. Bereits in der Päpstlichen Inquisition (1231 – 1232) wies Gregor IX. die Inquisitoren an, zu verfolgen „summarie, simpliciter, et de plano absque advocatum et iudiciorum strepitu et figura“ (zit. nach J. Hansen, Zauberwahn, Inquisition und Hexenprozeß, München und Leipzig 1900, S. 213 Anm. 2; ebenso Diana [Fn. 44], Inquisitores Nr. XXXII; ferner Carpzov [Fn. 10], pars I qu. 41 n. 3 – 6). Papst Innozenz VIII. ermächtigte in der Bulle „Summis desiderantes affectibus“ vom 5. 12.1484 (Originaltext und Übersetzung in: J. Sprenger/H. Institoris, Der Hexenhammer, Malleus maleficarum, 3 Teile, Zum ersten Male ins Deutsche übertragen nach der lateinischen Ausgabe aus dem Jahre 1489 von J. W. R. Schmidt, Erster Teil, 3. Aufl., Berlin und Leipzig 1923, S. XXVIII-XXIX), „… alles und jedes was zu und in obigen Dingen nöthig und nützlich seyn wird, frei und ungehindert zu thun …“ „indem wir alle und jede Hindernisse, durch welche die Verrichtung des Amts derer Inquisitoren auf irgend eine Weise verzögert werden könnte, aus dem Weg räumen, und damit nicht die Seuche des ketzerischen Unwesens und anderer solcher

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von Gegnern ihrer Anwendung hier für unverzichtbar gehaltene216) Folter sowie auf poena ordinaria bereits bei nach Zahl oder Qualität unvollständigem Beweis, insbesondere mit an sich Zeugnisunfähigen217 – z. B. Kindern und Jugendlichen218, nahen Verwandten des Angeklagten219, Zeugen nur vom Hörensagen220 oder Mittätern221 –, Verbrechen ihr Gifft zu dem Verderben anderer Unschuldigen ausbreiten möge …“ (zur Bedeutung dieser Bulle für Theorie und Praxis vgl. Hansen a.a.O., S. 467 – 473; zum Hexenhammer s. Trusen, FS Mikat [Fn. 6], S. 443 ff.). 216 Friedrich II. von Preußen beispielsweise verfügte zwar schon drei Tage nach dem Tod seines Vaters per Ordre vom 3. 6. 1740 (vgl. Behmer, Novum jus controversum, Lemgoviae 1771, tom. II S. 478), er habe „aus bewegenden Ursachen resolviret, in Dero Landen, bey denen Inquisitionen die Tortur gänzlich abzuschaffen …“, doch schränkte er ein: „… außer bey dem Criminae laesae Majestatis, und Landesverräterey, auch bey denen großen Mordtaten, wo viele Menschen ums Leben gebracht oder viele Delinquenten, deren Connexion herauszubringen nöthig impliziret wird“. Völlig die – bereits in der Goldenen Bulle (1356) Karls IV. (Cap. 24) nach römischem Vorbild (C. 9, 8,4 und 7) in jenen Fällen gestattete – Folter zu beseitigen wagte er erst 14 Jahre später gemäß Ordres vom 27. 6. und 4. 8. 1754 (vgl. v. Hymnen, Beyträge zu der juristischen Litteratur in den Preußischen Staaten, 4. Sammlung, Berlin 1780, S. 202). 217 Carpzov (Fn. 10), qu. 119 n. 61; Bay. MalefizO v. 1616 (Fn. 24), Tit. III Art. 7. Einschränkend jedoch, um Hexenprozesse einzudämmen, Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. III §§8 – 10. – So bereits das römische Recht (Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, Berlin 1899, S. 401 f.), das hier auch das Zeugnis eines Sklaven gegen seinen Herrn zuließ (dazu Geib [Fn. 20], S. 655; G. Filangieri, System der Gesetzgebung, Mailand 1780 – 1785, aus dem Italienischen übersetzt von G. C. K. Link, hrsg. von J. C. Siebenkees, Bd. 2, 2. Aufl., Anspach 1788 – 1791, S. 136 Anm. 4, S. 144 Anm. 2). Ferner: Decianus (Fn. 129), lib. V cap. 35 n. 1, cap. 45 n. 2 und 4 ff.; Clarus (Fn. 22), qu. 24 n. 22; die oberitalienischen Stadtrechte schon im 13. und 14. Jhdt. (vgl. H. Himstedt, Die neuen Rechtsgedanken im Zeugenbeweis des oberitalienischen Stadtrechtsprozesses des 13. und 14. Jahrhunderts, Berlin und Leipzig 1910, S. 128); Sprenger/Institoris (Fn. 215), 3. Teil, 4. Aufl., Wien und Leipzig 1937, 4. Frage; Theodoricus (Fn. 95), cap. V aphor. VII; Matthaeus (Fn. 62), lib. 48 cap. II n. 7 – 12; Carpzov (Fn. 10), qu. 114 n. 35 und (Fn. 16), Tit. VII Art. II Nr. I; Brunnemann (Fn. 24), cap. VI und (Fn. 32), cap. VIII membr. II n. 28; Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 2 Tit. 6 Nr. 10; Ludovici (Fn. 36), cap. VI § XII; Boehmer (Fn. 26), Art. LXVI § III; Diana (Fn. 44), „Testis“ Nr. I (verweisend auf Farinacius und Mascardus) und „Inquisitores“ Nr. XLI; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. V § 9; Theresiana (Fn. 14), Art. 33 § 7 Nr. 2. 218 Art. 76b CCB; Carpzov (Fn. 16), Tit. VII Art. II Nr. III; Brunnemann (Fn. 24), Cap. VII Nr. II und (Fn. 32), cap. VIII membr. II n. 31 f. (mit Hinweis auf Mascardus, Farinacius); Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 2 Tit. 6 Nrn. 13 und 17; Kress (Fn. 31), Anm. zu Art. LXIV; Rauchdorn (Fn. 10), Teil I Cap. V Nr. 2; Kreittmayr (Fn. 26), Teil II Cap. 5 § 9 lit. b. 219 Zum römischen Recht s. Mommsen (Fn. 217), S. 246 Anm. 1, Geis (Fn. 20), S. 623, Clarus (Fn. 22), qu. 24 n. 22. Im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß war dies nahezu unstreitig (vgl. z. B. Boehmer [Fn. 26], Art. LXVI § III; Frölich de Frölichsburg [Fn. 10], Buch 2 Tit. 9 Nrn. 1 f.; Tittmann [Fn. 69], S. 396 m. w. Nachw.). A. M. – soweit ersichtlich – allein Blumlacher (Fn. 32), Art. XXIII Nr. 17, weil Meineidsgefahr bestehe und zudem „die Ration, damit die Übelthat eröffnet“ werde, weniger wichtig sei als „die zwischen diesen Personen hafftende natürliche Verbindlichkeit …“; obgleich für Frölich de Frölichsburg (Fn. 10), Buch 2 Tit. 6 Nr. 10 „diese Lehre Blumlacheri gar vemünfftig / und in Rechten gegründet ist“, verweigert er ihr wegen des entgegenstehenden „gemeinen Gebrauchs“ die Gefolgschaft. 220 Clasen (Fn. 10), Art. LXI Nr. III.

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wobei, unter Verzicht auf die Zuverlässigkeitsgarantien der „gesetzlichen Beweistheorie“, es „dem richterlichen Ermessen: in wie weit einer solchen … Zeugniß nach Gestalt der Sache ein rechtlicher Glauben beyzumessen seye? anheim gestellet“222 war. Andererseits: der Beweis selbst verblieb unabdingbares Prozeßelement, jene besonderen Verfahrensweisen hatten, weil dem stets nachdrücklich betonten Vorbehalt „si veritas aliter explorari nequit“223 verpflichtet, Subsidiär- und Ausnahmecharakter, und auch der Verdacht schwerster Verbrechen legitimierte grundsätzlich keine mehr als dreimalige Folterung des Beschuldigten.224

V. Die verbreitete Auffassung, der Inquisitionsprozeß habe zu völliger Rechtlosigkeit des Inquisiten geführt, ist zu revidieren. Selbstverständlich waren nach vor-aufklärerischem Staats- und Verfassungsverständnis vom Einzelnen erzwingbare „subjektiv-öffentliche Rechte“ gegenüber der Obrigkeit noch undenkbar; doch entspra221

Carpzov (Fn. 10), pars I qu. 41 n. 3 – 6. Theresiana (Fn. 14), Art. 33 § 7. So im Ergebnis schon Clarus (Fn. 22), qu. 20 n. 1 und 5; Carpzov (Fn. 10), pars I qu. 49 n. 61, pars III qu. 108 n. 35 (dazu Trusen [Fn. 211], S. 30 f.); vgl. auch Clasen (Fn. 10), Art. XIX Nr. IV (im Anschluß an Zanger): „Verissimum tamen est, quod plures imperfectae probationes in causis capitalibus conjugendae sint ad faciendam plenam probationem …“; zum Hexenhammer (Fn. 215), näher Trusen, FS Mikat (Fn. 6), S. 437, 446 und (Fn. 211), S. 22. Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. LIII forderte unter Berufung auf Menochius für die poena ordinaria Beweise „luce meridiana clariores“; andernfalls erlaubte er nur eine poena extraordinaria. – Gegen derartige geringere Beweisanforderungen jedoch Blumlacher (Fn. 32), Anm. zu Art. XXII; Kress (Fn. 31), Anm. zu Art. LXVII, und Boehmer (Fn. 18), sect. I cap. XI § CCXVII sowie (Fn. 10), obs. I ad qu. 114 n. 7. Die Konsequenz Brunnemanns (Fn. 32), cap. VIII membr. III n. 8, „… ubi agitur de atrocissimo crimine, etiam innocentem condemnari posse“, dürfte angesichts der verbliebenen Kautelen der Wahrheitsfindung jedenfalls nicht zur Regel geworden sein, zugleich aber relativiert werden durch das erstaunliche Zitat: „Es mag Fälle oder Arten von Verbrechen geben, wo gewissermaaßen ein Nothstand obwaltet und darum selbst mit Gefahr, daß einmal ein Unschuldiger bestraft wird, der Schuldbeweis durch besondere Vorschriften erleichtert werden muß, was dann zugleich in der Art und Geringfügigkeit der Strafe weitere Entschuldigung finden kann“ (Fr. C. v. Savigny. Die Prinzipienfragen in Beziehung auf eine neue Strafprozeß-Ordnung, GA 6 [1858], S. 469, 490). 223 Carpzov (Fn. 10), qu. 119 n. 2; ebenso fast alle unter Fn. 217 – 220 Genannten. – Dem Zwangsmittel der Folter unterlagen – sei es als Beschuldigte, sei es als Zeugen – auch die (im übrigen davon befreiten) personae de dignitate (Carpzov [Fn. 10], qu. 118 n. 87; Diana [Fn. 44], „Inquisitores“ Nr. XL; Cod. Jur. Bav. Crim. [Fn. 31], Teil II Cap. VIII § 5; ebenso bereits das römische Recht, vgl. Filangieri [Fn. 217], S. 143, und Geib [Fn. 20], S. 617 mit Anm. 298 – 304). 224 Carpzov (Fn. 10), qu. 125 n. 47, 51 und 71; Diana (Fn. 44), „Inquisitores“ Nr. LIII; Kress (Fn. 31), Anm. zu Art. LVII; Buch 6 Tit. III Art. XI des Verbesserten Landrechts des Königreichs Preußen von 1721 (Fn. 71); Theresiana (Fn. 14), Art. 38 § 28. Der Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 31), Teil II Cap. 8 § 21, gestattete dreimalige Wiederholung, „welches aber die wenigste Criminalisten gut heissen …“ (Kreittmayr [Fn. 26], Teil II Cap. 8 § 21 lit. e). Vgl. bereits oben II. 2. c) (1) mit Fn. 62. 222

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chen ihrer heutigen Funktion (Bürgerschutz vor gesetz-und rechtswidrigem Hoheitshandeln), insofern nur staatsrechtlich anders konzipiert, vielfältige und sanktionierte Richterpflichten. Zweifellos waren – nach gegenwärtigen Maßstäben – damalige Strafen in Androhung und Vollzug oft erschreckend grausam; daran gemessen aber blieb selbst das prozessuale Wahrheitserforschungsmittel der Tortur eine erheblich geringere Belastung des Angeklagten225, und die Folter mußte, sollte von einer wirksamen Strafrechtspflege – Carpzov veröffentlichte seine „Practica“ (1635) inmitten des 30jährigen Krieges! – auch nur entfernt die Rede sein können, als unentbehrlich erscheinen angesichts noch völlig unterentwickelter kriminalistischer und kriminaltechnischer Überführungsmethoden. Sicherlich waren Theorie und Praxis der Strafverfolgung nicht stets eins; noch fehlten freilich Garantien richterlicher Unabhängigkeit gegenüber anderweitiger staatlicher Machtausübung. Zudem: eine (konstitutionelle) Teilung der Staatsgewalten war dem klassischen gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß noch fremd; weitgehend ungeschieden blieben, typischerweise in Ketzer- und Hexenprozessen, Gesichtspunkte repressiver Strafverfolgung von solchen präventiven Schutzes der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. „Iura transgredi liceat“, wenn geltendes Recht die Wirklichkeit nicht mehr zu beherrschen vermag: das ist heute gesetzgeberische Praxis fortwährenden Abbaus eines bis zum Jahr 1965 erreichten Bestands liberaler Justizförmigkeit bei erschwerter Realisierbarkeit des materiellen Strafrechts. Solche rechtspolitischen Irrwege in augenblicksgebannter Kurzsicht zu meiden und auch insoweit nach dem Beispiel des in weit schwierigeren Zeiten der Strafrechtspflege rechtsstaatlich bewährten gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses, das uns Heutigen jede hochmütige Selbstgefälligkeit verbietet, äußerste „maze“ und „bescheydenheyt“ zu üben, ist Auftrag der „Lehrmeisterin, die … mehr sagt als alle Philosophie, Soziologie oder gar Politologie, nämlich der die Erfahrungen der Jahrhunderte erschließenden Rechtsgeschichte226. Winfried Trusen wird dem zustimmen.

225 Boehm (Fn. 43), S. 378 – 381, erinnert an die damalige geringere Schmerzempfindlichkeit, an die noch fehlende ganzheitliche Auffassung von Körper und Seele (durch die Folter waren nicht der Mensch selbst bzw. seine Seele betroffen, sondern nur seine Glieder) sowie an die Einstellung zum Schwerverbrecher als eines – von einer oft nur wenig wirkkräftigen Staatsmacht – zu bekämpfenden Feindes. 226 Eb. Schmidt, Materielle Rechtskraft – materielle Gerechtigkeit, in: JZ 1968, 681, 684 (Hervorhebung im Original).

Materielles Strafrecht im „prozessualen Raum“* I. Straf- und Strafprozessrecht in funktionalen Beziehungen 1. Grundsatz materieller „Strafrechtsverwirklichung“ „Das Gesetz herrscht in Raum und Zeit“1, formal als Geltungsgebiet und Gültigkeitsdauer, inhaltlich-metaphorisch bestimmt nach Regelungsgegenständen und sich teils verfestigendem, teils wandelndem Rechtsverstehen. Im Folgenden nur zur – bildlich gemeinten – „Raum“-Frage: Materiell-rechtliche Straftatbestände normieren abstrakt-generell als ultima ratio verfassungsrechtlich gebotenen2 Rechtsgüterschutzes Strafrechtsfolgen für das soziale Leben unerträglich störende Rechtsgutsverletzungen in dreifacher Funktion. Sie bewerten jene Verhaltensweisen als strafwürdiges und strafbedürftiges Unrecht, bestimmen generalpräventiv zur Deliktsvermeidung und garantieren das Prinzip des nullum crimen, nulla poena sine lege scripta (Art. 103 Abs. 2 GG, 7 Abs. 1 EMRK; § 1 StGB). Angesichts staatlichen Strafmonopols aber ist „Strafrecht ohne Strafprozess … ein Messergriff ohne Klinge und Strafprozess ohne Strafrecht eine Klinge ohne Messergriff“3, also nur strafprozessförmig konkretisierbar: nullum crimen, nulla poena sine processu. Beides – Pönalisierung4 und Realisierung – ist Ausfluss staatlicher, letztlich verfassungsrechtlich verankerter Justizgewährungspflicht. Die Brücke vom materiellen zum prozessualen Raum spannen bereits die Straftatbestände, die in ihrer allgemeinen Struktur („Wer straftatbestandsmäßig handelt, wird bestraft“) keine empirischen Seinsaussagen (etwa über Ursache und Wirkung), sondern hypothetische Sollenssätze5 („Falls * Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Horst Dreier u. a. (Hrsg.), Raum und Recht, Festschrift 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät. Verlag Duncker & Humblot GmbH, Berlin 2002, S. 683 – 709. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 A. Wach, Handbuch des Deutschen Civilprozessrechts, 1885, S. 206. 2 BVerfGE 21, 391 (404); 39, 1 (47); 51, 324 (343); 57, 250 (270); 73, 206 (252); 88, 203 (258: wenn „ein bestimmtes Verhalten über sein Verbotensein hinaus in besonderer Weise sozialschädlich ist und für das geordnete Zusammenleben der Menschen unerträglich, seine Verhinderung daher besonders dringlich ist“). 3 T. Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899, S. VII (Vorwort). Vgl. auch R. v. Hippel, Der deutsche Strafprozess, 1941, S. 3: „Ohne Strafprozeß wäre das materielle Strafrecht … bloße Deklamation“. 4 Insoweit a. M. Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur Strafprozessordnung und zum Gerichtsverfassungsgesetz, Teil I, 2. Aufl. 1964, Rn. 385. 5 K. Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. 1983, S. 21 ff.

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jemand straftatbestandsmäßig handelt, soll er bestraft werden“) sind, imperativistisch auch gerichtet – mit dem Legalitätsprinzip (§ 152 Abs. 2 StPO) als folgerichtiger prozessualer Kehrseite6 – an Staatsanwaltschaft und Strafgerichte („Falls prozessförmig festgestellt wird, dass jemand straftatbestandsmäßig gehandelt hat, soll er bestraft werden“). So sind materielles und prozessuales Recht funktional aufeinander bezogen, nur zusammenwirkend, ohne jedoch zu normativer Einheit verschmelzend, etablieren sie die notwendigen (formalen) Bedingungen rechtsrichtiger Strafrechtspflege. 2. Grenzen materieller „Strafrechtsverwirklichung“ Im prozessualen Raum jedoch relativiert sich der – scheinbar apodiktische – Geltungsanspruch materiellen Strafrechts, die Regel seiner prinzipiellen Sollensbefehle wird zur Ausnahme. Empirisch: Die Strafverfolgungsstatistik z. B. 1999 für Bayern weist insgesamt 642.897 polizeilich registrierte Straftaten (außer Verkehrsdelikten), 313.955 Tatverdächtige, eine Aufklärungsquote von 63,0 % sowie (nur) 97.653 rechtskräftige Verurteilungen aus7; hinzu kommt das beträchtliche Dunkelfeld unentdeckter Straftaten8. Im Bundesgebiet beendeten die Staatsanwaltschaften im Jahr 1997 die Ermittlungsverfahren wie folgt: Anklagen 12 %, Strafbefehlsanträge 15 %, Einstellungen nach dem Opportunitätsprinzip 28 % und gem. § 170 Abs. 2 StPO 27 %, sonstige Erledigungen 18 %9.

6 A. v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, 1892, S. 263, 267; J. Goldschmidt, Der Prozess als Rechtslage, 1925, S. 242 f.; B. Grunst, Prozesshandlungen im Strafprozess, 2002, S. 138. Ebenso, jedoch mit unzutr. Begründung, der staatliche „Strafanspruch“ [dazu unten II. 1. b)] sei (grundsätzlich) durchzusetzen: BVerfGE 46, 214 (223); J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens, 1857, S. 157; K. Binding, Die Normen und ihre Übertretung, Bd. 1, 1. Aufl. 1872, S. 6, 10 ff., 13 f.; ders., Handbuch des Strafrechts, Bd. 1, 1885, S. 191; Schanze, Die Rechtskraft des Strafurteils, in: ZStW 4 (1884), S. 437 ff. (446 Anm. 30); E. Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, 1893, S. 7 ff.; K. Birkmeyer, Deutsches Strafprozessrecht, 1898, S. 64; H. Kriegsmann, Die Nichtigkeit des Strafurteils, in: Festgabe für Albert Hänel zum 50jähr. Doktorjubiläum, 1907, S. 453 ff. (463 f.); H. Gerland, Der deutsche Strafprozess, 1927, S. 158; H. Zipf, Strafantrag, Privatklage und staatlicher Strafanspruch, in: GA 1969, S. 234 ff. (236); G. Pfeiffer, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 4. Aufl. 1999, Einl. Rn. 1 (m. Hinw. auf BVerfGE 51, 324 [343]). 7 Quellen: Bayer. Landeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik für den Freistaat Bayern 1999, 2000; Bayer. Landesamt für Statistik und Datenverarbeitung (Hrsg.), Heft 527 der Beiträge zur Statistik Bayerns, 2000. – Entsprechend für das Bundesgebiet im Jahr 2000: Straftaten insgesamt 6.264.723, aufgeklärt 3.325.356 (= 53,2 %); vgl. Bundeskriminalamt (Hrsg.), Polizeiliche Kriminalstatistik 2000, 2001. Zur Kriminalstatistik für 1994 vgl. F.-C. Schroeder, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 1997, Rn. 25. 8 Dazu G. Kaiser, Kriminologie, 3. Aufl. 1996, § 32 Rn. 2 ff.; G. Arzt, in: ders./U. Weber, Strafrecht BT, 2000, § 1 Rn. 24; U. Eisenberg, Kriminologie, 5. Aufl. 2000, § 44 Rn. 12. Allg.: K. Lüderssen, Strafrecht und „Dunkelziffer“, 1972. 9 Vgl. Eisenberg, Kriminologie (Fn. 8), § 27 Rn. 94.

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a) Dieser Befund, dass Prozessrecht offenbar „das Strafrecht nur exemplarisch verwirklichen“10 kann, hat überwiegend erkenntnistheoretische Ursachen. Empirische Sachverhaltsfeststellung ist ungeachtet fortschreitender kriminalistischer, medizinischer und naturwissenschaftlicher Aufklärungsmethodik häufig nur begrenzt möglich. Ein Rechtsstaat als „Überwachungsstaat“ verböte sich zwar von selbst, doch kann auch in concreto der Forschungsaufwand insbesondere prozessökonomisch außer Verhältnis sein zur Ermittlung (und Bedeutung) der Straftat. Auch insoweit stehen formelles und materielles Recht in Wechselbeziehung: „Daß der materielle Inhalt des Rechts vom größten Einfluß auf dessen Verwirklichung ist, bedarf … keiner Bemerkung“11, die beweismäßigen und damit prozessgestaltenden Auswirkungen namentlich auch subjektiver Tatbestands- und Schuldmerkmale sind evident12. Und umgekehrt hat auch das „Strafprozessrecht … eine das materielle Strafrecht gestaltende Kraft“13 : Beweisnotbedingt bildeten sich im Zivilrecht vor allem Beweislastregeln heraus sowie Annäherungen der Verschuldens- an die Gefährdungshaftung, im Strafrecht dagegen (Schuldprinzip und Unschuldsvermutung) z. B.14 Abspaltung des schwieriger nachweisbaren Rechtsirrtums (§ 17 StGB) vom Tatsachenirrtum (§ 16 Abs. 1 StGB)15, Rechtsfiguren der Wahlfeststellung16 und (vorsatzfreien) objektiven Strafbarkeitsbedingungen, unkonturierte Ausweitung relevanter Rechtsgüter17, Gefährdungsdelikte (etwa auch § 264 zu § 263 StGB) schon 10

K. Peters, Strafprozess, 4. Aufl. 1985, § 2 II. R. v. Jhering, Geist des römischen Rechts, II/2, 1898, S. 325. Das gilt auch für seine prozessuale Umsetzung. 12 W. Sarstedt, Beweisverbote im Strafprozess (Referat), in: Verhandlungen des 46. Deutschen Juristentages, Bd. II Teil F, 1967, S. 8 ff. (9); Peters, Strafprozess (Fn. 10), § 2 I (m. Hinw. auf das JGG); C. Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 1 Rn. 13. 13 Peters, Strafprozess (Fn. 10), § 2 VI; so auch Arzt, Strafrecht BT (Fn. 8), § 1 Rn. 20. 14 Näher zum Ganzen K. Peters, Die strafrechtsgestaltende Kraft des Strafprozesses, Recht und Staat 276/277, 1963; K. Lüderssen, Die strafrechtsgestaltende Kraft des Beweisrechts, in: ZStW 85 (1973), S. 288 ff.; T. Hillenkamp, Beweisnot und materielles Recht, in: C. Broda/E. Deutsch/H.-L. Schreiber/H. J. Vogel, Festschrift für Rudolf Wassermann zum 60. Geburtstag, 1985, S. 861 ff.; H. Vest, Zur Beweisfunktion des materiellen Strafrechts im Bereich des objektiven und subjektiven Tatbestandes, in: ZStW 103 (1991), S. 584 ff. (594 ff.); T. Weigend, Bewältigung von Beweisschwierigkeiten durch Ausdehnung des materiellen Strafrechts?, in: K. Schmoller (Hrsg.), Festschrift für Otto Triffterer zum 65. Geburtstag, 1996, S. 695 ff.; W. Perron, Überlegungen zum Verhältnis von Strafrecht und Strafprozessrecht, in: U. Ebert/P. Rieß/C. Roxin/E. Wahle (Hrsg.), Festschrift für Ernst-Walter Hanack zum 70. Geburtstag, 1999, S. 473 ff. (475 ff.); G. Arzt, Beweisnot als Motor materiell-rechtlicher Innovation, in: C. Roxin/G. Widmaier (Hrsg.), 50 Jahre BGH, Festgabe aus der Wissenschaft, Bd. IV, 2000, S. 755 ff. 15 Bereits BGHSt (GrS) 2, 194 (206); entsprechend BGHSt (GrS) 16, 155 (158 ff.): Irrtum über Garantenstellung (§ 16 Abs. 1 StGB) und -pflicht (§ 17 StGB) beim unechten Unterlassungsdelikt (§ 13 StGB). Vgl. Arzt, Beweisnot (Fn. 14), S. 758 f. 16 Arzt, Beweisnot (Fn. 14), S. 760. Vgl. nur BGHSt 1, 302 (304): § 242 (Diebstahl) oder § 259 StGB (Hehlerei). 17 Vgl. Weigend, Beweisschwierigkeiten (Fn. 14), S. 699 ff.: Staatliche Wirtschaftslenkung (§ 264 StGB), Funktionieren des Kapitalmarkts (§ 264a StGB), Leistungsfähigkeit des Kre11

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im Vorfeld eigentlicher Rechtsgutsverletzung (z. B. § 326 Abs. 1 Nr. 4 StGB: „geeignet“)18. Ist materielles Strafrecht schwer „prozessierbar“, findet in der Strafrechtspraxis zu häufig, fern sachgerechter Strafrechtspflege und das allgemeine Rechtsbewusstsein verletzend, resignative Flucht statt in Einstellungen gem. §§ 153, 153a, 154 StPO und in verfahrensbeendigende „Absprache“-Praktiken, die geeignet sind, den Strafprozess zu einem (zivilen) Parteienprozess hin zu denaturieren19. b) Auch aus Rechtsgründen ist materielles Strafrecht prozessual nur fragmentarisch umsetzbar. „Es ist … kein Grundsatz der Strafprozessordnung, dass die Wahrheit um jeden Preis erforscht werden müsste …“20. Der „Preis“ sind der die Allgemeinheit treffende finanzielle (allgemeine und verfahrenskonkrete) Rechtspflegeaufwand sowie Beeinträchtigungen von (Grund-)Rechten des Beschuldigten, der Beweispersonen und Dritter durch zahlreich zulässige prozessuale Zwangseingriffe21. Als „Ausführungsgesetz zum Grundgesetz“22 und „angewandtes Verfassungsrecht“23 bedeutet Strafverfahrensrecht eine am – selbst dem gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess nicht fremd gewesenen24 – Verhältnismäßigkeitsgebot als „übergreifende Leitregel allen staatlichen Handelns“25 orientierte Abwägung zwischen Wahrheitserforschungsinteresse (§§ 160, 244 Abs. 2 StPO) und damit generell oder nur in concreto kollidierenden sonstigen rechtswerthaften Belangen: Je gewichtiger jenes ist,

ditgewerbes (§ 265b StGB), Bestand der Umwelt als Ganzes (§§ 324 ff. StGB), Volksgesundheit (§§ 29 ff. BtMG). 18 Weigend, Beweisschwierigkeiten (Fn. 14), S. 699 ff.; Perron, Überlegungen (Fn. 14), S. 479; Hillenkamp, Beweisnot (Fn. 14), S. 868 f.; Arzt, Strafrecht BT (Fn. 8), § 1 Rn. 21. 19 Zur gemeinrechtlichen Beweistheorie Beklagtes könnte auch heutiger „wissenschaftlicher Beweistheorie“ (G. Radbruch) insbes. in Wirtschaftsstrafsachen (allg. dazu: T. Hillenkamp, Beweisprobleme im Wirtschaftsstrafrecht, in: Recht und Wirtschaft [Ringvorlesung Osnabrück], 1985, S. 221 ff.) gelten: „Die Ueberführung des Missethäters ist sonach fast alleingestellt auf dessen gutmüthige Bereitwilligkeit, sich schuldig finden zu lassen. Er müßte entweder Thor genug sein, seine That vor Zeugen zu vollbringen, oder schwach oder gutmüthig genug, durch eigenes Geständniß dem Richter den Beweis wider sich selbst zu liefern. Und so haben … unsere Gerichtshöfe … den Vorwurf, daß gemeiniglich nur der kleinere Verbrecher von der gesezlichen Strafe erreicht wird, während der grössere und feinere Bösewicht ihr von Rechtswegen entgeht“ (P. J. A. Feuerbach, Betrachtungen über das Geschwornen-Gericht, 1813, S. 43 f.). 20 Klassisch gewordenes Diktum in BGHSt 14, 358 (365). 21 Z. B. Freiheit: §§ 112 ff., 127, 127b Abs. 1, 163b Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2, 163c, 164, 230 Abs. 1; 134, 230 Abs. 2; 81; 126a; 51, 70 StPO. – Körperintegrität: §§ 81a, 81c, 81e, 81 g StPO. – Fernmelde- und Postgeheimnis: §§ 100a, 100b; 99, 100 StPO. – Wohnung: §§ 100c, 100d; 102 ff. StPO. – Eigentum: §§ 94 ff., 111b StPO. 22 Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 99, 333. 23 BVerfGE 32, 373 (383); BGHSt 19, 325 (330). 24 Verf., Rechtsstaatliche Übermaßverbote im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess, in: N. Brieskorn/P. Mikat/D. Müller/D. Willoweit (Hrsg.), Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft (Festschrift für Winfried Trusen), 1994, S. 285 ff. 25 BVerfGE 23, 127 (133).

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desto stärker sind diese belastbar, und umgekehrt26. Ausfluss dieser Güterabwägung sind über vielfältige Beweisverbote27 hinaus auch Regelungen des Opportunitätsprinzips (§§ 153 – 154e; 376 StPO), rechtssicherheitsgegründete Frist- und Formvorschriften28 und das Institut der Rechtskraft29, allgemeine Prozessvoraussetzungen, Schutz freier Entscheidung des Angeklagten über die Einlegung von Rechtsmitteln30 durch das Verbot der reformatio in peius (§§ 331, 358 Abs. 2, 373 Abs. 2 StPO) unter Inkaufnahme selbst von Korrekturen materiellen Strafrechts31. Vor allem aber gilt als 26 Regelungen des Übermaßverbots, z. B. ausdrücklich in §§ 81 Abs. 2 Satz 2, 81a Abs. 1 Satz 2, 112 Abs. 1 Satz 2, 116, 163b Abs. 2 Satz 2 StPO, inzident in Beschränkungen von Grundrechtseingriffen auf bestimmte schwere „Katalogtaten“ (etwa §§ 98a, 100a, 110c Abs. 1 Nr. 3, 110a Abs. 1 StPO). Unmittelbar verfassungsrechtliche Begrenzung positiv-gesetzlich an sich zulässiger Sachverhaltsaufklärung insbes. bei Eingriffen in die persönlichkeitsrechtliche (BVerfGE 54, 148 [153]; ferner BVerfGE 65, 1 [41 ff.]: „informationelle Selbstbestimmung“) Privat- und Intimsphäre (BVerfGE 34, 238 [245 ff.]; 80, 367 [373 ff.]; vgl. auch BGHSt 14, 358 ff. und 36, 167 ff. zu heimlichen Tonaufnahmen sowie BGHSt 19, 325 ff. und 34, 397 ff. zu intimen Tagebuchaufzeichnungen). 27 Umfassende Übersicht bei K. H. Gössel, in: E. Löwe/W. Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 25. Aufl. 1997 ff. (1999), Einl. K Rn. 1 – 171. 28 Vgl. nur RGZ (GrS) 157, 53 (55): Wenn auch die ZPO-Vorschriften „nicht Selbstzweck, sondern dazu bestimmt sind, die Findung und Verwirklichung des materiellen Rechts zu ermöglichen“, so stehe doch darüber „im Einzelfall das höhere Ziel der Wahrung des Rechtsfriedens und der Rechtssicherheit … Dieses Ziel aber lässt sich ohne eine gewisse Formenstrenge … nicht erreichen“. 29 F. C. v. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, 1840 ff., Bd. VI, S. 261 f. (m. Hinw. auf Dig. 44, 2, 6): Es sei „eine Frage der Rechtspolitik“, die Gefahr einer „wahrhaft endlosen Unsicherheit des Rechtszustandes“ abzuwägen gegen die „Gefahr, daß wir ein aus dem Irrtum oder bösen Willen eines Richters entsprungenes Urteil aufrecht halten müssen, auch wenn wir dessen Ungerechtigkeit einsehen“. Diese Abwägung habe „von sehr alter Zeit her … dahin geführt, die … Gefahr der Rechtsunsicherheit als die weit größere, ja völlig unerträgliche anzuerkennen und für ihre Abwendung“ durch das „höchst wichtige Institut“ der „Rechtskraft der richterlichen Urteile“ die „nötige Anstalt zu treffen“. – F. Berner, Non bis in idem, in: Archiv für Preußisches Strafrecht 3 (1855), S. 472 ff. (473): „Sonst würde man über dem Streben nach einer unerreichbaren absoluten Gerechtigkeit die Verwirklichung der einzig möglichen endlichen und beschränkten Gerechtigkeit aufgeben“. – Motive zu § 191 des 1. Entw. zum BGB, in: Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, 1. Bd., 1899, S. 552 f.: „Prozeßzweck wie Rechtspolitik erheischen die Unantastbarkeit des Urteils“. – Bereits § 65 Einl. Pr.AGO v. 1793: „Die Ruhe und Ordnung in der bürgerlichen Gesellschaft gestattet es nicht, daß die Prozesse verewigt, und … unter irgend einem Vorwande wieder angefochten werden“. – E. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 269: „Aber eine ständige Prozesserneuerung ohne Ende … verträgt das Rechtsleben nicht. Die irdische Rechtsordnung nimmt die endgültige Sperrwirkung der res judicata als das kleinere Übel in Kauf“. – Im gleichen Sinn RGZ 42, 372 (375 f.); RG JW 1915, 1264 f. (Rechtkraft als „Fundamentalsatz des deutschen Prozessrechts“); J. W. Planck, Die Mehrheit von Rechtsstreitigkeiten im Prozeß, 1844, S. 538; A. Wach, Vorträge über die Reichs-Civilprozeßordnung, 1879, S. 102 f.; J. Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. II, 1885, S. 62 f. 30 BGHSt 7, 86 (87); 11, 319 (323). 31 Verurteilung zu straftatbestandsfremder Strafe. Extrembeispiel: Der erstinstanzlich wegen fahrlässiger Körperverletzung (§ 229 StGB) zur Geldstrafe von 5 Tagessätzen zu je 1 Euro (§ 40 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 3 StGB) verurteilte Angeklagte wird auf (nur) seine

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Folge verfassungsrechtlicher Unschuldsvermutung das Gebot der (Sach-)Entscheidung in dubio pro reo, verpflichtet der seit jeher das Strafprozessrecht dominierenden Trajan-Sentenz32 des römischen Rechts: Satius est nocentem absolvere quam innocentem condemnare33.

II. Materielles Strafrecht im Prozessrecht Das bisher Ausgeführte, wie materielles Strafrecht und Strafprozessrecht gesetzestechnisch, staats- und verfassungsrechtlich zusammenwirken, ist rechtstheoretisch weitgehend problemlos. Seit gut hundert Jahren, vornehmlich unter dem Stichwort „unrichtiges Sachurteil“ bzw. „Fehlurteil“34 erörtert, nicht zureichend beantwortet jedoch ist die prozessdogmatische Kernfrage35 nach der Funktion materiellen Strafrechts im prozessualen Raum: Was gilt rechtlich? Ist die Verurteilung des NichtTäters (wie umgekehrt der Freispruch des Täters) „rechtswidrig“36, weil materiellrechtlich nur der (aber auch jeder) Täter zu strafen ist37, oder „rechtmäßig“, falls prozessual rechtsfehlerfrei i.S. des § 337 StPO? Ist Richtigkeitsmaßstab für den Untersatz des Strafnormsyllogismus38 also die Wirklichkeit oder die (prozessordnungsgemäß gewonnene und begründete) Gerichtsüberzeugung (§ 261 StPO)? Ist andererseits die i.S. des § 337 StPO prozessual fehlerhafte Verurteilung des (wirklichen) Täters gleichwohl „rechtmäßig“? Und wie verhält es sich bei der sowohl die vorprozessual-materielle Rechtslage verfehlenden als auch i.S. der §§ 337 StPO, 549 Abs. 1, 550 ZPO rechtsfehlerhaften, aber rechtskräftig gewordenen Sachentscheidung? Attestiert bzw. fingiert diesem Urteil die Rechtskraft „heilend“ auch „Rechtmäßigkeit“ oder bewirkt sie nur (formell) Vollstreckbarkeit (§§ 449 StPO, 704 Abs. 1 ZPO) und (materiell) das Verbot des „bis in idem“? Diese Fragen spiegeln die Meinungsvielfalt, zumeist orientiert an prästabilierten Prozesszwecken, wider. Berufung hin nach verletzungsbedingtem zwischenzeitlichen Tod des Opfers nunmehr (§ 264 Abs. 1, 2 StPO) wegen Mordes (§ 211 StGB) zur gleichen Strafe (§ 331 Abs. 1 StPO) verurteilt. 32 Dig. 48, 19, 5 (Ulpian): „Sed nec de auspicionibus debere aliquem damnari Traianus Adsidio Severo rescripsit: satius enim esse impunitum relinqui facinus nocentis quam innocentem damnari“. 33 Dazu Verf., Inquisitionsprozess (Fn. 24), S. 296, 301 f. Ferner Fn. 46 a. E. 34 K. Engisch, Die Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 16: „Etwas wird als gesollt ausgesprochen, was nach materiellem Recht an sich nicht gesollt ist“. 35 W. Sax, Das unrichtige Sachurteil als Zentralproblem der allgemeinen Prozessrechtslehre, in: ZZP 67 (1954), S. 21 ff. (29); dagegen H. F. Gaul, Zur Frage nach dem Zweck des Zivilprozesses, in: AcP 168 (1968), S. 27 ff. (58): „methodische Verirrung“. 36 Mit der intrikaten Konsequenz etwaigen Notwehrrechts (§ 32 StGB) gegen die Urteilsvollstreckung [dazu unten II. 1. b) (3)]. 37 Oben I. 1. 38 Z. B. § 212 StGB: Obersatz: „Wer einen Menschen tötet, wird bestraft“ – Untersatz: „A hat B getötet“ – Conclusio: „A wird bestraft“.

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1. Materielles Strafrecht als Kriterium der Entscheidungsrichtigkeit a) Es liegt nahe, als Prozessaufgabe die „Verwirklichung39 des materiellen Rechts“40 durch ein „materiell richtiges“41, auf „Wahrheit und Gerechtigkeit“42 beruhendes Urteil, die Feststellung (Geltendmachung) des – bereits durch Straftatbegehung entstandenen43 – staatlichen „Strafanspruchs“ gegen den Täter44 zu begrei39

Auch „Durchführung“, „Durchsetzung“, „Bewährung“, „Schutz“. H. M.; z. B. RGZ (GrS) 158, 53 (55; zit. in Fn. 28); BVerfG NJW 1966, 243, 1259 u. 1703; 1972, 2216 u. ständ. Rspr.; BGHZ 10, 350 (359); K. Binding, Grundriss des Gemeinen Deutschen Strafprocessrechts, 1881, S. 3; J. Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. 1, 1883, S. 4 (es werde „der einer Strafrechtsnorm entsprechende Zustand hergestellt“); Schanze, Rechtskraft (Fn. 6), S. 448; F. v. Hippel, Wahrheitspflicht und Aufklärungspflicht der Parteien im Zivilprozess, 1939, S. 332; v. Hippel, Strafprozess (Fn. 3), S. 3; W. Niese, Doppelfunktionelle Prozesshandlungen, 1950, S. 31, 39 (S. 45: Das Urteil bilde „die Schwelle, über die das materielle Recht aus dem prozessualen in den materiellen Raum zurückkehrt“); ders., Narcoanalyse als doppelfunktionelle Prozesshandlung, in: ZStW 63 (1951), S. 199 ff. (214); U. Stock, Das Ziel des Strafverfahrens, in: K. Engisch/R. Maurach (Hrsg.), Festschrift für Edmund Mezger zum 70. Geburtstag, 1954, S. 429 ff.; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 24, 25, 42 u. 277; W. Simshäuser, Zur Entwicklung des Verhältnisses von materiellem Recht und Prozessrecht seit Savigny, 1965, S. 155; H.-F. Gaul, Rechtskraft und Verwirklichung, in: W. Gerhardt/U. Diederichsen/B. Rimmelspacher/J. Costede (Hrsg.), Festschrift für Wolfram Henckel zum 70. Geburtstag, 1995, S. 235 ff. (244); W. J. Habscheid, Das Persönlichkeitsrecht als Schranke der Wahrheitserforschung im Prozessrecht, in: H. Conrad u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift Hans Peters, 1967, S. 840 ff. (851); H. Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1968, S. 17, 88 f.; K. H. Gössel, Die Stellung des Verteidigers im rechtsstaatlichen Strafverfahren, in: ZStW 94 (1982), S. 5 ff. (18); Peters, Strafprozess (Fn. 10), § 16 I; ähnl. T. Kleinknecht/L. Meyer-Goßner, Strafprozeßordnung, 45. Aufl. 2001, Einl. Rn. 2 (Gewinnung einer „Entscheidung über ein materielles Rechtsverhältnis“). Weitere Nachw. bei Verf., Beweisverbote als Prozesshandlungshindernisse, in: K. Geppert/D. Dehnicke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Karlheinz Meyer, 1990, S. 309 ff. (314 Fn. 39). 41 Roxin, Strafverfahrensrecht (Fn. 12), § 1 Rn. 3; Pfeiffer (Fn. 6), Einl. Rn. 2. 42 Z. B. A. Wach, Das Recht der Zeugnisverweigerung, in: GS 66 (1905), S. 1 ff. (3); Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 16, 19 u. 111; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 20, 470; ders., Materielle Rechtskraft – Materielle Gerechtigkeit, in: JZ 1968, S. 681 u. 683; E. Schmidhäuser, Zur Frage nach dem Ziel des Strafprozesses, in: P. Bockelmann/W. Gallas (Hrsg.), Festschrift für Eberhard Schmidt zum 70. Geburtstag, 1961, S. 511 ff. (522): „ideales Ziel“; G. Schmidt, Schuldspruch und Rechtskraft, in: JZ 1966, S. 89 ff. (91); Habscheid, Persönlichkeitsrecht (Fn. 40), S. 849; H.-H. Jescheck, Der Strafprozess, Aktuelles und Zeitloses, in: JZ 1970, S. 201 ff. (204): „Leitprinzipien des Strafprozesses“; Henkel, Strafverfahrensrecht (Fn. 40), S. 389; U. Neumann, Materiale und prozedurale Gerechtigkeit, in: ZStW 101 (1989), S. 52 ff. (52 f., 59, 65); W. Beulke, Strafprozessrecht, 5. Aufl. 2001, § 1 III 1. 43 Planck, Strafverfahren (Fn. 6), S. 117; Glaser, Handbuch II (Fn. 29), S. 8 f.; Ullmann, Lehrbuch (Fn. 6), S. 7, 626; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 29 (Täter „verwirkt die Strafe durch seine Tat“), 281; Beulke, Strafprozessrecht (Fn. 42), § 1 III 1. 44 Nachw. in Fn. 6. Ferner u. a.: RGSt 4, 355 (357); 49, 170; E. Beling, Strafprozessrecht, in: Encyklopädie der Rechtswissenschaft, 2. Bd. 1904, S. 329; K. Binding, Der originäre Strafanspruch im Verhältnis zum urteilsgemäßen, in: Strafrechtliche und strafprozessuale Abhandlungen, 2. Bd., 1915, S. 166 ff. (179); W. Gleispach, Das deutschösterreichische Strafverfahren, 1919, S. 30, 31; A. Graf zu Dohna, Das Strafprozessrecht, 1929, S. 16 f.; E. Kern, Strafverfahrensrecht, 7. Aufl. 1965, S. 87 f.; O. Ranft, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 1995, Rn. 2 40

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fen. Der Zivilprozess habe die Realisierung „subjektiver Privatrechte“45, der Strafprozess den „Schutz Unschuldiger“ und die „Bestrafung Schuldiger“46 zu gewährleisten. Verfehle der Prozess diese Ziele, sei das Urteil, weil am materiellen Recht zu messen, als pathologische Ausnahmeerscheinung47 „rechtswidrig“48 auch dann, wenn es infolge – ausschließlich prozessual als (Vollstreckungsvoraussetzung und) Wiederholungsverbot (ne bis in idem)49 bedeutsamen – Rechtskrafteintritts rechtsverbindlich werde („prozessuale Rechtskrafttheorie“50). Die (vorgegebene) u. 1875; Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 40), Einl. Rn. 7 (Prozessgegenstand sei der „Strafanspruch der Rechtsgemeinschaft“); w. Nachw. bei H. Kaufmann, Strafanspruch, Strafklagerecht, 1968, S. 52 Anm. 199. 45 Etwa: BGHZ 10, 350 (359); 18, 98 (106); Wach, Handbuch (Fn. 1), S. 6, 115; K. Hellwig, System des Deutschen Zivilprozessrechts I, 1912, S. 2; Gaul, Zweck (Fn. 35), S. 48; ders., Die Grundlagen des Wiederaufnahmerechts, 1956, S. 45 f.; B. Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozess, 1966, S. 23; H.-M. Pawlowski, Die Aufgabe des Zivilprozesses, in: ZZP 80 (1967), S. 345 ff. (358); L. Rosenberg/K. H. Schwab/P. Gottwald, Zivilprozessrecht, 15. Aufl. 1993, § 1 III 1; E. Schilken, Zivilprozessrecht, 3. Aufl. 2000, § 1 Rn. 8, 10. 46 Roxin, Strafverfahrensrecht (Fn. 12), § 1 Rn. 6; Neumann, Gerechtigkeit (Fn. 42), S. 53. – Vgl. auch Feuerbach, Geschwornen-Gericht (Fn. 19), S. 116: „Die Gerechtigkeit legt der Weisheit die Aufgabe vor: einen Mechanismus … zu finden, durch welchen so viel als möglich bewirkt werden kann, daß kein Unschuldiger bestraft werde, aber auch kein Schuldiger der verdienten Strafe entgehe“. – Ebenso bereits der gemeinrechtliche Inquisitionsprozess (erg. oben I. 2. b) a. E. mit Fn. 32) mit zahlreichen „schützenden“ Verfahrensregeln, strengen Anforderungen an den Verurteilungsbeweis (gesetzliche Beweistheorie), Verteidigungsrechten und Begünstigungen des Entlastungsbeweises (dazu im Einzelnen Verf., Inquisitionsprozess [Fn. 24], S. 296 – 311). 47 W. Sauer, Grundlagen des Strafprozessrechts, 2. Aufl. 1929, S. 17; ders., Zum Streit um die materielle Rechtskraft, in: Festgabe für Richard Schmidt, 1932, S. 308 ff. (324); ders., Allgemeine Prozessrechtslehre, 1951, S. 4 Anm. 2; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 113; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 284; Gaul, Zweck (Fn. 35), S. 58; O. Jauernig, Zivilprozessrecht, 26. Aufl. 2000, § 62 II 3 d. 48 J. Goldschmidt, Ungerechtfertigter Vollstreckungsbetrieb, 1910, S. 1 f.; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 121; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 284 („in jeder Hinsicht Unrecht“); Henkel, Strafverfahrensrecht (Fn. 40), S. 442; G. Spendel, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 1992, § 32 Rn. 104; Schmidt, Schuldspruch (Fn. 42), S. 91; Neumann, Gerechtigkeit (Fn. 42), S. 56, 63 f.; Ranft, Strafprozessrecht (Fn. 44), Rn. 1875; G. Fezer, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 1995, 17/81; K. Volk, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2001, § 32 Rn. 10. 49 Unstrittig für den Strafprozess (Art. 103 Abs. 3 GG, § 1 StGB). H. M. für den Zivilprozess (vgl. nur BGHZ 35, 338 [340]; 36, 365 [367]; 93, 287 [289]; 123, 30 [34]; E. Bötticher, Kritische Beiträge zur Lehre von der materiellen Rechtskraft, 1930, S. 220 ff.); dort a. M. (nur Abweichungsverbot): BGH NJW 1957, 1111 f.; A. Blomeyer, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1985, § 88 III 2; W. Grunsky, Grundlagen des Verfahrensrechts, 2. Aufl. 1974, S. 494 f.; zur dort beide Wirkungen verbindenden Auffassung vgl. Schilken, Zivilprozessrecht (Fn. 45), Rn. 1011 m. w. N. 50 F. Stein, Über die bindende Kraft der richterlichen Entscheidungen nach der neuen österreichischen ZPO, 1897; ders., Über die Voraussetzungen des Rechtsschutzes, insbes. bei der Verurteilungsklage, 1903; ders., Grundriss des Zivilprozeßrechts und Konkursrechts, 3. Aufl. 1928, S. 277 ff.; J. C. Schwartz, „Absolute Rechtskraft“ und heutiges Deutsches Recht, in: Festgabe für Heinrich Dernburg, 1900, S. 311 ff.; K. Hellwig, Wesen und subjektive Be-

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materielle Rechtslage bleibe unverändert; der „unschuldig“ Verurteilte werde nicht (auch nicht fiktiv) zum „Täter“, der fälschlich Freigesprochene nicht „unschuldig“51, es trete lediglich an „die Stelle des ,Nicht-bestraft-seins‘ … der rechtliche Zustand des ,Bestraft-seins‘“52. b) Diese „materiellrechtliche Entscheidungstheorie“ ist verfehlt, die „prozessuale Rechtskrafttheorie“53 insoweit obsolet. (1) Bereits positiv-gesetzlich können im „prozessualen Raum“ überwiegende Rechtswerte des Schutzes außerprozessualer Rechtsinteressen, der Prozessbeschleunigung, der Verfahrenswirtschaftlichkeit (zeitlicher, personeller, sachlicher und finanzieller Aufwand) und der Rechtssicherheit, die sich in vielfältigen Verfahrensnormen manifestieren, in concreto verhindern, dass „materielles Recht verwirklicht“ bzw. „Strafansprüche durchgesetzt“ werden54. Die Annahme, das Verfahrensziel sei nicht erreicht, gerade weil rechtsrichtig prozediert worden ist, wäre absurd.

grenzung der Rechtskraft, 1901, S. 10, 13, 92 f.; ders., Klagerecht und Klagemöglichkeit, 1905, S. 93; A. Wach, Der Rechtsschutzanspruch, in: ZZP 32 (1904), S. 1 ff.; H. Degenkolb, Einlassungszwang und Urteilsnorm, 1877, S. 152; ders., Beiträge zum Zivilprozess, 1905, S. 28 f.; ders., Die Lehre vom Prozessrechtsverhältnis, in: AcP 103 (1908), S. 385 ff.; F. Heim, Die Feststellungswirkung des Zivilurteils, 1912; Kriegsmann, Nichtigkeit (Fn. 6), S. 488 f.; G. Kuttner, Urteilswirkungen außerhalb des Zivilprozesses, 1914, S. 18; E. H. Rosenfeld, Deutsches Strafprozessrecht, Bd. II, 1926, S. 44, 53; Dohna, Strafprozessrecht (Fn. 44), S. 217; v. Hippel, Strafprozess (Fn. 3), S. 372 ff.; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 121 ff.; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 274 ff.; R. Bruns, Zur Struktur des Prozesses, in: Rechts- u. Staatswissenschaftliche Fakultät der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn (Hrsg.), Festschrift zum 70. Geburtstag von Walter Schmidt-Rimpler, 1957, S. 237 ff.; Rimmelspacher, Prüfung (Fn. 45), S. 131 ff.; Gaul, Zweck (Fn. 35), S. 61; ders., Die Entwicklung der Rechtskraftlehre seit Savigny und der heutige Stand, in: H. H. Jakobs u. a. (Hrsg.), Festschrift für Werner Flume zum 70. Geburtstag, Bd. 1, 1978, S. 443 ff. (512 ff.); ders., Möglichkeiten und Grenzen der Rechtskraftdurchbrechung, 1986, S. 19 f.; E. Schumann, Fehlurteil und Rechtskraft, in: K. A. Bettermann/A. Zeuner (Hrsg.), Festschrift für Eduard Bötticher, 1969, S. 289 ff. (310 f., 320); Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO (Fn. 45), § 151 II 3; Schilken, Zivilprozessrecht (Fn. 45), Rn. 1010. Vgl. auch die Nachw. in Fn. 51. 51 Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 272; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 281, 282; Henkel, Strafverfahrensrecht (Fn. 40), S. 385; K. Schäfer, in: E. Löwe/W. Rosenberg, Die Strafprozeßordnung und das Gerichtsverfassungsgesetz, 24. Aufl. 1988, Einl. Kap. 12 Rn. 54; Volk, Strafprozessrecht (Fn. 48), § 32 Rn. 10. – Vergleichbar zum Zivilprozess: Degenkolb, Einlassungszwang (Fn. 50), S. 153 Anm. 1 („Denn wirklich zur Wahrheit machen, was nicht wahr ist, vermag auch ein Statusurteil nicht“); Hellwig, Wesen (Fn. 50), S. 16; ders., System (Fn. 45), S. 779; Jauernig, Zivilprozessrecht (Fn. 47), § 62 II 3. 52 Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 30; nur insoweit sei das verurteilende Erkenntnis ein „konstitutiv oder rechtsändernd“ wirkendes „Gestaltungsurteil“ (Rn. 30, 31). 53 Zur „materiellen Rechtskrafttheorie“ unten II. 2. 54 Dazu oben I. 2. b). Insbesondere ist der Beschuldigte im Strafverfahren nicht „wahrheitspflichtig“. Demgegenüber § 138 Abs. 1 ZPO: Die Wahrheitspflicht werde durch das „Wesen des Zivilprozesses … gefordert, da er dem Rechtsschutz dienen soll“ (Hellwig, System [Fn. 45], S. 402 f.; ähnl. v. Hippel, Wahrheitspflicht [Fn. 40], S. 332).

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Denn ein solches Erkenntnis55 unterliegt materiell-rechtlicher Beurteilung nur bei Subsumtion des Sachverhalts unter eine Strafvorschrift, ausschließlich prozessualer Bewertung56 aber im Gewinnen des konkreten „Untersatzes“57. Geschieht beides rechtsfehlerfrei, ist die Entscheidung nicht „rechtswidrig“, sondern rechtlich und prozesszweckimmanent geboten58, selbst wenn der „festgestellte“ Sachverhalt nicht der Realität entspricht und etwa ein Nicht-Täter verurteilt wird. „Rechtswidrig“ kann nur eine in jenem Sinn sachlich oder prozessual gesetzwidrige Entscheidung sein; etwaige Rechtskraftwirkungen ändern nichts. Eine dem materiellen Recht nur „dienende“59, „sekundäre“60 Funktion kommt dem Prozessrecht nicht zu61. (2) Folglich kann auch die Vollstreckung eines – den Nicht-Täter strafenden – „Fehlurteils“ nicht rechtswidrig sein. Obgleich sie „rechtswidrige Rechtsgüterverletzung in der Rechtssphäre des Betroffenen“, bei Freiheitsstrafenvollzug „rechtswidrige Freiheitsberaubung“ erkennt62, hält selbst die Gegenauffassung den Verurteilten für grundsätzlich63 duldungspflichtig und nicht notwehrberechtigt, ohne jedoch die Vollstreckungszulässigkeit, insoweit ein „ungelöster Rest“64, überzeugend rechtfertigen zu können: Die Vollstreckung sei zwar „rechtswidrig“, als „unerfreu55 Nicht nur das i.S. des § 337 StPO rechtsfehlerfreie Urteil, sondern auch prozessordnungsgemäße verfahrensabschließende Entscheidungen nach §§ 170 Abs. 2, 204, 153 ff. StPO. 56 Vgl. unten III. 2. a). Daher gegenstandslos ist auch die Unterscheidung zwischen „unrichtigen“ (d. h. die „materielle Wirklichkeit“ nicht treffenden) und „fehlerhaften“ (i.S. der §§ 337 StPO, 550 ZPO) Urteilen (a. M. Grunst, Prozesshandlungen [Rn. 6], S. 54 – 59, 62 f.). 57 Oben Fn. 38. 58 A. Nikisch, Zivilprozessrecht, 2. Aufl. 1952, S. 406: „Sehr häufig kommt das Gericht in die Lage, ein Urteil fällen zu müssen, das der materiellen Rechtslage nicht entspricht und das dennoch nicht anders hätte ergehen dürfen, das deshalb auch als richtig bezeichnet werden muß. Umgekehrt sind Urteile denkbar, die mit der materiellen Rechtslage übereinstimmen und die trotzdem so nicht hätten erlassen werden dürfen, die demnach unrichtig sind“ (Hervorhebungen im Original). 59 RGZ 115, 411 (413); 123, 204 (206); 133, 365 (369); BGHZ 10, 350 (359); BGH LM Nr. 9 zu § 209 BGB; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 45 f. Anm. 25, 114; Simshäuser, Entwicklung (Fn. 40), S. 151 – 153. 60 Ullmann, Lehrbuch (Fn. 6), S. 4; Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 7. 61 Zutr. Sauer, Grundlagen (Fn. 47), S. 20; K. Volk, Prozessvoraussetzungen im Strafrecht – Zum Verhältnis von materiellem Recht und Prozessrecht, 1978, S. 193. 62 Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 285; ebenso Spendel (Fn. 48), § 32 Rn. 106. 63 Gegen die Vollstreckung nicht schon einer „lebenslangen oder hohen Freiheitsstrafe“ (a. M. Spendel [Fn. 48], § 32 Rn. 110), sondern nur „nichtiger“ Strafurteile (insoweit zutr. Spendel, a.a.O., Rn. 109 – 110) ist ein Notwehrrecht anzuerkennen am Maßstab entsprechend geltender Grundsätze (vgl. BVerfGE 3, 225 [232 f.]; 6, 132 [198 f.]; 95, 96 [133]; BGHSt 2, 234 [238 f.]; 33, 126 [127]; 39, 1 [15 f.]; 40, 218 [232, 236]; 42, 65 [68]; 45, 270 [296]), wonach „der Widerspruch des positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Maß erreicht, daß das Gesetz als ,unrichtiges Recht‘ der Gerechtigkeit zu weichen hat“ (G. Radbruch, Gesetzliches Unrecht und übergesetzliches Recht, in: SJZ 1946, S. 105 ff. [107]). 64 Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 123; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 286; Schmidt, Schuldspruch (Fn. 42), S. 91.

