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German Pages 122 [166] Year 2003
Bar uc hdeSpi no z a Abhandl ung übe rdi eVe r be s s e r ung de sVe r s t ande s La t e i ni s c h–De ut s c h
BARUCH DE SPINOZA
Sämtliche Werke Band 5.1
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
BARUCH DE SPINOZA
Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes Tractatus de intellectus emendatione
Neu übersetzt, herausgegeben, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat
Lateinisch-Deutsch
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
P HI LO S OPHISC HE BI BL IO THE K BAN D 9 5 a
Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. Zweisprachig. Neu übersetzt, herausgegeben, mit Einleitung und Anmerkungen versehen von Wolfgang Bartuschat. ., verbesserte Auflage.
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I N H A LT
Einleitung. Von Wolfgang Bartuschat . . . . . . . . . . . . . .
VII
1. Die Stellung der Schrift in der Philosophie Spinozas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Absicht der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Der Hintergrund der Schrift . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zu dieser Ausgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Bibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIX 1. Ausgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIX 2. Übersetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXXIX 3. Sekundärliteratur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XL
Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes Admonitio ad lectorem / Erinnerung an den Leser (Von J. Jelles (?)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
Baruch de Spinoza Text und Übersetzung I. Das Ziel der Untersuchung (Einleitung) . . . . . . . . . .
7
II. Die Weisen des Wahrnehmens . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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III. Der einzuschlagende Weg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
IV. Erster Teil der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
43
a) b) c) d)
Die fingierte Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die falsche Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die zweifelhafte Idee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Rolle der Einbildungskraft . . . . . . . . . . . . . .
43 59 71 75
VI
Inhalt
V. Zweiter Teil der Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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a) Theorie der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die Ordnung der Dinge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Die Eigenschaften des Verstandes . . . . . . . . . . . .
83 89 95
Anmerkungen des Herausgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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E I N L E IT U N G
1. Die Stellung der Schrift in der Philosophie Spinozas Die »Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes« ist eine Frühschrift Spinozas, die unvollendet geblieben ist. Sie ist in den kurz nach Spinozas Tod erschienenen »Opera Posthuma« (1677) enthalten, für die Spinoza selber seine Manuskripte geordnet hat. Die Herausgeber weisen in einer »Erinnerung an den Leser« darauf hin, daß Spinoza die vor Jahren geschriebene Abhandlung zu vollenden stets beabsichtigt hatte und daß nur andere Arbeiten und schließlich der Tod ihn daran gehindert hätten. Diesem Verständnis nach sind es nur äußere Umstände gewesen, die dem Abschluß des Werkes im Wege standen, nicht aber der in der Abhandlung entwickelte Sachverhalt, den Spinoza als überholt angesehen hätte. In einem auf den Dezember 1661 zu datierenden Brief an Oldenburg (Ep. 6) berichtet Spinoza, daß er ein vollständiges kleines Werk (integrum opusculum) verfaßt habe, mit dessen Niederschrift (descriptione) und Verbesserung (emendatione) er beschäftigt sei, wenn auch im Hinblick auf eine mögliche Publikation nicht entschlossen genug. Dieses Werk handle auch (etiam) von der Verbesserung des Verstandes (de emendatione intellectus). Man hat deshalb als Entstehungszeit unserer Abhandlung die Jahre 1661/62 angenommen. Neuerdings ist die Datierung in Frage gestellt worden. Filippo Mignini hat die These vertreten1, daß Spinoza in jenem Brief von seinem Werk »Kurze F. Mignini in der Einleitung zu seiner Ausgabe: Spinoza, Korte Verhandeling/Breve Trattato, L’Aquila 1986. Ders., Per la datazione e l’interpretazione del »Tractatus de intellectus emendatione« di Spinoza, in: La Cultura (17) 1979, S. 87–160. Ders., Nuovi contributi per la datazione e l’interpretazione del »Tractatus de intellectus emendatione«, in: E. Giancotti (Hg.), Proceedings of the first italian international congress on Spinoza, Neapel 1985, S. 515–525. 1
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Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück« berichte, das in sich selber eine Theorie der Verbesserung des Verstandes enthalte, und er hat zu begründen versucht, daß unsere Abhandlung jener »Kurzen Abhandlung« zeitlich vorausgehe. Curley2 und Klever3 sind in ihren Ausgaben dieser Einschätzung gefolgt, Rousset4 hat ihr in seiner Ausgabe vehement widersprochen, insbesondere der damit verbundenen Behauptung, daß die »Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes« eine Philosophie enthalte, die gar nicht genuin spinozanisch sei, weil sie, anders als die »Kurze Abhandlung«, wesentlicher Elemente entbehre, durch die Spinozas Philosophie ausgezeichnet ist. In meiner Einleitung in die »Kurze Abhandlung«5 habe ich dargelegt, warum ich Migninis Einschätzung nicht teile und das vorliegende Werk für einen Fortschritt über die »Kurze Abhandlung« hinaus auf die »Ethik«, Spinozas vollendetes Hauptwerk, hin halte. Ich habe dies über die mangelhafte Theorie des menschlichen Verstandes in der »Kurzen Abhandlung« begründet, dessen Eigentümlichkeit, das Verstehen, dort als »ein bloßes oder reines Leiden« (II, 15) beschrieben wird und darin in einer Verfassung konzipiert ist, aus der der »Ethik« zufolge eine Theorie menschlichen Glücks nicht gegeben werden kann. Der 5. Teil der »Ethik« ist überschrieben: »Von der Macht des Verstandes oder von menschlicher Freiheit (De potentia intellectus seu de libertate humana)«. Die Überschrift signalisiert die enge Verknüpfung zwischen dem Erkennen des Menschen und dessen Glück, das in der Freiheit besteht. Und gemäß ihrer Definition (Eth. I, def. 7) besteht die Freiheit, bezogen auf den Menschen, allein darin, daß der Mensch »allein von sich her zum Handeln bestimmt wird«, d. h. aus einer ihm eigenen Macht (poE. Curley in seiner Ausgabe: The Collected Works of Spinoza Bd. 1, Princeton 1985. 3 W. Klever in seiner Ausgabe: Spinoza. Verhandeling over de verbetering van het verstand, Baarn 1986. 4 B. Rousset in seiner Ausgabe: Spinoza. Traite ´ de la re´forme de l’entendement, Paris 1992. 5 In der Einleitung zu meiner Ausgabe: Spinoza. Kurze Abhandlung von Gott, dem Menschen und dessen Glück, Hamburg 1991. 2
Einleitung
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tentia), von der Spinoza zeigt, daß sie allein die seines Verstandes (intellectus) sein kann. Die enge Verknüpfung von Erkennen und Glück, die in der »Ethik« aufgezeigt wird, ist genau das Thema, dem die Einleitung der »Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes« gewidmet ist.6 Der Eingangssatz formuliert das Thema, um das es geht: die Suche nach einem glücklichen Leben, das darin besteht, das wahrhaft Gute zu genießen. Er formuliert das Thema, unter dem das Ganze der Philosophie Spinozas steht und das deshalb in den Titel des Hauptwerks »Ethik« Eingang gefunden hat. Und im Dienst dieses Themas steht das, was der Titel unserer Abhandlung enthält: die Verbesserung des Verstandes. Daß es unser Verstand ist, der für die Realisierung des gelingenden Lebens die entscheidende Rolle spielt, steht im Zentrum von Spinozas »Ethik«; dieser Sachverhalt wird dort in der Radikalität entwickelt, daß der Verstand nicht die höchsttaugliche Instanz ist, ein von ihm noch verschiedenes Gutes zu erkennen, daß vielmehr der Akt des Erkennens (intelligere) selber das höchste Gut ist (Eth. IV, prop. 26), so daß das gelingende Leben sich deshalb allein im Erkennen realisiert. Die »Ethik« entwickelt die Bedingungen, unter denen das menschliche Erkennen steht; es sind in erster Linie solche ontologischer Art, die Spinoza aus einer Theorie der göttlichen Substanz gewinnt, aber auch solche anthropologischer Art, die er über eine Theorie des menschlichen Körpers und der menschlichen Affektivität gewinnt. Die anthropologischen Bedingungen haben ihrerseits in der Ontologie eine Basis, stellen aber eine zusätzliche Komponente dar, durch die das faktische Erkennen des innerweltlich existierenden Menschen bestimmt wird. Der Rahmen, in den Spinoza in der »Ethik« die Theorie des Erkennens stellt, dient der Exposition der Bedingungen, unter denen das menschliche Erkennen den Charakter, adäquat oder inadäquat zu sein, hat. Er verdeutlicht dabei insbesondere, daß der Mensch unbeschadet seiner Endlichkeit zu einem vollkommen adäquaten Wissen gelangen kann, das ihm ein in der eigenen Vernunft geZur Komposition der Einleitung vgl. Th. Zweerman, Spinoza’s inleiding tot de filosofie, Löwen 1983, französische Fassung, Assen 1993. 6
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gründetes Leben ermöglicht, in dem er frei ist, nämlich nicht fremdbestimmt durch ihm äußerliche Mächte. Gegenüber der Gelassenheit und Souveränität, mit der Spinoza aus dem Fundus schon erlangter philosophischer Einsicht diesen Sachverhalt in der »Ethik« vorträgt, beginnt Spinoza unsere Abhandlung mit der Perspektive dessen, der in der Ungewißheit befangen ist, in Abhebung von der er den Aspekt betonen will, daß der Mensch angesichts des Defekts seines Erkennens zu einer vollkommenen Erkenntnis gelangen kann. Mag Spinoza selber, wenn er die Abhandlung schreibt, diesen Prozeß schon durchlaufen haben, so bezieht er sich doch auf eine Position des anfänglichen Irrtums. Er will zeigen, daß dem Menschen im Erkennen eine Vervollkommnung möglich ist und daß eine Skepsis hinsichtlich der Kraft eines sicheren, dem Menschen Gewißheit verbürgenden Erkennens unangebracht ist. Von diesem Ausgang her ergibt sich der Gedanke einer »Verbesserung« (emendatio) des Verstandes, die freilich durch den Verstand selbst zu geschehen hat, der insofern demonstriert, daß er die Kraft hat, den Menschen aus dem Status der Unwissenheit zu befreien, und daß der Mensch deshalb nicht auf ihn übermächtigende Instanzen verwiesen ist, von denen her er erfahren müßte, in welcher Weise er sein Leben zu führen hat, damit es ein gelingendes Leben ist. Die Analyse der Macht des Verstandes ist ein zentrales Lehrstück der »Ethik«, und es kann keine Rede davon sein, daß es sich bei unserer Abhandlung, die diesem Thema gewidmet ist, um ein Frühwerk handelt, das in die Vorgeschichte der Philosophie Spinozas gehört und durch dessen ausgearbeitete Philosophie überholt sei. An dem Grundgedanken unserer Abhandlung hält Spinoza auch später noch fest. In einem Brief an Bouwmeester (Ep. 37) vom 10. Juni 1666, zu einer Zeit also, als Spinoza einen Großteil seiner »Ethik« schon ausgearbeitet hat, wiederholt er auf dessen Frage, »ob es eine solche Methode gibt oder geben kann, mittels derer wir ungehindert und ohne Verdruß im Denken der vorzüglichsten Dinge fortfahren können, oder ob der Geist gerade so wie unser Körper den Zufällen unterworfen ist und unsere Gedanken [deshalb] mehr durch das gute Glück als durch Kunst geleitet werden«, den Grundgedanken der Metho-
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denlehre unserer Abhandlung. Der menschliche Geist ist nicht in gleicher Weise wie der Körper den Zufällen unterworfen, weil es eine Methode gibt, die es uns erlaubt, unsere klaren und deutlichen Begriffe in eine gehörige Richtung zu bringen (dirigere) und sie miteinander zu verknüpfen (concatenare). Klare und deutliche Begriffe sind solche, die in uns (in nobis) sind, weil wir sie bilden (formare). Weil sie von uns hervorgebracht sind, haben sie keine andere, von unserem Bilden verschiedene Ursache, die außerhalb von uns (extra nos) ist. Sie hängen insofern von unserer Natur allein (a sola nostra natura) ab und folglich von unserer Macht, die unbedingt ist (ab absoluta nostra potentia). Diese unsere Natur und Macht ist unser Verstand (intellectus); er unterliegt bestimmten und festen Gesetzen (certae et fixae leges), die, im Unterschied zu ebensolchen Gesetzen, nach denen sich die Dinge der Welt ereignen, uns nicht unbekannt (ignotae) bleiben und deshalb unserer Natur und Macht nicht fremd (alienae) sind. Die Methode bestehe in nichts anderem als in der Erkenntnis des Verstandes, nämlich seiner Natur und seiner Gesetze, und zwar in der Erkenntnis des reinen Verstandes (in sola puri intellectus cognitione), der in dieser Verfassung in seinem Verfahren nicht durch den den Zufällen unterworfenen Körper bestimmt ist. Weil unser Verstand aber nicht immer schon von dieser Verfassung ist, insofern wir körperliche Wesen sind und als diese auch erkennen, ist er zu purifizieren, also zu einer Reinheit erst zu bringen. Und hierfür müsse man vor allem unterscheiden zwischen Verstand und bloßem Vorstellen (imaginatio), was gleichbedeutend (»sive«) sei mit der Unterscheidung zwischen den wahren Ideen und den übrigen, die bloß vom Gedächtnis abhängen, namentlich den fingierten, falschen und zweifelhaften. Man muß also das tun, was Inhalt des 1. Teils der Methodenlehre unseres Traktates ist. Über die Wiederholung des dort entwickelten Inhalts hinaus betont Spinoza in diesem Brief zwei weitere Gesichtspunkte, die in unserer Abhandlung leitend gewesen sind. Es sei, wenigstens mit Rücksicht auf die Methode (»saltem quoad Methodus exigit«), nicht erforderlich, eine vollständige Theorie des Geistes zu geben; es genüge vielmehr, einen kurzen Abriß des Geistes (»hi-
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Wolfgang Bartuschat
storiola mentis«) in der Manier des Francis Bacon zu geben, d. h. einen Abriß der Wahrnehmungen, die der Geist faktisch hat. Und um die Methode fruchtbar zu machen, komme es auf ein beharrliches Nachdenken sowie einen standhaften Sinn und Vorsatz an, die ihrerseits einer bestimmten Lebensweise und der Orientierung an einem bestimmten Ziel (finis) bedürfen. Mit dem Verweis auf die Faktizität unserer Wahrnehmungen betont Spinoza zugleich, darin unausgesprochen an Descartes anknüpfend, die psychologischen Bedingungen einer vernünftigen menschlichen Orientierung, das Erfordernis eines zu erbringenden Akts des Sichzusammennehmens, den er in der Abhandlung als einen solchen der Aufmerksamkeit (attendere) bestimmt hat. Nur so kann der Mensch sich überhaupt in einer Weise orientieren, in der er nicht dem folgt, was sich im gewöhnlichen Leben darbietet, in der er sich also jenen äußeren Einflüssen entzieht, die, wie es in dem Brief an Bouwmeester heißt, zufällig sind, einem Geschick unterliegend, das nicht in der Macht des Menschen ist. Relativ auf den Tatbestand eines solchen Befangenseins bedarf es, so schließt jener Brief, eines bestimmten Ziels, das zu erreichen ist. Es sich vorzugeben, ist offensichtlich dadurch bedingt, daß der Mensch sich in einem Zustand befindet, in dem er orientierungslos ist. Das teleologische Element des Strebens nach einem Ziel widerspricht aber, wie Spinoza in der »Ethik« zeigen wird, der ontologischen Grundstruktur eines jeden Dinges. Das Verfolgen von Zielen ist relativ auf ein mangelndes Wissen und erweist sich für ein ausgebildetes Wissen als illusionär. Das vollendete Wissen ist ein Wissen aus Ursachen, die keine Finalursachen sind. Die Methodenlehre, die zeigt, wie der Mensch zu einem Wissen zu gelangen vermag, das ihm eine adäquate Orientierung ermöglicht, könne jedoch, so heißt es in dem Brief, von einem vollendeten Wissen absehen. Spinoza bekräftigt also Jahre später, wovon er sich in der Abhandlung hat leiten lassen: es sei nicht erforderlich, die Natur des Geistes, also der Instanz, kraft derer der Mensch sich vernünftig zu orientieren sucht, aus seiner ersten Ursache zu erkennen. Diese Ursache ist, wie die »Ethik« erweisen wird, Gott. Und die »Ethik« wird zugleich zeigen, daß
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erst in dessen Erkenntnis der menschliche Geist Aufklärung über sich selbst und die ihm eigene Macht erlangt. Hierin zeigt sich nun in der Tat ein internes Problem unserer Abhandlung. Sie entwickelt eine Theorie der Macht des menschlichen Erkennens, ohne eine Theorie dessen zu geben, worin der menschliche Geist, dem diese Macht zugesprochen wird, seinen Ursprung hat. Sie enthält somit, ganz gewiß, nicht das Ganze der Philosophie, sondern nur einen bestimmten Aspekt, von dem Spinoza meint, daß er sich verfolgen läßt unter Ausblendung anderer Aspekte. In den Anmerkungen verweist Spinoza mehrfach auf seine Philosopie, also auf das systematische Ganze, das er schon im Blick hat und das dann in der »Ethik« seinen Niederschlag finden wird. Er verweist auf sie teils in dem Sinne, daß das hier Ausgeführte dort noch weiter zu explizieren sei, teils in dem Sinne, daß etwas, das nicht ausgeführt worden ist, auch gar nicht hier, sondern nur im System seinen Ort habe. Geht man davon aus, daß das System nicht eine bloße Addition von Aspekten ist, sondern eine organische Einheit, in der sich die Aspekte wechselseitig bedingen, so stellt sich die Frage, ob eine solche Trennung von Aspekten ohne Bedeutungsverlust möglich ist. Für das System konstitutive Elemente, die Spinoza schon in der »Kurzen Abhandlung« entwikkelt hat, werden in der vorliegenden Abhandlung ausgeblendet. In ihr beginnt Spinoza nicht mit einer Strukturanalyse Gottes; er vernachlässigt die daraus resultierende Konsequenz, daß der Mensch und damit auch sein Verstand ein Modus der göttlichen Substanz ist; und er vernachlässigt die aus der attributiven Gliederung Gottes resultierende Konsequenz, daß der menschliche Geist ursprünglich die Idee seines Körpers ist und daß der Mensch überhaupt nur in dieser Verfassung denkt. Wie kann die Macht des Verstandes, von der es auch in der »Ethik« heißen wird, daß sie gegen das, was uns leiden läßt, das beste von unserer Gewalt (a nostra potestate) abhängende Heilmittel (remedium) ist (Eth. V, prop. 4 schol.), hinreichend dargetan werden, wenn nicht die den Menschen bestimmenden Bedingungen entwickelt werden, unter denen allein etwas in seiner Gewalt sein kann?
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Nun stützt sich die vorliegende Abhandlung durchaus auf ontologische Bedingungen menschlichen Verstehens, wenn diese hier auch nicht ausführlich begründet werden und deshalb nur in rudimentärer Form präsent sind. Sie sind sogar ein die Abhandlung leitendes Element. So wird das, was Spinoza eingangs sucht, das höchste Glück, als Genuß einer beständigen und höchsten Freude auf ewig (»continua ac summa in aeternum fruerer laetitia«, [1]) verstanden. Es ist etwas, das nicht inhaltlich über einen Güterkatalog bestimmt wird, sondern durch die Form höchster Beständigkeit, durch die es von einem bloß vermeintlichen Gut unterschieden ist, eine Beständigkeit, die schon am Anfang durch ein Moment des Ewigen charakterisiert wird. Und die Abhandlung zeigt, daß die Suche vergebens wäre, wenn es nicht ein ewiges Seiendes gäbe, nämlich Gott, und zwar so, daß wir durch dieses Seiende immer schon bestimmt sind. Das geschieht im wesentlichen in den Abschnitten 30–42, in denen der Weg der Erforschung der Wahrheit beschrieben wird. Die dort gegebenen und sehr gedrängt formulierten Darlegungen dienen der Begründung einer Generalthese unserer Abhandlung, daß nämlich die beste Methode des Fortschreitens zu Erkenntnissen in ihrer Qualität, die beste zu sein, sich allein in der Weise des Fortschreitens und nicht im Rückgriff auf eine davon noch verschiedene Methode rechtfertigt. Diese These begründet Spinoza über die Verfassung einer wahren Idee, die wir haben. Hierfür nimmt er ontologische Prämissen in Anspruch, die in der »Ethik« über eine Strukturanalyse Gottes erwiesen werden, hier aber bloße Behauptungen sind: daß eine Idee und ein physisch Seiendes essentiell verschieden sind, daß eine Idee selber ein Seiendes ist, daß eine Idee immer schon mit ihrem Gegenstand übereinstimmt und insofern auch wahr ist, und schließlich daß wir wahre Ideen allein deshalb haben, weil wir Ideen haben, deren Status, wahr zu sein, unabhängig von uns ist. Ausgang jeder Untersuchung, die auf Formen des Erkennens gerichtet ist, ist deshalb eine »gegebene« Idee (idea data), die kraft ihrer Gegebenheit wahr ist und kraft derer wir immer schon etwas wissen. Nicht anders als später in der »Ethik« gilt dabei aber, daß eine wahre Idee, die wir haben, deshalb noch nicht wahr für uns ist,
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weil wir, sofern wir Ideen haben, diese noch nicht in deren Status, wahr zu sein, erfassen. Das Kriterium der Wahrheit für uns, das uns die Gewißheit der Wahrheit verschafft, ist nun nicht das äußere Merkmal einer Übereinstimmung von Idee und Gegenstand. Es ist Idee-immanent und bedarf einer Reflexion auf die Idee (idea ideae), in der deren Status, mit ihrem Gegenstand übereinzustimmen, also ein Ansichseiendes zu objektivieren (essentia objectiva), erst erfaßt wird. Diese Reflexion ist eine Tätigkeit des Verstandes, in der der Verstand zugleich seiner eigenen Tätigkeit inne wird. In ihr hat der Mensch Ideen in anderer Weise, als er sie in einem weiten Sinne immer schon hat; sie sind etwas für ihn, insofern er sie als die seinen weiß, zu denen er gelangt, indem der sie kraft seines Verstandes selber bildet. Das Bilden von Ideen ist ein Herleiten von Ideen aus einer Verstandesaktivität, die, insofern sie ein Reflektieren ist, das Gegebensein einer Idee in deren ontologischen Status der Wahrheit voraussetzt, von der sich der Verstand muß leiten lassen und die insofern die Richtschnur (»norma«, [38]) seiner Tätigkeit ist. Nun sieht es so aus, als ob hierfür jede beliebige Idee geeignet ist, allein weil sie wahr ist. Doch zeigt Spinoza, daß es diejenige in vorzüglicher Weise ist, die dasjenige zum Gegenstand hat, das die Wahrheit von Ideen ontologisch verbürgt, nämlich das höchstvollkommende Seiende Gott, die sich also an der Idee Gottes orientiert. Die Methode, die zeigt, wie der menschliche Geist zu bestimmen ist, damit er zu wahren Ideen gelangt, wird deshalb im Hinblick auf diese Idee als die vollkommenste bestimmt ([38]). Gleichwohl ist dieser Hinblick nicht der Ausgang der Methodenlehre. Orientiert an der Norm der wahren Idee Gottes würde der Mensch nämlich zu nichts als zu wahren Ideen gelangen, die ihre Wahrheit in dem Akt, in dem er zu ihnen gelangt, selbst offenbaren und darin dem Menschen zu einer Gewißheit verhelfen, die durch keine Ungewißheit getrübt ist, weil diese im Hinblick darauf gar nicht auftreten kann. Geleitet von der Idee Gottes würde der Mensch nur das erkennen, was aus dem Gegenstand dieser Idee folgt, nämlich die Dinge in deren je singulären Essenz, die jedem Ding von Ewigkeit her zukommt. Offensichtlich ist es dieser Vorblick, der Spinoza bei der Vorstellung der Erkenntnisarten
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([19 ff.]) ohne viel Aufwand die vierte Art als für sein Unternehmen allein geeignet auswählen läßt ([29]), die er in der »Ethik« scientia intutiva nennen wird und die dadurch gekennzeichnet ist, die Essenz eines einzelnen Dinges zu erfassen. Sie erfaßt der Mensch, so wird die »Ethik« zeigen, genau dann, wenn er ein Ding aus dessen essentieller Ursache, der göttlichen Substanz, begreift, so daß die intuitive Erkenntnis notwendigerweise Gotteserkenntnis ist. In unserer Abhandlung bestimmt Spinoza diese Erkenntnisart jedoch nicht als Gotteserkenntnis, sondern beschreibt sie lediglich als eine Form unmittelbarer Einsicht in die Proportionalität je bestimmter Zahlen ([24]). Und in dem Plan, der die Schritte der zu entwickelnden Methodenlehre skizziert ([49]), heißt es, daß der Geist sich an der Norm »irgendeiner« gegebenen wahren Idee orientieren müsse, mag dies auch am vollkommensten im Hinblick auf die Idee des höchstvollkommenen Seienden geschehen. Deshalb sollten wir zwar »möglichst schnell« zur Erkenntnis eines solchen Seienden kommen, deren Erörterung jedoch erst den vierten Teil der Methodenlehre ausmacht, den Spinoza dann nicht mehr geschrieben hat. Spinoza sagt ausdrücklich ([37]), daß die Methode, nach der der Verstand zu leiten ist, nicht ein Schlußfolgern ist, in dem der Mensch zu einem Begreifen der Ursachen der Dinge gelangt, daß sie auch nicht als Begreifen dieser Ursachen selber zu verstehen ist, sondern daß sie nur das Begreifen dessen ist, was die wahre Idee ist. Und dieses Begreifen von etwas wird, gegenläufig zu einem Grundtheorem der »Ethik«, nicht als Herleiten aus einer Ursache verstanden, sondern als ein Unterscheiden von etwas anderem, nämlich von anderen Ideen, die uns im Modus der Unwahrheit präsent sind. Offensichtlich hat dies seinen Grund in dem besonderen Aspekt, den Spinoza mit dieser Abhandlung verfolgt. Er will die Macht unseres Begreifens darlegen, und er will dabei nicht zeigen, wie sie von ihrer Ursache her, der göttlichen Substanz, begriffen wird, weil er sie als eine Macht gegenüber defizienten Erkenntnisformen ausweisen will. Diese würden nämlich, wenn der menschliche Geist sich aus seinem Ursprung begreift, gar nicht mehr auftreten, weil dann die sich selbst offenbarende Wahrheit allen Irrtum schon getilgt hat.
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2. Die Absicht der Schrift Das Besondere unserer Abhandlung gegenüber der »Ethik« liegt darin, daß Spinoza hier den Ausgangspunkt von einem defekten Erkennen nimmt, also von dem Tatbestand, daß der Mensch ursprünglich im Irrtum befangen ist. Uber diesen Tatbestand sich hinwegsetzen zu wollen, hieße zu unterstellen, daß der Mensch durch irgendein, selber nicht ausweisbares, Geschick dazu bestimmt sei, in Konformität mit der ihn schon bestimmenden Idee Gottes die Natur zu erforschen ([44]). Der elementarste Tatbestand, der einer solchen Konformität im Wege steht, ist offenbar die Zeitlichkeit des Menschen, die sein Erkennen bestimmt und die ihm nicht eo ipso das erkennen läßt, was von Ewigkeit her ist und insofern auch ihn bestimmt.7 So wenig wie das Faktum der Zeitlichkeit sich aus der ewigen Natur Gottes ergibt, so wenig ergibt sich aus ihr das Faktum, daß wir in verworrener Weise erkennen. Der Fall, daß wir das nicht tun, weil wir in Konformität mit dem sind, was uns immer schon bestimmt, muß dann ebenso unerklärlich bleiben. Es wäre ein glückliches Geschick (fatum), das wir hinzunehmen hätten, und damit ein zufälliges Ereignis, das beziehungslos zur Zufälligkeit des verworrenen Erkennens stünde. Indem Spinoza eine Beziehung zwischen den unterschiedlichen Formen menschlichen Wahrnehmens herstellt, will er zeigen, daß der Mensch, der einem undeutlichen Erkennen ausgesetzt ist, sich als dieser zu einer anderen Form des Erkennens bringen kann. Spinoza macht deshalb im 1. Teil der Methodenlehre zunächst deutlich, daß der Verstand es ist, der zwischen unterschiedlichen Formen von Idee zu unterscheiden vermag, insofern gezeigt werden kann, daß fingierte, falsche und zweifelhafte Ideen ihren Ursprung nicht in dem Verstand haben, daß aber wahre Ideen ihn darin haben können, von denen der Mensch dann auch Gewißheit hat. Deshalb untersucht Spinoza nicht die Ursache des menschlichen Geistes, sondern allein dies, inwiefern der menschliche Geist kraft seines Verstandes selber Vgl. G. Boss, Me´thode et doctrine dans le »Traite´ de la Re´forme de l’Entendement«, in: Studia Spinozana (2), 1986, S. 93–108. 7
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Ursache von etwas sein kann, womit er verdeutlichen will, daß es am menschlichen Geist liegt, sich in der Welt vernünftig orientieren zu können, und daß es an ihm liegt, das eingangs skizzierte Unternehmen, das wahre menschliche Glück zu finden, auch zu realisieren. Spinoza verfolgt das Unternehmen so weit, daß er über die Theorie einer Unterscheidung zwischen dem Verstand und der Einbildungskraft, die der Verstand selbst zu treffen vermag (1. Teil der Methodenlehre), hinaus noch eine Theorie der adäquaten Erkenntnis von dem Menschen bislang unbekannten Dingen durch den Verstand und damit eine Theorie fortschreitenden Erkennens gibt (2. Teil der Methodenlehre). Dort entwickelt er eine Theorie der genetischen Definition der Dinge, in der ein Ding über sein Entstandensein und damit über die es erzeugende Ursache definiert wird. Er erläutert sie beispielhaft an der Definition geometrischer Sachverhalte, an denen sich die konstruktive Kraft des Verstandes besonders gut demonstrieren läßt. Dieser Teil endet mit einer Definition des Verstandes, dessen Macht zu kennen angesichts einer Orientierungslosigkeit die Chance des Menschen ist, wobei diese Definition nicht genetisch ist. Sie erfolgt nicht aus der Ursache des Verstandes, sondern aus dessen Eigenschaften, die sich aus der Weise ergeben, in der der Verstand Ideen bildet. Unausgeführt bleiben die Teile der Methodenlehre, die sich der Ankündigung in Abschnitt 49 zufolge mit der Ordnung, die uns von unnützen Dingen abhält (3. Teil), und mit der Erkenntnis Gottes (4. Teil) zu beschäftigen haben. Was unausgeführt geblieben ist, hat offenbar mit dem zu tun, was in der Theorie der genetischen Definition des 2. Teils der Methodenlehre ausgespart geblieben ist, nämlich die Erkenntniskraft des Verstandes in bezug auf physisch Seiendes zu erweisen. Und ein physisch Seiendes ist zweifellos auch der menschliche Geist, dem jener Verstand zugesprochen wird. Ist es das welthaft existierende Subjekt, das von Anfang an thematisch ist, so wird eine Theorie, die zeigen will, wie der Mensch kraft seines Verstandes zu einer vernünftigen Weltorientierung gelangt, auch eine Theorie der Welt sein müssen, eine Theorie der Dinge, die den Menschen affizieren, und dessen, was an ihnen ihm von Nutzen ist
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und was nicht, und schließlich auch eine Theorie des Ursprungs der Dinge, sofern die adäquate Erkenntnis von Dingen deren Erkenntnis aus ihrem Ursprung ist. Es darf angenommen werden, daß sich Spinoza zum Zeitpunkt der Abfassung unserer Abhandlung über diese Theorie noch nicht hinreichend im klaren gewesen ist. So skizziert er im 2. Teil der Methodenlehre, den Übergang zur Erkenntnis der physischen Dinge und damit auch des Ursprungs dieser Dinge vorbereitend, eine Theorie der »festen und ewigen Dinge«, über die eine Erkenntnis der Essenz der zeitlich sich verändernden Einzeldinge soll möglich sein können, die gänzlich unausgereift ist. Die Behauptung, jene festen und ewigen Dinge seien in ihrer Allgemeinheit die Ursachen der veränderlichen Einzeldinge in deren Essenzialität ([101]), findet sich in der »Ethik« nicht. Dort entfaltet Spinoza anstelle jener festen und ewigen Dinge eine Theorie der unendlichen Modi, die gerade in keinem Kausalverhältnis zu den endlichen Modi stehen, die aber in erkenntnistheoretischer Hinsicht eine wichtige Funktion haben. In bezug auf sie erhält die Erkenntnisart der ratio, in dieser Abhandlung als die dritte Form genannt, eine vorzügliche Bedeutung, die sie hier noch nicht hat. Zugleich betont Spinoza aber, daß die Explikation der Struktur jener festen und ewigen Dinge und wohl auch, so darf man ergänzen, die der Struktur Gottes gar nicht in diese Abhandlung gehört ([103]), weil deren Aufgabe allein darin besteht, darzulegen, wie wir zur Erkenntnis jener Dinge gelangen können. Und hierfür gilt der Satz, der für den zu verhandelnden Gegenstand unabdingbar ist ([104]), daß unsere Gedanken kein Fundament haben, das dem Verstand äußerlich ist. Denn es sind »unsere« Gedanken nur, wenn wir sie im Verstand hervorbringen, der falsche Gedanken als falsche erkennt und der im Hervorbringen wahrer Gedanken bei sich selber ist, nicht bestimmt durch etwas, das ihm äußerlich ist. So mögen wir Gedanken nur haben aufgrund ontologischer Bedingungen, die unseren Gedanken vorausliegen, aber diese Bedingungen bringen keine Gedanken hervor, von denen sich sagen läßt, daß sie die unsrigen sind. Das müssen wir selber realisieren aufgrund einer uns eigenen Aktivität unseres Verstandes, in der wir Ideen bilden, die Spinoza
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in der »Ethik«, den Sachverhalt stärker verdeutlichend, in der Abhebung von dem bloß ontologischen Merkmal der Wahrheit adäquate Ideen nennen wird. Da die ontologischen Bedingungen auch dem inadäquaten Erkennen zugrunde liegen, kann es nicht an diesen Bedingungen liegen, ob wir inadäquat oder adäquat erkennen, sondern allenfalls an der Erkenntnis dieser Bedingungen. Und diese Erkenntnis haben wir zu vollbringen, was mißlingen, aber auch gelingen kann. Unter welchen Voraussetzungen sie uns gelingt, will die vorliegende Abhandlung zeigen; und dafür hebt sie das Gelingen von dem Mißlingen ab. Unter diesem Gesichtspunkt erhält unser Traktat ein besonderes Gewicht. Er enthält nicht nur nicht das Ganze der Philosophie, sondern auch nicht einfach nur einen Teil von ihr, sondern betont einen besonderen Aspekt, der in dieser Form in das System nicht eingegangen ist. Spinoza stützt sich auf eine Erfahrung, die er selber gemacht hat und die er in der Einleitung beschreibt ([11]): er erfährt, daß allein das Nachdenken über eine neue Lebensführung ihn vom Streben nach bloß vermeintlich guten Zielen abhält, er also im Denken eine Distanz dazu erlangt und darin erfährt, daß es Gegenmittel gegen das verfehlte innerweltliche Streben gibt. Er erfährt darüber hinaus, daß die Phasen des Sichdistanzierenkönnens länger werden, je mehr ihm das wahre Gut bekannt wird, das er darin als ein solches erfährt, das gar nicht unabhängig von dem Nachdenken ist. Das fortschreitende Nachdenken erscheint so als eine fortschreitende Befreiung von der Äußerlichkeit undurchschauter und darin den Menschen fremdbestimmender Weltzusammenhänge. Darin ist der Gedanke eines Weges (via) gelegen, den der Mensch durchlaufen muß, um zu der eigenen Perfektion zu gelangen. Und dieser Weg, so betont Spinoza, bedarf einer Methode, die ein Sichverdeutlichen dessen ist, was das Prinzip dieses Nachdenkens ist, mit dem Ziel, in dieser Form von Reflexion zu einer Erkenntnis dessen zu gelangen, was der Verstand ist. Auch die »Ethik« spricht von einem Weg, nicht am Anfang, daß er zu beschreiten ist, sondern am Ende, daß er beschritten worden ist, nämlich vom Weisen (sapiens), der am Ende des Weges »sich seiner selbst, Gottes und der Dinge nach einer gewissen
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ewigen Notwendigkeit bewußt ist« und darin immer (semper) die wahre Zufriedenheit des Gemüts genießt (Eth. V, prop. 42, schol.), der also das erlangt hat, was der in Irrtum befangene Spinoza der »Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes« sucht ([1]). Aber die »Ethik« spricht nicht von einer Methode des Fortschreitens, über die der Mensch zunehmend der Macht seines Verstandes inne wird. Zwar ist der Weise mächtiger als der Unwissende, wie es an jener Stelle am Ende der »Ethik« heißt, doch hat er diese größere Macht nicht aus der Relation zu dem Unwissenden, sondern allein aus der Relation zu Gott, sofern er sich von diesem her versteht. Und dieses Selbstverständnis ist nicht adäquat, wenn er Gott unter einem Aspekt begreift, in den die eigene Begrenztheit eingegangen ist, was offensichtlich dann der Fall ist, wenn der Mensch sich von seinen defizienten Erkenntnisformen her versteht, aus denen es sich zu befreien gilt. So hat die »Ethik« den subjektivistischen Ausgangspunkt vermieden, aber zugleich auch den Anschein erweckt, als ob all das, was im Fortgang der Darlegungen über das Sichorientieren des Menschen gesagt wird, eine Konsequenz der zuvor exponierten Struktur Gottes sei. An einer Stelle der vorliegenden Abhandlung verweist Spinoza nicht nur in einer Anmerkung auf seine Philosophie, sondern im Text selber, nämlich in Abschnitt 46, in dem er einen möglichen Einwand zurückweist, der gegen die Darstellungsform der »Ethik« vorgebracht werden könnte. Warum werde dort, so lautet der Einwand, anders als in diesem Traktat, vor allem anderen, also vor Erwägungen zur Endlichkeit und der dadurch bedingten Irrtumsanfälligkeit des Menschen, unmittelbar mit der Exposition ewiger Wahrheiten begonnen, d. h. mit der Strukturanalyse Gottes. Denn offensichtlich steht das der zuvor (in Abschnitt 44) gegebenen Rechtfertigung eines anderen Weges entgegen, daß nämlich der Mensch zur Erkenntnis dieser Wahrheiten erst gebracht werden müßte und deshalb nicht als durch sie immer schon bestimmt angesehen werden kann. Das Vorgehen der »Ethik« verteidigt Spinoza hier mit der Mahnung an den möglichen Opponenten, nicht vorschnell zu urteilen, sondern den Gang der Beweisordnung gehörig zu durchlaufen und ihn nicht
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schon wegen Paradoxien, die in ihm auftreten, zu verwerfen. Die Paradoxien, von denen Spinoza hier spricht, möchte ich dahingehend interpretieren, daß in der »Ethik« die Strukturanalyse Gottes einen Bezug auf ein menschliches Erkennen enthält, das aus dieser Analyse nicht folgt, sondern das gegenläufig dazu ein zweites, aus einer spezifisch menschlichen Erfahrung resultierendes Moment darstellt, das erst am Ende, in der Erörterung der scientia intuitiva, mit dem Begriff Gottes zusammengeschlossen wird und darin den schon eingangs in Anspruch genommenen Bezug Gottes auf das menschliche Erkennen rechtfertigt.8 Die am Ende der »Ethik« aufgehobene Generalparadoxie bleibt in der »Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes« unvermittelt bestehen: ein menschliches Sichorientieren, das in der Erkenntnis von Ideen (cognitio reflexiva) zu der Erkenntnis der Idee eines Unbedingten fortschreitet und dies nur kann, wenn es durch dieses Unbedingte schon bestimmt ist, das deshalb das Erste und nicht das Letzte der Untersuchung sein müßte, das aber nicht als das Erste erscheinen kann, wenn gezeigt werden soll, daß der Mensch zu einer verbesserten Erkenntnis fortschreitet. Denn ein solcher Vorgang ist relativ auf einen Mangel, von dem aus der Perspektive eines als göttliche Substanz konzipierten Unbedingten gar nicht gesprochen werden kann, der gleichwohl ein unbestreitbarer Tatbestand ist, wenn nicht aus der Perspektive Gottes, so doch aus der Perspektive, die der Mensch faktisch einnimmt. Wenn der Mensch auch immer schon durch Gott bestimmt ist, so ist er es doch nicht dem eigenen Selbstverständnis nach. Und dieses Selbstverständnis ist eine Wirklichkeit, die Spinoza nirgendwo leugnet, die er vielmehr, und gerade auch in der »Ethik«, anerkennt. Der Erörterung dieses Selbstverständnisses ist in der »Ethik« viel mehr Raum gewidmet als in der vorliegenden Abhandlung, in der nur kurz Erwähnung findet ([45]), was im Anhang des 1. Teils der »Ethik« ausführlich erörtert wird: Es sind die menschlichen Vorurteile, die uns in erster Linie daran hindern, Vgl. meine Abhandlung: Spinozas Theorie des Menschen, Hamburg 1992. 8
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die Natur in gehöriger Ordnung zu erforschen. Es ist nicht unsere Endlichkeit und Begrenztheit, die uns daran hindert, sondern es ist ein bestimmtes Verständnis, das wir von uns und von den Dingen und auch von Gott haben. Es entwickelt Spinoza in der »Ethik« nicht über eine Analyse der vorgängig entwickelten Natur Gottes, sondern über eine weit konkretere Analyse der Bedingungen, unter denen das menschliche Erkennen steht. Demgegenüber läßt Spinoza in unserer Abhandlung das, wovon er den Ausgang nimmt, den Status des menschlichen Befangenseins in konfusen Weltzusammenhängen, schnell hinter sich zurück. Er offeriert eine Vierzahl von Wahrnehmungsarten, die nicht hergeleitet werden9, und ist schnell bei derjenigen, von der er versichert, daß sie für die Untersuchung allein von Relevanz sei. Die »Ethik«, die nicht von der Subjektivität des Wahrnehmens ausgeht, sondern von der Struktur Gottes, die allem Wahrnehmen vorausliegt, gibt hingegen der Theorie inadäquaten Erkennens einen viel größeren Raum. Sie ist darin die Vertiefung eines Gesichtspunktes, dem Spinoza in dieser Abhandlung glaubt nicht viel Aufmerksamkeit widmen zu müssen. In der »Ethik« geschieht dies auf dem Hintergrund einer Theorie des menschlichen Geistes (Eth. II, prop. 11 ff.) als Idee des Körpers, aus der Spinoza die Grundzüge des der imaginatio verhafteten inadäquaten Erkennens entwickelt. Dieser Gesichtspunkt wird in unserer Abhandlung nahezu gänzlich ausgeblendet, aber nicht notwendigerweise deshalb, weil er Spinoza noch fremd wäre, sondern weil er für ihn nicht von Interesse ist, insofern es ihm allein darum geht, die Macht des Verstandes zu erläutern. Und diese kann, obschon der Geist immer schon in einer Relation zum Körper steht, dessen Idee er ist, nicht aus dieser Relation verständlich gemacht werden. Genau das ist auch die These der »Ethik«, die jedoch, paradoxerweise und gegenläufig zu ihrem Anfang, der psychologischen Verfassung des menschlichen Geistes viel mehr Aufmerksamkeit widmet als unsere AbZum Kriterium ihrer Unterscheidung vgl. G. Stemann, Die vier ›modi percipiendi‹ in Spinozas »Tractatus de intellectus emendatione«, Diss. Hamburg 1976. 9
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handlung, die diese Verfassung zu ihrem Ausgang hat. Die »Ethik« klärt die psychologischen Bedingungen, unter denen das menschliche Individuum von seinem in der scienta intuitiva sich erfüllenden Verstand Gebrauch zu machen vermag, wozu ganz wesentlich eine vernünftige Regulierung der in der imaginatio verankerten Affektivität gehört.10 Sie zeigt im letzten Teil aber zugleich, daß diese Bedingungen nicht Bedingungen der Macht der intuitiven Erkenntnis sind; und insofern scheint deren Vernachlässigung in unserer Abhandlung gerechtfertigt zu sein. Ich vermute, daß Spinoza sie als Gegenstand der Erörterung des 3. Teils der Methodenlehre vor Augen gehabt hat, der, wie Abschnitt 49 ankündigt, davon zu handeln hat, daß eine Ordnung festzulegen ist, damit wir uns nicht an unnützen Dingen verausgaben. Es ist eine Ordnung, die uns davon abhält, das Geschäft des Erkennens in dem Bereich zu erproben, in dem es nichts adäquat zu erkennen gibt, der aber doch einer Ordnung bedarf, damit wir uns auf das, worum es zur Erlangung unseres Glücks geht, konzentrieren können. Sicherlich wird diese Ordnung nicht beliebig sein können, will sie eine Leistungskraft im Hinblick darauf haben, daß der Mensch sich auf das reine Erkennen konzentriert. Aber dieser Teil der Methodenlehre folgt erst auf denjenigen, der zeigt, daß der Geist zwischen einer wahren Idee und den übrigen zu unterscheiden vermag, d. h. zwischen dem, was aus einem Akt seiner Einsicht (intellectio) folgt, und dem, was aus der Einbildungskraft (imaginatio) folgt. Für diese Unterscheidung bedarf es keiner ausgearbeiteten Theorie der Einbildungskraft, sondern bloß des Nachweises, daß jene Ideen, die dem Kriterium der Wahrheit nicht genügen, nicht aus der Macht des Geistes hervorgegangen sind, und daß in sie nur derjenige verfallen kann, der um diese Macht nicht weiß. Sie haben ihren Ursprung in Ursachen, die dem Verstand äußerlich sind und deren Wirkungen auf den Körper lediglich von der imaginatio repräsentiert werden. Spinoza sagt ausdrücklich Den damit verbundenen »Fortschritt« der menschlichen Vernunft hat besonders A. Matheron, Individu et communaute´ chez Spinoza, Paris 1969, herausgearbeitet. 10
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([84]), daß es nicht weiter wichtig ist, was unter der imaginatio zu verstehen ist; wichtig sei nur zu verstehen, daß sie etwas vom Verstand, der wesentlich tätig ist, Verschiedenes ist, weil sie ein Moment des Leidens (pati) enthält. Das Wie des Leidens zu kennen, sei nicht erforderlich, und ebendeshalb sei es auch unnötig, in diesem Zusammenhang eine Theorie des Körpers zu geben (ebd.). Das hat nun, paradoxerweise, zur Folge, daß der Gedanke einer »Verbesserung« eher in der »Ethik« als in der vorliegenden Abhandlung thematisch ist, dort nämlich, wo sich Spinoza hinreichend auf die Hinderungsgründe einer vernünftigen menschlichen Weltorientierung einläßt und wo er in bezug darauf die Kraft des Verstandes entfaltet. Das geschieht im wesentlichen im 4. Teil der »Ethik«, in dem Spinoza eine Theorie des Guten in der Relation zum Schlechten entwickelt11, die das bloße ideelle Konzept eines zuhöchst Guten als ein unerläßliches Mittel rechtfertigt, dessen der Mensch bedarf, damit er angesichts eines Eingenommenseins durch eine ihn fremdbestimmende Affektivität über den Hinblick auf ein anzustrebendes Ziel zu einer je besseren Weltorientierung gelangt, in der er sich zugleich zunehmend von dem, was ihn von außen bestimmt, befreit. Dieser Gedanke ist in der vorliegenden Abhandlung nur in der Einleitung angedeutet ([13]); er geht nicht in die ausgearbeitete Methodenlehre ein. Und deshalb bleibt auch der Gedanke eines Erkenntnisfortschrittes hier ganz abstrakt. Der Hinweis darauf, daß die Weise des Fortschreitens »leicht zu ersehen« ist oder auch »sich von selbst versteht« ([39]), wiederholt lediglich das zuvor entwickelte Theorem, daß ein methodisch geleitetes Erkennen nicht so voranschreitet, daß es sich an einer vom Akt des Erkennens noch verschiedenen Methode orientiert, die diesem Akt voranginge. Spinoza hat klargestellt, daß dieser Akt von einer gegebenen wahren Idee geleitet sein muß, auf die er reflektiert; aber er hat weder gezeigt, wie er in dieser Reflexion zu anderen Ideen fortVgl. meinen Aufsatz: Die Theorie des Guten im 4. Teil der ›Ethik‹, in: A. Domı´nguez (Hg.), La e´tica de Spinoza. Fundamentos y significado, Ciudad Real 1992, S. 331–339. 11
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schreitet, noch, wie über dergestalt erlangte wahre Ideen von Dingen das Fortschreiten zu anderen Ideen besser gelingt.12 Was er im Anschluß daran zeigt, ist, daß der Mensch eine gegebene wahre Idee erkennen kann und zwar kraft einer Tätigkeit des Verstandes (intellectio) selbst, und daß deshalb die wahre Idee dem Verstand in dem Sinne angeboren (innata) ist, daß sie ihm nicht äußerlich bleibt, sondern ein ihm eigenes Werkzeug ist, mit dem er zu operieren vermag. Das ist der Unterschied zum Verfahren der Einbildungskraft (imaginatio), dem, ganz selbstverständlich, auch eine wahre Idee zugrunde liegt, aber so, daß sie nichts für die imaginatio ist, weil sie dieser äußerlich bleibt. Und ebendeshalb ist der Mensch, obschon er der imaginatio ausgesetzt ist, nicht nur in der Lage, eine wahre Idee von anderen zu unterscheiden, sondern er ist auch davor bewahrt, sie mit jenen anderen zu verwechseln, und zwar allein deshalb, weil er sie kraft seines Verstandes erfaßt und darin so verinnerlicht hat, daß er die eigene Verstandestätigkeit als durch sie bestimmt weiß. Der Mensch weiß somit um die wahre Idee nicht in der Abhebung von der falschen und er erlangt dieses Wissen auch nicht in einem Sichemporarbeiten aus dem Befangensein in falschen Ideen. Er weiß um sie kraft einer Verstandestätigkeit allein, die nicht relativ auf die imaginatio ist; und ebendeshalb glaubt Spinoza, diese Tätigkeit ausarbeiten zu können, ohne eine ausgearbeitete Theorie der imaginatio geben zu müssen. Die Frage, wie der Mensch, der nicht reiner Geist ist, sich im Ganzen seines Lebensvollzuges durch den Verstand allein auch tatsächlich zu bestimmen vermag, hat in der vorliegenden Abhandlung nur sekundäre Bedeutung. Ihre Beantwortung setzt eine ausgearbeitete Motivationstheorie voraus, die Spinoza erst in der »Ethik« über eine Theorie der Affekte geben wird, in der er am Ende zeigt, wie Verstandestätigkeit und Affektivität in einer Weise miteinander verbunden sind, daß ein aus dieser TätigMan müßte hierfür schon die »Ethik« in die Abhandlung hineinlesen, wie es A. Matheron tut (Pourquoi le »Tractatus de intellectus emendatione« est-il reste´ inacheve´? In: Revue des sciences philosophiques et the´ologiques (71), 1987, S. 23–30). 12
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keit entspringender Affekt, der der geistigen Liebe zu Gott (amor Dei intellectualis), alle anderen Affekte, die den Menschen bestimmen, zu dominieren vermag.13 Die dort entwickelte Theorie basiert dabei auf einem Theoriestück, das in unserer Abhandlung überhaupt noch nicht präsent ist, der Theorie eines selbstbezüglichen Erhaltungsstrebens (conatus in suo esse perseverandi) eines jeden Individuums, die in der »Ethik« der Theorie des richtigen Gebrauchs des Verstandes vorausgeht und aus der Spinoza zunächst die Gründe eines defizienten Gebrauchs entwickelt. In der vorliegenden Abhandlung hat der defiziente Gebrauch eher den Charakter subjektiver Disziplinlosigkeit, aus der man sich durch eine verbesserte Disziplin befreien kann. Und es sieht hier so aus, als ob es nicht so schwer ist, sich aus dem Befangensein in inadäquaten Ideen zu befreien. Gleichwohl darf daraus nicht geschlossen werden, daß Spinoza hier die Macht des Verstandes überschätzt. Er arbeitet die Hinderungsgründe des richtigen Verstandesgebrauchs nicht hinreichend aus, weil er in erster Linie aufzeigen will, daß dem Verstand eine ihm eigentümliche Macht zukommt, die nicht daraus resultiert, daß er eine imaginativ bedingte Erkenntnis überwindet. Und darin ist diese Abhandlung durchaus im Einklang mit der »Ethik«, in der Spinoza aus einer Analyse des menschlichen Verstandes dessen Macht erweist, dasjenige, was sich dem Menschen in der imaginatio darbietet, niederzuhalten, in der er aber nicht aus dem Tatbestand des Niederhaltens die Macht des Verstandes gewinnt. Unsere Abhandlung macht das sogar deutlicher als die »Ethik«, wenn nicht in der Durchführung, so doch in der Intention. Indem sie sich von vornherein auf den Boden der Defizienz menschlichen Erkennens begibt, verdeutlicht sie den Gesichtspunkt, der für das philosophische Programm Spinozas leitend ist, nämlich eine Theorie zu entwickeln, die die Bedingungen darlegt, unter denen der Mensch zu einer vernünftigen Weltorientierung und darin zu seinem Glück gelangt, das er nicht immer schon genießt, das er aber genießen kann aufgrund eines Könnens, das ihm eigen ist. Vgl. meine Abhandlung: Spinozas Theorie des Menschen, Hamburg 1992. 13
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Für die Durchführung des Programms hat Spinoza mit der »Ethik« ein neues Werk geschrieben, dessen Aufbau, der aus sachlichen Gründen anders organisiert ist, jene Intention eher verdunkelt. In ihm hat er auch den Gedanken einer Methodenlehre preisgegeben, in der sich der Verstand seines eigenen Könnens in einem Verfahren versichert, das sich unabhängig von den Wirklichkeitsstrukturen, durch die der Verstand tatsächlich bestimmt ist, beschreiben ließe. Freilich bedeutet dies nicht, daß eine solche Preisgabe das Ergebnis der vorliegenden Abhandlung ist14, die ebendeshalb, ihrer Konzeption nach undurchführbar, in ihrem unvollendeten Schluß in die »Ethik« übergehe, durch die sie abgelöst werde. Sie wäre dann nicht einmal eine Hinführung auf die »Ethik«, sondern nichts mehr als der untaugliche Versuch des noch nicht zum Spinozismus gereiften Spinoza. Bedarf die »Ethik« nun in der Tat für die in ihr entfaltete Sache keiner Hinführung, so gilt doch, daß die Sache dem Leser verdunkelt bleiben kann, wenn er nicht auf sie hingeführt wird. Vielleicht hat Spinoza bei der Ordnung seiner Manuskripte für die »Opera Posthuma« unsere frühe Abhandlung mit berücksichtigt, weil er sie als eine unerläßliche Ergänzung für das Verständnis des Programms der »Ethik« angesehen hat. Und vielleicht haben auch die Herausgeber recht, daß Spinoza die vorliegende Schrift noch hat verbessern wollen, auch dann noch, als er die »Ethik« vollendet hat.
