Discovery und andere Mittel der Sachverhaltsaufklärung im englischen Pre-Trial-Verfahren im Vergleich zum deutschen Zivilprozeß [1 ed.] 9783428454914, 9783428054916


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Discovery und andere Mittel der Sachverhaltsaufklärung im englischen Pre-Trial-Verfahren im Vergleich zum deutschen Zivilprozeß [1 ed.]
 9783428454914, 9783428054916

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Schriften zum Prozessrecht Band 80

Discovery und andere Mittel der Sachverhaltsaufklärung im englischen Pre-Trial-Verfahren im Vergleich zum deutschen Zivilprozeß Von Petra Schaaff

Duncker & Humblot · Berlin

PETRA SCHAAFF

Discovery und andere Mittel der Sachverhaltsaufklärung im englischen Pre-Trial-Verfahren im Vergleich zum deutschen Zivilprozeß

S c h r i f t e n zum P r o z e s s r e c h t Band 80

Discovery u n d andere M i t t e l der Sachverhaltsaufklärung i m englischen Pre-Trial -Verfahren i m Vergleich zum deutschen Zivilprozeß

Von

Petra Schaaff

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schaaff, Petra: Discovery u n d andere M i t t e l der Sachverhaltsaufklärung i m englischen Pre-Trial-Verfahren i m Vergleich zum deutschen Zivilprozess / v o n Petra Schaaff. — Berlin: Duncker u n d Humblot, 1983. (Schriften zum Prozessrecht; Bd. 80) I S B N 3-428-05491-1 NE: GT

Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05491 1

Vorwort Deutsches Zivilprozeßrecht, geboren i m Hochliberalismus vor rund 100 Jahren, erfuhr eine frühe Korrektur durch mehrfache Reformen ab 1909, vor allem unter dem Einfluß des Österreichers Franz Klein. Richtermacht bei der äußeren Führung des Prozesses hat seitdem ständig zugenommen. Prozeßlänge und Verschleppung erschienen und erscheinen als die Übel, die es i n erster Linie zu bekämpfen gilt. Dagegen blieb die Wahrheitspflicht, seit 1933 ausdrücklich i n der ZPO normiert, vorher teilweise für selbstverständlich gehalten, weitgehend sanktionslos. Auch das Prozeßverhältnis wurde nicht — ganz anders als das Schuldverhältnis i m materiellen Recht — zum fruchtbaren Boden von gegenseitigen Unterstützungs- und Auskunftspflichten der Parteien. §422 ZPO behielt seine zentrale Bedeutung; die Vorlegungspflichten werden weiterhin aus der Sicht der ZPO als abschließend normiert und damit als Ausnahme angesehen. Erweiterte richterliche Hinweisrechte (§ 139 ZPO) können zwar derjenigen Partei helfen, welche die Tatsachen kennt, sie nur nicht zu artikulieren weiß — und damit den Sinn guter anwaltlicher Vertretung i n Frage stellen. Hinweise des Richters laufen jedoch dort leer, wo die Partei die erforderlichen Tatsachen nicht kennt und auch nicht kennen kann. Diesen Interessen gegenüber zeigte sich das deutsche Prozeßrecht erstaunlich gleichgültig. Und gerade diese Interessen sind i n einer Wirtschaft und Gesellschaft, die weit anonymer und für den einzelnen unübersichtlicher ist als vor 100 Jahren, elementar. Erst i n den letzten Jahrzehnten ist hierauf der Blick deutlicher gerichtet worden (insbesondere von Stürner). Fast zugleich wurde die Praxis freilich mit Erscheinungen des US-amerikanischen Prozesses konfrontiert, die Verständnisblockaden zu erzeugen geeignet sind. I n dieser Lage ist der Blick auf ein Recht fruchtbar, das einerseits an der Verhandlungsmaxime festgehalten hat, andererseits dem Aufklärungsinteresse der Parteien entgegenkommt, ohne dem Mißbrauch Tür und Tor zu öffnen. I n der gelasseneren Atmosphäre Englands (mit einem von den USA erheblich abweichenden anwaltlichen Standes- und Gebührenrecht) sind Instrumente der Sachverhaltsaufklärung durch die Parteien entwickelt worden, die zur näheren Betrachtung einladen — und zwar nicht nur denjenigen, der sein Recht vor englischen Gerichten nehmen w i l l oder muß.

Vorwort

6

Deutsches Recht trägt den Aufklärungsinteressen der Parteien vor allem i m materiellen Recht Rechnung. Der BGH hat hierzu m i t seiner Entscheidung vom 23.11.1982 (BGHZ 85, 327 = NJW 1983, 328 betr. Krankenunterlagen) erst kürzlich einen wesentlichen Beitrag geleistet. Diesen Ansatz stellt die vorliegende Arbeit mit Recht nicht weiter i n Frage. Sie zeigt vielmehr zahlreiche inhaltliche Parallelen zwischen prozessualem und materiellem Lösungsversuch. Der Vergleich offenbart vielfältige Ähnlichkeit zwischen Aufklärungspflicht des deutschen Rechts und discovery. Damit schlägt die Arbeit zugleich die Brücken, die für die Ausführung internationaler Rechtshilfeersuchen notwendig sind. Jedoch w i r d auch deutlich: der deutschen Neigung, die Zurückhaltung von Urkunden zu privilegieren, fehlt ein sachlich überzeugender Grund. Dem hohen Einsatz der Verfasserin ist zu danken, daß dem deutschen Juristen nicht nur das Verständnis einer wichtigen ausländischen Prozeßeinrichtung eröffnet, sondern auch die Verständigung über deren internationale Verwirklichung ermöglicht wird. Köln, i m Oktober 1983 Alexander

Lüderitz

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

17 Erster Teil Aufklärungsmöglichkeiten i m englischen Recht

§1

Das Pre-Trial-Verfahren

23

A . Zeitliche Einordnung i n den Prozeß u n d F u n k t i o n

23

B. Das A m t der Masters

24

§ 2 Pleadings

und Particulars

26

Α . Historische Entwicklung

27

B. Heutige Regelung

28

I. Inhaltliche Anforderungen

29

1. Grundsätze der Pleadings

29

2. Particulars

29

I I . ΒindungsWirkung

31

I I I . Sanktionen

31

I V . Würdigung

32

§3 Discovery

33

A . Die historische E n t w i c k l u n g

33

I. Common L a w

33

I I . Equity

34

I I I . Annäherung der Systeme u n d Reformen

37

B. Heutige Regelung I. Das Verfahren der pflicht ipso iure)

39 Automatic

Discovery

(Aufklärungs-

39

1. Geltungsbereich

40

2. I n h a l t der Liste a) Possession, Custody or Power

41 42

nsverzeichnis

8

b) Relevanz für den Rechtsstreit c) Notwendigkeit d) Verfahrensfragen

43 44 44

3. Reaktionsmöglichkeiten des Gegners a) A n t r a g auf Ergänzung der Liste b) A n t r a g auf Vorlegung bestimmter U r k u n d e n

