Die zweite Instanz im deutschen und französischen Zivilverfahren: Konzeptionelle Unterschiede und wechselseitige Schlussfolgerungen 9783161540332, 3161540336

Der Wandel der Berufung zu einer Fehlerkorrekturinstanz stößt auch über zehn Jahre nach dem Zivilprozessreformgesetz auf

129 89 3MB

German Pages 292 [293] Year 2016

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Table of contents :
Die zweite Instanz im deutschen und französischen Zivilverfahren: Konzeptionelle Unterschiede und wechselseitige Schlussfolgerungen
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einführung
Materialienverzeichnis
Entscheidungsregister
Sachregister
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Die zweite Instanz im deutschen und französischen Zivilverfahren: Konzeptionelle Unterschiede und wechselseitige Schlussfolgerungen
 9783161540332, 3161540336

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Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 349 Herausgegeben vom

Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:

Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann

Lars Bierschenk

Die zweite Instanz im deutschen und französischen Zivilverfahren Konzeptionelle Unterschiede und wechselseitige Schlussfolgerungen

Mohr Siebeck

Lars Bierschenk, geboren 1984; Studium der Rechtswissenschaft in Heidelberg und Genf; 2010 Erste Juristische Staatsprüfung; Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre du Droit de l’Entre­ prise der Universität Montpellier I und am Institut für ausländisches und internationales Privatund Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg; Referendariat im Bezirk des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main; 2014 Zweite Juristische Staatsprüfung und Promotion; seit 2014 Referent bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht in Bonn.

ISBN 978-3-16-154033-2 ISSN  0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­biblio­ graphie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de ab­r ufbar. © 2015  Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer­t ung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikro­verfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek­t ronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck­papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit wurde im Sommersemester 2014 von der Juristischen Fakultät der Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg als Dissertation angenommen. Sie entstand in Anknüpfung an die Reformen des französischen Zivilprozessrechts in den Jahren 2010 bis 2012 während meiner Tätigkeit als Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Centre du Droit de l’Entreprise der Universität Montpellier I und am Institut für aus­ ländisches und internationales Privat- und Wirtschaftsrecht der Universität Heidelberg. Die Disputation fand am 8. Dezember 2014 in Heidelberg statt. Gesetzesänderungen, Rechtsprechung, Literatur und statistische Daten konnten noch bis zum 1. Januar 2015 berücksichtigt werden, französische Sekundärquellen teilweise nur bis zum 1. Juli 2014. Besonders danken möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Burk­hard Hess, der mein Interesse für das vergleichende Prozessrecht geweckt und die Arbeit mit zahlreichen wertvollen Anregungen bereichert hat. Auch das internationale Umfeld seines Lehrstuhls und die vielfältigen Bezüge zur Rechtspraxis haben diese Arbeit wesentlich geprägt. Herrn Prof. Dr. Stefan Huber, LL.M. danke ich für die Erstellung des Zweitgutachtens, ebenso Herrn Prof. Dr. Christoph Kern, LL.M. für den Vorsitz bei der Disputation. Für die wissenschaftlich und persönlich sehr bereichernde Zeit sowie für die enorme Unterstützung und die zahlreichen Diskussionen danke ich meinen Kollegen und Freunden an den Instituten in Heidelberg und Montpellier, insbesondere Evelyne Cave, Dr. Björn Laukemann, Maîtr. en droit, Dr. Hannes Wais, LL.M., Dr. Robert Magnus, Adriani Dori, LL.M., Adrien Bezert, LL.M. und Dennis Lievens, LL.M. Bedanken möchte ich mich auch bei Frau Prof. Dr. Frédérique Ferrand, Herrn Rechtsanwalt Prof. Dr. Bernd Hirtz, Herrn Eric Senna, Conseiller à la Cour d’appel de Montpellier und Herrn Christophe Toulza, Avocat et Directeur de la formation initiale de l‘École des Avocats Centre Sud sowie bei allen weiteren Personen auf deutscher und französischer Seite, die den Fortgang der Arbeit durch aufschlussreiche Gespräche und Hinweise gefördert haben. Für die großzügige Unterstützung während der Aktualisierung der Arbeit in der Bibliothèque nationale de France in Paris danke ich Clemens Steinhilber, LL.M. Besonderer Dank gebührt auch den Direktoren des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Privatrecht Hamburg, insbesondere Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Jürgen Basedow, LL.M., für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe.

VIII

Vorwort

Von ganzem Herzen danke ich meiner Familie, vor allem meinen Eltern, Marion und Dieter Bierschenk, die mich auf meinem Weg stets nach Kräften unterstützt und ermutigt haben. Mein ganz besonderer Dank gilt meiner Freundin Friederike Voßkamp, M.A. Sie hat nicht nur durch die Korrektur des Manuskripts erheblich zum Gelingen der Arbeit beigetragen, sondern stand mir auch in allen entscheidenden Momenten meiner Ausbildung zur Seite. Bonn, im Sommer 2015

Lars Bierschenk

Inhaltsübersicht Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

§  1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 §  2 Rechtsmittel und voies de recours als gesetzliche Ausgangspunkte . 5 §  3 Die Struktur der zivilprozessualen Instanzenzüge: Deutsch-französische Vergleichspaare . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 §  4 Die Rechtsmittelgerichte zweiter Instanz im deutschen und im französischen Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 15

Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte als systematische Grundlage der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . 27 §  5 Die Grundzüge der deutschen und der französischen zivilen Urteilslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 §  6 Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz an die Entscheidungen der Eingangsgerichte . . . . . . . . . . . . . 39 §  7 Typisierte Zuordnung der Eingangsgerichte und der korrespondierenden Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . 76

X

Inhaltsübersicht

Dritter Teil:  Theoretische und praktische Gegenüberstellung des appel und der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 §  8 Zum Hintergrund der Reformen beider Rechtsmittel . . . . . . . . . 81 §  9 Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 §  10 Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116

Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation: Der zweitinstanzliche Rechtsschutz gegen Entscheidungen von verhältnismäßig geringem Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 §  11 Erschwerter Zugang und begrenzter Schutz: Der pourvoi en cassation im Vergleich zum appel . . . . . . . . . . 200 §  12 Ausnahmen und prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 §  13 Grundlagen und Perspektiven einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Fünfter Teil:  Zusammenfassung der Ergebnisse und Thesen . . . . . 216 §  14 Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 §  15 Résumé et conclusions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Entscheidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Inhaltsverzeichnis Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Inhaltsübersicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XXIII

§  1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1

Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 §  2 Rechtsmittel und voies de recours als gesetzliche Ausgangspunkte . 5 I. Die Systematik der voies de recours des Code de procédure civile . 5

II. Vergleichende Betrachtung der Rechtsmittelsystematik der deutschen Zivilprozessordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 III. Rechtsbehelfe und autres recours: Zu den Risiken weiterer Kategorienbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8

§  3 Die Struktur der zivilprozessualen Instanzenzüge: Deutsch-französische Vergleichspaare . . . . . . . . . . . . . . . . . 11

I. Der appel civil und die Rechtsmittel der Berufung und der sofortigen Beschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 II. Die opposition als voie de recours ordinaire und der Einspruch als Verfahrensschritt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 III. Unterschiedliche Einbeziehung von Revision und pourvoi en cassation in den Instanzenzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13

§  4 Die Rechtsmittelgerichte zweiter Instanz im deutschen und im französischen Zivilverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 I.

Landgerichte und Oberlandesgerichte als dezentrale Berufungsund Beschwerdegerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 II. Die Cour d’appel als zentrales Rechtsmittelgericht – eine vergleichende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 1. Zu den Grundzügen der französischen Gerichtsverfassung . . . 18 2. Überblick über die unterschiedlichen Verfahrensweisen vor der Cour d’appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19

XII

Inhaltsverzeichnis

3. Zentralisierungsbestrebungen der deutschen Gerichtsverfassung 20 III. Zu den praktischen Folgen und den Gründen der unterschiedlichen Gerichtsverfassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 1. Relativierung der Zentralität der Cour d’appel aufgrund spezieller chambres sociales . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Organisation der Spruchkörper der Cours d’appel und der ordentlichen Berufungsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . 24 3. Historisch-vergleichende Analyse der Gründe für die zentrale Stellung der Cour d’appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25

Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte als systematische Grundlage der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . 27 §  5 Die Grundzüge der deutschen und der französischen zivilen Urteilslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 I.

Urteile, Beschlüsse und Verfügungen als Entscheidungen des deutschen Zivilverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 II. Die Entscheidungsarten des französischen Zivilprozesses . . . . . 29 1. Das jugement als verfahrensbeendende und verfahrensfördernde Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 a) Das jugement sur le fond als Entscheidung in der Hauptsache 30 b) Das jugement avant dire droit als verfahrensfördernde Nebenentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 c) Zur formellen und materiellen Rechtskraftfähigkeit beider Entscheidungsarten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Die ordonnances des juge de la mise en état und des juge chargé d’instruire l’affaire . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Zu den Besonderheiten der Verfahren vor den französischen Eingangsgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 b) Das Konkurrenzverhältnis der ordonnances zum jugement avant dire droit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 c) Das Konkurrenzverhältnis der ordonnances zum jugement sur le fond . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 3. Die mesures d’administration judiciaire als Entscheidungen der Verfahrensorganisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38

§  6 Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz an die Entscheidungen der Eingangsgerichte . . . . . . . . . . . . . 39 I.

Entscheidungen in der Hauptsache und Entscheidungen der Verfahrensförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 1. Die Trennung von Berufungs- und Beschwerdeverfahren im deutschen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40

Inhaltsverzeichnis

XIII

2. Die umfassende Statthaftigkeit des appel im französischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 a) Das Prinzip von appel immédiat und appel différé als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 b) Durchbrechung des Prinzips durch den appel immédiat gegen das jugement mixte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 c) Zweckgebundene Sonderregeln über die Statthaftigkeit des appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 aa) Der appel soumis à autorisation im Rahmen von expertise und sursis à statuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 bb) Der appel gegen die ordonnances der erstinstanzlichen Instruktionsrichter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 cc) Der appel im Rahmen des serment décisoire . . . . . . . 48 3. Praktische Gegenüberstellung der deutschen und der französischen Systematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 a) Der Rechtsschutz im Rahmen der Sachaufklärung und der Beweiserhebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 aa) Vergleich bezüglich anordnender Entscheidungen . . . . 49 bb) Vergleich bezüglich ablehnender Entscheidungen . . . . 52 cc) Vergleich bezüglich des juge de la mise en état und des beauftragten Richters . . . . . . . . . . . . . . 53 b) Der Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der übrigen Verfahrensleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 c) Erläuterung der Unterschiede und Rückführung auf ihre historischen Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . 54 aa) Anklänge der französischen Systematik im deutschen Verfahrensrecht? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 bb) Unterschiede und Folgen der römischen und der deutschen Urteilslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 cc) Die Konzeption des appel nach dem Ancien Code de procédure civile von 1806 . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Grundsätze der Anknüpfung des appel an die Entscheidungen der Erstinstanz . . . . . . . . . . . 58 (2) Umfassender Strukturwandel infolge der Reform von 1942 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (3) Rückbesinnung auf die ursprüngliche Systematik durch die Reform von 1958 . . . . . . . . . . . . . . 61 II. Die Bedeutung des Streit- und des Beschwerdewertes für die Eröffnung der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 1. Französischer taux de ressort und deutsche Erwachsenheitssumme als Grundunterschied . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 2. Der pourvoi en cassation als konkurrierendes Rechtsmittel zweiter Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64

XIV

Inhaltsverzeichnis

a) Die Anknüpfungssystematik des pourvoi en cassation aus der Perspektive des appel . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 b) Historisch-vergleichende Analyse der Statthaftigkeit des pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 aa) Der Grundsatz de minimis non curat praetor im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 bb) Schutz des öffentlichen Interesses als Rückausnahme vom Rechtsmittelausschluss . . . . . . . . . . . . . . . 66 cc) Das Zusammenspiel beider Prinzipien am Beispiel der historischen Justice de paix . . . . . . . . . . . . . . 67 c) Zur Kritik an der französischen Systematik in den Materialien der Civilprozeßordnung . . . . . . . . . . . . . 68 3. Die Zulassungsberufung als deutscher Gegenentwurf und nachfolgende Entwicklungen . . . . . . . . . . . . . . . . 68 III. Die Bedeutung der prozessualen Säumnis für die Eröffnung der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 1. Die französische oppositon als historische Grundlage des deutschen Einspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 2. Die Fortentwicklung der opposition zur voie de recours ordinaire 71 a) Zum Wandel des französischen Säumnisbegriffs: Der appel als mittelbare Sanktion . . . . . . . . . . . . . . 71 b) Die opposition als Rechtsmittel allein zugunsten des Beklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 c) Wertmäßige Trennung der Geltungsbereiche von appel und opposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 3. Relativierung der Unterschiede zum deutschen Recht durch umfassende Sachprüfung? . . . . . . . . . . . . . . . . 74

§  7 Typisierte Zuordnung der Eingangsgerichte und der korrespondierenden Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 I.

Die Anknüpfung der „gespaltenen“ zweiten Instanz an die französischen Eingangsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . 76 II. Die Berufung gegen Entscheidungen der deutschen Amtsund Landgerichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 III. Nationale Implementierung des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79

Dritter Teil:  Theoretische und praktische Gegenüberstellung des appel und der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 §  8 Zum Hintergrund der Reformen beider Rechtsmittel . . . . . . . . . 81

Inhaltsverzeichnis

XV

I.

Grundlagen und Ziele der Reformen von Berufung (2002) und appel (2005–2013) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Vergleichbare Gründe der Reformbedürftigkeit beider Rechtsmittel 83 III. Unterschiedliche Lösungswege zur Erreichung desselben Ziels? . . 84

§  9 Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86

Die Anrufung der Cour d’appel im Rahmen der procédure avec représentation obligatoire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 1. Die procédure ordinaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 2. Die procédure à jour fixe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3. Der appel par requête conjointe . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 II. Übergreifende Neuerungen des Verfahrens vor der Cour d’appel . . 90 1. Elektronische Form der Schriftsätze und strengere Vorgaben ihrer Fassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 2. Novellierung des Verfahrens vor dem conseiller de la mise en état . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 a) Die Funktion des conseiller de la mise en état in historischer Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 b) Kompetenz und Entscheidungen des conseiller de la mise en état . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 aa) Inhalt und Umfang der Kompetenz kraft Verweisung (Art.  907 CPC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 bb) Inhalt und Umfang originärer Kompetenz (Artt.  908 ff. CPC) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 cc) Entscheidungen des conseiller de la mise en état und Rechtsschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 c) Verkürzung der Fristen im Verfahren vor dem conseiller de la mise en état . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 3. Liberalisierung der Prozessvertretung durch die Fusion von avocat und avoué . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 a) Historische Grundlagen und Entwicklung der vormaligen doppelten Prozessvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 b) Ziele und Kritik der Neuordnung der Prozessvertretung vor der Cour d’appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 c) Vergleichende Analyse der Reform mit Bezug zum deutschen und europäischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Die Abschaffung der Singularzulassung vor den deutschen Oberlandesgerichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 bb) Bewertung der deutschen Reform und Versuch einer Übertragung auf Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . 106 (1) Vergleichbare Gründe der Reform beider Systeme . . 106 I.

XVI

Inhaltsverzeichnis

(2) Fehlende empirische Untersuchungen der praktischen Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . 107 (3) Versuch einer statistischen Analyse und einer Übertragung auf Frankreich . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Ergänzende Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben 110 III. Anstöße für das deutsche Recht: Stärkung der formellen Berufungsanforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 1. Die Akzentuierung des deutschen Reformgebers aus vergleichender Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 2. Konzeptionelle und praktische Probleme der §§  513 und 520 ZPO 112 3. Die Reform des appel als Lösungsansatz für das deutsche Recht 115

§  10 Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 I.

Funktionsweisen und Entscheidungsgrundlagen des appel und der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Der appel als voie de réformation und voie d’annulation . . . . 117 2. Die Berufung als reformatorisches und kassatorisches Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Zum Umfang der zu berücksichtigenden Tatsachen im Rahmen von appel und Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 a) Einbeziehung und Bedeutung des erstinstanzlichen Verfahrensstoffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 b) Das umfassende Novenrecht des appel: Der double degré de juridiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 aa) Systematik und historische Grundlagen des double degré de juridiction . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 bb) Verknüpfung von double degré und appel: Abgrenzung zum pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . 123 cc) Historischer Vergleich mit der zivilprozessualen Berufung des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 (1) Die Berufung der Civilprozeßordnung (1877) nach französischem Vorbild . . . . . . . . . . . . . 125 (2) Einleitung eines Systemwandels durch die sog. Emminger-Novelle (1924) . . . . . . . . . . . . . . 126 (3) Fortsetzung der Entwicklung durch die sog. Vereinfachungsnovelle (1976) . . . . . . . . . . . . 126 c) Neue Tatsachen und Tatsachenneufeststellung im reformierten Berufungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 aa) Gesetzliche Abkehr vom Erfordernis einer drohenden Verfahrensverzögerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 bb) Systematisierende Betrachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129

Inhaltsverzeichnis

XVII

cc) Kritische Bewertung der Rechtsprechung auf Grundlage des Reformkonzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 II. Rechtfertigung beider Rechtsmittelkonzepte vor ihrem jeweiligen prozessualen Umfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 1. Die eingangsgerichtliche Präklusion als Grundlage der divergierenden Novenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 a) Die Grundzüge der Präklusion im deutschen und im französischen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 b) Die Anknüpfung beider Rechtsmittelsysteme an die erstinstanzliche Präklusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 c) Systematische und prozessökonomische Gegenüberstellung beider Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 aa) Normative Betrachtung des prozesswirtschaftlichen Ertrages beider Konzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 bb) Normative Betrachtung des jeweils erforderlichen prozessualen Aufwandes . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (1) Rechtsmittelbereitschaft und Instanzenrelation beider Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 (2) Verteilung des Verfahrensstoffs und erforderliche Verfahrensdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 (3) Probleme in der Rechtsanwendung und Kritik an den Reformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 cc) Vergleichende Würdigung des deutschen und des französischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 2. Berücksichtigung der materiellen Rechtskraft und der autorité de la chose jugée . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 a) Der Umfang der materiellen Rechtskraft im deutschen Zivilverfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Die objektiven Grenzen der autorité de la chose im französischen Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 148 c) Angleichung der Systeme durch die jüngere Rechtsprechung der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 aa) Die Césaréo-Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahr 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 bb) Berücksichtigung der Césaréo-Entscheidung im Rahmen der Reform des appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Vergleichende Würdigung des deutschen und des französischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Umfang und Bedeutung der richterlichen Verfahrensleitung und Rechtserkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 a) Die richterliche Verfahrensleitung im deutschen und im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152

XVIII

Inhaltsverzeichnis

b) Das Prinzip iura novit curia im deutschen und im französischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 c) Vergleichende Würdigung des deutschen und des französischen Systems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 III. Durchbrechungen der Devolution im deutschen und im französischen Rechtsmittelrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 1. Die Zulässigkeit neuer Ansprüche: Der appel als voie d’achèvement – und die Berufung? . . . . . . . . . . . . . . . 156 a) Die Konzeption der voie d’achèvement: Voraussetzungen und Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 aa) Übergeordnete Voraussetzungen der voie d’achèvement . 157 bb) Definition und Voraussetzungen neuer Ansprüche im Rahmen des appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 cc) Der Eintritt Dritter in das Verfahren des appel . . . . . . 159 b) Die Zulassung neuer Ansprüche im Berufungsprozess vor der ZPO-Reform 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 c) Strukturelle Unterschiede der reformierten Berufung des deutschen Zivilverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . 160 aa) Die voie d’achèvement zwischen droit romain und „conception germanique“ . . . . . . . . . . . . . . 161 bb) Rechtsvergleichende Analyse der Berufung seit der ZPO-Reform 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 (1) Das Verständnis der reformierten Berufung in Abgrenzung zum appel . . . . . . . . . . . . . . 164 (2) Der systematische Widerspruch des §  533 ZPO in vergleichendem Kontext . . . . . . . . . . . . . . 165 (i) Rechtliche Ebene: §  533 Nr.  1 ZPO und Artt.  564 ff. CPC . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 (ii) Tatsächliche Ebene: §  533 Nr.  2 ZPO und Art.  563 CPC . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 (iii) Beschränkung des systematischen Widerspruchs auf die Klageänderung? . . . . . . . . . . . . . 166 (3) Unterschiedliche Ökonomieverständnisse beider Rechtsmittel als Hintergrund . . . . . . . . . . . . . 167 cc) Zu den praktischen Auswirkungen der Tatsachenbindung des §  533 Nr.  2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 (1) Kongruenz des Verfahrensstoffs von Berufung und Klageänderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 (i) Problemaufriss: Die „ohnehin“ zu berücksichtigenden Tatsachen . . . . . . . . . . . . . . 170 (ii) Übertragung des Problems in das französische Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

Inhaltsverzeichnis

XIX

(iii) Abwägung der einzelnen Interpretationsansätze des §  533 Nr.  2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . 171 (2) Die Klageänderung im Fall einander widersprechender Klagegründe . . . . . . . . . . . . . . . 173 (i) Problemaufriss: Der sog. „Bau-Fall“ als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 (ii) Vergleichende Übertragung des Problems in das französische Recht . . . . . . . . . . . . 174 (iii) Rückschlüsse und Lösungsansätze für das deutsche Recht . . . . . . . . . . . . . . 174 (3) Der Parteiwechsel und die Parteierweiterung in der zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . 176 (i) Problemaufriss: Sachlegitimation des Dritten als neue Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (ii) Analyse der neueren berufungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 (iii) Notwendigkeit einer teleologischen Korrektur des §  533 ZPO? . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 1) Überblick über die bestehenden wissenschaftlichen Lösungsansätze . . . . . . . . . 178 2) Vergleichende Übertragung der Fälle in das französische Recht . . . . . . . . . . . . . . 179 3) Für eine konsequente Anwendung des §  533 Nr.  2 ZPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 2. Die évocation im französischen Zivilverfahren und Parallelen im deutschen Zivilprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 a) Dogmatische und historische Grundlagen der évocation . . . 181 b) Vergleichbare Fälle einer Evokation in der deutschen Rechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 c) Zur Vereinbarkeit der gerichtlichen Praxis mit dem Funktionswandel der Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . 184 3. Der appel-nullité und der Schutz gegen grob fehlerhafte Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 a) Der Anwendungsbereich des appel-nullité in Abgrenzung zu appel und pourvoi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 b) Entsprechungen des französischen Schutzkonzepts im deutschen Verfahrensrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 c) Unzureichender Schutz der Verfahrensgrundrechte im deutschen Rechtsmittelsystem . . . . . . . . . . . . . . . . 189 aa) Widerstreitende Schutzkonzepte in Rechtsprechung und Rechtslehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 bb) Keine befriedigende Lösung in der Rechtspraxis . . . . . 190

XX

Inhaltsverzeichnis

cc) Für eine Anwendung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Schutz der Verfahrensgrundrechte . . . . . . . . . 191 (1) Zur Rechtslage vor und nach der Zivilprozessreform 2002 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 (2) Störung des ursprünglichen Konzepts aufgrund neuerer Rechtsentwicklung . . . . . . . . . . . . . . 193 (3) Systematische Vereinbarkeit von Nichtzulassungsbeschwerde und Berufung . . . . . . . . . . . . . . 195 (i) Die Nichtzulassungsbeschwerden der Arbeitsund Sozialgerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . 195 (ii) Der Paradigmenwechsel des sozialgerichtlichen Berufungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . 196 (iii) Schlussfolgerungen bezüglich der zivilprozessualen Berufung . . . . . . . . . . . . . 198

Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation: Der zweitinstanzliche Rechtsschutz gegen Entscheidungen von verhältnismäßig geringem Wert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 §  11 Erschwerter Zugang und begrenzter Schutz: Der pourvoi en cassation im Vergleich zum appel . . . . . . . . . . 200 I.

Überblick über die bestehende Kritik am Nebeneinander von appel und pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Zum vergleichsweise eingeschränkten Prüfungsumfang der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 III. Der mémoire ampliatif als besondere Voraussetzung des pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203

§  12 Ausnahmen und prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten nach geltendem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 I.

Unbezifferte Klageforderungen als Ausnahme vom Prinzip des taux de ressort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 II. Überhöhte Klageforderungen als prozesstaktisches Mittel zur Erreichung des taux d’appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 III. Kompensation des pourvoi en cassation mithilfe der opposition als „kleinem appel“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 1. Gewährleistungen und Verfahrensablauf der opposition im Vergleich zum appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 2. Das rechtstatsächliche Potenzial der opposition im Sinne einer faktischen zweiten Instanz . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 3. Unklare Akzeptanz einer prozesstaktischen Nutzung der opposition seitens der Gerichte . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis

XXI

§  13 Grundlagen und Perspektiven einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209

Beschränkung des Suspensiveffekts des appel durch mittelbaren Erfüllungszwang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 1. Historische und systematische Grundlagen der radiation de l’affaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 2. Voraussetzungen und Ausschlusstatbestände der radiation de l’affaire . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Rechtsstaatliche Probleme und praktische Folgen . . . . . . . . 211 II. Vergleich der Fristen und Einleitungsformen von appel und pourvoi en cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 212 III. Ansatzpunkte eines Systemwandels der französischen zweiten Zivilinstanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 1. Herabsenkung des taux d’appel . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 2. Vereinfachung der Regeln des Verfahrens vor der Cour de cassation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 3. Einführung eines ergänzenden Zulassungs- oder Annahme-appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I.

Fünfter Teil:  Zusammenfassung der Ergebnisse und Thesen . . . . . 216 §  14 Zusammenfassung und Thesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 §  15 Résumé et conclusions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 Materialienverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247

Entscheidungsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263

Abkürzungsverzeichnis a. a. O. am angegebenen Ort Abs. Absatz a. E. am Ende AEUV Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union a. F. alte Fassung AFP Agence France-Presse AG Amtsgericht AJCL The American Journal of Comparative Law anc. CPC Ancien Code de procédure civile AnfG Anfechtungsgesetz Anm. d. Verf. Anmerkung des Verfassers AnwBl Anwaltsblatt ArbGG Arbeitsgerichtsgesetz Art. / Artt. article(s) / Artikel AsJ Annuaire statistique de la Justice Aufl. Auflage Az. Aktenzeichen BauGB Baugesetzbuch BB Betriebs-Berater BEG Bundesgesetz zur Entschädigung für Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung (Bundesentschädigungsgesetz – BEG) BeckRS Beck online Rechtsprechung bez. bezüglich BGB Bürgerliches Gesetzbuch BGBl. Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BGHZ Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen BICC Bulletin d’information de la Cour de cassation BPO Bürgerliche Proceßordnung für das Königreich Hannover BRAK-Mitt. Mitteilungen der Bundesrechtsanwaltskammer BRAO Bundesrechtsanwaltsordnung BSG Bundessozialgericht BT-Drucks. Drucksache des Deutschen Bundestages BR-Drucks. Drucksache des Bundesrates Bull. Bulletin des arrêts de la Cour de cassation BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerwG Bundesverwaltungsgericht bzw. beziehungsweise CA Cour d’appel

XXIV Cass. ass. plén. Cass. ch. mixte Cass. civ. Cass. com. Cass. soc. CC CCom CDU CEDH CJCE

Abkürzungsverzeichnis

Cour de Cassation siégeant en Assemblée plénière Cour de cassation, chambre mixte Cour de cassation, chambre civile Cour de cassation, chambre commerciale Cour de cassation, chambre sociale Code civil Code de commerce Christlich Demokratische Union Deutschlands Cour Européenne des Droits de l’Homme Cour de justice des Communautés européennes (Cour de justice de l’ Union européenne, CJUE) COJ Code de l’organisation judiciaire COM Commission Document CPC Code de procédure civile CPO Civilprozeßordnung CPP Code de procédure pénale C. rural Code rural et de la pêche maritime C. séc. soc. Code de la sécurité sociale CSU Christlich-Soziale Union in Bayern e.V. CTrav Code du travail D Décret (partie réglementaire) D. Recueil Dalloz / Recueil Dalloz Sirey (bis 1996) Dig. Digesten Diss. Dissertation DJT Deutscher Juristentag DM Deutsche Mark DRiG Deutsches Richtergesetz DRiZ Deutsche Richterzeitung DStR Deutsches Steuerrecht e.V. eingetragener Verein EG Europäische Gemeinschaft EGGVG Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz EGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EGZPO Gesetz, betreffend die Einführung der Zivilprozeßordnung EMRK Europäische Menschenrechtskonvention (Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten) EuGFVO Verordnung (EG) Nr.  861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen EuGH Europäischer Gerichtshof EUR Euro EuRAG Gesetz über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in Deutschland FamFG Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit FamRZ Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fasc. Fascicule f. / ff. folgende

Abkürzungsverzeichnis

XXV

FGG-Reformgesetz Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) vom 17. Dezember 2008, BGBl. 2008 I, S.  2586 ff. FGO Finanzgerichtsordnung Fn. Fußnote FS Festschrift Gaz. Pal. La Gazette du Palais GG Grundgesetz GKG Gerichtskostengesetz GRUR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht GRUR-RR Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Rechtsprechungs-Report GVG Gerichtsverfassungsgesetz Habil.-Schr. Habilitationsschrift Hrsg. Herausgeber/in HS Halbsatz insb. insbesondere InsO Insolvenzordnung i. V. m. in Verbindung mit i.Ü. im Übrigen J.-Cl. Europe Juris-Classeur Europe traité J.-Cl. pr. civ. Juris-Classeur de procédure civile JCP éd. CI Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique), édition commerce et industrie (heute: édition entreprise et affaires) JCP éd. G Juris-Classeur périodique (La Semaine Juridique), édition générale JLS The Journal of Legal Studies (Chicago) JO Journal officiel de la République Française. Lois et Décrets JOQ Assemblée Journal officiel de la République Française. Débats parlementaires. As  nationale semblée nationale. Questions remises à la présidence de l’Assemblée nationale et réponses des ministers aux questions écrites JOQ Sénat Journal officiel de la République Française. Débats parlementaires. Assemblée nationale. Questions remises à la présidence du Sénat et réponses des ministers aux questions écrites JURA Juristische Ausbildung JuS Juristische Schulung JW Juristische Wochenschrift JZ Juristenzeitung KaKo Karlsruher Kommentar KapMuG Gesetz über Musterverfahren in kapitalmarktrechtlichen Streitigkeiten (Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz – KapMuG) Kl. Kläger KTS Zeitschrift für Insolvenzrecht, Konkurs, Treuhand, Sanierung L Partie législative LAG Landesarbeitsgericht Lamy Revue Lamy droit civil LG Landgericht lit. littera LPA Les petites affiches LwVG Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

MDR Monatsschrift für Deutsches Recht MedR Medizinrecht MüKo Münchener Kommentar m. w. N. mit weiteren Nachweisen n° numéro NJOZ Neue Juristische Online-Zeitschrift NJW Neue Juristische Wochenschrift N.N. nomen nescio Nr. Nummer NVwZ Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht NZBau Neue Zeitschrift für Baurecht und Vergaberecht NZG Neue Zeitschrift für Gesellschaftsrecht NZI Neue Zeitschrift für das Recht der Insolvenz und Sanierung NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht NZS Neue Zeitschrift für Sozialrecht NZV Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht R Partie réglementaire RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht RDT Revue de droit du travail Rec. Sirey Recueil général des lois et des arrêts en matière civile, criminelle, commerciale et de droit public – fondé par J.-B. Sirey Red. Redakteur RettungsG Gesetz zur Rettung von Unternehmen zur Stabilisierung des Finanzmarktes (Rettungsübernahmegesetz – RettungsG) vom 7. April 2009, BGBl. 2009 I, S.  725, 729 ff. RG Reichsgericht RGBl. Reichsgesetzblatt RGP Revue générale des procédures RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RHJ La revue des huissiers de justice (heute: Droit et procédures: la revue des huissiers de justice) RIW Recht der internationalen Wirtschaft RL Richtlinie RLR Ritsumeikan Law Review Rn. Randnummer, Randnummern RPVA Réseau privé virtuel avocat RPVJ Réseau privé virtuel justice RTD civ. Revue trimestrielle de droit civil RTD com. Revue trimestrielle de droit commercial RVG Gesetz über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte S. Satz / Seite SGG Sozialgerichtsgesetz sog. sogenannt SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands StPO Strafprozessordnung TOP Tagesordnungspunkt

Abkürzungsverzeichnis

XXVII

u. und u. a. unter anderem ULR Utrecht Law Review Univ. Universität Übers. d. Verf. Übersetzung des Verfassers VersR Versicherungsrecht – Zeitschrift für Versicherungsrecht, Haftungs- und Schadensrecht vgl. vergleiche Vor. Vorbemerkung VwGO Verwaltungsgerichtsordnung wörtl. wörtlich WpÜG Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz WuB Kommentierende Entscheidungssammlung zum Wirtschafts- und Bankrecht ZAP Zeitschrift für die Anwaltspraxis z. B. zum Beispiel ZPO Zivilprozessordnung ZPO-Reformgesetz Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.07.2001, BGBl. 2001 I S.  1887 ff. ZRP Zeitschrift für Rechtspolitik ZZP Zeitschrift für Zivilprozess (zuvor: Zeitschrift für Deutschen Zivilprozeß) ZZPInt Zeitschrift für Zivilprozess International

§  1  Einführung „La tendance à réduire le champ de l’appel et à limiter la deuxième instance à un contrôle du jugement de première instance en l’état du litige en lequel il a été statué par les premiers juges est perceptible en droit allemand. La réforme de la procédure civile du 27 juillet 2001 a re­ streint considérablement le champ de l’appel. […] Cependant, les juges d’appel allemands ont résisté à l’application de ces nouvelles dispositions et exercent encore aujourd’hui un con­t rôle assez intensif des jugements de première instance […].“1

Treffender lässt sich die Rechtswirklichkeit der zweiten Instanz des deutschen Zi­ vilverfahrens kaum beschreiben. Was bei Ferrand zu einer bloßen „tendance“ ver­ blasst, wurde noch im Regierungsentwurf des am 1. Januar 2002 in Kraft getrete­ nen Zivilprozessreformgesetzes2 als „grundlegende Strukturreform“ angekündigt: Der funktionelle Wandel der Berufung von einer zweiten Tatsacheninstanz zu einer Instanz der Fehlerkontrolle.3 Die von Ferrand beschriebene „résistance“ der Rechts­ praxis veranlasste Nassall anlässlich des zehnten Jahrestages der Reform zu der Frage: „Was hat der BGH mit diesem Plan gemacht?“4 Die in weiten Teilen ernüch­ ternde Antwort lautet, dass der in den §§  511 ff. ZPO niedergelegte „Plan“ des Re­ formgebers auch über zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformge­ setzes die Grundlage einer fortwährenden Diskussion über das Wesen und die prak­ tischen Folgen der Berufung bildet.5 Die rechtsdogmatische wie rechtstatsächliche 1  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  976 – „Die Tendenz, den Anwendungsbereich der Berufung zu verringern und die zweite Instanz auf eine Kontrolle des erstinstanzlichen Urteils auf der Grundlage des eingangsgerichtlichen Verfahrensstandes zu beschränken, ist wahrnehmbar im deutschen Recht. Die Reform des Zivilverfahrens vom 27. Juli 2001 hat den Anwendungsbereich der Berufung beachtlich eingeschränkt. […] Allerdings haben sich die deutschen Berufungsrichter der Anwendung der neuen Vorschriften widersetzt und praktizieren nach wie vor eine umfassen­de [wörtl.: recht intensive] Kontrolle der erstinstanzlichen Urteile […]“ (Übers. d. Verf.). 2  Gesetz zur Reform des Zivilprozesses (Zivilprozessreformgesetz – ZPO-RG) vom 27. Juli 2001, BGBl. 2001 I, S.  1887 ff. 3  Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  1, 58 u. 60 f. 4  Nassall NJW 2012, 113 (113); kritisch bereits die Fünf-Jahres-Bilanz bei Unberath ZZP 120 (2007), 323 (323). 5  Im Anschluss an die Analyse Nassalls bezeichnet Hirtz NJW 2014, 2529 (2531) das Beru­ fungsmodell des Reformgebers ausdrücklich als gescheitert und Gehrlein NJW 2014, 3393 (3393) stellt fest, dass durch „die Handhabung und Auslegung des reformierten Berufungsrechts […] der frühere Rechtszustand weitgehend beibehalten wurde“. Siehe auch Calliess, Gutachten 70. DJT, S. A 11 m. w. N.; als Beispiel siehe etwa die Ausführungen bei BGH NJW 2008, 1312 (1316): „Das Berufungsverfahren ist weiterhin – wenn auch eingeschränkte – Tatsacheninstanz […]“ sowie hieran anknüpfend auch bei BGH NJW 2010, 376 (377).

2

§  1  Einführung

Tragweite der Diskussion wird im Rechtsvergleich besonders deutlich: Indem der erstinstanzlich festgestellte Sachverhalt grundsätzlich den äußeren Rahmen der ­erufung bestimmt (§  529 Abs.  1 ZPO), unterscheidet sich die Berufung von einer zweiten Tatsacheninstanz und damit vom französischen appel im Sinne eines ­double degré de juridiction.6 Indem die §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 und 533 ZPO aber unter besonderen Voraussetzungen nachträgliche Erweiterungen des Verfahrens­ stoffs erlauben, hebt sich die Berufung zugleich von dem weitaus restriktiveren ­österreichischen Rechtsmittelmodell ab.7 Obwohl die reformierte deutsche Berufung hiernach zwischen zwei Extremen der europäischen Rechtsmittelsysteme angesiedelt ist,8 finden sich in den Materiali­ en des Zivilprozessreformgesetzes nur sehr eingeschränkt rechtsvergleichende Er­ wägungen.9 Ganz anders setzte sich noch der historische Gesetzgeber der Civilpro­ zeßordnung vom 30. Januar 1877 mit den damals geltenden Partikularrechten und auch mit dem französischen Recht auf der Grundlage des napoleonischen Ancien Code de procédure civile vom 14. April 180610 auseinander.11 Im Rahmen der Beru­ fung orientierte sich der historische Gesetzgeber des 19. Jahrhunderts stark am französischen appel.12 Seither haben sich das deutsche und das französische Rechts­ mittelsystem sukzessive auseinander entwickelt. Bedeutende Schritte waren auf deutscher Seite vor allem die sog. Emminger-Novelle aus dem Jahr 1924,13 auf fran­ zösischer Seite das Inkrafttreten des geltenden (Nouveau) Code de procédure civile am 1. Januar 1976.14 In seiner aktuellen Form beruht das französische Rechtsmittel­ system auf dem décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009.15 In ausdrücklicher Ab­ 6  Zum Begriff des double degré de juridiction mit vergleichendem Bezug zum deutschen Recht siehe Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  446. 7  Hierzu Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  138, Rn.  49 sowie im Vorfeld der ZPO-Reform Dieckmann ZRP 2000, 432 (432 ff.). 8  Vgl. die Zusammenfassung bei Hess EuZPR, §  13, Rn.  12 (insb. Fn.  66) im Rahmen der „Per­ spektiven des Europäischen Prozessrechts“. 9  Dies kritisieren insbesondere Hess/Münzberg, in: Wandel der Rechtsordnung, S.  159 (178 ff.); anders die vorangegangene Diskussion auf Seiten der Rechtswissenschaft; vgl. hierzu die Nach­ weise bei Hess RLR 2010, 191 (201, Fn.  82). 10  Ausführlich zur Struktur des Ancien Code de procédure civile und seiner Ausstrahlung auf die Verfahrensrechte des 19. Jahrhunderts van Rhee, in: 200 ans de procédure civile, S.  129 (130 ff.) und Solus/Perrot I, Rn.  68 ff. 11  Instruktiv Hess RLR 2010, 191 (201). 12  Siehe nur die allgemeine Begründung des Rechtsmittelsystems bei Hahn/Stegemann ZPO, S.  139 ff. 13  Siehe unten §  10 I 3 b cc (2). 14  Vgl. décret n°  75-1123 du 5 décembre 1975 (JO du 9 décembre 1975, S.  12513 ff.). Der gelten­ de Code de procédure civile trat ursprünglich als Nouveau Code de procédure civile in Kraft und erhielt seine geltende Bezeichnung durch die loi n°  2007-1787 du 20 décembre 2007 (JO du 21 décembre 2007, S.  20593 ff.). Sofern in dieser Arbeit die Bezeichnung „(Nouveau) Code de procédure civile“ verwendet wird, geschieht dies aus Gründen der Verdeutlichung, ebenso dient die Bezeichnung der vorangegangenen Prozessordnung als „Ancien Code de procédure civile“ der Abgrenzung. 15  JO du 11 décembre 2009, S.  21386 ff. Ohne Einfluss auf den strukturellen Gehalt des genann­

§  1  Einführung

3

grenzung zum deutschen Recht entschied sich der französische Gesetzgeber für die Beibehaltung einer zweiten Tatsacheninstanz in Gestalt des double degré de juridiction und beansprucht für sich, die praktikablere und verfahrensökonomischere Lösung vorzuhalten.16 Angesichts der noch im Einzelnen darzulegenden Kritik am deutschen Beru­ fungsverfahren lohnt sich bereits aus diesem Grund ein vertiefender Blick auf die Voraussetzungen und die Ausgestaltung der zweiten Instanz des französischen Zi­ vilverfahrens. Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, die konzeptionellen Unterschie­ de des deutschen und des französischen Rechtsmittelsystems im Rahmen der zwei­ ten Instanz aufzuzeigen. Der Blick auf die historische Entwicklung und die wech­ selseitige Einflussnahme beider Systeme wird einerseits zu der Frage führen, welche Maßnahmen de lege lata und de lege ferenda möglich und notwendig sind, um das Profil des reformierten deutschen Berufungsverfahrens zu schärfen. Andererseits wird sich die Frage nach verbesserungswürdigen Aspekten der französischen Rechtsmittelordnung stellen. Nach dem methodischen Leitbild einer funktionellen Prozessrechtsvergleichung17 wird der Untersuchung zunächst ein weiter Begriff der „zweiten Instanz“ zugrunde gelegt, den es zunehmend zu spezifizieren gilt. Die Arbeit gliedert sich hiernach in fünf Teile: Im ersten Teil wird ein Überblick über die deutschen und die französischen zivilprozessualen Rechtsmittel und Rechtsmittelgerichte gegeben. Der zweite Teil beleuchtet die Urteilslehre beider Verfahrensordnungen und die sich daraus ergebende Anknüpfung der jeweiligen Rechtsmittelzüge. Im dritten Teil werden die Berufung und der appel einander ge­ genübergestellt. Der vierte Teil ist dem besonderen Umgang des französischen Rechtsmittelsystems mit Klagen von verhältnismäßig geringem Wert (sog. small claims) gewidmet, während der abschließende fünfte Teil die wesentlichen Ergeb­ nisse der Arbeit zu übergreifenden Thesen zusammenfasst. Um die prozessualen Eigenarten der französischen Verfahrensordnung nicht be­ grifflich einzuebnen, werden die entsprechenden Rechtsbegriffe in Anlehnung an die rechtsterminologische Untersuchung Geeroms18 im Verlauf der Untersuchung überwiegend originalsprachlich verwendet.

ten décret wurden die betroffenen Vorschriften seither insbesondere durch das décret n°  20101647 du 28 décembre 2010 (JO du 29 décembre 2010, S.  22919 ff.) und das décret n°  2012-634 du 3 mai 2012 (JO du 5 mai 2012, S.  7969 ff.) geändert. Sofern es dem Verständnis einzelner Vor­ schriften dienlich ist, wird hierauf an den jeweiligen Stellen hingewiesen. Zum intertemporalen Recht siehe Gerbay/Gerbay, S.  411 f. (Annexe 2). 16  Vgl. Rapport Magendie II, S.  22, 40 u. 46. 17  Hierzu insbesondere Gottwald, in: FS Schlosser, S.  227 (231) und Jayme, in: Langue et Droit, S.  11 (13) – „approche fonctionnelle“. 18  Geeroms AJCL 2002, 201 (201 ff.); ähnlich zuvor Jayme, in: Langue et Droit, S.  11 (27): „Traduire c’est transporter une notion dans un autre système juridique“ – „Übersetzen bedeutet, einen [Rechts-]Begriff in eine andere Rechtsordnung zu übertragen“ (Übers. d. Verf.).

Erster Teil

Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts Der erste Teil dieser Arbeit gibt einen Überblick über das deutsche und das franzö­ sische zivilprozessuale Rechtsmittelsystem (§  2) und zeigt erste funktionelle Ent­ sprechungen auf (§  3). Ein Blick auf die deutsche und die französische Gerichtsver­ fassung schließt den ersten Teil ab (§  4).

§  2  Rechtsmittel und voies de recours als gesetzliche Ausgangspunkte Im Unterschied zur Systematik des dritten Buches der deutschen Zivilprozessord­ nung führt der Code de procédure civile mithilfe einer zentralen Vorschrift in das Recht der voies de recours ein und nimmt zugleich eine Klassifizierung vor: Gemäß Art.  527 CPC handelt es sich bei dem appel und der opposition um ordentliche Rechtsmittel (voies de recours ordinaires); außerordentliche Rechtsmittel (voies de recours extraordinaires) sind die tierce opposition, der recours en révision und der pourvoi en cassation. I.  Die Systematik der voies de recours des Code de procédure civile Die Vorschrift des Art.  527 CPC ist im ersten von insgesamt sechs Büchern des Code de procédure civile und damit unter den „Dispositions communes à toutes les juridictions“ niedergelegt. Zur Gerichtsbarkeit ( juridiction) im Sinne des Code de procédure civile zählen gemäß Art.  749 CPC die ordentliche Zivilgerichtsbarkeit (matière civile), die Handelsgerichtsbarkeit (matière commerciale), die Arbeitsge­ richtsbarkeit (matière prud’homale) sowie die Gerichtsbarkeiten der gesetzlichen Sozialversicherung (matière sociale) und der landwirtschaftlichen Miet- und Pachtangelegenheiten (matière rurale).1 Der zentralen Vorschrift des Art.  527 CPC folgt ein allgemeiner Teil sämtlicher voies de recours (Artt.  528–537 CPC), auf welchen wiederum ein allgemeiner Teil der voies de recours ordinaires (Artt.  538–541 CPC) und ein allgemeiner Teil der voies de recours extraordinaires (Artt.  579–581 CPC) folgen. Die sich daraus erge­ bende pyramidale Struktur der französischen Rechtsmittelsystematik verdeutlicht die nachfolgende Übersicht: 1 

Sog. juridiction de l’ordre judiciaire; hierzu Guinchard/Montagnier, Rn.  355.

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

Art.  527 CPC dispositions communes (Artt.  528–537 CPC) les voies ordinaires de recours

les voies extraordinaires de recours

dispositions communes (Artt.  538–541 CPC)

dispositions communes (Artt.  579–581 CPC)

appel

opposition

(Artt.  542–570 CPC)

(Artt.  571–578 CPC)

tierce opposition (Artt.  582–592 CPC)

recours en révision (Artt.  593–603 CPC)

pourvoi en cassation (Artt.  604–639 CPC)

Übersicht 1:  Die gesetzliche Systematik der voies de recours des XVI. Titels des ersten Buches des Code de procédure civile2

Die allen Rechtsmitteln übergeordneten Artt.  528 ff. CPC enthalten Vorschriften über den Beginn der Rechtsmittelfristen. Die Dauer der einzelnen Fristen und ihre Rechtsfolgen sind für die voies de recours ordinaires einheitlich in den Artt.  538 ff. CPC bestimmt.3 Die Fristen der voies de recours extraordinaires legt der Code de procédure civile individuell im Rahmen der einzelnen Rechtsmittel fest.4 Der allge­ meine Teil der voies de recours extraordinaires enthält Vorschriften zur Einschrän­ kung des sachlichen Anwendungsbereichs jener außerordentlichen Rechtsbehelfe sowie weitere einschränkende Regeln ihrer prozessualen Folgen.5 Die Statthaftigkeit der voies de recours ordinaires und der voies de recours extra­ ordinaires bestimmt der Code de procédure civile anhand der prozessualen Qualität einer angegriffenen Entscheidung: Während der appel eine Entscheidung der Ein­ gangsinstanz ( jugement rendu par une juridiction du premier degré, Art.  542 CPC) voraussetzt,6 verlangt der pourvoi en cassation eine Entscheidung der Cour d’appel ( jugement rendu en dernier ressort) oder eine Entscheidung der Eingangsinstanz, gegen die der appel mangels ausreichenden Streitwertes ausgeschlossen ist ( jugement rendu en premier et dernier ressort), Artt.  605–608 CPC.7 Die opposition ist statthaft gegenüber einem jugement rendu par défaut, welches allein im Fall der 2  Ausführlich zur gesetzlichen Systematik der voies de recours des Code de procédure civile: Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1153. 3  Julien/Fricero, Rn.  809 u. 861 – „délai de droit commun“, a. a. O. auch mit Hinweis auf Abwei­ chungen und Sonderregeln. 4  So für die tierce opposition in Art.  586 CPC, für den recours en révision in Art.  596 CPC und für den pourvoi en cassation in Artt.  612 f. CPC. 5  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1268. Siehe insbesondere Art.  580 CPC, wonach der Rückgriff auf eine voie de recours extraordinaire nur in den gesetzlich enumerierten Fällen statthaft ist, sowie Art.  579 CPC, wonach die voies de recours extraordinaires über keinen Suspen­ siveffekt verfügen. 6  Perrot Institutions, Rn.  617; Ferrand ZZPInt 2009, 43 (43 f.). 7  Ferrand, Rn.  31 ff.; Guinchard/Montagnier, Rn.  141.

§  2  Rechtsmittel und voies de recours als gesetzliche Ausgangspunkte

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erstinstanzlichen Säumnis des Beklagten ergehen kann.8 Der recours en révision dient vergleichbar der Nichtigkeitsklage des §  579 ZPO und der Restitutionsklage des §  580 ZPO der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfah­ rens und setzt dementsprechend ein jugement passé en force de chose jugée voraus, Artt.  593, 500 CPC.9 Die Einordnung der tierce opposition als voie de recours ex­ tra­ordinaire folgt entgegen der vorgenannten Klassifizierung aus ihrer Eigenschaft als Rechtsbehelfe zugunsten Verfahrensunbeteiligter, Artt.  582 Abs.  1, 583 Abs.  1 CPC.10 Das Ziel der tierce opposition besteht darin, eine gerichtliche Entscheidung im Verhältnis zum klagenden Dritten als unwirksam zu erklären, sodass die ausge­ sprochene Rechtsfolge nicht zu dessen Nachteil geltend gemacht werden kann (principe de l’inopposabilité), Artt.  582, 591 CPC. Die tierce opposition ist inso­ weit das prozessuale Korrektiv eines im Vergleich zum deutschen Verfahrensrecht erweiterten subjektiven Rechtskraftverständnisses. Sie findet keine institutionelle Entsprechung im deutschen Recht.11 II.  Vergleichende Betrachtung der Rechtsmittelsystematik der deutschen Zivilprozessordnung Während noch das gemeine deutsche Verfahrensrecht zwischen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln differenzierte,12 findet der Begriff des „ordentli­ chen Rechtsmittels“ im geltenden Recht allein in §  19 Abs.  2 EGZPO Verwendung.13 8  Siehe Steinhauer, S.  134 u. 137 sowie Bunge, S.  63. Näher zu den Voraussetzungen und den Rechtsfolgen der opposition unter §  6 III und §  12 III. 9  Siehe Bunge, S.  95. Das jugement passé en force de chose jugée wird gemäß Artt.  500, 539 CPC als Entscheidung definiert, gegen die keine voie de recours ordinaire (mehr) statthaft ist. Dies betrifft neben den Entscheidungen der Cour d’appel auch das eingangsgerichtliche jugement ­rendu en dernier ressort, welches dem pourvoi en cassation untersteht. Beide Behelfe können daher nebeneinander bestehen; siehe dʼAmbra, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  552.11 und Cass. 3e civ., 8 novembre 1983, Bull. civ. II 1983, n°  171. 10  So die Begründung bei Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1153 und Héron/Le Bars, Rn.  696 (Fn.  42); kritisch Cadiet/Jeuland, Rn.  863 mit Verweis auf das Fehlen einer allgemeinen Ein­ schränkung der einer tierce opposition zugänglichen jugements. 11  Siehe bereits Schwab ZZP 86 (1973), 471 (471 f.). Für das französische Recht folgt die Not­ wendigkeit eines derartigen „Drittwiderspruchs“ (so Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  483) daraus, dass sich die subjektive Rechtskraft französischer Zivilurteile entgegen §  325 ZPO nicht auf die Parteien und ihre Rechtsnachfolger beschränkt. Vielmehr gelten französische Zivilurteile als actes authentiques, deren Inhalt gegenüber jedermann feststellende Wirkung hat, Artt.  1317, 1319 CC; siehe Douchy-Oudot, Rn.  405, 598 u. 760 – „l’opposabilité erga omnes du jugement“. 12  Wetzell, S.  670; Weismann, S.  420. 13  Die „ordentlichen Rechtsmittel“ richteten sich hiernach unter Einhaltung einer Notfrist be­ ginnend mit dem Tag der Urteilsverkündung gegen ein noch nicht rechtskräftiges Urteil. Als Über­ gangsvorschrift bezog sich §  19 EGZPO zusammen mit §§  18 u. 20 EGZPO in ihren ursprüngli­ chen Fassungen auf die bei Inkrafttreten der Civilprozeßordnung am 1. Oktober 1879 anhängigen Verfahren; hierzu Barazetti, S.  4 f. sowie Barth, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  19 EGZPO, Rn.  1 und Gruber, in: MüKo ZPO, §  19 EGZPO, Rn.  1. Zur Bedeutung von §  19 EGZPO für die Ausle­ gung von §  705 ZPO nach geltendem Recht siehe Saenger, in: Saenger ZPO, §  19 EGZPO, Rn.  1. Die zitierten Fassungen des §  18 EGZPO und des §  20 EGZPO sind nachzulesen bei Gilles, S.  25

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

Zwar sind in der Begründung des Entwurfs der Zivilprozessordnung noch verein­ zelt die Begriffe des ordentlichen und des außerordentlichen Rechtsmittels anzu­ treffen, dies aber nur zur historisch-vergleichenden Erläuterung des Gesetzent­ wurfs. So wird beispielsweise die Revision in ausdrücklicher Abgrenzung zum französischen pourvoi en cassation als ein „ordentliches civilprozessualisches Rechtsmittel“14 bezeichnet, die prozessualen Vorläufer der Wiederaufnahme des Verfahrens hingegen als „außerordentliche Rechtsmittel“15. Im Übrigen distanzier­ te sich der historische Gesetzgeber der Civilprozeßordnung ausdrücklich von der vormaligen Bedeutungsgeschichte der Rechtsmittelbegriffe.16 Auch der Verzicht auf einen allgemeinen Teil des Rechtsmittelrechts erfolgte bewusst.17 Stattdessen enthält die Zivilprozessordnung eine ausführliche Normierung der Berufung und behilft sich im Rahmen der Revision mit einem Verweis auf die Normen des Beru­ fungsrechts, §  565 ZPO.18 Darüber hinaus beruht die Reihenfolge der Rechtsmittel des dritten Buches der Zivilprozessordnung auf einer Unterscheidung zwischen dem Urteils- und dem Beschlussverfahren.19 III.  Rechtsbehelfe und autres recours: Zu den Risiken weiterer Kategorienbildung Außerhalb der beschriebenen Systematiken sehen sowohl die Zivilprozessordnung als auch der Code de procédure civile weitere Rechtsbehelfe (autres recours) vor. Auf deutscher Seite sind neben der Erinnerung gemäß §  573 Abs.  1 ZPO vor allem der Einspruch gegen das Versäumnisurteil (§  338 ZPO) und den Vollstreckungsbe­ scheid (§§  700 Abs.  1, 338 ZPO) sowie der Widerspruch gegen den Mahnbescheid (§  694 Abs.  1 ZPO) zu nennen.20 Das französische Zivilverfahrensrecht kennt dem­ gegenüber eine besondere Zuständigkeitsrüge, den contredit de compétence gemäß Artt.  80 ff. CPC.21 Ferner ist die opposition gemäß Art.  1415 CPC auch gegen den Mahnbescheid (ordonnance portant injonction de payer) statthaft, während nach dessen Vollstreckbarkeitserklärung allein der pourvoi en cassation gegeben ist, (Fn.  11). Die Neufassung des geltenden §  20 EGZPO erfolgte durch Art.  4 Siebtes Gesetz zur Än­ derung der Pfändungsfreigrenzen, BGBl. 2001 I, S.  3638 ff. 14  Hahn/Stegemann ZPO, S.  142. 15  Hahn/Stegemann ZPO, S.  378. 16  Hahn/Stegemann ZPO, S.  139: „Der Begriff eines Rechtsmittels ist kein historisch gegebe­ ner; in der Prozesstheorie wie in den Gesetzgebungen wird er in verschiedenem Sinne genom­ men.“ 17  Ausdrücklich Hahn/Stegemann ZPO, S.  347; siehe ferner Schilken ZPR, Rn.  868 und Lüke, Rn.  384. 18  Siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  347. Zur kritiklosen Beibehaltung dieser Regelungstechnik durch das ZPO-Reformgesetz 2001 siehe nur die Begründung des zugrunde liegenden Regierungs­ entwurfs, BT-Drucks. 14/4722, S.  108. 19  Auf die Durchbrechungen dieser Systematik wird unter §  6 I einzugehen sein. 20  Schilken ZPR, Rn.  862; Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  133, Rn.  7. 21  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1154 und Gallet, Rn.  284.

§  2  Rechtsmittel und voies de recours als gesetzliche Ausgangspunkte

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Artt.  1422 Abs.  2, 605 CPC.22 Weiterhin verfügen sowohl das deutsche als auch das französische Verfahrensrecht über besondere Rechtsbehelfe der Zwangsvollstre­ ckung.23 Angesichts der Vielzahl besonderer Behelfe für bestimmte Verfahrenssituationen wird sowohl auf deutscher als auch auf französischer Seite die Frage diskutiert, wie einerseits die Rechtsmittel und die Rechtsbehelfe sowie andererseits die voies de recours und die autres recours voneinander abzugrenzen seien. Im französischen Verfahrensrecht stellt sich zudem die Frage nach einer allgemeingültigen Abgren­ zung der voies de recours ordinaires und der voies de recours extraordinaires. Auf deutscher Seite gilt nach der wohl überwiegenden Ansicht24 die Kombination aus Suspensiv- und Devolutiveffekt als geradezu „selbstverständliches“25 Charak­ termerkmal der Rechtsmittel. Diese zweigliedrige Definition versucht allerdings Gilles mit dem Argument zu entkräften, dass der Suspensiveffekt aufgrund der §§  570 Abs.  1, 575 Abs.  5 ZPO zumindest im Rahmen der sofortigen Beschwerde und der Rechtsbeschwerde die Ausnahme sei.26 Dem wiederum entgegnet die wohl überwiegende Ansicht, dass es sich bei den zitierten Normen lediglich um eine rechtstechnische Konsequenz der sofortigen Vollstreckbarkeit von Beschlüssen (§  794 Abs.  1 Nr.  3 ZPO) handele. Hiernach begünstigten die Vorschriften zwar ins­ gesamt die Vollstreckbarkeit von Beschlüssen, beschleunigten aber mangels entge­ genstehender Angaben nicht den Eintritt der Rechtskraft.27 Der Ansicht liegt somit ein zweigliedriges Verständnis des Suspensiveffekts zugrunde.28 Auch in der fran­ zösischen Rechtslehre werden die Begriffe des Devolutiveffekts (effet dévolutif ) und des Suspensiveffekts (effet suspensif ) zur Abgrenzung der voies de recours ordinaires und der voies de recours extraordinaires bemüht.29 Allerdings bezieht 22  Siehe Beltz RIW 1992, 536 (538) und Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1154 mit Hinweisen zu weiteren Rechtsbehelfen; ferner Gundlach, S.  89. 23  Zum differenzierten System der vollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfe der Zivilprozess­ ordnung ausführlich Arens/Lüke JURA 1982, 455 (455 f.) sowie Brox/Walker ZVR, Rn.  1159 ff. Das französische Recht bietet demgegenüber mit der contestation gemäß Art. L213-6 Abs.  1 COJ einen einheitlichen Rechtsbehelf. Die Vorschrift wurde eingefügt durch Artt.  1, 3 ordonnance n°  2006-673 du 8 juin 2006 (JO du 9 juin 2006, S.  8710 ff.) und ersetzt den zugleich aufgehobenen Art. L311-12-1 Abs.  1 COJ a. F., zu diesem noch Nelle, S.  30 f. und Bunge, S.  122. Im Gegensatz zur Vorgängernorm weist der ansonsten wortgleiche Art. L213-6 Abs.  1 COJ die sachliche Zuständig­ keit im Rahmen der contestation ausschließlich dem juge de l’exécution zu; hierzu Couchez/ Lebeau Voies dʼexécution, Rn.  115 ff. 24  Statt vieler siehe nur Zeiss/Schreiber, Rn.  6 43. 25  Schwab, in: FS Heymanns Verlag, S.  207 (207). 26  Gilles, S.  4 f. m. w. N.; zustimmend Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, Vor. §§  511 ff., Rn.  2. 27  So beispielsweise Ahrens, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, A, Rn.  8 f. und Lipp, in: MüKo ZPO, §  570, Rn.  3 f. Ferner verweisen Schilken ZPR, Rn.  996 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  149, Rn.  4 darauf, dass die Vollstreckbarkeit eines Titels und der Eintritt seiner Rechtskraft nicht zwin­ gend denselben Regeln unterliegen. 28  Ausdrücklich und in Abgrenzung zum französischen Recht Huber, in: van Compernolle/ Saletti, S.  325 (332 f.) 29  Neben diesem rechtsfolgenorientierten Ansatz zur Abgrenzung der voies de recours ordi­ naires von den voies de recours extraordinaires finden sich in der französischen Rechtslehre wei­

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

die Vorschrift des Art.  539 CPC die Suspensivwirkung des appel und der opposi­ tion wörtlich auf die Vollstreckbarkeit ( force exécutoire) der angegriffenen Ent­ scheidung.30 Unter Verwendung derselben Terminologie schließt Art.  579 CPC den Suspensiveffekt bezüglich der voies de recours extraordinaires aus. Gleichwohl wird der effet suspensif von weiten Teilen der französischen Rechtslehre mit Ver­ weis auf die Möglichkeit einer vorläufigen Vollstreckbarkeit (Art.  514 ff. CPC) nicht als exklusives Wesensmerkmal der voies de recours ordinaires anerkannt.31 Die Diskussion verdeutlicht somit exemplarisch das Problem und den zweifelhaften Ge­ winn einer zu starken Fixierung auf gesetzliche und außergesetzliche Begriffskate­ gorien, was Perrot im rechtsvergleichenden Kontext wie folgt formuliert: „Autrement dit, sous la même étiquette, on trouve aujourd’hui des vins dont la saveur est bien différente de ceux que l’on pouvait déguster autrefois.“32

Das von Perrot bezeichnete Problem vermeintlich eindeutiger „Etiketten“ äußert sich nicht nur am Beispiel des Suspensiveffekts:33 Nach den bisherigen Erkenntnis­ sen müsste im weiteren Verlauf dieser Arbeit der Einspruch gemäß §  338 ZPO un­ beachtet bleiben, wollte man nur die Rechtsmittel und die voies de recours mitein­ ander vergleichen. Ebenso dürfte der pourvoi en cassation nicht berücksichtigt werden, wollte man die Rechtsmittel den voies de recours ordinaires gegenüber­ stellen. Der Vergleich prozessualer Institute sollte jedoch nicht in einen Vergleich abstrakt festgelegter Gruppen münden, sondern den Blick auf funktionelle Über­ einstimmungen und Unterschiede im Einzelfall richten.34 Zwar lassen sich die her­ ausgehobenen Stellungen der Berufung und des appel sowohl im deutschen als auch im französischen Rechtsmittelrecht nicht bestreiten; beide Rechtsmittel sind aber Bestandteil eines umfassenden Systems, das nicht vorzeitig durchbrochen wer­ den soll.

tere Ansätze zur Klassifizierung der voies de recours, unter denen die Unterscheidung in voies de réformation, voies d’annulation und voies de rétractation hervorzuheben ist; zum Ganzen etwa Lefort, Rn.  653 ff. sowie Julien/Fricero, Rn.  793 und Héron/Le Bars, Rn.  694 ff. 30  Hierzu Pellerin, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  541.322; Perrot, in: van Compernolle/ Saletti, S.  277 (278). 31  Statt vieler Cadiet/Jeuland, Rn.  800 u. 749 ff. sowie Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1154; anderer Ansicht Perrot, in: van Compernolle/Saletti, S.  277 (281) mit Verweis auf die Ersatzpflicht des Gläubigers für den Fall, dass sich dessen vorläufige Vollstreckung (Art.  524 CPC) nachträglich als unberechtigt erweisen sollte. Siehe auch die Hinweise bei Salhi, Rn.  685 auf spezialgesetzliche Anordnungen einer Suspensivwirkung der voies de recours extraordinaires. 32  Perrot, in: van Compernolle/Saletti, S.  277 (277) – „Anders ausgedrückt findet man heute unter demselben Etikett Weine, deren Geschmack sich deutlich von denen unterscheidet, die man früher genießen konnte“ (Übers. d. Verf.). 33  Kritisch auch auf deutscher Seite gegenüber einer zu starken Fixierung auf die genannten Begriffe von Kries, S.  4 f. sowie aus jüngerer Zeit Saueressig, S.  233 f. u. 239. 34  Vgl. Gottwald, in: FS Schlosser, S.  227 (231).

§  3  Die Struktur der zivilprozessualen Instanzenzüge

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§  3  Die Struktur der zivilprozessualen Instanzenzüge: Deutsch-französische Vergleichspaare Auf dieser Grundlage werden nachfolgend die Rechtsmittel und die Rechtsbehelfe des deutschen und des französischen Zivilverfahrens funktionell einander gegen­ übergestellt. I. Der appel civil und die Rechtsmittel der Berufung und der sofortigen Beschwerde Gemäß der einleitenden Vorschrift des Art.  542 CPC ist der appel grundsätzlich gegen jedes „jugement rendu par une juridiction de première instance“ statthaft.35 Der Begriff des jugement darf im Rahmen des Art.  542 CPC nicht einschränkend im Sinne einer bestimmten Urteilsart verstanden werden. Zwar unterscheidet der Code de procédure civile in allgemeiner Form zwischen Entscheidungen in der Hauptsache ( jugements sur le fond, Artt.  480 f. CPC) und prozessualen Nebenent­ scheidungen ( jugements avant dire droit, Artt.  482 f. CPC).36 Im Unterschied zu §  511 Abs.  1 ZPO übernimmt das Gesetz die Unterscheidung aber nicht zur Bestim­ mung der Statthaftigkeit des appel oder anderer voies de recours. Vielmehr bezieht sich der Begriff des jugement im Rahmen der Artt.  542 ff. CPC auf sämtliche ein­ gangsgerichtlichen Entscheidungen, die in Abgrenzung zu den mesures d’administration judiciaire der spruchrichterlichen Tätigkeit entstammen.37 Der sachliche Anwendungsbereich der deutschen Berufung (§  511 Abs.  1 ZPO) bezieht sich hingegen auf Endurteile (§  300 Abs.  1 ZPO) unter Einschluss von Teil­ urteilen (§  301 ZPO) sowie auf Vorbehaltsurteile (§  302 Abs.  3 ZPO) und auf Zwi­ schenurteile (§  280 Abs.  2 ZPO u. §§  303, 304 Abs.  2 ZPO). Gegen prozessuale Ne­ benentscheidungen des ersten Rechtszuges ist die sofortige Beschwerde unter den Voraussetzungen des §  567 Abs.  1 ZPO statthaft.38 Urteile unterliegen nach dem Enumerativprinzip des §  567 Abs.  1 Nr.  1 ZPO nur in sehr begrenztem Umfang der sofortigen Beschwerde. Erfasst sind hiernach der Kostenpunkt des Anerkenntnisur­ teils (§  99 Abs.  2 ZPO), einzelne Aspekte des Wohnraumräumungsurteils im Zu­ sammenhang mit der Räumungsfrist (§  721 Abs.  6 Nr.  1 ZPO) sowie einzelne Zwi­ schenurteile (§  71 Abs.  2 ZPO, §  135 Abs.  3 ZPO und §  387 Abs.  3 ZPO).39 Gemein 35  Siehe hierzu Couchez, Rn.  1369: „Toute décision est en principe susceptible d’appel s’il n’en est autrement disposé“ – „Im Grundsatz ist jede Entscheidung dem appel zugänglich, sofern nichts anderes bestimmt ist“ (Übers. d. Verf.). 36  Hinzukommen die Entscheidungen des einstweiligen und beschleunigten Rechtsschutzes, die ordonnance de référé und die ordonnance sur requête, Artt.  484 ff. CPC. 37  Siehe CA Paris, 13 juillet 1978, D. 1980 (Jurisprudence), 45 (45 f.). Zu den mesures d’ad­ ministration judiciaire siehe unten §  5 II 3. 38  So bereits die Festlegungen des historischen Gesetzgebers; vgl. Hahn/Stegemann ZPO, S.  139. Zur Beibehaltung dieser Systematik im Rahmen des ZPO-Reformgesetzes siehe die Be­ gründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drucks. 14/4722, S.  110. 39  Siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  133, Rn.  18 sowie Ball, in: Musielak ZPO, §  567, Rn.  9

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ist sämtlichen dieser Entscheidungen, dass sie zumindest in Bezug auf ihren an­ greifbaren Teil keinen Aspekt des Streitgegenstandes der Hauptsache betreffen.40 Das deutsche zivilprozessuale Rechtsmittelrecht ist damit von einer Zweispurigkeit geprägt, die im französischen Zivilverfahren auf der Grundlage der zentralen Stel­ lung des appel (sog. concentration de l’appel41) keine Entsprechung findet.42 Um das Urteilsverfahren nicht durch Rechtsmittel in prozessualen Fragen zu ver­ zögern,43 ist die Statthaftigkeit des appel ungeachtet dessen Eigenschaft als „voie globale de recours“44 oder „voie de recours par excellence“45 an zusätzliche Anfor­ derungen im Hinblick auf den konkreten Verfahrensstand geknüpft.46 Gemäß Art.  544 CPC kann der appel gegen eine Entscheidung in der Hauptsache unmittel­ bar eingelegt werden (sog. appel immédiat); gegen Nebenentscheidungen ist der appel nur zeitlich verzögert und als Annex zum appel in der Hauptsache (sog. appel différé) statthaft, Art.  545 CPC.47 Das Ziel des appel ist nach dem Gesetzeswortlaut die réformation oder annulation des betroffenen jugement, Art.  542 CPC. Zwar ent­ hält das deutsche Berufungsrecht keine vergleichbare Vorschrift; nach den Beru­ fungsgründen des §  513 Abs.  1 ZPO zielt die Berufung aber vergleichbar auf eine Korrektur tatsächlicher und rechtlicher Fehler des erstinstanzlichen Urteils.48 II. Die opposition als voie de recours ordinaire und der Einspruch als Verfahrensschritt Die gemeinsame Normierung des appel und der opposition als voies de recours ordinaires ist angesichts der Beschränkung der opposition auf das jugement rendu par défaut (Artt.  476, 571 Abs.  1 CPC) umstritten.49 Ein jugement rendu par défaut kann gemäß Artt.  468 Abs.  1, 473 CPC nur gegen den Beklagten ergehen, sofern der Rechtsstreit die Streitwertschwelle des appel nicht erreicht, dem Beklagten die La­ u. 11 und Ahrens, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, A, Rn.  48. Zur Statthaftigkeit der sofortigen Be­ schwerde nach Maßgabe anderer Gesetze siehe Lipp, in: MüKo ZPO, §  567, Rn.  6. 40  Die gilt auch für die Entscheidung im Zusammenhang mit der Frist zur Räumung von Wohn­ raum gemäß §  721 Abs.  6 Nr.  1 ZPO. Es handelt sich hierbei um die Frist gemäß §  721 Abs.  1 S.  1 ZPO und damit um eine prozessuale Schuldnerschutzvorschrift; siehe Lackmann, in: Musielak ZPO, §  721, Rn.  1. 41  Héron/Le Bars, Rn.  728 f. 42  Eine Ausnahme besteht in Form des déféré gemäß Art.  914 Abs.  2 CPC als einem formlosen Behelf (simple requête) gegen Maßnahmen des verfahrensleitenden Richters (conseiller de la mise en état) der Cour d’appel zum Kollegialorgan; hierzu Gallet, Rn.  195. 43  Zu diesem Zweck des deutschen Beschwerdeverfahrens siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  374 – Ausgliederung „nebensächlicher Streitpunkte“ aus dem Urteilsverfahren. 44  Lefort Théorie, Rn.  216. 45  Cadiet/Jeuland, Rn.  818; ferner bezeichnen Cadiet/Jeuland, Rn.  816 den appel auch als „voie royale du double degré de juridiction“. 46  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1207 – „moment pour interjeter appel“. 47  Im Einzelnen bestehen verschiedene Ausnahmen und verfahrensrechtliche Besonderheiten, die außerhalb dieses Überblicks vorgestellt und analysiert werden sollen; siehe hierzu §  6 I. 48  So zusammenfassend auch Lemke, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  513, Rn.  1. 49  Vgl. Cadiet/Jeuland, Rn.  852 und Héron/Le Bars, Rn.  696.