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liches Ergebnis“ wegen vorrangiger Rechtssicherheit aber hinzunehmen65 und nur im Rechtsbehelfsweg66 abwendbar67; oder: die Vollstreckung sei „rechtmäßig“68 gemäß Konstruktion einer „rechtmäßigen Handlung mit rechtswidrigem Erfolg“69 bzw. in Konsequenz der Rechtskraft70. In Wahrheit bedarf es nicht solcher Legitimationsversuche. Die „justizförmig“ ordnungsgemäß ergangene Entscheidung ist nie ein „Fehlurteil“, ihre Vollstreckung nie besonderer Begründung bedürftig. Wurde das i.S. der §§ 337 StPO, 549 Abs. 1, 500 ZPO rechtsfehlerhafte, prozessual „ungerechte“ Erkenntnis nicht oder nicht in zulässiger Weise angefochten, wozu Gelegenheit war, hat der Verurteilte, gleichgültig ob faktisch Täter (Schuldner) oder nicht, die Vollstreckung ebenso hinzunehmen wie der Nicht-Schuldner den Zivilrechtsstreit bzw. der verdächtige (aber tatsächlich) Unschuldige das Strafverfahren samt etwaigen Zwangsmaßnahmen bis hin ggf. zur Untersuchungshaft. Denn mit Rechtskrafteintritt war die Unschuldsvermutung rechtswirksam widerlegt (Art. 6 Abs. 2 EMRK), das „Gerechtigkeits“-Interesse rechtsfehlerfreien Urteils71 tritt zurück hinter – ebenfalls rechtsstaatlichen72 – Erfordernissen nunmehr der Rechtssicherheit73. (3) Fundamental falsch ist die h. M. jedoch angesichts der in Art. 20 Abs. 3 GG als Justizgrundrecht mitverbürgten74 Unschuldsvermutung. Außerprozessual erfüllt zwar der Verkäufer V die Voraussetzungen des § 433 Abs. 1 BGB, der Dieb D den Tatbestand des § 242 Abs. 1 StGB. Zivilrechtlich ist damit unmittelbar ein „materielles Recht“, ein „subjektiver Anspruch“ des A aus § 433 Abs. 2 BGB begründet; erfüllt der Käufer K seine Vertragspflicht nicht, liegt die Annahme, der Zivilprozess 65

Niese, Prozesshandlungen (Fn. 42), S. 118 bzw. 123. Anfechtung des Strafbefehls bzw. Urteils, Wiederaufnahmeverfahren, Antrag gem. § 458 Abs. 1 StPO. 67 Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 286; Fezer, Strafprozessrecht (Fn. 48), 17/81; Roxin, Strafverfahrensrecht (Fn. 12), § 50 Rn. 9. 68 Z. B. Volk, Strafprozessrecht (Fn. 48), § 32 Rn. 10. 69 Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 273; ders., Grenzlinien zwischen Recht und Unrecht in der Ausübung der Strafrechtspflege, 1913, S. 32 ff. So i. E. auch die (zivilprozessuale) Ansicht, die Vollstreckung sei (privatrechtlich) rechtswidrig, „publizistisch“ (wegen öffentlich-rechtlichen Vollstreckungsanspruchs) aber rechtmäßig (K. Hellwig, Anspruch und Klagerecht, 1900, S. 149, 492; ders., Klagerecht [Fn. 50], S. 23). 70 Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 268 Anm. 4 („Die Rechtskraft der unrichtigen Entscheidung … ist notbehelfsmäßige Preisgabe des Prozessziels“); Schmidhäuser, Frage (Fn. 42), S. 519, 521. Weiter gehend Gaul, Zweck (Fn. 35), S. 58 u. Schumann, Fehlurteil (Fn. 50), S. 320: Rechtskraft verbiete schon die Frage nach der Urteilsrichtigkeit. 71 Vgl. unten zu III. 2. b). 72 BVerfGE 3, 225 (237); 7, 194 (196); 15, 313 (319); 19, 150 (166); 41, 323 (326); 56, 22 (31); 65, 377 (380). 73 Zum rechtspolitisch unverzichtbaren Institut der Rechtskraft als Bedingung wirksamer (Straf-)Rechtspflege s. o. I. 2. b) mit Fn. 29. Als „Verwirkung“ materieller Rechte durch Nichtinanspruchnahme prozessualer Möglichkeiten ist Rechtskraft nicht zureichend begründbar (zutr. Gaul, Rechtskraft [Fn. 40], S. 237 f., 240 ff. gegen W. Henckel, Prozessrecht und materielles Recht, 1970, S. 62, 93 ff., 96). 74 BVerfGE 19, 342 (348 ff.); 74, 358 (370); BVerfG NStZ 1991, 30. 66

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diene der Realisierung der Verkäuferforderung, gewiss nicht fern. Diametral anders das Strafrecht: Normativ existiert außerprozessual keine „Straftat“, kein vom (nur faktischen) Täter D zu erfüllender staatlicher „Strafanspruch“75; ja, es wird im Gegenteil rechtlich vermutet, er (D) sei gar nicht Täter einer Straftat. Vielmehr bestehen Schuld und Strafbarkeit nur hypothetisch76 für den Fall, dass prozessual rechtsrichtig, jedenfalls aber stets rechtskräftig, unter Widerlegung der Unschuldsvermutung der konkrete Sachverhalt als „Untersatz“ einer Strafnorm77 konstituiert werde. Bis dahin rechtlich Inexistentes scheidet als Kriterium für Entscheidungsrichtigkeit aus. Und sei die Realität der Maßstab: Durch wen, in welchem notwendig anderen Verfahren78 – sicher nicht in der Revision – und wie wäre sie, weil nicht als bekannt voraussetzbar, festzustellen? Im Übrigen: Normativität (im „prozessualen Raum“) erschließt sich nicht aus (vorprozessualer) Faktizität. Falllösungen in Juristenfakultäten sind keine Rechtspflegeakte79. (4) Definiert als Durchsetzung des „materiellen Rechts“ oder „Strafanspruchs“ (bzw. „subjektiven Privatrechts“) entspricht der verfahrenszweckbestimmte80 Prozessgegenstand, moderner Prozessrechtsdogmatik zuwider, im Grunde noch gemeinrechtlichem Aktionendenken. Die actio (Klagerecht) setzte ursprünglich voraus „ein Recht an sich und eine Verletzung desselben“81; die Prozesstheorie hatte „nur die leeren Formeln“ zu liefern, welche „andere Disziplinen mit Inhalt und mit Leben … fül-

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Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 4; Volk, Strafprozessrecht (Fn. 48), § 2 Rn. 2. – Die heute historisch und dogmatisch i. d. R. unreflektierte Vorstellung eines staatlichen „Strafanspruchs“ wurzelt in zivilistischem Aktionendenken des gemeinen Rechts (dazu sogleich unter [4]; ausführlich Kaufmann, Strafanspruch [Fn. 44], S. 12 ff., 44 ff., 71 ff., 130 f.) und lässt sich allenfalls verstehen als „Anspruch“ gegen den Straftatverdächtigen, sich einem Strafverfahren zu unterwerfen (vgl. auch Roxin, Strafverfahrensrecht [Fn. 12], § 1 Rn. 11; Volk, Prozessvoraussetzungen [Fn. 61], S. 185). Näher G. Wolfslast, Staatlicher Strafanspruch und Verwirkung, 1995, S. 92 ff. 76 Vgl. oben I. 1. 77 s. o. Fn. 34. 78 Zutr. Volk, Prozessvoraussetzungen (Fn. 61), S. 197 (allenfalls im Wiederaufnahmeverfahren, das jedoch erneut keine „Seins“-Wahrheit garantieren könnte). 79 Am Katheder wird (meist) recht, nie Recht, gesprochen. – Dazu auch Nikisch, Zivilprozessrecht (Fn. 58), S. 406: Richtigkeit eines Gerichtserkenntnisses und eines privaten Rechtsgutachtens (mit vorgegebenem Tatbestand) nicht an gleichem Maßstab zu beurteilen. Ferner Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 4 f.: „… der Ausschnitt aus dem Leben, den das Strafprozessrecht regelt, ist ein anderer als der, den das Strafrecht regelt“. 80 K. Engisch, Die Idee der Konkretisierung in Recht und Rechtswissenschaft unserer Zeit, 1953, S. 72. 81 Savigny, System V (Fn. 29), S. 6. Ebenso G. F. Puchta, Pandekten, 9. Aufl. 1863, § 81 (Actio sei „die jedem Recht anklebende Befugnis, für den Fall, daß es verletzt werden sollte, den Schutz der richterlichen Gewalt anzurufen“; sie sei „vorhanden auch vor der Verletzung“, werde „aber realisirbar erst durch dieselbe“). Vgl. auch H. Dernburg, Pandekten, Bd. I, 7. Aufl. 1902, § 127. Für das Strafrecht: Planck, Strafverfahren (Fn. 6), S. 117 f.; Ullmann, Lehrbuch (Fn. 6), S. 8.

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len“82 mussten. Diese rechtssystematische Einheit von materiellem Recht und actio zerbrach mit begrifflicher Ablösung der actio vom materiellen Anspruch83, der indessen weiterhin Klagevoraussetzung blieb; Klagerecht war im materiellen Sinn der sachlich-rechtliche Anspruch, im prozessualen Sinn das „Recht auf Hülfe des Staates“84. Wer (materiell) Unrecht hatte, tat durch Klage (prozessual) Unrecht. Erst die „moderne konstruktive Epoche der deutschen Prozessrechtswissenschaft“85 entwickelte den „publizistischen“86, nicht mehr aus dem materiellen Recht abgeleiteten, sondern davon unabhängigen Begriff des Klagerechts i.S. eines „Rechtsschutzanspruchs“: Prozessgegenstand ist der nur behauptete Anspruch, das lediglich behauptete (materielle) Recht, klagebefugt ist auch der materiell Nichtberechtigte87, im Strafrecht ebenso prozessual „rechtmäßig“ ist die Anklage gegen den tatverdächtigen Nicht-Täter88; den Schutz des Beklagten „übernimmt das Verfahren selbst nach Maßgabe seiner gesetzlichen Ausgestaltung“89. Damit jedoch nur vorbereitet, noch nicht gewonnen war die Erkenntnis, „dass ein Recht, das vorerst nur den Gegenstand der Behauptung bildet, nicht mehr an seine materiellrechtlichen Existenzbedingungen gebunden ist“90. Diesen gebotenen91 letzten Schritt – Irrelevanz des ma82 Degenkolb, Einlassungszwang (Fn. 50), S. 2. Vgl. auch Hinweis bei G. W. Wetzell, System des ordentlichen Civilprozesses, 3. Aufl. 1878, S. 330, dass „die Prozeßtheorie den Begriff der Klage dem Zivilrecht“ entlehnte und Gerichtsbarkeit „nur von seiten ihrer praktischen Anwendung“ dem Prozessrecht angehörte. 83 B. Windscheid, Die Actio des römischen Civilrechts, vom Standpunkte des heutigen Rechts, 1856, S. 3 – 7, 228 – 231. 84 Windscheid, Actio (Fn. 83), S. 44, 73, 76 f., 222. 85 R. Stinzing/E. Landsberg, Geschichte der deutschen Rechtswissenschaft, Bd. III/2, 1910, S. 954; Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 1, 146; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 21 f. 86 Bereits T. Muther, Zur Lehre von der Römischen Actio, dem heutigen Klagerecht der Litiscontestation und der Singularsuccession, 1857, S. 40 f.: Es bestünden „zwei verschiedene Rechte, von denen zwar das eine die Voraussetzung des anderen ist, die aber zwei verschiedenen Gebieten angehören; denn jenes ist Privatrecht, dieses ist publizistischer Natur …“. 87 Z. B. Degenkolb, Einlassungszwang (Fn. 50), S. 3, 27; Wetzell, System (Fn. 82), S. 822; J. Kohler, Der Prozeß als Rechtsverhältnis, 1888, S. 42; Wach, Handbuch (Fn. 1), S. 13 ff., 19, 212, 293 f., 296 f.; ders., Der Feststellungsanspruch, 1889, S. 15 ff.; ders., Rechtsschutzanspruch (Fn. 50), S. 12, 30; Stein, Rechtsschutz (Fn. 50), S. 2 f., 13; Hellwig, System (Fn. 45), S. 254; ders., Klagerecht (Fn. 50), S. 61. 88 Vgl. nur Binding, Handbuch I (Fn. 6), S. 192 f. (im Anschluss – S. 192 Anm. 1 – an die „trefflichen Ausführungen“ Degenkolbs): „Strafklagerecht … hat … das Strafrecht nicht zur Voraussetzung und kann noch weniger als die praktische Seite desselben betrachtet werden“, es „kann das Verbrechen fehlen, aber sein Verdacht begründet das Strafklagerecht“. Ferner Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 4 (Dass „einem völlig Unschuldigen ein Strafprozeß gemacht werden darf“, ergebe sich „aus der einfachen Erwägung, daß der Strafprozeß selbst ja erst die Feststellung, ob sich der Beschuldigte strafbar gemacht hat, erbringen soll“) u. S. 97 („Das Strafklagerecht ist von dem … ,Strafanspruch‘ grundverschieden …“ und gehe „nicht auf das Strafleiden, nicht einmal auf die verurteilende Tätigkeit des Gerichts, sondern nur auf ordnungsgemäße Abwicklung des Prozesses mit dem Ziel einer gerichtlichen Entscheidung über den Prozeßgegenstand“). 89 Degenkolb, Einlassungszwang (Fn. 50), S. 13, 38. 90 A. Nikisch, Der Streitgegenstand im Zivilprozess, 1935, S. 18.

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teriellen Rechts für die Konstituierung des Strafnorm-„Untersatzes“92 im „prozessualen Raum“ – hat die „materiellrechtliche Entscheidungstheorie“ bis heute nicht getan. (5) Pathetisch-eindrucksvoll wie inhaltsleer ist das Postulat „Wahrheit und Gerechtigkeit“. Verfahrens-„Gerechtigkeit“ i.S. rechtsstaatlicher Justizförmigkeit („Wahrheit durch Gerechtigkeit“) ist nicht mehr (was wäre das „Mehr“?) als rechtsrichtiges Prozedieren – eine kreisschlussgefährdete93 Selbstverständlichkeit94. Sach„Gerechtigkeit“ i.S. des suum cuique (Bestrafung – nur – des Täters; Zuerkennung eines vorprozessual entstandenen zivilrechtlichen Anspruchs) meint nur wieder das Prozessziel „Verwirklichung des materiellen Rechts“ („Gerechtigkeit durch Wahrheit“). Zudem: Sach-„Gerechtigkeit“ („um jeden Preis“95) hindert Verfahrens-„Gerechtigkeit“, wie umgekehrt diese jene (Wahrheitserforschung „nicht um jeden Preis“96) – wie verhält sich beides zueinander? Vor allem jedoch: „Quid est veritas?“97. Da frühere Forderungen, diese Wahrheit müsse eine „reine, unverfälschte“98, „schlechthinige“99, „objektive, materielle, allgemein giltige“100 sein, schon angesichts begrenzter menschlicher Erkenntnisfähigkeit, genauer: nur Wahrscheinlichkeitsaussagen liefernden empirischen Beweises, unerfüllbar sind, soll „Annäherung“101 an bzw. „unabdingbare Intention“102 auf sie oder Streben nach ihr – notabene: rechtlich! – genügen. Damit aber stünde, strafrechtlich gesprochen, der Versuch der Vollendung gleich. „Wahrheit“ wäre relativierbar, quantifizierbar oder ein qualitativ Diverses zu jener Seins-Wahrheit103 ; folgerichtig müsste sie ein darauf gestütz-

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Zur Begründung unten III. 2. b). Vgl. oben Fn. 38 sowie Fn. 56. 93 „Gerecht“, falls justizförmig – „justizförmig“, also gerecht. 94 Bereits die Constitutio Criminalis Carolina (1532) gebot richterliches Handeln „auß lieb der gerechtigkeyt, vnd vmb gemeynes nutz willen“ (Art. 104). 95 „Wer ,immer gerecht‘ handeln möchte, übersieht leicht, was links und rechts am Wege liegen bleibt“ (Volk, Prozessvoraussetzungen [Fn. 61], S. 199). 96 Oben I. 2. b) mit Fn. 20. 97 Joh. 18, 38 (schon damals – leider! – nicht beantwortete Prozessfrage). 98 Feuerbach, Geschwornen-Gericht (Fn. 19), S. 112. 99 R. Köstlin, Der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens im 19. Jahrhundert, 1849, S. 21 (ferner a.a.O.: „Das wirklich verletzte Recht ist schlechthin wieder herzustellen …“). 100 Glaser, Handbuch I (Fn. 40), S. 340. Ferner: A. Bauer, Lehrbuch des Strafprocesses, 1835, S. 5, 81: es komme „auf wirkliche (materielle) Wahrheit und wirkliches (materielles) Recht an“; W. Endemann, Das Prinzip der Rechtskraft, 1860, S. 122: „Die Grundlage der Rechtskraft ist das Urtheil über die reale Wahrheit des streitigen Verhältnisses“. Vgl. auch Kommissionsbericht zum StPO-Entwurf, in: C. Hahn, Die gesammten Materialien zur StPO, Bd. II, 1881, S. 1512: „Die Aufgabe des Strafverfahrens besteht in der Ermittelung der materiellen Wahrheit“. 101 Sauer, Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 2. 102 Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 20; ders., Rechtskraft (Fn. 42), S. 681. 103 Unten III. 2. b); vgl. auch N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, 1969, S. 20. 92

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tes „Fehlurteil“ als rechtsrichtig ausweisen! Vielmehr gilt: „Der Maßstab des Rechts ist nicht der absolute der Wahrheit, sondern der relative des Zwecks“104. 2. Entscheidungsrichtigkeit infolge materieller Rechtskraft a) Die „materielle Rechtskrafttheorie“105 verordnet nicht nur Rechtsverbindlichkeit, sondern sucht diese, „romanistisch“ anknüpfend an den Satz „iudex jus facit“106 auch zu legitimieren für alle nicht (mehr) anfechtbaren Sachentscheidungen, so dass das Problem des „Fehlurteils“107 entfällt: Rechtskraft bewirke Rechtsrichtigkeit, sei es gemäß römischem108 und kanonischem109 Vorbild als Fiktion der Wahrheit110 bzw. unwiderlegliche Vermutung gültigen Rechts111, sei es weiter gehend als neu geschöpftes, erzeugtes Recht112. Das „richtige“ Urteil bestätige die (vorprozessuale) 104 R. v. Ihering, Der Zweck des Rechts, in: ders., Der Kampf ums Recht, 1892, S. 386 ff. Dazu näher unten sub III. 105 RGZ 71, 311; 75, 27 u. 215; 78, 395; Savigny, System VI (Fn. 29), S. 259 ff.; Kohler, Prozeß (Fn. 87), S. 64, 112; ders., Gesammelte Beiträge zum Zivilprozeß, 1894, S. 12 f.; ders., Das materielle Recht im Urteil, in: Festschrift für Franz Klein zu seinem sechzigsten Geburtstage, 1914, S. 1 ff.; M. Pagenstecher, Die praktische Bedeutung des Streites über das Wesen der Rechtskraft, in: ZZP 37 (1908), S. 1 ff. (13 ff.); H. Reichel, Rechtskraft und ungerechtfertigte Bereicherung, in: Festschrift für Adolf Wach, Bd. III, 1913, S. 1 ff. (5 f.); R. Neuner, Die dogmatische Bedeutung der materiellrechtlichen und prozessualen Rechtskraftlehre, in: ZZP 54 (1929), S. 217 ff. (238 ff., 245 ff., 251); weitere Nachw. in Fn. 111 – 115. 106 Stein, Grundriss (Fn. 50), S. 277. Vgl. auch R. Neuner, Privatrecht und Prozessrecht, 1925: „Das Zivilurteil stellt grundsätzlich Rechtsbeziehungen zwischen … Parteien fest“ (a.a.O. S. 8), da „Prozessrecht und Privatrecht … eine untrennbare Einheit“ bilden (a.a.O. S. 6). 107 Oben II. 2. b) (2). 108 Dig. 50, 17, 207: „res iudicata pro veritate accipitur“. 109 CIC C. 1904 § 1: „Res iudicata praesumptione iuris et de iure habetur vera et iusta nec impugnari directe potest“. § 2: „Facit ius inter partes et dat exceptionem ad impediendam novam eiusdem causae introductionem“. 110 Savigny, System VI (Fn. 29), S. 261 (S. 263: hierdurch könne „es geschehen, daß ein vorher nicht vorhandenes Recht neu erzeugt, oder daß ein vorhandenes Recht zerstört, vermindert oder in seinem Inhalt verändert wird“). 111 Windscheid, Actio (Fn. 83), S. 110 f., 118; B. Windscheid/T. Kipp, Lehrbuch des Pandektenrechts I, 9. Aufl. 1906, § 129, § 131 Anm. 2; A. Mendelsohn-Bartholdy, Grenzen der Rechtskraft, 1900, S. 365 f. – Ebenso noch R. Pohle, Über die Rechtskraft im Zivil- und Strafprozess, in: ÖJBl. 1957, S. 113 ff. (118); ders., Gedanken über das Wesen der materiellen Rechtskraft, in: Gedächtnisschrift für Piero Calamandrei, Bd. 2, 1958, S. 377 ff. (388, 392 ff.); J. Blomeyer, Zum Streit über Natur und Wirkungsweise der materiellen Rechtskraft, in: JR 1968, S. 407 ff. (411). 112 J. E. Kierulff, Theorie des gemeinen Civilrechts, Bd. I, 1839, S. 42 ff. („Was der competente Richter … als Recht ausspricht, das ist … objektive Wahrheit … Das rechtskräftige Civilurteil erzeugt formelles Recht, aber nicht in dem Sinne, als wenn es jenseits des Urteils, im Gegensatz zu demselben, noch ein wirkliches, nur nicht anerkanntes, sog. materielles Recht gäbe … Das so als res iudicata … vorgedrungene Recht ist das wirkliche und einzig wahre Recht!“); Puchta, Pandekten (Fn. 81), S. 142 f. (Rechtskraft begründe „Wahrheit des-

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Rechtslage mit neuem Rechtsgrund, das „unrichtige“ gestalte sie inhaltlich neu113. Die Verurteilung des „Unschuldigen“ schaffe „einen neuen Strafanspruch ex judicato“114, der Freispruch des „Schuldigen“ tilge den (materiellen) „Strafanspruch“, dieser sei „untergegangen“, „erloschen“, „bestehe nicht mehr“115. b) Auch die „materielle Rechtskrafttheorie“, obgleich besser als ihr Ruf, begegnet durchgreifenden Einwänden. (1) Unbegründet allerdings ist der Vorwurf, sie betreibe „Wahrheitsfälschung“116 und erkläre „auf Kosten des richtigen Rechts das Unrecht für Recht“117, denn Prozessrecht könne materielles Recht nicht ändern118, der Nicht-Täter werde auch „nicht von Rechts wegen zum Dieb“119, Recht sei prozessual „nicht zur Existenz sondern zur Evidenz zu bringen“120. Diese Kritik ist ihrerseits ausgesetzt der gegen die „materielle Entscheidungstheorie“ erhobenen Antikritik, dass Wirklichkeit und materielles Recht nicht (allgemeine) Maßstäbe prozessualer Entscheidungsrichtigkeit sein können121. Den Geltungsanspruch auch eines sog. Fehlurteils vermag die „materielle Rechtskrafttheorie“, die Sachentscheidung konstitutiv und nicht nur deklaratorisch begreifend122, jedenfalls ohne dogmatische Argumentationsbrüche darzutun123. Die Einschätzung, es sei „obrigkeitlich“124 gedacht, ja „Staatsautokratissen, was die Sentenz über die in iudicium deducierten Rechte der Parteien ausspricht“); J. Kohler, Lehrbuch des Bürgerlichen Rechs, 1906, S. 218 („… es entsteht das dem Urteil entsprechende Recht“). 113 Sogar im Sinn einer „unbedingt bestimmende(n) Norm“ (J. Unger, System des österreichischen Allgemeinen Privatrechts, Bd. II, 1859, S. 618), einer „Legaldefinition“ bzw. eines „Spezialgesetzes“ (F. Regelsberger, Pandekten, Bd. I, 1893, § 196 II Anm. 1; Degenkolb, Einlassungszwang [Fn. 50], S. 84) oder einer „Privatlex“ (Endemann, Prinzip [Fn. 100], S. 42, 152). 114 Birkmeyer, Strafprozessrecht (Fn. 6), S. 680. 115 RGSt 25, 27 (29); 35, 367 (369 f.); 41, 151 (152); 49, 170; 66, 419 (423). 116 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 188; Sax, Sachurteil (Fn. 35), S. 32, 33; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 111 f.; Gaul, Zweck (Fn. 35), S. 54 f.; ders., Entwicklung (Fn. 50), S. 455 f. 117 Henkel, Strafverfahrensrecht (Fn. 40), S. 385. 118 Schumann, Fehlurteil (Fn. 50), S. 307 f. 119 Schäfer (Fn. 51), Einl. Kap. 12 Rn. 54. Ähnlich Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 272; Peters, Strafprozess (Fn. 10), § 54 II 1 a. 120 Wach, Rechtsschutzanspruch (Fn. 50), S. 6. Zust. Nikisch, Zivilprozessrecht (Fn. 58), S. 404. 121 Oben II. 1. b). 122 Auch Sauer, Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 234 f., konzediert einen „von den Gegnern verkannte(n) richtige(n) Kern dieser (höchst sympathisch an die schöpferische Kraft des Richters appellierenden) Ansicht …, daß das Urteil Recht schafft“; unrichtig sei aber „die Annahme, daß es neues Recht schafft … Es bestand bereits, aber es war noch nicht prozessual gestaltet“. 123 Insoweit zur „prozessualen Rechtskrafttheorie“ oben II. 1. b) (2). 124 Schumann, Fehlurteil (Fn. 50), S. 314 f.

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mus“125, wenn Recht nur sei, „was der Staat als Recht gelten lässt“126, trifft die „materielle Rechtskrafttheorie“, richtig verstanden als eine Verfahrenstheorie, nicht. (2) Jedoch ist sie klassische Konsequenz überwundener Aktionen-Dogmatik127, wonach das in ein Klagerecht metamorphosierte sachliche Recht selbst Urteilsgegenstand war. Materielles Recht konstituierte folglich auch das Urteil: Es „gehört nach seiner Form und seinen Bedingungen, in den Prozeß; dagegen hat es, sobald es rechtskräftig ist, zweierlei Wirkungen: die aus einer res judicata entspringende actio und exceptio (die in das System der Rechte selbst gehören), und die Exekution, die reine Prozeßlehre ist“128. Prozessgegenstand kann jedoch, wie ausgeführt129, nur die Rechtsbehauptung im Zivilrechtsstreit bzw. der Tatverdacht im Strafverfahren sein, nicht der materielle Anspruch oder die Straftat selbst130. Umgestaltung materiellen Rechts durch Richterspruch wäre „in dieser Allgemeinheit auch schwerlich mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung vereinbar …“131. (3) Entscheidend gegen diese „materielle“ Theorie spricht die Funktion eben der Rechtskraft. Wirkte sie materiell-rechtskonstitutiv, wäre begründungsbedürftig, weshalb sie nicht nur als „Abweichungs-“, sondern (jedenfalls im Strafrecht) als Wiederholungsverbot zu begreifen und nicht lediglich auf (dispositive) Einrede der Partei bzw. Sachrüge in der Revision, sondern als Prozesshindernis von Amts wegen zu beachten sei. Ein maßgebend schon als „Recht“ verbindlicher Urteilsinhalt132 entleerte

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Sax, Sachurteil (Fn. 35), S. 33. Reichel, Rechtskraft (Fn. 105), S. 6, der (S. 4: im Anschluss an W. Jellinek, Der fehlerhafte Staatsakt, 1910, S. 185) fortfährt: „Gelten aber läßt der Staat … nur das, was von seinen Organen als Recht respektiert werden darf und muß. Ein subjektives Privatrecht besteht folglich … nur insoweit, als seine Geltendmachung vor den staatlichen Rechtsbewährungsorganen Gehör finden kann. Alles übrige mag ein Recht in thesi sein; ein Recht in praxi ist es nicht“. 127 Dazu oben II. 1. b) (4). 128 Savigny, System I (Fn. 29), S. 3. 129 Oben II. 1. b) (4). Vgl. auch unten III. 2. b). 130 Unten III. 1. – Auf weitere zivilprozessuale Einwände gegen die materielle Rechtskrafttheorie – vor allem angesichts Rechtskraftwirkung nur inter partes – ist hier nicht einzugehen (dazu etwa Stein, Grundriss [Fn. 50], S. 278; Wach, Handbuch [Fn. 1], S. 629; Sauer, Streit [Fn. 47], S. 323; Jauernig, Zivilprozessrecht [Fn. 47], § 62 II 3 a; Gaul, Entwicklung [Fn. 50], S. 513 ff.). 131 Schilken, Zivilprozessrecht (Fn. 45), Rn. 1010. Vgl. schon Binding, Strafanspruch (Fn. 44), S. 285: „… dass das Gericht durch Urteil Strafrechte neu schaffen und entstandene Strafrechte vernichten könnte, davon ist staatsrechtlich gar keine Rede; das liegt ganz außerhalb seiner Zuständigkeit“. 132 Pagenstecher, Lehre (Fn. 112), S. 302 („Was wahr ist, ist maßgebend für alle; damit es beachtet wird, bedarf es nicht noch eines besonderen Befehls“); Kohler, Prozeß (Fn. 87), S. 64, 74; ders., Recht (Fn. 105), S. 1 (wegen der „zivilistischen Änderung“ durch rechtskräftiges Urteil sei es „doch selbstverständlich, daß, nachdem diese Wandlung eingetreten ist, alle Staatsbehörden sie ebenso anerkennen müssen, wie sie durch irgend einen zivilistischen Akt hervorgerufen worden wäre“). 126

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die Rechtskraftidee133 und wäre im Grunde reduziert auf reine „Tatbestands“-Wirkung134. Diese aber ist nicht Grund, sondern nur Folge von Rechtskraft135, der nicht (innerprozessuale) Richtigkeits- bzw. Gerechtigkeits-, sondern allein (außerprozessual-staatsrechtliche) Beendigungs- und Rechtssicherheitsfunktion zukommt136. Um derart „maßgeblich“ zu sein, muss die Entscheidung (materielles) „Recht“ weder konstituieren noch fingieren137. (4) Frühere, der „materiellen Rechtskrafttheorie“ zuzurechnende Judikatur138 zu einer Zeit, als die Bedeutung von Amts wegen zu beachtender Prozesshindernisse noch nicht klar gesehen war, gestattete dem Revisionsgericht, nicht oder nicht ordnungsgemäß durch Verfahrensrüge beanstandete Verletzung des „ne bis in idem“ auch auf Sachrüge hin zu prüfen. Diese Rechtsprechung ist seit langem gegenstandslos139. 3. Entscheidungsrichtigkeit durch Rechtsgestaltung a) Schieden materielles Recht und Rechtskraft als (generelle) Prinzipien prozessrichtiger (Straf-)Rechtsverwirklichung aus, bleiben innerprozessuale und das Wesen des Rechts selbst bemühende Versuche zu prüfen, das (faktisch und normativ) Unmögliche (absolutes Erkennen außerprozessualer Rechtswirklichkeit) mit dem unabdingbar Notwendigen (Rechtsgeltung unanfechtbarer Sach-Entscheidungen) in Einklang zu bringen. (1) Materielles und prozessuales Recht dualistisch140, d. h. jenes diesem maßstabsirrelevant gesehen, verleihe Rechtskraft – ein wiederum rein innerprozessuales Insti-

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F. Lent, Die Gesetzeskonkurrenz im bürgerlichen Recht und Zivilprozeß, Bd. II, 1916, S. 294 f.; Gaul, Entwicklung (Fn. 50), S. 497. Vgl. auch BGB-Motive (Fn. 29), S. 553: „Der innere Grund der materiellen Rechtskraft wird vielfach – unter Berufung auf D. 50, 207: res iudicata pro veritate accipitur – in einer an das Urteil geknüpften Fiktion gesucht. Das Urteil nimmt indessen seine Kraft nicht aus der wahren oder künstlichen Übereinstimmung mit der Wirklichkeit, sondern aus der ihm seitens des Staates beigelegten Autorität. Es gilt, weil der Richter … es gesprochen hat und weil es im Interesse der unentbehrlichen Rechtssicherheit den endgültigen Austrag in sich tragen muß“. 134 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 185; Gaul, Entwicklung (Fn. 50), S. 497. – Folgerichtig z. B. Neuner, Bedeutung (Fn. 105), S. 255: Normen über Rechtskraftwirkung gehören zum materiellen Recht. 135 Wach, Handbuch (Fn. 1), S. 6. 136 Oben I. 2. b) mit Fn. 29. Bereits O. Bülow, Absolute Rechtskraft des Urteils, in: AcP 83 (1884), S. 1 ff. (63 f., 66): „staatlich rechtsbestimmende Kraft“, „Autorität des Richterspruchs“ (gegen v. Savignys „Fiktionstheorie“). 137 Schanze, Rechtskraft (Fn. 6), S. 452; Schumann, Fehlurteil (Fn. 50), S. 310 f.; J. Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens, 1973, S. 100 f. 138 Nachweise oben Fn. 105 und 115. 139 Schon RG JW 1926, 291 f. („Wirkungen der Rechtskraft von Amts wegen zu beachten“). 140 So auch die „prozessuale Rechtskrafttheorie“ (oben II. 1. a)).

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tut141 – dem (Sach-)Urteil „Gerichtskraft“ i.S. „eine(r) zweite(n) – konkrete(n) – Ordnung … , die neben die Rechtsordnung … tritt und ihr im Konfliktfall142 nach dem soziologischen Machtprinzip vorgeht“143, bzw. „prozessuale Gestaltungskraft“144, i. e. „die endgültige, d. h. als abschließend gedachte, Kraft der Sach- und Rechtsgestaltung eines konkreten Lebenstatbestandes“145. – „Gerichtskraft“ gründe im Ziel des empirisch-dynamisch „auf die Herbeiführung von Rechtskraft“146 gerichteten, vom (statischen) materiellen Recht völlig emanzipiert zu begreifenden Prozesses147. – „Prozessuale Gestaltungskraft“ gewinne das (Sach-)Urteil, weil die als Ideal vorgegebene, gerichtlich aber unerreichbare Gerechtigkeit prozessual gestaltet werde durch schöpferisches148, das Recht für den Einzelfall konstitutiv setzendes Tun des Richters149; dessen „Funktion“ sei „nicht bloße Rechtsanwendung, vielmehr Rechtsschöpfung, nicht bloße Rechtsprechung, vielmehr Rechtssatzung, nicht bloße Rechtsfindung, vielmehr Rechtsgestaltung“150. Das „Fehlurteil“ tangiere zwar nicht 141 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 266 f.; Sauer, Streit (Fn. 47), S. 329; ders., Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 233 f. 142 D. h. bei die materielle Rechtslage verfehlendem Urteil. Hier mache das (Prozess-) Recht „aus der Not eine Tugend“ (Goldschmidt, Prozess [Fn. 6], S. 213). 143 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 211, 213, 246. Gleiche Terminologie bei Nikisch, Zivilprozessrecht (Fn. 58), S. 403 f. („Rechtskraft ist Gerichtskraft …“). 144 Sauer, Streit (Fn. 47), S. 320, 323, 326; ders., Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 233. 145 Sauer, Streit (Fn. 47), S. 329. Im Ergebnis ebenso Peters, Strafprozess (Fn. 10), § 54 II 1 a; Schäfer (Fn. 51), Einl. Kap. 12 Rn. 54; K. H. Gössel, Strafverfahrensrecht, 1977, S. 290; R. Zazcyk, Bindungswirkungen eines rechtskräftigen Strafurteils für das materielle Strafrecht, in: GA 1988, S. 356 ff. (363). 146 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 151. Vgl. auch Schmidhäuser, Frage (Fn. 42), S. 514 f. (Rechtskraft als „reales Ziel“); E.-J. Lampe, Die Durchbrechung der materiellen Rechtskraft bei Strafurteilen, in: GA 1968, S. 33 ff. (48: „Einziges autonomes, d. h. aus der Prozessordnung selbst begründbares Prozessziel ist die Rechtskraft: die Herstellung der Rechtssicherheit“). 147 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 227 – 268. Die notwendig phänomenologisch-deskriptive Betrachtungsweise verbiete einen „metaphysischen“ (d. h. Verwirklichung außerprozessualen – materiellen – Rechts umgreifenden) Verfahrensbegriff (a.a.O. S. 148, 211, 246). 148 Vgl. Fn. 122. 149 W. Sauer, Juristische Methodenlehre, 1940, S. 192. 150 Sauer, Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 1 f., 3, 4 Anm. 2, 8 f., 260 (234: Die „Rechtslage besteht bereits vorher, aber sie ist noch nicht vom Richter geklärt, festgestellt, prozessual gestaltet“); ders., Streit (Fn. 47), S. 322, 326 ff.; ders., Methodenlehre (Fn. 149), S. 151 („… Prozess ist … ein Aufsteigen, ein Verbessern, ein Berichtigen des gemeinschaftswidrigen Zustandes in der Richtung auf die Gerechtigkeit. Der Richter soll die bisherige Sachlage zu sozialer Zweckmäßigkeit gestalten; er soll den unklaren oder den unrichtigen Rechtszustand zu einem klaren und gerechten gestalten“). In gleichem Sinn A. Düringer, Richteramt und Rechtsprechung, 1909, S. 11 (vor Urteilsrechtskraft bestand das Recht nicht oder es war in seinem Bestand völlig in Frage gestellt); R. Bruns, „Funktionaler“ und „instrumentaler“ Gehalt der Gestaltungsrechte und Gestaltungsklagerechte, in: ZZP 78 (1965), S. 264 ff.: „sachliche Gestaltung“ und „konstitutive Feststellung“ (a.a.O. S. 282, 283) durch (Zivil-)Urteil, denn nur „im Grenzfall ist das materielle Recht wirklich bereits fixiert“ (a.a.O. S. 278 f.; Hervorhebungen dort); Peters, Strafprozess (Fn. 10), § 54 II 1 a (Urteil schaffe eine neue

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die vorprozessuale Rechtslage, jedoch: Rechtskraft „ist Rechtsgestaltungskraft“, „Konkretisieren von objektivem Recht“, die rechtskräftige Entscheidung könne vom objektiven Recht „ebenso abweichen wie das objektive positive Recht vom seinsollenden Recht“151. Vollstreckung wäre damit stets rechtmäßig152. (2) Mit ähnlichem Ansatz und gleichen Ergebnissen wie die „Gestaltungstheorie“ begreift eine monistische153, d. h. (materielles) Recht und Prozess als Einheit sehende154, Auffassung das Wesen verfahrensrechtlicher (Sach-)Entscheidungen schon rechtsinhaltlich, auf zusätzliche prozessinstitutionelle Argumente (etwa der Rechtskraft) verzichtend, als endgültige „Rechtswerdung“ durch Rechtsprechung. Recht existiere nicht präprozessual, sondern werde erst verfahrensintern konstituiert, sei es durch Richter, sei es durch Parteibetrieb (im Zivilprozess)155. Erst hierdurch trete es „aus der Form des Hypothetischen in die des kategorial Wirklichen“156, nur prozessual sei feststellbar, „was heute – was in diesem Falle – konkret Recht ist“157. Der Strafprozess knüpfe nicht an eine (materiell-rechtliche) Straftat an, sondern anfangs an einen nur äußeren „Verletzungsvorgang“ mit „grobem Tatbestandsbezug“158, und konstituiere erst im abschließenden Sach- bzw. Revisionsurteil einen dem materiellen „Straftatsystem“ weitgehend angenäherten prozessualen „Straftatbegriff“159. Nur Strafverfahren könne den „staatlichen Strafanspruch“ begründen160,

materielle und prozessuale Rechtslage); Schäfer (Fn. 51), Einl. Kap. 12 Rn. 54 (Urteil versetze „den bisher nur der Tat Beschuldigten in die rechtliche Stellung eines … Verurteilten …“; vgl. aber bereits oben II. 1. a) mit Fn. 52); Zaczyk, Bindungswirkungen (Fn. 145), S. 367 (Strafurteil bewirke „die konkrete Gestaltung der Rechtsbeziehung Staat … und … Staatsbürger …“). Ferner A. Troller, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, 1945, S. 27; Nikisch, Zivilprozessrecht (Fn. 58), S. 405. 151 Sauer, Grundlagen (Fn. 47), S. 235 und 237. 152 Vgl. auch Schäfer (Fn. 51), Einl. Kap. 12 Rn. 54; Gössel, Strafverfahrensrecht (Fn. 145), S. 290. 153 So auch die „materielle Rechtskrafttheorie“ (oben II. 2. a)). 154 J. Binder, Prozess und Recht, 1927, S. 208 f., 257 f., 307; H. Mayer, Zum Aufbau des Strafprozesses, in: GS 104 (1934), S. 302 ff. (317, 347); Pawlowski, Aufgabe (Fn. 45), S. 369; K. Marxen, Straftatsystem und Strafprozess, 1984, S. 22, 312, 344. 155 Pawlowski, Aufgabe (Fn. 45), S. 369 Anm. 103. Dagegen zutr. Rödig, Theorie (Fn. 137), S. 37 Anm. 20. 156 Binder, Prozess (Fn. 154), S. 209. Vgl. auch J. Martens, Rechtskraft und materielles Recht, in: ZZP 79 (1966), S. 404 ff. (417, 419, 420). 157 Pawlowski, Aufgabe (Fn. 45), S. 368. Der Prozess diene „also nicht dazu“, Recht als „ein von vornherein feststehendes, materielles, subjektives ,nur durchzusetzen‘, zu ,verwirklichen‘; er ist vielmehr notwendig, damit das Recht … bestimmt (festgestellt) wird: Das Recht, das ohne den Prozess und das Urteil unbestimmt und nur subjektiv (in verschiedener Weise) bewusst und damit objektiv (allgemein) unbewusst bleiben müsste“ (a.a.O.). 158 Marxen, Straftatsystem (Fn. 154), S. 198. 159 Marxen, Straftatsystem (Fn. 154), S. 287. 160 Mayer, Aufbau (Fn. 154), S. 312, 317 (317: „Ein Strafrecht ohne Strafklagerecht entbehrt jeder rechtlichen Existenz“).

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eine „Straftat zum Entstehen bringen“161. – Angeknüpft ist damit im Grunde an die Vorstellung, das Gesetz sei nur „Plan, nur der Entwurf einer zukünftigen, erwünschten Rechtsordnung“162, „nur Vorbereitung, ein Versuch zur Bewirkung einer rechtlichen Ordnung“163, die erst durch Richterspruch, dessen Spielraum die Gesetzgebung nur zu umgrenzen habe164, als „Rechtsordnungswerk vollendet“165 werde. Folglich existiert eine Straftat (bzw. ein privatrechtlicher Anspruch) nur unter Vorbehalt seiner prozessualen Feststellbarkeit166, und ist das prozessordnungsgemäß ergangene Urteil richtig167, „weil die materielle Rechtslage mit ihm notwendig im Einklang steht“168. b) Solcherart innerprozessual ist ein Anspruch der (Sach-)Entscheidung, als „Recht“ gelten zu dürfen, sogar es zu sein, ebenfalls nicht zureichend begründbar. (1) Eine materielles Recht derogierende „prozessuale Rechtsordnung“ kann – und will – Maßstab richtigen Rechts allerdings nicht sein, soweit sie, gerichtet gegen als „Rechtsverhältnis“169 verstandenen Prozess, diesen als rein technisch-instrumentalen, wertneutral-„moralinfreien“170, in „Rechtslagen“171 strukturierten Vorgang, 161

Marxen, Straftatsystem (Fn. 154), S. 345, und ebd.: Die „für die Überwindung der Unschuldsvermutung unerlässlichen prozessualen Voraussetzungen“ seien „als Straftatelemente zu behandeln“: „nullum crimen sine processu“; (S. 368 insbes. „nullum crimen sine reo audito“). 162 O. Bülow, Gesetz und Richteramt, 1885, S. 3. 163 Bülow, Gesetz (Fn. 162), S. 45. 164 Bülow, Gesetz (Fn. 162), S. 46 f.; ferner S. 47: „Der Gesetzgeber bringt nicht selber die Rechtssubstanz hervor. Er giebt nur die Weisung, wo sie zu finden und wie sie zu formen ist.“ 165 Bülow, Gesetz (Fn. 162), S. 4. 166 Binder, Prozeß (Fn. 154), S. 314 (folgerichtig S. 167: „Jedes Rechtsverhältnis … stirbt mit den Zeugen, die es beweisen sollten und konnten“). Vgl. auch H. Kelsen, Reine Rechtslehre, 2. Aufl. 1960, S. 242 ff., 246 („Denn die Rechtsnorm lautet nicht: Wenn ein bestimmter Mensch einen Mord begangen hat, soll eine bestimmte Strafe über ihn verhängt werden, sondern: Wenn das zuständige Gericht in einem durch die Rechtsordnung bestimmten Verfahren festgestellt hat, dass ein bestimmter Mensch einen Mord begangen hat, soll das Gericht gegen diesen Menschen eine bestimmte Strafe verhängen“); Schroeder, Strafprozessrecht (Fn. 7), Rn. 12: Strafvorschriften müssten „besser lauten ,Wem nachgewiesen ist, dass er einen Menschen getötet hat …‘“ (in gleichem Sinn G. Arzt, Ketzerische Bemerkungen zum Prinzip in dubio pro reo, 1997, S. 5). 167 J. Binder, Philosophie des Rechts, 1925, S. 661; ders., Prozess (Fn. 154), S. 208 („Unrichtig ist … ein Urteil nur, von dem wir … sagen müssen: Dieses Urteil hätte nicht erlassen werden dürfen …, wenn es gegen Vorschriften des formellen oder materiellen Rechts verstößt“). 168 Binder, Prozess (Fn. 154), S. 307. 169 O. Bülow, Die Lehre von den Proceßeinreden und Proceßvoraussetzungen, 1868; Kohler, Prozeß (Fn. 87), S. 6, 62 f.; v. Kries, Lehrbuch (Fn. 6), S. 4 ff.; Ullmann, Lehrbuch (Fn. 6), S. 10; Birkmeyer, Strafprozessrecht (Fn. 6), S. 5 ff.; zahlreiche weitere Nachw. bei Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 1 – 3. 170 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 292. Vgl. auch Stein, Grundriss (Fn. 50), 1. Aufl. 1921, Vorwort: „Der Prozess ist … das ,technische Recht‘ in seiner allerschärfsten Ausprägung, von wechselnden Zweckmäßigkeiten beherrscht, der Ewigkeitswerte bar“.

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letztlich sonach als Selbstzweck172, begreift173. – Anders die „Gestaltungstheorie“. Doch auch sie erhebt, gleich der „materiellen Entscheidungstheorie“, unzutreffend174 die (Rechts-)Wirklichkeit (das „Lebensverhältnis“ bzw. den „Lebensausschnitt“175, die „Tat als Realgrund der Strafe“176, den „Verletzungsvorgang“177) zum Prozessgegenstand, und läuft, der „unzulässig idealisierten“178 Rechtskraft „Feststellungswirkung“ beimessend179, auf eine – insbesondere aus diesem Grund unrichtige180 – „materielle Rechtskrafttheorie“ hinaus181. (2) Nullum crimen sine processu bedeutet nur, dass der sozialethisch deklassierende Makel strafrechtlicher Schuld (und Rechtsfolgen) „justizförmigen“ Richterspruchs bedarf, nicht auch, dass außerprozessual Straftaten de facto nicht existierten182 und normativ als solche etwa rechtsgutachtlich oder als Inzidentfrage in einem Schadenersatzprozess (z. B. § 823 Abs. 2 BGB) nicht beurteilbar wären. Prozessualer Kategorien bedarf nur die Widerlegung staatsrechtlicher Unschuldsvermutung183, materielle Wertungsmaßstäbe, insbesondere Strafnormen in außerprozessualen Funktionen184, bleiben unberührt. Rein innerprozessual, nicht an vorgegebenem

171 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 259 (eine „prozessuale Rechtslage“ sei der „Inbegriff der prozessualen Aussichten, Möglichkeiten, Lasten und Befreiungen von Lasten einer Partei“), 280 („Eine prozessuale Möglichkeit liegt vor, wenn eine Partei in der Lage ist, mit überwiegender Wahrscheinlichkeit durch eine Prozesshandlung diejenige herbeizuführen, welche nach der Zweckbestimmung der Handlung und nach dem Stande des Verfahrens als nächste Stufe auf dem Wege zu einem günstigen Prozessausgang anzusehen ist“). 172 Sax, Sachurteil (Fn. 35), S. 27; O. Jauernig, Materielles Recht und Prozessrecht, in: JuS 1971, S. 329 f.; Henckel, Prozessrecht (Fn. 73), S. 6, 48; Volk, Prozessvoraussetzungen (Fn. 61), S. 179. 173 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 253 ff. 174 Vgl. oben II. 1. b) (4). 175 Sauer, Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 1 (vgl. auch S. 103: „urteilsmäßig zu gestaltende Sache“). 176 Gössel, Strafverfahrensrecht (Fn. 145), S. 290. 177 Marxen, Straftatsystem (Fn. 154), S. 198. 178 Beling, Reichsstrafprozessrecht (Fn. 29), S. 268 Anm. 4; Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 115. 179 Niese, Prozesshandlungen (Fn. 40), S. 114 f.; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 284 Anm. 508; Gaul, Zweck (Fn. 35), S. 56; ders., Entwicklung (Fn. 50), S. 519 Anm. 438. 180 Vgl. oben II. 2. b) (3). 181 Vgl. Sauer, Prozessrechtslehre (Fn. 47), S. 233: „Das rechtskräftige Urteil konkretisiert objektives Recht … Es ist und bleibt Recht auch dann, wenn es unrichtig, d. h. unter Verletzung des objektiven Rechts, konkretisiert ist …“; ebenso ders., Streit (Fn. 47), S. 323, 324 Anm. 48. 182 Zutr. Kaufmann, Strafanspruch (Fn. 44), S. 6; vgl. auch Fn. 79. 183 Unten III. 1. 184 Oben I. 1. – Zutr. M. Rümelin, Besprechung von: Binder, Prozess und Recht, in: AcP 130 (1929), S. 114 ff. (120): „In tausend und abertausend Fällen genügt die Erkenntnis dieses

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„objektivem Recht“185 geleistete Kontrolle normativer Entscheidungsrichtigkeit geriete zirkulär186 und raubte „allen an der Rechtsfindung Beteiligten den unverzichtbaren Orientierungsstern des An-sich …“187. Und vor allem: Was ist denn konkret das Zweifelhafte, Unklare, Unfertige, nur als Plan oder Entwurf (i.S. eines „Verdachts“) Vorhandene, erst entscheidungsförmig als „Recht“ zum Entstehen zu Bringende? Doch nicht die Strafnorm als „Obersatz“, sondern allein der – stets prozessförmig festzustellende – Sachverhalt188 als „Untersatz“ des Urteilssyllogismus189 ! Prozessuale Beweisbarkeit begründet nicht Existenz190, sondern insoweit Evidenz des Rechts. Normen materiellen Rechts figurieren als vorgegebene Entscheidungsmaßstäbe191 zur straftatbestandsmäßigen Konkretisierung des „Verdachts“ (Bedingung z. B. prozessualen Zwangs) und der „Überzeugung“ (Verurteilungsvoraussetzung) in Bezug auf einen „Sachverhalt“. Allerdings hat jene „Prozessualisierung“ materiellen Strafrechts eine prominente Vorgängerin in der gemeinrechtlichen Lehre vom corpus delicti“192, die bestimmte Beweiserfordernisse als Deliktsmerkmale193 begriff, bevor ab dem 18. Jahrhundert vom Prozessrecht emanzipierte, abstrakte (materielle) Straftatbestände sich herausbildeten.

Sollens für sich allein, um die Rechtsgenossen zum richtigen sozialen Verhalten zu veranlassen“. 185 Engisch, Einheit (Fn. 34), S. 17 f.; ders., Form und Stoff in der Jurisprudenz, in: J. Esser/H. Thieme (Hrsg.), Festschrift für Fritz von Hippel zum 70. Geburtstag, 1967, S. 63 ff. (75); Sax, Sachurteil (Fn. 35), S. 31; Volk, Prozessvoraussetzungen (Fn. 61), S. 177 Anm. 40. 186 Rödig, Theorie (Fn. 137), S. 38 f.; Henckel, Prozessrecht (Fn. 172), S. 55 f.; Volk, Prozessvoraussetzungen (Fn. 61), S. 176 f. Vgl. auch oben Fn. 93. 187 Engisch, Einheit (Fn. 34), S. 18. 188 Genauer: Eine rechtsrichtige Aussage darüber [unten III. 2. b)]. 189 Vgl. oben Fn. 38. 190 Eine unbeweisbare zivilrechtliche Forderung etwa wäre materiellrechtlich ein indebitum (J. Goldschmidt, Besprechung von: Binder, Prozess und Recht, in: JW 1927, S. 352), ihre Erfüllung (schuldrechtlich) reiner Realakt. 191 Goldschmidt, Prozess (Fn. 6), S. 228; Sax, Sachurteil (Fn. 35), S. 48; Engisch, Stoff (Fn. 184), S. 75; Schmidt, Lehrkommentar I (Fn. 4), Rn. 39. 192 Zu ihr umfassend K. A. Hall, Die Lehre vom corpus delicti, 1933. 193 Vgl. z. B. Art. 26 § 1 der Constitutio Criminalis Theresiana (1769): „Durch das corpus delicti verstehet sich der Beweis und Anzeige einer begangenen Missethat“; § 133 der Preuß. CrimO (1805): „Der Thatbestand (corpus delicti) besteht aus dem Inbegriffe derjenigen Umstände, die es gewiss oder doch höchst wahrscheinlich machen, dass ein Verbrechen begangen worden ist“.

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III. Strafrechtspflege durch rechtsrichtiges Strafverfahren 1. Ziel des Strafprozesses Quintessenz des Bisherigen: Materielles Strafrecht wird strafprozessual weder zur Evidenz194 noch zur Existenz195 gebracht. Es ist nicht Gegenstand des Verfahrens. Seine Normen sind vorprozessual lediglich abstrakt-hypothetische196, erst unter den Bedingungen prozessförmiger Sachverhalts-Konstituierung197 und zutreffender Subsumtion198 konkret-kategoriale Imperative. Entsprechend prozessspezifisch ist der Verfahrenszweck zu bestimmen199 : Formell (innerprozessual) die rechtsrichtige Entscheidung der Staatsanwaltschaft/des Gerichts, ob der Beschuldigte einer Straftat (hinreichend) verdächtig (§§ 170; 203, 204 StPO) bzw. überzeugungssicher überführt (§ 261 StPO) ist oder nicht und ggf. welche sachliche (§§ 38 ff. StGB) oder verfahrensrechtliche (§§ 260; 153 ff. StPO) Tatfolge angemessen sei; staatsrechtlich die justizförmige Entscheidung, ob – und das ist „Prozessgegenstand“ – die straftatverdachtsgefährdete Unschuldsvermutung widerlegbar (§§ 170; 203, 204 StPO) bzw. widerlegt (§§ 260 Abs. 1, 261 StPO) sei oder nicht. 2. Methodik prozessualer Zweckverwirklichung a) Richtigkeitsmaßstäbe justizieller Entscheidungen sind, von Subsumtion und Rechtsfolgenbestimmung als ihre möglichen weiteren Inhalte abgesehen, allein die kategorischen Imperative des Verfahrensrechts. Daher ausschließlich prozessrechtlicher Bewertung200 unterliegen die verfahrensdurchführenden „Prozesshandlungen“, die nichts anderes sind als Konkretisierungen von Prozessnormen201. – Zwingendes oder erlaubendes Verfahrensrecht legitimiert auch materiellrechtlich an sich strafbares Verhalten als prävalierend202 prozessual „rechtmäßig“. Materielles Recht ist insoweit keine im prozessualen Raum gültige Kategorie i.S. der §§ 337 StPO, 549 Abs. 1, 550 ZPO. Soweit nicht (auch) prozessual als Un-Recht – z. B. 194

So aber die „materiellrechtliche Entscheidungstheorie“ (oben II. 1.). In diesem Sinn jedoch die „materielle Rechtskrafttheorie“ (oben II. 2.) und die „Gestaltungstheorien“ (oben II. 3.). 196 Leges generales kraft gesetzgeberischer „Primärwertung“ (oben I. 1.). 197 Leges speciales infolge legislativer „Sekundärwertung“ rechtsstaatlicher „Justizförmigkeit“ (oben I. 2. b)). – Soziologische Begründung der Entscheidungslegitimität durch Verfahrens-„Akzeptanz“ bei Luhmann, Legitimation (Fn. 103), S. 27 ff., 59 ff., 120. 198 Oben II. 3. b) (2) mit Fn. 191. 199 Verf., Beweisverbote (Fn. 40), S. 315 f. 200 Ausführlich Verf., Beweisverbote (Fn. 40), S. 318 – 321. 201 Verf., Beweisverbote (Fn. 40), S. 316 f. 202 Dazu Fn. 197. Zutr. U. Sieber, Die Kollision von materiellem und prozessualem Strafrecht, in: B. Schünemann/H. Achenbach/W. Bottke/B. Haffke/H. J. Rudolphi (Hrsg.), Festschrift für Claus Roxin zum 70. Geburtstag, 2001, S. 1113 ff. (1124 ff., 1129, 1138). 195

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weil (auch) verfassungswidrig203 – bewertet, sind prozessual „rechtmäßig“ z. B.204 Zeugen-, Sachverständigen- und Beschuldigtenaussagen über „Geheimnisse“ i.S. der §§ 203, 353b, 355 StGB, 85 GmbHG, 404 AktG oder deren Offenbarung durch Justizorgane qua Akteneinsicht (§§ 147, 406e StPO) bzw. in der Hauptverhandlung (§ 169 GVG), beweisförmiger Gebrauch von Tonaufnahmen gem. § 201 Abs. 2 StGB205, Eingriffe in Strafrechtsgüter durch Prozesszwang206, nach §§ 145d, 164, 186 f., 153, 154, 163 StGB tatbestandsmäßige Aussagen207, prozessuale Verwertung strafbar (z. B. nach §§ 242 Abs. 1; 223 Abs. 1; 240 Abs. 1, 2; 201 Abs. 1 StGB) durch Private erlangter Beweismittel, eine mit dem Ziel des Betrugs bzw. der Freiheitsberaubung (§§ 263; 239; 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB) erhobene Zivil- bzw. Privat- oder Nebenklage gegen einen Nicht-Schuldner bzw. NichtTäter, sowie die – schon nicht gem. § 258 StGB tatbestandsmäßige – „Strafvereitelung“ durch (prozessordnungsgemäße) Strafverteidigung208. Umgekehrt ist materieller Rechtfertigungsgrund prozessual Rechtmäßiges nur dann, wenn es prozesszweckgeboten209 ist: Etwa Pflicht zur Aussage (§§ 53 Abs. 2, 53a Abs. 2; 70, 77 StPO)210 und Anordnung/Durchführung sonstigen Prozesszwangs; nicht jedoch Geheimnispreisgabe (§ 203 StGB) trotz prozessgesetzlich auch im Verfahren in Kauf genommener Verweigerung (§§ 53 Abs. 1 StPO, 383 ZPO)211, auch nicht von prozessualen Wertungen freie straftatbestandsmäßige Aussageninhalte212, geschweige denn Verfahrensmissbrauch zu strafbaren Zwecken. b) Verfahrensspezifisch als prozessuale Wahrheit213 zu konstituieren ist auch der „Sachverhalt“ als Untersatz des Entscheidungssyllogismus214. An die aristotelische Formaldefinition „veritas est adaequatio intellectus et rei“ anknüpfend ist „Wahrheit“ (§§ 244 Abs. 2, 261 StPO) nicht ontologisch verstehbar als Übereinstimmung (mit „an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ bzw. „subjektiver Gewissheit“) 203

Vgl. oben Fn. 26. Näher Sieber, Kollision (Fn. 202), S. 1130 ff. 205 Umfassend P. H. Frank, Die Verwertbarkeit rechtswidriger Tonbandaufnahmen Privater, 1995. 206 Dazu oben Fn. 21. 207 Da nur das „Ob“ (§§ 70, 77; 136 Abs. 1 Satz 2, 243 Abs. 4 Satz 1 StPO), nicht auch das „Was“ von Aussagen (vorrangiger) prozessualer Wertung unterliegt, stellt sich nicht die Frage eines Notwehrrechts (§ 32 StGB) oder der Beihilfestrafbarkeit (§ 27 StGB) für Gericht (§ 238 StPO) oder Staatsanwalt (Nr. 127 Abs. 1 Satz 1 RiStBV). 208 BGH NJW 2000, 2433 (2434 f.); Verf., Dogmatik der Verteidigung, in: NStZ 1992, S. 305 ff. (309 ff.). 209 Oben III. 1. 210 Etwa nicht gem. § 53 StPO Verweigerungsberechtigter, aber nach § 203 StGB Schweigepflichtiger (Sieber, Kollision [Fn. 202], S. 1131). 211 Ganz h. M.; vgl. nur H. Tröndle/T. Fischer, StGB, 50. Aufl. 2001, § 203 Rn. 30. 212 Vgl. auch oben Fn. 207. So i. E. auch Sieber, Kollision (Fn. 202), S. 1138. 213 Verf., Prozessuale Wahrheit und Revision, in: M. Seebode (Hrsg.), Festschrift für Günter Spendel zum 70. Geburtstag, 1992, S. 687 ff. 214 Oben II. 3. b) (2) mit Fn. 188 und 189. 204

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von Aussage und „Tat“ (§§ 155 Abs. 1, 264 Abs. 1 StPO) als realem Sachverhalt215, sondern nur normativ-semantisch als rechtsrichtige Aussagenverifikation216 : „Wahrheit“ ist weder Gegenstands- noch Erkenntnis-, sondern Aussagenprädikat. Aussagen – auch sie sind „Prozesshandlungen“217 – über den „Sachverhalt“ sind (prozessual) wahr, sofern rechtsrichtig (i.S. der §§ 337 StPO, 549 Abs. 1, 550 ZPO) begründet218, selbst wenn nicht übereinstimmend mit ontologischer Wirklichkeit und deren materiellrechtlicher Bewertung219. Urteilswahrheit bedeutet Begründungsrichtigkeit. Mehr muss und kann der Prozess als ein System, das Entscheidbarkeit zu garantieren hat220, nicht leisten. 3. Rechtseinheit durch rechtsrichtige Strafrechtspflege Versteht man das Postulat „Einheit der Rechtsordnung“221 zutreffend als Gebot innerer Widerspruchsfreiheit222 durch Gleichbehandlung des (rechtlich) Gleichen, „Rechtswidrigkeit“ formal als „Rechtsnormwidrigkeit“223 und jede Einzelfall-Entscheidung als „Anwendung der ganzen Rechtsordnung“224, sind nach Eigenart, Funktionen und Regelungsgegenständen der Teilrechtsordnungen differenzierende Maßstäbe der Rechtsrichtigkeit nicht nur statthaft, sondern gefordert225. So – mangels einheitsstiftenden tertium comparationis – auch die unterschiedlichen Wertkategorien materiellen und prozessualen Rechts mit dargestellten Konsequenzen. Die Frage, wie materielles und formelles Strafrecht sich zueinander verhalten, erscheint beantwortet und widerlegt die These, es seien „materielles Recht und Verfahrensrecht als

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Ausführlich Verf., Wahrheit (Fn. 213), S. 688 – 696. Näher Verf., Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung, in: E. Schlüchter/ K. Laubenthal (Hrsg.), Recht und Kriminalität, Festschrift für Friedrich-Wilhelm Krause, 1990, S. 53 ff. (68 – 75). 217 Verf., Beweisverbote (Fn. 40), S. 316 – 318. 218 Zu den Erfordernissen rechtsrichtiger Beweiswürdigung (§§ 261 StPO, 286 Abs. 1 ZPO) vgl. Verf., Wahrheit (Fn. 213), S. 697 – 704. 219 Verf., Wahrheit (Fn. 213), S. 697. 220 Luhmann, Legitimation (Fn. 103), S. 21 f. 221 Grundlegend Engisch, Einheit (Fn. 34); zuletzt umfassend D. Felix, Einheit der Rechtsordnung, 1998. Vgl. ferner P. Kirchhof, Unterschiedliche Rechtswidrigkeiten in einer einheitlichen Rechtsordnung, 1978; T. Schilling, Rang und Geltung von Normen in gestuften Rechtsordnungen, 1994; K. Schmidt (Hrsg.), Vielfalt des Rechts – Einheit der Rechtsordnung?, 1994; M. Baldus, Die Einheit der Rechtsordnung, 1995. 222 Engisch, Einheit (Fn. 34), S. 33, 43 ff.; Felix, Einheit (Fn. 221), S. 402 ff. 223 Engisch, Einheit (Fn. 34), S. 58. 224 P. Heck, Begriffsbildung und Interessenjurisprudenz, 1932, S. 7; ähnl. bereits R. Stammler, Theorie der Rechtswissenschaft, 1911, S. 24 f. 225 Kirchhof, Rechtswidrigkeiten (Fn. 221), S. 8 ff., 25 ff., 30 ff.; BVerfG FR 1992, 270 (zum Verhältnis Zivilrecht – Steuerrecht). 216

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die Rechtslage insgesamt konstituierende Sinneinheit aufeinander bezogen“, für die allerdings (insoweit und richtig) „im einzelnen“ eine „Patentformel“ fehle226.