45 45 46

4. Einsichtnahme

46

I I . Verfahren der Discovery auf A n o r d n u n g

47

1. Notwendigkeit der A n o r d n u n g bei bestimmten Verfahrensarten

48

2. A n o r d n u n g bei Weigerung des Gegners

49

3. Discovery v o r Abschluß der Pleadings a) Grundsatz b) Sonderfall des vorläufigen Rechtsschutzes c) Discovery vor der Ablieferung von Particulars

49 49 50 51

I I I . Verpflichtete Personen

52

1. Grundsatz: N u r Parteien

52

2. Ausnahmen a) Klagen wegen Personenschäden aa) Verpflichtung D r i t t e r bb) Verpflichtung künftiger Prozeßparteien b) Selbständige Klage auf Discovery — Die Norwich Pharmacal-Entscheidung c) Presserechtliche Sonderregelung

53 53 54 55 57 59

3. Sonderfälle

59

I V . Sonderregeln für die Vorlegung v o n Sachverständigengutachten V. Ausschluß der Vorlegungspflicht Privileges)

(Weigerungsgründe

oder

1. Allgemeines u n d Verfahren

60 63 63

2. Privilege against Self-incrimination

64

3. Legal Professional Privilege a) Entwicklung u n d Hintergrund b) Fallgruppen aa) Schriftverkehr zwischen K l i e n t u n d Rechtsberater bb) Schriftverkehr zwischen Rechtsberater u n d D r i t ten cc) Schriftverkehr zwischen K l i e n t u n d D r i t t e n

68 68 69 69 71 72

c) Problemfälle

73

4. W i t h o u t Prejudice

76

5. Public Interest I m m u n i t y a) Fallgruppen b) Verfahrensfragen

78 79 80

6. Andere Weigerungsgründe

83

nsverzeichnis V I . Zuständigkeit u n d Rechtsbehelfe V I I . Sanktionen

87

1. Klageabweisung bzw. Zurückweisung des Verteidigungsvorbringens

87

2. Maßnahmen wegen Contempt of Court

88

3. Verantwortung des Solicitors

88

V I I I . Kosten

89

I X . Die V e r w e r t u n g der i m Wege der Discovery offengelegten Schriftstücke

90

1. Grundsatz

90

2. Sanktionen

92

X . Würdigung

94

§4 Interrogatories

97

Α . Die historische E n t w i c k l u n g I. Common L a w

98 98

I I . Equity

98

I I I . Annäherung der Systeme u n d Reformen B. Heutige Regelung

101 102

I. Inhaltliche Anforderungen

102

1. Relevanz a) Grundsatz b) Das fishing- Verbot

102 102 103

2. Notwendigkeit

106

I I . Verfahren

§5

86

107

1. Anwendungsbereich

107

2. Der A b l a u f des Verfahrens

108

I I I . Die V e r w e r t u n g der A n t w o r t e n

110

IV. Würdigung

111

Augenschein

und körperliche

Untersuchungen

A . Augenschein I. Historische Entwicklung I I . Heutige Regelung B. Körperliche Untersuchungen I. Grundsatz I I . Anwendungsfälle

112 112 112 113 115 115 116

10

nsverzeichnis 1. Klagen wegen Körperverletzungen

116

2. Vaterschaftsfeststellungen

119

C. A n t o n Piller Orders

119

I. Hintergrund der Entwicklung

120

I I . Voraussetzungen

121

I I I . Ausweitung des Verfahrens

123

I V . Einschränkungen durch das Privilege against S e l f - i n c r i m i nation 124 § 6 Notice to Admit

127 Zweiter

Teil

Vergleichender Überblick über die Aufklärungspflichten der Parteien i m deutschen Zivilprozeß §1

Auskunftspflichten

128

A . Prozessuale Pflichten zur Sachverhaltsaufklärung

128

I. Die Substantiierungspflicht als Ausgangspunkt I I . M i t w i r k u n g s - u n d Prozeßförderungspflichten

128 des Gegners 129

1. Grundlagen u n d Voraussetzungen

129

2. Sanktionen

132

B. Der materiellrechtliche Auskunftsanspruch

133

I. Grundlagen u n d Voraussetzungen

133

1. Notwendigkeit der A u s k u n f t für die Rechtsverfolgung . . 134 2. Existenz einer Sonderverbindung

135

I I . Auskunftsverlangen zwecks einer Rechtsverfolgung gegen Dritte 137 $ 2 Pflichten

zur Vorlegung

von Urkunden

und Augenscheinsobjekten

A . Die Verpflichtung zur Urkundenvorlegung

.. 138 138

I. Verweisung auf materiellrechtliche Vorlegungsansprüche . . 139 1. Gesetzlich geregelte Vorlegungsansprüche

139

2. Vorlegungsanspruch aus § 242 B G B .

142

I I . Vorlegungspflichten pflicht

im

Rahmen

der

Prozeßförderungs; 143

B. Die Verpflichtung zur Vorlegung von Augenscheinsobjekten u n d zur Duldung körperlicher Untersuchungen 145

nsverzeichnis §3

Auskunftsverweigerungsrechte

148

Α . Die Gefahr eigener Strafverfolgung

148

I. Grundsatz

148

I I . Die Entwicklung eines Verwertungsverbots

149

B. Die Belastung D r i t t e r als Weigerungsgrund?

151

C. Der Schutz von Geschäftsgeheimnissen

151

D. Weitere Auskunftsverweigerungsgründe

153

§4 Resümee

154 Dritter

Teil

Beweisaufnahme im Ausland im Wege der Rechtshilfe Einführung:

Problemstellung

in Prozessen mit Auslandsberührung

§ 1 Das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme Zivil- und Handelssachen v. 18. 3.1970 §2 Der Evidence (Proceedings in Other Jurisdictions) Westinghouse-Entscheidungen § 3 Folgerungen

und Anregungen

im Ausland

157 in

Act 1975 und die

für das deutsche Recht

158

160 164

A . Die Behandlung von Ersuchen auf Anordnung der Vorlegung von Urkunden 164 B. Die Behandlung von Ersuchen auf Durchführung v o n Interrogatories 169 C. Vorschläge für eine Rechtsverordnung nach § 14 Ausführungsgesetz zum Haager Übereinkommen 171 Zusammenfassung der Ergebnisse