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dung zum Termin nicht persönlich zugestellt wurde und schließlich das Verhalten des Beklagten den Säumnisbegriff des Art.  473 Abs.  1 CPC erfüllt. Ist eine der Vo­ raussetzungen nicht gegeben, entscheidet das Gericht durch ein als streitig fingier­ tes Urteil ( jugement réputé contradictoire).50 Gegen den Kläger entscheidet das Gericht stets durch streitiges Urteil ( jugement contradictoire), Art.  468 Abs.  1 CPC. Weder das jugement contradictoire noch das jugement réputé contradictoire sind mit der opposition anfechtbar. Beide Entscheidungen können in Abhängigkeit vom Streitwert allein dem appel oder dem pourvoi en cassation zugeführt werden, Art.  477 CPC.51 Ist hingegen die opposition statthaft und zulässig, ermöglicht sie entsprechend dem Umfang ihrer Begründung (Art.  574 CPC) eine erneute sachliche und recht­ liche Prüfung der infolge der Säumnis abgeurteilten Aspekte (points jugés par ­défaut), Art.  572 Abs.  1 CPC.52 Gegen die auf die opposition folgende Sachentschei­ dung ist aufgrund ihrer Streitwertgebundenheit nicht der appel, sondern der pourvoi en cassation statthaft.53 Im deutschen Zivilverfahren kann unabhängig vom Streit- und Beschwerdewert sowohl gegen den Beklagten als auch gegen den Kläger ein Versäumnisurteil erge­ hen, §§  330 f. ZPO. Der Einspruch gegen das Versäumnisurteil ist unabhängig von der prozessualen Rolle der säumigen Partei statthaft (§  338 ZPO) und steht grund­ sätzlich einer Berufung gegen das nachfolgende Endurteil nicht entgegen. Lediglich gegen das sog. technisch zweite Versäumnisurteil ist der Einspruch zugunsten der Berufung ausgeschlossen, §  514 Abs.  2 ZPO. III.  Unterschiedliche Einbeziehung von Revision und pourvoi en cassation in den Instanzenzug Ob und inwiefern schließlich der pourvoi en cassation und die Revision einander entsprechen, hat bereits Ferrand im Jahr 1993 ausführlich untersucht.54 Beide Rechtsmittel dienen hiernach der Einheitlichkeit und der Fortentwicklung des gel­ tenden Rechts (pouvoir normatif ) sowie der prozessualen Kontrolle der Unterge­ richte (pouvoir disciplinaire).55 Unterschiede bestehen vor allem hinsichtlich des Anwendungsbereichs und der Zugangsvoraussetzungen beider Rechtsmittel. Ferrand sieht jene Unterschiede mit der Frage verbunden, inwieweit die Rechtsmittel zugleich dem Individualinteresse der Parteien entsprechen.56 Die damals noch gel­ 50 

Ausführlich hierzu unter §  6 III. Hierzu sogleich. 52  Vergleichbar dem appel wird diese Rechtsfolge als effet dévolutif bezeichnet, statt vieler Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  154. 53  Staes, Rn.  370. 54  Frédérique Ferrand, Cassation française et Révision allemande, Thèse de doctorat, Paris 1993. 55  So die durchdringende These bei Ferrand, Rn.  250 (conclusion de la première partie), Rn.  436 (conclusion de la deuxième partie) und Rn.  440 ff. (conclusion générale). 56  Ferrand, Rn.  245 ff. u. 442. 51 

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

tende Streitwertrevision in Höhe von 60.000 DM (§  546 Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.57) be­ rücksichtige nach Ansichts Ferrands allein das individuelle wirtschaftliche Interes­ se des Revisionsklägers, sofern man nicht in systematisch zweifelhafter Weise den juristischen Wert eines Rechtsstreits seinem wirtschaftlichen Wert gleichsetzen wolle.58 Der pourvoi en cassation, der an keine Wertuntergrenze gebunden ist, öff­ ne sich hingegen konsequent den genannten Zielen der Wahrung der Rechtseinheit und der Rechtsfortbildung.59 Der umfassende Kontrollzweck des pourvoi en cassation spiegelt sich auch in seinem Anwendungsbereich wider. Dieser ist bedeutend weiter gefasst als der An­ wendungsbereich der deutschen Revision und deshalb auch für den Untersuchungs­ gegenstand dieser Arbeit von Bedeutung. Während die Revision allein gegen End­ urteile des Berufungsgerichts statthaft ist (§  542 Abs.  1 ZPO), setzt der pourvoi en cassation gemäß Art.  605 CPC ein jugement rendu en dernier ressort voraus. Hier­ zu zählen wie oben angedeutet nicht nur Entscheidungen der Cour d’appel, sondern gleichermaßen Entscheidungen der Eingangsgerichte, gegen die der appel mangels ausreichenden Streitwertes (sog. taux de ressort oder taux d’appel)60 nicht gegeben ist.61 Der taux de ressort wird gemäß Art.  34 CPC für jeden Gerichtszweig indivi­ duell bestimmt, liegt jedoch einheitlich bei über 4.000 EUR.62 Die streitwertgebundenen Anwendungsbereiche des pourvoi en cassation und der opposition treten somit neben den Anwendungsbereich des appel mit der Folge, dass anders als im deutschen Recht – zumindest theoretisch – stets ein Rechtsbehelf gegen die Entscheidungen der Eingangsgerichte statthaft ist.63 Es ergibt sich somit 57 

Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. So offenbar die allgemeine Bewertung seitens der französischen Rechtslehre; siehe Ferrand, Rn.  441 sowie Guinchard Droit processuel, Rn.  331-2. Deutlich zurückhaltender auf deutscher Sei­ te Büttner, in: FS Eichele, S.  61 (65). 59  Siehe Ferrand, Rn.  438 f. sowie aus jüngerer Zeit Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1307 und Boré/Boré, Rn.  32.91 sowie von deutscher Seite Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  133, Rn.  23 mit vergleichendem Bezug zur Revision des deutschen Zivilverfahrens. 60  Hierzu Despaquis, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 210-2 (2012), Rn.  5 u. 93. Der taux de ressort ist vom Zuständigkeitsstreitwert (taux de compétence) zu unterscheiden. 61  Es handelt sich insofern um ein jugement rendu en premier et dernier ressort; siehe Douchy-Oudot, Rn.  707 sowie Ferrand, Rn.  31 ff. Hat eine Partei den an sich statthaften appel versäumt, ist der pourvoi en cassation nicht mehr möglich; siehe Boré/Boré, Rn.  35.75. 62  Für die Entscheidungen des Tribunal de grande instance ergibt sich dies aus Art. R211-3 COJ, für die Entscheidungen des Tribunal d’instance aus Artt. R221-4, R221-41 f. COJ, für die Entscheidungen des Tribunal de commerce aus Art. R721-6 CCom, für die Entscheidungen des Tribunal paritaire des baux ruraux aus Art. R491-1 C. rural, für die Entscheidungen des Tribunal des affaires de sécurité sociale aus Art. R142-24 Abs.  1 C. séc. soc. und für die Entscheidungen des Conseil de prud’hommes aus Art. D1462-3 CTrav. Die Entscheidungen der Juridiction de proximité ergehen aufgrund des Zulässigkeitsstreitwertes dieses Gerichtszweiges von bis zu 4.000 EUR grundsätzlich en dernier ressort, Art. L231-3 Abs.  1 COJ a. F. i. V. m. Art. R231-3 S.  1 COJ; Aus­ nahme von diesem Grundsatz: Art. L231-3 Abs.  2 COJ a. F. i. V. m. Art. R231-3 S.  2 COJ (zitierte Normen nach Cadiet CPC 2011). 63  Siehe hierzu Ferrand, in: FS Henrich, S.  133 (138) sowie die Ausführungen im vierten Teil dieser Arbeit. 58 

§  4  Die Rechtsmittelgerichte im deutschen und im französischen Zivilverfahren

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ein differenziertes Bild der zweiten französischen Zivilinstanz, was die nachfolgen­ de Übersicht verdeutlicht: Entscheidung des Eingangsgerichts ( jugement en premier ressort) Streitwert bis zu 4.000 EUR ( jugement en premier et dernier ressort) streitiges Urteil ( jugement contradictoire)

– Ausnahme – Säumnis des Beklagten (non-comparution, Art.  473 Abs.  1 CPC) Versäumnisurteil ( jugement rendu par défaut)

pourvoi en cassation (Artt.  604 f. CPC)

Streitwert über 4.000 EUR

opposition (Artt.  476, 571 Abs.  1 CPC)

streitiges Urteil ( jugement contradictoire)

streitig fingiertes Urteil ( jugement réputé contradictoire) appel (Artt.  542 f. CPC)

Übersicht 2:  Die Vielschichtigkeit der zweiten Instanz des französischen Zivilverfahrens

§  4  Die Rechtsmittelgerichte zweiter Instanz im deutschen und im französischen Zivilverfahren Das im Einzelfall zuständige Rechtsmittelgericht bestimmen sowohl die deutsche als auch die französische Verfahrensordnung mithilfe eines eigenständigen Ge­ richtsverfassungsrechts.64 Während das deutsche Gerichtsverfassungsgesetz für die Berufung und die Beschwerde eine instanzielle Kompetenzverteilung zwischen dem Landgericht und dem Oberlandesgericht vorsieht, ist nach dem Code de l’organisation judiciaire stets die Cour d’appel zur Verhandlung und Entscheidung des appel zuständig. Die Revision und die Rechtsbeschwerde sind beim Bundesge­ richtshof zentralisiert, der pourvoi en cassation bei der gleichnamigen Cour de ­cassation.

64  Zum deutschen Recht siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  145: „Die Civilprozeßordnung ist als Theil eines größeren Ganzen gedacht, welches die Gerichtsverfassung, das Civilverfahren und das Strafverfahren umfasst.“ Zum französischen Recht siehe Julien/Fricero, Rn.  15 und Lefort, Rn.  18 ff.

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

I.  Landgerichte und Oberlandesgerichte als dezentrale Berufungsund Beschwerdegerichte Aufgrund des gesetzlichen Dualismus von Verfahrens- und Gerichtsverfassungs­ recht65 sind im Rahmen der Zivilprozessordnung die Begriffe des Berufungs- und des Revisionsgerichts ebenso wie die Begriffe des Beschwerde- und des Rechtsbe­ schwerdegerichts grundsätzlich abstrakt zu verstehen.66 Die praktische Ausfüllung der berufungs- und beschwerderechtlichen Zuständigkeit richtet sich auf Grundlage des Gerichtsverfassungsgesetzes nach dem in erster Instanz befassten Gericht:67 War in erster Instanz das Amtsgericht mit dem Rechtsstreit befasst, ist das Landgericht das instanziell zuständige Berufungs- und Beschwerdegericht, §  72 GVG. War das Landgericht erstinstanzlich mit dem Rechtsstreit betraut, liegt die berufungs- und beschwerdegerichtliche Zuständigkeit beim Oberlandesgericht, §  119 Abs.  1 Nr.  2 GVG.68 Allein für Beschwerden gegen die Entscheidungen der bei den Amtsgerich­ ten angesiedelten Familiengerichte (§§ 23a Abs.  1 Nr.  1, 23b Abs.  1 GVG) ist gemäß §  119 Abs.  1 Nr.  1 lit.  a GVG stets das Oberlandesgericht instanziell zuständig.69 Bei dem Oberlandesgericht handelt es sich im Unterschied zum Landgericht um ein reines Rechtsmittelgericht.70 Einzig in Musterverfahren in kapitalmarktrechtli­ chen Streitigkeiten entscheidet das Oberlandesgericht gemäß §  118 GVG im Rah­ men eines besonderen Vorlageverfahrens erstinstanzlich über Musterfeststellungs­ anträge des Landgerichts nach dem Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (§  6 Abs.  1 KapMuG);71 zuständiges Prozessgericht bleibt jedoch stets das vorlegende Landgericht, §  71 Abs.  2 Nr.  3 GVG, §  6 Abs.  2 KapMuG und §  66 Abs.  1 WpÜG.72 65 

Vgl. Art.  74 Abs.  1 Nr.  1 GG. So die Begründung des Regierungsentwurfs eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  103 zum Begriff „Revisionsgericht“. Vor dem Hintergrund des Art.  95 Abs.  1 GG mag es verwundern, dass die Zivilprozessordnung den institutionell neutralen Begriff des Revisions­ gerichts verwendet (vgl. §  543 Abs.  2 S.  2 ZPO). Der Reformgeber berücksichtigt insofern jedoch lediglich den traditionellen „Sprachgebrauch der Zivilprozessordnung“; siehe Begründung des Ge­setzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722 a. a. O. 67  So bereits die Konzeption des historischen Gesetzgebers; siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  145. Der jeweilige Zuständigkeitsstreitwert folgt aus §§  71 Abs.  1, 23 Nr.  1 GVG und liegt für landgerichtliche Verfahren gegenwärtig bei über 5.000 EUR. Siehe ferner Schilken GVR, Rn.  334 – „paralleler Instanzenzug“. 68  Für eine Übersicht über die weiteren spezialgesetzlichen Zuständigkeiten und Konzentrati­ onsermächtigungen betreffend das Oberlandesgericht siehe Wittschier, in: Musielak ZPO, §  119 GVG, Rn.  18 und Haberland, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  119 GVG, Rn.  9 f. Darüber hinaus gibt es Sonderfälle, in denen der Bundesgerichtshof in erster und letzter Instanz entscheidet, so etwa gemäß §  5 Abs.  7 RettungsG. 69  Siehe Maurer FamRZ 2009, 465 (467 f.). Zur gerichtsverfassungsrechtlichen Einordnung der freiwilligen Gerichtsbarkeit vor dem Hintergrund des §  13 GVG siehe Schilken GVR, Rn.  19 m. w. N. 70  Vgl. §§  23, 23a u. 71 GVG; hierzu Schilken ZPR, Rn.  295. 71  Ausführlich zum Ablauf des Vorlageverfahrens und dem anzuwendenden Verfahrensrecht Vollkommer, in: Hess/Reuschle/Rimmelspacher KapMuG, §  6 Rn.  36 ff., §  11, Rn.  7 ff. 72  Siehe hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Einführung von Kapitalanleger-Musterverfahren, BT-Drucks. 15/5091, S.  34 sowie Haberland, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  118 GVG, Rn.  2 f. 66 

§  4  Die Rechtsmittelgerichte im deutschen und im französischen Zivilverfahren

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Die institutionelle Zweispurigkeit der Berufungs- und Beschwerdegerichte unter­ scheidet die bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten von der Strafgerichtsbarkeit und den weiteren, zivilen Bestandteilen der ordentlichen Gerichtsbarkeit (§  13 GVG) sowie von den übrigen in Art.  95 GG vorausgesetzten Gerichtsbarkeiten. Im Rahmen der Strafgerichtsbarkeit ist das Landgericht für die Berufung gegen die Urteile des beim Amtsgericht angesiedelten Strafrichters (§  25 GVG) sowie des ebenfalls beim Amtsgericht angesiedelten Schöffengerichts (§§  28 ff. GVG) instanziell zuständig, §  74 Abs.  3 GVG.73 Gegen erstinstanzliche Urteile das Landgerichts (§§  74 Abs.  1 u. 2, 76 Abs.  1 GVG) und des Oberlandesgerichts (§  120 GVG) besteht im Strafprozess allein die Revision zum Bundesgerichtshof, §  135 Abs.  1 GVG.74 Für Beschwerden in Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit ist mit Ausnahme der in §  119 Abs.  1 Nr.  1 lit.  b GVG genannten Materien stets das Oberlandesgericht zuständig. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit, die Arbeitsgerichtsbarkeit und die So­zialge­r ichts­ barkeit weisen die Berufung dem jeweiligen Landesgericht zu.75 Die Finanzgerichts­ barkeit bietet abweichend von der beschriebenen Systematik allein die Revision zum Bundesfinanzhof.76 II. Die Cour d’appel als zentrales Rechtsmittelgericht – eine vergleichende Betrachtung Im Gegensatz zur deutschen zivilen Verfahrensordnung verwenden sowohl der Code de procédure civile als auch der Code de l’organisation judiciaire einheitlich die Begriffe der Cour d’appel und der Cour de Cassation. Der übereinstimmende Sprachgebrauch von Verfahrens- und Gerichtsverfassungsrecht ist Ausdruck der instanziell zentralen Zuständigkeit beider Rechtsmittelgerichte.77 Die Cours d’appel befassen sich ausschließlich mit dem gleichnamigen Rechtsmittel des appel und sind sämtlichen Eingangsgerichten ihres jeweiligen Bezirks instanziell nachgeord­ net, Artt. D311-1, R311-3 COJ.78 Einen dem deutschen Recht vergleichbaren, institu­ 73  Eine Ausnahme von der hier beschriebenen Systematik bildet die Revision zum Oberlandes­ gericht gegen die Urteile des beim Amtsgericht angesiedelten Strafrichters, gegen welche die Be­ rufung nicht zulässig ist, §  121 Abs.  1 Nr.  1, lit.  a GVG; zur geringen praktischen Bedeutung dieser Vorschrift siehe aber Hannich, in: KaKo StPO, §  121 GVG, Rn.  3. 74  Bei der Revision zum Oberlandesgericht in den Fällen der §§  135 Abs.  1, HS 2, 121 Abs.  1 Nr.  1 lit.  b u. lit.  c GVG handelt es sich insoweit um gesetzlich vorgesehene Ausnahmen; hierzu Beulke, Rn.  560. Zu den weiteren Zuständigkeiten des Oberlandesgerichts siehe die Auflistung bei Hannich, in: KaKo StPO, §  121 GVG, Rn.  2. 75  Für die Verwaltungsgerichtsbarkeit ergibt sich dies aus §§  2 , 12 VwGO i. V. m. §§  124 Abs.  1, 146 Abs.  1 VwGO, für die Arbeitsgerichtsbarkeit aus §§  1, 33 ArbGG i. V. m. §  8 Abs.  2 u. 4 ArbGG und für die Sozialgerichtsbarkeit aus §§  2, 29 Abs.  1 SGG i. V. m. §§  143, 172 Abs.  1 SGG. 76  Siehe §§  2 , 35 f. FGO; hierzu sowie zur Zuständigkeit des Bundesfinanzhofs für Beschwer­ den gegen Beschlüsse des Finanzgerichts Koch, in: Gräber FGO, §  2, Rn.  1 und §  36, Rn.  2. 77  Hierzu rechtsvergleichend Caniard u. a., in: CJCE, S.  274 u. 283 f. 78  Siehe Perrot Institutions, Rn.  166. Mit dem Ziel eines erhöhten Maßes an Spezialisierung ist allein die Cour d’appel de Paris unabhängig vom Ort des Eingangsgerichts stets für die in Art. D311-9 ff. COJ genannten Sachmaterien zuständig. Es handelt sich hierbei maßgeblich um die

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

tionell geteilten Rechtsweg kennt das französische Verfahrensrecht allein im Rah­ men des Strafverfahrens.79 1.  Zu den Grundzügen der französischen Gerichtsverfassung Die Strafgerichtbarkeit bildet zusammen mit der Zivilgerichtsbarkeit die ordentli­ che Gerichtsbarkeit ( juridictions judiciaires), Artt. L111-1, L311-1 COJ.80 Im Unter­ schied zum differenzierten deutschen Gerichtssystem umfasst die zivilgerichtliche Seite der juridictions judiciaires nicht nur die allgemeine (ordentliche) Zivilge­ richtsbarkeit ( juridiction statuant en matière civile), sondern auch die in Art.  749 CPC genannten Sondergerichtsbarkeiten ( juridictions d’exception). Diese werden auf der Ebene der Eingangsgerichte vertreten durch das Handelsgericht (Tribunal de commerce, Art. L721-1 CCom), das Arbeitsgericht (Conseil de prud’hommes, Art. L1411-1 CTrav), das Gericht für landwirtschaftliche Miet- und Pachtsachen (Tribunal paritaire des baux ruraux, Art.  491-1 C. rural) und das Sozialgericht ­(Tribunal des affaires de sécurité sociale, Art. L142-1 C. séc. soc.).81 In allgemeinen Zivilsachen überträgt der Code de l’organisation judiciaire die erstinstanzliche Zuständigkeit grundsätzlich dem Tribunal de grande instance, Art. L211-1 S.  1 COJ.82 Sonderzuweisungen (Art. L211-3 COJ) bestehen im Bereich vermögensrechtlicher Streitigkeiten bis zu einem Streitwert von 10.000 EUR zugunsten des Tribunal d’instance (Artt. L221-1 Abs.  1, L221-4 COJ).83 Die Artt. L231-1, L231-3 COJ a. F. sehen darüber hinaus bis zu einem Streitwert von 4.000 EUR eine Sonderzuweisung zugunsten der Juridiction de proximité vor.84

Entscheidungen einzeln genannter Regulierungsbehörden unter anderem auf den Gebieten des Kartellrechts (autorité de la concurrence), der Finanzmarktaufsicht (autorité des marchés financiers) und des Telekommunikations- und Postwesens (autorité de régulation des communications électroniques et des postes). Zum Ganzen siehe Cholet, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  123.83. 79  Hiernach wird der strafprozessuale appel in Abhängigkeit vom Eingangsgericht entweder vor der Cour d’appel (Art. L311-1 COJ) oder vor der Cour d’assises statuant en appel (Art.  380-1 Abs.  2 CPP) verhandelt; siehe Kernaleguen, Rn.  248 u. 253. 80  Guinchard/Montagnier, Rn.  353; Perrot Institutions, Rn.  217. 81  Siehe hierzu von deutscher Seite Zweigert/Kötz, S.  122 und Müller DRiZ 1986, 3 (4 f.). Ver­ fügt der Bezirk eines Tribunal de grande instance über kein Tribunal de commerce, werden dessen Aufgaben vom Tribunal de grande instance wahrgenommen, Art. L721-2 CCom. Für das Elsass und Lothringen sieht Art. L215-1 COJ dies in Anlehnung an das deutsche System als Standard vor; hierzu bereits Müller DRiZ 1986, 3 (5, Fn.  6). Die Zuständigkeit der Handelskammern der Tribunaux de grande instance ist im Übrigen entgegen der Zuständigkeit der landgerichtlichen Handels­ kammern nicht streitwertgebunden; siehe Guinchard/Montagnier, Rn.  364. 82  Vgl. Caniard u. a., in: CJCE, S.  269 – „place centrale dans l’organisation judiciaire fran­ çaise“. 83  Es handelt sich hierbei um den Zuständigkeitsstreitwert (sog. taux de compétence). Zur Un­ terscheidung des taux de compétence vom rechtsmittelrechtlichen taux de ressort siehe Despaquis, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 210-2 (2012), Rn.  3 f. u. 69. Eine detaillierte Aufzählung streitwertunabhän­ giger Sonderzuweisungen findet sich bei Guinchard/Montagnier, Rn.  366 ff., 420 ff. 84  Zitierte Normen nach Cadiet CPC 2011.

§  4  Die Rechtsmittelgerichte im deutschen und im französischen Zivilverfahren

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Durch die loi n°  2011-1862 du 13 décembre 201185 wurde die Juridiction de proximité als Institution zwar mit Wirkung zum 1. Januar abgeschafft.86 Die loi n°  2012-1441 du 24 décem­bre 201287 verschob allerdings die Anwendung des Gesetzes auf den 1. Januar 2015,88 die nachfolgende loi n°  2014-1654 du 29 décembre 201489 auf den 1. Januar 2017. Die Juridiction de proximité existiert damit weiterhin als Eingangs­ gericht, obgleich die zugrunde liegenden Vorschriften angesichts der mehrfachen Änderungen teilweise redaktionelle Widersprüche aufweisen.90 Allen genannten Gerichten sind die Cours d’appel und die Cour de cassation als Rechtsmittelgerichte nachgeordnet, Art. L-311-1 COJ und Art. L-411-2 COJ. Mit Ausnahme der Verwaltungsgerichtsbarkeit ( juridiction de l’ordre administratif ), die durch das Tribunal administratif, die Cour administrative d’appel und schließ­ lich den Conseil d’État institutionell verselbständigt ist,91 kennt das französische Recht darüber hinaus keine weitere Aufgliederung seiner Gerichtsbarkeiten und insbesondere seiner Rechtsmittelgerichte.92 2.  Überblick über die unterschiedlichen Verfahrensweisen vor der Cour d’appel Um den institutionell einheitlichen Rechtsweg zur Cour d’appel den Besonderhei­ ten der einzelnen Rechtsmaterien anzupassen, legt das zweite Buch des Code de procédure civile verschiedene Verfahrensarten fest. Das Gesetz unterscheidet zwi­ schen streitigen (procédure en matière contentieuse, Artt.  899 ff. CPC) und nicht streitigen (procédure en matière gracieuse, Artt.  950 ff. CPC) Verfahren. Letztere entsprechen mit Einschränkungen der deutschen freiwilligen Gerichtsbarkeit und sollen an dieser Stelle nicht weiter behandelt werden.93 Die procédure en matière contentieuse, die den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit bildet, gliedert das zweite Buch in ein Verfahren mit verbindlicher Vertre­ tung (procédure avec représentation obligatoire, Artt.  900 ff. CPC) und ein Verfah­ ren ohne verbindliche Vertretung (procédure sans représentation obligatoire, Artt.  931 ff. CPC). Gemäß Art.  899 CPC handelt es sich bei der procédure avec ­représentation obligatoire um das Regelverfahren.94 Die procédure sans représentation obligatoire findet nur im Fall einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung 85 

JO du 14 décembre 2011, S.  21105 ff. Nachfolgeregeln enthalten die Artt. L121-5 ff. COJ auf Grundlage der zitierten loi n°  20111862 du 13 décembre 2011. 87  JO du 26 décembre 2012, S.  20395 ff. 88  Zu dieser Entwicklung siehe Zwickel ZZPInt 17 (2012), 43 (44 ff.) m. w. N. 89  JO du 30 décembre 2014, S.  22828 ff. 90  Die betroffenen Vorschriften werden daher im Rahmen dieser Arbeit als „a. F.“ auf der Grundlage von Cadiet CPC 2011 zitiert. 91  Ausführlich Guinchard/Montagnier, Rn.  704 f. und Bunge, S.  30. 92  Müller DRiZ 1986, 3 (3); Classen, in: Sonnenberger/Classen, S.  68 – „Zweiteilung der recht­ sprechenden Gewalt“. 93  Siehe stattdessen Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  496 ff. 94  Hierzu Cass. 2e civ., 21 décembre 2006, Bull. civ. II 2006, n°  359 und Gallet, Rn.  155. 86 

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

statt. Derartige Anordnungen bestehen bezüglich der Entscheidungen des Conseil de prud’hommes (Art. R1461-1 CTrav.), des Tribunal des affaires de sécurité so­ciale (Art. R142-28 C. séc. soc.) und des Tribunal paritaire des baux ruraux (Art.  892 CPC). Der Anwendungsbereich der procédure avec représentation obligatoire er­ fasst im Umkehrschluss die Entscheidungen der allgemeinen Zivilgerichte und des Tribunal de commerce.95 Es ergibt sich somit ein vielschichtiges Regelungssystem der Verfahren vor der äußerlich zentralisierten Cour d’appel, welches die nachfol­ gende Übersicht veranschaulicht: Allgemeine Voraussetzungen und Rechtsfolgen des appel civil Artt.  542–570 CPC i. V. m. Art.  528 ff. CPC (Erstes Buch CPC) procédure en matière contentieuse Artt.  899–949 CPC (Zweites Buch CPC) procédure avec représentation obligatoire (Artt.  900–930 CPC)

procédure sans représentation obligatoire (Artt.  931–949 CPC)

procédure en matière gracieuse Artt.  950–953 CPC (Zweites Buch CPC)

Sondervorschriften entsprechend der betroffenen Rechtsmaterie Artt.  1038–1441-4 CPC (Drittes Buch CPC) sowie weitere Spezialgesetze

Übersicht 3:  Die unterschiedlichen Verfahrensarten vor der Cour d’appel, dem zentralen Rechtsmittelgericht der juridictions de l’ordre judiciaire

3.  Zentralisierungsbestrebungen der deutschen Gerichtsverfassung Die zentrale Stellung der Cour d’appel und der Cour de cassation ist rechtsverglei­ chend umso bedeutender, als Art.  95 Abs.  1 GG für die deutschen Gerichtsbarkeiten gerade den umgekehrten Fall dezentraler Obergerichte vorsieht.96 Nur auf der Ebe­ ne der Eingangsgerichte sind die Gerichtsverfassungen Deutschlands und Frank­ reichs ähnlich dezentral strukturiert. Die Frage, ob sich für das deutsche Recht eine Zusammenführung einzelner Gerichtsbarkeiten empfiehlt, wird seit den Verhand­ 95  Es bestehen allerdings Sonderregeln, z. B. gemäß Art.  1163 Abs.  1 CPC in Familiensachen hinsichtlich des appel gegen die déclaration d’abandon d’enfant sowie in Insolvenzsachen bezüg­ lich des appel gegen die Ablehnungsentscheidung zur Eröffnung der procédure de conciliation (Art. R611-26 CCom) und die Entscheidung zur Anerkennung eines Schuldenbereinigungsplanes (accord de conciliation, Art. R611-42 CCom); ausführlich hierzu Gallet, Rn.  155 f., 158. 96  Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe (Art.  95 Abs.  3 GG) entscheidet demge­ genüber nur, „wenn ein oberster Gerichtshof in einer Rechtsfrage von der Entscheidung eines an­ deren obersten Gerichtshofs oder des Gemeinsamen Senats abweichen will“, §  2 Gesetz zur Wah­ rung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 19. Juni 1968, BGBl. 1968 I, S.  661 ff. Ebenso prüft das Bundesverfassungsgericht (Art.  93 GG) nur Ver­ letzungen spezifischen Verfassungsrechts und ist gerade keine den obersten Gerichtshöfen überge­ ordnete „Superrevisionsinstanz“; siehe zum Ganzen Hergenröder, S.  107 ff. u. 440.

§  4  Die Rechtsmittelgerichte im deutschen und im französischen Zivilverfahren

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lungen im Rahmen des 42. Deutschen Juristentages vom 12. bis zum 14. September 1957 in Düsseldorf wiederkehrend diskutiert.97 Im Rahmen seines einführenden Gutachtens kam Baur weiland zu dem Ergebnis, dass sich mit Ausnahme der Ver­ fassungsgerichtsbarkeit eine Zusammenlegung der einzelnen Gerichtsbarkeiten zu einer institutionell einheitlichen, dreistufigen Gerichtsbarkeit mit Fachabteilungen entsprechend den bestehenden Gerichtszweigen empfehle.98 Mit dem Hinweis auf weiteren Prüfungsbedarf sah die mit dem Thema betraute Zweite Abteilung des 42. Deutschen Juristentages jedoch ausdrücklich von einer Beschlussfassung in diesem Punkt ab.99 Stattdessen empfahl sie eine Angleichung der Verfahrensweisen der bestehenden Gerichtsbarkeiten.100 Institutionell wurden die Erwägungen zuletzt im Rahmen der sog. „Großen Justizreform“ aufgegriffen,101 beschränkten sich dort im Ergebnis aber ebenfalls auf Vorschläge zur Angleichung der einzelnen Verfahrens­ ordnungen.102 Innerhalb der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit sah der Regierungsentwurf des Zivilprozessreformgesetzes vom 24. November 2000 eine Zentralisierung der Be­ rufungen und der sofortigen Beschwerden beim Oberlandesgericht vor.103 Das Ziel des Entwurfs bestand darin, den institutionell „gespaltenen Rechtsweg“104 zuguns­ ten eines höheren Maßes an Transparenz und Rechtseinheitlichkeit bereits vor der Revisionsinstanz zusammenzuführen und entsprach insoweit – wenn auch uner­ wähnt – dem Zentralitätsgedanken der Cour d’appel.105 Mit Verweis auf die Risi­ 97  Zu vorangegangenen Diskussionen siehe das Referat von Ule, Verhandlungen 42. DJT, S. E 3 ff. mit Bezug zur Entwicklung der französischen Verwaltungsgerichtsbarkeit. Eine Zusammen­ fassung des Diskussionsstandes sowie der vorangegangenen Entwicklungen findet sich bei Meyer-Ladewig NVwZ 2007, 1262 (1265). 98  Seine Argumentation stützt Baur neben der aus seiner Sicht von Natur aus gebotenen Ein­ heitlichkeit und Unteilbarkeit der rechtsprechenden Gewalt vor allem auf die Vermeidung von Kompetenzkonflikten, die Verbesserung des Austauschs der Richter und die damit verbundene Stärkung einer gebietsübergreifenden, einheitlichen Rechtsprechung; siehe Baur, Gutachten 42. DJT, S.  30 f., 35, 41 ff. 99  Bereits in der vorangegangenen Diskussion war vor allem mit Hinweis auf das vorgenannte Referat von Ule auf die „verhärteten Fronten“ in dieser Frage hingewiesen worden, die letztlich einer ergebnisoffenen Diskussion mit anschließender Beschlussfassung entgegenstanden; vgl. Verhandlungen 42. DJT, S. E 3 (Referat Ule), E 74 (Beitrag Süsterhenn), E 82 (Beitrag Egidi) . 100  Punkt 2 des Beschlusses der Zweiten Abteilung des 42. DJT; siehe Verhandlungen 42. DJT, S. E 156. 101  Vgl. den Beschluss „Eckpunkte für eine Große Justizreform“ der Herbstkonferenz der Jus­ tizministerinnen und Justizminister am 24. November 2004 in Berlin; hierzu Hess, in: Gottwald, Effektivität, S.  121 (133 f.) und Roth JZ 2006, 9 (10) m. w. N. 102  Vgl. 76. Justizministerkonferenz (Hrsg.), Beschluss zu TOP I.1 und 77. Justizministerkonferenz (Hrsg.), Beschluss zu TOP I.1 in Abgrenzung zum vorangegangenen programmatischen Be­ schluss der 75. Justizministerkonferenz (Hrsg.), Beschluss der Herbstkonferenz. Zum Verlauf und den Ergebnissen der „Großen Justizreform“ siehe Calliess, Gutachten 70. DJT, S. A 12 ff. 103  Siehe Art.  1 Nr.  6 des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgeset­ zes, BT-Drucks. 14/4722, S.  5. 104  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks 14/4722, S.  64. 105  Instruktiv Solus/Perrot I, Rn.  529 ff. Normativ kam jener Zentralitätsgedanke in jüngerer

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

ken verminderter Bürgernähe und erhöhter Verfahrens- und Justizkosten wurde die zentrale Rechtsmittelzuständigkeit des Oberlandesgerichts letztlich verworfen und stattdessen §  119 Abs.  1 GVG um zwei Sonderzuweisungen ergänzt.106 Neben sei­ ner Kompetenz für die Berufung und die Beschwerde gegenüber den Entscheidun­ gen des Landgerichts und des Familiengerichts war das Oberlandesgericht fortan ungeachtet des Eingangsgerichts für Berufungen und Beschwerden zuständig, so­ fern es einer Partei an einem allgemeinen Gerichtsstand im Geltungsbereich des Gerichtsverfassungsgesetzes fehlte oder das erstinstanzliche Gericht ausländisches Recht angewendet und dies ausdrücklich festgestellt hatte. Darüber hinaus wurde mit §  119 Abs.  3 GVG eine sog. „Experimentierklausel“107 eingeführt, die es den Ländern ermöglichte, die berufungs- und beschwerdegerichtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts über das bundesgesetzlich vorgegebene Maß hinaus zu er­ weitern.108 Das nachfolgende FGG-Reformgesetz109 vom 17. Dezember 2008 führte die Zu­ ständigkeit des Oberlandesgerichts auf das heute geltende Maß zurück. Nach der Begründung des zugrunde liegenden Regierungsentwurfs habe sich die erweiterte berufungs- und beschwerderechtliche Zuständigkeit des Oberlandesgerichts schlichtweg nicht bewährt.110 Bereits die vorangegangene Evaluation der ZPO-Re­ form unter der Leitung von Hommerich und Prütting kam zu dem Ergebnis, dass die neu eingefügten Sonderzuweisungen für Rechtsstreite mit Auslandsbezug auf weniger als 5 % aller Berufungen Anwendung fänden und zu starker Verunsiche­ rung in der Rechtspraxis führten.111 Von der Ermächtigung des §  119 Abs.  3 GVG

Zeit in Art.  13 loi n°  2009-526 du 12 mai 2009 (JO du 13 mai 2009, S.  7920 ff.) zum Ausdruck, wonach die rechtsmittelrechtliche Zuständigkeit der Cour d’appel u. a. um Vormundschaftssachen zum Nachteil des bis dato zuständigen Tribunal de grande instance erweitert worden ist. Der Grund hierfür bestand im Streben nach einem erhöhten Maß an Spezialisierung, das vor den ­Tribunaux de grande instance als nur schwerlich zu erreichen galt; siehe hierzu Saugey, rapport n°  209 (Sénat) du 11 février 2009, S.  71 u. 75 (selbständig veröffentlicht im Journal officiel. Sénat. Documents parlementaires 2008/2009) sowie den vorangegangenen Rapport Guinchard, S.  14 f. u. 21. 106  Siehe hierzu die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, S.  115 f.; kritisch auch Schellhammer MDR 2001, 1141 (1142). 107  Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, S.  116; hierzu ferner Zimmermann, in: MüKo ZPO, §  119 GVG, Rn.  1. 108  Nähere Bestimmungen einschließlich einer Unterrichtungspflicht des Deutschen Bundes­ tages durch die Bundesregierung über den Gebrauch dieser Möglichkeit durch die Länder bis zum 1.  Januar 2004 und 2006 legten die Absätze 4 bis 6 des §  119 GVG in der Fassung des ZPO-Re­ formgesetzes fest. 109  Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der frei­ willigen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) vom 17. Dezember 2008, BGBl. 2008 I, S.  2586 ff. 110  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines FGG-Reformgesetzes, BTDrucks. 16/6308, S.  320. 111  So die Zusammenfassung bei Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  282; aus­ führlich hierzu Hess, in: van Compernolle/Saletti, S.  105 (109) m. w. N. und Fallbeispiel.

§  4  Die Rechtsmittelgerichte im deutschen und im französischen Zivilverfahren

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a. F. habe darüber hinaus kein einziges Bundesland Gebrauch gemacht.112 Auch in­ nerhalb der ordentlichen Zivilgerichtsbarkeit ist daher gegenwärtig wohl keine ­neuerliche Zentralisierung des bestehenden Systems zu erwarten.113 III.  Zu den praktischen Folgen und den Gründen der unterschiedlichen Gerichtsverfassungen Während am 1. Januar 2012 in Frankreich (France métropolitaine) insgesamt 30 Cours d’appel bestanden,114 existierten auf deutscher Seite am 31. Dezember 2011, dem Vorabend des zehnten Jahrestages der Zivilprozessreform, 116 Landgerichte, 24 Oberlandesgerichte, 15 Landesarbeitsgerichte und 14 Landessozialgerichte.115 1.  Relativierung der Zentralität der Cour d’appel aufgrund spezieller chambres sociales Die auf deutscher Seite genannten Gerichte schlossen im Jahr 2012 insgesamt 186.626 Rechtsmittelverfahren ab.116 Vor den Cours d’appel belief sich die Anzahl der abgeschlossenen Rechtsmittelverfahren im selben Zeitraum auf 227.529.117 Um die beiderseits hohe Anzahl an Rechtsmittelverfahren zu bewältigen, sehen sowohl die deutsche als auch die französische Gerichtsverfassung die Bildung einzelner Spruchkörper vor, namentlich Senate bei den Oberlandesgerichten (§  116 Abs.  1 S.  1 GVG) und den Landessozialgerichten (§  31 SGG), Kammern bei den Landgerichten 112 

Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  282. Dafür spricht ferner, dass sich die Diskussion außerhalb der „Großen Justizreform“ zumeist auf die öffentlich-rechtlich geprägten Gerichtsbarkeiten beschränkt. Siehe hierzu bereits den ­Reformentwurf bei Ule VwGG sowie die Reformentwürfe des Bundesrates im Anschluss an 75. Justizministerkonferenz (Hrsg.), Beschluss zu TOP I.1: Gesetzentwurf des Bundesrates zur Öffnung des Bundesrechts für die Zusammenführung von Gerichten der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit in den Ländern (Zusammenführungsgesetz) vom 3. November 2004 (BT-Drucks. 25/4109) sowie Art.  1 Nr.  1 lit.  b Gesetzentwurf des Bundesrates zur Änderung des Grundgesetzes (Art.  92 und 108) vom 3. November 2004, BT-Drucks. 15/4108. Die Gesetzentwür­ fe wurden vom Bundesrat auch in der folgenden Legislaturperiode eingebracht; siehe BT-Drucks. 16/1034, S.  2. Zum Diskussionsstand bezüglich der Verwaltungs- und Sozialgerichtsbarkeit im Rahmen der sog. Föderalismusreform II (Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 91c, 91d, 104b, 109, 109a, 115, 143d) vom 29. Juli 2009, BGBl. 2009 I, S.  2248 ff.) siehe schließlich Tabbara NZS 2009, 483 (483 ff.). 114  Camus (Hrsg.), Chiffres 2012, S.  9. 115  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2012), Tabelle 1.1.1. 116  Zu den Landgerichten und Oberlandesgerichten ohne Familiensachen siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2014, Tabelle 11.1.2; zu den Oberlandesgerichten in Familiensachen siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2014, Tabelle 11.1.3; zu den Landesarbeitsgerichten und den Landessozialgerichten siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Statistisches Jahrbuch 2014, Tabelle 11.1.7. 117  Die Zahl gilt für die France métropolitaine und beruht auf eigener Berechnung gemäß den Daten auf den Internetseiten des französischen Justizministeriums unter (letzter Zugriff am 15.12.2014); siehe außerdem Camus (Hrsg.), Chiffres 2012, S.  9 u. 11 zwecks geografischer Angaben. 113 

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

(§  60 GVG) und den Landesarbeitsgerichten (§  35 ArbGG) sowie chambres bei den Cours d’appel (Art. R312-1 Abs.  1 COJ).118 Die Bildung einzelner chambres obliegt im Grundsatz der autonomen Geschäftsverteilung der Cours d’appel.119 Allein die Bildung spezialisierter chambres sociales zur Verhandlung des appel gegen Ent­ scheidungen des Tribunal des affaires de sécurité sociale und des Conseil de prud’hommes wird in Art. R311-6 COJ zwingend vorausgesetzt.120 Wechsel einzel­ ner Richter zwischen den chambres sociales und den regulären chambres civiles sind zwar möglich, kommen in der gerichtlichen Praxis aber nur selten vor.121 Funk­ tionell entsprechen die chambres sociales damit den Spruchkörpern der deutschen Landessozial- und der Landesarbeitsgerichte, obgleich die Cour d’appel nach außen stets als Einheit auftritt.122 2.  Organisation der Spruchkörper der Cours d’appel und der ordentlichen Berufungsgerichte Unabhängig von ihrer sachlichen Ausrichtung setzen sich die chambres der Cour d’appel aus einem Vorsitzenden Richter (président de la chambre) und zwei beisit­ zenden Richtern (conseillers) zusammen (sog. audience ordinaire oder formation collégiale), Artt. L312-1 f. u. R312-7 COJ. In der Formation der audience solennelle besteht eine chambre aus dem Präsidenten der Cour d’appel (premier président) und vier conseillers aus zwei unterschiedlichen chambres. Die Cour d’appel tagt nur in Ausnahmefällen in der Formation der audience solennelle, beispielsweise nach der Zurückverweisung eines arrêt durch die Cour de cassation, sofern sich die Rechtssache durch besondere Komplexität auszeichnet, Artt. L312-2 Abs.  2, R312-9 Abs.  1 COJ.123 Die Zivilkammern der deutschen Landgerichte setzen sich aus einem Vorsitzen­ den und zwei beisitzenden Richtern zusammen (§  75 GVG),124 Gleiches gilt für die Zivilsenate der Oberlandesgerichte, §  122 Abs.  1 GVG.125 118  Paraschas, in: CJCE, S.  19 f. und Caniard u. a., in: CJCE, S.  274; außerdem Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  448. 119  Gleiches gilt für die Bildung der Senate und Kammern der korrespondierenden deutschen Gerichte. Zum deutschen Recht siehe §  21e GVG sowie hierzu Schilken GVR, Rn.  373. Zum fran­ zösischen Recht siehe Artt. R312-5, L121-3 COJ sowie hierzu Kernaleguen, Rn.  245 u. 251. 120  Siehe Kernaleguen, Rn.  251 mit Hinweisen auf weitere spezialisierte chambres. 121  Siehe Perrot Institutions, Rn.  171 u. 107. 122  Siehe Perrot Institutions, Rn.  171, welcher die einzelnen chambres als „organe[s] de la cour tout entière“ beschreibt. 123  Für Einzelheiten siehe Perrot Institutions, Rn.  174 f. und Guinchard/Montagnier, Rn.  401 ff. 124  Die Kammern für Handelssachen bei den Landgerichten bestehen aus einem Vorsitzenden Richter und zwei (ehrenamtlichen) Handelsrichtern, §  105 Abs.  1 GVG i. V. m. §  45a DRiG. 125  Ausnahmen hinsichtlich der Zusammensetzung der Spruchkörper des Oberlandesgerichts als Berufungs- und Beschwerdegericht bestehen für den Senat in Baulandsachen (§  229 Abs.  1 BauGB), den Senat in Entschädigungssachen (§  208 Abs.  3 BEG) und den Senat in Landwirt­ schaftssachen (§  2 Abs.  2 LwVG).

§  4  Die Rechtsmittelgerichte im deutschen und im französischen Zivilverfahren

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Sowohl im deutschen als auch im französischen Rechtsmittelverfahren wird die Verfassung der Spruchkörper durch verfahrensrechtliche Bestimmungen überla­ gert. Der im Berufungsverfahren zuständige Spruchkörper des Land- oder des Oberlandesgerichts kann den Rechtsstreit insgesamt unter den Voraussetzungen des §  526 Abs.  1 ZPO einem entscheidenden Einzelrichter übertragen oder unter den Voraussetzungen des §  527 ZPO einem vorbereitenden Einzelrichter zuweisen.126 Im Unterschied hierzu werden die Entscheidungen der Cour d’appel stets vom Kol­ legialorgan getroffen.127 Gleichwohl ist die Übertragung des Verfahrens auf einen vorbereitenden Richter (conseiller de la mise en état) unter den Voraussetzungen des Art.  907 CPC (procédure avec représentation obligatoire) oder des Art.  939 CPC (procédure sans représentation obligatoire) zulässig.128 3.  Historisch-vergleichende Analyse der Gründe für die zentrale Stellung der Cour d’appel Betrachtet man die chambres sociales als organisatorisches Korrektiv der äußerlich umfassenden Zuständigkeit der Cour d’appel, stellt sich aus der Perspektive der deutschen Gerichtsverfassung die Frage nach den Gründen jener Zentralität. Histo­ risch geht diese zurück auf die Reform der französischen Gerichtsverfassung im Jahr 1958.129 Die Zusammenlegung der damals noch unterschiedlichen Rechtsmit­ telgerichte der einzelnen Zivilgerichtsbarkeiten diente dem Zweck, Unsicherheiten hinsichtlich der Kompetenz des angerufenen Rechtsmittelgerichts zu vermeiden, die bis dato mithilfe einer richterrechtlich entwickelten Reservezuständigkeit der Cour d’appel gelöst wurden.130 Nach dem Grundsatz der sog. plénitude de juridiction galt die angerufene Cour d’appel auch dann als zuständig, wenn in erster Ins­ tanz ein sachlich anderes Gericht und mit diesem ein anderes Rechtsmittelgericht zuständig gewesen wäre.131 Im Vergleich zum deutschen Rechtsmittelrecht ist dies 126  Die Vorschriften kehren als leges speciales das Prinzip des originären Einzelrichters gemäß §§  348 f. ZPO für das Berufungsverfahren zugunsten des Spruchkörpers um. Die Zusammenset­ zung des Beschwerdegerichts beruht indessen auf dem Prinzip des originären Einzelrichters, so­ fern die angegriffene Entscheidung von einem Einzelrichter oder einem Rechtspfleger erlassen wurde, §  568 S.  1 ZPO. Siehe zum Ganzen Schneider MDR 2004, 1269 (1269 f.). 127  Cholet, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  123.90. 128  Hierzu Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  4 49; ausführlich zur procédure avec représentation obligatoire unter §  9. 129  Vgl. Art.  8 Abs.  1 décret n°  58-1281 du 22 décembre 1958 (JO du 23 décembre 1958, S.  11572 ff.) und Art.  35 décret n°  58-1284 du 22 décembre 1958 (JO du 23 décembre 1958, S.  11579 ff.); umfassend zur Reform aus deutscher Sicht Zweigert/Kötz, S.  122. 130  Perrot Institutions, Rn.  166; Solus/Perrot II, Rn.  15 ff., 22 u. 220 f. m. w. N. 131  Nach seinem gegenwärtigen Verständnis im Rahmen von Art.  79 Abs.  1 CPC dient der Grundsatz der Heilung eingangsgerichtlicher Zuständigkeitsmängel; siehe Cass. soc., 5 juillet 2006, JCP éd. G 2006 IV (Panorama de jurisprudence), n°  2719, S.  1616 (1616) sowie CA Nîmes, 9 février 2010, n°  09/04106, veröffentlicht unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). Zum deutschen Recht siehe insofern §  513 Abs.  2 ZPO.

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Erster Teil:  Die Grundlagen des deutschen und des französischen Rechtsmittelrechts

umso bedeutender, als die Rechtsfigur der plénitude de juridiction damit als Korrek­ tiv einer am materiellen Recht orientierten Bestimmung des zuständigen Rechts­ mittelgerichts diente. In Gestalt der Zentralität der Cour d’appel lebt die plénitude de juridiction in nunmehr institutionalisierter Weise fort. Das deutsche Verfahrens­ recht begegnet dem Problem eines möglicherweise unzuständigen Rechtsmittelge­ richts hingegen mit dem Grundsatz der formellen Anknüpfung. Die Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts bestimmt sich nicht anhand des Streitgegenstandes, son­ dern von vornherein nach Maßgabe der im konkreten Fall befassten Vorinstanz.132 Rechtswegübergreifend ergibt sich das Gebot der formellen Anknüpfung mittelbar aus der in §  17a GVG niedergelegten Kompetenzautonomie.133 Innerhalb der Zivil­ gerichtsbarkeit beruht das Gebot historisch-normativ auf dem Unterhaltsrechts­ änderungsgesetz134 vom 20. Februar 1986, welches den als missverständlich emp­ fundenen Begriff der „Familiensachen“ (§§  72, 119 Abs.  1 Nr.  1 u. 2 GVG a. F.) durch den formalistischen Begriff der „von den Familiengerichten entschiedenen Sachen“ ersetzte.135 Die divergierende gerichtsverfassungsrechtliche Ausgestaltung der zweiten Instanz des deutschen und des französischen Verfahrensrechts beruht somit historisch und dogmatisch auf unterschiedlichen Anknüpfungsmodi.

132 

BGH NJW 1991, 231 (232); OLG Hamm NZM 2010, 169 (169). Instruktiv Wittschier, in: Musielak ZPO, §  17a GVG, Rn.  2 ff. 134  Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften vom 20. Februar 1986, BGBl. 1986 I, S.  301 ff. 135  Siehe hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Unterhalts­ rechtsänderungsgesetzes, BT-Drucks. 10/2888, S.  20 f. 133 

Zweiter Teil

Die Entscheidungen der Eingangsgerichte als systematische Grundlage der zweiten Instanz Unabhängig von der Zuständigkeit des zweitinstanzlichen Rechtsmittelgerichts be­ stimmt sich die Statthaftigkeit des jeweiligen Rechtsmittels anhand der Eigenart der anzufechtenden Entscheidung, mit den Worten Miguets: „L’admissibilité d’une voie de recours constitue une qualité inhérente à la sentence elle-­ même.“1

Der zweite Teil dieser Arbeit stellt die Entscheidungen des deutschen und des fran­ zösischen Verfahrensrechts vor (§  5) und hinterfragt die Art und Weise ihrer Einbe­ ziehung in die zweite Instanz (§  6). Eine Analyse der Zuordnung der Eingangsge­ richte und der zweitinstanzlichen Rechtsmittel (§  7) steht am Ende des zweiten Teils, der sich übergreifend auf das Verfahren in allgemeinen Zivil- und Handels­ sachen konzentrieren wird.

§  5  Die Grundzüge der deutschen und der französischen zivilen Urteilslehre Das deutsche Zivilverfahrensrecht kennt gemäß §  160 Abs.  3 Nr.  6 ZPO drei Arten gerichtlicher Entscheidungen: Urteile, Beschlüsse und Verfügungen. Der französi­ sche Code de procédure civile verfügt über keine vergleichbare Legaldefinition. I.  Urteile, Beschlüsse und Verfügungen als Entscheidungen des deutschen Zivilverfahrens Die Urteile der Zivilprozessordnung sind neben Endurteilen (§  300 ZPO) und Teil­ urteilen (§  301 ZPO) nach Vorbehaltsurteilen (§  302 ZPO) sowie Grund- (§  304 ZPO) und sonstigen Zwischenurteilen (§  303 ZPO) zu unterscheiden:2 Während ein Endurteil das Verfahren insgesamt abschließt, wird durch den Unterfall des Teilur­ 1  Miguet, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 61 (2013), Rn.  72 – „Die Statthaftigkeit eines Rechtsbehelfs bildet eine der Entscheidung (selbst) innewohnende Eigenschaft“ (Übers. d. Verf.). 2  Siehe Thole, in: Prütting/Gehrlein ZPO, Bemerkungen vor §§  300 ff., Rn.  10; zu einzelnen Differenzierungsmöglichkeiten Schilken ZPR, Rn.  560 ff. Zum Beschluss als Entscheidungsart des Verfahrens in Familiensachen gemäß §  38 FamFG siehe Maurer FamRZ 2009, 465 (466).

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

teils über einen abtrennbaren Teil des Rechtsstreits abschließend entschieden.3 Die in einem Vorbehaltsurteil zugunsten des Klägers getroffene Entscheidung ist von einer im Nachverfahren zu beurteilenden Aufrechnung des Beklagten abhängig.4 Zwischenurteile erschöpfen sich zumeist in prozessualen Fragen,5 können aber als Zwischenurteil über den Grund (§  304 ZPO) auch einen Teil der verfahrensbeen­ denden Entscheidung sachlich vorbereiten.6 Im Unterschied zum Urteil sind der Beschluss und die Verfügung weitaus weni­ ger ausführlich normiert, §§  128 Abs.  4, 329 ZPO.7 Formal handelt es sich bei Be­ schlüssen um Entscheidungen des Spruchkörpers, während Verfügungen vom Vor­ sitzenden oder vom beauftragten oder ersuchten Richter getroffen werden, vgl. §§  329 Abs.  1 S.  2, Abs.  2 S.  1, 309 ZPO. Der Einzelrichter kann sowohl Beschlüsse erlassen als auch Verfügungen treffen.8 Inhaltlich lassen sich Beschlüsse und Ver­ fügungen nur schwierig in allgemeiner Form definieren. Als „Faustformel“9 können unter den Begriff des Beschlusses gerichtliche Entscheidungen mit bloß prozess­ leitender Funktion gefasst werden. Zwar handelt es sich auch bei Verfügungen um verfahrensleitende Entscheidungen. Im Unterschied zu Beschlüssen beschränken sich Verfügungen jedoch auf die Leitung des praktischen Prozessbetriebes,10 was beispielsweise die Anordnung zur Vorbereitung des Termins (§  273 Abs.  2 ZPO) oder in zweiter Instanz die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist (§  520 Abs.  2 S.  2 u. 3 ZPO) verdeutlichen. Im Übrigen kennt die Zivilprozessordnung Ver­ werfungsbeschlüsse, die zu einer Beendigung des Rechtsstreits insgesamt führen,11 sowie Kostenbeschlüsse, die den kostenrechtlichen Teil des Rechtsstreits abschlie­ ßend regeln.12 In einzelnen Verfahrenssituationen steht der Beschluss darüber hin­ aus in Konkurrenz zum verfahrensleitenden Zwischenurteil, sodass sich dem Ge­ richt eine Wahlmöglichkeit hinsichtlich der Entscheidungsform bietet.13 Sofern ein 3  Von Bedeutung ist dies insbesondere im Rahmen der Zwischenfeststellungsklage über präju­ dizielle Rechtsverhältnisse gemäß §  256 Abs.  2 ZPO; hierzu Foerste, in: Musielak ZPO, §  256, Rn.  43 sowie insbesondere Hager KTS 1993, 39 (43 f.). 4  Musielak, in: Musielak ZPO, §  302, Rn.  9. 5  Siehe etwa §§  71, 135 und 387 ZPO; ausführlich hierzu Lüke, Rn.  322. 6  Ein derartiges Grundurteil lässt die Frage nach der konkreten Höhe eines dem Grunde nach zuerkannten Anspruchs offen; siehe Thole, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  304, Rn.  14 ff. 7  Die Vorschriften gelten als nicht abschließend, statt vieler Elzer JuS 2004, 36 (36) und Roth, in: Stein/Jonas ZPO, §  329, Rn.  13. 8  Zum Ganzen Lüke, Rn.  320 f. und Schilken ZPR, Rn.  109 u. 112. 9  So Elzer JuS 2004, 36 (36); siehe außerdem Lüke, Rn.  322. 10  So umschreibt Hess, in: van Compernolle/Saletti, S.  105 (107) den sachlichen Anwendungs­ bereich des Beschlusses rechtsvergleichend mit „déroulement de l’instance“ und den Anwen­ dungsbereich der Verfügung mit „déroulement de la procédure“. 11  So die Zurückweisung einer Gehörsrüge gemäß §  321a Abs.  4 S.  3 ZPO, die Zurückweisung einer Berufung gemäß §  522 Abs.  1 S.  3 ZPO, die Entscheidung über die Nichtzulassungsbe­ schwerde gemäß §  544 Abs.  4 ZPO und die Verwerfung einer unzulässigen Revision gemäß §  552 Abs.  2 ZPO. 12  Vgl. §  91a ZPO und §  269 Abs.  4 ZPO; Aufzählung nach Elzer JuS 2004, 36 (36, Fn.  8). 13  Ein Beispiel ist die Entscheidung zur Feststellung der Unterbrechung des Verfahrens wegen

§  5  Die Grundzüge der deutschen und der französischen zivilen Urteilslehre

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Beschluss in den genannten Fällen Außenwirkung erlangt, ist er wie ein Urteil der materiellen Rechtskraft fähig, §  322 Abs.  1 ZPO.14 II.  Die Entscheidungsarten des französischen Zivilprozesses Die gerichtlichen Entscheidungen des französischen Zivilverfahrens lassen sich nach der Rechtsprechung und der Rechtslehre zunächst in Akte rechtsprechender Tätigkeit (actes juridictionnels) und sonstige Akte (actes non juridictionnels) glie­ dern.15 Auf Seiten der actes juridictionnels ist zwischen dem jugement und der ­ordonnance zu unterscheiden.16 Während es sich bei einem jugement um die Ent­ scheidung des Gerichts in seiner erkennenden Besetzung handelt ( formation de ­jugement, Artt.  447, 430 Abs.  1 CPC),17 wird eine ordonnance stets von einem Ein­ zelrichter getroffen, der als solcher nicht zur Entscheidung in der Hauptsache befugt ist.18 Terminologisch erfasst das jugement die Entscheidungen des Eingangs­gerichts, während die Entscheidungen der Cour d’appel und der Cour de cassation als arrêt bezeichnet werden.19 Zu den actes non juridictionnels zählen insbesondere die ­mesures d’administration judiciaire.20 Es handelt sich hierbei um Maßnahmen der Verfahrensorganisation, obgleich sie aus deutscher Sicht zum Teil in den Bereich der spruchrichterlichen Tätigkeit fallen. 1.  Das jugement als verfahrensbeendende und verfahrensfördernde Entscheidung Der Code de procédure civile regelt das jugement unter dem XIV. Titel („Le juge­ ment“) seines ersten Buches und legt im Anschluss an die allgemeinen Vorschriften über den Ablauf der mündlichen Verhandlung (les débats, Artt.  430 ff. CPC) und die formellen Entscheidungsanforderungen (Artt.  454 ff. CPC) einzelne Erscheinungs­ formen fest, namentlich das jugement sur le fond (Artt.  480 f. CPC), das jugement avant dire droit (Art.  482 CPC), die ordonnance de référé (Artt.  484 ff. CPC) und die ordonnance sur requête (Artt.  493 ff. CPC).21 der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen einer Partei gemäß §  240 ZPO; hierzu BGH NJW 2005, 290 (291). 14  Dies gilt beispielsweise für den Zurückweisungsbeschluss des §  522 Abs.  2 ZPO; siehe Musielak, in: MüKo ZPO, §  329, Rn.  12 m. w. N. 15  Grundlegend CA Paris, 13 juillet 1978, D. 1978 (Jurisprudence), 45 (45) sowie ferner Salhi, Rn.  90 ff. u. 287 ff. 16  Couchez, Rn.  1139. 17  Cadiet/Normand/Amrani-Mekki, Rn.  244. 18  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1000. Ausnahmen gelten für den Einzelrichter ( juge unique) im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance, der gemäß Art.  802 Abs.  1 CPC neben seiner entscheidenden Tätigkeit auch die Aufgaben des Instruktionsrichters ( juge de la mise en état) wahrnimmt; hierzu Lacroix-Andrivet, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  331.312 ff. 19  Statt vieler Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1000 und Julien/Fricero, Rn.  693. 20  Ausführlich Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1016 ff. 21  Zur Systematik der allgemeinen Vorschriften des jugement siehe Cadiet/Jeuland, Rn.  708 ff. sowie von deutscher Seite Bunge, S.  70 f.

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

a) Das jugement sur le fond als Entscheidung in der Hauptsache Als Entscheidung in der Hauptsache (principal, Art.  4 CPC) entspricht das jugement sur le fond funktionell dem deutschen Endurteil gemäß §  300 Abs.  1 ZPO.22 Im Unterschied zum Wortlaut des §  300 Abs.  1 ZPO, jedoch nicht entgegen dem Inhalt der Vorschrift, unterscheidet Art.  480 Abs.  1 CPC ausdrücklich zwischen ­Sachurteilen (Art.  480 Abs.  1, 1. Fall CPC) und verschiedenen Prozessurteilen (Art.  480 Abs.  1, Fälle 2 bis 4 CPC).23 Aus Gründen der Deutlichkeit hat sich in der französischen Rechtspraxis die Bezeichnung jugement définitif als Oberbegriff sämtlicher Entscheidungen zur Hauptsache durchgesetzt,24 wobei der Unterfall des Sachurteils als jugement sur le fond (Art.  480 Abs.  1, 1. Fall CPC) und der Unterfall des Prozessurteils als jugement sur incident (Art.  480 Abs.  1, Fälle 2 bis 4 CPC) bezeichnet werden.25 Die Definition des jugement sur le fond gemäß Art.  480 Abs.  1, 1. Fall CPC („tout ou partie du principal“) umfasst schließlich auch Entscheidungen, die nur einen Teil der Hauptsache regeln.26 Verglichen mit dem deutschen Verfah­ rensrecht ist jener Entscheidungstyp nicht auf das Teilurteil zu reduzieren; in der Rechtspraxis wird die Definition durch eine differenzierte Kasuistik ausgefüllt.27 b) Das jugement avant dire droit als verfahrensfördernde Nebenentscheidung Im Gegensatz zum jugement définitif betrifft das jugement avant dire droit keine Aspekte der Hauptsache, sondern beschränkt sich nach dem Wortlaut des Art.  482 CPC auf die Anordnung von mesures d’instruction (Art.  482, 1. Fall CPC) und ­mesures provisoires (Art.  482, 2. Fall CPC). Unter den mesures d’instruction versteht der Code de procédure civile verfah­ rensfördernde Maßnahmen der Tatsachenermittlung und der Beweisaufnahme (instruction de l’instance), Art.  143 CPC.28 Im Unterschied zum Ancien Code de procédure civile, welcher die einzelnen Maßnahmen der Sachverhaltsklärung noch ohne 22 

Bunge, S.  71. Zum deutschen Recht etwa Musielak, in: MüKo ZPO, §  300, Rn.  6. 24  Mit Verweis auf die Vorschrift des Art.  708 Abs.  1 CPC, welche den Begriff „décision ­définitif“ verwendet, wird die Bezeichnung „jugement définitif“ in seltenen Fällen auch auf nicht (mehr) anfechtbare Entscheidungen bezogen; siehe etwa Bouty, Rn.  46; kritisch Couchez, Rn.  1167. 25  Statt vieler Cadiet/Jeuland, Rn.  90 und Bunge, S.  71. 26  Ausführlich zur Bestimmung des Streitgegenstandes (objet du litige) im französischen Zivil­ verfahren Eudier, in: Rép. pr. civ., Jugement (2011), Rn.  65 ff. 27  So das Ergebnis bei Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  81 ff. nach der Analyse einzelner Beispielsfälle: „Ces divers exemples jurisprudentiels ne permettent pas de ­définir des critères précis pour délimiter l’étendue de l’autorité de la chose jugée“ – „Diese einzel­ nen Beispiele der Rechtsprechung erlauben es nicht, präzise [allgemeingültige – Anm. d. Verf.] Kriterien bezüglich des Umfangs der materiellen Rechtskraft festzulegen“ (Übers. d. Verf.). Auf deutscher Seite zieht Germelmann, S.  124 einen Vergleich mit dem Grundurteil des §  304 Abs.  1 ZPO. Zur besonderen Form des jugement mixte siehe unten §  6 I 2 b. 28  Vgl. die systematische Stellung der mesures d’instruction: Erstes Buch, VII. Titel („L’admi­ nistration judiciaire de la preuve“), 2. Untertitel („Les mesures d’instruction“) des Code de procédure civile; hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  573 ff. u. 1128. 23 

§  5  Die Grundzüge der deutschen und der französischen zivilen Urteilslehre

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übergeordnete Vorschriften geregelt hatte,29 werden die mesures d’instruction im Rahmen des (Nouveau) Code de procédure civile durch einen allgemeinen Teil (Artt.  143–178-2 CPC) eingeleitet. Dieser enthält Bestimmungen über die Form, die Vollstreckung und den Rechtsschutz und tritt insoweit in Konkurrenz zu den allge­ meinen Vorschriften über das jugement.30 Im Einzelnen betreffen die mesures d’instruction die richterliche Inaugenscheinnahme (vérification personnelle du juge, Artt.  179 ff. CPC), die Vernehmung von Parteien (comparution personnelle des parties, Artt.  184 ff. CPC) und Zeugen (déclarations des tiers, Artt.  199 ff. CPC) sowie die Hinzuziehung von Sachverständigen (mesures d’instruction exécutées par un technicien, Artt.  232 ff. CPC).31 Bei den mesures provisoires handelt es sich um Maßnahmen zum Schutz der Rechte einer Partei, deren sichere Wahrung kein Abwarten bis zu einer Entschei­ dung in der Hauptsache erlaubt.32 Im Unterschied zu den einstweiligen Rechts­ schutzverfahren der ordonnance de référé und der ordonnance sur requête, auf die an dieser Stelle nicht weiter eingegangen werden soll,33 handelt es sich bei den ­mesures provisoires um Maßnahmen eines verfahrensinternen einstweiligen Rechts­ schutzes (protection provisoire incidente),34 die als solche keine Entsprechung im deutschen Verfahrensrecht finden.35 Die mesures provisoires sind im Gegensatz zu den mesures d’instruction weder zentral noch abschließend geregelt, sondern oblie­ 29  Vgl. Zweites Buch, Titel X–XVI anc. CPC (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806); ausführlich zur Kodifikationsgeschichte Solus/Perrot III, Rn.  723 ff. 30  Combes, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 634 (2013), Rn.  12 f. 31  Hierzu Couchez, Rn.  862 ff. und Adloff, S.  151 ff. Nicht um mesures d’instruction, sondern um systematisch eigenständige Mittel der Sachverhaltsaufklärung handelt es sich bei der Urkun­ den- und Dokumentenvorlage der Artt.  132 ff. CPC. Zu den historischen Gründen dieser Differen­ zierung siehe Adloff, S.  143. Zu beachten ist ferner, dass sich der Code de procédure civile auf formelle Regeln der Sachverhaltsermittlung und der Beweisaufnahme beschränkt, wohingegen die materiellen Regeln der Beweiswürdigung im Code civil festgehalten sind; siehe Adloff, S.  128 ff. u. 142 – „materielles und formelles Beweisrecht“. 32  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  2074 ff.; Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  50. 33  Bei der ordonnance de référé (Artt.  484 ff. CPC) und der ordonnance sur requête (Artt.  493 ff. CPC) handelt es sich im Gegensatz zum jugement définitif und zum jugement avant dire droit nicht um Entscheidungen des Urteilsverfahrens, sondern um Entscheidungen einstweiliger und be­ schleunigter Rechtsschutzverfahren, die unabhängig von einem möglichen Hauptsacheverfahren geführt werden. Sie werden an dieser Stelle nicht weiter behandelt. Siehe ausführlich Estoup, Rn.  5 ff. (ordonnance de référé) und Rn.  237 ff. (ordonnance sur requête). 34  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  2074; Staes, Rn.  294. 35  Zur prozessualen Selbständigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens im deutschen Recht siehe Baur, S.  77 ff. und Piehler, S.  24. Eine Ausnahme begründet insoweit das Beweissiche­ rungsverfahren gemäß §  485 Abs.  1 ZPO; hierzu Huber, in: Musielak ZPO, §  485, Rn.  2. Ferner bestehen Ausnahmen im Schiedsverfahren, §  1041 ZPO. Für das reformierte Verfahren in Famili­ ensachen ergibt sich die prozessuale Selbständigkeit des einstweiligen Rechtsschutzverfahrens ausdrücklich aus §  51 Abs.  3 S.  1 FamFG; siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundes­ regierung eines FGG-Reformgesetzes, BT-Drucks. 16/6308, S.  200, worauf die rechtsvergleichen­ de Untersuchung von Kappstein, S.  293 ff. jedoch nicht eingeht.

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gen zum weit überwiegenden Teil dem richterlichen Ermessen.36 In der Rechtspra­ xis ist zu unterscheiden zwischen mesures provisoires, die als mesures conserva­ toires der vorläufigen Sicherung des streitbefangenen Gegenstandes dienen,37 und mesures provisoires, die zur vorläufigen Befriedigung des Klägers führen und nach Abschluss des Verfahrens in ein jugement sur le fond transferiert werden können.38 c)  Zur formellen und materiellen Rechtskraftfähigkeit beider Entscheidungsarten Neben den prozessualen Besonderheiten im Rahmen der mesures d’instruction ist die Unterscheidung der einzelnen Entscheidungsarten zur Bestimmung der Rechts­ kraft von Bedeutung. Das französische Verfahrensrecht unterscheidet zwischen der autorité de la chose jugée und der force de chose jugée. Während sich die autorité de la chose jugée gemäß Art.  480 Abs.  1 CPC i. V. m. Art.  1351 CC auf die ­Sachebene der gerichtlichen Entscheidung erstreckt und daher der materiellen Rechtskraft gemäß §  322 Abs.  1 ZPO vergleichbar ist, betrifft die force de chose jugée entsprechend der formellen Rechtskraft gemäß §  705 ZPO die Vollstreckbar­ keit.39 Entgegen dem Verhältnis von formeller und materieller Rechtskraft nach deutschem Recht ist die force de chose jugée keine Voraussetzung der autorité de la chose jugée.40 Bei der autorité de la chose jugée handelt es sich vielmehr um eine Wahrheitsfiktion (Art.  1350 CC), deren Wirkung bereits mit der Verkündung der Entscheidung eintritt, Art.  480 Abs.  1 CPC.41 Nach dem Wortlaut der Artt.  480 Abs.  1, 482 CPC kann im Unterschied zum jugement avant dire droit allein das ­jugement définitif die autorité de la chose jugée erlangen.42 Zu beachten ist aller­ dings die genaue Formulierung der Artt.  480 Abs.  1, 482 CPC, die dem jugement avant dire droit die autorité de la chose jugée allein in Bezug auf die Hauptsache abspricht. Ein jugement avant dire droit kann daher in Anbetracht seiner verfahrens­ leitenden Inhalte sehr wohl in autorité de la chose jugée erwachsen (sog. autorité 36  Gesetzlich determinierte mesures provisoires existieren überwiegend im familienrechtli­ chen Verfahren; vgl. Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 530 (2014), Rn.  24 und Bonnet/Gouttenoire, in: Rép. pr. civ., Divorce, Procédure (2014), Rn.  108 ff. 37  Donnier D. 1978 (Jurisprudence), 329 (332); ferner Solus/Perrot III, Rn.  377. 38  Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 530 (2014), Rn.  24. 39  Hierzu Bunge, S.  72 f.; Couchez, Rn.  1148 u. 1313. Die force de chose jugée wird dementspre­ chend auch als force exécutoire bezeichnet; so Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1102. 40  Ausdrücklich Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1102. Zur formellen Rechtskraft als Vor­ aussetzung der materiellen Rechtskraft im deutschen Verfahrensrecht Kössinger, S.  6 m. w. N. und Germelmann, S.  19. 41  Hierzu Couchez, Rn.  1272. Darüber hinaus steht die autorité de la chose jugée als Unzuläs­ sigkeitsgrund ( fin de non-recevoir) einer erneuten Klage entgegen (Art.  125 Abs.  2 CPC); hierzu Douchy-Oudot, Rn.  219. Ausführlich zu den Voraussetzungen und zu den Wirkungen der Rechts­ kraft im französischen Recht Kössinger, S.  74 ff. und Fricero, in: Guinchard Droit et pratique, Rn.  421.131 ff. 42  Zu einzelnen Ausnahmen Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  55 ff.

§  5  Die Grundzüge der deutschen und der französischen zivilen Urteilslehre

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de la chose jugée au provisoire im Unterschied zur sog. autorité de la chose jugée au principal).43 Bei der force de chose jugée handelt es sich um eine wesentliche Voraussetzung der Zwangsvollstreckung. Sie tritt ein, wenn gegen das betroffene jugement keine voie de recours mit Suspensivwirkung und damit keine voie de recours ordinaire – appel oder opposition – gegeben ist, Artt.  501, 500 CPC i. V. m. Artt.  539, 579 CPC. Aus den gesetzlichen Regeln über die force de chose jugée ergeben sich auch das Verhältnis und der Zweck von jugement définitif und jugement avant dire droit: Die zugrunde liegenden Artt.  500 ff. CPC beziehen sich zunächst auf sämtliche ge­ richtlichen Entscheidungen ( jugements),44 werden jedoch hinsichtlich der Vollstre­ ckungsmodalitäten durch Sonderregeln konkretisiert. Zu nennen ist an dieser Stelle insbesondere Art.  154 CPC, wonach mesures d’instruction entsprechend ihrem ver­ fahrensfördernden Zweck grundsätzlich unmittelbar vollstreckbar sind.45 2.  Die ordonnances des juge de la mise en état und des juge chargé d’instruire l’affaire Um Sonderformen gerichtlicher Entscheidungen innerhalb des Hauptsacheverfah­ rens handelt es sich bei den ordonnances des juge de la mise en état und des juge chargé d’instruire lʼaffaire.46 Ihr sachlicher Geltungsbereich erstreckt sich auf das Verfahren vor dem Tribunal de grande instance ( juge de la mise en état, Art.  773 Abs.  2 CPC) und das Verfahren vor dem Tribunal de commerce ( juge chargé d’in­ struire lʼaffaire, Art.  866 Abs.  2 CPC).47 Vom beauftragten Richter des deutschen Zivilverfahrens unterscheiden sich der juge de la mise en état und der juge chargé d’instruire l’affaire insoweit, als der Umfang ihrer Kompetenz nicht durch einen Beweisbeschluss des Spruchkörpers (§§  360 S.  3, 361 Abs.  1, 375 ZPO) festgelegt wird.48 Stattdessen leiten der juge de la mise en état und der juge chargé d’instruire l’affaire einen organisatorisch verselbständigten Verfahrensabschnitt zur Aufberei­ tung des Verfahrensstoffs, zu dessen Durchführung die jeweiligen ordonnances dienen.49 43  Ausdrücklich Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  75; von deutscher Seite insofern unpräzise Kössinger, S.  67. 44  Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 513 (2012), Rn.  71. 45  Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 513 (2012), Rn.  70. 46  Das Amt des juge chargé d’instruire lʼaffaire beruht auf Art.  12 décret n°  2012-1451 du 24 décembre 2012 (JO du 27 décembre 2012, S.  20504 ff.) und ersetzt das vormalige Amt des juge rapporteur; hierzu Cadiet/Jeuland, Rn.  943 und Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  3. 47  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1000. 48  Siehe allgemein Lindner, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  359, Rn.  3. Zu den eingeschränkten Handlungsmöglichkeiten des beauftragten Richters im Rahmen der Beweisaufnahme siehe Mertens MDR 2001, 666 (673) sowie Lüke, Rn.  65. Zur Eigenverantwortlichkeit des juge de la mise en état siehe demgegenüber Cass. 3e civ., 9 octobre 1991, JCP éd. G 1991 IV (Tableaux de jurisprudence), 429 (429) und Cadiet/Jeuland, Rn.  907 u. 942 f. 49  Hierzu Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  1 und Julien/Fricero,

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a)  Zu den Besonderheiten der Verfahren vor den französischen Eingangsgerichten Der Verfahrensabschnitt vor dem Instruktionsrichter steht geradezu sinnbildlich für den historischen Wandel des französischen Zivilprozesses von einem im Ursprung liberalen Parteiverfahren zu einem in weiten Teilen gerichtlich gesteuerten Pro­ zess.50 Das Verfahren vor dem Tribunal de grande instance beginnt mit einem Er­ öffnungsverfahren (saisine du tribunal, Artt.  755 ff. CPC), an welches sich die mündliche Verhandlung (audience, Artt.  760 ff. CPC) anschließt.51 Das Eröffnungs­ verfahren dient der Prüfung der Entscheidungsreife des Rechtsstreits durch den Vorsitzenden (président de la chambre), Art.  759 Abs.  2 CPC.52 Je nach Sachlage verweist der président de la chambre den Rechtsstreit unmittelbar an den Spruch­ körper ( formation de jugement) zum Zweck der mündlichen Verhandlung (sog. ­circuit court, Art.  760 CPC), bestimmt eine erneute Erörterung (sog. circuit moyen, Art.  761 CPC) oder verfügt eine umfassende Aufbereitung des Verfahrensstoffs durch den juge de la mise en état (sog. circuit long, Art.  762 CPC).53 In diesem Punkt unterscheidet sich das Verfahren vor dem Tribunal de grande instance von dem Verfahren vor dem Tribunal d’instance und der Juridiction de proximité. Letz­ teres ist durch einen einheitlichen Prozessverlauf geprägt (sog. poursuite de ­l’instance) und sieht auch für komplexe Rechtsstreite kein verselbständigtes In­ struktionsverfahren vor, Art.  842 CPC.54

Rn.  406 ff. Unter den Voraussetzungen des Art.  907 CPC sieht auch das Verfahren vor der Cour d’appel den Einsatz eines conseiller de la mise en état zur Aufbereitung des Verfahrensstoffs vor, worauf unter §  9 II einzugehen sein wird. 50  Rechtsvergleichend Steinhauer, S.  127 und Fischer, S.  61 ff. Zu den jüngeren Reformen des eingangsgerichtlichen Verfahrens durch das décret n°  2010-1165 du 1er octobre 2010 (JO du 3 octobre 2010, S.  17986) betreffend die formelle richterliche Verfahrensleitung siehe Zwickel ZZPInt 2012, 43 (58 f.) und Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  2 unter Berücksichtigung der Kompetenz des juge chargé d’instruire lʼaffaire. 51  Der nachfolgende Überblick über die Verfahren vor den Eingangsgerichten beschränkt sich jeweils auf die procédure ordinaire. Für Hinweise zu den besonderen Verfahrensarten siehe ­Cadiet/Jeuland, Rn.  903 ff. (Tribunal de grande instance), Rn.  924 ff. (Tribunal d’instance und Juridiction de proximité) und Rn.  939 (Tribunal de commerce). 52  Zu den Voraussetzungen der wirksamen Klageerhebung sowie zur Festlegung der zuständi­ gen Kammer durch den président des Tribunal de grande instance siehe Héron/Le Bars, Rn.  577 ff. sowie Perrot Institutions, Rn.  105. 53  Es ergeben sich somit drei Möglichkeiten des Verfahrensfortgangs vor dem Tribunal de grande instance; siehe hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1849 ff. und Bunge, S.  67. 54  Hierzu Cadiet/Normand/Amrani-Mekki, Rn.  244; Solus/Perrot III, Rn.  463. Eine Ausnahme bildet insoweit allein der vorgeschaltete Schlichtungsversuch (sog. conciliation) gemäß Artt.  830, 840, 847 CPC; hierzu Douchy-Oudot, Rn.  503. Dies ist insbesondere deshalb zu betonen, da sich in der deutschen rechtsvergleichenden Literatur nicht selten der Hinweis findet, das französische Zivilverfahren zeichne sich im Gegensatz zum deutschen Zivilverfahren durch eine strikte Tren­ nung der Sachverhaltsermittlung von der mündlichen Verhandlung aus; siehe Adloff, S.  27 m. w. N. Wie auch die nachfolgenden Ausführungen zeigen werden, sollte jedoch stets verdeutlicht werden, dass diese Analyse allein für die instruction des juge de la mise en état im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance gilt; vgl. hierzu Stürner, in: FS Schumann, S.  491 (495).