226 So jedoch W. Zöllner, Materielles Recht und Prozessrecht, in: AcP 190 (1990), S. 471 ff. (482, 495); Neumann, Gerechtigkeit (Fn. 42), S. 73, 74 (für das „Verhältnis zwischen materialer und prozedualer Gerechtigkeit“ keine „allgemeine[n] Regeln“).

Die begründete „Verfahrensrüge“ in der strafprozessualen Revision* In ihrem „Strafverfahren“1 und „Strafprozeßrecht“2 wie in Einzelabhandlungen3 hat Ellen Schlüchter zum Verständnis der strafprozessualen Verfahrensrüge4 Wesentliches beigetragen: Ob das Urteil auf einem Prozeßmangel „beruht“ (§ 337 I StPO), sei Frage nicht der (möglichen) Kausalität, sondern des „normativen Zusammenhanges“, d. h. „ob gerade wegen des Rechtsfehlers das Urteil so und nicht anders ausgefallen ist“ bzw. ob es – hypothetisch – „etwa ohne den Rechtsfehler anders ausgefallen wäre“.5 Zu dieser revisionsrechtlichen Kernaussage das Folgende.

I. 1. Seit Jahrhunderten und fortdauernd problematisch sind die Bedingungen begründeter Verfahrensrügen (§ 344 I, II 1 u. 2 StPO). Trotz scheinbar nunmehr eindeutiger Gesetzeslage: Sie haben Erfolg (§§ 352 I, 353 I StPO), wenn das Urteil auf der „Verletzung“ (§ 337 II StPO) einer „Rechtsnorm über das Verfahren“ (§§ 344 II 1, 1. Alt. StPO, 7 EGStPO) „beruht“ (§ 337 I StPO), d. h. „wenn die Gesetzesverletzung in einem ersichtlichen oder wenigstens möglichen Zusammenhang mit der Entscheidung selbst steht“6 bzw. ohne die Gesetzesverletzung „die Entscheidung nicht so * Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Gunnar Duttge u. a. (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Ellen Schlüchter. Carl Heymanns Verlag, Köln/Berlin/Bonn/ München 2002, S. 587 – 610. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rdnr. 4.1, 709 u. 725. 2 Kernwissen Strafprozeßrecht, 3. Aufl. 1999, S. 7 f. 3 Zum normativen Zusammenhang zwischen Rechtsfehler und Urteil, FS Krause, 1990, S. 485, 490 ff.; Wert der Form im Strafprozeß, in: Wolter (Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, 1995, S. 205, 227 f.; Syst. Kommentar zur StPO und zum GVG (SK), Rdnr. 68 ff. vor § 213. 4 Dazu auch: Wider die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, GS K. Meyer 1990, S. 445 ff. 5 So zuletzt formuliert in „Strafprozeßrecht“ (Fn. 2), S. 7. „Normativ zerschlagen“ werde jener „normative Zusammenhang zwischen Rechtsfehler und Urteil“ durch „ordnungsgemäße Wiederholung“ (in der Hauptverhandlung), „Nichtverwertung“ (insbes. einer Beweiserhebung) oder die „Hypothese dahin, das Beweisergebnis … hätte … mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch auf legalem Weg … gewonnen werden können“ (a.a.O., S. 8). 6 Motive zum StPO-Entwurf, in: Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, III/l, 1880, S. 250. Ebenso i.E., nur unterschiedlich formuliert (dazu unten IV. 1. mit

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hätte ergehen können, wie sie ergangen ist“7, wobei „grundsätzlich … keine Prozeßvorschrift von der Begründung der Revision ausgeschlossen“8 sein soll. In Wahrheit unklar jedoch ist jener „Grundsatz“, strittig daher sind die „Ausnahmen“: Irrevisibel – trotz „Beruhens“ – sei das Urteil, falls (1) „Ordnungs-“ oder „Sollvorschriften“ mißachtet wurden9, wenn (2) aus Gesetzesverstößen bei der Beweisgewinnung kein Verwertungsverbot folge, weil der „Rechtskreis“ des Angeklagten nicht „wesentlich berührt“ worden sei10, bei „Abwägung“ gegenüber durch den Beweisgewinnungsmangel verletzten Drittrechtswerten dem Strafverfolgungsinteresse Vorrang gebühre11, durch Beweiserhebung der „Schutzzweck der Norm“ nicht12 oder aber bereits endgültig13 vereitelt sei, ein „informationeller Folgenbeseitigungs- bzw. UnterFn. 190 – 192), die ganz h.M. und st.Rspr. seit RGSt 1, 210, 212 (Nachw. bei Herdegen, Die Beruhensfrage im strafprozessualen Revisionsrecht, NStZ 1990, 513, 514 f.; Burgmüller, Das Beruhen des Urteils auf der Gesetzesverletzung als Regulativ im Revisionsrecht, Diss. 1989, S. 83 – 91; Hanack, in: Löwe/Rosenberg (LR), StPO, 25. Aufl. 1999, § 337 Rdnr. 254 – 256; Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl. 2001, § 337 Rdnr. 37. 7 StPO-Motive (Fn. 6), S. 251; Motive zum ZPO-Entwurf, in: Hahn, Die gesamten Materialien zu den Reichs-Justizgesetzen, III/1, 2. Aufl. 1881, S. 364 f. 8 StPO-Motive (Fn. 6), S. 251. Vgl. auch ZPO-Motive (Fn. 7), S. 366: „Der Entwurf … schließt keine Prozeßvorschrift von der Revision aus, soweit nicht ihre Verletzung … geheilt ist …“. 9 Auflistung von Einzelvorschriften: Bohnert, Ordnungsvorschriften im Strafverfahren, NStZ 1982, 5, Fn. 5; Hanack, LR (Fn. 6), § 337 Rdnr. 17. Zum Ganzen ferner: Frank, Revisible und irrevisible Strafverfahrensnormen, Diss. 1972, S. 91 ff.; Vollhardt, Die Einschränkung der Revision bei Verfahrensfehlern im Zusammenhang mit den Begriffen „Ordnungsvorschrift“, „Verwertungsverbot“ und „Rechtskreisberührung“, Diss. 1970, S. 11 ff.; WeberPetras, Ordnungs- und Sollvorschriften im Strafprozeß, 1992. 10 BGHSt (GrS) 11, 213, 215 f. (grundlegend). Ferner: RGSt 48, 38, 39; BGHSt 1, 39, 40; 17, 245, 247; 33, 148; 38, 96, 99; BGH NStZ 1992, 291; 1993, 500, 501. 11 So insbes. BGHSt 24, 125,131; 27, 355, 357; 29, 244, 249; 31, 304, 307 f.; 37, 30, 32; 38, 214, 220; 38, 372, 373 f.; 42, 139, 157; 44, 243, 249 f.; Alsberg/Nüse/ Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. 1983, S. 480; Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 6), Einl. Rdnr. 55; Rogall, Gegenwärtiger Stand und Entwicklungstendenzen der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, ZStW 91 (1979), 1, 31 ff.; ders., Hypothetische Ermittlungsverläufe im Strafprozeß, NStZ 1988, 385, 391; ders., Beweisverbote im System des deutschen und amerikanischen Strafverfahrens, in: Wolter (Hrsg.), Zur Theorie und Praxis des Strafprozeßrechts, 1995, S. 152 ff.; ders., „Abwägungen“ im Recht der Beweisverbote, FS Hanack, 1999, S. 293, 304 ff., 308 f.; Wolter, Beweisverbote und Umgehungsverbote zwischen Wahrheitserforschung und Ausforschung, in: 50 Jahre BGH, IV, 2000, S. 963, 983 ff., 993 ff. 12 Rengier, Die Zeugnisverweigerungsrechte im geltenden und künftigen Strafverfahren, 1979, S. 318 ff.; Beulke, Hypothetische Kausalverläufe im Strafverfahren bei rechtswidrigem Vorgehen von Ermittlungsorganen, ZStW 103 (1991), 657, 663 f.; Schröder, Beweisverwertungsverbote und die Hypothese rechtmäßiger Beweiserlangung im Strafprozeß, 1992, S. 51 ff., 78; Grünwald, Das Beweisrecht der Strafprozeßordnung, 1993, S. 143 ff.; Frisch, Zur Bedeutung des Beweisrechts und des Rechtsmittelrechts für die Revisibilität von Verfahrensmängeln, in: Wolter (Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts, 1995, S. 173, 182 ff. 13 Grünwald, Beweisverbote und Verwertungsverbote im Strafverfahren, JZ 1966, 489, 495, 498; Petry, Beweisverbote im Strafprozeß, 1970, S. 77 ff.; Philipps, Wann beruht ein

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lassungsanspruch“ des Angeklagten ausscheide14, das Beweismittel auch rechtsfehlerfrei zu erlangen gewesen wäre15, dem gesetzwidrig gewonnenen Beweisergebnis keine „Fernwirkung“ zukomme für dadurch erzielte weitere Beweismittel16, oder (3) der Angeklagte in der Hauptverhandlung den Verfahrensverstoß nicht gerügt bzw. einer Beweisverwertung nicht widersprochen hat.17 2. Hat aber bei Meidung des Verdikts gem. § 337 II StPO das Gericht selbstverständlich (Art. 20 III GG) jede Norm, also auch z. B. „nur instruktionelle“ Vorschriften, rechtsrichtig anzuwenden, und soll im Fall des § 337 I StPO das Urteil schon bei möglicher Kausalität (i.S. einer conditio sine qua non) auf dem Verfahrensfehler „beruhen“, wurzeln, weil die revisionsrechtlichen Begründetheitserfordernisse an sich erfüllt sind, die aufgezeigten Revisibilitäts-Einschränkungen notwendig im Verfahren der Hauptverhandlung.18 Das jedoch ist fundamental unrichtig. Revisionsrechtlich ist jenes „Verfahren“ als solches völlig irrelevant. Gegenstand der Anfechtung ist Strafurteil auf einem Verfahrensmangel?, FS Bockelmann, 1979, S. 831, 836 ff.; Grüner, Revisibilität und Beweisverwertungsverbote im Strafprozeß, 1997, S. 21 f.; Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 24 Rdnr. 35 (zu § 54 StPO) u. Rdnr. 37 (zu § 81a StPO). 14 Amelung, Informationsbeherrschungsrechte im Strafprozeß, 1990, S. 30 ff.; ders., Subjektive Rechte in der Lehre von den strafprozessualen Beweisverboten, FS Bemman, 1997, S. 505 ff.; ders., Zum Streit über die Grundlagen der Lehre von den Beweisverwertungsverboten, FS Roxin, 2001, S. 1259, 1260 ff.; Störmer, Dogmatische Grundlagen der Verwertungsverbote, 1992, S. 223 ff.; Müssig, Beweisverbote im Legitimationszusammenhang von Strafrechtstheorie und Strafverfahren, GA 1999, 119, 131 ff. 15 BGHSt 24,125,130 f.; 34, 39, 53; BGH NStZ 1989, 375; BayObLG NJW 1997, 3454; NStZ-RR 1997, 312, 313; OLG Celle NJW 1969, 567, 568; Roxin (Fn. 13), § 24 Rdnr. 21; Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 6), Einl. Rdnr. 57; Philipps (Fn. 13), S. 834 – 836. Zum Ganzen: Rogall (Fn. 11), ZStW 1979, 1 ff. und NStZ 1988, 385 ff.; Beulke (Fn. 12), a.a.O.; Schröder (Fn. 13), S. 72 ff., 111 ff.; Kelnhofer, Hypothetische Ermittlungsverläufe im System der Beweisverbote, 1994; M. Heinrich, Zur Operationsvorbereitung entnommene Blutproben als Beweismittel im Strafprozeß, Diss. 1996, S. 23 ff. 16 H.M., z. B. BGHSt 22, 129, 135; 27, 355, 358 f.; 28, 122, 128; 32, 68, 70 f.; 34, 362, 364 f.; 35, 32, 34 f.; OLG Stuttgart NJW 1973, 1941, 1942; w.N. pro und contra bei Kleinknecht/ Meyer-Goßner (Fn. 6), Einl. Rdnr. 57. 17 Z. B. BGHSt 38, 214, 225 f.; 39, 349, 352; 42, 15, 22 ff.; BayObLG NJW 1977, 404. Zum Ganzen: v. Tippelskirch, Über den Verzicht in Strafsachen, GS 9 (1861), 577 ff., 649 ff., 721 ff., 793 ff.; Jescheck, Die Verwirkung von Verfahrensrügen im Strafprozeß, JZ 1952, 400 ff.; Schmid, Die „Verwirkung“ von Verfahrensrügen im Strafprozeß, 1967; Bohnert, Die Behandlung des Verzichts im Strafprozeß, NStZ 1983, 344 ff.; Kindhäuser, Rügepräklusion durch Schweigen im Strafverfahren, NStZ 1987, 529 ff.; Schlüchter (Fn. 4), a.a.O.; Dudel, Das Widerspruchserfordernis bei Beweisverwertungsverboten, 1999; B. Heinrich, Rügepflichten in der Hauptverhandlung und Disponibilität strafverfahrensrechtlicher Vorschriften, ZStW 112 (2000), 398 ff. (m. zahlr. Nachw. S. 399 f. Fn. 5 u. 7). 18 Besonders deutlich, wenn maßgebend darauf abgestellt wird, ob die Norm „für die Justizförmigkeit des Verfahrens wesentlich“ ist (Maiwald, AK StPO, III, 1996, § 337 Rdnr. 14) oder ob sie „nach ihrer ratio … einem Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit einer Einflußnahme auf den weiteren Verfahrensverlauf und damit … auf das Urteil, eröffnen soll“ (Mehle, Das Erfordernis des Beruhens im Revisionsrecht – die ungewisse Hürde für den Revisionsführer, in: DAV [Hrsg.], Grundprobleme des Revisionsverfahrens, 1991, S. 47 ff., 60).

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allein das Urteil19, Prüfungsmaßstab die Frage seiner Rechtsrichtigkeit, sedes materiae mithin das Revisionsrecht, entscheidend folglich das „Beruhens“-Postulat, das den – notwendig normativen – Finalbezug20 zwischen Urteilsinhalt und „Gesetzesverletzung“ sachlich konkretisiert.21 Urteilsrevisibilität ist Frage somit nicht der Funktion des Verfahrensfehlers für das „Beruhen“, sondern des „Beruhens“ für den Gesetzesverstoß. Was also bedeutet – über formale Kausal- bzw. Finalrelation hinaus – dieses „Beruhen“ rechtsinhaltlich?

II. Es ist „von höchstem Gewicht, daß der lebendige Zusammenhang erkannt werde, welcher die Gegenwart an die Vergangenheit knüpft, und ohne dessen Kenntnis wir von dem Rechtszustand der Gegenwart nur die äußere Erscheinung wahrnehmen, nicht das innere Wesen begreifen“.22 1. Vom Nichtigkeits- zum Anfechtungsprinzip entwickelten sich die Rechtsfolgen von Verfahrensfehlern für das Urteil im Zivil- und Strafprozeß.

19 Dezidiert bereits Beling, Die Revision wegen „Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren“ im Strafprozeß, FS Binding, II, 1911, S. 87, 100. 20 Blomeyer, Die Revisibilität von Verfahrensfehlern im Strafprozeß, JR 1971, 142, 143, 147; Herdegen (Fn. 6), S. 314 ff.; Schlüchter, oben vor I. mit Fn. 3 u. 5; Burgmüller (Fn. 6), S. 145, 149 ff. Eine – an sich naheliegende und auch geübte – Anlehnung an materiell-rechtliche Zurechnungsmodelle verbietet das Erfordernis (unten III. 1. b) mit Fn. 120, 121) spezifisch prozessualer Wertung (zutr. Hanack, LR [Fn. 6], § 337 Rdnr. 254). 21 Im Ansatz richtige revisionsrechtliche Fragestellung, ob die „prospektive Vorwegnahme des … normativen Zusammenhanges“ zwischen Verfahrensfehler und Urteil (Schlüchter, oben vor I.) zu einem Beweisverwertungsverbot führt (Schlüchter [Fn. 2], S. 10), ob die Verfahrensvorschrift verhindern solle „Urteile, die auf einer Verletzung der Norm beruhen“ (Rudolphi, Die Revisibilität von Verfahrensmängeln im Strafprozeß, MDR 1970, 93, 97) bzw. „gerade die urteilsbedeutsame Beweiswürdigung“ (Gössel, LR StPO, 25. Aufl. 1999, Einl. K Rdnr. 168; ders., Die Beweisverbote im Strafverfahren, FS Bockelmann, 1979, S. 801, 814 f.; ders., Überlegungen zu einer neuen Beweisverbotslehre, NJW 1981, 2217, 2219; ders., Die Unterscheidung zwischen absoluten und relativen Beweisverwertungsverboten etc., FS Hanack, 1999, S. 277, 287 f.). Ähnlich Schöneborn, Die strafprozessuale Beweisverwertungsproblematik, GA 1975, 33, 35 ff.; Koriath, Über Beweisverbote im Strafprozeß, 1994, S. 73, 79 f.; Philipps (Fn. 13), S. 836 (entfalle bei Hinwegdenken des Urteils „auch die Beeinträchtigung des geschützten Interesses“, liege „es auch … im normativen Gehalt der Vorschrift, ein solches Urteil auszuschließen“); Momsen, Verfahrensfehler und Rügeberechtigung im Strafprozeß, 1997, S. 130 f., 368 ff., 375, 396 ff. („Verfahrensfehlerbeschwer als Modus der Rügezuweisung“). 22 v. Savigny, System des heutigen Römischen Rechts, I, 1840, Vorrede S. XV. Vgl. auch Wach, Handbuch des Civilprozessrechts, I, 1885, S. 170: „Das Recht ist historische Schöpfung; jede Rechtsdogmatik, welche das geltende Recht nur an und für sich, losgelöst von der Geschichte behandelt, ist unwissenschaftlich.“ Auch Gegner der „historischen Rechtsschule“ haben das zu akzeptieren!

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a) Begriffsdogmatisch an sich nichtig, d. h. rechtlich inexistent, ist normativen Vorgaben nicht gemäßes Faktisches und alles daraus Folgende (weitere Prozeßakte, insbes. Urteile), das jenes (falls rechtsrichtig) notwendig als Rechtsgrund voraussetzt, darauf (rechtlich) „beruht“.23 So konsequent das römische Recht. Es kannte seit der Kaiserzeit als einziges Rechtsmittel24 in Zivil- und Strafsachen die gegen die sententia iniusta vel iniqua wegen materiell-rechtlicher Urteilsmängel („Tatund Rechtsfrage“) binnen 10 Tagen zu erhebende appellatio25 Fehler in procedendo26 bewirkten, weil „non est iudicatum“27, ipso-iure-Nichtigkeit des Urteils28, es war „nullius momenti“29, nicht rechtskraftfähig, bedurfte keiner Anfechtung30, sondern

23 Verf., Beweisverbote als Prozeßhandlungshindernisse, GS K. Meyer, 1990, S. 309 ff., 325 (m.N.); Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, III, 2. Aufl. 1804, S. 408: „… jede rechtsverletzende Handlung des Richters ist wegen ihres Widerspruchs mit dem Gesetze ungültig, alles ist Nullität … Nichtigkeit … ist … eine nothwendige natürliche Folge …“. 24 Mommsen, Römisches Strafrecht, 1901, S. 469, 480. 25 Geib, Geschichte des römischen Criminalprocesses bis zum Tode Justinians, 1842, S. 675 ff., 692; Walther, Die Rechtsmittel im Strafverfahren, I, 1853, S. 3 ff.; v. BethmannHollweg, Der römische Civilprozeß, II, 1865, S. 700 – 712; Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses, II, 1868, S. 571 ff.; Endemann, Das Prinzip der Rechtskraft, 1860, S. 32 – 35; ders., Das deutsche Civilprozeßrecht, 1868, S. 881 f.; Wetzell, System des ordentlichen Zivilprozesses, 3. Aufl. 1878, S. 663 ff.; Mommsen (Fn. 24), S. 468 ff.; v. Hippel, Der deutsche Strafprozeß, 1941, S. 19; Kaser/Hackl, Das römische Zivilprozeßrecht, 2. Aufl. 1996, §§ 74 II 1, 75, 95. 26 Defizite in der Person des Richters (z. B. Unzuständigkeit), der Parteien (etwa Parteiunfähigkeit, keine ordnungsgemäße Vertretung) und des ordo iudiciorum (insbes. fehlende Ladung, Abwesenheit der Parteien, Versagung rechtlichen Gehörs) sowie bestimmte allgemeine Urteilsmängel (u. a. weder Verurteilung noch Lossprechung, Verurteilung zu Unmöglichem, sententia contra sententiam vel rem iudicatam; Entscheidung contra ius in thesi, d. h. wenn ein falscher Rechtssatz zugrunde gelegt, nicht nur ein richtiger falsch angewandt wurde). Dazu je m.N.: v. Ahornrain, Bemerkungen über die Nichtigkeitsbeschwerde im Civilprocesse, 1812, S. 12 – 22; Reinhardt, Handbuch des gemeinen teutschen ordentlichen Processes, II, 1824, S. 232 – 245; v. Röder, Beiträge zu der Lehre von den Nichtigkeiten im Civilprocesse, 1831, S. 26 – 32; v. Bethmann-Hollweg (Fn. 25), S. 721 – 723; Wetzell (Fn. 25), S. 666 f. (zum Urteil); Strippelmann, Die Nichtigkeits-Beschwerde, nach gemeinem und hessischem Rechte, 1862, S. 6 – 55. 27 Skedl, Die Nichtigkeitsbeschwerde in ihrer geschichtlichen Entwicklung, 1886, S. 1 (m.N.). 28 v. Röder (Fn. 26), S. 13, 24; Skedl (Fn. 27), S. 1; Zachariae (Fn. 25), S. 573, 584 f.; ders., Grundlinien des gemeinen deutschen Criminal-Processes, 1837, S. 284; v. BethmannHollweg (Fn. 25), S. 720 f.; Calamandrei, La Cassazione Civile, I, 1920, S. 16 – 18. 29 D. 49, 8, 3 (Paulus): „… impossibile praeceptum iudicis nullius esse momenti …“. 30 Vgl. D. 49, 8 (Titelüberschrift): „Quae sententiae sine appellatione rescindantur“; C. 7, 64,1: „Quando provocare non est necesse“. Dazu auch v. Bethmann-Hollweg (Fn. 25), S. 721; Calamandrei (Fn. 28), S. 72 f.

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ggf. – etwa gegen die Vollstreckung – nur der (zeitlich unbegrenzt statthaften) exceptio (replica) nullitatis.31 b) Die Kanonistik folgte zunächst (bis ins 13. Jahrhundert) dem römischen Recht32, später der oberitalienischen Doktrin und Statutargesetzgebung. Auch diese kannte die Appellation, schuf daneben jedoch als weiteres Rechtsmittel die Nichtigkeitsbeschwerde (querela bzw. remedium nullitatis).33 Sie diente nicht mehr deklaratorischer Feststellung der Urteilsnichtigkeit ex tunc i.S. der römischen exceptio nullitatis, sondern im Anfechtungsweg konstitutiver Annullierung des Urteils ex nunc und Ersetzung durch ein neues wegen Parteibeschwer durch Verfahrensfehler.34 Unterschieden wurden aus dem „ius naturale“ abgeleitete, das iudicium wesensmäßig konstituierende Elemente35, ohne die „res illa non esse potest“36, von anderen Formen „iuris positivi“37 , demgemäß38 unheilbare Mängel (defectus insanabiles), zu rügen „principaliter“39 im Weg der querela nullitatis vor Ablauf der 30jährigen40 zivilrechtlichen Anspruchsverjährungsfrist (oder „incidenter“ in der Appellation), und heilbare41 Fehler (defectus sanabiles), geltend zu machen zugleich mit der Behauptung einer sententia iniqua binnen 10 Tagen per appellationem.42 31 Reinhardt (Fn. 26), S. 233; Fischer, Die Lehre von der Nichtigkeit der Civilurtheile, 1829, S. 188; v. Röder (Fn. 26), S. 24; Renaud, Lehrbuch des Gemeinen deutschen Civilprozeßrechts, 2. Aufl. 1873, S. 573; Skedl (Fn. 27), S. 4. 32 Näher v. Ahornrain (Fn. 26), S. 22; v. Röder (Fn. 26), S. 33 ff.; Skedl (Fn. 27), S. 6 ff.; Hinschius, System des katholischen Kirchenrechts, VI/1, 1897, S. 131 ff. 33 Dazu umfassend Skedl (Fn. 27), S. 52 – 171; vgl. auch Calamandrei (Fn. 28), S. 138, 152 – 158. Sie war dem römischen Recht unbekannt (v. Bethmann-Hollweg [Fn. 25], S. 726; str.). 34 Skedl (Fn. 27), S. 110. Folglich war beschwerdeberechtigt nur, wer an der Urteilsvernichtung ein rechtliches Interesse hatte (Vantius, Tractatus de nullitatibus processum ac sententiarum, 1575, cap. IV n. 1; Altimarus, Tractatus de nullitatibus sententiarum etc., 1698, rub. IV qu. 2 n. 1 – 2). 35 Sie entsprachen im wesentlichen den römisch-rechtlichen Nichtigkeiten (Fn. 26): Defectus iurisdictionis, litigatorum, comparentium alieno nomine, legitimae citationis, processus (falls nicht der „ordo iudiciarius fuerit legitime servatus“ oder „aliquid ex substantialibus Processus omissum“), formae sententiae, sowie iniquitas notoria (Vantius [Fn. 34], cap. II n.2, 5, 6, 7, 8, cap. IX, cap. XI n. 59 – 177, cap. XII, cap. XIII n. 1 – 142; Altimarus [Fn. 34], rub. II qu.2, 4 – 8, rub. VI qu.4, 24 – 42, rub. VII qu.l, 31). W. Nachw.: Skedl (Fn. 27), S. 168 – 171; Strippelmann (Fn. 26), S. 74 – 86. 36 Vantius (Fn. 34), cap. XIII n. 9 (ferner a.a.O.: „substantia dicitur natura necessaria et inevitabilis“). 37 Vantius (Fn. 34), cap. V n. 13,19; Scaccia, Tractatus de appellationibus in duas partes divisus, 1615, qu. XIX rem. I concl. 2 n. 19, 27; Altimarus (Fn. 34), rub. V qu. 36 n. 17. 38 Vgl. Vantius (Fn. 34), cap. IX n. 6, cap. XI n. 61, 62; Wetzell (Fn. 25), S. 797 f. 39 Vantius (Fn. 34), cap. VI n. 1, 1, 4, 5, 7, 9; Scaccia (Fn. 37), qu. XIX rem.I concl. 3 n. 1, 3 – 5. 40 Vantius (Fn. 34), cap. VIII n. 8; Scaccia (Fn. 37), qu.XIX rem. I concl. 7 n. 1; Altimarus (Fn. 34), rub. VIII qu. 3 n. 2. 41 Durch ungenutzten Ablauf der 10tägigen Appellationsfrist (Vantius [Fn. 34], cap. VIII n. 8; Scaccia [Fn. 37], qu. XIX rem. I concl. 4 n. 54 – 59).

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c) Die deutsche Reichsgesetzgebung43, deren Schlußpunkt der Jüngste Reichsabschied (JRA) von 1654 setzte, folgte den Grundsätzen des rezipierten (römisch-)italienischen Rechts. Sie verordnete zur Rechtssicherheit, Prozeßökonomie und Verfahrensbeschleunigung, daß die (sanablen) nullitates iuris positivi44, ggf. verbunden („incidenter“) mit der Rüge einer sententia iniqua, in der Appellation geltend zu machen seien45 ; andernfalls waren sie mit Ablauf des decenditum appellationis geheilt. Nur die nullitas contra ius naturale44 – insanabel, weil sie „in anderer Instanz nit ratificiert werden möcht“, womit der „Parthey in der Hauptsach ein unwiderbringlich unrecht geschehe“46 – blieb Beschwerdegrund der (30jährigen) querela nullitatis.47 Sie war in Strafsachen einziges (förmliches) Rechtsmittel48 im klassischen gemein-

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Vantius (Fn. 34), cap. VI n. 17, 18, 20; Scaccia (Fn. 37), qu. XIX rem. I concl. 3 n. 10, 18, 19, 21. 43 Zum Ganzen (mit Gesetzeszitaten) Schnaubert, Erörterung der Lehre von den heilbaren und unheilbaren Nullitäten, 1780, S. 5 – 17; Gönner (Fn. 23), S. 397 – 455; v. Röder (Fn. 26), S. 38 – 57; Herquet, Die Nichtigkeitsklage in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten, 1838, S. 26 – 34; Strippelmann (Fn. 26), S. 92 – 102; Wetzell (Fn. 25), S. 799 – 807; Skedl (Fn. 27), S. 174 – 179; Calamandrei (Fn. 28), S. 192 – 207. 44 Ebenso das Conclusium im Fürstenrat v. 18./28. 4. 1654 (vgl. Meiern, Acta comitialia Ratisbonensia Publica de 1653 et 1654, 1740, S. 693) in Vorbereitung der §§ 121, 122 des JRA: „Der Nullitäten halber wird wiederholt, dass ein Unterschied zwischen den nullitatibus wider das ius naturale laufend und den nullitatibus iuris positivi zu machen, dergestalt, daß in diesen das fatale decendii sowohl als in den appellationibus hinführo statthaben, in jenen es aber wegen der der Zeit, in welcher die Klage der Nullität einzuwenden, bei den gemeinen Rechten gelassen werden solle.“ 45 Tit. XXI § 1 der Kammergerichtsordnung (KGO) von 1521; Theil III Tit. 34 § 1 der KGO von 1555; § 121 des JRA von 1654 („Indem auch nunmehr … vielfältig disputiret worden, ob Sententia nulla oder iniusta sich verhalte, und zwar darum allein, daß a Sententia nulla in dreyssig Jahren die Klag prosequirt, a Sententia iniqua aber intra Decendium appelliret werden kan und soll: so soll, zu Verhütung dergleichen ohnnöthigen Gezäncks, in allen beyden Fällen, das ist a Sententia nulla quam iniqua, das Fatale interponendae observirt, darüber auch hinfüro bey Unserm Cammer-Gericht stät und festiglich gehalten werden“). 46 Theil III Tit. 34 §§ 1, 2 der KGO von 1555; Theil III Tit. 40 §§ 1, 2, der Concepta Ordinatio Cameralis von 1613. Die als Verfahrensfortsetzung verstandene appellatio (Danz, Grundsätze des Reichsgerichts-Prozesses, 1795, S. 520; Endemann, Civilprozeßrecht [Fn. 25], S. 887; vgl. auch ZPO-Motive [Fn. 7], S. 139) mußte auf einem rechtsgültigen, allenfalls mit heilbaren Mängeln behafteten Verfahren aufbauen. 47 Theil III Tit. 34 § 3 der KGO von 1555; § 122 des JRA von 1654: „Bey denjenigen Nullitäten aber, welche insanabilem defectum, aus der Person des Richters, oder der Parthey, oder aus den Substantialibus Processus, nach sich führen, verbleibt es bey der Disposition der gemeinen Rechten.“ 48 Theil II Tit. 28 § 5 der KGO von 1555 (ebenso Theil II Tit. 31 § 14 der Concepta Ordinatio Cameraiis von 1613): „Doch da sich Jemand an dem Cammergericht beklagen würde, daß in peinlichen Sachen, auch Leib-Straff anlangend, sein unerfordert und unverhört, und also nichtiglich, oder sonst wider natürliche Vernunft und Billigkeit wider ihn procedirt, gehandelt und geurtheilet, und derhalben principaliter auff die Nullität um Proceß ansuchen würde, … soll alsdann der ansuchenden Parthey solcher Nichtigkeit halben, Ladung erkannt, und darauff rechtliche Hülff mitgetheilt … werden“.

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rechtlichen Inqusitionsprozeß49 angesichts hier ausgeschlossener Appellation50 : Diese wurde mit Reichsrecht51 und dem favor publicae disciplinae (Verfahrensbeschleunigung, unverzügliche Urteilsvollstreckung) unvereinbar erachtet52, an ihre Stelle trat die – nicht devolutive — „weitere Verteidigung“ („remedium ulterioris defensionis“)53, die allgemeine Anerkennung fand in der gemeinrechtlichen Doktrin und Praxis54, und noch im 19. Jahrhundert sahen Partikularrechte überwiegend55 und selbst der StPO-Entwurf von 1873 die Berufung nicht vor; erst aufgrund späterer Beratungen der Justizkommission56 und des Reichstags57 wurde sie als Rechtsmittel in die StPO aufgenommen. Die gemeinrechtlich weiterhin praktizierte Nichtigkeitsbeschwerde58 fand modifiziert, jedoch in ihrem historischen Kern unverändert, Eingang in zahlreiche Partikular-Prozeßordnungen des 19. Jahrhunderts59, bevor sie 1877 abgelöst wurde durch das Rechtsmittel der Revision der ZPO und StPO. Nichtige Urteile sind geltendem Prozeßrecht fremd; sie haben, auch wenn gravierend mangelhaft, keine im Rechtsmittelweg zu beseitigende „Scheinexistenz“60 mehr, sondern sind rechtlich wirksam, beachtlich, gültig, nur noch „vernichtbar“. Angesichts überragender Bedeutung der Rechtskraft für Rechtssicherheitsinteressen waren ehemali-

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Anders im – praktisch bedeutungslosen – Anklageprozeß (Zachariae [Fn. 25], S. 580). Carpzov, Practica Nova Imperialis Saxonica Rerum Criminalium, Editio 3, 1653, pars III qu. 139 n. 14: „Quod scilicet hodie in processu criminali inquisitorio appellatio nequaquam sit admittenda.“ 51 § 95 des Augsburger Reichsabschieds von 1530; Theil II Tit. 28 § 5 und Tit. 31 § 14 der KGO von 1555 (Verbot der Appellation an das Reichskammergericht gegen Urteile, die auf Leibesstrafe lauteten). 52 Näher Walther, Die Rechtsmittel im Strafverfahren, II, 1855, S. 38 – 43; Zachariae (Fn. 28), S. 278 f.; Verf., Rechtsstaatliche Übermaßverbote im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß, in: Brieskorn/Mikat/Müller/Willoweit (Hrsg.), Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft, 1994, S. 285, 306 f. 53 Carpzov (Fn. 50), pars III qu. 139 n. 37: „Limit, secundo hac regula: ut loco appellationis in processu inquisitorio defensio inquisiti admittatur“. 54 Walther (Fn. 52), S. 44; Behr, Die Rechtsmittel gegen Strafurteile in der Reformdiskussion und der Partikulargesetzgebung des 19. Jahrhunderts, Diss. 1984, S. 11 – 15. Vgl. noch §§ 517 – 533 der Preuß. CrimO v. 1805 (inzwischen berufungsähnlich ausgestaltet). 55 Vgl. Anlage 1 zu den StPO-Motiven, in: Hahn III/1 (Fn. 6), S. 309 – 318, 324 f.; Behr (Fn. 53), S. 65 – 93. 56 Protokolle der Kommission, in: Hahn III/l (Fn. 6), S. 991 ff., 1009. 57 Hahn III/2 (Fn. 6), 1881, S. 1921 ff., 1967, 2096. 58 v. Röder (Fn. 26), S. 58 – 108; Mittermaier, Das Deutsche Strafverfahren in der Fortbildung durch Gerichts-Gebrauch und Landes-Gesetzbücher etc., II, 1846, S. 629; Zachariae (Fn. 25), S. 586 f.; Strippelmann (Fn. 26), S. 102 – 122. 59 Mittermaier, Das System der Nichtigkeiten wegen Verletzungen von Formvorschriften im Strafprozeße etc., GS 2 (1850), l. Bd., S. 295, 301 – 312; Strippelmann (Fn. 26), S. 122 – 125; ausführlich Behr (Fn. 54), S. 65 – 101. 60 Wetzell (Fn. 25), S. 667. 50

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ge Nichtigkeiten zu Anfechtungsgründen geworden (§§ 337, 338 StPO; 549, 551 ZPO).61 2. Von der Verfahrens- zur Urteilsrüge hin wandelten sich – inhaltlich – Bedeutung und Wirkung von Rechtsfehlern in procedendo62, die als „substantielle“63, „wesentliche“, „insanable“ die Nichtigkeitsbeschwerde begründen konnten. Für „heilbare“, „unwesentliche“ Verfahrensmängel war diese Entwicklung frühzeitig abgeschlossen: Beeinflußten sie das Urteil nicht, waren sie also auch für dieses „unwesentlich“, schieden sie als Anfechtungsgründe aus64 ; denn durch das im übrigen materiellrechtlich richtige Urteil war der Betroffene nicht rechtsverletzend „beschwert“, ein gerechteres konnte er nicht erwirken. a) Am Maßstab rechtsgültigen Verfahrens die „wesentlichen“ Prozeßfehler von den praktisch zu Appellationsgründen gewordenen65 „unwesentlichen“ zu scheiden, war „Kardinalfrage der ganzen Lehre von der Nichtigkeit“66, eine „unerschöpfliche Quelle von Streitigkeiten“67, „eine der schwierigsten Aufgaben der Strafprozeßgesetzgebung“68, so daß „vielleicht über keinen Theil der Prozeßtheorie mehr gestritten worden ist“.69 Ein breites Feld nichtiger Zwangsakte, insbesondere solche ohne indicia sufficienta, bot naturgemäß der gemeinrechtliche Inquisitionsprozeß.70 Unstreitig seit dem römischen Recht als prozeß-„wesentlich“ anerkannt waren lediglich Mängel in der Person des Richters (z. B. fehlende Jurisdiktion, Unzuständigkeit, falsche Gerichtsbesetzung) und der Parteien sowie bestimmte Prozeßformalien (vor allem Ladung, Anwesenheit und rechtliches Gehör der Parteien).71 Im übrigen blieben die substantialia processus nach Art und Zahl strittig72 bis in die Partikular-Prozeßordnungen des 18. und namentlich 19. Jahrhunderts, gesetzestechnisch mit enumerativer Normierung aller Nichtigkeitsgründe, Nichtigkeit generalklauselartig bei Verletzung einer „wesentlichen“ Förmlichkeit oder Generalklausel mit „regelbei-

61 BGHZ (GrS) 14, 39, 49 f.; Rimmelspacher, Zur Prüfung von Amts wegen im Zivilprozeß, 1966, S. 84. 62 Mit der Nichtigkeitsbeschwerde angreifbare Urteilsmängel bleiben im Folgenden außer Betracht. 63 Vgl. insbes. § 122 des JRA von 1654 (Fn. 47). 64 Renaud (Fn. 31), S. 589, 591. 65 Renaud (Fn. 31), S. 84; Endemann, Civilprozeßrecht (Fn. 25), S. 942 ff. 66 Walther (Fn. 52), S. 46. 67 Zachariae (Fn. 25), S. 585. 68 Walther (Fn. 52), S. 43. 69 v. Röder (Fn. 26), S. 19. 70 Dazu Verf. (Fn. 52), S. 307 f., 309 f. 71 Im einzelnen Fn. 26 u. 35. 72 Vgl. die Übersichten bei Gönner (Fn. 23), S. 392 ff.; v. Ahornrain (Fn. 26), S. 11 – 15; v. Röder (Fn. 26), S. 26 – 38, 62 – 65; Endemann, Civilprozeßrecht (Fn. 25), S. 945 ff., 950 ff.; Skedl (Fn. 27), S. 167 – 171; Strippelmann (Fn. 26), S. 6 – 21, 74 – 86.

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spielhafter“ Anführung nichtigkeitsbegründender Formfehler.73 Exemplarisch: Die von sechs deutschen Länder-Strafprozeßordnungen übernommene74 Nichtigkeitsbeschwerde (Kassationsrekurs) des französischen Rechts fand gem. Art. 441, 442 des Code d’instruction criminelle von 1808, die Zahl der zuvor 129 Nichtigkeitsgründe75 verringernd, und aufgrund weitergehender Rechtsprechung des Pariser Kassationsgerichtshofs bei Verletzung aller dann als „wesentlich“ erachteten Prozeßförmlichkeiten zur Wahrung der Rechtseinheit statt, wenn sie, losgelöst vom konkreten Fall, abstrakt geeignet waren, ein Urteil zu beeinflussen.76 Insgesamt mußten die Versuche, begrifflich-deduktiv abstrakt-generelle substantialia aus dem „Wesen“, der „Natur“ des Prozesses abzuleiten, sie auf ein allgemeines Prinzip zurückzuführen, notwendig scheitern. b) Den gordischen Knoten zerschlug erst die an konkreter Bedeutung für den Urteilsinhalt orientierte Beurteilung, ob die Verletzung eines Gesetzes – nicht mehr die Norm als solche! – nichtigkeitsbegründend „wesentlich“ war oder nicht.77 Daß „die nämliche Förmlichkeit in einem Falle von wesentlichem, in einem anderen von untergeordnetem Einfluß auf den Gang des Verfahrens sein“78 könne, ein Verfahrensverstoß „wesentlich“ somit nur dann sei, wenn er „irgendwelchen Einfluß auf die Entscheidung der Sache gehabt haben kann“79 bzw. die „Beobachtung“ der Form „möglicher Weise ein anderes Ergebnis der Rechtsfindung … hätte geben können“80, 73 Überblicke bei Walther (Fn. 52), S. 52 ff., 66 – 68; Mittermaier (Fn. 59), GS 1850, 300 ff., 312; Schwinge, Grundlagen des Revisionsrechts, 2. Aufl. 1960, S. 11 – 22; Hettinger, Das Fragerecht der Verteidigung im reformierten Inquisitionsprozeß, 1985, S. 110 – 122; Behr (Fn. 54), S. 65 ff., 94 f.; Burgmüller (Fn. 6), S. 58 – 60; Hinweise auch in den ZPO-Motiven (Fn. 7), S. 366. 74 Walther (Fn. 52), S. 250; Zachariae (Fn. 25), S. 650 f.; Rittler, Über die Entwicklung der Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes im Strafverfahren, ZStW 32 (1911), 436, 457 – 459; vgl. auch Calamandrei (Fn. 28), S. 582 – 603; v. Hippel (Fn. 25), S. 555. 75 Walther (Fn. 52), S. 48; Mittermaier (Fn. 59), GS 1850, 293. 76 Mittermaier (Fn. 59), GS 1850, 293. Zum Ganzen eingehend Rittler (Fn. 74), S. 445 – 456; Schmid (Fn. 17), S. 10 – 13. Zur ebenfalls „abstrakten“ Betrachtungsweise des Preuß. Obertribunals vgl. v. Stemann, Die Rechtsmittel in der künftigen Deutschen Strafprozeß-Ordnung, GA 19 (1871), 281, 288; Burgmüller (Fn. 6), S. 63 – 67. 77 v. Stemann (Fn. 76), GA 1871, 289: „Nicht der größere oder geringere Werth der Prozeßformen als solcher, sondern ihre Beziehung zur Anfechtung des Urteils kann allein darüber entscheiden, ob die Verletzung einer Prozeßvorschrift wesentlich ist oder nicht.“ 78 Mittermaier (Fn. 59), GS 1850, 314. Ebenso die Motive zum bayer. Entwurf des Gesetzes v. 10. 11. 1848 (zit. bei Walther [Fn. 52], S. 57; ders. zustimmend). 79 § 180 der StPO Kurhessens v. 1863 (zit. nach Zachariae [Fn. 25], S. 642 Fn. 20). Ebenso § 164 lit. b des Zürcher Gesetzes v. 1853 (zit. bei Walther [Fn. 52], S. 63); Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens auf der Grundlage der neueren Strafprozeßordnungen seit 1848, 1857, S. 535 f.; v. Schwarze, Bemerkungen über den Umfang und die Wirkung cassatorischer Entscheidungen, GS 15 (1863), 1, 2 – 4; v. Stemann (Fn. 76), GA 1871, 289. 80 Mittermaier (Fn. 59), GS 1850, 314. In gleichem Sinn Art. 441 Ziff. 14 der StPO für das Königreich Württemberg v. 1868 (zit. bei Hettinger [Fn. 73], S. 121); v. Stemann (Fn. 76), GA 1871, 288.

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daß also ein derart „wenigstens möglicher Kausalzusammenhang“81 zu fordern sei, worüber das Rechtsmittelgericht aufgrund „vernünftiger Beurtheilung“82 oder „Ermessen“83 entscheiden müsse – diese Erkenntnisse wurden Grundstein der (ZPOund) StPO-Gesetzgebungsarbeiten. Weil „vermöge der formalen Natur“ der Nichtigkeitsbeschwerde bisheriger Prägung „der Nichtigkeitsrichter oft genug Entscheidungen vernichten (mußte), welche eine materielle Rechtsverletzung durchaus nicht enthalten, während er andererseits sich nicht selten gezwungen (sah), einer sachlich begründeten Beschwerde lediglich aus prozessualischen Gründen die Abhülfe zu versagen“84, ersetzte im Interesse der Individualgerechtigkeit85 das konkrete „Beruhens“-Postulat86, womit nunmehr „grundsätzlich … keine Prozeßvorschrift von der Begründung der Revision ausgeschlossen“87 war, das frühere (abstrakte) „Wesentlichkeits“-Erfordernis: „Der Erfolg des Rechtsmittels ist also durch einen Zusammenhang zwischen der begangenen Gesetzesverletzung und der Entscheidung selbst bedingt“88 ; dieser Konnex entfalle, wenn die „Verletzung einer Prozeßvorschrift … einen dem Beschwerdeführer nachtheiligen Einfluß auf die Entscheidung offenbar nicht gehabt hat“89, weil „auch bei deren richtiger Anwendung das Gericht zu derselben Entscheidung gelangt sein“90 bzw. die „Anwendung der zutreffenden Rechtsnorm zu einer anderen als der erlassenen Entscheidung nicht geführt haben würde“.91 3. Eine im Fazit ihrer Genese begriffene Urteilsrevision „wegen Verletzung einer Rechtsnorm über das Verfahren“ disqualifiziert heute herrschende Auffassungen über sie92 geschichtlich als Rückschritt von der „Urteils“-Rüge wieder zur „Verfahrens“-Rüge93 und als bereits im Ansatz falsch insbesondere die Fragestellung94,

81 Walther (Fn. 52), S. 65; v. Schwarze (Fn. 79), GS 1863, 4; v. Stemann (Fn. 76), GA 1871, 289; i.E. wohl auch Zachariae (Fn. 25), S. 642. 82 Hye-Gluneck, Die leitenden Grundsätze der österr. Strafproceßordnung vom 29. 7. 1853, 1854, S. 337 Fn. 3. 83 Art. 243 II der StPO für das Königreich Sachsen v. 1855 (vgl. Hettinger [Fn. 73], S. 116); v. Schwarze (Fn. 79), GS 1863, 4. 84 StPO-Motive (Fn. 6), S. 250. 85 Vgl. StPO-Motive (Fn. 6), S. 250: „Das so gestaltete Rechtsmittel hätte man füglich mit dem Namen ,Rechtsberufung‘ bezeichnen können“; ZPO-Motive (Fn. 7), S. 363: „beschränkte Berufung“. 86 Oben I. 1. mit Fn. 6 u. 7. 87 Oben I. 1. mit Fn. 8. 88 StPO-Motive (Fn. 6), S. 251. 89 StPO-Motive (Fn. 6), S. 250. 90 StPO-Motive (Fn. 6), S. 251. 91 ZPO-Motive (Fn. 7), S. 365. 92 Oben I. 1. 93 Oben I. 2. 94 Oben I. 1. mit Fn. 10 – 15.

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wann einem (Verfahrens-)Beweiserhebungsverbot ein (Urteils-)Verwertungsverbot folge.95 a) Nicht minder unhistorisch versteht die h.M. das „Beruhen“ i.S.d. § 337 I St PO (§ 549 I ZPO) als (mögliche) Relation reiner Kausalität zwischen Gesetzesverstoß und Urteil.96 Dann zwar konsequent, aber prämissenfehlerhaft sind Versuche, bestimmte Verfahrensfehler, anderweitige Rechtsgründe bemühend, als ausnahmsweise nicht revisionsrechtfertigend zu deklarieren.97 In Wahrheit sind dies Fragen bereits begriffsinhaltlicher Geltung des Beruhens-Merkmals: „Wesentlich“ ist die Gesetzesverletzung in procedendo für das Urteil, wenn sie dessen Inhalt in concreto, in den (prozessualen) Rechtskreis des Anfechtungsberechtigten normwidrig eingreifend98, beeinflussen konnte (und deshalb nicht nur „Ordnungs“-Verstoß99 war); „unwesentlich“ ist sie, falls auch gesetzmäßiges Prozedieren (hypothetisch) kein anderes Urteil bewirkt hätte100 oder wenn „der Beschwerdeführer durch sein eigenes Verhalten zu erkennen gegeben“ hat, daß er „die Beschränkung einer prozessualischen Befugniß“ für „eine ihm nachtheilige nicht erachte“.101 Nur formal-gesetzestechnisch (mittels der Beruhens-Fiktion) urteilsfinal, in der Sache aber rein verfahrensbezogen i.S. der gemeinrechtlichen (abstrakten) Nichtigkeitsbeschwerde102, sind die „absoluten“ Revisionsgründe (§§ 338 StPO, 551 ZPO). Für den Gesetzgeber stehen sie zwar „außerhalb jeder Beziehung zu dem materiellen Inhalte des Urtheils“, berühren jedoch „die Grundlagen des Verfahrens“103 als Ganzes, gelten als begrifflich-generelle104 Grundbedingungen jeden Straf- bzw. Zivilprozesses105, bemerkenswert übereinstimmend mit den seit römischem Recht klassischen nullitates insanabiles.106 Jedenfalls diesem historischen Verständnis entsprä95

Dazu unten III. 2. a). Oben I. 1. mit Fn. 6 sowie unten IV. 1. mit Fn. 189 – 192. 97 Oben I. 1. mit Fn. 9 – 17. 98 Oben II. l. mitFn. 89. 99 Oben I. 1. mit Fn. 9. 100 Oben I. 1. (mit Fn. 15), II. 2. b). (mit Fn. 88 u. 90). Vgl. bereits oben vor I. (mit Fn. 5) sowie ergänzend unten III. 2. e). 101 StPO-Motive (Fn. 6), S. 252 m. Hinw., daß „vermöge der … im § 300 (heute: § 337) aufgestellten Regel“ es unnötig sei, jene Verzichtswirkung ausdrücklich, wie noch in – dem Textzitat wortgleichen – § 390 II 1 der preuß. StPO v. 25. 6. 1867 (vgl. v. Stemann [Fn. 76], S. 288), zu normieren. 102 Oben II. 2. a). 103 StPO-Motive (Fn. 6), S. 252; ZPO-Motive (Fn. 7), S. 369. 104 Vgl. ZPO-Motive (Fn. 7), S. 369: § 489 (jetzt: § 551 ZPO) „hat eine ausschließlich deklaratorische Bedeutung“; so hätte „in den Fällen der Nr. 1 – 5 … überhaupt oder von dem erkennenden Gericht kein Urtheil erlassen werden dürfen, also auch nicht das angefochtene“. 105 Walther (Fn. 52), S. 71 („… ihre Befolgung ist conditio sine qua non für die Erhaltung dieser Ordnung“); v. Stemann (Fn. 76), GA 1871, 289 f. („Normen …, deren Verletzung immer die Nichtigkeit … nach sich ziehen soll“, weil „von einem wirklichen Strafverfahren, wie es die … Rechtsordnung im Auge hat, eigentlich gar nicht mehr die Rede sein kann“). 106 Vgl. oben II. 1.a) (mit Fn. 26), II. 1.b) (mit Fn. 36), II. I.e) (mit Fn. 47). 96

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che „abstrakte“ Beurteilung der Abwesenheit (§ 338 Nr. 5 StPO) bzw. des Ausschlusses der Öffentlichkeit (§ 338 Nr. 6 StPO) während eines „wesentlichen“ Teils107 der Hauptverhandlung und der Verteidigungsbeschränkung „in einem für die Entscheidung wesentlichen Punkt“ (§ 338 Nr. 8 StPO).108 Ausläufer noch des römisch-rechtlichen Nichtigkeitsgrundsatzes109, der unbefristeten exceptio nullitatis, finden sich, womit der Kreis sich schließt, in den das (Anfechtungs- und) Rechtskraftprinzip aus überwiegenden Erfordernissen materieller Gerechtigkeit durchbrechenden Regelungen des Wiederaufnahmeverfahrens gem. §§ 359 ff. StPO.110

III. 1. Prozeßdogmatik bestätigt, nun beschränkt auf § 337 StPO, den historischen Befund zu diesem „Schlüssel zum Verständnis des Revisionsrechts“.111 a) §§ 337 (338), 352 I, 353 I StPO normieren die Funktion der Revision. Als Rechts-Mittel des Anfechtungsberechtigten bezweckt sie, rechtsfehlerhafte (§ 337 I, II StPO) Urteile zu ver-„nichten“ und durch rechtsrichtige zu ersetzen. Rügegegenstand ist folglich nicht die im Urteilstenor verordnete Urteils-Beschwer (als Urteilsbegründungs-Folge), sondern die sie – als Grund, auf dem sie „beruht“ – konstituierende, für sie „wesentliche“ Gesetzesverletzungs-Beschwer112, die, soweit Un-Recht ihm gegenüber, als Revident geltend zu machen berechtigt ist der Angeklagte (wegen prozeßfehlerhafter Widerlegung der Unschuldsvermutung durch Verurteilung), der Nebenkläger (wegen normwidriger Verletzung seiner prozessualen Rechtsstellung durch Nichtverurteilung wegen eines Nebenklagedelikts) und die Staatsanwaltschaft (wegen jeder unrichtigen Entscheidung: Verurteilung, Freispruch, Einstellung gem. § 260 III StPO). b) Für die den „Beruhens“-Begriff definierende „Gesetzesverletzungsbeschwer“ sind rechtsinhaltlich ausschließlich prozessuale Wertmaßstäbe bestimmend.113 Straf107

So zu § 338 Nr. 5 StPO: BGHSt 26, 84, 91; BGH GA 1963, 19; NStZ 1983, 36. Gerichtsverschulden im Fall des § 338 Nr. 6 StPO (BGHSt 21, 72, 74; 22, 297) erscheint insoweit als untaugliches Kriterium (Hanack, LR [Fn. 6], § 338 Rdnr. 113). 108 Schlüchter (Fn. 1), Rdnr. 743; Hanack, LR (Fn. 6), § 338 Rdnr. 125. Anders (konkretkausale Urteilsbeziehung) die h.M., insbes. Rspr. (z. B. BGHSt 30, 131, 135; 44, 82, 90; BGH NStZ 2000, 212). Zum Ganzen Weiler, Die Beeinträchtigung der Verteidigung durch Gerichtsbeschluß in einem wesentlichen Punkt als absoluter Revisionsgrund?, NStZ 1999, 105 ff. 109 Oben II. 1. a). 110 Die zivilprozessuale Wiederaufnahme (§§ 578 I, 579, 580 ZPO) ist befristet (§ 586 ZPO). 111 Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, II, 1957, § 337 Erl. 1. 112 Verf., in: KMR-Kommentar zur StPO, 7./8. Aufl. 1980/90, § 337 Rdnr. 19. In der Sache zustimmend, nur terminologisch abweichend („Verfahrensfehlerbeschwer“), Momsen (Fn. 21), S. 35, 373, 396, 403 u. pass.; vgl. auch Schmid (Fn. 17), S. 31 f. 113 Näher Verf. (Fn. 23), S. 318 – 321.