3. Der Hintergrund der Schrift Gegenüber der Geschlossenheit der »Ethik« enthält unser Traktat eine Unausgewogenheit auch dadurch, daß sich Spinoza in ihm mit anderen Theorien auseinandersetzt, auf die er sich, in In dieser Richtung interpretiert W. Klever in seiner Ausgabe. Vgl. dazu die kritische Entgegnung von H. De Dijn, How to understand Spinoza’s logic or methodology. A critical evaluation of W. N. A. Klever’s commentary on Spinoza’s TIE, in: Studia Spinozana (3), 1987, S. 419– 429. 14
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kritischer Abhebung, zum Teil auch terminologisch bezieht. Spinoza wendet sich mit dieser Schrift an ein philosophisches Publikum, das weitgehend einem Cartesianismus verpflichtet ist und dessen Selbstverständnis er entgegenkommen will, indem er sich einer vertrauten Terminologie bedient, in bezug auf die er dann andersartige Begründungszusammenhänge zu entwickeln trachtet.15 Noch in seiner späteren Schrift zu Descartes und der tradierten Metaphysik hat er, wenn auch dezenter als hier, dieses Verfahren der impliziten Kritik einer fremden Theorie im Medium der dort benutzten Terminologie praktiziert.16 Neben Descartes sind es in unserer Abhandlung in erster Linie Hobbes und Bacon, auf deren Theorie er sich bezieht.17 Mit ziemlicher Sicherheit hat Spinoza den im Titel erscheinenden Terminus »Verbesserung« (emendatio) im Hinblick auf eine 1660, also kurz vor der Abfassung unserer Abhandlung, erschienenen Schrift von Thomas Hobbes gebraucht, die den Titel trägt: »Examinatio et Emendatio Mathematicae hodiernae«. In der Abhandlung selber macht Spinoza von diesem Terminus nur einmal Gebrauch, wenn auch an prononcierter Stelle, nämlich im 1. Satz nach der Einleitung, der ankündigt, was, in der Einleitung bereits über alles andere (»ante omnia«) gestellt, in der Abhandlung zu geschehen hat, nämlich den Verstand zu verbessern (»ad emendandum scilicet intellectum«, [18]). An einer anderen Stelle A. Matheron hat diese Schrift deshalb als einen pädagogischen Traktat gedeutet, der in dem Moment abbricht, als der entwickelte Sachverhalt Begründungen verlangt, deren Exposition für einen Cartesianer nicht mehr akzeptabel wäre (Pourquoi le »Tractatus de intellectus emendatione« est-il reste´ inacheve´? In: Revue des sciences philosophiques et the´ologiques (71), 1987, S. 23–30). 16 Vgl. meine Einleitung zu: Spinoza, Descartes’ Prinzipien der Philosophie auf geometrische Weise begründet, Hamburg 61987. 17 In dem ersten uns erhaltenen Brief aus dem Jahre 1661 (Ep. 2) bezieht sich Spinoza bereits kritisch auf Descartes und Bacon. Was dort als deren größter Irrtum angegeben wird, von der Erkenntnis der ersten Ursache und des Ursprungs aller Dinge abgeirrt zu sein, ist in unserer Abhandlung aus den genannten Gründen nicht der Hauptpunkt der Kritik. Zu Descartes und Bacon als Hintergrund vgl. W. Klever in der Einleitung seiner Ausgabe, S. 15–24. 15
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spricht er davon, daß es gelte, den Verstand zu heilen und, Bacons Ausdruck einer »Doctrina de expurgatione intellectus« aufgreifend, zu reinigen (»modus medendi intellectus ipsumque . . . expurgandi«, [16]). Was Hobbes in seiner Schrift verbessern will, ist eine Theorie, die zeitgenössische mathematische Theorie von Wallis; den Ausdruck »Verbesserung« so zu gebrauchen, steht in Einklang mit dem in der Philologie geläufigen Gebrauch der Verbesserung eines Textes, der im Verdacht steht, in der vorliegenden Form fehlerhaft zu sein. Wenn Spinoza in seiner Abhandlung eine unbedingte Macht des Verstandes demonstrieren will, dann enthält dies deshalb unter diesem Gesichtspunkt nicht notwendigerweise den Gedanken einer Verbesserung des Verstandes aus defizienten Formen zu einer vollkommenen Form, wie der Titel suggeriert. Man kann den Titel auch so lesen, daß es Spinoza darum geht, andere Theorien, die eine Theorie des Verstandes gegeben haben, zu verbessern. Man würde so die Abhandlung als Verbesserung anderer Theorien verstehen können, ohne daß darin enthalten sein müßte, daß Spinozas verbesserte Theorie eine Verbesserung des Verstandes in dem Sinne wäre, daß sie zeigte, wie der Verstand aus einer schlechten Verfassung in eine bessere gebracht werden kann. Von Hobbes hat Spinoza offenbar auch den Gedanken der genetischen Definition übernommen, an dessen Bedeutsamkeit für das rationale Erfassen von Sachverhalten er zeitlebens festgehalten hat. Noch in einem späten Brief an Tschirnhaus aus dem Jahre 1675 (Ep. 60) wiederholt er den in der Abhandlung entwikkelten Gedanken, daß die Definition eines Dinges die bewirkende Ursache (causa efficiens) des Dinges zum Ausdruck zu bringen habe, aus der sich dann auch die Eigenschaften dieses Dinges erschließen lassen. Diese Definition ist einer solchen, die ein Ding aus seinen Eigenschaften definiert, überlegen, weil sie die Essenz des Dinges ausdrückt, die von bloßen Eigentümlichkeiten dieses Dinges unterschieden ist. Spinoza erläutert dies in dem Brief wie in der Abhandlung ([95]) an der Definition des Kreises, wofür er auf Hobbes zurückgreifen kann.18 Spinoza 18
Hobbes, De corpore I,5. Generell vgl. H. De Dijn, Historical re-
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nimmt die genetische Definition auch in Anspruch als ein Kriterium, das es dem Menschen erlaubt, wahre von falschen Gedanken zu unterscheiden, erläutert am Begriff der Kugel ([72]), den der Verstand aus der Entstehung einer Kugel bildet, die nicht tatsächlich stattgefunden hat, sondern allein gedanklich konstruiert wird, innerhalb welcher Konstruktion entschieden werden kann, ob sie bloß willkürlich ist oder ob sie die Sache, um die es geht, trifft. Spinoza betont jedoch zugleich den bloß exemplarischen Charakter seiner Beispiele, an denen sich im Falle geometrischer Figuren besonders leicht die dem Denken immanente Kraft eines Begreifens illustrieren läßt, weil hier das Begreifen nicht ein Objekt zu seiner Ursache hat, sondern von ihm eigenen Gedanken allein abhängig ist. Figuren sind aber für Spinoza abstrakte Dinge und damit bloße Gedankendinge ([95]), die zu definieren für ein Unternehmen, das nach dem höchsten Glück des Menschen fragt, nicht sehr wichtig ist, geht es bei ihm doch darum, physisch wirkliche Dinge zu begreifen. In dem späten Brief an Tschirnhaus sagt Spinoza ausdrücklich, daß sich die genetische Definition eines Dinges aus dessen bewirkender Ursache auch auf Gott anwenden läßt. Zu einer solchen Theorie ist Spinoza in unserer Abhandlung noch nicht gelangt; er läßt die genetische Definition nur für erschaffene Dinge gelten ([96]) und scheint sie für nicht-erschaffene Dinge auszuschließen, also für Gott, der bloß aus seinem eigenen Sein zu begreifen sei, von dem Spinoza hier den Begriff der Ursache fernhält ([97]). Ungeklärt bleibt aber auch die Möglichkeit einer genetischen Definition des Menschen in dessen wesentlicher Bestimmung des Erkennens, durch das er zu seinem vollendeten Glück zu gelangen vermag ([107]). Erst in der »Ethik« bringt Spinoza beide Gesichtspunkte zusammen, darin weit über Hobbes hinausgehend19, indem er das Wesen Gottes in dessen Durch-sich-selbstmarks on Spinoza’s theory of definition, in: J. G. van der Bend (Hg.), Spinoza on Knowing, Being and Freedom, Assen 1974, S. 41–50. 19 Vgl. J. Bernhardt, Intelligibilite ´ et re´alite´ chez Hobbes et chez Spinoza, in: Revue philosophique de la France et de l’e´tranger, 1985, S. 115– 133, gestützt auf die Analyse von M. Gueroult, Spinoza I, Paris 1968. Zum Unterschied der Konzeption von Mathematik vgl. J. Me´dina, Les
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Sein (causa sui) zugleich als Ursachesein aller Dinge (causa rerum) bestimmt und darin die Möglichkeit einer Selbsterkenntnis des menschlichen Geistes aus dessen Ursache eröffnet. In ihr, dort wie hier als intuitive Erkenntnis verstanden, wird zugleich Gott in dem erkannt, was ihm wesentlich ist, nämlich nicht eine dem menschlichen Erkennen transzendente Macht zu sein, sondern diesem als dessen Ursache immanent zu sein, in deren Erkenntnis das menschliche Erkennen zu der ihm möglichen Vollendung gelangt. Die über Hobbes hinausgehende Universalisierung der genetischen Definition auf alles, was überhaupt ist, bedarf allerdings einer ausgearbeiteten Ontologie, auf deren Basis die in Anspruch genommene Aktivität des Verstandes, derzufolge klare und deutliche Ideen von der ihm eigenen Macht abhängen, dann in der »Ethik« ausgewiesen wird. Weil diese Ontologie in unserer Abhandlung nur rudimentär entwickelt ist, stellt Spinoza die hier entwickelte Theorie der unbedingten Aktivität des Verstandes auch noch unter einen Vorbehalt. Die Ideen, die wir in klarer und deutlicher Weise bilden, so heißt es bei der Aufzählung der Eigenschaften des Verstandes, scheinen allein so aus der Notwendigkeit unserer Natur zu folgen, daß sie in unbedingter Weise von unserer Macht allein abzuhängen scheinen ([108]). Spinozas verbesserte Theorie des Verstandes bedarf so einer weiteren Verbesserung, um in sich ausgewiesen zu sein, die aber nur auszuarbeiten braucht, was in jener Theorie schon angelegt ist. In der »Ethik« hat Spinoza dies getan. Die Philosophie Francis Bacons ist in der vorliegenden Abhandlung als ein mit dem eigenen Unternehmen konkurrierender, aber untauglicher Versuch präsent.20 Bacon hat sein Hauptwerk »Novum Organon« (1620) als eine Lehre von der Reinigung des Verstandes (»Doctrina de expurgatione Intellectus«; distributio operis) verstanden und von einem Reinigen mathe´matiques chez Spinoza et Hobbes, in: Revue philosophique de la France et de l’e´tranger, 1985, S. 177–188. 20 Vgl. hierzu immer noch C. Gebhardt, Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. Eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung, Heidelberg 1905.
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(I, 115) oder auch Korrigieren des Verstandes (»corrigere intellectum«, II, 32) gesprochen; ganz generell hat er sein Unternehmen als eine großangelegte Erneuerung der Philosophie (Instauratio Magna) verstanden. Doch hat Spinoza die Basis dieser Erneuerung, von der her gezeigt wird, wie der Verstand mannigfache Trugbilder (idola) zu vermeiden vermag, nicht akzeptiert, nämlich den Begriff der Erfahrung. Die »unbestimmte Erfahrung« (experientia vaga; vgl. Nov. Org. I, 100), die sich bei der Vorstellung der Erkenntnisarten sonst (weder im »Kurzen Traktat« noch in der »Ethik«) nicht als eine eigenständige Erkenntnisweise findet, scheint Spinoza als zweite Weise des Wahrnehmens nur aufgeführt zu haben, um Bacon zu kritisieren. Sie ist gerade verstandeslos (»non determinatur ab intellectu«, [19]) und lediglich durch eine erfahrungsimmanente Stabilität gekennzeichnet, die ihr die Plausibilität eines unerschütterlichen Wissens verleiht. Die anmerkungsweise gegebene Ankündigung, er werde noch ausführlicher von der Erfahrung und von der Methode der Empiriker und neueren Philosophen sprechen ([27]), hat Spinoza nicht für einhaltenswert erachtet.21 Von Bacon entlehnt ist auch der Vergleich des Fortschreitens von Werkzeugen zu Werken, die als Werkzeuge zu weiteren Werken dienen, mit dem das Schmieden von Eisen und in Analogie dazu das Fortschreiten des Verstandes zu verbesserter Einsicht verständlich gemacht werden soll ([30 u. 31]). Und einer baconischen Terminologie bedient sich Spinoza auch, wenn er von »geistigen Werken« (opera intellectualia; Nov. Org., praef.) spricht und von einer »angeborenen Kraft« (vis nativa; De dignitate et augmentis scientiarum, V, 5). Was aber in uns angeboren ist im Sinne eines Gegebenseins, mit dem wie mit einem Werkzeug (instrumentum) wir arbeiten können, ist für Spinoza etwas, wovon bei Bacon gar nicht die Rede ist, nämlich eine wahre Idee ([39]), mit deren Erörterung Spinoza das ontologische Fundament seiner Erkenntnistheorie skizziert, über das erst seines Erachtens dasjenige, wovon Bacon spricht, verständlich gemacht werden kann. Wie von Hobbes unterscheiZu diesem Punkt vgl. F. Biasutti, Ragione ed esperienza in Leibniz e in Spinoza, in: Ders., Prospettive su Spinoza, Trient 1990, S. 33–62. 21
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det sich Spinoza auch von Bacon im wesentlichen durch eine andersartige Ontologie, von der er zeigt, daß sie ein Fundament unseres Erkennens ist, das dem Erkennen nicht äußerlich ist. Es ist das Fundament, von dem her Spinoza sich auch von Descartes abgrenzt, dessen Philosophie einen ungleich stärkeren Bezugspunkt dieser Abhandlung darstellt, als es die von Bacon ist. Die biographisch gehaltene Einleitung erinnert an Descartes’ Schrift »Discours de la Me´thode« (1637), in der Descartes seinen Weg des Suchens und Sichorientierens beschreibt, desgleichen die dort gegebene Skizze einer vorläufigen Moral. Auch der Gedanke einer Methodenlehre ist sicher durch jene Schrift inspiriert. Aber die im Gewande des Cartesianismus auftretende Abhandlung enthält eine deutliche Kritik an Descartes. Den subjektivistischen Ausgangspunkt aufnehmend und festhaltend, gibt Spinoza der Subjektivität ein Fundament, aus dem deutlich werden soll, daß der Mensch kraft seines Erkennens zu einer zweifelsfreien Gewißheit gelangen kann, die nicht von einer dem Erkennen noch transzendenten Instanz abhängig ist. Eine solche hatte Descartes mit seinem Gottesbegriff angenommen, der genau da eingeführt wird, wo der auf das »ego cogito« sich stützende Vergewisserungsprozeß an eine Grenze stößt, bei der Frage nämlich, ob die Kriterien der Gewißheit (Klarheit und Deutlichkeit) auch die Kriterien einer wahren Erkenntnis sind, die allein dann wahr ist, wenn das in ihr Behauptete mit den Dingen, wie sie an sich sind, übereinstimmt. Während für Descartes diese Übereinstimmung erst durch die Wahrhaftigkeit (veracitas) Gottes garantiert ist, die darin die Instanz subjektiver Gewißheit ist, bindet Spinoza, sich des cartesischen Terminus der Gewißheit (certitudo) bedienend, die Gewißheit an das subjektive Haben einer wahren Idee ([35]), bei dem der Mensch mit seinen Ideen nicht nur immer schon bei Gegenständen ist, sondern bei dem er auch um den Charakter von Ideen, Ansichseiendes zu objektivieren, weiß. Weil deshalb für den Menschen die Wahrheit mit dem Haben von klaren und deutlichen Ideen zusammenfällt, bedarf es keines Merkmals, das von einem solchen Haben noch verschieden ist ([79]).
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Ist so nicht nach transsubjektiven Bedingungen der Wahrheit zu fragen, wenn der Mensch Ideen erlangt hat, so ist doch zu fragen, unter welchen Bedingungen der Verstandesakt des Erlangens von Ideen seinerseits steht.22 Es wird deshalb nach den Bedingungen, und das heißt für Spinoza nach den Ursachen, des Verstandes zu fragen sein. Die Verfolgung dieser Frage in der »Ethik« wird ergeben, daß die eminente Bedingung hierfür Gott ist, auf den nicht in cartesischer Manier im Ausgang vom Subjekt hingeführt werden kann. Die darin implizierte radikale Kritik des Cartesianismus ist aber nicht die Verabschiedung des cartesischen Programms, eine Theorie vernünftiger menschlicher Weltorientierung über eine Analyse der Kraft menschlichen Erkennens zu geben. Sie ist dessen Vertiefung. Denn Gott ist die Ursache adäquaten Erkennens nur insofern, als er vom menschlichen Geist erkannt wird, der deshalb zur höchsten Gewißheit über die Erkenntnis von wahren Ideen nur gelangt, wenn diese die adäquate Idee seiner Erkenntnis einschließt (»qui vere rem cognoscit, debet simul suae cognitione adaequatam habere ideam«, Eth. II, prop. 43, dem.). Spinozas »Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes« bringt dies gerade in der am Cartesianismus orientierten Isolierung der Theorie des Verstandes deutlicher zum Ausdruck, als die spezifische Komposition der »Ethik« es erahnen läßt. Sie kann deshalb als Einführung in die Intention von Spinozas Hauptwerk »Ethik« gelesen werden, mag dieses Werk auch, unvermittelt mit Gott beginnend, der Sache nach keiner Einführung bedürfen. Spinoza selber hat es wohl für gut gehalten, wenn ebendeshalb auch beide Werke in seine nachgelassenen Schriften Eingang fänden. Und es ist nur gut, wenn deshalb beide auch zusammen gelesen werden.
Vgl. hierzu M. Walther, Metaphysik als Anti-Theologie. Die Philosophie Spinozas im Zusammenhang der religionsphilosophischen Problematik, Hamburg 1971, insbesondere § 3 (»Wahrheit und Methode«). 22
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4. Zu dieser Ausgabe Der lateinische Text unserer Abhandlung ist erstmals in Spinozas »Opera Posthuma« 1677 ediert worden. Das Autograph oder eine Kopie von ihm, worauf sich die Herausgeber der »Opera Posthuma« gestützt haben, sind uns nicht überliefert. Eine kritische Edition des Textes ist deshalb schwierig. Man darf davon ausgehen, daß das Manuskript für die Ausgabe der Nachgelassenen Schriften stellenweise redigiert worden ist, wahrscheinlich von Lodewijk Meyer, der das wohl aufgrund des vielfach Ungefeilten des Textes, von dem die »Erinnerung an den Leser« spricht, für erforderlich gehalten hat.23 Die kurz nach den »Opera Posthuma« erschienene niederländische Übersetzung aus der Hand von Glazemaker in »De Nagelate Schriften« weicht an zahlreichen Stellen von der lateinischen Fassung ab. Wahrscheinlich hat Glazemaker sich nicht nur auf die von Meyer redigierte Fassung gestützt, sondern auch auf das Originalmanuskript und beide Versionen miteinander kombiniert. Die Entscheidung, inwieweit die Varianten in der niederländischen Übersetzung Spinoza selber zugeschrieben werden können, ist äußerst schwierig. Die kritische Version unserer Abhandlung findet sich in der von Carl Gebhardt besorgten Ausgabe der Opera Spinozas. Sie ist bislang noch nicht durch eine neuere ersetzt worden.24 Die vorliegende Ausgabe stützt sich deshalb auf die Gebhardtsche Edition, ohne sie allerdings einfach zu übernehmen. Ich habe mich bemüht, den nach dem Stand der gegenwärtigen Forschung25 bestmöglichen lateinischen Text zu edieren. Neben den Korrekturen, die Gebhardt gegenüber den »Opera Posthuma« vorgenommen hat, habe ich weitere Korrekturen, die von der Edition Gebhardts abweichen, unterhalb des lateinischen Textes Vgl. F. Akkerman, La latinite´ de Spinoza et l’authenticite´ du texte du »Tractatus de intellectus emendatione«, in: Revue des sciences philosophiques et the´ologiques (71), 1987, S. 23–30. 24 F. Mignini bereitet eine Ausgabe vor. 25 Vgl. F. Mignini, Per una nuova edizione del »Tractatus de intellectus emendatione«, in: Studia Spinozana (4), 1988, S. 15–35. Ferner die Ausgaben von Curley, Klever, Scala und Rousset. 23
Einleitung
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vermerkt, sofern sie nicht nur Äußerlichkeiten betreffen (das Kürzel NS verweist auf die Ausgabe ›De Nagelate Schriften‹; s. Bibliographie). Die seit der Ausgabe Bruders geläufig gewordene Gliederung des Textes nach Ziffern habe ich übernommen. Der besseren Übersicht wegen habe ich den gesamten Text nach der sachlichen Abfolge der verschiedenen Gegenstände der Untersuchung intern gegliedert26, wofür der von Spinoza in Abschnitt 49 gegebene Plan der Leitfaden gewesen ist. Die in der Erstausgabe mit Hilfe von Buchstaben erfolgte fortlaufende Numerierung der Anmerkungen habe ich in dieser Form nicht übernommen, sondern durch eine Zählung nach Ziffern pro Seite ersetzt. Den lateinischen Text habe ich dadurch lesbarer zu machen gesucht, daß ich mich nicht an den exzessiven Gebrauch der Kommasetzung gehalten habe, wie er sich in den »Opera Posthuma« findet und den Gebhardt weitgehend übernommen hat. Desgleichen habe ich die Akzente, mag deren Setzung in manchen Fällen das Verständnis auch erleichtern, durchgehend getilgt, zumal sie nicht von Spinoza stammen, sondern von den Herausgebern, die einer im Barock üblichen Praxis gefolgt sind. Schließlich habe ich die Großschreibung, die, abgesehen von Eigennamen, wohl auch nicht von Spinoza stammt, nur bei den Termini »Deus« und »Natura« belassen.27 In der Übersetzung habe ich mich um eine größtmögliche Nähe zu dem lateinischen Text bemüht und darauf geachtet, nach Möglichkeit die von Spinoza gebrauchte Terminologie durchgängig mit einem einheitlichen deutschen Terminus wiederzugeben.28 Sternchen am Rande der deutschen Übersetzung verweisen auf meine im Anschluß an den Text zusammengefaßten AnEine detaillierte Gliederung gibt B. Rousset in seinem Kommentar, S. 140–143. 27 Zur typographischen Gestaltung der lateinischen Texte Spinozas vgl. P. Steenbakkers, Vers une nouvelle e´dition de l’Ethica, in: Me´thode et me´taphysique (Groupe de Recherches Spinozistes, 2), Paris 1989, S. 105–118, bes. 113 f. 28 Zu den Schwierigkeiten einer Übersetzung vgl. P. Eisenberg, How to understand »De intellectus emendatione«, in: Journal of the History of Philosophy (9), 1971, S. 171–191. 26
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merkungen zum Text, in denen auf einige Bezüge und Zusammenhänge aufmerksam gemacht werden soll, die aber nicht ein ausführlicher inhaltlicher Kommentar sein wollen. Meine Einleitung will den Ort der Abhandlung innerhalb der Philosophie Spinozas markieren und darin den Zugang zu ihr erleichtern. Die Bibliographie enthält die wichtigste Literatur zu unserer Abhandlung. Angesichts der Kürze des Textes erübrigt sich ein Stellenregister. Für Stellenverweise, die das Gesamtwerk Spinozas berücksichtigen, sei auf die vorzügliche Arbeit von Emilia Giancotti29 verwiesen. Hamburg, im Januar 1993
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Für die 2. Auflage habe ich den lateinischen Text und die deutsche Übersetzung durchgesehen und an einigen Stellen verbessert sowie die Bibliographie ergänzt. Günther Domes und Manfred Walther danke ich für verschiedene Hinweise. Zwei bedeutende Spinoza-Forscher, P.-F. Moreau und H. De Dijn, haben der vorliegenden Abhandlung mittlerweile umfangreiche Untersuchungen gewidmet, die die Wichtigkeit dieser Schrift für das Verständnis der Philosophie Spinozas deutlich machen. Hamburg, im März 2003
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1970.
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E. Giancotti-Boscherini, Lexicon Spinozanum, 2 Bde., Den Haag
B I B L I OG R A P H I E
1. Ausgaben Spinoza, Opera Posthuma, Amsterdam 1677, S. 355–392 [die erste Veröffentlichung unseres Textes, herausgegeben von L. Meyer] [OP]. Spinoza, De Nagelate Schriften, Amsterdam 1677, S. 406–446. [Übersetzung durch H. Glazemaker unter dem Titel »Handeling van de Verbetering van’t Verstant«, streckenweise von dem Text der Opera Posthuma abweichend, dabei wohl gestützt auf das von Meyer nicht redigierte Manuskript Spinozas] [NS]. Spinoza, Opera, herausgegeben von C. H. Bruder, Bd. II, Leipzig 1844, S. 1–42 [enthält eine Gliederung des Textes nach Paragraphen]. Spinoza, Opera, herausgegeben von J. van Vloten und J. P. N. Land, Den Haag 31914, Bd. I, S. 1–34. Spinoza, Opera. Im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften herausgegeben von Carl Gebhardt, Bd. II, Heidelberg, 1925, S. 1–40 [die bislang maßgebliche kritische Ausgabe. Anmerkungen zur Textgestaltung S. 319–340].
2. Übersetzungen deutsch: Ewald, H.: Zwey Abhandlungen über die Kultur des menschlichen Verstandes und über die Aristokratie und Demokratie, Leipzig 1785. Kirchmann, J. H.: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes . . ., Berlin 1871. Stern, J.: Abhandlung über die Vervollkommnung des Verstandes . . ., Leipzig 1887. Gebhardt, C.: Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. Abhandlung vom Staat, Leipzig 1907 [Phil. Bibl. 95; neu eingeleitet von K. Hammacher, 51977]. Auerbach, B.: Abhandlung über die Berichtigung des Verstandes. In: Blumenstock, K. (Hg.), Spinoza, Opera/Werke, Bd. 2, Darmstadt
XL
Bibliographie
41989,
S. 1–83 [zweisprachige Ausgabe mit der Übersetzung von Auerbach aus dem Jahre 1870].
englisch: Curley, E.: Treatise on the Emendation of the Intellect. In: The Collected Works of Spinoza, Bd. 1, Princeton 1985, S. 3–45. französisch: Koyre´, A.: Traite´ de la re´forme de l’entendement, Paris 1937, 71984 [zweisprachig; mit Anmerkungen]. Scala, A.: Traite´ de la re´forme de l’entendement, Paris 1990 [zweisprachig; mit ergänzender Textdokumentation]. Rousset, B.: Traite´ de la re´forme de l’entendement, Paris 1992 [zweisprachig; mit Einleitung und ausführlichem Kommentar]. niederländisch: Klever, W.: Verhandeling over de verbetering von het verstand, Baarn 1986 [mit Einleitung und ausführlichem Kommentar]. Verbeek, Th.: Verhandeling over de verbetering van het verstand, Groningen 2002 [mit Einleitung und Nachwort]. spanisch: Domı´nguez, A.: Tratado de la reforma del entendimiento . . ., Madrid 1988 [mit Einleitung und Anmerkungen].
3. Sekundärliteratur [Auswahl] Gebhardt, C.: Spinozas Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes. Eine entwicklungsgeschichtliche Untersuchung, Heidelberg 1905. Te´rrasse, L.: La doctrine spinoziste de la ve´rite´ d’apre`s le »Traite´ de la re´forme de l’entendement«. In: Chronicon Spinozanum 3 (1923), S. 204–231. Castro, A. de: Il »Discorso sul metodo« di Cartesio e il »De intellectus emendatione« di Spinoza, Portici 1939. Joachim, H. H.: Spinoza’s »Tractatus de intellectus emendatione«. A commentary, New York 1940, 21964. Droetto, A.: Logica e metafisica nel metodo di Spinoza. In: Rivista di Filosofia 41 (1950), S. 260–280. Haserot, F. S.: Spinoza and the status of universals. In: The Philosophical Review 62 (1953), S. 499–513.
Bibliographie
XLI
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T R A C TAT U S D E I N T E LL E C T U S E M E N D AT I O N E Et de via, qua optime in veram rerum cognitionem dirigitur
A B H A N DL U N G Ü B E R D I E V E RB E S S E R U N G DE S V E R S TA N DE S und über den Weg, auf dem er sich am besten zur wahren Erkenntnis der Dinge bestimmt
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A d m o n it i o a d L e c tor e m
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Tractatus, quem de Intellectus Emendatione etc. imperfectum hic tibi damus, Benevole Lector, jam multos ante annos ab Auctore fuit conscriptus. In animo semper habuit eum perficere: At, aliis negotiis praepeditus, et tandem morte abreptus, ad optatum finem perducere non potuit. Cum vero multa praeclara atque utilia contineat, quae veritatis sincero indagatori non parum e re futura esse, haudquaquam dubitamus, te iis privare noluimus; et, ut etiam multa obscura, rudia adhuc et impolita, quae in eo hinc inde occurrunt, condonare non graveris, horum ne inscius esses, admonitum te quoque esse voluimus. Vale.
E r i n n eru n g a n d e n Le s e r
Die Abhandlung über die Verbesserung des Verstandes, die wir Dir, geneigter Leser, hier unvollendet übergeben, ist von dem Autor schon vor vielen Jahren geschrieben worden. Er hat stets die Absicht gehabt, sie zu vollenden, aber, durch andere Arbeiten gehindert und schließlich durch den Tod hinweggerissen, hat er sie nicht zu dem gewünschten Ende bringen können. Da sie aber viel Vortreffliches und Nützliches enthält, das, wir zweifeln überhaupt nicht daran, denen, die aufrichtig die Wahrheit erforschen, von großer Wichtigkeit sein wird, haben wir sie Dir nicht vorenthalten wollen. Und so haben wir Dich, damit Du das bedenkst und damit Du auch das vielfach Dunkle, Unausgearbeitete und Ungefeilte, das sich hier und da noch findet, zu entschuldigen geneigt bist, an diese Umstände erinnern wollen. Lebe wohl!
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BARUCH DE SPINOZA
T R A C TAT U S D E I N T E LL E C T U S E M E N D AT I O N E
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[1] Postquam me experientia docuit, omnia, quae in communi vita frequenter occurrunt, vana et futilia esse: cum viderem omnia, a quibus et quae timebam, nihil neque boni, neque mali in se habere, nisi quatenus ab iis animus movebatur, constitui tandem inquirere, an aliquid daretur, quod verum bonum et sui communicabile esset, et a quo solo, rejectis caeteris omnibus, animus afficeretur; imo an aliquid daretur, quo invento et acquisito, continua ac summa in aeternum fruerer laetitia. [2] Dico, me tandem constituisse: primo enim intuitu inconsultum videbatur, propter rem tunc incertam certam amittere velle: videbam nimirum commoda, quae ex honore ac divitiis acquiruntur, et quod ab iis quaerendis cogebar abstinere, si seriam rei alii novae operam dare vellem: et si forte summa felicitas in iis esset sita, perspiciebam, me ea debere carere; si vero in iis non esset sita, eisque tantum darem operam, tum etiam summa carerem felicitate. [3] Volvebam igitur animo, an forte esset possibile ad novum institutum, aut saltem ad ipsius certitudinem pervenire, licet ordo et commune vitae meae institutum non mutaretur; quod saepe frustra tentavi. Nam quae plerumque in vita occurrunt, et apud homines, ut ex eorum operibus colligere licet, tanquam summum bonum aestimantur, ad haec tria rediguntur: divitias scilicet, honorem, atque libidinem. His tribus adeo distrahitur mens, ut minime possit de alio aliquo bono cogitare.