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Im Verfahren vor dem Tribunal de commerce ist zwar die Durchführung eines Instruktionsverfahren möglich, Art.  861 CPC. Im Unterschied zum Instruktions­ verfahren vor dem Tribunal de grande instance bildet dieses aber keinen geschlos­ senen Verfahrensteil.55 So endet die instruction des juge de la mise en état (Tribunal de grande instance) mit einer ordonnance de clôture, nach deren Erlass die Parteien keine weiteren Angriffs- und Verteidigungsmittel (moyens)56 mehr in das Verfahren einbringen können, Artt.  782 ff. CPC.57 Im Verfahren vor dem Tribunal de commerce können hingegen noch nach der instruction des juge chargé d’instruire ­lʼaffaire Maßnahmen der Sachverhaltsermittlung und der Beweiserhebung erfol­ gen.58 Entsprechendes gilt für das Verfahren vor dem Tribunal d’instance und der Juridiction de proximité.59 Darüber hinaus schließt das Instruktionsverfahren vor dem juge chargé d’instruire lʼaffaire (Tribunal de commerce) nicht die Kompetenz des Spruchkörpers zur Vornahme verfahrensleitender Maßnahmen aus.60 Während der juge de la mise en état im Fall seiner Bestellung insbesondere auch für den ­Erlass von mesures provisoires ausschließlich zuständig ist (Artt.  771 Abs.  2 Nr.  4, 773 Abs.  2 CPC), bleibt die entsprechende Kompetenz im Verfahren vor dem Tribu­ nal de commerce stets dem Spruchkörper vorbehalten.61 b)  Das Konkurrenzverhältnis der ordonnances zum jugement avant dire droit Im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance verdrängt somit die instruction des juge de la mise en état die Zuständigkeit des Spruchkörpers zum Erlass von verfahrensleitenden jugements avant dire droit sowohl in Bezug auf mesures d’in­ struction als auch bezüglich mesures provisoires. Im Verfahren vor dem Tribunal de commerce tritt die instruction des juge chargé d’instruire lʼaffaire hingegen ­neben das Verfahren vor der formation de jugement. Der Anwendungsbereich des jugement avant dire droit wird dementsprechend vor dem Tribunal de commerce nicht beschränkt.62 55 

Siehe Héron/Le Bars, Rn.  654 und Hoonakker, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  333.23. Ausführlich zum Begriff der moyens siehe etwa Lacoste, Rn.  389; siehe ferner Kössinger, S.  78 f. und Schilling, S.  68 f. Zum deutschen Recht siehe die in der Sache vergleichbaren Legal­ definitionen der §§  146 u. 282 Abs.  1 ZPO. 57  Lefort, Rn.  339; Douchy-Oudot, Rn.  513. Für eine tabellarische Gegenüberstellung der Kom­ petenzen des juge de la mise en état und des juge chargé d’instruire l’affaire ( juge rapporteur) siehe Duguet RHJ 1982, 3 (8); siehe außerdem Cadiet/Jeuland, Rn.  943. 58  Hierzu Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  17 und Cadiet/Jeuland, Rn.  943. Für ein Beispiel aus der Rechtsprechung siehe Cass. com., 29 avril 1986, Bull. civ. IV 1986, n°  76. 59  Salati, in: Rép. pr. civ., Mise en état (2011), Rn.  187. 60  Dies ergibt sich für den juge de la mise en état aus dem Wortlaut von Art.  771 CPC: „[…] le juge de la mise en état est seul compétent […] pour […]“; hierzu etwa Cass. 2e civ., 9 décembre 1976, D. 1978 (Jurisprudence), 329 (329). 61  Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  24 und Duguet RHJ 1982, 3 (8). 62  Vgl. Art.  482 CPC über die möglichen Gegenstände des jugement avant dire droit und Artt.  865 Abs.  1 u. 866 Abs.  2 CPC über die möglichen Gegenstände der ordonnance des juge chargé d’instruire lʼaffaire. 56 

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Keine Unterschiede bestehen im Hinblick auf die Form eines jugement avant dire droit und einer ordonnance eines Instruktionsrichters im Rahmen der Sach­ verhaltsermittlung und der Beweiserhebung. Entgegen den allgemeinen Vorschrif­ ten über das jugement gemäß Artt.  430 ff. CPC sieht Art.  773 Abs.  1 CPC zunächst für sämtliche Maßnahmen des juge de la mise en état die Form eines schlichten Aktenvermerks (mention au dossier) vor. Die ordonnances des juge de la mise en état zur Anordnung einer mesure d’instruction (Art.  771 Abs.  2 Nr.  5 CPC) oder einer mesure provisoire (Art.  771 Abs.  2 Nr.  4 CPC) bedürfen gemäß Art.  773 Abs.  2 CPC einer förmlichen Begründung (sog. ordonnance motivée).63 Als Rückausnahme hiervon erklärt Art.  773 Abs.  2 CPC die speziellen Formerleichte­ rungen der mesures d’instruction gemäß Artt.  143 ff. CPC für vorrangig, was im Ergebnis zu einer formalen Vereinheitlichung der Maßnahmen führt.64 Für die ­ordonannces des juge chargé d’instruire lʼaffaire ergibt sich dieselbe Regelung aus Artt.  865 f., 143 ff. CPC.65 c)  Das Konkurrenzverhältnis der ordonnances zum jugement sur le fond Seit dem Inkrafttreten von Art.  16 décret n°  98-1231 du 28 décembre 199866 am 1. März 1999 und Art.  11 décret n°  2004-836 du 20 août 200467 am 1. Januar 2005 obliegt dem juge de la mise en état im Fall seiner Bestellung zusätzlich die Entschei­ dung über exceptions de procédure und incidents mettant fin à l’instance, Art.  771 Abs.  2 Nr.  1, HS 1 CPC.68 Bei den exceptions de procédure handelt es sich um Pro­ zesseinreden (Artt.  73 f. CPC), deren begründete Erhebung durch den Beklagten zur Abweisung der Klage als unzulässig führt.69 Ebenso handelt es sich bei den ­incidents mettant fin à l’instance um negative Prozessvoraussetzungen.70 In beiden Fällen treten die entsprechenden ordonnances des juge de la mise en état an die Stelle des jugement sur le fond bzw. jugement définitif in seiner Ausprägung als Prozessurteil und verfügen dementsprechend über die autorité de la chose jugée au 63  Der Anwendungsbereich der mention au dossier erfasst damit beispielsweise die Setzung prozessualer Fristen (Art.  764 CPC); siehe Karsenty JCP éd. G 2007 I (Doctrine), S.  12 (14). Für die ordonnance de clôture sieht Art.  782 CPC eine Ausnahme vom Begründungserfordernis des Art.  773 Abs.  2 CPC vor (sog. ordonnance non motivée). Für weitere Beispiele und Einzelfälle siehe Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  73 ff. 64  Zur weiteren Erläuterung dieser Systematik siehe Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  71 ff. 65  Insbesondere zu den mesures d’instruction etwa Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  34 ff. und Cadiet/Jeuland, Rn.  943. 66  JO du 30 décembre 1998, S.  19904 ff. 67  JO du 22 août 2004, S.  15032 ff. 68  Zusammenfassend Karsenty, JCP éd. G 2007 I (Doctrine), S.  12 (12). 69  Ein Beispiel ist der Einwand der Unzuständigkeit gemäß Art.  75 CPC. Darüber hinaus kön­ nen sich die exceptions de procédure auch gegen einzelne Prozesshandlungen des Gegners richten wie beispielsweise der Einwand der Nichtigkeit gemäß Art.  112 CPC. Siehe zum Ganzen Douchy-Oudot, Rn.  190 sowie für weitere Beispiele Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  319 ff. 70  Zur Bestimmung des Begriffs der incidents mettant fin à l’instance siehe unter Fn.  73.

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principal, Art.  775 CPC.71 Den ordonnances des juge chargé d’instruire lʼaffaire spricht Art.  867 CPC hingegen jegliche Rechtskraftwirkung in der Hauptsache ab. Nichtsdestoweniger ist der juge chargé d’instruire lʼaffaire befugt, die extinction de l’instance festzustellen, Art.  865 Abs.  3 CPC. Hierbei handelt es sich zusammenge­ fasst um das Erlöschen des Prozessrechtsverhältnisses infolge gütlicher Streitbei­ legung oder nachlässiger Verfahrensführung,72 was auf Seiten des juge de la mise en état dem Tatbestand eines incident mettant fin à l’instance entspricht.73

71  Hierzu Cass. 2e civ., 13 mars 2008, Bull. civ. II 2008, n°  68. Die Vorschrift des Art.  775 CPC, die in ihrer ursprünglichen Fassung noch sämtlichen ordonnances die autorité de la chose jugée absprach, erfüllt nunmehr bezüglich prozessbeendender Entscheidungen den Zweck einer Klar­ stellung, die vor allem von Vertretern der Rechtslehre als überfällig betrachtet wird, so etwa Perrot Procédures 2/2006 (Étude), n°  3; siehe ferner Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  60. 72  Der Begriff der gütlichen Streitbeilegung ist an dieser Stelle nicht auf den gerichtlichen Vergleich (transaction, Art.  384 Abs.  1 CPC) beschränkt, sondern umfasst nach Bunge, S.  53 auch die Klagerücknahme (désistement d’instance, Art.  385 Abs.  1 CPC), den Klageverzicht (désistement d’action, Art.  384 Abs.  1 CPC) und das Anerkenntnis (acquiescement, Art.  384 Abs.  1 CPC). Das Institut der extinction d’instance infolge nachlässiger Verfahrensführung umfasst die Verwir­ kung des Klagerechts wegen einer Unterbrechung des Verfahrens von mindestens zwei Jahren unter den weiteren Voraussetzungen der Artt.  386 ff. CPC (péremption, Artt.  385 Abs.  1, 386 ff. CPC) sowie die Unwirksamkeit der Ladung als Folge des Ausbleibens jeglicher Prozesshandlung (caducité de la citation, Artt.  385 Abs.  1, 406 f.). Zur extinction de l’instance führt schließlich auch der Tod einer Partei, sofern der Rechtsstreit höchstpersönlich und nicht auf einen Rechtsnachfolger übertragbar ist, Art.  384 Abs.  1 CPC. Siehe zum Ganzen Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  438 ff. 73  Der systematische Umfang der incidents mettant fin à l’instance, die terminologisch erst­ mals durch das besagte décret n°  2004-836 du 20 août 2004 in den Code de procédure civile ein­ gefügt wurden, ist umstritten; zusammenfassend Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  63 ff. Als incidents begreift der Code de procédure civile im Grundsatz sämtliche rich­ terlichen Maßnahmen und sonstigen Ereignisse, die Auswirkungen auf den Verfahrensverlauf ha­ ben; vgl. Artt.  367 ff. CPC. Unklar ist jedoch, ob sich der neu eingefügte Rechtsbegriff der incidents mettant fin à l’instance auch auf die Unzulässigkeitsgründe ( fins de non-recevoir) der Artt.  122 ff. CPC) bezieht. Die fins de non-recevoir orientieren sich am Verfahrensgegenstand und erfassen beispielsweise das Rechtsschutzbedürfnis (intérêt légitime, Art.  32 CPC) oder die entge­ genstehende Rechtskraft (chose jugée, Art.  1351 CC). Mit avis vom 13. November 2006 entschied die Cour de cassation, dass sich der neu geschaffene Rechtsbegriff der incidents mettant fin à l’instance (Artt.  771 Abs.  2 Nr.  1, 775 CPC) allein auf die verfahrensbeendenden incidents der Artt.  384 ff. CPC und damit nicht auf die fins de non-recevoir erstreckt; siehe Cass. avis du 13 novembre 2006, D. 2006 (Informations rapides), 2949 (2949); ausführlich hierzu Perrot RTD civ. 2007 (Chroniques), 177 (177 f.). Die gegenteilige Ansicht äußerte allerdings der französische Justizminister auf parlamentarische Anfrage vom 28. September 2004; siehe JOQ Assemblée nationale du 9 novembre 2004, question n°  47192 (C. Estrosi) du 28 septembre 2004, S.  8877 (8877). Bedenkt man vor diesem Hintergrund, dass die Cour de cassation nicht an die von ihr erteilten avis gebunden ist (vgl. insoweit Marchand/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  65) und dass alle bisherigen Kompetenzerweiterungen des juge de la mise en état einer bestmöglichen Konzentration des Spruchkörpers auf den Streitgegenstand dienten, kann ein Wandel der Recht­ sprechung nicht ausgeschlossen werden; siehe hierzu Bulletin officiel du Ministère de la justice, n°  101 du 1er janvier au 31 mars 2006, Circulaire du 8 février 2006 sowie den Rapport Magendie I, S.  84 ff. Zumindest nach dem gegenwärtigen Stand der Rechtsprechung ist die Feststellung einer fin de non-recevoir jedoch dem Spruchkörper vorbehalten.

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

In Anbetracht des vermeintlich eindeutigen Art.  867 CPC ist die Rechtskraftwir­ kung einer entsprechenden ordonnance des juge chargé d’instruire lʼaffaire zur Feststellung der extinction de l’instance bislang ungeklärt. Zumindest die Rechts­ lehre geht folgerichtig davon aus, dass eine entsprechende ordonnance des juge chargé d’instruire lʼaffaire entgegen dem Wortlaut des Art.  867 CPC der autorité de la chose jugée fähig ist.74 Hiernach kann zumindest in diesem Fall auch eine Ent­ scheidung des juge chargé d’instruire lʼaffaire mit Rechtskraftwirkung an die Stel­ le eines jugement définitif treten. 3.  Die mesures d’administration judiciaire als Entscheidungen der Verfahrensorganisation Um eine Ausprägung der actes non juridictionnels in Abgrenzung zu den zuvor behandelten actes juridictionnels handelt es sich schließlich bei den mesures d’administration judiciaire. Bedeutsam ist die Qualifikation einer gerichtlichen Maß­ nahme als mesure d’administration judiciaire zunächst vor dem Hintergrund des Art.  499 CPC, welcher die formellen Anforderungen des jugement für jene Ent­ scheidungen ausschließt.75 Die in der Praxis wichtigste Eigenschaft der mesures d’administration judiciaire ergibt sich aus Art.  537 CPC, wonach der Rechtsweg gegen sämtliche dieser Entscheidungen ausgeschlossen ist.76 Anstelle einer allge­ meinen Definition qualifiziert der Code de procédure civile einzelne Entscheidun­ gen ausdrücklich als mesures d’administration judiciaire, wobei sich dem Gesetz kein Hinweis auf den abschließenden Charakter dieser Vorschriften entnehmen lässt.77 Ungeachtet ihrer im Rechtsvergleich möglicherweise missverständlichen Bezeichnung entsprechen die mesures d’administration judiciare nicht dem deut­ schen Justizverwaltungsakt gemäß §  23 EGGVG. Zwar handelt es sich auch bei die­ sem nicht um einen Verwaltungsakt im technischen Sinn.78 Funktionell wird der Justizverwaltungsakt aber stets von einer Justizbehörde getroffen und zählt im Un­ terschied zu den mesures d’administration judiciaires gerade nicht zur spruchrich­ 74  So bereits Jeantin JCP éd. CI 1977 II (Études et commentaires), n°  12495, S.  381 (388) und Duguet RHJ 1982, 3 (9, Fn.  15); aus jüngerer Zeit Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  38. 75  Allerdings fehlt es an allgemeinen Formvorgaben sämtlicher mesures d’administration judiciare. In der Rechtspraxis erfolgt der Großteil der mesures d’administration judiciaire durch Ak­ tenvermerk (Art.  170 Abs.  2 CPC); siehe insbesondere Perdriau Gaz. Pal. 2002 (Doctrine), 360 (361 f.). 76  Hierzu Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  74 ff. 77  Statt vieler Degoffe/Jeuland, in: Études Normand, S.  141 (143 f.) und Perdriau Gaz. Pal. 2002 (Doctrine), 360 (360) und Salhi, Rn.  156. Nach dem Gesetzeswortlaut handelt es sich bei den Maß­ nahmen der Artt.  107, 126-3 Abs.  3, 368, 383 Abs.  1, 820, 847-2 Abs.  2, 537, 965, 1237 und 1384 CPC um mesures d’administration judiciaire. 78  VGH Mannheim NJW 1973, 214 (214); zustimmend BVerwG NJW 1989, 412 (413) und Mayer, in: KaKo StPO, §  23 EGGVG, Rn.  20.

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz

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terlichen Tätigkeit der Rechtserkenntnis.79 Die mesures d’administration judiciaire können sowohl die internen Organisationsabläufe der Justiz (sog. bon fonction­ nement du service dans une juridiction) als auch die organisatorische Behandlung der Klage mit unmittelbarer Wirkung für die Parteien betreffen (sog. bon déroulement de l’instance).80 Das zugrunde liegende weitreichende Verständnis der franzö­ sischen administration judiciaire wird rechtsvergleichend etwa anhand der Prozess­ verbindung und der Prozesstrennung deutlich. Beide Maßnahmen erfolgen gemäß Art.  368 CPC ausdrücklich durch mesure d’administration judiciaire. Nach deut­ schem Recht sind die Prozesstrennung (§  145 ZPO) und die Prozessverbindung (§  147 ZPO) hingegen Bestandteil der Rechtserkenntnis und ergehen durch Be­ schluss.81 Ähnlich verhält es sich mit der Bestimmung von Fristen und Terminen, die nach französischem Recht ebenfalls durch mesure d’administration judiciaire erfolgt,82 nach deutschem Recht allerdings durch prozessleitende Verfügung.83 Die Schwierigkeit, den Geltungsbereich der mesures d’administration judiciaire abs­ trakt zu bestimmen, verdeutlicht schließlich die beschriebene ordonnance de clôture des juge de la mise en état. Zwar steht die ordonnance de clôture als ab­ schließende Verfügung in unmittelbarem Zusammenhang mit der instruction de l’instance, sie zielt aber nicht darauf ab, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Als inhalt­ lich neutrale Maßnahme hat sie daher unbeschadet ihrer formalen Bezeichnung als ordonnance den Charakter einer mesure d’administration judiciaire.84

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz an die Entscheidungen der Eingangsgerichte Neben der Art der anzufechtenden Entscheidung bestimmt sich die Statthaftigkeit der Rechtsmittel zweiter Instanz sowohl im deutschen als auch im französischen Zivilverfahren anhand des Streit- oder Beschwerdewertes. Im französischen Ver­ fahrensrecht ist zudem die Frage der Säumnis von besonderer Relevanz. 79  OVG Münster NJW 1977, 1790 (1790); Mayer, in: KaKo StPO, §  23 EGGVG, Rn.  21; Kissel/ Mayer GVG, §  23 EGGVG, Rn.  14 ff. 80  Ein Beispiel für die erste Fallgruppe ist die Beauftragung einzelner Richter des Tribunal de grande instance mit der Wahrnehmung von Kompetenzen des président du tribunal oder des président de la chambre; siehe Cadiet/Jeuland, Rn.  101 und Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/ Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  75; zur zweiten Fallgruppe siehe Degoffe/ Jeuland, in: Études Normand, S.  141 (144 u. 154) – „caractère décisoire de la mesure d’ordre inté­ rieur“ – sowie Salhi, Rn.  157 ff und Cadiet/Jeuland, Rn.  101. 81  BGH NJW 1995, 3120 (3120); Wagner, in: MüKo ZPO, §  145, Rn.  8 u. §  147, Rn.  6. 82  Allgemein Perdriau Gaz. Pal. 2002 (Doctrine), 360 (363) und Cadiet/Jeuland, Rn.  101. Zu den Fristbestimmungen des juge de la mise en état gemäß Art.  764 Abs.  1 CPC siehe auch Marchand/Vuitton, J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  22 ff. 83  Vgl. zur Bestimmung des Sitzungstermins Gehrlein, in: MüKo ZPO, §  216, Rn.  1 sowie all­ gemein zu richterlichen Fristverfügungen Gehrlein, in: MüKo ZPO, §  221, Rn.  3. 84  Cadiet/Jeuland, Rn.  101; Salati, in: Rép. pr. civ., Mise en état (2012), Rn.  158 u. 162.

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I.  Entscheidungen in der Hauptsache und Entscheidungen der Verfahrensförderung Die Bedeutung der formellen Entscheidungsart für die Eröffnung des zweiten Rechtszuges ergibt sich im deutschen Verfahrensrecht aus dem Konkurrenzverhält­ nis von Berufung (§  511 ZPO) und sofortiger Beschwerde (§  567 ZPO). Auf franzö­ sischer Seite korrespondiert der im Grundsatz umfassende Begriff des jugement mit der ebenfalls grundsätzlich umfassenden Statthaftigkeit des appel (Art.  542 CPC). Nichtsdestoweniger verfügen beide Rechtsmittelsysteme über differenzierte Me­ chanismen der Einbeziehung verfahrensleitender Entscheidungen in die zweite Ins­ tanz, die nachfolgend einander gegenübergestellt werden. 1.  Die Trennung von Berufungs- und Beschwerdeverfahren im deutschen Zivilprozess Auf der Grundlage von §  511 Abs.  1 ZPO ist zunächst das Endurteil statthafter Be­ rufungsgegenstand. Das Zwischenurteil zur Feststellung der Zulässigkeit oder Un­ zulässigkeit der Klage (§  280 Abs.  2 S.  1 ZPO), das Zwischenurteil über den Grund (§  304 Abs.  2 ZPO) und das Vorbehaltsurteil (§  302 Abs.  3 ZPO) stehen in Anbe­ tracht der Rechtsmittel einem Endurteil gleich.85 Nach der Rechtsprechung sind zu­ dem Teilurteile (§  301 Abs.  1 ZPO) selbständig der Berufung zugänglich.86 Dies entspricht der Konzeption des historischen Gesetzgebers, beruhte diese doch auf einem weiten Verständnis des Endurteils bezogen auf sämtliche Entscheidungen, die zumindest einen Teil des Streitgegenstandes abschließend regeln.87 Entschei­ dungen, „die dem Endurteil vorausgegangen sind“, können unter den Voraussetzun­ gen des §  512 ZPO nur inzident überprüft werden, sofern gegen sie nicht die sofor­ tige Beschwerde (§  567 Abs.  1 ZPO) statthaft ist.88 In den Anwendungsbereich der sofortigen Beschwerde gemäß §  567 Abs.  1 ZPO fallen somit vor allem Beschlüsse sowie einzelne Zwischenurteile89 und die Verfügung über die Auswahl eines gemäß 85  Es handelt sich um sog. berufungsfähige Zwischenentscheidungen; hierzu Ball, in: Musielak ZPO, §  512, Rn.  5. 86  Hierzu sowie zur Berechnung der durch Teilurteil geschaffenen Beschwer siehe BGH NJW 1996, 3216 (3216 f.). Im Übrigen sind damit auf Seiten der Urteile allein Zwischenurteile über pro­ zessleitende Fragen einer selbständigen Berufung entzogen; vgl. hierzu BGH NJW 1988, 1733 (1733) sowie Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  512, Rn.  3 u. 16. 87  Hahn/Stegemann ZPO, S.  283 u. 349 f. 88  Hierzu Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  134, Rn.  6 u. §  146, Rn.  17. 89  Zum Konkurrenzverhältnis von verfahrensleitenden Zwischenurteilen und Beschlüssen sie­ he oben §  5 I. Insbesondere lässt die Rechtsprechung die Berufung gegenüber Zwischenurteilen zu, welche die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß §  238 Abs.  2 ZPO versagen (siehe BGH NJW 1967, 1566 (1566)) oder die Unterbrechung des Prozesses aufgrund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Beklagten gemäß §  240 ZPO oder gemäß §  17 Abs.  1 AnfG feststellen, sofern der mit der Klage geforderte Gegenstand weder Teil der Insolvenzmasse (§  35 InsO) ist noch von §  17 AnfG erfasst wird; siehe BGH NJW 2005, 290 (291) sowie BGH NZI 2006, 123 (123) und BGH NJW 2004, 2983 (2983) – hier zur Statthaftigkeit der Revision gegen ein Zwischenurteil des Berufungsgerichts zur Fortdauer der Verfahrensunterbrechung. Im Rahmen

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§  78b ZPO beizuordnenden Notanwalts (§  78c Abs.  3 ZPO).90 Der Zweck des Be­ schwerdeverfahrens besteht darin, den Rechtsstreit um nebensächliche Aspekte zu entlasten und auf diese Weise Verzögerungen im Urteilsverfahren zu vermeiden.91 In ihrer ursprünglichen Fassung hatte die Zivilprozessordnung das Hauptsachever­ fahren und das Beschwerdeverfahren noch gänzlich unabhängig voneinander gere­ gelt, sodass der Beschwerdeweg den Rechtsweg in der Hauptsache instanziell über­ ragen konnte.92 Die nachteilige Konsequenz der entkoppelten Rechtszüge bestand nicht lediglich darin, dass sich das Beschwerdegericht unter Umständen mit einer nebensächlichen Entscheidung befassen musste, obwohl der Rechtsweg in der Hauptsache bereits erschöpft war. Problematisch war insbesondere, dass sich mittel­ bar über den Umweg der Beschwerde eine anderslautende Bewertung der Haupt­ sache durch ein im Urteilsverfahren unzuständiges Gericht ergeben konnte.93 In Anknüpfung an das Rechtspflege-Vereinfachungsgesetz vom 17. Dezember 199094 beschränkte der Reformgeber von 2001/2002 die Statthaftigkeit der neu geschaffe­ nen sofortigen Beschwerde auf Entscheidungen des ersten Rechtszuges, §  567 Abs.  1 ZPO.95 Gegenüber prozessleitenden Entscheidungen des Berufungsverfah­ rens ist seither unter den Voraussetzungen des §  574 ZPO die Rechtsbeschwerde statthaft, sodass sich nunmehr eine vollständige Angleichung des Beschwerde­weges an den Rechtsweg in der Hauptsache ergibt.96 2.  Die umfassende Statthaftigkeit des appel im französischen Zivilprozess Im Unterschied zur Parallelität von Berufung und sofortiger Beschwerde beschränkt auf französischer Seite die programmatische Vorschrift des Art.  542 CPC den An­ wendungsbereich des appel lediglich instanziell auf das „jugement rendu par une juridiction du premier degré“. Unter dem Titel „Les jugements susceptibles d’ap­ pel“97 setzt sich die Bestimmung zunächst in Art.  543 CPC fort („les jugements de première instance“). Erst die nachfolgenden Artt.  544 und 545 CPC unterscheiden der zitierten Entscheidungen stützt sich der Bundesgerichtshof u. a. auf ein früheres Urteil, in welchem er die selbständige Anfechtung eines Zwischenurteils, das einen auf Antrag des Klägers erfolgten Parteiwechsel auf der Beklagtenseite zugelassen hatte, als statthaft befand; siehe BGH NJW 1981, 989 (989). 90  Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  146, Rn.  6 u. 17. 91  Hahn/Stegemann ZPO, S.  374. 92  Ausführlich zu diesem mittlerweile gesetzlich gelösten Problem Grunsky, in: Stein/Jonas ZPO (21.  Aufl.), §  567, Rn.  7. 93  Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Rechtspflege-Verein­ fachungsgesetzes, BT-Drucks. 11/3621, S.  26 mit ausführlichen Hinweisen zur vorangegangenen gesetzlichen und richterrechtlichen Entwicklung. 94  BGBl. 1990 I, S.  2847 ff. 95  Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreform­ gesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  110. 96  Schnauder JuS 2002, 162 (166) – „Synchronisierung des Rechtsmittelzugs“. 97  Erstes Buch, XVI. Titel, 2. Untertitel, 1. Kapitel, 1. Abschnitt, 1. Unterabschnitt des Code de procédure civile.

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zwischen Entscheidungen in der Hauptsache (Art.  544 CPC) und sonstigen Ent­ scheidungen („les autres jugements“), Art.  545 CPC. a)  Das Prinzip von appel immédiat und appel différé als Ausgangspunkt Entscheidungen in der Hauptsache können umgehend dem appel zugeführt werden (sog. appel immédiat). Die übrigen Entscheidungen („les autres jugements“) sind nur zusammen mit der Hauptsacheentscheidung dem appel zugänglich (sog. appel différé).98 Der Wortlaut des Art.  544 CPC ist präziser als der Wortlaut des Art.  480 CPC hinsichtlich der einzelnen Ausprägungen des jugement définitif. Er legt fest, dass Entscheidungen über die Zulässigkeit der Klage und den übrigen Verfahrens­ verlauf nur dann selbständig mit dem appel anfechtbar sind, wenn sie unmittelbar die Beendigung des eingangsgerichtlichen Verfahrens zur Folge haben („[…] ou tout autre incident met fin à l’instance“). Führt eine Entscheidung nicht zur Beendi­ gung des erstinstanzlichen Verfahrens, ist sie als „autre jugement“ allein dem appel différé gemäß Art.  545 CPC zugänglich.99 Der appel immédiat ist hiernach ins­ besondere gegenüber solchen Entscheidungen ausgeschlossen, die eine prozessuale Einwendung zurückweisen.100 Im Übrigen korrespondiert die bewusst untechni­ sche Formulierung des Art.  545 CPC („les autres jugements“)101 mit dem Gesamt­ system des Code de procédure civile. So bestimmt bereits Art.  150 CPC, dass Ent­ scheidungen über die Anordnung oder Abänderung einer mesure d’instruction un­ geachtet ihrer formalen Natur als jugement avant dire droit oder als ordonnance nur gemeinsam mit dem jugement sur le fond dem appel zugänglich sind. Es han­ delt sich hierbei um den bedeutendsten Fall der „autres jugements“ im Sinne des Art.  545 CPC.102 b)  Durchbrechung des Prinzips durch den appel immédiat gegen das jugement mixte Nicht vom Begriff des „autre jugement“ (Art.  545 CPC) erfasst sind Entscheidun­ gen, deren Tenor (dispositif ) wenigstens einen Aspekt der Hauptsache (principal) regelt und zugleich eine mesure d’instruction oder eine mesure provisoire anordnet (sog. jugement mixte). Im deutschen Recht findet diese Mischform keine Entspre­ 98  Dies gilt insbesondere für das jugement avant dire droit; siehe Gallet, Rn.  45 und Lefort Théorie, Rn.  318 f. Die Bezeichnung „appel différé“ beruht auf der zeitlich versetzten Statthaftig­ keit des appel im genannten Fall. In Abgrenzung zur Rechtsmittelfrist (délai) ist insofern der Be­ griff des moment de l’appel gebräuchlich; siehe etwa Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1203 u. 1206 f. 99  Gallet, Rn.  45. 100  Hierzu Cass. 3e civ., 24 février 1982, Bull. civ. III 1982, n°  53; Croze/Laporte, Rn.  531. Der Wortlaut des Art.  480 Abs.  1, 4. Fall CPC ist insofern zu weit gefasst; siehe Héron/Le Bars, Rn.  369 u. 946. Für weitere Beispiele siehe Couchez, Rn.  767 ff. 101  Zur Gesetzesgeschichte siehe Lefort Théorie, Rn.  318. 102  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1138.

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chung.103 Wollte man das jugement mixte etwa mit dem Grundurteil des §  304 ZPO vergleichen, stünde einer funktionellen Korrespondenz die Regel des §  304 Abs.  2, HS 2 ZPO entgegen. Die Vorschrift führt zu einer prozessualen Zäsur, aufgrund derer eine Verbindung des Grundurteils mit einem etwaigen Beweisbeschluss aus­ geschlossen ist.104 Das jugement mixte geht als Entscheidungsform nicht aus den allgemeinen Ur­ teilsvorschriften der Artt.  480 ff. CPC hervor, sondern wird in Art.  544 Abs.  1, 2. Fall CPC vorausgesetzt.105 Die Vorschrift beruht auf Art.  87 décret n°  72-788 du 28 août 1972106, welcher das jugement mixte erstmals gesetzlich anerkannte und dem appel immédiat zuordnete. Für den pourvoi en cassation enthält Art.  606 CPC eine korrespondierende Regel.107 Die Einbeziehung des jugement mixte in den Geltungs­ bereich des appel immédiat erfordert in der Rechtspraxis eine Abgrenzung zum jugement avant dire droit.108 Um ein jugement mixte handelt es sich beispielsweise bei einer Entscheidung, deren dispositif einen vom Kläger geltend gemachten Scha­ densersatzanspruch dem Grunde nach stattgibt und zugleich die Anfertigung eines Gutachtens über die genaue Höhe des Schadens bestimmt.109 Ebenso verhält es sich mit einer Entscheidung, deren dispositif den Anspruch eines klagenden ­Mieters auf Anpassung der Miete dem Grunde nach gewährt und gleichzeitig ein Gutachten über die künftige Miethöhe anordnet.110 Problematisch ist die Einordnung von Entscheidungen, deren dispostif allein eine mesure d’instruction oder mesure provisoire anordnet, implizit aber eine bestimm­ te Bewertung der Hauptsache voraussetzt (sog. motifs décisoires).111 In der Rechts­

103  Das gemeine deutsche Verfahrensrecht kannte zwar noch ein eigenständig rechtsmittelfähi­ ges Beweisurteil (sog. Beweisinterlokut). Im Unterschied zum jugement mixte gliederte das Be­ weisurteil jedoch den gesamten Prozess in ein Behauptungs- und ein Beweisverfahren und bezog sich daher nicht auf einzelne entscheidungserhebliche Aspekte; siehe Engel, S.  53 ff. u. 97 f. Den Unterschied zum französischen Recht betont Conrad, S.  470. 104  Siehe etwa BGH NJW 1979, 2307 (2307 f.). Sonstige gemischte Entscheidungen sind im deutschen Zivilverfahren stets mit dem für den jeweiligen Teil statthaften Rechtsbehelf anzugrei­ fen. Dies gilt beispielsweise für ein Teilversäumnisurteil in Kombination mit einem Endurteil; hierzu BGH NJW 1994, 589 (590) sowie Ball, in: Musielak ZPO, §  511, Rn.  9. 105  Cass. 3e civ., 19 mars 2008, Bull. civ. III 2008, n°  49; siehe außerdem bereits Cass. soc., 16 février 1951, JCP éd. G 1951 IV (Tableaux de jurisprudence), 61 (61). 106  JO du 30 août 1972, S.  9300 ff. 107  Diese geht zurück auf Art.  2 décret n°  79-941 du 7 novembre 1979 (JO du 9 novembre 1979, S.  2775 ff.). 108  Instruktiv Pellerin, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  542.53. 109  Es handelt hierbei geradezu um das klassische Beispiel eines jugement mixte; so bereits Durry RTD civ. 1960, 5 (6) sowie aus jüngerer Zeit Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1130. 110  Siehe Cass. 3e civ., 19 mars 2008, Bull. civ. III 2008, n°  49. Im zitierten Fall handelte es sich um ein handelsrechtliches Mietverhältnis (bail commercial) gemäß Art. L145-1 ff. CCom i. V. m. R145-1 ff. CCom; siehe hierzu sowie insbesondere zum Anspruch des Mieters auf Anpassung der Miete (révision du loyer) Legeais, Rn.  177 m. w. N. 111  Siehe Croze/Laporte, Rn.  529 f., die dem Rechtsanwender im Rahmen eines „conseil pra­ tique“ zu einer restriktiven Auslegung des Art.  544 CPC raten; siehe außerdem Cass. ch. mixte,

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praxis hat sich zu dieser Frage eine umfassende Kasuistik herausgebildet,112 die sich im Ergebnis durch eine strenge Auslegung des Art.  544 Abs.  1, 2. Fall CPC aus­ zeichnet.113 Die Rechtsprechung stützt sich auf den Wortlaut der Norm („dans le dispositif“) und das Argument der Rechtssicherheit. Bei der rechtlichen Qualifika­ tion eines jugement seien hiernach allein die im dispositif ausdrücklich genannten Entscheidungsaspekte zu berücksichtigen.114 Ein jugement avant dire droit erlange hiernach nur dann die Qualität eines jugement mixte, wenn es die in den Urteils­ gründen (motifs) niedergelegte Bewertung der Hauptsache auch im Tenor führe.115 Ferner genügten solche Entscheidungen nicht den Anforderungen eines jugement mixte, welche die Klage lediglich für zulässig erklären und zugleich eine mesure d’instruction anordnen.116 Denn die Zulässigkeit der Klage sei nach Ansicht der Cour de cassation nicht der Grund, sondern die Voraussetzung der getroffenen ­mesure d’instruction.117 Nach der auch im französischen Verfahrensrecht geltenden Dispositionsmaxime (principe dispositif )118 ist die rechtsmittelführende Partei berechtigt, im Fall eines jugement mixte den appel auf den Entscheidungsteil zur Hauptsache zu beschrän­ ken, Artt.  4 f., 562 Abs.  2 CPC.119 Eine Beschränkung des appel auf die im jugement mixte enthaltene mesure d’instruction oder mesure provisoire ist unzulässig.120 Dies gilt entsprechend, wenn sich die Partei zunächst insgesamt gegen das jugement mixte wendet und ihren Antrag nachträglich auf den Entscheidungsteil avant dire droit reduziert.121 c)  Zweckgebundene Sonderregeln über die Statthaftigkeit des appel Der Ausschluss des appel immédiat gegenüber Entscheidungen ohne unmittelbaren Bezug zur Hauptsache steht gemäß Art.  545, HS 2 CPC122 unter dem Vorbehalt an­ 25 octobre 2004, Procédures 12/2004 (Commentaires), n°  251 sowie hierzu Perrot RTD civ. 2005 (Chroniques), 187 (187 f.). 112  Vgl. die Nachweise bei Cadiet CPC 2014, Art.  544, Rn.  1 ff. und Gallet, Rn.  36 ff. 113  Pellerin, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  542.53. 114  Cass. 2e civ., 11 avril 1975, Bull. civ. II 1975, n°  100; hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1143. 115  Cass. 1re civ., 1 avril 1981 (zitiert nach Normand/Perrot RTD civ. 1982, 651 (662) – Ab­ schnitt Perrot). 116  Siehe Cass. 2e civ. 10 mars 1977, Bull. civ. II 1977, n°  71 sowie ferner die Nachweise bei Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  24 ff. 117  Cass. 2e civ. 10 mars 1977, Bull. civ. II 1977, n°  71. 118  Der Begriff wird in der französischen Rechtslehre ausdrücklich in Anlehnung an die Struk­ tur des deutschen Zivilverfahrens verwendet; siehe Solus/Perrot III, Rn.  79. Zu den Besonderhei­ ten im Vergleich zum Dispositionsgrundsatz des deutschen Zivilverfahrensrechts siehe Sonnenberger, in: FS Münchener Jur. Gesellschaft, S.  63 (66 ff.). 119  Cass. 2e civ., 24 novembre 1966, Bull. civ. II 1966, n°  921. 120  Cass. 1re civ., 6 février 1996, Bull. civ. I 1996, n°  63. 121  Cass. 2e civ., 10 février 2000, Procédures 4/2000 (Commentaires), n°  85. 122  Die Vorschrift geht zurück auf Artt.  87 f. décret 72-788 du 28 août 1972 (JO du 30 août 1972, S.  9300 ff.); vgl. Synopse NCPC 1976.

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derslautender Spezialregeln. Entsprechende Ausnahmen sieht der Code de procé­ dure civile vereinzelt und meist aufgrund praktischer Erwägungen vor, so gegenüber einstweiligen Maßnahmen (mesures provisoires) des juge aux affaires familiales im Rahmen des Scheidungsverfahrens (Artt.  1112 u. 1199 CPC) sowie im Zusammen­ hang vorläufiger Maßnahmen des juge des enfants (Art.  375-5 CPC). Die Statthaf­ tigkeit des appel immédiat rechtfertigt sich in den genannten Fällen mit der Exis­ tenzsicherung der Beteiligten sowie mit dem Kindeswohl.123 Im Rahmen des hier zu untersuchenden Verfahrens in allgemeinen Zivil- und Handelssachen bestehen Sonderregeln hinsichtlich der Anordnung eines Sachver­ ständigengutachtens (expertise, Art.  272 CPC),124 eines gerichtlichen Schwures (serment décisoire, Art.  320 CPC) und gegenüber der Entscheidung zur Unterbre­ chung des Verfahrens (sursis à statuer, Art.  380 CPC). Schließlich ergeben sich Be­ sonderheiten im Rahmen der ordonnances des juge de la mise en état und des juge chargé d’instruire lʼaffaire. aa) Der appel soumis à autorisation im Rahmen von expertise und sursis à statuer Die Zulässigkeit des appel gegenüber dem jugement avant dire droit in seiner Aus­ prägung einer décision ordonnant l’expertise (Art.  272 CPC) soll den Parteien die Möglichkeit geben, sich gegen die Anfertigung eines kosten- und zeitaufwendigen Sachverständigengutachtens zu wehren.125 Um Verzögerungen des Verfahrens zu vermeiden, gewährt Art.  380 CPC unter vergleichbaren Voraussetzungen den appel gegenüber Entscheidungen, die eine Unterbrechung des Verfahrens bestimmen (sursis à statuer).126 Tatbestandlich verlangen beide Ausnahmeregeln das Vorliegen eines dringenden Grundes (motif grave et légitime). Im Rahmen einer expertise kann sich der dringende Grund sowohl in zeitlicher als auch in wirtschaftlicher Hinsicht ergeben.127 Im Rahmen einer décision de sursis muss der dringende Grund hingegen stets in der Notwendigkeit eines zeitnahen jugement sur le fond beste­ hen.128 Beide Normen erfordern eine genaue Lesart: Nach ihrem Wortlaut ist eine Durchbrechung des Grundsatzes des appel différé jeweils nur gegenüber anordnen­ 123  Hierzu Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 530 (2013), Rn.  111 ff. und Deiss JCP éd. G 1990 II (Jurisprudence), n°  21402. 124  Eine vergleichbare Regel sieht Art. R1454-16 Abs.  2 CTrav für das arbeitsgerichtliche Schlichtungsverfahren vor. Die Vorschrift geht zurück auf die Einführung des neuen Code du travail durch Art.  1 décret n°  2008-244 du 7 mars 2008 (JO du 12 mars 2008), S.  4482 ff. Zu den vorangegangenen Artt. R516-19 und R516-25 CTrav noch Lefort Théorie, Rn.  318 (Fn.  391) und Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  69. 125  Couchez, Rn.  1403; Lacroix-Andrivet, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  342.261. 126  Die Rechtsnatur der décision de sursis ist umstritten, aufgrund von Art.  380 CPC jedoch nicht praktisch relevant; siehe Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 530 (2013), Rn.  32; ferner Solus/Perrot III, Rn.  1121 und Couchez, Rn.  1403. 127  Genin-Méric/Martel-Emmerich, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 662 (2010), Rn.  96 u. 99. 128  Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 679 (2013), Rn.  82.

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den Entscheidungen gestattet.129 Gegenüber ablehnenden Entscheidungen kommt eine Durchbrechung des in Art.  545 CPC niedergelegten Grundsatzes nicht in Be­ tracht.130 Gleiches gilt für Entscheidungen, die lediglich die Ausführungsmodalitä­ ten einer expertise betreffen.131 Eine institutionelle Absicherung erfährt die Korrekturfunktion beider Ausnah­ meregeln durch die notwendige autorisation des premier président der Cour d’appel. Gemäß Art.  272 Abs.  1 u. 2 CPC sowie Art.  380 Abs.  1 u. 2 CPC muss die rechtsmittelführende Partei ihr Rechtsmittelgesuch innerhalb eines Monats ab dem Ausspruch der anzufechtenden Entscheidung an den premier président der Cour d’appel richten.132 Dieser prüft das Vorliegen eines motif grave et légitime im Rah­ men eines summarischen Verfahrens (sog. référé-Verfahren, Artt.  956 f. CPC).133 Teilt der premier président die Ansicht der rechtsmittelführenden Partei, verweist er den Streit an den zuständigen Spruchkörper der Cour dʼappel und legt einen Termin zur Verhandlung fest. Die Verweisung dient der Verfahrensbeschleunigung, entbin­ det die rechtsmittelführende Partei aber nicht davon, formal appel zu erheben.134 Der insofern lückenhafte Gesetzestext führt zum Folgeproblem der Frist des appel in den genannten Fällen. Nach allgemeinen Regeln beträgt diese einen Monat ab der Zustellung (notification) der anzufechtenden Entscheidung, Artt.  538, HS 1 u. 528 Abs.  1 CPC.135 Im Jahr 2000 entschied die Cour d’appel de Bastia, dass die Frist des appel gegenüber einem sursis à statuer mit der Zustellung der décision de sursis beginne.136 Im besagten Fall hatte das Verfahren der autorisation jedoch außerge­ 129  Vgl. Art.  272 Abs.  1 CPC („décision ordonnant l’expertise“) und Art.  380 Abs.  1 CPC („décision de sursis“). 130  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1219. Zur décision ordonnant l’expertise siehe CA Dijon, 21 mars 1989, Gaz. Pal. 1990 I (Jurisprudence), 11 (12); zum sursis à statuer siehe CA Paris, 8 juillet 1977, Gaz. Pal. 1978 (Recueil des sommaires), 40 (41) und CA Reims, 8 mars 1979, Gaz. Pal. 1980 (Recueil des sommaires), 75 (75 f.). 131  Eine Zusammenfassung einzelner von der Rechtsprechung entschiedener Fälle findet sich bei Lacroix-Andrivet, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  342.262 m. w. N. Nur ergänzend sei darauf hingewiesen, dass weder ein motif grave et légitime noch eine autorisation notwendig sind, sofern die Entscheidung als Bestandteil eines jugement mixte erlassen wurde; vgl. CA Amiens, 22 janvier 2009, n°  06-01844 (Lamyline). 132  Das Abstellen auf den Ausspruch der Entscheidung anstelle ihrer Zustellung (vgl. Art.  528 Abs.  1 CPC) führt faktisch zu einer Verfahrensbeschleunigung; siehe nur Genin-Méric/Martel-Emmerich, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 662 (2010), Rn.  102. 133  Lacroix-Andrivet, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  342. 263 f.; Couchez, Rn.  1403 – „procédure de filtrage“. Der premier président ist befugt, die autorisation auf diejenigen Teile des betroffenen jugement avant dire droit zu beschränken, für die er ein motif grave et légitime als gegeben erachtet; siehe etwa CA Rouen, ordonnance du premier président, 29 juin 1982, JCP éd. G 1983 IV (Tableaux de jurisprudence), 218 (218) sowie zustimmend Gallet, Rn.  329. Der Fall be­ trifft ein jugement avant dire droit zur Anordnung einer expertise. 134  Kritisch gegenüber dem an dieser Stelle unpräzisen Gesetzestext Croze/Junillon JCP éd. G 2003 II (Jurisprudence), n°  10074, S.  839 (839). 135  Ausführlich zu den formellen Anforderungen des appel im Rahmen von §  9. 136  Die Entscheidung ist nicht eigenständig verfügbar (zitiert nach Cass. 2e civ., 13 février 2003, Bull. civ. II 2003, n°  35.

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz

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wöhnlich lange gedauert, sodass der appel bei Erteilung der autorisation bereits verfristet war. Mit arrêt vom 13. Februar 2003 widersprach die Cour de cassation dieser Beurteilung und knüpfte den Beginn der Rechtsmittelfrist an die Zustellung der autorisation.137 Indem ein appel gegenüber einer décision de sursis oder einer décision ordonnant l’expertise nicht ohne die autorisation des premier président statthaft sei, könne eine derartige Entscheidung zuvor auch keine Rechtsmittelfrist auslösen.138 bb) Der appel gegen die ordonnances der erstinstanzlichen Instruktionsrichter Entsprechend ihrer prozessualen Funktion sind die ordonnances des juge de la mise en état (Art.  776 Abs.  3 CPC) und des juge chargé d’instruire lʼaffaire (Art.  868 Abs.  1 CPC) grundsätzlich nur gemeinsam mit dem jugement sur le fond dem appel zugänglich. Bei den zitierten Normen handelt es sich um spezialgesetzliche Ausprä­ gungen des 545 CPC,139 die entsprechend auf die vorgenannte Ausnahmeregel des Art.  272 CPC (expertise) verweisen.140 Auf die Ausnahmeregel des Art.  380 CPC (sursis à statuer) verweist hingegen nur Art.  776 CPC bezüglich der ordonnances des juge de la mise en état. Der Unterschied erklärt sich damit, dass die Entschei­ dung über den sursis à statuer nicht in die Zuständigkeit des juge chargé d’ins-­ truire lʼaffaire, wohl aber in die Zuständigkeit des juge de la mise en état fällt. Im Übrigen korrespondieren die Regeln über die Statthaftigkeit des appel mit den Ent­ scheidungsbefugnissen des juge de la mise en état und des juge chargé d’instruire lʼaffaire.141

137  Siehe Cass. 2e civ., 13 février 2003, Bull. civ. II 2003, n°  35. Für eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Parallelfall der décision ordonnant l’expertise siehe Perrot Procédures 4/2003 (Commentaires), n°  87. 138  Croze/Junillon JCP éd. G 2003 II (Jurisprudence), n°  10.074, S.  839 (840). Der Ancien Code de procédure civile war insofern eindeutig; vgl. Art.  451 Abs.  1 anc. CPC: „[…] le délai de l’appel ne courra que du jour de la signification du jugement définitif […]“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). 139  Zum juge de la mise en état siehe Solus/Perrot III, Rn.  390; zum juge chargé d’instruire l’affaire ( juge rapporteur) siehe Lebeau/Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 412 (2013), Rn.  40. 140  Vgl. auch CA Dijon, 21 mars 1989, Gaz. Pal. 1990 (Jurisprudence), 11 (12) und Marchand/ Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 222 (2014), Rn.  79. Zu den Besonderheiten im Rahmen der ­ordonnances des juge chargé d’instruire l’affaire ( juge rapporteur) siehe Jeantin JCP éd. CI 1977 II (Etudes et commentaires), 381 (390). 141  Siehe oben §  5 II 2 sowie Art.  776 Abs.  4 Nr.  1 u. 2 CPC bezüglich des juge de la mise en état und Art.  868 Abs.  2 CPC bezüglich des juge chargé d’instruire l’affaire ( juge rapporteur). Ferner überträgt Art.  776 Abs.  4 Nr.  3 CPC die oben genannte Regel des Art.  1119 CPC über die Statthaf­ tigkeit des appel immédiat gegenüber einer mesure provisoire innerhalb des streitigen Scheidungs­ verfahrens auf den juge de la mise en état; hierzu Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  58. Zur Ausnahmevorschrift des Art.  776 Abs.  4 Nr.  4 siehe schließlich Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  57.

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cc) Der appel im Rahmen des serment décisoire Schließlich umfasst die Statthaftigkeit des appel auch die Anordnung eines serment décisoire. Es handelt sich hierbei um einen gerichtlichen Schwur, der gemäß Artt.  1357 Nr.  1, 1358 ff. CC i. V. m. Art.  317 ff. CPC unmittelbar zur Entscheidung des Rechtsstreits führt und in der Rechtspraxis nur selten Anwendung findet.142 Die Besonderheit des serment décisoire besteht darin, dass diejenige Partei, die einen entsprechenden Schwur ihres Gegners verlangt, sich gleichzeitig bereit erklärt, eine Sachentscheidung allein auf der Grundlage desselben zu akzeptieren („pour en faire dépendre le jugement“), Art.  1357 Nr.  1 CC.143 Sowohl der Schwur als auch seine Verweigerung haben absolute Beweiskraft.144 Bleibt der Kläger nach der instruction de l’instance beweisfällig, kann er dem Beklagten unter den Voraussetzungen der Artt.  317, 319 CPC im Wege des serment décisoire eine Erklärung über die Wahrheit seines gegenteiligen Vortrages abverlangen.145 Die zum Schwur aufgeforderte Par­ tei steht sodann vor der Wahl, den vom Gericht formulierten Schwur zu leisten und den Prozess zu gewinnen oder ihn zu verweigern und den Prozess zu verlieren, Art.  1361 CC i. V. m. Art.  319 CPC.146 Dem Erklärungswert des serment décisoire misst das geltende Recht eine derart herausgehobene Bedeutung bei, dass er auch in einem nachfolgenden Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu entkräften ist.147 Die Statthaftigkeit des appel ist daher anders als in den vorgenannten Fällen nicht prag­ matisch mit der Beschleunigung des Verfahrens oder der Vermeidung von Kosten begründet. Vielmehr tritt sie funktionell an die Stelle eines ansonsten hinfälligen appel in der Hauptsache.148

142  Hierzu Bernabé, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 673 (2011), Rn.  3 mit Verweis auf Solus/Perrot III, Rn.  990. Zu den rechtshistorischen Ursprüngen des serment décisoire siehe Lemosse, S.  245 f. 143  Daher der begriffliche Zusatz „décisoire“; siehe Staes, Rn.  265. Die Übersetzung bei Bunge, S.  85 lautet „streitentscheidender Eid“. 144  Siehe Lacroix-Andriver, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  344.11 und Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  710 – „mode de preuve parfait“. In diesem Punkt unterscheidet sich der serment décisoire vom serment supplétoire, der vom Gericht angeordnet werden kann (Artt.  1366–1369 CPC) und der freien richterlichen Beweiswürdigung unterliegt; hierzu Ferrand, in: Rép. pr. civ., Preuve (2013), Rn.  792; zum deutschen Recht vgl. §  446 ZPO i. V. m. §  286 ZPO. 145  Der serment décisoire muss einen Umstand unmittelbar aus der Sphäre des Beklagten zum Gegenstand haben (Art.  1359 CC – „fait personnel“); siehe Bernabé, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 673 (2011), Rn.  18 und Cass. soc., 19 novembre 1973, Bull. civ. V 1973, n°  622. Im zitierten Fall bezog sich der vom Beklagten zu leistende Schwur darauf, die klageweise geltend gemachte Abfindungs­ zahlung bereits erbracht zu haben. 146  Zu möglichen strafrechtlichen Konsequenzen eines falschen serment siehe Douchy-Oudot, Rn.  413 und Bernabé, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 673 (2011), Rn.  94 ff. – auch mit Hinweisen auf einen möglichen recours en révision. 147  Hierzu Cass. 3e civ., 22 février 1978, Bull. civ. III 1978, n°  100 und Solus/Perrot III, Rn.  991. 148  Solus/Perrot III, Rn.  1009.

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3.  Praktische Gegenüberstellung der deutschen und der französischen Systematik Nach dem gegenwärtigen Stand der Untersuchung ist die Einbeziehung prozessua­ ler Nebenentscheidungen in die zweite Instanz des deutschen und des französischen Zivilverfahrens durch die sofortige Beschwerde und den appel différé einschließlich seiner behandelten Ausnahmen geprägt. Strukturell scheint das französische Recht hiernach in erhöhtem Maße den vorzeitigen Vollzug prozessualer Nebenentschei­ dungen zu ermöglichen.149 Die tatsächliche Bedeutung dieses vermeintlich funda­ mentalen Unterschiedes gilt es nachfolgend mithilfe funktioneller Schnittmengen zu überprüfen. Ausgehend von der Systematik der mesures d’instruction wird die Untersuchung zwischen Entscheidungen der Sachaufklärung und der Beweiserhe­ bung sowie Entscheidungen der sonstigen Verfahrensleitung differenzieren.150 a)  Der Rechtsschutz im Rahmen der Sachaufklärung und der Beweiserhebung Zu berücksichtigen ist an dieser Stelle auch die bislang unerwähnt gebliebene Ur­ kunden- und Beweismittelvorlage (production forcée des pièces), die aus histori­ schen Gründen in den Artt.  132 ff. CPC außerhalb der (übrigen) mesures d’instruction geregelt ist.151 In ihrer Gesamtheit entsprechen die mesures d’instruction damit auf deutscher Seite funktionell sowohl den Maßnahmen der Sachaufklärung (§§  141 ff. ZPO) als auch der Beweiserhebung (§§  355 ff. ZPO).152 aa)  Vergleich bezüglich anordnender Entscheidungen Ungeachtet ihrer prozessualen Einkleidung als jugement avant dire droit oder ent­ sprechender ordonnance des juge de la mise en état bzw. juge chargé d’instruire lʼaffaire ist gegenüber den mesures d’instruction grundsätzlich der appel différé gegeben, Art.  150 CPC. Gleiches gilt aufgrund der allgemeinen Vorschrift des Art.  545 CPC im Rahmen der Urkunden- und Beweismittelvorlage.153 Ausnahmen zugunsten eines sofortigen appel bestehen einerseits gemäß Art.  272 CPC gegen­ über der Anordnung eines Sachverständigengutachtens sowie andererseits in dem Fall, dass die in Frage stehende mesure d’instruction als Bestandteil eines jugement mixte erlassen wurde, Art.  544 Abs.  1 CPC.154 Im Unterschied zum französischen Recht bestehen auf deutscher Seite keine übergeordneten Rechtsmittelvorschriften im Zusammenhang mit der Sachaufklä­ 149 

Kritisch hierzu etwa Lefort Théorie, Rn.  321. Hierzu in vergleichender Perspektive bereits Stürner, in: FS Ishikawa, S.  529 (531 ff.). 151  Adloff, S.  143. 152  Siehe auch Ferrand, in: Rép. pr. civ., Preuve (2013), Rn.  59 ff. Im Vergleich zum deutschen Recht verläuft die Grenze auf französischer Seite jedoch weitaus fließender; siehe Adloff, S.  80 u. 152 f. 153  Brahic Lambrey, in: Rép. pr. civ., Production forcée des pièces (2012), Rn.  65; Schlosser, in: FS Sonnenberger, S.  135 (152 f.) m. w. N. 154  Schlosser, in: FS Sonnenberger, S.  135 (152). 150 

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rung und der Beweiserhebung. Entscheidend für die Frage der Statthaftigkeit etwa­ iger Rechtsmittel ist zunächst die formelle Einkleidung der anzufechtenden Maß­ nahme. In der mündlichen Verhandlung ergehen Maßnahmen zur Klärung des Sachvortrages grundsätzlich durch Beschluss (§§  142 ff. ZPO), im Übrigen durch prozessleitende Verfügung (§  273 ZPO).155 Die Anordnung der Beweisaufnahme (§§  355 ff. ZPO) erfolgt regelmäßig in der Form einer einfachen prozessleitenden Verfügung bzw. Anordnung.156 Einen förmlichen Beweisbeschluss (§§  359 ff. ZPO) verlangt das Gesetz allein in den Fällen, in denen die Beweisaufnahme ein besonde­ res Verfahren erfordert (§  358 ZPO),157 in einer Parteivernehmung besteht (§  450 Abs.  1 S.  1 ZPO) oder vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung erfolgen soll (§  358a ZPO).158 Der Begriff des Beweisbeschlusses darf jedoch nicht darüber hin­ wegtäuschen, dass es sich auch hierbei formal um eine bloße prozessleitende An­ ordnung handelt, welche das Beweisthema und die Beweismittel festlegt.159 Die Bezeichnung ist vielmehr historisch begründet und soll in Abgrenzung zur Bürger­ lichen Proceßordnung für das Königreich Hannover von 1850 den fehlenden prä­ judiziellen Charakter der entsprechenden Anordnungen verdeutlichen.160 Eine iso­ lierte Anfechtung von Beweisbeschlüssen schließt §  355 Abs.  2 ZPO ausdrücklich aus, was a maiore ad minus auch für die sie ersetzenden formlosen Anordnungen gilt.161 Ausnahmen bestehen gemäß §§  567 Abs.  1 Nr.  1, 406 Abs.  5 ZPO für den Fall, dass das Gericht den Antrag einer Partei auf Ablehnung eines Sachverständi­ gen zurückweist. Ferner können sich Zeugen unter den Voraussetzungen des §  387 Abs.  3 ZPO gegen ihre Vernehmung wenden. Im Übrigen ist die sofortige Be­ schwerde im Beweisverfahren nur gegenüber Beschlüssen repressiven Inhalts mit nur mittelbarem Bezug zur Tatsachenfeststellung statthaft.162 Maßnahmen aus dem Anwendungsbereich der §§  141 ff. ZPO und des §  273 ZPO sind nicht mithilfe der sofortigen Beschwerde anfechtbar.163 Die Gegenansicht, nach welcher §  387 Abs.  3 ZPO im Fall „wesentlicher Rechtsbelange“ analog zugunsten der Parteien anzuwen­ den sei,164 überspannt den Zweck des §  387 Abs.  3 ZPO, der sich allein aus den dif­ ferenziert geregelten Zeugnisverweigerungsrechten der §§  383 f. ZPO ergibt.165 155 

Zusammenfassend Wagner, in: MüKo ZPO, §  144, Rn.  6 m. w. N. Lüke, Rn.  285; Jauernig/Hess, §  51, Rn.  5 f. 157  Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Beweisaufnahme vor einem beauftragten oder er­ suchten Richter erfolgen soll; hierzu Berger, in: Stein/Jonas ZPO, §  358, Rn.  1. 158  Heinrich, in: MüKo ZPO, §  358, Rn.  2. 159  So die allgemeine Ansicht; siehe nur Lindner, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  359, Rn.  1 u. 7 sowie Heinrich, in: MüKo ZPO, §  359, Rn.  2 und Zuleger, S.  3. 160  So die Begründung des historischen Gesetzgebers; siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  132 ff. 161  Statt vieler Stadler, in: Musielak ZPO, §  358, Rn.  3. 162  Siehe §§  380 Abs.  3, 390 Abs.  3, 409 Abs.  2 , 494a Abs.  2 ZPO. 163  Stadler, in: Musielak ZPO, §  142, Rn.  13; Greger, in: Zöller ZPO, §  142, Rn.  3. 164  Schlosser, in: FS Sonnenberger, S.  135 (153). 165  Siehe Stürner JZ 1985, 453 (457) und Stadler, in: Musielak ZPO, §  142, Rn.  7 mit Hinweisen auf die im Unterschied zu Zeugen erhöhten Prozessförderungspflichten der Parteien. Die Ansicht Schlossers hat dennoch einiges für sich, denn die §§  141 ff. u. 273 ZPO sind zumindest in den 156 

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Sowohl das deutsche als auch das französische Verfahrensrecht bieten damit zu­ gunsten der Parteien allein im Rahmen der Hinzuziehung von Sachverständigen eine zeitnahe und eigenständige Rechtsschutzmöglichkeit. Der Unterschied besteht allerdings darin, dass der auf französischer Seite statthafte appel soumis à auto­ risation tatbestandlich an die Bestellung des Sachverständigen anknüpft (Art.  272 Abs.  1 CPC), wohingegen sich auf deutscher Seite die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde durch die Person des Sachverständigen rechtfertigt (§  406 Abs.  5 ZPO). Dieser tatbestandliche Unterschied ist Ausdruck der divergierenden Zwecke beider Ausnahmenormen: Während sich das französische Recht allein der Verfahrens­ beschleunigung verpflichtet sieht,166 versucht das deutsche Recht die Parteien vor einer womöglich unsachlichen Expertise zu schützen (vgl. §  406 Abs.  1 ZPO i. V. m. §§  41 f. ZPO).167 Mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung ist die sofortige Beschwerde im deut­ schen Verfahrensrecht darüber hinaus nur auf der Grundlage richterlicher Rechts­ fortbildung statthaft.168 So befand das Oberlandesgericht Köln die sofortige Be­ schwerde des Klägers in einem Fall für statthaft, in welchem das Landgericht dem Beklagten eine siebenmonatige Frist für die Beibringung eines Beweises bewilligt hatte.169 Das Gericht sah darin eine Aussetzung des Verfahrens, auf welche §  252 ZPO (sofortige Beschwerde gegenüber der Entscheidung zur Aussetzung des Ver­ fahrens) entsprechend anzuwenden sei.170 Rechtsvergleichend ist die Entscheidung bemerkenswert, betrifft sie durch die Schnittmenge von Beweiserhebung und Ver­ fahrensaussetzung doch einen Komplex der im französischen Recht einheitlich dem appel soumis à autorisation gemäß Artt.  272 und 380 CPC unterfällt. Aus verglei­ chender Perspektive ist das französische System der Artt.  272 und 380 CPC damit nicht nur Ausdruck eines in sich geschlossenen Prozessverständnisses, sondern bie­ tet zugleich eine im Vergleich zum deutschen Recht sichere und praktikable Lösung. Fällen problematisch, in denen die in ihnen enthaltenen Befugnisse des Gerichts zu Eingriffen in die grundrechtlich geschützte Geheimnissphäre der Parteien führen; vgl. auch Wagner, zitiert nach Bothe GRUR 2008, 687 (688). Unter besonderer Berücksichtigung des Geschäftsgeheimnis­ ses und des im konkreten Fall womöglich betroffenen nemo tenetur-Grundsatzes sprechen sich daher Jauernig/Hess, §  51, Rn.  22 und Wagner a. a. O. für eine analoge Anwendung des verwal­ tungs- und patentgerichtlichen In-camera-Verfahrens aus. Zum innerprozessualen Grundrechts­ schutz siehe ferner Zekoll/Bolt NJW 2002, 3129 (3130 f.). 166  Siehe oben §  6 I 2 und §  6 I 3 c. 167  Schilken ZPR, Rn.  56 u. 532. 168  Zusammenfassend nach einzelnen Fallgruppen etwa Heinrich, in: MüKo ZPO, §  359, Rn.  9 und Zuleger, S.  65 ff. 169  Zitiert nach OLG Köln NJW 1975, 2349 (2349). 170  So OLG Köln NJW 1975, 2349 (2349); anders zuvor OLG Frankfurt am Main NJW 1963, 912 (913). Das OLG Brandenburg FamRZ 2001, 294 (295) sprach sich in einem obiter dictum für die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde gegen einen Beweisbeschluss mit faktisch verfah­ rensunterbrechender Wirkung analog §  252 ZPO aus. Die Rechtslehre ist geschlossen für eine analoge Anwendung von §  252 ZPO, statt vieler Heinrich, in: MüKo ZPO, §  359, Rn.  9 sowie Berger, in: Stein/Jonas ZPO, §  359, Rn.  5 und Zuleger, S.  65 ff.

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

bb)  Vergleich bezüglich ablehnender Entscheidungen Gegenüber Entscheidungen, die eine mesure d’instruction versagen, ist der appel immédiat ungeachtet der formellen Entscheidungsnatur ausdrücklich ausgeschlos­ sen, Art.  150 Abs.  2 CPC.171 Auf Seiten des deutschen Zivilverfahrens erklärt hin­ gegen §  567 Abs.  1 Nr.  2 ZPO die sofortige Beschwerde gegenüber Entscheidungen für statthaft, die keiner mündlichen Verhandlung bedürfen und das verfahrensbezo­ gene Gesuch einer Partei zurückweisen. Beschlüsse und Verfügungen bedürfen grundsätzlich keiner mündlichen Verhandlung, §  128 Abs.  4 ZPO. Nach dem Ge­ setzestext wären daher sämtliche Entscheidungen mithilfe der sofortigen Beschwer­ de anfechtbar, die eine beantragte Maßnahme der Sachaufklärung oder der Beweis­ erhebung zurückweisen.172 Nichtsdestoweniger besteht in der Rechtswirklichkeit ein bloß theoretischer Unterschied zum französischen Recht. Zunächst erfolgt die Ablehnung eines Beweisantrages regelmäßig im Rahmen der Urteilsgründe.173 Dies gilt insbesondere für die Ablehnung von Beweisanträgen zur Vernehmung von Zeu­ gen, obgleich die Zeugenvernehmung gemäß §  373 ZPO zwingend eines Antrages bedarf.174 Im Übrigen betrachten die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Rechtslehre Anträge, die den Bereich der richterlichen Verfahrensleitung gemäß §§  141 ff. ZPO berühren, nicht als Gesuche im Sinne des Art.  567 Abs.  1 Nr.  2 ZPO, sondern als bloße „Anregung zu amtswegiger Tätigkeit“.175 Die Ansicht beruht ­einerseits auf dem dogmatischen Argument, dass Maßnahmen der richterlichen Amts­tätigkeit keines Antrages bedürfen und daher die Stellung etwaiger Anträge auch keinen Rechtsweg begründen könne.176 Andererseits gründet die Ansicht auf dem pragmatischen Argument, dass andernfalls nahezu die komplette richterliche Amtstätigkeit der sofortigen Beschwerde unterläge.177 Der dogmatische und der pragmatische Begründungansatz lassen sich unter den Vorzeichen des ZPO-­ Reformgesetzes zusammenführen: Während die neu gefassten §§  139 ff. ZPO auf eine Stärkung der materiellen Prozessleitung zielen,178 gilt der Anwendungsbereich der (sofortigen) Beschwerde hinsichtlich der richterlichen Tätigkeit unverändert 171 

Hierzu Cadiet/Jeuland, Rn.  594 und Lefort Théorie, Rn.  318 f. Zum weiten Verständnis des Verfahrensbezuges siehe Lipp, in: MüKo ZPO, §  567, Rn.  8. 173  Leipold, in: Stein/Jonas ZPO, §  284, Rn.  123; BGH NJW 2009, 2604 (2604). 174  Zimmermann ZPO, §  373, Rn.  8a. 175  So BGH NJW-RR 2009, 210 (211) mit Verweis unter anderem auf OLG Düsseldorf MDR 1961, 152 (152). Siehe auch Stadler, in: Musielak ZPO, §  142, Rn.  13 sowie ferner Prütting, in: MüKo ZPO, §  273, Rn.  29 und Born NJW 1995, 571 (571); anderer Ansicht Baumbach/Lauterbach/ Hartmann ZPO, §  142, Rn.  28 unter Hinweis auf §  567 Abs.  1 Nr.  2 ZPO. Im Rahmen der §§  428 f. ZPO gelten die Ausführungen zum Beweisantritt; siehe hierzu auch den Hinweis bei Stadler, in: Musielak ZPO, §  142, Rn.  13. 176  OLG Köln MDR 2008, 818 (819); OLG Frankfurt am Main MDR 1983, 411 (411); ferner Ball, in: Musielak ZPO, §  567, Rn.  14. 177  OLG Frankfurt am Main MDR 1983, 411 (411); Lipp, in: MüKo ZPO, §  567, Rn.  10. 178  Siehe hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozess­ reformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  62, 78 f., 82 u. 110; ferner Stackmann NJW 2007, 3521 (3521 ff.) sowie Kocher, S.  425 ff. und Bamberger ZRP 2004, 137 (138). 172 

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fort.179 Der Reformgesetzgeber hat sich damit für eine Stärkung des Richteramts entschieden, ohne gleichzeitig die prozessualen Gestaltungsmöglichkeiten der Par­ teien zu erweitern. Gliche man im Rahmen der Rechtsanwendung die Beschwerde­ möglichkeiten der Parteien den Amtsbefugnissen des Richters an, hätte dies eine Störung der Akzentuierung des Gesetzgebers zur Folge.180 cc)  Vergleich bezüglich des juge de la mise en état und des beauftragten Richters Während Art.  776 CPC das System des appel immédiat und des appel différé auf die ordonannces des juge de la mise en état überträgt,181 erklärt §  573 Abs.  1 ZPO in Form der Erinnerung einen besonderen Rechtsbehelf gegen die Entscheidungen des beauftragten Richters für statthaft. Gegen die im Erinnerungsverfahren ergangene Entscheidung findet zwar gemäß §  573 Abs.  2 ZPO die sofortige Beschwerde An­ wendung. Entgegen dem Wortlaut folgt hieraus aber keine Erweiterung des Anwen­ dungsbereichs der sofortigen Beschwerde und damit keine Abweichung zu den bis­ herigen Ergebnissen. Nach dem Sinn und Zweck des §  573 Abs.  2 ZPO ist die sofor­ tige Beschwerde nur insoweit statthaft, wie sie es nach allgemeinen Regeln gegen Entscheidungen des Spruchkörpers wäre.182 Die zwischengeschaltete Erinnerung dient als Ausdruck der sachlichen Gebundenheit des beauftragten Richters allein dem Zweck, eine Überprüfung innerhalb desselben Rechtszuges zu ermöglichen.183 b)  Der Rechtsschutz gegenüber Maßnahmen der übrigen Verfahrensleitung Bereits die Materialien zur Civilprozeßordnung deuten darauf hin, dass der Anwen­ dungsbereich des Beschwerderechts im Wesentlichen außerhalb der Sachaufklä­ rung und der Beweiserhebung liegt.184 Auf französischer Seite handelt es sich ­hierbei um den Bereich der administration judiciaire.185 Strukturell stehen daher nicht die sofortige Beschwerde und der appel différé einander gegenüber, sondern die sofortige Beschwerde und der generelle Rechtsmittelausschluss der mesures 179  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  110. 180  Eine andere Bewertung ließe sich allein mit dem materiellen Wahrheitsstreben der Zivilpro­ zessordnung begründen. Allerdings galt die Wahrheitspflicht des §  138 ZPO bereits vor der Re­ form und sah bzw. sieht keine innerprozessuale Kontrollmöglichkeit des Verfahrensgegners vor; hierzu Lüke, Rn.  23. 181  Siehe oben §  6 I 2 c. Zum juge chargé d’instruire l’affaire siehe Art.  868 CPC. 182  Dies ergibt sich aus der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivil­ prozessreformgesetzes (BT-Drucks. 14/4722, S.  116), die insofern betont, mit §  567 Abs.  2 ZPO n. F. keine Abweichung vom vormaligen §  576 Abs.  2 ZPO a. F. zu statuieren. Siehe hierzu auch Zimmermann ZPO, §  573, Rn.  2 und Lipp, in: MüKo ZPO, §  573, Rn.  8. 183  Hahn/Stegemann ZPO, S.  376 f.; Lohmann, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  573, Rn.  1. 184  So die Aufzählung des historischen Gesetzgebers betreffend die ausdrücklich normierten Anwendungsfälle der Beschwerde; siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  374 f. Zum geltenden Recht vgl. die Auflistung der Anwendungsfälle bei Jänich, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  567, Rn.  3 f. 185  Siehe oben §  5 II 3.

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

­d’administration judiciaire, Art.  537 CPC. Die vom historischen Gesetzgeber vor­ gesehene Filterfunktion des Beschwerdeverfahrens betrifft mithin einen prozessua­ len Bereich, der auf französischer Seite gänzlich dem Rechtsmittelrecht entzogen ist.186 Aus der Perspektive des französischen Verfahrensrechts begründet die sofortige Beschwerde deshalb keine Entlastung des Hauptsacheverfahrens, sondern eine zu­ sätzliche Rechtsschutzmöglichkeit. Als Beleg dieser These dienen der appel soumis à autorisation gegen die décision de sursis (Art.  380 CPC) und die sofortige Be­ schwerde gegen die funktionell korrespondierende Entscheidung zur Aussetzung des Verfahrens (§§  567 Abs.  1 Nr.  1, 252 ZPO). Auf französischer Seite ist umstrit­ ten, ob es sich bei der décision de sursis formal um ein jugement oder eine mesure d’administration judiciaire handelt.187 Infolgedessen ist unklar, ob der appel soumis à autorisation gemäß Art.  380 CPC eine Ausnahme vom Grundsatz des appel ­différé (Art.  545 CPC) oder eine Ausnahme vom Rechtsmittelverbot gegenüber den mesures d’administration judiciaire gemäß Art.  537 CPC begründet.188 Zwar han­ delt es sich hierbei aufgrund der eindeutigen Bestimmung des Art.  380 CPC um ein bloß theoretisches Problem, rechtsvergleichend verdeutlicht dieses aber nur zu gut die strukturelle Nähe der sofortigen Beschwerde des deutschen Verfahrensrechts zur französischen administration judiciaire. c)  Erläuterung der Unterschiede und Rückführung auf ihre historischen Grundlagen Der anfängliche Eindruck eines im Rechtsvergleich auf deutscher Seite grundsätz­ lich vorzeitigen Rechtsschutzes mithilfe der sofortigen Beschwerde kann somit nicht bestätigt werden. Sowohl im deutschen als auch im französischen Rechtsmit­ telsystem bestimmt sich der Zeitpunkt des Rechtsschutzes gegenüber prozessualen Nebenentscheidungen zuvorderst nach dem Inhalt und nicht nach der Art der betrof­ fenen Entscheidung. Der Anwendungsbereich des appel différé (Art.  545 CPC) ent­ spricht damit im Kern der Inzidentprüfung des §  512 ZPO,189 wenngleich die Klar­ heit der französischen Systematik an dieser Stelle überwiegt. In Form des jugement mixte (Art.  544 Abs.  1 CPC) sieht das französische Recht zudem eine Entschei­ dungsart vor, die insgesamt einen vorgezogenen appel erlaubt. Die sofortige Be­ 186  Hieraus darf allerdings nicht geschlossen werden, dass gegenüber sämtlichen mesures d’administration judiciaire bei funktioneller Übertragung in das deutsche Recht die sofortige Be­ schwerde statthaft wäre. Dies belegt das Beispiel der Prozesstrennung (§  145 ZPO) und Prozess­ verbindung (§  147 ZPO), wogegen auch nach deutschem Recht kein Rechtsmittel gegeben ist; siehe Stadler, in: Musielak ZPO, §  145, Rn.  9 u. §  147, Rn.  7. Zum französischen Recht siehe Artt.  367 f. CPC i. V. m. Art.  537 CPC. 187  Ausführlich Lefort Théorie, Rn.  60. 188  In der Rechtsprechung überwiegt die Auffassung vom justiziellen Charakter der décision de sursis; vgl. Cass. soc., 24 avril 1971, Bull. civ. V 1975, n°  207; Cass. com., 8 avril 1976, Bull. civ. IV 1976, n°  105. 189  Siehe oben §  6 I 1 und §  6 I 3 b.