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verfahrensziel ist weder „Verwirklichung des materiellen Strafrechts“ noch Entscheidungsrichtigkeit durch „Rechtskraft“ oder „Rechtsgestaltung“114, sondern die rechtsrichtige, d. h. prozessual wahre Aussage115, ob der Beschuldigte einer Straftat verdächtig (§§ 160, 170; 203, 204 StPO) bzw. überführt (§§ 244 II, 261 StPO), ob also die Unschuldsvermutung widerlegbar bzw. widerlegt sei oder nicht.116 Mittel zu diesem Zweck ist die prozessuale Justizförmigkeit als Ergebnis der vom Verhältnismäßigkeitsgebot als „übergreifender Leitregel allen staatlichen Handelns“117 geleiteten Abwägung zwischen Sachaufklärung (§§ 160, 244 II StPO) im Interesse des Strafrechtsgüterschutzes und damit allgemein oder im Einzelfall kollidierenden sonstigen, beweisexternen Rechtswerten118: Keine Wahrheitserforschung „um jeden Preis“.119 Auch soweit dieser „Preis“ im Schutz – insbesondere durch „Beweisverbote“ – außerprozessualer Rechtsgüter liegt, ist materielles Recht keine im prozessualen Raum gültige Kategorie i.S.d. § 337 StPO120, weil er als nur einer der Abwägungstopoi („Primärwert“) verfahrensrechtlich relevant sein kann erst vermöge dominierender prozessualer („Sekundär-“)Wertung durch staatsrechtliche Verfahrensgestaltung.121 Ergebnis: „Gesetzesverletzungsbeschwer“ nur durch Verstöße gegen Sachaufklärungspflichten oder Wahrheitserforschungsverbote, die zu einer „prozessual unwahren“ Urteilsaussage führen (konnten), worauf mithin das Entscheidungsergebnis „beruht“. 2. Daraus folgt für die ganz herrschend deklarierten, in Wahrheit nur scheinbaren „Ausnahmen“122 vom „Beruhens“-Postulat des § 337 I StPO: a) Strukturell verfehlt123 sind bereits die – nur äußerlich-chronologischem procedere gemäße – Fragestellung, wann Beweisverwertungsverbote aus Beweiserhe114

Eingehend Verf., Materielles Strafrecht im „prozessualen Raum“, in: Raum und Recht, FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002 (im Druck). 115 Verf., Prozessuale Wahrheit und Revision, FS Spendel, 1992, S. 687, 696 ff.; ders., Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung, FS Krause, 1990, S. 53, 68 – 75. 116 Verf. (Fn. 23), S. 315 f.; ders. (Fn. 114), sub III. 1. – Vgl. ergänzend unten IV. 2. mit Fn. 195 – 196. 117 BVerfGE 23, 127, 133. 118 Verf. (Fn. 114), sub I. 2. b). 119 BGHSt 14, 358, 365. 120 Verf. (Fn. 114), sub III. 2. a). Ähnlich Fezer, Grundfragen der Beweisverwertungsverbote, 1995, S. 25 – 28. Allg. zur Bewertung von „Prozeßhandlungen“ s. Verf. (Fn. 23), S. 318 – 321. 121 Vgl. auch Fezer, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1995, 16/29: „bewußte Selbstbeschränkung des Staates bei der Wahrnehmung der Strafverfolgungsaufgaben“. Insoweit zur Bedeutung prozessualer Förmlichkeiten vgl. Verf. (Fn. 23), S. 322 – 325. 122 Oben I. 1. mit Fn. 9 – 17. 123 Vgl. oben II. 3. mit Fn. 95. Näher Verf., Rechtsdogmatische Bemerkungen zum Urkundenbeweis in der Hauptverhandlung des Strafverfahrens, JuS 1988, 873, 876 (sub. II. 1. a) bb)). Tendenziell ähnlich Gössel, Über das Verhältnis von Beweisermittlungsverbot und Beweisverwertungsverbot etc., NStZ 1998, 126, 129 f.; ders., FS Hanack (Fn. 21), S. 281 ff. Dazu bereits Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht, 1928, S. 203: „Es bedeuten also die

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bungsverboten folgen, und die Aussage, nicht jedes Beweiserhebungsverbot ziehe „ohne weiteres auch ein Beweisverwertungsverbot nach sich“124, weil dies „für jede Vorschrift und für jede Fallgestaltung besonders entschieden werden“125 müsse. (Beweis-)Verwertungsverbote sind vielmehr Grund für (Beweis-)Erhebungsverbote, nicht umgekehrt. Denn Ergebnis rechtswertender Abwägung ist primär das Verbot (einschließlich das seiner „Umgehung“126), bestimmte durch Eingriff in beweisexterne Rechte normativ belastete Beweisergebnisse (Aussagen- und Urkundeninhalte, Sachbeschaffenheiten) zur „Wahrheits“-Feststellung, namentlich zur Begründung von Tatverdacht und Überzeugung (§ 261 StPO), zu „verwerten“ mit dann notwendiger Konsequenz, daß auch diesem verbotenen Zweck dienende Mittel (Personenvernehmungen, Urkundenverlesungen, Augenscheinseinnahmen) stets „reprobiert“127, weil dann nichtig, rechtlich inexistent, sind. Anders nur, wenn die Prozeßnorm nicht (letztlich urteilsfinal) beweisbegründend oder -verbietend ist und ihre Verletzung keine „Gesetzesverletzungsbeschwer“ (§ 337 I StPO) bewirkt, weil sie ausschließlich (wie z. B. §§ 81a I 2, 81d StPO) beweisexterne Interessen bei zwangsweiser Beweismittelbeschaffung schützen soll128 ; nur insoweit (und auch allein im Ergebnis) richtig ist der Satz, daß „aus der rechtswidrigen Erlangung eines Beweismittels … nicht ohne weiteres die Unverwertbarkeit dieses Beweismittels im Strafverfahren“ folgt.129 b) Prozeßstrukturell wie inhaltlich begrenzt das Abwägungsprinzip nicht das „Beruhens“-Postulat des § 337 I StPO. Es ist zunächst selbstverständliche Aufgabe des Gesetzgebers, abstrakt-generell (aus Gründen der Rechtssicherheit und Prozeßökonomie) die Grenzlinien zwischen Wahrheitserforschungsinteresse und der Wahrung sonstiger schützenswerter Belange durch „Verwertungsverbote“ und daraus resultieZulässigkeitsvoraussetzungen für das spätere Verhalten zugleich Wirksamkeitsbedingungen für das frühere.“ 124 So jedoch BGHSt 38, 372, 373. Vgl. auch BGHSt 19, 325, 331; 42, 15, 21; Kleinknecht/ Meyer-Goßner (Fn. 6), Einl. Rdnr. 55. 125 BGHSt 38, 372, 373; 38, 214, 219; 44,243, 249 m.w.N.: nach „inzwischen gefestigter Rechtsprechung“. 126 Dazu allg. Wolter, wie Fn. 11. Z. B. BGHSt 2, 99 (zu §§ 52, 252 StPO: Vernehmung nichtrichterlicher Verhörspersonen; vgl. auch BGHSt 40, 211); 34, 99 (heimliche Sprechprobe; dazu Fezer, NStZ 1996, 289); 40, 66 (verdeckter Stimmenvergleich); 42, 139 („Hörfalle“). 127 Eb. Schmidt (Fn. 111), § 94 Erl. 14. Schon Beling (Die Beweisverbote als Grenzen der Wahrheitserforschung im Strafprozeß, 1903) verstand grundlegend die „Beweisverbote“ primär als Verwertungsverbote: „Alle Beweisverbote haben imperativischen Charakter“ (a.a.O., S. 31 Fn. 1) mit der „prozessualischen Wirkung“, daß das „verbotene Beweismittel gar nicht ausgeschüttelt werden“ dürfe, der Richter ggf. „die erfolgte Beweisaufnahme als nicht geschehen betrachten“ müsse, da andernfalls „das Urteil wegen jenes Rechtsfehlers anfechtbar“ wäre (a.a.O., S. 30 f.). 128 Unten d) (2). Ebenso Fezer (Fn. 120), S. 28: Norm, die nicht „ganz oder zum Teil die Funktion hat, die Selbstbeschränkung des Staates bei der Wahrheitsfindung inhaltlich zum Ausdruck zu bringen“, sondern mit der „ein Zweck erreicht werden soll, der außerhalb einer solchen Beschränkungsfunktion liegt“. 129 BGHSt 27, 355, 357; 34, 238, 248; 44, 243.

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renden „Beweiserhebungsverboten“ zu ziehen unter Beachtung der Schranken des Willkür- und Übermaßverbotes. Erscheinen diese auch in konkreter Normanwendung gewahrt, ist die an die legislative rechtspolitische Leitentscheidung gebundene (Art. 20 III GG) judikative zu weitergehender Interessenabwägung nicht mehr berufen130, und zwar weder verwertungsverbotsbegründend noch – durch ausnahmsweise Legitimierung eines an sich Verbotenen wegen besonderer Umstände des Einzelfalls131 – Verwertungsverbots- und damit revisionsbeschränkend. Nur soweit bei Konkretisierung einer abstrakt-generell an sich verfassungs- und „recht“-mäßigen Norm in concreto das an sich gesetzmäßig Erlaubte „schlechthin untragbar“132 bzw. „unverhältnismäßig“133 wäre, darf die Judikative ein „überpositives“, verfassungsrechtliches Verwertungs- und deshalb Beweiserhebungsverbot konstituieren134 oder ein gesetzliches Verwertungsverbot erweitern.135 c) Weder Schutzzweckerwägungen („Primärwertung“ z. B. zu § 81a I 2 StPO: körperliche Integrität) noch die Rechtskreistheorie des BGH, sondern, wie ausgeführt (III.l. b)), allein beweishindernde Abwägung („Sekundärwertung“: Blutprobe zulässiges Beweismittel auch bei Verstoß gegen § 81a I 2 StPO) entscheidet, ob ein Aufklärungsgebot oder Verwertungsverbot besteht und deren Verletzung das „Beruhens“-Erfordernis des § 337 I StPO, das mit einem „Anspruch auf prozeßordnungsgemäßes Verfahren“136 offensichtlich nicht ohne weiteres begründbar ist, erfüllt. Ein solches Verwertungsverbot besteht folglich und bewirkt, falls mißachtet, eine „Gesetzesverletzungsbeschwer“ auch dann, wenn die Verfahrensnorm kraft „Primärwertung“ nur Rechte bzw. Interessen Dritter (= Nicht-Revidenten) schützen soll. Beispiele: Aussage eines nicht gem. §§ 136 I 2, 243 IV 1 StPO bzw. § 52 III

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Zutr. Fezer (Fn. 120), S. 30 f. und (Fn. 121), 16/28 u. 30. So i.E. auch Eisenberg (Fn. 12), Rdnr. 370; Beulke, Strafprozeßrecht, 5. Aufl. 2001, Rdnr. 458. 131 Etwa i.S. der gemein-inquisitionsrechtlichen Regel: „In delictis atrocissimis propter criminis enormitatem iura transgredi liceat“ (dazu Verf. [Fn. 52], S. 311 f.). 132 BGH MDR 1966, 227. 133 BVerfGE 44, 353, 372 ff. 134 Klassische Fälle: Verbot der Verwertung heimlicher Tonbandaufnahmen über Privatgespräche (BVerfGE 34, 238, 248 ff.; BGHSt 14, 358, 365; 36, 167, 172 ff.) und intimer Tagebuchaufzeichnungen (BGHSt 19, 325, 326 ff.; 34, 397, 399 ff., bestätigt durch BVerfGE 80, 367, 373 ff.; BGH JR 1994, 430). 135 Z. B. das Beschlagnahmeverbot des § 97 I StPO hinsichtlich Krankenblättern (§§ 97 I 2, 53 I 3 StPO) wegen vorrangig zu achtender Privatsphäre (Art. 1 I, 2 I GG) des Patienten (BVerfGE 32, 373, 378 ff.), oder Verteidigungsunterlagen (§§ 97 I 1, 53 I 2 StPO) angesichts der Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit des Beschuldigten (BGH NJW 1973, 2035; NStZ 1998, 309; KG NJW 1975, 354; vgl. auch BVerfGE 38, 26, 30; 48, 118, 122), selbst wenn diese Urkunden sich nicht mehr im Gewahrsam des Zeugnisverweigerungsberechtigten befinden (§ 97 II 1 StPO). Ferner BVerfGE 20, 162, 188 ff., 191 f., 195 f., 215 ff. („Spiegel“Urteil) zu §§ 53 I 5, 97 V StPO a.F. wegen überwiegender Belange der Pressefreiheit. 136 So aber z. B. RGSt 57, 63, 65; 71, 21, 23; BGHSt 33,148, 153 f.; Eb. Schmidt, Die Verletzung der Belehrungspflicht gemäß § 55 II StPO als Revisionsgrund, JZ 1958, 596, 597.

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StPO belehrten Beschuldigten137 bzw. Zeugen im (selben oder anderen) Verfahren gegen einen weiteren Beschuldigten (auch wenn zu ihm kein Zeugnisverweigerungsrecht besteht138); Verstöße gegen §§ 53, 53a StPO, falls der Angeklagte nicht selbst, sondern nur ein Dritter, hierdurch unmittelbar geschützte Person ist139 ; Beeinträchtigung staatlicher Interessen z. B. unter Verstoß gegen §§ 54, 96 StPO140 oder Verletzung völkerrechtlicher Immunität von Konsularbeamten141; Angaben eines nicht gem. § 55 II StPO (geschützte Selbstbelastungsfreiheit nur des Zeugen) Belehrten142 oder mit unerlaubten Methoden (§ 136a StPO) vernommenen Mitangeklagten oder Zeugen (§ 69 III StPO); Aussagenverlesung (§ 251 I StPO) nach Verletzung des § 224 StPO nur gegenüber anderem Angeklagten.143 Gegenteilige Auffassungen sind dem eigenartigen Ergebnis konfrontiert, daß insoweit nicht dem Angeklagten, wohl aber zu seinen Gunsten (§ 296 II StPO) der – von Schutzzweckargumenten nicht betroffenen und nur gem. § 339 StPO rügebeschränkten – Staatsanwaltschaft die begründete Revision offenstünde; umgekehrt dürfte sie, mit prozessualer „Waffengleichheit“ unvereinbar, zu Lasten des Angeklagten Verfahrensrügen erheben, die dieser gegen eine (andere) Verurteilung geltend zu machen nicht berechtigt wäre. d) Als „Ordnungsvorschriften“ zu unterscheiden sind Normen, die wegen nur formaler Nichtbeachtung (ihres Wortlauts) im Einzelfall sachlich (in ihrem Regelungszweck) nicht „verletzt“ sind, von Regelungen, die zwar nach ihrem Sinn und Zweck „verletzt“, aber für die Rechtsqualität von Beweisergebnissen als Grundlage weiterer Prozeßhandlungen (namentlich Entscheidungen) ohne Bedeutung sind. Beide charakterisiert, daß ihre Beachtung beweisrechtlich nicht „wesentlich“ ist für Zuverlässigkeit (§§ 160, 244 II StPO) oder Zulässigkeit (§§ 244 III 1, 245 II 2 StPO) der Wahrheitserforschung, weil ihre Anwendung – konkret oder abstrakt-generell – weder die Sachaufklärung leitet noch rechtlich geschützten Interessen dient, die kraft staatlicher Selbstbeschränkung übergewichtig die Tatsachenfeststellung hindern. (1) Kommt dem Wortlaut gegenüber dem Sinn und Zweck einer Norm keine entscheidende Bedeutung zu, ist sie trotz formaler Fehl- bzw. Nichtanwendung nicht „verletzt“ (§ 337 II StPO), sofern jedenfalls ihre Funktion erfüllt ist; die „Beru137

A.M.: BGH NJW 1994, 3364 = StV 1995, 23 f. m. abl. Anm. Dencker; wistra 2000, 311, 313; BayObLG NJW 1994, 1296. 138 Davon zu unterscheiden das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 52 I StPO) gegen einen mitangeklagten tatbeteiligten Nichtangehörigen (BGHSt 38, 96). 139 BGHSt 33, 148, 153 f.; BGH MDR 1996, 838, 839. 140 Richtig – gegen die ganz h.M. – z. B. Schlüchter (Fn. 1), Rdnr. 492 u. (Fn. 2), S. 197; Eb. Schmidt (Fn. 111), § 54 Erl. 10; Rudolphi (Fn. 21), MDR 1970, 98; Fezer (Fn. 121), 16/43. 141 BGHSt 36, 396 ff.; 37, 30, 31 ff. 142 So z. B. Eb. Schmidt (Fn. 136), JZ 1958, 601; Schlüchter (Fn. 2), S. 197 f. – A.M. insbes. BGHSt (GrS) 11, 213, 218 auf der Grundlage der mehr gescholtenen denn geliebten „Rechtskreistheorie“ (oben I.1. mit Fn. 10). 143 A.M.: BGH NJW 1986, 1999 m. abl. Anm. Fezer, StV 1986, 372.

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hens“-Frage (§ 337 I StPO) stellt sich nicht. So etwa bei Nichtbelehrung entgegen z. B. §§ 52 III, 55 II StPO bzw. §§ 136 I 2, 243 IV 1 StPO eines bereits voll über sein Zeugnisverweigerungs- bzw. Schweigerecht unterrichteten und in freier Entscheidung konfliktfrei bzw. ohne Beeinträchtigung seiner Selbstbelastungs- und Verteidigungsfreiheit aussagenden Zeugen144 bzw. Beschuldigten.145 Deshalb kann Beachtung einer zwingenden Formvorschrift einmal notwendig sein, ihre Schutzfunktion zu verwirklichen, das andere Mal, wenn ihr Regelungszweck ohnehin erreicht ist, dagegen nur Ordnungscharakter haben oder sogar zu einer inhaltsleeren, überflüssigen Formalie entarten.146 (2) „Ordnungsvorschriften“ i. e. S. kennzeichnet, daß sie bereits abstrakt-generell weder notwendige Bedingungen zuverlässiger Sachaufklärung normieren noch ihr entgegenstehen, sondern andere Ziele und Zwecke verfolgen147, ihre „Nichteinhaltung … also … keinen rechtswidrigen Prozeßzustand nach sich zieht“.148 Ihre Verletzung berührt daher, obwohl kausal für die (Beweis-)Verwertung, nicht deren Zulässigkeit, sondern nur die Prozeßordnungsmäßigkeit jenes unter Verstoß gegen die „Ordnungsvorschrift“ erfolgten Prozeßakts selbst, es sei denn, hierdurch wird zugleich z. B. die Verteidigung unzulässig beschränkt149 oder die Aufklärungspflicht verletzt.150 e) Ein (Beweis-)Verwertungsverbot scheidet aus und das Urteil „beruht“ (§ 337 I StPO) mangels „Beschwer“ hierdurch nicht auf einer (formell) begangenen Gesetzesverletzung (§ 337 II StPO), falls – im „Verwertungs“-Zeitpunkt – feststeht, daß das (inhaltlich) im übrigen normzweckgerechte Beweismittel151 bzw. Beweisergebnis152 (und damit Urteil) hypothetisch auch formell gesetzmäßig erreichbar bzw. inhaltlich kein anderes gewesen wäre153, also „auch ohne den nichtigen Akt eine genü144

BGHSt 40, 336, 339 (m.w.N.) m. abl. Anm. Eisenberg, StV 1995, 625. BGHSt 25, 325, 330 f.; BGH NStZ 1983, 210 (bei Pfeiffer/Miebach). Gleiches gilt für § 257 StPO (Eb. Schmidt [Fn. 111], § 257 Erl. 3; – a.M. RGSt 42, 168, 169: nur „instruktionelle“ Vorschrift; Kleinknecht/Meyer-Goßner [Fn. 6], § 257 Rdnr. 9 m.w.N. pro und contra). 146 Vgl. bereits oben II. 2. b) mit Fn. 78. 147 Oben III. 2. a) mit Fn. 128, 129. 148 Beling (Fn. 123), S. 23. Vgl. auch Sauer, Grundlagen des Prozeßrechts, 2. Aufl. 1929, S. 116 f., 196 ff.: „Sondersachgestaltungen“, die selbständige Spezialzwecke verfolgen, ohne unmittelbar dem Haupt(prozeß)zweck („Sachgestaltung“ durch Urteil) zu dienen. 149 Etwa in Fällen der §§ 222, 228 III, 243 (Reihenfolge), 248 S. 2, 257 (Fn. 145) StPO. 150 Infolge Nichtbeachtung z. B. der §§ 57, 58 I, 58 II, 68 S. 1, 68a, 69 I 1, 69 I 2 StPO. 151 Es hätte etwa auf jeden Fall der nicht gem. § 81c III StPO Belehrte der Untersuchung oder bei Verstoß gegen ein Beschlagnahmeverbot nach § 97 StPO der Berechtigte der Sicherstellung zugestimmt. 152 Z. B. eine „unbelastete“, „konfliktfreie“ Aussage, weil der Beschuldigte bzw. Zeuge auch nach gebotener Belehrung gem. §§ 136 I 2, 243 IV 1 bzw. §§ 52 III, 55 II StPO auf sein Aussage- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht verzichtet hätte (vgl. u. a. BGHSt 32, 68, 71; 34, 362, 364; 40, 336, 339). 153 Vgl. bereits oben II. 3.a) (m.w. Hinw. in Fn. 100). 145

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gende Basis besteht“.154 So insbesondere bei – nicht oder nur als „fahrlässig“ vorwerfbaren – Verstößen gegen die zur Präventivkontrolle wegen i. d. R. fehlenden rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) als ius strictum normierten Anordnungszuständigkeiten für strafprozessuale Zwangseingriffe in Grundrechte155 : Grundsätzlich Richtervorbehalt, nur bei „Gefahr im Verzug“ Eilkompetenz der Staatsanwaltschaft, z. T. auch ihrer Hilfsbeamten (§ 152 GVG).156 Zureichend begründen läßt sich die Verwertbarkeit unter Verletzung solcher Kompetenznormen157 erlangter Beweismittel allerdings nicht mit dem Argument konkret-hypothetischer Kausalität, sie hätten mit „überwiegender“, „hoher“ bzw. „größter“ Wahrscheinlichkeit auch prozeßordnungsgemäß erlangt werden können158, sondern allein mit dem rechtlichen Gesichtspunkt ihrer abstrakten Qualität als prozessual zur Wahrheitserforschung dann an sich zugelassene Beweismittel159, wenn die sachlichen Anordnungsvoraussetzungen im übrigen erfüllt waren.160 Anders nur, falls eine faktisch und rechtlich an sich möglich gewesene Eingriffsanordnung überhaupt unterblieben161 oder „willkürlich“ auf normativ ausnahmslos unzulässigem Verfahrensweg, etwa durch einen – absolut unzuständigen – Polizeibeamten im Fall des § 100b I StPO, getroffen worden ist. f) „Reprobierten“ Beweisergebnissen kommt „Fernwirkung“ nur dann zu, d. h. durch sie erlangte weitere Beweismittel sind prozessual ebenfalls unverwertbar,

154 155

StPO. 156

Zachariae (Fn. 25), S. 587 m. Hinw. auf „die Regel Utile per inutile non vitiatur“. Z. B. §§ 81 I; 81a II; 81c V; 81 f I 1; 98 I; 98b I 1; 100 I; 100b I 1; 100d I 1, II; 105 I

Z. B. §§ 81a II; 81c V; 98 I 1; 105 I StPO. Gleiches gilt für § 105 II StPO (BayObLG JZ 1980, 109). 158 So aber die ganz h.M, z. B. Schlüchter (Fn. 2), S. 8, 14 und (Fn. 5), S. 495; Beulke (Fn. 12), ZStW 103 (1991), 673 f.; Wolter (Fn. 11), S. 996; Rogall (Fn. 11), NStZ 1988, 392; Roxin (Fn. 13), § 24 Rdnr. 31 u. 38; Eisenberg (Fn. 12), Rdnr. 409; Volk, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. 2001, § 28 Rdnr. 14. Vgl. auch Gössel (Fn. 123), NStZ 1998, 129 und (Fn. 21), FS Hanack, 1999, S. 291; Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 6), Einl. Rdnr. 57. 159 Daher i.E. richtig BGHSt 31, 304 (zu § 105 I StPO); 44, 243,248 f. (zu §§ 100d I 2,100b II 3, 4 StPO); Schlüchter (Fn.l), Rdnr. 531 (zu § 100b I StPO). Verwertbar bleiben somit (1) Blutproben auch dann, wenn nur aus tatsächlichen Gründen ihre Entnahmen (§ 81a I, II StPO) nicht mehr angeordnet oder durchgeführt werden konnten (OLGe Celle NStZ 1989, 385; Zweibrücken NJW 1994, 810), (2) Erkenntnisse aus der Überwachung des fließenden oder ruhenden Verkehrs durch „unzuständige“ Private (BayObLG NZV 1997, 276; NJW 1997, 2354; krit. dazu Gössel [Fn. 123], NStZ 1998, 126 ff.) sowie (3) „Zufallsfunde“ bzgl. einer „Katalogtat“ (§ 100a StPO) bei anderweitig gesetzmäßig angeordneter (§§ 100a, 100b I StPO) Telefonüberwachung (§ 100b V StPO im Anschluß an Rspr.; gleicher Rechtsgedanke in §§ 98b III 2, 100d V, 110e StPO). 160 Nach allg. und zutr. Meinung begründet nur die gezielt-mißbräuchliche und damit rechtsstaatlich unerträgliche Umgehung von Kompetenzvorschriften ein Verwertungsverbot. Vgl. z. B. BGHSt 24, 125, 131; 28, 122, 124; 31, 304, 308; Roxin (Fn. 13), § 24 Rdnr. 22; Grünwald (Fn. 13), JZ 1966, 499; Gössel, FS Hanack (Fn. 21), S. 280. 161 Fezer (Fn. 121), 16/39. – Vgl. je zu §§ 100a, 100b I StPO: BGHSt 31, 304, 306 ff.; 35, 32, 33 ff. 157

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falls diese auf jenen nicht nur faktisch-kausal, sondern rechtlich beruhen. Näher dazu an anderer Stelle.162 Schließlich „beruht“ das Urteil nicht auf einer „Gesetzesverletzung“, wenn durch Rücknahme (Aufhebung) bzw. ordnungsgemäße Wiederholung jener Prozeßakt „geheilt“ wurde.163 Ebenso, falls der Angeklagte auf die Ausübung allein seinen Verteidigungsrechten i.w.S.164 dienender prozessualer Befugnisse, etwa von Antrags-, Gehörs-, Erklärungs- und Aussetzungsrechten165, die er – evtl. infolge fürsorgepflichtgemäßen Gerichtshinweises – kannte, bewußt und gewollt166 durch ausdrückliche oder verhaltensschlüssige Erklärung „verzichtet“ und damit manifestiert hat, daß er einen ggf. vorausgegangenen Prozeßfehler167 „für eine(n) ihm nachtheilige(n) nicht erachte“.168 Bei (vorheriger) Einwilligung in die Nichtbeachtung solcher Vorschriften sind sie (in ihren Regelungszwecken) bereits nicht „verletzt“.169 Ohne derartigen Verzicht verliert bzw. „verwirkt“ – vorbehaltlich gesetzlicher Beschränkung zeitlicher Geltendmachung (z. B. §§ 6a S. 3, 16 S. 3; 25 I; 217 II, 218 S. 2; 222b I 1 StPO) – der Angeklagte insoweit sein Revisionsrügerecht in keinem Fall und auch dann nicht, wenn er in der Hauptverhandlung, etwa bis spätestens zum Zeitpunkt des § 257 StPO170, den Verfahrensverstoß nicht beanstandet bzw. der Beweisverwertung nicht (etwa gem. § 238 II StPO) widerspricht.171 Denn Angeklagte oder Verteidiger sind nicht prozessual mitwirkungspflichtige Erfüllungs-oder Verrichtungshelfer des Gerichts zur gesetzmäßigen Verfahrensgestaltung.172 Die Gegenauffassung beschränkt gesetzlos Revisionsrügerechte und objektiviert begründungslos einen (tatsächlich nicht erklärten) Verzicht durch dessen Fiktion. Rechtspolitisch unabdingbar und rechtsstaatlich vertretbar erscheinende weitere Rügebegrenzungen über die gesetzlich normierten hinaus sind Gesetzgebungsaufgabe173, zumal Rügeverluste (durch Schweigen) auch nicht zureichend legitimierbar sind mit Argumen162

Verf. (Fn. 23), S. 327 ff. Hanack (Fn. 6), LR § 337 Rdnr. 261, 262 m.w.N. Vgl. auch oben Fn. 8. 164 Kindhäuser (Fn. 17), NStZ 1987, 533 f.; ähnl. Schmid (Fn. 17), S. 96, 150. 165 Z. B. §§ 217 II, III; 218 S. 2; 222, 246 II StPO. 166 Beling (Fn. 123), S. 212; Sax, KMR (Fn. 112), Einl. X Rdnr. 61; Jescheck (Fn. 17), JZ 1952, 403; Schlüchter (Fn. 4), S. 448. 167 Z. B. auch gesetzwidrig unterbliebene (1) Belehrung nach §§ 136 I 2, 243 IV 1, (2) Nachricht gem. §§ 168c V 1, 224 oder (3) Unterrichtung gem. §§ 215 S. 1, 216, 247 S. 4 StPO. 168 Oben II. 3. a) mit Fn. 101. Vgl. auch RGSt 6, 3; 10, 56, 59; 36, 81; 58,127; RG GA 46 (1898/ 99), 338; BGHSt 1, 322, 325; BGH NJW 1952, 1426. 169 Oben III. 2. d) (1). 170 So jedoch u. a. BGHSt 38, 214, 226; 39, 349, 352; BGH NJW 1996, 2239, 2241. 171 Ganz h.M. in der Lit. gegen die Rspr. Dazu ausführlich m. zahlr. Nachw. zuletzt Heinrich (Fn. 17), ZStW 112 (2000), 403 – 415. 172 Vgl. auch Jescheck (Fn. 17), JZ 1952, 402; Schmid (Fn. 17), S. 33; Sax, KMR (Fn. 112), Einl. X Rdnr. 78; Kindhäuser (Fn. 17), NStZ 1987, 531, 532; Heinrich (Fn. 17), ZStW 112 (2000), 422 f. 173 Sax, KMR (Fn. 112), Einl. X Rdnr. 81. Zu entspr. Regelungen in Verfahrensordnungen vor der StPO ausführlich Schmid (Fn. 17), S. 13 – 26. 163

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ten einer „Obliegenheits“-Verletzung174, eines unterlassenen „Zwischenrechtsbehelfs“175, eines „Einverständnisses“ mit dem Verfahrensverstoß176 oder einer unzulässigen Rechtsausübung, weil der Revident „mißbräuchlich“177, gegen „Treu und Glauben“ verstoßend oder „illoyal“ den Verstoß gegen eine „verzichtbare Vorschrift“178 (mit-)verursacht habe.

IV. 1. Seit das Revisionsgericht die „Wesentlichkeit“ eines Verfahrensfehlers nicht mehr abstrakt-subsumtiv179, sondern, von normativer Vorgabe frei180, nach „vernünftigem“ bzw. „pflichtgemäßem Ermessen“181 konkret an Hand der Einzelfallumstände182 nach dem Einfluß des Prozeßverstoßes auf den Entscheidungsinhalt zu beurteilen hatte183, war die Frage nach dem Beweismaß184 für die Feststellung dieser Relation aufgeworfen: Das „Beruhen“ sei zwar zu verneinen, wenn ein Fehlereinfluß „unmöglich“ oder „undenkbar“185, „rein theoretisch“186 oder zumindest „in hohem Maße (un)wahrscheinlich“187 sei, jedoch – wegen Nachweisschwierigkeiten188 – bereits

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So jedoch Kindhäuser (Fn. 17), NStZ 1987, 534 f. So aber Bohnert (Fn. 17), NStZ 1983, 347. Dagegen zutr. Schlüchter (Fn. 3), S. 497 ff. und (Fn. 4), S. 4611 f. 176 So indessen Heinrich (Fn. 17), ZStW 112 (2000), 423 ff. (mit Ausnahme der Fälle des § 136a StPO). 177 Allg. dazu insbes. Weber, Der Mißbrauch prozessualer Rechte im Strafverfahren, GA 1975, 289 ff.; Kudlich, Strafprozeß und allgemeines Mißbrauchsverbot, 1998. 178 So jedoch z. B. OLG Hamm NJW 1960, 1361; Jescheck (Fn. 17), JZ 1952, 403; Schmid (Fn. 17), S. 297 ff., 311; Hanack, LR (Fn. 6), § 337 Rdnr. 283; Kleinknecht/Meyer-Goßner (Fn. 6), § 337 Rdnr. 47; Momsen (Fn. 21), S. 115 – 118. Dagegen zutr. Sax, KMR (Fn. 112), Einl. X Rdnrn. 79, 80. – Nur bei „unverzichtbaren“ Normen soll auch insoweit kein Rügeverlust eintreten (BGHSt 15, 306, 308; 22, 83, 85; Weber [Fn. 177], GA 1975, 302; Schlüchter [Fn. 4], S. 457; Momsen, a.a.O.). 179 Oben II. 2. a) 180 Vgl. StPO-Motive (Fn. 6), S. 250: Dem Revisiongericht sind „in seiner Thätigkeit möglichst wenig formale Grenzen gezogen“; ZPO-Motive (Fn. 7), S. 365: „Die Freiheit und Unbeschränktheit der Würdigung zum Zwecke der Aufhebung eines auf Verletzung des Gesetzes beruhenden Unheils wird durch die Vorschriften … gesichert.“ 181 Vgl. oben II. 2. b) (mit Fn. 82, 83). Ferner RGR 1,140; 5, 653, 9, 76; RGSt 42, 105, 107; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 11), S. 906. 182 So auch später z. B. RGSt 20, 33, 34; 44, 338, 345 f.; 52, 305, 306; BGH NJW 1982,1057; StV 1984, 493, 494; NStZ 1986, 39 f. 183 Oben II. 2. b). 184 Herdegen (Fn. 6), NStZ 1990, 516. 185 Zachariae (Fn. 25), S. 642. Ähnlich RGZ 57, 184 f.; JW 1906, 572. 186 BGH NStZ 1985, 135; Hanack (Fn. 6), LR § 337 Rdnr. 255, 258; Roxin (Fn. 13), § 53 Rdnr. 30. 187 Herdegen (Fn. 6), NStZ 1990, 517. 175

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dann zu bejahen, wenn ein Kausalnexus „zweifelhaft“189, „möglich“190 bzw. nicht – mit Sicherheit/Bestimmtheit191 – „ausschließbar“192 ist.193 2. Das ist im Ergebnis richtig, in der prozeßtheoretischen Begründung verfehlt. Wie seinsmäßig Täter einer Straftat nur ist, wer sie wirklich begangen hat, ist an sich ein Urteil rechtsunrichtig nur, wenn der Verfahrensfehler es tatsächlich beeinflußt hat: Diese Aussage ist ontologisch wahr, ihr Gegenstand ist die Realität bzw. Fehlerkausalität. Diesem Wahrheitsbegriff verhaftet ist der skizzierte Argumentationsansatz im Versuch, das „Beruhens“-Postulat (seins-)begrifflich auf nicht ausschließbar mögliche Kausalitäten zu verengen, um rechtlich gewünschte Ergebnisse194 zu erzielen. Prozeßadäquat gefordert aber ist kein ontologischer, sondern zwingend ein prozessual-semantischer Wahrheitsbegriff i.S. rechtsrichtiger Aussagenverifikation.195 Das hierfür normative Wahrheitskriterium liefert die Funktion des Strafverfahrens, rechtsfehlerfrei-justizförmig zu entscheiden, ob die Unschuldsvermutung für den Beschuldigten widerlegbar sei oder nicht196, ob also alle dafür notwendigen materiell- und prozeßrechtlichen Bedingungen erfüllt sind. Folglich ist das Wahrheitskriterium auch für die „Aussage“ des Revisionsgerichts über das „Beruhen“ ein von dessen (Seins-)Begrifflichkeit diverses rein prozeß-rechtliches: Seine rechtsrichtig begründete Überzeugung, daß das Urteil auf dem Prozeßverstoß nicht „beruht“, er keine „Gesetzesverletzungsbeschwer“ bewirkt hat, das angefochtene Urteil insoweit richtig ist. Gewinnt es diese Gewißheit 188 Allg. M.; vgl. z. B. Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 11), S. 906; Schlüchter (Fn. 3), S. 493; Roxin (Fn. 13), § 53 Rdnr. 30. 189 So bereits Art.441 Nr. 14 des Württembergischen Gesetzes v. 1868 (zit. nach Hettinger [Fn. 73], S. 121). 190 Z. B. RGSt 1,256,257; 9, 69, 70; RGZ 57,330; 68,132 f.; 136, 300; JW 1900, 803 u. 829; 1907, 146 u. 263; 1909, 313. In der Folge st.Rspr. und „einhellige Meinung“ (Roxin [Fn. 13], § 53 Rdnr. 30). Ebenso bereits Walther (Fn. 52), S. 65; Mittermaier (Fn. 59), GS 1850, 319; v. Schwarze (Fn. 79), GS 1863, 4; v. Stemann (Fn. 76), GA 1871, 289. 191 Z. B. RG JW 1938, 3293; BGHSt 14,265,268; 23, 224, 225 f.; BGH NStZ 1986, 39, 40; 1987, 423 f. 192 Z. B. RGSt 23, 71, 77; 66, 10, 11; OGHSt 2, 153, 157; BGHSt 1, 346, 350; 21, 288, 290; 22, 278, 280. 193 Zum entspr. Beweismaß für „hypothetische“ (gesetzmäßige) Kausalverläufe s. o. III. 2. (m. Fn. 158). Anfangs wurde z. T. das „Beruhen“ nur bei positiv festgestellter Kausalität bejaht (so z. B. v. Kries, Die Rechtsmittel des Zivilprozesses und des Strafprozesses, 1880, Neudruck 1975, S. 224; Binding, Grundriß des Gemeinen Deutschen Strafprocessrechts, 1881, S. 181 f.). 194 Vgl. z. B. Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. 1985, S. 649: Für das Rechtsbewußtsein sei es unerträglich, eine mögliche Verletzung der Gerechtigkeit hinzunehmen. 195 Verf. (Fn. 115), FS Krause, S. 72 ff., und FS Spendel, S. 696 ff. (dort S. 688 – 694 auch gegen die ontologischen Kriterien der „objektiven Wahrscheinlichkeit“ und „subjektiven Gewißheit“ als alleintaugliche Maßstäbe prozessualer Wahrheit). 196 Verf. (Fn. 23), S. 315 f. und (Fn. 114), sub III. 1. Vgl. bereits oben III. 1. b) mit Fn. 114 – 116. Insoweit zum Wahrheitsbegriff der §§ 244 II, 261 StPO vgl. Verf., FS Spendel (Fn. 115), S. 696 – 705.

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nicht, ist das „Beruhen“, auch wenn es faktisch fehlt, rechtlich gegeben197, und das Urteil aufzuheben (§§ 337, 353 I StPO); die Urteilsrüge wegen Verfahrensfehlers war begründet.

197 Parenthetisch: Prozeßrechtlich ist der (rechtskräftig) verurteilte (tatsächliche) NichtTäter Täter, der nicht verurteilte (faktische) Täter Nicht-Täter i.S. eines Straftatbestands (Verf. [Fn. 115], S. 697, sowie [Fn. 114], sub II.l.b.2 u. III.2.b).

Abstraktion und Konkretisierung in der „gesetzlichen Beweistheorie“ des Strafverfahrens* I. Die Normativität „freier“ Beweiswürdigung Das „Beweisproblem … ist schlechthin das Zentralproblem des Strafprozesses und als prozessuales Problem zugleich ein einzigartiges“1. Folglich Gleiches gilt für die notwendigen, gleichwohl heute noch erstaunlich strittigen Bedingungen dieses Beweises, d. h. „Erforschung der Wahrheit“ (§ 244 II StPO) mittels „freier … Überzeugung“ (§ 261 StPO) des Gerichts, präzisierende „gesetzliche Beweistheorie“. Ursprünglich Charakteristikum des gemeinrechtlichen Inquisitionsprozesses2, nur scheinbar völlig ersetzt durch das Prinzip „freier“ Beweiswürdigung in der Reformgesetzgebung des 19. Jahrhunderts3, erlebt sie, prozessdogmatisch zwingend, seit ca. 70 Jahren und verstärkt in neuester Zeit eine Renaissance, gemeinrechtlicher Doktrin gegenüber modifiziert in nur einem Punkt: Die Tatsachenfeststellung durch „Würdigung“ in prozessordnungsgemäßer Beweisaufnahme (Vernehmung, Verlesung, Augenschein) gewonnener Beweisergebnisse (Aussagen- und Urkundeninhalte, Objektsbeschaffenheiten) erfolgt nicht mehr rein subsumtiv unter abstrakt-gesetzlich Vorgegebenes, sondern stets4 konkret-judiziell im Wege rechtsrichtiger „Überzeugungs“-Bildung. * Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Bernd Heinrich u. a. (Hrsg.), Festschrift für Ulrich Weber. Verlag Ernst & Werner Gieseking, Bielefeld 2004, S. 485 – 504. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 M. Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 1930, S. III (Vorwort). 2 Dazu unten II. 1. a) mit Fn. 20 – 28. 3 §§ 45, 46 der 1848 proklamierten „Grundrechte des deutschen Volkes“ (RGBl. 1848 Nr. 8 S. 49 ff., 57) sowie §§ 178, 179 der Reichsverfassung v. 28. 3. 1848 hatten neben Anklageprinzip, Öffentlichkeit und Mündlichkeit des Verfahrens auch die Einrichtung von Schwurgerichten, notwendig verknüpft mit „freier“ Beweiswürdigung, postuliert. Dominant Preußen: § 19 S. 3 des Gesetzes v. 17. 7. 1846 und § 22 S. 3 der Verordnung v. 3. 1. 1849 (vgl. unten III. 1. a) mit Fn. 126; jeweils sachgleich § 261 StPO). Partikulargesetze in zeitlicher Reihenfolge bei B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, 1992, S. 166 Fn. 696. Ausführliche Gesamtdarstellung bei H. Krieter, Die historische Entwicklung des „Prinzips der freien Beweiswürdigung“ im Strafprozeß, Diss. Göttingen 1926, S. 12 – 68. Zum Zivilprozeß: Ch. Patermann, Die Entwicklung des Prinzips der freien Beweiswürdigung im ordentlichen deutschen Zivilprozeß in Gesetzgebung und Lehre, Diss. Bonn 1970, S. 95 – 105. 4 Rechtsgrund als Ausnahmen genannter Vorschriften wie z. B. §§ 190 StGB, 274 StPO ist nicht unbezweifelbare Richtigkeit des Urteils bzw. Protokolls. Gleiches gilt für – im Strafverfahren ohnehin unanwendbare – zivilprozessuale Beweisregeln i. S. des § 286 II ZPO; dazu

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Jedoch: Auch gegenwärtig „wissenschaftliche“5 Beweistheorie ist zugleich gesetzliche, die „Tatfrage“ also „Rechtsfrage“6. Bei Meidung revisibler (§ 337 StPO) Verletzung des § 261 StPO7 ist das – zwar nicht an gesetzliche, aber gesetzlich an „Beweisregeln“ gebundene – Gericht rechtlich gehalten, seine „Überzeugung“ zu „beweisen“8, m.a.W. zu begründen9 in – heute unstreitig – lückenloser (insbes. auch nahe liegende Alternativen einbeziehender), in sich widerspruchs-und kreisschlussfreier Argumentation unter Beachtung auch sonstiger Denkgesetze (sprachliche und mathematische Logik) sowie gesicherter Regeln (Allgemeinsätze) genereller Lebenserfahrung und empirischer Wissenschaften (allgemein der Kriminalistik und Forensik, speziell der Chemie, Physik, Medizin, Psychiatrie, Psychologie)10 je nach dem Grad ihrer – (selten) ausnahmslosen11 oder (im Übrigen) nur bestimmte Wahrscheinlichkeitsurteile rechtfertigenden12 – Geltungskraft. Die These, Prinzip „freier“ Beweiswürdigung und Legal-Beweistheorie gemeinrechtlicher Prägung unterschieden sich im Kern darin, dass das Gesetz dem Richter nicht mehr, ihn an „Be-

J. W. Britz, Beschränkung der freien Beweiswürdigung durch gesetzliche Beweisregeln?, ZZP 110 (1977), 61 ff. (verneint, vgl. dort Zusammenfassung S. 89 f.). 5 G. Radbruch, Einführung in die Rechtswissenschaft, 11. Aufl. (hrsg. von K. Zweigert), 1964, S. 329. Bereits Schaper, Grundzüge der gegenwärtig herrschenden Beweistheorie in Strafsachen, GA 14 (1866), 180, 245, 263 Fn. 1: „… läßt sich auch heute von einer – logisch und erfahrungsmäßig, gewissermaßen gewohnheitsrechtlich – ,bindenden Beweistheorie‘ sprechen“. Vgl. auch unten II. 1. c) mit Fn. 42 – 53. 6 Verf., Prozessuale Wahrheit und Revision, in: FS G. Spendel, 1992, S. 687, 705 ff.; G. Freund, Die Tatfrage als Rechtsfrage, in: FS L. Meyer-Goßner, 2001, S. 409 ff.; vgl. unten III. 2. b) mit Fn. 170. 7 Verf. (Fn. 6), S. 703 f., 713. 8 Verf., KMR-Kommentar zur StPO, 7./8. Aufl. 1980/90, § 244 Rn. 44, 52; J. Schulz, Sachverhaltsfeststellung und Beweistheorie, 1992, S. 7, 101 („transitiver“ Beweisbegriff). 9 Näher unten III. 1. b) mit Fn. 145 – 150 sowie III. 2. b) mit Fn. 166 – 170. 10 Umfassende Darstellungen: U. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 4. Aufl. 2002, Rn. 726 – 738 (Geständnis), 1362 – 1469 (Zeugen), 1895 – 1998a (Sachbeweis durch Sachverständige); Schmitt (Fn. 3), S. 229 – 373. 11 Hier muss (rechtlich!) das Gericht eine entsprechende „Überzeugung“ aussprechen (vgl. erg. unten III. 2. b) mit Fn. 168). Beispiele: Vaterschaftsausschluss aufgrund bestimmter Blutmerkmale (BGHSt 6, 70, 73 ff.); absolute Fahruntüchtigkeit bei BAK-Wert von 1,10 % (BGHSt 37, 89, 91); fehlerfreie Radar-Geschwindigkeitsmessung (BGHSt 39, 291, 295 ff.); Täterausschluss durch DNA-Analyse (BGHSt 38, 320, 322 ff.); daktyloskopische Übereinstimmung von Papillarlinienbildern. 12 Dann darf (rechtlich!) das Gericht sich eine Überzeugung nicht ohne weiteres, sondern nur i. V. mit bestätigenden sonstigen Beweisergebnissen bilden. So z. B. bei Angaben (in Schriftstücken oder gegenüber Zeugen vom Hörensagen) dem Gericht unbekannt gebliebener V-Leute (BGHSt 42, 15, 25; 45, 321, 340; 47, 44, 47), bei widerlegten Verteidigungs-, insbes. Alibibehauptungen des Angeklagten (BGHSt 41, 153, 154 ff.), wenn ein Zeuge den Angeklagten wiedererkannt haben will (BVerfG [Kammer] NStZ-RR 2003, 299, 301; BGH NStZ 1987, 288; 1997, 355; 1998, 265 f., 266 f.; OLGe Köln StV 1986, 12; 2000, 607; Koblenz NStZ-RR 2001, 109, 110) oder falls „Aussage gegen Aussage“ steht (BGHSt 44, 153, 158 f.; 44, 256, 257).

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weisregeln“13 bindend, vorschreiben dürfe, „unter welchen Voraussetzungen er zu einer bestimmten … Überzeugung kommen muss“14, ist – jedenfalls bei Denkgesetzen und zwingenden Erfahrungssätzen – ebenso unrichtig wie die verbreitete Ansicht, der gemeinrechtliche Inquisitionsprozess habe „keine freie richterliche Beweiswürdigung“15 gekannt. Die „Legal-Beweistheorie“ war „freier“ (konkreter), die „freie Beweiswürdigung“ ist „gesetzlicher“ (abstrakter) als vielfach angenommen16, und insoweit nur eingeschränkt stimmt die Aussage, in der geschichtlichen Entwicklung des Prozessrechts sei „ein Zug des Fortschreitens erkennbar: des Formellen zum Materiellen, des Äußeren zum Wesen …“17. Einzig im Ziel, möglichst alle, aber auch nur einer Straftat Schuldigen zu bestrafen und stets verpflichtet der „Trajan-Sentenz“ des römischen Rechts18, unterscheidet beide Beweisformen nicht „gesetzliche“ und gesetzes-„freie“, sondern allein – jeweils normativ – abstrakt-generelle und konkret-individuelle Überzeugungsbildung. Das ist zu verifizieren mit Folgerungen19 für das Wesen prozessualer Beweiswürdigung in rechtsrichtiger Überzeugungsbildung gem. § 261 StPO.

13 Eine ausdrückliche Normierung (vergleichbar der im Katalog des § 244 III, IV StPO Gesetz gewordenen RG-Rspr. zu §§ 244, 260 a. F. StPO; dazu ausführl. Alsberg [Fn. 1], S. 45 – 128) solcher – vorläufig „richterrechtlichen“ (W. Sarstedt, Beweisregeln im Strafprozeß, in: FS E. E. Hirsch, 1968, S. 171, 180 f.; G. Jerouschek, Wie frei ist die freie Beweiswürdigung?, GA 1992, 493, 513), in Wahrheit § 261 StPO konkretisierenden – „Beweisregeln“ änderte nichts in der Sache und wäre Frage nur prozesspolitischer Zweckmäßigkeit (dazu auch unten II. 1. c) mit Fn. 49, 51, 53). 14 BGHSt 10, 208, 210. 15 H. Mitteis/H. Lieberich, Deutsche Rechtsgeschichte, 18. Aufl. 1988, Kap. 43 II 3. 16 Tendenziell zutr. aber D. Meurer, Beweis und Beweisregel im deutschen Strafprozeß, in: FS D. Oehler, 1985, S. 357, 374 f.; Jerouschek (Fn. 13), S. 502. 17 W. Sauer, Allgemeine Prozessrechtslehre, 1951, S. 92 f. (vgl. auch S. 70: „Nur ein materielles Beweisverfahren entspricht neuzeitlichen Anforderungen“). 18 D. 48, 19, 5 (Ulpian): „… satius enim esse impunitum relinqui facinus nocentis quam innocentem damnari“. Dazu Verf., Rechtsstaatliche Übermaßverbote im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozeß, in: Vom mittelalterlichen Recht zur neuzeitlichen Rechtswissenschaft (FS W. Trusen), 1994, S. 285, 295 m. zahlr. Nachw. 19 Viel zu skeptisch (bzgl. eigener Abhandlung) W. Küper, Historische Bemerkungen zur „freien Beweiswürdigung“ im Strafprozeß, in: FG K. Peters, 1984, S. 23, 24: Der „Ertrag für die aktuelle Problematik … wird wahrscheinlich gering sein“. Vgl. unten III. 2. b) mit Fn. 171, 172.