A B H A N DL U N G Ü B E R D IE V E R B E S S E RU N G D E S V E RS TA N D E S
[I. Das Ziel der Untersuchung (Einleitung)] [1] Nachdem die Erfahrung mich gelehrt hat, daß alles, was im * täglichen Leben sich gewöhnlich ereignet, nichtig und wertlos 5 ist, und da ich sah, daß alles, vor dem ich mich fürchtete und das ich fürchtete, nicht etwas Gutes oder Schlechtes in sich selbst enthielt, sondern nur insofern, als das Gemüt davon bewegt wurde, so beschloß ich endlich zu erforschen, ob es irgendetwas gäbe, das ein wahres Gut sei, dessen man teilhaftig werden könne 10 und von dem allein, unter Zurückweisung alles anderen, das Gemüt erfüllt werde; ja ob es etwas gäbe, durch das ich, wenn es von mir entdeckt und erlangt ist, eine beständige und höchste Freude auf ewig genießen könne. [2] Ich sage: »endlich beschloß ich«. Denn auf den ersten Blick schien es nicht ratsam, für etwas noch 15 Ungewisses auf etwas Gewisses verzichten zu wollen. Ich sah nämlich die Vorteile, die mit Ehre und Reichtümern erreicht werden, und daß ich es aufgeben müsse, nach ihnen zu trachten, wenn ich mich ernsthaft um etwas Anderes und Neues bemühen wollte. Sollte das höchste Glück vielleicht in Ehre und Reichtü- 20 mern gelegen sein, so sah ich deutlich, daß ich seiner entbehren müßte; sollte es aber in ihnen nicht gelegen sein, dann entbehrte ich, wenn ich mich ausschließlich um diese Dinge bemühte, gleichfalls des höchsten Glücks. [3] Ich erwog deshalb, ob es wohl möglich wäre, zu einer neuen Lebensform oder wenigstens 25 zu einer sie betreffenden Gewißheit zu gelangen, ohne dabei meine alltägliche Lebensführung zu ändern, mag ich es auch oft vergeblich versucht haben. Dasjenige nämlich, worum es im Leben meistens geht und was unter den Menschen, wie deren Taten zeigen, als sozusagen höchstes Gut eingeschätzt wird, läßt sich 30 auf diese drei Dinge zurückführen: nämlich auf Reichtum, Ehre und Vergnügen. Von diesen drei wird der Geist so beansprucht, * daß er kaum noch an irgendein anderes Gut zu denken vermag.
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Tractatus de intellectus emendatione · [4–6]
[4] Nam quod ad libidinem attinet, ea adeo suspenditur animus, ac si in aliquo bono quiesceret; quo maxime impeditur ne de alio cogitet; sed post illius fruitionem summa sequitur tristitia, quae, si non suspendit mentem, tamen perturbat et hebetat. Honores ac divitias prosequendo non parum etiam distrahitur mens, praesertim, ubi hae1 non nisi propter se quaeruntur, quia tum supponuntur summum esse bonum. [5] Honore vero multo adhuc magis mens distrahitur: supponitur enim semper bonum esse per se et tanquam finis ultimus, ad quem omnia diriguntur. Deinde in his non datur, sicut in libidine, poenitentia; sed quo plus utriusque possidetur, eo magis augetur laetitia; et consequenter magis ac magis incitamur ad utrumque augendum: si autem spe in aliquo casu frustremur, tum summa oritur tristitia. Est denique honor magno impedimento, eo quod, ut ipsum assequamur, vita necessario ad captum hominum est dirigenda, fugiendo scilicet, quod vulgo fugiunt, et quaerendo, quod vulgo quaerunt homines. [6] Cum itaque viderem, haec omnia adeo obstare, quo minus operam novo alicui instituto darem; imo adeo esse opposita, ut ab uno aut altero necessario esset abstinendum, cogebar inquirere, quid mihi esset utilius; nempe, ut dixi, videbar bonum certum pro incerto amittere velle. Sed postquam aliquantulum huic rei incubueram, inveni primo, si, hisce omissis, ad novum institutum
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Potuissent haec latius et distinctius explicari, distinguendo scilicet
25 divitias, quae quaeruntur vel propter se, vel propter honorem, vel
propter libidinem, vel propter valetudinem, et augmentum scientiarum et artium; sed hoc ad suum locum reservatur, quia hujus loci non est, haec adeo accurate inquirere. 5 prosequendo] Gebhardt liest persequendo
Das Ziel der Untersuchung
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[4] In der Tat, von dem Vergnügen wird das Gemüt so umspannt, als ob es in einem richtigen Gut ruhte; und dadurch wird es im höchsten Maße gehindert, an etwas anderes zu denken. Doch folgt auf den Genuß dieser Art eine höchste Trauer, die den Geist wenn nicht [in seiner Aktivität] aufhebt, so doch 5 verwirrt und abstumpft. Vom dem eifrigen Streben nach Ehre und Reichtum wird der Geist nicht weniger eingenommen, besonders wenn sie1 lediglich um ihrer selbst willen erstrebt werden, werden sie dann doch als höchstes Gut angesehen. [5] Ist es die Ehre, dann wird der Geist dadurch noch viel stärker einge- 10 nommen, gilt sie doch immer als ein Gut an sich und sozusagen als ein Endzweck, auf den alles bezogen ist. Sodann findet sich bei beiden [bei Reichtum und Ehre] keine Reue, anders als bei dem Vergnügen; vielmehr steigert sich die Freude, je mehr man von ihnen besitzt, und folglich werden wir mehr und mehr ange- 15 trieben, Reichtum und Ehre zu vermehren. Wird unsere Erwartung aber einmal enttäuscht, dann entsteht die größte Trauer. Schließlich ist die Ehre deshalb ein großes Hindernis [unseres Vorhabens], weil wir, um sie zu erlangen, unser Leben zwangsläufig nach den herrschenden Ansichten der Menschen richten 20 müssen, also das zu vermeiden haben, was sie allenthalben vermeiden, und das aufzusuchen haben, was sie allenthalben aufsuchen. [6] Da ich also sah, daß dies alles meinem Bemühen um eine neue Lebensführung hinderlich ist, ja daß es ihm so sehr wider- 25 streitet, daß man sich notwendigerweise des einen oder anderen enthalten müsse, so war ich genötigt zu untersuchen, was für * mich das Nützlichere wäre. Denn ich schien, wie gesagt, ein ausgemachtes Gut für ein ungewisses aufgeben zu wollen. Nachdem ich aber ein wenig darüber gebrütet hatte, fand ich zunächst ein- 30 mal: Wenn ich mich im Verzicht auf jene Dinge zu einer neuen Dies hätte weitläufiger und genauer erläutert werden können, durch eine Unterscheidung des Reichtums etwa, je nachdem, ob er um seiner selbst willen, um der Ehre willen, um des Vergnügens willen, um des Wohlergehens willen oder auch um der Förderung von Wissenschaft und 35 Kunst willen erstrebt wird. Doch wird das für eine passende Gelegenheit * aufgehoben, weil hier nicht der Ort ist, dies so genau zu untersuchen. 1
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Tractatus de intellectus emendatione · [6–9]
accingerer, me bonum sua natura incertum, ut clare ex dictis possumus colligere, omissurum pro incerto, non quidem sua natura (fixum enim bonum quaerebam), sed tantum quoad ipsius consecutionem. [7] Assidua autem meditatione eo perveni, ut viderem, quod tum, modo possem penitus deliberare, mala certa pro bono certo omitterem. Videbam enim me in summo versari periculo et me cogi, remedium, quamvis incertum, summis viribus quaerere; veluti aeger lethali morbo laborans, qui ubi mortem certam praevidet, ni adhibeatur remedium, illud ipsum, quamvis incertum, summis viribus cogitur quaerere, nempe in eo tota ejus spes est sita; illa autem omnia, quae vulgus sequitur, non tantum nullum conferunt remedium ad nostrum esse conservandum, sed etiam id impediunt, et frequenter sunt causa interitus eorum, qui ea possident, et1 semper causa interitus eorum, qui ab iis possidentur. [8] Permulta enim exstant exempla eorum, qui persecutionem ad necem usque passi sunt propter ipsorum divitias, et etiam eorum, qui, ut opes compararent, tot periculis sese exposuerunt, ut tandem vita poenam luerent suae stultitiae. Neque eorum pauciora sunt exempla, qui, ut honorem assequerentur aut defenderent, miserrime passi sunt. Innumeranda denique exstant exempla eorum, qui prae nimia libidine mortem sibi acceleraverunt. [9] Videbantur porro ex eo haec orta esse mala, quod tota felicitas aut infelicitas in hoc solo sita est; videlicet, in qualitate objecti, cui adhaeremus amore. Nam propter illud, quod non amatur, nunquam orientur lites, nulla erit tristitia, si pereat, nulla invidia, si ab alio possideatur, nullus timor, nullum odium, et, ut verbo dicam, nullae commotiones
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Haec accuratius sunt demonstranda.
5 possem] possim
Das Ziel der Untersuchung
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Lebensführung anschicke, so würde ich ein seiner Natur nach ungewisses Gut (wie wir dem Gesagten klar entnehmen können) für ein ungewisses Gut aufgeben, das indes nicht seiner Natur nach (denn ich suchte ja ein bleibendes Gut) ungewiß ist, sondern nur hinsichtlich dessen, wie es zu erreichen ist. [7] Doch 5 kam ich durch anhaltendes Nachdenken zu der Einsicht, daß ich, wenn ich mich nur von Grund auf entscheiden könnte, bestimmte Übel für ein bestimmtes Gut aufgeben würde. Denn ich sah, daß ich mich in höchster Gefahr befand und [deshalb] gezwungen war, ein Heilmittel, mag es auch unsicher sein, mit aller 10 Kraft zu suchen, ganz so wie ein Todkranker, der seinen sicheren Tod voraussieht, wenn nicht ein Heilmittel angewendet wird, nach diesem Mittel, obschon es unsicher ist, mit aller Kraft zu suchen gezwungen ist, liegt doch in ihm seine ganze Hoffnung. All jene Dinge aber, denen man gewöhnlich nachjagt, bieten 15 nicht nur kein Mittel zur Erhaltung unseres Seins, sondern ste- * hen ihr sogar im Wege. Häufig sind sie die Ursache des Untergangs derer, die sie besitzen, immer aber1 die Ursache des Untergangs derer, die von ihnen besessen werden. [8] Es gibt ja sehr viele Beispiele von Menschen, die ihres Reichtums wegen Ver- 20 folgung bis in den Tod erlitten haben, und auch von Menschen, die, um ein Vermögen zu erlangen, sich so vielen Gefahren ausgesetzt haben, daß sie schließlich ihr törichtes Tun mit dem Leben büßten. Nicht minder häufig sind die Beispiele derer, die, um Ehre zu erringen oder zu verteidigen, das Kläglichste erdul- 25 det haben. Zahllos sind schließlich die Beispiele derer, die durch ausschweifende Genußsucht ihren Tod schneller herbeigeführt haben. [9] Diese Übel schienen mir bei weiterem Nachdenken daraus zu resultieren, daß all unser Glück oder Unglück auf einem einzigen Sachverhalt beruht, nämlich auf der Beschaffen- 30 heit des Gegenstandes, dem wir uns in Liebe hingeben. Denn * über das, was man nicht liebt, wird niemals Streit entstehen; es wird keine Trauer geben, wenn es zugrunde geht, keinen Neid, wenn ein anderer es besitzt, keine Furcht, keinen Haß, kurz gesagt, keine Erregung des Gemüts. All das findet sich nämlich 35 1
Dies ist noch sorgfältiger darzulegen.
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animi; quae quidem omnia contingunt in amore eorum, quae perire possunt, uti haec omnia, de quibus modo locuti sumus. [10] Sed amor erga rem aeternam et infinitam sola laetitia pascit animum, ipsaque omnis tristitiae est expers; quod valde est desiderandum totisque viribus quaerendum. Verum non absque ratione usus sum his verbis: modo possem serio deliberare. Nam quamvis haec mente adeo clare perciperem, non poteram tamen ideo omnem avaritiam, libidinem, atque gloriam deponere. [11] Hoc unum videbam, quod, quamdiu mens circa has cogitationes versabatur, tamdiu illa aversabatur et serio de novo cogitabat instituto; quod magno mihi fuit solatio. Nam videbam illa mala non esse talis conditionis, ut remediis nollent cedere. Et quamvis in initio haec intervalla essent rara, et per admodum exiguum temporis spatium durarent, postquam tamen verum bonum magis ac magis mihi innotuit, intervalla ista frequentiora et longiora fuerunt; praesertim postquam vidi nummorum acquisitionem aut libidinem et gloriam tamdiu obesse, quamdiu propter se, et non, tanquam media ad alia, quaeruntur; si vero tanquam media quaeruntur, modum tunc habebunt, et minime oberunt; sed contra ad finem, propter quem quaeruntur, multum conducent, ut suo loco ostendemus. [12] Hic tantum breviter dicam, quid per verum bonum intelligam, et simul quid sit summum bonum. Quod ut recte intelligatur, notandum est, quod bonum et malum non, nisi respective, dicantur; adeo ut una eademque res possit dici bona et mala secundum diversos respectus, eodem modo ac perfectum et imperfectum. Nihil enim, in sua natura spectatum, perfectum dicetur vel imperfectum; praesertim postquam noverimus, omnia, quae fiunt, secundum aeternum ordinem et secundum certas Naturae leges fieri. [13] Cum autem humana imbecillitas illum ordi-
6 possem] possim
Das Ziel der Untersuchung
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nur bei einer Liebe zu Dingen, die zugrunde gehen können, wie es all diejenigen sind, von denen wir soeben gesprochen haben. [10] Doch die Liebe zu einem ewigen und unendlichen Ding nährt das Gemüt allein mit Freude, die ihrerseits frei von aller Trauer ist, etwas, das sehr zu begehren und mit aller Kraft zu er- * streben ist. Aber nicht ohne Grund habe ich diese Worte gebraucht: »wenn ich mich nur von Grund auf entscheiden könnte«. Denn obschon ich dies im Geist so weit klar erfaßte, konnte ich deswegen dennoch Habgier, Genußsucht und Ehr10 sucht nicht gänzlich ablegen. [11] Das eine sah ich allerdings, daß der Geist, solange er sich mit diesen Gedanken befaßte, sich von jenen [falschen Zielen] * abwandte und ernsthaft über eine neue Lebensführung nachdachte; und das gereichte mir zu großem Trost. Denn ich sah, daß jene Übel nicht derart beschaffen waren, daß sie keinen Gegen- 15 mitteln weichen wollten. Und obwohl anfangs die Phasen des Abstands selten und von sehr kurzer Dauer waren, wurden sie, nachdem mir doch das wahre Gut mehr und mehr bekannt wurde, häufiger und länger, insbesondere nachdem ich gesehen habe, daß Gelderwerb, Vergnügen und Ehre nur so lange schäd- 20 lich sind, wie sie um ihrer selbst willen und nicht als Mittel zu etwas anderem erstrebt werden. Wenn sie indes als Mittel erstrebt werden, werden sie ein Maß haben und kaum schaden, sondern im Gegenteil zu dem Zweck, um dessentwillen sie erstrebt werden, viel beitragen, wie wir an gehöriger Stelle zeigen 25 werden. [12] Hier will ich nur kurz sagen, was ich unter dem wahren * Gut verstehe, und zugleich, was das höchste Gut ist. Zum richtigen Verständnis ist zu bemerken, daß »gut« und »schlecht« nur beziehungsweise ausgesagt werden, so daß ein und dasselbe Ding 30 gemäß unterschiedlichen Hinsichten sowohl gut als schlecht heißen kann, gerade so wie dies für die Begriffe »vollkommen« und »unvollkommen« gilt. Denn nichts kann, der eigenen Natur nach betrachtet, vollkommen oder unvollkommen genannt werden, insbesondere sobald wir wissen, daß alles, was geschieht, nach ei- 35 ner ewigen Ordnung und nach bestimmten Gesetzen der Natur geschieht. [13] Da jedoch die menschliche Schwachheit jene
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nem cogitatione sua non assequatur, et interim homo concipiat naturam aliquam humanam sua multo firmiorem, et simul nihil obstare videat, quo minus talem naturam acquirat, incitatur ad media quaerendum, quae ipsum ad talem ducant perfectionem: et omne illud, quod potest esse medium, ut eo perveniat, vocatur verum bonum; summum autem bonum est eo pervenire, ut ille cum aliis individuis, si fieri potest, tali natura fruatur. Quaenam autem illa sit natura, ostendemus suo loco, nimirum esse cognitionem1 unionis, quam mens cum tota Natura habet. [14] Hic est itaque finis, ad quem tendo, talem scilicet naturam acquirere, et, ut multi mecum eam acquirant, conari; hoc est, de mea felicitate etiam est operam dare, ut alii multi idem atque ego intelligant, ut eorum intellectus et cupiditas prorsus cum meo intellectu et cupiditate conveniant; utque hoc fiat2, necesse est tantum de Natura intelligere, quantum sufficit ad talem naturam acquirendam; deinde formare talem societatem, qualis est desideranda, ut quamplurimi quam facillime et secure eo perveniant. [15] Porro danda est opera morali philosophiae, ut et doctrinae de puerorum educatione; et, quia valetudo non parvum est medium ad hunc finem assequendum, concinnanda est integra medicina; et quia arte multa, quae difficilia sunt, facilia redduntur, multumque temporis et commoditatis in vita ea lucrari possumus, ideo mechanica nullo modo est contemnenda. [16] Sed ante omnia excogitandus est modus medendi intellectus ipsumque, quantum initio licet, expurgandi, ut feliciter res absque errore et quam
Haec fusius suo loco explicantur. Nota, quod hic tantum curo enumerare scientias ad nostrum scopum necessarias, licet ad earum seriem non attendam. 1 2
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Ordnung in ihrem Denken nicht erfaßt und der Mensch sich unterdessen irgendeine menschliche Natur erdenkt, die viel stärker ist als die eigene, und er zugleich kein Hindernis sieht, eine solche Natur zu erlangen, wird er dazu getrieben, Mittel zu suchen, die ihn zu einer solchen Vollkommenheit führen könnten. Und all 5 das, was als ein Mittel gilt, dahin zu gelangen, wird ein wahres Gut genannt. Das höchste Gut freilich besteht für ihn darin, da- * hin zu gelangen, sich einer solchen Natur nach Möglichkeit in Gemeinschaft mit anderen Individuen zu erfreuen. Was das für eine Natur ist, werden wir an gehöriger Stelle zeigen, nämlich 10 daß sie die Erkenntnis1 der Einheit ist, die der Geist mit der Natur im Ganzen in sich enthält. [14] Dies ist also das Ziel, nach * dem ich trachte, nämlich die beschriebene Natur zu erlangen, und somit danach zu streben, daß viele andere sie mit mir erlangen. D. h.: zu meinem Glück gehört es auch, mich zu bemühen, 15 daß viele andere dasselbe begreifen wie ich, damit ihr Verstand und ihr Begehren mit meinem Verstand und meinem Begehren gänzlich übereinstimmen. Hierfür2 muß man die Natur nur in dem Maße begreifen, das ausreichend ist, die genannte [menschliche] Natur zu erlangen; des weiteren muß man eine Gesellschaft 20 bilden, die so beschaffen sein sollte, daß möglichst viele Menschen so leicht und sicher, wie es geht, dahin gelangen. [15] So- * dann muß man sich um eine Moralphilosophie und Erziehungslehre bemühen; und, weil Gesundheit kein geringes Mittel ist, jenes Ziel zu erreichen, ist eine umfassende Heilkunde auszu- 25 bilden. Weil ferner mit Kunstfertigkeit vieles, was schwer ist, leicht gemacht wird, und wir mit ihr viel Zeit und Bequemlichkeit im Leben gewinnen können, ist die Mechanik keineswegs zu vernachlässigen. [16] Vor allem aber ist eine Weise ausfindig zu machen, den Verstand zu heilen und ihn, so weit es zu Anfang 30 [der Untersuchung] geht, zu reinigen, damit er die Dinge gedeihlich, ohne Irrtum und so trefflich wie möglich begreift. Hieraus Dies wird an seinem Ort ausführlicher erläutert. Man beachte, daß es mir hier nur darauf ankommt, die für unser Vorhaben nötigen Wissenschaften aufzuzählen, ohne daß ich mich um 35 ihre Ordnung kümmerte. * 1 2
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optime intelligat. Unde quisque jam poterit videre, me omnes scientias ad unum finem1 et scopum velle dirigere, scilicet, ut ad summam humanam, quam diximus, perfectionem perveniatur; et sic omne illud, quod in scientiis nihil ad finem nostrum nos promovet, tanquam inutile erit rejiciendum; hoc est, ut uno verbo dicam, omnes nostrae operationes, simul et cogitationes, ad hunc sunt dirigendae finem. [17] Sed quia, dum curamus eum consequi et operam damus, ut intellectum in rectam viam redigamus, necesse est vivere; propterea ante omnia cogimur quasdam vivendi regulas, tanquam bonas, supponere, has scilicet. 1. Ad captum vulgi loqui et illa omnia operari, quae nihil impedimenti adferunt, quo minus nostrum scopum attingamus. Nam non parum emolumenti ab eo possumus acquirere, modo ipsius captui, quantum fieri potest, concedamus; adde, quod tali modo amicas praebebunt aures ad veritatem audiendam. 2. Deliciis in tantum frui, in quantum ad tuendam valetudinem sufficit. 3. Denique tantum nummorum aut cujuscunque alterius rei quaerere, quantum sufficit ad vitam et valetudinem sustentandam et ad mores civitatis, qui nostrum scopum non oppugnant, imitandos. [18] Hisce sic positis, ad primum, quod ante omnia faciendum est, me accingam, ad emendandum scilicet intellectum, eumque aptum reddendum ad res tali modo intelligendas, quo opus est, ut nostrum finem assequamur. Quod ut fiat, exigit ordo, quem naturaliter habemus, ut hic resumam omnes modos percipiendi,
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Finis in scientiis est unicus, ad quem omnes sunt dirigendae.
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wird jeder schon sehen können, daß ich alle Wissenschaften auf * ein einziges anzustrebendes Ziel1 hinlenken will, daß nämlich jene höchste menschliche Vollkommenheit, von der wir gesprochen haben, erreicht werde; und daher wird in den Wissenschaften all das, was uns nicht zu unserem Ziel voranbringt, als unnütz 5 zu verwerfen sein. Kurz gesagt heißt das, daß alle unsere Tätigkeiten, nicht anders als unsere Gedanken, auf dieses Ziel zu richten sind. [17] Weil wir aber, während wir diesem Ziel nachzugehen suchen und uns bemühen, den Verstand auf den richtigen Weg zu bringen, doch leben müssen, sind wir genötigt, 10 einige Lebensregeln als gut im voraus anzunehmen, nämlich fol- * gende: 1. Man rede nach der Fassungskraft der Leute und tue all das, was uns nicht daran hindert, unser Vorhaben zu erreichen. Wir können nämlich nicht wenig Vorteil von ihnen erlangen, wenn 15 wir so weit wie möglich ihrer Fassungskraft Rechnung tragen; hinzu kommt, daß man auf diese Weise Menschen dazu bringen wird, der Wahrheit Gehör zu schenken. 2. Man genieße das Vergnügen nur so weit, wie es zur Erhal20 tung der Gesundheit ausreichend ist. 3. Man suche schließlich nur so viel Geld oder was auch immer sonst noch zu erwerben, wie man braucht, um Leben und Gesundheit aufrechtzuerhalten und um den Sitten des Landes, die unserem Vorhaben nicht widerstreiten, gleichzukommen.
[II. Die Weisen des Wahrnehmens]
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[18] Dies vorausgesetzt, will ich zu dem Wichtigsten schreiten, das vor allem anderen zu vollbringen ist, nämlich dazu, den Verstand zu verbessern und ihn fähig zu machen, die Dinge in der Weise zu begreifen, die erforderlich ist, damit wir zu unserem Ziel gelangen. Damit dies geschehe, verlangt die Natur der 30 Sache, daß ich hier alle Weisen des Wahrnehmens resümiere, die * Die Wissenschaften haben nur ein Ziel, auf das hin sie alle auszurichten sind. 1
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quos hucusque habui ad aliquid indubie affirmandum vel negandum, quo omnium optimum eligam et simul meas vires et naturam, quam perficere cupio, noscere incipiam. [19] Si accurate attendo, possunt omnes ad quattuor potissimum reduci. 1. Est perceptio, quam ex auditu aut ex aliquo signo, quod vocant ad placitum, habemus. 2. Est perceptio, quam habemus ab experientia vaga, hoc est, ab experientia, quae non determinatur ab intellectu; sed tantum ita dicitur, quia casu sic occurrit, et nullum aliud habemus experimentum, quod hoc oppugnat, et ideo tanquam inconcussum apud nos manet. 3. Est perceptio, ubi essentia rei ex alia re concluditur, sed non adaequate; quod fit1, cum vel ab aliquo effectu causam colligimus, vel cum concluditur ab aliquo universali, quod semper aliqua proprietas concomitatur. 4. Denique perceptio est, ubi res percipitur per solam suam essentiam, vel per cognitionem suae proximae causae. [20] Quae omnia exemplis illustrabo. Ex auditu tantum scio meum natalem diem, et quod tales parentes habui, et similia; de quibus nunquam dubitavi. Per experientiam vagam scio me mo-
Hoc cum fit, nihil de causa intelligimus praeter id, quod in effectu consideramus: quod satis apparet ex eo, quod tum causa non nisi generalissimis terminis explicetur, nempe his: Ergo datur aliquid, Ergo datur 25 aliqua potentia, etc. Vel etiam ex eo, quod ipsam negative exprimant: Ergo non est hoc, vel illud, etc. In secundo casu aliquid causae tribuitur propter effectum, quod clare concipitur, ut in exemplo ostendemus; verum nihil praeter propria, non vero rei essentia particularis. 1
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ich bislang, um etwas zweifelsfrei zu bejahen oder zu verneinen, gehabt habe, damit ich so die beste von allen herausfinde und damit ich zugleich beginne, meine Kräfte und die Natur [des Menschen], die ich zu vervollkommnen wünsche, kennenzulernen. [19] Wenn ich genau achtgebe, lassen sich alle auf gerade die vier zurückführen. 1. Es gibt eine Wahrnehmung, die wir vom Hörensagen oder über ein sogenanntes beliebiges Zeichen haben. 2. Es gibt eine Wahrnehmung, die wir von einer unbestimmten Erfahrung her haben, d. h. von einer Erfahrung, die nicht vom Verstand bestimmt wird; so wird sie allein deshalb genannt, weil sie sich zufällig ereignet und wir über kein anderes Erfahrungselement verfügen, das ihr widerstreitet, so daß sie als gleichsam unerschütterlich in uns verbleibt. 3. Es gibt eine Wahrnehmung, bei der die Essenz einer Sache aus einer anderen Sache erschlossen wird, jedoch nicht auf adäquate Weise; das ist der Fall1, wenn wir entweder von irgendeiner Wirkung auf deren Ursache schließen, oder wenn man einen Schluß aus irgendeinem Allgemeinen zieht, mit dem stets dieses oder jenes Merkmal verbunden ist. 4. Schließlich gibt es eine Wahrnehmung, bei der ein Ding durch seine Essenz allein oder auch durch die Erkenntnis seiner nächsten Ursache wahrgenommen wird. [20] Das alles will ich durch Beispiele erläutern. Bloß vom Hörensagen weiß ich meinen Geburtstag und daß ich die und die Eltern gehabt habe und ähnliches, woran ich niemals gezweifelt habe. Aus unbestimmter Erfahrung weiß ich, daß ich sterben
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In diesem Fall begreifen wir von der Ursache nichts als das, was wir in der Wirkung beobachten; genügend deutlich ist das daraus, daß die 30 Ursache dann lediglich mit höchstallgemeinen Ausdrücken erklärt wird, etwa mit folgenden: »also gibt es irgendetwas«, »also gibt es irgendeine Macht« usw. Oder auch daraus, daß man die Ursache negativ ausdrückt: »also ist das oder jenes nicht»usw. Günstigenfalls wird der Ursache etwas wegen der Wirkung zugeschrieben, die klar erkannt wird, wie wir 35 an einem Beispiel zeigen werden; indessen betrifft dies lediglich Eigentümlichkeiten, nicht aber die je eigene Essenz eines Dinges. 1
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riturum: hoc enim ideo affirmo, quia vidi alios mei similes obiisse mortem, quamvis neque omnes per idem temporis spatium vixerint, neque ex eodem morbo obierint. Deinde per experientiam vagam etiam scio, quod oleum sit aptum alimentum ad nutriendam flammam, quodque aqua ad eam extinguendam apta sit; scio etiam, quod canis sit animal latrans et homo animal rationale, et sic fere omnia novi, quae ad usum vitae faciunt. [21] Ex alia vero re hoc modo concludimus: postquam clare percipimus, nos tale corpus sentire et nullum aliud; inde, inquam, clare concludimus animam unitam esse1 corpori, quae unio est causa talis sensationis; sed quaenam2 sit illa sensatio et unio, non absolute inde possumus intelligere. Vel postquam novimus naturam visus, et simul, eum habere talem proprietatem, ut unam eandemque rem ad magnam distantiam minorem videamus quam si eam cominus intueamur, inde concludimus solem majorem esse quam apparet, et alia his similia. [22] Per solam denique rei essentiam res percipitur; quando ex eo, quod aliquid novi, scio, quid hoc sit aliquid nosse, vel ex eo, quod novi essentiam animae, scio
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Ex hoc exemplo clare videre id est, quod modo notavi. Nam per
20 illam unionem nihil intelligimus praeter sensationem ipsam, effectus
scilicet, ex quo causam, de qua nihil intelligimus, concludebamus. 2 Talis conclusio, quamvis certa sit, non tamen satis tuta est, nisi maxime caventibus. Nam nisi optime caveant sibi, in errores statim incident: ubi enim res ita abstracte concipiunt, non autem per veram essentiam, 25 statim ab imaginatione confunduntur. Nam id, quod in se unum est, multiplex esse imaginantur homines. Nam iis, quae abstracte, seorsim, et confuse concipiunt, nomina imponunt, quae ab ipsis ad alia magis familiaria significandum usurpantur; quo fit, ut haec imaginentur eodem modo, ac eas res imaginari solent, quibus primum haec nomina 30 imposuerunt. 12 novimus] novi Korrektur W. B. 20 effectus] korrigiert vom Nominativ in den Genitiv
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werde; das behaupte ich nämlich, weil ich andere, die mir ähnlich sind, habe sterben sehen, obwohl nicht alle über den gleichen Zeitraum gelebt haben und auch nicht alle an derselben Krankheit gestorben sind. Dann weiß ich aus unbestimmter Erfahrung auch, daß Öl ein taugliches Mittel ist, die Flamme zu nähren, 5 Wasser aber, sie zu löschen. Ich weiß auch, daß der Hund ein bellendes Tier ist und der Mensch ein vernunftbegabtes Tier. Und so * kenne ich fast alles, was zur Lebenspraxis gehört. [21] Aus einer anderen Sache aber erschließen wir [eine Sache] folgendermaßen: Nachdem wir klar wahrgenommen haben, daß wir einen 10 so beschaffenen und keinen anderen Körper empfinden, dann, sage ich, schließen wir klar, daß die Seele mit dem Körper vereinigt ist1 und daß diese Einheit die Ursache einer solchen Empfindung ist. Doch was2 jene Empfindung ist und was die Einheit * ist, können wir daraus nicht absolut begreifen. Oder nachdem 15 wir die Natur des Sehens kennengelernt haben und zugleich dessen eigentümliche Beschaffenheit, derzufolge wir ein und dasselbe Ding in großer Entfernung als kleiner erblicken, als wenn wir es aus der Nähe betrachten, dann schließen wir daraus, daß die Sonne größer ist, als sie uns erscheint, und ähnliches 20 mehr. [22] Schließlich wird ein Ding allein durch seine Essenz wahrgenommen, wenn ich daraus, daß ich irgendetwas erkenne, weiß, was es heißt, etwas zu erkennen, oder wenn ich daraus, daß Diesem Beispiel ist klar zu entnehmen, was ich eben erst angeführt 25 habe. Denn unter jener Einheit verstehen wir nichts als die Empfindung selbst, nämlich [die Empfindung] einer Wirkung, aus der wir auf eine Ursache, von der wir nichts begreifen, schlossen. 2 Ein solcher Schluß, wie sehr er auch gewiß ist, ist doch nur hinlänglich sicher, wenn man äußerst vorsichtig ist; anderenfalls wird man auf 30 der Stelle in Irrtümer fallen. Denn sooft man die Dinge so abstrakt, nicht aber durch ihre wahre Essenz erkennt, werden sie auf der Stelle von der Einbildungskraft durcheinander gebracht: Was in sich selbst eines ist, stellen sich die Menschen als vielfach vor. Denn demjenigen, was sie abstrakt, gesondert und verworren auffassen, legen sie Namen bei, die sie 35 zur Bezeichnung anderer Dinge gebrauchen, die ihnen stärker vertraut sind; daher kommt es, daß sie es in derselben Weise vorstellen, wie sie diejenigen Dinge vorzustellen pflegen, denen sie zuerst diese Namen beigelegt haben. 1
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eam corpori esse unitam. Eadem cognitione novimus duo et tria esse quinque, et, si dentur duae lineae uni tertiae parallelae, eas etiam inter sese parallelas, etc. Ea tamen, quae hucusque tali cognitione potui intelligere, perpauca fuerunt. [23] Ut autem haec omnia melius intelligantur, unico tantum utar exemplo, hoc scilicet. Dantur tres numeri: quaerit quis quartum, qui sit ad tertium ut secundus ad primum. Dicunt hic passim mercatores, se scire, quid sit agendum, ut quartus inveniatur, quia nempe eam operationem nondum oblivioni tradiderunt, quam nudam sine demonstratione a suis magistris audiverunt; alii vero ab experientia simplicium faciunt axioma universale, scilicet ubi quartus numerus per se patet, ut in his 2, 4, 3, 6, ubi experiuntur, quod ducto secundo in tertium et producto deinde per primum diviso fiat quotiens 6; et cum vident eundem numerum produci, quem sine hac operatione noverant esse proportionalem, inde concludunt operationem esse bonam ad quartum numerum proportionalem semper inveniendum. [24] Sed mathematici vi demonstrationis prop. 19, lib. 7 Euclidis sciunt, quales numeri inter se sint proportionales, scilicet ex natura proportionis ejusque proprietate, quod nempe numerus, qui fit ex primo et quarto, aequalis sit numero, qui fit ex secundo et tertio; attamen adaequatam proportionalitatem datorum numerorum non vident, et si videant, non vident eam vi illius propositionis; sed intuitive, nullam operationem facientes. [25] Ut autem ex his optimus eligatur modus percipiendi, requiritur, ut breviter enumeremus, quae sint necessaria media, ut nostrum finem assequamur, haec scilicet. 1. Nostram naturam, quam cupimus perficere, exacte nosse, et simul tantum de rerum natura, quantum sit necesse: 2. Ut inde rerum differentias, convenientias et oppugnantias recte colligamus.
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ich die Essenz der Seele erkenne, weiß, daß sie mit dem Körper vereinigt ist. Kraft eben dieser Erkenntnis wissen wir, daß zwei * plus drei fünf ergibt, desgleichen daß zwei Linien, die einer dritten parallel sind, auch untereinander parallel sind und dergleichen mehr. Die Dinge, die ich bisher in dieser Art von Erkenntnis habe 5 begreifen können, sind allerdings nicht sehr zahlreich gewesen. [23] Um nun all das besser verständlich zu machen, will ich lediglich ein einziges Beispiel anführen, folgendes nämlich. Gege- * ben sind drei Zahlen; man sucht eine vierte, die sich zur dritten verhalte wie die zweite zur ersten. Kaufleute pflegen hierbei zu 10 sagen, sie wüßten, was zu tun sei, um die vierte zu finden, weil sie das Verfahren noch im Gedächtnis haben, das sie ohne die Beweisführung von ihren Lehrern einfach gehört haben. Andere aber bilden aus der Erfahrung mit einfachen Zahlen einen allgemeinen Grundsatz, wohlgemerkt da, wo die vierte Zahl sich von 15 selbst ergibt wie bei den Zahlen 2, 4, 3, 6; sie erfahren dabei, daß, wenn die zweite mit der dritten multipliziert wird und deren Produkt durch die erste dividiert wird, als Quotient die Zahl 6 herauskommt; und insofern sie sehen, daß dabei dieselbe Zahl sich ergibt, die sie ohne dieses Verfahren als die Proportionalzahl 20 kannten, schließen sie daraus, daß das Verfahren tauglich ist, in jedem Fall die vierte Proportionalzahl zu finden. [24] Mathematiker aber wissen kraft des Beweises von Euklid (Lehrsatz 19 des 7. Buchs), welche Zahlen untereinander proportional sind, nämlich aus der Natur der Proportion und deren Merkmal, daß 25 das Produkt aus der ersten und vierten Zahl dem aus der zweiten und dritten Zahl gleich ist; gleichwohl sehen sie nicht die adäquate Proportionalität der gegebenen Zahlen, und wenn sie sie sähen, sehen sie sie nicht kraft jenes Lehrsatzes, sondern intuitiv, ohne ein Verfahren auszuüben. [25] Um nun aus diesen Wei- 30 sen des Wahrnehmens die beste auszuwählen, ist es erforderlich, kurz die Mittel aufzuzählen, die nötig sind, um zu unserem Ziel zu gelangen. Es sind folgende: * 1. Unsere Natur, die wir zu vervollkommnen suchen, genau zu erkennen und zugleich von der Natur der Dinge so viel wie nötig, 35 2. um daraus die Unterschiede, Übereinstimmungen und Gegensätze der Dinge richtig zu gewinnen,
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3. Ut recte concipiatur, quid possint pati, quid non. 4. Ut hoc conferatur cum natura et potentia hominis. Et ex istis facile apparebit summa, ad quam homo potest pervenire, perfectio. [26] His sic consideratis videamus, quis modus percipiendi nobis sit eligendus. Quod ad primum attinet. Per se patet, quod ex auditu, praeterquam quod sit res admodum incerta, nullam percipiamus essentiam rei, sicuti ex nostro exemplo apparet; et cum singularis existentia alicujus rei non noscatur, nisi cognita essentia, uti postea videbitur: hinc clare concludimus omnem certitudinem, quam ex auditu habemus, a scientiis esse secludendam. Nam a simplici auditu, ubi non praecessit proprius intellectus, nunquam quis poterit affici. [27] Quoad secundum.1 Nullus etiam dicendus est, quod habeat ideam illius proportionis, quam quaerit. Praeterquam quod sit res admodum incerta et sine fine, nihil tamen unquam tali modo quis in rebus naturalibus percipiet praeter accidentia, quae nunquam clare intelliguntur nisi praecognitis essentiis. Unde etiam et ille secludendus est. [28] De tertio autem aliquo modo dicendum, quod habeamus ideam rei, deinde quod etiam absque periculo erroris concludamus; sed tamen per se non erit medium, ut nostram perfectionem acquiramus.
Hic aliquanto prolixius agam de experientia; et empiricorum et recentium philosophorum procedendi methodum examinabo. 1
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3. um richtig zu erkennen, was sich an den Dingen ereignen kann und was nicht, und 4. um [die so erkannte Natur der Dinge] mit der Natur und Macht des Menschen zu vergleichen. In der Tat wird daraus leicht das Ausmaß der Vollkommenheit ersichtlich werden, das 5 der Mensch erlangen kann. [26] Nach diesen Überlegungen wollen wir sehen, welche Weise des Wahrnehmens von uns zu wählen ist. * Hinsichtlich der ersten Weise ist evident, daß wir vom Hörensagen, abgesehen davon, daß es eine äußerst unsichere Angele- 10 genheit ist, die Essenz eines Dinges überhaupt nicht wahrnehmen, was ja aus unserem Beispiel einleuchtet. Und da die Existenz eines Dinges in ihrer Singularität nur erkannt wird, wenn dessen Essenz erkannt ist, wie man später sehen wird, folgern wir daraus klar, daß jegliche Gewißheit, die wir vom Hörensa- 15 gen haben, von den Wissenschaften auszuschließen ist. Denn vom bloßen Hörensagen wird immer nur derjenige ergriffen werden können, der über einen eigenen Verstand schon verfügt. [27] Hinsichtlich der zweiten Weise1 läßt sich auch nicht sa- 20 gen, daß mit ihr jemand die Idee der gesuchten Proportion habe. Abgesehen davon, daß sie eine äußerst unsichere Angelegenheit ist und nicht zu einem Abschluß gelangt, wird man übrigens in dieser Weise in den Dingen der Natur nichts anderes als Akzidenzien wahrnehmen, die niemals klar begriffen wer- 25 den, wenn nicht zuvor die Essenzen der Dinge erkannt worden sind. Deshalb ist auch diese [Weise des Wahrnehmens] auszuschließen. [28] Von der dritten Weise hingegen läßt sich in bestimmter Hinsicht sagen, daß wir mit ihr die Idee einer Sache haben, und * ferner, daß wir [mit ihr] auch ohne Gefahr des Irrtums schlußfolgern; aber dennoch wird sie für sich allein nicht ein Mittel sein, unsere Vollkommenheit zu erlangen. Hier werde ich noch ausführlicher von der Erfahrung handeln; und ich werde die Methode der Empiriker und der neueren Philosophen ei- 35 ner Prüfung unterziehen. * 1
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[29] Solus quartus modus comprehendit essentiam rei adaequatam et absque erroris periculo; ideoque maxime erit usurpandus. Quomodo ergo sit adhibendus, ut res incognitae tali cognitione a nobis intelligantur, simulque ut hoc quam compendiose fiat, curabimus explicare. [30] Postquam novimus, quaenam cognitio nobis sit necessaria, tradenda est via, et methodus, qua res, quae sunt cognoscendae, tali cognitione cognoscamus. Quod ut fiat, venit prius considerandum, quod hic non dabitur inquisitio in infinitum, scilicet, ut inveniatur optima methodus verum investigandi, opus est alia methodo, ut methodus veri investigandi investigetur; et, ut secunda methodus investigetur, opus est alia tertia, et sic in infinitum: tali enim modo nunquam ad veri cognitionem, imo ad nullam cognitionem perveniretur. Hoc vero eodem modo se habet, ac se habent instrumenta corporea, ubi eodem modo liceret argumentari. Nam, ut ferrum cudatur, malleo opus est, et ut malleus habeatur, eum fieri necessum est; ad quod alio malleo aliisque instrumentis opus est, quae etiam ut habeantur, aliis opus erit instrumentis, et sic in infinitum; et hoc modo frustra aliquis probare conaretur, homines nullam habere potestatem ferrum cudendi. [31] Sed quemadmodum homines initio innatis instrumentis quaedam facillima, quamvis laboriose et imperfecte, facere quiverunt, iisque confectis alia difficiliora minori labore et perfectius confecerunt, et sic gradatim ab operibus simplicissimis ad instrumenta, et ab instrumentis ad alia opera et instru-
10–11 opus est] non opus est Korrektur W. B. nach NS und Mignini 12 opus est] non opus est Korrektur W. B. nach NS und Mignini
Der einzuschlagende Weg
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[29] Lediglich die vierte Weise erfaßt die adäquate Essenz eines Dinges und dies ohne Gefahr des Irrtums; und deshalb wird * sie in erster Linie zu verwenden sein. Wie sie denn nun zu gebrauchen ist, damit kraft einer derartigen Erkenntnis unbekannte Dinge von uns begriffen werden und zwar so, daß das möglichst 5 bündig geschieht, werden wir uns zu entwickeln bemühen.