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz

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schwerde des deutschen Rechts erfasst indessen einen prozessualen Bereich, der im französischen Zivilverfahren jeglichem Rechtsschutz entzogen ist. aa)  Anklänge der französischen Systematik im deutschen Verfahrensrecht? Die funktionelle Korrespondenz des appel différé und der Inzidentprüfung des §  512 ZPO wird bereits in den Materialien zur Civilprozeßordnung deutlich. In An­ lehnung an die Hannoversche Proceßordnung von 1850 verstand der historische Ge­ setzgeber der Civilprozeßordnung die Inzidentprüfung des §  512 ZPO (vormals §  473 CPO)190 nahezu begriffsidentisch als eine „vorbehaltene Berufung“.191 Die Bezeichnung sollte in Abgrenzung zur „sofortigen (selbständigen) Berufung“ den Zeitpunkt der Statthaftigkeit zum Ausdruck bringen und wurde letztlich allein aus Gründen der Deutlichkeit nicht in das Gesetz übernommen.192 Ungeachtet der im Ausgangspunkt vergleichbaren Terminologie unterscheiden sich die Verfahrensord­ nungen jedoch insoweit, als der Code de procédure civile den appel différé als for­ mal eigenständiges Rechtsmittel begreift. Während §  512 ZPO keine ausdrückliche Benennung der inzident zu prüfenden Nebenentscheidungen verlangt,193 bedarf der appel différé im Hinblick auf Nebenentscheidungen eines ausdrücklichen Antra­ ges.194 Die praktischen Folgen dieses Unterschiedes sind allerdings gering. Wendet sich die rechtsmittelführende Partei beispielsweise im Rahmen eines jugement ­mixte erfolgreich gegen den Entscheidungsteil zur Hauptsache, entfällt zumindest mittelbar auch der Entscheidungsteil avant dire droit, sofern er mit dem vorgenann­ ten Entscheidungsteil in einem engen sachlichen Zusammenhang stand.195 Effektiv unterscheiden sich das deutsche und das französische Rechtsmittel­ system daher lediglich in Form des jugement mixte und der damit verbundenen vor­ 190 

Zitiert nach von Kräwel CPO. Hahn/Stegemann ZPO, S.  350. 192  Siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  350. Kritisch auch Leonhardt Neues Magazin 8 (1868), 88 (92, insb. Fn.  6) unter Hinweis auf die §§  394 f. BPO (zitiert nach Leonhardt BPO). Zum Einfluss des französischen Verfahrensrechts auf die Bürgerliche Proceßordnung für das Königreich Han­ nover siehe Dahlmanns, S.  28 ff., 35 u. 45, 36 f. u. 111 ff.; zurückhaltender Ahrens, S.  44 ff. u. 330 ff. 193  Grundlegend Hahn/Stegemann ZPO, S.  350. Siehe ferner BGH NJW 1952, 381 (381) sowie Ball, in: Musielak ZPO, §  512, Rn.  2. 194  Während die Cour de cassation über lange Zeit verlangte, dass diese im selben Schriftsatz wie der appel immédiat erfolgt (siehe Cass. 2e civ., 11 janvier 1978, Bull. civ. II 1978, n°  15; kritisch Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 715 (2014), Rn.  77), gestattet sie seit 2001 auch die Verwendung gesonderter Schriftsätze, sofern ihre Anhängigkeit auf denselben Tag datiert; siehe Cass. 2e civ., 5 avril 2001, Bull. civ. II 2001, n°  70. In konsequenter Fortführung des Rechtsprechungswandels verlangt Perrot, dass die einmonatige Frist des appel gemäß Art.  538 CPC ab dem Erlass des jugement définitif unabhängig sowohl für den appel immédiat als auch auf den appel différé gelten solle; siehe Perrot Procédures 6/2001 (Commentaires), n°  121. Erfolg hatte diese Forderung bislang nicht; vgl. den Überblick über die Rechtsprechungsentwicklung bei Gerbay/Parenty-Baut/Desdevises/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 712 (2014), Rn.  12 ff. 195  Ein Beispiel ist eine im Schadensersatzprozess auf diese Weise gegenstandslos gewordene Anordnung eines Gutachtens über die Schadenshöhe; siehe Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1139 sowie Cadiet/Jeuland, Rn.  97 mit weiteren Beispielen aus der Rechtsprechung. 191 

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zeitigen Statthaftigkeit des appel sowie durch die sofortige Beschwerde als einem besonderen Rechtsbehelf im Rahmen der formellen Verfahrensleitung. bb)  Unterschiede und Folgen der römischen und der deutschen Urteilslehre Die Gründe der genannten Unterschiede lassen sich bis ins antike und ins gemeine Recht zurückverfolgen. In noch stärkerem Maße als der geltende (Nouveau) Code de procédure civile war die Urteilsdogmatik des vorangegangenen Ancien Code de procédure civile durch ein strukturell umfassendes Verständnis des jugement ge­ prägt.196 Die daraus hervorgegangene Unterscheidung des jugement définitif und des jugement avant dire droit entspricht im Kern der nachklassischen römischen Differenzierung von verfahrensbeendenden sententiae definitivae und verfahrens­ fördernden sententiae interlocutoriae.197 Im Unterschied zum römischen Zivilver­ fahren klassischer Zeit (sog. Kognitionsverfahren) bedeutete die Festlegung des gemeinsamen Oberbegriffs der sententia einen Autoritätszuwachs prozessleitender Nebenentscheidungen, die zuvor nicht als bindende gerichtliche Aussprüche aner­ kannt waren.198 Der Anwendungsbereich der römisch-rechtlichen appellatio als Rechtsmittel gegen die Entscheidungen eines unteren Richters blieb hingegen im Wesentlichen auf sententiae in der Hauptsache beschränkt.199 Während das französische jugement entsprechend der römischen sententia seit jeher den Ausspruch einer Rechtsfolge verkörpert, verstand sich das Urteil des alt­ germanischen Zivilverfahrens als Auskunft über das Bestehen eines Rechtssat­ 196  Abstrakte Definitionen verfahrensbeendender und verfahrensfördernder Entscheidungen waren dem zweiten Buch des Ancien Code de procédure civile über das Verfahren vor den Unter­ gerichten (Tribunaux inférieurs) ebenso fremd wie eine zentrale Normierung verfahrensfördern­ der Maßnahmen (mesures d’instruction). Die Artt.  116 ff. anc. CPC statuierten einheitliche Regeln der Entscheidungsfindung; einheitliche Formalien sämtlicher jugements bestimmten die Art.  141 ff. anc. CPC. Sachbezogene Ergänzungen einzelner Entscheidungsarten legte der Ancien Code de procédure civile allein für den Einzelfall fest, ohne dass sich hieraus eine umfassende Urteilslehre ableiten ließe. So musste beispielsweise ein jugement, welches das persönliche Erscheinen einer Partei anordnete (sog. comparution des parties), den Tag der Vernehmung nennen, Art.  119 anc. CPC. Ein jugement, das eine eidliche Vernehmung bestimmte (sog. serment), musste den Gegen­ stand des Eides angeben, Art.  120 anc. CPC. Die Einholung eines Sachverständigengutachtens (sog. rapports d’experts), die Vernehmung einer Partei auf Betreiben ihres Verfahrensgegners (sog. interrogatoire sur faits et articles) sowie die Zeugenvernehmung (sog. enquête) waren in je­ weils eigenen Titeln erfasst. Eine übergreifende Unterscheidung der einzelnen jugements in ver­ fahrensbeendende jugements définitifs und verfahrensleitende jugements avant dire droit fand sich allein im Rahmen der Vorschriften über die Statthaftigkeit des appel; hierzu Bordas, S.  178; zitier­ te Normen nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 197  Ausführlich Durry RTD civ. 1960, 5 (5 f.) und Morel (1949), Rn.  545 ff. Allgemein zur Re­ zeption der antiken römischen Urteilslehre seitens der romanischen Verfahrensrechte siehe Planck, S.  128. 198  Zum klassischen Kognitionsverfahren siehe Kaser/Hackl, S.  494 f.; zum nachklassischen Verfahrensrecht siehe Kaser/Hackl, S.  608 f. Zur Urteilslehre des nachklassischen römischen Ver­ fahrensrechts siehe außerdem Planck, S.  99 f. 199  Ausführlich zu der im Einzelnen komplexen Statthaftigkeit Kaser/Hackl, S.  617 ff.

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zes.200 Der Unterschied zum römischen und nachfolgenden romanischen Urteilsver­ ständnis findet seine Ursache in der deutschen mittelalterlichen Gerichtsverfas­ sung.201 Nach dem Konzept einer Volks- und Schöffengerichtsbarkeit beschränkte sich die Tätigkeit des Richters im altgermanischen Zivilprozess auf die äußere Lei­ tung des Verfahrens, während die Urteilsfindung zivilen Urteilern vorbehalten war.202 Eine derartige „Teilung“ des Gerichts war dem römischen und den romanischen Verfahrensrechten fremd.203 Erst mit dem Einzug des „wiederentdeckten“ römi­ schen Rechts in die germanische Rechtspraxis ab dem 15. und 16. Jahrhundert wuchs das Bedürfnis nach gelehrten Juristen und führte schließlich zum Wandel der deutschen Gerichtsverfassung.204 Ab dem 17. Jahrhundert verschmolzen altger­ manisches und römisches Recht zum gemeinen deutschen Zivilprozessrecht, das seine Kodifikation im Jüngsten Reichsabschied von 1654 fand.205 Im Rahmen der Urteilslehre setzte sich die altgermanische Dogmatik durch. So wurden verfahrens­ leitende Entscheidungen zwar latinisiert als interlocutiones oder simplices bezeich­ net, konzeptionell wurden sie jedoch weiterhin als eigenständige Entscheidungs­ arten verstanden; die gemeinrechtliche sententia interlocutoria bezog sich im Un­ terschied zu ihrem römischen und romanischen Pendant stets auf einen Aspekt der Hauptsache.206 Auf der Ebene der Rechtsmittel setzte sich die vormalige Unter­ scheidung von Richtern und Urteilern in Form der Querel (simplex querela) als be­ sonderem Rechtsbehelf gegenüber Entscheidungen der Verfahrensleitung fort.207 Im französischen Recht ist demgegenüber seit jeher der appel das einzig statthafte Rechtsmittel gegen die unterschiedlichen Ausprägungen des strukturell einheitli­ chen jugement.208 200  Siehe Planck, S.  3 ff. mit Hinweisen auf die praktischen Folgen sowie Planck, S.  93 f. mit Hinweisen auf die romanischen Länder. 201  Planck, S.  152. 202  Instruktiv zum Dualismus aus Richtern und Urteilern Schlosser, S.  399 ff. Siehe außerdem Planck, S.  152 sowie Kern, S.  9 mit Bezug zur Gerichtsverfassung des Sachsenspiegels. Zur Tätig­ keit der Urteiler siehe ferner Eisenhardt, Rn.  377 sowie Renaud, S.  5 (Fn.  3) mit regionalen Nach­ weisen. 203  Speziell zu Frankreich Raynal, S.  66 ff. 204  Zum Einzug des römischen Rechts in die deutsche Rechtspraxis siehe Planck, S.  147 und Conrad, S.  286; zu den institutionellen Folgen für die Gerichtsverfassung siehe Conrad, S.  456 und Wetzell, S.  9. Den strukturellen Fortbestand der Urteiler im strafprozessualen Schöffensystem be­ schreibt Kern, S.  117. 205  Conrad, S.  456 u. 459; ferner Eisenhardt, Rn.  415. 206  Vgl. Bülow, S.  164 f. Zur Berücksichtigung der simplex querela im Jüngsten Reichsabschied siehe §§  106 u. 127 JRA (zitiert nach Laufs JRA). 207  Renaud, S.  628 beschreibt die Beschwerde als „Klage gegen den Richter“ mit dem Ziel einer Aufsichtsmaßnahme. Zur konzeptionellen Übernahme der gemeinrechtlichen Querel in die Civil­ prozeßordnung vom 30. Januar 1877 in Form der Beschwerde siehe Wach, S.  131. 208  Vgl. Titre XXVI et XXVII der nahezu zeitgleich mit dem Jüngsten Reichsabschied erlasse­ nen ordonnance civile touchant la réformation de la justice d’avril 1667 (zitiert nach Isambert/ Décrusy XVIII, S.  103 ff.); zur Bedeutung jener ordonnance siehe Solus/Perrot I, Rn.  71.

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cc)  Die Konzeption des appel nach dem Ancien Code de procédure civile von 1806 Die einzelnen Ausprägungen des jugement und die daran anknüpfende Statthaftig­ keit des appel haben seit ihrer Kodifizierung durch den Ancien Code de procédure civile diverse Entwicklungen erfahren. (1)  Grundsätze der Anknüpfung des appel an die Entscheidungen der Erstinstanz Im Unterschied zum geltenden Recht setzte der Ancien Code de procédure civile von 1806 die Rechtsmittelfähigkeit des jugement définitif lediglich voraus und be­ schränkte sich auf eine differenzierte Normierung der Statthaftigkeit des appel ge­ genüber dem jugement avant dire droit. Letzteres untergliederte das Gesetz in das jugement préparatoire (Artt.  451 Abs.  1, 452 Abs.  1 anc. CPC) und das jugement interlocutoire (Artt.  451 Abs.  2, 452 Abs.  2 anc. CPC).209 Während das jugement préparatoire in inhaltlich neutraler Weise der Aufbereitung des Verfahrensstoffs diente,210 enthielt das jugement interlocutoire bereits implizit eine Bewertung der betroffenen Aspekte der Hauptsache.211 Gegen das jugement préparatoire war der appel gemäß Art.  451 Abs.  1 anc. CPC nur gemeinsam mit dem jugement définitif statthaft; das jugement interlocutoire konnte hingegen eigenständig angefochten werden, Art.  451 Abs.  2 anc. CPC.212 Vergleichbar dem Zweck des geltenden Art.  545 CPC sollte der Ausschluss eines isolierten appel gegenüber dem jugement préparatoire Verzögerungen des Verfahrens vorbeugen und seine Übersichtlichkeit und Einheitlichkeit wahren.213 Die unmittelbare Anfechtbarkeit des jugement interlocutoire entsprach hingegen dessen präjudiziellem Charakter,214 obgleich dieser noch rein faktischer Natur und nicht rechtsverbindlich war – es galt die Regel: ­l’interlocutoire ne lie pas le juge.215 Die Frist des appel betrug in allen Fällen ur­ 209  Art.  451 Abs.  2 anc. CPC stellte darüber hinaus Entscheidungen des einstweiligen Rechts­ schutzes ( jugements provisoires) dem jugement interlocutoire gleich; hierzu Bioche, Jugement, Rn.  30 f. Für das Verfahren vor der Justice de paix nutzte Art.  31 anc. CPC die Unterscheidung des jugement définitif, des jugement préparatoire und des jugement interlocutoire zur Bestimmung der Statthaftigkeit des appel. Zur Funktion der historischen Justice de paix siehe unten §  6 II 2 b cc; zitierte Normen nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 210  Vgl. Art.  452 Abs.  1 anc. CPC (1806): „Sont réputés préparatoires les jugements rendus pour l’instruction de la cause, et qui tendent à mettre le procès en état de recevoir jugement définitif“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). 211  Vgl. Art.  452 Abs.  2 anc. CPC (1806): „Sont réputés interlocutoires les jugements rendus lorsque le tribunal ordonne, avant dire droit, une preuve, une vérification, ou une instruction qui préjuge le fond“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). 212  Hierzu Bordas, S.  178. 213  Durry RTD civ. 1960, 5 (23); Bordas, S.  180. 214  Boncenne, S.  362 (Fn.  1); Bioche, Appel, Rn.  143. 215  Hierzu Boncenne, S.  361 und Bordas, S.  185 – „Die Zwischenentscheidung bindet den Rich­ ter nicht“ (Übers. d. Verf.). Die Regel ist jedoch insofern korrigierend zu lesen, als das jugement interlocutoire das Gericht hinsichtlich der getroffenen Beweisentscheidung band; siehe Morel (1949), Rn.  552.

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sprünglich drei Monate (Art.  443 Abs.  1 anc. CPC)216 und wurde im Jahr 1862 auf zwei Monate verkürzt.217 Ebenfalls im Unterschied zum geltenden Recht war das jugement mixte noch nicht im Ancien Code de procédure civile erfasst. Nichtsdestoweniger konnte es sich bereits vor dem Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procédure civile im Jahr 1976 in der gerichtlichen Praxis etablieren.218 Auf der Grundlage wissenschaft­ licher und richterlicher Rechtsfortbildung wurden beispielsweise in gesellschafts­ rechtlichen Verfahren Entscheidungen als jugements mixtes betrachtet, die dem Kläger im Rahmen eines gesellschaftsrechtlich begründeten Zahlungsverlangens ausdrücklich bestätigten, Gesellschafter zu sein und die beklagten Mitgesellschaf­ ter zur Rechnungslegung verpflichteten.219 Strukturell handelte es sich bei dem ­jugement mixte um eine qualitative Steigerung des jugement interlocutoire. Die Grundlagen seiner Herausbildung erschließen sich im Vergleich mit dem altgerma­ nischen Zivilverfahren: Maßgebend waren die Einheitlichkeit des französischen Spruchkörpers, die einheitlichen formellen Anforderungen des jugement und schließlich die Einheitlichkeit des appel gegenüber dem jugement définitif und dem jugement interlocutoire.220 (2)  Umfassender Strukturwandel infolge der Reform von 1942 Die gesetzlich vorgesehene Unterscheidung des jugement préparatoire und des ­jugement interlocutoire war unter der Geltung des Ancien Code de procédure civile im Einzelnen nicht immer nachvollziehbar und führte zu erheblicher Rechts­ unsicherheit.221 So handelte es sich beispielsweise bei einem jugement, welches das persönliche Erscheinen einer Partei zum Zweck ihrer Befragung anordnete (comparution, Art.  119 anc. CPC), grundsätzlich um ein jugement préparatoire; als jugement interlocutoire war es hingegen zu qualifizieren, wenn es zusätzliche Angaben über das Ziel der Befragung enthielt.222 Ein jugement, welches die formelle Verneh­ mung einer Partei auf Betreiben des Verfahrensgegners (interrogatoire sur faits et articles) anordnete, wurde regional unterschiedlich als jugement interlocutoire oder als jugement préparatoire qualifiziert.223 Mitunter hing die Einordnung davon ab, ob das Gericht eine beantragte Maßnahme der Sachverhaltsklärung anordnete oder ablehnte.224 Erschwerend kam hinzu, dass allein die Cour d’appel über die Rechts­ natur eines angefochtenen jugement zu entscheiden befugt war, was zumindest für 216 

Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. Siehe Morel (1949), Rn.  618 mit Hinweisen zum Beginn und zur Berechnung der Frist sowie zu Ausnahmen der Fristenregel. Zur ursprünglichen Regel siehe außerdem Bioche, Appel, Rn.  84 ff. 218  Cass. soc., 16 février 1951, JCP éd. G 1951 IV (Tableaux de jurisprudence), S.  61 (61). 219  Beispiel nach Boncenne, S.  361 f.; zustimmend Bioche, Jugement, Rn.  36. 220  So im Ergebnis auch Durry RTD civ. 1960, 5, (6 u. 22 f.) und Boncenne, S.  361. 221  So im Jahr 1840 bereits Bioche, Jugement, Rn.  17; später zustimmend Bordas, S.  181. 222  Bioche, Jugement, Rn.  17. 223  Bioche, Jugement, Rn.  18 m. w. N. auf die zugrunde liegenden Entscheidungen. 224  Bioche, Jugement, Rn.  11. 217 

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

die Dauer der Zulässigkeitsprüfung eines appel aufgrund dessen Suspensivwirkung gemäß Art.  457 Abs.  1 anc. CPC eine Verfahrensverzögerung bedeutete.225 Rück­ blickend formulierte Durry im Jahr 1960: „La distinction des préparatoires et des interlocutoires connut en effet le triste privilège ­d’être l’une des plus obscures de notre procédure […].“226

Gegen Ende der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt das ursprüngliche System der Statthaftigkeit des appel als geradezu herausfordernd im Hinblick auf Verzö­ gerungen und damit als reformbedürftig.227 Vor diesem Hintergrund unternahm die loi n°  556 du 23 mai 1942228 einen offensiven Schritt und schaffte den zeitversetzten appel gegenüber dem jugement préparatoire kurzerhand ab. Mit dem Ziel einer Verfahrensbeschleunigung hatten die Parteien infolge des neu gefassten Art.  451 anc. CPC (1942)229 fortan das Recht, nicht aber die Pflicht,230 sich gegen jedwedes jugement avant dire droit unmittelbar mit dem appel zu wenden. Den Umfang des Suspensiveffekts änderte der Gesetzgeber nicht,231 wohl aber wurde die Frist des appel gegenüber beiderlei jugement avant dire droit gemäß Art.  452 Abs.  1 anc. CPC (1942) auf 15 Tage verkürzt. Gegenüber dem jugement définitif betrug die Rechtsmittelfrist weiterhin einen Monat, Art.  444 Abs.  1 anc. CPC (1942).232 Der Cour d’appel wurde darüber hinaus die Möglichkeit eingeräumt, den appel gegen­ über verfahrensleitenden Entscheidungen als unzulässig zu verwerfen und mit ei­ nem Ordnungsgeld (amende) zu sanktionieren, sofern er in rechtsmissbräuchlicher Weise von bloßer Verzögerungsabsicht getragen war.233 Schließlich verpflichtete

225  Art.  457 Abs.  1 anc. CPC: „L’appel des jugements définitifs ou interlocutoires sera suspen­ sif, si le jugement ne prononce pas l’exécution provisoire, dans les cas où elle est autorisée“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). Siehe hierzu die Kommentierung bei Bourdeaux anc. CPC 1934, Art.  457, Rn.  5; kritisch auch Solus Lois nouvelles 1942, 173 (179). 226  Durry RTD civ. 1960, 5 (23) – „Die Unterscheidung des jugement préparatoire und des ­jugement interlocutoire konnte für sich das traurige Privileg in Anspruch nehmen, eine der ver­ worrensten Unterscheidungen unseres Verfahrensrechts zu sein“ (Übers. d. Verf.). 227  Ausführlich zur damaligen Reformdiskussion Vizioz, S.  495 f. 228  JO du 11 juin 1942, S.  2035 f. 229  Art.  451 anc. CPC (1942): „En toutes matières, à l’exception de celles pour lesquelles cette voie de recours est interdite par la loi, tout jugement avant dire droit pourra être frappé d’appel avant le jugement définitif, mais seulement dans les conditions précisées par les deux articles ­suivants“ (zitiert nach Campiot anc. CPC 1943). 230  So ausdrücklich Vizioz, S.  515 mit Verweis auf den Wortlaut von Art.  451 anc. CPC (1942) – „pourra“. Zum Ziel der Reform siehe Solus Lois nouvelles 1942, 173 (179). 231  Hierzu Vizioz, S.  516; siehe ferner Art.  458 Abs.  1 anc. CPC (1942): „L’appel interjeté dans le délai légal sera suspensif, à moins que l’exécution provisoire ne soit pas ordonnée“ (zitiert nach Campiot anc. CPC 1943). 232  Zitierte Normen nach Campiot anc. CPC 1943. Für Einzelheiten insbesondere zu den ver­ einfachten Form- und Zustellungsregeln siehe Vizioz, S.  506. 233  Zur Bedeutung des Sanktionscharakters im Unterschied zur vormaligen Regel des fol appel sowie zur historischen Einordnung dieser Neuerung Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  660.

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Art.  453 Abs.  1 anc. CPC (1942)234 die Cour d’appel dazu, innerhalb eines Monats über den appel zu entscheiden. (3)  Rückbesinnung auf die ursprüngliche Systematik durch die Reform von 1958 Textlich betraf die Reform allein den appel gegen die Entscheidungen der regulären Eingangsgerichte (Tribunaux inférieurs). Die Statthaftigkeit des appel gegenüber den Entscheidungen des damaligen Juge de paix gemäß Art.  31 anc. CPC235 wurde erst von der Cour de cassation im Wege richterlicher Rechtsfortbildung ange­ passt.236 Dessen ungeachtet hielt die Cour d’appel de Paris am Wortlaut des Art.  31 anc. CPC fest.237 Augenscheinlich wurde der Konflikt infolge der Justizreform des Jahres 1958, welche die Justice de paix durch die neu geschaffenen Tribunaux d’ins­tance ersetzte238 und zusammen mit den ebenfalls neu geschaffenen Tribunaux de grande instance der Rechtsmittelzuständigkeit der Cour d’appel unterordnete, Art.  35 décret n°  58-1284 du 22 décembre 1958.239 Vor demselben Rechtsmittel­ gericht kamen somit zeitweilig unterschiedliche Rechtsmittelsysteme zur Anwen­ dung. Zugleich sah sich die vorangegangene Reform von 1942 zunehmender Kritik ausgesetzt. Diese bezog sich zwar nicht auf die rechtsmittelrechtliche Gleichstel­ lung des jugement préparatoire und des jugement interlocutoire an sich,240 sondern vielmehr auf die gewählte Form. Als Ergebnis einer Rechtsprechungsanalyse von 1963 bezeichnete Hébraud die uneingeschränkte Zulässigkeit des appel als ein „mouvement de va-et-vient“, das entgegen den Erwartungen des Gesetzgebers zu erheblichen Verzögerungen geführt habe.241 Insbesondere die Beschränkung der Verfahrensdauer vor der Cour d’appel sei praktisch nicht durchsetzbar und habe daher den Charakter einer bloßen Zielvorschrift.242 Ferner standen die unterschied­ 234 

Zitiert nach Campiot anc. CPC 1943. Vgl. Campiot anc. CPC 1943; ausführlich zur Justice de paix unter §  6 II 2 b cc. 236  Cass. soc., 21 mars 1947, D. 1947 (Jurisprudence), 334 (334), bestätigt durch Cass. civ., section sociale, 20 juillet 1950, Gaz. Pal. 1950 (Jurisprudence), 377 (377). Zustimmung erhielt die Cour de cassation von Seiten der Rechtslehre; siehe nur Hébraud D. 1961 (Jurisprudence), 224 (224) und Vizioz, S.  510; anderer Ansicht noch Mazeaud JCP éd. G 1961 II (Jurisprudence), n°  11929. 237  Siehe etwa CA Paris, 20 décembre 1960, JCP éd. G 1961 II (Jurisprudence), n°  11929 und CA Paris, 11 janvier 1961, D. 1961 (Jurisprudence), 223 (223 f.). Unter den normativ leicht unter­ schiedlichen Voraussetzungen des arbeitsgerichtlichen Verfahrens finden sich auch entsprechende Entscheidungen anderer Cours d’appel; siehe hierzu die Zusammenstellung bei Moreau anc. CPC 1970, Art.  31, Rn.  1. 238  Zugleich wurden die Kompetenzen des Tribunal d’instance im Vergleich zur vormaligen Justice de paix erheblich erweitert; siehe hierzu Štruc, S.  54 f. Grundlegend zur Justizreform von 1958 Royer/Jean, Rn.  656 und Perrot Institutions, Rn.  14. 239  JO du 23 décembre 1958, S.  11579. 240  Lobin, in: Colloque 1963, S.  55 (61). 241  So Hébraud, in: Colloque 1963, S.  143 (172) sowie die Einleitung des Projet portant révision du code de procédure civile von 1954; siehe Commission de réforme 1954, S.  13. 242  Solus Lois nouvelles 1942, 173 (179). 235 

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

lichen Fristen des appel im Mittelpunkt der Kritik. So bedurfte es erst einer Ent­ scheidung der Cour de cassation um festzulegen, dass das – noch immer nicht ko­ difizierte – jugement mixte in Anbetracht der Rechtsmittelfrist als jugement dé­ finitif zu behandeln sei.243 Im Jahr 1954 fand die Kritik schließlich Einzug in das Projet portant révision du code de procédure civile der Commission de réforme du code de procédure civile.244 In Art.  420 des Reformentwurfs forderte die Kommission ausdrücklich die Rück­ kehr zum appel différé und bezog dessen Anwendungsbereich erstmals inhaltlich umfassend auf die mesures d’instruction.245 Der Gesetzgeber kam der Forderung zunächst schrittweise nach und führte den appel différé durch Art.  3 décret 58-1289 du 23 décembre 1958246 zunächst nur für die Anordnung der Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung (enquête) ein, vgl. Art.  258 anc. CPC (1959).247 Die Neuerung wurde in der Sache positiv aufgenommen, kritisiert wurde allein ihr Ausnahme­ charakter.248 Die geforderte Generalisierung des neu geschaffenen Art.  258 anc. CPC (1959) erfolgte schließlich im Zuge der Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile durch Artt.  87 f. décret 72-788 du 28 août 1972.249 Die praktisch motivierten Durchbrechungen des Systems in Gestalt des appel soumis à autorisation im Rahmen der décision ordonnant l’expertise und des sursis à statuer sind die eigentliche Besonderheit des (Nouveau) Code de procédure civile.250 Den nach wie vor prägenden Charakter des Dualismus aus appel immédiat und appel différé stel­ len sie aber keineswegs in Frage. II.  Die Bedeutung des Streit- und des Beschwerdewertes für die Eröffnung der zweiten Instanz Neben der Art der anzufechtenden Entscheidung bestimmt sich der Zugang zur zweiten Instanz sowohl im deutschen als auch im französischen Zivilverfahren an­ hand besonderer Wertgrenzen.

243  Siehe Cass. 2e civ., 12 janvier 1962 D. 1962 (Jurisprudence), 237 (237) sowie dazu Lobin, in: Colloque 1963, S.  55 (62). Zu den vorangegangenen prozesstaktischen Möglichkeiten siehe Durry RTD civ. 1960, 5 (24 ff.) sowie Vizioz, S.  506 zu weiteren Problemen bezüglich der unterschiedli­ chen Rechtsmittelfristen. 244  Commission de réforme 1954, S.  13; siehe auch die Nachweise über die Einsetzung und Besetzung der Kommission auf S.  15 ff. 245  Commission de réforme 1954, S.  95. 246  JO du 23 décembre 1958, S.  11608 ff. 247  Hierzu Durry RTD civ. 1960, 5 (24); zitierte Norm nach Moreau anc. CPC 1960. 248  Vgl. Lobin, in: Colloque 1963, S.  55 (61 ff.) und Hébraud, in: Colloque 1963, S.  143 (173). 249  JO du 30 août 1972, S.  9300 ff.; hierzu Solus/Perrot III, Rn.  744. 250  Siehe oben §  6 I 2 c.

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz

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1.  Französischer taux de ressort und deutsche Erwachsenheitssumme als Grundunterschied Die Statthaftigkeit des appel ist in wirtschaftlicher Hinsicht an den sog. taux de ressort geknüpft. Im Unterschied zur Erwachsenheitssumme251 des §  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO bemisst sich der französische taux de ressort oder auch taux d’appel in Höhe von gegenwärtig 4.000 EUR ungeachtet der formellen oder materiellen Be­ schwer des Rechtsmittelführers ausschließlich am Streitwert (valeur du litige).252 Während die Statthaftigkeit des appel daher spätestens zum Schluss der mündli­ chen Verhandlung feststeht,253 ergibt sich die Statthaftigkeit der Berufung erst auf­ grund der im Urteil verkörperten formellen oder materiellen Beschwer.254 Unter­ halb der Beschwerdewertgrenze von über 600 EUR (§  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO) ist die Berufung nur statthaft, wenn sie das Eingangsgericht unter Verweis auf die grund­ sätzliche Bedeutung der Rechtssache zulässt, §  511 Abs.  2 Nr.  2 ZPO.255 Ein unmit­ telbarer Rückgriff auf die Revision ist zwar in Form der Sprungrevision möglich, entbindet aber nicht von der notwendigen Berufungsfähigkeit des anzufechtenden Urteils, §  566 Abs.  1 S.  1 ZPO.256 Werden die Voraussetzungen des §  511 Abs.  2 ZPO nicht erfüllt, ist nach deutschem Recht grundsätzlich kein Rechtsmittel gegen das erstinstanzliche Urteil gegeben.257

251  Zur Terminologie etwa Zeiss/Schreiber, Rn.  568 sowie Lüke, Rn.  396 und BGH NJW 2009, 3161 (3162). 252  Hierzu Perrot Institutions, Rn.  168 sowie Lepage, S.  3, 47 f. u. 332 zu den bei Einführung des Ancien Code de procédure civile geltenden Wertgrenzen. Zur weiteren Entwicklung unter dem Ancien Code de procédure siehe Bioche, Ressort, Rn.  6 f., 181 ff. sowie Morel (1949), Rn.  656 f. 253  Zum französischen Recht siehe etwa Cass. 3e civ., 15 juin 1977, Bull. civ. III 1977, n°  259: „[…] le taux du ressort est déterminé par le dernier état des conclusions qui fixent le chiffre de la demande; […]“ – „Der Rechtsmittelstreitwert wird durch den letzten Stand der Schriftsätze der Klägerseite bestimmt“ (Übers. d. Verf.). Zum deutschen Recht siehe hingegen Lemke/Schneider, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  511, Rn.  17: „In welchem Umfang eine Partei beschwert ist, steht [erst – Anm. d. Verf.] mit dem Erlass des erstinstanzlichen Urteils fest; […].“ 254  Rechnerisch steht die Statthaftigkeit der Berufung für zumindest eine Partei nur bei einem Streitwert von über 1.200 EUR bereits vorzeitig fest. 255  Zu vereinzelten Ausnahmen siehe Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  511, Rn.  45. 256  Hierzu Ball, in: Musielak ZPO, §  566, Rn.  2 sowie die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  108 f. Das französi­ sche Zivilverfahrensrecht kennt keinen der Sprungrevision vergleichbaren Rechtszug; siehe Ferrand, Rn.  37 f. – „l’exception centrale du droit allemand“. 257  Siehe in Abgrenzung zum französischen, belgischen und italienischen Recht Hess, in: van Compernolle/Saletti, S.  105 (106); rechtsvergleichend ferner Ferrand, in: FS Henrich, S.  133 (138). Zu den Rechtsschutzmöglichkeiten im Rahmen von Verletzungen von Verfahrensgrundrechten siehe unten §  10 III 3 c.

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2.  Der pourvoi en cassation als konkurrierendes Rechtsmittel zweiter Instanz Auf französischer Seite ist das Wertsegment unterhalb des taux de ressort dem pourvoi en cassation vorbehalten.258 Bereits der Ancien Code de procédure civile259 und die vorangegangene Ordonnance civile touchant la réformation de la justice aus dem Jahr 1667260 machten die Statthaftigkeit des appel von der Erreichung eines bestimmten taux de ressort bzw. taux d’appel abhängig. Die Statthaftigkeit des pourvoi en cassation für das darunter liegende Wertsegment entwickelte sich hier­ von unabhängig und wurde erstmals im Jahr 1738 für den Conseil du Roi, eine Vorgängerinstitution der Cour de cassation,261 gesetzlich festgeschrieben.262 a)  Die Anknüpfungssystematik des pourvoi en cassation aus der Perspektive des appel Nach geltendem Recht sind mithilfe des pourvoi en cassation nicht nur Entschei­ dungen in der Hauptsache, sondern auch prozessuale Nebenentscheidungen an­ fechtbar. Beinahe spiegelbildlich übertragen die Artt.  606 bis 608 CPC die Regeln des appel immédiat und des appel différé (Artt.  544 f. CPC) auf den pourvoi en cassation.263 Gleiches gilt für den Ausschluss vorzeitiger Rechtsmittel im Zusam­ menhang mit den mesures d’instruction gemäß Art.  150 CPC. Abweichungen von der Systematik des appel bestehen im Hinblick auf seine gesetzliche Ausnahmere­ geln: Gegenüber der Anordnung einer expertise (Art.  272 CPC) kommt ein vorzei­ tiger pourvoi en cassation nicht in Betracht,264 hinsichtlich einer décision de sursis ist der vorzeitige pourvoi en cassation anstelle eines motif grave et légitime auf eine Rechtsverletzung zu stützen, Art.  380-1 CPC.265 258 

Hierzu bereits oben §  3 II. Siehe Art.  453 Abs.  1 anc. CPC (1806): „Seront sujets à l’appel les jugements qualifiés en dernier ressort, lorsqu’ils auront été rendus par des juges qui ne pouvaient prononcer qu’en pre­ mière instance“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). Die Regel galt mit sprachlichen Anpassungen bis zum Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procédure civile in Art.  454 anc. CPC fort; vgl. Moreau anc. CPC 1971. 260  Siehe Titre XXVII, Art.  5 ordonnance civile touchant la réformation de la justice (zitiert nach Isambert/Décrusy XVIII, S.  103 ff.). Zuvor galten entsprechende partikularrechtliche Re­ geln; vgl. édit portant qu’il n’y aura pas d’appel du parlement de Bretagne à celui de Paris, pour les matières qui n’excèdent pas 150 liv. de rente, ou 3000 liv. à une fois payer (zitiert nach Isambert/Décrusy XIII, S.  222). 261  Boré/Boré, Rn.  01.51 ff. 262  Vgl. Art.  1 (Titre IV) règlement du 28 juin 1738 (zitiert nach Isambert/Décrusy XXII, S.  42 ff.); siehe hierzu sowie zur vorangegangenen Entwicklung Chénon, S.  90 und Besson, in: Rép. pr. civ. (1955), Cassation, Rn.  5. 263  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1300 sowie Boré/Boré, Rn.  34.04 mit Hinweisen auf entsprechende Regeln vor dem Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procédure civile. 264  Boré/Boré, Rn.  34.101 ff. 265  Hierzu Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 679 (2013), Rn.  89 ff. Zur Statthaftigkeit des vorzei­ tigen pourvoi en cassation gegen die Anordnung des serment décisoire (Art.  320 CPC) siehe Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 530 (2013), Rn.  73 und Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Pourvoi en cassation (2013), Rn.  82 ff. 259 

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz

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b)  Historisch-vergleichende Analyse der Statthaftigkeit des pourvoi en cassation Historisch war der pourvoi en cassation stets außerhalb des Ancien Code de procédure civile im Rahmen unterschiedlicher Gesetzesgrundlagen geregelt.266 Einer iso­ lierten Anfechtung prozessualer Nebenentscheidungen mithilfe des pourvoi en ­cassation stand ursprünglich Art.  14 décret du 2 brumaire an IV (24 octobre 1795)267 entgegen. Dennoch erreichte die Cour de cassation bereits seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Angleichung der Statthaftigkeit des pourvoi en cassation an die Systematik des appel immédiat und des appel différé durch die analoge Anwen­ dung der entsprechenden Vorschriften, namentlich des Art.  451 anc. CPC (1806).268 Die Ergebnisse der Reform des Art.  451 anc. CPC im Jahr 1942269 übertrug die Cour de cassation hingegen nicht auf die Statthaftigkeit des pourvoi en cassation. Argu­ mentativ stützte sich die Cour de cassation auf die beschränkte Regelungsabsicht des Gesetzgebers in Form des unveränderten Art.  14 décret du 2 brumaire an IV (24 octobre 1795).270 Bis zur Einführung der geltenden Systematik durch den (Nouveau) Code de procédure civile war die zweite Instanz des französischen Zivilverfahrens daher in Abhängigkeit vom taux de ressort durch eine asymmetrische Statthaftig­ keit der jeweiligen Rechtsmittel geprägt. aa)  Der Grundsatz de minimis non curat praetor im französischen Recht Zur Begründung der nach Maßgabe des Streitwertes konkurrierenden Statthaftig­ keit von appel und pourvoi en cassation findet sich in der wissenschaftlichen Lite­ ratur bisweilen der Hinweis auf den Rechtssatz de minimis non curat praetor.271 Es handelt sich hierbei um die rechtsmittelrechtliche Interpretation einzelner Stellen der Digesten,272 wonach das Rechtsschutzinteresse bei geringwertigen Rechtsstrei­ ten kategorisch ausgeschlossen sei.273 In praktischer Hinsicht soll der streitwertge­ 266  Hierzu Besson, in: Rép. pr. civ. (1955), Cassation, Rn.  188; vgl. auch die Gesetzesnachweise bei Moreau anc. CPC 1970 im Anschluss an den III. Titel („De la prise de partie“) des vierten Buches des Code de procédure civile sowie die Synopse NCPC 1976. 267  Zitiert nach Duvergier VIII, S.  344 ff. 268  Siehe auch die Nachweise bei Crépon, Rn.  760 sowie als Beispiel für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts Cass. civ., 1er juillet 1907, D. 1907 I (Cour de cassation), 318 (319). 269  Siehe oben §  6 I 3 c. 270  Als Beispiele siehe Cass. civ., 19 juin 1950, Bull. civ. 1950, n°  144 und Cass. soc., 20 octo­bre 1950, Bull. soc. 1950, n°  755. Siehe ferner den Problemaufriss bei Vizioz/Raynaud RTD civ. 1946, 331 (342 f.). 271  So Ferrand ZZPInt 1997, 43 (59); ferner Coleno/Barbière LPA 2003 n°  146, 6 (6 ff.) sowie Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (37) und Zwickel, S.  335 (Fn.  1115). Vor dem Hintergrund der Er­ wachsenheitssumme des deutschen Rechts findet der Rechtssatz vergleichsweise selten Anwen­ dung; siehe aber Kapsa, in: FS Graßhof, S.  165 (178). 272  Siehe die Auflistung der entsprechenden Stellen bei Kaser/Hackl, S.  422 (Fn.  8). Zur Entste­ hungsgeschichte der Wendung de minimis non curat praetor bzw. minima non curat praetor siehe ferner Seidl LABEO 1965, 316 (319). 273  Siehe nur Callistratus Dig. 4, 1, 4 (zitiert nach Behrends/Knütel CIC); hierzu auch Carbon-

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bundene Ausschluss des appel sowohl die Gerichte entlasten als auch die Parteien vom Betreiben eines wirtschaftlich sinnlosen Rechtsmittelverfahrens abhalten.274 bb)  Schutz des öffentlichen Interesses als Rückausnahme vom Rechtsmittelausschluss Der auf diese Weise begründete Ausschluss des appel führt gedanklich aber nicht zwangsläufig zur Statthaftigkeit des pourvoi en cassation.275 Entscheidend ist das Verständnis des pourvoi en cassation als ein Rechtsbehelf im öffentlichen Interes­ se,276 was Bioche bereits im Jahr 1839 folgendermaßen formulierte: „Ce recours ne forme point un troisième degré du juridiction: la cassation est un acte de s­ urveillance, et non un acte de juridiction. Il diffère de l’appel, en ce qu’il n’a pas pour but l’examen du bien ou du mal jugé au fond.“277

Wesentlicher Bestandteil des öffentlichen Interesses im Rahmen des pourvoi en cassation ist die Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung (unité de juris­ prudence), die beim Fehlen weiterer Rechtsmittel gleichermaßen durch erst- und zweitinstanzliche Entscheidungen beeinträchtigt werden kann.278 Die in der neue­ ren wissenschaftlichen Literatur anzutreffende Rechtfertigung des vergleichsweise hohen taux de ressort mit der Statthaftigkeit des pourvoi en cassation verdeutlicht aber, dass der pourvoi en cassation im öffentlichen Rechtsbewusstsein Frankreichs ungeachtet seiner historischen und dogmatischen Begründung längst den Status ei­ nes vollwertigen Bestandteils der zweiten Zivilinstanz erworben hat.279

nier, in: Mélanges Vincent, S.  29 (29 ff.) sowie Cayrol, in: Rép. pr. civ., Action en justice (2013), Rn.  246 ff. 274  Hierzu Lefort Théorie, Rn.  280 ff. und Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (37) sowie in rechts­ historischer Betrachtung Hilaire, in: Justice et double degré, S.  9 (11). 275  Dies erklärt, weshalb die Statthaftigkeit des pourvoi nicht bereits in der ordonnance vom April 1667, sondern erstmals durch ein règlement vom Juni 1738 festgelegt wurde; siehe Titre IV, Art.  1er règlement concernant la procédure du Conseil du 28 juin 1738 (zitiert nach Isambert/ Décrusy XXII, S.  42 ff.). 276  Bioche, Cassation, Rn.  7 f.; rechtsvergleichend Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  134, Rn.  23. 277  Bioche, Cassation, Rn.  7 – „Dieser Rechtsbehelf bildet keinesfalls eine dritte Instanz: Die cassation ist ein Mittel der Überwachung und kein Mittel der Rechtspflege. Er [dieser Rechtsbe­ helf – Anm. d. Verf.] unterscheidet sich darin vom appel, dass er nicht dem Zweck einer qualitati­ ven Überprüfung der Hauptsacheentscheidung dient“ (Übers. d. Verf.). Die beschriebene Kont­ rollfunktion bezog Bioche sowohl auf die Einheitlichkeit der Rechtsprechung als auch auf die Gesetzmäßigkeit des Handelns der Untergerichte; siehe Bioche, Cassation, Rn.  8. 278  Vgl. Boucard, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 755 (2012), Rn.  3 und Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Pourvoi en cassation (2013), Rn.  2; rechtsvergleichend Schwinge, S.  42 f. 279  Siehe Ferrand, in: FS Henrich, S.  134 (138).

§  6  Die Anknüpfung der Rechtsmittel zweiter Instanz

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cc)  Das Zusammenspiel beider Prinzipien am Beispiel der historischen Justice de paix Das historisch zugrunde liegende Verhältnis des Grundsatzes de minimis non curat praetor und der Funktion des pourvoi en cassation als ein Rechtsbehelf im öffentli­ chen Interesse wird am Beispiel der Justice de paix, einem historischen Vorläufer der Juridiction de proximité, besonders deutlich.280 Gegen die streitigen Entschei­ dungen der Justice de paix war unter den Voraussetzungen des Art.  31 anc. CPC grundsätzlich der appel statthaft.281 Die Wertschwelle des appel in Höhe von über 50 Livre282 war angesichts der Bagatellzuständigkeit der Justice de paix bewusst hoch gewählt, um auf diese Weise Rechtsmittelverfahren zu vermeiden, deren Kos­ ten den Streitwert leicht hätten übersteigen können.283 Aus denselben Gründen war auch der pourvoi en cassation ausgeschlossen, Art.  4 décret du 27 novembre et 1er décembre 1790.284 Im Rahmen der vorangegangenen gesetzgeberischen Diskus­ sion überwog die Ansicht, dass die Entscheidungen der Justice de paix aufgrund ihrer sachlich beschränkten Zuständigkeit per se keine Gefahr für die öffentlichen Schutzgüter des pourvoi en cassation begründeten.285 Ein Sinnes- und Struktur­ wandel setzte erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts mit der wachsenden wirtschaftli­ chen Bedeutung der Justice de paix ein, in deren Zusammenhang auch der Aus­

280  Hierzu Zwickel, S.  21 ff. Die Justice de paix beruhte auf dem décret du 16 et 24 août 1790 (zitiert nach Duvergier I, S.  310 ff.); hierzu Royer/Jean, Rn.  141. Ihre Zuständigkeit war begrenzt auf persönliche Klagen (actions personnelles) sowie auf Klagen hinsichtlich beweglicher Sachen (actions mobilières) bis zu einem Streitwert von 100 Livre (Art.  9 (Titre III) décret du 16 et 24 août 1790) sowie unabhängig vom Streitwert auf Klagen aus den Sondergebieten des Art.  10 (Titre III) décret du 16 et 24 août 1790. Darüber hinaus bestand die Aufgabe des Juge de paix darin, streitige Verfahren vor dem Tribunal inférieur im Wege eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens zu vermeiden. Die Durchführung eines erfolglosen Schlichtungsversuches (sog. préliminaire de ­conciliation) galt außer in den Fällen des Art.  49 anc. CPC als Voraussetzung für das Verfahren vor dem Tribunal inférieur, Art.  48 anc. CPC; siehe hierzu Bioche, Préliminaire de conciliation, Rn.  3 f. sowie Kayser, S.  51 ff.; zitierte Normen nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 281  Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. Zuständiges Rechtsmittelgericht war jedoch nicht die Cour d’appel, sondern das Tribunal inférieur, Art.  2 (Titre IV) décret du 16 et 24 août 1790 (zitiert nach Duvergier I, S.  310 ff.). 282  Art.  9 f. (Titre III) décret du 16 et 24 août 1790 (zitiert nach Duvergier I, S.  310 ff). 283  Ausführlich zu den gesellschaftspolitischen Hintergründen Erkens, S.  83 f.; Zwickel, S.  24. Die Wertgrenzen wurden nominal auch nach der 1795 erfolgten Währungsumstellung von Livre auf Franc beibehalten (siehe Art.  1 loi du 28 thermidor an 3 (15 août 1795), zitiert nach Duvergier VIII, S.  215 f.); hierzu Lepage, S.  3 f. Zu den vor der Justizreform 1958 gültigen Wertgren­ zen sie­he Art.  1 f. loi du 12 juillet 1905 in der zuletzt gültigen Fassung (zitiert nach Dalloz anc. CPC 1957). 284  Zitiert nach Duvergier II, S.  56 ff.; siehe hierzu Vieilleville, S.  38. 285  So insbesondere die Rede von Chabroud im Rahmen der morgendlichen Sitzung der Assemblée nationale am 11. November 1790; siehe Mavial/Laurent XX, S.  370 sowie historisch-kritisch Erkens, S.  92 f.

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schluss des pourvoi en cassation durch die loi du 22 décembre 1915 (article unique)286 aufgegeben wurde.287 c)  Zur Kritik an der französischen Systematik in den Materialien der Civilprozeßordnung Der historische Gesetzgeber der deutschen Civilprozeßordnung setzte sich ausführ­ lich mit der am Streitwert orientierten, alternativen Statthaftigkeit von appel und pourvoi en cassation auseinander und verwarf sie schließlich als „willkürlich“ und unvereinbar mit einer „höheren Ansprüchen entsprechenden Rechtspflege“.288 Die Eröffnung der zweiten Instanz habe ohne Berücksichtigung des Streitwertes zu er­ folgen.289 In der ursprünglichen Fassung der Civilprozeßordnung unterlag die Statt­ haftigkeit der Berufung daher keiner wertmäßigen Einschränkung.290 Diese erfolg­ te erstmals angesichts des Ersten Weltkrieges durch §  20 der sog. Entlastungsver­ ordnung von 1915.291 Die Festlegung eines Beschwerdewertes anstelle eines Streitwertes wurde bewusst gewählt, um den Anwendungsbereich der Berufung nicht auf das landgerichtliche Verfahren zu beschränken.292 Ungeachtet ihres ur­ sprünglichen Entlastungszwecks wurde die Regel zum festen Bestandteil der Beru­ fungsvoraussetzungen und schließlich sogar vergleichbar dem französischen Recht und entgegen ihrer ursprünglichen Bestimmung mit dem Schutz der Parteien vor einem wirtschaftlich sinnlosen Rechtsmittelverfahren begründet.293 Der historische Gesetzgeber betrachtete derartige Erwägungen hingegen noch als „nicht gerechtfer­ tigte staatliche Bevormundung“ der Parteien.294 3.  Die Zulassungsberufung als deutscher Gegenentwurf und nachfolgende Entwicklungen Das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 milderte die am Beschwerdewert orientierte Einschränkung der Berufung deutlich ab. Die Berufungsschwelle von zuletzt über 1.500 DM (§  511a Abs.  1 S.  1 ZPO a. F.)295 wurde auf über 600 EUR herabgesetzt (§  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO); für das darunter liegende Wertsegment wur­ de die Zulassungsberufung eingeführt, §  511 Abs.  2 Nr.  2 ZPO. Der Reformgeber 286 

Zitiert nach Duvergier/Lange XV, S.  412 f. Zur vorangegangenen schrittweisen Erweiterung der Statthaftigkeit des pourvoi en cassa­ tion gegenüber Entscheidungen des juge de paix siehe Vieilleville, S.  39 f. 288  Hahn/Stegemann ZPO, S.  140 ff.; siehe hierzu auch Schwinge, S.  40 f. 289  Hahn/Stegemann ZPO, S.  140 f. 290  Vgl. von Kräwel CPO. 291  Verordnung zur Entlastung der Gerichte vom 9. September 1915, RGBl. Nr.  121 vom 11. September 1915, S.  561 ff. 292  Wach JW 1915, 1102 (1103). 293  So Grunsky, in: Stein/Jonas ZPO (21.  Aufl.), §  511a, Rn.  1 mit Kritik gegenüber der Höhe des erforderlichen Wertes der Beschwer. 294  Hahn/Stegemann ZPO, S.  141 – wörtliches Zitat grammatikalisch angeglichen. 295  Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 287 

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verfolgte damit das Ziel, juristisch bedeutsame Rechtsstreite ungeachtet ihres Be­ schwerdewertes einer höchstrichterlichen Klärung zuzuführen.296 Insofern ent­ spricht der Zweck der Zulassungsberufung dem Zweck des pourvoi en cassation.297 Gleichwohl hat die Zulassungsberufung nicht lediglich den Charakter eines „Pas­ sierscheines“298 zum Bundesgerichtshof, sondern eröffnet die volle Berufungsins­ tanz. Dies gilt unbeschadet der Tatsache, dass der Gesetzgeber durch das Zivilpro­ zessreformgesetz die revisionsrechtliche Zuständigkeit des Bundesgerichtshofes von der Zuständigkeit des Eingangsgerichts (Amts- oder Landgericht) entkoppelt hat.299 Die Zulassungsberufung kann vor diesem Hintergrund als ein konsequenter Mittelweg zwischen dem einheitlichen und lückenlosen Rechtsmittelkonzept des historischen Gesetzgebers und den Entlastungsbestrebungen des modernen Gesetz­ gebers verstanden werden. Rechtsvergleichend verdeutlicht die Zulassungsberu­ fung zudem den systematischen Vorrang der Berufung vor der Revision gerade auch in Fällen „grundsätzlicher Bedeutung“ (§  511 Abs.  4 Nr.  1 ZPO).300 Dass das deutsche System der Berufungszulassung trotz seines ausgeglichenen Charakters fortwährend rechtspolitisches Diskussionspotenzial birgt, belegen Re­ formbestrebungen aus der Zeit nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformge­ setzes. Auf Initiative des Landes Schleswig-Holstein301 erarbeitete der Bundesrat im Jahr 2007 und erneut im Jahr 2010 einen Gesetzentwurf zur Anhebung der Er­ wachsenheitssumme auf einen Betrag von über 1.000 EUR.302 Die Begründung des Gesetzentwurfs gleicht einer Kombination aus Erwägungen des Ancien Code de procédure civile und der Entlastungsverordnung von 1915. Hiernach belasteten Be­ rufungsverfahren von verhältnismäßig geringem Wert die Justiz überproportional und entsprächen angesichts der Verfahrenskosten auch nicht in allen Fällen dem wirtschaftlichen Interesse der Parteien.303 Rechtsvergleichend stützte sich der Bun­ desrat neben dem italienischen, dem niederländischen und dem österreichischen Recht auch auf den vergleichsweise hohen französischen taux de ressort.304 Unbe­ 296  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  65; ferner Jauernig/Hess, §  73, Rn.  20. 297  Siehe hierzu auch die rechtsvergleichende Darstellung bei Leipold, in: Triberger Symposi­ um, S.  66 (74 ff.). 298  Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  511, Rn.  61 u. 67 f. 299  Entgegen einer früheren Redensart wölbt sich seither über dem Landgericht nicht mehr „der blaue Himmel“; so noch Schreiber, Rn.  213 (Fn.  2) in Bezug auf §  545 ZPO a. F. i. V. m. §  119 Abs.  1 Nr.  3 GVG a. F. (zitiert nach Reuschle ZPO 2002). 300  Die Sprungrevision bildet als fakultativer Rechtszug gemäß §  566 Abs.  1 ZPO hiervon nur dann eine Ausnahme, wenn der Beschwerdewert die Wertschwelle des §  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO er­ reicht. 301  Vgl. die entsprechenden Gesetzesanträge, BR-Drucks. 439/07 und 261/10. 302  Gesetzentwurf des Bundesrates eines Gestezes zur Änderung der Zivilprozessordnung und des Arbeitsgerichtsgesetzes, BR-Drucks. 439/07(B). 303  Gesetzentwurf des Bundesrates eines Gestezes zur Änderung der Zivilprozessordnung und des Arbeitsgerichtsgesetzes, BR-Drucks. 439/07(B), S.  1. 304  Gesetzentwurf des Bundesrates eines Gestezes zur Änderung der Zivilprozessordnung und des Arbeitsgerichtsgesetzes, BR-Drucks. 439/07(B), S.  4.

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

achtet ließ der Bundesrat allerdings die Eigenschaft des taux de ressort als Streit­ wert sowie das Zusammenspiel von appel und pourvoi en cassation und das daraus resultierende lückenlose Schutzkonzept.305 Die Bundesregierung sprach sich im Rahmen ihrer Stellungnahme gegen eine Erhöung der Erwachsenheitssumme aus und begründete dies mit den zu erwartenden Einschränkungen individueller Rechts­ schutzinteressen, die in keinem Verhältnis zu einer etwaigen Entlastung der Justiz stünden.306 Im Koalitionsvertrag der nachfolgenden Bundesregierung der 18. Legis­ laturperiode des Deutschen Bundestages wurden die Bestrebungen des Bundesrates nicht mehr aufgegriffen.307 III.  Die Bedeutung der prozessualen Säumnis für die Eröffnung der zweiten Instanz Abschließend ist die Bedeutung der Säumnis für die Eröffnung der zweiten Instanz in den Blick zu nehmen. Es geht hierbei um die Unterscheidung von streitigen ­Entscheidungen ( jugements contradictoires) und Versäumnisurteilen ( jugements ­rendus par défaut). 1.  Die französische oppositon als historische Grundlage des deutschen Einspruchs Bei der Einführung des bis heute geltenden Versäumnis- und Einspruchssystems der §§  330 ff. ZPO orientierte sich der historische Gesetzgeber der deutschen Civil­ prozeßordnung am damaligen französischen Recht.308 Bezogen auf das geltende französische Verfahrensrecht lässt sich dies allerdings kaum mehr nachvollzie­ hen.309 Im Unterschied zur Systematik des geltenden Code de procédure civile war der Anwendungsbereich der opposition in der ursprünglichen Fassung des Ancien 305  Zum rechtstatsächlichen Schutzniveau des pourvoi en cassation siehe §  11; auf den ergän­ zenden appel-nullité wird zuvor unter §  10 III 3 eingegangen. 306  Gesetzentwurf des Bundesrates eines Gestezes zur Änderung der Zivilprozessordnung und des Arbeitsgerichtsgesetzes, BT-Drucks. 17/2149, Anlage 2 (Stellungnahme der Bundesregierung), S.  8. 307  Vgl. den Koalitionsvertrag der 18. Legislaturperiode zwischen CDU, CSU und SPD „Deutschlands Zukunft gestalten“, veröffentlicht auf den Internetseiten der Bundesregierung ­u nter (letzter Zugriff am 15.12.2014). 308  Der historische Gesetzgeber bezeichnete die Regelung des französischen Rechts in Abgren­ zung zum Prinzip der zweimaligen Ladung als „praktisch zweckmäßiger“. Nach dem sog. Prinzip der zweimaligen Ladung, wie es u. a. die Prozessordnung des Großherzogtums Baden von 1851 vorsah, musste die säumige Partei vor dem Erlass einer Versäumnisentscheidung zunächst ein weiteres Mal geladen werden. Das im Fall ihrer wiederholten Säumnis zu erlassende Versäumnis­ urteil konnte nur unter erhöhten Voraussetzungen beseitigt werden. Der historische Gesetzgeber der Zivilprozessordnung erkannte darin erhebliches Verzögerungspotenzial; siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  294 f. sowie Steinhauer, S.  62 f. 309  Bereits 1935 sprach Steuerwald, S.  7 rechtsvergleichend von „Ähnlichkeiten der prakti­

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Code de procédure civile weder sachlich auf Entscheidungen en dernier ressort noch personell auf die Säumnis des Beklagten beschränkt. Stattdessen war die ­opposition unabhängig vom Streitwert und der prozessualen Rolle der säumigen Partei gegen sämtliche Versäumnisentscheidungen der Eingangsgerichte statthaft.310 Die zulässige opposition führte zur Zurückversetzung des Verfahrens in den Zu­ stand vor dem Eintritt der Säumnis.311 Gegen die nachfolgende streitige Entscheidung waren der appel oder der pourvoi en cassation unter ihren regulären Voraussetzun­ gen statthaft.312 Einzig im Verfahren vor der Cour d’appel und der Cour de cassation war die opposition bereits unter Geltung des Ancien Code de procédure civile aus­ geschlossen. In diesem Punkt wich der deutsche historische Gesetzgeber vom fran­ zösischen Leitbild ab. Ein weiterer Unterschied bestand und besteht hinsichtlich der mehrfachen Säumnis. Zwar erklären sowohl die deutsche als auch die französische Verfahrensordnung für diesen Fall die besonderen Rechtsbehelfe des Versäumnis­ verfahrens für unanwendbar.313 Im Unterschied zur deutschen Regel des §  345 ZPO beschränkt das französische Recht den Ausschluss aber nicht allein auf den nächs­ ten Sitzungstermin, sondern legt ihn für das gesamte nachfolgende Verfahren fest; es gilt die Regel: opposition sur opposition ne vaut.314 2.  Die Fortentwicklung der opposition zur voie de recours ordinaire Von der ursprünglichen Regelung des Versäumnisverfahrens unterscheidet sich das geltende französische Recht durch eine differenzierte Regelung seiner Säumnisbe­ griffe sowie einen sachlich und personell bedeutend enger gefassten Anwendungs­ bereich der opposition. a)  Zum Wandel des französischen Säumnisbegriffs: Der appel als mittelbare Sanktion Während noch Art.  149, HS 2 anc. CPC315 in seiner ursprünglichen Fassung sowohl das Nichterscheinen (sog. défaut faute de comparaître) als auch das Nichtverhandeln (sog. défaut faute de conclure) dem Anwendungsbereich des jugement rendu par défaut unterstellte,316 erkennt der geltende Art.  473 CPC allein das Nichterscheinen schen Ausführung“ bei gleichzeitigen Abweichungen der „theoretischen, gesetzmäßigen Gestal­ tung“ – wörtliche Zitate grammatikalisch angeglichen. 310  Zu den Tribunaux inférieurs siehe Artt.  160 ff. anc. CPC, zu den Tribunaux de commerce siehe Art.  437 anc. CPC und zur Justice de paix siehe Art.  20 anc. CPC; zum Ganzen Morel (1932), Rn.  593; zitierte Normen nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 311  Stefani, S.  122 ff.; Morel (1932), Rn.  599. 312  Vgl. Artt.  4 43 Abs.  1 u. 2, 455 anc. CPC; zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 313  Vgl. §  345 ZPO und Art.  578 CPC. 314  Zur historischen Entwicklung der nunmehr in Art.  578 CPC niedergelegten Regel opposition sur opposition ne vaut siehe Morel (1949), Rn.  600 und Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2008), Rn.  124 f. 315  Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 316  Siehe Cuin, S.  78; ferner Desdevises, in: J.-C. pr. civ., Fasc. 536 (2014), Rn.  6.

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als Säumnis im prozessualen Sinne an.317 Die Voraussetzungen eines défaut faute de comparaître bestimmen sich anhand der Verfahrensanforderungen des erkennenden Gerichts. Im Verfahren vor den Tribunaux de grande instance und den vormaligen Tribunaux inférieurs bezieht sich der défaut faute de comparaître aufgrund des bei­ derseitigen Anwaltszwangs318 auf das Versäumnis, einen Prozessbevollmächtigten zu mandatieren.319 Ferner handelt es sich um einen défaut faute de comparaître, wenn der Prozessbevollmächtigte einer Partei im laufenden Verfahren seine Postu­ lationsfähigkeit verliert und die betroffene Partei keinen neuen Vertreter bestellt.320 Das Fernbleiben eines Prozessbevollmächtigten im Termin erfüllt hingegen den Tat­ bestand eines défaut faute de conclure bzw. eines défaut faute d’accomplir les actes de la procédure dans les délais nach geltender Terminologie.321 In den Verfahren vor dem Tribunal d’instance, dem Tribunal de commerce sowie der Juridiction de proximité und der historischen Justice de paix, für welche kein Anwaltszwang besteht oder bestand, war und ist der défaut faute de comparaître wörtlich als das Nichter­ scheinen der Naturalpartei oder ihres fakultativ gewählten Vertreters zu verstehen; einen défaut faute de conclure kann nur die anwesende Partei verwirklichen.322 Ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts wurde die im Ursprung hinsichtlich ihrer Folgen noch gleiche Behandlung der beiden Säumnisarten zunehmend kritisch be­ trachtet und schließlich durch Art.  3 décret du 30 octobre 1935323 aufgehoben.324 Die Begründung des décret, der Rapport au Président de la République Française du 30 octobre 1935 der Minister Laval und Régnier bezeichnete die Statthaftigkeit der opposition im Fall des défaut faute de conclure als ein Mittel der Prozessver­ schleppung zugunsten sich treuwidrig verhaltender Parteien (plaideurs de mau­vaise foi).325 Der neu eingefügte Art.  154bis Abs.  2 anc. CPC übertrug den défaut faute de 317 

Bunge, S.  62 f.; Douchy-Oudot, Rn.  532. Zum geltenden Recht siehe Art.  751 Abs.  1 CPC. Zur vormaligen Rechtslage siehe Artt.  61 Nr.  1, 75 ff. anc. CPC (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). Ausführlich zur Entwicklung der Vertretungsregeln für die Verfahren vor den Tribunaux inférieurs und späteren Tribunaux de grande instance noch Verdun, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 88 (2000), Rn.  12 f. 319  Auf diese Weise erklären sich auch die Begriffe des défaut faute de comparaître als défaut faute de constitution d’avoué und des défaut contre partie; vgl. Bioche, Jugement par défaut et opposition, Rn.  1, 4. Zum geltenden Recht siehe Solus/Perrot III, Rn.  183 und Hoonakker, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  321.152. 320  Zur Rechtslage unter Geltung des Ancien Code de procédure civile siehe Morel (1932), Rn.  586; zur Übertragung auf das geltende Recht siehe Steinhauer, S.  124 f. 321  Zum geltenden Recht siehe Desdevises, Rn.  150; zur Rechtslage unter Geltung des Ancien Code de procédure civile siehe Morel (1932), Rn.  581. 322  Zur vormaligen Justice de paix siehe Art.  19 anc. CPC: „Si, au jour indiqué par la citation, l’une des parties ne comparaît pas, la cause sera jugée par défaut, […]“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806); hierzu Lepage, S.  17 f. und Bioche, Juge de paix, Rn.  251 ff. Zum geltenden Recht siehe Solus/Perrot III, Rn.  459 sowie Steinhauer, S.  127. Zur Zurechnung der anwaltlichen Säumnis bei fakultativer Vertretung siehe Desdevises, Rn.  21 u. 25. 323  JO du 31 octobre 1935, S.  11458 ff. 324  Vanlaer, S.  40. 325  Zitiert nach JO du 31 octobre 1935, S.  11458 ff. (dem zitierten décret vorangestellt). 318 

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conclure in den Geltungsbereich des als streitig fingierten jugement réputé contradictoire. Durch Art.  47 décret n°  72-788 du 28 août 1972326 wurde der défaut faute de conclure schließlich dem Geltungsbereich des regulär streitigen jugement con­ tradictoire zugewiesen.327 Beide Entscheidungen waren und sind allein mithilfe des appel und des pourvoi en cassation anfechtbar.328 Vor dem Hintergrund der amt­ lichen Begründung des décret du 30 octobre 1935 können die Reformen und mit ihnen die Statthaftigkeit des appel anstelle der opposition als Sanktion gegenüber der nichtverhandelnden Partei betrachtet werden.329 b) Die opposition als Rechtsmittel allein zugunsten des Beklagten Der Ausschluss des défaut faute de conclure aus dem Geltungsbereich des jugement rendu par défaut führte mittelbar zu einer Benachteiligung des Klägers. Da dieser im Verfahren vor den Tribunaux inférieurs bereits zur wirksamen Klageerhebung des Nachweises anwaltlicher Vertretung bedurfte, kam zu seinen Gunsten ein défaut faute de comparaître nur in dem seltenen Fall in Betracht, dass sein Vertreter während des Prozesses die Postulationsfähigkeit verlor.330 Für das Verfahren ohne verbindliche Vertretung vor der Justice de Paix hatte die Cour de cassation bereits 1908 entgegen dem Wortlaut des Art.  19 anc. CPC331 entschieden, dass zum Nach­ teil des säumigen Klägers stets durch kontradiktorisches Urteil zu entscheiden sei, sofern der Kläger in einem früheren Termin erschienen war und dort erklärt hatte, an seiner Klage festzuhalten.332 Die Cour de cassation begründete diese Entschei­ dung einerseits mit dem hinreichenden Schutz des Klägers aufgrund seiner voran­ gegangenen Anhörung sowie andererseits mit dem vermuteten Fehlen eines legiti­ men Grundes für die klägerische Säumnis.333 Nach geltendem Recht obliegt es dem Kläger, seine Säumnis mithilfe eines legitimen Grundes (motif légitime de non-comparution) zu entschuldigen.334 326 

JO du 30 août 1972, S.  9300 ff. Die Vorschrift wurde durch Art.  469 CPC in den (Nouveau) Code de procédure civile über­ tragen; vgl. Synopse NCPC 1976. 328  Dies ging zwar nicht ausdrücklich aus dem Gesetzestext hervor, folgte aber aus dem Zweck der Reform von 1935; vgl. Stefani, S.  18 sowie Cuin, S.  78 f. und Barrère, in: Mélanges Hébraud, S.  1 (6). 329  Vgl. Desdevises, Rn.  150 und Steinhauer, S.  127. 330  Hierzu Morel (1932), Rn.  586 und Steinhauer, S.  124 f. Auf Seiten der Rechtslehre wurde diese Einschränkung ausdrücklich begrüßt, fiel es ihren Vertretern doch schwer, redliche Motive für die Säumnis des Klägers zu finden; siehe etwa Hébraud Revue critique 1936, 37 (94 ff.) sowie Cuin, S.  15 und Stefani, S.  76; nach dem Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procédure civile weiterhin Solus/Perrot III, Rn.  186. 331  Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806 sowie nach Campiot anc. CPC 1943. 332  Cass. civ., 20 janvier 1908 D. 1909, 231 (231 f.), bestätigt durch Cass. civ., 25 juillet 1932 D. 1932, 505 (505). 333  Cass. civ., 20 janvier 1908 D. 1909, 231 (231); hierzu Campiot anc. CPC 1943, Art.  19, Rn.  1. 334  Zur Rechtspraxis siehe Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  18 und Hoonakker, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  321.132. 327 

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Im Unterschied zur Redlichkeit des Klägers fokussierte das décret 58-1289 du 22 décembre 1958335 die Redlichkeit des Beklagten. Der Erlass eines zur opposition berechtigenden jugement rendu par défaut wurde unter die Voraussetzung gestellt, dass dem Beklagten die Ladung zum Termin nicht persönlich zugestellt worden war. Der zugrunde liegende Art.  3 des décret 58-1289 du 22 décembre 1958, dessen Regel durch Art.  473 CPC in das geltende Recht übernommen wurde,336 geht zu­ rück auf Art.  129 des Entwurfs der Commission de réforme du code de procédure civile von 1954.337 Diesem lag die Annahme zugrunde, dass ein Fehlen trotz persön­ lich zugestellter Ladung prima facie auf eine Verzögerungsabsicht des Beklagten deute und daher nicht den Schutz der opposition verdiene.338 c)  Wertmäßige Trennung der Geltungsbereiche von appel und opposition Ebenfalls durch das décret 58-1289 du 22 décembre 1958 wurden der Geltungsbe­ reich des jugement rendu par défaut und der Geltungsbereich der korrespondieren­ den opposition auf Entscheidungen unterhalb der Streitwertschwelle des taux d’appel begrenzt.339 Der Gesetzgeber betrachtete das Nebeneinander von opposition und appel als verzichtbar, böten doch beide Rechtsmittel der säumigen Partei einen ausreichenden Rechtsschutz.340 Auch diese Regel wurde in das geltende Recht über­ nommen, Art.  473 Abs.  1 CPC ( jugement en dernier ressort). 3.  Relativierung der Unterschiede zum deutschen Recht durch umfassende Sachprüfung? Die streitwertwertgebundene Trennung von opposition und appel und der Aus­ schluss einer wiederholten Säumnis nach der Regel opposition sur opposition ne vaut verleihen dem jugement rendu par défaut ein rechtliches und faktisches Ge­ wicht, das die Frage nach seiner materiellen Entscheidungsgrundlage aufwirft. Im Unterschied zum deutschen Recht kennt das französische Versäumnisverfah­ ren weder eine automatische Klageabweisung noch eine Zugeständnisfiktion.341 Während gemäß §  331 Abs.  1 ZPO der gesamte Sachvortrag des säumigen Beklag­ ten hinfällig wird und das Gericht allein die Schlüssigkeit des klägerischen Vorbrin­ 335 

JO du 23 décembre 1958, S.  11608 ff. Vgl. Art.  44 décret n°  72-788 du 28 août 1972 (JO du 30 août 1972, S.  9300 ff.) sowie die Synopse NCPC 1976. 337  Zitiert nach Commission de réforme 1954. 338  Hierzu Giverdon D. 1959 (Chronique), 201 (202). Der zitierte Reformentwurf von 1954 verwendet den Begriff des jugement contradictoire. 339  Vgl. Art.  3 décret 58-1289 du 22 décembre 1958; hierzu Giverdon D. 1959 (Chronique), 201 (202). 340  Solus/Perrot III, Rn.  184 u. 198. 341  Siehe Solus/Perrot III, Rn.  193 sowie rechtsvergleichend Steinhauer, S.  130. Kritisch gegen­ über dem deutschen Versäumnisverfahren, das unter Umständen das Gericht dazu verleite, gegen seine Überzeugung zu entscheiden Jauernig/Hess, §  69, Rn.  4. 336 

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gens prüft,342 werden im französischen Versäumnisverfahren sämtliche gerichts­ kundigen Tatsachen in die Entscheidung einbezogen.343 Im Fall der Säumnis des Beklagten darf die Klage nach französischem Recht daher nicht bloß schlüssig sein bzw. begründet „erscheinen“ (paraître bien fondée).344 Dies gilt unabhängig davon, ob die zu treffende Entscheidung als jugement rendu par défaut, jugement contradictoire oder jugement réputé contradictoire ergeht.345 Der säumigen Partei können daher allenfalls faktische Beweisnachteile entstehen.346 Zwar bestand dieser Unterschied des deutschen und des französischen Verfah­ rensrechts nach dem Gesetzestext bereits unter Geltung des Ancien Code de procédure civile.347 Nach der rechtstatsächlichen Analyse Steuerwalds aus dem Jahr 1938 maßen die Gerichte der Säumnis des Beklagten jedoch regelmäßig materielle In­ dizwirkung bei, was einer Annäherung an die deutsche Systematik entsprach.348 Seit der Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile und dessen Art.  472 Abs.  2 betrachtet die Cour de cassation die vormalige Rechtsprechung ausdrücklich als verfahrensfehlerhaft.349 Eine stattgebende Entscheidung dürfe überhaupt nur dann ergehen, wenn das Gericht den Sachverhalt für hinreichend geklärt und die Klage für begründet halte.350 Dem Schutz des Klägers trägt das französische Recht insofern Rechnung, als es diesem die Möglichkeit einräumt, eine erneute Ladung des Beklagten zu beantragen, Art.  471 CPC.351 Umgekehrt steht es dem erschiene­ nen Beklagten frei, eine bloße Feststellung der Hinfälligkeit seiner Ladung (caducité de la citation) zu beantragen, Artt.  468 Abs.  2, 406 f. CPC.352 Erscheint im deutschen Versäumnisverfahren der Sachverhalt hinreichend ge­ klärt, kann die erschienene Partei anstelle eines Versäumnisurteiles eine Entschei­ 342 

Statt vieler siehe nur Grunsky, in: Stein/Jonas ZPO, §  331, Rn.  2. Vgl. Art.  469 Abs.  1 CPC: „[…] le juge statue par jugement contradictoire au vu des élé­ ments dont il dispose.“ 344  Ausdrücklich Cass. 2e civ., 12 avril 1976, Bull. civ. II 1976, n°  119. Die Regel wird infolge­ dessen als einseitige Prozessfortführung (sog. Eremodizialverfahren) verstanden; siehe Schubert, in: FS Schneider, S.  65 (67 f.) mit ausführlichen historischen Bezügen. 345  Steinhauer, S.  129. 346  Grundlegend Cass. civ., 18 octobre 1897, D. 1898 (Première partie), 51 (53); siehe weiterhin Bunge, S.  63 – „beweisrechtliche Nachteile“. 347  Vgl. Art.  150 CPC anc. CPC (1806): „Le défaut sera prononcé à l’audience, sur l’appel de la cause, et les conclusions de la partie qui le requiert seront adjugées, si elles se trouvent justes et bien vérifiées […]“ (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806). 348  Steuerwald, S.  71 m. w. N. 349  So bereits Cass. 2e civ., 12 avril 1976, Bull. civ. II 1976, n°  119 unter Geltung von Art.  4 4 Abs.  2 décret n°  72-788 du 28 août 1972 (JO du 30 août 1972, S.  9300 ff.); aus jüngerer Zeit Cass. 1re civ., 30 septembre 2009, pourvoi n°  08-19.003 (Lamyline). 350  Cass. 2e civ., 30 avril 2003, Bull. civ. II 2003, n°  122; Cass. 2e civ., 20 mars 2003, Bull. civ. II 2003, n°  71. 351  Hierzu Héron/Le Bars, Rn.  1156. Ausführlich zu den übrigen Voraussetzungen des Erlasses einer Versäumnisentscheidung gegen den Beklagten Couchez, Rn.  719 ff.; Solus/Perrot III, Rn.  193. 352  Hierzu Héron/Le Bars, Rn.  1155 (insb. Fn.  4), 1175 f. sowie Steinhauer, S.  129 ff. und Cadiet/ Jeuland Rn.  82 ff. 343 

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

dung nach Aktenlage unter den Voraussetzungen des §  331a ZPO beantragen.353 Eine Entscheidung nach Lage der Akten umfasst den gesamten Verfahrensstoff;354 das statthafte Rechtsmittel ist die Berufung.355 Bei funktioneller Betrachtung ste­ hen damit nicht die opposition und der Einspruch einander gegenüber, sondern viel­ mehr die opposition und die Berufung. Der Einspruch findet in seiner Eigenschaft als prozessualer Zwischenschritt keine Entsprechung im französischen Verfahrens­ recht. Vielmehr handelt es sich bei der opposition aufgrund ihrer historischen Ent­ wicklung und ihrer gegenwärtigen Dogmatik ungeachtet der gleichbleibenden ins­ tanziellen Zuständigkeit um eine ersatzweise Ausprägung des double degré de juridiction.356

§  7  Typisierte Zuordnung der Eingangsgerichte und der korrespondierenden Rechtsmittel Die vergleichsweise differenzierte Ausgestaltung der zweiten Instanz des französi­ schen Zivilverfahrens und insbesondere der Unterschied von taux de ressort und Erwachsenheitssumme führen zu der Frage nach einer typisierten Zuordnung der Eingangsgerichte und der jeweiligen Rechtsmittel. I.  Die Anknüpfung der „gespaltenen“ zweiten Instanz an die französischen Eingangsgerichte Die streitwertbezogene Trennung der Geltungsbereiche des appel einerseits und des pourvoi en cassation und der opposition andererseits spiegeln sich unmittelbar in der französischen Gerichtsverfassung wider. Aufgrund der Zuständigkeit des Tribunal d’instance für vermögensrechtliche Streitigkeiten mit einem Streitwert von über 4.000 EUR (Art. L231-3 Abs.  1 COJ a. F.357) bis zu 10.000 EUR und der Zu­ ständigkeit des Tribunal de grande instance für das darüber liegende Wertsegment (Art. L221-4 COJ) sind die opposition und der pourvoi en cassation gegen die ­ntscheidungen dieser beiden Eingangsgerichte grundsätzlich ausgeschlossen.358 Das idealtypische Rechtsmittel gegen die Entscheidungen des Tribunal de grande instance und des Tribunal d’instance ist der appel. Ausnahmen zugunsten des pou353  Die Vorschrift wurde durch Art.  2 Nr.  39 der Verordnung über das Verfahren in Bürgerli­ chen Rechtsstreitigkeiten vom 13. Februar 1924 (RGBl. 1924 I, S.  135 ff.) als Reaktion auf die In­ flation der Jahre 1914 bis 1923 eingeführt und sollte Prozessverschleppungen durch Versäumnis­ urteile entgegenwirken; siehe Volkmar JW 1924, 345 (345 u. 348 f.). 354  BGH NJW 2002, 301 (302). 355  Czub, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  331a, Rn.  12. 356  So im Ergebnis auch Boursier/Botrel, in: Rép. pr. civ., Jugement par défaut ou réputé contradictoire (2014), Rn.  61. Ausführlich zum double degré de juridiction unter §  10 I 3 b; zur opposition siehe ferner unter §  12 III. 357  Zitiert nach Cadiet CPC 2011. 358  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  200.