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II. Gesetzliche Beweistheorie und „freie Überzeugung“ im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess 1. Das Subsumtionsdogma der Legal-Beweistheorie Die klassische („positive“) gemeinrechtliche Legal-Beweistheorie ließ gem. Art. 22 CCC20 Verurteilung zu „peinlicher straff“ nie „auff eynicherley anzeygung, argkwons, warzeichen, oder verdacht“ hin zu, sondern allein auf „eygen bekennen“21 oder „beweisung“22. Sie beherrschte, wenn zuletzt partiell auch nur noch als „negative“23, Gesetzgebung und Doktrin bis in die vierziger Jahre des 19. Jahrhunderts, bereits dies ein gewichtiges äußeres Zeichen ihrer auch inhaltlichen Legitimation24. a) Scholastisches Wahrheitsverständnis prägte sie25 : Veritas als adaequatio intellectus et rei definiert, lag „veritas“, ungeachtet jeglicher subjektiven Überzeugung („intellectus“) des Urteilenden26, ausschließlich im (objektiven) Sein bzw. den Din20 Constitutio Criminalis Carolina (CCC), zit. nach: G. Radbruch (Hrsg.), Die Peinliche Gerichtsordnung Kaiser Karls V. von 1532 (Carolina), Reclam-Ausgabe Nr. 2990/90a, 1967. Exemplarisch ferner Teil II Cap. V §§ 1, 18, 21 und Cap. X § 11 des Codex Juris Bavarici Criminalis v. 1751; Art. 32 § 1, Art. 33 § 2, Art. 34 § 2 und Art. 39 § 10 der österr. Constitutio Criminalis Theresiana v. 1769; §§ 370, 386 der Preuß. Criminalordnung v. 1805. Weit. Nachw. bei Verf. (Fn. 18), S. 295 Fn. 110. 21 Verurteilungsgeständnis gem. Art. 60 CCC: „Item so auff erfundene redlich anzeygung eyner missethat halb, peinlich frag fürgenommen, auch auff bekentnuß des gefragten, wie das selbig alles inn den vorgeenden artickeln klerlich gesatzt ist, fleissige mögliche erkundigung vnnd nachfrage beschicht, vnnd inn der selben, bekenter, thatt halb solche warheyt befunden die keyn vnschuldiger also sagen vnnd wissen kundt, alßdann ist der selben bekentnuß vnzweiffelich bestendiger weiß zuglauben, vnnd nach gestalt der sachen peinlich straff darauff zu vrtheylen …“. 22 D.h. falls „so eyn missethat zum wenigsten mit zweyen oder dreien glaubhafftigen guten zeugen, die von eynem waren wissen sagen, bewiesen wirdt.“ (Art. 67 CCC). Vgl. auch unten Fn. 97. 23 Dazu unten II. 1. d) aa) mit Fn. 61 – 64 und bb) mit Fn. 73 – 75. 24 W. Küper, Die Richteridee der Strafprozeßordnung und ihre geschichtlichen Grundlagen, 1967, S. 218; dazu auch unten III. 1. a) mit Fn. 128. – Die Frage, ob im Zivilprozess nach bindenden Beweisregeln oder „freier“ Überzeugung zu urteilen sei, war immerhin Gegenstand dreier Deutscher Juristentage (1861 – 1863). 25 M. A. v. Bethmann-Hollweg, Versuche über einzelne Theile der Theorie des Civilprocesses, 1827, S. 295; W. Endemann, Die Beweislehre des Civilprocesses, 1860, S. 630; Patermann (Fn. 3), S. 12. 26 Th. v. Aquin (zit. nach A. Troller, Von den Grundlagen des zivilprozessualen Formalismus, 1945, S. 14 Fn. 12): „Was die eigene Person angeht, muß der Mensch dem eigenen Wissen folgen. Was aber die öffentliche Gewalt angeht, so muß er sein Gewissen bilden nach dem, was vor dem öffentlichen Richterstuhle gewußt werden darf“; ders., Summa theologica, II, II qu. 67 art. 2: „… debet sententiam ferre non secundum conscientiam sed secundum allegata“; J. Mascardus (gest. 1588), Conclusiones probationum omnium quae in utroque foro quotidiano versantur, Ausgabe 1953, Vol. I qu. II n. 14, Vol. II concl. 949 n. 2: „Ad hoc enim, ut recta sit probatio, satis est, ut in forma non peccet, licet, in materia deficiat“; J. Menochius (gest. 1607), De arbitriis iudicium quaestionibus et causis, Ausgabe 1672 (zit. bei Patermann [Fn. 3], S. 12 f.); A. Leyser, Meditationes ad Pandectas, Vol. X, 1747, spec. DCXLI n. XV:

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gen als Teilen eines Allgemeinen (universalia in rebus), war die „res“ das „corpus delicti“27, enthielten beide Arten des (Voll-)Beweises als Voraussetzung der poena ordinaria die „Erkenntnisgründe der Wahrheit in sich selbst“28, wurde das konkret Wahre im abstrakt-gesetzlich Richtigen erkannt: So musste der Richter die Wahrheit außerhalb seiner selbst finden in objektiven Beweisregeln, war der Beweis also zu führen in rein subsumtiver Erfüllung normativer oder sonstiger von Autoritäten (B. Carpzov!) entwickelter Vorgaben. Begrifflich-qualitativ streng geschieden war diese probatio plena von Anzeigen (indicia), Vermutungen (praesumtiones), Verdachtsgründen, die nur Bedingungen beweisvorbereitender Prozesshandlungen, vor allem der die confessio erzwingenden Folter, bzw. u. U. einer poena extraordinaria waren29. b) Prozesspolitisch angesichts (auch personell) nur mangelhaft ausgebildeten Gerichtswesens ausgangs des Mittelalters30 und für die folgende Zeit bis ins 18. Jahrhundert erschien zeitbedingt die Legal-Beweistheorie als „unumgänglich nothwendige Garantie“31 und „unschätzbares Palladium“ der „Sicherheit der Bürger“32 sowie „wahrhafter Freiheit und ein Bollwerk gegen Vorurtheil und Parteilichkeit“33 im Versuch, die im römischen Recht noch gesetzesungebunden nur durch belehrende Hinweise geleitet gewesene Überzeugungsbildung der Gerichte34 nunmehr zwingenden „Ein gerechter Richter spricht offt wieder besser Wissen, aber niemahlen wieder Gewissen“. Denn als unangreifbare Autorität forderte das „juristische Dogma … wie das religiöse, nur Gehorsam, nicht Ueberzeugung“ (Endemann [Fn. 25], S. 631). Vgl. erg. unten Fn. 39. 27 Vgl. Art. 26 § 1 der Theresiana (Fn. 20): „Durch das corpus delicti verstehet sich der Beweis und Anzeige … einer begangenen Missethat“; § 133 der PrCrimO (Fn. 20): „Der Thatbestand (corpus delicti) besteht aus dem Inbegriffe derjenigen Umstände, die es gewiss oder doch höchst wahrscheinlich machen, dass ein Verbrechen begangen worden ist“. 28 Küper (Fn. 24), S. 226 Fn. 358. 29 Vgl. unten II. 2. b) mit Fn. 111 – 117. 30 Eb. Schmidt, Inquisitionsprozeß und Rezeption, 1940, S. 76 f.; ders., Strafrechtspflege und Rezeption, ZStW 62 (1944), 232, 257, 260. – Die „Vorrede des peinlichen halsgerichts“ zur Carolina (Fn. 20) beklagt, dass „die meynsten peinlich gericht mit personen, die vnsere Keyserliche recht nit gelert, erfarn, oder übung haben, … Vnnd daß … an viel orten offter mals wider recht vnd gute vernunfft gehandelt“ wurde. 31 H. A. Zachariae, Die Gebrechen und die Reform des deutschen Strafverfahrens (etc.), 1846, S. 197. 32 A. Bauer, Ueber gesetzliche Beweistheorie (etc.), ZDtStrVerf. n. F. 2 (1844), 105, 109. 33 C. E. Jarke, Bemerkungen über die Lehre vom unvollständigen Beweis (etc.), NACrR 8 (1825), 97, 112. 34 G. Geib, Geschichte des römischen Criminalprocesses bis zum Tode Justinians, 1842, S. 144 ff., 328 f., 332 ff., 624; Th. Mommsen, Römisches Strafrecht, 1899, S. 436, 400; C. J. A. Mittermaier, Die Lehre vom Beweise im deutschen Strafprozesse (etc.), 1834, S. 300 f.; H. A. Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprozesses, 2. Bd., 1868, S. 403; J. Glaser, Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß, 1883, S. 198 ff.; D. Simon, Untersuchungen zum Justinianischen Zivilprozeß, 1969, S. 254, 259 ff.; G. Walter, Freie Beweiswürdigung, 1979, S. 12 – 22; Schmitt (Fn. 3), S. 111 ff. – Vgl. insbes. M. T. Cicero (zit. und übersetzt bei Geib, a.a.O., S. 328): Die Pflicht der Richter bestehe „nicht darin, die abgehörten Zeugenaussagen mechanisch zu zählen und ohne weiteres ihnen zu trauen, sondern darin,

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abstrakt-normativen Maßstäben zu unterwerfen, um, Richterwillkür ausschaltend35, abzusichern, dass Entscheidungen „nicht auf blosser Meinung der Urtheiler, sondern auf objektiven Grundlagen“36 beruhten. Absolutismus und Aufklärung führten dieses Legalitätsprinzip zum Höhepunkt: Der strikt normgebundene37, den Sachverhalt als „förmliche Gesetzeswahrheit“38 feststellende Richter39 war über die Vollbeweisregel dieselben zu prüfen und ihre Glaubwürdigkeit abzuwägen“, und sie müssten „selbst bei der größten Zahl … freisprechen, so lange ihnen nur eine wirkliche Ueberzeugung von der Schuld des Angeklagten noch mangelt“. Ferner das Reskript Hadrians (D. 22, 5 de test. 1. 3. § 2): „Hoc ergo solum tibi rescribere possum summatim, non utique ad unam probationis speciem cognitionem statim allegari debere, sed ex sententia animi tui te aestimare oportere, quid aut credas, aut parum probatum tibi opineris“. 35 G. A. Kleinschrod, Grundzüge der Theorie von Beweisen in peinlichen Sachen, ACrR 4 (1802), 44, 70 ff.; Mittermaier (Fn. 34), S. 36, 84 ff., 118 ff.; ders., Das deutsche Strafverfahren (etc.), 2. Abt., 2. Aufl. 1833, § 150; ders., Die gesetzliche Beweistheorie in ihrem Verhältniß zu Geschworenengerichten (etc.), ACrR 12 (1831), 488 ff., 495 f.; E. Henke, Handbuch der Criminalrechtswissenschaft und der Criminalpolitik, V, 1838, S. 416, 417; C. G. N. Rintel, Von der Jury, 1844, S. 31, 55 ff.; Bauer (Fn. 32), S. 108; Gerau, Über gesetzliche Beweistheorie (etc.), ZStrVerf. n. F. 1 (1844), 371, 374 f.; J. H. Abegg, Beiträge zur StrafprozeßGesetzgebung, 1841, S. 142, 191. Vgl. erg. unten III. 1. a) mit Fn. 128. 36 J. Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. I, 1883, S. 349. Vgl. auch v. Tevenar, Theorie des Beweises im Civilproceß, 1805, S. 180 ff.; A. Bauer, Die Theorie des Anzeigenbeweises (etc.), in: Abhandlungen aus dem Strafrechte und Strafprocesse, III, 1843, S. 42 f.; A. Möhl, Ueber die Werthlosigkeit einer gesetzlichen Beweistheorie, ZDtStrVerf. 1844, 184 ff. 37 Ausführlich Küper (Fn. 24), S. 44 – 62. – Der Richter war nur „la bouche qui prononce les paroles de la loi“ (Montesquieu, De l’Esprit des lois, 1748, XI, 6, t. 1); er habe den Sachverhalt lediglich in logisch korrektem „Vernunftschluß“ dem Gesetz zu subsumieren (C. Beccaria, Über Verbrechen und Strafen [Dei delitti e delle pene, 1764], deutsch von K. Esselborn 1905, § 4); er ist „nur der mechanische Ausüber der klaren Bestimmungen des Gesetzes“ (H. E. v. Globig/J. G. Huster, Abhandlung von der Criminal-Gesetzgebung, 1783, S. 24 f.); er musste als „getreue(r) Bewahrer des Gesetzes blos das Organ desselben seyn“ (G. Filangieri, La scienza della legislazione, 1780/85, deutsch von J. Siebenkees, 2. Aufl. 1788 – 1791, Bd. III, S. 381). Dies zwang den Gesetzgeber, „sich zu unendlich ins Kleine gehenden Bestimmungen herabzulassen, wenn er die Macht der Richter nicht willkürlich machen … will …“ (Filangieri a.a.O., S. 377). Prominentestes Beispiel ist das Preuß. Allg. Landrecht v. 1794: „Es ist einerseits ein Erzeugniß des durch die Aufklärungsperiode geweckten Geistes der Humanität, andererseits ein Produkt des Absolutismus, der Alles bevormundet, dem eigenen Urtheile der Staatsbürger so wenig als möglich überläßt, … auch den Beamten nicht recht trauet und das richterliche Ermessen in die engsten Schranken einzuschließen strebt“ (A. F. Berner, Die Strafgesetzgebung in Deutschland vom Jahre 1751 bis zur Gegenwart, 1867, S. 43). Es galt „das wuchtige Dogma von der Lückenlosigkeit der Gesetze … Denn, wenn der Richter nur Anwender des Gesetzes war, mußte eben alles im Gesetze selbst stehen“ (J. W. Hedemann, Das freie Ermessen in der Gerichtsbarkeit, 1924, S. 7). 38 Repräsentativ: J. Möser, Von dem wichtigen Unterschied des würcklichen und förmlichen Rechts, in: Patriotische Phantasien, IV, 1780, S. 98 ff.; N. T. v. Gönner, Handbuch des deutschen gemeinen Prozesses, Bd. II, 2. Aufl. 1864, S. 25: „… daß im Staate die Gesetze diejenigen Eigenschaften angeben mußten, deren Daseyn die förmliche Wahrheit (certitudo juridica) ausmachen soll, welche im Staate so viel als die wirkliche Wahrheit gilt“; P. J. A. v. Feuerbach/C. J. A. Mittermaier, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847, § 544: „Das vollständige Dasein aller derjenigen Gründe der Gewißheit, deren nach positiven Gesetzen der Richter bedarf, um mit einer vorausge-

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(Art. 22 CCC) hinaus auch im „Indizienbeweis“ gemäß nunmehr rationalem, die Vernunft in Maßstäben objektiver Wahrscheinlichkeit40 normierenden Rechtsdenken einem festen System gesetzlicher Beweisregeln verpflichtet. Da höchstens Wahrscheinlichkeit, nicht absolute Wahrheit erreichbar sei, wie man betonte, dürfe und müsse das Gesetz die Voraussetzungen bestimmen, unter denen etwas als wahr oder unwahr anzunehmen sei41. c) Weitgehend auch sachlich legitim waren abstrakt-gesetzliche Beweisregeln. Im Bereich der probatio plena (Art. 22 CCC) war das mit „peinlichen fragen“ (Art. 23 CCC) erzwungene Geständnis42 verurteilungsgeeignet nur dann, wenn der Folter Indizien zugrunde lagen, die – durchaus i. S. einer Überzeugung gem. § 261 StPO43 – „luce meridiana clariora“ waren, „ut nihil aliud deesse videatur quam rei confessio“44, und der Zwei-Zeugen-Grundsatz45 beherrschte seit römischem Recht, später setzten Thatsache rechtliche Folgen zu verbinden, heißt die juridische Gewißheit, im Gegensatze der gemeinen, welche lediglich nach den Gesetzen des Verstandes gemäß den Regeln der Erfahrung bestimmt wird“. Zum Ganzen Patermann (Fn. 3), S. 20 – 24. – Weitere Konsequenz dieser „juridischen Wahrheit“ war die „materielle Rechtskrafttheorie“ (zu ihr Verf., Materielles Strafrecht im „prozessualen Raum“, in: FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 683, 697 – 700). 39 Es hatte die „individuelle, konkrete Ueberzeugung … keinen Werth und es machte das Gesetz, nicht die menschliche Vernunft, … die Wahrheit“ (Endemann [Fn. 25], S. 632); v. Tevenar (Fn. 36), S. 79: „Als Mensch betrachtet kann der Richter an der Wahrheit der Sache zweifeln, aber in seiner Eigenschaft als Richter muß er sich überzeugt fühlen“. Ebenso C. Ch. Collmann, Grundlinien einer Theorie des Beweises im Civilproceß (etc.), 1822, S. 124; F. G. Leue, Theorie des Beweises im Preußischen Civilproceß, 1835, S. 3. Vgl. bereits oben Fn. 26. 40 Insbes. H. E. v. Globig, Versuch einer Theorie der Wahrscheinlichkeit zur Gründung des historischen und gesetzlichen Beweises, 2 Teile, 1806. Näher Schmitt (Fn. 3), S. 151. 41 W. H. Puchta, Der Dienst der deutschen Justizämter, II. Theil, 1830, S. 196; Leue (Fn. 39), S. 4 ff.; J. Linde, Lehrbuch des deutschen gemeinen Civilprocesses, 6. Aufl. 1843, § 234. 42 Oben Fn. 21. 43 R. v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Bd. I, 1925, S. 210; Radbruch (Fn. 20), S. 17 f.; Eb. Schmidt, Einführung in die Geschichte der deutschen Strafrechtspflege, 3. Aufl. 1965, S. 129 (zu Art. 23 ff. CCC). 44 Verf. (Fn. 18), S. 300 m. zahlr. Nachw. 45 Oben Fn. 22. – Anknüpfend an römische Quellen, die ein ausgebildetes ZeugenbeweisSystem noch nicht erkennen ließen (Geib [Fn. 34], S. 624; Mommsen [Fn. 34], S. 436; Mittermaier [Fn. 34], S. 11 f.; Glaser [Fn. 36], S. 65), schufen die italienischen Juristenschulen (dazu F. C. v. Savigny, Geschichte des römischen Rechts, V, 1829, S. 201; Endemann [Fn. 25], S. 20) und die Kanonistik (hierzu C. Groß, Die Beweistheorie im canonischen Prozeß [etc.], Bd. I, 1867, S. 125 ff.; Mittermaier [Fn. 34], S. 300 f.; Glaser [Fn. 34], S. 200 f.; vgl. c. 4, 23 X de test. II 20: „In ore duorum vel trium testium stat omne verbum“) eine Ordnung bindender Zeugenbeweisregeln in einem „verflochtenen Conclomerat von Haupt-, Neben- und Untersätzen“ (Groß [wie oben], Bd. II, 1880, S. 303; insbes. P. Farinacius, Opera omnia, Liber II: Tractatus de Testibus, 1622), deren Prinzip der Zwei-Zeugen-Regel (Art. 67 CCC) nach der Rezeption im gemeinen deutschen Recht bis zur Beseitigung der gesetzlichen Beweistheorie anerkannt blieb (vgl. z. B. B. Carpzov, Practica Nova Imperialis Saconica Rerum Criminalium,

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insbesondere im italienisch-kanonischen Recht zurückgeführt auch auf Bibelstellen46, nahezu unbezweifelt auch das gemeine Recht bis gegen 1840, rational begründet mit der Erfahrung, dass Inhaltsgleichheit voneinander unabhängiger Bekundungen zweier Personen Irrtum wie Sinnestäuschung ausschließe und nur durch eben die gemeinsam wahrgenommene Tat erklärbar sei47. Auch im Übrigen war und ist anerkannt, dass die gesetzlichen Beweisregeln „als das Resultat einer durch Jahrhunderte gesammelten Erfahrung“48 im Allgemeinen das konkret „Natürliche und Vernünftige“49 normierten, somit „die rationale Beweistheorie die Grundlage und den Hauptinhalt der gesetzlichen“ bildete50, dass also der „Unterschied zwischen Richtern mit und ohne Beweisregeln … lediglich und allein darin“ bestehe, „daß in letzterem Falle dem Richter selbst die Auffindung und Anwendung der Beweisregeln, welche die Pars III, Editio 3, 1625, qu. 114 n. 50 ff.; J. Ch. Frölich de Frölichsburg, Commentarius In Kayser Carl des Fünfften und Heil. Röm. Reichs Peinliche Hals Gerichts Ordnung, 1741, Buch 2 Tit. 6 Nr. 2; M. Berlich, Conclusiones Practicabiles Secundum Ordinem Constitutionum Divi Augusti Electoris Saxoniae, Editio 4, 1652, pars IV concl. IV n. 90; J. Damhouder, Praxis rerum criminalium [übersetzt von M. Beuther v. Carlstatt], 1575, cap. XLIX; J. S. F. v. Boehmer, Elementa Jurisprudentiae Criminalis [etc.], Editio 4, 1749, Sect. I Cap. XI §§ CXCVI f.; P. J. A. v. Feuerbach, Betrachtungen über das Geschwornengericht, 1813, S. 126 ff.; E. Henke, Darstellung des gerichtlichen Verfahrens in Strafsachen, 1817, S. 145 ff.; v. Globig [Fn. 40], II, S. 293; K. v. Grolman, Grundsätze der Criminalrechts-Wissenschaft, 4. Aufl. 1825, § 435; C. A. Tittmann, Handbuch der Strafrechtswissenschaft und der deutschen Strafgesetzkunde, 3. Bd., 1824, § 822). 46 Groß II (Fn. 45), S. 291 ff.; Patermann (Fn. 3), S. 11. 47 Filangieri (Fn. 37), S. 246; v. Grolman (Fn. 45), § 435. – Daher war ein Zeuge für eine probatio plena selbst dann nicht „gnugsam“, „wann er gleich von höchster Autorität wäre“ (Frölich de Frölichsburg [Fn. 45], Buch 2 Tit. 6 Nr. 2; ähnl. v. Grolman, a.a.O.). Mit nur „eynem guten zeugen“ konnte lediglich „eyn halb beweisung“, die „eyn redliche Anzeygung, argkwon oder verdacht der missethat“ begründete (Art. 23 S. 2, 30 S. 1 CCC), geführt werden (vgl. auch Carpzov [Fn. 45], qu. 114 n. 48; D. Clasen, Commentarius in Constitutiones Criminales Caroli V. Imperatoris, 1718, Art. XIX Anm. IV; J. S. F. v. Boehmer, Meditationes in Constitutionem Criminalem Carolinam, 1770, Art. LXVII § 1; Tittmann [Fn. 45], § 632). 48 J. W. Planck, Systematische Darstellung des deutschen Strafverfahrens auf der Grundlage der neueren Strafprozeßordnungen seit 1848, 1857, S. 383 f. Vgl. auch v. Weber, Ueber den Begriff der strafrechtlichen Gewißheit, NACrR 8 (1826), 557, 575 (Die „positive Beweislehre“ könne „nur die Regeln der allgemeinen Logik, die allgemeinen Gesetze des richterlichen Beobachtens und vernünftigen Denkens zum Grunde legen …“); Zachariae (Fn. 31), S. 196, 199 („Die gesetzlichen Beweisregeln können und sollen im Allgemeinen nichts anderes seyn als die Zusammenstellung der durch hundert- und tausendjährige Erfahrung bestätigten Sätze über die Sicherheit oder Unsicherheit der menschlichen Erkenntniß, über gewisse für die Herstellung der Wahrheit nothwendige äußere Garantieen“); Mittermaier (Fn. 34), S. 87 („Sanctionirung allgemeiner Vernunftwahrheiten über die Auffindung der Gewißheit und der aus einer langen Erfahrung abstrahirten Regeln“). 49 v. Bethmann-Hollweg (Fn. 25), S. 255. Ähnlich A. Möhl, Ueber das Urtheilen rechtsgelehrter Richter ohne gesetzliche Beweistheorie, ZDtStrVerf. 1842, 277, 287 f. (die gesetzliche Beweistheorie sanktioniere allgemeine „Vernunftwahrheiten“ und bewährte Erfahrungsregeln, damit der kleine Kreis der Erfahrungen des einzelnen Richters durch die Erfahrungen und Erkenntnisse von Generationen bereichert werde); E. Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, 1893, S. 91; E. R. Bierling, Juristische Prinzipienlehre, IV, 1917, S. 69. 50 Bauer (Fn. 32), S. 112.

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allgemeinen Denkgesetze, Erfahrung und Menschenkenntniß an die Hand geben, überlassen wird, während im ersteren Falle gewisse Beweisregeln schon durch das Gesetz ein- für allemal als unabänderliche Formeln festgestellt“51 sind, dass folglich „die Kenntniß jener früheren Regeln … auch heute noch von unentbehrlichem Nutzen sein“52 wird bei „freier“ Würdigung der Beweise53. d) Entscheidende Kritik erfuhr die Legal-Beweistheorie – trotz ihrer auch unbestrittenen Garantien zuverlässiger Beweisführung54 – in ihrem Abstraktionsdogma, wodurch „das Urtheil des Richters gefesselt und derselbe gehindert“ war, „jeden Fall nach seinen Eigenthümlichkeiten zu beurtheilen“55.

51 F. C. v. Savigny, Die Prinzipienfragen in Beziehung auf eine neue Strafprozeß-Ordnung (1846), auszugsweise abgedruckt unter dem Titel „Ueber Schwurgerichte und Beweistheorie im Strafprozesse“ in GA 6 (1858), 469, 484. Vgl. bereits Gerau (Fn. 35), S. 375: Für die „Anerkennung des Prinzips der objectiven Beweistheorie“ sei es „gleichgültig, ob die allgemeinen Beweisregeln von der gesetzgebenden Gewalt als Normen ausgesprochen werden, oder ob sie in Wissenschaft, Logik und Erfahrung oder ob in Präjudicien ihre Begründung haben, in allen diesen Fällen bilden diese Regeln einen allgemein anerkannten, darum nach verschiedenen Rücksichten bindenden Maßstab“. 52 Planck (Fn. 48), S. 197. Ferner v. Wick, Zur Theorie des Indicienbeweises, ACrR 1857, 42: „Wir unterscheiden … nicht zwischen gesetzlicher und wissenschaftlicher Beweistheorie … Jede wahre Beweisregel hat das Recht auf Anerkennung in den Gerichten, auch wenn ihr keinerlei gesetzliche Sanction zu Hülfe kommt“; C. F. v. Dollmann, System des bayerischen Strafprozeßrechtes, I, 1864, S. 91 f.: „Soweit … der Gehalt der gemeinrechtlichen Beweistheorie ein rationeller, der Erfahrung des Lebens entsprechender ist, soweit er aus erprobten Klugheitsregeln und Fingerzeigen für die richterliche Beweiswürdigung besteht, verdienen letztere fortwährend die volle Beachtung des Richters und haben in einer wissenschaftlichen Darstellung auch des neuesten Rechts ihre berechtigte Stellung“; K. Peters, Zeugenlüge und Prozeßausgang, 1939, S. 280 f.: frühere Beweisregeln seien in gewissem Umfang als „Vorsichtsregeln“ weiterhin zu beachten; ebenso Meurer (Fn. 16), S. 377: „So zeigt sich Wurzel, Wandel und bleibender Wert von Beweisregeln im Strafprozess“. 53 Sarstedt (Fn. 13), S. 171: In den Beweisregeln der CCC „steckte ein bedeutender Schatz an Erfahrung und Menschenkenntnis“. – Zu Recht (Schmitt [Fn. 3], S. 170) wurde auch nach Einführung des Prinzips „freier“ Beweiswürdigung mit diesem vereinbar die Ausbildung eines Systems logisch-empirisch-wissenschaftlicher, rechtsrichtige Überzeugungsbildung leitender allgemeiner, in ihrer Beweiskraft jedoch stets konkreter Fallbeurteilung bedürftiger Regeln als geboten erachtet (v. Tippelskirch, Von der Beweiswürdigung in Strafsachen, GA 5 [1857], 303, 304, 314 ff.; Möhl [Fn. 49], S. 293; Arnold, Prüfung der Beweise ohne gesetzliche Beweistheorie, GS 10 [1858], 40, 43, 48 ff.; H. Ortloff, Beweisregeln und Entscheidungsgründe im Strafprozesse, GA 8 [1860], 591, 594 ff.; Schaper [Fn. 5], S. 263; v. Dollmann, a.a.O. in Fn. 52). 54 Selbst die ersten Reformgesetze, die eine freie Beweiswürdigung normierten, gestatteten Verhängung der Todesstrafe nur bei geführtem Vollbeweis i. S. der – im Übrigen beseitigten – gesetzlichen Beweistheorie: z. B. in Sachsen (dazu Krieter [Fn. 3], S. 12, 15) § X des Gesetzes v. 30. 3. 1834 (vgl. auch § 161 des Entwurfs einer Kriminal-Prozeßordnung v. 1852); in Preußen § 20 S. 2 des Gesetzes v. 17. 7. 1846 (Fn. 3). 55 v. Savigny (Fn. 51), S. 484. Vgl. auch Möhl (Fn. 49), S. 291 f.; Küper (Fn. 24), S. 231; Schmitt (Fn. 3), S. 151; erg. unten II. 1. d) bb) mit Fn. 70.

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aa) Bereits früh gestatteten – nach italienischem Vorbild – Theorie und Praxis56 kraft unabweisbarer kriminalpolitischer Bedürfnisse eine (mildere) poena extraordinaria57 schon auf Grund von indicia indubitata58 bzw. einer probatio semiplena59, also „sofern der Beweis soweit geführt ist, daß, ob er gleich nach rechtlichen Grundsätzen nicht für einen vollständigen Beweis geachtet werden kann, dennoch den Regeln der natürlichen Wahrscheinlichkeit gemäß, der Angeschuldigte für den Verbrecher gehalten werden muß“60. Umgekehrt war es Ziel der negativen Beweistbeorie61, den Gewissenskonflikt des Richters, bei geführtem formalen Vollbeweis (Art. 22 CCC) evtl. auch gegen seine konkrete persönliche Überzeugung verurteilen zu müssen, aufzulösen, zugleich aber „willkürlichen“ Schuldsprüchen den Riegel der Legal-Beweistheorie vorzuschieben: Der Richter durfte dann verurteilen, musste es aber nicht62 ; es war erreicht, „die moralische Gewissheit des Richters mit … dem gesetzlichen Kriterium … zu vereinbaren“63 und die „letzte Entscheidung über die Gewissheit der Thatsachen

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Carpzov (Fn. 45), qu. 116 n. 51 – 57 (unter Berufung u. a. auf Hippolyt de Marsiliis, P. Farinacius, J. Menochius); Berlich (Fn. 45), pars I concl. 36 n. 9, 10, 12; J. Brunnemann, Anleitung zu vorsichtiger Anstellung des Inquisitions-Processes, 1697, cap. IX Nr. 5; Verbessertes Landrecht Preußens (1721), Buch VI Tit. III Art. XII § I; Theresiana (Fn. 20), Art. 34 §§ 2 ff.; Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 20), Teil II Cap. 4 §§ 2 – 5, 7, 9 und Cap. 5 §§ 1, 18. 57 Zu unterscheiden vom „crimen extraordinarium“: Ohne die Maxime „nullum crimen sine lege“ und weil von den Delikten „multa innominata“ (Carpzov [Fn. 45], qu. 133, 134) waren, hatten die Richter (vgl. auch Art. 105 CCC) anhand gesetzlich vorgegebener Deliktstypen (Eb. Schmidt [Fn. 43], S. 156) im Wege willkürfreier Analogie zu prüfen, ob eine gesetzlich nicht geregelte Tat vergleichbar strafwürdig erschien. 58 Vgl. oben II. 1. c) mit Fn. 43, 44. 59 Art. 23 S. 2, 30 S. 1 CCC: „mit eynem guten zeugen“; Theresiana (Fn. 20), Art. 34 § 11 („ein halber Beweis oder sehr starke Anzeigungen …“); Cod. Jur. Bav. Crim. (Fn. 20), Teil II Cap. V § 8. 60 E. F. Klein, Grundsätze des gemeinen deutschen und preussischen peinlichen Rechts, 1796, § 109 (S. 81). – Das Urteil, damit seien „die Grenzen der Carolina in verderblichster Weise überschritten worden“ (v. Hippel [Fn. 43], S. 230; ders., Der deutsche Strafprozeß, 1941, S. 37: „verhängnisvolles Mittel der Verdachtsstrafe“; vgl. auch A. Hoyer, Der Konflikt zwischen richterlicher Beweiswürdigungsfreiheit und dem Prinzip „in dubio pro reo“, ZStW 105 [1993], 523, 526: Verletzung des Zweifelssatzes), berücksichtigt nicht hinreichend die noch immer strengen Beweisvoraussetzungen und kriminalpolitische Unverzichtbarkeit „außerordentlicher Strafen“. Im heutigem Sinn waren sie nicht „Verdachts“-, sondern „Überzeugungs“-Strafen! 61 Terminus von v. Feuerbach (Fn. 45), S. 132 f. – Sie geht zurück auf Filangieri (Fn. 37), S. 228 ff., 287 ff. – Zu ihrer Entwicklung Mittermaier (Fn. 34), S. 84 ff., 92; Zachariae (Fn. 31), S. 201, 260; ders., Grundlinien des gemeinen deutschen Criminal-Processes (etc.), 1837, S. 179 ff.; Glaser (Fn. 34), S. 10 ff., 16; Küper (Fn. 24), S. 141 f., 230 f. 62 Filangieri (Fn. 37), S. 231 f. (wobei – S. 232 – das Gewissen des Richters „Hülfsmittel für die nothwendige Unvollkommenheit des Gesetzes sein würde“); Mittermaier (Fn. 34), S. 84 f.; Zachariae (Fn. 31), S. 200 f.; Ortloff (Fn. 53), S. 200 f. 63 Filangieri (Fn. 37), S. 229 f.

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der Beurtheilung des einzelnen Falles und eben damit der Persönlichkeit des Urtheilers und seiner subjectiven Ueberzeugung anheim(zu)stellen …“64. bb) Ende des 18. Jahrhunderts waren die Widersprüche zwischen konkret-empirisch gegründeter richterlicher Überzeugung und nach abstrakt-gesetzlichen Vorschriften für feststehend bzw. als nicht erwiesen zu erachtendem Sachverhalt immer unerträglicher geworden65. Die forensische Erfahrung hatte „die Unzulänglichkeit der positiven Beweisregeln dargethan“66, es wurde „die strenge Regel immer häufiger der natürlichen Logik zu Gefallen durchlöchert, die künstliche Distinktion der alten Legaltheorie verworfen“67. Die „Vorstellung von den sich gewissermaßen von selbst anwendenden Beweisregeln“68, die zudem erschöpfend nicht normierbar waren69, war als Irrtum erkannt. Abstrakte Normen allein konnten Fallindividualitäten in allen ihren erkenntnismäßig bedeutsamen Umständen und gegenseitigen Zusammenhängen nicht mehr zureichend gerecht werden70; insbesondere mussten sie versagen, wenn einander sich widersprechende Aussagen oder sonstige miteinander unverträgliche Beweisergebnisse zu beurteilen waren71. Unübertrefflich resümiert ist die wesentliche Kritik der gemeinrechtlichen Beweistheorie in den Sätzen, dass „es in hohem Grade schwierig, wenn nicht unmöglich ist, ohne Gefährdung der Gerechtigkeit allgemein gültige Beweisregeln festzusetzen. Der Gesetzgeber kann natürlich Bedingungen vorschreiben, unter welchen der Richter strafen oder freisprechen soll; er kann sie so stellen, daß nicht leicht ein Schuldiger der Strafe entgeht oder ein Schuldloser bestraft wird; allein er vermag keine Regeln aufzustellen, welche, unbedingt befolgt, nach keiner von beiden Seiten hin die Gerechtigkeit ge64

Glaser (Fn. 36), S. 106. Mittermaier (Fn. 34), S. 82 f.; Möhl (Fn. 49), S. 277 f.; A. W. Heffter, Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafrechtes (etc.), 6. Aufl. 1857, § 648; v. Wick, Über Beweistheorie und Entscheidungsgründe im Criminalprocesse (etc.), NACrR 1857, 42 ff.; Glaser (Fn. 34), S. 10 ff.; ders. (Fn. 36), S. 346 f., 351 f.; A. Geyer, Der Beweis im Strafprozeß, in: Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafprozessrechts, I, 1879, S. 185, 195, 199; Ullmann (Fn. 49), S. 321 ff. 66 Motivvortrag zur österr. StPO v. 1850 (zit. nach Glaser [Fn. 34], S. 25 Fn. 30; Hervorhebung nicht im Original). 67 Endemann (Fn. 25), S. 32. 68 Glaser (Fn. 36), S. 349. 69 Vgl. unten II. 2. b) mit Fn. 119, 120. „Jedem Schriftsteller, der eine neue Abhandlung De Praesumtione schrieb, gelang es, noch einige Dutzend weiterer Präsumtionen den bisher beliebten hinzuzufügen“ (Hedemann [Fn. 37], S. 70 f.). 70 Mittermaier (Fn. 34), S. 67, 69; R. Gneist, Vier Fragen zur deutschen Strafprozeßordnung (etc.), 1874, S. 70; Möhl (Fn. 49), S. 291 ff.; F. G. Leue, Der mündliche öffentliche Anklage-Proceß und der geheime schriftliche Untersuchungs-Proceß in Deutschland, 1840, S. 132, 139 ff.; Ch. R. Köstlin, Der Wendepunkt des deutschen Strafverfahrens im 19. Jahrhundert, 1849, S. 107 f.; J. Vargha, Die Vertheidigung in Strafsachen, 1879, S. 555; Glaser (Fn. 34), S. 15; ders. (Fn. 36), S. 347 f.; A. Heusler, Die Grundlagen des Beweisrechtes, AcP 62 (1879), 209, 222 ff.; Küper (Fn. 24), S. 231 f. -Vgl. auch Fn. 55. 71 v. Tevenar (Fn. 36), S. 305. Zu Versuchen, auch hierfür allgemein-verbindliche Regeln aufzustellen, näher Patermann (Fn. 3), S. 73 ff. 65

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fährden und die Wahrheit des richterlichen Ausspruchs verbürgen. Die Regeln, wonach der reflektirende Verstand sein Urtheil bildet und die sich andrängende Meinung prüft, beruhen auf Sätzen der Erfahrung und auf Kenntniß der sittlichen und sinnlichen Natur des Menschen. Allerdings kann die Wissenschaft hierin Erfahrungen verbreiten, Prinzipien entwickeln und dem Richter und der Gesetzgebung vorarbeiten; allein sie kann dem Gesetzgeber keine allgemein gültigen und erschöpfenden Regeln an die Hand geben, weil es sich großentheils um Elemente der Wahrscheinlichkeit handelt, deren Regeln sich nach allen Richtungen hin auf die mannigfaltigste Weise durchkreuzen. Der Gesetzgeber kann keine spezielle Beweisregel hinstellen, ohne das Bewusstsein, daß in vielen Fällen durch deren Befolgung die Wahrheit verfehlt werden wird, in welchen sie nicht verfehlt sein würde, wenn die Regel nicht bestanden hätte … Das, was wir Gewißheit einer Thatsache nennen, beruht auf so vielen einzelnen, in ihrer Zusammenwirkung nur dem einzelnen Fall angehörenden Elementen, daß sich dafür gar keine wissenschaftlichen allgemeinen Gesetze geben lassen“72. Speziell der negativen Beweistheorie73 wurde zu Recht erwidert, dass sie auch logisch unhaltbar und psychologisch bedenklich sei. Sie „verwickelt sich … in einen unlösbaren Widerspruch: sie beruht auf dem Gedanken, daß es möglich und nöthig sei, … die Beweiskraft durch abstrakte Regeln zu bestimmen, und sie schenkt diesen das Vertrauen, das sie dem Richter versagt: daß dadurch das Richtige getroffen werde; zugleich aber bezweifelt sie das wieder und findet die entscheidende Gewähr nicht darin, daß die Beweismittel jenen abstracten Anforderungen entsprechen, sondern in dem Eindruck, den sie auf den Richter machen“74. Zum andern konnte sie den Richter verleiten, ohne tieferes Eingehen auf die einzelnen Beweismittel es mit oberflächlicher Anwendung der gesetzlichen Beweisregeln bewenden zu lassen75. cc) Abweichend von scholastischem Verständnis76 wurden Wahrheit (= adaequatio intellectus et rei) als Beweismittel zunehmend nicht mehr formal-abstrakt im Beweismittel („res“), sondern, nunmehr vom erkennenden Subjekt („intellectus“) ausgehend, konkret-individuell begriffen, und folglich das Beweismaß in der persönlichen Überzeugung – i.S. nicht länger gesetzlich-mathematischer, sondern „ge72

v. Savigny (Fn. 51), S. 485 f. Sie war nur in wenigen Prozessordnungen normiert (Württemberg: Art. 284, 291 ff. der StPO v. 22. 6. 1843; Baden: § 270 der StPO v. 6. 3. 1845; Österreich: § 260 der StPO v. 29. 7. 1853) bzw. StPO-Entwürfen vorgesehen (vgl. Schmitt [Fn. 3], S. 163). Ihr Hauptvertreter in Deutschland war (zunächst) Mittermaier (Fn. 34), S. 84 ff.; ders., Die Mündlichkeit, das Anklageprinzip, die Öffentlichkeit und das Geschworenengericht (etc.), 1845, S. 401 ff. 74 Glaser (Fn. 34), S. 15. Ähnliche Kritik bei Endemann (Fn. 25), S. 634 ff.; Ullmann (Fn. 49), S. 323 f.; E. Beling, Deutsches Reichsstrafprozeßrecht mit Einschluß des Gerichtsverfassungsrechts, 1928, S. 292; Küper (Fn. 24), S. 232; Walter (Fn. 34), S. 66 f. 75 v. Savigny (Fn. 51), S. 490; Geyer (Fn. 65), S. 195; Glaser (Fn. 34), S. 16; Küper (Fn. 24), S. 232; F. W. Krause, Grenzen richterlicher Beweiswürdigung im Strafprozeß, in: FS K. Peters, 1974, S. 323, 324. 76 Oben II. 1. a) mit Fn. 24. 73

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schichtlicher“ Gewissheit77 – gesehen. Die Kriterien zureichender „Überzeugung“ lieferten zwei Argumentationsansätze: Einerseits – kantianisch78 – das Postulat rationaler Begründung aus richterlicher Vernunft, Erfahrung, Menschenkenntnis79: „Wo hinreichende Erkenntnißgründe vorhanden sind, welche dafür sprechen, daß die erlangte Erkenntniß mit der Sache übereinstimme, da ist der Mensch die Wahrheit anzunehmen verpflichtet“80. Andererseits – hegelianisch81 und nun extremst konkret – das irrationale Faktum intuitiv-gefühlsmäßigen Nachempfindens der Straftat (conviction intime82) aufgrund unreflektierten, näher nicht begründbaren „Totalein-

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Möhl (Fn. 49), S. 283. I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, 2. Aufl. 1787 (Ausg. W. Weischedel, 1956), II. Methodenlehre, 2. Hauptstück, 3. Abschnitt (S. 687): „Das Fürwahrhalten ist eine Begebenheit in unserem Verstande, die auf objektiven Gründen beruhen mag, aber auch subjektive Ursachen im Gemüte dessen, der da urteilt, erfordert. Wenn es für jedermann gültig ist, so fern er nur Vernunft hat, so ist der Grund desselben objektiv hinreichend, und das Fürwahrhalten heißt alsdenn Überzeugung.“ Ferner v. Weber (Fn. 48), S. 556, 557: „Der Wahrheit, als objectiver Eigenschaft der Erkenntniß, correspondirt im Subjecte das Urtheil, … d. i. das Fürwarhalten … Ein etwas behauptendes (für wahr nehmendes) Urtheil erhält Gewißheit, wenn es zureichende Gründe hat“; wir gewinnen „diese beruhigende Ueberzeugung … nur durch die Einsicht in die Gründe für die Gültigkeit unseres Fürwahrhaltens“ (Hervorhebungen im Original). 79 Bahnbrechend Jarke (Fn. 33), S. 99 – 114. Dazu ausführlich Küper (Fn. 24), S. 222 f., 226 – 228. 80 Jarke (Fn. 33), S. 109. Ebenso v. Weber (Fn. 48), S. 568: „Die Gewißheit, die vollständige Ueberzeugung von Etwas, besteht … in dem Zustande des durch Gründe bestimmten Bewußtseyns von der Nothwendigkeit eines behaupteten Urtheils. Eben dieser Zustand schließt jetzt im erkennenden Subjecte jeden vernünftigen Zweifel hinsichtlich der Tüchtigkeit unseres Urtheils aus“ (Hervorhebungen im Original). Vgl. auch Fn. 143. 81 G. W. F. Hegel, Grundlinien der Philosophie des Rechts, 1821 (Ausg. K. Löwith/ M. Riedel, 1968), § 227: Die „Erkenntniß des Falles in seiner unmittelbaren Einzelheit … ist eine Erkentniß, wie sie jedem gebildeten Menschen zusteht. Insofern für die Qualifikation der Handlung das subjektive Moment der Einsicht und Absicht des Handelnden … wesentlich ist, und der Beweis ohnehin nicht Vernunft- oder abstrakte Verstandesgegenstände, sondern nur Einzelheiten, Umstände sinnlicher Anschauung und subjektiver Gewißheit betrifft, daher keine absolut objektive Bestimmung in sich enthält, ist das Letzte in der Entscheidung die subjektive Ueberzeugung und das Gewissen (animi sententia) …“. 82 Nach Art. 342 des französischen Code d’instruction criminelle v. 17. 11. 1808 (hrsg. und übersetzt von G. Daniels, 1811) waren die Geschworenen wie folgt zu belehren: „Das Gesetz fordert von den Geschworenen keine Rechenschaft über die Gründe, wodurch sie sich überzeugt gefunden haben; es schreibt ihnen keine Regeln vor, nach welchen sie vorzüglich beurtheilen sollen, ob ein Beweis vollkommen und hinreichend sey: was es von ihnen fordert, ist, daß sie in der Stille, und ganz in sich zurückgezogen, sich selbst befragen, und in dem Innersten ihres Gewissens erforschen, welchen Eindruck die wider den Angeklagten vorgebrachten Beweise und die Gründe, worauf dessen Vertheidigung beruht, auf ihre UrtheilsKraft gemacht haben. Das Gesetz sagt ihnen nicht: Sie sollen jeden Thatumstand für wahr halten, der von dieser oder jener Zeugen-Anzahl für wahr angegeben ist, es sagt ihnen eben so wenig: Sie sollen jeden Beweis als unzureichend verwerfen, der nicht auf diesem oder jenem Protokoll, auf diesen oder jenen Urkunden, auf so und so viel Zeugen oder Anzeigen beruht; es macht an sie nur die einzige Frage, welche den Inbegriff aller ihrer Pflichten enthält: Sind Sie innig überzeugt?“ 78

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drucks“ nach erfolgter Beweisaufnahme83. Beide Dogmen wirken – teils voneinander unabhängig, teils vereint im Versuch einer Synthese – bis heute nach84, ungeachtet dessen, dass im „reformierten Strafprozess“ und dem Gesetzgeber der StPO von 1877 das Prinzip rationaler Überzeugungsbildung unbezweifelt bestimmend geworden war85. 2. „Freie“ Beweiswürdigung in gesetzlicher Beweistheorie a) Die Voraussetzungen der probatio plena (Art. 22 CCC)86 stellte der Richter fest im Wege weitgehend gesetzesungebundener Bewertung87: Nur dann taugten Geständnis88 und Zeugenaussagen89 als zureichende Prämissen des gesetzlichen Beweissyllogismus, wenn nach der Gesamtheit aller Einzelfallumstände sie konkretrichterlich als zweifelsfrei wahr erkannt waren. aa) Es bedurfte eines aus freien Stücken abgegebenen, ernstlichen und ausdrücklichen90 Geständnisses, dessen Wahrheitsgehalt eingehend zu überprüfen war durch 83 So insbes. E. Gans, Die Richter als Geschworene, in: Beiträge zur Revision der preuß. Gesetzgebung, 1830, S. 688 ff.; Köstlin (Fn. 70): Der Gesamteindruck „kann nicht aus Reflexion, sondern nur aus Anschauung hervorgehen“ (S. 120), die „eine unmittelbare Erkenntnis, ein intuitives Vernehmen“ (S. 118) ermögliche (erg. unten III. 1. a) aa) mit Fn. 134); O. H. A. v. Oppen, Geschworene und Richter, 1835, S. 45, 46: „Der Gesetzgeber … rechnet bei einer ununterbrochenen Reihenfolge von Handlungen auf den Totaleindruck so wie sich derselbe bei einem Gemälde nicht durch einzelne Pinselstriche, sondern durch die Physiognomie des Ganzen bestimmt … gleichwohl sind die Fäden, an welche sich die innere Überzeugung, die moralische Gewißheit einer Thatsache knüpft, oft so fein und in einander verschlungen, daß es schwer seyn würde, sich selbst, und wieviel mehr anderen davon in allen Einzelheiten Rechenschaft zu geben“; der Gesetzgeber „will sich vielmehr mit dem Fürwahrhalten des Geschworenen, auch wenn dieser sich keine Gründe angeben kann, begnügen, und kann es, weil dieses Fürwahrhalten auf Evidenz, auf die Anschauung alles dessen, was vor dem Auge des Geschworenen geschieht, gegründet worden ist – Weit. Nachw. zur Lehre vom „Totaleindruck“ bei Glaser (Fn. 34), S. 19 Fn. 20; E. Schwinge, Der Kampf um die Schwurgerichte bis zur Frankfurter Nationalversammlung, 1926, S. 86 – 88; Küper (Fn. 24), S. 214 – 218. 84 Unten III. 2. a) mit Fn. 157 – 165. 85 Unten III. 1. b) mit Fn. 146 sowie III. 2. a) aa) mit Fn. 152. 86 Oben II. 1. mit Fn. 20 – 22. 87 Bauer (Fn. 36), S. 45; v. Savigny (Fn. 51), S. 488 („Selbst bei dem direkten Beweise muß das Meiste dem richterlichen Ermessen anheimfallen. Der Regel nach enthalten denn auch alle positiven Beweisregeln in sich eine Bestimmung, welche ihre Anwendung wiederum von dem eigenen Urtheile des Richters abhängig macht. Das Geständnis soll ein freies, ernstes, der Irrthum beim Widerruf des Geständnisses soll wahrscheinlich, die beiden Zeugen, deren übereinstimmende Aussage vollen Beweis giebt, sollen glaubwürdig, das Gutachten der Sachverständigen soll mit überzeugenden Gründen unterstützt sein usw.: überall Nebenbestimmungen, über welche der Richter, und zwar meist ohne Anleitung des Gesetzes, nach eigenem Ermessen zu urtheilen hat … Man sieht hieraus, daß selbst in Ansehung der direkten Beweise die Beschränkung des Richters nur eine scheinbare ist“). 88 Oben Fn. 21. 89 Oben Fn. 22. 90 Vgl. noch § 370 PrCrimO (Fn. 20).

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„fleissige mögliche erkundigung vnnd nachfrage“ über den Tathergang, vor allem nach Umständen, die „keyn vnschuldiger also sagen vnnd wissen kundt“91. Eine confessio nuda genügte nie92. Noch ungeklärten Inquisiten-Behauptungen war auf ihre Richtigkeit hin nachzugehen93, um „auff den grundt der warheyt“94 zu kommen. bb) Vollbeweis durch Zeugen erfolgte mit zumindest zwei „guten“ Zeugen, die vor dem Richter95 „von eynem“ – und zwar „von jrem selbs eygen“96 – „waren wissen sagen“97. Auch diese Beweisregeln ließen breiten Raum für konkret-individuelle Glaubwürdigkeitsbeurteilungen. Zwar waren bestimmte Personengruppen – i.S. bereits eines Beweiserhebungsverbots – grundsätzlich generell ungeeignet (inhabilis), eine probatio plena zu liefern, wie etwa Zeugen nur vom Hörensagen98, Unmündige und Minderjährige99, Geisteskranke und -schwache100, nahe Verwandte des Inquisiten101 sowie unehrenhafte102, insbesondere bestochene103 Zeugen104 und solche, die „vnbekant“105 waren. Im Übrigen jedoch bedurfte es jeweiliger Einzelfallprüfung, ob die Zeugen „gnugsam“, d. h. „vnbeleumdet, vnd sunst mit keyner rechtmessigen vrsach zuuerwerffen“106 waren, und ob Art und Inhalt ihrer Aussagen, die, um beweiskräftig zu sein, clara, categoria et concludens107 sein mussten, Anlass zu Rich91

Art. 60 CCC (Fn. 21); ähnlich Art. 48, 53, 54 CCC. Carpzov (Fn. 45), qu. 113 n. 46, qu. 114 n. 37; J. S. F. v. Boehmer, Observationes selectae ad Benedicti Carpzovii Practicam Novam Criminalium Imperialem Saxonicam, 1759, obs. I ad qu. 114; Berlich (Fn. 45), pars V concl. XVI n. 1. 93 Carpzov (Fn. 45), qu. 124 n. 60, 61; Boehmer, a.a.O. (Fn. 92). 94 Art. 56 S. 1 CCC. 95 Art. 70, 71 CCC. Ebenso bereits L. 3. § 3 D. XXII 5 de test. für das römische Recht. 96 Art. 65 S. 1 CCC. 97 Art. 67 CCC (Fn. 22). Sachgleich noch § 386 PrCrimO (Fn. 20): „Zwei vereidete, über alle Einwendung erhabene Zeugen geben einen vollen Beweis für eine jede Thatsache, die der Gegenstand ihrer einstimmigen, durch eigene Sinnes-Erkenntniß begründeten Aussage ist.“ 98 Art. 65 S. 2 CCC. 99 L. 20 D. XXII 5. de test.; Carpzov (Fn. 45), qu. 114 n. 41 ; PrCrimO (Fn. 20), § 357 Nr. 9. 100 Carpzov (Fn. 45), qu. 114 n. 29 – 30. 101 Carpzov (Fn. 45), qu. 114 n. 28. 102 Z.B. Vorbestrafte, Inhaftierte, wegen schlechten Lebenswandels Vertriebene (L. 3 § 5, L. 13, L. 14, 18, 20, 21; D. XXII 5.; Carpzov [Fn. 45], qu. 114 n. 31 – 32). 103 Art. 64 CCC. 104 Vgl. auch Clasen (Fn. 47), Art. XXIII Anm. 2; C. Manzius, Commentarius Rationalis in Criminalem Sanctionem Carolinam, 1676, Art. LXVII n. 7. 105 Art. 63 CCC (es sei denn, „es würd dann durch den, so die zeugen stellet, stattlich fürgebracht, daß sie redlich vnd vnuerleumbt waren“). 106 Art. 66 CCC. Ferner Frölich de Frölichsburg (Fn. 45), Buch 2 Tit. 6 Nr. 2: „Zwey ehrliche untadelhaffte Gezeugen“; Damhouder (Fn. 45), Cap. XXXVIII Nr. 9: „zween zeugen/die ohn allen verdacht seind“; § 386 PrCrimO (Fn. 20): „Über alle Einwendung erhabene Zeugen“. 107 Carpzov (Fn. 45), qu. 114 n. 57, 58. 92

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tigkeitszweifeln geben konnten108. Trotz vielfältiger Bemühungen, Zeugen nach dem Beweiswert ihrer Aussagen streng zu klassifizieren109, ist „in Wahrheit doch immer die individuelle Verstandesthätigkeit des Richters das Entscheidende geblieben“110. b) Grundsätzlich frei von gesetzlichen Beweisregeln war das weite Feld des Indizienbeweises (= jeder Beweis außerhalb des Vollbeweises gem. Art. 22 CCC)111, den zu führen notwendige und zureichende Bedingung war nicht nur für prozessuale Zwangsmaßnahmen (wie Haft, Spezialinquisition112, Folter113), Verhängung der poena extraordinaria114, Auferlegung des Reinigungseids115 sowie absolutio ab instantia116, sondern der auch genügte zum Nachweis des Vorsatzes117 bei Verurteilung zur poena ordinaria. Bereits die Wormser Reformation (1498) überließ bei „ursachen vnd anzeigen“ alles „zu bescheidenheit eins yeden Richters“, weil „kein gewissheit oder Regel“ zu setzen sei118. Ebenso betont die Carolina zu „Anzeigen“ wiederholt, dass es „nit müglich“ sei119, „alle zubeschreiben“120, dass daher z. B. „auß … arti108

Dazu musste der Richter den Zeugen „mit fleiß verhören vnd sunderlich eygentlich auffmercken, ob der zeug inn seiner sage würd wanckelmütig vnd vnbestendig erfunden“ (Art. 71 CCC). Nicht beweisgeeignet war ein Zeuge, der „bald so, bald anderst aussaget, mithin sich selbst widerspricht, entweder gar keine, oder unwahrscheinliche Ursache angäbe, oder falsche Umstände mit einmischte“ (Theresiana [Fn. 20], Art. 33 § 15). 109 Hinzuweisen ist in erster Linie auf Farinacius (Fn. 45). Ferner C. F. Hommel, Rhapsodie Quaestionum, I, 1782; v. Globig/Huster (Fn. 37), S. 294 ff.; Art. 276 – 298 des Bayer. StGB v. 1813. – §§ 386 ff. PrCrimO (Fn. 20) zählten 8 Klassen unfähiger und 12 Klassen verdächtiger Zeugen auf. Vgl. auch die Übersichten bei M. Hornung-Grove, Beweisregeln im Inquisitionsprozeß J. Brunnemanns, J. P. Kress’ und J. S. F. Boehmers, 1974, S. 17, 27 ff., 74 ff. 110 Groß II (Fn. 45), S. 304. Ebenso Jarke (Fn. 33), S. 111; F. A. Biener, Beiträge zu der Geschichte des Inquisitionsprozesses und der Geschworenengerichte, 1827, S. 162; Mittermaier (Fn. 34), S. 84 ff.; Zachariae (Fn. 61), S. 179 ff.; ders. (Fn. 31), S. 201, 210; Köstlin (Fn. 70), S. 119; Glaser (Fn. 34), S. 10 ff. 111 Zum Begriff Art. 19 CCC: „Item wo wir nachmals redlich anzeygen melden, da wöllen wir alwegen, redlich warzeichen, argkwon, verdacht, vnd vermutung auch gemeynt haben, vnd damit die überigen wörter abschneiden“. 112 Dazu Verf. (Fn. 18), S. 301 mit Fn. 128. 113 Art. 23 sowie Art. 24 – 44 CCC. 114 Oben II. 1. d) aa). Zu ihren Voraussetzungen Verf. (Fn. 18), S. 293. 115 Näher Verf. (Fn. 18), S. 292 f. mit Fn. 66. 116 Im Einzelnen Verf. (Fn. 18), S. 294 f. 117 Dazu K. G. Kusch, Der Indizienbeweis des Vorsatzes im gemeinen deutschen Strafverfahrensrecht, Diss. 1963. 118 Zit. nach E. Brunnenmeister, Die Quellen der Bambergensis, 1879, S. 111. Eine bestimmte Theorie des Indizienbeweises „in einem Compendium oder gar Gesetzbuche aufzustellen“, war „schon von Gandinus und nach ihm mit denselben Worten von allen Italienern mit Recht als eine Unmöglichkeit bezeichnet worden: in materia indiciorum certa doctrina dari non potest, sed remittitur arbitrio judicantis“ (Brunnenmeister, a.a.O.; ebenso Zachariae [Fn. 61], S. 127). 119 Daher notwendig scheitern mussten spätere Versuche (noch bei v. Feuerbach/Mittermaier [Fn. 38], §§ 543 ff.), ein System enumerativer Indizien zu etablieren, wie z. B. im Cod.

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ckeln von argkwon vnd anzeygung der missethat sagend … inn fellen, so darinn nicht benant sein, gleichnuß genommen werden“ soll121, dass bei mehreren, je für sich zur Tortur nicht hinreichenden „anzeygungen“ die Richter zu „ermessen“ haben, ob sie „souil redlicher Anzeygung der verdachten missethat thun mögen, als die nachuolgenden artickel, der eyn jeder alleyn, eyn redlich anzeygung macht, vnd zu peinlicher frag gnugsam ist“122, und dass bei teils für, teils gegen den Inquisiten sprechenden Indizien man zur Tortur nur schreiten durfte, wenn aus ihnen „ermessen mag werden, daß die vrsachen des argkwons grösser seind dann die vrsach der entschuldigung …“123. Angesichts dieses nur belehrendbeispielhaften Charakters des Indiziensystems musste letzter Maßstab dafür, ob in concreto die Indizien „redlich“ bzw. „gnugsam“ waren, die lebenserfahrungs- und gewissensgeleitete „ermessung eyns jeden guten verstendigen richters“124 bleiben.

III. Das Begründungspostulat „freier“ Beweiswürdigung 1. Reformierter Strafprozess des 19. Jahrhunderts a) „Der Grundsatz der freien Beweiswürdigung bedarf gegenwärtig nicht mehr der Rechtfertigung; er liegt allen in neuerer Zeit ergangenen deutschen Strafprozeßordnungen zu Grunde“125. Den Anfang gemacht hatte das preuß. Gesetz v. 1846126, nach dessen § 19 S. 3 das Gericht „fortan unter genauer Prüfung aller Beweise … nach seiner freien, aus dem Inbegriffe der vor ihm erfolgten Verhandlungen geschöpften Überzeugung zu entscheiden“ hatte. Dass auch in andere Partikulargesetze127 dieses Jur. Bav. Crim. (Fn. 20; Cap. X §§ 10 – 13), in der Preuß. Allg. Gerichtsordnung v. 1793 (I. 13. 10), der PrCrimO (Fn. 20; §§ 398 – 408) oder im Bayer. StGB v. 1813 (Art. 308 – 335). 120 Z.B. Art. 18 S. 1, 24 S. 2, 25 S. 2 CCC. Ebenso J. Clarus, Opera omnia, sive practica civilis atque criminalis, 1666, lib. V § fin. qu. 20 n. 4, 5, 7, 8 („Hoc praevie scire debes, quod secundum omnes in materia indiciorum non potest dari certa doctrina, sed totum relinquitur arbitrio boni viri s. judicis“); Carpzov (Fn. 45), qu. 123 n. 28 – 31; v. Boehmer (Fn. 45), Sect. I Cap. VI § CVII („… quae cum sint infinitae, impossibile est, indicia in vniuersum certis regulis includere …“); v. Savigny (Fn. 51), S. 487 (das „Bestreben, dies zu thun, wäre, wie Feuerbach sagt, nicht vernünftiger, als der Plan, den Ocean der Natur in einen Eimer zu fassen“). 121 Art. 24 S. 1 CCC; ähnlich Art. 18 S. 2 CCC. 122 Art. 27 S. 2 CCC. 123 Art. 28 S. 3 CCC. 124 Formulierung in Art. 104 S. 3 CCC (in anderem Kontext). 125 StPO-Motive zu § 260 a. F., in: C. Hahn, Die gesammten Materialien zur Strafproceßordnung und zum Einführungsgesetz zu derselben v. 1. 2. 1877, 1. Abt., 1880, S. 198 (Hervorhebung nicht im Original). 126 GS 1846, 267 ff.; ferner § 22 der preuß. VO v. 1849 (GS 1849, 14 ff.). Vgl. Fn. 3. 127 Z.B. Kurhessen: Gesetze v. 31. 10. 1848 (§ 120) und 28. 10. 1863 (§§ 92, 152, 161); Bayern: Art. 368 des Gesetzes v. 10. 11. 1848 die Abänderungen des 2. Teiles des StGB von 1813 betreffend; Braunschweig: StPO v. 22. 8. 1849; Österreich: § 287 der StPO v. 17. 1. 1850

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Prinzip – gegen die zunächst noch überwiegende Literatur, die für Beibehaltung der gesetzlichen Beweistheorie als Schutzgarantie gegen Richterwillkür plädierte128 – allgemein einging, hatte im Wesentlichen zwei Gründe: aa) Rechtspolitische Ursache war die Rezeption des mündlichen, öffentlichen Schwurgerichtsverfahrens129, das Frankreich im Jahr 1790 nach englischem Muster als „Palladium bürgerlicher Freiheit“130 etabliert hatte, zumal von Geschworenen gemäß ihrer „conviction intime“131 die „Thatfrage … eben so gut und selbst besser beurtheilt werden“ könne „als von rechtsgelehrten Richtern“132. Weil aber derart irrational-gefühlsmäßig-intuitives Judizieren133 aus „innerste(r) Gewissensüberzeugung“ als ihrem „letzten Fundamente“134 allenfalls der „besonderen Natur des Geschworenengerichts … angemessen“135 schien, lehnte die Wissenschaft zunächst es ganz überwiegend ab136, eine so verstandene „freie“ Beweiswürdigung auch den rechtsgelehrten, beamteten Richtern zuzugestehen. bb) Hinzu kam die sodann verstärkt Boden gewinnende rechtsinhaltliche Erkenntnis sachlicher Gleichartigkeit der Denkoperationen von Geschworenen und Berufsrichtern bei Sachverhaltsfeststellungen137, nämlich des ihnen gemeinsamen ver(aufgehoben und Wiedereinführung der negativen Beweistheorie – §§ 260 ff. – durch StPO v. 29. 7. 1853) und § 258 der StPO v. 23. 5. 1873; Hannover: StPO v. 8. 11. 1859; Oldenburg: StPO v. 2. 11. 1857; Baden: § 6 der StPO v. 18. 3. 1864; Hessen-Darmstadt: StPO v. 16. 9. 1865: Württemberg: StPO v. 17. 4. 1868; Sachsen: Art. X der StPO v. 1868 (nicht bereits § X des Gesetzes v. 30. 3. 1838; vgl. Küper [Fn. 24], S. 219 Fn. 320 m.w.N.). 128 Jarke (Fn. 33), S. 112; v. Weber (Fn. 48), S. 576 f.; J. Zentner, Das Geschworenengericht mit Öffentlichkeit, 1830, S. 331; C. J. A. Mittermaier, Theorie des Beweises im Peinlichen Prozesse nach den gemeinen positiven Gesetzen (etc.), 1821, S. 495 f.; ders. (Fn. 34), S. 84 ff., 118 ff. (später – vgl. Fn. 139 – akzeptierte auch er das Prinzip freier Beweiswürdigung); C. T. Welcker, Schwur- oder Geschworenengericht als Rechtsanstalt und als politisches Institut, 1840, S. 115 f.; J. F. H. Abegg, Beiträge zur Strafprocess-Gesetzgebung, 1841, S. 191; Molitor, Erfahrungen im Gebiete der Criminalrechtspflege, ZDStrVerf. 3 (1843), 1, 6; Bauer (Fn. 32), S. 108 f.; Gerau (Fn. 35), S. 374 f. Vgl. bereits Fn. 24. 129 Oben Fn. 3. Vgl. J. Glaser, Die geschichtlichen Grundlagen des neuen Deutschen Strafprozeßrechts, in: Holtzendorffs Handbuch des deutschen Strafprozeßrechts, I, 1879, S. 3 ff.; Geyer (Fn. 65), S. 200 f.; A. v. Kries, Lehrbuch des Deutschen Strafprozeßrechts, 1892, S. 62; v. Hippel (Fn. 60), S. 44. 130 v. Hippel (Fn. 60), S. 43. 131 Oben Fn. 82. 132 Zachariae (Fn. 31), S. 307. 133 Oben II. 1. d) cc) mit Fn. 81, 83. 134 Ch. R. Köstlin, Die Zukunft des Strafverfahrens in Deutschland, in: Deutsche Vierteljahresschrift, 1846, S. 314, 322. 135 Zachariae (Fn. 31), S. 197. 136 Nachweise in Fn. 128. Denn „für das Urtheil rechtsgelehrter Richtercollegien“ gehören gesetzliche Beweisregeln „zu den unumgänglich nothwendigen Garantien und sind durch den Begriff des ihnen anvertrauten Rechtsprechens von selbst gegeben“ (Zachariae, a.a.O. in Fn. 135). 137 Schwinge (Fn. 83), S. 88 ff.; Küper (Fn. 24), S. 221.