[III. Der einzuschlagende Weg] [30] Nachdem wir wissen, welcher Erkenntnis wir unbedingt bedürfen, ist der Weg, d. h. die Methode, anzugeben, auf dem wir * dazu kommen, die Dinge, die es zu erkennen gilt, vermöge dieser 10 Erkenntnis zu erkennen. Zu diesem Zweck ist zunächst in Betracht zu ziehen, daß es sich hierbei nicht um eine Untersuchung handeln wird, die in dem Sinne ins Unendliche führt, daß es, um die beste Methode der Erforschung des Wahren zu finden, einer anderen Methode bedarf, um die Methode der wahren Erfor- * schung zu erforschen, und es, um die zweite Methode zu erforschen, einer weiteren dritten bedarf, und so ins Unendliche; in dieser Weise nämlich würde man nicht nur nicht zur Erkenntnis des Wahren gelangen, sondern überhaupt zu keiner Erkenntnis. Es verhält sich damit gerade so wie mit den materiellen Werkzeu- 20 gen, bei denen man in gleicher Weise argumentieren könnte. Um nämlich Eisen zu schmieden, braucht man einen Hammer, und um einen Hammer zu haben, muß man ihn herstellen; hierfür braucht man einen anderen Hammer und andere Werkzeuge, die zu bekommen es wiederum anderer Werkzeuge bedarf, und so 25 ins Unendliche. Es wäre vergeblich, auf diese Weise beweisen zu wollen, daß die Menschen nicht das Vermögen hätten, Eisen zu schmieden. [31] Indes, wie die Menschen im Anfang mit Hilfe angeborener Werkzeuge bestimmte sehr leichte Dinge, wenn auch mühsam und unvollkommen, hervorbringen konnten und 30 nach deren Verfertigung andere schwierigere Dinge mit geringerer Mühe und vollkommener herstellten und so schrittweise, von den einfachsten Werken zu den Werkzeugen und von den Werkzeugen zu anderen Werken und auch Werkzeugen fortschrei-
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menta pergendo, eo pervenerunt, ut tot et tam difficilia parvo labore perficiant; sic etiam intellectus vi sua nativa1 facit sibi instrumenta intellectualia, quibus alias vires acquirit ad alia opera2 intellectualia, et ex iis operibus alia instrumenta, seu potestatem ulterius investigandi, et sic gradatim pergit, donec sapientiae culmen attingat. [32] Quod autem intellectus ita sese habeat facile erit videre, modo intelligatur, quid sit methodus verum investigandi, et quaenam sint illa innata instrumenta, quibus tantum eget ad alia ex iis instrumenta conficienda, ut ulterius procedat. Ad quod ostendendum sic procedo. [33] Idea vera3 (habemus enim ideam veram) est diversum quid a suo ideato: Nam aliud est circulus, aliud idea circuli. Idea enim circuli non est aliquid, habens peripheriam et centrum uti circulus, nec idea corporis est ipsum corpus: et cum sit quid diversum a suo ideato, erit etiam per se aliquid intelligibile; hoc est, idea, quoad suam essentiam formalem, potest esse objectum alterius essentiae objectivae, et rursus haec altera essentia objectiva erit etiam in se spectata quid reale et intelligibile, et sic indefinite. [34] Petrus ex. gr. est quid reale; vera autem idea Petri est essentia Petri objectiva et in se quid reale, et omnino diversum
Per vim nativam intelligo illud, quod in nobis a causis externis non causatur, quodque postea in mea Philosophia explicabimus. 2 Hic vocantur opera: in mea Philosophia, quid sint, explicabitur. 3 Nota, quod hic non tantum curabimus ostendere id, quod modo 25 dixi, sed etiam nos hucusque recte processisse, et simul alia scitu valde necessaria. 1
21–22 non causatur] causatur
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tend, dahin gelangten, daß sie so viele und auch schwierige Dinge mit geringer Mühe fertigbringen, so bildet auch der Verstand mit Hilfe seiner angeborenen Kraft1 sich geistige Werkzeuge, mit denen er weitere Kräfte zu anderen geistigen Werken2 er- * langt, und aus diesen Werken wiederum andere Werkzeuge; an- 5 ders formuliert: er bildet das Vermögen heraus, immer weiter zu forschen. Und so schreitet er Schritt für Schritt fort, bis er den Gipfel der Weisheit erreicht. [32] Daß es sich mit dem Verstand so verhält, wird leicht zu sehen sein, wenn man nur begreift, worin die Methode der Erforschung des Wahren besteht 10 und was das für angeborene Werkzeuge sind, deren allein man bedarf, um aus ihnen andere Werkzeuge für ein weiteres Fortschreiten zu verfertigen. Um dies zu zeigen, fahre ich folgendermaßen fort. * [33] Die wahre3 Idee (wir haben nämlich eine wahre Idee) ist 15 etwas, das von ihrem Gegenstand verschieden ist. Denn das eine ist der Kreis, etwas anderes die Idee des Kreises. Die Idee des Kreises ist nämlich nicht etwas, das, wie der Kreis, Peripherie und Mittelpunkt hat. Auch ist die Idee des Körpers nicht der Körper selbst. Da nun [die Idee] etwas ist, das von ihrem Gegen- 20 stand verschieden ist, wird sie auch, für sich allein, etwas sein, das begreifbar ist. D. h.: eine Idee, in ihrer an sich seienden Essenz genommen, kann der Gegenstand einer anderen Essenz sein, die [in bezug auf sie] objektiv ist; und diese andere objektive Essenz, ebenfalls an sich selbst betrachtet, wird ihrerseits etwas Wirk- 25 liches sein und damit etwas Begreifbares, und so ins Unendliche. [34] Peter z. B. ist etwas Wirkliches; die wahre Idee von Peter ist nun dessen objektive Essenz und an sich selbst etwas Unter angeborener Kraft verstehe ich dasjenige, was in uns nicht * von äußeren Ursachen verursacht wird; das werden wir später in meiner 30 Philosophie erklären. 2 Hier nenne ich sie Werke; in meiner Philosophie werde ich erklären, was sie sind. 3 Es sei angemerkt, daß wir nunmehr nicht nur dafür Sorge tragen werden, das soeben Gesagte darzulegen, sondern auch [zu zeigen], daß 35 wir bis hierher richtig vorgegangen sind, und zugleich manches andere, das zu wissen unumgänglich ist. 1
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ab ipso Petro. Cum itaque idea Petri sit quid reale, habens suam essentiam peculiarem, erit etiam quid intelligibile, id est, objectum alterius ideae, quae idea habebit in se objective omne id, quod idea Petri habet formaliter, et rursus idea, quae est ideae Petri, habet iterum suam essentiam, quae etiam potest esse objectum alterius ideae, et sic indefinite. Quod quisque potest experiri, dum videt se scire, quid sit Petrus, et etiam scire se scire, et rursus scit se scire, quod scit, etc. Unde constat, quod, ut intelligatur essentia Petri, non sit necesse ipsam ideam Petri intelligere, et multo minus ideam ideae Petri; quod idem est, ac si dicerem, non esse opus, ut sciam, quod sciam me scire, et multo minus esse opus scire, quod sciam me scire; non magis, quam ad intelligendam essentiam trianguli opus sit essentiam circuli intelligere1. Sed contrarium datur in his ideis. Nam ut sciam me scire, necessario debeo prius scire. [35] Hinc patet, quod certitudo nihil sit praeter ipsam essentiam objectivam; id est, modus, quo sentimus essentiam formalem, est ipsa certitudo. Unde iterum patet, quod ad certitudinem veritatis nullo alio signo sit opus, quam veram habere ideam: Nam, uti ostendimus, non opus est, ut sciam, quod sciam me scire. Ex quibus rursum patet, neminem posse scire, quid sit summa certitudo, nisi qui habet adaequatam ideam aut essentiam objectivam alicujus rei; nimirum, quia idem est certitudo et essentia objectiva. [36] Cum
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Nota, quod hic non inquirimus, quomodo prima essentia objectiva
25 nobis innata sit. Nam id pertinet ad investigationem Naturae, ubi haec
fusius explicantur, et simul ostenditur, quod praeter ideam nulla datur affirmatio, neque negatio, neque ulla voluntas.
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Wirkliches und somit von Peter selbst gänzlich verschieden. Weil also die Idee von Peter etwas Wirkliches ist und insofern eine ihr eigentümliche Essenz hat, wird sie auch etwas Begreifbares, d. h. der Gegenstand einer anderen Idee sein, welche Idee in sich objektiv all das enthält, was der Idee von Peter an sich zukommt. 5 Und diese Idee der Idee von Peter hat ihrerseits wiederum ihre Essenz, die ebenfalls Gegenstand einer weiteren Idee sein kann, und so ins Unendliche. Das kann jeder an sich selbst erfahren, wenn er nur sieht, daß er weiß, was Peter ist, und daß er auch weiß, daß er dies weiß, und darüber hinaus weiß, daß er weiß, 10 daß er dies weiß, usw. Daraus folgt klar, daß, um die Essenz von Peter zu begreifen, es nicht nötig ist, dessen Idee selbst zu begreifen und noch viel weniger die Idee der Idee von Peter. Das ist dasselbe, als wenn ich sagte, es ist, damit ich [etwas] weiß, nicht nötig, zu wissen, daß ich weiß; und noch viel weniger ist es [hierfür] 15 nötig, zu wissen, daß ich weiß, daß ich weiß, ebensowenig wie es zum Begreifen der Essenz des Dreiecks nötig ist, die Essenz des Kreises zu begreifen1. Aber bei deren Ideen ist das Gegenteil der Fall. Denn um zu wissen, daß ich weiß, muß ich notwendiger- * weise vorher wissen. [35] Daraus ist offenbar, daß Gewißheit 20 nichts anderes ist als die objektive Essenz selbst; d. h.: die Weise, in der wir der an sich seienden Essenz inne sind, ist genau die Gewißheit. Daraus ist wiederum offenbar, daß es für die Ge- * wißheit der Wahrheit keines anderen Merkmals bedarf als das Haben einer wahren Idee. Denn, wie wir gezeigt haben, ist es, 25 damit ich [etwas] weiß, nicht erforderlich, zu wissen, daß ich weiß. Daraus ist des weiteren offenbar, daß niemand wissen kann, was die höchste Gewißheit ist, wenn er nicht die adäquate Idee oder objektive Essenz irgendeines Dinges hat; das ist nicht verwunderlich, weil Gewißheit und objektive Essenz 30 dasselbe sind. [36] Wenn daher die Wahrheit keines [von ihr Es sei angemerkt, daß wir hier nicht untersuchen, auf welche Weise uns die erste objektive Essenz angeboren ist. Denn das gehört zur Erforschung der Natur, wo dies ausführlicher erörtert wird und wo zugleich gezeigt wird, daß es über die Idee hinaus keine Bejahung, keine Vernei- 35 nung und auch keinen Willen gibt. 1
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itaque veritas nullo egeat signo, sed sufficiat habere essentias rerum objectivas aut, quod idem est, ideas, ut omne tollatur dubium; hinc sequitur, quod vera non est methodus signum veritatis quaerere post acquisitionem idearum; sed quod vera methodus est via, ut ipsa veritas aut essentiae objectivae rerum aut ideae (omnia illa idem significant) debito ordine quaerantur.1 [37] Rursus methodus necessario debet loqui de ratiocinatione aut de intellectione; id est, methodus non est ipsum ratiocinari ad intelligendum causas rerum; et multo minus est τ intelligere causas rerum; sed est intelligere, quid sit vera idea, eam a caeteris perceptionibus distinguendo ejusque naturam investigando, ut inde nostram intelligendi potentiam noscamus, et mentem ita cohibeamus, ut ad illam normam omnia intelligat, quae sunt intelligenda; tradendo, tanquam auxilia, certas regulas, et etiam faciendo, ne mens inutilibus defatigetur. [38] Unde colligitur, methodum nihil aliud esse nisi cognitionem reflexivam aut ideam ideae; et quia non datur idea ideae, nisi prius detur idea, ergo methodus non dabitur, nisi prius detur idea. Unde illa bona erit methodus, quae ostendit, quomodo mens dirigenda sit ad datae verae ideae normam. Porro cum ratio, quae est inter duas ideas, sit eadem cum ratione, quae est inter essentias formales idearum illarum, inde sequitur, quod cognitio reflexiva, quae est ideae entis perfectissimi, praestantior erit cognitione reflexiva caeterarum idearum; hoc est, perfectissima ea erit methodus,
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Quod quaerere in anima sit, explicatur in mea Philosophia.
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verschiedenen] Merkmals bedarf, wenn es vielmehr genügt, ob- * jektive Essenzen von Dingen zu haben oder, was dasselbe ist, Ideen [dieser Dinge], um allen Zweifel zu beheben, dann folgt daraus, daß die wahre Methode nicht darin besteht, nach einem Merkmal der Wahrheit zu suchen, nachdem man Ideen erlangt 5 hat. Vielmehr ist die wahre Methode der Weg, die Wahrheit selbst oder die objektiven Essenzen von Dingen, d. h. deren Ideen (denn all das bezeichnet ein und dasselbe) in gebührender Ordnung zu untersuchen.1 [37] Hingegen muß die Methode von dem Schlußfolgern oder dem Verfahren des Verstandes re- 10 den; das ist so zu verstehen, daß die Methode nicht etwa das Schlußfolgern selbst ist, [das] zum Begreifen der Ursachen der Dinge [führt], und daß sie noch viel weniger das Begreifen dieser Ursachen selbst ist. Sie ist vielmehr das Begreifen dessen, was eine wahre Idee ist, was dadurch geschieht, daß sie diese Idee von 15 den anderen Wahrnehmungen unterscheidet und in ihrer Natur untersucht, mit dem Ziel, daß wir daraus unsere Macht des Begreifens kennenlernen, und auch, daß wir [unseren] Geist derart * zusammenhalten, daß er nach der erwähnten Norm alles begreift, was zu begreifen ist. [Und hierfür] gibt sie, gleichsam als 20 Hilfsmittel, bestimmte Regeln, womit sie zugleich bewirkt, daß der Geist nicht durch die Beschäftigung mit unnützen Dingen erlahmt. [38] Daraus ergibt sich, daß die Methode nichts anderes ist als eine reflexive Erkenntnis im Sinne einer Idee der Idee; und weil es keine Idee der Idee gibt, wenn es nicht vorher eine Idee 25 gibt, wird es keine Methode geben, wenn es nicht vorher eine Idee gibt. Tauglich wird daher diejenige Methode sein, die zeigt, wie der Geist nach der Norm einer gegebenen wahren Idee zu bestimmen ist. Da ferner das Verhältnis, das zwischen zwei Ideen besteht, dasselbe ist wie dasjenige, das zwischen den an 30 sich seienden Essenzen jener Ideen besteht, folgt daraus, daß die reflexive Erkenntnis der Idee des höchstvollkommenen Seienden vorzüglicher sein wird als die reflexive Erkenntnis anderer Ideen. Das heißt: Die vollkommenste Methode wird diejenige Was »in der Seele untersuchen« heißt, wird in meiner Philosophie 35 erklärt. 1
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quae ad datae ideae entis perfectissimi normam ostendit, quomodo mens sit dirigenda. [39] Ex his facile intelligitur, quomodo mens, plura intelligendo, alia simul acquirat instrumenta, quibus facilius pergat intelligere. Nam, ut ex dictis licet colligere, debet ante omnia in nobis existere vera idea, tanquam innatum instrumentum, qua intellecta intelligatur simul differentia, quae est inter talem perceptionem et caeteras omnes. Qua in re consistit una methodi pars. Et cum per se clarum sit, mentem eo melius se intelligere, quo plura de Natura intelligit, inde constat, hanc methodi partem eo perfectiorem fore, quo mens plura intelligit, et tum fore perfectissimam, cum mens ad cognitionem entis perfectissimi attendit, sive reflectit. [40] Deinde, quo plura mens novit, eo melius et suas vires et ordinem Naturae intelligit: quo autem melius suas vires intelligit, eo facilius potest seipsam dirigere et regulas sibi proponere; et quo melius ordinem Naturae intelligit, eo facilius potest se ab inutilibus cohibere, in quibus tota consistit methodus, uti diximus. [41] Adde quod idea eodem modo se habet objective, ac ipsius ideatum se habet realiter. Si ergo daretur aliquid in Natura, nihil commercii habens cum aliis rebus, ejus etiam si daretur essentia objectiva, quae convenire omnino deberet cum formali, nihil etiam commercii1 haberet cum aliis ideis, id est, nihil de ipsa poterimus concludere; et contra, quae habent commercium cum aliis rebus, uti sunt omnia, quae in Natura existunt, intelligentur, et ipsorum etiam essentiae objectivae idem habebunt commercium, id est, aliae ideae ex eis deducentur, quae iterum habebunt commercium cum
Commercium habere cum aliis rebus est produci ab aliis, aut alia producere. 1
20 daretur] datur
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sein, die im Hinblick auf die Norm der gegebenen Idee des höchstvollkommenen Seienden zeigt, wie der Geist zu bestimmen ist. [39] Daraus ist leicht zu ersehen, wie der Geist, indem er mehr begreift, zugleich weitere Werkzeuge erlangt, mit denen er im Begreifen leichter voranschreitet. Denn, wie man dem Gesagten entnehmen kann, muß vor allem in uns eine wahre Idee wie ein angeborenes Werkzeug vorhanden sein, die zu begreifen uns zugleich den Unterschied zwischen einer solchen Wahrnehmung und allen anderen begreifen läßt. Darin besteht der eine Teil der Methode. Und da es sich von selbst versteht, daß der Geist sich um so besser begreift, je mehr er von der Natur begreift, ergibt sich, daß dieser Teil der Methode um so vollkommener sein wird, je mehr [Dinge] der Geist begreift, und am vollkommensten dann, wenn der Geist sich auf die Erkenntnis des höchstvollkommenen Seienden richtet, d. h. in dieser Weise reflektiert. [40] Ferner, je mehr [Dinge] der Geist kennt, desto mehr begreift er sowohl seine eigenen Kräfte als auch die Ordnung der Natur. Je besser er aber seine Kräfte begreift, desto leichter kann er sich selbst bestimmen und Regeln sich vorgeben; und je besser er die Ordnung der Natur begreift, desto leichter kann er sich von unnützen Dingen fernhalten. Darin besteht, wie gesagt, die ganze Methode. [41] Hinzu kommt, daß eine Idee in derselben Weise objektiv verfaßt ist, wie ihr Gegenstand wirklich verfaßt ist. Gäbe es also etwas in der Natur, das keine Gemeinschaft mit den übrigen Dingen hätte, so hätte dessen objektive Essenz, die mit der an sich seienden Essenz gänzlich übereinstimmen müßte, wenn es sie auch gäbe, doch keine Gemeinschaft1 mit anderen Ideen, was bedeutete, daß wir aus ihr nichts schließen könnten. Dagegen werden die Dinge, die eine Gemeinschaft mit anderen Dingen haben, was für alle, die in der Natur existieren, zutrifft, sich begreifen lassen; und weil auch ihre objektiven Essenzen dieselbe Gemeinschaft haben werden, werden sich aus ihnen andere Ideen herleiten lassen, die ihrerseits eine Gemeinschaft mit anderen haben werden, und so werden die Werkzeuge zu ei-
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Eine Gemeinschaft mit anderen Dingen haben, heißt, von anderen 35 Dingen hervorgebracht zu werden oder andere Dinge hervorzubringen. 1
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aliis, et sic instrumenta ad procedendum ulterius crescent. Quod conabamur demonstrare. [42] Porro ex hoc ultimo, quod diximus, scilicet quod idea omnino cum sua essentia formali debeat convenire, patet iterum, quod, ut mens nostra omnino referat Naturae exemplar, debeat omnes suas ideas producere ab ea, quae refert originem et fontem totius Naturae, ut ipsa etiam sit fons caeterarum idearum. [43] Hic forte aliquis mirabitur, quod nos, ubi diximus bonam methodum eam esse, quae ostendit, quomodo mens sit dirigenda ad datae verae ideae normam, hoc ratiocinando probemus: id quod ostendere videtur, hoc per se non esse notum. Atque adeo quaeri potest, utrum nos bene ratiocinemur. Si bene ratiocinamur, debemus incipere a data idea, et cum incipere a data idea egeat demonstratione, deberemus iterum nostrum ratiocinium probare, et tum iterum illud alterum, et sic in infinitum. [44] Sed ad hoc respondeo: quod si quis fato quodam sic processisset Naturam investigando, scilicet ad datae verae ideae normam alias acquirendo ideas debito ordine, nunquam de sua veritate dubitasset1, eo quod veritas, uti ostendimus, se ipsam patefacit, et etiam sponte omnia ipsi affluxissent. Sed quia hoc nunquam aut raro contingit, ideo coactus fui illa sic ponere, ut illud, quod non possumus fato, praemeditato tamen consilio acquiramus, et simul, ut appareret, ad probandam veritatem et bonum ratiocinium nullis nos egere instrumentis nisi ipsa veritate et bono ratiocinio: Nam bonum ratiocinium bene ratiocinando com-
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Sicut etiam hic non dubitamus de nostra veritate.
14 iterum] iterum ex eo
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nem weiteren Fortschreiten wachsen. Das ist es, was wir zu beweisen suchten. [42] Aus dem zuletzt Gesagten, daß nämlich eine Idee mit der an sich seienden Essenz, [deren Idee sie ist], gänzlich übereinstimmen muß, ergibt sich andererseits, daß unser Geist, um ein Ebenbild der Natur in jeder Hinsicht darzustellen, all seine 5 Ideen im Ausgang von derjenigen [Idee] hervorbringen muß, die den Ursprung und die Quelle der ganzen Natur darstellt, so daß diese Idee auch die Quelle der übrigen Ideen ist. * [43] Hier wird sich dieser oder jener vielleicht wundern, daß * wir unsere These, die taugliche Methode sei diejenige, die zeigt, 10 wie der Geist nach der Norm der gegebenen wahren Idee zu bestimmen ist, in Form eines Schlußfolgerns erweisen wollen; denn das scheint darauf hinzudeuten, daß dies nicht durch sich selbst offenkundig ist. Und es ließe sich sogar fragen, ob wir richtig geschlossen haben. Denn wenn wir richtig schließen, müssen wir 15 von einer gegebenen Idee den Ausgang nehmen, und da ein solcher Ausgangspunkt eines Beweises bedarf, müßten wir unseren Schluß wiederum [durch einen anderen Schluß] beweisen und dann noch einmal jenen anderen und so ins Unendliche. [44] Doch darauf antworte ich: Wenn jemand, durch ir- 20 gendein Geschick bestimmt, so vorgegangen wäre, die Natur zu erforschen, nämlich so, daß er nach der Norm der gegebenen wahren Idee in gehöriger Ordnung andere Ideen erlangt, dann hätte er niemals an der Wahrheit des von ihm Erlangten gezweifelt1, weil nämlich die Wahrheit, wie wir gezeigt haben, sich 25 selbst offenbart; und alles wäre ihm auch von selbst zugeflossen. Weil dies aber niemals oder wenigstens selten der Fall ist, bin ich gezwungen gewesen, den Sachverhalt so vorzubringen, daß wir * das, was wir nicht durch ein gütiges Geschick ausrichten können, doch wenigstens nach vorbedachtem Plan erlangen. Und zu- 30 gleich sollte klar werden, daß wir zum Erweis der Wahrheit und der richtigen Folgerung keiner anderen Werkzeuge bedürfen als der Wahrheit selbst und der richtigen Folgerung. Denn die Richtigkeit der Folgerung habe ich durch richtiges Folgern als richtig Ebenso wie wir hier nicht an der Wahrheit des von uns Erlangten 35 zweifeln. 1
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probavi, et adhuc probare conor. [45] Adde, quod etiam hoc modo homines assuefiant meditationibus suis internis. Ratio autem, cur in Naturae inquisitione raro contingat, ut debito ordine ea investigetur, est propter praejudicia, quorum causas postea in nostra Philosophia explicabimus. Deinde quia opus est magna et accurata distinctione, sicut postea ostendemus; id quod valde est laboriosum. Denique propter statum rerum humanarum, qui, ut jam ostensum est, prorsus est mutabilis. Sunt adhuc aliae rationes, quas non inquirimus. [46] Si quis forte quaerat, cur ipse statim ante omnia veritates Naturae isto ordine ostenderim (nam veritas se ipsam patefacit), ei respondeo simulque moneo, ne propter paradoxa, quae forte passim occurrent, ea velit tanquam falsa rejicere; sed prius dignetur ordinem considerare, quo ea probemus, et tum certus evadet nos verum assequutos fuisse, et haec fuit causa, cur haec praemiserim. [47] Si postea forte quis scepticus et de ipsa prima veritate et de omnibus, quas ad normam primae deducemus, dubius adhuc maneret, ille profecto aut contra conscientiam loquetur, aut nos fatebimur, dari homines penitus etiam animo occaecatos a nativitate aut a praejudiciorum causa, id est aliquo externo casu. Nam neque seipsos sentiunt; si aliquid affirmant vel dubitant, nesciunt se dubitare aut affirmare: dicunt se nihil scire; et hoc ipsum, quod nihil sciunt, dicunt se ignorare; neque hoc absolute dicunt: nam metuunt fateri se existere, quamdiu nihil sciunt; adeo ut tandem debeant obmutescere, ne forte aliquid supponant, quod verita-
11–12 ostenderim . . . respondeo] veränderte Interpunktion W. B. 13 ea . . . falsa] Scala liest eas . . . falsas und bezieht auf veritates
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dargetan, und ich bemühe mich, dies auch jetzt noch [auf diese Weise] zu erweisen. [45] Hinzu kommt, daß auf diese Weise die Menschen an ein eigenes Nachdenken gewöhnt werden. Der Grund übrigens, warum es bei der Untersuchung der Natur so selten geschieht, daß sie in gehöriger Ordnung erforscht wird, 5 liegt in den Vorurteilen, deren Ursachen wir später in unserer Philosophie erläutern werden. Ferner [liegt es auch daran], daß es hierfür einer beträchtlichen und sorgfältigen Unterscheidung bedarf, wie wir später zeigen werden, ein sehr mühsames Geschäft. Schließlich [liegt es] an der Verfassung der menschlichen Natur, 10 die, wie ich schon gezeigt habe, ganz und gar unbeständig ist. Noch weitere Gründe gibt es, denen wir nicht nachgehen. * [46] Wenn jemand vielleicht fragt, warum ich selbst unmittel- * bar vor allem anderen die Wahrheiten der Natur nach jener Ordnung dargelegt habe, [gestützt auf die Einsicht, daß] sich die 15 Wahrheit durch sich selbst offenbart, so antworte ich ihm mit der Mahnung, nicht dazu zu neigen, dasjenige, was ich dargelegt habe, wegen vielleicht hier und da vorkommender paradoxer Sätze als falsch zu verwerfen. Vielmehr möge er zunächst einmal die Ordnung, in der wir es erweisen, gehörig beachten, dann 20 wird er schon zu der Gewißheit gelangen, daß wir das Wahre erfaßt haben. Und das ist die Ursache gewesen, warum ich dies alles vorangestellt habe. [47] Wenn nach all dem vielleicht ein Skeptiker sowohl über die erste Wahrheit selbst als auch über alles, was wir gemäß ihrer 25 Norm ableiten werden, noch Zweifel hegt, dann würde fürwahr entweder er gegen sein besseres Wissen sprechen, oder wir müßten einräumen, daß es Menschen gibt, die von Grund aus im Geist verblendet sind, sei es von Geburt an oder aufgrund von Vorurteilen, d. h. eines äußeren Umstandes. Solche Leute näm- 30 lich sind ihrer selbst nicht inne. Wenn sie etwas behaupten oder bezweifeln, wissen sie nicht, daß sie es sind, die behaupten oder bezweifeln. Sie sagen, daß sie nichts wissen; und selbst daß sie nichts wissen, sagen sie, wüßten sie nicht. Aber nicht das einmal sagen sie uneingeschränkt, denn sie fürchten zuzugeben, daß sie 35 existieren, solange sie es sind, die nichts wissen. Daher müssen sie endlich schweigen, um nicht vielleicht doch irgendetwas anzu-
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tem redoleat. [48] Denique cum ipsis non est loquendum de scientiis: nam quod ad vitae et societatis usum attinet, necessitas eos coe¨git, ut supponerent se esse, et ut suum utile quaererent, et jurejurando multa affirmarent et negarent. Nam, si aliquid ipsis probetur, nesciunt, an probet aut deficiat argumentatio. Si negant, concedunt aut oppununt, nesciunt se negare, concedere aut opponere; adeoque habendi sunt tanquam automata, quae mente omnino carent. [49] Resumamus jam nostrum propositum. Habuimus hucusque primo finem, ad quem omnes nostras cogitationes dirigere studemus. Cognovimus secundo, quaenam sit optima perceptio, cujus ope ad nostram perfectionem pervenire possimus. Cognovimus tertio, quaenam sit prima via, cui mens insistere debeat, ut bene incipiat; quae est, ut ad normam datae cujuscunque verae ideae pergat certis legibus inquirere. Quod ut recte fiat, haec debet methodus praestare: Primo veram ideam a caeteris omnibus perceptionibus distinguere, et mentem a caeteris perceptionibus cohibere. Secundo tradere regulas, ut res incognitae ad talem normam percipiantur. Tertio ordinem constituere, ne inutilibus defatigemur. Postquam hanc methodum novimus, vidimus quarto hanc methodum perfectissimam futuram, ubi habuerimus ideam entis perfectissimi. Unde initio illud erit maxime observandum, ut quanto ocius ad cognitionem talis entis perveniamus.
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nehmen, das nach Wahrheit riecht. [48] Kurz, mit diesen Leuten kann man nicht über Wissenschaften sprechen. In ihrer * Lebenspraxis und im geselligen Verkehr mit anderen zwingt die Notdurft sie freilich dazu, die eigene Existenz anzunehmen, auf ihren Nutzen aus zu sein und unter Eid vielerlei zu bejahen und 5 zu verneinen. Doch wenn es um Beweise geht, dann wissen sie nicht, ob eine Beweisführung stichhaltig oder fehlerhaft ist. Wenn sie verneinen, zugestehen oder bestreiten, wissen sie nicht, daß sie es sind, die verneinen, zugestehen oder bestreiten. Daher muß man sie gleichsam als Automaten ansehen, die des Geistes 10 gänzlich beraubt sind. [49] Fassen wir jetzt unseren Plan zusammen. Bisher haben * wir erstens das Ziel erfaßt, auf das alle unsere Gedanken zu richten sind. Wir haben zweitens erkannt, welches die beste [Weise der] Wahrnehmung ist, mit deren Hilfe wir zu unserer Vollkom- 15 menheit gelangen können. Wir haben drittens erkannt, welches der vorzüglichste Weg ist, den der Geist einschlagen muß, um den richtigen Anfang zu machen. Es ist derjenige, daß der Geist nach der Norm irgendeiner gegebenen wahren Idee fortfährt, gemäß sicheren Gesetzen [Dinge] zu erforschen. Damit das korrekt 20 geschieht, muß die Methode folgendes leisten: Sie muß erstens die wahre Idee von allen übrigen Wahrnehmungen unterscheiden und den Geist von diesen fernhalten. Sie muß zweitens Regeln bereitstellen, die tauglich sind, unbekannte Dinge nach dieser Norm wahrzunehmen. Sie muß drittens eine Ordnung festlegen, 25 damit wir uns nicht an unnützen Dingen verausgaben. Nachdem wir die so beschriebene Methode kennengelernt haben, haben wir viertens gesehen, daß sie am vollkommensten dann sein wird, wenn wir die Idee des höchstvollkommenen Seienden haben werden. Daher werden wir schon anfangs besonders darauf zu 30 achten haben, möglichst schnell zur Erkenntnis eines solchen Seienden zu kommen.
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Tractatus de intellectus emendatione · [50–52]
[50] Incipiamus itaque a prima parte methodi, quae est, uti diximus, distinguere et separare ideam veram a caeteris perceptionibus, et cohibere mentem, ne falsas, fictas et dubias cum veris confundat: quod utcunque fuse hic explicare animus est, ut lectores detineam in cogitatione rei adeo necessariae, et etiam, quia multi sunt, qui vel de veris dubitant ex eo, quod non attenderunt ad distinctionem, quae est inter veram perceptionem et alias omnes. Adeo ut sint veluti homines, qui, cum vigilarent, non dubitabant se vigilare; sed postquam semel in somniis, ut saepe fit, putarunt se certo vigilare, quod postea falsum esse reperiebant, etiam de suis vigiliis dubitarunt: quod contingit, quia nunquam distinxerunt inter somnum et vigiliam. [51] Interim moneo, me hic essentiam uniuscujusque perceptionis, eamque per proximam suam causam non explicaturum, quia hoc ad Philosophiam pertinet; sed tantum traditurum id, quod methodus postulat, id est, circa quae perceptio ficta, falsa et dubia versetur, et quomodo ab unaquaque liberabimur. Sit itaque prima inquisitio circa ideam fictam. [52] Cum omnis perceptio sit vel rei, tanquam existentis consideratae, vel solius essentiae, et frequentiores fictiones contingant circa res, tanquam existentes consideratas, ideo prius de hac loquar; scilicet ubi sola existentia fingitur, et res, quae in tali actu
Erster Teil der Methode
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[IV. Erster Teil der Methode] [50] Beginnen wir also mit dem ersten Teil der Methode, der, wie gesagt, darin besteht, die wahre Idee von den übrigen Wahrnehmungen zu unterscheiden und zu trennen und den Geist davon abzuhalten, falsche, fingierte und zweifelhafte Ideen mit den 5 wahren zu vermengen. Das will ich hier so ausführlich wie möglich entwickeln, um die Leser bei der Erörterung einer so notwendigen Angelegenheit festzuhalten, aber auch, weil es viele Menschen gibt, die selbst an wahren [Ideen] zweifeln, weil sie nicht auf den Unterschied geachtet haben, der zwischen einer 10 wahren Wahrnehmung und allen anderen [Wahrnehmungen] besteht. Darin gleichen sie Menschen, die während des Wachens nicht zweifelten, daß sie wachen, die aber, nachdem sie einmal beim Träumen, was häufig geschieht, geglaubt haben, bestimmt zu wachen, was sie im nachhinein als falsch erfuhren, selbst an ih- 15 rem Zustand des Wachens zweifeln. Das kommt daher, daß sie niemals zwischen dem Zustand des Träumens und dem des Wachens unterschieden haben. [51] Unterdessen erinnere ich daran, daß ich hier nicht die Essenz einer jeden Wahrnehmung erklären werde, die über ihre nächste Ursache [erklärt werden 20 müßte], weil das in die Philosophie gehört, daß ich vielmehr nur * von dem handeln werde, was die Methode fordert, d. h. von dem, was Gegenstand einer fingierten, falschen und zweifelhaften Wahrnehmung ist, und davon, wie wir uns von einer jeden [der drei] freimachen werden. So richte sich die Untersuchung zu- 25 nächst auf die fingierte Idee.
[a) Die fingierte Idee] [52] Da eine jede Wahrnehmung entweder die eines Dinges ist, das als existierend betrachtet wird, oder die bloß der Essenz [eines Dinges], die meisten Fiktionen aber Dinge betreffen, die als existierend betrachtet werden, werde ich zuerst von dieser [Form der Fiktion] sprechen, bei der also allein die Existenz Gegenstand der Fiktion ist und bei der das Ding, über das in einem
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Tractatus de intellectus emendatione · [52–54]
fingitur, intelligitur sive supponitur intelligi. Ex. gr. fingo Petrum, quem novi, ire domum, eum me invisere, et similia.1 Hic quaero, circa quae talis idea versetur. Video eam tantum versari circa possibilia; non vero circa necessaria neque circa impossibilia. [53] Rem impossibilem voco, cujus natura implicat contradictionem, ut ea existat; necessariam, cujus natura implicat contradictionem, ut ea non existat; possibilem, cujus quidem existentia, ipsa sua natura, non implicat contradictionem, ut existat aut non existat, sed cujus existentiae necessitas aut impossibilitas pendet a causis nobis ignotis, quamdiu ipsius existentiam fingimus; ideoque si ipsius necessitas aut impossibilitas, quae a causis externis pendet, nobis esset nota, nihil etiam de ea potuissemus fingere. [54] Unde sequitur, si detur aliquis Deus aut omniscium quid, nihil prorsus eum posse fingere. Nam, quod ad nos attinet, postquam novi2 me existere, non possum fingere me existere aut non existere; nec etiam possum fingere elephantem, qui transeat per acus foramen; nec possum, postquam naturam3 Dei novi, fingere eum existentem aut non existentem: idem intelligendum est de chimaera, cujus natura existere implicat. Ex quibus patet id, quod dixi, scilicet quod fictio, de qua hic loquimur,
Vide ulterius id, quod de hypothesibus notabimus, quae a nobis clare intelliguntur; sed in eo est fictio, quod dicamus, eas tales in corporibus caelestibus existere. 2 Quia res, modo ea intelligatur, se ipsam manifestat, ideo tantum 25 egemus exemplo sine alia demonstratione. Idemque erit hujus contradictoria, quae ut appareat esse falsa, tantum opus recenseri, uti statim apparebit, quum de fictione circa essentiam loquemur. 3 Nota. Quamvis multi dicant se dubitare, an Deus existat, illos tamen nihil praeter nomen habere, vel aliquid fingere, quod Deum 30 vocant: id quod cum Dei natura non convenit, ut postea suo loco ostendam. 1
14 eum] nos
Erster Teil der Methode
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solchen Akt etwas fingiert wird, bekannt ist oder als bekannt gilt. Ich fingiere beispielsweise, daß Peter, den ich kenne, nach Hause geht, daß er mich besucht und ähnliches1. Hier frage ich, worauf sich eine solche Idee bezieht. Ich sehe, daß sie sich nur auf mögliche Sachverhalte bezieht, nicht aber auf notwendige und auch 5 nicht auf unmögliche. [53] Unmöglich nenne ich ein Ding, in dessen Natur ein Widerspruch liegt, daß es existiert; notwendig, in dessen Natur ein Widerspruch liegt, daß es nicht existiert; möglich, in dessen Existenz der eigenen Natur nach zwar kein Widerspruch liegt, daß es existiert oder nicht existiert, bei dem 10 aber die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit seiner Existenz von Ursachen abhängt, die uns unbekannt sind, solange wir seine Existenz fingieren. Wäre uns also seine von äußeren Ursachen * abhängende Notwendigkeit oder Unmöglichkeit bekannt, könnten wir auch nichts über es fingieren. [54] Daraus folgt, daß, 15 wenn es einen Gott oder irgendein allwissendes [Seiendes] gibt, dieses ganz und gar nichts fingieren könnte. Was uns nun angeht, so kann ich, nachdem ich weiß2, daß ich existiere, in der Tat nicht fin- * gieren, daß ich existiere oder nicht existiere. Ich kann auch nicht einen Elefanten fingieren, der durch ein Nadelöhr geht; auch kann 20 ich, nachdem ich die Natur3 Gottes erkannt habe, nicht fingieren, daß er existiert oder nicht existiert. Dasselbe versteht sich für die Chimäre, deren Natur [einen Widerspruch] zu ihrer Existenz enthält. Daraus ist offenbar, was ich gesagt habe, daß nämlich die Siehe weiter unten, was wir über Hypothesen bemerken werden, 25 die von uns klar begriffen werden. Doch liegt eine Fiktion in dem Tatbestand vor, daß wir sagen, sie existierten als solche in den Himmelskörpern. 2 Weil der Sachverhalt, wenn er nur begriffen wird, sich selbst offenbart, so genügt uns ein Beispiel ohne weiteren Beweis. Und ebenso wird 30 es bei seinem Gegensatz sein, den man, damit er als falsch erscheint, nur prüfend durchlaufen muß, wie sogleich ersichtlich sein wird, wenn wir von der Fiktion, die auf die Essenz geht, sprechen werden. 3 Beachte, daß, wenn viele sagen, sie zweifelten, ob Gott existiere, sie indessen nichts als einen Namen auf ihrer Seite haben, d. h. etwas fingie- 35 ren, das sie Gott nennen. Das ist etwas, das sich mit der Natur Gottes nicht verträgt, wie ich weiter unten an seinem Ort zeigen werde. 1
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non contingit circa aeternas veritates.1 [55] Sed antequam ulterius pergam, hic obiter notandum est, quod illa differentia, quae est inter essentiam unius rei et essentiam alterius, ea ipsa sit inter actualitatem aut existentiam ejusdem rei et inter actualitatem aut existentiam alterius rei. Adeo ut si existentiam ex. gr. Adami tantum per generalem existentiam concipere velimus, idem futurum sit, ac si, ad concipiendam ipsius essentiam, ad naturam entis attendamus, ut tandem definiamus, Adamum esse ens. Itaque quo existentia generalius concipitur, eo etiam confusius concipitur, faciliusque unicuique rei potest affingi; econtra, ubi particularius concipitur, clarius tum intelligitur, et difficilius alicui, nisi rei ipsi, ubi non attendimus ad Naturae ordinem, affingitur. Quod notatu dignum est. [56] Veniunt jam hic ea consideranda, quae vulgo dicuntur fingi, quamvis clare intelligamus rem ita sese non habere, uti eam fingimus. Ex. gr. quamvis sciam terram esse rotundam, nihil tamen vetat, quominus alicui dicam terram medium globum esse, et tanquam medium pomum auriacum in scutella, aut solem circum terram moveri, et similia. Ad haec si attendamus, nihil videbimus, quod non cohaereat cum jam dictis, modo prius advertamus, nos aliquando potuisse errare et jam errorum nostrorum esse conscios; deinde quod possumus fingere aut ad minimum putare, alios homines in eodem esse errore aut in eum, ut
Statim etiam ostendam, quod nulla fictio versetur circa aeternas ve25 ritates. Per aeternam veritatem talem intelligo, quae, si est affirmativa, nunquam poterit esse negativa. Sic prima et aeterna veritas est Deum esse, non autem est aeterna veritas Adamum cogitare. Chimaeram non esse est aeterna veritas, non autem Adamum non cogitare. 1
24–25 Statim . . . veritates] Gebhardt setzt diesen Satz der Anmerkung noch in den Haupttext
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Fiktion, von der wir hier sprechen, nicht ewige Wahrheiten1 betrifft. [55] Bevor ich aber weiter gehe, will ich hier nur beiläufig erwähnen, daß zwischen der Essenz eines Dinges und der Essenz eines anderen derselbe Unterschied besteht wie zwischen der Wirklichkeit oder Existenz dieses Dinges und der Wirklichkeit oder Existenz des anderen. Wollten wir beispielsweise die Exi- * stenz Adams lediglich durch die Existenz im allgemeinen erkennen, wäre das dasselbe, als wenn wir, um seine Essenz zu erkennen, uns auf die Natur des Seienden überhaupt bezögen, was schließlich die Definition ergäbe: Adam ist ein Seiendes. Je allge- 10 meiner also die Existenz [eines Dinges] aufgefaßt wird, desto verworrener wird sie aufgefaßt und desto leichter kann sie einem jeden Ding fiktiv zugesprochen werden; und umgekehrt, je mehr die Existenz als eine je besondere erkannt wird und je klarer sie dann begriffen wird, desto schwerer ist es, sie etwas anderem als 15 dem Ding selbst in der Weise der Fiktion, bei der wir die Ordnung der Natur nicht beachten, zuzusprechen. Dies ist wohl zu beachten. [56] Wir müssen jetzt die Fälle betrachten, bei denen man gewöhnlich sagt, daß wir Fiktionen bilden, obwohl wir klar be- 20 greifen, daß die Sache sich nicht so verhält, wie wir sie uns fingierend vorstellen. Obwohl ich beispielsweise weiß, daß die Erde rund ist, hindert mich nichts daran, zu jemandem zu sagen, daß sie eine Halbkugel wie die Hälfte einer Orange auf dem Teller sei, oder daß die Sonne sich um die Erde bewege und ähnliches. 25 Bedenken wir das wohl, werden wir nichts sehen, was nicht mit dem schon Gesagten verträglich ist, wenn wir nur beachten, zum einen, daß wir uns früher einmal haben täuschen können und jetzt unserer Irrtümer inne sind, und zum anderen, daß wir fiktiv annehmen oder wenigstens glauben können, daß andere Men- 30 Ich werde auch sogleich zeigen, daß es hinsichtlich ewiger Wahrheiten keine Fiktion geben kann. Unter einer ewigen Wahrheit verstehe ich * eine solche, die in ihrer Affirmation niemals verneint werden kann. So ist eine erste und ewige Wahrheit der Satz »Gott existiert«, aber nicht ist eine ewige Wahrheit der Satz »Adam denkt«. Der Satz »eine Chimäre 35 existiert nicht« ist eine ewige Wahrheit; der Satz »Adam denkt nicht« ist hingegen keine. 1
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Tractatus de intellectus emendatione · [56–57]
nos antehac, posse incidere. Hoc, inquam, fingere possumus, quamdiu nullam videmus impossibilitatem nullamque necessitatem: Quando itaque alicui dico terram non esse rotundam, etc., nihil aliud ago, quam in memoriam revoco errorem, quem forte habui aut in quem labi potui, et postea fingo aut puto eum, cui hoc dico, adhuc esse aut posse labi in eundem errorem. Quod, ut dixi, fingo, quamdiu nullam video impossibilitatem nullamque necessitatem; hanc vero si intellexissem, nihil prorsus fingere potuissem, et tantum dicendum fuisset me aliquid operatum esse. [57] Superest jam, ut ea etiam notemus, quae in quaestionibus supponuntur; id quod passim etiam contingit circa impossibilia. Ex. gr. quum dicimus: supponamus hanc candelam ardentem jam non ardere, aut supponamus eam ardere in aliquo spatio imaginario, sive ubi nulla dantur corpora: quorum similia passim supponuntur, quamvis hoc ultimum clare intelligatur impossibile esse; sed quando hoc fit, nil prorsus fingitur. Nam primo nihil aliud egi, quam quod in memoriam1 revocavi aliam candelam non ardentem (aut hanc eandem concepi sine flamma), et,
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Postea cum de fictione, quae versatur circa essentias, loquemur,
20 clare apparebit, quod fictio nunquam aliquid novi facit aut menti
praebet; sed quod tantum ea, quae sunt in cerebro aut in imaginatione, revocantur ad memoriam, et quod confuse ad omnia simul mens attendit. Revocantur ex. gr. in memoriam loquela et arbor; et cum mens confuse attendit sine distinctione, putat arborem loqui. Idem de 25 existentia intelligitur, praesertim, uti diximus, cum adeo generaliter ac ens concipitur: quia tum facile applicatur omnibus, quae simul in memoria occurrunt. Quod notatu valde dignum est.