§  7  Typisierte Zuordnung der Eingangsgerichte

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voir en cassation und der opposition können sich im Rahmen der sachgebundenen Sonderzuständigkeiten des Tribunal d’instance gemäß Artt. R221-23 ff. COJ (compétence en dernier ressort) und Artt. R221-37 ff. COJ (compétence à charge d’appel ou en dernier ressort selon le montant de la demande)359 sowie bezüglich unbezifferter Klageanträge ergeben (demandes indéterminées), Artt. L231-3 Abs.  2 a. F., R231-3 COJ.360 Gegen die Entscheidungen der Juridiction de proximité, deren sachliche Zuständigkeit in vermögensrechtlichen Streitigkeiten bei einem Streit­ wert von 4.000 EUR endet (Artt. L231-1, L231-3 Abs.  1 a. F. COJ), sind der pourvoi en cassation und die opposition statthaft; der appel ist grundsätzlich nicht gege­ ben.361 Gegen die Entscheidungen des Tribunal de commerce kommen aufgrund dessen rein sachlich begründeter Zuständigkeit sämtliche der genannten Rechts­ mittel in Betracht, Art. L721-1 ff. CCom i. V. m. Art. R721-6 CCom.362 Der taux de ressort begründet somit eine im Ansatz typisierte Zuordnung von Eingangsgerich­ ten und Rechtsmitteln, die ungeachtet der beschriebenen Ausnahmefälle gegen­ wärtig nur durch nachträgliche Veränderungen des Streitwertes durchbrochen wer­ den kann.363 II.  Die Berufung gegen Entscheidungen der deutschen Amts- und Landgerichte Im Unterschied hierzu lässt sich im deutschen Zivilverfahrensrecht keine typisierte Anknüpfung der Rechtsmittel an die erstinstanzlichen Entscheidungen der Amts- oder Landgericht ableiten. Dies ergibt sich einerseits aus dem zwingenden Nachei­ nander von Berufung und Revision; andererseits aufgrund der Systematik des Be­ schwerdewertes (Erwachsenheitsumme), dessen Höhe von gegenwärtig über 600 EUR (§  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO) sowohl im Verfahren vor dem Amtsgericht als auch im Verfahren vor dem Landgericht erreicht werden kann (vgl. §§  71 Abs.  1, 23 Nr.  1 GVG). In der Rechtspraxis war in den vergangenen Jahren die Anzahl der aufgrund des Wertes der Beschwer berufungsfähigen Urteile der Amtsgerichte höher als die ent­ sprechende Anzahl landgerichtlicher Entscheidungen.364 Allerdings belief sich die 359  Beispielsweise zählen hierzu Rechtsstreite auf dem Gebiet des Verbraucherkreditrechts (Art. R221-39 COJ); ausführlich hierzu Guinchard/Montagnier, Rn.  420 ff. 360  Hierzu Zwickel, S.  334 f. sowie unter §  12 I; zitierte Normen nach Cadiet CPC 2011. 361  Perrot Institutions, Rn.  168; zitierte Normen nach Cadiet CPC 2011. 362  Guinchard/Montagnier, Rn.  452 f. mit historischer Betrachtung der Entwicklung der Zu­ ständigkeit. 363  Hierzu etwa Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  188 f. 364  So waren im Jahr 2007, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des ZPO-Reformgesetzes, 170.840 streitige Urteile der Amtsgerichte aufgrund ihres Beschwerdewertes berufungsfähig; sie­ he Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 2.1.1, Posten 48. Unter den kontradiktorischen Urteilen der Landgerichte waren im selben Zeitraum 86.157 aufgrund ih­ res Beschwerdewertes der Berufung zugänglich; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 5.3, Posten 22. Weitere fünf Jahre später, im Jahr 2012, belief sich die Anzahl der aufgrund des Wertes des Beschwerdegegenstandes berufungsfähigen streitigen Urtei­ le der Amtsgerichte auf 159.977; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

Quote365 der aufgrund des Wertes der Beschwer berufungsfähigen Urteile im Jahr 2007, fünf Jahre nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes, vor den Amtsgerichten auf 53,45 % aller kontradiktorischen Urteile;366 vor den Landgerich­ ten betrug der entsprechende Anteil 91,06 %.367 Im Jahr 2012 belief sich die Quote vor den Amtsgerichten auf vergleichbare 53,51 %,368 vor den Landgerichten auf ebenfalls vergleichbare 90,89 %.369 Rechtsvergleichend ist dies bemerkenswert, verdeutlichen doch die exemplarisch gewählten Zahlen, dass sich in der Praxis des deutschen Zivilverfahrens der eingangsgerichtliche Zuständigkeitsstreitwert zu­ mindest mittelbar auf die reale Statthaftigkeit der Berufung auswirkt.370 Das Ergebnis könnte den Schluss nahelegen, dass es sich bei der als Korrektiv des Beschwerdewertes konzipierten Zulassungsberufung des §  511 Abs.  1 Nr.  2, Abs.  4 ZPO um ein Instrument handelt, das vorwiegend gegenüber den Entscheidungen der Amtsgerichte zur Anwendung gelangt.371 Auch dieser Eindruck lässt sich je­ doch nur auf der Grundlage absoluter Zahlen stützen und liegt insofern in der be­ deutend höheren Gesamtverfahrenszahl der Amtsgerichte begründet.372 Prozentual waren im Jahr 2007 lediglich 2,9 % aller streitigen Urteile der Amtsgerichte auf­ grund ausdrücklicher Zulassung berufungsfähig.373 Unter den kontradiktorischen Urteilen der Landgerichte waren im selben Zeitraum 7,78 % aufgrund ausdrückli­ (2012), Tabelle 2.1.1, Posten 51; unter den kontradiktorischen Urteilen der Landgerichte traf dies auf 83.176 Urteile zu; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabel­ le 5.3, Posten 24. 365  Die nachfolgenden prozentualen Angaben sind das gerundete Ergebnis eigener Berechnun­ gen auf der Grundlage der jeweils zitierten statistischen Daten. 366  Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 2.1.1, Posten 23 u. 48. 367  Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 5.1.1, Posten 31 u. Tabelle 5.3, Posten 22. 368  Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 2.1.1, Posten 25 u. 51. 369  Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 5.2, Posten 2 u. Tabelle 5.3, Posten 2. 370  Ausführlich und mit Beispiel zur formellen Beschwer des unterlegenen erstinstanzlichen Klägers und Rechtsmittelklägers Lüke, Rn.  387. 371  So im Ergebnis Zwickel, S.  335. 372  Im Jahr 2007 waren 9.263 von insgesamt 319.645 streitigen Urteilen der Amtsgerichte auf­ grund ausdrücklicher Zulassung berufungsfähig; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 2.1.1, Posten 23 u. 49. Von den 94.619 kontradiktorischen Urteilen der Landgerichte waren im selben Zeitraum 7.366 aufgrund ausdrücklicher Zulassung der Berufung fähig; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 5.1.1, Posten 31 u. Tabelle 5.3, Posten 23. Im Jahr 2012 belief sich die Anzahl der aufgrund ausdrücklicher Zu­ lassung berufungsfähigen Urteile der Amtsgerichte auf 8.095 bei insgesamt 298.981 streitigen Urteilen; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 2.1.1, Pos­ ten 25 u. 52. Von den 91.511 im selben Jahren ergangenen kontradiktorischen Urteilen der Landge­ richte traf dies auf 7.506 zu; siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 5.1.1, Posten 38 u. Tabelle 5.3, Posten 25. 373  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 2.1.1, Posten 23 u. 49.

§  7  Typisierte Zuordnung der Eingangsgerichte

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cher Zulassung der Berufung zugänglich.374 Im Jahr 2012 belief sich die Quote der kraft Zulassung berufungsfähigen Urteile der Amtsgerichte auf insgesamt 2,71 %,375 vor den Landgerichten auf 8,2 %.376 Entgegen der konzeptionellen Offen­ heit des §  511 Abs.  1 ZPO zeigt sich somit in der Rechtspraxis eine besondere Nähe der Berufung zur landgerichtlichen Erstinstanz. III.  Nationale Implementierung des Europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Die Regeln der Statthaftigkeit des deutschen und des französischen Rechtsmittel­ systems werden abschließend auf der Grundlage der Verordnung (EG) Nr.  861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen betrachtet.377 In grenzüber­ schreitenden Angelegenheiten (Art.  1 EuGFVO), deren Streitwert in der Haupt­ sache 2.000 EUR nicht übersteigt (Art.  2 Abs.  1 EuGFVO),378 bietet die Verordnung ein fakultatives, streitiges Erkenntnisverfahren, dessen Urteile keines Exequatur bedürfen, Art.  20 Abs.  1 EuGFVO.379 Für den Untersuchungsgegenstand dieser Ar­ beit ist das sog. Europäische Bagatellverfahren insoweit von Bedeutung, als die zu­ grunde liegende Verordnung allein die eingangsgerichtliche Verfahrensweise re­ gelt, den Nationalstaaten jedoch die Bestimmung der hierfür zuständigen Gerichte (Artt.  4, 25 Abs.  1 lit.  a EuGFVO) und des nachfolgenden Rechtsmittelverfahrens (Artt.  17, 25 Abs.  1 lit.  c EuGFVO) überlässt.380 Die EU-Mitgliedstaaten waren dementsprechend verpflichtet, die Kommission bis zum 1. Januar 2008 über die je­ weils zuständigen Eingangsgerichte und die statthaften Rechtsmittel und Rechts­ mittelgerichte zu unterrichten, Art.  25 Abs.  1 EuGFVO. Die hierauf seitens der Kommission veröffentlichten Mitteilungen (Art.  25 Abs.  2 EuGFVO)381 nennen in 374  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 5.1.1, Posten 31 u. Tabelle 5.3, Posten 23. 375  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 2.1.1, Posten 25 u. 52. 376  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 5.1.1, Posten 38 u. Tabelle 5.3, Posten 25. 377  Zu den geplanten Änderungen des Verfahrens siehe den Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr.  861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verordnung (EG) Nr.  1896/2006 des Europäi­ schen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, COM(2013) 794 final sowie hierzu Sujecki ZRP 2014, 84 (84 ff.). 378  Zum Anwendungsbereich der EuGFVO siehe Jahn NJW 2007, 2890 (2891 f.) sowie Beraudo/Beraudo, in: J.-Cl. Europe, Fasc. 2820 (2013), Rn.  9 ff. 379  Ausführlich unter Hervorhebung der integrativen Bedeutung der Verordnung Hess EuZPR, §  10, Rn.  88; aus französischer Perspektive siehe etwa Ferrand, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  339.11 f. u. 339.34. 380  Siehe Brokamp, S.  19 ff., 131 und Beraudo/Beraudo, in: J.-Cl. Europe, Fasc. 2820 (2013), Rn.  80 ff. u. 100. 381  Die Mitteilungen sind veröffentlicht im Europäischen Gerichtsatlas für Zivilsachen; ein ein­

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Zweiter Teil:  Die Entscheidungen der Eingangsgerichte

ihrer aktuellen Fassung für Deutschland das Amtsgericht als sachlich zuständiges Eingangsgericht und die Berufung zum Landgericht als statthaftes Rechtsmittel. In Frankreich sind das Tribunal d’instance und das Tribunal de commerce die zustän­ digen Eingangsgerichte; statthafte Rechtsmittel sind entsprechend den allgemeinen Regeln der pourvoi en cassation und die opposition. In ihrer ursprünglichen Fassung sah die deutsche Mitteilung noch das Oberlan­ desgericht als zuständiges Rechtsmittelgericht vor, was allerdings einer gesetzli­ chen Grundlage entbehrte.382 Auf französischer Seite wurde der Inhalt der Mittei­ lung mit Wirkung zum 1. Januar 2013 positivrechtlich fixiert, vgl. Art. L221-4-1 COJ und Art.  721-3-1 CCom.383 Eine gesetzliche Regel war angesichts der Abwei­ chung von der erstinstanzlichen Zuständigkeit der Juridiction de proximité erfor­ derlich.384 Zuvor stützte sich die französische Rechtspraxis auf ein Rundschreiben des Justizministeriums, welches sich am damaligen Gesetzesstand orientierte und im Widerspruch zu der an die Kommission gerichteten Mitteilung stand.385 Auch auf europäisch determinierter Ebene setzen sich somit die nationalen Rechtsmittelstrukturen Deutschlands und Frankreichs fort. Rechtsvergleichend ist darüber hinaus besonders hervorzuheben, dass Art.  7 Abs.  3 EuGFVO im Fall der (anfänglichen) Säumnis einer Partei stets eine Entscheidung nach Lage der Akten verlangt.386 Zugunsten der Berufung ist damit der Einspruch im Sinne des §  338 ZPO im Europäischen Bagatellverfahren ausgeschlossen.387 Es bestätigt sich auf diese Weise auch aus europäischer Perspektive die funktionelle Korrespondenz der deutschen Berufung mit der französischen Trias aus appel, opposition und pourvoi en cassation.

heitliches Dokument findet sich unter ˂http://ec.europa.eu/justice_home/judicialatlascivil/html/ pdf/vers_consolide_de_861.pdf˃ (letzter Zugriff am 15.12.2014). Zum Europäischen Justizatlas siehe auch die Hinweise bei Hess EuZPR, §  1, Rn.  32 ff. 382  Adolphsen, S.  255; Voit, in: Musielak ZPO, Vorbemerkung §§  1097 ff., Rn.  30. 383  Loi n°  2011-1862 du 13 décembre 2011 (JO du 14 décembre 2011, S.  21105 ff.). 384  Vgl. Brokamp, S.  140 und Beraudo/Beraudo, in: J.-Cl. Europe, Fasc. 2820 (2013), Rn.  81. 385  Circulaire du 26 mai 2009, Bulletin officiel du Ministère de la justice, n°  2009/4 du 30 août 2009. 386  Vgl. auch §  1103 S.  1 ZPO, dem ein weiterer Säumnisbegriff zugrunde liegt. 387  Zum Ganzen Adolphsen, S.  253 u. 255; zur besonderen Situation einer mündlichen Ver­ handlung gemäß Art.  7 Abs.  1 lit.  c EuGFVO siehe Brokamp, S.  132.

Dritter Teil

Theoretische und praktische Gegenüberstellung des appel und der Berufung Während der erste und der zweite Teil dieser Arbeit die Grundlagen und die Statt­ haftigkeit der Rechtsmittel des deutschen und des französischen Zivilverfahrens behandelt haben, werden nachfolgend der appel und die Berufung einander gegen­ übergestellt. Dies wird zunächst zur Frage nach den Hintergründen der Reform bei­ der Rechtsmittel führen (§  8). Hieran anknüpfend werden die Zulässigkeit und die Verfahrensweisen der Berufung und des appel miteinander verglichen (§  9). Eine kritische Analyse der materiellen Gewährleistungen beider Rechtsmittel wird den dritten Teil abschließen (§  10).

§  8  Zum Hintergrund der Reformen beider Rechtsmittel Mit dem Inkrafttreten des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 20091 am 1. Januar 2011 wurde das Verfahren des appel in einer Weise umgestaltet, die einen Teil der französischen Rechtslehre bereits im Vorfeld von einem „appel nouveau“ sprechen ließ.2 Die Prozessvertretung vor der Cour d’appel wurde im Anschluss durch die loi n°  2011-94 du 25 janvier 20113 novelliert.4 Die „neue Berufung“5 des deutschen Zi­ vilverfahrens trat bereits am 1. Januar 2002 als Bestandteil des Zivilprozessreform­ gesetzes vom 27. Juli 20016 in Kraft. Während sich der „appel nouveau“ unter nahe­ zu vollständiger Wahrung seines Verständnisses einer zweiten Tatsacheninstanz (sog. double degré de juridiction) auf die Neufassung überwiegend formeller Ver­ fahrensregeln beschränkt, verfolgte der deutsche Reformgesetzgeber mit der „neu­ en Berufung“ einen strukturellen Wandel der vormaligen zweiten Tatsacheninstanz zu einer Instanz der Fehlerkorrektur. Die Praxis der „neuen Berufung“ ist seither durch einen Konflikt über den Umfang jenes Strukturwandels geprägt, was eine viel zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 2005 verdeutlicht:

1 

JO du 11 décembre 2009, S.  21386 ff. Siehe nur Fricero Procédures 5/2010 (Étude), n°  3. 3  JO du 26 janvier 2011, S.  1544 ff. 4  Zum Zusammenhang beider Reformgesetze siehe Ferrand ZZPInt 2009, 43 (80 f.). 5  Vgl. Rauscher, S.  23 ff. 6  BGBl. 2001 I, S.  1887 ff. 2 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

„Denn die Aufgabe der Berufungsinstanz als zweite – wenn auch eingeschränkte – Tatsa­ cheninstanz besteht auch nach der Reform des Zivilprozesses in der Gewinnung einer ‚feh­ lerfreien und überzeugenden‘ und damit ‚richtigen‘, das heißt der materiellen Gerechtigkeit entsprechenden Entscheidung des Einzelfalls.“7

I.  Grundlagen und Ziele der Reformen von Berufung (2002) und appel (2005–2013) Die Ausgangslage des „appel nouveau“ beschrieb Cadiet bereits in den späten 1990er Jahren wie folgt: „[…] tout le régime de l’appel est à cette époque le reflet d’un équilibre entre, d’une part, la protection de cette voie de recours comme droit de la défense et, d’autre part, la limitation de son étendue comme contraire à l’efficacité du service public de la justice.“8

Das Zitat fand Einzug in den Bericht Célérité et qualité de la justice devant la Cour d’appel vom 24. Mai 2008 (sog. Rapport Magendie II), welcher die Grundlage des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 bildet. Im Auftrag der damaligen franzö­ sischen Justizministerin Dati erarbeitete eine aus Vertretern der Rechtswissen­ schaft und der Rechtspraxis bestehende Gruppe unter der Leitung von Jean-Claude Magendie seit Dezember 2007 ein Konzept zur Beschleunigung des Verfahrens vor der Cour d’appel.9 Das Resultat, der Rapport Magendie II, folgt dem vorangegange­ nen Bericht Célérité et qualité de la justice – La gestion du temps dans le procès vom 15. Juni 2004 (sog. Rapport Magendie I), der sich mit der Steigerung der Effek­ tivität des eingangsgerichtlichen Verfahrens befasste und vom französischen Ge­ setzgeber durch das décret n°  2005-1678 du 28 décembre 200510 umgesetzt wurde.11 Strukturell sind die Berichte Magendie I und Magendie II durch den Gedanken verbunden, dass ein sachlich umfassendes und qualitativ hochwertiges eingangsge­ richtliches Verfahren späteren Rechtsmitteln vorbeugen könne; umso mehr, wenn die statthaften Rechtsmittel kein zusätzliches Verzögerungspotenzial zugunsten der unterlegenen Partei böten.12 Aufgrund ihrer gegenseitigen Bezugnahme unterscheiden sich die Berichte Magendie I & II von vorangegangenen Reformen des französischen Verfahrensrechts, die sich meist nur auf einzelne Verfahrensabschnitte beschränkten.13 Zugleich erin­ nert die konstruktive Verbindung der Berichte an das Konzept des deutschen Zivil­ 7 

BGH NJW 2005, 1583 (1584); hierzu etwa Ball, in: Musielak ZPO, §  529, Rn.  1. Zitiert nach Rapport Magendie II, S.  22 – „Das gesamte Rechtsgebiet des appel ist gegenwär­ tig der Widerschein eines Gleichgewichts zwischen der Bewahrung jenes Rechtsmittels als Instru­ ment der Verteidigung und der Beschränkung seines Umfanges, der bisweilen im Widerspruch zur Effektivität der Justiz steht“ (Übers. d. Verf.). 9  Rapport Magendie II, S.  4 u. 8 f. 10  JO du 29 décembre 2005, S.  20350 ff. 11  Vgl. Rapport Magendie I, S.  11 ff. 12  Zum Ganzen siehe Rapport Magendie II, S.  12. 13  Hierzu Ferrand ZZPInt 2009, 43 (46 f.) m. w. N. 8 

§  8  Zum Hintergrund der Reformen beider Rechtsmittel

83

prozessreformgesetzes. Hiernach sollte die Aufwertung der ersten Instanz nicht nur die Anzahl der Berufungen senken, sondern zugleich als Legitimation ihrer Umge­ staltung dienen.14 II.  Vergleichbare Gründe der Reformbedürftigkeit beider Rechtsmittel Als Ursache des reformbedürftigen Zustandes beider Rechtsmittel findet sich so­ wohl im Rapport Magendie II als auch in der Begründung des Regierungsentwurfs des Zivilprozessreformgesetzes der Hinweis auf den großen Umfang des Verfah­ rensgegenstandes zweiter Instanz.15 Während die Berufung nach altem Recht ge­ mäß §  525 ZPO a. F.16 den „Rechtsstreit […] von neuem“ zur Verhandlung stellte,17 führt der appel auch nach seiner Reform zu einer neuerlichen Verhandlung der „chose jugée“, Artt.  561 f. CPC.18 Die Parteien können auf französischer Seite seit jeher uneingeschränkt neue Tat­ sachen im Wege des appel vortragen (Art.  563 CPC); neue Ansprüche können unter den zusätzlichen Voraussetzungen der Artt.  564 ff. CPC erhoben werden.19 Auf deutscher Seite war der Vortrag neuer Tatsachen im Rahmen der Berufung vor der Reform im Grundsatz möglich und nur durch die Fortgeltung der erstinstanzlichen Präklusion beschränkt, §  528 ZPO a. F.20 Für die Klageänderung und die Klage­ erweiterung (§§  523, 263 f. ZPO a. F.) sowie für die Widerklage und die Aufrech­ nung (§  530 ZPO a. F.) galten keine dem geltenden Recht vergleichbaren Beschrän­ kungen, vgl. §  533 Nr.  2 ZPO.21 Die rechtstatsächlichen Folgen des Zusammentreffens einer als schwach empfun­ denen ersten Instanz und einer umfassenden zweiten Instanz wurden in beiden Län­ dern in vergleichbarer Weise beschrieben: Während dem eingangsgerichtlichen Verfahren der deutschen Zivilprozessordnung der Ruf einer bloßen „Durchgangs­ station“22 anhaftete,23 findet sich im Rapport Magendie II die korrespondierende 14  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  58. 15  Zum französischen Recht siehe den Rapport Magendie II, S.  21; zum deutschen Recht siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  64. 16  Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 17  Hierzu Däubler-Gmelin ZRP 2000, 33 (34). 18  Siehe Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1253 f. sowie von deutscher Seite Hess EuZPR, §  13, Rn.  12 (Fn.  66). 19  Siehe unten §  10 III 1. 20  Siehe Baumann, S.  35 f. und Roth JZ 1996, 805 (810) jeweils mit Hinweisen auf die großzü­ gige Auslegung des §  528 ZPO a. F. durch die Berufungsgerichte; zitierte Norm nach Reuschle ZPO 2002. 21  Baumann, S.  172 f.; Lange, S.  109; zitierte Normen nach Reuschle ZPO 2002. 22  Däubler-Gmelin ZRP 2000, 33 (34); rückblickend ferner Baumann, S.  47. 23  Tatsächlich findet sich der Vorwurf der „Versuchsstation“ bereits in den Beratungen der his­ torischen Civilprozeßordnung; siehe hierzu den Nachweis bei Rimmelspacher, in: Triberger Sym­ posium, S.  47 (54, Fn.  53).

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Bezeichnung eines „galop d’essai“.24 Das Verfahren vor den deutschen Berufungs­ gerichten habe den Eindruck erweckt, dass der Prozess „noch einmal von vorne los“ gehe,25 während das Verfahren vor der Cour d’appel als „zweite erste Instanz“ („seconde première instance“26) bezeichnet wurde. Insbesondere die durchschnitt­ liche Dauer der Rechtsmittelverfahren und die damit verbundene Gesamtverfahrens­ dauer sowie die durchschnittliche Erfolgsquote des Rechtsmittelverfahrens bewerte­ ten sowohl der Rapport Magendie II als auch der Regierungsentwurf des Zivilpro­ zessreformgesetzes als unbefriedigend.27 III.  Unterschiedliche Lösungswege zur Erreichung desselben Ziels? Um die konstatierten Mängel zu beheben, setzte das deutsche Zivilprozessreform­ gesetz auf die Wandlung der Berufung von einer zweiten Tatsacheninstanz zu einer Fehlerkorrekturinstanz.28 Insbesondere die Einführung von Berufungsgründen (§  513 Abs.  1 ZPO) und die Beschränkung des Vortrages neuer Tatsachen (§§  529 ff. ZPO) sollten den Prüfungsumfang des Berufungsgerichts nachhaltig beschrän­ ken.29 Der zeitlich spätere Rapport Magendie II bezeichnete diesen Plan des deut­ schen Reformgebers ausdrücklich als Fehlschlag („échec“) und empfahl statt­dessen, den appel in der Tradition des double degré de juridiction als zweite Tatsachen­ instanz unter Straffung allein der formellen Verfahrensregeln beizubehalten.30 Ar­ gumentativ stützte sich der Rapport Magendie II rechtsvergleichend auf die fehlen­ de Akzeptanz der Reformen seitens der deutschen Rechtspraxis.31 Im Übrigen sei die bisherige Ausgestaltung des appel als zweite Tatsacheninstanz prozessökonomi­ scher, da sie Folgeprozessen vorbeuge.32 Tatsächlich ringt die deutsche Rechts­praxis auch über zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes mit der angestrebten Umgestaltung der zivilprozessualen Berufung von einer zweiten Tatsacheninstanz zu einer Fehlerkorrekturinstanz.33 Im Zentrum der Kontroverse 24 

Rapport Magendie II, S.  22. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  59. 26  Rapport Magendie II, S.  22. 27  Siehe hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozess­ reformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  60 sowie den Rapport Magendie II, S.  15 f.; dieser bezieht sich auf den unter der Leitung von J.-M. Coulon verfassten Bericht Réflexions et propositions sur la procédure civile aus dem Jahr 1997 (sog. Rapport Coulon), S.  11. 28  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  58. 29  Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer Seitz ZPO 2002, §  513, Rn.  1 f. u. §  529, Rn.  1 f. 30  Rapport Magendie II, S.  29 ff., 39 ff. u. 46. Siehe auch Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  449 sowie Fricero Procédures 5/2010 (Étude), n°  3 und Strickler Droit et procédures 2011 (La revue des idées), 166 (166) – „une plus forte formalisation de la procédure“. 31  Rapport Magendie II, S.  46. 32  Siehe Rapport Magendie II, S.  22 u. 40. Ausführlich zur Ausgestaltung des appel als voie d’achèvement in Ergänzung des double degré de juridiction unter §  10 III 1. 33  Hess, in: van Compernolle/Saletti, S.  105 (115 f.) m. w. N. 25 

§  8  Zum Hintergrund der Reformen beider Rechtsmittel

85

stehen insbesondere die Interpretation der Vorschriften über die Zulässigkeit neuen Tatsachenvortrages (§§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO)34 sowie die prozessökono­ mischen Folgen der geänderten Vorschriften über die Klageänderung, die Klage­ erweiterung, die Aufrechnung und die Widerklage, §  533 ZPO.35 In Anbetracht dessen folgte das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 den Reformvorschlägen des Rapport Magendie II und führte zu einer Straffung allein der Verfahrens- und Formregeln des appel. In seinem Wesen blieb der double degré de juridiction unangetastet.36 Allein Verstöße gegen die sachlich unveränderten Zu­ lassungsvoraussetzungen neuer Ansprüche sind nach neuem Recht von Amts wegen zu berücksichtigen, Art.  564 CPC.37 Die unterschiedliche Konzeption der Berufung und des appel wird neben den noch zu erörternden Fragen des Novenrechts auch am Beispiel der zwischenzeitlich erneut reformierten38 Beschlusszurückweisung des §  522 Abs.  2 u. 3 ZPO deutlich: Nur eine Fehlerkontrollinstanz erlaubt eine derartige materielle Evidenzkontrolle, für eine als vollwertig empfundene Tatsacheninstanz verbietet sie sich.39 Im franzö­ sischen Recht findet sich daher keine vergleichbare Regel.40 Zwar erlaubt das fran­ zösische Recht, missbräuchliche Rechtsmittel durch ein prozessuales Bußgeld (amende civile) gemäß Art.  559 CPC zu sanktionieren,41 allein die Aussichtslosig­ keit eines appel erfüllt jedoch selbst im Fall der Evidenz nicht die Voraussetzungen eines sog. appel abusif oder appel dilatoire.42

34 

Hierzu Doukoff, Rn.  150 ff. Hierzu Lange, S.  109 und Ball, in: Musielak ZPO, §  533, Rn.  2. 36  Zusammenfassend etwa Ferrand ZZPInt 2009, 43 (48). 37  Hierzu Gallet, Rn.  223. Bislang wurde eine derartige Kompetenz der Cour d’appel mangels gesetzlicher Grundlage verneint; siehe Cass. 3e civ., 22 février 1989, Bull. civ. III 1989, n°  40. Kommt die Cour d’appel ihrem gesetzlichen Auftrag allerdings nicht nach, ist hiergegen kein pourvoi en cassation gegeben; so Cass. 2e civ., 10 janvier 2013, Procédures 3/2013 (Commentaires), n°  62. 38  Gesetz zur Änderung des §  522 der Zivilprozessordnung vom 21. Oktober 2011, BGBl. 2011 I, S.  2082 ff.; hierzu sowie zu weiteren Änderungsvorschlägen Weller ZZP 124 (2011), 343 (345 ff.) m. w. N. 39  Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformge­ setzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  96 f. sowie nachfolgend die Begründung des Regierungsentwurfs des zitierten Änderungsgesetzes, BT-Drucks. 17/5334, S.  6. Insofern konsequent ist auch der An­ satz von Gehrlein NJW 2014, 3393 (3393 ff.), welcher die Abschaffung des §  522 Abs.  2 ZPO mit dem Argument fordert, die Auslegung des reformierten Berufungsrechts habe weitgehend zur Beibehaltung des früheren Rechtszustandes geführt. 40  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  975. 41  Der Maximalbetrag der amende wurde durch Art.  77 décret n°  2005-1678 du 28 décembre 2005 (JO du 29 décembre 2005, S.  20350 ff.) von 1.500 EUR auf 3.000 EUR erhöht. 42  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  665. 35 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

§  9  Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung Entsprechend den Regelungsgegenständen des décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 und der loi n°  2011-94 du 25 janvier 2011 werden nachfolgend die Zulässig­ keitsvoraussetzungen und der Verfahrensablauf des reformierten appel in verglei­ chender Perspektive zur Berufung dargestellt. I.  Die Anrufung der Cour d’appel im Rahmen der procédure avec représentation obligatoire Die Änderungen beider Rechtsakte beziehen sich auf das Verfahren des appel mit verbindlicher Prozessvertretung (procédure avec représentation obligatoire), das in allgemeinen Zivil- und Handelssachen zur Anwendung gelangt.43 Die procédure avec représentation obligatoire ist ihrerseits in die procédure ordinaire (Artt.  901 ff. CPC), die procédure à jour fixe (Artt.  917 ff. CPC) und die procédure par requête conjointe (Artt.  926 ff. CPC) unterteilt. Es handelt sich hierbei um unterschiedliche Formen der Verfahrenseinleitung, deren jeweilige Statthaftigkeit sich nach der Dringlichkeit des appel bestimmt. Dessen ungeachtet beträgt die Frist des appel in allen Fällen einen Monat ab der Zustellung des anzufechtenden jugement (sog. notifi­ cation), Artt.  528 Abs.  1, 538 CPC i. V. m. Artt.  675 ff. CPC. Als negative Zulässig­ keitsvoraussetzung ( fin de non-recevoir) ist die Einhaltung der Rechtsmittelfrist von Amts wegen zu berücksichtigen, Art.  123 CPC.44 1.  Die procédure ordinaire Im Rahmen der procédure ordinaire erfolgt die Einlegung des appel durch einseiti­ ge déclaration d’appel, Art.  901 Abs.  3 S.  3 CPC. Die déclaration d’appel muss den Rechtsmittelkläger (appelant) und seinen Prozessbevollmächtigten sowie den Rechtsmittelbeklagten (intimé) und die anzufechtende Entscheidung nennen und die zuständige Cour d’appel bezeichnen. Beizufügen ist eine Kopie des anzufechtenden jugement, Artt.  901 Abs.  1, 58 CPC.45 Die Unterschrift des Prozessbevollmächtigten (Art.  901 Abs.  3 CPC) ist infolge der Einführung des elektronischen Verfahrens ge­ mäß Art.  930-1 CPC46 als Wirksamkeitsvoraussetzung faktisch entfallen.47 43  Zur Unterscheidung der procédure avec représentation obligatoire und der procédure sans représentation obligatoire siehe oben §  4 II . 44  Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 715 (2014), Rn.  94. 45  Eine déclaration d’appel, die gegen die genannten Formalien verstößt, ist gemäß Artt.  901 Abs.  1, 58 Abs.  2 CPC unwirksam. Ausführlich zu den formellen Anforderungen der déclaration d’appel siehe Gallet, Rn.  166 f. 46  Hierzu Art.  5 décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 sowie Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1950 und Gallet, Rn.  166. 47  Vgl. den insoweit klarstellenden Art.  1 décret n°  2010-434 du 29 avril 2010 (JO du 2 mai 2010, S.  7954). Ausführlich zum elektronischen Verfahren unter §  9 II 1.

§  9  Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung

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Der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle (greffier) übersendet dem Rechtsmittel­ beklagten eine Ausführung der déclaration d’appel verbunden mit der Aufforde­ rung, binnen eines Monats einen Prozessbevollmächtigten zu bestellen, Art.  902 Abs.  1 CPC. Lässt der Rechtsmittelbeklagte die Frist untätig verstreichen, obliegt es dem Rechtsmittelkläger nach Information durch den Urkundsbeamten der Ge­ schäftsstelle, binnen eines Monats eine erneute und auf 15 Tage verkürzte Auffor­ derung förmlich zuzustellen, Art.  902 Abs.  2 CPC. Lässt der intimé auch die zweite Aufforderung untätig verstreichen, kann der appelant eine Versäumnisentschei­ dung – ohne Möglichkeit der opposition – beantragen, Art.  902 Abs.  4 CPC.48 Ver­ säumt hingegen der appelant die Frist der erneuten Ladung, verfällt die déclaration d’appel (sog. caducité).49 Der appelant muss in diesem Fall eine neue déclaration d’appel formulieren, ohne dass das Gesetz einen Aufschub der Rechtsmittelfrist vorsieht. Sowohl bei der einmonatigen Frist zum Nachteil des appelant als auch bei der Rechtsfolge der caducité für den Fall ihres Verstreichens handelt es sich um Neuerungen des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009, die zu einer Beschleuni­ gung des Verfahrens führen sollen.50 Bestimmt der Rechtsmittelbeklagte rechtzeitig einen Prozessbevollmächtigten, hat dieser nicht dem Gericht, sondern der Gegenseite die Vertretung anzuzeigen; der Prozessbevollmächtigte des appelant setzt sodann die Geschäftsstelle der Cour d’appel in Kenntnis, Art.  903 CPC. Im Anschluss bestimmt der premier président der Cour d’appel die zuständige Kammer, welche den Parteien wiederum von der Geschäftsstelle mitgeteilt wird, Art.  904 CPC.51 Das weitere Verfahren legt der Vor­ sitzende der zuständigen Kammer (président de la chambre) fest. 48  Hierauf ist der Rechtsmittelbeklagte durch das Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Rechtsmittelführers hinzuweisen, Art.  902 Abs.  4 CPC; siehe Gerbay/Gerbay Procédures 6/2013 (Étude), n°  7, welche mit Verweis auf den für das erstinstanzliche Verfahren geltenden Art.  56 CPC insbesondere das Fehlen einer Rechtsmittelbegründung im Verfahrensstadium des Art.  902 CPC kritisieren. 49  Die geltende Fassung des Art.  902 Abs.  2 CPC beruht auf einer nachträglichen Korrektur durch das décret n°  2010-1647 du 28 décembre 2010 (JO du 29 décembre 2010, S.  22919 ff.). In der vorangegangenen Fassung des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 bestimmte Art.  902 Abs.  2 CPC noch die caducité des appel, was dogmatisch jedoch unzutreffend war, da sich die caducité stets auf eine konkrete Prozesshandlung bezieht; hierzu Callé, in: Rép. pr. civ., Caducité (2010), Rn.  6 ff. 50  Die vorangegangene Regel des Art.  908 CPC a. F. (zitiert nach Cadiet CPC 2011) statuierte keine Frist zum Nachteil des appelant; siehe hierzu Gallet, Rn.  173 sowie Narran Gaz. Pal. 2009 (Doctrine), 3666 (3666) zu den praktischen Folgen der Neuregelung. 51  Ein zusätzlicher Antrag auf Aufnahme des Verfahrens in den gerichtlichen Verhandlungska­ lender ist seit dem Inkrafttreten der Artt.  21 f. décret n°  2004-836 du 20 août 2004 (JO du 22 août 2004, S.  15032 ff.) nicht mehr erforderlich. Nach dem vormaligen System der demande d’inscription au rôle führte erst jener Antrag zur Rechtshängigkeit des appel, was dem Rechtsmittelführer die Möglichkeit eines zunächst rein formellen Rechtsmittels (appel conservatoire) eröffnete; hier­ zu Travier/Watremet/Laffly, in: Rép. pr. civ., Procédure devant la cour d’appel (2013), Rn.56. Im Übrigen führte die demande d’inscription au rôle regelmäßig zu Verzögerungen des Verfahrens, weshalb der Prozessbevollmächtigte des appelant den Antrag meist gleichzeitig mit der déclara­ tion d’appel einreichte; siehe Julien/Fricero D. 2005 (Panorama), 332 (337) sowie kritisch Croze/

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Betrachtet der président de la chambre den appel bereits als entscheidungsreif oder eine Entscheidung für dringend geboten (caractère d’urgence), kann er eigen­ ständig oder auf Antrag einer Partei das Verfahren unmittelbar dem Spruchkörper zur Entscheidung übertragen (sog. procédure de renvoi à l’audience à bref délai), Art.  905 CPC. Gleiches gilt gemäß Art.  905 CPC für den appel gegen Entscheidun­ gen des einstweiligen Rechtsschutzes (ordonnance de référé und ordonnance sur requête) sowie für den appel gegen eine ordonnance des juge de la mise en état in den Fällen des Art.  776 Abs.  1 Nr.  1 bis 4 CPC.52 Das Verfahren vor dem Spruchkör­ per entspricht in den genannten Fällen dem circuit court oder circuit moyen des Verfahrens vor dem Tribunal de grande instance, Art.  905 i. V. m. Artt.  760 bis 762 CPC.53 Sind die Voraussetzungen der Entscheidungsreife oder Dringlichkeit nicht gege­ ben, beauftragt der président de la chambre einen Richter der Kammer als con­ seiller de la mise en état mit der umfassenden tatsächlichen und rechtlichen Auf­ bereitung des Verfahrens, Art.  907 CPC. Das hierauf folgende Instruktionsverfahren ist normativ dem Verfahren vor dem juge de la mise en état (Tribunal de grande instance) nachempfunden, Art.  907 CPC i. V. m. Artt.  763 bis 787 CPC.54 2.  Die procédure à jour fixe Als beschleunigtes Verfahren tritt die procédure à jour fixe neben die procédure ordinaire in deren Ausprägung als procédure de renvoi à l’audience à bref délai. Der Unterschied beider Verfahren besteht in ihrer Einleitung.55 Im Rahmen der procédure à jour fixe wendet sich der Rechtsmittelführer bis spätestens acht Tage nach dem Eingang der déclaration d’appel an den premier président der Cour d’appel, Artt.  917 Abs.  1, 919 Abs.  3 CPC. Im Wege eines seinerseits beschleunigten An­ tragsverfahrens (sog. procédure sur requête, Artt.  493 ff. CPC) ersucht der Rechts­ mittelführer den premier président darum, einen zeitnahen Verhandlungstermin vor der zuständigen Kammer zu bestimmen, Art.  917 Abs.  1 CPC.56 Voraussetzung einer stattgebenden ordonnance des premier président ist, dass der Rechtsmittel­ führer eine Gefährdung seiner Rechte darlegen kann, Artt.  917 Abs.  1, 918 CPC. Der Tatbestand der Rechtsgefährdung (péril) übersteigt in seinen Anforderungen Nourissat JCP éd. G 2004 (Actualité), 1617 (1618). Entsprechend dieser Praxis wird die demande d’inscription au rôle nach geltendem Recht bereits durch die déclaration d’appel fingiert, Art.  901 Abs.  3 S.  3 CPC. 52  Siehe Travier/Watremet, in: Rép. pr. civ., Procédure devant la Cour d’appel (2011), Rn.  169 ff. noch zum vormaligen Art.  910 Abs.  2 CPC, der durch Art.  2 décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 (JO du 11 décembre 2009, S.  21386 ff.) in Art.  905 CPC übertragen worden ist. 53  Hierzu Brenner/Fricero, Rn.  108, 230, 233 u. 235. Zum circuit court und circuit moyen im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance siehe ferner oben §  5 II 2. 54  Zum Verfahren vor dem juge de la mise en état siehe oben §  5 II 2 und §  6 I 2 c. 55  Estoup, Rn.  485. 56  Gallet, Rn.  251; Travier/Watremet/Laffly, in: Rép. pr. civ., Procédure devant la cour d’appel (2013), Rn.  195 ff.

§  9  Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung

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den oben genannten Tatbestand der Dringlichkeit (caractère d’urgence),57 obliegt jedoch gleichermaßen der Beurteilung des premier président. Die Rechtspraxis ist insofern von einer umfassenden Kasuistik geprägt.58 Neben den Fällen der Rechts­ gefährdung ist die procédure à jour fixe gesetzlich für die Fälle des appel soumis à autorisation gegen die décision ordonnant l’expertise (Art.  272 Abs.  3 CPC) und die décision de sursis (Art.  380 Abs.  3 CPC) vorgesehen.59 Der Tatbestand der Rechtsgefährdung wird insoweit durch die autorisation des premier président er­ setzt.60 Die Erklärung über die Rechtsgefährdung ist durch eine Ausfertigung der anzufechtenden Entscheidung und eine Begründung des appel zu ergänzen, Art.  918 CPC.61 Nachträgliche Ergänzungen dieser sog. conclusions au fond sind allein als Replik auf den Vortrag des Verfahrensgegners zulässig.62 Bewilligt der premier président den Antrag durch entsprechende ordonnance, hat der Rechtsmittelkläger den Rechtsmittelbeklagten zum festgelegten Termin verbunden mit der Aufforde­ rung zu laden, einen Prozessbevollmächtigten zu mandatieren, Artt.  920 f. CPC. Der Ladung sind Kopien des Antrages auf Durchführung der procédure à jour fixe sowie der stattgebenden ordonnance des premier président beizufügen.63 Ferner hat der Rechtsmittelführer spätestens nach Erlass der stattgebenden ordonnance des premier président eine förmliche déclaration d’appel zu verfassen und ebenfalls dem Rechtsmittelbeklagten zuzustellen, Art.  920 Abs.  2 CPC.64 Der Geschäftsstelle übersendet der Rechtsmittelkläger eine Kopie der Ladung; erst diese führt zur Rechtshängigkeit des appel, Art.  922 Abs.  1 CPC. Im Termin prüft der président de la chambre, ob der Rechtsmittelbeklagte wirk­ sam vertreten ist und ob es ihm möglich war, den appel trotz des beschleunigten 57 

Junillon RGP 1998, 577 (578); Brenner/Fricero, Rn.  239. So hat die Cour d’appel de Rennes eine Rechtsgefährdung in dem Fall angenommen, dass sich aus der eingangsgerichtlichen Entscheidung ein Berufsverbot zum Nachteil des Rechtsmittelfüh­ rers ergibt; siehe CA Rennes, 28 juin 1982, premier président, Gaz. Pal. 1982 (Jurisprudence), 560 (560). Abgelehnt hat die Cour d’appel de Rennes hingegen das Vorliegen einer Rechtsgefährdung in dem Fall, dass die Streitbefangenheit einer Immobilie deren Veräußerung faktisch erschwert; siehe CA Rennes, 28 janvier 1975, premier président, Gaz. Pal. 1975 (Jurisprudence), 193 (193). Für weitere Beispiele siehe Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 720 (2013), Rn.  69 f. mit Hinweisen auf den eingeschränkten Rechtsschutz gegen die Entscheidung des premier président unter Rn.  75. 59  Hierzu oben §  6 I 2 c. 60  Vgl. Cass. 2e civ., 19 novembre 2008, Bull. civ. II 2008, n°  252. 61  Verstöße gegen die Vorgaben des Art.  918 CPC führen zur Unzulässigkeit des appel; siehe Brenner/Fricero, Rn.  252 ff. m. w. N.; instruktiv zu Art.  918 CPC Pellerin, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  544.196 f. 62  Cass. 2e civ., 26 novembre 1990, Bull. civ. II 1990, n°  248; Junillon RGP 1998, 577 (583). 63  Ausführlich zu den formellen Anforderungen der Ladung Gallet, Rn.  252. Die Rechtspraxis begreift Art.  920 CPC im Unterschied zu Art.  918 CPC als reine Formvorschrift, sodass etwaige Verstöße nur dann zur Nichtigkeit der assignation führen, wenn dem Rechtsmittelbeklagten ein nachweisbarer Nachteil entstanden ist; siehe CA Basse-Terre, 22 mars 2010, n°  10/00032 (Lamyline). 64  Die déclaration d’appel darf im Fall ihrer nachträglichen Verfassung den Inhalt der stattge­ benden ordonnance weder quantitativ noch qualitativ übersteigen (Art.  919 Abs.  1 CPC); hierzu Pellerin, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  544.196. 58 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Verfahrens umfassend zu erwidern, Art.  923 Abs.  1 CPC. Liegen die Voraussetzun­ gen vor, kann der président de la chambre bei hinreichend geklärtem Sachverhalt in die Verhandlungs- und Entscheidungsphase übergehen, Art.  923 Abs.  2 CPC.65 Die alternative Durchführung eines Instruktionsverfahrens vor dem conseiller de la mise en état bestimmt sich nach Art.  925 CPC. Hat der Rechtsmittelbeklagte ent­ gegen der Aufforderung im Rahmen der Ladung keinen Prozessbevollmächtigten bestellt, entscheidet die Cour d’appel unmittelbar auf der Grundlage des eingangs­ gerichtlichen Verfahrensstoffs, Art.  923 Abs.  3 CPC. Auch hierauf ist der Rechts­ mittelbeklagte vom Rechtsmittelkläger im Rahmen der Ladung hinzuweisen, Art.  920 Abs.  3 CPC. 3.  Der appel par requête conjointe Ebenfalls um eine beschleunigte Form der Verfahrenseinleitung handelt es sich bei dem appel par requête conjointe, welcher den Parteien gestattet, die Cour d’appel durch gemeinsamen Antrag (requête conjointe) anzurufen, Art.  926 CPC.66 Im Un­ terschied zum Anschlussrechtsmittel des appel incident setzt der appel par requête conjointe voraus, dass sich die Parteien hinsichtlich der Anfechtung des jugement einig sind, weshalb jene Einleitungsform in der Rechtspraxis äußerst selten vor­ kommt.67 Der appel wird unmittelbar mit dem Eingang der requête conjointe bei der Geschäftsstelle rechtshängig, Art.  928 CPC. Im Rahmen der requête conjointe sind die Parteien und die zuständige Cour d’appel zu benennen sowie die relevanten Beweismittel anzugeben, Artt.  927, 57 CPC. Weiterhin sind der requête conjointe eine beglaubigte Abschrift des angefochtenen Urteils sowie Nachweise über die bei­ derseitige Prozessvertretung beizufügen, Art.  927 CPC.68 Der premier président bestimmt sodann den Termin vor der zuständigen Kammer, Art.  929 CPC. Das wei­ tere Verfahren entspricht der procédure ordinaire in ihrer Ausprägung als procé­ dure de renvoi à l’audience à bref délai, Artt.  930, 905 f. CPC. II.  Übergreifende Neuerungen des Verfahrens vor der Cour d’appel Neben den Neuerungen der Verfahrenseinleitung im Rahmen der procédure ordinaire betreffen die Reformen des décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 und der loi n°  2011-94 du 25 janvier 2011 übergreifend die formellen Anforderungen an die Schriftsätze und ihre Übermittlung, das Verfahren vor dem conseiller de la mise en état und schließlich die Prozessvertretung vor der Cour d’appel. Bis zum Inkrafttre­ ten der loi n°  2011-94 du 25 janvier 2011 am 1. Januar 2012 war das Amt des Pro­ 65 

Siehe hierzu Gallet, Rn.  253 f. Der Vorteil der requête conjointe besteht in der Zeitersparnis aufgrund der entfallenden ge­ genseitigen Ladung; vgl. Brenner/Fricero, Rn.  266. 67  Siehe die Nachweise bei Gallet, Rn.  171. 68  Ausführlich zu den formellen Anforderungen Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 720 (2013), Rn.  98 ff. 66 

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zessbevollmächtigten im Verfahren vor der Cour d’appel verbeamteten avoués vor­ behalten.69 Die hierauf folgende Fusion des Berufsstandes der avoués mit dem Be­ rufsstand der freiberuflich organisierten avocats wurde von starken rechtspolitischen Protesten begleitet.70 Aus der Perspektive des französischen Gesetzgebers rechtfer­ tigte sich die Aufhebung des gesonderten Berufsstandes der avoués mit der Novel­ lierung der Verfahrensweise vor der Cour d’appel und insbesondere mit der Aus­ weitung des elektronischen Rechtsverkehrs. Die nachfolgende Darstellung versucht den Zusammenhang der einzelnen Reformkomplexe aufzuzeigen. 1.  Elektronische Form der Schriftsätze und strengere Vorgaben ihrer Fassung Die Kommunikation zwischen der Cour d’appel und den prozessbevollmächtigten avocats erfolgt gemäß Art.  930-1 CPC auf elektronischem Wege.71 Bereits vor der Liberalisierung der Prozessvertretung durch die loi n°  2011-94 du 25 janvier 2011 hatte sich die elektronische Kommunikation in der gerichtlichen Praxis einiger Cours d’appel etablieren können.72 Die Vorschrift des Art.  930-1 CPC dient vor diesem Hintergrund dem Zweck, die vormals unter den avoués bestandene Praxis auch für den Zeitraum nach ihrem Zusammenschluss mit dem Berufsstand der avocats zu erhalten und weiter auszubauen.73 Aufgrund der politisch bedingten Verzögerung der ursprünglich für den 1. Januar 2011 geplanten Fusion beider Be­ rufsgruppen konnte die Vorschrift nicht wie geplant in Kraft treten.74 Ein arrêté vom 23. Dezember 201075 legte stattdessen die Fortgeltung der bisherigen individu­ ellen Praxis fest. Erst ein arrêté vom 30. März 201176 regelte die im Rahmen der elektronischen Kommunikation zu verwendenden Dateitypen und ermöglichte die Nutzung spezieller Schnittstellen namens e-barreau und ComCI zur Verbindung der gesicherten anwaltlichen77 und gerichtlichen78 Netzwerke.79 Ein Rückgriff auf 69 

Siehe hierzu den historischen Überblick unter §  9 II 3. In den vergangenen Jahren waren vor den Cours d’appel durchschnittlich 430 avoués zuge­ lassen; siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2009/10, Tabelle S.  305, Posten 1. Bereits am 24. September 2009 kam es in Paris vor dem Palais de justice zu einer Demonstration zahlreicher Angestellter der avoués gegen die geplante Reform; siehe Le Monde vom 25. September 2009 (Meldung AFP), S.  13. Siehe ferner auch die ausführliche Kritik bei Fanet Gaz. Pal. 2007 (Doctrine), 3039 (3039 ff.). 71  Schriftsätze, die nicht der elektronischen Form entsprechen, sind gemäß Art.  930-1 Abs.  1 CPC von Amts wegen als unzulässig zu betrachten; siehe auch Gerbay/Gerbay, Rn.  524 – „fin de non-recevoir“. 72  Ferrand ZZPInt 2009, 43 (76, Fn.  130). 73  Siehe hierzu die Gesetzesmaterialien der Assemblée nationale, projet de loi n°  1709 du 3 juin 2009, S.  6, selbständig veröffentlicht im Journal officiel. Assemblée nationale. Documents parlementaires 2009. 74  Fricero JCP éd. G 2011 (Aperçus rapides), 80 (81 f.). 75  JO du 29 décembre 2010, S.  22920 ff. 76  JO du 31 mars 2011, S.  5600 ff. 77  Réseau privé virtuel avocat (RPVA). 78  Réseau privé virtuel justice (RPVJ). 79  Die Nutzung der Plattform e-barreau war seit dem 1. September 2011 zunächst für die avoués und ist seit dem 1. Januar 2012 für die avocats verbindlich, Artt.  7 u. 27 arrêté du 30 mars 70 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

die herkömmliche schriftliche Form der déclaration d’appel ist seither nur noch in Ausnahmefällen unter Berufung auf besondere Umstände („cause étrangère“) zu­ lässig, Artt.  930-1 Abs.  2 u. 3 CPC.80 Die Definition der besonderen Umstände er­ fasst grundsätzlich technische Probleme, wurde jedoch im Übrigen bereits im Vor­ feld der Reform als unklar kritisiert.81 Eine gerichtliche Konkretisierung des Tatbe­ standes steht bislang aus. Neben der elektronischen Form der Schriftsätze stellt das décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 auch besondere Anforderungen an ihre formelle Struktur. Be­ reits in der Fassung des décret n°  98-1231 du 28 décembre 199882 auf Grundlage des Rapport Coulon aus dem Jahr 1997 verlangte der zugrunde liegende Art.  954 CPC, dass die Parteien ihre prozessualen Ansprüche sowie ihre Angriffs- und Verteidi­ gungsmittel ausdrücklich benennen.83 Hieran anknüpfend legt nunmehr das décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 fest, dass nur die in einem voranzustellenden Tenor (dispositif ) genannten Anträge von der Cour d’appel zu beachten sind, Art.  954 Abs.  2 S.  2 CPC. Die ebenfalls bereits zuvor bestandene Pflicht zur Angabe der einzelnen Tatsachenaspekte und Rechtsansichten (moyens) sowie Beweismittel (pièces) im Rahmen der Rechtsmittelschrift wurde um die Pflicht ergänzt, die ­moyens und pièces bereits im dispositif dem jeweiligen Anspruch zuzuordnen, Art.  954 Abs.  1 CPC. Aufgrund der Streichung des vormaligen Art.  132 Abs.  2 CPC gilt dies auch für diejenigen Beweismittel, die bereits im Rahmen der Eingangs­ 2011. Auf der Grundlage des Rapport Magendie I (S.  165 ff.) und den nachfolgenden Artt.  748-1 ff. CPC gelangte die beschriebene Kommunikationsweise zunächst im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance und dort lediglich fakultativ zur Anwendung; siehe Croze/Laporte, Rn.  557. Bezüglich der Cour d’appel wurden der Anwendungsbereich der elektronischen Kommunikation und ihre praktische Umsetzung zunächst durch Art.  8 arrêté du 25 septembre 2008 (JO du 9 octobre 2008, S.  15506 ff.) und Art.  7 arrêté du 7 avril 2009 (JO du 11 avril 2009, S.  6365 ff.) be­ stimmt; die nachfolgende Entwicklung unter Berücksichtigung lokaler Besonderheiten und Un­ terschiede bezüglich einzelner Schriftsatztypen beschreiben Bléry Procédures 10/2013, (Dossier), n°  4 und Attal JCP éd. G 2013 (En questions), 39 (39) mit Hinweisen zu technischen Problemen während der Einführungsphase; ausführlich zur Entwicklung von e-barreau siehe Velicogna/Errera/Derlange ULR 1/2011, 163 (172 ff.) sowie speziell zum Verfahren vor der Cour d’appel etwa Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  18 m. w. N. und Gerbay/Gerbay, Rn.  524 ff. Siehe fer­ ner die Pressemitteilung des französischen Justizministers Mercier vom 31. März 2011, veröffent­ licht unter (letz­ ter Zugriff am 15.12.2014); siehe ferner unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). 80  Bezüglich der weiteren Schriftsätze siehe Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  18 m. w. N. 81  Statt vieler Ferrand ZZPInt 2009, 43 (76) und Croze Procédures 5/2011 (Repère), n°  1 m. w. N.; kritisch auch nach Inkrafttreten der Reform Grayot-Dirx Procédures 1/2013 (Études), n°  2. 82  JO du 30 décembre 1998, S.  19904 ff. 83  Rapport Coulon, S.  76 f.; hierzu auch Strickler Droit et procédures 2011 (La revue des idées), 166 (171).

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instanz Verwendung fanden.84 Die Neuregelungen des Art.  954 CPC, die aufgrund ihrer systematischen Stellung für sämtliche Verfahrensweisen des appel gelten, die­ nen nicht allein dazu, die Schriftsätze den Erfordernissen einer standardisierten elektronischen Kommunikation anzupassen.85 Insbesondere soll die Außeracht­ lassung von Anträgen, Sach- und Rechtsvortrag sowie von Anschlussrechtsmitteln, die nicht hinreichend deutlich aus den Schriftsätzen hervorgehen, unlautere Prozess­ taktiken unterbinden und so dem principe du contradictoire86 zu stärkerer prakti­ scher Bedeutung verhelfen.87 Für die procédure avec représentation obligatoire enthält der neu gefasste Art.  906 Abs.  1 CPC ergänzend die Obliegenheit, sämtliche Beweismittel zeitgleich (simultanément) mit den jeweils korrespondierenen Tatsa­ chen zu benennen.88 2.  Novellierung des Verfahrens vor dem conseiller de la mise en état Der Austausch der Schriftsätze erfolgt im eröffneten Rechtsmittelverfahren im Rahmen des circuit court und des circuit moyen unmittelbar zwischen den Prozess­ bevollmächtigten; nur in Kopie sind die Schriftsätze unter Wahrung des Art.  930-1 CPC auch der Geschäftsstelle der Cour d’appel zu übermitteln, Art.  906 CPC. Die entsprechenden Fristen werden durch den président de la chambre verfügt, vgl. Artt.  905, 760 ff. CPC (procédure ordinaire) und Artt.  923 Abs.  2, 905, 760 ff. CPC (procédure à jour fixe).89 Überträgt der président de la chambre das Verfahren ei­ nem conseiller de la mise en état, kommen zusätzlich die Artt.  907 bis 916 CPC zur Anwendung. Der Rechtsmittelführer hat den appel in diesem Fall binnen drei Mo­ naten beginnend mit der déclaration d’appel zu begründen, Art.  908 CPC. a)  Die Funktion des conseiller de la mise en état in historischer Betrachtung Die Funktion des conseiller de la mise en état entspricht derjenigen des juge de la mise en état im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance. So bestimmte in der ursprünglichen Fassung des Ancien Code de procédure civile die Vorschrift des Art.  470 anc. CPC90, dass auf das Verfahren vor der Cour d’appel die Normen des Verfahrens vor den Eingangsgerichten (Tribunaux inférieurs) anzuwenden seien, sofern das Gesetz keine besondere Regel vorsehe. Infolge der Justizreform des Jah­ res 1958 erklärte der novellierte Art.  470 anc. CPC unter Beibehaltung derselben 84 

Gerbay Gaz. Pal. 2010 (Doctrine), 63 (66). Hierzu Rapport Magendie II, S.  68 f. sowie Narran Gaz. Pal. 2009 (Doctrine), 3666 (3670). 86  Das Prinzip entspricht im deutschen Verfahrensrecht dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs und dem Gebot der prozessualen Waffengleichheit; vgl. Couchez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 662 (1998), Rn.  1 u. Fasc. 114 (1998), Rn.  1 ff. 87  Fricero Procédures 5/2010 (Étude), n°  3; Gerbay Gaz. Pal. 2010 (Doctrine), 63 (66); Ferrand ZZPInt 2009, 43 (79). 88  Instruktiv Pellerin Gaz. Pal. 2012 (Doctrine), 2558 (2560 f.). 89  Brenner/Fricero, Rn.  233. 90  Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 85 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Einschränkung die Verfahrensregeln des Tribunal de grande instance für anwend­ bar.91 Der Instruktionsrichter im Verfahren vor der Cour d’appel hatte dementspre­ chend dieselben Befugnisse wie der 1935 für das eingangsgerichtliche Verfahren eingeführte juge chargé de suivre la procédure und spätere juge de la mise en état.92 Anlässlich des Colloque National de Droit Judiciaire des Institut d’Études Judiciaires de la Faculté de Droit et des Sciences Économiques d’Aix-en-Provence stell­ te Lobin im Jahr 1963 fest, dass die allein auf Verweisung beruhende Regelung der Befugnisse des zweitinstanzlichen Instruktionsrichters nicht den Besonderheiten des Rechtsmittelverfahrens entspreche.93 Der Ausgangspunkt des Rechtsmittelver­ fahrens sei bereits der eingangsgerichtlich geklärte Sachverhalt, weshalb die Partei­ en ihre Einwände hiergegen unmittelbar dem Spruchkörper vortragen sollten.94 Die Funktion des rechtsmittelrechtlichen Instruktionsrichters solle sich stattdessen auf die Kontrolle des formellen Verfahrensverlaufs beschränken und auf diese Weise den Spruchkörper entlasten.95 In der Folge wurde die Funktion des conseiller de la mise en état seit dem décret 65-872 du 13 octobre 196596 zunehmend spezifiziert.97 Die gegenwärtige Struktur des Verfahrens vor der Cour d’appel beruht unbeschadet dessen jüngster Reform auf Artt.  115 ff. décret 72-788 du 28 août 1972 (siehe Artt.  900 ff. CPC).98 Zwar bedient sich auch das geltende Recht einer Verweisung auf die Vorschriften bezüglich des juge de la mise en état, vgl. Art.  907 CPC. Diese werden aber durch den weitreichenden Kompetenzkatalog der Artt.  908 bis 916 CPC ergänzt, der seit dem Inkrafttreten des décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 in Zweifelsfällen Vorrang genießt.99 Obwohl sich der Schwerpunkt der Tätigkeit des conseiller de la mise en état auch nach geltendem Recht entgegen den Vorschlägen Lobins auf die Sachverhaltsklä­ rung konzentriert, fällt auf, dass die jüngsten Änderungen des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 überwiegend die verfahrensleitenden Befugnisse des conseiller de la mise en état betreffen. Wenn auch ohne Bezugnahme auf die Äußerungen Lobins stellt der zugrunde liegende Rapport Magendie II fest: 91 

Vgl. Art.  3 décret n°  58-1289 du 22 décembre 1958 (JO du 23 décembre 1958, S.  11608 ff.). Ausführlich zur historischen Entwicklung des erstinstanzlichen Instruktionsrichters Solus/ Perrot III, Rn.  343. 93  Besonders deutlich zeigt sich dies anhand des Güteverfahrens (conciliation), welches zwar von der Verweisung umfasst, praktisch jedoch nicht mit dem Zweck eines Rechtsmittelverfahrens vereinbar ist; siehe Lobin, in: Colloque 1963, S.  55 (68). 94  Lobin, in: Colloque 1963, S.  55 (69). 95  Lobin, in: Colloque 1963, S.  55 (68). 96  JO du 14 octobre 1965, S.  9076 ff. 97  Der hierdurch neu eingefügte Art.  457-1 anc. CPC sah die Einrichtung einer eigenen Prozess­ akte für den noch als conseiller des mises en état bezeichneten Instruktionsrichter vor; zum zuletzt gültigen Stand der Befugnisse jenes conseiller de la mise en état siehe Gallet, Rn.  184 ff. u. insb. Rn.  187. 98  JO du 30 août 1972, S.  9300 ff.; vgl. hierzu Synopse NCPC 1976. 99  Der vorangegangene Art.  910 CPC a. F. ordnete die parallele Geltung beider Normkomplexe an, was zu Unklarheiten führte, hierauf verweisend Salati Droit et procédures 2010 (Chronique), 3 (5). 92 

§  9  Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung

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„Le renouvellement de la procédure d’appel est l’occasion de repenser la mise en état qui s’y déroule afin de l’adapter à la spécificité du deuxième degré de juridiction. Pour ce faire, les pouvoirs du conseiller de la mise en état doivent être modernisés et adaptés aux spécificités de l’appel […].“100

b)  Kompetenz und Entscheidungen des conseiller de la mise en état Die Kompetenz des conseiller de la mise en état umfasst einerseits die Befugnisse aufgrund der Verweisung des Art.  907 CPC; andererseits die eigenständigen Befug­ nisse der Artt.  908 bis 915 CPC, die mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung durch das décret n°  2009-1524 du 11 décembre 2009 eine erhebliche Aufwertung erfahren haben. Von Bedeutung ist auch die Frage des Rechtsschutzes gegen die Entscheidungen des conseiller de la mise en état. aa)  Inhalt und Umfang der Kompetenz kraft Verweisung (Art.  907 CPC) Aufgrund der Verweisung des Art.  907 CPC auf die Artt.  763 bis 787 CPC kann der conseiller de la mise en état insbesondere mesures d’instruction verfügen und den äußeren Fortgang des Verfahrens bestimmen.101 Begrenzt wird die Kompetenz des conseiller de la mise en état durch den Devolutiveffekt des appel: Der conseiller de la mise en état darf hiernach keine mesure d’instruction verfügen, die vom Ein­ gangsgericht ausdrücklich abgelehnt wurde.102 Auch über prozessuale Einwendun­ gen (exceptions de procédure) darf der conseiller de la mise en état nur entscheiden, soweit sie das Rechtsmittelverfahren betreffen.103 Die Prüfung der eingangsgericht­ lichen Entscheidung und ihres verfahrensrechtlichen Rahmens ist allein dem Spruchkörper vorbehalten, Art.  561 CPC.104 bb)  Inhalt und Umfang originärer Kompetenz (Artt.  908 ff. CPC) Kraft originärer Kompetenz der Artt.  908 ff. CPC wacht der conseiller de la mise en état über die Einhaltung der besonderen Fristen des Rechtsmittelverfahrens.105 Ver­ stöße des Rechtsmittelführers gegen die dreimonatige Begründungsfrist sind vom conseiller de la mise en état zwingend mit dem Ausspruch der caducité der déclaration d’appel zu sanktionieren, Art.  908 CPC. Umgekehrt ist auch eine verspätete 100  Rapport Magendie II, S.  73: „Le renouvellement de la procédure d’appel est l’occasion de repenser la mise en état qui s’y déroule afin de l’adapter à la spécificité du deuxième degré de juri­ diction. Pour ce faire, les pouvoirs du conseiller de mise en état doivent être modernisés et adaptés aux spécificités de l’appel […]“ – „Die Erneuerung des Verfahrens des appel bietet die Gelegen­ heit, das dazugehörige Instruktionsverfahren zu überdenken, um es den Besonderheiten der zwei­ ten Instanz anzupassen. Hierzu müssen die Befugnisse des conseiller de la mise en état moderni­ siert und den Eigenarten des appel angepasst werden […]“ (Übers. d. Verf.). 101  Instruktiv Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 721 (2014), Rn.  70 ff. 102  Gallet, Rn.  194 m. w. N. 103  Cass. 2e civ., 7 mai 2008, Bull. civ. II 2008, n°  107. 104  Vgl. die Nachweise bei Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 721 (2014), Rn.  76. 105  Zu den Fristen siehe oben §  9 I sowie die nachfolgenden Ausführungen.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Rechtsmittelerwiderung durch den conseiller de la mise en état zwingend als unzu­ lässig zurückzuweisen (Art.  909 CPC); Gleiches gilt für die verspätete Erwiderung eines Anschlussrechtsmittels (appel incident), Art.  910 Abs.  1 CPC.106 Als Folge der Zurückweisung darf der Spruchkörper allein den eingangsgerichtlichen Vortrag der betroffenen Partei in die Entscheidungsfindung einbeziehen.107 Nach dem Leitbild des Rapport Magendie II einer „concentration des moyens“ sollen die Parteien ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel im Rahmen ihrer einleitenden Schriftsätze um­ fassend darlegen.108 Mit avis vom 21. Januar 2013 billigte die Cour de cassation den Parteien allerdings zu, neue Angriffs- und Verteidigungsmittel (moyens nouveaux) über die einleitenden Schriftsätze hinaus noch bis zum Abschluss des zweitinstanz­ lichen Instruktionsverfahrens vorzutragen.109 Sofern es die Komplexität des Rechtsstreits erlaubt,110 kann der conseiller de la mise en état die genannten Fristen der Artt.  908 bis 910 Abs.  1 CPC entsprechend verkürzen. Verlängerungen sind gemäß Art.  911-2 CPC nur für den Fall vorgesehen, dass sich der Wohn- oder Unternehmenssitz einer Partei außerhalb der France métropolitaine befindet.111 Nach dem Austausch der Schriftsätze entscheidet der conseiller de la mise en état innerhalb eines Zeitraums von 15 Tagen, ob die jeweiligen Ausführungen weiterer Ergänzung oder Präzisierung bedürfen, Art.  912 Abs.  1 CPC. Bei dieser fünfzehntä­ gigen Phase der examination de l’affaire handelt es sich um eine wesentliche Neue­ rung des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009, die sich vor dem Hintergrund des fortgeschrittenen Stadiums des Rechtsstreits rechtfertigt.112 Der conseiller de la mise en état soll das Instruktionsverfahren hiernach nicht nur formal leiten (sog. mise en état administrative), sondern seinen Fortgang den inhaltlichen Anforderun­ gen der Rechtsmittelanträge anpassen (sog. mise en état intellectuelle).113 Das Ziel ist eine rechtsmittelspezifische Effizienzsteigerung, die im Ergebnis der Forderung Lobins entspricht. Gelangt der conseiller de la mise en état zu dem Ergebnis, dass 106  Eine tabellarische Übersicht über die einzelnen Sanktionen unter Bezugnahme auf die je­ weiligen Verfahrensvorschriften findet sich bei Croze/Laporte, Rn.  586. 107  So bereits die Rechtslage vor dem Inkrafttreten des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009; vgl. Cass. 2e civ., 10 mars 1993, JCP éd. G 1993 II (Jurisprudence), n°  22222, S.  93 (94). 108  Rapport Magendie II, S.  50 ff. 109  Cass. avis du 21 janvier 2013, Bull. civ. avis 2013, n°  2 , unmittelbar vorangegangen noch Attal JCP éd. G 2013 (En questions), 39 (39); zu den Anforderungen an die von den Parteien zu unterbreitenden conclusions siehe Cass. avis du 21 janvier 2013, Bull. civ. avis 2013, n°  3; hierzu Junillon/Laffly JCP ed. G 2013 (Doctrine), 434 (436) und Fricero Procédures 10/2013 (Dossier), n°  6. 110  Das Gesetz spricht insofern von der nature de l’affaire, was beispielsweise Landry JCP éd. G 2010 (En questions), 1098 (1099) als zu ungenau kritisiert. 111  Darüber hinaus bestehen Möglichkeiten der Fristverlängerung im Fall von Verzögerungen aufgrund eines Prozesskostenhilfeverfahrens (demande d’aide juridictionnelle) gemäß Art.  38-1 loi du 19 décembre 1991 (siehe Art.  14 décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009) sowie im Fall ei­ ner cause étrangère im Rahmen des elektronischen Rechtsverkehrs gemäß Art.  748-7 CPC. 112  Gerbay Gaz. Pal. 2010 (Doctrine), 63 (68). 113  André, in: Rencontres, S.  29 (35); Ferrand ZZPInt 2009, 43 (79, insb. Fn.  144).

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weiterer Klärungsbedarf besteht, legt er nach Rücksprache mit den Prozessbevoll­ mächtigten einen Zeitplan für das weitere Instruktionsverfahren fest, Art.  912 Abs.  2 S.  2 CPC. Betrachtet der conseiller de la mise en état das Rechtsmittelverfah­ ren als entscheidungsreif, bestimmt er einen Termin für den Abschluss des Instruk­ tionsverfahrens (clôture) sowie einen Termin für die nachfolgende Verhandlung vor dem Spruchkörper, Art.  912 Abs.  2 S.  1 CPC. Zwischen der Abgabe des Verfahrens an den Spruchkörper und dem Termin zur Verhandlung ist eine Vorbereitungsfrist von 15 Tagen einzuhalten, Art.  912 Abs.  3 CPC. Diese durch das décret n°  20091524 du 9 décembre 2009 eingeführte Frist soll sicherstellen, dass das erkennende Gericht bereits vor dem Eintritt in die Verhandlungs- und Entscheidungsphase über ausreichende Kenntnis des Rechtsstreits verfügt.114 Im Übrigen ist der conseiller de la mise en état befugt, die Prozessbevollmächtigten zur Einhaltung der formellen Vorgaben des Art.  954 CPC anzuhalten, Art.  913 CPC. cc)  Entscheidungen des conseiller de la mise en état und Rechtsschutz Die Maßnahmen des conseiller de la mise en état nehmen entsprechend den Maß­ nahmen des juge de la mise en état grundsätzlich die Form eines schlichten Akten­ vermerks, Artt.  907, 773 Abs.  1 CPC. In den Fällen der Artt.  907, 773 Abs.  2 CPC entscheidet der conseiller de la mise en état durch förmliche ordonnnance.115 Darü­ ber hinaus erfolgt die Entscheidung des conseiller de la mise en état über die caducité der déclaration d’appel ebenfalls in Form einer ordonnance, Artt.  902, 908 CPC i. V. m. Art.  911-1 CPC. Im Unterschied zum eingangsgerichtlichen juge de la mise en état, der nicht zur Entscheidung über die Zulässigkeit der Klage befugt ist,116 kann der conseiller de la mise en état den appel schließlich mittels ordon­ nance für unzulässig erklären, Art.  914 CPC.117 Hinsichtlich der Zulässigkeit des appel und der caducité der déclaration d’appel (Art.  908 CPC) obliegt dem conseiller de la mise en état im Fall seiner Anrufung die alleinige Entscheidungsbefugnis, Art.  914 CPC. Die entsprechenden ordonnances des juge de la mise en état genießen wie auch die Entscheidungen über eine verspätete Rechtsmittelerwiderung (Art.  909 CPC) oder eine verspätete Erwiderung eines appel incident (Art.  910 Abs.  1 CPC) die autorité de la chose jugée gemäß Art.  914 Abs.  2 CPC. Die Vorschrift beruht auf Art.  2 décret n°  1524 du 9 décembre 2009 und bedeutet historisch-rechtsverglei­ chend eine enorme Aufwertung der Entscheidungsbefugnis des conseiller de la mise en état. Ihr Zweck besteht darin, den Spruchkörper um Entscheidungen über prozessuale Fragen der neu gefassten Art.  906 ff. CPC zu entlasten.118 114 

Rapport Magendie II, S.  59. Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 721 (2014), Rn.  3 u. 92 ff. 116  Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 721 (2014), Rn.  76. 117  Siehe die Nachweise hinsichtlich der einzelnen Unzulässigkeitsgründe bei Gallet, Rn.  189. 118  Perrot Procédures 7/2013 (Études), n°  8 – „petite révolution“. Zur vorangegangenen Rechts­ lage Cass. BICC n°  677, 3/2008 (Communication), 6 (6); hieran anknüpfend die Ausführungen des Rapport Magendie II, S.  76 ff. u. 83. Siehe ferner Cass. 2e civ., 7 décembre 2000, Procédures 2/2001 115 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Entsprechend den ordonnances des juge de la mise en état (Art.  776 CPC) sind die ordonnances des conseiller de la mise en état unbeschadet ihrer gewachsenen Bedeutung grundsätzlich nicht isoliert anfechtbar, Art.  916 Abs.  1 CPC. Lediglich wenn eine ordonnance die Beendigung des Rechtsmittelverfahrens zur Folge hat, kann sie gemäß Art.  916 Abs.  2 CPC mithilfe eines sog. déféré innerhalb einer Frist von 15 Tagen dem Spruchkörper zur Prüfung vorgelegt werden.119 Die dogmatische Einordnung des déféré und der nachfolgenden Entscheidung des Spruchkörpers sind nicht abschließend geklärt.120 Überzeugend ist die Ansicht Salhis, wonach die Entscheidung des Spruchkörpers die angefochtene ordonnance in sich aufnimmt und ihr auf diese Weise Außenwirkung verleiht.121 Die Auffassung berücksichtigt sowohl die Selbständigkeit des Verfahrens vor dem conseiller de la mise en état als auch die ununterbrochene Rechtshängigkeit des appel.122 Den eigentlichen Beleg dieser im Jahr 2004 formulierten Theorie bietet jedoch das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009: Obwohl der Gesetzgeber den Entscheidungen des conseiller de la mise en état über die Zulässigkeit des appel insgesamt bindende Wirkung verlieh, beschränkte er den Anwendungsbereich des déféré auf ablehnende Entscheidungen, Art.  916 Abs.  2 CPC. Der Schutzzweck des déféré besteht folglich darin, die Partei vor einer vorzeitigen Verfahrensbeendigung durch den conseiller de la mise en état zu schützen.123 Nur eine rechtswegverkürzende Entscheidung bedarf insoweit der Bestätigung durch den Spruchkörper. Rechtsvergleichend ist dies umso bemerkens­ werter, als die Entscheidungen des vorbereitenden Einzelrichters im deutschen Be­ rufungsverfahren nur im Fall der Einwilligung der Parteien zur Beendigung des Verfahrens führen können, §  527 Abs.  4 ZPO. Eine nachträgliche Bestätigung durch den Spruchkörper erübrigt sich damit.