173

Anhang: Auszug aus den Rules of the Supreme Court

177

Literaturverzeichnis

191

Abkürzungsverzeichnis aA AALR aaO ABAJ AB1EG Abs. Abt. AC AcP a.E. A.-G. AJA A11ER Anm. AP AppCas Art. Aufl. B&C Β & S BB Bd. BDSG Beav BGB BGBl. BGH Β GHZ Bing BT-DrS BVerfG BVerfGE bzw. c. CA Cal R p t r Car & K i r CBNS CEA Ch Ch. App.

anderer Auffassung A n g l o - A m e r i c a n L a w Review am angegebenen Ort American Bar Association Journal A m t s b l a t t der Europäischen Gemeinschaften Absatz Abteilung L a w Reports, Appeal Cases, House of Lords and P r i v y Council, seit 1890 Archiv für die zivilistische Praxis am Ende A t t o r n e y General A d m i n i s t r a t i o n of Justice A c t A l l England L a w Reports Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis (Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts) L a w Reports, Appeal Cases, House of Lords, 1875—1890 Artikel Auflage Barnewall & Cresswell's Reports, King's Bench, 1822—1930 Best and Smith's Reports, Queen's Bench, 1861—1870 Betriebsberater Band Bundesdatenschutzgesetz Beavan's Reports, Rolls Court, 1838—1866 Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen Bingham's Reports, Common Pleas, 1822—1834 Bundestags-Drucksache Bundesverfassungsgericht Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise chapter Court of Appeal Californian Reporter Carrington and K i r w a n ' s Reports, Nisi Prius, 1843—1853 Common Bench Reports, New Series, 1856—1865 C i v i l Evidence A c t L a w Reports, Chancery Division L a w Reports, Chancery Appeals, 1865—1875

14 ChD Cir. CLJ CLP Cl & F i n CMLR Cmnd. Ct. DB D. C. ders. DGVZ d. h. Diss. ed., Ed. EG EheG Einf. Einl. EngRep evtl. EWGV Exch FamRZ f., ff. F. 2d Fn. FSR gem. GG ggfs. GRUR GRUR I n t HarvLR HL h. L. h. M. ICLQ i. E. i. e. S. I11LR ILM IPR IPRax J. LAG JDInt Jhdt. JP JuS JΖ

Abkürzungsverzeichnis L a w Reports, Chancery Division, 1875—1890 Circuit Cambridge L a w Journal Current Legal Problems Clark and Finnelly's Reports, House of Lords, 1831—1846 Common Market L a w Review Command Paper Court Der Betrieb Divisional Court derselbe Deutsche Gerichtsvollzieherzeitung das heißt Dissertation edition, Editor Europäische Gemeinschaften Ehegesetz v o m 20. 2. 1946 Einführung Einleitung The English Reports eventuell Vertrag zur Gründung einer Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Exchequer Reports, 1847—1856 Zeitschrift für das gesamte Familienrecht folgende Federal Reporter, Second Series (USA) Fußnote Fleet Street Reports gemäß Grundgesetz gegebenenfalls Gewerblicher Rechtsschutz u n d Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz u n d Urheberrecht, Internationaler Teil H a r v a r d L a w Review House of Lords herrschende Lehre herrschende Meinung International and Comparative L a w Quarterly i m Ergebnis i m engeren Sinne Illinois L a w Review International Legal Materials Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen P r i v a t - u n d Verfahrensrechts Justice Landesarbeitsgericht Journal du Droit International Jahrhundert Justice of the Peace and Local Government Review, seit 1837 Juristische Schulung Juristenzeitung

Abkürzungsverzeichnis KG KB LdRaym LG LJ L. J. LJCh LJEx LJKB/QB LM LQR LSGaz LT M & G MDR m. Ε. MichLR MLR MK Mot. m. w . N. Myl & Κ NJW NLJ No., Nr. o. O. OLG OLGZ OVG P. P. 2d para. Prot. QB QBD r. RabelsZ Recht RG RGBl. RGRK RGZ RIW/AWD Rn.

Kammergericht L a w Reports, King's Bench Division, 1900—1952 L o r d Raymond's Reports, King's Bench and Common Pleas, 1694—1732 Landgericht L a w Journal Newspaper L o r d Justice of Appeal L a w Journal, Chancery, 1831—1946 L a w Journal, Exchequer, 1831—1875 L a w Journal, King's/Queen's Bench, 1831—1946 Nachschlagewerk des Bundesgerichtshofs i n Zivilsachen, hrsg. von Lindenmaier u n d M ö h r i n g L a w Quarterly Review L a w Society's Gazette L a w Times Reports, 1859—1947 Manning and Granger's Reports, Common Pleas, 1840—1845 Monatsschrift für deutsches Recht meines Erachtens Michigan L a w Review Modern L a w Review Münchner Kommentar Motive der 1. Kommission zu dem Entwürfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich m i t weiteren Nachweisen Mylne and Keen's Reports, Chancery, 1832—1835 Neue Juristische Wochenschrift New L a w Journal Nummer oben Order Oberlandesgericht Entscheidungen der Oberlandesgerichte i n Zivilsachen Oberverwaltungsgericht L a w Reports, Probate, Divorce and A d m i r a l i t y Division, 1890 —1971 Pacific Reporter, Second Series (USA) paragraph Protokolle der Kommission für die 2. Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuchs L a w Reports, Queen's Bench Division, 1891—1901 u n d seit 1952 L a w Reports, Queen's Bench Division, 1875—1890 rule Zeitschrift für ausländisches u n d internationales Privatrecht, begründet von Ernst Rabel Zeitschrift „Das Recht" Reichsgericht Reichsgesetzblatt Reichsgerichtsrätekommentar Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts i n Zivilsachen Recht der Internationalen Wirtschaft (1954—1957), danach Außenwirtschaftsdienst des Betriebsberaters Randnote

16 RPC RSC s. S. SC (HL) sch. SchwJBIntR SCP Sim sog. SouthWLR St. StGB StPO stRspr Swanst Taunt TLR u. u. a. US USA UWG V V.