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schen in ebendiesem Irrtum sind oder in ihn, wie wir früher, fallen können. Das, sage ich, können wir fingieren, solange wir dabei keine Unmöglichkeit und auch keine Notwendigkeit sehen. Wenn ich daher zu jemanden sage, die Erde sei nicht rund usw., dann mache ich nichts anderes, als den Irrtum ins Gedächtnis zu rufen, den ich vielleicht einmal gehabt habe oder in den ich habe fallen können, woraufhin ich dann fiktiv annehme oder glaube, daß derjenige, dem ich das sage, noch in ebendiesem Irrtum sei oder in ihn fallen könne. Das fingiere ich, wie gesagt, solange ich dabei keine Unmöglichkeit und auch keine Notwendigkeit sehe. Hätte ich in sie aber Einsicht gehabt, hätte ich überhaupt nichts fingieren können, und man hätte nur sagen können, daß ich irgend etwas verbal geäußert habe. [57] Schließlich sind noch die Annahmen zu erwähnen, die man bei der Erörterung von Streitfragen macht und die sich manchmal auch auf Unmögliches beziehen, zum Beispiel wenn wir sagen: Angenommen, diese brennende Kerze brenne jetzt nicht, oder angenommen, sie brenne in irgendeinem eingebildeten Raume, d. h. dort, wo es keine Körper gibt. Dergleichen nimmt man manchmal an, obwohl man klar begreift, daß das letzte unmöglich ist. Aber in diesem Fall wird durchaus nichts fingiert. Denn im ersten Beispiel habe ich nichts anderes getan, als daß ich mich in meinem Gedächtnis1 an eine andere nichtbrennende Kerze erinnert habe (oder daß ich mir diese Kerze ohne Flamme gedacht habe); und unter dem, was ich von dieser
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Nachher, wenn wir von den Fiktionen, die Essenzen betreffen, sprechen werden, wird sich klar ergeben, daß eine Fiktion niemals etwas Neues schafft oder dem Geist darbietet. Vielmehr [resultiert sie] allein * aus dem Tatbestand, daß das, was in dem Gehirn oder in der Einbildungskraft ist, ins Gedächtnis gerufen wird, und daß dabei der Geist in 30 verworrener Weise alles zugleich bemerkt. Beispielsweise werden ein gesprochenes Wort und ein Baum ins Gedächtnis gerufen; und wenn der Geist dies verworren, d. h. ohne [zwischen beiden] zu unterscheiden, bemerkt, dann meint er, daß der Baum spreche. Dasselbe gilt hinsichtlich der Existenz, zumal, wie gesagt, wenn sie in allgemeiner Weise als ein 35 Seiendes überhaupt aufgefaßt wird, weil sie dann nämlich leicht auf alle Dinge bezogen wird, die zugleich im Gedächtnis auftauchen. Dies ist sehr wohl zu beachten. 1
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quod cogito de ea candela, id ipsum de hac intelligo, quamdiu ad flammam non attendo. In secundo nihil aliud fit, quam abstrahere cogitationes a corporibus circumjacentibus, ut mens se convertat ad solam candelae, in se sola spectatae, contemplationem, ut postea concludat candelam nullam habere causam ad sui ipsius destructionem. Adeo ut si nulla essent corpora circumjacentia, candela haec ac etiam flamma manerent immutabiles, aut similia: Nulla igitur datur hic fictio, sed1 verae ac merae assertiones. [58] Transeamus jam ad fictiones, quae versantur circa essentias solas, vel cum aliqua actualitate sive existentia simul. Circa quas hoc maxime venit considerandum: quod, quo mens minus intelligit et tamen plura percipit, eo majorem habeat potentiam fingendi, et quo plura intelligit, eo magis illa potentia diminuatur. Eodem ex. gr. modo, quo supra vidimus, nos non posse fingere, quamdiu cogitamus, nos cogitare et non cogitare; sic etiam, postquam novimus naturam corporis, non possumus fingere muscam infinitam; sive postquam novimus naturam animae,2 non possumus fingere eam esse quadratam, quamvis
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Idem etiam de hypothesibus intelligendum, quae fiunt ad certos
20 motus explicandum, qui conveniunt cum caelorum phaenomenis, nisi
quod ex iis, si motibus caelestibus applicentur, naturam caelorum concludant, quae tamen alia potest esse, praesertim cum ad explicandum tales motus multae aliae causae possint concipi. 2 Saepe contingit, hominem hanc vocem anima ad suam memoriam 25 revocare et simul aliquam corpoream imaginem formare. Cum vero haec duo simul repraesentantur, facile putat se imaginari et fingere animam corpoream: quia nomen a re ipsa non distinguit. Hic postulo, ut lectores non sint praecipites ad hoc refutandum, quod, ut spero, non facient, modo ad exempla quam accurate attendant, et simul ad ea, quae sequun30 tur.
Erster Teil der Methode
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Kerze denke, begreife ich auch jene, solange ich nicht auf die Flamme achte. Im zweiten Beispiel macht man nichts anderes, als seine Gedanken von den umliegenden Körpern wegzuwenden, damit der Geist allein der für sich betrachteten Kerze seine Aufmerksamkeit widmet, und schließt dann, daß die Kerze in sich keine Ursache der eigenen Vernichtung habe, so daß, gäbe es keine umliegenden Körper, unsere Kerze und auch die Flamme unverändert blieben; oder ähnliche Sachverhalte [werden gefolgert]. Folglich handelt es hier nicht um eine Fiktion, sondern1 um wahre und unverfälschte Aussagen. [58] Gehen wir nun zu den Fiktionen über, die sich auf Essenzen beziehen, sei es auf sie allein, sei es auf sie, [sofern] sie zugleich mit irgendeiner Wirklichkeit oder Existenz [verbunden sind]. Hierbei ist in erster Linie zu bedenken, daß der Geist eine um so größere Macht des Fingierens hat, je mehr [Dinge] er wahrnimmt und je weniger er dabei begreift, und daß jene Macht um so geringer wird, je mehr [Dinge] er begreift. Ebenso, beispielsweise, wie wir weiter oben gesehen haben, daß wir nicht fingieren können, wir würden denken oder nicht denken, solange wir denken, so können wir auch, nachdem wir die Natur des Körpers kennen, nicht fingieren, daß eine Fliege unendlich sei; oder wir können, nachdem wir die Natur der Seele2 kennen,
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Dasselbe gilt auch von Hypothesen, die man aufstellt, um bestimmte Bewegungen zu erklären, die mit den Erscheinungen der Himmelskörper übereinstimmen, es sei denn, man schließt aus ihnen, wenn 25 sie auf die Bewegungen der Himmelskörper angewandt werden, auf die Natur dieser Körper, die indes anders sein kann, insbesondere weil zur Erklärung dieser Bewegungen viele andere Ursachen angenommen werden können. 2 Es kommt häufig vor, daß ein Mensch unser Wort »Seele« sich in sein 30 Gedächtnis ruft und zugleich irgendein körperliches Vorstellungsbild bildet. Wenn nun diese beiden [Sachverhalte] zugleich vorgestellt werden, glaubt er leicht, daß er sich eine Seele vorstellt, die körperlich ist, was er bloß fingiert, weil er nicht den Namen von der Sache selbst unterscheidet. Hier erwarte ich, daß die Leser das Dargelegte nicht voreilig 35 verwerfen, was sie, wie ich hoffe, nicht tun werden, wenn sie nur auf die Beispiele möglichst sorgfältig achtgeben und zugleich auf das noch Folgende. 1
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Tractatus de intellectus emendatione · [58–60]
omnia verbis possimus effari. Sed, uti diximus, quo minus homines norunt Naturam, eo facilius multa possunt fingere; veluti, arbores loqui, homines in momento mutari in lapides, in fontes, apparere in speculis spectra, nihil fieri aliquid, etiam deos in bestias et homines mutari, ac infinita ejus generis alia. [59] Aliquis forte putabit, quod fictio fictionem terminat, sed non intellectio; hoc est, postquam finxi aliquid et quadam libertate volui assentiri, id sic in rerum natura existere, hoc efficit, ut postea non possim id alio modo cogitare. Ex. gr. postquam finxi (ut cum iis loquar) naturam corporis talem, mihique ex mea libertate persuadere volui, eam sic realiter existere, non amplius licet muscam v. g. infinitam fingere, et postquam finxi essentiam animae, eam quadrare non possum, etc. [60] Sed hoc examinandum. Primo: vel negant, vel concedunt nos aliquid posse intelligere. Si concedunt, necessario id ipsum, quod de fictione dicunt, etiam de intellectione dicendum erit. Si vero hoc negant, videamus nos, qui scimus nos aliquid scire, quid dicant. Hoc scilicet dicunt, animam posse sentire et multis modis percipere non se ipsam, neque res, quae existunt, sed tantum ea, quae nec in se, nec ullibi sunt; hoc est, animam posse sola sua vi creare sensationes aut ideas, quae non sunt rerum; adeo ut ex parte eam, tanquam Deum, considerent. Porro dicunt, nos aut animam nostram talem habere libertatem, ut nosmet aut se, imo suam ipsam libertatem cogat: Nam postquam ea aliquid finxit, et assen-
9 possim] possimus
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nicht fingieren, daß sie quadratisch sei, mögen wir mit Worten das alles auch sagen können. Aber wie gesagt, je weniger die Menschen die Natur kennen, desto leichter können sie vielerlei fingieren: z. B. daß Bäume sprechen, daß Menschen im Nu in Steine oder Quellen verwandelt werden, daß in Spiegeln Gespen- 5 ster erscheinen, daß das Nichts zu Etwas wird und sogar daß Götter sich in Tiere und Menschen verwandeln, und so eine Unzahl von Sachverhalten dieser Art. [59] Vielleicht wird jemand meinen, daß eine Fiktion von einer Fiktion eingeschränkt wird und nicht von einem Verfahren 10 des Verstandes. Das bedeutete: Aus dem Tatbestand, daß ich irgend etwas fingiert habe und dank irgendeiner Freiheit willentlich angenommen habe, [das Fingierte] existiere so, [wie ich es fingiert habe], in der Natur, folgte, daß ich es später nicht in anderer Weise denken könne. Nachdem ich beispielsweise fingiert 15 habe (um mit ihnen zu sprechen), daß ein Körper von der und der Natur sei, und nachdem ich kraft meiner Freiheit mit Überzeugung angenommen habe, daß er in dieser Verfassung wirklich existiert, dann stehe es nicht länger in meinem Belieben, z. B. die Fiktion einer unendlichen Mücke zu bilden, und nachdem ich et- 20 was hinsichtlich der Essenz der Seele fingiert habe, dann könne ich sie nicht mehr quadratisch sein lassen, usw. [60] Doch gilt es dies zu prüfen. Zunächst einmal, [die Vertreter dieser Ansicht] verneinen entweder, daß wir irgend etwas begreifen können, oder sie geben es zu. Geben sie es zu, wird notwendigerweise 25 dasselbe, was sie vom Akt des Fingierens sagen, auch von dem des Begreifens zu sagen sein. Verneinen sie es aber, dann wollen wir, die wir wissen, daß wir etwas wissen, einmal sehen, was sie überhaupt sagen. Sie sagen offenbar, daß die Seele empfinden und auf vielfache Weise wahrnehmen könne, aber nicht sich 30 selbst und die Dinge, die existieren, sondern nur das, was weder an sich noch irgendwo ist, das heißt, daß die Seele allein aus eigener Kraft Empfindungen oder Ideen erzeugen könne, die nicht solche von Dingen sind; ganz so, daß sie sie nahezu wie * einen Gott ansehen. Ferner sagen sie, wir oder unsere Seele 35 habe eine solche Freiheit, daß sie uns oder sich selbst, ja sogar ihre eigene Freiheit zwingen könne. Denn nachdem sie einmal
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sum ei praebuit, non potest id alio modo cogitare aut fingere, et etiam ea fictione cogitur, ut etiam alia tali modo cogitentur, ut prima fictio non oppugnetur; sicut hic etiam coguntur absurda, quae hic recenseo, admittere propter suam fictionem; ad quae explodenda non defatigabimur ullis demonstrationibus. [61] Sed eos in suis deliriis linquendo curabimus, ut ex verbis, quae cum ipsis fecimus, aliquid veri ad nostram rem hauriamus, nempe hoc1: Mens, cum ad rem fictam et sua natura falsam attendit, ut eam pensitet et intelligat, bonoque ordine ex ea deducat, quae sunt deducenda, facile falsitatem patefaciet; et si res ficta sua natura sit vera, cum mens ad eam attendit, ut eam intelligat, et ex ea bono ordine incipit deducere, quae inde sequuntur, feliciter perget sine ulla interruptione, sicut vidimus, quod ex falsa fictione, modo allata, statim ad ostendendam ejus absurditatem et alias inde deductas praebuit se intellectus. [62] Nullo ergo modo timendum erit, nos aliquid fingere, si modo clare et distincte rem percipiamus: nam si forte dicamus homines in momento mutari in bestias, id valde generaliter dici-
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Quamvis hoc experientia videar concludere, et quis dicat id nil esse,
20 quia deficit demonstratio, eam, si quis desiderat, sic habeat. Cum in Na-
tura nihil possit dari, quod ejus leges oppugnet, sed cum omnia secundum certas ejus leges fiant, ut certos, certis legibus, suos producant effectus irrefragabili concatenatione: hinc sequitur, quod anima, ubi rem vere concipit, perget objective eosdem effectus formare. Vide infra, ubi 25 de idea falsa loquor. 2 alia] Einfügung Vloten-Land und Gebhardt
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irgend etwas fingiert hat und dazu ihre Zustimmung gegeben hat, könne sie dieses nicht in anderer Weise denken oder fingieren, und sie werde sogar durch diese Fiktion gezwungen, auch andere [Dinge] in dieser Weise zu denken, um nicht in Widerspruch zu der ersten Fiktion zu geraten, wie auch diese Leute 5 gezwungen werden, die Absurditäten, die ich hier aufzähle, ihrer Fiktion zuliebe zuzulassen, die durch Beweise zurückzuweisen wir uns nicht die Mühe machen werden. [61] Eher wollen wir sie in ihrem Wahnsinn belassen und nur darauf bedacht sein, den Worten, die wir mit ihnen gewechselt haben, et- 10 was Wahres für unseren Gegenstand zu entnehmen, nämlich folgendes1. Wenn der Geist auf einen fingierten und seiner Natur nach falschen Sachverhalt seine Aufmerksamkeit richtet, um ihn * zu überdenken und zu begreifen und um aus ihm in gehöriger Ordnung die Schlüsse zu ziehen, die daraus zu ziehen sind, wird 15 er leicht das Falsche an ihm entdecken. Wenn aber der fingierte Sachverhalt seiner Natur nach wahr ist, dann wird der Geist, wenn er auf ihn seine Aufmerksamkeit richtet, um ihn zu begreifen, und in gehöriger Ordnung aus ihm herzuleiten beginnt, was aus ihm folgt, in fruchtbarer Weise ohne jede Unterbrechung 20 fortschreiten; so wie wir gesehen haben, daß bei der soeben angeführten falschen Fiktion der Verstand sofort geneigt gewesen ist, deren Absurdität und anderes, das aus ihr hergeleitet ist, sichtbar zu machen. [62] Es wird deshalb keineswegs zu befürchten sein, daß wir 25 etwas fingieren, wenn wir einen Sachverhalt nur klar und deutlich wahrnehmen. Denn wenn wir etwa sagen, daß Menschen im * Nu in Tiere verwandelt werden, dann wird das in sehr allgeWeil ich das aus der Erfahrung zu schließen scheine und jemand sagen könnte, das sei nichts, weil der Beweis fehle, so gebe ich ihn hier, falls 30 ihn jemand verlangt. Weil in der Natur sich nichts ereignen kann, das * deren Gesetzen widerstreitet, weil vielmehr alles nach deren bestimmten Gesetzen geschieht, so daß [ein jedes] nach bestimmten Gesetzen seine bestimmten Wirkungen in einer unverbrüchlichen Verkettung hervorbringt, folgt daraus, daß die Seele, sobald sie ein Ding wahrhaft erkennt, 35 fortfahren wird, ebendiese Wirkungen objektiv darzustellen. Siehe weiter unten, wo ich von der falschen Idee spreche. 1
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tur adeo ut nullus detur conceptus, id est, idea, sive cohaerentia subjecti et praedicati in mente: si enim daretur, simul videret medium et causas, quo et cur tale quid factum sit. Deinde nec ad naturam subjecti et praedicati attenditur. [63] Porro, modo prima idea non sit ficta, et ex ea caeterae omnes ideae deducantur, paulatim praecipitantia fingendi evanescet; deinde, cum idea ficta non possit esse clara et distincta, sed solummodo confusa, et omnis confusio inde procedat, quod mens rem integram, aut ex multis compositam, tantum ex parte noscat, et notum ab ignoto non distinguat: praeterea quod ad multa, quae continentur in unaquaque re, simul attendat sine ulla distinctione, inde sequitur primo, quod si idea sit alicujus rei simplicissimae, ea non nisi clara et distincta poterit esse: Nam res illa non ex parte, sed tota aut nihil ejus innotescere debebit. [64] Sequitur secundo, quod si res, quae componitur ex multis, in partes omnes simplicissimas cogitatione dividatur et ad unamquamque seorsim attendatur, omnis tum confusio evanescet. Sequitur tertio, quod fictio non possit esse simplex, sed quod fiat ex compositione diversarum idearum confusarum, quae sunt diversarum rerum atque actionum in Natura existentium; vel melius ex attentione simul1 sine assensu ad tales diversas ideas: Nam si esset simplex, esset clara et distincta, et per consequens vera. Si ex compositione idearum
NB. Quod fictio in se spectata non multum differat a somnio, nisi quod in somniis non offerantur causae, quae vigilantibus ope sensuum offe25 runtur: ex quibus colligunt illa repraesentamina illo tempore non repraesentari a rebus extra se constitutis. Error autem, ut statim apparebit, est vigilando somniare; et, si sit admodum manifestus, delirium vocatur. 1
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meiner Weise gesagt. Es findet sich dabei im Geist kein Begriff, d. h. keine Idee oder kein Zusammenhang von Subjekt und Prädikat; denn wenn es einen solchen Begriff gäbe, würde man zugleich das Mittel und die Ursachen sehen, wodurch und warum ein so beschaffenes Ereignis geschehen ist. Des weiteren wird 5 hier auch nicht auf die Natur von Subjekt und Prädikat geachtet. [63] Ferner wird, wenn nur die erste Idee nicht fingiert ist und aus ihr alle übrigen Ideen hergeleitet werden, der vorschnelle Hang zum Fingieren allmählich verschwinden. Da weiter eine fingierte Idee nicht klar und deutlich, sondern bloß verworren 10 sein kann, und da alle Verwirrung daher kommt, daß der Geist ein komplexes, d. h. ein aus Vielem zusammengesetztes Ding nur teilweise erkennt und [dabei] das Bekannte vom Unbekannten nicht unterscheidet, aber auch daher, daß er auf die vielen [Bestandteile], die in jedem Ding enthalten sind, zugleich sich rich- 15 tet, ohne sie zu unterscheiden, so folgt daraus 1.: Wenn die Idee eine solche eines höchsteinfachen Dinges ist, wird sie nicht an- * ders als klar und deutlich sein können. Denn dieses Ding ist so bestimmt, daß es sich nicht teilweise, sondern nur vollständig oder gar nicht erkennen läßt. [64] Es folgt 2.: Wenn ein Ding, * das sich aus Vielem zusammensetzt, in alle seine einfachsten Teile im Denken zerlegt wird und jeder für sich [denkend] betrachtet wird, dann wird alle Verwirrung verschwinden. Es folgt 3.: Eine Fiktion kann nicht einfach sein; sie resultiert vielmehr aus der Zusammensetzung verschiedener verworrener Ideen, die sich auf 25 verschiedene in der Natur existierende Dinge und Ereignisse beziehen, oder, besser gesagt, daraus, daß [der Geist] auf diese verschiedenen Ideen zugleich1 und ohne Zustimmung sich richtet. Denn wäre die Fiktion einfach, wäre sie klar und deutlich und folglich wahr. Wenn sie aus der Zusammensetzung deutlicher 30 Man beachte, daß die Fiktion, an sich betrachtet, sich nicht sehr vom Traum unterscheidet, außer daß im Traum die Ursachen sich nicht darbieten, die sich den Wachenden mit Hilfe der Sinne darbieten, aus denen sie schließen, daß die Vorstellungsbilder in diesem Augenblick nicht von Dingen, die außerhalb von ihnen angesiedelt sind, herrühren. Irr- 35 tum aber ist, wie sich sogleich zeigen wird, ein Träumen im Zustand des Wachens; ist es stark ausgeprägt, nennt man ihn Wahnsinn. 1
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distinctarum, esset etiam earum compositio clara et distincta, ac proinde vera. Ex. gr. postquam novimus naturam circuli ac etiam naturam quadrati, jam non possumus ea duo componere, et circulum facere quadratum aut animam quadratam et similia. [65] Concludamus iterum breviter, et videamus, quomodo fictio nullo modo sit timenda, ut ea cum veris ideis confundatur. Nam quoad primam, de qua prius locuti sumus, ubi scilicet res clare concipitur, vidimus, quod si ea res, quae clare concipitur, et etiam ipsius existentia sit per se aeterna veritas, nihil circa talem rem poterimus fingere; sed si existentia rei conceptae non sit aeterna veritas, tantum est curandum, ut existentia rei cum ejus essentia conferatur et simul ad ordinem Naturae attendatur. Quoad secundam fictionem, quam diximus esse simul attentionem sine assensu ad diversas ideas confusas, quae sunt diversarum rerum atque actionum in Natura existentium; vidimus etiam rem simplicissimam non posse fingi, sed intelligi, et etiam rem compositam, modo ad partes simplicissimas, ex quibus componitur, attendamus; imo nec ex ipsis ullas actiones, quae verae non sunt, nos posse fingere: Nam simul cogemur contemplari, quomodo et cur tale quid fiat. [66] His sic intellectis, transeamus jam ad inquisitionem ideae falsae, ut videamus, circa quae versetur, et quomodo nobis possimus cavere, ne in falsas perceptiones incidamus. Quod utrumque non erit nobis jam difficile post inquisitionem ideae fictae:
3 possumus] possum
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Ideen [resultierte], dann wäre auch deren Zusammensetzung klar und deutlich und infolgedessen wahr. Nachdem wir beispielsweise die Natur des Kreises und auch die des Quadrats kennen, können wir die beiden [Ideen] nicht mehr zusammenfügen und die eines quadratischen Kreises oder auch die einer quadratischen 5 Seele bilden, und ähnliches. [65] Fassen wir noch einmal kurz zusammen und verdeutlichen uns, inwiefern wir ganz und gar nicht zu befürchten brauchen, eine Fiktion mit wahren Ideen zu vermengen. In der Tat: Hinsichtlich der ersten Art von Fiktion, von der wir zuerst gesprochen haben, bei der nämlich ein Ding 10 klar erkannt wird, haben wir gesehen, daß, wenn dieses Ding, das klar erkannt wird, sogar in seiner Existenz durch sich selbst eine ewige Wahrheit ist, wir in bezug auf es nichts fingieren können. Ist aber die Existenz des erkannten Dinges keine ewige Wahrheit, dann ist nur dafür Sorge zu tragen, daß die Existenz des Dinges 15 mit dessen Essenz zusammengebracht wird und zugleich auf die Ordnung der Natur geachtet wird. Hinsichtlich der zweiten * Art von Fiktion, die wir so beschrieben haben, daß [der Geist] auf einmal und ohne Zustimmung auf verschiedene verworrene Ideen sich richtet, die Ideen von verschiedenen in der Natur 20 existierenden Dingen und Ereignissen sind, haben wir gleichfalls gesehen, daß ein höchsteinfaches Ding nicht fingiert, sondern nur begriffen werden kann, und auch nicht ein zusammengesetztes Ding, wenn wir nur auf die einfachsten Teile, aus denen es sich zusammensetzt, unsere Aufmerksamkeit richten, ja daß wir 25 aus ihnen überhaupt keine Ereignisse fingieren können, die nicht wahr sind, werden wir doch dann zugleich gezwungen zu erwägen, wie und warum dergleichen geschieht. *
[b) Die falsche Idee] [66] Nachdem dies einsichtig geworden ist, wollen wir jetzt 30 zur Untersuchung der falschen Idee übergehen, um zu sehen, worauf sie sich bezieht und wie wir uns davor hüten können, in falsche Wahrnehmungen zu geraten. Beides wird uns nach der Untersuchung der fingierten Idee nicht mehr schwerfallen. Denn *
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Nam inter ipsas nulla alia datur differentia, nisi quod haec supponat assensum, hoc est (uti jam notavimus), quod nullae offeruntur causae, dum repraesentamina ipsi offeruntur, quibus, sicut fingens, possit colligere, ea non oriri a rebus extra se, et quod fere nihil aliud sit quam oculis apertis, sive dum vigilamus, somniare. Versatur itaque idea falsa, vel (ut melius loquar) refertur ad existentiam rei, cujus essentia cognoscitur, sive circa essentiam, eodem modo ac idea ficta. [67] Quae ad existentiam refertur, emendatur eodem modo ac fictio: nam si natura rei notae supponat existentiam necessariam, impossibile est, ut circa existentiam illius rei fallamur; sed si existentia rei non sit aeterna veritas, uti est ejus essentia, sed quod necessitas aut impossibilitas existendi pendeat a causis externis, tum cape omnia eodem modo, quo diximus, cum de fictione sermo esset: nam eodem modo emendatur. [68] Quod attinet ad alteram, quae ad essentias refertur vel etiam ad actiones, tales perceptiones necessario semper sunt confusae, compositae ex diversis confusis perceptionibus rerum in Natura existentium, ut cum hominibus persuadetur, in silvis, in imaginibus, in brutis, et caeteris adesse numina; dari corpora, ex quorum sola compositione fiat intellectus; cadavera ratiocinari, ambulare, loqui; Deum decipi, et similia; sed ideae, quae sunt clarae et distinctae, nunquam possunt esse falsae: Nam ideae rerum, quae clare et distincte concipiuntur, sunt vel simplicissimae vel compositae ex ideis simplicissimis, id est, a simplicissimis ideis deductae. Quod vero idea simplicissima non queat esse falsa, poterit unusquisque videre, modo sciat, quid sit verum sive intellectus, et simul quid falsum.
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zwischen ihnen besteht nur der Unterschied, daß die falsche Idee noch Zustimmung voraussetzt; das bedeutet (wie wir schon bemerkt haben), daß sich [dem Geist] beim Empfangen von Vorstellungsbildern keine Ursachen zeigen, aus denen er, wie beim Fingieren, schließen könnte, daß sie nicht von ihm äußeren Dingen herrühren, daß also einer falschen Idee zu erliegen kaum etwas anderes ist, als mit offenen Augen oder im Zustand des Wachens zu träumen. Und so betrifft oder (um mich besser auszudrücken) bezieht sich die falsche Idee, nicht anders als die fingierte, [entweder] auf die Existenz eines Dinges, dessen Essenz man kennt, oder auf eine Essenz. [67] Bezieht sie sich auf die Existenz, dann wird ihr Irrtum gerade so wie bei der Fiktion korrigiert. Denn wenn die Natur eines bekannten Dinges dessen notwendige Existenz enthält, dann ist es unmöglich, daß wir uns hinsichtlich der Existenz dieses Dinges täuschen; wenn die Existenz eines Dinges aber nicht eine notwendige Wahrheit ist, wie es dessen Essenz ist, wenn vielmehr die Notwendigkeit oder Unmöglichkeit seines Existierens von äußeren Ursachen abhängt, dann nehme man alles nur so, wie wir es vorgetragen haben, als von der Fiktion die Rede war. Denn die Weise der Korrektur ist hier dieselbe. [68] Hinsichtlich der zweiten Art, die sich auf Essenzen bezieht oder auch auf Ereignisse, sind diesbezügliche Wahrnehmungen notwendigerweise immer verworren, zusammengesetzt aus verschiedenen verworrenen Wahrnehmungen der in der Natur existierenden Dinge, so wenn Menschen sich überreden lassen, in Wäldern, Bildern, Tieren und dergleichen seien Gottheiten anwesend, es gäbe Körper, aus deren bloßer Zusammensetzung der Verstand entstehe, Kadaver könnten denken, herumgehen und sprechen, Gott täusche sich, und dergleichen Kram mehr. Hingegen können Ideen, die klar und deutlich sind, niemals falsch sein. Denn die Ideen von Dingen, die klar und deutlich erkannt werden, sind entweder absolut einfach oder aus höchsteinfachen Ideen zusammengesetzt, d. h. aus diesen hergeleitet. Daß eine absolut einfache Idee in der Tat nicht falsch sein kann, wird jeder sehen können, wenn er nur weiß, was das Wahre ist, d. h. was der Verstand ist, und in eins damit was das Falsche ist.
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[69] Nam quod id spectat, quod formam veri constituit, certum est, cogitationem veram a falsa non tantum per denominationem extrinsecam, sed maxime per intrinsecam distingui. Nam si quis faber ordine concepit fabricam aliquam, quamvis talis fabrica nunquam exstiterit, nec etiam unquam exstitura sit, ejus nihilominus cogitatio vera est, et cogitatio eadem est, sive fabrica existat, sive minus; et contra si aliquis dicit, Petrum ex. gr. existere, nec tamen scit Petrum existere, illa cogitatio respectu illius falsa est, vel, si mavis, non est vera, quamvis Petrus re vera existat. Nec haec enunciatio, Petrus existit, vera est, nisi respectu illius, qui certo scit Petrum existere. [70] Unde sequitur, in ideis dari aliquid reale, per quod verae a falsis distinguuntur: quod quidem jam investigandum erit, ut optimam veritatis normam habeamus (ex datae enim verae ideae norma nos nostras cogitationes debere determinare diximus, methodumque cognitionem esse reflexivam), et proprietates intellectus noscamus; nec dicendum hanc differentiam ex eo oriri, quod cogitatio vera est res cognoscere per primas suas causas, in quo quidem a falsa valde differret, prout eandem supra explicui: Cogitatio enim vera etiam dicitur, quae essentiam alicujus principii objective involvit, quod causam non habet, et per se et in se cognoscitur. [71] Quare forma verae cogitationis in eadem ipsa cogitatione sine relatione ad alias debet esse sita; nec objectum tanquam causam agnoscit, sed ab ipsa intellectus potentia et natura pendere debet. Nam si supponamus, intellectum ens aliquod novum percepisse, quod nunquam exstitit, sicut aliqui Dei intellectum concipiunt, antequam res crearet (quae sane perceptio a nullo objecto oriri potuit), et ex tali perceptione alias legitime
14 datae] data Korrektur W. B.
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[69] Denn in Ansehung dessen, was die Form des Wahren ausmacht, unterscheidet sich der wahre Gedanke vom falschen gewiß nicht nur durch eine äußere Benennung, sondern in erster Linie durch eine innere. Wenn nämlich ein Handwerker ein Werk nach den Regeln [der Technik] konzipiert, ist sein Gedanke, auch wenn ein solches Werk nie existiert hat und auch niemals existieren wird, gleichwohl wahr, und der Gedanke ist derselbe, mag das Werk existieren oder nicht. Wenn dagegen jemand sagt, daß z. B. Peter existiere, ohne indes zu wissen, daß Peter existiert, dann ist jener Gedanke in bezug auf den, der das sagt, falsch, oder, wenn man will, er ist nicht wahr, mag auch Peter tatsächlich existieren. Die Aussage, daß Peter existiert, ist wahr allein in bezug auf denjenigen, der mit Gewißheit weiß, daß Peter existiert. [70] Daraus folgt, daß es in den Ideen etwas Reales gibt, wodurch sich wahre von falschen unterscheiden. Das wird jedenfalls jetzt untersucht werden müssen, damit wir die beste Norm der Wahrheit haben (wir haben ja gesagt, daß wir unsere Gedanken nach der Norm der gegebenen wahren Idee bestimmen müssen, und daß die Methode eine reflexive Erkenntnis ist) und damit wir die Eigenschaften des Verstandes kennenlernen. Nicht darf aber gesagt werden, dieser Unterschied resultiere daraus, daß der wahre Gedanke darin besteht, Dinge durch deren erste Ursachen zu erkennen, worin er sich in der Tat sehr von dem falschen unterschiede, wie ich ihn oben erläutert habe. Denn auch derjenige Gedanke wird wahr genannt, der die Essenz irgendeines ursprünglichen Seienden objektiv enthält, das keine Ursache hat, das nämlich durch sich selbst und in sich selbst erkannt wird. [71] Deshalb muß die Form des wahren Gedankens in diesem Gedanken selbst ohne Beziehung auf andere Gedanken gelegen sein. Sie läßt auch kein Objekt als ihre Ursache gelten, sondern muß allein von der Macht und der Natur des Verstandes abhängen. Denn angenommen, der Verstand habe irgendein neues Seiendes wahrgenommen, das niemals existiert hat, wie manche den Verstand Gottes vor der Schöpfung der Dinge auffassen (eine Wahrnehmung, die gewiß nicht von irgendeinem Objekt hat herrühren können), und er leite aus einer solchen Wahrneh-
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deducere, omnes illae cogitationes verae essent et a nullo objecto externo determinatae, sed a sola intellectus potentia et natura dependerent. Quare id, quod formam verae cogitationis constituit, in ipsa eadem cogitatione est quaerendum et ab intellectus natura deducendum. [72] Hoc igitur ut investigetur, ideam aliquam veram ob oculos ponamus, cujus objectum maxime certo scimus a vi nostra cogitandi pendere, nec objectum aliquod in Natura habere: in tali enim idea, ut ex jam dictis patet, facilius id, quod volumus, investigare poterimus. Ex. gr. ad formandum conceptum globi fingo ad libitum causam, nempe semicirculum circa centrum rotari et ex rotatione globum quasi oriri. Haec sane idea vera est, et quamvis sciamus nullum in Natura globum sic unquam ortum fuisse, est haec tamen vera perceptio, et facillimus modus formandi globi conceptum. Jam notandum hanc perceptionem affirmare semicirculum rotari, quae affirmatio falsa esset, si non esset juncta conceptui globi, vel causae talem motum determinantis, sive absolute, si haec affirmatio nuda esset. Nam tum mens tantum tenderet ad affirmandum solum semicirculi motum, qui nec in semicirculi conceptu continetur, nec ex conceptu causae motum determinantis oritur. Quare falsitas in hoc solo consistit, quod aliquid de aliqua re affirmetur quod in ipsius, quem formavimus, conceptu non continetur ut motus vel quies de semicirculo. Unde sequitur simplices cogitationes non posse non esse veras, ut simplex semicirculi, motus, quantitatis, etc. idea. Quicquid hae affirmationis continent, earum adaequat conceptum, nec ultra se extendit, quare nobis licet ad libitum sine ullo erroris scrupulo ideas simplices formare. [73] Superest
1 deducere] deduceret
Erster Teil der Methode
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mung andere [Gedanken] regelrecht ab, dann wären all diese Gedanken wahr und von keinem äußeren Objekt bestimmt, sondern hingen allein von der Macht und Natur des Verstandes ab. Daher ist das, was die Form eines wahren Gedankens ausmacht, in diesem Gedanken selbst aufzusuchen, nämlich aus der Natur des Verstandes herzuleiten. [72] Um das nun zu erfor- * schen, müssen wir irgendeine wahre Idee ins Auge fassen, von der wir mit höchster Gewißheit wissen, daß ihr Objekt von unserer Kraft des Denkens abhängt, und sie kein Objekt in der Natur hat. An einer solchen Idee nämlich werden wir, wie aus dem schon Gesagten hervorgeht, leichter das ausfindig machen 10 können, worauf wir aus sind. Um beispielsweise den Begriff einer Kugel zu bilden, entwerfe ich nach Belieben eine Ursache, nämlich daß ein Halbkreis um seinen Mittelpunkt rotiert und daß aus dieser Rotation die Kugel gleichsam entsteht. Diese Idee ist sicher wahr; und obwohl wir wissen, daß in der Natur 15 keine Kugel jemals auf diese Weise entstanden ist, ist es dennoch eine wahre Wahrnehmung und die leichteste Art, den Begriff der Kugel zu bilden. Es ist schon jetzt zu erwähnen, daß diese Wahrnehmung behauptet, daß der Halbkreis rotiert, welche Behauptung falsch wäre, wenn sie nicht mit dem Begriff der Kugel 20 verbunden wäre, d. h. mit der Ursache, die eine solche Bewegung bestimmt, oder, uneingeschränkt gesagt, wenn diese Behauptung eine bloße Behauptung ohne Implikationen wäre. Denn dann würde der Geist sich darauf beschränken, vom Halbkreis allein die Bewegung zu behaupten, die weder im Be- 25 griff des Halbkreises enthalten ist, noch dem Begriff der die Bewegung bestimmenden Ursache entspringt. Deshalb besteht die * Falschheit allein darin, daß von einer Sache etwas behauptet wird, das in deren Begriff, den wir gebildet haben, nicht enthalten ist, wie vom Halbkreis Bewegung oder Ruhe. Daraus folgt, 30 daß einfache Gedanken nicht anders als wahr sein können, wie die einfache Idee des Halbkreises, der Bewegung, der Quantität usw. Was diese Ideen an Behauptung enthalten, entspricht genau ihrem Begriff und geht nicht darüber hinaus. Daher dürfen wir einfache Ideen nach unserem Belieben bilden ohne Besorgnis, 35 uns dabei zu irren. [73] Es bleibt also nur noch zu untersu-
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igitur tantum quaerere, qua potentia mens nostra eas formare possit, et quousque ea potentia se extendat: hoc enim invento facile videbimus summam, ad quam possumus pervenire, cognitionem. Certum enim est hanc ejus potentiam se non extendere in infinitum: Nam cum aliquid de aliqua re affirmamus, quod in conceptu, quem de ea formamus, non continetur, id defectum nostrae perceptionis indicat, sive quod mutilatas quasi et truncatas habemus cogitationes sive ideas. Motum enim semicirculi falsum esse vidimus, ubi nudus in mente est, eum ipsum autem verum, si conceptui globi jungatur vel conceptui alicujus causae talem motum determinantis. Quod si de natura entis cogitantis sit, uti prima fronte videtur, cogitationes veras sive adaequatas formare, certum est, ideas inadaequatas ex eo tantum in nobis oriri, quod pars sumus alicujus entis cogitantis, cujus quaedam cogitationes ex toto, quaedam ex parte tantum nostram mentem constituunt. [74] Sed quod adhuc venit considerandum, et quod circa fictionem non fuit operae pretium notare, et ubi maxima datur deceptio, est, quando contingit, ut quaedam, quae in imaginatione offeruntur, sint etiam in intellectu, hoc est, quod clare et distincte concipiantur; quod tum, quamdiu distinctum a confuso non distinguitur, certitudo, hoc est, idea vera cum non distinctis commiscetur. Ex. gr. quidam Stoicorum forte audiverunt nomen animae, et etiam quod sit immortalis, quae tantum confuse imaginabantur; imaginabantur etiam et simul intelligebant, corpora subtilissima caetera omnia penetrare et a nullis penetrari. Cum haec omnia simul imaginabantur, concomitante certitudine hujus axiomatis, statim certi reddebantur, mentem esse subtilissima illa corpora, et subtilissima illa corpora non dividi, etc. [75] Sed ab hoc etiam liberamur, dum conamur ad normam datae verae ideae
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chen, durch welche Macht unser Geist sie bilden kann und wieweit diese Macht sich erstreckt; denn haben wir das ermittelt, werden wir leicht die höchste Erkenntnis vor Augen haben, zu der wir gelangen können. Nun ist sicher, daß diese Macht sich nicht ins Unendliche erstreckt. Denn wenn wir etwas von ir- 5 gendeiner Sache behaupten, das in dem Begriff, den wir von ihr bilden, nicht enthalten ist, dann zeigt das einen Mangel unserer Wahrnehmung an, daß wir also gleichsam verstümmelte und entstellte Gedanken oder Ideen haben. In der Tat haben wir gesehen, daß die [Idee der] Bewegung des Halbkreises falsch ist, 10 sofern sie isoliert im Geist ist, daß ihr [Begriff] aber wahr ist, wenn er mit dem Begriff der Kugel verknüpft wird oder mit dem Begriff irgendeiner Ursache, die diese Bewegung bestimmt. Wenn es, wie es auf den ersten Blick aussieht, zur Natur eines denkenden Seienden gehört, wahre oder adäquate Gedanken zu 15 bilden, so ist sicher, daß inadäquate Ideen allein daraus in uns entstehen, daß wir ein Teil irgendeines denkenden Seienden sind, von dessen Gedanken einige unseren Geist gänzlich, andere nur teilweise konstituieren. * [74] Dabei ist aber etwas zu beachten, das bei der Erörterung 20 der Fiktion vernachlässigt werden konnte. Im höchsten Maß tritt nämlich Täuschung auf, wenn etwas, das sich in der Einbildungskraft zeigt, auch im Verstand ist und deshalb klar und deutlich erkannt wird; in diesem Fall, solange das Deutliche [also] nicht von dem Verworrenen unterschieden wird, ist die 25 Gewißheit, d. h. die wahre Idee, mit den nicht-deutlichen Ideen vermischt. So hatten einige Stoiker vielleicht den Namen * »Seele« gehört und auch, daß sie unsterblich sei, was sie sich nur undeutlich vorstellten. Außerdem stellten sie sich vor und begriffen zugleich, daß feinste Körper alle übrigen durchdrin- 30 gen, selber aber von keinen anderen durchdrungen werden. Da sie dies alles auf einmal vorstellten und [ihre Vorstellungen] von der Gewißheit des [soeben erwähnten] Grundsatzes begleitet waren, waren sie sogleich davon überzeugt, daß der Geist jene feinsten Körper sei und daß jene feinsten Körper nicht teilbar 35 seien, usw. [75] Aber auch davon befreien wir uns, wenn wir uns bemühen, gemäß der Norm einer gegebenen wahren Idee
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omnes nostras perceptiones examinare cavendo, uti initio diximus, ab iis, quas ex auditu aut ab experientia vaga habemus. Adde quod talis deceptio ex eo oritur, quod res nimis abstracte concipiunt: nam per se satis clarum est, me illud, quod in suo vero objecto concipio, alteri non posse applicare. Oritur denique etiam ex eo, quod prima elementa totius Naturae non intelligunt; unde sine ordine procedendo et Naturam cum abstractis, quamvis sint vera axiomata, confundendo, se ipsos confundunt ordinemque Naturae pervertunt. Nobis autem, si quam minime abstracte procedamus, et a primis elementis, hoc est, a fonte et origine Naturae, quam primum fieri potest, incipiamus, nullo modo talis deceptio erit metuenda. [76] Quod autem attinet ad cognitionem originis Naturae, minime est timendum, ne eam cum abstractis confundamus: nam cum aliquid abstracte concipitur, uti sunt omnia universalia, semper latius comprehenduntur in intellectu, quam revera in Natura existere possunt eorum particularia. Deinde cum in Natura dentur multa, quorum differentia adeo est exigua, ut fere intellectum effugiat, tum facile (si abstracte concipiantur) potest contingere, ut confundantur; at cum origo Naturae, ut postea videbimus, nec abstracte sive universaliter concipi possit, nec latius possit extendi in intellectu, quam revera est, nec ullam habeat similitudinem cum mutabilibus, nulla circa ejus ideam metuenda est confusio, modo normam
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alle unsere Wahrnehmungen zu überprüfen, und uns dabei, wie wir eingangs gesagt haben, vor denjenigen hüten, die wir vom Hörensagen oder aus unbestimmter Erfahrung haben. Hinzu kommt noch, daß eine derartige Täuschung daraus entsteht, daß man die Dinge allzu abstrakt erkennt; denn es ist aus sich * heraus hinreichend klar, daß ich etwas, das ich in seiner wahren Objektivität erkenne, nicht an etwas anderes herantragen kann. Schließlich entsteht sie noch daraus, daß man die ersten Elemente der ganzen Natur nicht begreift, wobei man dann, ohne Ordnung vorgehend und das Sein der Natur mit abstrakten, 10 wenn auch wahren Grundsätzen vermengend, an sich selbst irre wird und die Ordnung der Natur verkehrt. Wir aber werden, wenn wir nach Möglichkeit nicht in abstrakter Weise vorgehen, sondern so früh wie möglich von den ersten Elementen, d. h. von der Quelle und dem Ursprung der Natur, den Ausgang 15 nehmen, eine solche Täuschung in keiner Weise zu fürchten brauchen. [76] Was nun die Erkenntnis des Ursprungs der * Natur anbelangt, so ist kaum zu fürchten, daß wir sie mit Abstraktionen vermengen. Wenn man nämlich etwas in abstrakter Weise erkennt, wie es bei [der Erkenntnis] aller allgemeinen Be- 20 stimmungen der Fall ist, dann wird das Allgemeine im Verstand immer in einem weiteren Sinne gefaßt, als die darunter gebrachten besonderen Dinge in der Natur tatsächlich existieren können. Da es ferner in der Natur viele [Dinge] gibt, deren Unterschied untereinander so gering ist, daß er dem Verstand fast 25 immer entgeht, so kann es bei einem abstrakten Erkennen leicht geschehen, daß man diese Dinge miteinander vermengt. Da aber der Ursprung der Natur, wie wir später sehen werden, weder in abstrakter, d. h. allgemeiner, Weise erkannt werden kann, noch im Verstand sich weiter erstrecken kann, als er in Wirk- 30 lichkeit ist, noch irgendeine Ähnlichkeit mit veränderlichen Dingen hat, so ist hinsichtlich der Idee dieses Ursprungs keine Verwirrung zu befürchten, wenn wir nur über die Norm der
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veritatis (quam jam ostendimus) habeamus: est nimirum hoc ens unicum, infinitum1, hoc est, est omne esse, et praeter quod nullum2 datur esse.