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nunftgeleiteten, von Gesetzen des Denkens und der Lebenserfahrung gesteuerten Vorgangs jeder Überzeugungsbildung, der als solcher nicht abhängt davon, ob die Würdigung der Beweise einer – manifestierten, nachprüfbaren -Begründung bedurfte (Berufsrichter) oder nicht (Geschworene)138. Nachdem eine Mindermeinung das Prinzip freier Beweiswürdigung bereits auch für Berufsrichter gefordert hatte139, konnte v. Savigny als preußischer Justizminister im Jahr 1846140 den entscheidenden Anstoß geben für die generelle gesetzliche Einführung des Grundsatzes freier Überzeugungsbildung: Roma locuta, causa finita. b) Wahrheitsgarantien anstelle gesetzlicher Beweisregeln erkannte der „reformierte Strafprozeß“ nunmehr in öffentlicher, mündlicher und unmittelbarer Beweisaufnahme des erkennenden Gerichts141, in richterlichem Selbstverständnis142, ganz dezidiert aber, anknüpfend an frühere Postulate der Aufklärungszeit143, in der – durch die Rechtsmittelinstanz überprüfbaren144 – rationalen Begründung richterlicher Überzeugung145 unter völliger Aufgabe deren subjektivistisch-gefühlsmäßig-ir138 Z.B. Jarke (Fn. 33), S. 97 ff.; Mittermaier (Fn. 34), S. 63 ff.; J. F. H. Abegg, Betrachtungen über die VO betr. die Einführung des mündlichen und öffentlichen Verfahrens, NACrR 1851, 163 ff.; Endemann (Fn. 25), S. 623 ff.; ders., Die freie Beweiswürdigung im Civilprocesse, AcP 41, 92 ff., 115 ff. – Dazu auch Glaser (Fn. 36), S. 162 ff.; Geyer (Fn. 65), S. 200 f.; Schwinge (Fn. 83), S. 89; v. Hippel (Fn. 60), S. 43 f.; Küper (Fn. 24), S. 200 ff. 139 Etwa Leue (Fn. 70), S. 132 ff.; Möhl (Fn. 49), S. 227 ff. und (Fn. 36), S. 188 ff.; H. W. Hayen, Der Richter als Geschworner? oder Geschwornengerichte mit Mündlichkeit, Öffentlichkeit und Anklage?, 1843, S. 43; J. Höpfner, Über den Anklageprozeß und das Geschworenengericht, 1844, S. 60; C. G. v. Wächter, Beiträge zur Deutschen Geschichte, insbesondere zur Geschichte des Deutschen Strafrechts, 1845, S. 80; nun auch (oben Fn. 128) Mittermaier, Strafverfahren II (Fn. 35), 4. Aufl. 1846, S. 316. 140 Oben Fn. 51. 141 Etwa Möhl (Fn. 49), S. 296 ff. und (Fn. 36), S. 184 ff.; Leue (Fn. 70), S. 143; Mittermaier (Fn. 73), S. 407; v. Savigny (Fn. 51), S. 491. 142 Möhl (Fn. 49), S. 293; v. Savigny (Fn. 51), S. 476: „Die Gewähr für die Wahrheit des Urtheils über die Thatfrage ist also darin zu suchen, daß der Urtheilende neben dem unerschütterlichen Willen, der Wahrheit die Ehre zu geben, die erforderlichen Kenntnisse und Fähigkeiten besitze, und daß er davon in besonnener Reflexion wirklich Gebrauch mache“. 143 Oben II. 1. d) cc) mit Fn. 79, 80. Erg. Jarke (Fn. 33): Für die Wahrheit als „Übereinstimmung des urtheilenden Subjects mit dem erkannten Objecte“ (S. 98) könne die „einzige Garantie … nur in den Gründen liegen …“ (S. 100), und das „Prüfen und Abwägen dieser Gründe ist aber ein Geschäft der Reflexion und folglich des Verstandes“ (S. 101); Mittermaier (Fn. 34), S. 70: „Nur ein Zustand, welcher auf zureichenden Gründen beruht, deren sich der Urtheilende bewußt ist, kann uns befriedigen und die bürgerliche Gesellschaft mit Vertrauen erfüllen, dass die Urtheile, welche darauf gebaut werden, gerecht sind. Einen Zustand aber, in welchem unser Fürwahrhalten auf völlig befriedigenden Gründen beruht, deren wir uns bewußt sind, nennen wir Ueberzeugung“. 144 Möhl (Fn. 49), S. 304 f.; Planck (Fn. 48), S. 470; v. Savigny (Fn. 51), S. 479, 485, 491. 145 Verf. (Fn. 6), S. 698 – 700 m. Nachw. – Ferner: Möhl (Fn. 49), S. 283: Die „geschichtliche“ Gewißheit werde hergestellt „durch einen Inbegriff objektiver, die Überzeugung des Richters bestimmender Gründe“; ähnlich Mittermaier (Fn. 73), S. 410 – 413 und (Fn. 139), S. 316 Anm. 52; Planck (Fn. 48), S. 469 f.; v. Savigny (Fn. 51): „Motivirung des Erkenntnisses durch Entscheidungsgründe“ (S. 485), weil „die Garantie für die Wahrheit der Entscheidung“

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rationaler Deutung146: Der Richter hat sich seine „Überzeugung“ aufgrund „gewissenhafter Prüfung“ aller Beweisergebnisse zu bilden147 und „ist … verpflichtet, die Gründe, welche ihn dabei geleitet haben, in dem Urtheile anzugeben“148. Kriterien inhaltlich-vernünftiger Argumentation waren die Gesetze der Logik sowie allgemeiner und wissenschaftlicher Erfahrung: In langer Tradition sachlicher Gehalt abstraktnormativer149, fortan Maßkriterien konkret-judizieller Beweiswürdigung150 in rechtsrichtiger Überzeugungsbildung. 2. (Reichs-)Strafprozeßordnung vom 1. 2. 1877 a) Der Befund vorstehenden historischen Versuchs – prozessuale Beweiswürdigung bedeutet rein rationale Begründung (= Ursache) richterlicher Überzeugung (= Folge) – ergänzt und bestätigt meine früheren Überlegungen zu § 261 StPO in „Prozessuale Wahrheit und Revision“151, auf die ich verweisen muss und daraus kurz resümieren darf: aa) Der StPO-Gesetzgeber rezipierte diskussionslos152 als gesichert und wohl unbestritten die in Ländergesetzen wie Doktrin des „reformierten Strafprozesses“ ausnicht „lediglich in der Thatsache der subjektiven Ueberzeugung des Urtheilenden gefunden“ werden könne, sondern sie „in der Art, wie der Urtheilende seine Ueberzeugung gebildet oder die sich aufdringende geprüft hat“, liege (S. 476); abschließend Glaser (Fn. 36), S. 349 f.: „Feste persönliche Ueberzeugung, … welche … erkannt wird als basirt auf nach allgemeinen Denkgesetzen zureichenden Gründen, bildet den höchsten Grad der Gewissheit, die der einzelne erreichen kann: eine Thatsache, von welcher der Richter in dieser Weise überzeugt ist, ist im Sinne des modernen Prozeßrechts erwiesen … Eine Thatsache, deren der Urtheiler gewiss zu sein glaubt, bezüglich welcher er aber erkennt, dass eine Ueberzeugung nur auf Gründen beruht, die nach allgemeinen Denkgesetzen als … unzureichend erscheinen, muß ihm in Folge dieser seiner Erkenntniss auch subjectiv zweifelhaft werden …“. 146 Oben II. 1. d) cc) mit Fn. 80 – 83, 85. Bereits v. Feuerbach (Fn. 45), S. 119 f., hatte erfrischend polemisiert: „Die Geschwornen mit ihrem Instinct erscheinen hier nicht anders, denn als ein Methodisten- oder Quäkerverein, der in dumpfer Gedankenlosigkeit auf den Lichtstrahl der natürlichen Offenbarung harrt …“, und präzisiert: „Alle Instincte sind ihrer Natur nach nur wollend, … niemals erkennend … Ein die Wahrheit erkennender Instinct wäre eine helle Finsterniß, ein Auge, das gerade darum schärfer sieht, weil es blind ist“ (Hervorhebungen im Orginal). 147 So verschiedene Ländergesetze, z. B. Bayern: Art. 171 des Gesetzes v. 10. 11. 1848; Baden: § 96 des Gesetzes v. 5. 2. 1851, § 273 der StPO v. 18. 3. 1864; Hessen: Art. 5, 374 der StPO v. 16. 9. 1865; Österreich: § 287 der StPO v. 17. 1. 1850; ähnlich Preußen: § 19 S. 3 des Gesetzes von 1846 und § 22 S. 3 der VO v. 1849 (oben III. 1. a) mit Fn. 126): „unter genauer Prüfung aller Beweise“. 148 § 19 S. 4 des preuß. Gesetzes v. 1846 und § 22 S. 4 der VO v. 1849 (Fn. 3, 126). 149 Oben II. 1. c) mit Fn. 47 – 50. 150 Oben II. 1. c) mit Fn. 51 – 53. Vgl. auch das Zitat v. Savignys oben II. 1. d) bb) mit Fn. 72. 151 Oben Fn. 6. 152 Oben III 1. a) mit Fn. 125.

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gebildete Beweiswürdigung als inhaltlich rationale Überzeugungsbildung153, verzichtete aber in § 267 I 2 StPO, einer höchst defizitär normierten Konsequenz aus § 261 StPO und geschuldet dem Institut des Schwurgerichts (bis 1924), dem nicht abzuverlangen war, seine Entscheidung in der Tatfrage zu begründen, weitgehend auf (auch) formale Dokumentation dieser Gründe154. Folglich155 verkennend, daß das Postulat, die – nur von abstrakt-gesetzlichen Regeln „freie“156 – „Überzeugung“ (§ 261 StPO) zu begründen ihr begriffsimmanent war und ist, erschienen bis in neueste Zeit selbst Berufsrichter berechtigt, insoweit nach lediglich „persönlicher Gewissheit“ i.S. jedenfalls teilweise auch irrationalen Fürwahrhaltens157, ehemaliger „conviction intime“158 nahe, zu entscheiden159 – eine in den prozeßrechtlich irrelevanten Bereich der Empirie160 zu verbannende rechtsstaatswidrige Monstrosität.

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G. Fezer, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1995, 17/21. – Unzutr. Sarstedt (Fn. 13), S. 172: „Noch der § 261 (§ 260 a. F.) … meinte mit der freien … ,Überzeugung‘ … gewiss eben das, was der Code d’instruction criminelle die ,intime conviction‘ genannt hatte“. 154 Verf. (Fn. 6), S. 700 – 702. 155 Weitsichtig früh das Unheil ahnend warnte Glaser (Fn. 34), S. 31: „Wenn nun die Entwürfe, aus denen schliesslich die deutsche StPO hervorgegangen ist, die Entscheidungsgründe aus dem Zusammenhange lösten, in welchen sie die V von 1846 und 1849 mit der Frage der freien Beweiswürdigung gebracht hatten, so konnte allerdings besorgt werden, dass damit das Fortwuchern der Auffassung, dass die Lösung der Thatfrage von einem dunklen, unaussprechlichen Wahrheitsgefühl, nicht von einer Verstandesoperation, die sich nach allgemein fasslichen Grundsätzen richtet, zu erwarten sei, begünstigt würde“. So kam es denn auch. 156 Für viele: G. Fezer, Tatrichterlicher Erkenntnisprozeß – „Freiheit“ der Beweiswürdigung, StV 1995, 95. Daher historisch und rechtsdogmatisch falsch begriffen ist „richterliche Überzeugungsbildung“ in dem Diktum, für sie sei „naturgemäß (sic!) kein Raum mehr“, wo „eine Tatsache aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnis feststeht“ (BGHSt 10, 208, 211; 29, 18, 21); vielmehr muß diese „Erkenntnis“ gerade ihr Inhalt sein (vgl. auch Fezer [Fn. 153], 17/ 24). 157 Repräsentativ BGHSt 10, 208, 209: „Diese persönliche Gewissheit ist für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend“; vorm. irrig auch Verf. (Fn. 8), § 244 Rn. 151: „subj. Gewissheit von der Existenz … des … Sachverhalts“; F. W. Geier, in: Löwe/Rosenberg, StPO, Kommentar, 20./21. Aufl. 1958/1962, § 261 Anm. 5 bzw. 3: Bei der Überzeugungsbildung „wirkt das Gefühl wesentlich mit“; W. Niese, Zur Frage der freien richterlichen Überzeugung, GA 1954, 148, 151: „… dass die Überzeugungsbildung ein sehr komplexer Vorgang ist, an dem nicht nur rationale Erwägungen, sondern in hohem Maße auch irrationale, gefühlsmäßige Momente … und schliesslich auch voluntative Elemente beteiligt sind. Über das Ergebnis lässt sich im schriftlichen Urteil nur sehr unvollkommen Rechenschaft ablegen, sie wird sich meist einseitig auf die rationale Komponente beschränken, und deshalb ist die Nachprüfung unter normativen Gesichtspunkten schier unmöglich“; deutlich A. zu Dohna, Das Problem der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Strafverfahren, in: Probleme der Strafrechtserneuerung, 1944, S. 318, 355: „… die freie Überzeugung, die nun wirklich eine ,intime conviction‘, ein jeder Nachprüfung entzogenes Glaubensbekenntnis darstellt“. Umfassend G. Bohne, Zur Psychologie der richterlichen Überzeugungsbildung, 1948, S. 19 ff. u. pass. – Weitere Nachw. bei D. Meurer, Beweiswürdigung und Strafurteil, in: FS H. Kirchner, 1985, S. 249, 257 – 259; Fezer (Fn. 156), S. 96 Fn. 16. 158 Oben II. 1. d) cc) mit Fn. 81 – 83.

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bb) Dieser Einwand trifft (gemildert) auch die derzeit ganz h.M. – „subjektive Gewissheit“ bedürfe als „Überzeugung“ (§ 261 StPO) ergänzend rational begründeter „hoher (objektiver) Wahrscheinlichkeit“161 –, zumal für letztere ebenfalls ein Maßkriterium162 fehlt163, sie Ausdruck prozessual untauglichen ontologischen Wahrheitsbegriffs ist164 und auch beide Komponenten vereint keine neue Qualität schaffen165. b) Dem historischen (und richtigen) Postulat strictissime rationaler Beweiswürdigung genügt rechtsdogmatisch allein eine am notwendig (semantisch-)prozessualen Wahrheitsbegriff166 orientierte gerichtliche Überzeugungsbildung: Im Verurteilungsfall nicht der (faktischen) Existenz verübter Straftat167, sondern prozessual rechtsrichtiger Argumentation fern jeden rationalen (!) Zweifels in sie muss der Richter – ungeachtet etwaigen konträren rein psychologisch-emotionalen oder sonstigen rechtsexternen Fürwahrhaltens168 – sich gewiss sein. Urteilswahrheit bedeutet nichts anderes als „richtige“ Aussagenverifikation169, und „Überzeugung“ gem. § 261 StPO (= veritas processualis i. S. des § 244 II StPO) die Übereinstimmung (= adaequatio) subjektiv-richterlicher Gewissheit (= intellectus) mit objektiv-rechtsrichtiger Begründung (= res) – auch in der „Tatfrage“, die folglich insoweit vollinhaltlich revisible Rechtsfrage (§ 337 i.V. mit § 261 StPO) ist170. Dieses heute Geltende aber war 159

Verf. (Fn. 6), S. 694 – 696 m. Nachw. – Richtig zu dieser historischen Fehlentwicklung auch Küper (Fn. 19), S. 32 ff.; Meurer (Fn. 157), S. 252 ff.; Fezer (Fn. 156), S. 96 f., 100; C.F. Stuckenberg, KMR-Kommentar zur StPO, Stand 2003, § 261 Rn. 18. 160 Zutr. C. Schmitt, Gesetz und Urteil, 2. Aufl. 1969, S. 98: „Welche psychischen Faktoren im Richter wirksam sind, ist ein Problem, das die Psychologen angeht; ein Kriterium der Richtigkeit kann keine psychologische Analyse liefern“. 161 BVerfG, a.a.O. in Fn. 12; BGH StV 1988, 190; 1990, 439 u. 535 f.; 1991, 452; 1993, 510 f.; NJW 1992, 921, 923; BayObLG NStZ-RR 1996, 312; Stuckenberg (Fn. 159), § 261 Rn. 27 m. w. Nachw. 162 Hoyer (Fn. 60), S. 543 erkennt dieses bei 96 % (!). 163 Verf. (Fn. 6), S. 692 – 694. 164 Verf. (Fn. 6), S. 688 f., 697; erg. unten III. 2. b) mit Fn. 166. 165 Verf. (Fn. 6), S. 696. 166 Verf. (Fn. 6), S. 696 f. und (Fn. 38), S. 707 f. Eingehend Verf., Bedingungen rechtswissenschaftlicher Begriffsbildung, in: FS F. W. Krause, 1990, S. 53, 68 – 71. 167 „Verwirklichung materiellen Strafrechts“ ist nicht Prozeßaufgabe (ausführlich Verf. [Fn. 38], S. 689 – 697). Im Kern richtig bereits v. Weber (Fn. 48), S. 564: Die „empirische Wahrheit“ (!) sei als „Wahrheit des Verstandes … nur ein Wissen um das Werden des Wissens, kein Wissen um dessen Gegenstand“ (Hervorhebungen im Original). 168 Siehe oben I. mit Fn. 11, 12 sowie das Zitat Glasers in Fn. 145. 169 Verf. (Fn. 38), S. 708 und (Fn. 166), S. 72 – 76. Zu den rechtsinhaltlich geforderten Begründungskriterien vgl. oben I. mit Fn. 8 – 14. 170 Eingehend Verf. (Fn. 6), S. 705 – 718; vgl. schon eingangs I. mit Fn. 7. Daher mit Blick allein auf § 267 I 2 StPO unrichtig BGHSt 12, 311, 315, (und die ganz h.M.), „daß der Strafrichter verfahrensrechtlich nicht verpflichtet ist, die für seine Überzeugungsbildung verwerteten Beweisanzeichen im Urteil anzuführen“. Zur „Verfahrensrüge“ der Verletzung des § 261 StPO näher Verf. (Fn. 8), § 244 Rn. 38 – 40 und (Fn. 6), S. 702 f., 711 f.; zutr. auch Schmitt (Fn. 3), S. 496 – 499, 502 – 504.

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im Grunde Stand strafprozessualer Erkenntnis schon vor 150 Jahren171, der nun wieder zu nähern und dort neu anzusetzen mir aufgegeben erschien: „Historia vero … lux veritatis, … magistra vitae …“172.

171 172

Vgl. auch Fezer (Fn. 156), S. 101. M. T. Cicero, De oratore, 2, 36.

Gerichtsüberzeugung als Prozesshandlungsvoraussetzung* I. 1. Gerichte sind „an Gesetz und Recht gebunden“ (Art. 20 III GG: Gesetzlichkeitsprinzip). Zweifel in Rechtsfragen (Normauslegung und -anwendung) gelten im (Straf-)Prozess als stets überwindbar durch geforderte Rechts-Überzeugungen. Ein non liquet im Untersatz des Subsumtionssyllogismus bei – streng- oder/und freibeweislicher – „Erforschung der Wahrheit“ (§ 244 II StPO) dagegen darf und muss Gerichts-Überzeugung (§ 261 StPO) hindern. Dann soll als Entscheidungsmaxime der „Grundsatz“1 in dubio pro reo (= idpr) – ein eigenständiger2 „Rechtssatz“3 des Gewohnheitsrechts,4 „einer der wichtigsten Grundsätze des Strafrechtes“,5 ja ein „rechtsstaatlicher Fundamentalsatz“6 von Verfassungsrang,7 „gesichert und un*

Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Hendrik Schneider u. a. (Hrsg.), Festschrift für Manfred Seebode. Verlag Duncker & Humblot GmbH, Berlin 2008, S. 277 – 295. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 BGHSt 22, 154 (156); 47, 311 (313); BayVerfGH MDR 1966, 477; W. Stree, In dubio pro reo, 1962, S. 5, 57; D. Mann/U. Mann, Die Anwendbarkeit des Grundsatzes „in dubio pro reo“ auf Prozessvoraussetzungen, ZStW 76 (1964), 264 ff. (passim); W. Frisch, Zum Wesen des Grundsatzes „in dubio pro reo“, in: FS H. Henkel, 1974, S. 273 ff. (passim); LR-StPO (24. Aufl. 1987)-K. Schäfer, Einl. Kap. 11 Rn. 38; G. Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. 1995, Fall 19 Rn. 39; H.-H. Kühne, Strafprozeßrecht, 5. Aufl. 1999, Rn. 955; U. Kindhäuser, Strafprozessrecht, 2006, § 23 Rn. 65; W. Beulke, Strafprozessrecht, 9. Aufl. 2006, Rn. 25; L. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. 2007, § 261 Rn. 26. 2 T. Walter, Die Beweislast im Strafprozeß, JZ 2006, 340: Der In-dubio-Satz „kann und muß heute auf eigenen Beinen stehen“. 3 BVerfG DAR 1983, 208; Stree (Fn. 1), S. 19 Anm. 19; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, Teil I, 2. Aufl. 1964, Rn. 376; KMR-(StPO)-C.-F. Stuckenberg, § 261 Rn. 74; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 26. 4 OLG Hamm NJW 1951, 286; K. Moser, Die geschichtliche Entwicklung des Satzes In dubio pro reo und seine Bedeutung im heutigen Strafrecht, 1933, S. 78, 95 f.; J. Zopfs, Der Grundsatz „in dubio pro reo“, 1999, S. 328 ff, 378; C. Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. 1998, § 15 Rn. 31 („unstreitig“); U. Weber, in: J. Baumann/U. Weber/W. Mitsch, Strafrecht, Allg. Teil, 11. Aufl. 2003, § 9 Rn. 107; K. Volk, Grundkurs StPO, 5. Aufl. 2006, § 18 Rn. 17; V. Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 2, 2007, Rn. 1037 („Rang von Verfassungsgewohnheitsrecht“). 5 H. Henkel, Strafverfahrensrecht, 2. Aufl. 1968, S. 406. 6 OGHSt 1, 243; Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 33; LR-StPO(24. Aufl. 1987 ff.)-W. Gollwitzer, § 261 Rn. 103; U. Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 4. Aufl. 2002, Rn. 116; KK-StPO (5. Aufl. 2003)-A. Schoreit, § 261 Rn. 56.

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anfechtbar … im Prinzip“,8 „den ganzen Strafprozess beherrschend“9 – gelten: in der (materiell-rechtlichen) Schuld- und Rechtsfolgenfrage immer, für Verfahrensvoraussetzungen (bzw. -hindernisse) in der Regel oder jedenfalls im Ergebnis, bei (sonstigen) Prozesshandlungen jedoch grundsätzlich nicht.10 2. Jedoch ist dem Strafverfahrensrecht ein solcher Grundsatz – trotz aller ihn überhöhenden Epitheta ornatia – fremd, das Kriterium „pro reo“ entscheidungsuntauglich, der Satz eine Leerformel,11 die nichts leistet und viel schadet. „Recht sprechen“ muss das Gericht vielmehr auch in non-liquet-Situationen ausnahmslos am Maßstab rechtsrichtiger Überzeugung von den Bedingungen ordnungsgemäßen Prozesshandelns, dem einheitlichen Lösungsprinzip dafür, ob rechtsinhaltlichen Voraussetzungen gemäß die Entscheidung eine Rechtsfolge „pro reo“ begründet oder nicht.12 Maxime dafür und „rechtsstaatlich fundamentaler“ Rechtsgrund ist das (prozessuale) Gesetzlichkeitsprinzip.

II. Manfred Seebode hat bereits in seiner Würzburger Dissertation13 „Das Verbrechen der Rechtsbeugung (§ 336 StGB)“, 1968, den (bedingten) Rechtsbeugungsvorsatz verneint, falls, wie heute (zu § 339 StGB) anerkannt, der Richter, obwohl Fehlerkorrektur in höherer Instanz als möglich sehend, „das Recht nach bester eigener Überzeugung … auslegt“ und auf die „Rechtsmässigkeit seiner Entscheidung vertraut“, sie „für richtig hält“.14 Scheinbar nichts Entsprechendes kennt das Verfahrensrecht, dem subjektive Kriterien wie Vorsatz oder Schuld in der Bewertung prozessualen Verhaltens fremd sind. Muss gleichwohl das Gericht auch – quasi i.S. eines subjektiven Rechtfertigungselements – „überzeugt“ sein, die sein Prozesshandeln legitimierenden Verfahrensnormen ordnungsgemäß zu konkretisieren? Oder zählt – als

7 BVerfGE 22, 265; 84, 82 (87); BayVerfGH NJW 1983, 1600 (1602); B. Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß, 1992, S. 208; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 74. 8 Stree (Fn. 1), S. 5; P. Holtappels, Die Entwicklungsgeschichte des Grundsatzes „in dubio pro reo“, 1965, S. 97. 9 C. Seibert, In dubio pro reo, DRZ 1949, 557; KMR-StPO(4. Aufl. 1958)-Th. Kleinknecht, 1 f (3) vor § 48. 10 Zum Ganzen unten III. 2. mit Fn. 99 – 141. 11 Vgl. auch A. Montenbruck, In dubio pro reo aus normtheoretischer, straf- und strafverfahrensrechtlicher Sicht, 1985, S. 63 ff. („Berechtigung als ,vulgärrechtliche‘ Formel mit sozialpsychologischem Hintergrund“). 12 W. Sax, Zur Anwendbarkeit des Satzes „in dubio pro reo“ im strafprozessualen Bereich, in: FS U. Stock, 1966, S. 143 (165 f.); Verf., Erl. zu § 244 StPO (Stand: 1981), in: KMR-StPO (47. Lfg. 2007), § 244 Rn. 288; B. Lehmann, Die Behandlung des zweifelhaften Verfahrensverstoßes im Strafprozeß, 1983, S. 85. 13 Verfasst zu gemeinsamer Assistentenzeit: Er bei Günter Spendel, ich bei Walter Sax. 14 S. 140 f.

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gültig, wirksam, beachtlich, zulässig, begründet – allein das dem „Gesetz und Recht“ gemäße, „moralinfreie“15 Ergebnis? 1. Prozesshandlungen konkretisieren Prozessrechtsnormen16 in syllogistischer Entscheidungsform: Obersatz ist das Gesetz, Untersatz der hierfür relevante Sachverhalt, subsumtive Conclusio eben die Prozesshandlung. Bleibt jener Sachverhalt unklärbar zweifelhaft,17 kann nicht dieses non liquet im Faktischen eine rechtliche (Prozesshandlungs-)Folge18 begründen, sondern nur ein normativer Obersatz. Welcher aber – der bei feststehendem Untersatz an sich einschlägige oder ein notwendig anderer19 – dann eingreift, regelt das Prozessrecht formal-explizit für Obersätze nur des materiellen Strafrechts (Verurteilung oder Freispruch: §§ 260 I; 261; 267 I, IV StPO),20 nicht auch des Verfahrensrechts:21 Dies zu entscheiden bedarf es eines übergeordneten rechtsinhaltlichen Kriteriums,22 das „dem Richter eine Weisung gibt, wie er zu entscheiden habe, wo er eine rechtlich erhebliche Tatsache mit Sicherheit weder bejahen, noch verneinen kann, einen Rechtssatz, nach dem sich, einerlei, ob der Entscheidungsinhalt objektiv das Richtige trifft oder nicht, wenigstens die Rechtgemäßheit des richterlichen Verhaltens als solchem bestimmt“.23 2. Nun ist als Rechtsgrund begriffene „Entscheidungsregel“24 für den Richter, wie er – nach erfüllter Aufklärungspflicht und abgeschlossener Beweiswürdigung25 – „zu 15

J. Goldschmidt, Der Prozeß als Rechtslage, 1925, S. 292. Verf. Beweisverbote als Prozesshandlungshindernisse, in: GS K. Meyer, 1990, S. 309 (316 ff.) m. krit. Würdigung (S. 310 ff.) herkömmlicher Definitionsversuche. 17 Z. B. §§ 314, 341 StPO: Rechtsmittel rechtzeitig oder verspätet eingelegt? 18 Zu Fn. 17: Pro reo/appellante (= Fortsetzung des Verfahrens) oder contra reum/appelantem (= Verwerfung des Rechtsmittels als unzulässig)? 19 Im Beispielsfall (Fn. 17, 18; vgl. auch LR-Schäfer [Fn. 1], Einl. Kap. 11 Rn. 47, 48): Rechtsmittel im Zweifel zulässig, da Verwerfung nur, wenn Verspätung feststeht (§§ 319 I, 3221; 346 I, 349 I StPO), oder Rechtsmittel im Zweifel unzulässig, da Rechtskrafteintritt nur gehemmt, falls Rechtzeitigkeit erwiesen (§§ 316 I; 343 I StPO)? 20 Sax (Fn. 12), S. 164 f.; aM: Frisch (Fn. 1), S. 279 f. 21 Z. B. §§ 206a, 260 III StPO (Zweifel, ob ein Verfahrenshindernis [= fehlende Prozessvoraussetzung] „sich herausstellt“ bzw. „besteht“): Unzulässigkeit der Einstellung, weil Prozesshindernis, oder des (weiteren) Verfahrens, weil Prozessvoraussetzung nicht feststeht? So unterscheidet etwa Sax (Fn. 12), S. 166, 168 f. sowie in KMR-StPO (6. Aufl. 1966), 1 f (3) cc (2) (a) und (b) vor § 48, zwischen prozessualen Gegebenheiten, die erst bei zweifelsfreiem Feststehen der sie begründenden Tatsachen wirksam werden (d. h. Verfahren unzulässig, wenn zweifelhaft, ob z. B. ein Strafantrag gestellt oder die Sache schon rechtskräftig erledigt ist), und solchen, deren Wirksamkeit nur dann entfällt, falls die fraglichen Tatsachen zweifelsfrei nicht bestehen (d. h. in dubio Verfahren zulässig, wenn etwa der Eintritt der Verjährung oder der Amnestie in tatsächlicher Hinsicht unaufklärbar ist). Hierzu und zum Ganzen unten III. 2. a) mit Fn. 100 – 102. 22 Sax (Fn. 12), S. 162, 164 f. 23 E. Beling, Deutsches Reichsstrafprozessrecht, 1928, S. 238 f. (Hervorhebung im Original). 24 BGHSt 49, 112 (122); OLG Jena VRS 107, 200; E. Beling, Anm zu RG JW 1931, 1578, aaO S. 1579; Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 373; A. Michael, Der Grundsatz in dubio pro reo im 16

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verfahren hat, wenn er sich … keine Gewißheit verschaffen kann“,26 weitgehend und dominant im Angebot: In dubio seien pro reo auf die ihm „günstigste Rechtsfolge“ zu erkennen27 und dazu der sie tragende Sachverhalt „festzustellen“, „zu unterstellen“, „zugrunde zu legen“, „anzunehmen“, „als wahr zu behandeln“.28 Dem ist zu widersprechen: a) Ein Gebot der günstigsten Rechtsfolge wäre befolgbar ohnehin nur im Bereich der materiell-rechtlichen Strafnormen: Schrieb in der non-liquet-Situation fehlenden Vollbeweises der Schuld und Unschuld der gemeinrechtliche Inquisitionsprozess – ne crimina remaneant impunita – noch Rechtsfolgen vor wie poena extraordinaria, absolutio (nur) ab instantia, Reinigungseid vor, so begründet fehlende Überzeugung (§ 261 StPO) vom „Untersatz“ eines Strafrechtssyllogismus im heutigen Amtsprozess in Anklageform – actore (resp. judice) non probante, reus absolvitur – ohne Weiteres die Freispruchsfolge.29 Strafverfahrensrecht, 1981, S.20; Lehmann (Fn. 12), S. 85; Frisch (Fn. 1), S.281, 283; M. Alsberg/K.-H. Nüse/K. Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 6. Aufl. 1995, S. 664; SKStPO-E. Schlüchter, § 261 Rn. 69; LR-StPO(25. Aufl. 1999)-P. Rieß, Einl. Abschn. H Rn. 46; LR-Gollwitzer (Fn. 6), § 261 Rn. 103; Zopfs (Fn. 4), S. 307, 328 ff; O. Ranft, Strafprozessrecht, 3. Aufl. 2005, Rn. 1639; Kindhäuser (Fn. 1), § 23 Rn. 67 u. 69; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 26. 25 BGH NJW 1978, 114; NStZ 1999, 205; 2001, 609; 2002, 656; NStZ-RR 2005, 209; Beling (Fn. 24), S. 1579; Moser (Fn. 4), S. 46, 111; Sax (Fn. 12), S. 165; Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 373; Frisch (Fn. 1), S. 275; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 244 Rn. 35; K. Volk, In dubio pro reo und Alibibeweis – BGHSt 25, 285, JuS 1975, 25 (27); Fezer (Fn. 1), Fall 12 Rn. 183; LRGollwitzer (Fn. 6), § 261 Rn. 40, 63, 103; Eisenberg (Fn. 6), Rn. 116; Zopfs (Fn. 4), S. 274 mwN in Fn. 51; H. H. Lesch, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2001, Kap. 2 Rn. 250; Kindhäuser (Fn. 1), § 23 Rn. 67; Ranft (Fn. 24), Rn. 1639; Krey (Fn. 4), Rn. 1036; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 26. 26 BVerfG (Kammer) NStZ 1988, 477. 27 BGH StV 1994, 115; 2001, 666; OLG Köln NJW 1953, 157; Frisch (Fn. 1), S. 283, 285; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 69; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 76; Kindhäuser (Fn. 1), § 23 Rn. 65; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 26; BayVerfGH NJW 1963, 1600 (1602: idpr „besagt, daß … der … nicht behebbare Zweifel im Tatsächlichen den Ausschlag zugunsten des Angeklagten geben muß“). 28 In diesem Sinn RGSt 48, 308; 70, 1 (3); BGHSt 19, 36; 47, 311 (313: „davon auszugehen“); BGH NStZ 1982, 433; 1984, 408; 1988, 450; 1994, 432 (433); 1996, 328; 2001, 609; StV 1995, 509; BGHR StGB § 21 „Voraussetzungen 1“, StPO § 261 „in dubio pro reo 1 – 3“, BtMG § 29 „Strafklageverbrauch 6“; Seibert (Fn. 9), S. 557; K. Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. 1985, S. 287 f.; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 69. – Vgl. insoweit schon früher: J. Vargha, Die Verteidigung in Strafsachen, 1879, S. 462 f.; J. Glaser, Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozess, 1883, S. 86 f.: „Der Richter handelt … so, als wäre das Gegentheil derselben (scil: der zweifelhaft gebliebenen belastenden Tatsache) erwiesen“ (ebenso A. v. Kries Lehrbuch des Deutschen Strafprozessrechts, 1892, S. 341: es werde „so entschieden, als ob ihr Gegenteil feststünde“). – Dagegen zutr. Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 373; H. Peters, „In dubio pro reo“ als geltender Rechtssatz des materiellen Strafrechts, 1964, S. 8; Schmitt (Fn. 7), S. 208; E. Graul, Abstrakte Gefährdungsdelikte und Präsumtionen im Strafrecht, 1991, S. 269 ff.; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 76. 29 Oben II. 1. mit Fn. 20. Keine Ausnahme (sondern allenfalls ein Problem aus Art. 103 II GG, § 1 StGB) ist die Verurteilung bei wahldeutiger Tatsachengrundlage etwa zu § 242 und

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Für verfahrensrechtliche Obersätze30 dagegen versagt eine Regel pro reo, weil hier angesichts der Ambivalenz prozessualer Zweifelslagen31 ex ante häufig offen ist, ob und ggf. wie weit die Entscheidung (materiell-rechtlich) sich zugunsten des Beschuldigten auswirkt: Eine Verfahrenseinstellung wegen in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft gebliebener Prozessvoraussetzung32 pro reo nur dann, falls der Beschuldigte dadurch einer drohenden Verurteilung entginge, nicht aber, wenn ihm hierdurch versagt bliebe, gerichtlich seine Unschuld feststellen zu lassen oder auch nur einen Freispruch mangels Tatnachweises zu erwirken.33 Nicht anders liegt es bei sonstigen Prozesshandlungen,34 vor allem zweifelhaft gebliebenen Verfahrensfehlern im Laufe gerichtlicher Wahrheitsfindung: Auch insoweit ist eine Vorabentscheidung, ob sie zu bestimmten Beweisverfahrensergebnissen führen und welche Bedeutung diese letztlich im Rahmen der Gesamtwürdigung nach § 261 StPO haben werden, nicht selten unmöglich.35 Dass die Zweifelslösung nicht vom späteren Prozessausgang abhängen darf oder kann,36 ist offensichtlich.

§ 259 StGB, weil das Gericht überzeugt ist, dass der Angeklagte des Diebstahls oder der Hehlerei schuldig sei. 30 Hierzu genügte Beling (Fn. 23), S. 239 Anm. 1, noch die lapidare Feststellung: „Doch lösen sich Zweifel außerhalb des Bereichs der Sachurteilsvoraussetzungen meist ohne Schwierigkeit“ (exemplifiziert am Fall des § 8 StPO). Auch für die frühere Rspr. (z. B. RGSt 52, 319; 65, 250 [255]; RG JW 1931, 1578 m. abl. Anm. Beling) hatte der idpr-Satz im prozessualen Feld schon „wesensgemäß keinen Platz“ (BGH [b. Herlan] MDR 1955, 527; vgl. auch OGHSt 1, 203 [207 f.] =NJW 1949, 566 m. abl. Anm. Reinicke). 31 Moser (Fn. 4), S. 103 f.; Sax (Fn. 12), S. 167; H.-E. Sulanke, Die Entscheidung bei Zweifeln über das Vorhandensein von Prozeßvoraussetzungen und Prozeßhindernissen im Strafverfahren, 1974, S. 78 ff., 80; Lehmann (Fn. 12), S. 88 ff.; Frisch (Fn. 1), S. 285; Kühne (Fn. 1), Rn. 965; LR-Rieß (Fn. 24), § 206a Rn. 30; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 141. 32 Hierzu näher unten III. 2. a) mit Fn. 100 – 102. 33 Sax (Fn. 21), 1 f (3) cc (2) vor § 48; Sulanke (Fn. 31), S. 83 f.; Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 300; T. Noack, Tatsächlich unklare Sachverhalte im Strafrecht (etc.), Jura 2004, 539 (540). – Letztere Mittel(Verfahren)-Zweck(Freispruch)-Relation bleibt unbeachtet im Argument, der Zweifelssatz legitimiere bereits prozessuale Beschwer insofern, als die Verfahrensnorm (Prozessvoraussetzung) den Angeklagten notwendig und unmittelbar „belastend“, „diskreditierend“, „stigmatisierend“ in seinen Rechtspositionen beeinträchtige („negative Statusveränderung“) durch Einleitung und Fortführung des Strafverfahrens (so Zopfs [Fn. 4] S. 270 ff., 308 ff., 334, 345, 351 ff., 381; weithin zust. Walter [Fn. 2] S. 348, 349). Noch weniger überzeugt, dass dies selbst dann, weil staatlich letztlich veranlasst, noch gelte (Zopfs, aaO S. 358 – 360), falls der Prozess fortgesetzt wird auf Rechtsmittel bzw. Einspruch des Angeklagten hin (er bezweckt damit doch eine „positive Statusveränderung“!). 34 Dazu im Einzelnen unten III. 2. c) mit Fn. 126 – 142. 35 Verfehlter Einwand hiergegen bei Zopfs (Fn. 4), S. 373, dies wisse der Vorsitzende (Schöffen?) aus den Akten i. d. R. sehr wohl (Stichwort „Beweisantizipationsverbot“?). 36 Sax (Fn. 12), S. 167; Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 300. – Unrichtig Zopfs (Fn. 4), S. 373, das Gericht habe über einen etwaigen Verfahrensfehler erst nach Urteilsberatung zu entscheiden (richtigerweise: über ihre Zulässigkeit schon bei Vornahme der Prozesshandlung!).

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Somit kann jedenfalls im prozessualen Bereich der Angeklagte überhaupt nicht Bezugspunkt entsprechender prozessualer Erwägungen,37 die Antwort „idpr“ nur Resultat falsch gestellter Frage sein.38 Soll aber der idpr-Satz hier nur „grundsätzlich“39 oder fallbezogen „eingeschränkt“40 bzw. nicht „schablonenhaft“41 anwendbar sein, ist er als eigenständiges Rechtsprinzip aufgegeben,42 weil in Wahrheit davon externe Kriterien entscheiden, ob eine pro-reo-Wirkung eintritt oder nicht, und es wäre kreisschlüssig-denkfehlerhaft, eine nur mögliche, nicht stets notwendige Rechtsfolge als „Grundsatz“ zu etablieren und daraus wiederum Rechtsfolgen abzuleiten.43 Gleiches gilt schließlich der Auffassung, bei zweifelhaftem Untersatz einer Prozessvoraussetzungsnorm gelte der idpr-“Grundsatz“44 sogar uneingeschränkt;45 denn das hier regelmäßige Ergebnis der Verfahrenseinstellung beruht auf anderen rechtsinhaltlichen Gründen,46 und die pragmatische Erwägung, es sei dann „ohne praktische Bedeutung, ob … von der Funktion der Prozessvoraussetzung als Bedingung für die Zulässigkeit eines Sachurteils oder von der Anwendung des Zweifelssatzes ausgegangen wird“,47 wäre rechtsdogmatische Kapitulation, jedenfalls aber, revisionsrechtlich (§ 337 StPO) gesprochen, ein Rechtsfehler, auf dem die Entscheidung lediglich nicht „beruhen“ würde.

37 Sax (Fn. 21), l f (3) cc (2) vor § 48. Daher sei gemäß verbreiteter Meinung der idpr„Grundsatz“ auf das materielle Recht zu beschränken: W. Sarstedt, Anm. zu KG JR 1954, 470, aaO S. 471; H. Peters (Fn. 28), S. 101; Henkel (Fn. 5), S. 352 f.; Lehmann (Fn. 12), S. 83 ff.; LR-StPO (25. Aufl. 1997 ff.)-E.-W. Hanack, § 337 Rn. 14, 26; Fezer (Fn. 1), Fall 9 Rn. 165; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 141; Noack (Fn. 33), S. 540; KK-Schoreit (Fn. 6), § 261 Rn. 62; Kühne (Fn. 1), Rn. 965; Krey (Fn. 4), Rn. 1039; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 34, 35. 38 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 300. 39 Kleinknecht (Fn. 9), 1 f (3) ee vor § 48. 40 Stree (Fn. 1), S. 8. 41 BGHSt 18, 274 (277) = JZ 1963, 605 m. Anm. Eb. Schmidt = MDR 1963, 855 m. Anm. Dreher. 42 Sax (Fn. 12), S. 144, 161. 43 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 288; Frisch (Fn. 1), S. 285. 44 Insoweit zumeist verortet unmittelbar im Rechtsstaatsprinzip (dazu unten II. 2. c) cc) mit Fn. 73 – 76). 45 W. Niese, Prozeßvoraussetzungen und -hindernisse und ihre Feststellung im Strafprozeß, DRZ 1949, 505 (507); Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 198; Mann/Mann (Fn. 1), S. 276 f.; Henkel (Fn. 5), S. 353; K. H. Gössel, Strafverfahrensrecht, 1977, § 15 B II; LR-Schäfer (Fn. 1), Einl. Kap. H Rn. 38, 52; Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 38; SKStPO-H. U. Paeffgen, § 206a Rn. 19; SKSchlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 83; Zopfs (Fn. 4), S. 351 ff., 381 f.; AKStPO-F. Loos, § 206a Rn. 25; Ranft (Fn. 24), Rn. 1103; Weber (Fn. 4), § 9 Rn. 14 („wenigstens analoge Geltung“); Volk (Fn. 4), § 14 Rn. 10; SK-Frisch (Fn. 24), § 337 Rn. 50. 46 Dazu unten III. 1. c) aa) mit Fn. 96 – 98. 47 BGHSt 46, 349 (352). Dogmatische Klarheit anmahnend auch L. Meyer-Goßner, Zweifelssatz und Verschlechterungsverbot, in: FS H. Jung, 2007, S. 543 (546 f.).

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b) Dass in dubio der günstigste Alternativsachverhalt pro reo (positiv) zumindest zu fingieren sei,48 wäre selbst bei Geltung des Zweifelssatzes keine Bedingung „günstiger“ Rechtsfolge: Es genügte die (negative) Feststellung, dass der Untersatz der „ungünstigen“ Norm nicht erwiesen ist.49 c) Verwirrend-vielstimmig wie zum Anwendungsbereich des idpr-Satzes sind auch die Stellungnahmen zu einem ihm Rechtssubstanz verleihenden Geltungsgrund.50 Keine davon überzeugt: aa) Idpr ist keine dem Beweis immanente, sein Resultat bestimmende Beweisoder Beweiswürdigungsregel51 Auch keine ergebnisbezogene Beweislastregel,52 weder i.S. „formeller“, die „auch mit den Grundsätzen des Strafverfahrens unvereinbar wäre“,53 noch „materieller“54 Beweislast,55 weil die rechtsrichtige Entscheidung,

48 Oben II. 2. vor a) mit Fn. 24 – 28: Wohl (unangesprochenes) Relikt (vgl. auch Volk [Fn. 25], S. 26) überwundener Einschätzungen, der idpr-Satz sei „eine von der Wissenschaft aufgestellte“ (RGSt 52, 319) Beweisregel (RGSt 65, 250 [255]; RG JW 1924, 1784; 1931, 1578 f. m. abl. Anm. Beling; BGHSt 9, 390 [395]; 18, 274 [276]; 23, 203 [207: „Beweis- oder Verfahrensregel“]; w. Nachw. bei Graul [Fn. 28], S. 268 Fn. 192) oder Beweiswürdigungsregel (Stree [Fn. 1], S. 56; BayVerfGH NJW 1983, 1600 [1602: „beherrscht die Beweiswürdigung“ als „Ergänzung der Regeln über die richterliche Meinungsbildung im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 261 StPO“]). – Da die hM hierbei einen Sachverhalt nur „fingiert“, ist allerdings der Einwand (z. B. Frisch [Fn. 1], S. 375 ff.; Verf. [Fn. 12], § 244 Rn. 291; Schmitt [Fn. 7], S. 208; Graul [Fn. 28], S. 267 ff.; Zopfs [Fn. 4], S. 208) unbegründet, dies könne zu einander sich widersprechenden Urteils-„Feststellungen“ führen. 49 BVerfG MDR 1975, 468 (469); Moser (Fn. 4), S. 46 f.; Frisch (Fn. 1), S. 275 f.; Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 291; Montenbruck (Fn. 11), S. 42; Volk (Fn. 4), § 18 Rn. 19; i. E. auch Zopfs (Fn. 4), S. 309, 327. Vgl. bereits Beling (Fn. 23), S. 239: „Es steht somit der Nichtbeweis der Strafbarkeit dem Beweis der Nichtstrafbarkeit gleich“. Erg. unten Fn. 81. – Beispiel: Tatzeit: 12.00 Uhr – Blutentnahmezeitpunkt: 22.00 Uhr (BAK: 1,0 %) – Rückrechnung (zur Methode vgl. Th. Fischer, StGB, 55. Aufl. 2008, § 20 Rn. 13, § 316 Rn. 19): Tatzeit-BAK mindestens 1,8 %, maximal 3,20 %. Obgleich beide Werte die reale Tatzeit-BAK sogar überwiegend wahrscheinlich verfehlen, ist zweifelsfrei bewiesen nur absolute Fahruntüchtigkeit (§ 316 StGB) und ebenso zweifelsfrei nicht bewiesen die (überzeugungssichere Feststellung einer BAK von weniger als ca. 3,00 % voraussetzende) Schuldfähigkeit (§ 20 StGB): Wo kein dubium, da keine „Entscheidungsregel“ pro reo. 50 Rechtshistorisch zum idpr-Satz ausführlich Moser (Fn. 4), S. 16 – 30; Holtappels (Fn. 8), S. 1 – 95; Sax (Fn. 12), S. 146 – 161; Zopfs (Fn. 4), S. 107 – 261. 51 Oben Fn. 48 i.V.m. oben II. 2. vor a) mit Fn. 25. 52 So aber J. Glaser, Handbuch des Strafprozesses, Bd. I, 1883, S. 364 f.; ders. (Fn. 28), S. 88; E. Ullmann, Lehrbuch des Deutschen Strafprocessrechts, 1893, S. 332 f.; v. Kries (Fn. 28), S. 341 f.; E.-H. Rosenfeld, Der Reichs-Strafprozeß, 4./5. Aufl. 1912, S. 158; H. Gerland, Der Deutsche Strafprozess, 1927, S. 188 f.; A. Graf zu Dohna, Das Strafprozessrecht, 3. Aufl. 1929, S. 98 f.; Beling (Fn. 23), S. 320 f. und (Fn. 24), S. 1579; Moser (Fn. 4), S. 106; R. v. Hippel, Der deutsche Strafprozess, 1941, S. 384; D. Leipold, Beweislastregeln und gesetzliche Vermutungen (etc.), 1966, S. 129; Graul (Fn. 28), S. 267; J. Bock, Begriff, Inhalt und Zulässigkeit der Beweislastumkehr im materiellen Strafrecht, 2001, S. 39 ff., 59 ff.; Weber (Fn. 4), § 9 Rn. 129; Volk (Fn. 25), S. 26 f. 53 RGSt 57, 213; 58, 293.

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gleichgültig, mit welcher Rechtsfolge, dem Gericht (oder der StA) niemals „nachteilig“ sein kann.56 Fremd wäre dem Strafverfahren auch eine (materielle) Beweislast des Beschuldigten57 etwa für Ausnahmen vom „gewöhnlichen Lauf der Dinge“58 bzw. „Regelgang der Strafrechtspflege“.59 Zwar oblag noch im „reformierten Strafprozeß“ des 19. Jahrhunderts (gegenüber dem Gericht) der Anklagebehörde der „Anschuldigungs-“, dem Angeklagten der „Entschuldigungsbeweis“.60 Doch war Letz54 Verstanden als „die Rechtslage, die sich für die Partei daraus ergibt, daß die Nichtfeststellung ihr zum Nachteil gereicht“ (Goldschmidt [Fn. 15], S. 340 f.); v. Hippel (Fn. 52), S. 384: „Wenn mangels oder trotz erfolgter Beweiserhebung rechtlich erhebliche Tatsachen zweifelhaft bleiben, welche Partei hat dann praktisch den Nachteil davon?“. 55 Abl. auch M. Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 1930, S. 8 f.; Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 366 – 370; H. Peters (Fn. 28), S. 62 – 66; Sax (Fn. 12), S. 164; Frisch (Fn. 1), S. 278; Henkel (Fn. 5), S. 102 f.; Sulanke (Fn. 31), S. 70; Lehmann (Fn. 12), S. 70 – 73. 56 Im Ergebnis auch KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 72; Volk (Fn. 4), § 18 Rn. 18. 57 Abl. bereits H. A. Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses, 2. Bd., 1868, S. 415. 58 Sog. Interimswahrheiten (Ullmann [Fn. 52], S. 331 f.; v. Kries [Fn. 28], S. 337): Es „ist fast unvermeidlich, dass sie dasjenige, was dem natürlichen Verlaufe der Dinge entspricht, einstweilen voraussetzen, als ,Interimswahrheit‘ gelten lassen, so lange nicht Gründe hervortreten, welche einen Zweifel dagegen anregen“; rein „abstracte Möglichkeiten“ seien unerheblich, und ein Beweis erst nötig, „sobald concrete Umstände darauf hindeuten, dass jene abstracte Möglichkeit im vorliegenden Falle verwirklicht sein könnte“ (Glaser [Fn. 52], S. 359 f.); erg. unten Fn. 61. 59 Anders ältere Auffassungen für „prozessuale Einreden“ (Glaser [Fn. 28], S. 90 und [Fn. 52], S. 364; Ullmann [Fn. 52], S. 333; v. Kries [28], S. 342), wie z. B. Prozesshindernissen allgemein (OGHSt 1, 203 [207] = NJW 1949, 556 m. abl. Anm. Reinicke; 1, 337; 2, 126; O. Schwarz, Grundgesetz in der strafrechtlichen Praxis, NJW 1950, 124 [125]), speziell Verfolgungsverjährung (BGH [b. Herlan] MDR 1955, 527; GA 1963, 127; OLG Düsseldorf NJW 1957, 1485), Verjährungsunterbrechung (OLG Hamm JMBl NRW 1963, 135), Begnadigung (Glaser [Fn. 28], S. 94 Anm. 54), res judicata (OGHSt 1, 207; OLG Hamm NJW 1960, 1784), Verhandlungsunfähigkeit des Angeklagten (BGH [b. Dallinger] MDR 1973, 902), Amnestie (RGSt 53, 324; 56, 49 [50 f.]; 66, 76 [78]; 71, 259 [263]; RG JW 1934, 2560; 1935, 3397; 1937, 2446; 1938, 2736; BGH 3 StR 427/52 v. 19. 2. 1953 bei Zopfs [Fn. 4], S. 28; BGH JZ 1951, 655; NJW 1952, 633 [634]; JR 1954, 351 m. Anm. Nüse; [b. Herlan] MDR 1955, 527 u. GA 1956, 350 [351]; v. Hippel [Fn. 52], S. 386; erg. unten III. 2. c) mit Fn. 122 – 124). – Ebenso bei (insbes. in der Revision gerügten) Verfahrensfehlern (näher unten III. 2. c) bb) mit Fn. 143), da zu vermuten sei, „daß ordnungsgemäß verfahren worden ist“ (BGH 5 StR 115/55 v. 8. 7. 1955 bei Kleinknecht [Fn. 9], 1 f (3) vor § 48); diese Präsumtion müsse (positiv) widerlegt (BGHSt 16, 164 [167]; Stree [Fn. 1], S. 78 ff.; H. Koeniger, Die Hauptverhandlung in Strafsachen, 1966, S.522 f; Th. Kleinknecht, StPO, 35. Aufl. 1981, § 261 Rn. 35; LR-Gollwitzer [Fn. 6], § 261 Rn. 133; P. Löffeler, „In dubio pro reo“ – einheitliche Antwort auf alle Zweifelfragen?, JA 1987, 77 [84]; Kindhäuser [Fn. 1], § 31 Rn. 27; Beulke [Fn. 1], Rn. 564), zumindest (in Fällen zumeist des § 136a StPO) „ernsthaft erschüttert“ werden (Peters [Fn. 28], S. 339; Michael [Fn. 24], S. 154; Fezer [Fn. 1], Fall 3 Rn. 39; LR-Hanack [Fn. 37], § 136a Rn. 69 u. § 337 Rn. 76; SK-Schlüchter [Fn. 24], § 261 Rn. 80; Roxin [Fn. 4], § 15 Rn. 32; Kühne [Fn. 1], Rn. 575; Eisenberg [Fn. 6], Rn. 209; Beulke [Fn. 1], Rn. 143). 60 Ch. C. Stübel, Das Criminalverfahren in den deutschen Gerichten (etc.), 1811, Bd. III, §§ 1167, 1170, 1207, 1218, 1289, 1301; C. J. A. Mittermaier, Theorie des Beweises im Peinlichen Processe (etc.), 1821, S. 3, 149 ff., 152 ff.; ders. (Zitat unten in Fn. 82); P. J. A. Feuer-

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terer erforderlich nur bei vollständig geführtem „Anschuldigungsbeweis“,61 und dieser war entkräftet bereits bei „Wahrscheinlichkeit“62 im „Entschuldigungsbeweis“ geltend gemachter Umstände.63 In heutiger Diktion:64 Der „Entschuldigungsbeweis“ hat Erfolg, wenn mittels Beweisanregung oder Beweisantrags der Angeklagte einen die rechtsrichtige Schuld-Überzeugung (§ 261 StPO) möglicherweise hindernden Sachverhalt behauptet, und entweder dieser erwiesen wird oder das Gericht prozess-fehlerhaft (§ 244 II, III-VI StPO) ohne entsprechende Beweiserhebung in folglich lückenhafter Beweiswürdigung verurteilt.65 bb) Konsequenz des materiellen Schuldprinzips („keine Strafe ohne Schuld“)66 – als dessen „prozessuale Kehrseite“ – kann ein idpr-„Grundsatz“ nicht sein,67 weil aus bach/C. J. A. Mittermaier, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen Peinlichen Rechts, 14. Aufl. 1847, §§ 567 – 571; H. A. Zachariae, Grundlinien des gemeinen deutschen CriminalProcesses (etc.), 1837, S. 183 ff.; Glaser (Fn. 28), S. 98. – Der Anschuldigungsbeweis hatte „solche Thatsachen zum Gegenstande, welche die wirkliche Anwendung des Strafgesetzes (die Verurtheilung) als rechtliche Folge bestimmen“, der Entschuldigungsbeweis „hingegen solche, die entweder alle Strafe ausschließen oder eine mildere Strafe begründen“ (Feuerbach/ Mittermaier, aaO, § 567). Vgl. schon A. Matthaeus, Commentarius lib. XLVII et XLVIII Dig. de Criminibus, 1727, lib. 48 tit. XV cap. 1 n. 1: „Probatio est intentionis legitima fides, quam facit judici actor, vel reus, vel uterque. Actor probat crimen, reus innocentiam“. 61 Dieser begründete „Gewißheit“ nur, „wenn alle Gründe des Gegentheils, welche die Erfahrung in concreto aufzeigt, völlig beseitigt sind, und die nur als Möglichkeiten gedachten Gründe für das Gegentheil, wenn man den gewöhnlichen Lauf der Dinge berücksichtigt, durch die im einzelnen Falle vorhandenen Gründe so ausgeschlossen sind, daß kein Zweifel zurückbleibt“ (C. J. A. Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren in der Fortbildung durch Gerichts-Gebrauch und Particular-Gesetzbücher (etc.), 2. Abt. 1833, S. 360 f.). Ebenso Glaser (Fn. 28), S. 85, 88; erg. oben Fn. 58. 62 „Zweifel“ verstanden als „jede Wahrscheinlichkeit für das Gegentheil des zu beweisenden Umstands“ (Mittermaier [Fn. 60], S. 153). 63 P. J. A. Feuerbach, Lehrbuch des gemeinen in Deutschland gültigen peinlichen Rechts, 8. Aufl. 1823, § 571; C. J. A. Mittermaier, Anleitung zur Vertheidigungskunst im deutschen Criminalprocesse, 4. Aufl. 1845, S. 336; ders. (Fn. 61), S. 336. – „Auf diesen Grundsatz ist alles zurückzuführen, was man in der älteren Theorie und Gesetzgebung als favor defensionis gestellt findet“ (Zachariae [Fn. 57], S. 414 f.). 64 Vgl. auch Volk (Fn. 25), S. 26: Die „Maxime in dubio pro reo“ konnte „die Funktion der alten Unterscheidung (scil.: zwischen An- und Entschuldigungsbeweis) allmählich übernehmen“. Dazu schon Glaser (Fn. 28), S. 88: Bleibt eine zum Gegenstand des Anschuldigungsbeweises gehörende Tatsache „zweifelhaft, so ist der Anschuldigungsbeweis mißlungen …, der Angeklagte freizusprechen. Insofern trifft die materielle Beweislast die Anklage, … und es gilt der Satz: In dubio pro reo!“. 65 Hierzu ausführlich Verf., Strafprozessuale Beweisstrukturen, in: FS G. Fezer, 2008 (im Druck). 66 BGHSt 10, 373; 14, 274 (275 f.); BayVerfGH NJW 1963, 1600 (1602: idpr-Grundsatz nehme „am Verfassungsrang des Grundsatzes ,nulla poena sine culpa‘ teil“); OLGe Celle MDR 1957, 436; Koblenz VRS 44, 192 (194); Seibert (Fn. 9), S. 557; W. Sax, Anm. zu BGH JZ 1958, 177, aaO S. 179; Stree (Fn. 1); H. Peters (Fn. 37), S. 29; Sulanke (Fn. 31), S. 77 ff.; Schmitt (Fn. 7), S. 208; LR-Gollwitzer (Fn. 6), § 261 Rn. 103; Fezer (Fn. 1), Fall 9 Rn. 165; Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 31; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 69; Löffeler (Fn. 59), S. 77; Eisenberg (Fn. 6), Rn. 117; U. Hellmann, Strafprozessrecht, 2. Aufl. 2005, Rn. 808; Ranft

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den abstrakt-hypothetischen Strafnormen nichts ableitbar ist für die allein im „prozessualen Raum“ nach dessen Kategorien stattfindende Feststellung rechtlich-konkreter Schuld und Strafe,68 und das Strafverfahren der „Verwirklichung des materiellen Rechts“ überhaupt nicht zu dienen bestimmt ist.69 – Auch aus § 261 StPO folgt nicht – im Umkehrschluss70 – das idpr-„Prinzip“,71 da § 261 StPO nur das Beweismaß für den Normuntersatz vorschreibt, nicht auch den Entscheidungsinhalt, falls es nicht erreicht ist. cc) Unmittelbare Rückgriffe auf Postulate der Justizförmigkeit72 oder Rechtsstaatlichkeit,73 insbes. durch Abwägung von Erfordernissen der Gerechtigkeit gegen solche der Rechtssicherheit im jeweiligen Einzelfall74 zur Lösung des non liquet im prozessualen Bereich, plakatieren häufig nur dezisionistische, kreisschlussgefährdete Rechtsfindung75 und können nicht unmittelbar rechtsinhaltliche Erkenntnisse liefern.76 dd) Ein idpr-„Grundsatz“ ist schließlich nicht ohne Weiteres ableitbar aus der prozessualen Unschuldsvermutung.77 Art. 6 II EMRK, 14 II IPBPR normieren nur

(Fn. 24), Rn. 1639; Kindhäuser (Fn. 1), § 23 Rn. 66; Beulke (Fn. 1), Rn. 25; Krey (Fn. 4), Rn. 1037. 67 KG NStZ 1986, 560 f.; Leipold (Fn. 52), S. 132; Frisch (Fn. 1), S. 283 f.; Henkel (Fn. 5), S.284; Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 290, 293; Montenbruck (Fn. 11), S. 27 f., 65 f.; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 75; Walter (Fn. 2), S. 345. 68 Ausführlich Verf. Materielles Strafrecht im „prozessualen Raum“, in: FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät, 2002, S. 683 (688 ff, 706 f.). 69 Verf. (Fn. 68), S. 689 ff. 70 Schmitt (Fn. 7), S. 208; Lesch (Fn. 25), Kap. 2 Rn. 247. 71 A.M.: Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 31; KMR-Stuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 74; Hellmann (Fn. 66), Rn. 808; Kindhäuser (Fn. 1), § 23 Rn. 66; Volk (Fn. 4), § 18 Rn. 17; Beulke (Fn. 1), Rn. 25. 72 Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 198 mit Anm. 350. 73 BayObLG NJW 1968, 2118; Stree (Fn. 1), S. 15; Sax (Fn. 12), S. 168 f.; Frisch (Fn. 1), S. 285; Lehmann (Fn. 12), S. 120 ff.; LR-Gollwitzer (Fn. 6), § 261 Rn. 103; Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 32; Löffeler (Fn. 59), S. 77; Eisenberg (Fn. 6), Rn. 116; Beulke (Fn. 1), Rn. 25; Walter (Fn. 2), S. 345. 74 Grundlegend BGHSt 18, 274 (= JZ 1963, 505 m. Anm. Eb. Schmidt = MDR 1963, 855, m. Anm. Dreher): „Ausdruck fortschreitender Entwicklung rechtsstaatlichen Denkens“ (S. 277). 75 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 161 und (Fn. 68), S. 696. 76 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 299. 77 Zutr. Montenbruck (Fn. 11), S. 67 ff, 74; Graul (Fn. 28), S. 322 f.; SK-Paeffgen (Fn. 45), Art. 6 MRK Rn. 180. – Anders die hM: E. Schlüchter, Das Strafverfahren, 2. Aufl. 1983, Rn. 389, 582; Roxin (Fn. 4), § 11 Rn. 4, § 15 Rn. 31; AK-StPO (1993)-M. Maiwald, § 261 Rn. 28; Schmitt (Fn. 7), S. 208; Fezer (Fn. 1), Fall 3 Rn. 5 („Kerngehalt“); Weber (Fn. 4), § 9 Rn. 107; Hellmann (Fn. 66), Rn. 808; Lesch (Fn. 25), Kap. 2 Rn. 247 („Kernbestand“); SKStPO-J. Wolter, Rn. 108 vor § 151; Bock (Fn. 52), S. 213 ff.; Volk (Fn. 4), § 18 Rn. 17; Beulke (Fn. 1), Rn. 25.