Verf. VersR Ves vgl. Vict. Will. WilsKB WLR WN WR YaleLJ z.B. zit. ZPO ZPR ZRP z. T. ZZP

Abkürzungsverzeichnis Reports of Patent Cases Rules of the Supreme Court section Seite, Satz Court of Session Cases (Scotland) (House of Lords), seit 1906 schedule Schweizerisches Jahrbuch für Internationales Recht Supreme Court Practice Simon's Reports, Chancery, 1826—1852 sogenannt Southwestern L a w Review Statute Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung ständige Rechtsprechung Swanston's Reports, Chancery, 1818—1821 Taunton's Reports, Common Pleas, 1807—1819 The Times L a w Reports, 1884—1952 unten, u n d u n d andere Reports of Cases i n the Supreme Court of the United States of America Vereinigte Staaten v o n A m e r i k a Gesetz zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs versus von, v o m Verfasser Versicherungsrecht. Juristische Rundschau für die I n d i v i d u a l versicherung Vesey Jun.'s Reports, Chancery, 1789—1817 vergleiche Bezeichnung für i n der Regierungszeit v o n K ö n i g i n Victoria erlassene Gesetze Bezeichnung für i n der Regierungszeit v o n K ö n i g W i l l i a m I V . erlassene Gesetze G. Wilson's Reports, 1742—1774 Weekly L a w Reports L a w Reports, Weekly Notes, 1866—1952 Weekly Reporter, 1852—1906 Yale L a w Journal zum Beispiel zitiert Zivilprozeßordnung Zivilprozeßrecht Zeitschrift für Rechtspolitik zum T e i l Zeitschrift für Zivilprozeß

Einleitung Der Zivilprozeß kann seiner Aufgabe, eine angemessene Beilegung des zwischen den Parteien bestehenden Streites herbeizuführen, nur nachkommen, wenn das Gericht seiner Entscheidung den wahren Sachverhalt zugrundelegen kann. Dazu ist ein umfassender Sachvortrag der Parteien nötig. Schwierigkeiten können sich jedoch dann ergeben, wenn die behauptungs- und beweisbelastete Partei selbst nicht über ausreichende Informationen verfügt. Vor der Einleitung eines Rechtsstreits und während seiner Dauer müssen sich Rechtssuchende m i t folgenden Fragen auseinandersetzen: (1) Was ist der genaue Sachverhalt, aus dem sich ein klagbarer A n spruch ergeben könnte? Das bedeutet i m einzelnen — für den Kläger: Gibt es Tatsachen, die eine Klageerhebung rechtfertigen?, manchmal auch: Gegen wen ist die Klage zu erheben? — für den Beklagten: Ist eine Verteidigung sinnvoll oder empfiehlt sich ein Anerkenntnis oder ein Vergleich? (2) Wie kann das behauptete — möglicherweise nur vermutete — Vorbringen, wenn nötig, bewiesen werden? Die Antwort auf solche Fragen erweist sich dann als besonders schwierig, wenn notwendige Informationen ausschließlich i m Wissensoder Organisationsbereich des Gegners zu finden sind, der regelmäßig nicht zur Mithilfe bereit sein wird. Das Problem stellt sich nicht nur i m Fall eines „sozialen Informationsgefälles" zwischen einem Prozeßroutinier und einem erstmals Prozessierenden 1. Hier kann es allerdings deshalb verstärkt auftreten, weil jemand, der häufiger Prozesse führt — z. B. ein Unternehmen — die Möglichkeiten zur Sachverhaltsaufklärung besser kennt und i h m größere finanzielle Mittel zur selbständigen Erforschung — etwa durch Einschaltung einer Detektei — zur Verfügung stehen. U m mögliche Rechtsnachteile infolge des Informationsdefizits einer Partei zu verhindern, sind rechtlich sanktionierte Pflichten der Parteien zur Aufklärung des Sachverhalts erforderlich. I m deutschen Recht gibt es keine einheitliche Regelung einer allgemeinen Mitwirkungspflicht der nicht behauptungs- oder beweisbelaste1 Z u dem dort auftretenden Problem der Chancenungleichheit i m Z i v i l prozeß siehe K n i f f k a , ZRP 1981, 166, 167.

2 Schaaff

18

Einleitung

ten Partei. Das erklärt sich daraus, daß dem Gesetzgeber der ZPO das vom Liberalismus geprägte B i l d gleichstarker Kontrahenten vor Augen stand, von denen keiner gezwungen werden sollte, dem Gegner zum Prozeßgewinn zu verhelfen 2 . Auch die neueren ZPO-Reformen haben diese Konzeption nicht wesentlich verändert. Dieser Ausgangspunkt w i r d jedoch heute nicht mehr als befriedigend empfunden, da er gelegentlich zu einer ungerechtfertigten Benachteiligung einer Partei führt 3 . Die Rechtsprechung hat daher i n bestimmten Fällen prozessuale Mitwirkungspflichten des Gegners anerkannt. Daneben t r i t t der i n richterlicher Rechtsfortbildung aus §242 BGB entwickelte materiellrechtliche Auskunftsanspruch. Außerdem kann bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen die Vorlegung von Urkunden aus dem Besitz des Gegners verlangt werden. Diese Möglichkeiten der Sachverhaltsaufklärung werden häufig noch für unzureichend und reformbedürftig gehalten, zumal sie i n der Rechtsprechung nicht immer einheitlich gehandhabt werden. Ihre Reichweite ist i m einzelnen noch nicht abschließend geklärt, insbesondere w i r d ihnen häufig der Einwand der unzulässigen Ausforschung entgegengehalten; ein Begriff, über dessen Bedeutung keine völlige Übereinstimmung herrscht 4 . Demgegenüber enthält das englische Recht ein umfassendes System von Pflichten, zur Sachverhaltsaufklärung beizutragen. Sie sind i m wesentlichen Gegenstand des pre-iriaZ-Verfahrens, d.h. des Stadiums zwischen Klageerhebung und trial , i n dem der Rechtsstreit für das trial vorbereitet wird. Diesen Pflichten entsprechen keine materiellrechtlichen Ansprüche des Gegners. Sie beruhen vielmehr auf dem Prozeßrechtsverhältnis zwischen den Parteien und sind daher dem Verfahrensrecht zuzuordnen. Freilich mißt das englische Recht der Unterscheidung zwischen materiellem und Prozeßrecht eine weitaus geringere Bedeutung bei als das deutsche5. Die wichtigsten Elemente sind zum einen die discovery , eine Pflicht zur Urkundenvorlegung, die als zwingender Bestandteil der meisten Verfahrensarten beide Parteien ohne besondere gerichtliche Anordnung trifft; zum anderen die interrogatories , schriftlich formulierte Fragen, die jede Partei dem Gegner nach gerichtlicher Zulassung stellen kann. Diese weitgehende Inpflichtnahme der Parteien i m Interesse der Sachverhaltsaufklärung hat ihren Grund i n dem den englischen Prozeß beherrschenden Prinzip des adversary

2 Vgl. Goldschmidt, S. 107—113, 141 f. u n d passim; dazu Cohn, G r ü n h u t Erinnerungsgabe, S. 31. 3 Bernhardt, Festgabe für Rosenberg, S. 9, 25; Jacoby, Z Z P 74 (1961), 145, 161. 4 Dazu näher unten 2. Teil, § 1 A . 5 Cohn, Festschrift für v. Hippel, S.41, 55.