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[77] Hucusque de idea falsa; superest, ut de idea dubia inquiramus, hoc est, ut inquiramus, quaenam sint ea, quae nos possunt in dubium pertrahere, et simul quomodo dubitatio tollatur. Loquor de vera dubitatione in mente et non de ea, quam passim videmus contingere, ubi scilicet verbis, quamvis animus non dubitet, dicit quis se dubitare: non est enim methodi hoc emendare; sed potius pertinet ad inquisitionem pertinaciae et ejus emendationem. [78] Dubitatio itaque in anima nulla datur per rem ipsam, de qua dubitatur, hoc est, si tantum unica sit idea in anima, sive ea sit vera sive falsa, nulla dabitur dubitatio, neque etiam certitudo, sed tantum talis sensatio. Est enim in se nihil aliud nisi talis sensatio; sed dabitur per aliam ideam, quae non adeo clara ac distincta est, ut possimus ex ea aliquid certi circa rem, de qua dubitatur, concludere, hoc est, idea, quae nos in dubium conjicit, non est clara et distincta. Ex. gr. si quis nunquam cogitaverit de sensuum fallacia, sive experientia, sive quomodocunque sit, nunquam dubitabit, an sol major aut minor sit quam apparet. Inde rustici passim mirantur, cum audiunt solem multo majorem esse
Haec non sunt attributa Dei, quae ostendunt ipsius essentiam, ut in Philosophia ostendam. 2 Hoc supra jam demonstratum est. Si enim tale ens non existeret, 25 nunquam posset produci; adeoque mens plus posset intelligere, quam Natura praestare, quod supra falsum esse constitit. 1
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Wahrheit (wie wir schon gezeigt haben) verfügen. Er ist nämlich das Seiende, das einzig und unendlich1 ist, d. h. das alles Sein ist und außerhalb von dem es kein2 Sein gibt.
[c) Die zweifelhafte Idee] [77] So viel über die falsche Idee. Es gilt noch die zweifelhafte Idee zu untersuchen, d. h. zu untersuchen, was es denn ist, das uns in Zweifel zu setzen vermag, und zugleich auch, wie der Zweifel zu beheben ist. Ich spreche vom echten Zweifel im Geist und nicht von dem, den wir hier und da antreffen, bei dem einer nur mit Worten sagt, daß er zweifle, obwohl sein Gemüt gar nicht zweifelt. Das zu berichtigen, ist nämlich nicht Aufgabe der Methode, sondern gehört eher zu einer Untersuchung des Starrsinns und zu dessen Therapie. [78] Also gibt es in der Seele keinen Zweifel, der durch die Sache selbst, an der man zweifelt, [hervorgerufen wird]. D. h.: Gäbe es in der Seele nur eine einzige Idee, mag diese wahr oder falsch sein, gäbe es auch keinen Zweifel, freilich auch keine Gewißheit, sondern nur eine derartige Empfindung. Denn in sich selbst ist [diese Idee] nichts als eine solche Empfindung. [Den Zweifel] wird es aber aufgrund einer anderen Idee geben, die nicht so klar und deutlich ist, daß wir aus ihr etwas Gewisses hinsichtlich der Sache, an der man zweifelt, schließen könnten; damit ist gesagt, daß eine Idee, die uns in Zweifel versetzt, nicht klar und deutlich ist. Wenn beispielsweise jemand nie über die Sinnestäuschung nachgedacht hat, gestützt auf die Erfahrung oder in welcher Form auch immer, wird er niemals zweifelnd fragen, ob die Sonne größer oder kleiner ist, als sie uns erscheint. Daher wundern sich Bauern bisweilen, wenn sie hören, daß die Sonne viel größer ist als die Erdkugel. Aber im
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Das sind nicht Attribute Gottes, die dessen Essenz dartun, wie ich in der Philosophie zeigen werde. * 2 Das ist schon oben bewiesen worden. Wenn nämlich ein solches Seiendes nicht existierte, könnte es niemals gedanklich hervorgebracht werden; denn so könnte der Geist mehr begreifen, als die Natur darbieten kann, was oben als falsch erwiesen worden ist. * 1
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quam globum terrae, sed cogitando1 de fallacia sensuum oritur dubitatio, et si quis post dubitationem acquisiverit veram cognitionem sensuum, et quomodo per eorum instrumenta res ad distantiam repaesententur, tum dubitatio iterum tollitur. [79] Unde sequitur nos non posse veras ideas in dubium vocare ex eo, quod forte aliquis deus deceptor existat, qui vel in maxime certis nos fallit, nisi quamdiu nullam habemus claram et distinctam Dei ideam; hoc est, si attendamus ad cognitionem, quam de origine omnium rerum habemus, et nihil inveniamus, quod nos doceat, eum non esse deceptorem eadem illa cognitione, qua, cum attendimus ad naturam trianguli, invenimus ejus tres angulos aequales esse duobus rectis; sed si talem cognitionem Dei habemus, qualem habemus trianguli, tum omnis dubitatio tollitur. Et eodem modo, quo possumus pervenire ad talem cognitionem trianguli, quamvis non certo sciamus, an aliquis summus deceptor nos fallat, eodem etiam modo possumus pervenire ad talem Dei cognitionem, quamvis non certo sciamus, an detur quis summus deceptor, et, modo eam habeamus, sufficiet ad tollendam, uti dixi, omnem dubitationem, quam de ideis claris et distinctis habere possumus. [80] Porro si quis recte procedat investigando, quae prius sunt investiganda, nulla interrupta concatenatione rerum, et sciat, quomodo quaestiones sint determinandae, antequam ad earum cognitionem accingamur, nunquam nisi certissimas ideas, id est claras et distinctas, habebit: Nam dubitatio nihil aliud est quam suspensio animi circa aliquam affirmationem aut negationem rei, quam affirmaret aut negaret, nisi occur-
Id est, scit sensus aliquando se decepisse; sed hoc tantum confuse scit: Nam nescit quomodo sensus fallant. 1
2 dubitatio] Gebhardt setzt die Anmerkung zum vorstehenden cogitando nach Maßgabe der NS an dieser Stelle in den Haupttext 8 Dei] Einfügung Gebhardt nach Maßgabe der NS 26 rei] Einfügung W. B., Mignini folgend
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Nachdenken1 über die Sinnestäuschung entsteht der Zweifel; und wenn jemand, nachdem er gezweifelt hat, eine wahre Erkenntnis der Sinne erlangt hat, insbesondere dessen, wie durch deren Organe sich die Dinge in der Entfernung darstellen, dann wird der Zweifel wiederum behoben. [79] Daraus folgt, daß 5 wir wahre Ideen nicht deshalb in Zweifel ziehen können, weil vielleicht irgendein betrügerischer Gott existiert, der uns sogar * über die allergewissesten Dinge täuscht, so lange jedenfalls, wie wir keine klare und deutliche Idee von Gott haben, insofern also, als wir auf die Erkenntnis, die wir von dem Ursprung aller Dinge 10 haben, achten und nichts finden, das uns kraft derselben Art von Erkenntnis erkennen ließe, daß er kein Betrüger sei, kraft derer wir, wenn wir auf die Natur des Dreiecks achten, entdecken, daß dessen drei Winkel gleich zwei rechten sind. Jedoch: Wenn wir eine solche Erkenntnis von Gott haben, wie wir sie vom Dreieck 15 haben, dann wird jeder Zweifel behoben. Und in derselben Weise, in der wir zu einer solchen Erkenntnis des Dreiecks gelangen können, obschon wir nicht mit Sicherheit wissen, ob nicht irgendein höchster Betrüger uns täuscht, können wir auch zu der beschriebenen Erkenntnis Gottes gelangen, obschon wir nicht 20 mit Sicherheit wissen, ob es denn irgendeinen höchsten Betrüger gibt. Und sofern wir nur eine solche Erkenntnis haben, wird sie, wie gesagt, ausreichen, jeden Zweifel zu beheben, den wir in bezug auf klare und deutliche Ideen haben können. [80] Ferner, wenn jemand richtig vorgeht, also dasjenige erforscht, was zuerst 25 zu erforschen ist, ohne die Verkettung der Dinge zu durchbrechen, und wenn er weiß, wie zu untersuchende Sachverhalte zu bestimmen sind, bevor wir uns anschicken, sie zu erkennen, wird er immer nur höchstgewisse, d. h. klare und deutliche, Ideen haben. Denn der Zweifel ist nichts anderes als die Unentschlossen- 30 heit des Gemüts hinsichtlich irgendeiner Bejahung oder Vernei- * nung eines Dinges, das er bejahen oder verneinen würde, wenn ihm nicht etwas entgegenstünde, das nicht zu kennen seine ErD. h.: [Wer das tut], weiß, daß die Sinne ihn manchmal getäuscht haben; doch weiß er dies nur verworren, weil er nicht weiß, auf welche 35 Weise die Sinne täuschen. 1
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Tractatus de intellectus emendatione · [80–83]
reret aliquid, quo ignoto cognitio ejus rei debet esse imperfecta. Unde colligitur, quod dubitatio semper oritur ex eo, quod res absque ordine investigentur.
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[81] Haec sunt, quae promisi tradere in hac prima parte methodi. Sed ut nihil omittam eorum, quae ad cognitionem intellectus et ejus vires possunt conducere, tradam etiam pauca de memoria et oblivione; ubi hoc maxime venit considerandum, quod memoria corroboretur ope intellectus et etiam absque ope intellectus. Nam quoad primum, quo res magis est intelligibilis, eo facilius retinetur, et contra quo minus, eo facilius eam obliviscimur. Ex. gr. si tradam alicui copiam verborum solutorum, ea multo difficilius retinebit, quam si eadem verba in forma narrationis tradam. [82] Corroboratur etiam absque ope intellectus, scilicet a vi, qua imaginatio aut sensus, quem vocant communem, afficitur ab aliqua re singulari corporea. Dico singularem: imaginatio enim tantum a singularibus afficitur: Nam si quis legerit ex. gr. unam tantum fabulam amatoriam, eam optime retinebit, quamdiu non legerit plures alias ejus generis, quia tum sola viget in imaginatione; sed si plures sint ejusdem generis, simul omnes imaginamur, et facile confunduntur. Dico etiam corpoream: nam a solis corporibus afficitur imaginatio. Cum itaque memoria ab intellectu corroboretur et etiam sine intellectu, inde concluditur eam quid diversum esse ab intellectu, et circa intellectum in se spectatum nullam dari memoriam neque oblivionem. [83] Quid ergo erit memoria? Nihil aliud quam sensatio impressionum cerebri, simul cum cogitatione ad determinatam
Erster Teil der Methode
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kenntnis des Dinges zwangsläufig unvollkommen sein läßt. Folglich entspringt der Zweifel immer daraus, daß Dinge ohne Ordnung erforscht werden.
[d) Die Rolle der Einbildungskraft] [81] Das ist es, was ich in diesem ersten Teil der Methode ab- 5 zuhandeln versprochen habe. Um aber nichts, was zur Erkenntnis des Verstandes und seiner Kräfte führen kann, außer acht zu lassen, will ich auch einiges über Gedächtnis und Vergessen sagen. Dabei ist besonders zu beachten, daß das Gedächtnis mit Hilfe des Verstandes stärker wird, aber auch ohne seine Hilfe. 10 Was das erste anbelangt: Ein Sachverhalt wird um so leichter behalten, je mehr er begreifbar ist, und umgekehrt vergessen wir ihn um so leichter, je weniger dies gilt. Wenn ich beispielsweise jemandem eine Fülle unzusammenhängender Worte mitteile, wird er sie sehr viel schwerer behalten, als wenn ich ihm diesel- 15 ben Worte in Form einer Erzählung mitteile. [82] [Das Gedächtnis] erstarkt freilich auch ohne Hilfe des Verstandes, nämlich über die Kraft, mit der die Einbildungskraft oder der sogenannte Gemeinsinn von irgendeinem einzelnen körperlichen Ding affiziert wird. Ich sage »einzelnen«, wird doch die Einbil- 20 dungskraft nur von einzelnen [Gegenständen] affiziert. In der Tat, wenn jemand beispielsweise nur eine Liebesgeschichte gelesen hat, wird er sie sehr gut behalten, solange er nicht noch andere derselben Gattung lesen wird, ist doch dann sie allein in seiner Einbildungskraft lebendig; bei mehreren derselben Gattung 25 stellen wir sie alle auf einmal vor, und leicht werden sie dann miteinander vermengt. Ich sage auch »körperlichen«, weil allein von Körpern die Einbildungskraft affiziert wird. Wenn also das Ge- * dächtnis von dem Verstand, aber auch ohne ihn, gestärkt wird, dann läßt sich daraus folgern, daß es etwas vom Verstand Ver- 30 schiedenes ist, und daß es im Verstand, er für sich betrachtet, weder Gedächtnis noch Vergessen gibt. [83] Was wird also das Gedächtnis sein? Nichts anderes als eine Empfindung der Eindrücke des Gehirns, begleitet von dem Gedanken an eine be-
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durationem1 sensationis; quod etiam ostendit reminiscentia. Nam ibi anima cogitat de illa sensatione, sed non sub continua duratione; et sic idea istius sensationis non est ipsa duratio sensationis, id est ipsa memoria. An vero ideae ipsae aliquam patiantur corruptionem, videbimus in Philosophia. Et si hoc alicui valde absurdum videatur, sufficiet ad nostrum propositum, ut cogitet, quod quo res est singularior, eo facilius retineatur, sicut ex exemplo comoediae modo allato patet. Porro quo res intelligibilior, eo etiam facilius retinetur. Unde maxime singularem et tantummodo intelligibilem non poterimus non retinere. [84] Sic itaque distinximus inter ideam veram et caeteras perceptiones, ostendimusque, quod ideae fictae, falsae et caeterae habeant suam originem ab imaginatione, hoc est, a quibusdam sensationibus fortuitis (ut sic loquar) atque solutis, quae non oriuntur ab ipsa mentis potentia, sed a causis externis, prout corpus, sive somniando sive vigilando, varios accipit motus. Vel si placet, hic per imaginationem, quicquid velis, cape, modo sit quid diversum ab intellectu, et unde anima habeat rationem patientis; perinde enim est, quicquid capias, postquam novimus eandem quid vagum esse, et a quo anima patitur, et simul etiam novimus,
Si vero duratio sit indeterminata, memoria ejus rei est imperfecta, quod quisque etiam videtur a natura didicisse. Saepe enim, ut alicui melius credamus in eo, quod dicit, rogamus, quando et ubi id contigerit. Quamvis etiam ideae ipsae suam habeant durationem in mente, tamen cum assueti 25 simus durationem determinare ope alicujus mensurae motus, quod etiam ope imaginationis fit, ideo nullam adhuc memoriam observamus, quae sit purae mentis. 1
14 atque] Gebhardt bezieht (ut sic loquar) auf solutis und setzt den Einschub daher hinter atque
Erster Teil der Methode
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stimmte Dauer1 dieser Empfindung; das zeigt uns auch die Erinnerung. Denn in ihr denkt die Seele an jene Empfindung, aber nicht unter [der Form] einer kontinuierlichen Dauer; und so ist die Idee dieser Empfindung nicht die Dauer der Empfindung selbst, d. h. nicht eigentlich das Gedächtnis. Ob aber die Ideen 5 selbst einer Vergänglichkeit unterliegen, werden wir in der Philo- * sophie sehen. Sollte dies jemandem äußerst absurd erscheinen, so genügt es für unsere Absicht zu bedenken, daß ein Sachverhalt um so leichter behalten wird, je einzigartiger er ist, wie dem oben beigebrachten Beispiel des Lustspiels zu entnehmen ist; ferner, 10 daß ein Sachverhalt um so leichter behalten wird, je mehr er begreifbar ist. Daher werden wir ein Ding, das im höchsten Maße einzigartig ist und nur begreifbar ist, nicht nicht behalten können. [84] So haben wir nun den Unterschied zwischen der wahren 15 Idee und den übrigen Wahrnehmungen festgestellt und haben gezeigt, daß die fingierten, die falschen und auch die übrigen Ideen ihren Ursprung in der Einbildungskraft haben, d. h. in gewissen zufälligen (um mich dieses Ausdrucks zu bedienen) und isolierten Empfindungen, die nicht der Macht des Geistes selbst ent- 20 springen, sondern äußeren Ursachen und zwar in dem Maße, wie der Körper, sei es im Schlafen, sei es im Wachen, mannigfach wechselnde Bewegungen aufnimmt. Meinethalben verstehe man hier unter »Einbildungskraft«, was man will, wenn sie nur etwas vom Verstand Verschiedenes ist und etwas, wodurch die Seele 25 sich in einem Zustand des Leidens befindet. Nicht weiter wichtig ist, was man darunter versteht, wenn wir nur wissen, daß sie irgend etwas unbestimmt Schwankendes ist und etwas, von dem her die Seele leidet, und wenn wir darüber hinaus zugleich wisWenn hingegen die Dauer unbestimmt ist, dann ist die Erinnerung 30 an diese Sache unvollkommen, was wohl jeder von Natur aus erfahren zu haben scheint. Oft nämlich fragen wir, um jemandem das, was er gesagt hat, besser zu glauben, warum und wo sich das ereignet habe. Obwohl auch Ideen eine ihnen eigene Dauer im Geist haben, sind wir doch gewohnt, Dauer nach einem Maß der Bewegung zu bestimmen, was 35 noch mittels der Einbildungskraft geschieht; und deshalb treffen wir bislang kein Gedächtnis an, das rein geistig wäre. 1
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quomodo ope intellectus ab eadem liberamur. Quare etiam nemo miretur, me hic nondum probare dari corpus et alia necessaria, et tamen loqui de imaginatione, de corpore et ejus constitutione. Nempe, ut dixi, est perinde, quid capiam, postquam novi esse quid vagum, etc. [85] At ideam veram simplicem esse ostendimus, aut ex simplicibus compositam, et quae ostendit, quomodo et cur aliquid sit aut factum sit, et quod ipsius effectus objectivi in anima procedunt ad rationem formalitatis ipsius objecti; id quod idem est, quod veteres dixerunt, nempe veram scientiam procedere a causa ad effectus; nisi quod nunquam, quod sciam, conceperunt, uti nos hic, animam secundum certas leges agentem, et quasi aliquod automa spirituale. [86] Unde, quantum in initio licuit, acquisivimus notitiam nostri intellectus et talem normam verae ideae, ut jam non vereamur, ne vera cum falsis aut fictis confundamus; nec etiam mirabimur, cur quaedam intelligamus, quae nullo modo sub imaginationem cadunt, et alia sint in imaginatione, quae prorsus oppugnant intellectum, alia denique cum intellectu conveniant. Quandoquidem novimus operationes illas, a quibus imaginationes producuntur, fieri secundum alias leges, prorsus diversas a legibus intellectus, et animam circa imaginationem tantum habere rationem patientis. [87] Ex quo etiam constat, quam facile ii in magnos errores possunt delabi, qui non accurate distinxerunt inter imaginationem et intellectionem. In hos ex. gr., quod extensio debeat esse in loco, debeat esse finita, cujus partes ab invicem distinguuntur realiter, quod sit primum et unicum fundamentum omnium
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sen, wie wir uns von ihr mit Hilfe des Verstandes befreien. Daher möge sich auch niemand wundern, daß ich hier noch nicht beweise, daß es einen Körper gibt, und anderes, das [zu beweisen] notwendig wäre, und daß ich gleichwohl von der Einbildungskraft, dem Körper und dessen Beschaffenheit spreche. Denn wie gesagt, es ist gleichgültig, was ich unter Einbildungskraft verstehe, wenn ich nur weiß, daß sie etwas unbestimmt Schwankendes ist, usw. [85] Dagegen haben wir gezeigt, daß die wahre Idee einfach ist oder aus einfachen [Ideen] zusammengesetzt, daß [sie von einer Verfassung ist], die zeigt, wie und warum irgend etwas ist oder geschehen ist, und daß ihre objektiven Wirkungen in der Seele in einer Weise erfolgen, die dem Ansichsein des Gegenstandes, [dessen Idee sie ist], entspricht. Das ist dasselbe, was die Alten gesagt haben, daß nämlich die wahre Wissenschaft von der Ursache zu den Wirkungen fortschreitet; nur haben sie niemals, so weit ich weiß, wie wir hier erkannt, daß die Seele nach bestimmten Gesetzen handelt und eine Art geistiger Automat ist. [86] Daraus haben wir, soweit das am Anfang möglich war, eine Kenntnis von unserem Verstand erlangt und eine solche Norm der wahren Idee, daß wir nicht mehr zu fürchten brauchen, die wahre [Idee] mit falschen oder fingierten zu vermengen. Wir werden uns auch nicht mehr wundern, warum wir manches begreifen, das in keiner Weise unter die Einbildungskraft fällt, und warum einiges in der Einbildungskraft ist, das dem Verstand gänzlich widerstreitet, anderes in ihr hingegen mit ihm übereinstimmt. Denn wir wissen ja nun, daß jene Vorgänge, von denen die Ideen der Einbildungskraft erzeugt werden, nach anderen Gesetzen ablaufen, gänzlich verschieden von den Gesetzen des Verstandes, und daß die Seele, wenn sie bloß vorstellt, sich in einem Zustand des Leidens befindet. [87] Daraus geht auch hervor, wie leicht diejenigen in große Irrtümer verfallen können, die nicht sorgfältig zwischen der Einbildungskraft und dem Verfahren des Verstandes unterschieden haben, in solche beispielsweise: Die Ausdehnung müsse in einem Ort sein; sie müsse begrenzt sein; ihre Teile müßten sich real voneinander unterscheiden; sie sei die erste und einzige Grundlage
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rerum, et uno tempore majus spatium occupet quam alio, multaque ejusmodi alia, quae omnia prorsus oppugnant veritatem, ut suo loco ostendemus. [88] Deinde cum verba sint pars imaginationis, hoc est, quod, prout vage ex aliqua dispositione corporis componuntur in memoria, multos conceptus fingamus, ideo non dubitandum, quin etiam verba, aeque ac imaginatio, possint esse causa multorum magnorumque errorum, nisi magnopere ab ipsis caveamus. [89] Adde quod sint constituta ad libitum et captum vulgi; adeo ut non sint nisi signa rerum, prout sunt in imaginatione, non autem prout sunt in intellectu; quod clare patet ex eo, quod omnibus iis, quae tantum sunt in intellectu et non in imaginatione, nomina imposuerunt saepe negativa, uti sunt incorporeum, infinitum, etc., et etiam multa, quae sunt revera affirmativa1, negative exprimunt, et contra, uti sunt increatum, independens, infinitum, immortale, etc., quia nimirum horum contraria multo facilius imaginamur; ideoque prius primis hominibus occurrerunt et nomina positiva usurparunt. [90] Vitamus praeterea aliam magnam causam confusionis, et quae facit, quo minus intellectus ad se reflectat: nempe, cum non distinguimus inter imaginationem et intellectionem, putamus ea, quae facilius imaginamur, nobis esse clariora, et id, quod imaginamur, putamus intelligere. Unde quae sunt postponenda,
Multa affirmamus et negamus, quia natura verborum id affirmare et 25 negare patitur, non vero rerum natura; adeoque hac ignorata facile aliquid falsum pro vero sumeremus. 1
18 usurparunt.] in OP folgt hier der Text der Anmerkung (Korrektur W. B. nach NS und Mignini)
Erster Teil der Methode
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aller Dinge, sie nehme zu einer Zeit einen größeren Raum ein als zu einer anderen; und vieles andere dieser Art, was alles der Wahrheit gänzlich zuwiderläuft, wie wir an seinem Ort zeigen werden. * [88] Da ferner Wörter einen Teil der Einbildungskraft aus- 5 machen, d. h. daß wir viele fiktive Begriffe bilden, je nachdem sich die Wörter aufgrund irgendeiner Disposition des Körpers in unbestimmter Weise im Gedächtnis zusammenfügen, so ist nicht daran zu zweifeln, daß auch Wörter, gerade so wie die Einbildungskraft, die Ursache vieler und großer Irrtümer sein 10 können, wenigstens wenn wir uns vor ihnen nicht nachdrücklich in acht nehmen. [89] Es sei noch hinzugefügt, daß sie * nach Belieben gebildet werden und nach der Fassungskraft des einfachen Volkes, so daß sie nichts sind als Zeichen der Dinge, wie sie in der Einbildungskraft, nicht aber im Verstand sind. 15 Das ist schon daraus klar, daß man all das, was nur im Verstand ist, nicht aber in der Einbildungskraft, häufig mit negativen Namen belegt hat, etwa: unkörperlich, unendlich usw., und daß man sogar vieles, das in Wahrheit affirmativ1 ist, in negativer Weise ausdrückt und umgekehrt, etwa: ungeschaffen, unabhän- 20 gig, unendlich, unsterblich usw. Zweifellos geschieht dies, weil wir uns ihre Gegensätze viel leichter vorstellen; sie haben sich den ersten Menschen deshalb zuerst dargeboten und die positiven Namen usurpiert. [90] Wir entgehen überdies einer anderen großen Ursache von 25 Verwirrung, die den Verstand nicht auf sich selbst reflektieren läßt. Wenn wir nämlich nicht zwischen der Einbildungskraft und dem Verfahren des Verstandes unterscheiden, glauben wir, dasjenige, was wir leichter bloß vorstellen, sei uns auch klarer, und wir würden dasjenige, was wir bloß vorstellen, auch begreifen. Infol- 30 gedessen setzen wir voran, was hinterher zu kommen hat; so
Wir bejahen und verneinen viele Dinge, weil deren Bejahung und Verneinung die Natur der Wörter zuläßt, nicht jedoch die Natur der Dinge, so sehr, daß wir, wüßten wir dies nicht, leicht etwas Falsches für wahr hielten. 35 1
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anteponimus, et sic verus ordo progrediendi pervertitur, nec aliquid legitime concluditur.
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[91] Porro,1 ut tandem ad secundam partem hujus methodi perveniamus, proponam primo nostrum scopum in hac methodo, ac deinde media, ut eum attingamus. Scopus itaque est claras et distinctas habere ideas, tales videlicet, quae ex pura mente et non ex fortuitis motibus corporis factae sint. Deinde, omnes ideae ad unam ut redigantur, conabimur eas tali modo concatenare et ordinare, ut mens nostra, quoad ejus fieri potest, referat objective formalitatem Naturae, quoad totam et quoad ejus partes. [92] Quoad primum, ut jam tradidimus, requiritur ad nostrum ultimum finem, ut res concipiatur vel per solam suam essentiam, vel per proximam suam causam. Scilicet si res sit in se, sive, ut vulgo dicitur, causa sui, tum per solam suam essentiam debebit intelligi; si vero res non sit in se, sed requirat causam, ut existat, tum per proximam suam causam debet intelligi: Nam revera cognitio2 effectus nihil aliud est quam perfectiorem causae cognitionem acquirere. [93] Unde nunquam nobis licebit,
Praecipua hujus partis regula est, ut ex prima parte sequitur, recensere omnes ideas, quas ex puro intellectu in nobis invenimus, ut eae ab iis, quas imaginamur, distinguantur; quod ex proprietatibus uniuscujusque, nempe imaginationis et intellectionis, erit eliciendum. 2 Nota, quod hinc appareat nihil nos de Natura posse intelligere, 25 quin simul cognitionem primae causae sive Dei ampliorem reddamus. 20
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wird die richtige Ordnung des Verfahrens verkehrt und nichts auf gültige Weise gefolgert.
[V. Zweiter Teil der Methode] [a) Theorie der Definition] [91] Jetzt nun,1 um endlich auf den zweiten Teil dieser Me- 5 thode zu kommen, will ich zuerst unser Vorhaben in dieser Methode vorstellen und dann die Mittel, es zu erreichen. Das Vorhaben also ist, klare und deutliche Ideen zu haben, nämlich solche, die aus dem reinen Geist entstanden sind und nicht aus den zufälligen Bewegungen des Körpers. Weiter werden wir, damit alle 10 Ideen auf eine einzige zurückgeführt werden, uns bemühen, sie in einer solchen Weise zu verknüpfen und zu ordnen, daß unser Geist, soweit er es vermag, das Ansichsein der Natur, sowohl im Ganzen wie in ihren Teilen, objektiv wiedergibt. [92] Was den ersten Punkt betrifft, so ist es, wie bereits er- 15 wähnt, für unser Endziel erforderlich, daß man ein Ding entweder durch seine Essenz allein oder durch seine nächste Ursache erkennt. Wenn nämlich ein Ding durch sich selbst existiert oder, wie man gemeinhin sagt, Ursache seiner selber ist, dann wird es durch seine Essenz allein begriffen werden müssen. Wenn es aber 20 nicht durch sich selbst existiert, sondern einer Ursache bedarf, damit es existiert, dann muß es durch seine nächste Ursache begriffen werden. Denn in der Tat ist Erkenntnis2 der Wirkung nichts anderes, als daß man eine vollkommenere Erkenntnis seiner Ursache erlangt. [93] Deshalb werden wir, solange wir uns * Die Hauptregel dieses Teils ist, wie aus dem ersten Teil folgt, alle Ideen des reinen Verstandes, die wir in uns finden, zu mustern, damit sie von denen, die wir bloß vorstellend bilden, unterschieden werden; das wird über die Eigenschaften jeder der beiden, nämlich der Einbildungskraft und der Verstandestätigkeit, zu ermitteln sein. 30 2 Beachte, daß daraus folgt, daß wir nichts von der Natur begreifen können, ohne zugleich unsere Erkenntnis der ersten Ursache, d. h. Gottes, zu erweitern. 1
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quamdiu de inquisitione rerum agimus, ex abstractis aliquid concludere, et magnopere cavebimus, ne misceamus ea, quae tantum sunt in intellectu, cum iis, quae sunt in re. Sed optima conclusio erit depromenda ab essentia aliqua particulari affirmativa, sive a vera et legitima definitione. Nam ab axiomatibus solis universalibus non potest intellectus ad singularia descendere, quandoquidem axiomata ad infinita se extendunt, nec intellectum magis ad unum quam ad aliud singulare contemplandum determinant. [94] Quare recta inveniendi via est ex data aliqua definitione cogitationes formare: quod eo felicius et facilius procedet, quo rem aliquam melius definiverimus. Quare cardo totius hujus secundae methodi partis in hoc solo versatur, nempe in conditionibus bonae definitionis cognoscendis, et deinde in modo eas inveniendi. Primo itaque de conditionibus definitionis agam. [95] Definitio ut dicatur perfecta, debebit intimam essentiam rei explicare et cavere, ne ejus loco propria quaedam usurpemus; ad quod explicandum, ut alia exempla omittam, ne videar aliorum errores velle detegere, adferam tantum exemplum alicujus rei abstractae, quae perinde est, quomodocunque definiatur, circuli scilicet: quod si definiatur, esse figuram aliquam, cujus lineae, a centro ad circumferentiam ductae, sunt aequales, nemo non videt talem definitionem minime explicare essentiam circuli, sed tantum ejus aliquam proprietatem. Et quamvis, ut dixi, circa figuras et caetera entia rationis hoc parum referat, multum tamen refert circa entia physica et realia: nimirum, quia proprietates rerum non intelliguntur, quamdiu earum essentiae ignorantur; si autem has praetermittimus, necessario concatenationem intel-
5 axiomatibus] axiomatis
Zweiter Teil der Methode
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mit der Erforschung der [wirklichen] Dinge befassen, nie irgend etwas aus abstrakten Begriffen folgern dürfen, und werden uns dringend davor hüten müssen, dasjenige, das bloß in dem Verstand ist, mit demjenigen zu vermengen, das in der Wirklichkeit ist. Die beste Folgerung wird man aber aus einer Essenz ziehen * müssen, die Aussagen über ein besonderes Ding enthält, oder aus der wahren und gültigen Definition [eines solchen Dinges]. Denn von bloß allgemeinen Grundsätzen kann der Verstand nicht zu einzelnen Dingen herabsteigen, da die Grundsätze sich eben auf unendlich viele Dinge erstrecken und den Verstand 10 nicht dazu bestimmen, ein einzelnes Ding mehr als ein anderes zu betrachten. [94] Der richtige Weg, etwas wissenschaftlich aufzufinden, ist daher, im Ausgang von irgendeiner gegebenen Definition Gedanken zu bilden, was um so erfolgreicher und leichter geschehen wird, je besser wir einen Sachverhalt definiert 15 haben werden. Daher besteht das Herzstück dieses ganzen zweiten Teils der Methode in diesem einen Punkt, nämlich in der Erkenntnis der Bedingungen einer treffenden Definition, und dann in der Weise, diese Bedingungen aufzufinden. Also werde ich zu20 erst die Bedingungen einer Definition zum Thema machen. [95] Damit eine Definition vollkommen genannt werden kann, wird sie die innerste Essenz eines Dinges ausdrücken und * sicherstellen müssen, daß wir nicht gewisse Eigentümlichkeiten an deren Stelle setzen. Zur Erläuterung will ich, um andere Beispiele zu übergehen, die den Anschein erwecken könnten, ich 25 wolle die Irrtümer anderer aufdecken, nur das Beispiel irgendeiner abstrakten Sache heranziehen, bei der dies gilt, wie immer sie definiert wird, nämlich das des Kreises. Wenn man ihn so defi- * niert, daß er eine Figur ist, in der die von dem Mittelpunkt zur Peripherie gezogenen Linien gleich sind, dann sieht jeder, daß 30 diese Definition keineswegs die Essenz des Kreises ausdrückt, sondern bloß eine bestimmte Eigenschaft von ihm. Und obwohl dies, wie gesagt, bei Figuren und anderen Gedankendingen nicht sehr wichtig ist, ist es doch anders bei physischen und wirklichen Seienden, weil die Eigenschaften von Dingen sich selbstverständ- 35 lich nicht begreifen lassen, solange deren Essenzen unbekannt sind. Wenn wir sie übergehen, werden wir zwangsläufig die vom
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lectus, quae Naturae concatenationem referre debet, pervertemus et a nostro scopo prorsus aberrabimus. [96] Ut itaque hoc vitio liberemur, erunt haec observanda in definitione. 1. Si res sit creata, definitio debebit, uti diximus, comprehendere causam proximam. Ex. gr. circulus secundum hanc legem sic esset definiendus: eum esse figuram, quae describitur a linea quacunque, cujus alia extremitas est fixa, alia mobilis, quae definitio clare comprehendit causam proximam. 2. Talis requiritur conceptus rei sive definitio, ut omnes proprietates rei, dum sola, non autem cum aliis conjuncta spectatur, ex ea concludi possint, uti in hac definitione circuli videre est. Nam ex ea clare concluditur, omnes lineas a centro ad circumferentiam ductas aequales esse; quodque hoc sit necessarium requisitum definitionis, adeo per se est attendenti manifestum, ut non videatur operae pretium in ipsius demonstratione morari, nec etiam ostendere ex hoc secundo requisito omnem definitionem debere esse affirmativam. Loquor de affirmatione intellectiva, parum curando verbalem, quae propter verborum penuriam poterit fortasse aliquando negative exprimi, quamvis affirmative intelligatur. [97] Definitionis vero rei increatae haec sunt requisita. 1. Ut omnem causam secludat, hoc est, objectum nullo alio praeter suum esse egeat ad sui explicationem. 2. Ut data ejus rei definitione nullus maneat locus quaestioni, an sit? 3. Ut nulla, quoad mentem, habeat substantiva, quae possint adjectivari, hoc est, ne per aliqua abstracta explicetur. 4. Et ultimo (quamvis hoc notare non sit valde necessarium)
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Verstand [zu leistende] Verknüpfung [der Ideen], die die Verknüpfung [der Dinge] der Natur wiedergeben muß, verkehren und von unserem Vorhaben ganz und gar abirren. [96] Um uns von diesem Fehler freizumachen, wird bei der Definition Fol5 gendes zu beachten sein: 1. Handelt es sich um ein geschaffenes Ding, wird die Definition, wie gesagt, die nächste Ursache erfassen müssen. So wäre beispielsweise der Kreis nach dieser Vorschrift so zu definieren: Er ist eine Figur, die durch eine beliebige Linie, von der das eine Ende fest, das andere beweglich ist, gezeichnet wird. Diese Defi- 10 nition erfaßt in klarer Weise die nächste Ursache. 2. Der Begriff oder die Definition eines Dinges muß so beschaffen sein, daß man alle Eigenschaften dieses Dinges, sofern es für sich allein, nicht aber als mit anderen Dingen verbunden betrachtet wird, aus ihr herleiten kann, wie man es an unserer Defi- 15 nition des Kreises sehen kann. Denn aus ihr folgt klar, daß alle vom Mittelpunkt zur Peripherie gezogenen Linien gleich sind. Daß das eine notwendige Bedingung von Definition ist, ist für den, der darauf achtet, aus sich heraus so evident, daß es nicht der Mühe wert zu sein scheint, sich bei dem Beweis hierfür aufzuhal- 20 ten, und auch nicht, von dieser zweiten Bedingung her zu zeigen, daß jede Definition affirmativ sein muß. Ich rede von der geistigen Affirmation und kümmere mich wenig um die sprachliche, die aus Gründen der Armut der Wörter sich vielleicht manchmal negativer Ausdrücke wird bedienen können, auch wenn sie in af- 25 firmativer Weise verstanden wird. [97] Bei der Definition eines nicht-erschaffenen Dinges sind die Bedingungen hingegen folgende: * 1. Sie muß jede Ursache ausschließen; d. h. der Gegenstand darf zu seiner Erklärung nichts als des eigenen Seins bedürfen. 30 2. Ist die Definition eines solchen Dinges einmal gegeben, darf kein Raum mehr bleiben für die Frage, ob es existiert. 3. Sie darf, in bezug auf den Geist, keine Substantive enthalten, die zu Adjektiven gemacht werden können, also nicht durch ir35 gendwelche abstrakte Begriffe erklärt werden. 4. Und schließlich (obwohl es nicht sehr nötig ist, dies zu vermerken) ist erforderlich, daß aus der Definition dieses Dinges
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requiritur, ut ab ejus definitione omnes ejus proprietates concludantur. Quae etiam omnia attendenti accurate fiunt manifesta. [98] Dixi etiam, quod optima conclusio erit depromenda ab essentia aliqua particulari affirmativa: Quo enim specialior est idea, eo distinctior ac proinde clarior est. Unde cognitio particularium quam maxime nobis quaerenda est. [99] Quoad ordinem vero, et ut omnes nostrae perceptiones ordinentur et uniantur, requiritur, ut, quamprimum fieri potest et ratio postulat, inquiramus, an detur quoddam ens et simul quale, quod sit omnium rerum causa, ut ejus essentia objectiva sit etiam causa omnium nostrarum idearum; et tum mens nostra, uti diximus, quam maxime referet Naturam: Nam et ipsius essentiam, et ordinem et unionem habebit objective. Unde possumus videre apprime nobis esse necessarium, ut semper a rebus physicis, sive ab entibus realibus, omnes nostras ideas deducamus, progrediendo, quoad ejus fieri potest, secundum seriem causarum ab uno ente reali ad aliud ens reale, et ita quidem, ut ad abstracta et universalia non transeamus, sive ut ab iis aliquid reale non concludamus, sive ut ea ab aliquo reali non concludantur: Utrumque enim verum progressum intellectus interrumpit. [100] Sed notandum, me hic per seriem causarum et realium entium non intelligere seriem rerum singularium mutabilium, sed tantummodo seriem rerum fixarum aeternarumque. Seriem enim rerum singularium mutabilium impossibile foret humanae imbecillitati assequi, cum propter earum omnem numerum superantem multitudinem, tum propter infinitas circumstantias in
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alle seine Eigenschaften hergeleitet werden [können]. Für den, der darauf sorgfältig achtet, ist dies alles übrigens evident. [98] Ich habe auch gesagt, daß der beste Schluß aus einer Essenz zu ziehen sein wird, die Aussagen über ein besonderes Ding enthält. Denn je spezieller eine Idee ist, desto deutlicher und 5 folglich desto klarer ist sie. Daher müssen wir im höchsten Maße auf die Erkenntnis der besonderen Dinge aus sein. *
[b) Die Ordnung der Dinge] [99] In Hinsicht auf die Ordnung nun und darauf, daß alle * unsere Wahrnehmungen geordnet und einheitlich verknüpft 10 werden, ist es erforderlich, so schnell wie möglich, die Vernunft fordert dies, zu untersuchen, ob es ein Seiendes gibt, und zugleich, wie beschaffen es ist, das derart Ursache aller Dinge ist, daß seine objektive Essenz auch die Ursache aller unserer Ideen ist. Dann wird unser Geist, wie gesagt, so vollkommen wie mög- 15 lich die Natur wiedergeben; denn er wird sowohl deren Essenz wie deren Ordnung und Einheit in sich objektiv enthalten. Hieraus können wir sehen, daß wir in erster Linie alle unsere Ideen stets von physischen Dingen, d. h. von wirklichem Seienden, ableiten müssen, indem wir soweit wie möglich gemäß der Abfolge 20 der Ursachen von einem wirklichen Seienden zu einem anderen wirklichen Seienden fortschreiten und dies in einer Weise, daß wir nicht zu abstrakten Sachverhalten und allgemeinen Begriffen übergehen, daß wir also weder aus ihnen etwas Wirkliches folgern, noch sie aus etwas Wirklichem herleiten. Denn das eine wie 25 das andere unterbricht das richtige Fortschreiten des Verstandes. [100] Es ist freilich zu beachten, daß ich hier unter der Abfolge der Ursachen und des wirklichen Seienden nicht die Abfolge der veränderlichen Einzeldinge verstehe, sondern allein die Abfolge von festen und ewigen Dingen. Die Abfolge der verän- 30 derlichen Einzeldinge zu erfassen, wäre in der Tat angesichts der menschlichen Beschränktheit unmöglich, sowohl wegen der jede Zahl übersteigenden Menge dieser Dinge als auch wegen der unendlich vielen Gegebenheiten, denen ein und dasselbe Ding
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Tractatus de intellectus emendatione · [100–102]
una et eadem re, quarum unaquaeque potest esse causa, ut res existat aut non existat; quandoquidem earum existentia nullam habet connexionem cum earundem essentia, sive (ut jam diximus) non est aeterna veritas. [101] Verumenimvero neque etiam opus est ut earum seriem intelligamus: siquidem rerum singularium mutabilium essentiae non sunt depromendae ab earum serie sive ordine existendi; cum hic nihil aliud nobis praebeat praeter denominationes extrinsecas, relationes, aut ad summum circumstantias; quae omnia longe absunt ab intima essentia rerum. Haec vero tantum est petenda a fixis atque aeternis rebus et simul a legibus in iis rebus, tanquam in suis veris codicibus, inscriptis, secundum quas omnia singularia et fiunt et ordinantur; imo haec mutabilia singularia adeo intime atque essentialiter (ut sic dicam) ab iis fixis pendent, ut sine iis nec esse nec concipi possint. Unde haec fixa et aeterna, quamvis sint singularia, tamen ob eorum ubique praesentiam ac latissimam potentiam erunt nobis tanquam universalia sive genera definitionum rerum singularium mutabilium, et causae proximae omnium rerum. [102] Sed, cum hoc ita sit, non parum difficultatis videtur subesse, ut ad horum singularium cognitionem pervenire possimus: nam omnia simul concipere res est longe supra humani intellectus vires. Ordo autem, ut unum ante aliud intelligatur, uti diximus, non est petendus ab eorum existendi serie, neque etiam a rebus aeternis. Ibi enim omnia haec sunt simul natura. Unde alia auxilia necessario sunt quaerenda praeter illa, quibus utimur ad res aeternas earumque leges intelligendum; attamen non est hujus loci ea tradere, neque etiam opus est, nisi postquam rerum aeternarum earumque infallibilium legum sufficientem acquisiverimus cognitionem, sensuumque nostrorum natura nobis innotuerit.