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rechtsstaatlichen Mindeststandard,78 indem sie es dem „innerstaatlichen Recht … überlassen zu bestimmen, was zum gesetzlichen Nachweis der Schuld gehört und auf welche Weise der Schuldbeweis zu führen ist“,79 ohne selbst bestimmte Rechtsfolgen anzuordnen.80 Denn die Fiktion der Unschuld, gleichbedeutend mit rechtlicher Nicht-Schuld,81 ist einerseits nur Konsequenz mangelnden Schuldbeweises mit gebotener Freispruchsfolge,82 andererseits tautologisch-inhaltsgleich83 der Aussage, dass Verurteilung wegen strafrechtlicher Schuld voraussetzt, dass alle dafür rechtsstaatlich vorgesehenen normativen Voraussetzungen erfüllt sind.84 Jedenfalls für non-liquet-Entscheidungen ist die Unschuldsvermutung keine eigenständige Rechtsquelle; allein maßgebend ist das Gesetzlichkeitspostulat.85

III. 1. a) Die rechtsstaatlich gebotene Legalität strafprozessualen Justizhandelns86 ist Konsequenz der Funktion des Strafverfahrensrechts: Konkret-kategorische Rechtsfindung in Entscheidungen über rechtswirkliche Schuld und Strafe im – gegenüber den abstrakt-hypothetischen Imperativen des materiellen Rechts meta-rechtlichen – „prozessualen Raum“87, konstituiert durch die Gesamtheit der Normen des Verfah78

Montenbruck (Fn. 11), S. 73 f. BGHSt 21, 306 (308). Vgl. auch EuGHRZ 1983, 475; SK-Paeffgen (Fn. 44), Art. 6 MRK Rn. 179. 80 C.-F. Stuckenberg, Die normative Aussage der Unschuldsvermutung, ZStW 111 (1999), 422 (425). 81 Oben II. 2. b) mit Fn. 49; Stuckenberg (Fn. 80), S. 442. 82 Durchaus keine neue Erkenntnis. Vgl. Feuerbach (Fn. 63), § 592 (zu Art. 61 CCC): „Wenn der Angeschuldigte, ohne zu bekennen, die Marter übersteht, so werden alle Indizien getilgt und er ist juridisch für unschuldig zu halten“; Mittermaier (Fn. 61), S. 336: „Begünstigung des Vertheidigungsbeweises“ insofern, als „der Angeklagte in gewisser Rücksicht die Vermuthung der Schuldlosigkeit für sich hat, als auch durch die bloße Wahrscheinlichkeit des Vertheidigungsbeweises die Wirksamkeit des Anschuldigungsbeweises schon verhindert werden kann“ (erg. oben Fn. 58, 61, 62); S. Mayer, Commentar zur Oesterreichischen Strafproceß-Ordnung v. 23. Mai 1873, 2. Theil 1884, § 259 Anm. 4: „Die Forderung nach unbedingter Freisprechung oder Verurtheilung ist … auch die wesentliche Folgerung des Anklageprocesses“, weil „derjenige, welcher auf die gesetzliche Weise der ihm zur Last gelegten Handlung nicht überwiesen werden kann, als nichtschuldig gelten muß“. 83 Stuckenberg (Fn. 80), S. 445, 447. 84 H. A. Zachariae, Über die Lossprechung von der Instanz, ACrR n.F. 1839, 371 (388): „Man setze statt unschuldig: ,nicht schuldig‘, was juristisch das Nämliche ist“, so dass „der Angeschuldigte bis zur rechtskräftigen Verurtheilung als unschuldig betrachtet werden muß, ohne daß man an einer besonderen Präsumtion der Unschuld bedürfte“. 85 Oben I. 2. 86 Oben II. l. mit Fn. 16 – 23. 87 Verf. (Fn. 16), S. 315 f. und (Fn. 68), S. 706. – Dass der idpr-„Grundsatz“ Bestandteil bereits der materiellen Strafrechtsnormen sei, weil nur bestraft werde, wer nachgewiesenermaßen straftatbestandsmäßig gehandelt habe (W. Sarstedt, Die Revision in Strafsachen, 79

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rensrechts. Diese wiederum sind als „angewandtes Verfassungsrecht“88 Ergebnis einer das Verhältnismäßigkeitsgebot achtenden Abwägung89 zwischen Effektivität der Strafrechtspflege („Wahrheits“-Erforschung, aber nicht „um jeden Preis“)90 und Wahrung anderer Rechtswerte durch Vorschriften z. B. über Prozessvoraussetzungen, Rechtssicherheit (Fristen und Förmlichkeiten), Rechtskraft, Beweisverbote, Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten, Inanspruchnahme und Schutz von Beweispersonen. Auch deshalb91 kann Bezugspunkt von non-liquet-Entscheidungen nicht stets der Beschuldigte sein. b) Nur durch ordnungsgemäße Konkretisierung jener Verfahrensbestimmungen werden Prozesshandlungen rechtlich existent (= beachtlich, wirksam, gültig, zulässig, begründet); andernfalls sind sie als gesetzwidrig eo ipso nichtig (unbeachtlich etc.).92 Sie sind stets Entscheidungen in Aussageform: ausdrücklich oder konkludent in (gesetzlich gebotenen) Handlungen und Unterlassungen.93 Wahr sind diese Aussagen, falls rechtlich lege artis begründet. Das erfolgt erkenntnistheoretisch notwendig subjektgebunden und durch normative Kompetenzzuweisung94 in gerichtlicher Überzeugung, d. h. in Übereinstimmung (adaequatio) subjektiv-richterlicher Gewissheit (intellectus) mit objektiv-rechtsrichtiger Verifikation (res).95 c) Fehlt diese Gerichts-Überzeugung, weil der Untersatz („Sachverhalt“) einer potenziell anzuwendenden Norm nicht zweifelsfrei feststeht, ist zu unterscheiden: aa) Greifen Prozesshandlungen in bestehende Rechte (Art. 2 GG) ein, wie insbesondere bei Verurteilung und strafprozessualem Zwang, hat der Betroffene einen verfassungsrechtlichen (Art. 20 III GG) Unterlassungsanspruch, solange nicht alle Voraussetzungen einer ermächtigenden Befugnisnorm für das Gericht erfüllt sind: Es muss überzeugt sein, dass es überhaupt prozedieren darf, dass also alle Prozessvoraussetzungen und keine Prozesshindernisse gegeben sind, und dass der Angeklagte tatbestandsmäßig, rechtswidrig, schuldhaft sowie auch im Übrigen strafbar gehan4. Aufl. 1962, S. 240 f.), ist unrichtig (abl. auch Leipold [Fn. 52], S. 22 ff; Frisch [Fn. 1], S. 277 f.; Lehmann [Fn. 12], S. 70 ff; Zopfs [Fn. 4], S. 332 f.; Graul [Fn. 28], S. 273 ff; Bock [Fn. 52], S. 68): Materielles Recht bestimmt nur abstrakt-generell, welches Verhalten strafwürdiges Unrecht oder bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit ist, sagt aber nichts darüber aus, ob und ggf. wie es in concreto auch verfolgt und geahndet werden darf (oben II. 2. c) bb) mit Fn. 68 – 69; Verf. [Fn. 12], § 244 Rn. 290 und erg. [Fn. 68], S. 703 mit Fn. 166). 88 BVerfGE 32, 373 (383); BGHSt 19, 325 (330). 89 Verf (Fn. 68), S. 686 f. 90 BGHSt 14, 358 (365); 38, 372 (374). 91 Dazu bereits oben II. 2. a) mit Fn. 37 – 38. 92 Verf. (Fn. 16), S. 320 f. – Allein aus (zusätzlichen) Gründen der Rechtssicherheit (Rechtsklarheit) bedarf dies expliziter Entscheidung in Fällen z. B. der §§ 27, 28; 222a, b; 396 II; 241 II, 241a II, 242; 238 II; 244 VI; 319 I, 322 I, 346 I, 349 I; 368 I; 46 I StPO. 93 Verf.(Fn. 16), S. 317 f. 94 Zu Konsequenzen für die Revisibilität unten III. 2. c) bb) mit Fn. 147. 95 Verf. (Fn. 68), S. 707 f. Vgl. auch Verf., Abstraktion und Konkretisierung in der „gesetzlichen Beweistheorie“ des Strafverfahrens, in: FS U. Weber, 2004, S. 485 (504).

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delt hat, dass mithin insbesondere Rechtsfertigungs-, Schuldausschließungs- und Strafaufhebungsgründe ausscheiden; daher in dubio contra procedere96 bzw. Freispruch.97 Da auch einzelne Prozesshandlungen, vor allem im Rahmen der Beweisaufnahme, gesetzlicher Legitimation bedürfen, haben sie als unzulässig zu unterbleiben, wenn eine Voraussetzung der Ermächtigungsnorm fehlt.98 bb) Hat der Beschuldigte (oder ein sonstiger Prozessbeteiligter) Anspruch (Option) erst auf Gewährung einer prozessualen Rechtsposition, etwa auf eine Amnestie, Beweisaufnahme oder weitere (Rechtsmittel- bzw. Rechtsbehelfs-)Instanz, ist diese zu versagen (als unzulässig, unbegründet) nur bei feststehendem Ablehnungsgrund; bleibt dieser in tatsächlicher Hinsicht zweifelhaft, hat folglich das Gericht – auf Antrag oder von Amts wegen – die entsprechende Rechtslage herzustellen. 2. Vorstehendes ist nur noch für den prozessualen Bereich99 in knappen Strichen zu konkretisieren: a) Fehlt Gerichtsüberzeugung wegen Zweifels, ob eine Prozessvoraussetzung/ein Verfahrenshindernis vorliegt, ist weiteres Prozedieren nicht (mehr) legitimiert, daher zu unterlassen („einzustellen“) und dies gem. §§ 204 I, 206a bzw. 260 III StPO klarstellend zu dokumentieren.100 Das ist heute, wenn auch zumeist nur im Ergebnis, anerkannt.101 Je nach Art der Prozessvoraussetzung differenzierende, zwischen Gerechtigkeit und Rechtssicherheit abwägende oder sich am Kriterium „pro reo“ orientierende Einzelfallprüfungen102 finden nicht statt. b) aa) Bleibt die Zulässigkeit der Entscheidungs-Anfechtung als Prozessvoraussetzung des Rechtsmittelverfahrens, insbesondere zufolge möglicherweise verspäteter (§§ 311 II; 314; 341, 345; 410 I; 45 I StPO) Einlegung, zweifelhaft,103 ist dem prozessualen Anspruch des Berechtigten (§§ 296 – 298; 390; 410 I StPO) auf die begehrte (weitere) Instanz stattzugeben: Sein Antrag ist zu verwerfen (§§ 319 I, 322 I; 96 Fezer (Fn. 1), Fall 9 Rn. 165. Erg. unten III. 2. a) mit Fn. 100 – 102. Der Angeklagte hat, vom Fall der „Freispruchsreife“ abgesehen (BGHSt 13, 268 [273]; 20, 333 [335]; MeyerGoßner [Fn. 47], S. 549: bei „Bestrafungsverboten“ im Gegensatz zu „Befassungsverboten“), keinen prozessualen Anspruch auf Verfahrensfortführung mit dem Ziel der Freisprechung (BGHSt 44, 209 [218]). 97 Oben II. l. mit Fn. 20. 98 Näher unten III. 2. c) aa) mit Fn. 126 – 142. 99 Zu in-dubio-Entscheidungen im Bereich des materiellen Strafrechts ausführlich Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 311 – 328. 100 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 330 – 331 (im Einzelnen Rn. 332 – 339 m. Nachw.). Mit Hinweis auf die Funktion der Prozess- als Sachurteilsvoraussetzungen ebenso Sulanke (Fn. 31), S. 72 ff.; Michael (Fn. 24), S. 22; Fezer (Fn. 1), Fall 9 Rn. 165; Kühne (Fn. 1), Rn. 965; LRRieß (Fn. 24), § 206a Rn. 30; SK-Paeffgen (Fn. 45), § 206a Rn. 19; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 206a Rn. 7 und (Fn. 47), S. 543 f. (S. 545 – 551 zu einzelnen Verfahrenshindernissen). 101 Detaillierte Übersicht zur Entwicklung und Gegenwart bei Zopfs (Fn. 4), S. 19 – 35, 39 – 54, 60 – 66. 102 Dazu oben II. 2. a) mit Fn. 37 – 45. 103 Erg. oben II. 1. mit Fn. 17 – 19.

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346 I, 349 I; 411 I 1; 46 I StPO) nur bei Überzeugung des Gerichts, dass die Option auf die erstrebte neue Rechtslage nicht (mehr) besteht.104 Zu entscheiden ist also stets in dubio pro appellante,105 gleichgültig, wer (z. B. Angeklagter oder StA) Rechtsmittelführer ist,106 ob die StA das Rechtsmittel zugunsten oder zum Nachteil des Angeklagten eingelegt hat,107 in wessen (z. B. Gericht oder Angeklagter) „Verantwortungsbereich“ die mögliche Fristversäumung fällt108 oder ob schon der Eingang der Anfechtungserklärung bei Gericht zweifelhaft,109 damit aber möglich ist, dass sie bereits den „prozessualen Raum“ erreicht hat. bb) Ebenso ist zugunsten des (Fort-)Bestands der Prozesslage in der Rechtsmittelinstanz zu entscheiden, wenn innerhalb der Anfechtungsfrist sowohl eine Verzichtserklärung (§ 302 I StPO) des Angeklagten als auch eine von ihm zeitlich später verfasste Anfechtungserklärung bei Gericht eingegangen und unklärbar ist, welche davon früher,110 oder falls zweifelhaft bleibt, ob der Widerruf des Angeklagten

104

Oben III. 1. c) bb). – Gleiches gilt für fristgebundene Anträge nach §§ 6a S. 3, 16 S. 3; 25 I,26 I 1; 222b I 1 StPO. 105 Auch in Fällen der §§ 45 I, 46 I StPO (OLGe Hamburg NJW 1974, 68; Stuttgart NJW 1981, 471; KK-StPO(5. Aufl. 203)-H. Maul, § 45 Rn. 3; LR-StPO(26. Aufl. 2006)-K. Graalmann-Scheerer, § 45 Rn. 5; – aM: OLGe Karlsruhe OLGSt § 45 Nr. 27; Celle NdsRpfl. 1982, 140; Verf. [Fn. 12], § 244 Rn. 340; SKStPO-E. Weßlau, § 45 Rn. 5; Meyer-Goßner [Fn. 1], § 45 Rn. 3), weil die Erwägung, nach feststehendem Rechtskrafteintritt sei die Ausnahmevorkehrung der Wiedereinsetzung in ihren tatsächlichen Voraussetzungen zu beweisen, demgegenüber nicht tragfähig ist (vgl. oben II. 2. c) aa) mit Fn. 58 – 59 sowie unten III. 2. c) vor aa) mit Fn. 122 – 123). 106 BGH NJW 1960, 2202; OLGe Düsseldorf MDR 1969, 1031; 1985, 784; Karlsruhe NJW 1981, 138; Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 342; Fezer (Fn. 1), Fall 19 Rn. 39; LR-Gollwitzer (Fn. 6), § 314 Rn. 31; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 81. 107 BayObLG DAR 1979, 241 (b. Rüth); Sax (Fn. 12), S. 169 und (Fn. 21), 1 f (3) cc (2) b vor § 48; Sarstedt (Fn. 87), S. 246; Kleinknecht (Fn. 59), § 261 Rn. 35 und § 319 Rn. 1; – aM: BGH StV 1995, 454; KG JR 1954, 470 m. abl. Anm. Sarstedt; OLGe Celle NJW 1967, 640; Hamburg JR 1976, 254 m. i. E. zust. Anm. H. Foth; Düsseldorf JZ 1985, 300; Eisenberg (Fn. 6), Rn. 130; SK-Frisch (Fn. 24), Rn. 187 vor § 296; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 35. 108 Anders als die hM; vgl. BayObLG NJW 1966, 957; OLGe Braunschweig NJW 1973, 2119; Stuttgart MDR 1981, 424; Celle NdsRpfl. 1983, 123 f.; 1985, 173 f.; Hamm NStZ 1982, 43 (44); Foth (Fn. 107), S. 254 f.; offengelassen von Zopfs (Fn. 4), S. 365. Vgl. erg. unten III. 2. c) aa) mit Fn. 136 – 137. – Die „Schuld“-Frage wäre nur bei feststehender Verspätung gem. § 44 StPO relevant. 109 A.M.: BGH NStZ 1999, 372; BGHR § 345 „Frist 1“; OLGe Hamm NStZ 1982, 43; Stuttgart MDR 1984, 512; Düsseldorf JZ 1985, 300; MDR 1991, 986; NZV 2001, 47. Ist jedoch kraft zuverlässiger Geschäftsorganisation zweifelsfrei, dass das Rechtsmittel bei Gericht nicht eingegangen und so bereits seine Aufgabe zur Post oder dortiger Verlust offen ist, liegt überhaupt keine „Prozesshandlung“ vor, über die konstitutiv zu entscheiden wäre. 110 BGH NJW 1960, 2202; BGHR § 302 StPO „Rücknahme 4“; BGH NStZ 1992, 29 (b. Kusch).

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einer Rücknahmeermächtigung (§ 302 II StPO) vor der Rücknahmeerklärung des Verteidigers (§ 302 I 1 StPO) wirksam geworden war oder nicht.111 c) Gleiches gilt für (sonstige) einzelne Prozesshandlungen: Prozessual zulässig, weil rechtsrichtig, sind sie nur, sofern für das (Tat- bzw. Revisions-)Gericht der Untersatz der anzuwendenden Verfahrensnorm überzeugungssicher, also zweifelsfrei erwiesen ist. Dass bei unklärbar zweifelhafter Faktenbasis die Unzulässigkeit der Prozesshandlung aus dem idpr-„Grundsatz“ folge,112 ist, da ein solcher nicht existiert, allerdings ebenso unrichtig wie die Gegenauffassung, die Prozesshandlung bleibe statthaft, weil (a) andernfalls effektive Strafrechtspflege „gelähmt“ werde113 und schon deshalb114 die idpr-Regel nicht gelten dürfe115 – ein in seinen Prämissen erst zu fundierendes Folgenargument,116 das den Begriff des überzeugungsausschließenden (§ 261 StPO) Zweifels (möglicherweise) zu eng begreift –,117 (b) weil „solange der Gegenbeweis nicht erbracht ist“,118 die „Vermutung ordnungsgemässen Verfahrens“ gelte119 – ein begründungsloses, rechtsstaatlich untragbare Diktum,120 tragfähig allenfalls i.S. einer (vorläufige) Überzeugung begründenden „Inte-

111 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 343; – aM: BGHSt 10, 235 m. zust. Anm. Dünnebier, JR 1957, 49 f. und abl. Anm. Sax, JZ 1958, 178 f.; BGH NStZ 1997, 28 (b. Kusch); Meyer-Goßner, (Fn. 1), § 261 Rn. 35 und § 302 Rn. 35. 112 Eb. Schmidt, aaO Fn. 115; Michael (Fn. 24), S. 154; Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 40; Kühne (Fn. 1), Rn. 582. 113 Insbes. Sarstedt (Fn. 87), S. 247 f. 114 Zur Auffassung, der idpr-„Grundsatz“ beherrsche ohnehin nur das materielle Strafrecht, s. oben II. 2. c) bb) mit Fn. 66 – 71. 115 Ganz hM mit der Devise: „Verfahrensfehler müssen bewiesen werden“ (dazu unten III. 2. c) bb) mit Fn. 143): RGSt 60, 63 (64 f.); 65, 250 (255); RG JW 1931, 1578; BVerfG NJW 1961, 2012 f.; BGHSt 16, 164 (167) = JR 1962, 108 m. abl. Anm. Eb. Schmidt; 17, 353; 21, 4 (10); BGH NJW 1953, 837; 1978, 1390; MDR 1955, 652 (b. Herlan); StV 2001, 554; OLGe Karlsruhe VRS 33, 128; Hamm VRS 47, 122 u. 370; 50, 306; Frankfurt NJW 1974, 1152; Alsberg (Fn. 55), S. 365; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 24), S. 895; Schlüchter (Fn. 77), Rn. 672.1; LR-Gollwitzer (Fn. 6), § 261 Rn. 124; KK-Schoreit (Fn. 6), § 261 Rn. 63; Eisenberg (Fn. 6), Rn. 131; Kindhäuser (Fn. 1), § 31 Rn. 27; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 35; Volk (Fn. 4), § 14 Rn. 10 (Verfahrensfehler, „für die in dubio pro reo sicher nicht gilt“). 116 Zutr. Kühne (Fn. 1), Rn. 966. 117 Dafür genügen nicht ohne Weiteres bloße dahingehende Behauptungen z. B. des Angeklagten oder rein theoretisch-denkgesetzliche Zweifel (BGHSt 46, 349 [352]), sondern nur in konkreten Umständen liegende Gründe, die einer lückenlosen, in sich widerspruchs- und kreisschlussfreien Überzeugungsbegründung (§ 261 StPO) unter Beachtung auch sonstiger Denkgesetze und gesicherter Regeln allgemeiner und wissenschaftlicher Erfahrung (je nach dem Grad ihrer Geltungskraft) entgegenstehen können (Verf. [Fn. 18], S. 486 und – ausführlich [Fn. 65] sub I. 2. mit Fn. 42 – 58 und w. Hinw. aaO in Fn. 41). 118 SK-Schlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 80. 119 BGH 5 StR 115/55 v. 8. 7. 1955 (insoweit nicht in BGHSt 9, 42 ff.) bei Kleinknecht (Fn. 9), 1 f (3) ff vor § 48; Stree (Fn. 1), S. 80 f.; Sulanke (Fn. 31), S. 13; Sarstedt (Fn. 87), S. 247 f.; Kindhäuser (Fn. 1), § 31 Rn. 27; Beulke (Fn. 1), Rn. 567. 120 Sax (Fn. 21), 1 f (3) cc (2) vor § 48.

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rimswahrheit“121 – und (c) weil Ausnahmen122 von Regelabläufen des Strafverfahrens nur bei positivem Nachweis prozessual beachtlich seien123 – ein rein formales, zivilprozessualem Beweislastdenken nahes Argument.124 Im Übrigen ist zu unterscheiden:125 aa) Für das Tatgericht relevant sind bereits mögliche Verfahrensfehler: Es ist prozesshandlungsgehindert bei zweifelhaftem Untersatz der Prozessnorm, z. B. an einer Geständnisverwertung (§ 136a III 2 StPO) nicht nur bei erwiesener,126 sondern schon möglicher Beeinträchtigung der Willensfreiheit (§ 136a I, II StPO),127 an der Berücksichtigung einer Aussage, falls offen ist, ob eine (ordnungsgemäße) Belehrung gem. §§ 136 I 2, 163a IV 2 StPO128 oder §§ 52 III, 81c III 2 HS. 2 StPO129 erfolgt war, an der Fortsetzungsverhandlung (§ 231 II StPO) bei unbewiesen eigenmächtigem Fernbleiben des Angeklagten,130 an der Verwerfung der Berufung (§ 329 I 1 StPO) oder des Einspruchs (§§ 412 S. 1 StPO, 74 II OWiG), wenn es am Nachweis ordnungsgemäßer Ladung und ungenügender Entschuldigung des Ausbleibens fehlt,131 an der 121

Dazu oben Fn. 58. Z. B. Beweisverbote vom „Grundsatz“ des § 244 II StPO (Kleinknecht [Fn. 59], § 261 Rn. 35; Koeniger [Fn. 59], S. 522 f.; LR-Gollwitzer [Fn. 6], § 261 Rn. 133) oder Zeugnisverweigerungsrechte (BGH 1 StR 77/62 v. 27. 3. 1962 bei Meyer-Goßner [Fn. 1], § 261 Rn. 35). 123 Dazu bereits oben II. 2. c) aa) mit Fn. 58 – 59. 124 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 297. Abl. auch Mann/Mann (Fn. 1), S. 267 f.; Lehmann (Fn. 12), S. 40 ff., 98 ff. 125 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 346 u. 348. Ebenso Zopfs (Fn. 4), S. 79, 80 f., 375 f.; KMRStuckenberg (Fn. 3), § 261 Rn. 143; i. E. auch SK-Frisch (Fn. 24), § 337 Rn. 76. 126 So aber die hM.: vgl. OGH NJW 1950, 271; BGHSt 16, 164 (167) = JR 1962, 108 m. abl. Anm. Eb. Schmidt; 31, 395 (400); BGH MDR 1955, 652 (b. Herlan); VRS 29, 203 (204); Kleinknecht (Fn. 9), 1 f (3) ff vor § 48; Henkel (Fn. 5); Stree (Fn. 1), S. 78 ff.; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 261 Rn. 80; SK-K. Rogall, § 136a Rn. 83; KK-Schoreit (Fn. 6), § 261 Rn. 63; Löffeler (Fn. 59), S. 83; Ranft (Fn. 24), Rn. 1642; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 261 Rn. 35, § 337 Rn. 10 u. 12. – Dann genügt, wenn die Aussage nur möglicherweise „unter Verletzung dieses Verbots zustande gekommen“ ist (Kausalität): BGHSt 5, 290 (291); 13, 60; 34, 365 (369); SKRogall, aaO; Zopfs (Fn. 4), S. 73 m. Fn. 276; Meyer-Goßner, aaO, § 136a Rn. 28. 127 Zutr. Eb. Schmidt (Fn. 3), Rn. 198; Sax (Fn. 21), 1 f (3) cc (2) a vor § 48; Fezer (Fn. 1), Fall 3 Rn. 39; LR-Hanack (Fn. 37), § 136a Rn. 69; Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 40; Volk (Fn. 1), § 15 Rn. 22; Beulke (Fn. 1), Rn. 143. 128 Nach hM begründet nur erwiesene Nicht- bzw. Falschbelehrung ein Verwertungsverbot (BGHSt 31, 395 [400]; 39, 349 [350]), es sei denn, dass ungeachtet dessen der Beschuldigte sein Schweigerecht kannte oder ohnehin ausgesagt hätte (BGHSt 38, 214 [224 f.] m. zust. Anm. Fezer JR 1992, 385 [386]; 39, 350; KMR-Stuckenberg [Fn. 3], § 261 Rn. 143; Beulke [Fn. l], Rn. 117). 129 A.M.: BGHSt 40, 336 (339 f.) = StV 1995, 171 m. abl. Anm. Eisenberg, aaO S. 625. 130 BGHSt 10, 304 (305) m. zust. Anm. Eb. Schmidt JZ 1957, 674; 16, 178 (180); BGH StV 1981, 392; 1982, 356; NStZ 1984, 520 f.; 1988, 421 m. Anm. D. Meurer; 1989, 284; 1999, 418; NStZ-RR 2001, 333; SK-Schlüchter (Fn. 24), § 231 Rn. 20; Meyer-Goßner (Fn. 1), § 231 Rn. 25. 131 BGH NStZ 1987, 239 (240 gegen OLG Düsseldorf StV 1982, 216); KG JR 1984, 78; OLGe Stuttgart NStZ 1989, 91; Düsseldorf StV 1990, 58. 122

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Verwertung einer Zeugen- oder Sachverständigenaussage, falls die Terminsnachricht gem. §§ 168c V 1, 224 I 1 StPO zweifelhaft ist,132 an einer Beschlussentscheidung nach § 72 OWiG, sofern der Zugang des Hinweises (§ 72 I 2 OWiG)133 oder der rechtzeitige Eingang des Widerspruchs (§ 72 I 1, II 1 OWiG) bei Gericht nicht feststeht,134 wobei unerheblich ist, ob die mögliche Verspätung in den Verantwortungsbereich135 des Betroffenen136 oder des Gerichts137 fällt. Eines in Fällen insbesondere des § 136a StPO vereinzelt geforderten „qualifizierten Zweifels“138 i.S. etwa „verhältnismäßig hoher Wahrscheinlichkeit“,139 einer „Glaubhaftmachung“140, „Besorgnis“ (entsprechend § 24 I, II StPO)141 oder „ernsthafter Erschütterung“ der Justizförmigkeit staatlichen Verfahrens142 bedarf es hierbei nicht. bb) Das Revisionsgericht muss zwecks Urteilsaufhebung (§ 353 I StPO) überzeugt sein, dass dem Tatgericht ein Verfahrensfehler (§§ 337, 338 StPO) unterlaufen ist. Nur insoweit gilt uneingeschränkt: Verfahrensfehler müssen nachgewiesen werden.143 Ein solcher steht aber bereits fest, wenn das Tatgericht bei ihm nur zweifelhafter Faktengrundlage oder bei Unkenntnis des Fehlers infolge Verletzung seiner Aufklärungspflicht (§ 244 II StPO) die gerügte Prozesshandlung vorgenommen hat.144 Ein Verfahrensfehler bei im Übrigen prozessordnungsgemäßer Beweiswürdigung (§ 261 StPO)145 scheidet dagegen angesichts dem Tatgericht vorbehalter Beurteilungskompetenz146 aus, falls einzelne tatgerichtliche Schlussfolgerungen aus Beweisergebnissen (außerhalb allgemein gültiger Denk- und Erfahrungsgesetze) nur möglich, aber nicht zwingend waren.147 Und auch noch der letzten Entscheidung 132 BayObLG NJW 1952, 1316; OLGe Frankfurt NJW 1952, 1068; Bremen OLGSt § 224 StPO S. 1. 133 BGHSt 24, 293 (297); OLGe Celle VRS 38, 137 (138); Hamm NJW 1970, 624. 134 A.M.: BayObLG DAR 1983, 259 (b. Rüth). 135 Vgl. bereits oben III. 2. b) aa) mit Fn. 108. 136 A.M.: KG VRS 42, 223 (224); BayObLG VRS 55, 53 (54); OLG Karlsruhe Justiz 1974, 232. 137 A.M.: BayObLG VRS 53, 199 (200; aufgegeben in VRS 55, 53, 54); OLGe Karlsruhe Jutiz 1976, 299; Köln VRS 57, 299. 138 Roxin (Fn. 4), § 15 Rn. 40: „ernster Zweifel“. 139 So F. Dencker, Verwertungsverbote im Strafprozeß, 1977, S. 137 f., 140, 146. 140 Montenbruck (Fn. 11), S. 166 f., 169 f.; Beulke (Fn. 1), Rn. 143. 141 Montenbruck, aaO Fn. 140. 142 Oben II. 2. c) aa) mit Fn. 59 (aE). 143 Nachweise oben Fn. 115. 144 Verf. (Fn. 12), § 244 Rn. 348; zust. Zopfs (Fn. 4), S. 79 ff., 375 f. 145 Oben Fn. 117. 146 Oben III. l. b) mit Fn. 94. 147 BGHSt 10, 208 (210); 12, 311 (315); 25, 365 (367); 29, 18 (20); BayObLG VRS 4, 384; 29, 151; GA 1970, 186; OLGe Hamm NJW 1973, 160; Koblenz GA 1975, 220; Celle NJW 1976, 2031; Köln VRS 57, 191. Der induktive Beweis ist erkenntnistheoretisch niemals „zwingend“.

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in einem Strafverfahren gilt der Titel dieser Studie: Contra appellantem darf das Revisionsgericht nur entscheiden,148 wenn es mit rechtsrichtiger Begründung „überzeugt“ ist, dass auf dem festgestellten Verfahrensfehler das angefochtene Urteil nicht beruht (§ 337 I StPO), also insoweit prozessordnungsgemäß ergangen ist.149

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Oben III. 1. c) bb) und 2. b) aa) mit Fn. 104 – 107. Näher Verf., Die begründete „Verfahrensrüge“ in der strafprozessualen Revision, in: GS E. Schlüchter, 2002, S. 587 (608 ff.): Auf die Ebene richterlicher Erkenntnis und Aussage transponiertes gegenständliches Diktum, das „Beruhens“-Erfordernis bedeute einen möglichen kausalen bzw. normativen Konnex zwischen Prozessverstoß und Urteilsergebnis (Nachw. bei Frisch [Fn. 24], § 337 Rn. 187). 149

Strafprozessuale Beweisstrukturen* I. Finalität des Beweises „Hingegen liefert den förmlichsten und großartigsten Syllogismus … jeder gerichtliche Prozeß. Die … Kriminalübertretung … ist die Minor … Das Gesetz für solchen Fall ist die Major. Das Urteil ist die Konklusion, welche daher als ein Notwendiges vom Richter bloß ,erkannt‘ wird“1. Diesem syllogistischen Gedankenprozess2 wiederum strukturgleich ist die „Minor“3 : Obersatz ist die Gerichts-“Überzeugung“ (§ 261 StPO), Untersatz der – durch Ergebnisse (Aussagen- und Urkundeninhalte, Sachbeschaffenheiten) des Beweisverfahrens i.w.S. (§§ 243 Abs. 4 S. 2, 244 Abs. 1, 2 StPO: Angeklagten-, Zeugen- und Sachverständigenvernehmungen, Augenscheinseinnahmen) konstituierte – „Inbegriff der Verhandlung“ (§ 261 StPO), Schlussfolgerung die „Wahrheit“ (§ 244 Abs. 2 StPO). Beweisführungssubjekt im Strafverfahren ist das Gericht: nicht judici fit probatio4, sondern judex demonstrat5, zielgerichtet auf die justizförmige Entscheidung, ob die gegen die angeklagte(n) Tat(en) streitende Unschuldsvermutung widerlegt, im Bereich der „Minor“6 also deren Prämissen – überzeugungsbegründende (§ 261 StPO) „Tatsachen“-Feststellung (§ 244 Abs. 2 StPO) – erfüllt sind oder nicht7. Zentralfrage ist das Verhältnis zwischen „Wahrheit“ und „Überzeugung“.

* Dieser Beitrag erschien ursprünglich unter demselben Titel in: Edda Weßlau/Wolfgang Wohlers (Hrsg.), Feschrift für Gerhard Fezer. Verlag Walter de Gruyter, Berlin 2008, S. 243 – 265. Der Neudruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags. 1 Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung, Teil II, Buch I, Kap. X. 2 Hinweis auf logische Beweisform juristischer Prozesse auch bei Rödig, Die Theorie des gerichtlichen Erkenntnisverfahrens (1973), S. 3; Walter, Freie Beweiswürdigung (1979), S. 7. 3 Bereits Zachariae, Handbuch des deutschen Strafprocesses, 2. Bd. (1868), S. 399: Die „Uebertretung ist das Product einer Verstandesoperation, eines Syllogismus, bei welchem das allgemeine Erfahrungsgesetz auf die concreten Erscheinungen angewendet … wird“. Vgl. auch Fezer, StV 1995, 95 (97). 4 Anders die h.M.; vgl. nur Engisch, Einführung in das juristische Denken, 8. Aufl. (1983), S. 50. 5 Verf., FS Weber (2004), S. 486. Erg. unten I. 2. b) (1) mit Fn. 51. 6 Zu ihrer Bedeutung schon Glaser, Beiträge zur Lehre vom Beweis im Strafprozeß (1883), S. V (Vorwort): „Den Mittelpunkt jedes Prozesses bildet die Beweisfrage; praktisch ist sie das in erster Linie Ausschlag gebende“. So auch Alsberg, Der Beweisantrag im Strafprozeß (1930), S. III (Vorwort); BVerfGE 57, 250 (275): „Zentrales Anliegen des Strafprozesses“ sei „die Ermittlung des wahren Sachverhalts …“. 7 Verf., FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002), S. 688 f.

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1. „Wahrheit“ als Maßstab rechtsrichtiger „Überzeugung“ a) In langer Tradition und heute fast unbezweifelt soll für „Überzeugung“ (§ 261 StPO) vorausgesetzt sein, dass sie übereinstimmt mit der ontologisch-materiellen „Wahrheit“ i.S.d. realen Tatgeschehens, der objektiv-historischen Wirklichkeit8, ohne die „das materielle Schuldprinzip sich nicht verwirklichen“9 lasse; falls nicht, sei eine dennoch erklärte „Überzeugung“ falsch und könne ein „Fehlurteil“10 bewirken. Weil aber jene „absolute“ Seins-Wahrheit menschlicher Erkenntnis verschlossen sei, da schon erkenntnistheoretisch der Induktionsbeweis nur zu synthetischen Wahrscheinlichkeitsurteilen führen kann, dürfe, sollte Strafrechtspflege nicht unmöglich sein, größtmögliche Wahrheits-„Nähe“11 genügen. Dies erkannte – ohne sachlichen Unterschied12 und nur verschiedene, je als Wahrheit „geltende“ Aspekte des beweismäßigen Erkenntnisvorgangs betonend und im Kern bis heute fortwirkend

8 Kommissionsbericht zum StPO-Entwurf 1874, in: Hahn (Hrsg.), Die gesammten Materialien zur StPO, Bd. II (1881), S. 1512 („Die Aufgabe des Strafverfahrens besteht in der Ermittelung der materiellen Wahrheit, und die Zuerkennung der Strafe hat nur in der Feststellung derselben ihren sicheren Boden“); RGSt 6, 135 (136); 12, 427 (428); 13, 158 (160); 14, 364 (374): 15, 337 (338); RG JW 1914, 893; 1916, 1026; BVerfGE 57, 250 (275); BVerfG (Kammer) NJW 2003, 2444 (2445); BGHSt 36, 354 (358 f.); BGH NStZ 1992, 48 (49); StV 2007, 403 (405); BGHZ 53, 245 (255 f.); Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO und zum GVG, Teil I, 2. Aufl. (1964), Rn. 363, 364, 373; Rödig (Fn. 2), S. 159; Schmitt, Die richterliche Beweiswürdigung im Strafprozeß (1992), S. 176, 177; SK-StPO/Schlüchter, 13. Lfg. (1995), § 261 Rn. 61; Perron, Das Beweisantragsrecht des Beschuldigten im deutschen Strafprozeß (etc.) (1995), S. 38 m.w.N.; Stamp, Die Wahrheit im Strafverfahren (1998), S. 49, 187, 229 f.; Weigend, ZStW 113 (2001), 271 (303); Gössel, Ermittlung oder Herstellung der Wahrheit im Strafprozeß? (2000), S. 8, 13 f.; Erb, FS Rieß (2002), S. 79 f.; Engländer, ARSPBeiheft 104 (2005), S. 85 (90); Ranft, Strafprozeßrecht, 3. Aufl. (2005), Rn. 1622; Kindhäuser, Strafprozessrecht (2006), § 20 Rn. 5; LR/Rieß, StPO, 26. Aufl. (2006), Einl. G Rn. 44; Volk, Grundkurs StPO, 5. Aufl. (2006), § 24 Rn. 1; Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl. (2007), § 244 Rn. 11. 9 BVerfGE 57, 250 (275) und StV 2007, 393 (396). Zahlr. Nachw. zur „Verwirklichung des materiellen Rechts“ als Prozesszweck bei Verf., FS Spendel (1992), S. 688 f. sowie Verf., FS 600 Jahre Juristenfakultät (2002), S. 689 f. 10 Dazu unten I. 2. a) mit Fn. 45. 11 Nachw. bei Verf., FS 600 Jahre Juristenfakultät (2002), S. 696. Ferner: Lampe, FS Pfeiffer (1998), S. 377; Perron (Fn. 8), S. 38; Stamp (Fn. 8), S. 156 m.N.; Weigend, ZStW 13 (2001), 271 (277); Eicker, Die Prinzipien der „materiellen Wahrheit“ und der „freien Beweiswürdigung“ im Strafprozeß (2001), S. 14 f., 18, 41 f.; Schulenburg, Das Verbot der vorweggenommenen Beweiswürdigung im Strafprozeß (2002), S. 54; Popp, Verfahrenstheoretische Grundlagen der Fehlerkorrektur im Strafverfahren (2005), S. 136; Hamm/Hassemer/ Pauli, Beweisantragsrecht, 2. Aufl. (2007), Rn. 30. Schon Mittermaier, Das deutsche Strafverfahren in Fortbildung (etc.), 1. Abt, 2. Aufl. (1832): „der materiellen Wahrheit möglichst gemäßes … Urtheil“ (§ 57) i.S. „der Erreichung historischer Wahrheit …“ (§ 80). 12 Zutr. Meurer, FS Tröndle (1989), S. 542; Schmitt (Fn. 8), S. 202; A. Schmidt, Grundsätze der freien richterlichen Beweiswürdigung im Strafprozeßrecht (1994), S. 80 ff.; Stamp (Fn. 8), S. 166 f.

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– die RG-Rechtsprechung einerseits13 im Bewusstsein „hoher“ bzw. „mit an Sicherheit grenzender“ Wahrscheinlichkeit14 (weil absolute Wahrheit objektiv unerreichbar sei), andererseits in der subjektiven Gewissheit fern praktisch-konkreter Zweifel an der zu erkennenden Realität15 (wegen theoretisch-abstrakt stets möglicher, aber prozessual irrelevanter Zweifel im Bewusstsein, dass jene absolute Wahrheit ohnehin nicht feststellbar sei). Aus beiden – zunächst isoliert gesehenen, später einander immer stärker angenäherten16 – Maßprinzipien17 hat sich als der materiell-ontologi-

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Nur „schief und ungenau“ (RGSt 66, 163, [164 f.]) bzw. „bedenklich und missverständlich“ (BGHSt 10, 208 [209]; BGH GA 1954, 153) formuliert. 14 Grundlegend RGSt 61, 202 (206) v. 15. 2. 1927 (nahezu wortgleich mit RGZ 16, 338 v. 14. 1. 1885): „Ein ,absolut sicheres‘ Wissen … ist der menschlichen Erkenntnis bei ihrer Unvollkommenheit überhaupt verschlossen. Wollte man eine Sicherheit so hohen Grades verlangen, wäre eine Rechtsprechung so gut wie unmöglich. Wie es allgemein im Verkehr ist, so muß auch der Richter sich mit einem so hohen Grade von Wahrscheinlichkeit begnügen, wie er bei möglichst erschöpfender und gewissenhafter Anwendung der vorhandenen Mittel der Erkenntnis entsteht. Ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit gilt als Wahrheit, und das Bewußtsein des Erkennenden von dem Vorliegen einer so ermittelten hohen Wahrscheinlichkeit als die Überzeugung von der Wahrheit“. – In der Sache ebenso RGSt 72, 89 f.; 75, 372 (374): „an Gewißheit grenzende Wahrscheinlichkeit“ stehe „der Gewißheit gleich“; RG DRiZ 1927, 336; JW 1928, 116; 1935, 543. 15 Fundamental RGSt 66, 163 (164 f.) v. 14. 3. 1932: Der Tatbestand sei nur dann mit erforderlicher Sicherheit festgestellt, „wenn das Urteil erkennen läßt, daß der Tatrichter von der Schuld des Angeklagten voll überzeugt ist“. Dies werde „nicht durch das Bewußtsein ausgeschlossen, daß jedes auf menschlicher Erkenntnis beruhende Urteil, mag es auch noch so sicher erscheinen, allen Fehlern und Irrtümern unterworfen ist, die durch die Unzulänglichkeit dieser Erkenntnis bedingt sind. Objektive Wahrheit ist nur gedanklich vorstellbar. Ihr Nachweis durch menschliche Erforschung und Erkenntnis, ist begrifflich unmöglich, weil diese als an die erkennende Person gebunden von Natur subjektiv, also relativ sind … Auch dem Richter ist deshalb die Findung absoluter Wahrheit verschlossen; auch er vermag sich nur auf Grund der Abwägung des Für und Wider zu einer für sein richterliches Erkennen gültigen, also subjektiven oder relativen Wahrheit, nämlich zur richterlichen Überzeugung durchzuringen“ (Hervorhebungen im Original). Bestätigt in RGSt 72, 155 (156); RG JW 1933, 454; 1935, 543. Vgl. bereits Glaser (Fn. 6), S. 137 (zum „Indizienbeweis“): „Es bleibt daher in einem solchen Fall ein Zweifel nicht mehr übrig, sondern nur das Bewußtsein jener abstracten Möglichkeit anderen Sachverhalts, wie es überall zurückbleibt, wo nicht apodiktische Gewissheit zu erlangen ist. Und auf der Abneigung menschlichen Geistes, sich durch eine blosse Möglichkeit, ohne die geringste Verbürgung ihrer Verwirklichung zum Handeln bestimmen zu lassen, an wunderbare Zufälle zu glauben, wo andere Erklärungen näher liegen, die nichts als jene abstráete Möglichst gegen sich haben, – beruht die prozessuale Gewissheit“. 16 Seit jeher gilt, dass (prozessual) auch „persönliche Gewissheit“ logischem Denken und allgemeingültiger Erfahrung verpflichtet ist (RGSt 19, 55 (59); 32, 165 (177); 41, 78 (79); 45, 138 (139); 61, 151 (154); 64, 250 (251); BGHSt 10, 208 (211); BGH NJW 1951, 325; GA 1954, 152; Beling, Reichsstrafprozessrecht (1928), S. 292: Beweiswürdigende „Schlußfolgerungen sind … immer nur auf dem Grunde allgemeiner Erfahrungsregeln möglich“. 17 Übersichten bei Meurer, FS Tröndle (1989), S. 538 – 541; LR/Gollwitzer, 25. Aufl. (2001), § 261 Rn. 7 – 9; Schmitt (Fn. 8), S. 202 – 205; A. Schmidt (Fn. 12), S. 90 – 100, 107 – 110; Herdegen, FS Hanack(1999), S. 312 ff.; ders., NJW 2003, 3513 (3514 – 3516).

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schen Wahrheit „nahe“, nunmehr „prozessuale“ Wahrheit die derzeit h.M.18 einer Kombination subjektiver „Gewissheit“ mit objektiv „hoher Wahrscheinlichkeit“, rational-argumentativ19 verbunden „als jeweils notwendige Komponenten in einem Gegenseitigkeitsverhältnis“20, etabliert. b) Allerdings war derart heute Geltendes längst gesagt. Bereits im gemeinrechtlichen Inquisitionsprozess war erkannt, dass der Tatbeweis (constare de delicto) durch das reale corpus delicti nur bei Spuren hinterlassenden delicta facti permanentis (z. B. Mord, Brandstiftung) zu führen war, nicht auch bei delicti facti transeuntis (etwa Beleidigung, Ketzerei), so dass schon frühzeitig das corpus delicti als Beweis verstanden wurde21, zunächst in Form der „objektiv-mathematische Wahrheit“ postulierenden „gesetzlichen Beweistheorie“22, ab dem 18. Jahrhundert in Gestalt des „moralische Gewissheit“ trotz nur objektive Wahrscheinlichkeit begründenden „Indizienbeweises“23. 18 BVerfGE 57, 250 (275); BVerfG (Kammer) NJW 2003, 2444 (2445); BGHSt 38, 186 (193); BGH NStZ 1988, 236 (237); 1990, 402; StV 1993, 510 (511); 1995, 453; NJW 1992, 921 (923); 1999, 1562 (1564); BayObLG NStZ-RR 1996, 312; Peters, Strafprozeß, 4. Aufl. (1985), S. 298; Fezer, StV 1995, 95 (96); Schäfer, StV 1995, 147 (149 ff); SKStPO/Schlüchter (Fn. 8), § 261 Rn. 55; Herdegen, NStZ 1987, 193 (197); ders., FS Hanack (1999), S. 326 ff.; ders., NJW 2003, 2316; Jähnke, FS Hanack (1999), S. 360 ff.; KMR/Stuckenberg, 19. Lfg. (1999), § 261 Rn. 19, 20, 26; Eicker (Fn. 11), S. 36, 40, 45; Gräns, Das Risiko materiell fehlerhafter Urteile (2002), S. 172 ff., 179; Hellmann, Strafprozessrecht, 2. Aufl. (2005), Rn. 800, 801; Eisenberg, Beweisrecht der StPO, 5. Aufl. (2006), Rn. 91, 96; LR/ Gollwitzer (Fn. 17), § 261 Rn. 13; Meyer-Goßner (Fn. 8), § 261 Rn. 2; Volk (Fn. 8), § 29 Rn. 4; Krey, Deutsches Strafverfahrensrecht, Bd. 2 (2007), Rn. 1027, 1028. 19 Nur die Begründung der Überzeugung, nota bene, nicht auch der als Ergebnis festgestellte Sachverhalt, muss hiernach „hochwahrscheinlich“ zutreffend sein angesichts auch faktisch möglicher, aber erfahrungsgemäß völlig außergewöhnlicher Geschehensabläufe (zutr. Jähnke, FS Hanack (1999), S. 362 m. Hinw. auf BGHSt 32, 38 u. BGHSt 35, 347: Fälle „Sirius“ und „Katzenkönig“). 20 Fezer, StV 1995, 95 (99); BGH StV 1993, 510 (511): „Die … persönliche Gewißheit … setzt objektive Grundlagen voraus. Diese müssen aus rationalen Gründen den Schluß erlauben, daß das festgestellte Geschehen mit hoher Wahrscheinlichkeit der Wirklichkeit entspricht“. 21 Zum Ganzen Hall, Die Lehre vom corpus delicti (1933), S. 34 ff. 22 Ausführlich Verf, FS Weber (2004), S. 487 – 499. Glaser (Fn. 6), S. 5: „Man glaubte so ein System aufstellen zu können, welches den richterlichen Urtheilen objective Wahrheit, nicht blos subjectives Fürwahrhalten – rechtliche Gewissheit, nicht blosse Wahrscheinlichkeit zu Grunde legt“. 23 „Wahrheit“ als im Grunde nur „Wahrscheinlichkeit“ bzw. „moralische Gewissheit“: Z. B. Leyser, Meditationes ad pandectas (etc.) (1717 ff.), Bd. 8 spec. 561 med. 4 („Ad corpus delicti certitudo moralis, qualis in rebus humanis haberi potest, non mathematica et absoluta, requiritur“), Bd. 9 spec. 591 med. 1 – 4 („corpus delicti nihil aliud esse, quam certitudinem moralem de crimine vero commisso“); v. Boehmer, Elementa Jurisprudentiae Criminalis (etc.) (1749), sect. I cap. XIII § 241 („impossibile est, de omnibus rebus mathematicam certitudinem exigere; plerumque moralis sufficit …“); Beccaria, Dei delitti e delle pene (1764), (deutsch von Esselborn [1905]), § XIV (Unter „Wahrscheinlichkeit … verstehe ich diejenige Gewißheit welche zur Bestrafung unumgänglich erfordert wird“, weil „die moralische Gewißheit nur bloße Wahrscheinlichkeit ist, welche Gewißheit genannt zu werden verdient, weil sie einem jeglichen Menschen von gesundem Verstände Beifall abnötigt … Die Gewißheit … ist also

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c) Ist subjektivem Erkennen verschlossene „objektiv-materielle“ Wahrheit Beweisziel, erscheint das Zentralproblem dann rechtlich zu fordernder WahrheitsNähe konstruktiv in der Tat kaum anders lösbar als auf den von Rechtsprechung und sie begleitender Literatur begangenen Wegen. Jenes Minus bedarf – über die Unverzichtbarkeit effektiver Strafrechtspflege hinaus – dann normativer Legitimation. Diese fehlt. Erstens: Wahrheit ist weder je nach Verfahrensstruktur und -bedeutung divers noch ein von Prozedierqualität abhängiges Produkt24. Sie ist nie graduierbar25, sondern gleich in Schwurgerichts- und Bußgeldsachen; divers sind nur Art und Umfang festzustellender entscheidungsrelevanter Tatsachen sowie das Beweisrecht26. Gleiches ist einzuwenden gegen eine „kommensurable“ Wahrheit als Ergebnis einer Abwägung zwischen zu schützenden Interessen (hier: der Strafverfolgung) und dem dazu nötigen Verfahrensaufwand (als Interessenbeeinträchtigungen)27. Zweitens: Neuere Versuche, „Fehlverurteilungsrisiken“ zu legitimieren durch objektive, die Überzeugung i.S. subjektiver Gewissheit ersetzender Kriterien wie „Schuldwahrscheinlichkeit“ von ca. 96 %28, eines dem „erlaubten Risiko“ in der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit vergleichbaren „Entscheidungsnormensystems“29 oder „intersubdiejenige, nach welcher auch sonst jeglicher Mensch in den wichtigsten Angelegenheiten des Lebens zu verfahren pflegt“); Gmelin, Grundsätze der Gesetzgebung über Verbrechen und Strafen (1785), § 251; Tittmann, Handbuch des gemeinen deutschen Peinlichen Rechts, Theil IV (1810), § 853 („Es wird und kann … keine mathematische Gewißheit gefordert werden, sondern es muß genügen, wenn es sich aus dem ganzen Zusammenhange der Sache vernünftiger Weise nicht anders glauben läßt, als daß das Verbrechen … verübt worden sei“); v. Soden, Geist der peinlichen Gesetzgebung Teutschlands, 2. Bd., 2. Aufl. (1792), S. 251 f. (Beweis sei die „Ueberzeugung, daß eine strafbare Handlung … begangen sey“; die „Fackel der Vernunft kann allein und wird und muß den Richter sicher leiten … in der Beurtheilung, ob die Stufe der Ueberzeugung erreicht sey, die die Möglichkeit des Gegentheils ausschließt …“); v. Quistorp/Roß, Grundsätze des teutschen Peinlichen Rechts, 6. Aufl. (1821), Bd. III, 1. Abt. § 611; Mittermaier (Fn. 11), § 80 („Nach der Natur der hier vorhandenen Geistesoperationen kann nicht jene Nothwendigkeit erreicht werden, welche bei der mathematischen Wahrheit möglich ist“. Das „Erforschen der Wahrheit“ erfordere einen „Kampf von Gründen für und wider …, und nur aus der sorgfältigen Abwägung dieser Gründe geht die Gewißheit hervor, bei welcher alle Gründe des Gegentheils, welche die Erfahrung in concreto aufzeigte, völlig beseitigt sind und die nur als Möglichkeiten bedachten Gründe für das Gegentheil … so ausgeschlossen sind, daß kein Zweifel zurückbleibt“). – Zum Postulat richterlicher Überzeugungsbegründung im reformierten Strafprozess des 19. Jahrhunderts näher Verf., FS Weber (2004), S. 499 – 502. 24 So jedoch Volk, FS Salger (1995), S. 417 f. 25 Neumann, Wahrheit im Recht (2004), S. 9. 26 §§ 244 Abs. 2, 3 – 4; 411 Abs. 2 S. 2; 420 Abs. 4; 384 Abs. 3; 261 StPO; 71 Abs. 1, 77 OWiG. 27 Rödig (Fn. 2), S. 158 ff., 160 – 162. 28 Hoyer, ZStW 105 (1993), 523 (536 ff., 540 f.): Weil dann das Gewicht des Eingriffs in den Status negativus des potentiell Nichtschuldigen durch die sehr geringe Nichtschuldwahrscheinlichkeit ausgeglichen sei. 29 Stein, in: Wolter (Hrsg.), Zur Theorie und Systematik des Strafprozeßrechts (1995), S. 233 (247 ff.), wobei im „Spannungsverhältnis zwischen dem Tatschuldgedanken und den Erfordernissen einer effektiven Strafrechtspflege“ (S. 262) eine „generelle Leitlinie“ sei, „daß

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jektiv als rechtlich richtig begründeter Regeln (Entscheidungsnormen)“30, überzeugen mangels zureichender Maßkriterien31 ebenso wenig wie das Abstellen auf subjektive Gewissheit (einschließlich sprachlich nicht vollständig darstellbarer, nichtbegrifflicher, gleichwohl empirisch zuverlässiger Erkenntnisse) als erforderliche und genügende Verurteilungsvoraussetzung32. Drittens: Nachvollziehbarkeit der Beweiswürdigung durch „vernünftige“, „erfahrene“, „sachkundige“ Dritte, namentlich Richter33, kann Maßstab nicht prozessualer Wahrheit für das Tatgericht, sondern allenfalls revisionsgerichtlicher Urteilsprüfung sein34. Viertens: Durch Konsens Prozessbeteiligter im Wege des Dialogs bzw. Diskurses geschaffene „Wahrheit“35 scheidet schon angesichts ausschließlich richterlicher Feststellungskompetenz aus. Eröffnet der Konsens den Pragmatismus prozesserledigender Absprache, ist der Bereich nur noch „formeller Wahrheit“ i.S.d. Dispositionsmaxime des Parteienprozesses nicht mehr fern. d) Wahrheit als „objektive Wirklichkeit“ ist schon materiell-rechtlich häufig irrelevant: War Tatzeit um 21.32 Uhr eines bestimmten Tages, ist die dem nur „nahe“ Aussage, sie liege zwischen 21.00 und 22.00 Uhr, wahr und rechtsgenügend. Dies nur ein Beispiel für viele, dass zeitlich, räumlich, quantitativ exakte Übereinstimmung mit der Realität i. d. R. nicht gefordert ist36. e) Schließlich ist der als „objektiv-historische Wirklichkeit“ verstandene37 Terminus Wahrheit in § 244 Abs. 2 StPO bereits eine legislatorische Fehlleistung. Er wurde erstmals 193538 anlässlich der Normierung der in der RG-Rechtsprechung entwickel-

die Eingehung der Risiken um so eher zu akzeptieren ist, je existentieller eine effektive Strafrechtspflege darauf angewiesen ist“ (S. 252). 30 Freund, FS Meyer-Goßner (2001), S. 425 ff., über deren „rechtlich legitimierbaren Inhalt“ freilich noch zu diskutieren sei (S. 428). 31 Zutr. Kritik bei Erb, FS Rieß (2002), S. 83 ff. 32 Frister, FS Grünwald (1999), S. 173 ff., 176 ff, 183 f., 186. Dazu krit auch Freund, FS Meyer-Goßner (2001), S. 412 – 414. Im Übrigen unten I. 2. b) (2) mit Fn. 54 – 57. 33 So z. B. Stree, In dubio pro reo (1962), S. 40; Käßer, Wahrheitserforschung im Strafprozeß (1974), S. 63 ff.; Peters, Der neue Strafprozeß (1975), S. 171; ders., JR 1977, 83 (84); Otto, NJW 1978, 1 (7); Roxin, Strafverfahrensrecht, 25. Aufl. (1998), § 15 Rn. 13. – Abl.: Walter (Fn. 2), S. 166 ff.; Greger, Beweis und Wahrscheinlichkeit (1978), S. 115 f.; Gräns (Fn. 18), S. 181. – Näher Verf., FS Krause (1990), S. 73 f. sowie FS Spendel (1992), S. 693. 34 Verf., FS Spendel (1992), S. 705 – 718. 35 Etwa Grasnick, in: Wolter (Hrsg.), 140 Jahre Goltdammers Archiv (1993), S. 55 (67 ff.); Hamm/Hassemer/Pauli (Fn. 11), Rn. 24. 36 Verf., FS Krause (1990), S. 55. 37 Vgl. oben I. 1. a) mit Fn. 8. 38 Die StPO 1877 enthielt nur folgende Regelungen (in Klammern die im Wesentlichen entspr. heutigen Vorschriften): § 243 Abs. 1 (§ 244 Abs. 1); § 243 Abs. 2 (§ 244 Abs. 4); § 244 Abs. 1 (§ 245 Abs. 1); § 244 Abs. 2 (§§ 384 Abs. 3, 411 Abs. 2 S. 2, 420 Abs. 4) für das SchöffG sowie das LG als Berufungsinstanz in Übertretungs- und Privatklagesachen.