Einleitung

19

system 6. Danach liegt die gesamte Prozeßführung einschließlich der Beweisaufnahme i n den Händen der Parteien, während der Richter eine überwiegend passive Funktion ausübt. Gelegentlich w i r d der Vergleich mit einem Cricket-Match angestellt, bei dem die Gegner miteinander wetteifern und der Schiedsrichter die Einhaltung der Spielregeln überwacht, jedoch nur auf Aufforderung einer Partei eingreift und schließlich das Ergebnis verkündet 7 . Der Sinn dieses Prinzips w i r d i m Fall Yuill ν Yuill 8 deutlich. Dort w i r d gesagt, ein Richter, der die Zeugenvernehmung selbst an sich ziehe, steige gewissermaßen i n die Arena hinab und laufe Gefahr, daß sein Blick durch den aufgewirbelten Staub getrübt und seine Entscheidungsfähigkeit beeinträchtigt werde. I n einem anderen Fall 9 wurde sogar ein Urteil wegen zu vieler Fragen des Richters an Parteien und Zeugen trotz seiner anerkannt guten A b sicht aufgehoben, da den Parteien kein fair trial gewährt worden sei 10 . Der englische Richter erläßt keinen Beweisbeschluß 11 und kann von den Parteien nicht benannte Zeugen nur m i t Zustimmung der Parteien laden 12 . Der Frage, ob das adversary system zur Ermittlung der wahren Sachlage besser geeignet ist 13 , kann und braucht hier nicht weiter nachgegangen zu werden. Die englischen Gerichte sehen ihre Aufgabe ausschließlich darin, den zwischen den Parteien herrschenden Streit, so wie sie i h n vorgetragen haben, beizulegen 14 . Von der Durchsetzung subjektiver Rechte und der Bewährung des materiellen Rechts wie i m deutschen Recht 15 ist dagegen nicht die Rede. Es leuchtet aber ein, daß dieses Fehlen richterlicher Befugnisse es erforderlich macht, den Parteien eine größere Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts zu übertragen. Das hierfür geltende Verfahren könnte Anhaltspunkte enthalten, an denen sich eine befriedigendere Lösung i m deutschen Recht orientieren könnte. Die Beschäftigung mit diesem Aspekt des englischen Prozesses liegt auch deshalb nahe, weil i m Verhältnis zwischen der Bundesrepublik 6 Dazu Jacob, 13 CLP (1960) 171, 174; Elliott, S. 5; Schmitthoff, JZ 1972, 38, 41; Schlosser, ZZP 94 (1981), 369, 400; Kötz, Zajtay-Festschrift, S.277, 282. 7 Pollock / Maitland, Bd. 2, S. 667; Waugh ν B r i t i s h Railway Board [1979] 2 A11ER 1169; siehe auch Cohn, Festschrift für v. Hippel, S. 41, 50. 8 [1945] P. 15, 20; [1945] 1 A11ER 183; dazu Cohn, Gerichtstag, S.43; ders., Grünhut-Erinnerungsgabe, S.31, 38. 9 Jones ν National Coal Board [1957] 2 QB 55, 61, CA. 10 Der Richter trat daraufhin auf A n r a t e n des L o r d Chancellor v o n seinem A m t zurück, vgl. den Bericht bei L o r d Denning, Due Process, S. 62. 11 Cohn, Gerichtstag, S. 18 Fn. 13; ders., Festschrift für v. Hippel, S.41, 59. 12 Re Enoch ν Zaretzky, Bock & Co's A r b i t r a t i o n [1910] 1 K B 327. 13 So Cohn, Festschrift für v. Hippel, S. 41, 60. 14 Hickman v Peacey [1945] A C 304, 318; Cohn, Grünhut-Erinnerungsgabe, S. 31, 35; Kötz, Zajtay-Festschrift, S. 277, 279 f.. 15 Rosenberg-Schwab, § 1 I I I 2, S. 3. 2*

20

Einleitung

Deutschland und Großbritannien nach der zu erwartenden Verabschiedung des Ratifizierungsgesetzes 16 durch den Bundestag das EG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen i n Z i v i l - und Handelssachen vom 27. 9. 196817 anzuwenden sein wird. Das Vereinigte Königreich ist i h m durch Unterzeichnung des auf der Grundlage von A r t . 3 Abs. 2 der Beitrittsakte vom 22. 1. 1972 geschlossenen (modifizierenden) Übereinkommens vom 9. 10. 1978 beigetreten 18 . Die dadurch erweiterte internationale Zuständigkeit englischer Gerichte und die vereinfachte Vollstreckbarkeit ihrer Entscheidungen i m Inland werden ebenso zu einer näheren Berührung mit Institutionen des englischen Verfahrensrechts führen wie dies i m Rechtshilfeverfahren nach dem Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme i m Ausland i n Z i v i l - und Handelssachen vom 18. 3. 197019 bereits der Fall ist. Schließlich hat das englische Recht auch das US-amerikanische Verfahrensrecht stark beeinflußt, das das Institut der discovery — allerdings m i t erheblichen Erweiterungen 2 0 — übernommen hat. Das vor den amerikanischen Gerichten durchgeführte discovery Ύ erfahren hat i n Deutschland einen höheren Bekanntheitsgrad erlangt, was nicht zuletzt auf spektakuläre Interessenkollisionen i m internationalen Rechtsverkehr 2 1 zurückzuführen ist. Die Darstellung der Ursprünge der discovery und ihrer Weiterentwicklung i m englischen Recht kann daher auch dazu beitragen, Verständnis für die jedenfalls zum Teil berechtigten Anliegen der amerikanischen discovery- Regelung zu wecken, zugleich aber auch ihre Gefahren deutlicher zu machen. Die Arbeit beschränkt sich auf das für den High Court geltende Prozeßrecht. Der High Court of Justice wurde durch den Judicature Act 1873—75 als zentrales Gericht für England und Wales gegründet. Er besteht heute aus drei Abteilungen, der Queen's Bench Division, Chancery Division und Family Division. Nach der seit dem 1. 10. 1981 geltenden Regelung 22 ist er generell bei einem Streitwert über £ 5000.— zuständig, i n Streitigkeiten über Grundstücke und Grundpfandrechte ab £ 1000.—, i n Equity- und Erbschaftssachen ab £ 30 000.—. Als Rechtsquelle sind die Rules of the Supreme Court (zitiert nach Order und 16

B T - D r S 9/2081. B G B l 1972 I I S. 774. 18 AB1EG 1978 Nr. L 304/1, 77, 97; dazu Schlosser, AB1EG 1979 Nr. C 59/71 ff. 19 Dazu näher i m 3. Teil. 20 Siehe unten § 3 Β . X., § 4 B. I . 1. b, I V . 21 Siehe unten 3. Teil, § 1. 22 Siehe dazu Barnard, 131 N L J (1981) 1003 ff. 17