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unterliegt, von denen jede Ursache dafür sein kann, daß dieses Ding existiert oder nicht existiert. Denn die Existenz dieser Dinge hat keine Verknüpfung mit deren Essenz, anders formuliert (wie schon gesagt): sie ist keine ewige Wahrheit. [101] Tatsächlich brauchen wir ihre Abfolge aber auch gar nicht 5 zu begreifen, weil die Essenzen der veränderlichen Einzeldinge nicht aus der Abfolge oder Ordnung ihres Existierens zu gewinnen sind, legt diese uns doch nichts anderes dar als äußere Bezeichnungen, Beziehungen oder allenfalls Randbedingungen, was alles weit entfernt ist von der innersten Essenz der Dinge. 10 Diese ist vielmehr allein den festen und ewigen Dingen zu entnehmen und zugleich den Gesetzen, die in diesen Dingen als in ihren wahren Gesetzbüchern eingeschrieben sind, denen gemäß alle Einzeldinge sowohl sich ereignen als auch sich aneinanderreihen. Die veränderlichen Einzeldinge hängen sogar so innig 15 und essentiell (um mich so auszudrücken) von jenen festen Dingen ab, daß sie ohne diese weder sein noch erkannt werden können. Daher werden die genannten festen und ewigen Dinge, obschon sie einzelne sind, dennoch wegen ihrer Allgegenwart und ihrer uneingeschränkten höchsten Macht für uns wie Allge- 20 meinheiten oder Gattungen für die Definitionen der veränderlichen Einzeldinge sein und so auch die nächsten Ursachen aller Dinge. * [102] Doch scheint es, da dies so ist, ziemlich schwierig zu sein, zur Erkenntnis der [veränderlichen] Einzeldinge zu gelan- 25 gen; denn alle auf einmal zu erkennen, ist etwas, das die Kräfte * des menschlichen Verstandes weit übersteigt. Die Ordnung, in der ein Ding vor einem anderen zu begreifen ist, ist, wie gesagt, nicht der Abfolge, in der sie existieren, zu entnehmen, aber auch nicht den ewigen Dingen; in bezug darauf nämlich sind alle diese 30 Dinge ihrer Natur nach gleichzeitig. Daher müssen wir noch andere Hilfsmittel suchen außer denen, deren wir uns zum Begreifen der ewigen Dinge und deren Gesetze bedienen. Jedoch ist hier nicht der Ort, sie mitzuteilen, und es ist auch nicht erforderlich, bevor wir eine zureichende Erkenntnis der ewigen Dinge 35 und ihrer untrüglichen Gesetze erlangt haben und die Natur unserer Sinne uns bekannt geworden ist.
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Tractatus de intellectus emendatione · [103–105]
[103] Antequam ad rerum singularium cognitionem accingamur, tempus erit, ut ea auxilia tradamus, quae omnia eo tendent, ut nostris sensibus sciamus uti et experimenta certis legibus et ordine facere, quae sufficient ad rem, quae inquiritur, determinandam, ut tandem ex iis concludamus, secundum quasnam rerum aeternarum leges facta sit, et intima ejus natura nobis innotescat, ut suo loco ostendam. Hic, ut ad propositum revertar, tantum enitar tradere, quae videntur necessaria, ut ad cognitionem rerum aeternarum pervenire possimus, earumque definitiones formemus conditionibus supra traditis. [104] Quod ut fiat, revocandum in memoriam id, quod supra diximus, nempe quod, ubi mens ad aliquam cogitationem attendit, ut ipsam perpendat bonoque ordine ex ea deducat, quae legitime sunt deducenda, si ea falsa fuerit, falsitatem deteget; sin autem vera, tum feliciter perget sine ulla interruptione res veras inde deducere; hoc, inquam, ad nostram rem requiritur. Nam ex nullo fundamento cogitationes nostrae terminari queunt. [105] Si igitur rem omnium primam investigare velimus, necesse est dari aliquod fundamentum, quod nostras cogitationes eo dirigat. Deinde, quia methodus est ipsa cognitio reflexiva, hoc fundamentum, quod nostras cogitationes dirigere debet, nullum aliud potest esse quam cognitio ejus, quod formam veritatis constituit, et cognitio intellectus ejusque proprietatum et virium: hac enim acquisita fundamentum habebimus, a quo nostras cogitationes deducemus, et viam, qua intellectus, prout ejus fert capacitas, pervenire poterit ad rerum aeternarum cognitionem, habita nimirum ratione virium intellectus.
15 feliciter] feciliter 17 nullo fundamento] Gebhardt liest nullo alio fundamento und determinari statt terminari
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[103] Bevor wir uns zur Erkenntnis der Einzeldinge rüsten, wird es an der Zeit sein, jene Hilfsmittel, die alle darauf abzielen, daß wir unsere Sinne zu gebrauchen verstehen und nach bestimmten Gesetzen und in gehöriger Ordnung Experimente anstellen, insoweit anzugeben, als es für die Bestimmung des Din- 5 ges, das wir erforschen, geboten ist, um endlich daraus zu schließen, gemäß welchen Gesetzen der ewigen Dinge es bewirkt ist, d. h. damit seine innerste Natur uns bekannt wird, wie ich dies an seinem Ort zeigen werde. Hier nun, um zu unserer Aufgabe zurückzukehren, will ich mich nur bemühen, das anzugeben, was 10 nötig zu sein scheint, um zur Erkenntnis der ewigen Dinge gelangen zu können und um deren Definitionen den oben genannten Bedingungen gemäß zu bilden. * [104] Hierfür müssen wir uns das oben Gesagte ins Gedächtnis rufen, daß nämlich der Geist, wenn er auf irgendeinen Gedan- 15 ken seine Aufmerksamkeit richtet, um ihn gründlich zu erwägen und um aus ihm in gehöriger Ordnung dasjenige herzuleiten, was sich berechtigterweise herleiten läßt, die Falschheit dieses Gedankens, sofern er falsch gewesen ist, entdeckt, daß er aber bei einem wahren Gedanken erfolgreich fortfährt, aus ihm ohne jede 20 Unterbrechung Dinge in ihrer Wahrheit herzuleiten. Das ist, sage ich, für unseren Gegenstand unabdingbar. Denn es gibt kein Fundament, von dem her unsere Gedanken begrenzt werden können. [105] Wenn wir also das erste von allen Dingen erfor- * schen wollen, muß es irgendein Fundament geben, das unsere 25 Gedanken auf es lenkt. Weil ferner die Methode die reflexive Erkenntnis selbst ist, kann dieses Fundament, das unsere Gedanken zu lenken hat, nichts anderes sein als die Erkenntnis dessen, was die Form der Wahrheit ausmacht, und die Erkenntnis des Verstandes und seiner Eigenschaften und Kräfte. Haben wir diese * [Erkenntnis] nämlich erreicht, dann werden wir das Fundament haben, aus dem wir unsere Gedanken ableiten werden, und auch den Weg, auf dem der Verstand, nach Maßgabe seiner Reichweite, zur Erkenntnis der ewigen Dinge wird gelangen können, 35 wohlgemerkt unter Berücksichtigung der ihm eigenen Kräfte.
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Tractatus de intellectus emendatione · [106–108]
[106] Quod si vero ad naturam cogitationis pertineat veras formare ideas, ut in prima parte ostensum, hic jam inquirendum, quid per vires et potentiam intellectus intelligamus. Quoniam vero praecipua nostrae methodi pars est vires intellectus ejusque naturam optime intelligere, cogimur necessario (per ea, quae in hac secunda parte methodi tradidi) haec deducere ex ipsa cogitationis et intellectus definitione. [107] Sed hucusque nullas regulas inveniendi definitiones habuimus, et quia eas tradere non possumus, nisi cognita natura sive definitione intellectus ejusque potentia, hinc sequitur, quod vel definitio intellectus per se debet esse clara, vel nihil intelligere possumus. Illa tamen per se absolute clara non est; attamen quia ejus proprietates, ut omnia, quae ex intellectu habemus, clare et distincte percipi nequeunt, nisi cognita earum natura: ergo definitio intellectus per se innotescet, si ad ejus proprietates, quas clare et distincte intelligimus, attendamus. Intellectus igitur proprietates hic enumeremus easque perpendamus, deque nostris innatis instrumentis1 agere incipiamus. [108] Intellectus proprietates, quas praecipue notavi et clare intelligo, hae sunt. 1. Quod certitudinem involvat, hoc est, quod sciat res ita esse formaliter, ut in ipso objective continentur. 2. Quod quaedam percipiat, sive quasdam formet ideas absolute, quasdam ex aliis. Nempe quantitatis ideam format absolute, nec ad alias attendit cogitationes; motus vero ideas non nisi attendendo ad ideam quantitatis. 3. Quas absolute format, infinitatem exprimunt; at determi-
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Vide supra pag. 26, 28 et seqq.
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[c) Die Eigenschaften des Verstandes] [106] Wenn es aber zur Natur des Denkens gehört, wahre Ideen zu bilden, wie das im ersten Teil gezeigt worden ist, ist jetzt zu untersuchen, was unter den Kräften und der Macht des Verstandes zu verstehen ist. Weil es ja tatsächlich die wichtigste Seite 5 unserer Methode ist, die Kräfte des Verstandes und seine Natur trefflich zu begreifen, müssen wir notwendigerweise (gemäß dem, was ich in diesem zweiten Teil der Methode dargelegt habe) dies aus der Definition des Denkens und des Verstandes selbst herleiten. [107] Aber bisher haben wir noch keine Regeln ge- 10 habt, Definitionen aufzufinden, und da wir solche nicht aufstellen können ohne Kenntnis der Natur, d. h. der Definition des Verstandes und seiner Macht, ergibt sich, daß entweder die Definition des Verstandes durch sich selbst klar sein muß, oder daß wir nichts [von der Natur des Verstandes] begreifen können. 15 Nun ist sie zwar aus sich heraus nicht völlig klar; weil wir jedoch die Eigenschaften des Verstandes (wie alles, was wir aus ihm haben) nicht klar und deutlich erfassen können, wenn wir nicht deren Natur erkannt haben, so wird die Definition des Verstandes durch sich selbst einleuchten, wenn wir auf dessen Eigenschaf- 20 ten, die wir klar und deutlich begreifen, achten. Daher wollen wir hier die Eigenschaften des Verstandes aufzählen, sie gründlich untersuchen und somit damit beginnen, von unseren angeborenen Werkzeugen1 zu handeln. * [108] Die Eigenschaften des Verstandes, die ich vornehmlich 25 bemerkt habe und die ich klar begreife, sind folgende: * 1. Er schließt die Gewißheit in sich, d. h. er weiß, daß die Dinge so an sich sind, wie sie in ihm objektiv enthalten sind. 2. Er nimmt etliche Dinge wahr, und zwar so, daß er manche Ideen in unbedingter Weise, manche aus anderen Ideen bildet. So 30 bildet er die Idee der Quantität in unbedingter Weise, nämlich unbezüglich auf andere Gedanken, die Ideen der Bewegung aber nicht, sondern in bezug auf die Idee der Quantität. 3. Diejenigen Ideen, die er in unbedingter Weise bildet, drük1
Vgl. oben S. 27, 29 und ff.
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natas ex aliis format. Ideam enim quantitatis, si eam per causam percipit, tum quantitatem determinat, ut cum ex motu alicujus plani corpus, ex motu lineae vero planum, ex motu denique puncti lineam oriri percipit; quae quidem perceptiones non inserviunt ad intelligendam, sed tantum ad determinandam quantitatem. Quod inde apparet, quia eas quasi ex motu oriri concipimus, cum tamen motus non percipiatur nisi percepta quantitate, et motum etiam ad formandam lineam in infinitum continuare possumus, quod minime possemus facere, si non haberemus ideam infinitae quantitatis. 4. Ideas positivas prius format quam negativas. 5. Res non tam sub duratione, quam sub quadam specie aeternitatis percipit, et numero infinito; vel potius ad res percipiendas, nec ad numerum nec ad durationem attendit: cum autem res imaginatur, eas sub certo numero, determinata duratione et quantitate percipit. 6. Ideae, quas claras et distinctas formamus, ita ex sola necessitate nostrae naturae sequi videntur, ut absolute a sola nostra potentia pendere videantur; confusae autem contra. Nobis enim invitis saepe formantur. 7. Ideas rerum, quas intellectus ex aliis format, multis modis mens determinare potest: ut ad determinandum ex. gr. planum ellipseos fingit stylum chordae adhaerentem circa duo centra moveri, vel concipit infinita puncta eandem semper et certam rationem ad datam aliquam rectam lineam habentia, vel conum plano aliquo obliquo sectum, ita ut angulus inclinationis major sit angulo verticis coni, vel aliis infinitis modis.
1–2 si . . . quantitatem] Gebhardt liest si per causam percipit, tum eam per quantitatem (Fehlkorrektur nach NS)
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ken Unendlichkeit aus; die begrenzten hingegen bildet er aus anderen [Ideen]. Wenn er die Idee einer Quantität durch eine Ursache wahrnimmt, dann begrenzt er die Quantität, beispielsweise wenn er das Entstehen eines Körpers aus der Bewegung einer Fläche, das der Fläche aus der Bewegung einer Linie und schließlich das der Linie aus der Bewegung eines Punktes wahrnimmt. Diese Wahrnehmungen dienen indes nicht dazu, die Quantität zu begreifen, sondern nur dazu, sie zu begrenzen. Das ist daraus offenbar, daß wir sie gewissermaßen als aus der Bewegung entstehend erkennen, während doch die Bewegung nur wahrgenommen wird, wenn die Quantität schon wahrgenommen ist, und auch daraus, daß wir die Bewegung zum Erzeugen einer Linie ins Unendliche fortsetzen können, was wir keineswegs tun könnten, hätten wir nicht schon die Idee der unendlichen Quantität. 4. Er bildet positive Ideen früher als negative. 5. Er nimmt die Dinge nicht so sehr unter [dem Aspekt] der Dauer, als unter einem bestimmten Aspekt der Ewigkeit und einer unendlichen Zahl wahr, oder vielmehr: er achtet, um die Dinge wahrzunehmen, weder auf Zahl noch auf Dauer; wenn er die Dinge hingegen bloß vorstellt, dann nimmt er sie unter [dem Aspekt] einer bestimmten Zahl sowie bestimmter Dauer und Quantität wahr. 6. Die Ideen, die wir klar und deutlich bilden, scheinen allein aus der Notwendigkeit unserer Natur so zu folgen, daß sie in unbedingter Weise von unserer Macht allein abzuhängen scheinen. Für verworrene Ideen gilt das Gegenteil. Denn sie bilden sich uns oft wider Willen. 7. Die Ideen der Dinge, die der Verstand aus anderen [Ideen] bildet, kann der Geist auf vielfache Art bestimmen. Um z. B. eine elliptische Fläche zu bestimmen, entwirft er fiktiv, daß sich ein Stift, der an einer Schnur hängt, um zwei Mittelpunkte bewegt, oder er denkt sich unendlich viele Punkte, die immer dasselbe bestimmte Verhältnis zu einer gegebenen geraden Linie haben, oder einen Kegel, der von einer schrägen Fläche so durchschnitten ist, daß der Neigungswinkel größer ist als der der Kegelspitze, oder auf unendlich viele andere Weisen.
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8. Ideae, quo plus perfectionis alicujus objecti exprimunt, eo perfectiores sunt. Nam fabrum, qui fanum aliquod excogitavit, non ita admiramur ac illum, qui templum aliquod insigne excogitavit. [109] Reliqua, quae ad cogitationem referuntur, ut amor, laetitia, etc. nihil moror: nam nec ad nostrum institutum praesens faciunt, nec etiam possunt concipi nisi percepto intellectu. Nam perceptione omnino sublata ea omnia tolluntur. [110] Ideae falsae et fictae nihil positivum habent (ut abunde ostendimus), per quod falsae aut fictae dicuntur; sed ex solo defectu cognitionis ut tales considerantur. Ideae ergo falsae et fictae, quatenus tales, nihil nos de essentia cogitationis docere possunt; sed haec petenda ex modo recensitis proprietatibus positivis, hoc est, jam aliquid commune statuendum est, ex quo hae proprietates necessario sequantur, sive quo dato hae necessario dentur et quo sublato haec omnia tollantur. Reliqua desiderantur.
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8. Ideen sind um so vollkommener, je größer die Vollkommenheit des Gegenstandes ist, den sie ausdrücken. Den Baumeister, der irgendeine Kapelle entworfen hat, bewundern wir nämlich nicht so sehr wie jenen, der ein großartiges Gotteshaus entwor5 fen hat. [109] Bei den anderen Momenten, die sich auf das Denken beziehen, wie Liebe, Freude usw., will ich mich nicht aufhalten, haben sie doch mit unserem gegenwärtigen Unternehmen nichts zu tun; auch können sie nicht erkannt werden ohne eine Theorie des Verstandes. Ist die Wahrnehmung nämlich überhaupt aufgeho- 10 ben, dann sind es all diese Sachverhalte auch. * [110] Falsche und fingierte Ideen haben (wie wir zur Genüge gezeigt haben) nichts Positives, dessentwegen sie falsch oder fingiert genannt werden; allein im Hinblick auf einen Mangel der Erkenntnis werden sie als solche angesehen. Falsche und fin- 15 gierte Ideen können uns deshalb als falsche bzw. fingierte nichts über die Essenz des Denkens lehren; sie muß vielmehr aus den soeben dargelegten positiven Eigenschaften gewonnen werden, was wiederum heißt, daß jetzt etwas Gemeinsames in den Blick zu bringen ist, aus dem diese Eigenschaften notwendigerweise 20 folgen, d. h. etwas, mit dem, wenn es gegeben ist, sie notwendigerweise auch gegeben werden, und mit dem, wenn es aufgehoben ist, sie alle auch aufgehoben werden. * Ende des erhaltenen Textes.
A N M E R KU N G E N D E S H ER A U S G E B E R S
Seite 1, Zeile 8 Die niederländische Übersetzung hat als Untertitel: »und zugleich über das Mittel (middel), um ihn vollkommen zu machen«. Wahrscheinlich ist der Untertitel eine Zutat der Herausgeber. 3,1 Die »Erinnerung« ist wahrscheinlich von J. Jelles auf niederländisch verfaßt und von L. Meyer ins Lateinische übersetzt. Man kann ihr die Rechtfertigung dafür entnehmen, daß L. Meyer als Herausgeber in den Text stilistisch eingegriffen hat. Vgl. F. Akkerman, La latinite´ . . . (1987). 7,4 Zur Komposition der Einleitung, die mit einem »ich« einsetzt, vgl. neben Th. Zweerman, Spinozas Inleiding (1983) jetzt vor allem P.-F. Moreau, Spinoza . . . (1994). Was Spinoza hier anführt, ist freilich so allgemein gehalten, daß nicht von einem autobiographischen Bericht gesprochen werden kann. Man sollte allerdings Spinozas Herkunft aus dem Kaufmanns-Milieu nicht unbeachtet lassen (vgl. hierzu G. van Suchtelen, Mercator sapiens Amstelodamensis. In: E. Giancotti (Hg.), Proceedings of the first italian international congress on Spinoza, Neapel 1985, S. 527–537). 7,32 Reichtum, Ehre und Vergnügen ist eine traditionelle Trias, unter der die Nichtigkeit und Vergänglichkeit menschlichen Lebens gefaßt wird. 9,27 Die Einsicht in die Unverträglichkeit von scheinbarem und wahrem Gut nötigt das Subjekt zu einer Entscheidung zwischen beiden, die aus jener Einsicht nicht schon folgt. Spinoza knüpft hier an Descartes an. Er beschreibt jetzt den Prozeß eines Meditierens. 9,36 Der Ausdruck »propter augmentum scientiarum et artium« verweist auf Bacon (vgl. De dignitate . . ., I, 81). 11,16 »Erhaltung unseres Seins« (nostrum esse conservandum) ist in einer alltäglichen Weise gebraucht, ohne daß damit ontologische Implikationen verbunden wären. Der Terminus, der in der »Ethik« von zentraler Bedeutung ist, wird hier nicht weiter verfolgt. 11,31 In der »Kurzen Abhandlung . . .« (11,14) verweist Spinoza auf die Unstabilität des affektiven Lebens, die sich aus dem Bezug zu der Vergänglichkeit der Objekte als den Gegenständen der Affekte ergibt.
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13,5 Auch dies hebt Spinoza in der »Kurzen Abhandlung . . .« an derselben Stelle hervor. Der Sachverhalt wird hier unvermittelt eingeführt. Inwiefern die mit ihm verbundene Einsicht eine Kraft gegenüber den Leidenschaften hat, bleibt deshalb ungeklärt. Es hat den Anschein, als ob Spinoza hier die dritte Erkenntnisart im Blick hat, die gegenüber dem tatsächlichen Begehren noch abstrakt ist. 13,12 Die Überlegungen nehmen eine entscheidende Wendung durch die Einsicht, daß allein das subjektive Nachdenken, die Haltung des theoretischen Durchdringens, sich schon als Gegenmittel gegen die Leidenschaften erweist, und zwar, »solange« (quamdiu) der Akt des Nachdenkens vollzogen wird. Descartes hat die Selbstgewißheit des »Ich denke« an diesen Vollzug gebunden (vgl. Meditationes II,3). Spinoza läßt jedoch diesen Akt im Hinblick auf ein von ihm Verschiedenes wirksam sein: in der Erkenntnis leidenschaftlichen Begehrens vermag der Mensch mit diesem Begehren besser umzugehen; er erkennt, inwiefern es ihm auch von Nutzen ist. 13,27 Einschub einer schon in der »Kurzen Abhandlung . . .« (I, 10) entwickelten Theorie der Relativität der Begriffe »gut« und »schlecht«, denen keine ontologische Bedeutung zukommt. Sie sind lediglich relativ auf einen die Dinge vergleichenden menschlichen Verstand. In der »Ethik« hat Spinoza diese Theorie unverändert übernommen (vgl. IV praef.). Hier findet sie sich im Anschluß an die Überlegung, daß Leidenschaften gut sein können im Hinblick auf ein Ziel, das es zu erreichen gilt (Abschn. [11]). 15,7 Das wahre Gut kann gemäß der zuvor gegebenen Bestimmung von »gut« nicht mehr als ein Mittel sein, das tauglich ist, ein Ideal zu realisieren. Dieses Ideal ist ein bloß gedanklicher Entwurf, dessen der Mensch angesichts seiner Schwäche, die wahren Zusammenhänge zu erkennen, aber bedarf, um ein Ziel für seine Orientierung zu haben. Die Notwendigkeit einer solchen Konzeption betont noch die »Ethik« (IV praef.). Der ideelle Entwurf einer allgemeinen menschlichen Natur hat dort wie hier etwas im Blick, das den Menschen gemeinsam ist. Das höchste Gut wird dabei so bestimmt, daß es die Realisierung dieses Ideals ist, nämlich sich einer solchen Natur zu erfreuen, was dann konsequenterweise nur in der Gemeinschaft mit anderen Individuen geschehen kann. Die Verfaßtheit dieser realisierten menschlichen Natur wird, wie Spinoza hier ankündigt, in der »Ethik« aufgezeigt (vgl. IV prop. 29–37). 15,12 Der Hinweis auf die Einheit des Geistes mit der Natur im Ganzen zeugt von einer noch unklaren Position, wie sie Spinoza in der »Kurzen Abhandlung . . .« hinsichtlich einer Einheit des Geistes
Anmerkungen des Herausgebers
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mit Gott vertreten hat (vgl. hierzu meine Einleitung zu der Ausgabe in der Phil. Bibl. Bd. 91, S. XXVII f.). Stärker auf die »Ethik« bezogen ist der Hinweis, daß zu der menschlichen Natur die Erkenntnis dessen, was die eigene Natur ausmacht, gehört (vgl. Eth. IV prop. 28: »Das höchste Gut des Geistes ist die Erkenntnis Gottes«). Mit dieser Erkenntnis ist eine Selbstzufriedenheit des Geistes verbunden (Eth. V, prop. 27), in der er sich der eigenen Natur erfreut, die er als Erkennen begriffen hat. Mit der vollkommenen Erkenntnis ist zugleich jener Mangel beseitigt, der den Menschen eine allgemeine Idee des Menschen konzipieren läßt, die aber solange nötig ist, wie er eine solche Erkenntnis noch nicht hat. Läßt sich in dieser Erkenntnis allein jene Gemeinschaft der Menschen realisieren, dann ist die Gemeinschaft ebendeshalb nur ein Ideal. Daraus kann gefolgert werden, daß das in Abschn. [14] Erwähnte ein bloßes Mittel ist, jenem Ideal sich anzunähern, daß es also zwar ein »wahres Gut« ist, aber nicht das höchste Gut, das ja kein »Gut« mehr ist in dem definierten Sinn von »gut«. Sowohl die Physik in der Beschränktheit ihres Wissens von der Natur wie die Politik in dem Bezug auf das faktische Wissen der vielen Menschen gehören insofern in das Feld der Erörterung bloßer Mittel. 15,23 Spinoza nennt in lockerer Aufzählung, um welche Einzelwissenschaften man sich zu kümmern hat, deren untergeordnete Bedeutung er angesichts seines Programms hervorhebt. Klever hebt demgegenüber in seinem Kommentar zu sehr auf eine Theorie von Wissenschaft ab, in deren Dienst Spinoza angeblich das Programm einer mißlingenden separaten Methodenlehre stelle. 15,36 Da die Wissenschaften nur den Charakter eines Mittels haben, genügt es, sie lediglich aufzuzählen, ohne sie aus einem Prinzip deduzieren zu müssen. Freilich macht es ihr Charakter, daß eine solche Deduktion auch gar nicht möglich ist. Das cartesische Programm einer Herleitung der Wissenschaften aus der Metaphysik (vgl. Descartes, Schreiben an Picot, den Übersetzer der »Principia philosophiae«, Phil. Bibl. Bd. 28, S. XLI f.) hat Spinoza nicht verfolgt, weil er den Wissenschaften eine andere Stellung zugewiesen hat. 17,1 Das Programm, den Verstand zu heilen, steht über allem, d. h. über den Einzelwissenschaften. Es ist dem vorzüglichsten Mittel auf dem Weg zu der Realisierung der höchsten menschlichen Vollkommenheit gewidmet, und die Einzelwissenschaften haben ihre Einheit allein im Hinblick auf dieses Ziel. – Die Wendung »den Verstand reinigen« (expurgare intellectum) ist Bacon entlehnt (Nov. org. I, 115;
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Anmerkungen des Herausgebers
II, 32), desgleichen die Wendung »die Wissenschaften haben nur ein Ziel« (finis in scientiis est unicus; vgl. Nov. org. I, 82), der Gehalt der Wendungen aber gegen Bacon gerichtet. 17,11 Die im voraus anzunehmenden Lebensregeln erinnern an Descartes’ Konzeption einer »morale provisoire« im »Discours de la Me´thode«, Teil III. Allerdings ist nicht zu sehen, daß diese Regeln für Spinoza »vorläufig« wären. In ihrer begrenzten Funktion sind sie definitiv. Sie nehmen auf die eingangs genannten drei Güter Ehre, Vergnügen, Reichtum, die Menschen gewöhnlich erstreben, Bezug. Regel 2 und 3 sind schon wegen ihrer Trivialität definitiv. Regel 1 ist nicht trivial, sondern raffiniert; sie enthält das Programm einer rhetorischen Beeinflussung der Unvernünftigen, von dessen Endgültigkeit sich Spinoza wenn nicht hier, so doch später, wie der »TheologischPolitische Traktat« und auch der späte »Politische Traktat« zeigen, überzeugt hat (vgl. hierzu Y. Yovel, Spinoza and other heretics, Bd. I, Princeton 1989, Kap. 5: »Spinoza, the multitude, and dual language«). 17,31 Spinoza gibt eine Typologie von Weisen des Wahrnehmens, die nicht hergeleitet werden, sondern als faktisch vorhanden aufgegriffen werden. Ihr gemeinsames Merkmal ist die Zweifelsfreiheit, die relativ auf den Sachverhalt ist, der Gegenstand der jeweiligen Wahrnehmung ist. Sie lassen sich hinsichtlich ihrer Tauglichkeit für das Programm Spinozas also nicht dadurch unterscheiden, inwiefern ihr Inhalt einem (cartesischen) Zweifel ausgesetzt werden kann. Ihr Unterschiedsmerkmal ist vielmehr die unterschiedliche Form der mit ihnen verbundenen Gewißheit. Vgl. zu diesem Punkt G. Stemann, Die vier »modi percipiendi« . . . (1976). – »Wahrnehmen« (percipere) bzw. »Wahrnehmung« (perceptio) sind neutrale Ausdrücke für das mentale Erfassen von Sachverhalten; ihm synonym ist der Ausdruck »Idee« (idea). 19,7 Die Tafel der Wahrnehmungsweisen findet sich schon in der »Kurzen Abhandlung . . .« und später in der »Ethik«. In der »Kurzen Abhandlung . . .« (II, 1) unterscheidet Spinoza zwischen Meinung (»waan«), die er in Erfahrung und Hörensagen unterteilt, Überzeugung (»geloof«) und klare und deutliche Erkenntnis (»klare en onderscheide bevatting«), in der »Ethik« (II, prop. 40, schol. 2) zwischen Einbildungskraft (»imaginatio«), die er in Erkenntnis aus unbestimmter Erfahrung (»experientia vaga«) und aus Zeichen (»signo«) unterteilt, Vernunft (»ratio«) und intuitiver Erkenntnis (»scientia intuitiva«). Die beiden anderen Werke fassen also die erste und zweite Wahrnehmungsart unserer Abhandlung terminologisch
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einheitlich zusammen und kommen so nur zu drei unterschiedlichen Formen. Die Vierteilung, in der die »experientia vaga« eigens hervorgehoben wird, mag durch den Hinblick auf Bacon bedingt sein, dessen Theorie der experientia vaga (vgl. Nov. org. I, 100) zum Gegenstand der Kritik wird. 19,9 Hobbes spricht von der Beliebigkeit einer Zeichengebung, die unserer Orientierung dient, ohne daß ihr ein Sachverhalt in der Natur korrespondiert (»signa arbitraria«, De corpore II, 5). 19,15 An der unbestimmten Erfahrung hebt Spinoza zunächst das negative Merkmal des Fehlens einer Verstandesaktivität hervor, dann erst das positive einer internen Stabilität, das den Anschein von Objektivität zu erwecken vermag (im Empirismus David Humes wird dieses Merkmal umfassend entwickelt werden). 19,18 Auch diese Wahrnehmungsweise wird negativ charakterisiert, nämlich über einen mangelnden Bezug auf die Essenz eines Dinges, die nicht adäquat erkannt wird, wenn sie bloß aus etwas anderem erschlossen wird, sei es aus einer Ursache im Ausgang von der Wirkung, sei es aus einem abstrakt Allgemeinen. 19,24 Die vierte Wahrnehmungsweise erkennt ein Ding durch dessen Essenz oder aus einer Ursache, die dem Ding nicht äußerlich ist. Die hier angedeutete Theorie eines Wahrnehmens, das ein Ding in dessen inneren Bestimmungen erfaßt, verdeutlicht Spinoza über die Wendung eines »per« im Unterschied zu dem »ab« oder »ex« der anderen Wahrnehmungsweisen. Vgl. hierzu Rousset in seinem Kommentar (S. 185). – Daß es so etwas wie die »Essenz« eines Dinges gibt, durch die ein Ding an ihm selbst bestimmt ist, nimmt Spinoza hier mit einer Selbstverständlichkeit an; den Mangel der dritten Wahrnehmungsweise hat er im Hinblick darauf erläutert. 19,26 Spinoza kann von Wissen (scire) sprechen, da er als Merkmal des Wahrnehmens in Abschn. [18] die Zweifelsfreiheit angegeben hat. Es handelt sich um ein für die alltägliche Lebenspraxis hinreichendes Wissen, an dem in cartesischer Manier zu zweifeln müßig ist. 21,7 Sätze von leerer Allgemeinheit (»der Mensch ist ein vernunftbegabtes Tier«) resultieren aus verworrenen Erfahrungen. Sie operieren mit »allgemeinen Begriffen« (notiones universales), die Spinoza in der »Ethik« von den wahrhaft allgemeinen Begriffen, die den Dingen gemeinsam sind (notiones communes), scharf unterscheidet (Eth. II, prop. 40, schol. 1 und 2). 21,14 Eine Theorie der notiones communes als des Gegenstandes der vernünftigen Erkenntnis (ratio) hat Spinoza hier noch nicht. Vgl. hierzu G. Deleuze, La philosophie pratique de Spinoza, Paris 1981. –
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Anmerkungen des Herausgebers
Der Schluß von einer Wirkung auf die Ursache ist in der »Ethik« nicht Kennzeichen der ratio, sondern der imaginatio. Und der Schluß aus einem Allgemeinen bleibt, wie die 2. Anmerkung zeigt, durch das Verfahren, in dem Allgemeinbegriffe gewonnen werden, belastet. Deshalb erscheint das rationale Verfahren als durch die zu bloßen notiones universales gelangende Einbildungskraft gefährdet. 23,2 Erst im Zusammenhang mit der vierten Wahrnehmungsweise spricht Spinoza von der Erkenntnis (cognitio) einer Sache. Das erste Beispiel für eine intuitive Erkenntnis ist Thema der Erörterung dieser Abhandlung. Das zweite Beispiel einer Erkenntnis der Vereinigung von Seele und Körper findet in der Abhandlung keine Explikation. Erst die »Ethik« thematisiert den Bezug des menschlichen Geistes (mens humana) auf den Körper. Dort zeigt Spinoza, daß die ontologische Basis der Vereinigung des Geistes mit dem Körper der Tatbestand ist, daß der Geist die Idee des Körpers ist (Eth. II, prop. 13, schol.). Er zeigt aber zugleich, daß damit der Geist noch nicht weiß, was diese Einheit ist. In Eth. II, prop. 13, schol. kündigt Spinoza an, daß sie sich erst adäquat begreifen läßt, wenn man die Natur des menschlichen Körpers adäquat erkennt. Doch wird diese Ankündigung in der »Ethik« nicht eingelöst; vielmehr wird gezeigt, daß der Mensch von der Natur seines Körpers im Medium der ratio nur eine abstrakte Erkenntnis zu haben vermag und daß die intuitive Erkenntnis der Essenz des Geistes eine Erkenntnis ist, in der der Geist sich nicht in der Relation zum Körper erfährt (Eth. V prop. 21 ff.). Von dem dritten Beispiel aus der Mathematik ist nicht zu sehen, welche Erläuterungskraft es hat. 23,8 Das Beispiel der Regel de tri findet sich in der »Kurzen Abhandlung . . .« (II, 1) und in der »Ethik« (II, prop. 40, schol. 1). 23,33 Die Beurteilung der Tauglichkeit der Wahrnehmungsweisen geschieht über das, was es zu erkennen gilt, damit wir unsere Vollkommenheit erlangen können. Der leitende Gesichtspunkt ist die Erkenntnis unserer Natur, d. h. unserer Essenz, in deren Verhältnis zu den Dingen, wobei von den Dingen nur so viel zu erkennen ist, wie erforderlich ist, um die eigene Natur in dem, was sie kann, in ihrer Macht (potentia) also, erkennen zu können. 25,8 Es ist nicht ersichtlich, daß die Beurteilung jeder der vier Wahrnehmungsweisen unmittelbar an den zuvor gegebenen Katalog anknüpft. Sie erfolgt vielmehr über einen Gesichtspunkt, den Spinoza in Anspruch nimmt, ohne ihn hinreichend auszuweisen. Es ist derjenige der Essenz eines Dinges, die nur von der vierten Art erkannt wird, und zwar offensichtlich der einer individuellen Essenz,
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der auch die dritte Weise des Wahrnehmens aufgrund ihres Bezuges zu einem bloß Allgemeinen, unbeschadet ihrer hier zugestandenen Adäquatheit, scheitern läßt. 25,30 Spinoza hat das nicht getan. Das Ausführlichste hierzu findet sich in der Korrespondenz mit Oldenburg über die Naturwissenschaft Robert Boyles (Ep. 6, 11, 13 und 15). Vgl. dazu F. Biasutti, La dottrina della scienza in Spinoza, Bologna 1979; E. Yakira, Boyle et Spinoza, in: Archives de philosophie (51), 1988, S. 107–124. 25,36 Die dritte Weise knüpft offenbar stärker an den in Abschn. [25] gegebenen Katalog an. Wenn die Erkenntnis der Natur nach allgemeinen Hinsichten (Unterschied, Übereinstimmung, Gegensatz) zu geschehen hat, hat die rationale Erkenntnis, anders als die beiden anderen Wahrnehmungsweisen, eine Bedeutung, allerdings nicht für sich allein (»per se«), weil mit ihr nicht die Essenz des Menschen als eines singulären Wesens erkannt wird. Gegenüber der Erörterung in Abschn. [21] erscheint sie hier als von größerer Validität für das Unternehmen. 27,2 Der Ausdruck »adäquate Essenz« ist schief, insofern nicht eine Essenz adäquat sein kann, sondern nur die Weise, in der sie erkannt wird. Die vierte Wahrnehmungsweise hat ihren Vorzug gerade darin, dies zu leisten. Inwiefern sie das in Abschn. [25] Exponierte zu realisieren vermag, ist allerdings hier nicht ersichtlich; daß sie es kann, ist deshalb vorerst eine bloße Behauptung. 27,9 Das »und« (et), das Weg und Methode verbindet, hat hier explikative Bedeutung. Daß Weg und Methode zu unterscheiden sind, insofern die Methode lediglich die Mittel angibt, kraft deren der Mensch in seinem Erkennen einen Weg fortschreitenden Erkennens durchlaufen kann, und darin nicht selber der Weg ist, hebt besonders Rousset (Kommentar, S. 209 f.) hervor. Doch charakterisiert Spinoza die Methode auch als einen bestimmten Weg der Untersuchung (vgl. Abschn. [36]), und das hat er hier im Blick. 27,15 Spinoza erläutert, daß man nicht zu der Erkenntnis von etwas gelangte, wenn man sich auf eine Methode stützen müßte, die durch eine jeweils andere Methode gerechtfertigt werden müßte. Im Anschluß an Mignini, Per una nuova edizione . . . (1988) und in Übereinstimmung mit Scala (vgl. dessen Ausgabe, S. 105) habe ich deshalb in dem »non opus est« von OP das »non« gestrichen, wodurch der Anschluß an die Erläuterung über die Werkzeuge hergestellt wird. Der diesbezügliche Vergleich ist Bacon entlehnt (Nov. org., praef. und I, 2). Vgl. auch Descartes, Regulae ad directionem ingenii, VIII, 4.