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ten Grundsätze zum Beweisantragsrecht in die StPO eingefügt39, ohne zu beachten, dass Beweisziel für das RG gerade nicht die empirisch unerreichbare und schon begrifflich (!) nicht feststellbare „absolute“ Wahrheit, sondern die als solche nur fingierte („geltende“) richterliche Überzeugung war40. Daher sinnvoll und sachgerecht nicht „zur Erforschung der Wahrheit“ ist die Zweckformel des § 244 Abs. 2 StPO zu interpretieren, sondern „zur Bildung seiner Überzeugung (§ 261)“. 2. „Überzeugung“ als Kriterium prozessualer „Wahrheit“41 a) Mit dem Beweisziel „Überzeugung“ ist „Wahrheit“ nur als ontologische, nicht auch als Prädikat rechtsrichtiger, rational durch das Tatgericht verifizierbarer42 und revisionsgerichtlich falsifizierbarer43 Aussagen aus dem gerichtlichen Erkenntnisprozess eliminiert. In der formalen Wahrheitsdefinition als adaequatio (Übereinstimmung) intellectus (Vorstellung bzw. Aussage) et rei (rechtsrelevanter Sachverhalt) bedarf die adaequatio im „prozessualen Raum“ der meta-sprachlichen Kategorie, einer normativ geforderten „Überzeugung“, in der eine „Tatsache“ als rechtlich existent und damit über sie als wahr ausgesagt wird44. Diese prozessuale Wertung weist ein Urteil, dem eine auf ordnungsgemäßer Überzeugungsbildung gegründete Tatsachenfeststellung zugrunde liegt, als rechtsrichtig und auch dann nicht als „Fehlverurteilung“ aus, wenn jener Sachverhalt der historischen Wirklichkeit nicht korrespondiert45. „Wahrheit“ ist im Strafverfahren somit nicht (ontologische) Voraussetzung, sondern (semantische) Folge der „Überzeugung“46. b) (1) Als prozessuales Wahrheitskriterium ist die „Überzeugungs“-Aussage legitimierbar nur durch zureichende Begründung. Das war – nach beseitigter gesetzlicher Beweistheorie – Standard schon im „reformierten Strafprozess“ des 19. Jahrhunderts47, wurde aber nach Inkrafttreten der RStPO 1877 mit Hinweis auf eine subjektiv-psychologische Natur und weitgehende Irrationalität der Überzeugungsbil-

39 G. zur Änderung von Vorschriften des Strafverfahrens und des GVG v. 28. 6. 1935 (RGBl. I, 844). § 244 Abs. 2 lautete: „Das Gericht hat von Amts wegen alles zu tun, was zur Erforschung der Wahrheit notwendig ist“. 40 Oben I. 1.a) mit Fn. 14 – 15. 41 Zur näheren Begründung muss ich hier auf meine in Fn. 5 (S. 503 f.), 7 (S. 706 ff.), 9 (S. 696 ff.) und 33 (S. 68 ff., 72 f.) angeführten Arbeiten verweisen. 42 Oben I. vor 1. mit Fn. 5. 43 Verf., FS Krause (1990), S. 75 und FS Spendel (1992), S. 713 – 715. 44 Verf., FS Spendel (1992), S. 703 f. 45 Verf., FS Spendel (1992), S. 697. Ausführlich Verf., FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002), S. 689 ff., 708 zur verfehlten h.M. (vgl. oben I. 1. a) mit Fn. 7 – 10), Prozessaufgabe sei die „Verwirklichung des materiellen Rechts“ und damit die Feststellung des ontologisch-wahren Sachverhalts. 46 Verf., FS Krause (1990), S. 56 f., 62 ff., 68 ff., 72 ff. sowie FS Spendel (1992), S. 697. 47 Nachweise in Fn. 23.

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dung als scheinbar unüberprüfbar hinzunehmende „Domäne des Tatgerichts“ nicht (mehr) gesehen48. Wesentlich dank der BGH-Rechtsprechung49, vergleichbar bedeutsam wie die RG-Judikatur zu Aufklärungspflicht und Beweisantragsrecht50, ist nunmehr mit Recht anerkannt, dass das Tatgericht seine Überzeugungs-Aussage als „wahr“ beweisen muss durch in sich lückenlose (insbesondere konkrete Alternativen berücksichtigende), Widerspruchs- und kreisschlussfreie, Gesetze allgemeiner und sprachlicher Logik sowie Regeln genereller und wissenschaftlicher Erfahrung (je nach ihrer Geltungskraft) beachtende Argumentation51. „Subjektive Gewissheit“ und „objektiv hohe Wahrscheinlichkeit“ taugen weder je für sich noch kumuliert als prozessuale Wahrheitskriterien52. Vielmehr gilt: Urteilswahrheit meint Begründungsrichtigkeit53. (2) Soweit nicht ausschließlich zwingende Denk- oder/und (rechtlich) ausnahmslos gültige naturwissenschaftliche Gesetze konkretisierend, lässt selbst jene rechtsgenügende Begründung objektiv stets Raum für (ohnehin nie ausschließbare) „abstrakte“ wie auch (dem Induktionsbeweis immanente) „konkrete“ Zweifel an ihrer Ergebnisrichtigkeit und damit Aussagenwahrheit offen54. „Überzeugung“ (§ 261 StPO) bedeutet aber für das Tatgericht subjektiv-persönliche Gewissheit von Begründungsrichtigkeit, nicht neben dieser, sondern durch sie, nicht als Bedingung (Maß-

48 Dazu Verf., FS Spendel (1992), S. 700 – 702 und Verf., FS Weber (2004), S. 502 f. sowie unten II. 1. a) mit Fn. 66 – 73. – Anders der Zivilprozess, dem der Geschworenengerichtsidee geschuldete rationalitätshemmende Begründungsdefizite der Beweiswürdigung fremd waren: „Diese sehr freie Stellung kann dem deutschen Richter im Vertrauen auf dessen Bildung, Integrität und unabhängige Stellung unbedenklich gewährt werden. Um eine sorgfältige Abwägung der Gründe, welche für die Ueberzeugung des Richters leitend sind, zu sichern, ist angeordnet, daß in dem Urtheil diese Gründe anzugeben seien … Uebrigens darf … nicht übersehen werden, daß mit der Verwerfung einer gesetzlichen Beweisregel die Regel selbst noch nicht beseitigt, sondern nur in ihrer rechtlichen Bedeutung verändert wird, indem die gesetzlichen Vorschriften den Charakter goldener Erfahrungssätze annehmen“ (Motive zu § 259 CPO [= heute § 286 ZPO], in: Hahn/Stegemann (Hrsg.), Materialien zur Civilprozeßordnung, 1. Abt., 2. Aufl. (1881), S. 275 f.). 49 Umfassend aufgearbeitet von Fezer, Die erweiterte Revision – Legitimierung der Rechtswirklichkeit? (1974), S. 51 ff.; ders., Möglichkeiten einer Revision in Strafsachen (1975), S. 65 – 94, 97 – 129, 142 – 170; Nack StV 2002, 510 ff. u. 558 ff.; w. Nachw. bei Verf., FS Spendel (1992), S. 702, Fn. 83. 50 Unten II. 1. b) mit Fn. 89 – 107. 51 Verf., FS Weber (2004), S. 486. 52 Zur näheren Begründung Verf., FS Spendel (1992), S. 692 – 696 u. FS Weber (2004), S. 502 f. – Selbst Vertreter der gegenwärtig h.M. (oben I. 1. a) mit Fn. 18) konzedieren vereinzelt, dass eine Bestimmung des Beweismaßes der „hohen Wahrscheinlichkeit“ bisher nicht gelungen sei (Herdegen, NStZ 1987, 199; Gräns, [Fn. 18], S. 190). 53 Verf., FS 600 Jahre Würzburger Juristenfakultät (2002), S. 708 u. FS Weber (2004), S. 504. 54 „Demgemäß schließt die Forderung einer objectiven … empirischen Gewißheit einen Widerspruch mit dem Wesen der Ueberzeugung … in sich“ (Zachariae [Fn. 3], S. 399).

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stab, Voraussetzung) für sie, sondern Folge aus ihr55. Rechtlich ist diese Gewissheit nicht, wie vielfach gemeint, irrationaler, voluntativer, intuitiver, psychologischer Art, sondern rationaler, noch objektiv mögliche Zweifel an der Begründungsrichtigkeit endgültig mittels dem erkennenden Gericht in alleiniger Kompetenz zugewiesener unmittelbarer Wahrnehmung der Beweisverfahrensergebnisse (des „Was“) und der Art und Weise ihres Zustandekommens (des „Wie“) in mündlicher Hauptverhandlung56 überwindender Erkenntnisakt, eine conviction nicht intime, sondern raisonée. Und nur so verstanden gälte: „Diese persönliche Gewissheit ist für die Verurteilung notwendig, aber auch genügend“57. Solche (Begründungs-)Gewissheit ist schließlich aus rechtlich-verantwortungsethischen Gründen unverzichtbar58.

II. Instrumentalität des Beweises 1. Disparitäten zwischen Gerichtsüberzeugung (§ 261 StPO) und Umfang der Beweisaufnahme (§ 244 StPO) Ist rechtsrichtige Überzeugung als strafprozessuales Wahrheitskriterium das Ziel, so sind prozessordnungsgemäß gewonnene Beweisergebnisse zweckfinale Mittel des Beweises59. Dennoch ist für die h.M.60 § 261 StPO nicht Grund (Maßprinzip) des Beweisaufnahmeumfangs (§ 244 Abs. 2 StPO), sondern – bei eingeräumter 55

Fezer, StV 1995, 95 (99); Verf., FS Spendel (1992), S. 694 f. In öffentlicher, mündlicher und unmittelbarer Beweisaufnahme erkannte bereits der „reformierte Strafprozeß“ eine der wesentlichen Garantien zuverlässiger Überzeugungsbildung (Verf., FS Weber [2004], S. 501 m. Nachw. in Fn. 141). Entsprechend führen die Motive zum StPO-Entwurf 1874 (in: Hahn, Die gesammten Materialien zur StPO, 1. Abt., 1880), S. 194 aus: „Nur wenn die erkennenden Gerichte sich darauf angewiesen sehen, ausschließlich aus den lebendigen Erkenntnisquellen der mündlichen Verhandlung ihre Entscheidung zu schöpfen“, werde sich „eine genügende Gewähr für die Rechtssicherheit finden“. 57 BGHSt 10, 208 (209). Vgl. schon RGSt 66, 164 (Zitat oben Fn. 15). 58 Näher Verf., FS Spendel (1992), S. 695 m. Nachw. – Dem Richter ist „als höchstpersönliche Verantwortung auferlegt“, dass „er mit seiner ganzen Persönlichkeit hinter der Entscheidung steht“ (Hanack, JuS 1977, 727 [729]). Ebenso Erb, FS Rieß (2002), S. 92. 59 Oben I. vor 1. mit Fn. 3. 60 Wessels, JuS 1969, 1 (6); Engels, GA 1981, 21 (25 ff.); Herdegen, GS Meyer (1990), S. 189: „Die Qualität der Wertung hängt von der Qualität des Objekts der Wertung ab“; ders., in: KK-StPO, 5. Aufl. (2003), § 244 Rn. 17, 25; Schulz, StV 1991, 354 (361); A. Schmidt (Fn. 12), S. 172; Fezer, StV 1995, 263; LR/Gollwitzer (Fn. 17), § 244 Rn. 25; Toepel, Grundstrukturen des Sachverständigenbeweises im Strafprozeßrecht (2002), S. 309, 317; Schulenburg (Fn. 11), S. 79 ff.; Tenorth-Sperschneider, Zur strukturellen Korrespondenz zwischen den gesetzlichen Ablehnungsgründen nach § 244 Abs. 3 S. 2 StPO und einem zulässigen Beweisantrag (2004), S. 39. Früh schon Lobe, LZ 1914, Sp. 977 ff.: In § 260 StPO 1877 „wird eine stattgefundene Beweisaufnahme vorausgesetzt, … nichts aber über die Anordnung der Beweisaufnahme und deren Umfang selbst gesagt … Für diesen Umfang aber gibt es einen objektiven Maßstab, der gefunden wird aus dem Wesen der Wahrheitsforschung durch das Gericht“ (Sp. 981); „Das Gericht ist verpflichtet alle zur Erforschung der Wahrheit objektiv … geeigneten und bekannten Beweismittel zu erheben und zu prüfen“ (Sp. 985). 56

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„vielfacher Verschränkung“61 – die „strikte Trennung von gebundener Beweiserhebung und freier Beweiswürdigung … eine unverzichtbare Errungenschaft des modernen Strafprozesses“62 : Überzeugungsbildung sei statthaft erst nach vollständig erfüllter Aufklärungspflicht63 ; § 261 StPO statuiere „jedenfalls in keiner Hinsicht einen Beweiszwang des Gerichts“64 und besage „nichts über den Gegenstand der Beweisaufnahme“65. Diese Auffassung resultiert aus zwei Entwicklungslinien, jeweils mit dem Ziel, prozessuale Wahrheitsfindung – trotz fortbestehenden Postulats grundsätzlicher Unangreifbarkeit „freier“ Überzeugungsbildung – möglichst rational und überprüfbar zu gestalten: a) Objektivierung des Beweises wegen irrevisibler Beweiswürdigung (1) Getreu Vorgaben des StPO-Gesetzgebers, dass die Begründung der tatrichterlichen Überzeugungsbildung, zumal von einer Laienjury des Geschworenengerichts, nicht zu verlangen sei und das Urteil nur die „objektiven Entscheidungsgründe, nicht aber die subjektiven Beweisgründe enthalten“ müsse66, also dem Revisionsgericht „die Beurtheilung des rein Tatsächlichen“ nicht zustehe67, galt, sofern nicht der Überzeugungsbegriff selbst verkannt war68, auch für die Rechtsprechung zunächst die Maxime grundsätzlicher Irrevisibilität der Beweiswürdigung69. Lediglich deren Ergebnis konnte die Sachrüge begründen, wenn die „für erwiesen erachteten Tatsachen … die gesetzlichen Merkmale der Straftat“ (§ 267 Abs. 1 l StPO) nicht ausfüllten, weil sie – als solche auch revisionsgerichtlich ohne Weiteres überprüfbar – unklar, widersprüchlich oder mit Denkgesetzen, Sprachregeln, Grundsätzen allgemeiner Erfahrung und offenkundigen Tatsachen unvereinbar waren70. Gleiches galt, soweit 61

Fezer, StV 1995, 95 (96); BVerfG a.a.O. (Fn. 8). Ähnlich Meurer, GS Kaufmann (1986), S. 960: „vielfältige Wechselwirkung“. 62 Meurer, ibid. Ebenso Strate, FS Rieß (2002), S. 615. 63 Alsberg/Nüse/Meyer, Der Beweisantrag im Strafprozeß, 5. Aufl. (1983), S. 412; LR/ Gollwitzer (Fn. 17), § 244 Rn. 45: „Weitgehend unstreitig ist heute, daß die Freiheit der Beweiswürdigung erst dann einsetzt, wenn die Aufklärungspflicht erfüllt ist“. Frühzeitig schon RGRspr 6, 453 (454): § 260 StPO 1877 „beruht auf der Voraussetzung, dass der Verpflichtung, die materielle Wahrheit zu erforschen, … im vollen Umfang genügt worden ist“. Ebenso RGRspr 7, 296 (297). 64 Alsberg (Fn. 6), S. 114. 65 Meurer, GS Kaufmann (1986), s, 947. 66 Motive (Fn. 56), S. 211 (zu § 207 = § 260 StPO 1877 = § 261 StPO heute, sowie zu § 225 Abs. 1 = § 267 Abs. 1 S. 1 StPO seit 1924). Dazu Verf., FS Spendel (1992), S. 700 – 702. 67 Motive (Fn. 56), S. 250, 251. 68 Oben I. 1. a) mit Fn. 14, 15. 69 RGRspr 1, 532 f. u. 776 f.; RGSt 3, 201 (202); 8, 351 (352 f.); 14, 364 (376); 23, 409 (411); 42, 168 (169 f.); 47, 160 (169). 70 RGSt 38, 308 (309); 41, 78 (79); RG JW 1922, 1017 f. m. Anm. Alsberg u. Friedlaender; 1923, 838 m. Anm. Alsberg; 1927, 912 (913) m. Anm. Mannheim; 1927, 3051; 1932, 420 m. Anm. v. Scanzoni.

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nach Beseitigung des Jurysystems 1924 die Überzeugungsbildung im Urteil dokumentiert wurde, für deren Begründung71, weil die „Berücksichtigung allgemeiner Erfahrungssätze, Denkgesetze und Auslegungsregeln … nicht in das Gebiet der durch § 261 StPO dem Tatrichter vorbehaltenen Beweiswürdigung“ falle72, wobei das RG jedoch „bisher noch nicht ausdrücklich entschieden“ habe, ob „Verstöße gegen Denkgesetze, die bei der Beweiswürdigung unterlaufen, das sachliche Recht oder nur das Verfahrensrecht verletzen …“73. (2) Erschien somit der Beweis (i.w.S.) mit Blick auf die Überzeugungsbildung nur begrenzt rationalisierbar, objektivierbar, überprüfbar, lag als Korrektiv nahe74, Beweiswürdigung zumindest gegenständlich an umfassend erfüllte Aufklärungspflicht zu binden. Der damit notwendige, den Umfang der Beweisaufnahme bestimmende, die Inquisitionsmaxime konkretisierende Maßstab des § 153 Abs. 2 StPO 1877 (= § 155 Abs. 2 StPO heute)75 i.V.m. § 243 Abs. 3 StPO 187776 war aber 50 Jahre lang nur formaler Art; inhaltlich folgte er aus § 260 StPO 1877 (= § 261 StPO heute): War das Gericht „überzeugt“, erübrigte sich weitere Beweisaufnahme77 selbst dann, wenn sie „außerordentlich nahe lag“78, resümiert in der (deklaratorischen) Frage: „Wie aber soll für das Gericht noch Anlass bestehen können, den Sachverhalt weiter aufzuklären, wenn es bereits die volle Überzeugung von der Schuld des

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RGSt 63, 112 (113 f.); 64, 250 f.; RG JW 1931, 738 f. u. 1494 f.; 1932, 422 u. 3070, je m. Anm. Alsberg; 1934, 2070; HRR 1934 Nr. 615 („einfache Erfahrungstatsache“, dass „auch Wilddiebe bisweilen die Wahrheit“ sagen). 72 RGSt 61, 151 (154 f.) = JW 1928, 1225 (1226 f.) m. Anm. Oetker. 73 RGJW 1934, 2072 f. 74 Mittermaier, Das System der Nichtigkeiten wegen Verletzung von Formvorschriften im Strafprocesse (etc.), GS 2 (1850), 1. Bd., S. 291, (296): „Je freier die Ueberzeugung der Geschwornen ist, desto sorgfältiger muß der Richter bei der Vorlage der Materialien sein, auf deren Grund die Geschwornen bauen …“; Kunert, GA 1979, 401 (413): „Je freier die Würdigung, desto gebundener muß die Präsentation der Beweismittel sein“. 75 Motive (Fn. 56), S. 147 (zu § 135 Entw. 1874 = § 155 Abs. 2 StPO heute): Es „ergiebt sich aus der Natur der Strafsache daß der Richter ebenso berechtigt als verpflichtet sein muß, die Wahrheit nöthigenfalls auch durch andere Mittel, als durch die vom Kläger oder dem Beschuldigten an die Hand gegebenen, zu erforschen … Dieser Auffassung giebt der § 135 Abs. 2 Ausdruck“ – Zur RG-Rspr. zahlr. Nachw. bei Wißgott, Das Beweisantragsrecht im Strafverfahren (1998), S. 127 ff. 76 Die Vorschrift galt bis 1935 (vgl. Fn. 39): „Das Gericht kann auf Antrag und von Amts wegen die Ladung von Zeugen und Sachverständigen sowie die Herbeischaffung anderer Beweismittel anordnen“. 77 RGSt 6, 135 (136); RG JW 1916, 1026. 78 Den Beweisaufnahmeumfang leitete folglich das ebenfalls irrevisible „Ermessen“ des Gerichts: RGSt 6, 135 (136); 13, 158 (160 f.); RG GA 44 (1896), 273 f.; 46 (1898/99), 208 f.; JW 1902, 579; 1916, 1026; Recht 1918, 1640 u. 1641. – Nur bei (noch) fehlender Überzeugung konnte eine „Aufklärungsrüge“ (i. d. R. der StA) Erfolg haben, wenn trotz weiterer Ermittlungsmöglichkeiten das Gericht vorschnell „in dubio pro reo“ freigesprochen hatte (RGRspr 10, 420 f.; RGSt 47, 417 (425); RG JW 1914, 696 f.; SächsA 1916, 391 f.).

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Angeklagten erlangt hat?“79 So konnte erst die „Entkoppelung des Umfangs der Beweisaufnahme von der freien Beweiswürdigung“80 – ungeachtet im Urteil bekundeter Existenz der Gerichtsüberzeugung – nunmehr wegen Verletzung der inquisitorischen Aufklärungspflicht und folglich nicht hinreichend fundierter „Überzeugung“ die Revision begründen, falls das Tatgericht die Beweisaufnahme nicht auf bekannte oder (z. B. aus den Akten) erkennbare (weitere) Beweismittel erstreckt hatte, die seine Überzeugungsbildung – positiv oder negativ – möglicherweise beeinflusst hätten81, also objektiv „zur Erforschung der Wahrheit notwendig“82 waren. Dem folgend83 erachtet auch der BGH die Aufklärungsrüge für begründet, wenn objektiv – d.h. „aus seiner Sicht der Dinge“84 und „bei verständiger Würdigung der Sachlage“85 – der nicht erhobene Beweis „zur Erforschung der Wahrheit … von Bedeutung“ (§ 244 Abs. 2 StPO) gewesen ist, da er sich „aufgedrängt“ bzw. „nahegelegen“ hatte86 oder schon die „entfernte Möglichkeit“87 seiner konkreten (nicht nur abstrakten) Entscheidungsrelevanz gegeben war. b) Beweisantizipationsverbot und Beweisantragsrecht (1) Ein zweites Einfallstor zu verstärkter Objektivierung der Wahrheitsfindung jedoch hatte das RG schon von Beginn an eröffnet bei der – notwendig beschlussförmigen88 – Ablehnung von Beweisanträgen (i. d. R. des Angeklagten), geprüft am

79 Schneidewin, in: Lobe (Hrsg.), 50 Jahre Reichsgericht am 1. 10. 1929, 1929, S. 270 (331). 80 Schulz, StV 1991, 354 (361). Vgl. bereits v. Schwarze, (StPO-Materialien [Fn. 8], S. 1880): „Eine freie Beweiswürdigung ist kaum denkbar, wenn man sich darauf einlassen will, dem Gericht nachzulassen, daß es den Umfang der Beweisaufnahme bestimme …“. 81 RG JW 1928, 68, 1506 m. Anm. Alsberg u. 2988 m. Anm. Beling; 1931, 2030 f. u. 2495 (2496), je m. Anm. Alsberg; 1933, 451 m. Anm. Alsberg u. 2217 (2218 f.) m. Anm. Wegner; 1937, 1359 u. 1360; GA 73 (1930), 170 f.; HRR 1932 Nr. 2329. 82 § 244 Abs. 2 StPO 1935 (vgl. Fn. 39). 83 Zur Gesamtentwicklung instruktiv Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 847 – 856. 84 BGHSt 36, 159 (164 f.); BGH NStZ 1985, 324 (325); 1992, 450; StV 1989, 467; 1996, 581. 85 BGH NJW 1951, 283; NStZ 1994, 247 (248) m. Anm. Widmaier = StV 1994, 169 m. Anm. Strate; NStZ-RR 1996, 299; NStZ 1998, 50. 86 BGHSt 1, 94 (98); 3, 169 (175); 10, 116 (118 f.); 12, 311 (316); 27, 250 (252); 30, 131 (140); 35, 21 (26); 39, 291 (297); BayObLGSt 1971, 128 (130). Ständ. Rspr.; vgl. Schatz, Das Beweisantragsrecht in der Hauptverhandlung: Reformgeschichte und Reformproblematik (1999), S. 231 f. m. zahlr. Nachw. 87 BGHSt 23, 176 (188); 30, 131 (143); BGH StV 1993, 194. 88 § 243 Abs. 2 StPO 1877 mit der Begründung: Die „Ablehnung eines Beweisantrages enthält den Ausspruch, daß der angetretene Beweis, selbst wenn er die Behauptung des Antragstellers bestätigte, auf die richterliche Ueberzeugung … ohne Einfluß sein werde. Der … Beschluß ist daher in gewissem Sinne schon ein Bestandtheil des Endurtheils“ (Motive [Fn. 56], S. 192).

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Maßstab des § 377 Nr. 8 StPO 187789. Zwar stand gesetzlich – anders nur bei präsenten Beweismitteln in erstinstanzlichen LG-, SchwurG- und RG-Sachen90 – bis 193591 der Beweisaufnahmeumfang im Übrigen92 (und bei nicht präsenten Beweismitteln ausnahmslos) im Gerichtsermessen93. Damit erschien zunächst die Verteidigung zulässig beschränkbar94 mit Beweisantragsablehnung unter Hinweis auf anderweitig schon festgegründete „Überzeugung“95. (2) Von diesem – für den Sachverständigen- und Augenscheinsbeweis96 grundsätzlich97 aufrechterhaltenen – Prinzip wich zuerst der 2. StS des RG, dem später die übrigen Senate folgten, ab für Bereiche des Zeugen- und Urkundenbeweises angesichts allgemein-objektiver Erfahrung, dass gemäß Grundsätzen der Unmittelbarkeit und Mündlichkeit erst die konkret durchgeführte Beweisaufnahme deren Resultat und Bedeutung für die Überzeugungsbildung zuverlässig ergeben könne98; werde sie nur abstrakt antizipiert gewürdigt und damit ein Beweisbegehren abgelehnt, sei die Verteidigung unzulässig beschränkt99, es sei denn, dass „vermöge besonderer, in der Person des Zeugen liegender tatsächlicher Umstände der Wert des Zeugenbeweises ausnahmsweise schon vorher abschließend beurteilt, d. h. sein gänzlicher Unwert

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Wortgleich nunmehr § 338 Nr. 8 StPO. § 244 Abs. l RStPO 1877. 91 s. oben Fn. 39 sowie u. (3) m. Fn. 106. 92 § 244 Abs. 2 RStPO 1877. 93 So auch die partikularstaatlichen Regelungen im 19. Jahrhundert (ausführlich Schatz, [Fn. 86], S. 42 – 55). Dem entsprach § 207 StPO-Entw. 1874: „Den Umfang der Beweisaufnahme bestimmt das Gericht, ohne hierbei durch Anträge, Verzichte oder frühere Beschlüsse gebunden zu sein“. Jedoch sah der StPO-Gesetzgeber diesen Grundsatz „so sehr im Wesen einer gesunden Strafrechtspflege begründet, daß es einer ausdrücklichen Aufnahme … in die Strafprozeßordnung gar nicht bedurfte“ (RGSt 1,61 [62]). 94 Vgl. RGSt 1, 138 (140) – wie schon die Motive (vgl. Fn. 88) –: Insoweit „unterwirft das Gesetz das richterliche Ermessen keiner Beschränkung und ist daher das erkennende Gericht vollkommen berechtigt, eine solche Vernehmung abzulehnen, wenn es nach den Ergebnissen der Verhandlung die Überzeugung gewinnt, daß die Aussage des Zeugen, selbst wenn sie die Behauptung des Antrages bestätigen sollte, ohne Einfluß auf die Schuldfrage bliebe …“. 95 RG, ibid.; RGSt 1, 175 (176 f.); 1, 297 (298); 1, 315 (316); 1, 383 f.; 14, 276 (277 f.); 39, 258 (259 f.); RGRspr 1, 310 f.; 1, 551 (552 f.); 2, 45 (46); RG HRR 1930 Nr. 1660. 96 Detaillierte Gesamtübersicht m. umfassenden Nachw. bei Wißgott (Fn. 75), S. 88 – 107. 97 Ausnahmen, falls im Sachverständigenbeweis das Gericht sich einschlägige Sachkunde nicht zutrauen durfte (RGSt 61, 273) bzw. der beantragte Augenschein die Zeugenaussage über einen örtlichen Befund widerlegen sollte (RG JW 1911, 248). 98 RGSt 1, 51 f.; 1, 189 (190); 5, 312 (313 f.); 8, 306 f.; 14, 276 (278); 29, 368; 39, 258 (259 f.); 39, 363 (364); 44, 294 (298); 47, 100 (104 f.); RGRspr 3, 498 f.; 3, 768 (769); 7, 296 (297); 8, 693 (694); 10, 29 (31); RG GA 57 (1910), 229; JW 1914, 433; Alsberg, JW 1922, 258 (260). Weit. Nachw. Fn. 99. – Ebenso im Lauf der StPO-Gesetzgebungsarbeiten (Materialien [Fn. 8]) die Abg. Reichensperger (S. 852 f.), Volk (S. 1337) und v. Schwarze (S. 1880). 99 § 377 Nr. 8 RStPO 1877 (vgl. Fn. 89). So z. B. RGSt 7, 76 (79); RGRspr 2, 126 (127); 6, 322 f.; 6, 453 (454); 8, 306 (307). 90

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sicher festgestellt werden kann“100. Durfte somit nur „die Gesamtheit der erhobenen, nicht auch der erst zu erhebenden Beweise die Grundlage der richterlichen Überzeugung bilden“101 und dem „erhobenen Beweis … vor dem angebotenen … kein Vorrang eingeräumt werden“102, bestimmt also nicht mehr das von seiner (bisherigen) Überzeugung geleitete Ermessen des Gerichts den Umfang der Beweisaufnahme, ist der „Beweisanspruch“ ein „Rechtsanspruch geworden“103, dem das „Verbot der Beweisantizipation … immanent“ ist104. (3) Für Beweisantragsentscheidungen konkretisierte in der Folgezeit das RG aus dem „Beweisantizipationsverbot“ Einzelkriterien105, die schließlich 1935106 in § 245 Abs. 2 StPO normiert wurden. Auch auf diesem Weg war ein weiterer Baustein gesetzt für „gebundene“ Beweisaufnahme als ein gegenüber „freier“ Überzeugungsbildung eigenständiges Korrektiv mit spezifischen Rechtskategorien107. 2. Gleichheit der Maßprinzipien für § 261 StPO und § 244 StPO Der Auffassung zuwider, dass Beweiswürdigung (als Folge) und Beweisaufnahme (als Grund) rechtsqualitativ zu unterscheidende Prozessphasen seien, wird sich erweisen, dass, stets orientiert am Zentralbegriff rechtsrichtiger Überzeugung108, § 244 StPO nicht eigenständige Voraussetzung, sondern nur instrumentale und inhaltsbestimmte Konsequenz aus § 261 StPO sein kann109, das Mittel also dem Zweck folgen muss. a) Überzeugung und Aufklärungspflicht (1) Überzeugungsbildung ist strukturell Rechtsanwendungsakt, d. h. Subsumtion der Beweisergebnisse110 – durch rechtsrichtige Würdigung anhand aufgezeigter Maßstäbe111 – unter die Norm des § 261 StPO112 : Sie bestimmt, was das Gericht 100 RGSt 52, 178 (179). Ebenso RGSt 47, 100 (105); 54, 181 (182); 56, 139 (140); 58, 378 (380); Graf zu Dohna, FS Kohlrausch (1944), S. 329 f. 101 Alsberg, JW 1922, 258. 102 Alsberg (Fn. 6), S. 59. 103 Alsberg, ibid. 104 Alsberg, ibid. 105 Vgl. nur Alsberg (Fn. 6), passim. 106 s. Fn. 39. 107 Zum Verhältnis Beweisantragsrecht–Aufklärungspflicht vgl. unten II. 2. c) (1) mit Fn. 137 – 147. 108 Oben I. 2. mit Fn. 41 – 58. 109 Verf., FS Spendel (1992), S. 689 f. 110 Oben I. vor 1. mit Fn. 3. 111 Oben I. 2. b) mit Fn. 49 – 58. 112 Diese Vorschrift, nicht § 244 Abs. 2 StPO (als Folge), normiert „einen die Handhabung aller Verfahrensvorschriften beherrschenden Grundsatz“ (BGHSt 1, 94 [96]), ein „grundle-

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als „von Bedeutung“ (§ 244 Abs. 2 StPO) aufzuklären hat durch suchende Auswahl für § 261 StPO rechtsrelevanter Beweisergebnisse und dazu dienender Beweismittel in einem jeder Normkonkretisierung eigenen Vorgang „ständiger Wechselwirkung, einem Hin- und Herwandern des Blickes zwischen Obersatz und Lebenssachverhalt“113. (2) Die – nur terminologisch unterschiedlichen – Maßkriterien für Beweiswürdigung114 und Aufklärungspflicht115 sind inhaltsgleich116: Aus dem Gebot rationaler Beweiswürdigung durch lückenlose, d. h. „naheliegende“ oder auch nur „mögliche“ Alternativen miterwägende und hierdurch konkrete Zweifel117 ausschließende bzw. hervorrufende Argumentation (§ 261 StPO) folgt die Pflicht des Gerichts, in diesem Begründungskontext relevante und deshalb „sich aufdrängende“ – bekannte oder erkennbare118 – Beweismöglichkeiten auszuschöpfen (§ 244 Abs. 2 StPO)119. b) Überzeugung und Beweisantizipationsverbot Beweiswürdigungsextern konzipiert besagen Beweisantizipationsverbot und darin wurzelndes Beweisantragsrecht120, dass über Beweisaufnahmebegehren Prozessbeteiligter zu entscheiden sei nicht am Maßstab (schon gebildeter) „subjektiver Überzeugung“: Diese bedürfe, die Wahrheitsfindung fördernd, vielmehr objektivie-

gendes, das gesamte Strafverfahren beherrschendes Prinzip“ (BGHSt 23, 176 [187]; ebenso Alsberg/Nüse/Meyer [Fn. 63], S. 19) – alle jedoch zur „Aufklärungspflicht“ aus § 244 Abs. 2 StPO. 113 Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. (1963), S. 13 (15). Dazu auch oben II. 1. a) mit Fn. 61. Gelegentlich formuliert als „Erheblichkeitsprognose“ oder „präsumtives Eignungsurteil“ (wörtlich oder im Ergebnis): Köhler, Inquisitionsprozeß und autonome Beweis Vorführung (§ 245 StPO) (1979), S. 27; Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 856; ter Veen, Beweisumfang und Verfahrensökonomie im Strafprozeß (1995), S. 39, 49, 55; SK-StPO/Paeffgen, 15. Lfg. (1996), § 420 Rn. 20; Vest, FS Trechsel (2002), S. 792; Schulenburg (Fn. 11), S. 61. 114 Oben I. 2.b) mit Fn. 51. 115 Oben II. 1. a) (2) mit Fn. 85 – 87. 116 Zutr. (ausdrücklich oder inzident) Herdegen, FS Boujong (1996), S. 783 f.; ders., NStZ 1998, 444 (445 f.); Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 856 f.; Keller, GA 1999, 255 (261); Jähnke, FS Hanack (1999), S. 362 f. – Deutlich BGH StV 1996, 249 (250 zum Fall „Aussage gegen Aussage“): „Die Anforderungen, die … an die Beweiswürdigung … zu stellen sind …, gelten in vergleichbarer Weise auch für Anforderungen … an den Umfang der Aufklärungspflicht“. 117 Oben I. 2. b) mit Fn. 54 – 57. 118 Auch z. B. infolge von Beweisanregungen bzw. -ermittlungsanträgen Prozessbeteiligter oder aus dem Akteninhalt. 119 Gleiches gilt für §§ 244 Abs. 5 S. 1, 384 Abs. 3, 411 Abs. 2 2, 420 Abs. 4 StPO. 120 Oben II. 1. b) (2) mit Fn. 96 – 106. Dazu Alsberg (Fn. 6), S. 59: Anerkennung des Beweisantizipationsverbots als „Geburtsstunde des Beweiserhebungsanspruchs“.

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render Korrektur auf der Grundlage erweiterten Beweisaufnahmeumfangs121. Damit ist aber das Wesen rechtsrichtiger Überzeugungsbildung122 verkannt, die Beweisantizipationen nicht verbietet, sondern gebietet. (1) Zutreffend ist weithin anerkannt, dass die Konkretisierung selbst der meisten Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 S. 2, Abs. 4, 5 StPO rationaler Vorbeurteilung bedarf123 : Offenkundiges steht infolge zuverlässiger Erfahrung fest und disqualifiziert Gegenteiliges als überzeugungsirrelevant124. – Völlig ungeeignet ist das Beweismittel, falls erfahrungssicher ex ante aus sich heraus und prinzipiell ohne Rückgriff auf das bisherige Beweisergebnis125 beurteilbar das Beweismittel (bzw. das präsumtive Beweisergebnis) auf die Überzeugungsbildung ohne Einfluss bleiben muss126. – Als unerreichbar gilt ein Beweismittel u. a. dann, wenn das Gericht das Maß seines (erfolglosen) Bemühens, es in absehbarer Zeit beizubringen, orientiert hatte (auch) antizipierend an der Bedeutung des erwartbaren Beweisergebnisses für die Sachverhaltsfeststellung127. – Zur Absicht der Prozessverschleppung muss das Gericht seine Überzeugung begründen, dass, wie auch der Antragsteller wisse, die Beweisaufnahme nichts i.S.d. behaupteten Beweisthemas erbringen kann128. – Im Sachverständi121

Zu dessen Ausgestaltung kraft Amtsaufklärungspflicht und Beweisantragsrechts sogleich unten (2) mit Fn. 130 – 135. 122 Oben I. 2. b) mit Fn. 52 – 55. 123 Übersicht bei Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 862 – 868. – Dagegen keine Frage der „Beweisantizipation“, wenn ein unter Beweis gestellter faktischer Umstand aus „tatsächlichen“ Gründen nicht „von Bedeutung“ (§ 244 Abs. 2, Abs. 3 S. 2 StPO) ist: Weil nur „der Inhalt der Beweisaussage und ihr Zuverlässigkeitswert … durch das Verbot der Beweisantizipation der Vorausbestimmung entrückt sind, nicht auch die Beweiserheblichkeit …“, so verneint das Gericht mit der „Erheblichkeit der Beweistatsache … nicht zugleich auch ihre Wahrheit …“ (Alsberg, [Fn. 6], S. 62); ebenso Dohna (Fn. 100), S. 325. – Fälle: Aus einer Indiztatsache will das Gericht lediglich die vom Antragsteller gewünschten Schlüsse nicht ziehen (Meyer-Goßner [Fn. 8], § 244 Rn. 55 m. Nachw.); die zu beweisende Tatsache ist schon erwiesen; bereits ungeachtet der zugunsten des Angeklagten als wahr unterstellten Tatsache ist eine Verurteilungsüberzeugung nicht begründbar. 124 Es sei denn, es wird zugleich die Notorietät begründet in Zweifel gestellt (BayObLG JR 1966, 277). 125 Dieses darf ausnahmsweise in die Vorwegwürdigung einbezogen werden (vgl. auch BGH NStZ 1997, 503 m. Anm. Herdegen = StV 1997, 567 m. Anm. Wohlers), falls es auf den unmittelbar-persönlichen Eindruck vom Zeugen nicht ankommt und etwa der bisherige Beweis – mangels konkreter gegenteiliger Anhaltspunkte – naturwissenschaftlich (z. B. durch gem. § 256 StPO verlesenes BAK-Gutachten) oder als nahezu sicherer Erfahrung gemäß (z. B. Identität der dem Angeklagten entnommenen mit der im BAK-Gutachten ausgewerteten Blutprobe) zweifelsfrei zuverlässig ist. 126 Oben II. 1. b) (2) mit Fn. 100. Vgl. BGHSt 14, 339 (342 f.); 30, 131 (141); BGH NJW 1951, 283; 1952, 191; NStZ 1984, 134; 1985, 324 (325); 1995, 45; 2000, 156; StV 1990, 98; 2002, 352; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 63), S. 30, 843. Zahlr. w. Nachw. bei ter Veen (Fn. 113), S. 137, Fn. 351 – 352. 127 BGHSt 22, 118 (120); BGH NStZ 1982, 127; 1993, 349; Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 63), S. 622; ter Veen (Fn. 113), S. 160 – 164. 128 BGHSt 29, 149 (151); Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 63), S. 642 u. Meyer-Goßner (Fn. 8), § 244 Rn. 68, je m.w.Nachw.

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genbeweis prüft das Gericht, ob zuverlässiger als seine eigene die Sachkunde eines potentiellen Sachverständigen zur Sachaufklärung beiträgt (§ 244 Abs. 4 S. 1 StPO) bzw. ob ein Gutachten durch das eines weiteren Sachverständigen ausnahmsweise widerlegt bzw. in Frage gestellt werden kann (§ 244 Abs. 4 S. 2 StPO). – Der Augenschein darf i. d. R. abgelehnt werden, sofern das Gericht die (im Antrag bestrittene) Sachbeschaffenheit schon in bisheriger Beweisaufnahme als überzeugungssicher festgestellt erachten darf129. (2) Und grundsätzlich: Da formal den Gegenstand der Überzeugungsbildung alle Beweisergebnisse konstituieren, die im „Inbegriff der Verhandlung“ (§ 261 StPO) für jene Überzeugung qualitativ „von Bedeutung“ (§ 244 Abs. 2 StPO) sind, folgt aus § 261 StPO die Gerichtspflicht130, zum Aufbau eines in sich geschlossenen Begründungszusammenhangs alle – ex officio ersichtlichen oder beantragten – Beweise zu erheben, die in hypothetischer Vorbewertung in jenen Gesamtkontext rationaler Argumentation als geeignet und notwendig einzustellen sind. Dafür maßgebend ist nicht, ob das Gericht bereits (faktisch) überzeugt ist131, sondern ob es (rechtlich) schon überzeugt sein darf132. – Inhaltlich in die prognostische Bewertung einer möglichen Beweisaufnahme als relevant sind maßstäblich einzubeziehen auch die beiden empirisch-rationalen Einsichten, dass das tatsächliche Beweisergebnis von dem zu erwartenden abweichen133 und es zuverlässig erst nach unmittelbarer gerichtlicher Wahrnehmung gewürdigt werden kann134. Nur zureichende Begründung, dass auch diese beiden allgemeinen Erfahrungsregeln angesichts besonderer Umstände im konkreten Fall nicht gelten135, begrenzt insoweit die Aufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO). c) Überzeugung und Beweisantragsrecht Am Beweisziel rechtsrichtiger Überzeugungsbildung136 und anderen Maßstäben zu orientierten sind schließlich der antragsinitiierte Umfang der Beweisaufnahme und der Begriff des Beweisantrags selbst. (1) Umfang der Beweisaufnahme: Zur Begründung, dass für Amtsaufklärungspflicht (§§ 244 Abs. 2; 384 Abs. 3; 411 Abs. 2 S. 2; 420 Abs. 4 StPO) und Beweis129

BGHSt 8, 177 (180); Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 63), S. 743; ter Veen (Fn. 113), S. 63 m. w. Nachw. 130 Oben II. 2. a) (2) mit Fn. 114 – 119. 131 Dazu oben II. 1. a) (2) mit Fn. 79. 132 Zutr. Herdegen , GS Meyer (1990), S. 192. Im Ergebnis ebenso Schmitt (Fn. 8), S. 394; Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 856 f. 133 Vgl. BGH NStZ 1997, 505: „unerwartete Wende“; Vest (Fn. 113), S. 797: „überraschende Wende“; Alsberg (Fn. 98), S. 260: Es müsse „wegweisend sein der Erfahrungssatz, daß der Eindruck einer Beweiserhebung oft von viel weittragenderer Bedeutung ist, als es der Antragsteller zu schildern vermag“. 134 Oben I. 2. b) (2) mit Fn. 56 und II. 1. b) (2) mit Fn. 98. 135 Oben II. 1. b) (2) mit Fn. 100 und II. 2. b) (1) mit Fn. 125, 126. 136 Oben I. 2. b) (1) mit Fn. 47 – 53.

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antragsentscheidungen (§ 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO) inhaltsgleiche Kriterien mit der Folge jeweils gleichen Beweisaufnahmeumfangs gälten137, wird im Wesentlichen angeführt: Die aus dem Beweisantizipationsverbot entwickelten Ablehnungsgründe des § 244 Abs. 3 S. 2 -Abs. 5 StPO138 seien nur Konkretisierungen der Offizialmaxime; Beweisantizipationen seien gleich fehlerhaft im Rahmen der Aufklärungspflicht oder eines Beweisantrags; falls Beweisanträge dem Gericht weitere Sachaufklärung gebieten, so nicht wegen (rechtlicher) Kongruenz mit der Aufklärungspflicht, sondern infolge derer nunmehr erweiterten (faktischen) Informationsbasis. – Nach h.M.139 jedoch können Beweisanträge gem. § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO (weitere) Beweisaufnahmen gebieten, die allein vermöge Aufklärungspflicht nicht veranlasst gewesen wären: Das Beweisantragsrecht stärke als „gegenläufiges Prinzip“, als „das strukturell unerlässliche Gegengewicht, das der Hauptverhandlung den Charakter des reinen Inquisitionsprozesses nimmt“140, Prozesssubjektsrechte des Angeklagten; ihm, nicht dem Gericht, weise es die Prognosekompetenz für Ergebnis und Wert des beantragten Beweises zu; seine Aufklärungspflicht dürfe das Gericht auch am bisher gewürdigten Beweisergebnis messen141, über Beweisanträge aber sei 137 „Identitätstheorie“: Beling, Rspr. des RMG v. 6.10.1902 – 19.4.1912 auf dem Gebiete des Strafprozeßrechts, ZStW38 (1918), 612 (620 f.); ders., Anm. zu RG JW 1925, 2782, ibid. S. 2784 (mit dem Antrag werde nur verlangt, was nach dem Grundsatz der materiellen Wahrheitsforschung hypothetisch ohnehin Amtspflicht des Gerichts sei); Dohna (Fn. 100), S. 334 („Denn in Wahrheit lassen sich … schlechthin gar keine vernünftige Beweisanträge denken, welche nicht zugleich schon aus dem Gesichtspunkt der Offizialmaxime zur Berücksichtigung nötigen“); Engels, GA 1981, 21 (32); Wessels, JuS 1969, 1 (3 f.); Gössel, Strafverfahrensrecht (1977), S. 246, 248; ders., JR 1996, 100 (101); Köhler (Fn. 113), S. 26 f.; Schulz, StV 1991, 354 (359 f.); Herdegen, GS Meyer (1990), S. 197 u. Herdegen, FS Boujong (1996), S. 785 f.; Fezer, Strafprozeßrecht, 2. Aufl. (1995), 12/99 (später aufgegeben, vgl. Fn. 139); w. Nachw. bei Schatz (Fn. 86), S. 215, Fn. 181. 138 s. o. II. 1. b) (2) – (3) mit Fn. 96 – 107. 139 Alsberg (Fn. 6), S. 12 f. („Wird … ein Beweisantrag gestellt, so zessioniert insoweit die souveräne Beurteilung der Beweislage durch den Richter“); Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 63), S. 29 ff., 65, 73, 88, 371, 412, 868; Eb. Schmidt, Lehrkommentar zur StPO, Teil II (1957), Erl. 22 f. Vor §§ 244 ff.; Roxin (Fn. 33), § 43 Rn. 4; SK-StPO/Schlüchter (Fn. 8), § 244 Rn. 52; LR/Gollwitzer (Fn. 17), § 244 Rn. 59, 119; Fezer, StV 1995, 263 (268) u. Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 858; ter Veen (Fn. 113), S. 42, 65 ff., 70, 77, 79; Perron (Fn. 8), S. 196, 215 ff.; Wißgott (Fn. 75), S. 253 ff.; Schatz (Fn. 86), S. 220 ff. (m.w.N. S. 211 f. Fn. 164). 140 Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 876 u. StV 1995, 263 (268). 141 „Differenzierungstheorie“: BGHSt 40, 60 (62): Anders als bei Beweisanträgen sei im Rahmen der Aufklärungspflicht das Gericht „vom Verbot der Beweisantizipation befreit“ und es dürfe seine Entscheidung von den zu prognostizierenden Ergebnissen der Beweisaufnahme abhängig machen); BGHSt 36, 159 (165): „rechtlich zulässige Antizipation des mutmaßlichen Ertrages“); BGH StV 1997, 511; NStZ 1999, 312 = JR 2000, 32 (33). Nach Auffassung des Gesetzgebers zu §§ 384 Abs. 3, 411 Abs. 2 S. 2, 420 Abs. 4 StPO soll das Gericht Beweisanträge mit größerem „Ermessensspielraum“ (als in Fällen des § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO) auch dann ablehnen dürfen, wenn es den Sachverhalt für genügend geklärt hält und der Auffassung ist, die weitere Beweiserhebung werde an seiner Überzeugung nichts ändern (BREntw. z. RPflEntlG 1991: BR-Drs. 314/91, S. 99 f. sowie BT-Drs. 12/1217, S. 35; RegEntw z. VBG 1994: BT-Drs. 12/6853, S. 36).

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nur anhand der objektiven Maßstäbe des § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO zu befinden142. Beide Auffassungen haben nur teilweise Richtiges für sich: Zutreffend ist zwar das „Informationsargument“ der „Identitätstheorie“, nicht auch ohne Weiteres deren Behauptung, die Aufklärungspflicht von Amts wegen und auf Beweisantrag hin sei gleich; denn der Katalog des § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO enthält keineswegs alle Einzelkonkretisierungen des Beweisantizipationsverbots und der Amtsaufklärungspflicht143 durch das RG, und es bedeutete eine petitio principii, von Folgerungen (= § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO) aus beiden Rechtsinstituten auf deren Inhalt rückzuschließen. – Ebenso ist der „Differenzierungstheorie“ zuwider die beweisantragsrechtliche Subjektstellung des Angeklagten lediglich Konsequenz des § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO und auch in Fällen der §§ 384 Abs. 3, 411 Abs. 2 S. 2, 420 Abs. 4 StPO gewahrt; mit gleicher Argumentation ist die „Prognosekompetenz“ des Antragstellers nur als Folge aus § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO zu qualifizieren, die Rückschlüsse auf den Inhalt der Vorschrift als nicht schlechthin denkfehlerfrei ausweist. – Beide Ansichten verfehlen jedoch den Kern der Streitfrage: Der Beweisaufnahmeumfang kraft Aufklärungspflicht und aufgrund Beweisantrags kann und muss in Einzelfällen differieren, weil Amtsaufklärungspflicht (§ 244 Abs. 2 StPO) und Beweisantragsentscheidungen gem. §§ 384 Abs. 3, 411 Abs. 2 S. 2, 420 Abs. 4 StPO stets konkreter Rechtswertung mit Rücksicht auch auf bisherige überzeugungsrelevante Beweisergebnisse unterliegen, während nach § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO insoweit die Beweissituation abstrakt-generell, ohne stets den sachlichen Einzelfallerfordernissen gerecht werdend, zu beurteilen ist144. Dies erklärt, weshalb Beweise zu erheben sind einerseits, obwohl gemäß Anforderungen rechtsrichtiger Überzeugungsbildung (kein „Ermessen“!)145 der Sachverhalt an 142 Eine „Teilkongruenztheorie“ will das Antizipationsverbot bzgl. des Beweisergebnisses nur bei Beweisanträgen, hinsichtlich deren Würdigung auch für die Aufklärungspflicht anerkennen (Grünwald, Das Beweisrecht der Strafprozessordnung [1993], S. 105 ff.; Frister, ZStW l05 (1993), 340 (347 ff.); SK-StPO/Paeffgen [Fn. 113], § 420 Rn. 17). Diese Unterscheidung ist jedoch sachlich unbegründet (krit. auch Perron [Fn. 8], S. 217, Fn. 230; Wißgott [Fn. 75], S. 31, Fn. 52; Schatz [Fn. 86], S. 212, Fn. 165). 143 Beide sind inhaltsgleich (a.M.: Schulz, StV 1991, 354 [359 f.]; Schatz [Fn. 86], S. 221 f.) und haben nur aufgrund unterschiedlicher revisionsrechtlicher Vorgaben (oben II. 1. a) [2] mit Fn. 74 – 82) keine Parallelentwicklung erfahren. 144 Abstrakt-gesetzliche Beweiserhebungsregeln i.S.v. § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO sind rechtspolitisch gleichwohl (in Grenzen) legitim, sofern sie kraft legislatorischer „Sekundärwertung“ (Verf., FS Krause [1990], S. 60) weiteren Rechtszwecken wie z. B. (so hier) der Rechtssicherheit, Rechtsklarheit, dem Begründungsgebot, der Dichte rechtlicher Kontrollmöglichkeiten (Herdegen, GS Meyer [1990], S. 197, 198) zu dienen bestimmt sind, ohne die gesetzgeberische „Primärwertung“ (hier: „überzeugungs“-relevante Sachaufklärung in concreto) zu konterkarieren. Nebenbei: Sachinadäquat übersteigerte Abstraktion durch generalisierende Beweiswert-Normen war einer der Hauptgründe für die Ablösung der „gesetzlichen Beweistheorie“ durch das Prinzip davon „freier“ Überzeugungsbildung im „reformierten Strafprozess“ des 19. Jahrhunderts (dazu Verf., FS Weber [2004], S. 492 – 495). 145 Oben I. 2. b) (1) mit Fn. 47 – 53.

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sich als so weitgehend geklärt erachtet werden darf, dass bei verständiger Würdigung der Sachlage eine weitere Beweisaufnahme an der Überzeugung nichts ändern könnte146, andererseits, obgleich die Beweisaufnahme nach § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO allein nicht geboten gewesen wäre147. (2) Beweisantrag: Auch er ist nicht autonomes Rechtsinstitut, sondern Mittel zwecks Einwirkung – positiv oder negativ – auf gerichtliche Überzeugung (§ 261 StPO). Dieses Ziel mit dazu notwendiger gerichtlicher Konkretisierung der Offizialmaxime bestimmt seinen – gesetzlich undefinierten – Begriff und Inhalt: dem Gericht sinnvolle Prüfung der – abstrakt-gesetzlichen (§ 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO) bzw. konkret-individuellen (§§ 384 Abs. 3, 411 Abs. 2 S. 2, 420 Abs. 4, je i.V.m. § 244 Abs. 2 StPO) – Gründe zur Antragsentscheidung zu ermöglichen, insbesondere ob die Beweisaufnahme als überzeugungsrelevant überhaupt erforderlich („von Bedeutung“) und geeignet sei148. Daher muss, sofern anderweitig jeweils nicht erkennbar, der Antragsteller zur Substantiierung seines Beweisbegehrens auch Gründe anführen, weshalb er die zu beweisende Tatsache zumindest vermuten oder für möglich halten darf149 oder warum eigentlich z. B. ein Zeuge zum Beweisthema etwas zu bekunden vermag150.

146 So zur Aufklärungspflicht BGHSt 36, 159 (164 f.); Alsberg/Nüse/Meyer (Fn. 63), S. 30, 843; SK-StPO/Schlüchter (Fn. 8), § 244 Rn. 52; Wessels, JuS 1969, 1 (5); KK-StPO/Herdegen (Fn. 60), § 244 Rn. 22; SK-StPO/Paeffgen (Fn. 113), § 420 Rn. 22; w. Nachw. o. Fn. 139. Insoweit kann wegen ordnungsgemäßer Überzeugungsbildung nur die Verfahrensrüge wegen Verletzung des § 244 Abs. 3 S. 2 – Abs. 5 StPO Erfolg haben. 147 BGHSt 10, 116 (118 f.); 23, 176 (187 ff.). Hier kann nur die Revisionsrüge wegen lückenhafter Überzeugungsbildung (§ 261 StPO) oder mangelhafter Aufklärung (§ 244 Abs. 2 StPO) durchgreifen. 148 BGHSt 37, 162 (165); 39, 251 (254); 40, 3 (6); BGH NStZ 1998, 97; 1999, 522. 149 BGH NStZ 1992, 397; StV 1993, 3; 1997, 567; Meyer-Goßner (Fn. 8), § 244 Rn. 20 m.w.N. pro und contra. 150 „Konnexität“ zwischen Beweistatsache (bzw. -ergebnis) und Beweismittel: BGHSt 43, 321 (329 f.); BGH NStZ 1998, 97; 1999, 522; 2000, 437; 2006, 585. – Abl.: Fezer, FS 50 Jahre BGH, Bd. IV (2000), S. 871 f.; Herdegen, NStZ 1999, 176 (180 f.): „contra legem“.