Einleitung

Rule) 23 heranzuziehen, die die Funktion einer Prozeßordnung erfüllen und vom Rule Committee aufgestellt werden 24 . I h m gehören der Lord Chancellor, Lord Chief Justice, Master of the Rolls, der Vorsitzende der Family Division, vier Richter des Supreme Court und je zwei Vertreter der Barristers und Solicitors an. Die Rules werden geltendes Recht, wenn das Parlament, dem sie vorgelegt werden, kein Veto einlegt 25 . Inhaltlich stellen sie meist eine Festschreibung des bisherigen Fallrechts dar, sie werden aber ihrerseits auch wieder durch Entscheidungen konkretisiert und weiterentwickelt. Daher muß zu ihrer Interpretation auf Gerichtsentscheidungen zurückgegriffen werden. Für das Verfahren der County Courts gelten besondere, i n den hier maßgeblichen Punkten aber weitgehend übereinstimmende Rules 26 , deren Berücksichtigung i m einzelnen jedoch zu weit führen würde. Zu bemerken ist noch, daß das englische Recht eine strikte Unterteilung i n Z i v i l - und Öffentliches Recht nicht vornimmt. Der Begriff des Civil Law i. e. S. dient vor allem dazu, den Gegensatz zum Strafrecht herauszustellen. Er schließt neben dem Bürgerlichen Recht auch das Verwaltungs- und Verfassungsrecht ein 27 . Daher gelten die gleichen Vorschriften einheitlich für alle Verfahrensarten 28 . Sie werden lediglich i n einigen Bereichen (z. B. Criminal Law f Admiralty) durch Sonderregeln ergänzt. Die leading cases stammen daher aus allen Rechtsgebieten. Die Tatsache, daß sie nach deutschem Recht als verwaltungs- bzw. strafrechtlich zu qualifizieren sind, spielt für die vorliegende Arbeit grundsätzlich keine Rolle. Freilich w i r d der zivilprozeßrechtliche Aspekt hervorgehoben, da er für die Rechtsvergleichung am ehesten interessiert. Der erste Abschnitt der Untersuchung beschäftigt sich m i t den einzelnen Instrumenten der Sachverhaltsaufklärung i m englischen pre iriaZ-Verfahren und ihren Grenzen. I m zweiten Abschnitt folgt ein Überblick über die entsprechenden prozessualen und materiellrechtlichen Möglichkeiten des deutschen Rechts. Dabei soll versucht werden, der englischen Regelung Argumente für eine erweiternde Auslegung der zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu entnehmen, zugleich 23 Der Originaltext der Rules, die die i n der A r b e i t behandelte Thematik betreffen, ist i m A n h a n g wiedergegeben. 24 Halsbury's Laws, Bd. 10, Courts, A n m . 908. 25 Sie werden m i t Erläuterungen i n der A n n u a l Practice („the W h i t e Book") veröffentlicht. 26 Veröffentlicht i n der County Court Practice. 27 Schlosser, AB1EG 1979 Nr. C 59/71, 82 f. 28 Auch i m deutschen Recht w i r d eine Vereinheitlichung des Z i v i l - u n d Verwaltungsprozeßrechts (unter Ausschluß der StPO) als Fernziel ins Auge gefaßt, vgl. den Bericht über den 54. Deutschen Juristentag i n N J W 1982, 2541, 2543.

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Einleitung

aber den Unterschieden der Systeme Rechnung zu tragen. Der dritte Abschnitt behandelt schließlich die Problematik unter dem Aspekt der Beweisaufnahme i m Ausland, speziell i m Verhältnis zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich.

Erster

Teil

Aufklärungemöglichkeiten i m englischen Recht § 1 Das Pre-Trial-Verfahren A. Zeitliche Einordnung in den Prozeß und Funktion Das Vorverfahren (pre-iriaZ-Verfahren), ein wichtiges Charakteristik u m des englischen Prozesses, findet statt zwischen der Zustellung der Klage und dem trial , also dem mündlichen Hauptverhandlungstermin 1 . Es handelt sich also nicht u m ein „vorprozessuales" Verfahren, sondern setzt den Beginn eines Rechtsstreits voraus. Es besteht aus dem vorbereitenden Schriftwechsel der Parteien sowie prozessualen Entscheidungen des Gerichts. Ein wesentlicher Bestandteil des Vorverfahrens ist die Erteilung von Anweisungen zum weiteren Verfahrensablauf 2 , die von den Parteien i m einzelnen beantragt werden. Dazu findet i n der Regel eine Anhörung beider Parteien i m Rahmen einer oder notfalls mehrerer mündlicher Vorverhandlungen (hearing on the summons for directions) statt. Das Vorverfahren endet damit, daß auf Antrag des Klägers ein Termin für das trial anberaumt wird, wenn der Rechtsstreit verhandlungsreif ist. Sachlich zuständig ist nicht das Prozeßgericht, sondern der Master, ein höherer Gerichtsbeamter, der i n diesem Stadium als „das Gericht" auftritt 3 . Das Vorverfahren dient dem Zweck, durch Sachverhaltsklärung und Kontrolle von Formalien den Streitstoff und die Beweismittel vorzubereiten 4 . Dies ist deshalb erforderlich, weil nach Beginn des trial, das i m Idealfall nur einen Tag dauert, keine Zeit mehr bleibt, weiteres Material zu beschaffen. Daher werden vorher die relevanten Urkunden zusammengestellt, die Streitpunkte werden herausgearbeitet und ggfs. w i r d eine Einigung über Gutachten von Sachverständigen, deren Ver1 Wegen der erheblichen Unterschiede zum deutschen Recht setzung „mündliche Hauptverhandlung" vermieden u n d die zeichnung beibehalten werden. Vgl. auch Cohn, Gerichtstag, Übersetzung „Gerichtstag" vorschlägt. 2 O. 25 r. 1 (1) RSC; Langan, S. 145 ff.; Koellreutter, S.43, 50; Bunge, ZPR, S. 87 f. 3 O. 1 r. 4 (2) RSC. 4 Jacob, 1 C M L R (1963—64) 294.

soll die Überenglische BeS. 18, der die Gerland, S. 14;