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Anmerkungen des Herausgebers
29,4 Der Terminus »vis nativa« ist Bacon entlehnt (De dignitate . . ., V 5), ebenso der Terminus »opera intellectualia« (Nov. org., praef.). 29,14 Neuansatz der Überlegungen im Rückgriff auf eine (hier nicht explizierte) Ontologie. Eine Idee, in das Feld des Attributs Denken (Cogitatio) gehörend, ist nicht nur von ihrem Gegenstand, der in das Feld des Artributs Ausdehnung (Extensio) gehört, verschieden, sondern auch selber ein Seiendes, das Gegenstand einer Idee sein kann. Eine Idee ist, unter ontologischem Gesichtspunkt, notwendigerweise wahr, weil sie, von ihrem Gegenstand verschieden, mit diesem doch übereinstimmt, was durch einen Parallelismus der Attribute verbürgt ist. Insofern hat der Mensch, sofern er nur eine Idee hat, auch eine wahre Idee. Die Ontologie legt die Basis für eine Theorie der durchgängigen Intelligibilität der Welt, zu der auch Ideen gehören, und die deshalb auch für Ideen gilt. In der traditionellen (scholastischen) Terminologie, deren sich Spinoza hier bedient, hat »formalis« die Bedeutung von »an sich seiend« (unbezüglich auf ein Erkennen) und »objectivus« die von »objektiv« im Sinne des Gegenstand-seins für ein Erkennen. Insofern die Idee ein Seiendes ist, ist sie eine »essentia formalis«, insofern sie Gegenstand einer Idee ist, ist sie eine »essentia objectiva«. Insofern eine Idee auch wahr ist und folglich einen Gegenstand in dessen Ansichsein repräsentiert, ist sie als repräsentierende eine »essentia objectiva« und als an sich seiende eine »essentia formalis«. In ihrem Charakter, Gegenstände der ausgedehnten Welt zu repräsentieren, kann sie als ein Ansichseiendes betrachtet werden, d. h. in ihrem ontologischen Status, Idee zu sein. Darin wird sie nicht in dem betrachtet, was sie repräsentiert, sondern in dem, was sie, die von ihrem Gegenstand verschieden ist, an sich selber ist. Das ist »an sich« und damit für einen unendlichen Verstand (intellectus infinitus), der all das, was aus Gott folgt, erfaßt, bedeutungslos; »für uns«, die wir nicht notwendigerweise um den Status der Idee und deren Charakter der Wahrheit wissen, ist es aber bedeutungsvoll. 29,29 Das in OP und NS fehlende »non« vor »causatur« ist zu ergänzen. In jüngster Zeit hält nur Klever (Kommentar, S. 139) an der Originalfassung fest, was den Begriff einer »eingeborenen Kraft« aber unverständlich macht. In der »Ethik« entwickelt Spinoza zunächst, daß einem Ding Kausalität zukommt (I, prop. 26), und dann, daß diese Kausalität in der Relation zu der Kausalität anderer Dinge steht, die dem jeweiligen Ding äußerlich sind (I, prop. 28). Gott als Ursprung der Kausalität ist keine äußere Ursache dieser Kausalität. –
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Kraft (»vis«) hat die Bedeutung von Macht (»potentia«). Das Beispiel der handwerklichen Fabrikation verdeutlicht, daß es sich hierbei nicht um ein bloßes Vermögen (»potestas«) handelt, sondern um eine sich verwirklichende Macht, die immer schon in den Wirkungen ist. 31,19 Sind Peter und die Idee von Peter essentiell verschieden, dann bedarf es für das Begreifen dessen, was Peter ist, nicht des Begreifens seiner Idee in deren Ansichsein. Es genügt, dessen Idee in deren Charakter, das Sein Peters zu objektivieren, zu haben. Wenn wir aber eine solche Idee nicht werden haben können (und Spinoza wird zeigen, daß wir ein singuläres Seiendes in dessen zeitlichem Existieren nicht begreifen können), kommt es darauf an, einzusehen, was es überhaupt heißt, die Idee von etwas in dem Sinne zu haben, daß man um dieses Haben weiß. Spinoza erläutert dies aus der Perspektive des individuellen Subjekts: Ich muß hierfür schon, d. h. vor diesem Wissen, wissen, nämlich eine Idee haben, die ich nicht produziere, die also in mir ist. Darin unterscheiden sich Ideen in deren Sein von den Dingen der ausgedehnten Welt. Sie sind dem menschlichen Denken in anderer Weise zugänglich als jene Dinge dem menschlichen Körper. Eine Idee der Idee (idea ideae) ist eine Reflexion, die das Haben von Ideen voraussetzt, auf das es folgt; kraft dieser Reflexion ist die wahre Idee etwas für den Menschen, der um die Wahrheit weiß. Dieses Wissen ist Gewißheit. Vgl. hierzu A. Matheron, Ide´e, ide´e d’ide´e et certitude . . . (1989). 31,23 Spinoza identifiziert die Gewißheit mit der Idee, insofern objektive Essenz und Idee synonym sind. Das heißt freilich nicht, daß jede Idee gewiß ist, sondern, daß das Kriterium der Gewißheit nicht außerhalb der Idee liegt, also nicht in der Übereinstimmung mit einem von der Idee verschiedenen Gegenstand. Vielmehr ist diese Übereinstimmung immer schon vorausgesetzt, so daß Gewißheit das Haben wahrer Ideen als wahrer ist. Ideen als wahre zu haben, d. h. sie in ihrem Charakter, das Ansichsein der Dinge objektiv zu enthalten, heißt adäquate Ideen zu haben. Die »Ethik« betont deutlicher, daß das Merkmal der Adäquatheit Idee-immanent ist, insofern es das, was Wahrheit ist, an der Idee allein aufzeigt (Eth. II, def. 4). Eine adäquate Idee zu haben, bedeutet insofern etwas anderes, als eine wahre Idee zu haben, nämlich um sie als wahre zu wissen. 33,1 In der »Ethik« heißt es, daß die wahre Idee Norm der Wahrheit ist und daß deshalb die Wahrheit Norm ihrer selbst ist (»veritas sui sit norma«, II, prop. 43, schol.). Die Methode der Erforschung der
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Wahrheit besteht deshalb allein in der Untersuchung dessen, was es bedeutet, eine wahre Idee zu haben. 33,18 Wenn gezeigt wird, daß der Mensch die wahre Idee von anderen Ideen unterscheiden kann, ist zugleich gezeigt, daß er einer wahren Idee gewiß sein kann, weil sich in diesem Unterscheiden die Macht des menschlichen Verstandes offenbart, kraft derer er eine wahre Idee als wahre hat. 35,3 Die Methode, die in der Reflexion auf eine wahre Idee besteht, hat das Gegebensein einer Idee (idea data) zur Voraussetzung und in eins damit das Gegebensein einer wahren Idee, insofern eine Idee gemäß der Ontologie mit ihrem Gegenstand übereinstimmt. Während die wahre Idee unabhängig von aller Aktivität des Verstandes ist, ist es die adäquate nicht, weil sie nur adäquat ist, sofern sie vom Geist gebildet wird. Diese Aktivität des Bildens setzt ihrerseits das Wahrsein von Ideen voraus und damit den hier nicht explizierten Parallelismus von Idee und Gegenstand, der in Gott gründet. Spinoza verweist unausgesprochen auf ihn mit dem Hinweis auf die Selbigkeit der Relation, die zwischen Ideen untereinander und Dingen untereinander besteht, woraus er diejenige Methode als am vollkommensten bestimmt, die vom Hinblick auf die gegebene Idee Gottes geleitet ist. In der »Ethik« zeigt Spinoza, daß jede Idee, welche auch immer, Gottes Essenz notwendig enthält (II, prop. 45) und daß deshalb Gottes Essenz jedermann »bekannt« (notus) ist (II, prop. 47, schol.), dort erläutert gerade an inadäquaten Ideen, die auch schon das enthalten, was den Menschen befähigt, zu adäquaten Ideen zu gelangen. 35,16 Der Geist begreift sich in einem Mehr-erkennen um so besser, weil das, was ihn konstituiert, das Erkennen, kein bloßes Vermögen ist, sondern eine sich realisierende Tätigkeit, die immer schon auf Gegenstände, die objektiviert werden, bezogen ist. Diesen Prozeß der Welterkenntnis mit der Methodenlehre zu identifizieren, fügt sich allerdings nicht bruchlos mit dem Gedanken, daß der erste Teil der Methodenlehre lediglich der Unterscheidung zwischen wahren Ideen und anderen gewidmet ist; dies ist wohl durch die unklare Rolle bedingt, die die Erkenntnis Gottes in diesem Zusammenhang spielt. 35,19 Die These einer fortschreitenden Erkenntnis soll offensichtlich die Theorie einer zunehmenden Selbstgesetzgebung des Verstandes plausibel machen. Gegenüber dem Bestimmtwerden in Abschn. [38] (»quomodus mens sit dirigenda«) wird auf ein zunehmendes Sichselbstbestimmen des Geistes (»mens . . . eo facilius seipsam diri-
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gere«) abgehoben, der das Gegebensein der Idee Gottes im Sinne eines bloßen Angeborenseins zunehmend sich verfügbar macht und darin Aufklärung über das eigene Können erlangt. 35,24 Ein wesentliches Element des Spinozismus wird hier gleichsam nachgeschoben: Ideen lassen sich auseinander herleiten, weil zwischen ihnen eine Verknüpfung besteht, die der Verknüpfung der Dinge gemäß ist; und weil diese Verknüpfung universell ist, sind der Herleitung prinzipiell keine Grenzen gesetzt. Der dem Cartesianismus angepaßte Terminus einer »Gemeinschaft« bezeichnet einen Sachverhalt, den Spinoza, wie seine Anmerkung deutlich macht, unter dem Begriff der Kausalität faßt, den er, was in der Anmerkung nicht steht, aus dem Begriff Gottes gewinnt, der essentiell Kausalität ist, nämlich eine in den Dingen sich erfüllende Macht (potentia als causa immanens). 37,8 Deutlich ist hier die Perspektive auf unseren Geist, der, was seine Ideen angeht, noch nicht mit dem, was in göttlicher Perspektive gilt, übereinstimmt. Vielmehr muß er, damit er in seinen Ideen die Dinge in deren Ansichsein erfaßt, seine Ideen aus der Idee Gottes herleiten. Erst dann ist diese Idee auch der Ursprung der übrigen Ideen, die nicht die Natur im Ganzen, sondern Singuläres zum Gegenstand haben. Während der Ursprung der Ideen in deren Ansichsein (essentia formalis) nicht die Idee Gottes ist, sondern die Natur Gottes in dessen Attribut Cogitatio, haben die Ideen in ihrem objektivierenden Charakter, sollen sie adäquat sein, ihren Ursprung in der Idee Gottes, sofern nämlich der Geist kraft seines Verstandes sie aus ihr herleitet. Darin ist er selber Ursache seiner Ideen, dadurch nämlich, daß er sie herzuleiten vermag. Was hier als eine bloße Forderung erscheint, steht natürlich unter der Bedingung, daß der menschliche Geist eine adäquate Idee Gottes zu haben vermag. Erst die »Ethik« zeigt, inwiefern der Mensch dieser Bedingung zu genügen vermag. 37,9 Wenn auch in den Abschn. [30] und [31] ein Iterationsprozeß, über den die Richtigkeit des methodischen Verfahrens erst zu erweisen wäre, zurückgewiesen worden ist, so stellt sich doch das Problem, daß der Mensch einem von der wahren Idee geleiteten Prozeß der Fortentwicklung nicht schon folgt, obschon jeder Form des Erkennens eine solche Idee zugrunde liegt. In bezug auf den so verfaßten Menschen muß die Richtigkeit der hier beschriebenen Methode eigens erwiesen werden. 37,28 Der Einwand wird so entkräftet, daß Spinoza die Notwendigkeit eine Methodenlehre gerade für denjenigen betont, der seinem
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Selbstverständnis nach nicht immer schon von einer wahren Idee geleitet ist. Gleichwohl muß derjenige, der die Theorie des Fortschreitens gibt, schon von der wahren Idee geleitet sein, so daß er an der Wahrheit seiner Darlegungen nicht zweifelt. Das Problem, das dann verbleibt, ist, wie er zu dieser Theorie aus dem Stadium des Irrens gelangt ist, ob er sich also jener Methode, die Spinoza hier beschreibt, bedient hat oder ob er sich auf eine Form von Einsicht stützt, die nicht erst das Resultat methodischen Vorgehens ist. Solange Spinoza keine Bestimmung des Verhältnisses der verschiedenen Erkenntnisarten zueinander gibt, gibt er auch keine Antwort auf dieses Problem. Auch in der »Ethik« bleibt dieses Problem ungelöst. 39,14 Spinoza begnügt sich mit einem Verweis auf die in der menschlichen Natur gelegenen Gründe, die einem sachgemäßen Erkennen im Wege stehen, hält es aber nicht für erforderlich, sie in diesem Zusammenhang näher zu entwickeln. 39,15 Der Abschnitt verweist wohl eindeutig auf die »Ethik« und kann als Anzeichen dafür verstanden werden, daß Spinoza die Grundzüge seiner auszuarbeitenden Philosophie schon hier vor Augen gehabt hat. Gebhardt in seiner frühen Ausgabe der Abhandlung in der Phil. Bibl. und auch Koyre´ und Curley in ihren Ausgaben haben hinter dem »warum« ein »nicht« eingefügt und den gesamten Abschnitt für lückenhaft gehalten. Gebhardt hat das in der Ausgabe der Opera zu Recht korrigiert. Mit der Einfügung der Negation wäre dieser Abschnitt nur eine Wiederholung der in Abschn. [43] schon genannten möglichen Einwände gegen das Verfahren dieser Abhandlung. Zur Deutung der paradoxen Sätze vgl. meine Einleitung. 41,2 Gegen Skeptiker, die eine eigene Aktivität, die allem Behaupten und Bezweifeln zugrunde liegt, leugnen, ist nichts auszurichten. Diese Aktivität kann nicht von außen demonstriert werden. 41,12 Der Plan gibt eine deutliche Übersicht über die Komposition des Werkes. Er macht deutlich, daß die bisherigen Überlegungen eine Hinführung zur Methodenlehre sind, nicht aber schon zu ihr selber gehören, die erst mit Abschn. [50] beginnt. 43,21 Die Erörterung, die Spinoza nicht verfolgt, würde eine Theorie des Geistes in dessen Essenz erforderlich machen, aus der sich ergäbe, inwiefern er die nächste Ursache der unterschiedlichen Formen des Wahrnehmens sein kann. In der »Ethik« läßt Spinoza diese Theorie der Erörterung der Wahrnehmungsweisen vorangehen (II, prop. 11–16). 45,13 Die Modalbestimmung des »Möglichen« hat eine Bedeutung allein im Hinblick auf die subjektive Kenntnis der ein Ding be-
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stimmenden Ursachen. Sie ist relativ auf eine mangelhafte Erkenntnis (vgl. Eth. I, prop. 33, schol. 1). 45,18 Betreffen Fiktionen, wie es in Abschn. [52] heißt, mögliche Sachverhalte, dann kann nicht nur ein unendlicher Verstand nichts fingieren, sondern auch ein endlicher kann es nicht, sofern er einen Sachverhalt klar und deutlich erkennt. 47,6 Die Unmöglichkeit der Fiktion ergibt sich aus dem affirmativen Charakter einer ewigen Wahrheit. 47,32 Spinoza nimmt hier eine Theorie singulärer Essenzen in Anspruch. Das Wesen eines Dinges ist deshalb, so wenig wie dessen Existenz, durch einen Allgemein- oder Gattungsbegriff bestimmt. Ein Ding von einem Allgemeinen her begreifen zu wollen, ist der Tendenz, hinsichtlich eines Dinges Fiktionen zu bilden, also förderlich. 49,28 Die Fiktionen bildende Einbildungskraft ist nicht produktiv, weil sie nur passiv Aufgenommenes in verworrener Weise miteinander kombiniert. In der »Ethik« zeigt Spinoza über eine Theorie der Herausbildung des affektiven Lebens, daß sie in dieser Kombination von einer ihr eigenen Produktivität ist, in der der Mensch zu neuen, wenn auch noch nicht adäquaten Formen seines eigenen Selbstverständnisses gelangt. Vgl. dazu F. Mignini, Ars imaginandi. Apparenza e rappresentazione in Spinoza, Neapel 1981; M. Bertrand, Spinoza et l’imaginaire, Paris 1983. 53,34 Die Zurückweisung der Annahme, das Verfahren des Fingierens könne nicht durch ein Verfahren des Verstandes (»intellectio«) eingeschränkt werden, erfolgt über den Nachweis, daß derjenige, der fingiert (»die Seele«), darin nicht frei ist in dem Sinne, daß er etwas allein aus sich heraus tut. Nicht anders als die Einbildungskraft ist auch der Verstand immer schon auf die Dinge der Natur bezogen, der ebendeshalb die Einbildungskraft bestimmen kann. Er kann es, nicht weil ihm die Freiheit einer Wahl zukommt, sondern gerade weil er auf die Dinge bezogen ist, in deren adäquaten Erkenntnis er den Unterschied zwischen subjektiver Beliebigkeit und sachangemessener Notwendigkeit erfährt. 55,13 Die Aufmerksamkeit, die einem fingierten Sachverhalt gewidmet wird, ist die Aufmerksamkeit auf die Idee dieses Sachverhalts und als Akt des Geistes die Idee einer Idee, also eine cognitio reflexiva. Vgl. dazu Rousset, Kommentar (S. 298–300). In Abschn. [104], der hierauf Bezug nimmt, heißt es ausdrücklich, daß die Aufmerksamkeit sich auf einen Gedanken (cogitatio) richtet. 55,27 Rückgriff auf das cartesische Kriterium der Klarheit und Deutlichkeit, das sicherstellt, daß die Verknüpfung von Subjekt und
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Prädikat in einer Aussage nicht subjektiv-willkürlich erfolgt, sondern eine Verknüpfung in der behaupteten Sache wiedergibt. 55,31 Der »Beweis« stützt sich auf das in Abschn. [41] Behauptete, daß es nämlich eine durchgängige Verknüpfung der Dinge gibt, welche die Ideen in deren Verknüpfung objektiv wiedergeben. Die davon zu unterscheidende These, daß Ideen nicht nur miteinander verknüpft sind, sondern daß sie als Ideen in dem Status, Zusammenhänge, wie sie an sich sind, wahrhaft zu objektivieren, von der Seele hervorgebracht (formare) werden, bleibt in ihrer Gültigkeit aber von dem in Abschn. [42] bloß Geforderten abhängig, dessen Realisierung noch nicht erwiesen ist. 57,17 Der Schluß auf das höchsteinfache Ding geschieht im Ausgang von einem zusammengesetzten Ding, dessen materiale Vielfalt Ursache von Fiktionen ist, insofern die durch die Beschaffenheit des Dinges bedingte Vielfalt von Wahrnehmungen in verworrener Weise zur Verknüpfung gelangt. Das einfache Ding kann deshalb nicht als (materieller) Teil eines Zusammengesetzten verstanden werden, sondern nur als ein noch näher zu bestimmendes Element. Die »Ethik« zeigt, daß ein solches einfaches Element die göttlichen Attribute sind. Sie erlangen ihre Fülle durch das, was sie produzieren, sind also wesentlich Ursache. Was Ursache ist, kann aber nicht aus ihren Wirkungen erkannt werden, weil umgekehrt Dinge in ihrem Charakter, Bewirktes (effectus) zu sein, nur aus deren Ursache erkannt werden können. 57,20 Die von Bruder vorgenommene Abschnittsunterteilung innerhalb der Dreizahl von Folgerungen ist sinnvoll. Die Theorie der Zusammensetzung eines Dinges aus einfachsten Teilen fügt sich nicht bruchlos an die Theorie eines einfachen Dinges, das nicht Teil eines zusammengesetzten sein kann. – »Zustimmung« (assensus) hebt das (beim Fingieren fehlende) aktive Moment der Verstandestätigkeit hervor, in der Satzkonstruktion analog zu der fehlenden »Unterscheidung« (distinctio) in dem vorangehenden Abschnitt. Sie ist nicht zu verwechseln mit der in Abschn. [60] zurückgewiesenen Freiheit. 59,17 Was hier als so leicht erscheint (»tantum«) und mit dem vielsagenden Begriff des Zusammenbringens (conferre) beschrieben wird, ist in Wahrheit ein äußerst schwieriges Problem, was nämlich die Essenz eines (zeitlich) existierenden Dinges ist und wie diese mit der Ordnung der Natur zusammenhängt. Unzureichende Bemerkungen dazu gegen Ende der Abhandlung in den Abschn. [100 ff.]. 59,28 Grundtheorem Spinozas: Wir sind durch die Sache gezwun-
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gen, sofern wir sie adäquat begreifen. Insofern ist dieser Zwang uns nicht äußerlich und folglich, strenggenommen, gar kein Zwang, sondern Ausdruck unserer eigenen Macht des Erkennens. 59,34 Der Fortgang der Untersuchung ist nicht schwer, weil sich die fingierte und die falsche Idee nicht hinsichtlich des Inhalts unterscheiden, sondern nur hinsichtlich dessen, was das Subjekt mit ihr jeweils verbindet: bei der fingierten Idee nimmt das Subjekt lediglich etwas an, bei der falschen behauptet es hingegen etwas. Allerdings läßt sich in bezug auf die falsche Idee die Qualität der wahren Idee besser demonstrieren, weil auch die wahre durch das Behaupten von etwas gekennzeichnet ist. 63,4 Wenn eine wahre Idee auch dadurch definiert ist, mit ihrem Gegenstand übereinzustimmen, ist der wahre Gedanke vom falschen doch nicht aufgrund eines solchen äußeren Bezuges unterschieden, sondern durch den Bezug auf denjenigen, der denkt, daß dieser nämlich tatsächlich wahre Ideen hat, was eine innere, d. h. dem Denken immanente, Beziehung ist. In der »Ethik« geht dieser Sachverhalt in die Definition der adäquaten Idee ein (II, def. 4), die eine wahre Idee für den Geist ist, der auch um deren Wahrheit weiß. In der »Ethik« wird dies ferner erläutert im Zusammenhang der These, daß die Wahrheit Norm ihrer selbst und des Falschen ist (II, prop. 43, schol.). 63,15 Das Reale in den Ideen, wodurch sich die wahre Idee von der falschen unterscheidet, ist, wie die »Ethik« deutlich macht (II, prop. 43, schol.), die Realität, die dem Subjekt, das wahre Ideen hat, zukommt. Derjenige, der wahre Ideen hat, hat ein Mehr an Vollkommenheit, die in einer Expansion seines Denkens besteht. 63,28 Kritisch gegen Hobbes gerichtet, der eine Erkenntnis dessen, was nicht verursacht ist, also auch die Erkenntnis Gottes, für unmöglich gehalten hat (De corpore I, 8). 63,30 Grundlegendes Theorem für die Möglichkeit einer adäquaten Erkenntnis (vgl. [108]). Müßte der Mensch eine Idee aus deren Relation zu anderen Ideen, in der sie steht, erkennen, könnte er nie, weil dieser universelle Bezug ihm notwendigerweise verschlossen ist, eine adäquate Erkenntnis von einzelnem haben. Curley übersetzt: »ohne Beziehung auf andere Dinge«; doch wird dieser Bezug erst im nächsten Satz ausgeschlossen, der ein davon verschiedenes Moment formuliert. 65,5 Gedanken werden nicht von den Gegenständen, die sie objektivieren, verursacht – das ist eine Folge der in Abschn. [33] behaupteten essentiellen Verschiedenheit von Idee und Gegenstand. Insofern Dinge der physischen Welt in einem Kausalzusammenhang
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stehen, stehen auch die Ideen, die Dinge objektivieren, in einem solchen Zusammenhang – das ist die Folge des in Abschn. [41] behaupteten Parallelismus von Idee und Gegenstand. Gleichwohl liegt die Form eines wahren Gedankens, in dem die Idee für das denkende Subjekt ist, in einem einzelnen Gedanken allein unbezüglich auf dessen Verursachtsein durch andere Gedanken. Das ist die Voraussetzung dafür, daß der Mensch überhaupt um eine wahre Idee wissen kann, denn die Relation einer Idee zu allen anderen Ideen könnte er aufgrund seiner Endlichkeit nie erkennen. Er muß nur erfassen, was eine Idee zu einer wahren macht, und diese Erkenntnis gründet in seinem Verstand allein, von dessen Macht (potentia) deshalb das, was einen wahren Gedanken ausmacht, dessen Form also, allein abhängt. Diese Bekräftigung der Macht des Verstandes ist völlig konform mit der »Ethik«; sie wird dort über eine Theorie der Erkenntnis Gottes als der Ursache, die in einer einzelnen Idee ist, nur tiefer begründet. 65,27 Vorgriff auf die im 2. Teil der Methodenlehre entwickelte Theorie, wie wir kraft unseres Denkens zur Erkenntnis uns unbekannter Dinge gelangen; erläutert an der Erkenntnis eines geometrischen Gebildes aus dessen Entstandensein, das unsere Konstruktion ist. Zugleich wird der Unterschied zu einer falschen Idee verdeutlicht, der darin besteht, daß beim Erfassen der wahren Idee eines Gegenstandes die Elemente, die in ihr enthalten sind, so miteinander verbunden werden, daß sie dem Begriff des Gegenstandes zukommen und darin eine Aussage über den Gegenstand sind. 67,18 Der Hinweis auf die Ursache inadäquater Ideen wird in dieser Abhandlung nicht weiter verfolgt, weil die Theorie eines denkenden Seienden, dessen Teil wir sind, hier nicht entwickelt wird. In der »Ethik« zeigt Spinoza, daß der menschliche Geist Teil des unendlichen Verstandes ist (II, prop. 11, coroll.), ohne daß er daraus allein den Tatbestand inadäquaten Erkennens folgerte. Aber auch die Bedingungen unserer adäquaten Erkenntnis untersucht Spinoza in dieser Abhandlung nicht hinreichend, insofern er nicht erläutert, was es heißt, daß einige Gedanken des menschlichen Verstandes unseren Geist »gänzlich« (ex toto) konstituieren. Vgl. zu diesem Punkt meinen Aufsatz »Unendlicher Verstand und menschliches Erkennen bei Spinoza«, in: Tijdschrift voor Filosofie (54), 1992, S. 492–521. Die Lösung des Problems findet sich erst im 5. Teil der »Ethik« (V, prop. 22 ff.). 67,27 Spinoza hat Kenntnis davon wohl über Seneca, Briefe an Lucilius. Vgl. hierzu O. Proietti, Lettres a` Lucilius, une source du DIE de Spinoza (1989).
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69,5 Die Erkenntnis mit Hilfe abstrakter Begriffe ist Ursprung der Täuschung, weil der Bildung dieser Begriffe selber Täuschung, nämlich verworrene Erkenntnis, zugrunde liegt (vgl. Eth. II, prop. 40, schol. 1). Der Rückgriff auf abstrakte Begriffe läßt sich vermeiden, wenn von »Elementen« ausgegangen wird, die nicht abstrakt sind, sondern eine hervorbringende Macht (»Quelle und Ursprung«) sind. Ausgegangen werden kann von ihnen freilich nur, wenn sie erkannt werden, d. h. wenn die Täuschung schon überwunden ist. 69,17 Die Vielzahl der Elemente ist hier auf einen Ursprung reduziert, den Gott der »Ethik«. 71,30 Explizit zeigt das Spinoza in der »Kurzen Abhandlung . . .« (Teil I), implizit aber auch in der »Ethik« (vgl. M. Gueroult, Spinoza I, Paris 1968, I. Teil). Man wird deshalb nicht generell sagen dürfen (so Curley in seiner Ausgabe, S. 34), daß Spinozas Verweise auf »seine« Philosophie als Verweise auf die »Kurze Abhandlung« zu verstehen sind und darin als Hinweis darauf, daß diese Schrift auf unsere Abhandlung folgt. 71,34 Die Anmerkung ist äußerst aufschlußreich. Der Beweis der Immanenz Gottes, des Grundtheorems des Spinozismus, wird als über die Theorie des Erkennens erbracht angesehen. Die ontologische Bedeutungslosigkeit der Modalkategorie des Möglichen ist der Sache nach natürlich ein Ergebnis der Ontologie, aus der erst folgt, daß der Geist nicht mehr begreifen kann, als die Natur darbieten kann. Aus der Anmerkung kann aber geschlossen werden, daß die Ontologie im Dienst der Erkenntnistheorie steht, d. h. daß für Spinoza die Immanenztheorie darin ihren Ausweis hat, daß sie ein vollständiges adäquates Erkennen des Menschen ermöglicht. Vgl. dazu meine Untersuchung »Spinozas Theorie des Menschen«, Hamburg 1992. 73,7 Die zweifelhafte Idee wird offensichtlich nur erörtert, um ein grundlegendes Theorem Descartes’ zurückzuweisen, daß es einen transzendenten Gott geben könnte, dessen Verfassung bewirken könnte, daß wir an der Gewißheit eines klar und deutlich erkannten Sachverhalts zweifeln, solange nicht ausgeschlossen ist, daß jener Gott nicht ein Betrüger ist (3. Meditation). Spinoza wiederholt, daß die Gewißheit, die wir von einer wahren Idee haben, nicht durch die Wahrhaftigkeit Gottes garantiert ist, sondern ein der Idee immanentes Kriterium ist. 73,31 Die Unentschlossenheit bezieht sich nicht auf einen vom Verstand verschiedenen Willen, der sich zu einer Erkenntnis entschließen müßte, wie Descartes angenommen hatte, sondern meint
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das Ausbleiben einer Aussage hinsichtlich eines in sich komplexen Sachverhalts, dessen Bestandteile in ihrer Zusammengehörigkeit nicht klar und deutlich erkannt sind. Sie zusammenzubringen, heißt, die ihnen korrespondierenden Ideen nach einer Ordnung zu verknüpfen, von der Spinoza hier nicht mehr sagt, als daß ihr Fehlen der Ursprung des Zweifelns ist. Die Ordnung ist erforderlich, weil eine Idee, die an ihr selbst klar und deutlich erkannt wird, in Relation zu anderen Ideen steht, für die dies nicht gilt. Die Problematik eines Fortschreitens zu der Erkenntnis unbekannter Dinge und damit der zweite Teil der Methodenlehre gerät somit in den Blick. 75,28 Zum Zusammenhang von Einbildungskraft und körperlichen Affektionen vgl. Eth. II, prop. 17 und 18. 77,6 »Corruptio« schließt an den zeitlichen Aspekt der »duratio« an und meint insofern »Vergänglichkeit«. Die »Ethik« entwickelt aus dem Begriff Gottes eine Theorie der Ewigkeit der Ideen, in deren Erkenntnis wir selber ewig sind (V, prop. 21 ff.). Der Hinweis auf die vollständige Begreifbarkeit Gottes am Ende des Abschnitts weist in diese Richtung, die die »Ethik«, nicht aber unsere Abhandlung verfolgt. 79,1 Die Befreiung von dem, was uns die Einbildungskraft darbietet, durch den Verstand läßt sich erweisen, ohne eine Theorie der Einbildungskraft und des Körpers geben zu müssen. Demgegenüber arbeitet die »Ethik« die der Einbildungskraft eigentümliche Kraft viel stärker heraus, um die Kraft des Verstandes ihr gegenüber erweisen zu können. 79,15 Aristoteles, Anal. post. I, 2 und Phys. II, 2. 79,19 Die Gesetze der Seele, nach denen sie handelt, sind solche des Denkens, nicht solche eines Mechanismus natürlicher Ereignisse. »Geistiger Automat« steht im Gegensatz zu der in Abschn. [48] erwähnten Stupidität bornierter Skeptiker, die des eigenen Tuns nicht inne sind und darin des Geistes entbehren. Die mechanistische Interpretation von W. Klever, Quasi aliquod automa spirituale, in: E. Giancotti (Hg.), Proceedings of the first italian congress on Spinoza, Neapel 1985, S. 249–258, ist mit Spinozas Grundgedanken unverträglich. 79,31 Die Kenntnis, die wir von unserem Verstand haben, ist zunächst die einer eigenen Aktivität, hier abgehoben von dem Leiden, dem wir im bloßen Vorstellen unterliegen. 81,4 Spinoza versteht hier »Ausdehnung« (extensio) im Sinne einer attributiven Bestimmung Gottes, wie er sie in der »Ethik« entwickeln wird (vgl. I, prop. 15, schol.). Er verbindet mit der Erörte-
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rung dieses Begriffs eine scharfe Kritik an einem auf die Sinnlichkeit sich stützenden Materialismus. 81,12 In der Kritik an der Sprache in Übereinstimmung mit Bacon, Nov. org. I, 43 (»verba ex captu vulgi imponuntur«). 83,25 Wenn eine Ursache auch nicht aus ihren Wirkungen erkannt werden kann, so führt die Erkenntnis der Wirkungen aus ihrer Ursache doch, wie auch die Anmerkung hervorhebt, zu einer besseren Erkenntnis dieser Ursache. Das ist eine Konsequenz des Immanentismus, demzufolge die erste Ursache in den Wirkungen ist und unbezüglich darauf nichts für sich darstellt (vgl. Eth. V prop. 24: »Je mehr wir Einzeldinge einsehen, desto mehr sehen wir Gott ein«). 85,5 Abstrakte Begriffe werden zurückgewiesen, weil das in ihnen Enthaltene nicht Ursache eines Singulären sein kann. Ein Ding ist aus seiner es bewirkenden Ursache (causa efficiens) zu begreifen; diesem Sachverhalt muß die Definition eines Dinges genügen (vgl. Brief an Tschirnhaus aus dem Jahre 1675; Ep. 60). 85,22 »Innerste Essenz« ist pleonastisch, von Spinoza nur gebraucht, um den Unterschied zu Eigentümlichkeiten (propria) zu markieren, die einem Ding auch zukommen, aber nicht dessen Essenz ausmachen. Über Eigentümlichkeiten kann ein Ding von einem anderen unterschieden werden, aber nicht in dem, was ihm wesentlich ist, begriffen werden. Die Essenz eines endlichen Dinges wird allein aus der erzeugenden Ursache dieses Dinges begriffen, die nicht ein anderes endliches Ding ist. 85,28 Die genetische Definition des Kreises als Paradigma der Erkenntnis eines Dinges aus der Erkenntnis der dieses Ding erzeugenden Ursache hat schon Hobbes gegeben (De corpore I, 5); und Hobbes hat auch gezeigt, daß daraus die Eigenschaften des Kreises begriffen werden können. 87,28 Was die Definition eines nicht-erschaffenen Dinges, also Gottes, anbelangt, hat Spinoza später erkannt, daß auch sie genetisch sein muß, also eine bewirkende Ursache in Anspruch nehmen muß (vgl. Ep. 60). Sie ist die Macht (potentia) Gottes, die dessen Essenz ausmacht, sofern sie alle Dinge produziert (causa rerum omnium), und die darin die Essenz Gottes als etwas begreifen läßt, das nur in den Dingen (modi) ist und nicht getrennt von ihnen besteht (causa immanens). Gott wird deshalb nicht über die bloße Eigentümlichkeit einer causa sui definiert, sondern über seine Attribute (Eth. I, def. 6), d. h. über die Weisen, in denen er eine in sich komplexe Welt produziert. Diese Definition Gottes enthält die Momente, über die wir, die wir seine Wirkungen (modi) sind, ihn in
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seiner Essenz erkennen. Vgl. dazu M. Gueroult, Spinoza I, Paris 1968, Kap. 1. 89,7 Die besondere (particularis) Essenz ist die eines Individuums; speziell (specialis), das steigerbar ist, bezeichnet die Differenz zu einem Allgemeinen. Aussagen über ein Besonderes in dessen Essenz können nicht anders als affirmativ sein. – Der Abschnitt kann als eine Zusammenfassung der beiden vorhergehenden Abschnitte [95,96] gelesen werden; er gilt dann auch für das nicht-erschaffene Ding, also für Gott, der kein Allgemeines ist und der deshalb nicht mit abstrakten Begriffen erkannt werden kann. Die »Ethik« zeigt, daß diese Erkenntnis eine intuitive Erkenntnis ist, in der ein Individuum zugleich sich selbst erkennt (vgl. V prop. 31, schol.). 89,9 Die Betrachtung der Ordnung (ordo) eröffnet keineswegs den dritten Teil der Methodenlehre, der von einer festzulegenden Ordnung handelt, damit unser Verstand sich nicht mit unnützen Dingen beschäftigt (vgl. Abschn. [49]), wie Curley in seiner Ausgabe (S. 23) irrtümlich annimmt. Sie betrifft eine Ordnung der Dinge, die verständlich machen soll, daß wir in der Herleitung von Ideen im bloßen Verstand die Dinge, wie sie an sich sind, objektiv wiedergeben. Erfaßt die an der genetischen Definition orientierte Idee die Essenz eines singulären Dinges, dann erfaßt sie darin nicht das Ding in dessen zeitlichem Existieren. Folgen nun Ideen auseinander, sofern sie vom Verstand hergeleitet werden und zwar nicht beliebig, sondern sachangemessen, dann muß diesem Abfolgen in der physischen Welt eine Abfolge (series) der Dinge korrespondieren, die keine zeitliche Abfolge sein kann, wie der Abschnitt 100 zeigt. 91,23 Der Begriff der »festen und ewigen Dinge« ist in Abschn. [100] unvermittelt eingeführt worden. Er wird hier als ein Moment der genetischen Definition von Einzeldingen in Anspruch genommen, ohne daß Spinoza dies aus einer in sich ausgewiesenen Theorie erweist. An die Stelle dieses Begriffes tritt in der »Ethik« der der unendlichen Modi (unendlicher Verstand im Attribut Denken, Ruhe und Bewegung im Attribut Ausdehnung), der für die genetische Definition von Einzeldingen gerade nicht tauglich ist, weil die unendlichen Modi nicht Ursache der endlichen Modi sind. Die vagen Formulierungen, die Spinoza in bezug auf die festen und ewigen Dinge hier gebraucht, verdeutlichen die eigene Unsicherheit bezüglich dieses Theoriestücks. 91,26 Spinoza ist sich der Leerheit des Begriffes der festen und ewigen Dinge für die Erkenntnis der Einzeldinge, und das heißt für die Erkenntnis der Essenz dieser Dinge, durchaus bewußt.
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93,13 Für die festen und ewigen Dinge muß, damit sie eine ausweisbare Funktion für die Definition von Einzeldingen haben können, selber eine Definition gegeben werden, was, wie dem Bisherigen zu entnehmen ist, nur über die Ursache der festen und ewigen Dinge geschehen kann. 93,24 Nach dem Ausflug zu den festen und ewigen Dingen kommt Spinoza zu der zentralen Überlegung der Abhandlung zurück. Es ist der Gedanke eines ununterbrochenen (»sine ulla interruptione«) Fortschreitens des Verstandes aus einer ihm eigenen Kraft, bei der er durch nichts bestimmt wird, das ihm äußerlich ist. Er wird zu der (bei den Interpreten kontrovers diskutierten) Formulierung gebracht, daß unsere Gedanken durch die Grundlage (fundamentum), von der sie ihren Ausgang nehmen, nicht begrenzt werden (terminari), daß also die gegebene wahre Idee dem Denken nicht äußerlich ist. Deshalb können wir in der Reflexion auf sie ungehindert fortfahren, all das zu erkennen, was in dieser Idee eingeschlossen ist, und darin auch zu der Erkenntnis eines letzten Prinzips gelangen. Gebhardt hat in den Text der OP, gestützt auf NS, dem »fundamento« ein »alio« hinzugefügt und das »terminari« in ein »determinari« geändert, eine Änderung, die Sinn ergibt, insofern sie enthält, daß unsere Gedanken durch kein vom Denken verschiedenes Prinzip bestimmt werden können, die aber unnötig ist. Vgl. hierzu J.-L. Marion, Le fondement de la cogitatio . . . (1972), und Rousset in seinem Kommentar (S. 405–408). 93,30 Das Fundament, das allen Formen des Wahrnehmens zugrunde liegt, wird zu einer uns leitenden Norm erst in der Erkenntnis dieses Fundaments (cognitio reflexiva), die es uns erst erlaubt, aus ihm unsere Gedanken abzuleiten. Diese Erkenntnis muß (vgl. Abschn. [71]) die Erkenntnis dessen, was der Verstand ist, einschließen. 95,24 Die Regeln, wie Definitionen zu finden sind, setzen eine Kenntnis des Verstandes voraus. Den Verstand zu erkennen, heißt aber, ihn zu definieren, wofür keine vom Verstand verschiedene Ursache angenommen werden kann. Die Definition des Verstandes muß deshalb aus dessen Eigenschaften erfolgen, die wir aber nur erkennen können, wenn wir deren Natur und das heißt die Natur des Verstandes, aus der die Eigenschaften folgen, erkannt haben. Anders als beim Kreis erkennen wir jedoch die Eigenschaften nicht aus einer vorher erkannten Natur desjenigen, dem diese Eigenschaften zukommen. Hinsichtlich des Verstandes erkennen wir dessen Natur in den Eigenschaften, die dann allerdings nicht bloße Eigentümlichkeiten (pro-
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pria) sind. Es sind angeborene Werkzeuge, in denen sich der Verstand artikuliert. 95,26 Der Abschnitt gibt eine Zusammenfassung der in der Abhandlung schon exponierten Eigenschaften. Vgl. dazu die aufschlußreiche Rekonstruktion durch Matheron, Pourquoi le Tr. de int. emend. est-il reste´ inacheve´? (1987, S. 49 ff.). 99,11 Die Affekte als Momente unseres mentalen Lebens haben eine Theorie des Verstandes zur Voraussetzung, und zwar nicht nur, was selbstverständlich ist, damit sie erkannt werden können, sondern auch, weil deren Sein allein aus dieser Theorie verständlich gemacht werden kann. Freilich wird man hierfür stärker auf die Wahrnehmungsweisen einzugehen haben, deren detaillierte Erörterung für das hiesige Vorhaben in Spinozas Augen nicht von Belang ist. 99,23 Was noch bleibt, ist, zu erweisen, daß die Eigenschaften des Verstandes mit Notwendigkeit aus etwas folgen, das von der Art ist, daß sie aus ihm eine sie verbindende Gemeinsamkeit haben. Dieses Etwas kann nur der Verstand sein, dessen Natur hierfür aber anders definiert werden müßte, nämlich im Rückgriff auf die ihn hervorbringende Ursache, die nicht der Verstand selber ist. Die »Ethik« entwickelt mit der Theorie göttlicher Attribute die Theorie einer solchen Ursache nun nicht des Verstandes, sondern des menschlichen Geistes als eines finiten Modus der göttlichen Substanz. Sie zu entwickeln, gehört nicht mehr zum Programm der vorliegenden Abhandlung.