(Commentaires), n°  28 sowie kritisch hierzu Salati Droit et procédures 2010 (Chronique), 3 (5) und Ferrand ZZPInt 2009, 43 (80, Fn.  145). Zur neuen Rechtslage Gerbay Gaz. Pal. 2010 (Doctrine), 63 (68). 119  Die Norm bedarf einer genauen Lesart: Der déféré ist gegenüber solchen ordonnances un­ statthaft, die den appel für zulässig erklären; siehe Cass. avis du 2 avril 2007, Bull. civ. avis 2007, n°  5; hieran anknüpfend Rapport Magendie II, S.  83. Zur Erläuterung der einzelnen in Art.  916 Abs.  2 CPC genannten Gründe der Verfahrensbeendigung sowie zum Sonderfall einstweiliger Maßnahmen im Scheidungsverfahren siehe Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 721 (2014), Rn.  100 m. w. N. 120  Siehe die Nachweise bei Travier/Watremet/Laffly, in: Rép. pr. civ., Procédure devant la Cour d’appel (2013), Rn.  187. Zur Frage der Vereinbarkeit der Beteiligung des conseiller de la mise en état an der nachfolgenden Entscheidung des Spruchkörpers mit Art.  6 Abs.  1 EMRK siehe Cass. 2e civ., 6 mai 1999, Bull. civ. II 1999, n°  77. 121  Salhi, Rn.  568. 122  Anderenfalls käme es im Zeitraum zwischen der Entscheidung des conseiller de la mise en état und der korrigierenden Entscheidung des Spruchkörpers zu einer vorübergehenden Unterbre­ chung des Suspensiveffektes des appel. Zu den in diesem Fall drohenden praktischen Folgen Salhi, Rn.  568. 123  So bereits Boccara RGP 1998, 573 (577).

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c)  Verkürzung der Fristen im Verfahren vor dem conseiller de la mise en état Mit dem Ziel der Verfahrensbeschleunigung wurde die Frist zur Begründung des appel im Verfahren vor dem conseiller de la mise durch das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 von vier auf drei Monate verkürzt und für den Fall der Versäu­ mung unter die Rechtsfolge der caducité gestellt, Art.  908 CPC.124 Die caducité der déclaration d’appel tritt an die Stelle der vormaligen radiation de l’affaire gemäß Art.  915 Abs.  2 CPC a. F.125, welche im Unterschied zur caducité lediglich eine vor­ übergehende Aussetzung des Verfahrens zur Folge hatte. Denn im Unterschied zur caducité (Art.  385 CPC), welche einen Unterfall der extinction de l’instance bildet, bleibt das Verfahren im Fall der radiation (Art.  381 CPC) rechtshängig.126 Im Fall der caducité ist der Rechtsmittelführer somit gezwungen, eine neue déclaration d’appel zu formulieren, was bei fortgeschrittener Rechtsmittelfrist nur schwierig umzusetzen ist.127 Die Frist zur Erwiderung des appel beträgt zwei Monate ab dem Zeitpunkt der Zustellung der Rechtsmittelbegründung, Art.  909 CPC. Innerhalb dieses Zeitrau­ mes hat der Rechtsmittelbeklagte auch ein etwaiges Anschlussrechtsmittel (appel incident) einzulegen (Art.  909 CPC), das vom Anschlussrechtsmittelbeklagten ebenfalls innerhalb einer Frist von zwei Monaten zu erwidern ist, Art.  910 Abs.  1 CPC. Die genannten Fristen wurden durch das décret n°  2009-1524 du 9 décembre erstmalig gesetzlich festgeschrieben. Während die Frist zur Erwiderung des appel bis dato individuell vom conseiller de la mise en état festzulegen war,128 konnte ein appel incident sogar bis zum Abschluss des Instruktionsverfahrens eingelegt wer­ den, Art.  550 CPC a. F.129 Der Zweck der Neuregelung erschöpft sich daher nicht bloß in einer Verfahrensbeschleunigung.130 In Anknüpfung an den Rapport Magendie II soll das Instruktionsverfahren vielmehr für Synergieeffekte hinsichtlich des appel principal und des appel incident geöffnet werden.131

124  Croze JCP éd. G 2010 (Aperçu rapide), 9 (10 f.); d’Ambra/Boucon D. 2010 (Chronique), 1093 (1094). Für eine graphische Darstellung des Verfahrensverlaufs unter besonderer Berücksichti­ gung der einzelnen Fristen siehe Gerbay/Gerbay, Annexe 3 (S.  413); für einen Überblick über die im Einzelnen durch die Reform geänderten Fristen siehe auch Le Bars, in: Rencontres, S.  41 pas­ sim. 125  Zitiert nach Cadiet CPC 2011. 126  Siehe Fricero JCP éd. G 2010 (Étude), 6 (9). Zur Unterscheidung von caducité und radiation siehe außerdem Gallet, Rn.  173. Ausführlich zur radiation de l’affaire im Zusammenhang mit der vorläufigen Vollstreckbarkeit siehe unten §  13 I. 127  Vgl. Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 721 (2014), Rn.  33. 128  Guyader Procédures 3/2010 (Alertes), n°  11. 129  Zitiert nach Cadiet CPC 2011; siehe hierzu Gerbay Gaz. Pal. 2010 (Doctrine) 63 (65). 130  Hierzu Gerbay Gaz. Pal. 2010 (Doctrine), 63 (65). 131  Rapport Magendie II, S.  48.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

3.  Liberalisierung der Prozessvertretung durch die Fusion von avocat und avoué Alleiniger Gegenstand der loi n°  2011-94 du 25 janvier 2011 ist schließlich die Neu­ regelung der Prozessvertretung im Verfahren vor der Cour d’appel. Bis zum 31. Dezember 2011 bedurften die Parteien sowohl der Vertretung durch einen avoué als auch des Beistandes eines avocat.132 Seit dem Inkrafttreten der loi n°  2011-94 du 25 janvier 2011 am 1. Januar 2012 geht das vormalige Amt des avoué im Amt des avocat auf;133 die weitergehenden berufsständischen Regeln und verfahrensrechtli­ chen Anpassungen enthält das décret n°  2012-634 du 3 mai 2012134. Im Unterschied zum freiberuflich organisierten avocat bekleidete der avoué als officier ministériel ein öffentliches Amt.135 Seine Tätigkeiten wurden zusammenfassend mit den Be­ griffen postuler und conclure umschrieben. Während sich die conclusion auf das Stellen von Anträgen bezog (vgl. Art.  909 CPC a. F.), umfasste die plaidoirie die sonstige formelle Verfahrensführung (vgl. Artt.  901 ff., 913 CPC a. F.).136 Die Be­ fugnisse des avocat beschränkten sich hingegen auf beratende Tätigkeiten und das Plädieren in der Sache, vgl. Art.  901 Abs.  2 CPC a. F.137 a)  Historische Grundlagen und Entwicklung der vormaligen doppelten Prozessvertretung Die Grundlagen der einst doppelten Prozessvertretung im Verfahren vor der Cour d’appel reichen zurück bis ins Hochmittelalter. Im Zuge der Entflechtung von ma­ teriellem Recht und Verfahrensrecht konnte sich die Prozessvertretung ab dem 12. Jahrhundert in der gerichtlichen Praxis etablieren.138 Unabhängig vom Rechts­ zug wurden die Parteien bei der Einhaltung der prozessualen Formerfordernisse durch sog. procureurs unterstützt, die ab dem 14. Jahrhundert einen eigenen beruf­ lichen Stand bildeten.139 Die Entwicklung des Berufsstandes der avocats verlief 132  Siehe Art.  899 Abs.  1 CPC (2011) sowie Artt.  901 und 927 CPC (2011); zitiert nach Cadiet CPC 2011. 133  Zusammenfassend Bléry Procédures 5/2011 (Focus), n°  23. 134  JO du 5 mai 2012, S.  7969 ff. 135  Art.  1 ordonnance n°  45-2591 du 2 novembre 1945 (JO du 3 novembre 1945, S.  7161 ff.) in der zuletzt gültigen Fassung (zitiert nach Cadiet CPC 2011); hierzu Solus/Perrot III, Rn.  43, 46. 136  Vgl. den Beitrag von Zimmermann im Rahmen der Debatte der Assemblée nationale vom 12. Oktober 1971 über die Zukunft des avoué im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance, veröffentlicht in Gaz. Pal. 1971 (Réforme des professions judiciaires), 6 (8) sowie ferner Perrot Institutions, Rn.  431 u. 463; zitierte Normen nach Cadiet CPC 2011. 137  Kernaleguen (4.  Aufl.), Rn.  414; zitierte Norm nach Cadiet CPC 2011. 138  Hierzu Rousselet, S.  10 und Chadefaux, S.  25. Zur Bedeutung des kanonischen Rechts für die Entwicklung der Prozessvertretung im französischen Zivilverfahren sowie zu den ersten For­ men verbindlicher Vertretung siehe außerdem Gossner, S.  8 f. Die Formen der Prozessvertretung des klassischen und des nachklassischen römischen Zivilverfahrens hatten demgegenüber nur sehr bedingten Einfluss auf die Rechtsentwicklung Frankreichs; vgl. Kaser/Hackl, S.  213 f., 484 u. 560 f. (procurator), S.  563 ff. (advocatus) und S.  565 (tabellio). 139  Siehe die Lettres portant homologation des statuts de la conrairie des procureurs du Palais, Paris, avril 1342 (zitiert nach Décrusy/Isambert IV, S.  470) sowie dazu Bataillard, S.  142 ff.

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hiervon weitgehend unberührt. Als bloße Vorsprecher (avantparliers) leisteten sie keine Prozessvertretung im förmlichen Sinn und konnten sich daher bereits früher in der gerichtlichen Praxis etablieren.140 Mit den aufkommenden Zentralisierungs­ bestrebungen des französischen Staates entwickelte sich ab dem 16. Jahrhundert ein Konflikt zwischen der Monarchie und den rechtsprechenden Parlements um die Kompetenz zur Ernennung der procureurs.141 Im Streben nach Einfluss auf die Rechtspflege überführte schließlich Louis XIII im Jahr 1620 den Berufsstand der procureurs in den staatlichen Dienst.142 Die nachfolgende Einführung eines Vertre­ tungszwangs war die notwendige politische Folge.143 Im Zuge der französischen Revolution wurden mit dem Ziel einer selbständigen und freien Verteidigung vor Gericht sowohl das Amt des procureur als auch der seit dem 14. Jahrhundert monopolisierte Berufsstand der avocats abgeschafft.144 Die Unterstützung der Parteien bei der formellen Verfahrensführung sollte fortan in begrifflicher Abgrenzung zum Recht des Ancien Régime durch einen avoué ge­ währleistet werden.145 Die verbindliche aber beschränkte Tätigkeit des avoué kann vor ihrem historischen Hintergrund als ein Kompromiss verstanden werden, den Parteien einerseits ein gewisses Maß an Freiheit in der Sache zu ermöglichen; ande­ rerseits aber den hierzu notwendigen prozessualen Rahmen zu sichern. Aufgrund seiner ebenfalls in Abkehr vom Ancien Régime schwach ausgeprägten Reglementie­ rung fand der verfahrensrechtliche Stand der avoués jedoch nicht die ihm zugedach­ te Akzeptanz.146 Nach einer erneuten Abschaffung der verbindlichen Prozessver­ tretung im Jahr 1793147 wurde das Amt des avoué schließlich im Jahr 1800 in regle­ mentierter Form erneut in den Staatsdienst überführt.148 Die Beschränkung des Amtes auf prozessuale Fragen wurde jedoch zunehmend als unbefriedigend emp­ 140  Siehe Chadefaux, S.  7 f. und Gossner, S.  14 sowie rechtsvergleichend Magnus, S.  91 f. Zur Unterscheidung von Anwälten und Vorsprechern im deutschen Verfahrensrecht des Mittelalters siehe Conrad, S.  460. 141  Ausführlich Gossner, S.  16 ff. Zu den Aufgabe und der Organisation der Parlements des Ancien Régime siehe Barbiche, S.  105 ff, 335 ff. 142  Vgl. Art.  2 édit de création de procureurs dans toutes les cours souveraines et juridictions royales, février 1620 (zitiert nach Isambert/Décrusy XVI, S.  136 ff.); hierzu Chadefaux, S.  15 und Gossner, S.  25. 143  Vgl. Art.  15 f. ordonnance civile touchant la réformation de la justice d’avril 1667 (zitiert nach Isambert/Décrusy XVIII, S.  103 ff.); hierzu Chadefaux, S.  27 f. 144  Vgl. Titel II, Art.  14 décret du 16 et 24 août 1790: „[…] tout citoyen aura le droit de défendre lui-même sa cause, soit verbalement, soit par écrit“ (zitiert nach Duvergier I, S.  310 ff.). Siehe hier­ zu Rousselet, S.  12. 145  Vgl. Art.  3 décret du 29 janvier et 20 mars 1791 (zitiert nach Duvergier II, S.  184 ff.); hierzu Chadefaux, S.  42 f. sowie Magnus, S.  92 f. und Gossner, S.  14 f. u. 39 f. mit Hinweisen auf die sog. hommes de loi als Vertreter in der Sache. 146  Siehe Rousselet, S.  12 f. sowie noch Junillon/Morel, in: Rép. pr. civ., Avoués près les cours d’appel (2009), Rn.  4 jeweils mit Verweis auf die zugrunde liegenden Egalitätsbestrebungen. 147  Vgl. Art.  12 loi du 3 brumaire an II (24 octobre 1793); zitiert nach Duvergier VI, S.  252 ff.); hierzu auch Royer/Jean, Rn.  164. 148  Vgl. Art.  93 loi du 27 ventôse an VIII (18 mars 1800); zitiert nach Duvergier XII, S.  151 ff.).

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

funden, sodass im Jahr 1810 auch der avocat wieder Einzug in das mittlerweile vom Ancien Code de procédure civile bestimmte Zivilverfahren fand.149 Die doppelte Prozessvertretung galt seitdem vor allen ordentlichen Zivilgerichten.150 Durch die loi n°  71-1130 du 31 décembre 1971151 wurde das Amt des avoué zunächst vor dem Tribunal de grande instance zugunsten des avocat erneut abgeschafft.152 Zuletzt war die doppelte Prozessvertretung nur noch für das Verfahren vor der Cour d’appel vorgesehen. b)  Ziele und Kritik der Neuordnung der Prozessvertretung vor der Cour d’appel Für eine Zusammenführung der Prozessämter des avoué und des avocat im Verfah­ ren vor der Cour d’appel sprach sich letztlich der unter Leitung von Jacques Attali verfasste Rapport de la Commission pour la libération de la croissance française (sog. Rapport Attali I) vom 23. Januar 2008 aus.153 Unter dem Eindruck der Wirt­ schafts- und Finanzkrise erneuerte der nachfolgende Bericht Une ambition pour dix ans vom 15. Oktober 2010 (sog. Rapport Attali II) die Forderung und legte erstmals den 1. Januar 2012 als Datum für die Umsetzung des Reformvorschlages fest.154 Anzumerken ist, dass sich die Berichte Attali I & II im Unterschied zu den Berich­ ten Magendie I & II nicht ausschließlich auf Reformaspekte der Justiz beziehen. Als volkswirtschaftlich motivierte Berichte sind sie vielmehr umfassend auf eine Stei­ gerung des Wachstums und der Wettbewerbsfähigkeit des französischen Wirt­ schaftsstandortes gerichtet,155 was sich auch in ihrer Argumentation widerspiegelt. Hiernach gelte es in Bezug auf die Prozessvertretung vor der Cour d’appel, die Verfahrenskosten für die Rechtssuchenden zu senken.156 Darüber hinaus sei eine

149  Vgl. Art.  1 ff. décret du 14 décembre 1810 (zitiert nach Duvergier XVII, S.  236 ff.); hierzu Gossner, S.  48 m. w. N. auch auf die bereits zuvor existierende praktische Bedeutung der avocats. 150  Keine verbindliche Vertretung bestand hingegen im Verfahren vor dem juge de paix (Artt.  9 u. 13 anc. CPC (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806)) sowie vor dem historisch hierauf folgenden Tribunal d’instance und der Juridiction de proximité (Art.  827 CPC). Vor der Cour de cassation werden die Parteien von einem avocat au Conseil d’Etat et à la Cour de cassation ver­ treten (Art.  973 CPC); ausführlich hierzu unter §  11. 151  JO du 5 janvier 1972, S.  131 ff. 152  Als Grund finden sich in den Gesetzesmaterialien die in der Praxis immer stärker geworde­ nen Überschneidungen der Kompetenzbereiche beider Prozessbevollmächtigten und die daraus resultierende Undurchsichtigkeit für die Parteien sowie das Ziel einer Angleichung an die Ver­ fahrensrechte der übrigen europäischen Staaten; siehe Assemblée nationale, rapport n°  1990 du 2 octo­bre 1971 par R. Zimmermann, S.  55, selbständig veröffentlicht im Journal officiel. Assemblée nationale. Documents parlementaires 1971. 153  Rapport Attali I, S.  166 (décision n°  213). 154  Rapport Attali II, S.  8 u. 170. 155  Der ökonomische Ansatz zeigt sich unter anderem daran, dass der Rapport Attali II die Li­ beralisierung der Prozessvertretung vor der Cour d’appel in einem Atemzug mit der Liberalisie­ rung des Taximarktes in Paris fordert; siehe Rapport Attali II, S.  170; kritisch hierzu Fanet Gaz. Pal. 2007 (Doctrine), 3039 (3039). 156  Rapport Attali I, S.  166 (décision n°  213).

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Steigerung des Wettbewerbes auf dem Gebiet der reglementierten Berufe insgesamt anzustreben.157 Der französische Reformgeber übernahm die Ziele der Berichte Attali I & II,158 löste sie jedoch argumentativ aus ihrem volkswirtschaftlichen Kontext. Von rechts­ politischer Bedeutung war hiernach die Erkenntnis des Reformgebers, dass der avoué in der Rechtspraxis entgegen seiner Bestimmung nur in seltenen Fällen die Anträge seines Mandanten verfasste. Die Verantwortung der einzelnen Schriftsätze übernahm regelmäßig der avocat, weshalb der effektive Beitrag des avoué zum Ge­ lingen des Verfahrens als gering zu bewerten war.159 Den vermeintlichen Mehrwert einer doppelten Prozessvertretung stellte das französische Justizministerium zu­ sätzlich mit Verweis auf die mittlerweile nahezu identische Ausbildung des avocat und des avoué in Frage.160 Die Notwendigkeit eines avoué sei für die Parteien daher nicht mehr nachzuvollziehen.161 Im Übrigen sei es auch vor dem Hintergrund der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. De­ zember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (sog. Europäische Dienst­ leistungsrichtlinie) geboten, die Prozessvertretung vor der Cour d’appel zu deregu­ lieren.162 Nicht nur auf Seiten der avoués, sondern auch auf Seiten der Rechtswissenschaft stieß die Reform auf erhebliche Kritik: Der örtliche Bezug der avoués zu „ihrer“ Cour d’appel, ihre Kenntnis der lokalen Rechtsprechung und schließlich die be­ grenzte Anzahl der Amtsträger ermöglichten eine persönliche und produktive Zu­ sammenarbeit mit dem Gericht.163 Die Vertretung im Verfahren vor der Cour d’appel erfordere darüber hinaus eine besondere Sachkunde, die im Fall einer Liberali­ 157 

Rapport Attali II, S.  170. Siehe nur die Pressemitteilung des französischen Justizministeriums vom 6. Oktober 2009, veröffentlicht unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). 159  Siehe Assemblée nationale, projet de loi n°  1709 du 3 juin 2009, S.  3 f., selbständig veröffent­ licht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  73). In diesem Zusammenhang weist der Rapport Attali I, S.  166 (décision n°  213) auch kritisch auf das erfolgsunabhängige und allein am Streitwert orientierte Honorar des avoué hin. Kritisch gegenüber der Funktion des avoué ferner Ferrand ZZPInt 1997, 43 (60), die einen Nachweis der Nützlichkeit der doppelten Prozessvertretung vermisst. 160  Unterschiede bestanden zuletzt allein hinsichtlich des nachuniversitären, praktischen Teils der Ausbildung. Dieser schloss entweder mit dem Certificat d’aptitude à la profession d’avocat oder dem Examen d’aptitude professionnelle aux fonctions d’avoué; siehe bez. des avoué Artt.  4 -1 ff. décret n°  45-0118 du 19 décembre 1945 (JO du 22 décembre 1945, S.  8482 ff.) in der zuletzt gültigen Fassung (zitiert nach Després/Dargent CPC 2011) sowie bez. des avocat Artt.  1, 11 ff. loi n°  71-1130 du 31 décembre 1971 (JO du 5 janvier 1972, S.  131 ff.) in der zuletzt gültigen Fassung (zitiert nach Cadiet CPC 2011). 161  Hierzu Assemblée nationale, projet de loi n°  1709 du 3 juin 2009, S.  4, selbständig veröffent­ licht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  73). 162  Assemblée nationale, projet de loi n°  1709 du 3 juin 2009, S.  4, selbständig veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  73). 163  Statt vieler Perrot Institutions, Rn.  46 und Villacèque D. 2010, 663 (665 f.) sowie Ferrand ZZPInt 2009, 43 (81). 158 

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sierung nicht zu garantieren sei.164 Nicht zuletzt sei die Fusion beider Berufsgruppen auch unzureichend vorbereitet, was bereits ein Vergleich der Berichte Attali I & II mit den Berichten Magendie I & II verdeutliche.165 Das Amt des avoué biete letzt­ lich auch die Möglichkeit, ausländische Rechtsanwälte bei der Verfahrensführung vor der Cour d’appel zu unterstützen und auf diese Weise faktische Wettbewerbs­ nachteile gegenüber inländischen Rechtsanwälten zugunsten der Dienstleistungs­ freiheit abzumildern.166 c)  Vergleichende Analyse der Reform mit Bezug zum deutschen und europäischen Recht Noch die Gesetzesmaterialien zur vorangegangenen Abschaffung des avoué im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance aus dem Jahr 1971 bezogen sich vergleichend auf die Prozessvertretung vor der Cour d’appel.167 Hieran anknüpfend wurde die Frage einer Ausweitung der Reform auf das Verfahren vor der Cour d’appel wiederholt, jedoch meist ablehnend von der Rechtswissenschaft aufgegriffen.168 Nach dem Bekanntwerden der Reformbestrebungen war die Frage zuletzt Bestand­ teil des unter Leitung von Jean-Michel Darrois verfassten rechtstatsächlichen Be­ richts Rapport sur les professions du droit (sog. Rapport Darrois) aus dem Jahr 2009, der sich allerdings mit dem Hinweis sowohl auf den technischen Fortschritt als auch auf das europäische Umfeld für eine Fusion der betroffenen Berufsgruppen aussprach.169 Weder die Gegner noch die Befürworter der Reform stützten ihre Argumentation auf rechtsvergleichende Grundlagen.170 Dies ist erstaunlich, wandte sich doch ­Giverdon im Jahr 1971 angesichts der Abschaffung des avoué im Verfahren vor dem Tribunal de grande instance ausdrücklich und unter Verweis auf die vor einigen deutschen Oberlandesgerichten bestehende Singularzulassung ausdrücklich gegen 164  So Le Bars JCP éd. G 2009 (Libres propos), 12 (12). Auch Ferrand, in: Sonnenberger/Clas­ sen, S.  463 bezeichnet die vormaligen avoués als „sehr gute Rechtstechniker“. 165  Villacèque D. 2010, 663 (665). 166  Siehe hierzu insbesondere die Mitteilung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 25. September 2009, S.  1, veröffentlicht auf den Internetseiten des Europäischen Parlaments unter (letzter Zugriff am 15.12.2014); hierzu auch unter §  9 II 3 c cc. 167  Assemblée nationale, rapport n°  1990 du 2 octobre 1971 par R. Zimmermann, S.  55, selbstän­ dig veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  152). 168  Hierzu Tudela Gaz. Pal. 1997 (Doctrine), 504 (504 ff.). Die monographische Behandlung des Themas lässt sich über einen noch weiteren Zeitraum zurückverfolgen; siehe nur die Ausführun­ gen bei Bourgoint, S.  131 ff. aus dem Jahr 1903 über entsprechende Reformprojekte des 19. Jahr­ hunderts. 169  Rapport Darrois, S.  29 f. 170  Allein Junillon JCP éd. G 2011 (Aperçus rapides), S.  200 (200 f.) erwähnt die im europä­ ischen Vergleich gegebene Sonderstellung des avoué sowie die historisch bedingt liberale Prozess­ vertretung vor den Cours d’appel in Metz und Colmar, ohne sich jedoch argumentativ damit aus­ einanderzusetzen.

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eine Ausweitung der Reform auf das Verfahren vor der Cour d’appel.171 Im Rahmen des von Giverdon betrachteten deutschen Systems konnten die in Deutschland zu­ gelassenen Rechtsanwälte außerhalb der in §  226 Abs.  2 BRAO a. F. genannten Bundesländer nicht gleichzeitig vor dem Landgericht und dem Oberlandesgericht zugelassen sein, vgl. §  25 BRAO a. F.172 In Verbindung mit dem Grundsatz der Lo­ kalisierung (§  18 BRAO a. F.)173 ergab sich eine Singularzulassung vor dem Ober­ landesgericht, die aufgrund von dessen vorwiegend zweitinstanzlicher Zuständig­ keit der Situation der avoués vor den französischen Cours d’appel entsprach und daher einen Blick auf die jüngere deutsche Rechtsentwicklung rechtfertigt.174 aa)  Die Abschaffung der Singularzulassung vor den deutschen Oberlandesgerichten Mit Urteil vom 13. Dezember 2000 erklärte das Bundesverfassungsgericht den zu­ grunde liegenden §  25 BRAO a. F.175 für verfassungswidrig und mit Wirkung zum 1. Januar 2002 für hinfällig.176 Seine Entscheidung stützte das Bundesverfassungs­ gericht auf eine Güterabwägung, in deren Rahmen es die vermeintlichen Vorteile der Singularzulassung für die Rechtspflege zugunsten der Berufsfreiheit nahezu vollständig entkräftete: Die örtliche Nähe der singularzugelassenen Rechtsanwälte zum Oberlandesgericht sei aufgrund des technischen Fortschritts und infolge wach­ sender Mobilität zu vernachlässigen. Sofern die Singularzulassung eine besondere Spezialisierung der begünstigten Rechtsanwälte garantiere, sei anzumerken, dass Spezialisierungen in weiten Teilen der Rechtsanwaltschaft anzutreffen seien.177 Ein­ zig das sog. Vier-Augen-Prinzip begründe nach Ansicht des Bundesverfassungsge­ richts einen effektiven Mehrwert der Singularzulassung, indem es eine erneute und unvorbelastete Bewertung des Rechtsstreits durch einen bislang nicht am Verfahren

171 

Giverdon Gaz. Pal. 1971 (Chronique), 131 (132). Die Singularzulassung galt für die Oberlandesgerichte der Länder Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schles­ wig-Holstein; siehe §  226 Abs.  2 BRAO a. F. sowie BVerfG NJW 2001, 353 (353); zitierte Normen nach Henssler/Prütting BRAO (1997). 173  Zitiert nach Henssler/Prütting BRAO (1997), aufgehoben durch Art.  1 Gesetz zur Stärkung der Selbstverwaltung der Rechtsanwaltschaft vom 26. März 2007, BGBl. 2007 I, S.  358 ff.; siehe hierzu den Gesetzentwurf der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Ver­ tretung durch Rechtsanwälte vor den Oberlandesgerichten, BT-Drucks. 14/8763, S 1 – „nicht mehr zeitgemäß“. 174  Ähnlich auch Giverdon Gaz. Pal. 1971 (Chronique), 131 (132). 175  Zitiert nach Henssler/Prütting BRAO (1997). 176  BVerfG NJW 2001, 353 (354); anders noch BVerfG NJW 1994, 184 (184). Das zitierte Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem Jahr 2000 ist Bestandteil einer ganzen Reihe gesetz­ge­ber­isch nachvollzogener Entscheidungen betreffend die Liberalisierung des anwaltlichen Be­ rufsrechts; für eine Zusammenfassung siehe Prütting AnwBl 2009, 9 (9 f.) sowie Hellwig BRAKMitt. 2008, 92 (93 ff.). 177  Zum Ganzen BVerfG NJW 2001, 353 (354 f.). 172 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

beteiligten Prozessvertreter ermögliche.178 Im Ergebnis könne aber auch dieser Grund nicht überzeugen, da es sich um eine Wertentscheidung des Gesetzgebers handele, von welcher sich der Gesetzgeber zwischenzeitlich distanziert habe.179 Tat­ sächlich legte der Gesetzgeber im Rahmen eines letztlich nicht in Kraft getretenen Gesetzentwurfs aus dem Jahr 1989 dar, dass die praktischen Vorteile des besagten Vier-Augen-Prinzips auch mit anderen Mitteln zu erreichen seien, beispielsweise durch einen schlichten Bearbeiterwechsel zwischen den Instanzen.180 Der Mangel an Kenntnis der lokalen Gepflogenheiten würde im Übrigen durch die Möglichkeit kompensiert, einen Rechtsstreit künftig sowohl während der ersten als auch wäh­ rend der zweiten Instanz zu begleiten. Die Singularzulassung sei nach alledem nicht zwingend erforderlich, um eine qualitativ hochwertige rechtliche Beratung und pro­ zessuale Vertretung im Verfahren vor den Oberlandesgerichten zu gewährleisten.181 bb)  Bewertung der deutschen Reform und Versuch einer Übertragung auf Frankreich Die Argumentation des Bundesverfassungsgerichts lässt sich in der Sache auch auf die Reform der Prozessvertretung vor der Cour d’appel übertragen. (1)  Vergleichbare Gründe der Reform beider Systeme Durch das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 wurde das Verfahren der zwei­ ten Instanz technisch in erheblichem Maße fortentwickelt.182 Der vorangegangene Rapport Magendie II bezeichnete die elektronische Kommunikation ausdrücklich als ein probates Mittel, räumliche Entfernungen zwischen den Verfahrensbeteilig­ ten zu überbrücken.183 Ergänzend verwies der französische Gesetzgeber auf die na­ hezu identische Ausbildung der avocats und der avoués sowie auf die Vorteile, ei­ nen Rechtsstreit fortan über die erste Instanz hinaus zu begleiten.184 Allein das sog. 178 

BVerfG NJW 2001, 353 (355); hierzu Henssler/Kilian NJW 2002, 2817 (2818, Fn.  16). BVerfG NJW 2001, 353 (355). 180  Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Gesetzes zur Durchführung der Richtlinie des Rates der Europäischen Gemein­ schaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des freien Dienstleis­ tungsverkehrs der Rechtsanwälte vom 15. Juni 1989, BT-Drucks. 11/4793, S.  7. Ähnlich auch die Argumentation des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages im Rahmen der Beschluss­ empfehlung bezüglich des Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung des Berufsrechts der Rechts­ anwälte und der Patentanwälte vom 24. Mai 1994, BT-Drucks. 12/7656, S.  48. 181  BVerfG NJW 2001, 353 (355). 182  Siehe oben §  9 II 1. 183  Rapport Magendie II, S.  26. In gleicher Weise äußerte sich auch der nachfolgende Rapport Darrois, S.  29. 184  So die damalige französische Justizministerin Dati auf parlamentarische Anfrage vom 3. Juli 2008; siehe JOQ Sénat du 11 septembre 2008, question n°  4990 (Dumas) du 3 juillet 2008, S.  1835 (1835). Siehe außerdem die Ansprache der nachfolgenden Justizministerin Alliot-Marie, veröffentlicht unter (letzter 179 

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Vier-Augen-Prinzip ist nunmehr auch im Verfahren vor der Cour d’appel entfal­ len.185 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass das Vier-Augen-Prinzip aufgrund der gelebten Praxis der doppelten Prozessvertretung ohnehin in Frankreich nicht in Reinform galt.186 Nichtsdestoweniger ist es interessant zu hinterfragen, ob die Ab­ schaffung der Singularzulassung im Verfahren vor den Oberlandesgerichten zu ei­ nem Qualitätsverlust der Berufungsinstanz geführt hat und ob eine entsprechende Entwicklung im Verfahren vor den Cours d’appel zu befürchten ist.187 (2)  Fehlende empirische Untersuchungen der praktischen Folgen In Bezug auf das Verfahren vor den Tribunaux de grande instance existieren keine rechtstatsächlichen Untersuchungen, die einen Nachteil infolge der seit 1972 libera­ lisierten Prozessvertretung belegen.188 Auch auf deutscher Seite ist keine rechtstat­ sächliche Untersuchung des Wegfalls der Singularzulassung etwa mithilfe einer Richterbefragung erfolgt.189 Kritische Anmerkungen zur vermeintlich herabgesun­ kenen Qualität der Rechtspflege im Verfahren vor den Oberlandesgerichten be­ schränken sich auf subjektive und pauschal formulierte Eindrücke einzelner Beob­ achter.190 Allein in Bezug auf die über Nacht notwendig gewordene Bearbeitung zahlreicher Anträge auf Simultanzulassung bestehen konkrete Angaben über vorü­ bergehende Engpässe der Verwaltungsstellen der Oberlandesgerichte und Rechts­ anwaltskammern.191 Zugriff am 15.12.2014) sowie die Begründung des Gesetzentwurfs Assemblée nationale, projet de loi n°  1709 du 3 juin 2009, S.  3, selbständig veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  73). Kritisch hingegen Villacèque D. 2010, 663 (666). Demgegenüber fordert Cadiet, erst die Bewährung der Reform in der Rechtspraxis abzuwarten; siehe Cadiet/Amrani-Mekki JCP éd. G 2011 (Chronique), 1114 (1115) – Abschnitt Cadiet. 185  Mit dem Hinweis auf einen zu erwartenden Anstieg der Verfahren vor den Cours d’appel kritisiert dies insbesondere Junillon JCP éd. G 2011 (Aperçus rapides), 200 (200). 186  Zu der in weiten Teilen bereits vollzogenen Verschmelzung der Tätigkeiten des avoué und des avocat in der Rechtspraxis siehe Rapport Attali I, S.  166 (décision n°  213). 187  Zu den vorangegangenen Befürchtungen einiger Vertreter der deutschen Rechtspraxis siehe insbesondere den Vortrag von Debusmann, damals Präsident des Oberlandesgerichts Hamm und Beigeladener im genannten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht (1 BvR 335/97, BVerfG NJW 2001, 353 ff.); zitiert nach dem Bericht des Prozessbeobachters Jahn BB, Die erste Seite 6/2001; siehe ferner die Zusammenfassung bei Römermann BB 2001, 272 (272). 188  Kritisch zur Übertragung dieses Umstandes auf das Verfahren vor der Cour d’appel mit Hinweis auf möglicherweise größere örtliche Distanzen Perrot Institutions, Rn.  463 (insb. Fn.  54) sowie Gerbay/Gerbay, Rn.  654 f. als vormalige avoués bzw. diplômés avoué. 189  Der Wegfall der Singularzulassung war auch nicht Bestandteil der Evaluation der ZPO-Re­ form von Hommerich und Prütting. 190  So beispielsweise Jaeger NZV 2005, 22 (23); siehe ferner Eichele, in: Eichele/Hirtz/Ober­ heim, B, Rn.  5. Unter dem Aspekt der fortschreitenden Liberalisierung des anwaltlichen Berufs­ standes wird die Abschaffung der Singularzulassung vor den Oberlandesgerichten von Prütting AnwBl 2009, 9 (10 u. 13) hingegen als Erfolg gewertet. 191  So für das Oberlandesgericht Köln Offermann-Burckart, Kammerforum 2003, 3 (3); ferner Henssler/Kilian NJW 2002, 2817 (2821).

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(3)  Versuch einer statistischen Analyse und einer Übertragung auf Frankreich Aufgrund der fortgeschrittenen Zeit kann eine objektive Analyse nur noch aufgrund gefestigter statistischer Daten erfolgen. Versteht man das Prinzip der Singularzulas­ sung einerseits als Garant eines materiell hochwertigen Berufungsverfahrens und andererseits als Voraussetzung einer soliden Verfahrensführung durch prozessuale Spezialisten, sind die Entwicklungen der als unbegründet zurückgewiesenen und der als unzulässig verworfenen Berufungen vor den betroffenen Oberlandesgerich­ ten in den Blick zu nehmen. Vor den Oberlandesgerichten des Landes Nord­ rhein-Westfalen, dem größten der einst von der Singularzulassung betroffenen Bun­ desländer,192 lassen sich im Verhältnis der letzten fünf Jahre vor dem Auslaufen der vom Bundesverfassungsgericht gesetzten Übergangsfrist zum 1. Januar 2002193 und der ersten fünf Jahre danach nur geringfügige Unterschiede und im Ergebnis sogar Verbesserungen feststellen: So belief sich der Anteil der als unbegründet zurückge­ wiesenen Berufungen an den streitigen Berufungsurteilen der Oberlandesgerichte im genannten Zeitraum vor dem 1. Januar 2002 auf einen Jahresdurchschnitt von 46,1 % gemessen an allen kontradiktorisch entschiedenen Berufungen,194 der An­ teil der als unzulässig verworfenen Berufungen betrug 0,8 %.195 Im genannten Zeit­ raum nach dem 1. Januar 2002 belief sich der Anteil der als unbegründet zurückge­ wiesenen Berufungen auf durchschnittlich 42,2 %,196 der Anteil der als unzulässig verworfenen Berufungen lag unverändert bei 0,8 %.197 Im Jahr 2012 betrug der 192  Eine umfassende Darstellung der Situation in den übrigen betroffenen Ländern, namentlich Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schles­ wig-Holstein kann an dieser Stelle nicht erfolgen. Es bestehen jedoch keine strukturellen Unter­ schiede. 193  BVerfG NJW 2001, 353 (357). 194  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1997), Tabelle 2.7, Posten 28: 46,1 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1998), Tabelle 2.7, Posten 28: 49,4 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1999), Tabelle 2.7, Posten 27: 47,5 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (2000), Tabelle 2.7, Posten 27: 45,8 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (2001), Tabelle 2.7, Posten 27: 41,9 %. 195  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1997), Tabelle 2.7, Posten 29: 0,5 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1998), Tabelle 2.7, Posten 29: 0,9 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1999), Tabelle 2.7, Posten 28: 1,4 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (2000), Tabelle 2.7, Posten 28: 0,6 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (2001), Tabelle 2.7, Posten 28: 0,6 %. 196  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002), Tabelle 8.1.2, Posten 28: 44,0 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2003), Tabelle 8.1.2, Posten 28: 38,7 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004), Tabelle 8.1.2, Posten 29: 43,0 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2005), Tabelle 8.1.2, Posten 29: 42,9 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2006), Tabelle 8.1.2, Posten 38: 42,6 %. 197  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002), Tabelle 8.1.2, Posten 29: 0,3 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2003), Tabelle 8.1.2, Posten 29: 1,0 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004), Tabelle 8.1.2, Posten 30: 0,8 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2005), Tabelle 8.1.2, Posten 30:

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Anteil der als unbegründet zurückgewiesenen Berufungen zuletzt 44 %, der Anteil der als unzulässig verworfenen Berufungen lag wiederum unverändert bei 0,8 %.198 Zumindest statistisch kann den pauschalen Verweisen auf etwaige Qualitätseinbu­ ßen im Verfahren vor den Oberlandesgerichten daher nicht gefolgt werden. Unklar ist allerdings, inwiefern sich das zeitgleich in Kraft getretene Zivilprozessreformge­ setz auf die Daten ausgewirkt hat. In den Materialien zum Zivilprozessreformgesetz fand der verfassungsgerichtlich vorgezeichnete Wegfall der Singularzulassung vor den deutschen Oberlandesgerichten keine Berücksichtigung.199 Aufgrund des Funk­ tionswandels der Berufung ist jedoch davon auszugehen, dass die Fehleranfälligkeit des Berufungsprozesses zumindest in der Anfangszeit nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes eher zu- als abgenommen hat.200 Für den französischen appel, dessen Reform hingegen ausdrücklich die Fusion von avocat und avoué berücksichtigt, lässt sich somit keine zwingend nachteilhafte Prognose ableiten.201 Diesen Eindruck bestärken auch erste Bewertungen und rechtstatsächliche Untersuchungen der Reform. So konzentriert sich die Kritik an der Fusion beider Berufsstände im Rahmen eines von Gélard am 4. Juni 2014 vor­ gelegten Rapport d’information202 auf die arbeits- und sozialpolitischen Folgen für die betroffenen Berufsträger.203 Eine Bewertung der verfahrensrechtlichen Auswir­ kungen sei hingegen zum Bewertungszeitpunkt noch nicht möglich gewesen, ob­ gleich die Intention der Reform, eine Prozessvertretung aus einer Hand zu etablie­ ren, nach wie vor zu begrüßen sei.204

1,0 %; Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2006), Tabelle 8.1.2, Posten 39: 0,7 %. 198  Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 8.1.2, Posten 44 und 45. 199  Standesrechtliche Fragen der Anwaltschaft wurden allein unter kompensatorischen Vorzei­ chen in Bezug auf die letztlich nicht erfolgte Zentralisierung der Berufung bei den Oberlandesge­ richten diskutiert; siehe hierzu §  119 Abs.  1 GVG und §  26 Nr.  1 EGZPO in der Fassung des Ge­ setzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes sowie die entsprechende Begründung, BT-Drucks. 14/4722, S.  65. 200  Siehe hierzu insbesondere Büttner, S.  29, der von „deutlich höheren Anforderungen als bis­ her“ spricht; ferner Stackmann NJW 2008, 3665 (3665 ff.) über Fehlervermeidung im reformierten Berufungsverfahren. 201  Zu den wirtschaftlichen Konsequenzen für die vormaligen avoués und ihr Personal Junillon JCP éd. G 2011 (Aperçus rapides), 200 (202 f.) sowie von deutscher Seite Harbeck AnwBl 2009, 859 (860). 202  Gélard, Rapport d’information (Sénat), n°  580, Session ordinaire de 2013-2014, fait au nom de la commission des lois constitutionnelles, de législation, du suffrage universel, du Règlement et d’administration générale (1) sur la mise en œuvre de la loi réformant la procédure d’appel, ver­ öffentlicht auf den Internetseiten des Sénat unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). 203  Gélard, Rapport d’information (Sénat), n°  580, a. a. O., S.  19. 204  Gélard, Rapport d’information (Sénat), n°  580, a. a. O., S.  16 f.; kritisch im Vorfeld der Re­ form hingegen Boyer Gaz. Pal. 2011 (Doctrine), 727 (729 f.) sowie im Anschluss daran Zwickel ZZPInt 2012, 43 (59) m. w. N.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

cc)  Ergänzende Berücksichtigung europarechtlicher Vorgaben Dessen ungeachtet ist zweifelhaft, ob der Berufsstand der avoués vor dem Hinter­ grund der Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (sog. Europäische Dienstleistungsrichtlinie) auch künftig hätte Bestand haben können.205 Zwar ist der französische Gesetzgeber einer etwaigen Entscheidung des Europäischen Gerichts­ hofs zuvorgekommen. Die Frage ist jedoch für das (Selbst-)Verständnis des vorma­ ligen Berufsstandes der avoués nicht unbedeutend. Denn um die Abschaffung auf politischem Wege zu verhindern, wandte sich die Compagnie des avoués près la Cour dʼappel dʼOrléans noch im Jahr 2009 mit einer Petition an das Europäische Parlament.206 Sie vertrat die bereits oben wiedergegebene Ansicht, dass das Amt des avoué unerlässlich sei, um ausländische Rechtsanwälte bei der Verfahrensfüh­ rung vor der Cour d’appel zu unterstützen; im Übrigen berief sich die Petentin auf europäische Grundrechte.207 Im Rahmen ihrer Stellungnahme vertrat die Kommis­ sion die Ansicht, dass die Tätigkeit des avoué zwar nicht den Privilegierungstatbe­ stand einer hoheitlichen Tätigkeit im Sinne des Art.  2 Abs.  2 lit.  i, lit.  l RL 2006/123/ EG erfülle.208 Eine reglementierte Form der Prozessvertretung sei aber nicht per se gemeinschaftsrechtswidrig. Erforderlich sei lediglich, dass die Art der Reglemen­ tierung nicht gegen die Diskriminierungsverbote der Artt.  15 u. 25 Abs.  1 lit.  a RL 2006/123/EG verstoße.209 Auf dieser Grundlage wäre es erforderlich, dass eine qua­ litativ hochwertige Prozessvertretung vor den Gerichten zweiter Instanz nur durch eine eigenständige Berufsgruppe gewährleistet werden könne, vgl. Art.  25 Abs.  1 lit.  a RL 2006/123/EG. Dagegen sprechen auf französischer Seite aber sowohl die Entwicklungsgeschichte des avocat und des avoué als auch die bis zuletzt in der Rechtswirklichkeit praktizierte Arbeitsteilung beider Prozessvertreter. Ein Blick 205  Vgl. die entsprechenden Erwägungen in den Gesetzesmaterialien Assemblée nationale, p­ rojet de loi n°  1709 du 3 juin 2009, S.  4, selbständig veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  73) sowie im Nachgang der Reform auch bei Gélard, Rapport d’information (Sénat), n°  580, a. a. O., S.  19. 206  Mitteilung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 25. September 2009, veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  166). 207  Der Einwand wurde von der Kommission im Rahmen ihrer Stellungnahme zurückgewie­ sen; siehe die Mitteilung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 25. Septem­ ber 2009, S.  5, veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  166); siehe ergänzend die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 6. Februar 2003, in deren Rahmen der Gerichtshof die Abschaffung der Singularzulassung vor den deutschen Oberlandesgerichten als vereinbar mit der Europäischen Menschenrechtskonvention einschließlich ihres ersten Zusatz­ protokolls erklärte; EGMR, Entscheidung vom 6. Februar 2003 – Nr.  71630/01, Wendenburg u. a./ Deutschland, NJW 2003, 2221 (2221 ff.). 208  Mitteilung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 25. September 2009, S.  2, veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  166) mit Hinweis auf das Urteil des EuGH vom 21. Juni 1974 – Nr.  2/74, Reyners, NJW 1975, 513 (515). 209  Mitteilung des Petitionsausschusses des Europäischen Parlaments vom 25. September 2009, S.  3 f., veröffentlicht a. a. O. (Nachweis unter Fn.  166).

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auf das deutsche Recht verdeutlicht zudem, dass eine verfahrens- und gemein­ schaftsrechtskonforme Unterstützung ausländischer Rechtsanwälte auch in anderer Weise wie zum Beispiel durch einen sog. Einvernehmensanwalt gewährleistet wer­ den kann, §  28 EuRAG.210 Ein besonderes prozessuales und vor allem hoheitliches Amt ist hierzu nicht notwendig. III.  Anstöße für das deutsche Recht: Stärkung der formellen Berufungsanforderungen Im Unterschied zum appel sieht die Berufung der §§  511 ff. ZPO keine unterschied­ lichen Einleitungsformen vor. Die Berufungsfrist beträgt einen Monat ab der Zu­ stellung des erstinstanzlichen Urteils, §  517 ZPO. Sie entspricht der Frist des appel und hat sich im Zuge des Zivilprozessreformgesetzes nicht geändert, vgl. §  516 ZPO a. F.211 Die Frist zur Erwiderung der Berufung bestimmen der Vorsitzende oder das Berufungsgericht gemäß §  521 Abs.  2 ZPO individuell. Die elektronische Kommu­ nikation gestattet §  130a Abs.  1 S.  1 ZPO lediglich unter der Voraussetzung, dass das betroffene Gerichte über die hierzu notwendige technische Ausstattung ver­ fügt.212 Nach dem Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten vom 10. Oktober 2013213, auf welchem auch der neu gefasste §  130c ZPO über elektronische Formulare beruht, wird es eine flächendeckende elektronische Kommunikation mithilfe eines eigenen sicheren Übermittlungsweges erst ab dem Jahr 2018 bzw. 2022 geben.214 Unabhängig hiervon betrachtet der Bundesgerichts­ hof gegenwärtig eine eingescannte und anschließend im Portable-Document-Format (pdf) per E-Mail versandte Berufungsbegründung als wirksam eingereicht, sobald dem Gericht ein Ausdruck hiervon vorliegt.215

210 

Hierzu Adolphsen, S.  66 f. Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 212  Einen fortlaufend aktualisierten Überblick über den Entwicklungsstand bieten das Justiz­ portal des Bundes und der Länder unter (letzter Zugriff am 15.12.2014) sowie der Deutsche EDV-Gerichtstag e.V. unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). Zur Situation in den einzelnen Bundesländern siehe ferner die Länderberichte der Bund-Länder-Kommission unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). Eine Übersicht über die jeweils zugrunde liegenden Rechtsakte findet sich auch bei Baumbach/Lauterbach/Hartmann ZPO, §  130a, Rn.  6; eine um­ fangreiche historische und systematische Analyse des elektronischen Rechtsverkehrs im Zivilpro­ zess bietet Preuß ZZP 125 (2012), 135 passim. 213  BGBl. 2013 I, S.  3786 ff. 214  Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Förde­ rung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten, BT-Drucks. 17/12634, S.  21. 215  Siehe BGH NJW 2008, 2649 (2649 ff.) mit ausführlichen Hinweisen zum Erfordernis der Unterschrift. 211 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

1.  Die Akzentuierung des deutschen Reformgebers aus vergleichender Perspektive Im Übrigen besteht Einigkeit darüber, dass der deutsche Reformgeber den Schwer­ punkt der reformierten Berufung nicht auf deren formelle Anforderungen und die Gestaltung des Verfahrens legte, sondern sich stattdessen auf die Reglementierung des zweitinstanzlichen Verfahrensstoffs konzentrierte, vgl. §§  529 ff. ZPO.216 Zwar obliegt es dem Berufungskläger, die Berufung auf einen Berufungsgrund des §  513 ZPO zu stützen und auf dieser Grundlage umfassend zu begründen (§  520 ZPO),217 eine verbindliche Form oder Struktur der Berufungsbegründung nennt das Gesetz aber nicht.218 Erforderlich ist allein, dass der Umfang der Begründung quantitativ mit dem Antrag korrespondiert.219 Im Vergleich zu den strengen Anforderungen der Artt.  900 ff. u. 954 CPC stellt sich somit die Frage, inwiefern die Voraussetzungen des §  520 ZPO dem reformierten Verfahrenszweck der Berufung entsprechen. Rechtsvergleichend gilt dies umso mehr, als der französische Reformgeber den appel trotz der Verschärfung seiner Verfahrensregeln als vollwertigen double degré de juridiction begreift.220 2.  Konzeptionelle und praktische Probleme der §§  513 und 520 ZPO Im Unterschied zur Cour d’appel, deren Prüfung sich gemäß Art.  954 Abs.  2 CPC in den Grenzen des Schriftsatztenors bewegt,221 ist das deutsche Berufungsgericht zu einer umfassenden Prüfung der Berufungsbegründung verpflichtet.222 Inhaltlich ist der Prüfungsmaßstab nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht auf die vorgetragenen Berufungsgründe beschränkt.223 Ungeachtet des §  513 ZPO habe das Berufungsgericht den kompletten eingangsgerichtlichen Sachverhalt von Amts wegen auf konkrete Anhaltspunkte für Zweifel (§  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO) hin zu prüfen, sofern es auch nur einen Berufungsgrund feststelle.224 Im Übrigen müssten 216 

Siehe nur Hirtz, Bericht 65. DJT, S. A 53 (A 59). Zur historischen Entwicklung des Konkretisierungszwangs instruktiv Bettermann ZZP 91 (1978), 365 (383). 218  Zu den daraus erwachsenden praktischen Problemen vgl. Doukoff, Rn.  300 (Fn.  1441). 219  Vgl. die insofern differenzierte Entscheidung des LG Bonn NJW 2006, 2640 (2641): „Die Berufung des Kl. ist in Höhe eines Betrags von 167,39 Euro unzulässig. Denn der Kl. hat seine Berufung, soweit das AG die geltend gemachte Schadensersatzforderung nach einem Gegen­ standswert von 5052 Euro entsprechend dem Jahresbetrag des Nettogrundentgelts, berechnet hat, nicht begründet (§§  520 I, III, 522 I ZPO)“ – bestätigt durch BGH NJW 2007, 2049 (2049). 220  Rapport Magendie II, S.  34 ff. 221  Siehe oben §  9 II 1. 222  Siehe BGH NJW 2004, 1876 (1877) sowie Gaier NJW 2004, 2041 (2042). 223  Hierzu Gaier NJW 2004, 2041 (2043) und Ball, in: Musielak ZPO, §  529, Rn.  9. Siehe außer­ dem Hirtz NJW 2014, 1642 (1643), der diesen Umstand zum Anlass nimmt, eine Bindungswirkung der erstinstanzlichen Feststellungen gegenüber dem Berufungsgericht generell zu verneinen. 224  BGH NJW 2014, 74 (75); hierzu Hirtz NJW 2014, 1642 (1643); zuvor bereits BGH NJW 2004, 1876 (1877), bestätigt durch BGH NJW 2004, 2152 (2153); hierzu Hirtz, in: FS Eichele, S.  212 (218). 217 

§  9  Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung

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Anhaltspunkte für Zweifel nicht mit der Feststellung einer spezifischen Rechtsver­ letzung korrespondieren.225 Roth spricht insoweit mit Recht von „lästigen Fesseln“, welche der Bundesgerichtshof den Berufungsgerichten in Form der „Verpflichtung zu einer umfassenden Aufarbeitung des Ausgangsverfahrens durch Aktenstudium“ angelegt habe.226 Die Grundlage dieser „Fesseln“ findet sich in §  520 Abs.  2 ZPO, in dessen Rahmen es der Gesetzgeber unterließ, strenge formelle Anforderungen fest­ zulegen.227 Es fehlt somit an der notwendigen technisch-formellen Korrespondenz der §§  513 und 520 ZPO sowie letztlich auch des §  529 ZPO. Auf dieser Grundlage war es der Rechtsprechung möglich, in der Tradition einer zweiten Tatsachen­instanz die Tatsachenfeststellung von der eigentlichen Berufungsbegründung zu entkop­ peln.228 Wie die rechtstatsächliche Untersuchung von Hommerich und Prütting be­ legt, wurde die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs von den Berufungsgerich­ ten von Beginn an wohlwollend aufgenommen. So gaben 77 % der befragten Rich­ ter an Landgerichten und 78 % der befragten Richter an Oberlandesgerichten an, Mängel des eingangsgerichtlichen Verfahrens auch ohne entsprechende Rüge als „konkrete Anhaltspunkte“ für Zweifel an der eingangsgerichtlichen Tatsachenfest­ stellung zu berücksichtigen.229 Als Aufgabe des Berufungsanwalts wird es dement­ sprechend verstanden, möglichst weitläufig Zweifel zu säen, um die Bindung des Berufungsgerichts an die eingangsgerichtlich festgestellte Tatsachengrundlage zu überwinden.230 Unter dem Aspekt der materiellen Gerechtigkeit mag dies zwar in einzelnen Fällen zu begrüßen sein,231 die Unterscheidung der Absätze 1 und 2 des §  529 ZPO zwischen rügepflichtigen und von Amts wegen zu beachtenden Verfah­ rensmängeln wird hiermit jedoch eingeebnet.232 Ebenso wird der Zweck des §  513 Abs.  1 ZPO, den Prüfungsumfang der Berufung auf einzelne Berufungsgründe zu beschränken,233 verfehlt.234 Dass die Rechtsprechung den Normbefehl der zitierten Vorschriften verkennt, zeigt schließlich ein Vergleich der gegenwärtigen Regeln mit 225  So BGH NJW 2005, 1583 (1584). Vorangegangene oberlandesgerichtliche Urteile fassten §  529 ZPO durchaus strenger auf, hatten vor dem Bundesgerichtshof aber keinen Bestand; Nach­ weise bei Wolff ZZP 118 (2005), 488 (491). Siehe ferner Hirtz, in: FS Eichele, S.  212 (214), der das Fehlen eines ausdrücklichen Kausalitätserfordernisses nach Art des Revisionsrechts (§  545 ZPO – „beruht“) anmerkt. 226  Roth JZ 2006, 9 (13). 227  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  95 f. 228  Unberath ZZP 120 (2007), 323 (340) m. w. N. 229  Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  197 f., Abbildung 83. Die Befragungen wurden von Juni bis August 2005 geführt; vgl. die Daten a. a. O., S.  38 f. 230  Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, G, Rn.  9. 231  So Doukoff, Rn.  137 und Wolff ZZP 118 (2005), 488 (492) m. w. N. auch zur Bedeutung des Justizgrundrechts auf rechtliches Gehör. Im Übrigen beklagt etwa Hirtz NJW 2014, 2529 (2531) eine zu starke Gewichtung formeller Aspekte zum Nachteil inhaltlicher Fragen. 232  Ebenso kritisch Greger JZ 2004, 805 (811). 233  Hierzu Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer Seitz ZPO 2002, §  513, Rn.  1 f. 234  Doukoff, Rn.  137 bezeichnet dies als eine „Sprengung“ des gesetzlichen Systems.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

einem Reformvorschlag bezüglich §  525 a. F. aus der Feder Gottwalds anlässlich des 61. Deutschen Juristentages 1996 in Karlsruhe: „Das Berufungsgericht überprüft das angefochtene Urteil in tatsächlicher Hinsicht; die Prü­ fung kann [!] sich auf die von den Parteien gerügten Fehler beschränken.“235

Eine vergleichbare Kann-Vorschrift zugunsten des gesamten erstinstanzlichen Ver­ fahrens findet sich weder in den §§  513, 520 ZPO noch in §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO. Nichtsdestoweniger erlauben die mitunter vagen Begriffe des §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO („Zweifel“ und „gebieten“) eine Verschiebung der vom Reformgeber beabsich­ tigten Akzentuierung und bilden damit das normative Einfallstor der vergleichswei­ se großzügigen Rechtsprechung.236 Obwohl §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO und §  520 Abs.  3 S.  2 Nr.  3 ZPO begrifflich einander entsprechen, bereitet die Anwendung der Normen Probleme. Deutlich wird dies etwa bei der Frage nach der Befugnis des Berufungsgerichts, Willenserklärungen eigenständig auszulegen.237 Ist die Ausle­ gung des Eingangsgerichts rechtsfehlerfrei, also frei von Verfahrensrechtsverlet­ zungen, Verstößen gegen Auslegungsgrundsätze und Denkgesetze,238 aber für das Berufungsgericht nicht überzeugend, ist umstritten, ob die erstinstanzliche Ausle­ gung als „richtig“ im gesetzlichen Sinn (§§  520 Abs.  3 S.  2 Nr.  3, 529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO) anzusehen ist.239 Aufgrund der schwierigen Begriffspaarung von „Zweifel“ und „Richtigkeit“ im Rahmen von §§  520, 529 ZPO sowie wegen des ebenso vagen Verbs „rechtfertigen“ im Rahmen von §  513 ZPO wird die Diskussion über den Umfang der Befugnis des Berufungsgerichts zur eigenen Tatsachenermittlung häu­ fig auf der Grundlage von Ersatzbegriffen wie „vertretbar“, „überzeugend“ und „plausibel“ geführt.240 Die genannten Begriffe zeichnen sich durch eine liberale Konnotation aus, was sich anhand der Gesetzgebungsgeschichte der §§  520 Abs.  3 Nr.  3, 529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO nachvollziehen lässt.241 Während der ursprüngliche Re­ gierungsentwurf noch vergleichsweise strenge Anforderungen an eine neuerliche Tatsachenermittlung im Berufungsverfahren stellte („ernstliche Zweifel“),242 wur­ den die Anforderungen durch den Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages he­ rabgesetzt („Zweifel“). Als Grund nannte der Rechtsausschuss das Ziel einer mate­ riell richtigen und gerechten Entscheidung; gleichzeitig hielt er aber am System der 235  Gottwald, Gutachten 61. DJT, S. A 1 (A 55) – bei dem eingefügten Ausrufezeichen handelt es sich um eine Anm. d. Verf. 236  Kritisch vor allem Doukoff, Rn.  137 und Wächter ZZP 119 (2006), 393 (416 f.); ferner auch Schellhammer, Rn.  980. 237  Hierzu BGH NJW 2005, 153 (154); vorangegangen BVerfG NJW 2003, 2524 (2524). 238  Vgl. Althammer, in: Stein/Jonas ZPO, §  513, Rn.  6. 239  Ausführlich und mit umfangreichen Nachweisen bereits Haspl, S.  286 u. 297 ff. 240  Althammer, in: Stein/Jonas ZPO, §  513, Rn.  6 ff. m. w. N. auch zu Ermessensentscheidun­ gen. 241  Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz ZPO 2002, §  529, Rn.  4 ff.; Hirtz, in: Eichele/Hirtz/ Oberheim (3.  Aufl.), VII, Rn.  6 f. 242  Vgl. die §§  520 Abs.  3 Nr.  3, 529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO in der Fassung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722 – „ernstliche Zweifel“.

§  9  Die formelle Ausgestaltung der Verfahren des appel und der Berufung

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Berufungsgründe fest.243 Die Berufungsgerichte schenkten diesem zweiten Ent­ wicklungsschritt der §§  520 Abs.  3 Nr.  3, 529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO zunächst wenig Be­ achtung, was den Bundesgerichtshof zum Einschreiten in der beschriebenen Form veranlasste und den Weg für eine liberale Auslegung der Vorschriften ebnete.244 3.  Die Reform des appel als Lösungsansatz für das deutsche Recht Bedenkt man vor diesem Hintergrund, dass die nach der Rechtsprechung des Bun­ desgerichtshofs vom Berufungsgericht selbst zu entwickelnden „Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen“ (§  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO) naturgemäß am Ende eines umfangreichen Erkenntnispro­ zesses stehen,245 ist die Frage berechtigt, ob die beschriebene höchstrichterliche An­ sicht dem gesetzgeberischen Ziel einer auf Berufungsgründen basierenden Fehler­ korrekturinstanz entspricht. Sollte der Gesetzgeber weiterhin am ursprünglichen Ziel einer Fehlerkontrollinstanz festhalten, wird der bestehende Wertungskonflikt nicht ohne eine Straffung der formellen Verfahrensregeln der Berufung zu lösen sein. Im Rechtsvergleich belegen dies etwa die Beobachtungen Crozes246 und Friceros247, die trotz der formell akzentuierten Reform des appel eine mittelbare Beschränkung des double degré de juridiction feststellen. Angesichts der Art der auf deutscher Seite bestehenden Probleme bietet sich vor allem eine gesetzliche Konkretisierung der Anforderungen an die Berufungsbe­ gründung an. Hingegen würde eine terminologische Neufassung der zitierten Vor­ schriften angesichts ihrer bisherigen Entwicklung die bestehenden Auslegungsfra­ gen möglicherweise verschärfen. Ebenso erscheint eine Korrektur allein des auf die Berufungsbegründung folgenden Verfahrens und insbesondere der Arbeitsweise des vorbereitenden Einzelrichters (§  527 ZPO) in Anlehnung an den französischen conseiller de la mise en état nur bedingt erfolgversprechend. Denn der Bundesge­ richtshof betrachtet einen vom Berufungsgericht einmal festgesetzten Prüfungsrah­ men und entsprechend zugelassenen Sachvortrag als nicht mehr nachträglich zu beschränken.248 Dies vorausgesetzt, muss eine Korrektur der beschriebenen Fehl­ steuerung zu einem systematisch früheren Zeitpunkt ansetzen. Hierbei könnte Art.  954 Abs.  2 CPC249 als Vorlage für eine verbindliche Struktur der Schriftsätze 243  Siehe zum Ganzen die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 14/6036, S.  124. 244  So die Analyse bei Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim (3.  Aufl.), VII, Rn.  6 f. m. w. N. Siehe außerdem die Nachweise bei Althammer, in: Stein/Jonas ZPO, §  513, Rn.  6 ff. 245  Eingehend Schwarz, S.  230 f. 246  Croze Procédures 10/2013 (Dossier), n°  2. 247  Fricero Procédures 10/2013 (Dossier), n°  6; siehe auch Ferrand ZZPInt 2009, 43 (78) mit Blick auf die verkürzte Rechtsmittelbegründungsfrist. 248  BGH NJW 2004, 1458 (1459); BGH NJW 2005, 1583 (1585); BGH NJW-RR 2006, 760 (761) m. w. N.; kritisch zur fehlenden Revisibilität von Verletzungen der §§  529, 531 ZPO etwa Schmidt NJW 2007, 1172 (1173 f.) und Rimmelspacher/Fleck, in: FS Spellenberg, S.  121 (121 ff.) m. w. N. 249  Hierzu oben §  9 II 1.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

im Sinne einer formalen „modélisation“250 des gemäß §§  513, 520 u. 529 ff. ZPO beschränkten Prüfungsumfangs des Berufungsgerichts dienen. Der Gesetzgeber könnte auf diese Weise das Profil der Berufung schärfen, ohne die bestehenden Auslegungsfragen der §§  513, 529 und 531 ZPO zu vertiefen.251 Die verbleibenden Rechtsfragen wären in einem weiteren Schritt unter Rückbesinnung auf das Kon­ zept des Reformgebers zu erörtern.252 Ein Wort Friceros vor der Reform des appel im Jahr 2011 lässt sich insofern auch auf das deutsche Berufungsverfahren und eine fiktive zweite Novellierung übertragen: „La seconde réforme vise la structuration des écritures. La liberté accordée actuellement aux parties ne facilite pas la tâche du juge: […] le juge doit répondre aux différents moyens et prétentions contenus dans les écritures, quelle que soit la place qu’ils occupent et la partie des conclusions dans laquelle ils figurent.“253

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz Neben den beschriebenen formellen Anforderungen des Rechtsmittelverfahrens wird der Umfang der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnisse der deutschen und der französischen Rechtsmittelgerichte materiell durch den Devolutiveffekt be­ stimmt.254 Während sich der appel traditionell durch ein umfassendes Novenrecht auszeichnet,255 verfolgt die reformierte Berufung in Abgrenzung hierzu das Ziel einer weitreichenden Beschränkung neuen Tatsachenvortrages.256 Dennoch sehen beide Rechtsmittel Möglichkeiten vor, den zweitinstanzlichen Streitgegenstand qualitativ und quantitativ zu erweitern und so die Grenzen der Devolution zu durch­ brechen. Das Ziel dieses Abschnittes besteht darin, die materiellen Gewährleistun­ gen des appel und der Berufung unter Berücksichtigung ihres jeweiligen prozessua­ len Umfeldes einander gegenüberzustellen. 250 

Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  20. Umso mehr gilt dies, wenn man bedenkt, dass sich die Rechtspraxis in Teilen ohnehin auf Mustervorschläge für Berufungsbegründungen stützt; vgl. Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, I, Rn.  6. In eine ähnliche Richtung zielt auch der Beschluss Nr.  25 der Abteilung Prozessrecht des 70. Deutschen Juristentages, vorab veröffentlicht unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). 252  Hierzu unter §  10 I 3 c. 253  Fricero Procédures 5/2010 (Étude), n°  3 – „Die zweite Reform betrifft die Struktur der Schriftsätze. Die Freiheit, die den Parteien gegenwärtig gewährt wird, erleichtert nicht die Arbeit des Richters: Der Richter muss auf die verschiedenen Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie Ansprüche innerhalb der Begründung eingehen, unabhängig davon, welchen Platz sie darin ein­ nehmen und welchem Abschnitt sie angehören“ (Übers. d. Verf.). 254  Zum französischen Recht Cadiet/Jeuland, Rn.  842 ff.; zum deutschen Recht Schilken ZPR, Rn.  864. 255  Rechtsvergleichend Hess EuZPR, §  13, Rn.  15 (insb. Fn.  66). 256  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  70. 251 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 117

I.  Funktionsweisen und Entscheidungsgrundlagen des appel und der Berufung Hierzu werden zunächst die prozessualen Funktionsweisen und die sachlichen Ent­ scheidungsgrundlagen des appel und der Berufung analysiert. 1.  Der appel als voie de réformation und voie d’annulation Der appel ist als voie de réformation und voie d’annulation konzipiert, Art.  542 CPC: „L’appel tend à faire réformer ou annuler par la cour d’appel un jugement rendu par une juri­ diction du premier degré.“

In seiner Eigenschaft als voie de réformation ermöglicht der appel die Überprü­ fung der eingangsgerichtlichen Entscheidung in tatsächlicher (en fait) und rechtli­ cher (en droit) Hinsicht, Art.  561 CPC. Als voie d’annulation zielt der appel darauf ab, schwerwiegende Fehler des eingangsgerichtlichen Verfahrens festzustellen und die angefochtene Entscheidung infolgedessen für nichtig zu erklären.257 Die deut­ sche und die französische Verfahrensordnung entsprechen einander darin, dass die prozessuale Fehlerhaftigkeit (nullité) einer gerichtlichen Entscheidung nicht auto­ matisch ihre Gegenstandslosigkeit begründet.258 Während sich die Notwendigkeit eines Rechtsmittelverfahrens zur Geltendmachung der Nichtigkeit im französi­ schen Recht ausdrücklich aus Art.  460 CPC ergibt, folgt sie im deutschen Zivilver­ fahren im Umkehrschluss aus den Wiederaufnahmeregeln der §§  578 ff. ZPO.259 Funktionell entspricht die französische voie d’annulation damit auf deutscher Seite zugleich der Berufung gegen wirkungslose und wirkungsgeminderte Urteile.260 Während jene Ausprägung der Berufung aber darauf abzielt, den Eintritt der mate­ 257  Grundlegend Cass. civ., 28 novembre 1904, Rec. Sirey 1907 I (Jurisprudence de la Cour de cassation), 281 (281 f.); außerdem Cadiet/Jeuland, Rn.  845. Als Grundlage der nullité kommen nach dem Katalog des Art.  458 Abs.  1 CPC hauptsächlich formelle Fehler bei der Besetzung des Gerichts sowie bei der Entscheidungsfindung und den Entscheidungsformalien in Betracht. Siehe hierzu sowie zu weiteren Nichtigkeitsgründen Lefort Théorie, Rn.  712 ff. 258  Auf französischer Seite war die Notwendigkeit, fehlerhafte Entscheidungen mit dem jeweils statthaften Rechtsbehelf anzufechten, bereits unter Geltung des Ancien Code de procédure civile als ungeschriebener Grundsatz voies de nullité n’ont lieu contre les jugements anerkannt. Die Re­ gel besagt wörtlich, dass die Nichtigkeit einer Entscheidung nicht mithilfe einer Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden kann; siehe Devèze, S.  45 f. u. S.  13 ff. Zur historischen Entwicklung der Regel siehe ferner Morel (1949), Rn.  602 und Cass. civ., 28 novembre 1904, Rec. Sirey 1907 I ­(Jurisprudence de la Cour de cassation), 281 (281 f.). 259  Grundlegend BGH NJW 1954, 1281 (1281); siehe ferner Eichele, in: Eichele/Hirtz/Ober­ heim, E, Rn.  33 auch mit Hinweisen auf die gegenteilige Rechtsprechung des Reichsgerichts. 260  Hierbei handelt es sich um Urteile, die zwar existent geworden sind, jedoch an einem schwerwiegenden und offenkundigen Verfahrensfehler leiden. Zur Abgrenzung gegenüber dem Schein- bzw. Nichturteil, welches nicht wirksam verkündet oder zugestellt wurde; siehe Ball, in: Musielak ZPO, §  511, Rn.  8; zur Abgrenzung gegenüber dem formell inkorrekten Urteil, welches aufgrund seines Inhalts in einer anderen Entscheidungsform hätte ergehen müssen; siehe Ball, in: Musielak ZPO, §  511, Rn.  6.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

riellen Rechtskraft zu verhindern, führt der appel in seiner Ausprägung als voie d’annulation zur rückwirkenden Aufhebung der bereits bestehenden autorité de la chose jugée.261 Inwiefern beide Funktionen des appel als dogmatisch eigenständig zu betrachten sind, wurde bereits vor der Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile kontrovers diskutiert.262 Mit arrêt vom 13. Mai 2008 bekräftigte die Cour de cassation die Einheitlichkeit des appel und wies die Forderung nach einer unterschiedli­ chen Anwendung der zugrunde liegenden Verfahrensregeln mangels entsprechen­ der gesetzlicher Anordnung zurück.263 Über ihren einheitlichen formellen Rahmen hinaus wird die systematische Verknüpfung der voie de réformation und der voie d’annulation anhand der Prüfungs- und Entscheidungsbefugnisse der Cour d’appel deutlich. Sofern die Cour d’appel das angefochtene jugement für nichtig erklärt, kann sie hieran anknüpfend unmittelbar in der Sache entscheiden (Art.  562 Abs.  2 CPC); einer Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Eingangsgericht bedarf es nicht.264 Es handelt sich bei der annulation auch nicht um eine prozessuale Vorstufe der réformation.265 Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation ist es weder erforderlich, dass die Cour d’appel im Fall der formellen Fehlerhaftigkeit des ange­ fochtenen jugement zunächst dessen Nichtigkeit ausspricht,266 noch, dass sie im Fall deren Verneinung die Parteien zu erneuter Sacheinlassung auffordert.267 Die Cour de cassation betrachtet vielmehr die formelle und die materielle Fehlerhaftigkeit des jugement und den jeweiligen Parteivortrag als prozessual gleichwertig.268 2.  Die Berufung als reformatorisches und kassatorisches Rechtsmittel Im Unterschied zum französischen Dualismus aus réformation und annulation be­ stimmt sich die Unterscheidung der reformatorischen und der kassatorischen Beru­ fung nicht anhand des Rechtsmittelgrundes, sondern primär anhand der Rechtsmit­

261  Zu den unterschiedlichen Konzepten der Rechtskraft des deutschen und des französischen Verfahrensrechts siehe oben §  5 II 1 c sowie weitergehend unter §  10 II 2. 262  So Motulsky JCP éd. G 1958 I (Doctrine), n°  1423, Rn.  7, welcher der voie d’annulation jegliche Eigenständigkeit abspricht; anderer Ansicht Lefort Théorie, Rn.  709. 263  So Cass. com., 14 mai 2008, Bull. civ. IV 2008, n°  99; zustimmend Beignier/Miniato Lamy 54/2008 (Chronique), 57 (63). 264  In Ermangelung einer entsprechenden Vorschrift war dies noch unter Geltung des Ancien Code de procédure civile umstritten; siehe Vincent D. 1973 (Chronique), 179 (185 f.) sowie Gerbay Gaz. Pal. 2003 (Doctrine), 72 (72). Zum geltenden Recht siehe Douchy-Oudot, Rn.  675 und Cadiet/ Jeuland, Rn.  845 sowie Cass. com., 25 février 1981, Bull. civ. IV 1981, n°  102 und CA Poitiers, 29 juin 1994, JCP éd. G 1995 IV (Tableaux de jurisprudence), n°  1640. 265  Normand/Perrot RTD civ. 2001, 946 (958) – Abschnitt Perrot. 266  Normand/Perrot RTD civ. 2001, 946 (958) – Abschnitt Perrot. 267  Siehe Cass. 2e civ., 9 décembre 1997, Bull. civ. II 1997, n°  302 und Cass. 2e civ., 8 juin 2000, JCP éd. G 2000 IV (Sommaires de jurisprudence), n°  2315, S.  1579 (1579). Anders noch Cass. 2e civ., 24 octobre 1990, JCP éd. G 1990 IV (Tableaux de jurisprudence), 411 (411). 268  Normand/Perrot RTD civ. 2001, 946 (958) – Abschnitt Perrot.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 119

telentscheidung.269 Während sich ein reformatorisches Berufungsurteil durch eine eigene Sachentscheidung des Berufungsgerichts auszeichnet (§  538 Abs.  1 ZPO), kann das Berufungsgericht bei Vorliegen eines Grundes gemäß §  538 Abs.  2 ZPO eine kassatorische Entscheidung treffen und das Verfahren nach seinem Ermessen an das Eingangsgericht zurückverweisen.270 Die Rechtsmittelgründe des §  513 Abs.  1 ZPO, namentlich die Rechtsverletzung (§  513 Abs.  1, 1. Fall ZPO) und der (materielle) Rechtsanwendungsfehler (§  513 Abs.  1, 2. Fall ZPO) korrespondieren nur bedingt mit der Systematik des §  538 ZPO.271 Die prozessual orientierten kassa­ torischen Berufungsgründe des §  538 Abs.  2 ZPO erfassen gemäß ihrer Enume­ra­tion lediglich einen Teilbereich des §  513 Abs.  1, 1. Fall ZPO.272 Dieser ist auf­ grund seines verfahrensrechtlichen Bezugs bei vergleichender Betrachtung der voie d’annulation angenähert.273 Eine Verbindung von formellem error in procedendo und materiellem error in iudicando, wie sie für das Verfahren des appel charakte­ ristisch ist, kann sich aufgrund der in das Ermessen des Gerichts gestellten Rechts­ folge des §  538 Abs.  2 ZPO auch im deutschen Berufungsverfahren ergeben. 3.  Zum Umfang der zu berücksichtigenden Tatsachen im Rahmen von appel und Berufung Neben den Funktionsweisen des appel und der Berufung unterscheidet sich auch der Umfang der im Rahmen beider Rechtsmittel zu berücksichtigenden Tatsachen. Die Unterschiede beziehen sich auf die Fälle eines error in iudicando und betreffen einerseits den appel in seiner Ausprägung als voie de réformation (Art.  561 CPC) sowie andererseits die Berufung außerhalb der kassatorischen Berufungsgründe des §  538 Abs.  2 ZPO. a)  Einbeziehung und Bedeutung des erstinstanzlichen Verfahrensstoffs Im deutschen Rechtsmittelverfahren gelangt der eingangsgerichtliche Verfahrens­ stoff gemäß §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO automatisch in die Berufungsinstanz.274 In ver­

269  Siehe Ahrens, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, A, Rn.  15 f. Umstritten, aber ohne praktische Bedeutung ist die Frage nach der Selbständigkeit des Kassationszwecks; siehe hierzu Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, Vor. §§  511 ff., Rn.  3. 270  BGH NJW-RR 2010, 1048 (1049); BGH NJW-RR 2011, 1365 (1366); OLG München Beck­ RS 2011, Nr.  26734. 271  Die Einführung der genannten Berufungsgründe markiert u. a. den Strukturwandel der Be­ rufung von einer zweiten Tatsacheninstanz zu einer Fehlerkontrollinstanz; siehe hierzu die Be­ gründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Druck. 14/4722, S.  94. 272  Vgl. Rimmelspacher NJW 2002, 1897 (1900 f.). 273  Für eine übergreifende systematische Einordnung des §  538 Abs.  2 ZPO siehe Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  538, Rn.  1 f. und Saueressig, S.  134 ff. 274  Hierzu Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  138, Rn.  42 und Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  529, Rn.  5 ff.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

gleichbarer Weise bestimmt Art.  561 CPC die Devolution der chose jugée.275 Nichts­ destoweniger sind im französischen Rechtsmittelverfahren die entscheidungsrele­ vanten Tatsachen von den Parteien im Rahmen ihrer conclusions detailliert zu benennen (Art.  954 CPC),276 wohingegen das deutsche Berufungsgericht die Frage der Entscheidungserheblichkeit eigenständig prüft.277 Die auf französischer Seite zugrunde liegende Formvorschrift des Art.  954 CPC, die eine präzise Benennung der einzelnen moyens fordert,278 erlangt auf diese Weise mittelbare Bedeutung für die Entscheidung der Cour d’appel.279 Im Übrigen übertragen die Artt.  561 f., 905 ff. und 954 CPC die eingangsgerichtlichen Verfahrensgrundsätze einschließlich der Dispositionsmaxime auf den Rechtsmittelprozess und bilden auf diese Weise die Grundlage einer zweiten Tatsacheninstanz. Hinzuweisen ist insbesondere auf die Befugnis der Cour d’appel zur eigenständigen Sachverhaltsklärung, die strukturell an das Verfahren vor dem Tribunal de grande instance angelehnt ist, Artt.  905 u. 907 CPC. Die Cour d’appel ist hiernach nicht an das Ergebnis der eingangsgericht­ lichen Tatsachenfeststellung gebunden, sondern kann nach ihrer freien Überzeu­ gung eigene mesures d’instruction verfügen.280 Das deutsche Berufungsgericht ist demgegenüber auf der Grundlage des ex lege devolvierten Verfahrensstoffs gemäß §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO nur im Fall konkreter Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der eingangsgerichtlichen tatsächli­ chen Feststellung zur Durchführung einer neuerlichen Beweisaufnahme berechtigt – und zugleich verpflichtet.281 Dennoch ist das Konzept des appel dem deutschen Recht nicht gänzlich unbe­ kannt. Bis zum Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes am 1. Januar 2002 ob­ lag es den Parteien nach der gesetzlichen Regel des §  526 Abs.  1 ZPO a. F.,282 dem Berufungsgericht sämtliche entscheidungsrelevanten Tatsachen im Einzelnen mündlich vorzutragen. Eine ergänzende Kontrollbefugnis des Gerichts ergab sich 275  Cass. 1re civ., 22 juin 1999, Bull. civ. I 1999, n°  206; Cass. BICC n°  620, 6/2005 (Communication), 5 (5). 276  Es ist insoweit zwischen der déclaration d’appel und den conclusions d’appel zu unter­ schieden; siehe Duhamel BICC 2003 (hors série), Introduction, I a) u. II a). 277  Siehe BGH NJW 2007, 2414 (2416): „Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gelangt […] der gesamte aus den Akten ersichtliche Prozessstoff erster Instanz ohne Weiteres in die Berufungsinstanz. Das Berufungsgericht darf also auch ein schriftlich angekündigtes, ent­ scheidungserhebliches Parteivorbringen berücksichtigen, das von dem erstinstanzlichen Gericht für unerheblich erachtet worden ist, auch wenn es im Urteilstatbestand keine Erwähnung gefunden hat“; vorangegangen BGH NJW 2004, 1876 (1879); hierzu noch Stöber MDR 2006, 5 (6) mit Aus­ führungen zur Frage der Erforderlichkeit einer Tatbestandsberichtigung gemäß §  320 ZPO. 278  Siehe oben §  9 II 1. 279  Lefort Théorie, Rn.  694. 280  Hierzu Cass. 3e civ., 10 octobre 1979, JCP éd. G 1979 IV (Tableaux de jurisprudence), 366 (366); zum Ancien Code de procédure civile noch Cass. 1re civ., 27 mai 1952, Bull. civ. I 1952, n°  177; zusammenfassend Lefort Théorie, Rn.  694. 281  Zur problematischen Umsetzung der Regel in der gerichtlichen Praxis siehe oben §  9 III; zur Entwicklungsgeschichte siehe Baumann, S.  27 f. 282  Zitiert nach Stein/Jonas ZPO (21.  Aufl.).