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1. Teil: Aufklärungsmöglichkeiten i m englischen Recht

nehmung i m trial dann entbehrlich wird, herbeigeführt. A u f die Resultate des Vorverfahrens darf für die Entscheidung i m trial allerdings nur insoweit zurückgegriffen werden, als die Parteien sie vortragen. Das Verfahren bewirkt somit eine Zeitersparnis i m trial und eine wesentliche Entlastung der Richter, deren Zahl i m Verhältnis zur Bundesrepublik sehr gering ist 5 . Gleichzeitig bietet es den Parteien Gelegenheit zu einem Vergleichsabschluß. I n der Queen's Bench Division enden etwa 5 0 % der Rechtsstreitigkeiten mit einem Vergleich 6 . Die Vergleichsbereitschaft w i r d vor allem durch das hohe Köstenrisiko gefördert. Obwohl das englische Recht den Grundsatz „the costs follow the event" 7 kennt, also die Kostenverteilung prinzipiell dem materiellrechtlichen Obsiegen und Unterliegen folgt, gilt dies nicht zwingend, sondern das Gericht kann nach seinem Ermessen i n von den Patteien nicht immer vorhersehbarer Weise anders entscheiden 8 . Auch die obsiegende Partei erhält nur selten die ihr entstandenen außergerichtlichen Kosten i n voller Höhe erstattet 9 , i n Ausnahmefällen trägt sie sogar die Kosten des Gegners 10 . Bei der Vorbereitung von Vergleichsverhandlungen kann der Master sich offener zu den Erfolgsaussichten einer Klage äußern als ein Richter, der den Vorwurf der Befangenheit befürchten müßte 11 . Da das Verfahren nicht vor dem Richter und nur i n Parteiöffentlichkeit stattfindet, fällt die Vertretung der Parteien i n den Aufgabenkreis des Solicitors, nicht des Barristers, der nur i m trial selbst auftritt 1 2 . Es besteht kein Anwaltszwang, aufgrund der oft schwierigen Rechtsfragen ist die Hinzuziehung eines Anwalts aber meist unumgänglich. B. Das Amt der Masters Das heutige A m t der Masters hat sich aus dem der Masters i n den früheren Common Law- und Equity-Gerichten entwickelt. I n den Common Law-Gerichten, die damals i n der Regel i n einer Besetzung mit 4 Richtern entschieden, hatte sich bis zum Beginn des 5

Siehe dazu Romberg, S. 67; Mann, S. 4 f. Diamond, 47 A B A J (1961) 697, 701; andere Quellen sprechen sogar v o n über 90 °/o, siehe Cohn, Festschrift für v. Hippel, S. 41, 54. 7 Reid, H e w i t t & Co. ν Joseph [1918] A C 717; Diamond, aaO, S. 699; Jacob, 1 C M L R (1963—64) 294, 295. 8 Odgers, S.362. 9 Odgers, S. 360. 10 London Welsh Estates, Ltd. ν P h i l l i p [1931] 100 L. J. Κ . Β . 449. 11 Diamond, 76 LQR (1960) 504, 520. 12 Langan / Lawrence, S. 257. Z u der Zweiteilung der Anwaltschaft siehe Romberg, S. 25 ff.; James, S. 49 ff. 6

§ 1 Das Pre-Trial-Verfahren

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19. Jhdts. die Praxis herausgebildet, die sog. interlocutory -proceedings , d.h. vor allem vorbereitende Verfahrensentscheidungen, die damals einen wesentlich geringeren Umfang hatten als heute, an einen Richter zu delegieren, der als judge in chambers hierüber entschied 13 . Wegen der gestiegenen Arbeitsbelastung ermächtigte der Judges' Chambers (Despatch of Business) Act 1867 zum Erlaß von rules , durch die die Aufgaben dieser „Einzelrichter" an die Masters weiterübertragen w u r den 14 . Das A m t der Chancery Masters geht auf die Royal Clerks des Lord Chancellor seit dem 11./12. Jhdt. zurück, die ab Ende des 14. Jhdts. als Masters bezeichnet wurden 1 5 . Schon ab dem 17. Jhdt. wuchs ihnen ein größeres Betätigungsfeld zu. Sie w i r k t e n vor allem bei der Sachverhaltsaufklärung und der Überwachung von Rechnungslegungen mit. Ihre Stellung als Gebührenbeamte, die zu erheblichen Mißständen wie Verzögerungen, Ämterkauf und persönlicher Bereicherung geführt hatte 16 , wurde 185217 beseitigt und eine strengere richterliche Kontrolle eingeführt. Heute gibt es 8 Queen's Bench Masters und 6 Masters i n der Chancery Division, die vom Lord Chancellor auf Lebenszeit (during good behaviour) ernannt werden 18 . Ein Queen's Bench Master muß mindestens 10 Jahre als Barrister, ein Chancery Master ebensolange als Solicitor praktiziert haben. I n der Regel sind die Master aber ältere Juristen mit sehr viel längerer Berufserfahrung 19 . Den Queen's Bench Masters sind Befugnisse vor allem i m Vorverfahren, m i t Ausnahme von Eingriffen i n die persönliche Freiheit, ζ. B. wegen contempt of court oder i m Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes, die durch Zwangsmaßnahmen vollstreckt werden können 20 , zugewiesen. Sie können sogar verfahrensbeendende Entscheidungen treffen, ζ. B. die Klage abweisen oder Versäumnisurteile erlassen. Die Chancery Masters haben formal keine eigene Zuständigkeit, sondern werden i n Vertretung für den Richter tätig 2 1 . Durch die rules sind ihnen aber inhaltlich die gleichen 13

Diamond, 76 LQR (1960) 504, 505 ff.; Koellreutter, S. 15. Diamond, aaO, S. 510. 15 Ball, 77 LQR (1961) 331, 333. 16 Ball, 77 LQR (1961) 331, 338 ff.; Radcliffe / Cross, S. 153. 17 Court of Chancery Amendment A c t 1852, siehe Ball, aaO, S. 342; K o e l l reutter, S. 18. 18 Halsbury's Laws, Bd. 10, Courts, A n m . 937, 938; Bunge, Richterpersönal, S.ll. 19 Diamond, 47 A B A J (1961) 697, 700. 20 Diamond, 76 LQR (1960) 504, 512; Bunge, Richterpersonal, S. 14, 15. 21 Diamond (vorige Fn.), S. 512, Fn. 1; Lloyd's Bank ν Princess Royal Colliery Co. [1900] 48 W R 427; Ball, 77 LQR (1961) 331, 344 f.; Koellreutter, S. 20. 14

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1. Teil: Aufklärungsmöglichkeiten i m englischen Recht

Aufgaben übertragen wie den Queen's Bench Masters. Entsprechend kann gegen Entscheidungen der Queen's Bench Master das Rechtsmittel des appeal eingelegt werden, während i n der Chancery Division die Anrufung des Richters mittels adjournment („Vertagung") möglich ist 22 . Gegen die hierauf ergehende richterliche Entscheidung kann dann noch der Court of Appeal angerufen werden 23 . Tatsächlich werden aber nur etwa 1,6% der Anordnungen der Master angegriffen, der Anteil der erfolgreichen Rechtsbehelfe liegt noch wesentlich niedriger 24 . I n der Family Division werden die Aufgaben i m pre-trial- Verfahren von den Registrars wahrgenommen. Sachliche Unterschiede zu der Tätigkeit der Master bestehen nicht.