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 121

im Interesse der Richtigkeit und der Vollständigkeit des Parteivorbringens aus §  526 Abs.  2 ZPO a. F.283 In der Rechtspraxis galt die Regel allerdings als „Übertreibung des Mündlichkeitsprinzips“284 und wurde durch die Zulässigkeit einer globalen Be­ zugnahme auf die Berufungsschriftsätze ersetzt.285 Infolge der Zivilprozessreform ist die Vorschrift ersatzlos entfallen.286 Dies entspricht über die praktische Ebene hinaus auch dem beabsichtigten Funktionswandel der Berufung. Denn sofern der Zweck der Berufung nunmehr darin besteht, „das erstinstanzliche Urteil auf die korrekte Anwendung des materiellen Rechts sowie auf Richtigkeit und Vollständig­ keit der getroffenen Feststellungen hin zu überprüfen und etwaige Fehler zu besei­ tigen“,287 bedarf die Berufung im Grundsatz derselben tatsächlichen Grundlage wie die Entscheidung des eingangsgerichtlichen Verfahrens. Der Vergleich mit dem französischen Recht verdeutlicht dies im Umkehrschluss. b)  Das umfassende Novenrecht des appel: Der double degré de juridiction Neben der Art und Weise der Überleitung des eingangsgerichtlichen Prozessstoffs in die Rechtsmittelinstanz unterscheidet sich auch der Umfang des darüber hinaus zulässigen Tatsachenvortrages. aa)  Systematik und historische Grundlagen des double degré de juridiction Auf der Grundlage von Art.  563 CPC gestattet der appel den Parteien, sich unein­ geschränkt auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel zu berufen sowie uneinge­ schränkt neue Beweisangebote zu unterbreiten.288 Vergleichbar dem deutschen Recht richtet sich die Charakterisierung von Angriffs- oder Verteidigungsmitteln als „neu“ nach dem Zeitpunkt ihres erstmaligen Vortrages innerhalb des Instan­ zenzuges.289 Die Vorschrift des Art.  563 CPC bezieht sich ausdrücklich auf Ur­ kunden (pièces), Beweismittel (preuves) sowie sonstige Angriffs- und Verteidi­ gungsmittel (moyens). Im Unterschied zu §  529 Abs.  2 ZPO gestattet Art.  563 CPC auch die Einführung solcher Angriffs- und Verteidigungsmittel, welche die Partei­ en bereits im eingangsgerichtlichen Verfahren hätten geltend machen können.290 283 

Hierzu RGZ 54, 7 (8 ff.). Seuffert ZPO, §  526, Nr.  1. 285  Grunsky, in: Stein/Jonas ZPO (21.  Aufl.), §  526, Rn.  1. 286  Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  99. 287  Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  64. 288  Eine Entscheidung der Cour d’appel, die dieses Recht missachtet, kann mit dem pourvoi en cassation angefochten werden; siehe etwa Cass. 2e civ., 15 mars 1979, Bull. civ. II 1979, n°  84 und Cass. 2e civ., 23 octobre 1991, Gaz. Pal. 1992 (Panorama de la Cour de cassation), 2 (2). 289  Zum französischen Recht siehe Lefort Théorie, Rn.  695 m. w. N.; zum deutschen Recht siehe Rimmelspacher NJW 2002, 1897 (1903) und Baumann, S.  26 m. w. N. 290  Lefort Théorie, Rn.  695. 284 

122

Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Auch insofern äußert sich die Konzeption des appel als vollwertige zweite Tat­ sacheninstanz.291 Dieses umfassende Novenrecht des appel wird traditionell mit dem Begriff des double degré de juridiction umschrieben.292 Die Bedeutung des Begriffes erschöpft sich aber nicht darin. Im Unterschied zum deutschen Verfahrensrecht, welches von Verfassungs wegen grundsätzlich keinen Instanzenzug garantiert,293 begründet der double degré de juridiction zunächst eine Rechtsschutzgarantie gegenüber ein­ gangsgerichtlichen Entscheidungen.294 In dieser Funktion zählt der double degré de juridiction zu den allgemeinen Prinzipien des französischen Verfahrens­ rechts,295 wenngleich seine dogmatische Grundlage umstritten ist. Die Begrün­ dungsansätze reichen von einem allgemeinen Rechtsprinzip (principe général de droit) über eine quasi-verfassungsrechtliche Bedeutung (valeur para-constitu­ tionnelle) bis zum Grundsatz des fair trial gemäß Art.  6 EMRK.296 Guinchard und Ferrand begreifen den double degré schließlich aus sich selbst heraus als eine vision naturelle des Zivilverfahrens,297 wonach es einer natürlichen Erwartungshal­ tung der Parteien entspreche, ihren Rechtsstreit ein weiteres Mal durch einen ande­ ren Spruchkörper entscheiden zu lassen.298 Dies entspricht der historischen Ent­ wicklung des double degré de juridiction. Denn normativ beruht das Prinzip auf Art.  61 der französischen Verfassung von 1799.299 Die Vorschrift führte zur Erset­ zung des unübersichtlichen und verschachtelten Instanzenzuges des Ancien Régime zugunsten der bis heute geltenden Zweistufigkeit von Eingangsgerichten (Tribu­naux de première instance) und Cours d’appel.300 Gerichtsverfassungsrechtlich geht das 291  So auch Kohl, in: Mélanges Martin, S.  111 (112 u. 117) mit vergleichenden Hinweisen zum deutschen Recht. 292  Siehe nur Perrot, in: van Compernolle/Saletti, S.  277 (283) sowie Hess EuZPR, §  13, Rn.  12 (Fn.  66) jeweils in rechtsvergleichendem Kontext. 293  Grundlegend BVerfG NJW 1955, 17 (18 f.); kritisch Voßkuhle, S.  298 ff., der jedoch allein eine Fehlerkontrollinstanz und keine zweite Tatsacheninstanz für verfassungsrechtlich geboten hält. Der in der jüngeren Vergangenheit vom Bundesverfassungsgericht auf der Grundlage von Art.  2 Abs.  1 GG i. V. m. Art.  20 Abs.  3 GG entwickelte Justizgewähranspruch bezieht sich dem­ gegenüber auf eine fachgerichtliche Abhilfemöglichkeit zur Wahrung eines verfahrensgrund­ rechtskonformen und fairen Verfahrens ohne korrespondierendes Recht auf einen Instanzenzug; siehe BVerfG NJW 2003, 1924 (1926) und BVerfG NJW 2005, 814 (815) sowie dazu Jauernig/ Hess §  36, Rn.  3. 294  Parodi, S.  77; Ferrand ZZPInt 2009, 43 (44). 295  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  3 ff. 296  Siehe hierzu die Übersicht bei Guinchard Droit processuel, Rn.  318 ff. sowie die Anmer­ kungen bei Schilling, S.  314 f. 297  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1153; Ferrand ZZPInt 2009, 43 (44). 298  Im Umkehrschluss spiegelt sich die besagte vision naturelle des appel auch im Verständnis des pourvoi en cassation als außerordentlichem Rechtsbehelf wider. 299  Constituion de la République française du 22 frimaire an VIII, 13 décembre 1799 (zitiert nach Duvergier XII, S.  20 ff.). Zur praktischen Umsetzung siehe Art.  22 loi du 27 ventôse an VIII, 18 mars 1800 (zitiert nach Duvergier XII, S.  151 ff.). 300  Ausführlich Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (29) sowie Asselin, S.  6 ff. und Huet, S.  7 f. mit historischen Beispielen.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 123

geltende Prinzip des double degré de juridiction somit auf eine Beschränkung des Rechtsweges zurück und bedarf insoweit – gleich einer vision naturelle – keiner positiven Begründung.301 Der double degré de juridiction gewährleistet rechtlichen Schutz durch ein ins­ tanziell höheres Gericht.302 Auch dieser Aspekt beruht historisch auf Art.  61 der französischen Verfassung von 1799, die zugleich das revolutionäre System des appel circulaire ersetzte.303 Auf der Grundlage des Prinzips der égalité war nach letz­ terem stets ein gleichgeordnetes Gericht eines anderen Gerichtsbezirks institutio­ nell für den appel zuständig.304 In der Rechtspraxis erwies sich das System jedoch als wenig praktikabel und stand mangels hierarchischer Struktur jeder vereinheitli­ chenden oder disziplinierenden Wirkung des appel entgegen.305 bb)  Verknüpfung von double degré und appel: Abgrenzung zum pourvoi en cassation Im Unterschied zu den institutionellen Merkmalen des double degré de juridiction wird die konzeptionelle Bedeutung des umfassenden Novenrechts im historischen Vergleich mit dem pourvoi en cassation deutlich. Obgleich dem pourvoi en cassa­tion nach geltendem Recht die Überprüfung eingangsgerichtlicher Entscheidung mit ­einem Streitwert von bis zu 4.000 EUR vorbehalten ist, können die Parteien ihren Vortrag im Rahmen des pourvoi en cassation nur bedingt auf neue Tatsachen stüt­ zen, Art.  619 CPC.306 Der Grund des unterschiedlichen Prüfungsumfangs beider Rechtsmittel besteht in der Konzeption des pourvoi en cassation als ein Rechtsbe­ helf, der allein im öffentlichen Interesse die Überprüfung von ansonsten unanfecht­ baren Entscheidungen erlaubt.307 Vergleichbar dem geltenden Art.  604 CPC be­ schränkte bereits das décret du 27 novembre et 1er décembre 1790,308 welches den pourvoi en cassation bis zum Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procédure maß­ geblich regelte,309 den Prüfungsumfang desselben auf formelle und materielle Rechtsfehler. Systematisch ist dies konsequent, wird das öffentliche Interesse im 301  Zur Verdeutlichung verwendet Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (29) in diesem Zusammen­ hang den Begriff „second degré de juridiction“. 302  Statt vieler Ferrand ZZPInt 2009, 43 (44). 303  Hierzu Fournier, S.  317 und Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (29 f.). Zur Bedeutung des Prinzips der égalité im Rahmen der Reformdiskussionen bezüglich des französischen Verfahrens­ rechts und die französische Gerichtsverfassung zur Zeit der französischen Revolution siehe insbe­ sondere auch die Rede des Abgeordneten Duport während der Sitzung der Assemblée nationale constituante vom 22. Dezember 1789 (zitiert nach Asselin, S.  9 f.). 304  Vgl. Artt.  1 ff. (Titre V) décret du 16 et 24 août 1790 (zitiert nach Duvergier I, S.  310 ff.); hierzu auch Royer/Jean, Rn.  145. 305  Siehe Asselin, S.  12 und Huet, S.  9. 306  Hierzu ausführlich unter §  11 II. 307  Siehe oben §  6 II 2 b. 308  Zitiert nach Duvergier II, S.  56 ff. 309  Zu den normativen Grundlagen des pourvoi en cassation unter der Geltung des Ancien Code de procédure civile siehe oben §  6 II 2.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Rahmen des pourvoi en cassation doch in rechtlicher und nicht in tatsächlicher Hinsicht definiert.310 Gemessen an den Verfahrensgarantien des appel umfasst der pourvoi en cassation somit auch nach geltendem Recht zwar vollends die Funktion der annulation, jedoch nur teilweise die Funktion der réformation, namentlich so­ weit sie sich auf rechtliche Aspekte beschränkt.311 Die réformation im Sinne einer Neubewertung und -entscheidung durch ein instanziell höheres Gericht kann daher als das entscheidende funktionelle Merkmal des double degré de juridiction be­ trachtet werden, was die nachfolgende Übersicht verdeutlicht: Prüfungsumfang und Funktionsweisen des appel und des pourvoi en cassation réformation en fait (tatsächlich) appel (Art.  542 CPC)

annulation en droit (rechtlich)

nullité (Verfahrensfehler)

appel / cassation (Art.  542 CPC) / (Art.  604 CPC)

Übersicht 4:  Begriffliche Einordnung des Prüfungsumfanges des appel und des pourvoi en cassation

Entgegen dem beschränkten Novenrecht des pourvoi en cassation war das umfas­ sende Novenrecht des appel bis zum Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procé­ dure civile nicht gesetzlich festgelegt.312 Die Zulässigkeit neuen Tatsachenvortrages ergab sich aus der Konzeption des appel als Fortsetzung des eingangsgerichtlichen Verfahrens im Sinne einer schrittweisen Enthüllung der historischen Wahrheit.313 Das umfassende Novenrecht wurde dementsprechend in den Materialien des Ancien Code de procédure civile vorausgesetzt.314 In der Rechtspraxis führte das Fehlen einer gesetzlichen Bestimmung zu Problemen bei der Abgrenzung von zulässigen

310  Siehe oben §  6 II 2. Im Übrigen zeigt sich dies auch anhand der Befugnis der Staatsanwalt­ schaft zur Einlegung eines zivilen pourvoi en cassation „dans l’intérêt de la loi“ gemäß Art.  639-1 CPC (vormals Art.  618-1 CPC; vgl. décret n°  2014-1338 du 6 novembre 2014, JO du 8 novembre 2014, S.  18901) und Art.  17 loi n°  67-523 du 3 juillet 1967 (JO du 4 juillet 1967, S.  6651 ff.); hierzu Ferrand, Rn.  36 f. Zur eingeschränkten Wirkung eines solchen pourvoi en cassation siehe nun­ mehr Art.  639-2 CPC. 311  In den theoretischen Darstellungen der französischen Rechtslehre ist demgegenüber eine strikte begriffliche Trennung der réformation und der cassation üblich; siehe nur Couchez, Rn.  1350. Nur vereinzelt werden die begrifflichen Kategorien überwunden; vgl. Boré/Boré, Rn.  103.12. 312  Vgl. Janvier/Lobin, in: Rép. pr. civ. (1955), Appel, Rn.  636. 313  Vgl. Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (40 f.); auf deutscher Seite findet sich dieses Leitbild etwa bei Roth JZ 2006, 9 (14). 314  Siehe den Bericht von Bigot-Préameneu, vorgestellt im Rahmen der Sitzung der gesetzge­ benden Körperschaft (Corps législatif ) vom 7. April 1806; veröffentlicht in Motifs et rapports anc. CPC 1806, S.  117 (131); außerdem Morel (1949), Rn.  635.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 125

neuen Angriffs- und Verteidigungsmitteln und unzulässigen neuen Ansprüchen.315 Die Vorschrift des geltenden Art.  563 CPC begründet vor diesem Hintergrund keine Erweiterung des zuvor bestandenen französischen Novenrechts, sondern erfüllt eine klarstellende Funktion. cc)  Historischer Vergleich mit der zivilprozessualen Berufung des deutschen Rechts Eine vergleichbare Systematik lag auch der deutschen Zivilprozessordnung in ihrer ursprünglichen Fassung316 zugrunde. Die Vorschrift des §  487 CPO (zuletzt §  525 ZPO a. F.317) bestimmte, dass der Rechtstreit vor dem Berufungsgericht in tatsächli­ cher und rechtlicher Hinsicht von Neuem verhandelt werde;318 die Kontrolle verfah­ rensrechtlicher Mängel wurde in §  492 CPO vorausgesetzt.319 (1)  Die Berufung der Civilprozeßordnung (1877) nach französischem Vorbild Vergleichbar der bis heute geltenden französischen Systematik gestattete §  491 CPO320 den Parteien, sich im Rahmen der Berufung auch auf solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu stützen, die sie im Rahmen des eingangsgerichtlichen Ver­ fahrens nicht vorgetragen hatten, wohl aber hätten vortragen können.321 Im Unter­ schied dazu konnten die Parteien im Rahmen der Revision bereits unter Geltung der §§  511 ff. CPO ausschließlich Rechts- und Verfahrensfehler auf der Grundlage des zuvor festgestellten Sachverhaltes rügen, §  524 CPO.322 Hinsichtlich des Umfangs der im Rahmen der Berufung zu berücksichtigenden Tatsachen orientierte sich der historische Gesetzgeber der Civilprozeßordnung an der römisch-rechtlichen appellatio, dem französischen Recht sowie an weiteren „bestehenden Prozessrechten“.323 Zugleich entschied er sich gegen das vorangegangene Konzept der gemeinrechtli­ 315  Siehe etwa CA Paris, 7 mars 1929, D. 1929, 274 (274) – Änderung des Lebenssachverhaltes und der korrespondierenden Anspruchsgrundlage als neuer Anspruch im prozessualen Sinn; zu­ sammenfassend bereits Morel (1949), Rn.  635. 316  RGBl. 1877, Nr.  6, S.  83 ff. 317  Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 318  Hierzu Fitting, S.  204 f. 319  Zitierte Normen nach von Kräwel CPO. 320  Zitiert nach von Kräwel CPO. Die Regel wurde im Rahmen der ZPO-Novelle des Jahres 1898 in §  529 Abs.  1 ZPO übertragen; vgl. die Bekanntmachung der Texte verschiedener Reichs­ gesetze in der vom 1. Januar 1900 an geltenden Fassung, RGBl. 1898, Nr.  25, S.  369 ff. 321  Hierzu Fitting, S.  204 sowie Baumann, S.  26. 322  Zitierte Normen nach von Kräwel CPO; siehe hierzu auch Fitting, S.  212. Zum geltenden Recht vgl. die §§  545 Abs.  1, 546 f. ZPO. 323  Siehe Hahn/Stegemann ZPO, S.  139 u. 356. Ausdrücklich nahm der Gesetzgeber Bezug auf die Verfahrensrechte Hannovers, Badens, Württembergs und Bayerns. Zur Korrespondenz der im Ursprung liberal gestalteten Berufung mit der römisch-rechtlichen appellatio siehe auch Struckmann/Koch CPO, §  529, Rn.  1; zum Verfahrenszweck und zum Novenrecht der römisch-rechtli­ chen appellatio siehe Kaser/Hackl, S.  501 ff.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

chen Appellation auf der Grundlage des Jüngsten Reichsabschiedes von 1654.324 Gemäß §  73 JRA325 war die Einbringung neuer Tatsachen in das Rechtsmittelver­ fahren nur nach der vorherigen Leistung eines Noveneides unter Beteuerung der Unmöglichkeit oder der fehlenden Sachdienlichkeit einer früheren Nennung der betroffenen Tatsachen zulässig.326 (2)  Einleitung eines Systemwandels durch die sog. Emminger-Novelle (1924) Mit dem Ziel einer Verfahrensbeschleunigung wurde durch Art.  2 Nr.  78 des Geset­ zes vom 13. Februar 1924 (sog. Emminger-Novelle)327 die Vorschrift des §  529 ZPO a. F. um die Befugnis des Berufungsgerichts ergänzt, neue sowie in erster Instanz als verspätet zurückgewiesene Angriffs- und Verteidigungsmittel aus dem Verfah­ ren auszuschließen.328 Entsprechend seinem verfahrensbeschleunigenden Zweck machte der neu gefasste §  529 Abs.  2 ZPO a. F. (1924) die Zurückweisung davon abhängig, dass die Zulassung der in Frage stehenden Angriffs- und Verteidigungs­ mittel oder angebotenen Beweise nach einer vom Gericht zu treffenden Prognose das Verfahren verzögern würde. Im Übrigen musste der nachträgliche Vortrag auf einer groben Nachlässigkeit der vortragenden Partei oder gar auf deren Absicht zur Prozessverschleppung beruhen. (3)  Fortsetzung der Entwicklung durch die sog. Vereinfachungsnovelle (1976) In der Rechtspraxis fand die Möglichkeit der Zurückweisung neuen Vortrages trotz ihrer kontinuierlichen gesetzlichen Fortentwicklung329 nicht die vom Gesetzgeber erhoffte Anwendung,330 sodass im Rahmen der sog. Vereinfachungsnovelle des Jah­ res 1976331 die bloße Möglichkeit der Zurückweisung in ein Zurückweisungsgebot umgewandelt wurde.332 Nach der Formulierung des neu geschaffenen §  528 Abs.  1 u. 2 ZPO a. F. (1976) war die Zurückweisung jedoch ausgeschlossen, wenn die vor­ tragende Partei ihre Verspätung entweder hinreichend entschuldigen konnte oder die Zulassung der Nova nach der freien Überzeugung des Gerichts zu keiner Verzö­ 324  Zum Jüngsten Reichsabschied siehe bereits oben §  6 I 3 c bb; ferner Briegleb, S.  91 und Wetzell, S.  755. 325  Zitiert nach Laufs JRA. 326  Ausführlich Renaud, S.  545. 327  RGBl. 1924 I, S.  135 ff. 328  Volkmar JW 1924, 345 (349); zur gleichzeitig eingeführten erstinstanzlichen Präklusion siehe §§  279, 279a, 283 Abs.  2 ZPO in der Fassung der Emminger-Novelle. 329  Ausführlich Baumann, S.  31 f. und Rimmelspacher, in: FS Henckel, S.  691 (700). 330  So die Beurteilung des Reformgesetzgebers von 1976; siehe die Begründung des Gesetzent­ wurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle), BT-Drucks. 7/2729, S.  41; hierzu ferner Bettermann ZZP 91 (1978), 365 (383) und Rimmelspacher ZZP 107 (1994), 421 (427) mit statistischen Belegen. 331  Art.  1 des Gesetzes vom 3. Dezember 1976, BGBl. 1976 I, S.  3281 ff. 332  Zu den konkreten Voraussetzungen der Zurückweisung siehe Schumann (5.  Aufl.), Rn.  450 ff. sowie Baumann, S.  32.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 127

gerung des Verfahrens führte. Die Kombination der Entschuldigungstatbestände hatte zur Folge, dass die vom Gesetzgeber beabsichtigte Verschärfung des Noven­ rechts in der Rechtspraxis kaum Geltung erlangte.333 Stattdessen konnte es sich für die Parteien lohnen, den Vortrag einer im Grunde verspäteten Tatsache auf die Be­ rufung zu verlagern, um so im erstgerichtlichen Verfahren der Rechtsfolge des §  296 ZPO zu entgehen (sog. „Flucht in die Berufung“).334 Die erstinstanzlich verspätet vortragende Partei stand damit schlechter als diejenige Partei, welche das verspäte­ te Angriffs- oder Verteidigungsmittel erstmals im Berufungsverfahren vortrug.335 Im Rahmen einer rechtstatsächlichen Untersuchung über die Praxis der bis zum Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes am 1. Januar 2002 geltenden Fassung des §  528 Abs.  1 u. 2 ZPO a. F. (1976)336 kam Rimmelspacher im Jahr 2000 zu dem Ergebnis, dass vor den Oberlandesgerichten durchschnittlich nur 17,7 % aller Ent­ scheidungen über die Zulässigkeit neuen Tatsachenvortrages des Berufungsklägers zu dessen Nachteil ergingen, vor den Landgerichten 11,9 %.337 Als Ursache der ge­ ringen Zurückweisungsquoten ermittelte Rimmelspacher, dass sich die Berufungs­ gerichte bei der Annahme einer Verfahrensverzögerung gemäß §  528 Abs.  1 u. 2 ZPO a. F. sehr zurückhaltend zeigten. In vielen Fällen fehle es gar an einer Begrün­ dung der Zulassung seitens der Gerichte. Die Regeln des §  528 Abs.  2 u. 2 ZPO a. F. seien daher „nahezu bedeutungslos“.338 c)  Neue Tatsachen und Tatsachenneufeststellung im reformierten Berufungsverfahren Angesichts der vormals „großzügigen Handhabung der Präklusionsvorschriften des geltenden Berufungsrechts“339 findet die reformierte Berufung gemäß §  529 Abs.  1 Nr.  1, HS 1 ZPO grundsätzlich auf der Basis der entscheidungserheblichen Tatsa­ chen des eingangsgerichtlichen Verfahrens statt. 333  Bereits vor dem Inkrafttreten der Vereinfachungsnovelle am 1. Juli 1977 kritisierte Féaux de la Croix, in: FS Möhring, S.  53 (63) die Unbestimmtheit des beschriebenen Tatbestandes. 334  Rückblickend Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  138, Rn.  54 und Baumann, S.  36; siehe ferner die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  60. 335  Das rechtstatsächliche Vorkommen der sog. „Flucht in die Berufung“ kann im Nachhinein allerdings nicht eindeutig festgestellt werden; siehe hierzu die Nachweise bei Baumann, S.  36 (Fn.  63). 336  Vgl. Reuschle ZPO 2002. 337  Die Zurückweisungsquote hinsichtlich des Berufungsbeklagten belief sich vor den Oberlan­ desgerichten auf durchschnittlich 12,7 % und vor den Landgerichten auf durchschnittlich 1,7 %. Siehe zum Ganzen Rimmelspacher, Rechtstatsächliche Untersuchung, S.  79 ff. mit Erläuterung des zugrunde liegenden Datenmaterials. Der Untersuchungszeitraum der zitierten Studie erstreckte sich von Juni bis September 1998; vgl. Rimmelspacher a. a. O., S.  2 f. 338  Zum Ganzen Rimmelspacher a. a. O., S.  91 f., hieran anknüpfend Baumann, S.  34 f. Siehe auch die vorangegangene Kritik bei Rimmelspacher ZZP 107 (1994), 421 (427). 339  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  60 – wörtliches Zitat grammatikalisch angepasst.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

aa)  Gesetzliche Abkehr vom Erfordernis einer drohenden Verfahrensverzögerung Der Vortrag neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel ist allein unter den Vorausset­ zungen der §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO zulässig.340 Eine Neufeststellung der entscheidungsrelevanten Tatsachen ist gemäß §  529 Abs.  1 Nr.  1, HS 2 ZPO nur vorgesehen, soweit das Berufungsgericht konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der eingangsgerichtlichen Feststellungen hat.341 Der Umfang der Tatsachenneufeststellung liegt sodann im Ermessen des Beru­ fungsgerichts.342 Im Vergleich zum früheren Recht liegt den §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO damit eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Verhältnisses zugrun­ de.343 Neuer Tatsachenvortrag ist hiernach grundsätzlich ausgeschlossen und nur dann zuzulassen, wenn er durch einen sachlichen Zulassungsgrund gemäß §  531 Abs.  2 ZPO gerechtfertigt ist.344 Die Zulassungsgründe des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO beziehen sich auf materielle und formelle Fehler im Rahmen der Verfahrensleitung des Eingangsge­ richts.345 Der Zulässigkeitsgrund des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO erfasst Unzuläng­ lichkeiten des Parteivortrages, die zwar in der Sphäre der betroffenen Partei wur­ zeln können, dieser aber nicht anzulasten sind.346 Nach dem vom Gesetzgeber ­z ugrunde gelegten Idealfall bezieht sich die Vorschrift auf Angriffs- und Verteidi­ gungsmitteln, die nach dem Abschluss der mündlichen Verhandlung tatsächlich neu entstanden oder der betroffenen Partei nachträglich bekannt geworden sind.347 Ob die Zulassung neuen Tatsachenvortrages im konkreten Fall überhaupt eine Ver­ fahrensverzögerung zur Folge hätte, ist nach der Systematik des §  531 Abs.  2 ZPO 340  Zu den einzelnen Tatbeständen bereits ausführlich Lange, S.  90 ff.; ferner Oberheim, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  531, Rn.  8 ff. 341  Zur problematischen Umsetzung der Vorschrift siehe bereits oben §  9 III. 342  BGH NJW 2014, 550 (551 f.). 343  So auch Büttner, S.  27; der Reform vorgreifend Rimmelspacher, in: Triberger Symposium, S.  47 (57). 344  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  101. 345  Dies ist beispielsweise der Fall, wenn das Eingangsgericht einen tatsächlichen Umstand zu Unrecht für nicht entscheidungserheblich gehalten hat (§  531 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 ZPO; siehe BGH NJW-RR 2009, 332 (333)) oder den Vortrag einer Partei verfahrensfehlerhaft abgeschnitten hat (§  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO; siehe BGH DStR 2008, 1839 (1840)). Zur Systematik der Zulassungs­ gründe des §  531 Abs.  2 S.  1 ZPO siehe Doukoff, Rn.  160 sowie Gerken, in: Wieczorek/Schütze, §  531, Rn.  32 mit Hinweisen auf das Erfordernis der Glaubhaftmachung gemäß §  531 Abs.  2 S.  2 ZPO unter Rn.  36; ferner OLG Köln BeckRS 2013, Nr.  19757 und OLG Hamm BeckRS 2014, Nr.  13406. 346  Zum Sonderfall einer zwischenzeitlichen Gesetzesänderung vgl. BGH NJW 2012, 3035 (3036). 347  Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreform­ gesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  101; hierzu BGH NJW-RR 2005, 1687 (1687 f.) sowie BGH GRUR-RR 2011, 439 (439). Das OLG Saarbrücken BeckRS 2012, Nr.  18701 verlangt zudem, dass die betroffene Partei bereits während des eingangsgerichtlichen Verfahrens zumutbare Recher­ chen unternommen hat. Es handelt sich hierbei um eine Objektivierung des Bekanntwerdens, die dem Zweck des §  531 Abs.  2 S.  1 ZPO entspricht.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 129

unbeachtlich, was von Teilen der Rechtslehre als ein Legitimationsverlust des ein­ geschränkten Novenrechts gewertet wird.348 bb)  Systematisierende Betrachtung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Der Bundesgerichtshof sieht das Ziel der berufungsrechtlichen Präklusionsvor­ schriften zuvorderst darin, die Parteien zu einem rechtzeitigen Sachvortrag anzu­ halten. Dahinter stehe allerdings der Zweck einer „sachgerechten Entscheidungsfin­ dung“ und nicht allein die Beschleunigung des Verfahrens.349 Auf dieser Grundlage hat der Bundesgerichtshof bereits früh zahlreiche Zweifelsfragen zugunsten der Zulassung neuen zweitinstanzlichen Sachvortrages entschieden.350 Versucht man die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs schematisch zu erfassen, zeigt sich zu­ nächst ein restriktives Verständnis der als neu zu qualifizierenden Tatsachen. Hier­ nach seien offenkundige, gerichtsbekannte, ausdrücklich zugestandene oder sonst unstreitige Tatsachen nicht als neu im prozessualen Sinn zu qualifizieren.351 Eben­ sowenig seien Tatsachen als neu zu betrachten, die der Konkretisierung, Vertiefung oder Erläuterung des eingangsgerichtlichen Verfahrensstoffs dienen.352 In Fort­ führung dieser Rechtsprechung dürften die Parteien auch nach dem Schluss der erst­instanzlichen mündlichen Verhandlung bzw. im Rahmen der Berufung erstmals rechtsgestaltende Erklärungen abgeben, soweit sich diese auf neue unstreitige Tat­ sachen stützen.353 Schließlich sei zwischen (Rechts-)Tatsachen einerseits sowie rechtlichen Wertungen und rechtsgestaltenden Erklärungen andererseits zu diffe­ renzieren. Insbesondere sei das Berufungsgericht nicht daran gehindert, unter Be­ rücksichtigung des bekannten Verfahrensstoffs die Überzeugungskraft einer in erster Instanz erfolgten Auslegung einer Individualvereinbarung zu prüfen.354 Nach demselben Maßstab sei das Berufungsgericht auch nach eigenem Ermessen zur 348  Siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  138, Rn.  54 sowie Jauernig/Hess, §  73, Rn.  33 – „Selbstzweck“. 349  Grundlegend BGH NJW 2004, 2152 (2153); ferner BGH NJW 2005, 291 (292) und BGH NJW 2008, 1312 (1316). 350  Siehe auch die Zusammenfassungen bei Roth JZ 2006, 9 (15) und Büttner, in: FS Eichele, S.  61 (71) sowie bei Nassall NJW 2012, 113 (115 f.). 351  Siehe BGH NJW 2004, 2152 (2153); zustimmend unter Verweis auf die Dispositionsmaxime Schmidt NJW 2007, 1172 (1173). Nach BGH NJW 2005, 291 (293) gilt dies selbst dann, wenn hier­ durch eine Beweisaufnahme erforderlich wird. Siehe zum Ganzen bereits den Reformvorschlag bei Rimmelspacher ZZP 107 (1994), 421 (443). 352  Siehe BGH NJW 2006, 152 (153) sowie BGH GRUR-RR 2011, 439 (439) bezüglich einer nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung veröffentlichten Studie. Siehe ferner Nassall NJW 2012, 113 (116). 353  Siehe BGH NJW-RR 2002, 1596 (1597) sowie BGH NZBau 2005, 692 (693) und BGH NJWRR 2004, 167 (167) – Vorlage einer neuen werkvertraglichen Schlussrechnung bezüglich einer streitgegenständlichen Werklohnforderung (letztgenannte Entscheidung noch auf Grundlage von §§  527 f. ZPO a. F. (zitiert nach Reuschle ZPO)); siehe ferner BGH NJW 2008, 3434 (3434 f.) und BGH NJW 2009, 685 (685 ff.) – Erhebung der Einrede der Verjährung. 354  BGH NZM 2004, 821 (821 ff.); kritisch hierzu Unberath ZZP 120 (2007), 323 (342).

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Überprüfung der Höhe eines erstinstanzlich zugesprochenen Schmerzensgeldes (§  253 Abs.  2 BGB)355 oder eines erstinstanzlich geschätzten Schadens (§  287 ZPO)356 befugt.357 Im Rahmen einer Parallelwertung betrachtet der Bundesgerichts­ hof auch solche Tatsachen als zulässigen neuen Sachvortrag gemäß §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO, deren Vortrag eine besondere Sachkunde erfordert, die im Eingangspro­ zess noch nicht zu leisten war.358 Vergleichsweise streng zeigt sich der Bundesgerichtshof hingegen im Hinblick auf die Voraussetzungen des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO. Nach dem Sinn und Zweck der Norm berechtigten Mängel der erstinstanzlichen Verfahrensleitung so­ wie Mängel der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung die Parteien nur dann zum Vortrag neuer Tatsachen, wenn die besagten Mängel dem unterbliebenen Sachvor­ trag kausal zugrunde lägen.359 cc)  Kritische Bewertung der Rechtsprechung auf Grundlage des Reformkonzepts Die Orientierung des Bundesgerichtshofs an einer „sachgerechten Entscheidungs­ findung“ entspricht dem von Seiten der wissenschaftlichen Literatur geteilten Stre­ ben nach einem Höchstmaß an materieller Gerechtigkeit.360 Das Verfahrensziel ei­ ner materiell richtigen Entscheidung findet sich auch in den Materialien des Zivil­ prozessreformgesetzes, wenngleich der Reformgeber dessen Verfolgung strukturell auf das eingangsgerichtliche Verfahren zu verlagern suchte.361 Mit Ausnahme ge­ richtlicher Fehler (§  531 Abs.  2 Nr.  1 u. 2 ZPO) „verzeiht“ das reformierte Beru­ fungsrecht nach dem Konzept des Reformgebers grundsätzlich keine Nachlässig­ keiten im Rahmen der erstinstanzlichen Verfahrensführung (§§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 ZPO) oder zweitinstanzlichen Verfahrenseinleitung (§§  529 Abs.  1 Nr.  1, Abs.  2 ZPO i. V. m. §§  513, 520 ZPO). Während die Frage nach der Qualifikation „neuer“ prozessualer Tatsachen un­ mittelbar mit dem dogmatischen Grund der §§  529, 531 ZPO verbunden ist, handelt 355 

BGH NJW 2006, 1589 (1592). BGH NJW 2011, 1947 (1949). 357  Arnold ZZP 126 (2013), 63 (63 ff.) fasst die genannten Fallgruppen überzeugend unter dem Begriff „Ermessenspielräume“ zusammen. 358  Siehe BGH NJW 2006, 152 (154); hierzu Stackmann NJW 2007, 9 (10). Für einen Überblick über einige bislang entschiedene Zweifelsfragen im Rahmen von §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO siehe Doukoff, Rn.  161 sowie speziell zu Patentstreiten BGH GRUR 2012, 1236 (1239 f.). 359  Siehe beispielsweise BGH NJW-RR 2004, 927 (927 f.) sowie BGH NJW-RR 2005, 167 (168) und BGH NJW-RR 2010, 1508 (1509). Geisler AnwBl 2012, 854 (861) bezeichnet dies als eine „ungeschriebene Voraussetzung“; vgl. auch BGH NJW-RR 2013, 655 (656) – „[…] einen missver­ ständlichen Hinweis erteilt […]“; zum Ganzen auch unter §  10 II 3 c. 360  Siehe Deubner JuS 2010, 506 (509) sowie die übergreifenden Nachweise bei Arnold ZZP 126 (2013), 63 (67, Fn.  22) in Bezug auf „Ermessensentscheidungen“. 361  So die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozes­ sreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  58 ff. Differenzierter hingegen die entsprechende Be­ schlussempfehlung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 14/6036, S.  118 u. 123 f. 356 

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es sich bei der Ausfüllung der einzelnen Erlaubnistatbestände vornehmlich um Wertungsfragen.362 Die Zulassung unstreitiger Tatsachen beruht hiernach auf der zutreffenden Erwägung, dass ihr Vortrag bereits im Rahmen der Erstinstanz grund­ sätzlich nicht den Eintritt der Entscheidungsreife verzögert hätte und daher nicht als verspätet hätte zurückgewiesen werden müssen, §  296 Abs.  1 u. 2 ZPO.363 Versteht man §  531 Abs.  2 ZPO als prozessuale Fortsetzung des §  531 Abs.  1 ZPO und damit auch des §  296 Abs.  1 u. 2 ZPO,364 kann im Berufungsverfahren nichts anderes gelten.365 Unter Wertungsaspekten (§  531 Abs.  2 Nr.  3 ZPO, fehlende Nachlässig­ keit) ist ferner die Zulassung von Tatsachen zu begrüßen, deren Vortrag in erster Instanz infolge unzureichender Sachkunde faktisch ausgeschlossen war. Der Bun­ desgerichtshof verneint grundsätzlich eine Nachforschungspflicht der Parteien, zieht in Übereinstimmung mit dem Reformkonzept jedoch die Grenze des prozes­ sual zulässigen Verhaltens bei prozesstaktisch motivierter Zurückhaltung.366 Fraglich sind hingegen die Zulassung rechtsgestaltender Erklärungen und die Vornahme rechtsgestaltender Handlungen im Berufungsverfahren, sofern diese auf unstreitigen Tatsachen beruhen. Zwar wurde die Zulässigkeit derartiger Rechts­ handlungen zunächst vom VII.367 und vom XI.368 Zivilsenat des Bundesgerichtshofs unterschiedlich beurteilt.369 Auf den Vorlagebeschluss des XI.370 Zivilsenats des Bundesgerichtshofs schloss sich der Große Senat für Zivilsachen letztlich der An­ sicht des VII. Zivilsenats an.371 Hiernach bezögen sich die berufungsrechtlichen Prä­klusionsvorschriften nach ihrem Zweck allein auf streitiges Vorbringen.372 Es könne daher keinen Unterschied machen, ob eine unstreitig erhobene Einrede nach­ träglich in das Verfahren eingeführt oder eine auf unstreitigen Tatsachen beruhende Einrede nachträglich erhoben werde.373 Die einzelnen Schritte der Begründung des 362 

Vgl. BGH NJW-RR 2010, 1508 (1509). Siehe Prütting, in: MüKo ZPO, §  296, Rn.  104 sowie BGH NJW 1985, 1539 (1543) und OLG Frankfurt am Main NJW-RR 1992, 1405 (1406). 364  Hierzu ausführlich unter §  10 II 1. 365  Siehe außerdem BGH NJW 2005, 291 (293) mit Hinweis auf den Grundsatz der Verhältnis­ mäßigkeit und auf andernfalls drohende Beeinträchtigungen des rechtlichen Gehörs, Art.  103 Abs.  1 GG. 366  BGH NJW-RR 2011, 211 (212 f.) m. w. N., ähnlich BGH VersR 2007, 373 (373); siehe außer­ dem die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  58 u. 61. Zur fehlenden Nachlässigkeit (§  531 Abs.  2 Nr.  3 ZPO) bei unterblie­ bener Nachforschung siehe BGH VersR 2011, 414 (415); weitere Nachweise bei Geisler AnwBl 2012, 854 (861). 367  BGH NJW-RR 2004, 167 (168); BGH NZBau 2005, 692 (693); BGH NJW-RR 2005, 1687 (1687); ebenso der III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs, siehe BGH NJW-RR 2007, 494 (495). 368  BGH GRUR 2006, 401 (404). 369  Hierzu auch Meller-Hannich NJW 2006, 3385 (3386) und Noethen MDR 2006, 1024 (1026). 370  BGH NJW 2008, 1312 (1314) m. w. N. 371  BGH NJW 2008, 3434 (3434 ff.); hierzu Kroppenberg NJW 2009, 642 (644). 372  Hieran anknüpfend nun auch der VIII. Zivilsenat; siehe BGH NJW 2009, 2532 (2533) – Fristsetzung zur Nacherfüllung, weitergehend hierzu Schwaiger AnwBl 2012, 652 (654). 373  Bisweilen wird dieses Ergebnis auch damit begründet, dass rechtsgestaltende Erklärungen und Handlungen keine Angriffs- und Verteidigungsmittel im gesetzlichen Sinn seien, sondern es 363 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Großen Senats für Zivilsachen mögen zunächst für sich genommen stimmig er­ scheinen: Während die zur Rechtsgestaltung berechtigenden Umstände unstreitig sind, ist der sich darauf beziehende Vornahmeakt als Tatsache erst nach dem Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung entstanden.374 In ihrer Gesamtheit führt die Argumentation jedoch zur Aufspaltung eines einheitlichen prozessualen Vorgangs. Auf diese Weise verkennt die Argumentation, dass es sich bei der kon­ kreten Rechtshandlung um ein Verteidigungsmittel handelt, „dessen Relevanz für den Ausgang des Rechtsstreits bis zum Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hätte bekannt sein müssen“375 und das deshalb in den Anwendungsbe­ reich des §  531 Abs.  2 Nr.  2 u. 3 ZPO fällt. Dies zugrunde gelegt, sollten Tatsachen, die von den Parteien nach dem Schluss der erstinstanzlichen mündlichen Verhand­ lung aktiv geschaffen werden, vom Begriffsumfang „neuer Tatsachen“ ausgenom­ men werden. Etwas anderes kann unter Berücksichtigung der miteinander korrespondierenden Wortlaute des §  296 Abs.  1 u. 2 ZPO und des §  531 ZPO allenfalls für anspruchsbe­ gründende Tatsachen gelten, sofern man diese nicht als Angriffsmittel im gesetzli­ chen Sinn (§§  146, 282 Abs.  1 ZPO) qualifiziert.376 Für Verteidigungsmittel, insbe­ sondere für die Erhebung der Verjährungseinrede, gilt dies aber nicht.377 Mit seiner Rechtsprechung eröffnet der Bundesgerichtshof den Parteien die Möglichkeit, ihre Prozessstrategie im Verlauf des Instanzenzuges zu modifizieren, was sowohl dem Konzept einer Fehlerkorrekturinstanz als auch dem dahinterstehenden Ökonomie­ verständnis378 des Reformgebers zuwiderläuft.379 Aus anwaltlicher Sicht hat dies sich vielmehr um den Angriff an sich handele; so Reinke NZM 2013, 404 (405) in Bezug auf Kün­ digungserklärungen. Dass dieses Begriffsverständnis unzutreffend ist (vgl. Wöstmann, in: Saen­ ger ZPO, §  530, Rn.  3), belegt Reinke jedoch selbst, indem er sich im nachfolgenden Satz a. a. O. auf die „Grundlagen“ eines Angriffs bezieht. 374  Ähnlich die Argumentation bei Deckers NZBau 2007, 550 (552) und bei Meller-Hannich NJW 2006, 3385 (3386 ff.). Siehe ferner Skamel NJW 2010, 271 (272 ff.), der einen Ausgleich über eine analoge Anwendung von §  97 Abs.  2 ZPO herzustellen versucht. Indem die Vorschrift aber verlangt, dass die betroffene Partei bereits während der Vorinstanz zum Vortrag der nachträglich vorgetragenen Tatsachen „imstande“ war, wird die Nähe der Fallkonstellation zu §  531 Abs.  2 Nr.  3 ZPO deutlich. 375  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  101; ähnlich kritisch Kroppenberg NJW 2009, 642 (643) unter Berücksich­ tigung etwaiger Folgeansprüche. 376  Vgl. BGH NJW-RR 2002, 1596 (1597) sowie BGH NZBau 2005, 692 (693) und BGH NJWRR 2004, 167 (167) – Vorlage einer neuen werkvertraglichen Schlussrechnung bezüglich einer streitgegenständlichen Werklohnforderung. Siehe demgegenüber die Legaldefinition des §  146 ZPO, die auch die Klagegründe den Angriffs- und Verteidigungsmittel zurechnet; hierzu Wagner, in: MüKo ZPO, §  146 ZPO, Rn.  2. 377  Zur Präklusion der Verjährungseinrede siehe bereits OLG Hamm NJW-RR 1993, 1150 (1150). 378  Hierzu bereits zu Beginn dieses Abschnitts unter dem Aspekt der „Verzeihung“ prozessua­ ler Nachlässigkeiten sowie unter §  10 III 1 c bb (3). 379  Dies kritisiert in ähnlicher Weise auch Schenkel NZBau 2007, 6 (9) – Vorlage einer neuen Schlussrechnung; ferner Roth JZ 2006, 9 (15) – Erhebung der Einrede der Verjährung; ähnlich die

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 133

zur Folge, dass sich die jeweilige Gegenseite nicht auf eine Rüge des rechtsgestal­ tenden Aktes als verspätet zurückziehen darf, sondern den Akt auf tatsächlicher Ebene angreifen muss.380 Das Rechtsmittelverfahren wird auf diese Weise weit über die Grenzen des erstinstanzlichen Verfahrens ausgedehnt. Ähnlich muss auch die Kritik an der Rechtsprechung lauten, sofern sie dem Beru­ fungsgericht eine tatrichterliche Kompetenz zur Ausfüllung materiell-rechtlicher Ermessensspielräume zugesteht. Wie bereits die Analyse Arnolds offenbart, über­ spannt der Bundesgerichtshof an dieser Stelle den Begriff der Rechtsverletzung ge­ mäß §§  513 Abs.  1, 546 ZPO.381 Auch die Alternative des §  513 Abs.  1 ZPO, die Rechtfertigung einer anderen Entscheidung auf Basis der gemäß §  529 ZPO zugrun­ de zu legenden Tatsachen, führt zu keinem anderen Ergebnis. Denn auch §  513 Abs.  1, 2. Fall ZPO steht nach dem Reformkonzept im Zeichen der Korrektur von Fehlern in tatsächlicher Hinsicht.382 Ermessensfragen stellen sich hingegen auf nor­ mativer Ebene.383 Wendet das Erstgericht die in Frage stehende Ermessensnorm rechtsfehlerfrei und unter Berücksichtigung aller relevanter Tatsachen an, bleibt für eine „Fehlerkorrektur“ kein Raum. Die gegenteilige Lösung des Bundesgerichtshofs lässt sich auch nicht zwingend mit dem Gebot der materiellen Gerechtigkeit begrün­ den.384 Denn im Fall korrekter Rechtsanwendung hat das Erstgericht die an dieser Stelle allein mögliche Verfahrensgerechtigkeit gewahrt. Mit Blick auf das Ergebnis der Ermessensanwendung ist zu beachten, dass die zugrunde liegenden Normen ih­ rem Wesen entsprechend kein spezifisches Ergebnis vorsehen. Darüber hinaus wird durch die Rechtsprechung ein etwaiges Obsiegen des Rechtsmittelführeres durch ein nachträgliches, ebenso ermessensbasiertes Unterliegen des Rechtsmittelgegeners aufgewogen. Aus der Perspektive des französischen Rechts beruhen die Rechtspre­ chung und die ihr zustimmende Literatur somit letztlich noch immer auf einer vision naturelle eines double degré de juridiction bzw. einer zweiten Tatsacheninstanz.385 Kritik bei Schwaiger AnwBl 2012, 652 (654), der auf die Gefahr sich ergebender Folgefragen hin­ weist. Grundsätzlich anderer Ansicht hingegen Noethen MDR 2006, 1024 (1026 f.), welcher jedoch den in §  531 Abs.  2 ZPO differenziert geregelten Interessenausgleich durch einen pauschalen Rückgriff auf das Gebot der materiellen Gerechtigkeit einebnet. An anderer Stelle ähnlich konse­ quent hingegen BGH NJW 2010, 376 (377); hierzu Rimmelspacher/Fleck, in: FS Spellenberg, S.  121 (121 ff.) und Schwaiger AnwBl 2012, 652 (653). Siehe auch Rohlfing NJW 2010, 1787 (1788) m. w. N., der unter Hinweis auf den Vorrang des EU-Rechts zumindest im Hinblick auf den ver­ braucherschützenden Widerruf eine Lösung im Sinne des Großen Senats für Zivilsachen fordert; anderer Ansicht OLG München BeckRS 2010, Nr.  01802. 380  Schwaiger AnwBl 2012, 652 (654). 381  Arnold ZZP 126 (2013), 63 (67 ff.). 382  Siehe den übergreifenden Bezug auf eine fehlerfreie Tatsachenfeststellung im Rahmen der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  61, 64 u. 94; ferner Schmidt NJW 2007, 1172 (1173). 383  Siehe Arnold ZZP 126 (2013), 63 (68). 384  Vgl. Noethen MDR 2006, 1024 (1026 f.); übertragen auf die hier behandelte Fallgruppe siehe etwa BGH NZM 2004, 821 (822). 385  Vgl. Hirtz, in: FS Eichele, S.  212 (212) – „Die Natur der Sache „Rechtsmittel“ schließt ei­ gentlich eine Bindungswirkung aus“.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

II.  Rechtfertigung beider Rechtsmittelkonzepte vor ihrem jeweiligen prozessualen Umfeld Der im Grundsatz divergierende Prüfungs- und Entscheidungsumfang des appel und der Berufung erlaubt allein noch keinen Rückschluss auf die jeweiligen recht­ lichen und tatsächlichen Konsequenzen für die Parteien. Während im vorangegan­ genen Teil noch die unterschiedlichen Rechtsmittelkonzepte und ihre Rezeption im Mittelpunkt der Analyse standen, werden nachfolgend Theorie und Praxis beider Konzepte in Zusammenhang mit ihrem jeweiligen prozessualen Umfeld gesetzt. 1.  Die eingangsgerichtliche Präklusion als Grundlage der divergierenden Novenrechte Die unterschiedlichen Regeln über die Zulassung neuer Tatsachen im Rahmen von Berufung und appel werfen zunächst die Frage nach der eingangsgerichtlichen Präklusion und ihrer Fortgeltung im Rechtsmittelverfahren auf. a)  Die Grundzüge der Präklusion im deutschen und im französischen Zivilprozess Die Präklusion des tatsächlichen Parteivorbringens richtet sich im deutschen Zivil­ verfahren nach §  296 ZPO.386 Im französischen Recht sind die Rechtsfolgen verspä­ teten Sachvortrages in Art.  469 Abs.  1 CPC niedergelegt. Beide Vorschriften verfol­ gen den Zweck, sowohl nachlässige Verfahrensführung als auch treuwidrige pro­ zesstaktische Manöver zu sanktionieren.387 Der Unterschied der zitierten Vorschriften besteht darin, dass §  296 ZPO die Zurückweisung der im Einzelnen verspäteten Angriffs- und Verteidigungsmittel vorsieht,388 während Art.  469 Abs.  1 CPC in allgemeiner Form Verletzungen richterlich gesetzter Fristen (Art.  3 CPC) als défaut faute de conclure oder défaut d’accomplissement des actes de procédure zu qualifizieren erlaubt.389 Ein défaut d’accomplissement des actes de procédure führt unter den Voraussetzungen des Art.  469 CPC unmittelbar zur Beendigung der mündlichen Verhandlung und zum vorzeitigen Eintritt in die Entscheidungsphase 386  Siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  68, Rn.  27 ff. Zur Korrespondenz der Vorschrift mit dem Berufungsrecht siehe die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Vereinfachung und Beschleunigung gerichtlicher Verfahren (Vereinfachungsnovelle), BT-Drucks. 7/2729, S.  39 – in Bezug auf §  528 Abs.  2 ZPO in der Fassung des Entwurfs. 387  Zum deutschen Recht siehe den Entwurf der Bundesregierung zur sog. Vereinfachungs­ novelle (BT-Drucks. 7/2729, S.  38), deren Art.  1 Nr.  29 die Grundlage des geltenden §  296 ZPO bildet und sich nach dem Entwurf gegen eine „tropfenweise“ Information des Gerichts wendet. Zur vorangegangenen Vorschrift des §  279 ZPO a. F. in der Fassung der sog. Emminger-Novelle siehe Volkmar JW 1924, 345 (347). 388  Zu den Voraussetzungen der innerprozessualen Präklusion siehe Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  68, Rn.  29 ff. Die Äußerungsfristen des §  296 ZPO begründen als solche eine in sich ge­ schlossene Aufgliederung des Prozesses; hierzu Jauernig/Hess, §  28, Rn.  10. 389  Entgegen §  296 ZPO bezieht sich der Wortlaut des Art.  469 CPC nicht auf einzelne An­ griffs- und Verteidigungsmittel, sondern umfassend auf „les actes de la procédure“.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 135

(„[…] le juge statue par jugement contradictoire au vu des éléments dont il dis­ pose“).390 Der durch das décret n°  2010-1165 du 1er octobre 2010391 neu eingefügte Art.  446-2 Abs.  3 CPC sieht eine vergleichbare Regel für Fälle eines nachträglichen Wechsels in das schriftliche Verfahren (Art.  446-1 Abs.  1 CPC) vor. Mit Ausnahme der vorgezogenen Verfahrensbeendigung entsprechen die Rechtsfolgen des Art.  469 CPC und des Art.  446-2 Abs.  3 CPC damit strukturell der absoluten Präklusion des §  296a ZPO.392 Entsprechendes gilt für die ordonnance de clôture (Art.  780 Abs.  1 CPC) des juge de la mise en état, welche den Verfahrensabschnitt der Tatsachener­ mittlung und der Beweiserhebung vor dem Tribunal de grande instance insgesamt beendet, Art.  783 CPC.393 Im Unterschied zum deutschen Recht sieht das französische Zivilverfahren damit keine Präklusion einzelner Angriffs- und Verteidigungsmittel während des laufen­ den Verfahrens vor.394 Eine Ausnahme hiervon bildet allein der ebenfalls durch das décret n°  2010-1165 du 1er octobre 2010 neu eingefügte Art.  446-2 Abs.  4 CPC.395 Die Vorschrift tritt in Konkurrenz zu Art.  446-2 Abs.  3 CPC und ermöglicht es dem Gericht, anstelle eines vorgezogenen Eintritts in die Entscheidungsphase die im Einzelnen verspäteten „prétentions, moyens et pièces“ nach seinem Ermessen von der Verhandlung auszunehmen. Ein struktureller Wandel ist darin jedoch nicht zu erkennen, da die Vorschrift allein im schriftlichen Verfahren gemäß Art.  446-2 Abs.  1 CPC Anwendung findet und ein Wechsel in diese Verfahrensweise wie auch die Festlegung der einzelnen Schriftsatzfristen die Zustimmung der Parteien erfor­ dert, Art.  446-2 Abs.  1 u. 2.396 b)  Die Anknüpfung beider Rechtsmittelsysteme an die erstinstanzliche Präklusion Entsprechend der Legaldefinition des §  282 Abs.  1 ZPO beziehen sich die §§  296 f. ZPO allein auf das tatsächliche Parteivorbringen sowie auf Beweisangebote.397 Pro­ zessuale Einwendungen sind hiervon nicht erfasst. Sie fallen in den Geltungsbereich der Rügeobliegenheit des §  295 ZPO, deren Missachtung eigenständig im zweiten Rechtszug fortgilt.398 In letzterem Punkt entspricht das deutsche Verfahrensrecht der französischen Lösung, welche in Art.  74 Abs.  1 CPC ebenfalls eine Rügeoblie­

390  Ausführlich zur Systematik des Art.  469 CPC Douchy-Oudot, in: J.-.Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  50 ff. 391  JO du 3 octobre 2010, S.  17986; näher hierzu unter §  10 II 3 a. 392  Hierzu Jauernig/Hess, §  28, Rn.  10. 393  Cadiet CPC 2014, Art.  780, Rn.  2 mit Verweis auf Art.  785 CPC; außerdem Perrot Procé­ dures 2/2006 (Étude), n°  3. 394  Rechtsvergleichend Piekenbrock, S.  221. 395  Zwickel ZZPInt 2012, 43 (59). 396  Entsprechend zurückhaltend auch Guez, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 411 (2013), Rn.  24. 397  Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  531, Rn.  4 u. §  520, Rn.  51. 398  Leipold, in: Stein/Jonas ZPO, §  295, Rn.  17 f.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

genheit hinsichtlich prozessualer Einwendungen (exceptions de procédure) vor­ sieht, die im Rechtsmittelverfahren fortgilt.399 Unterschiede ergeben sich hinsichtlich der Folgewirkung der erstinstanzlichen Präklusion von Angriffs- und Verteidigungsmitteln. Im Berufungsverfahren setzt sich die innerprozessuale Präklusion des §  296 ZPO mithilfe des §  531 Abs.  1 ZPO fort, während die absolute Präklusion des §  296a ZPO in den §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO ihre prozessuale Fortsetzung findet.400 Der Vortrag neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel ist hiernach grundsätzlich ausgeschlossen (§  529 Abs.  1 ZPO) und entgegen der Vorgängernorm des §  528 ZPO a. F.401 nur beim Vorliegen eines besonderen sachlichen Grundes gemäß §  531 Abs.  2 ZPO zulässig.402 Das französische Recht verfügt über keine vergleichbare Regel. Versteht man mit dem deutschen Reformgeber von 2001/2002 die Vorschrift des §  531 Abs.  2 ZPO als pro­ zessuale Absicherung des §  531 Abs.  1 ZPO zur Verhinderung einer „Flucht in die Berufung“,403 wird der dogmatische Grund für das Fehlen einer vergleichbaren Re­ gel im französischen Verfahrensrecht ersichtlich: Indem es dem Code de procédure civile mangels vergleichbarer eingangsgerichtlicher Präklusionsvorschriften bereits an einer dem §  531 Abs.  1 ZPO entsprechenden Basisnorm fehlt, besteht für eine etwaige Absicherung im Sinne des §  531 Abs.  2 ZPO schlichtweg kein Regelungs­ bedürfnis. Sowohl das deutsche als auch das französische Verfahrensrecht sind da­ her im Umgang mit verspätetem Sachvortrag systematisch konsequent. Histo­ risch-rechtsvergleichend dient als Beleg dieser These die sog. Emminger-Novelle aus dem Jahr 1924.404 Der mithilfe jener Novelle erstmals festgelegte Ausschluss neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Berufungsverfahren diente nicht nur dem Zweck der Verfahrensbeschleunigung, sondern korrespondierte systematisch mit der zeitgleich eingeführten erstinstanzlichen Präklusion gemäß §  279 ZPO a. F. Das Ziel des zweitinstanzlichen Novenausschlusses besteht seither darin, die erstinstanzliche Präklusion prozessual auch für die Folgeinstanz zu sichern.405 Das vorherige liberale Novenrecht nach französischem Vorbild ergab sich demgegen­ 399  Die Vorschrift wird von Art.  771 Abs.  2 Nr.  1 CPC auf das Verfahren vor dem juge de la mise en état (Tribunal de grande instance) übertragen. Der Ausschluss nachträglicher Verfahrens­ rügen wird im Unterschied zum deutschen Recht anstelle einer fingierten Heilung schlichtweg untersagt; vgl. Couchez/Lagarde, Rn.  163. Zur Fortgeltung des Ausschlusses eingangsgerichtli­ cher Verfahrensrügen im Rechtsmittelverfahren siehe Cass. avis du 2 avril 2007, Bull. civ. avis 2007, n°  4 sowie hierzu Avena-Robardet D. 2007 (Actualités), 1208 (1208). 400  BGH NJW 2004, 2382 (2382); Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  531, Rn.  18 f. Zur Unzulässigkeit einer Auswechselung der Präklusionsgründe durch das Berufungsgericht siehe BGH NJW-RR 2005, 1007 (1008) und BGH NJW-RR 2013, 655 (655). 401  Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 402  Vgl. bereits das Reformkonzept bei Rimmelspacher, in: Triberger Symposium, S.  47 (57). Siehe ferner Roth JZ 2006, 9 (15) – „ausnahmsweise gerechtfertigt“. 403  Siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreform­ gesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  60. 404  Siehe hierzu auf französischer Seite Hébraud, in: Colloque 1963, S.  143 (159). 405  Ausdrücklich Volkmar JW 1924, 345 (349).

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 137

über noch „von selbst“ aus dem Umstand, „dass die obere Instanz eine Erneuerung des vorherigen iudicum war, in welchem bis zum Endurteil präklusivische Fristen und Termine nicht vorkamen“.406 Diese Begründung gilt noch heute für das franzö­ sische Verfahrensrecht. c)  Systematische und prozessökonomische Gegenüberstellung beider Konzepte Die innere systematische Konsequenz sowohl des deutschen als auch des französi­ schen Novenrechts erlauben eine unvorbelastete Auseinandersetzung mit der Frage nach der Prozesswirtschaftlichkeit beider Systeme. Der Begriff der Prozessökono­ mie wird an dieser Stelle allgemein als das Verhältnis von Verfahrensaufwand und Verfahrensertrag verstanden.407 Nach der grundlegenden Analyse Shavells besteht das ökonomische Ideal des Rechtsmittelverfahrens in der Erlangung einer materiell richtigen Entscheidung bei gleichzeitig minimalen öffentlichen und privaten Kosten aufgrund der sachgemä­ ßen Berücksichtigung des bereits geführten vorinstanzlichen Verfahrens.408 Das geeignete Verfahrensmodell zur Erreichung des beschriebenen Ideals besteht laut Shavell aus der Kombination einer zielgeleiteten Eingangsinstanz und einer diffe­ renziert ausgebildeten Rechtsmittelinstanz. Hierbei legt Shavell die Annahme zu­ grunde, dass die Parteien die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels zutreffend ein­ schätzten und es daher nur bei hoher Wahrscheinlichkeit ihres Obsiegens einleg­ ten.409 Auf der Grundlage des von Shavell entwickelten Modells betrachtet Wagner die Reform des deutschen Zivilverfahrens tendenziell als Erfolg: Die materielle Stärkung der ersten Instanz ergebe sich in der Praxis überwiegend mittelbar auf­ grund der herabgesetzten Gewährleistungen der Berufung. Die Eingangsinstanz werde somit nicht über das ökonomisch sinnvolle Maß hinaus aufgebläht, während zugleich die Berufung um die Korrektur parteieigener Fehler und Nachlässigkeiten entlastet werde.410 Entscheidend für den Erfolg eines prozessualen Modells ist je­ 406  Wetzell, S.  754 (wörtliches Zitat grammatikalisch angeglichen), a. a. O. auch mit ergänzen­ den Hinweisen zum römischen und zum kanonischen Recht. 407  Dies in Anlehnung an die rechtstheoretische Untersuchung von Pflughaupt, S.  131. Siehe außerdem Bruns ZZP 124 (2011), 29 (31 f.): „Die Prozessökonomie ordnet sich dem als eigenstän­ dig respektierten Prozesszweck unter und sucht nach dem kostengünstigsten Weg zur Erreichung des Prozesszwecks.“ Ergänzende Facetten des Begriffs der Prozessökonomie (vgl. Pflughaupt, S.  31 ff.) sollen an dieser Stelle unberücksichtigt bleiben. 408  Siehe Shavell JLS 24 (1995), 379 (381 f.); zustimmend von deutscher Seite Unberath ZZP 120 (2007), 323 (329 f.). 409  Shavell JLS 24 (1995), 379 (383 ff.). 410  So Wagner, in: Ökonomische Analyse, S.  157 (182); ähnlich Unberath ZZP 120 (2007), 323 (331). Dem entgegnet Bruns ZZP 124 (2011), 29 (31 f.) trotz grundsätzlicher Anerkennung der The­ orie Shavells, dass die bisherigen Ansätze einer ökonomischen Analyse des deutschen Rechtsmit­ telrechts darunter litten, nicht die Kostenfolgen für die Parteien und das Justizwesen zu berück­ sichtigen. Dieser grundsätzlich zustimmungswürdige Ansatz erweist sich im Rechtsvergleich an­ gesichts der unterschiedlichen Kostenrechte ungleich schwieriger. In letzter Konsequenz würde der Ansatz sowohl ein gemeinsames fiktives Kostenrecht als auch die Berücksichtigung privater

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

doch letztlich seine Bewährung in der gerichtlichen Praxis, was der nachfolgende Vergleich mithilfe der beiderseits vorhandenen statistischen Daten zu berücksichti­ gen versucht. aa)  Normative Betrachtung des prozesswirtschaftlichen Ertrages beider Konzepte Betrachtet man auf der Grundlage des von Shavell entwickelten Modells zunächst den Ertrag des deutschen und des französischen Rechtsmittelsystems, birgt das deutsche Konzept einer Fehlerkorrekturinstanz basierend auf den Präklusionsre­ geln des §  296 ZPO und des §  531 ZPO normativ die Gefahr eines Erlasses objektiv unzutreffender Entscheidungen.411 Der Ertrag des französischen Systems ist dem­ gegenüber aufgrund des uneingeschränkten Novenrechts a priori größer. Hinsicht­ lich offenkundiger, gerichtsbekannter, ausdrücklich zugestandener oder sonst un­ streitiger Tatsachen hat der Bundesgerichtshof das Problem durch deren uneinge­ schränkte Zulassung im Berufungsverfahren gelöst.412 Soweit jedoch für das Rechtsmittelverfahren bestrittene neue Tatsachen von Bedeutung sind, übersteigt der Ertrag des französischen appel normativ den Ertrag der deutschen Berufung. bb)  Normative Betrachtung des jeweils erforderlichen prozessualen Aufwandes Aus der Perspektive des deutschen Reformgesetzgebers, dessen Ziel darin bestand, dem eingangsgerichtlichen Verfahren zu stärkerem Gewicht zu verhelfen,413 er­ scheint zunächst der Aufwand des französischen Zivilverfahrens größer. Die feh­ lende Bindung der Cour d’appel an die erstinstanzlich festgestellte Tatsachen­ grundlage verbunden mit der Obliegenheit der Parteien, die entscheidungsrelevan­ ten Tatsachen erneut zu präsentieren,414 führt potenziell zu einer doppelten Erkennung des Verfahrensstoffs. (1)  Rechtsmittelbereitschaft und Instanzenrelation beider Systeme Das großzügige französische Novenrecht begründet dennoch nicht zwangsläufig einen erhöhten prozessualen Aufwand für die Verfahrensbeteiligten. Trägt eine Partei ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in erster Instanz nicht rechtzeitig vor, wird der betroffene Sachvortrag auf deutscher Seite gemäß §  296 Abs.  1 u. 2 ZPO Vermögensverhältnisse, psychologischer Faktoren und staatlicher Strukturen wie der Prozesskos­ tenhilfe erfordern. Der vergleichende Blick auf den jeweiligen prozessualen Aufwand würde je­ doch auf diese Weise verstellt. 411  So bereits Debusmann, Bericht 65. DJT, S. M 39 (M 39 f.) sowie die Grundannahme in BGH NJW 2004, 1458 (1459) und in BGH NJW 2005, 1583 (1585) – „[…] Einschränkungen der Tatsa­ chenfeststellung in der Berufungsinstanz, die zwangsläufig nachteilig für das Bemühen um eine materiell gerechte Entscheidung sind […]“. 412  Siehe BGH NJW 2004, 2152 (2152) und BGH NJW 2005, 291 (292 f.) sowie oben §  10 I 3 c. 413  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  59 f. 414  Siehe oben §  10 I 3.