§2 Pleadings und Particulars Erste Informationen über das Vorbringen ihres Gegners erhält jede Partei i m Wege der pleadings , d.h. formaler „Schriftsätze" 1 , die nach der Zustellung der Klageschrift (writ) zwischen den Parteien ausgetauscht werden. Sie dienen dem Zweck, die Parteien darüber i n Kenntnis zu setzen, was gegen sie vorgebracht wird, u m Überraschungsgriffe i m trial zu vermeiden und einschätzen zu können, welches Beweismaterial benötigt wird 2 . Außerdem w i r d das trial vorbereitet, indem die Streitpunkte festgelegt werden und eine Entscheidung über die angemessene Verfahrensweise (z. B. Zuständigkeit des Commercial Court, trial m i t oder ohne jury) ermöglicht wird 3 . Die Information des Gerichts ist nicht unmittelbarer Zweck der pleadings. Der Richter kann sie vor dem trial lesen, er braucht dies aber nicht zu tun 4 . I n Verfahren, i n denen die Streitpunkte offen und eindeutig erkennbar sind, können die Parteien einverständlich auf pleadings verzichten 5 , was aber nur selten geschieht. Da die pleadings Voraussetzung und Grundlage für die weiteren Aufklärungsmittel sind, ist es notwendig, näher auf die hierfür geltenden Grundsätze einzugehen.

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Halsbury's Laws, Bd. 10, Courts, A n m . 938; Bunge, Richterpersonal, S. 29. Siehe dazu näher unten V I I . 24 Diamond, 47 A B A J (1961) 697, 700; siehe auch Koellreutter, S. 54. 1 U m Assoziationen zu den — inhaltlich sehr verschiedenen — deutschen Schriftsätzen zu verhindern, w i r d i m folgenden n u r der englische Begriff verwendet. 2 L o r d Chorley, 12 M L R (1949) 319, 321; Jacob, 13 CLP (1960) 171, 174; Odgers, S.75f. 3 Jacob, aaO, S. 176; Odgers, aaO. 4 Cohn, Gerichtstag, S. 32 f. 5 O. 18 r. 21 RSC. 23

§ 2 Pleadings u n d Particulars

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Α. Historische Entwicklung I n den Common Law-Gerichten fanden ursprünglich nur mündliche pleadings statt, die erst anschließend von einem Gerichtsbeamten auf einer Pergamentrolle i n lateinischer Sprache schriftlich niedergelegt wurden. Die mündlichen pleadings herrschten bis zum 13. Jhdt. vor und waren noch bis Ende des 14. gebräuchlich 6 . Danach ging man dazu über, daß die pleadings von den Parteivertretern direkt auf das Pergament geschrieben wurden, das der Gegner dann einsah. Mitte des 15. Jhdts. kam es zum Austausch schriftlicher pleadings zwischen den Parteien 7 . Damit war aber keine Änderung der für ihren Inhalt geltenden Grundsätze verbunden. Wie vieles i m Common LawVerfahren waren auch die pleadings insofern von der Institution der jury beeinflußt, als sie i n erster Linie dazu dienten, die von ihr zu entscheidenden Sachfragen herauszuarbeiten 8 . Man bemüht sich aber dem Gedanken des sportlichen Wettkampfs 9 entsprechend, dabei dem Gegnur so wenig Informationen wie möglich zu geben 10 und die pleadings i n kürzester Form abzufassen. Es wurden i n der Regel nur die Rechtswirkungen einer Tatsache vorgetragen, nicht aber die zugrundeliegenden Tatsachen selbst 11 . Der Austausch der pleadings fand ohne die M i t w i r k u n g oder Aufsicht des Gerichts statt. Doch mußten sehr strenge Formvorschriften beachtet werden, so daß subtile technische Regelungen oft wichtiger für den Prozeß ausgang waren als die materielle Rechtslage. Blackstone sprach von der „science of pleading" 1 2 . Es w i r d geschätzt, daß u m 1840 etwa 25 Vo aller Entscheidungen allein auf Formfehlern i n den pleadings beruhten 13 . So durfte ursprünglich i n jeder Klage nur ein Streitpunkt (issue) enthalten sein 14 . Diese Formalien wurden erst durch die Common Law Procedure Acts 1852—60 teilweise beseitigt. I m Court of Chancery waren die pleadings dagegen sehr ausführlich, da es hier darauf ankam, den Richter von der Angemessenheit der erstrebten Rechtsfolge zu überzeugen und i h m daher alle Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorgetragen werden mußten 15 . Da die Entschei6

Halsbury's Laws, Bd. 36, Pleading, A n m . 1 Fn. 1; Radcliffe / Cross, S. 178. Halsbury's Laws, aaO; Holdsworth, Bd. 3, S. 640 ff.; Odgers, S. 77 f.; Baker, S. 72. 8 Odgers, S. 77; Baker, S. 77. 9 Siehe oben Einl. bei Fn. 7. 10 Cotton L. J. i n Spedding ν Fitzpatrick [1888] 38 ChD 410, 414, CA. 11 Langdell, Select Essays, S. 753, 772; Odgers, S. 84. 12 Bd. 3, S. 305. 13 Siehe Holdsworth, Bd. 9, S. 325. 14 Baker, S. 76, 77; Radcliffe / Cross, S. 178. 15 Banbury ν Bank of Montreal [1918] A C 710. 7

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1. Teil: Aufklärungsmöglichkeiten i m englischen Recht

düngen auf Billigkeitsrecht beruhten, war die Darlegung von Rechtsansichten entbehrlich. Der Austausch der hier immer schriftlichen pleadings fand unter der Aufsicht des Gerichts statt, d.h. sie mußten dort eingereicht werden und der Gegner konnte Einwände erheben. Dies führte häufig zu zeitraubenden Verhandlungen, noch bevor das trial begonnen hatte 16 . Fehler konnten durch nachträgliche Ergänzungen korrigiert werden, und die Parteien waren in der Darstellung weitgehend von Formalien frei 1 7 . Nach dem Zusammenschluß der Gerichtszweige i m High Court durch die Supreme Court of Judicature Acts 1873—75 18, die zu einer sehr weitgehenden Verschmelzung von Common Law und Equity auf dem Gebiet des Prozeßrechts führten 1 9 , wurde eine Neuregelung eingeführt, die als Kompromiß zwischen der Kürze der Common Law-pleadings und der Flexibilität der Equity entstanden war. A b 1897 war der Austausch von pleadings nur nach gerichtlicher Zulassung möglich, die i n der Praxis aber immer erteilt wurde. 1933 wurde dieses Erfordernis wieder beseitigt 20 . B. Heutige Regelung Zwar werden gegenwärtig nur noch weniger als 2