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zurückgewiesen, das Verfahren aber im Übrigen fortgesetzt. Auf französischer Sei­ te führt hingegen Art.  469 CPC zu einem vorzeitigen Abschluss des gesamten ein­ gangsgerichtlichen Verfahrens. Die vorzeitige Entscheidung und die daraus resul­ tierende vorzeitige Eröffnung der Rechtsmittelinstanz bedeuten für alle nachfol­ gend vorgebrachten Tatsachen den faktischen Verlust des double degré de juridiction im Sinne einer doppelten gerichtlichen Prüfung. Zwar bereitete die Vor­ schrift des Art.  469 CPC in der Rechtspraxis bisweilen Probleme im Hinblick auf die konkreten Anforderungen an die tatbestandlich notwendige prozessuale Sorg­ faltspflichtverletzung.415 Für das Verfahren vor dem Tribunal de grande instance konnten die Probleme jedoch durch die Einführung eines verbindlichen Verfahrens­ kalenders (calendrier de la mise en état) gemäß Art.  23 décret n°  2005-1678 du 28 décembre 2005416 in transparenter Weise behoben werden, vgl. 764 CPC.417 Das umfassende Novenrecht des appel geht bei statistischer Betrachtung auch nicht zwangsläufig mit einer quantitativen Mehrbelastung der Cours d’appel ein­ her.418 Bildet man die Instanzenrelation aller innerhalb eines Jahres vor den Tribu­ naux de grande instance und den Tribunaux d’instance beendeten Hauptsachever­ fahren und den jeweiligen Neuzugängen der Cours d’appel und vergleicht man diese mit der entsprechenden Instanzenrelation der landgerichtlichen und der ober­ landesgerichtlichen Berufungsverfahren, sind zunächst nur geringfügige Unter­ schiede festzustellen.419 In den Jahren 2002 bis einschließlich 2010, dem Zeitraum zwischen dem Inkrafttreten des deutschen Zivilprozessreformgesetzes und des französischen décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 bewegte sich die Instanzen­ relation auf französischer Seite bezüglich der Tribunaux de grande instance zwi­ schen 12,6 % (2004) und 14,5 % (2002 und 2008)420 und bezüglich der Tribunaux d’instance einschließlich der Juridiction de proximité und der Tribunaux paritaires des baux ruraux zwischen 3,7 % (2009) und 4,3 % (2004).421 Auf deutscher Seite variierte die Instanzenrelation hinsichtlich der oberlandesgerichtlichen Berufungs­ 415  Dies galt insbesondere hinsichtlich der Frage, ob den Parteien die jeweiligen innerprozes­ sualen Fristen ordnungsgemäß mitgeteilt worden waren; siehe Cass. 2e civ., 25 mars 1985, Bull. civ. II 1985, n°  77 sowie hierzu Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  50. 416  JO du 29 décembre 2005, S.  20350 ff. 417  Im Übrigen bedarf die Anwendung der Vorschrift einer transparenten Terminierung im Einzelfall; siehe Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  50 f. 418  Die Überlegung steht im Zusammenhang mit der Akzeptanz eingangsgerichtlicher Ent­ scheidungen, welche der Reformgeber besonders betont; vgl. die Einleitung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks 14/4722, S.  1. 419  Zum Begriff der Instanzenrelation siehe Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  178. 420  Die Angaben beruhen auf eigener Berechnung. Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  29, Posten 5 und Tabelle S.  31, Posten 8; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  29, Posten 5 und Tabelle S.  31, Posten 8. 421  Die Angaben beruhen auf eigener Berechnung. Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  29, Posten 7 und Tabelle S.  35, Posten 7; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  29, Posten 7 und Tabelle S.  35, Posten 7. Die zitierten Tabellen weisen die – grundsätzlich nicht rechtsmittelfähigen – Entscheidungen der Juridiction de

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

verfahren im selben Zeitraum zwischen 14,2 % (2003 bis 2005) und 15,5 % (2008 und 2009) und hinsichtlich der landgerichtlichen Berufungsverfahren zwischen 4,8 % (2004 und 2005) und 6,4 % (2002).422 Unter Berücksichtigung allein der durch streitiges Urteil entschiedenen Verfah­ ren betrug die Instanzenrelation im Hinblick auf die Tribunaux de grande instance zwischen 16,7 % (2005) und 19,1 % (2002 und 2009),423 bezüglich der Tribunaux d’instance einschließlich der Juridiction de proximité und der Tribunaux paritaires des baux ruraux zwischen 5,1 % (2006) und 5,5 % (2004).424 Auf deutscher Seite belief sich die gleichermaßen gebildete Instanzenralation im Hinblick auf die ober­ landesgerichtlichen Berufungsverfahren hingegen auf 55,4 % (2004 und 2005) bis 57,6 % (2002), bezüglich der landgerichtlichen Berufungsverfahren auf 18,5 % (2009) bis 22,9 % (2002).425 Die Unterschiede im Rahmen der durch streitiges Urteil entschiedenen Verfahren werden im Rechtsvergleich durch den Umstand verstärkt, dass die Entscheidungen der Tribunaux de grande instance und der Tribunaux d’instance aufgrund ihres Zuständigkeitsstreitwertes oberhalb des taux d’appel von 4.000 EUR generell rechtsmittelfähig sind.426 Die eingangsgerichtliche Zuständig­ keit eines Amts- oder Landgerichts trifft allein noch keine Aussgage über die Statt­ haftigkeit der Berufung.427 Beschränkt man die Instanzenrelation dementsprechend auf die jeweils berufungsfähigen Urteile der deutschen Amts- und Landgerichte, erhöhen sich die jeweiligen Quoten innerhalb des zitierten Zeitraumes auf 57,1 % (2004 und 2005) bis 58,9 % (2009) bezüglich des oberlandesgerichtlichen Beru­ fungsverfahrens428 und auf 32,7 % (2003 und 2005) bis 39,9 % (2004) bezüglich des proximité zwar gesondert aus, erlauben nach der Art der Darstellung aber keinen Ausschluss die­ ser Entscheidungen bei der Berechnung der Instanzenrelation. 422  Die Angaben beruhen auf eigener Berechnung. Für die Jahre 2002 bis 2004 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2005), Tabelle 1.4.1; für die Jahre 2005 bis 2007 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2008), Tabelle 1.4.1; für die Jahre 2008 bis 2010 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2011), Tabelle 1.4.1. Durch den rechnerischen Ausschluss einstweiliger Rechtsschutzverfahren können sich gerinfügi­ ge Abweichungen ergeben. 423  Die Angaben beruhen auf eigener Berechnung. Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  29, Posten 5 und Tabelle S.  31, Posten 11; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  29, Posten 5 und Tabelle S.  31, Posten 11. 424  Die Angaben beruhen auf eigener Berechnung. Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  29, Posten 7 und Tabelle S.  35, Posten 10; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  29, Posten 7 und Tabelle S.  35, Posten 10. 425  Die Angaben beruhen auf eigener Berechnung. Für die Jahre 2002 bis 2004 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2005), Tabelle 1.4.1; für die Jahre 2005 bis 2007 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2008), Tabelle 1.4.1; für die Jahre 2008 bis 2010 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 1 (2011), Tabelle 1.4.1. Durch den rechnerischen Ausschluss einstweiliger Rechtsschutzverfahren können sich gerinfügi­ ge Abweichungen ergeben. 426  Siehe oben §  6 II 1 und §  7 I. 427  Zum Unterschied von Streit- und Beschwerdewert siehe oben §  3 II und §  6 II 1. 428  Die prozentualen Angaben beruhen auf eigener Berechnung auf der Grundlage der Daten über die Geschäftsentwicklung in Zivilsachen vor den Oberlandesgerichten (Statistisches Bundes-

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 141

landgerichtlichen Berufungsverfahrens.429 Es besteht damit auf deutscher Seite eine statistisch höhere Bereitschaft, Rechtsmittel gegen ein erstinstanzliches Zivilurteil einzulegen.430 (2)  Verteilung des Verfahrensstoffs und erforderliche Verfahrensdauer Hinsichtlich der innerprozessualen Belastung der Eingangs- und der Rechtsmittel­ gerichte ist nach der von Hommerich und Prütting im Jahr 2006 veröffentlichten Evaluation der ZPO-Reform auf deutscher Seite zunächst eine Belastungszunahme festzustellen. In Bezug auf das eingangsgerichtliche Verfahren gaben zwar nur 10 % der befragten Amtsrichter und 14 % der befragten Richter an Landgerichten an, einen Zuwachs an Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit der eingangsgericht­ lichen Präklusion infolge des reformierten Novenrechts zu verspüren.431 Unter den befragten Amtsrichtern begründeten das Ergebnis jedoch 18 % mit einer zurückhal­ tenden Anwendung des §  296 ZPO sowie 24 % mit einer absehbar großzügigen Handhabe des novellierten §  531 ZPO im nachfolgenden Berufungsverfahren.432 Unter den befragten Richtern an Landgerichten beliefen sich die Anteile auf 28 % und 20 %.433 Weiterhin stellten 35 % der befragten Amtsrichter in Bezug auf das amt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2010) Tabelle 7.1, Posten 2) sowie über die Statthaftigkeit der Berufung gegenüber den erstinstanzlichen Urteilen der Landgerichte: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2003), Tabelle 5.1.1, Posten 33 u. 34; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2005), Tabelle 5.3, Posten 21 u. 22; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2006) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2009), Tabelle 5.3, Posten 21 und Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2010), Tabelle 5.3, Posten 23. 429  Die prozentualen Angaben beruhen auf eigener Berechnung auf der Grundlage der Daten über die Geschäftsentwicklung der Zivilsachen vor den Landgerichten (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2010) Tabelle 4.1, Posten 19) sowie über die Statthaftigkeit der Berufung gegenüber den erstinstanzlichen Urteilen der Amtsgerichte: Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2003), Tabelle 2.1.1, Posten 36 u. 37; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2005), Tabelle 2.1.1, Posten 44 u. 45; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2006) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2007), Tabelle 2.1.1, Posten 47; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2008) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2009), Tabelle 2.1.1, Posten 49 und Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2010), Tabelle 2.1.1, Posten 51. 430  Für die Zeit nach dem Inkrafttreten des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 lassen sich bislang keine aussagekräftigen Vergleichwerte bilden, da sich die Berechnungs- und Darstellungs­ weise der Daten auf französischer Seite ab dem Jahr 2011 ändert; vgl. die Angaben auf den Inter­ netseiten des französischen Justizministeriums, insbesondere werden dort nicht mehr sämtliche einstweiligen Rechtsschutzverfahren gesondert ausgewiesen, (letzter Zugriff am 15.12.2014). 431  Siehe Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  121 f., Abbildung 44. Die Befra­ gungen wurden von Juni bis August 2005 geführt; siehe hierzu die Angaben a. a. O., S.  38 f. 432  Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  122, Abbildung 44. 433  Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  122, Abbildung 44.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

eingangsgerichtliche Verfahren eine Zunahme präventiven Sachvortrages aufgrund des novellierten §  531 Abs.  2 ZPO fest, unter den Richtern an Landgerichten teilten diese Auffassung 42 %.434 Einen effektiven Mehraufwand aufgrund der Bindung des Berufungsgerichts an die eingangsgerichtliche Tatsachenfeststellung im Rah­ men des eingangsgerichtlichen Verfahrens konstatierten insgesamt 55 % der befrag­ ten Amtsrichter und 73 % der befragten Richter an Landgerichten.435 Das Ergebnis bestätigt eine bereits im Jahr 1985 entwickelte Prognose Gottwalds in Anknüpfung an eine vorangegangene Abhandlung Rosenbergs.436 Beide Autoren bezeichneten das Phänomen des präventiven Sachvortrages infolge eines eingeschränkten No­ venrechts als geradezu systemimmanent, was sich nunmehr auch im Rechtsver­ gleich äußert. Denn auf französischer Seite bietet die bedingungslose Zulassung neuer Tatsachen im Rahmen des appel gemäß Art.  563 CPC keinen Grund, im ein­ gangsgerichtlichen Verfahren präventiv vorzutragen. Eine durch das Rechtsmittel­ system begründete Belastung der französischen zivilprozessualen Eingangsgerichte kann daher grundsätzlich nicht angenommen werden. In konsequenter Fortführung dieser Erwägungen wäre jedoch von einer höheren Belastung der Cours d’appel auszugehen, während sich auf deutscher Seite die Komplexität der zweitinstanz­ lichen Verfahren infolge der Zivilprozessreform hätte verringern müssen.437 In Er­ mangelung einer detaillierten emprischen Untersuchung können sich mittelbare Anhaltspunkte hierfür allein aus einem Vergleich der durchschnittlichen Dauer der jeweiligen zweitinstanzlichen Verfahren ergeben. In den Jahren 2002 bis einschließlich 2010 betrug die Dauer eines berufungsge­ richtlichen Verfahrens vor den Oberlandesgerichten durchschnittlich 7,9 Monate,438 vor den Landgerichten 5,4 Monate.439 Im selben Zeitraum betrug die Dauer eines Verfahrens vor den Cours d’appel durchschnittlich 14,3 Monate.440 Im Jahr 2012, zehn Jahre nach dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes und im zweiten 434 

Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  121, Tabelle 42. Siehe Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  118 f., Tabelle 40. Als Gründe wur­ den neben der Ausweitung präventiven Sachvortrages u. a. die Notwendigkeit einer umfassenden und detaillierten Tatsachenabfassung sowie eine Zunahme an Tatbestandsberichtigungen genannt. 436  Gottwald, in: Gilles/Röhl (Hrsg.), Rechtsmittel im Zivilprozess, S.  306 – „übermäßige Eventualaufklärung des Prozessstoffs“; ferner Rosenberg ZZP 64 (1950), 6 (13 ff.). 437  Nach Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  192 verringerte sich die relative Häufigkeit der Durchführung einer neuerlichen Tatsachenfeststellung im Verfahren vor den Land­ gerichten von 10,1 % im Jahr 2001 auf 6,8 % im Jahr 2004 und im Verfahren vor den Oberlandes­ gerichten von 13 % im Jahr 2001 auf 8,4 % im Jahr 2004. Siehe hierzu auch die positive Bilanz bei Prütting, in: Ökonomische Analyse, S.  1 (10). 438  Für die Jahre 2002 und 2003 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002) – (2003), Tabelle 8.2, Posten 16; für die Jahre 2004 und 2010 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004) – (2010), Tabelle 8.2, Posten 17. 439  Für die Jahre 2002 und 2003 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002) – (2003), Tabelle 6.2, Posten 15; für die Jahre 2004 und 2010 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004) – (2010), Tabelle 6.2, Posten 22. 440  Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  29, Posten 21; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  29, Posten 21. 435 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 143

Jahr nach dem Inkrafttreten des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 belief sich die durchschnittliche Gesamtverfahrensdauer vor den Oberlandesgerichten auf 8,7 Monate441 und vor den Landgerichten auf 6,2 Monate.442 Vor den Cours d’appel betrug im Jahr 2012 die durchschnittliche Verfahrensdauer 12,8 Monate.443 Unter Berücksichtigung allein der mit streitigem Urteil entschiedenen Verfahren belief sich die Dauer vor den Oberlandesgerichten im Untersuchungszeitraum der Jahre 2002 bis 2010 hingegen auf durchschnittlich 10,6 Monate,444 vor den Landge­ richten auf 7,5 Monate.445 Für die Cours d’appel liegen zwar keine entsprechenden Werte vor. Allerdings lag der Anteil der mit streitigem Urteil entschiedenen Rechts­ mittelverfahren vor den Cours d’appel im Untersuchungszeitraum durchgängig weit über dem entsprechenden Anteil der oberlandesgerichtlichen und der landge­ richtlichen Rechtsmittelverfahren.446 Die insgesamt kürzere Dauer der deutschen Berufungsverfahren begründet sich daher nicht unmittelbar mit dem Funktions­ wandel der zweiten Instanz, sondern mit einem im Rechtsvergleich hohen Anteil zurückgenommener, durch Vergleich beendeter oder gemäß §  522 Abs.  2 ZPO ver­ worfener Berufungen.447 Darüber hinaus wurde das Ziel des deutschen Reformge­ bers, die Dauer des Berufungsverfahrens zu verkürzen,448 nur knapp erreicht.449 Der Grund hierfür ist auf deutscher Seite wohl weniger im Text der §§  511 ff. ZPO als vielmehr in dessen Auslegung zu suchen.450 Zukünftig wird die durchschnittli­ che Verfahrensdauer auf deutscher Seite aufgrund der jüngsten Reform des §  522 441 

Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 8.2, Posten 17. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2012), Tabelle 6.2, Posten 22. 443  Siehe die Tabelle unter (letzter Zugriff am 15.12.2014). 444  Für die Jahre 2002 und 2003 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002) – (2003), Tabelle 8.2, Posten 17; für die Jahre 2004 und 2010 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004) – (2010), Tabelle 8.2, Posten 18. 445  Für die Jahre 2002 und 2003 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2002) – (2003), Tabelle 6.2, Posten 16; für die Jahre 2004 und 2010 siehe Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2004) – (2010), Tabelle 6.2, Posten 23. 446  Siehe die Angaben im Rahmen der unter Fn.  438 bis 445 zitierten Tabellen. 447  So auch das Ergebnis der rechtstatsächlichen Untersuchung bei Postel, S.  75 ff. Zum Fehlen einer §  522 Abs.  2 ZPO vergleichbaren Regel im französischen Verfahrensrecht siehe oben §  8 III. 448  Siehe oben §  8 I – II. 449  Hierzu kritisch aus jüngerer Zeit Hirtz NJW 2014, 2519 (2530). So betrug die Gesamtver­ fahrensdauer eines Berufungsverfahrens vor den Oberlandesgerichten in den letzten fünf Jahren vor dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes durchschnittlich 8,8 Monate und vor den Landgerichten 5,5 Monate; für das Verfahren vor dem Oberlandesgericht vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1997) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1998), Tabelle 2.7, Posten 36; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1999) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (2001), Tabelle 2.7, Posten 35; für das Verfahren vor dem Landgericht vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1997) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1998), Tabelle 2.5, Posten 35; ferner Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (1999) bis Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2 (2001), Tabelle 2.5, Posten 34. 450  Vgl. Gehrlein NJW 2014, 3393 (3393). 442 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

ZPO451 wohl tendenziell zunehmen,452 während auf französischer Seite aufgrund der Straffung des Verfahrensverlaufs voraussichtlich eine Stabilisierung oder Ver­ kürzung eintreten wird.453 Eine Annäherung der Verfahrensdauer des appel an die durchschnittliche Verfahrensdauer der Berufung ist hierbei nicht auszuschließen.454 (3)  Probleme in der Rechtsanwendung und Kritik an den Reformen Zusätzlichen Aufwand begründet auf deutscher Seite die noch immer unzureichen­ de Akzeptanz der Rechtsmittelreform seitens der Rechtspraxis. Die bereits im Jahr 2006 konstatierte Uneinheitlichkeit der Rechtsanwendung455 in Bezug auf die refor­ mierten Berufungsregeln bedarf unverändert höchstrichterlicher Klärung.456 Nach der Analyse Nassalls anlässlich des zehnten Jahrestages der Zivilprozessreform habe allein der tatbestandliche Verzicht auf das Merkmal einer drohenden Verzöge­ rung im Rahmen der §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO zu spürbaren Erleichte­ rungen geführt.457 Gerade dieser Umstand geht jedoch wie dargelegt zulasten des prozessualen Ertrages der Berufung.458 In der anwaltlich orientierten Literatur fin­ det sich daher in unterschiedlichen Zusammenhängen der Hinweis auf den prozess­ taktisch „sichersten Weg“, der sich zusammengefasst durch einen breit gefächerten Vortrag in der ersten Instanz und ein ebenso umfangreiches Rügen in der zweiten Instanz auszeichne.459 Der prozessuale Aufwand der Berufung wird auf diese Weise 451 

Siehe oben §  8 III. Siehe die Daten für das Jahr 2013: 8,7 Monate durchschnittliche Gesamtverfahrensdauer vor den Oberlandesgerichten (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2013), Tabelle 8.2, Posten 17) und 6,3 Monate vor den Landgerichten (Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Fachserie 10, Reihe 2.1 (2013), Tabelle 6.2, Posten 22). 453  Zu den in der Anfangszeit des reformierten Rechts aufgetretenen Auslegungs- und Anwen­ dungsproblemen sogleich im folgenden Abschnitt. 454  Zu den verbleibenden Problemen siehe die nachfolgenden Abschnitte. 455  Hierzu Roth JZ 2006, 9 (15). Der Befund bestätigt insofern die Anwaltsbefragung Gregers aus dem Jahr 2004 innerhalb der Oberlandesgerichtsbezirke München, Nürnberg und Bamberg; siehe Greger JZ 2004, 805 (812). Hiernach bestätigten jeweils 42 % der befragten Anwälte eine uneinheitliche Anwendung sowohl des §  531 Abs.  2 ZPO als auch der §§  533 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO. Siehe auch Nassall NJW 2012, 113 (115 f.). 456  Zum sachlichen Anwendungsbereich des §  529 Abs.  1 Nr.  2 ZPO siehe BGH NJW 2010, 376 (377) im Hinblick auf den in zweiter Instanz zu berücksichtigenden Sachvortrag und BGH NJWRR 2010, 1508 (1509) zum Verhältnis von Berufung und Klageänderung. Siehe ferner die anhal­ tende Kritik bei Schellhammer, Rn.  980 sowie die Analyse aus dem Vorfeld der Reform bei Gottwald, Gutachten 61. DJT, S. A 1 (A 54); zustimmend u. a. Wendenburg; siehe Verhandlungen 61. DJT, S. I 127 ff. 457  Nassall NJW 2012, 113 (116); im Ergebnis wohl auch Büttner, S.  29, welcher die Regeln in Abgrenzung zur vormaligen Rechtslage als klarer bezeichnet. 458  Vgl. auch Jauernig/Hess, §  73, Rn.  33. 459  Siehe etwa die „Praxistipps“ bei Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, G, Rn.  9, 60, 65, 70, 81, 146 u. 154 sowie VIII, Rn.  10 u. 18 und insbesondere Hirtz, Bericht 65. DJT, S. A 53 (A 59): „Zum Mittelpunkt der Rechtsprobleme in der Berufungsinstanz ist die Frage geworden, ob die Tatsa­ chenbindung überwunden werden kann.“; ähnlich bereits die Ergebnisse einer vor der Reform durchgeführten Verfahrenssimulation unter der Leitung von Rimmelspacher, die damals im Nach­ 452 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 145

zusätzlich erhöht. Bereits im Rahmen des 65. Deutschen Juristentages 2004 in Bonn kritisierte Debusmann in seinem Bericht über das „Neue Berufungsrecht aus rich­ terlicher Sicht“ die praktisch schwierige und damit zeitaufwendige Abgrenzung neuer und alter Tatsachen im Berufungsverfahren.460 Die Begründung der Voraus­ setzungen des §  531 Abs.  2 ZPO seitens der Parteien erwecke häufig den Eindruck „textbausteinmäßiger Standardisierung“.461 Zwar hat der Bundesgerichtshof zwi­ schenzeitlich die inhaltlichen, nicht aber die formellen462 Anforderungen an die Be­ rufungsbegründung erhöht.463 Erleichterungen für die Parteien dürften sich daraus aber gerade nicht ergeben. Ungeachtet ihrer Konzentration auf das formelle Verfahren führten auch die re­ formierten Regeln des appel bereits mehrfach zu Problemen in der Rechtsanwen­ dung. Unmittelbar nach dem Inkrafttreten der Reform sah sich die Praxis mit dem Fehlen einer gesetzlichen Rechtsfolge für Verstöße gegen das Gebot der gleichzeiti­ gen Benennung von Tatsachen und korrespondierenden Beweismitteln (Art.  906 Abs.  1 CPC) konfrontiert.464 Im Rahmen eines avis vom 25. Juni 2012 äußerte sich die Cour de cassation dahingehend, dass nachträglich benannte Beweismittel aus dem Verfahren auszuschließen seien (écarter).465 Unklarheiten im Hinblick auf den Beginn der Frist zur Begründung des appel (Art.  908 CPC) konnte die Cour de cassation durch arrêt vom 5. Juni 2014 beseitigen.466 Fortwährende Fragen wirft hingegen das Sanktionssytem der Artt.  902 CPC für verspätete Verfahrenshandlun­ richtenmagazin DER SPIEGEL Erwähnung fand: Hipp, Teurer Test, in: DER SPIEGEL 20/2000, 32 (33): „[…] wie die Teilnehmer der Gesetzessimulation feststellen mussten, kann dies [der Wan­ del der Berufung zu einer Fehlerkorrekturinstanz verbunden mit einer Stärkung der ersten Instanz – Anm. d. Verf.] genau den gegenteiligen Effekt haben: Statt schnell einen mitgebrachten Zeugen zu vernehmen, streiten sich Anwälte und Richter langwierig über mögliche Verfahrensfehler – für einen anwesenden Mandanten kaum nachvollziehbar. Dass die Beschneidung von Überprüfungs­ möglichkeiten den Eingangsgerichten erheblich mehr Arbeit aufhalst, nehmen die Reformer be­ wusst in Kauf – denn die Neuordnung sieht umfassende Hinweis- und Protokollpflichten vor, die die Verfahrensdauer verlängern. Findige Anwälte, mussten die Richterkollegen in Recklinghausen feststellen, können ein Gericht da ganz schön beschäftigen.“ 460  Siehe Debusmann, Bericht 65. DJT, S. M 39 (M 40). In der nachfolgenden Diskussion stieß der Bericht unter den Vertretern der Rechtspraxis auf breite Zustimmung; siehe nur die Äußerun­ gen von Schulte-Kellinghaus (Verhandlungen 65. DJT, S. M 128), Eckert (Verhandlungen 65. DJT, S. M 131) und Schmude (Verhandlungen 65. DJT, S. M 158). 461  Siehe Debusmann, Bericht 65. DJT, S. M 39 (M 41). Die Äußerung bezieht sich konkret auf die Darlegung von Verfahrensmängeln gemäß §  531 Abs.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO. Ähnlich BGH NJW 2003, 2531 (2532) in Bezug auf §§  520 Abs.  3 S.  2 Nr.  3, 531 Abs.  2 ZPO, weitere Nachweise bei Wolff ZZP 118 (2005), 488 (492). 462  Hierzu oben §  9 III. 463  BGH NJW-RR 2008, 1308 (1308 f.). 464  Attal JCP éd. G 2013 (En questions), 39 (39) m. w. N. 465  Cass. avis du 5 juin 2012, Bull. civ. avis 2012, n°  5; hierzu Dary/Arjuzon Gaz. Pal. 2013 (Doctrine), 239 (240) und Fricero Procédures 10/2013 (Dossier), n°  6 mit Hinweisen zur vorange­ gangenen Praxis der Cours d’appel. 466  Cass. 2e civ., 5 juin 2014, Procédures 8/2014 (Commentaires), n°  224; vorangegangen etwa Fricero Procédures 10/2013 (Dossier), n°  6.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

gen (vgl. Art.  911-1 CPC) auf.467 Die Vorschriften sehen keine Ausnahmen für Fälle unverschuldeter Fristversäumnis vor, was bereits mehrere Cours d’appel dazu ver­ anlasste, individuelle Ausnahmen auf richterrechtlicher Grundlage nach dem Prin­ zip des rechtlichen Gehörs zuzulassen.468 Eine Klärung durch die Cour de cassation steht bislang aus. cc)  Vergleichende Würdigung des deutschen und des französischen Systems Im Ergebnis ergibt sich ein differenziertes Bild: Solange die Parteien ihre prozes­ sualen Förderungs- und Sorgfaltspflichten erfüllen, bietet die Berufung auf der Grundlage des §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO die prozesswirtschaftlichere Lösung. Im be­ schriebenen Idealfall bietet das deutsche System einen hohen Ertrag im Sinne einer materiell richtigen Entscheidung bei begrenztem Verfahrensaufwand. Auf Seiten des französischen Rechts bergen die Möglichkeit einer erneuten Sachprüfung sowie das umfassende Novenrecht ein erhebliches Verzögerungspotenzial. Die tatsächli­ che Bedeutung dieses Potenzials ist zwar nicht ohne eine umfassende empirische Untersuchung zu ermitteln. Festzustellen ist aber, dass nach der Rechtsprechung der Cour de cassation ein appel nicht bereits dann als verzögernd oder missbräuchlich gilt, wenn der Rechtsmittelführer lediglich seinen eingangsgerichtlichen Sachvor­ trag wiederholt, ohne dezidiert auf die relevanten tatsächlichen oder rechtlichen Aspekte der in Frage stehenden Entscheidung einzugehen.469 Dies ist vor dem Hin­ tergrund des Art.  559 CPC von Bedeutung, welcher die Cour d’appel ermächtigt, einen entsprechenden appel abusif oder appel dilatoire mit einem Ordnungsgeld von bis zu 3.000 EUR zu sanktionieren. Aufgrund des restriktiven Verständnisses des appel dilatoire als unmittelbare Folge des double degré de juridiction wird die Vorschrift jedoch restriktiv angewendet.470 Außerhalb des beschriebenen Idealfalls erweist sich die deutsche Systematik der §§  296 und 529 ff. ZPO hinsichtlich der Ermittlung einer materiell zutreffenden Ent­ scheidungsgrundlage als vergleichsweise komplex. Das Konzept des Reformgebers führt zu Folgefragen und wird in der Rechtspraxis nicht einheitlich umgesetzt.471 Dies erschwert es den Parteien, im Sinne Shavells die Erfolgsaussichten der Beru­ fung zutreffend einzuschätzen. Die französische Systematik auf Grundlage des 467  Siehe hierzu unter §  9 I 1 und §  9 II; ferner Gerbay Procédures 10/2013 (Dossier), n°  3, welcher eine Zunahme prozessualer Streitfragen im Verfahren vor den Cours d’appel feststellt. 468  Nachweise bei Junillon/Laffly JCP ed. G 2013 (Doctrine), 434 (440) und bei Gerbay Procé­ dures (Dossier) 10/2013, n°  5. Kritisch auch Milano Procédures 1/2013 (Études), n°  1 und Gerbay JCP éd. G 2012 (En questions), 870 (870); zur Vereinbarkeit der Regeln mit dem Grundsatz des fair trial gemäß Art.  6 Abs.  1 EMRK siehe hingegen EGMR, Entscheidung vom 30. Oktober 2012 – Nr.  40150/09, Glykantzi/Grèce, Rn.  30, veröffentlicht unter (letzter Zu­ griff am 15.12.2014); hierzu Fricero Procédures 10/2013 (Dossier), n°  6. 469  Grundlegend Cass. 3e civ., 22 mai 1986, Gaz. Pal. 1987 (Sommaires annotés de la Cour de cassation), 41 (41). 470  Siehe etwa Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  662 sowie oben §  8 III. 471  Vgl. Hirtz NJW 2014, 2519 (2531).

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 147

Art.  469 CPC und des Art.  563 CPC trägt demgegenüber dem Gebot der materiellen Richtigkeit in stärkerem Umfang Rechnung. Sie führt in der Eingangsinstanz zu keiner verfahrensrechtlich bedingten Verschiebung der relevanten Fragen vom ma­ teriellen zum formellen Recht und begründet statistisch auch keine übermäßige Be­ lastung der zweiten Instanz. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der durch die Reform des appel aufgetretenen Auslegungsfragen der reformierten Artt.  902 ff. CPC. Anders als im Rahmen der deutschen Berufung sind die auf französischer Seite erkennbar gewordenen Probleme weit überwiegend die Folge einzelner gesetz­ geberischer Unsauberkeiten und gerade nicht der Ausfluss eines dahinter stehenden Systemstreits. Hiervon auszunehmen ist allein die Rechtsprechung der Cour de cassation im Hinblick auf das Recht der Parteien, neue Angriffs- und Verteidigungs­ mittel über die einleitenden Schriftsätze hinaus noch bis zum Abschluss des zwei­ tinstanzlichen Instruktionsverfahrens vorzutragen.472 Inwiefern sich diese Recht­ sprechung auf die durchschnittliche Dauer der Rechtsmittelverfahren auswirken wird und ob die prozessleitenden Befugnisse des conseiller de la mise en état geeig­ net sind, bewusste Verfahrensverzögerungen zu entkräften, ist mangels empirischer Daten noch nicht abzusehen. 2.  Berücksichtigung der materiellen Rechtskraft und der autorité de la chose jugée Rechtsvergleichend können das deutsche und das französische Rechtsmittelverfah­ ren jedoch nicht allein unter den Vorzeichen der erst- und der zweitinstanzlichen Präklusion als Basis der Prozessökonomie betrachtet werden. Als weitere bedeuten­ de Grundlagen der Entscheidungsfindung einerseits und der Entscheidungswirkung andererseits werden nachfolgend der Umfang der materiellen Rechtskraft und die Art der richterlichen Verfahrensleitung in die Betrachtung einbezogen.473 Im Unterschied zur formellen Rechtskraft und zur force de chose jugée, welche die Unanfechtbarkeit gerichtlicher Entscheidungen betreffen, legen die materielle Rechtskraft und die autorité de la chose jugée ihre inhaltliche Verbindlichkeit für nachfolgende Verfahren fest.474 Die objektiven Grenzen der materiellen Rechtskraft und der autorité de la chose jugée sind entscheidend für die Zulässigkeit etwaiger Folgeklagen und daher auch für den Umfang des zulässigen Parteivortrages im Rechtsmittelverfahren relevant.

472  Siehe oben §  9 II 2 b bb; ferner Perrot Procédures 3/2013 (Commentaires), n°  6 4 und Gerbay Procédures 10/2013 (Dossier), n°  3. 473  Insofern folgen die nachfolgenden Untersuchungen der Methodik des Rapport Magendie II, S.  41 ff. und den damit korrespondierenden Ausführungen bei Ferrand ZZPInt 2009, 43 (65). 474  Rechtsvergleichend Habscheid, in: Kleinere Schriften, S.  935 (936).

148

Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

a)  Der Umfang der materiellen Rechtskraft im deutschen Zivilverfahrensrecht Die materielle Rechtskraft eines Urteils beschränkt sich auf die Entscheidung über den Streit- bzw. Urteilsgegenstand als Ausspruch der Rechtsfolge, §  322 Abs.  1 ZPO.475 Die zugrunde liegenden Tatsachenfeststellungen sind ebensowenig von der materiellen Rechtskraft erfasst wie Entscheidungen über präjudizielle Rechtsver­ hältnisse und Entscheidungen über Einwendungen und Einreden des Beklagten.476 Nach der Lehre vom zweigliedrigen Streitgegenstandsbegriff dient der streit- und urteilsgegenständliche Lebenssachverhalt lediglich als Bezugspunkt der richterli­ chen Entscheidung.477 Er bestimmt, auf welches historische Geschehen sich die Ent­ scheidung bezieht, ohne es in seine rechtlichen oder tatsächlichen Einzelheiten zu zergliedern.478 Die umfassende Bezugnahme auf den historischen Lebenssachver­ halt führt zu einer Ausweitung der Entscheidungswirkung auch in Bezug auf Tatsa­ chen, die zwar dem betroffenen Geschehen angehören, von den Parteien aber nicht vorgetragen wurden.479 Die Rechtsprechung und der überwiegende Teil der Rechts­ lehre nehmen diesen Umstand in Kauf, wenngleich sie sich um eine Filterung des entscheidungsrelevanten Kerngeschehens bemühen.480 Hintergrund dieser Bemü­ hungen ist das Ziel, nachfolgende Klagen aus demselben Konfliktkreis dann nicht auszuschließen, wenn ihr entscheidungserheblicher Kern auf anderen Umständen desselben Lebenssachverhalts beruht.481 b)  Die objektiven Grenzen der autorité de la chose im französischen Verfahrensrecht Als funktionelles Pendant der deutschen materiellen Rechtskraft bezieht sich die autorité de la chose jugée gemäß Art.  1351 S.  1 CC auf das „objet“ des jugement, welches sich gemäß Art.  1351 S.  2 CC anhand der „chose demandée“ und der zu­ grunde liegenden „cause“ bestimmt.482 Entgegen der gesetzlichen Terminologie, welche den Begriff „objet“ als Oberbegriff der beiden Komponenten verwendet, 475  BGH NJW 2010, 2210 (2211); hierzu Roth ZZP 124 (2011), 3 (4). Siehe rechtsvergleichend auch Habscheid, in: Kleinere Schriften, S.  935 (948) – „Subsumtionsschluss des Gerichts“. 476  Ihre Feststellung bedarf einer Zwischenfeststellungsklage gemäß §  256 Abs.  2 ZPO; hierzu Becker-Eberhard, in: MüKo ZPO, §  256, Rn.  75 sowie Kocher, S.  331 f. 477  Hierzu BGH NJW 1992, 1172 (1173). Insofern unterscheidet sich der zweigliedrige Streitge­ genstandsbegriff vom eingliedrigen, der sich allein auf den prozessualen Anspruch bezieht und daher dem Vorwurf mangelnder Identifizierung ausgesetzt ist; ausführlich hierzu Kocher, S.  333 sowie Jauernig/Hess, §  63, Rn.  25 f. und BGH NJW 2005, 3417 (3419). 478  Dies wiederum bildet den Unterschied zum materiellen Streitgegenstandsbegriff, welcher die vom Gericht berücksichtigten Normen miteinbezieht; kritisch hierzu statt vieler Paulus, Rn.  152. 479  So bereits Beys ZZP 105 (1992), 145 (163); zustimmend Kocher, S.  332. 480  So BGH NJW 1993, 2173 (2173); anders BGH NJW 1996, 3151 (3152). 481  Ausführlich Musielak NJW 2000, 3593 (3593). 482  Als weitere Voraussetzung nennt Art.  1351 S.  2 CC die Identität der Parteien; siehe Douchy-Oudot, Rn.  600 – „triple condition“.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 149

wird das objet traditionell der chose demandée gleichgesetzt. Es entspricht insofern dem antragsmäßigen Verfahrensziel.483 Bei der cause handelt es sich um den Grund der Klage.484 Formal erfasst die autorité de la chose jugée gemäß Artt.  455, 480 Abs.  1 CPC den im dispositif enthaltenen Ausspruch über die Rechtsfolge. Die Urteilsgründe (sog. motifs) sind grundsätzlich nicht der autorité de la chose jugée fähig und dienen allein der Interpretation des dispositif.485 Im Unterschied zum Tenor gemäß §  313 Abs.  1 Nr.  4 ZPO beschränkt sich der dispositif jedoch nicht auf den Umfang seiner schriftlichen Fixierung.486 Die französische Rechtsprechung pflegt ein inhaltlich weites Verständnis des dispositif, welches sich in Teilen auch auf die motifs er­ streckt. Hiernach sind zunächst sämtliche motifs von der autorité de la chose jugée erfasst, die eine Teilfrage des Rechtsstreits abschließend regeln (sog. motifs ­décisoires),487 ferner auch diejenigen präjudiziellen Feststellungen, die der gefunde­ nen Rechtsfolge unmittelbar zugrunde liegen (sog. motifs décisifs).488 Die autorité de la chose jugée umfasst damit neben dem Ausspruch über die Rechtsfolge grund­ sätzlich alle präjudiziellen Fragen.489 Auf rechtlicher Ebene beschränkt sich die ­autorité de la chose jugée nach dem vorherrschenden wirtschaftlich-sozialen Ver­ ständnis des objet (Art.  4 CPC) zwar nicht auf die im Einzelnen geltend gemachten Rechtsgrundlagen.490 Die rechtliche Begründung grenzt den Umfang der präjudizi­ ellen Fragen jedoch zwangsläufig ein, was wiederum zu Rückschlüssen auf tatsäch­ licher Ebene führt.491 Anders als im deutschen Verfahrensrecht ist hiernach nicht der gesamte historische Lebenssachverhalt von der Rechtskraft erfasst; vielmehr bezieht sich die autorité de la chose jugée im Grundsatz nur auf die nach der Ur­ 483 

Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1095. Im Übrigen ist die Definition der cause umstritten; rechtsvergleichend Habscheid, in: Klei­ nere Schriften, S.  935 (951) sowie ferner Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  166 ff. 485  Couchez/Lagarde, Rn.  400; Kössinger, S.  97. 486  Ausdrücklich Habscheid, in: Kleinere Schriften, S.  935 (951). Zur Entscheidungswirkung des Tenors nach deutschem Recht in Abgrenzung zu den Entscheidungsgründen siehe BGH NJW 1997, 3447 (3448) und Musielak, in: Musielak ZPO, §  313, Rn.  6. 487  Siehe Cass. 2e civ., 6 février 1965, Bull. civ. II 1965, n°  109; siehe ferner Kössinger, S.  97 und Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  109. Dasselbe gilt für die sog. décisions implicites als stillschweigende Feststellungen des Gerichts; siehe Cass. 2e civ., 22 mai 1995, Bull. civ. II 1995, n°  150; hierzu Kössinger, S.  102 f. und Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  116 ff. 488  Grundlegend Cass. civ., 21 février 1900 D. 1900 (Cour de cassation), 271 (271). Siehe ferner Douchy-Oudot, Rn.  602 sowie rechtsvergleichend Spellenberg, in: FS Henckel, S.  841 (859 f.) – „Rechtsverhältnisse […], die der Richter notwendig für den Urteilsspruch bejaht haben muss“. 489  Kössinger, S.  101; Zeuner, in: FS Zweigert, S.  603 (608 f.). 490  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  470 und Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  156; kritisch Solus/Perrot III, Rn.  66 und Couchez/Lagarde, Rn.  225 f. unter Her­ vorhebung des in Art.  4 CPC verwendeten Plurals – „les prétentions“. 491  Die Rechtsprechung ist insofern durch eine umfassende Kasuistik geprägt; vgl. die Zusam­ menstellung bei Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  160 ff. 484 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

teilsbegründung tragenden Sachverhaltselemente.492 Die autorité de la chose jugée übersteigt damit den Umfang der materiellen Rechtskraft im Hinblick auf präjudi­ zielle Rechtsverhältnisse, in Bezug auf den streitgegenständlichen Lebenssachver­ halt ist sie gleichzeitig aber bedeutend enger gefasst.493 c)  Angleichung der Systeme durch die jüngere Rechtsprechung der Cour de cassation Auf dieser Grundlage sieht sich eine erneute Klage im französischen Zivilverfahren keiner exceptio rei iudicatae ausgesetzt, wenn sich der Kläger auf eine im Vorver­ fahren nicht vorgebrachte tatsächliche oder rechtliche Grundlage stützt.494 Das deutsche Verfahrensrecht lässt demgegenüber einen Austausch einzelner rechtli­ cher oder tatsächlicher Aspekte bezüglich desselben historischen Lebenssachver­ halts grundsätzlich nicht zur Erhebung einer neuerlichen Klage genügen.495 Nichts­ destoweniger wendet sich die Cour de cassation seit einiger Zeit einem formalisti­ schen Verständnis der Rechtskraft zu, ohne die beschriebenen Parameter der autorité de la chose jugée ausdrücklich zu verwerfen.496 aa) Die Césaréo-Entscheidung der Cour de cassation aus dem Jahr 2006 Den Ausgangspunkt dieser Entwicklung bildet der als Césaréo-Entscheidung be­ kannte arrêt der Cour de cassation vom 7. Juli 2006,497 in dessen Rahmen die Cour de cassation einen mittelbaren Konzentrationszwang der Parteien hinsichtlich ihres Sachvortrages statuierte.498 Unbeschadet der dargelegten objektiven Grenzen der autorité de la chose jugée sei es unstatthaft, einzelne Angriff- und Verteidigungs­ mittel (moyens) auf mehrere Verfahren desselben wirtschaftlich-sozialen Zieles zu verteilen. Folgeklagen bezüglich desselben historischen Lebenssachverhaltes seien unzulässig, wenn sie sich auf tatsächliche oder rechtliche Aspekte stützten, welche die Parteien bereits im Erstprozess hätten geltend machen können.499 Im Ergebnis 492 

Landbrecht, S.  217 ff. Zur Bedeutung des sog. non-cumul siehe Landbrecht, S.  252 ff. 494  So noch Guinchard/Ferrand/Chainais (29.  Aufl.), Rn.  637; aus rechtsvergleichender Pers­ pektive Zeuner, in: FS Zweigert, S.  603 (608 f.) und Landbrecht, S.  223 f. Zur Abgrenzung der cause von einzelnen moyens siehe Kössinger, S.  78 f. und Germelmann, S.  136 ff. 495  Siehe nur Jauernig/Hess, §  63, Rn.  28. 496  Ausführlich bereits Ghestin, in: Études Normand, S.  199 (203 ff.) und Germelmann, S.  170 f. m. w. N. Im Unterschied zum jugement définitif wird das jugement mixte hinsichtlich der Statthaf­ tigkeit des appel immédiat seit jeher in Rechtsprechung und Rechtslehre einheitlich auf Grundlage eines formalistischen Verständnisses des dispositif bestimmt. Vgl. den insoweit identischen Wort­ laut der Artt.  480 Abs.  1 und 544 Abs.  1 CPC; hierzu Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 554 (2014), Rn.  112 und Cass. 2e civ., 16 juillet 1993, Bull. civ. II 1993, n°  253. 497  Cass. ass. plén., 7 juillet 2006, Bull. ass. plén. 2006, n°  8. 498  Guinchard, in: Mélanges Wiederkehr, S.  379 (383 ff.) – „exigence de concentration des mo­ yens“ und „conception factuelle de la cause“. 499  Cass. ass. plén., 7 juillet 2006, Bull. ass. plén. 2006, n°  8; hierzu Perrot Procédures 10/2006 (Commentaires), n°  201 und Weiller D. 2006, 2135 (2137). 493 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 151

nähert die Entscheidung das Konzept der autorité de la chose jugée dem Konzept der deutschen materiellen Rechtskraft an.500 Am 13. März 2009 entschied die ­Assemblée plénière de la Cour de cassation, dass die autorité de la chose jugée nur die im förmlichen dispositif angeordneten Rechtsfolgen erfasse.501 Ein arrêt der zweiten Zivilkammer der Cour de cassation vom 20. Mai 2010 bestätigte gar eine exceptio rei iudicatae, obwohl sich aus den motifs der vorangegangenen Entschei­ dung ergab, dass die Klage lediglich als „zur Zeit unbegründet“ abgewiesen worden war.502 bb)  Berücksichtigung der Césaréo-Entscheidung im Rahmen der Reform des appel Im Rahmen des Rapport Magendie II wurde die Césaréo-Entscheidung zwar nicht zum Anlass einer Neudefinition der autorité de la chose jugée genommen, in der Sache aber der Reform des appel zugrunde gelegt.503 Die Reformkommission sah sich vor die Frage gestellt, ob der richterrechtlich entwickelte Konzentrationszwang auf das Verfahren vor der Cour d’appel insofern auszuweiten sei, dass künftig ent­ gegen Art.  563 CPC allein die eingangsgerichtlich vorgetragenen moyens im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen seien.504 Noch der vorangegangene Rapport Magendie I aus dem Jahr 2004 stand einer Beschränkung des zweitinstanzli­ chen Novenrechts durchaus aufgeschlossen gegenüber.505 Unter Berücksichtigung der deutschen Reformerfahrungen, vor allem aber mit den Zielen hinreichender Jus­ tizgewähr und ausreichenden rechtlichen Gehörs (droit au juge)506 entschied sich die Reformkommission unter Berufung auf Guinchard letztlich aber gegen eine derartige Regel.507 Die Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel im Rahmen des appel übersteigt seither die objektiven Grenzen der autorité de la ­chose jugée und der exceptio rei iudicatae mit Blick auf einen etwaigen Folgeprozess.

500 

So bereits Germelmann, S.  135 (Fn.  155). Siehe Cass. ass. plén., 13 mars 2009, D. 2009 (Actualité jurisprudentielle), 879 (879). Ge­ genstand des zitierten Falles waren Ansprüche im Zusammenhang rückständiger gewerblicher Mieten, die in einem vorangegangenen Verfahren bereits von präjudizieller Bedeutung waren. 502  Siehe Cass. 2e civ., 20 mai 2010, Bull. civ. II 2010, n°  96; kritisch hierzu Douchy-Oudot, Rn.  602 f. Zur weiteren Entwicklung im Anschluss an die Césaréo-Entscheidung siehe Landbrecht, S.  230 ff. 503  Rapport Magendie II, S.  41. 504  Rapport Magendie II, S.  42. 505  Vgl. Rapport Magendie I, S.  51 ff. 506  Das besagte Prinzip ist vom Grundsatz des gesetzlichen Richters (droit au juge naturel) zu unterscheiden, wenngleich sich unter Verwendung der deutschen Terminologie zwangsläufig Über­schneidungen ergeben; vgl. Schilling, S.  290 ff. und S.  308 f. 507  Vgl. Rapport Magendie II, S.  42 (Fn.  83); zustimmend Ferrand ZZPInt 2009, 43 (72). 501 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

c)  Vergleichende Würdigung des deutschen und des französischen Systems Die Begründung des Rapport Magendie II unter Berufung auf die Ausführungen Guinchards mag paradox erscheinen, wenn man bedenkt, dass Guinchard an ande­ rer Stelle die Césaréo-Entscheidung der Cour de cassation ausdrücklich als Stär­ kung einer loyalen Verfahrensführung (principe de loyauté) begrüßt.508 Tatsächlich deutet die Begründung auf einen ungeschriebenen Funktionswandel des französi­ schen Novenrechts. Wurde dieses vor dem Erlass der Césaréo-Entscheidung unter anderem als ein prozesswirtschaftliches Mittel zur Vermeidung von Folgeverfahren betrachtet,509 dient es nunmehr als ein Korrektiv des faktisch erweiterten Rechts­ kraftverständnisses.510 Auf deutscher Seite wurde die rechtsmittelrechtliche Zuläs­ sigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel durch das Zivilprozessreformge­ setz geradezu gegenläufig auf die Grenzen der materiellen Rechtskraft zurückge­ führt, um auf diese Weise den Eintritt derselben nicht unnötig zu verzögern.511 Vor dem Hintergrund des vormals begrenzten Verständnisses der autorité de la chose jugée kann ein rechtsmittelspezifisches „Mehr“ des französischen Novenrechts da­ her erst seit dem beschriebenen Rechtsprechungswandel der Cour de cassation fest­ gestellt werden. Zuvor war der double degré de juridiction lediglich Ausdruck des­ sen, was in einem Folgeverfahren ohnehin zulässig gewesen wäre. Die reformierte Berufung stellt demgegenüber die Einheit von materieller Rechtskraft und zulässi­ gem Tatsachenvortrag her. 3.  Umfang und Bedeutung der richterlichen Verfahrensleitung und Rechtserkenntnis Der effektive Wert des beschriebenen „Mehr“ bestimmt sich in der Rechtspraxis nicht selten danach, inwieweit das erstinstanzliche Gericht die Parteien im Interesse eines umfassenden Sachvortrages unterstützt.512 a)  Die richterliche Verfahrensleitung im deutschen und im französischen Recht Mit dem Ziel, die eingeschränkten Äußerungsmöglichkeiten der Parteien im Rah­ men der Berufung zu kompensieren und zugleich die Akzeptanz der erstinstanzli­ chen Entscheidung zu stärken, bildet die materielle Verfahrensleitung gemäß §  139 ZPO einen Schwerpunkt des deutschen Zivilprozessreformgesetzes.513 Strukturell 508 

Guinchard, in: Mélanges Wiederkehr, S.  379 (380). Zum Aspekt der Vermeidung von Folgeverfahren ausführlich unter §  10 II. 510  Weiller D. 2006, 2135 (2139). 511  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  59. 512  Zur materiellen Verfahrensleitung im deutschen Zivilverfahren siehe insbesondere §§  136, 139, 141 ff. u. 273 ff. ZPO; hierzu Kocher, S.  425. Zum französischen Recht siehe insbesondere Artt.  3 ff. u. 12 f. CPC; hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  418 ff. u. 499 ff. 513  Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformge­ setzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  61 f. 509 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 153

neu sind die Befugnisse des Gerichts, Maßnahmen der Sachaufklärung gemäß §§  142, 144 ZPO von Amts wegen zu verfügen.514 Nach dem Ziel der Reform soll das Erstgericht mit seiner Sicht „nicht unnötig hinter dem Berg halten“515 und auf diese Weise die Parteien zu einer inhaltlich erschöpfenden Verfahrensführung an­ leiten. Eine berufungsrechtliche Absicherung erfährt die materielle Verfahrenslei­ tung in Gestalt des reformierten §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO. Verstöße gegen das Gebot der materiellen Verfahrensleitung begründen hiernach einen Verfahrens­ mangel und erlauben die nachträgliche Zulassung der entsprechenden Nova.516 Das französische Verfahrensrecht war im Ursprung durch ein restriktives Ver­ ständnis der richterlichen Verfahrensleitung (office du juge) geprägt.517 Das geltende Recht gestattet dem Gericht zwar nunmehr, sämtliche mesures d’instruction auch ohne Parteiantrag anzuordnen und abzuändern, Artt.  143 ff. CPC.518 Eine dem §  139 Abs.  1 ZPO vergleichbare materielle Prozessleitungspflicht mit dem Ziel, die Partei­ en zur vollständigen Einlassung anzuleiten, sieht der Code de procédure civile den­ noch nicht vor.519 Das office du juge erschöpft sich stattdessen in formellen Aspek­ ten des äußeren Verfahrensfortgangs.520 b)  Das Prinzip iura novit curia im deutschen und im französischen Recht Die beschriebenen Unterschiede der deutschen und der französischen Verfahrens­ ordnung finden ihre Grundlage im Umfang der beiderseitigen richterlichen Rechts­ erkenntnis.521 Gestützt auf den Grundsatz iura novit curia hat das Gericht im deut­ 514  Die praktischen Auswirkungen der normativen Neuerung werden unterschiedlich beurteilt; insgesamt zurückhaltend etwa Kocher, S.  428 mit Hinweisen zur teilweise unterschiedlichen Handhabe der Vorschriften in der gerichtlichen Praxis. Im Rahmen der von Hommerich und Prütting geleiteten ZPO-Evaluation aus dem Jahr 2006 gaben 54 % der befragten Amtsrichter und ein ebenso großer Anteil der befragten Richter an Landgerichten an, dass sich die Sachaufklärung durch die genannten Anordnungsmöglichkeiten der §§  142, 144 ZPO verbessert habe; siehe Hommerich/Prütting, Evaluation ZPO-Reform, S.  114, Tabelle 36. 515  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetz, BTDrucks. 14/4722, S.  62 – wörtliches Zitat grammatikalisch angeglichen. 516  Grundlegend BGH NJW 2004, 2152 (2153) unter Bezugnahme auf die Begründung des Ge­ setzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetz, BT-Drucks. 14/4722, S.  101; ferner BGH NJW-RR 2005, 213 (213) und BGH NJW 2005, 2624 (2624). 517  Aus historisch-vergleichender Perspektive Chartier ZZP 91 (1978), 286 (295 ff.) und Habscheid, in: FS Beitzke, S.  1051 (1052 ff.) sowie Herb, S.  128 f. 518  Die zitierten Vorschriften wurden im Zuge des (Nouveau) Code de procédure civile in das Verfahrensrecht eingeführt; vgl. Synopse NCPC 1976 sowie Chartier ZZP 91 (1978), 286 (297). 519  Dies gilt ungeachtet der zurückhaltenden Beurteilung der praktischen Auswirkungen des neu gefassten §  139 ZPO etwa bei Büttner, in: FS Eichele, S.  61 (62 f.); siehe rechtsvergleichend Ferrand ZZPInt 2009, 43 (65 ff.) sowie Stürner ZZP 123 (2010), 147 (149) mit Verweis auf den Wortlaut des Art.  8 CPC. 520  Dies gilt auch für die Reform des eingangsgerichtlichen Verfahrens durch das décret n°  2010-1165 du 1er octobre 2010 (JO du 3 octobre 2010, S.  17986); hierzu Zwickel ZZPInt 2012, 43 (62) – „deutlich stärkere Rolle in der formellen Prozessleitung“ und Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  406 u. 418 ff. – „bon déroulement de l’instance“. 521  Vgl. Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  496 – „L’office du juge: Jura novit curia“.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

schen Zivilprozess den Rechtsstreit von Amts wegen unter allen rechtlichen Aspek­ ten zu prüfen.522 Die Parteien sind weder verpflichtet, dem Gericht eine rechtliche Lösung des Falles anzubieten, noch befugt, den rechtlichen Prüfungsrahmen des Gerichts zu beschränken.523 Für das französische Zivilverfahren ist der Grundsatz iura novit curia in Art.  12 Abs.  1 CPC niedergelegt.524 Nichtsdestoweniger obliegt es dem Kläger gemäß Art.  56 Abs.  1 Nr.  2 CPC, die geltend gemachten Ansprüche nicht nur in tatsächlicher, sondern auch rechtlicher Hinsicht zu begründen. Ein Ver­ stoß gegen das Gebot der rechtlichen Begründung führt zur Unwirksamkeit der Klage (nullité),525 Noch im laufenden Verfahren kann das Gericht die Parteien zur rechtlichen Erläuterung ihrer jeweiligen Position auffordern, Art.  13 CPC.526 Mit­ hilfe einer prozessualen Abrede können die Parteien ihrerseits den Prüfungsumfang des Gerichts einvernehmlich in rechtlicher Hinsicht beschränken, Art.  12 Abs.  3 CPC.527 Mit arrêt vom 21. Dezember 2007 bestätigte die Assemblée plenière de la Cour de cassation zwar die Befugnis der Instanzgerichte, die angebotenen Rechts­ lösungen der Parteien eigenständig zu erweitern, verpflichtet seien die Gerichte hierzu aber nicht.528 Der Grundsatz iura novit curia gilt seither im französischen Zivilverfahren entgegen Art.  12 Abs.  1 CPC lediglich optional.529 c)  Vergleichende Würdigung des deutschen und des französischen Systems Das großzügig anmutende französische Novenrecht übersteigt aus dem Blickwinkel der richterlichen Verfahrensleitung die Gewährleistungen der deutschen Zivilpro­ zessordnung effektiv nur in Fällen, in denen das französische Eingangsgericht die Parteien zum umfassenden Sachvortrag angeleitet (tatsächliche Ebene) und unter Berücksichtigung aller rechtlichen Aspekte entsprechend der Regel iura novit curia entschieden hat (rechtliche Ebene). Im Fall eines unvollständigen tatsächlichen oder 522 

Prütting, in: MüKo ZPO, §  293, Rn.  2; rechtsvergleichend ferner Schilling, S.  260. Siehe BGH MDR 1969, 468 (468) sowie Reichold, in: Thomas/Putzo ZPO, §  308, Rn.  4; ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  77, Rn.  9 f. sowie Geimer, in: Zöller ZPO, §  1051, Rn.  3 mit Hinweisen auf die für das Schiedsverfahrensrecht überwiegende gegenteilige Ansicht. Die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts sieht allerdings eine Beschränkung des Grundsatzes iura novit curia bezüglich der anwaltlich vertretenen Partei dahin­ gehend vor, dass das erkennende Gericht seine Prüfung unter näheren Umständen auf die vorge­ tragenen Rechtsgrundlagen beschränken darf; vgl. die Rechtsprechungsentwicklung BVerfG NJW 2002, 2937 (2938) sowie BGH NJW 2009, 987 (988) und schließlich BVerfG NJW 2009, 2945 (2946). Zum Ganzen siehe bereits Medicus AnwBl 2004, 257 (260). 524  Cadiet/Normand/Amrani-Mekki, Rn.  223; rechtsvergleichend Herb, S.  146. 525  Douchy-Oudot, Rn.  179. Auf deutscher Seite können fehlende rechtliche Begründungen un­ ter Umständen zur Haftung des Prozessbevollmächtigten führen; hierzu Zuck NJW 2010, 3350 (3351). 526  Solus/Perrot III, Rn.  98. 527  Die Regel ist dem Schiedsverfahren (arbitrage) nachempfunden; hierzu Cadiet/Normand/ Amrani-Mekki, Rn.  224. Siehe ferner Solus/Perrot III, Rn.  103 sowie Herb, S.  146 ff. und Schilling, S.  254. 528  Cass. ass. plén., 21 décembre 2007, JCP éd. G 2008 II (Jurisprudence), n°  10006, S.  25 (25). 529  So auch die Annahme des Rapport Magendie II, S.  43. 523 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 155

rechtlichen Vortrages ist den Parteien hingegen auf der Grundlage der Césaréo-Ent­ scheidung die Möglichkeit eines erneuten Verfahrens verwehrt.530 Nach dem Kon­ zept des Rapport Magendie II fungiert das französische Novenrecht in letzterem Fall als ein Korrektiv sowohl der faktisch erweiterten Rechtskraftwirkung als auch des vergleichsweise eingeschränkten office du juge.531 Unter Berücksichtigung von §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO sind das deutsche und das französische Verfahrens­ recht in diesem Punkt nicht grundsätzlich verschieden. Der Unterschied beschränkt sich auf den dogmatischen Ansatzpunkt, den das deutsche Recht mithilfe von §  139 ZPO im Rahmen der Erstinstanz platziert. Zwar birgt das System der §§  139, 531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO im Unterschied zum uneingeschränkten Novenrecht des Art.  563 CPC strukturell kein eigenständi­ ges Verzögerungspotenzial. Problematisch ist aber, dass die Anwendung des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Kausalitätsprüfung dahingehend verlangt, ob das Eingangsgericht den im konkre­ ten Fall unzureichenden Sachvortrag der Parteien mitzuverantworten hat.532 Die Voraussetzungen des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO seien hiernach nicht erfüllt, wenn die Parteien erst aus der Urteilsbegründung erführen, dass das Eingangs­ gericht einen nach ihrer Auffassung relevanten, streitigen Aspekt für unerheblich gehalten habe.533 Denn die Auffassung des Eingangsgerichts sei in diesem Fall nicht mitursächlich für den verkürzten Parteivortrag geworden: „Sinn im Gesamtzusammenhang des neuen Berufungsrechts erhält die gesetzliche Regelung deshalb erst unter der zusätzlichen Voraussetzung, dass die (objektiv fehlerhafte) Rechtsan­ sicht des Gerichts den erstinstanzlichen Sachvortrag der Partei auch beeinflusst hat und da­ her, ohne dass deswegen ein Verfahrensfehler gegeben wäre, (mit-)ursächlich dafür gewor­ den ist, dass sich Parteivorbringen in das Berufungsverfahren verlagert. Das kommt vor al­ lem dann in Betracht, wenn das Gericht des ersten Rechtszugs bei richtiger Rechtsauffassung zu einem Hinweis nach §  139 II ZPO verpflichtet gewesen wäre, den jetzt – falls noch erfor­ derlich – das Berufungsgericht nachzuholen hat […].“534

Die Vorschrift des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO wird auf diese Weise durch eine weitere Voraussetzung beschwert. Dies verwundert vor dem Hintergrund, dass die Befürworter eines liberalen Novenrechts im Rahmen des dogmatisch vorangeschal­ teten §  513 ZPO das Erfordernis einer kausalen Rechtsverletzung verneinen.535 Hin­ zukommt, dass das Merkmal der Kausalität im Einzelfall nicht hinreichend geklärt ist und jede neue Definition weitere Abgrenzungsschwierigkeiten birgt.536 Auch an 530  Kritisch insbesondere Ferrand, in: Mélanges Guinchard, S.  249 (266), die vor dem Hinter­ grund des beschränkten office du juge vor Einschränkungen der Justizgewähr warnt. 531  Rapport Magendie II, S.  43. 532  Siehe oben §  10 I 3 c bb. 533  BGH NJW-RR 2004, 927 (928); kritisch auch Wächter ZZP 119 (2006), 393 (411 f.). 534  BGH NJW-RR 2004, 927 (928) – bei der Hervorhebung handelt es sich um eine Anm. d. Verf. 535  So etwa Hirtz, in: FS Eichele, S.  212 (214). 536  Siehe den Leitsatz bei BGH NJW-RR 2012, 341 (342 f.), der möglicherweise auf eine Locke­

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

dieser Stelle zeigt sich somit, dass die Praxis des deutschen Systems einer Fehler­ korrekturinstanz im Unterschied zum double degré de juridiction in Teilen zu Fol­ gefragen führt, die letztlich zulasten sowohl des prozessualen Ertrages als auch des prozessualen Aufwandes der Berufung gehen. III.  Durchbrechungen der Devolution im deutschen und im französischen Rechtsmittelrecht Weder der appel noch die Berufung erschöpfen sich zwingend in einer reformatori­ schen oder kassatorischen Entscheidung über den devolvierten Streitgegenstand. Ergänzungen und Durchbrechungen der Devolution ergeben sich unter den nachfol­ gend zu betrachtenden Voraussetzungen hinsichtlich der Zulassung neuer Ansprü­ che sowie der nachträglichen Einbeziehung erstinstanzlicher „Verfahrensreste“ in das Rechtsmittelverfahren. Zu berücksichtigen sind schließlich diejenigen Fälle, in denen der Rechtsmittelführer das erstinstanzliche Verfahren unter Berücksichti­ gung der prozessualen Grundrechte als grob verfahrensfehlerhaft rügt.537 1.  Die Zulässigkeit neuer Ansprüche: Der appel als voie d’achèvement – und die Berufung? Die Einführung neuer Ansprüche in das Rechtsmittelverfahren ist im Rahmen von appel und Berufung an zusätzliche Anforderungen geknüpft. Unter den Voraus­ setzungen des §  533 ZPO gestattet das Berufungsverfahren eine Klageänderung einschließlich ihrer verwandten Institute, eine Prozessaufrechnung und eine Wider­ klage. Im Rahmen des appel unterliegt die Erhebung neuer Ansprüche den differen­ zierten Voraussetzungen der Artt.  564 ff. CPC. Der Eintritt Dritter in das Rechts­ mittelverfahren richtet sich nach Artt.  554 f. CPC. a)  Die Konzeption der voie d’achèvement: Voraussetzungen und Zweck Unter dem Begriff der voie d’achèvement fasst der appel diejenigen Gewährleistun­ gen zusammen, die eine bloße annulation oder réformation der eingangsgerichtli­ chen Entscheidung übersteigen.538 Die voie d’achèvement betrifft die Zulassung neuer Ansprüche sowie den Eintritt Dritter in das Rechtsmittelverfahren. Das funk­ rung des Kausalitätserfordernisses seitens der Rechtsprechung hindeutet: „Die für die Anwendung des §  531 II 1 Nr.  1 ZPO erforderliche Voraussetzung, dass die Rechtsansicht des Gerichts des ersten Rechtszugs den Sachvortag der Partei mit beeinflusst hat, ist (schon) dann erfüllt, wenn dieses die Partei durch seine Prozessleitung oder seine erkennbare rechtliche Beurteilung des Streitverhältnisses davon abgehalten hat, zu bestimmten Gesichtspunkten (weiter) vorzutragen […]. Hierfür genügt es, dass das erstinstanzliche Gericht durch das Unterlassen von Hinweisen den Eindruck erweckt, weiterer Vortrag sei aus seiner Sicht nicht erforderlich […].“ 537  Vgl. zum Ganzen die Systematisierung der Berufungsgegenstände bei Rosenberg/Schwab/ Gottwald, §  138, Rn.  15 ff. und bei Eichele, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, E, Rn.  29 ff.; zum franzö­ sischen Recht vgl. den Rapport Magendie II, S.  40. 538  Siehe die Definition bei Ferrand ZZPInt 2009, 43 (48, Fn.  18).

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 157

tionelle Bindeglied zwischen der voie de réformation und der voie d’achèvement ist die unbegrenzte Zulässigkeit neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel (moyens) ge­ mäß Art.  563 CPC.539 Die zusätzlichen Voraussetzungen der zitierten Artt.  554 ff. und 564 ff. CPC betonen den Vorrang der reformatorischen Funktion des appel vor dessen Eigenschaft als voie d’achèvement.540 aa)  Übergeordnete Voraussetzungen der voie d’achèvement Systematisch sind die Artt.  554 ff. CPC über den Eintritt Dritter in das Rechtsmit­ telverfahren und die Artt.  564 ff. CPC über die Zulassung neuer Ansprüche als Aus­ nahmen vom grundsätzlichen Verbot einer Erweiterung des Streitgegenstandes im Rechtsmittelverfahren konzipiert (sog. principe de l’immutabilité du litige).541 Die Ziele der voie d’achèvement sind die umfassende Beendigung des zugrunde liegen­ den Rechtsstreits (achèvement définitif ) und die Vermeidung andernfalls drohender Folgeverfahren.542 Ihre übergeordneten Voraussetzungen sind eine tatsächliche Weiterentwicklung des streitgegenständlichen Sachverhaltes seit dem Erlass oder gerade aufgrund der angefochtenen Entscheidung (sog. évolution du litige)543 oder eine hinreichend enge Verbindung des neuen Anspruchs mit dem erstinstanzlichen Streit- und Urteilsgegenstand (sog. lien suffisant)544. Eine évolution du litige erfor­ dert gemäß dem arrêt der Assemblée plenière de la Cour de cassation vom 11. März 2005 die Enthüllung eines tatsächlichen oder rechtlichen Umstandes aufgrund der angefochtenen Entscheidung oder im Anschluss daran.545 Das Vorliegen eines lien suffisant bestimmt sich nach dem freien Ermessen der Cour d’appel aufgrund einer Zusammenschau von Klageantrag und Klagegrund.546 bb)  Definition und Voraussetzungen neuer Ansprüche im Rahmen des appel In der Rechtspraxis bereitet die Abgrenzung der uneingeschränkt zulässigen ­moyens nouveaux (Art.  563 CPC) und der differenziert geregelten demandes nou539 

S.  21.

Grundlegend Vincent D. 1973 (Chronique), 179 (183 f.); ebenso der Rapport Magendie II,

540  Fischer D. 2005, 2368 (2371 f.); Croze Procédures 4/2007 (Commentaires), n°  89; Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  963. 541  Hierzu Schilling, S.  69 ff. u. 119 ff. Zum Grundsatz der Unzulässigkeit neuer Ansprüche im Rechtsmittelverfahren siehe außerdem Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1248 und Couchez/La­ garde, Rn.  426. 542  Statt vieler Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (40). Darüber hinaus betrachten Héron/Le Bars, Rn.  758 die voie d’achèvement als Einrichtung zugunsten des erstinstanzlichen Beklagten, wel­ cher den Zeitpunkt des Verfahrens nicht habe wählen können. 543  Cass. 3e civ., 10 janvier 2001, D. 2001, 2541 (2541). 544  Cass. 3e civ., 30 juin 1999, D. 2000, 559 (559). 545  Cass. ass. plén., 11 mars 2005, Bull. ass. plén. 2005, n°  4; hierzu Douchy-Oudot, Rn.  663 und Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1239. 546  Ausführliche Nachweise bei Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  104.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

velles (Artt.  564 ff. CPC) nicht selten Schwierigkeiten.547 Grundsätzlich gilt ein An­ spruch als neu, wenn er sich aufgrund seines Antragsgegenstandes (objet) oder auf­ grund seines Antragsgrundes (cause) von den im ersten Rechtszug geltend ge­ machten Ansprüchen unterscheidet.548 Zwar bestimmt Art.  565 CPC, dass allein die Auswechselung der vorgetragenen Rechtsgrundlage seitens der Parteien noch kei­ nen neuen Anspruch im prozessualen Sinn begründet.549 Die Vorschrift hilft jedoch nicht bei der weiterhin notwendigen Abgrenzung von moyen, cause und objet.550 In der Praxis vollzieht sich diese Abgrenzung anhand einer umfangreichen Kasuis­ tik.551 Ein hiernach als prétention nouvelle zu qualifizierendes Vorbringen ist unter den Voraussetzungen des Art.  564 CPC zulässig, wenn es zum Zweck der Prozess­ aufrechnung (pour opposer compensation),552 als Gegenklage (pour faire écarter les prétentions adverses),553 infolge des Eintritts Dritter in das Rechtsmittelverfah­ ren (pour faire juger les questions nées de l’intervention d’un tiers)554 oder als Folge tatsächlich veränderter Umstände (pour faire juger les questions nées de la survenance ou de la révélation d’un fait)555 geltend gemacht wird. Unter den Voraus­ setzungen des Art.  566 CPC sind weiterhin Klageänderungen und Klageerweiterun­ gen zulässig (demandes virtuellement comprises und demandes qui en sont l’acces547 

Gallet, Rn.  216; Héron/Le Bars, Rn.  758. Giverdon Gaz. Pal. 1974 (Doctrine), 28 (30). 549  Die Vorschrift spiegelt das wirtschaftlich-soziale Streitgegenstandsverständnis des Code de procédure civile wider (Art.  4 CPC); siehe Vincent D. 1973 (Chronique), 179 (182). 550  Vgl. hierzu Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  30 sowie Germelmann, S.  136 ff. unter Bezugnahme auf die zitierte Césaréo-Entschei­ dung. Zu den Begriffen cause und objet im Rahmen der französischen Streitgegenstandslehre siehe oben §  10 II 2. 551  Siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Gallet, Rn.  216 ff. und Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  55 ff. 552  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  967; Bunge, S.  93 553  Der Begriff der Gegenklage ist an dieser Stelle nicht als Widerklage (demande reconventionnelle) im Sinne der Artt.  64, 767 CPC zu verstehen. Der Begriff bezieht sich auf (Gestaltungs-) Klagen – insbesondere Nichtigkeitsklagen (actions en nullité) – zur Beseitigung der rechtlichen Grundlagen des von der Gegenseite geltend gemachten Anspruches; siehe Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  83 ff. u. 92 sowie Cass. 3e civ., 3 avril 1997, JCP éd. G 1991 IV (Tableaux de jurisprudence), n°  1117, S.  175 (175). Nicht um einen (neuen) Anspruch sondern um ein Verteidigungsmittel (moyen) handelt es sich hingegen bei der Geltendmachung der nullité im Wege einer Einwendung. Die Unterscheidung wurzelt im materiel­ len Recht und hängt u. a. davon ab, ob der Kläger eine vertragliche Primär- oder Sekundärpflicht einfordert; siehe Cass. 2e civ., 11 mars 1998, Bull. civ. II 1998, n°  77 – „moyen nouveau“ und Cass. 1re civ., 14 novembre 1995, Gaz. Pal. 1996 (Panorama de la Cour de cassation), 50 (50) – „préten­ tion nouvelle“. 554  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  967. 555  Der Tatbestand erfasst sowohl tatsächliche Änderungen des streitgegenständlichen Lebens­ sachverhaltes („survenance“) als auch Enthüllungen neuer bzw. bislang unbekannter Umstände („révélation“); ausführlich hierzu Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  95 ff. Problematisch kann die Abgrenzung zur bloßen Neubewertung bekannter Tatsachen durch die Parteien sein; siehe beispielsweise Cass. 3e civ., 17 octobre 2012, Procédures 12/2012 (Commentaires), n°  343. 548 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 159

soire, la conséquence ou le complément), ebenso eine Widerklage (demande reconventionnelle) unter den Voraussetzungen des Art.  567 CPC.556 cc)  Der Eintritt Dritter in das Verfahren des appel Das Hinzutreten Dritter in das Verfahren des appel kann sowohl auf Betreiben des Dritten (intervention volontaire, Art.  554 CPC) als auch auf Betreiben einer Partei (intervention forcée, Art.  555 CPC) erfolgen.557 Mithilfe der intervention volontaire kann der Dritte entweder als Streithelfer einem Verfahrensbeteiligten beitreten ­(intervention accessoire, Artt.  554, 330 CPC) oder einen eigenen Anspruch gegen einen Verfahrensbeteiligten geltend machen (intervention principale, Artt.  554, 329 CPC).558 Die intervention forcée kann sowohl zum Zweck der Rechtskrafterstre­ ckung auf den Dritten (mise en cause commun de jugement, Artt.  555, 331 Abs.  2 CPC) als auch mit dem Ziel erfolgen, gegen den Dritten einen neuen Anspruch geltend zu machen (mise en cause aux fins de condamnation, Artt.  555, 331 Abs.  1 CPC).559 Während die intervention volontaire im Rahmen des appel ein nach rich­ terlichem Ermessen zu bestimmendes intérêt des Dritten verlangt (Art.  554 CPC),560 setzt die intervention forcée eine évolution du litige voraus (Art.  555 CPC). Das Vorliegen dieser Voraussetzung wird von der Cour de cassation streng beachtet.561 b)  Die Zulassung neuer Ansprüche im Berufungsprozess vor der ZPO-Reform 2002 Der deutsche historische Gesetzgeber der Civilprozeßordnung verstand die Beru­ fung als eine „Erneuerung und Wiederholung des Rechtsstreits vor einem anderen Richter“ auf der Grundlage des eingangsgerichtlichen Streitgegenstandes.562 Auf­ grund dieser teleologisch motivierten Begrenzung der Berufung waren neue An­ sprüche unter anderem in Anlehnung an das französische Verfahrensrecht grund­ sätzlich nicht im Rahmen der Berufung zulässig, §  491 Abs.  2 CPO (1877).563 Eine Klageänderung war auch mit Einwilligung des Gegners ausgeschlossen, §  489 CPO (1877).564 Zwar waren tatsächliche und rechtliche Ergänzungen sowie quantitative Änderungen der Anträge zulässig, §§  491 Abs.  2, 240 Nr.  1 u. 2 CPO (1877).565 Neue Ansprüche konnten im Rahmen der Berufung jedoch allein im Wege der Prozess­ 556 

Gallet, Rn.  225 ff.; ferner Bunge, S.  62. Übersicht bei Bunge, S.  43 f. 558  Köckert, S.  31 ff.; Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1237 u. 309 ff. 559  Köckert, S.  29 f.; Couchez/Lagarde, Rn.  379. 560  Zu berücksichtigen ist allerdings die notwendige sachliche Nähe der intervention zum Streitgegenstand; siehe Cass. ch. mixte, 9 novembre 2007, Bull. ch. mixte 2007, n°  10. 561  Vgl. Cass. 2e civ., 23 novembre 2006, Procédures 4/2007 (Commentaires), n°  89. 562  Hahn/Stegemann ZPO, S.  139. 563  Hahn/Stegemann ZPO, S.  356; RGZ 47, 390 (392); zitierte Norm nach von Kräwel CPO. 564  Hierzu Wach, S.  262 f. und Fitting, S.  205; zitierte Norm nach von Kräwel CPO. 565  Hierzu Fitting, S.  205; zitierte Norm nach von Kräwel CPO. 557 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

aufrechnung unter den Voraussetzungen des §  491 Abs.  2 CPO (1877) geltend ge­ macht werden. Mit Verweis auf die Schutzwürdigkeit des übereinstimmenden Parteiwillens ge­ genüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung von Devolution und Instan­ zenzug ließ die Gesetzesnovelle von 1898566 erstmals die berufungsrechtliche Kla­ geänderung im Fall der Einwilligung des Verfahrensgegners zu, §  527 CPO (1898).567 Eine prozessökonomisch motivierte Erweiterung erfuhr die berufungs­ rechtliche Klageänderung im Jahr 1933568 durch der Einführung der bis zur ZPO-Reform 2001/2002 geltenden Verweisungsregel des §  523 ZPO a. F.,569 welche den Tatbestand der Sachdienlichkeit als Alternative zur Einwilligung des Verfah­ rensgegners uneingeschränkt von der ersten Instanz auf das Berufungsverfahren übertrug.570 Die Reform des Jahres 1933 diente ausdrücklich dem Zweck, etwaige Folgeverfahren zu vermeiden.571 Das ursprüngliche Verbot der berufungsrechtli­ chen Klageänderung unter Geltung von §  489 CPO wurde somit getragen von As­ pekten der Parteiautonomie und der Prozessökonomie sukzessive durch eine weit­ reichende Zulassung ersetzt. c)  Strukturelle Unterschiede der reformierten Berufung des deutschen Zivilverfahrens Im Rahmen des geltenden Berufungsverfahrens können neue Ansprüche unter den Voraussetzungen des §  533 ZPO im Wege der Klageänderung,572 mithilfe der Auf­ rechnung573 oder mittels Widerklage geltend gemacht werden. Der Parteiwechsel 566  Gesetz betreffend Änderungen der Civilprozeßordnung vom 17. Mai 1898, RGBl. 1898, S.  256 ff., in Kraft getreten am 1. Januar 1900. 567  Siehe die Materialien zu den Reichs-Justizgesetznovellen, S.  167; hierzu Gaupp CPO (4.  Aufl.), §  527, Nr. I mit Hinweisen auf die Liberalisierung der Zulässigkeit der Klageänderung im eingangsgerichtlichen Verfahren. Anders noch die Vorauflage; siehe Gaupp CPO (3.  Aufl.), §  489, Nr.  1. 568  Gesetz zur Änderung des Verfahrens in bürgerlichen Rechtsstreitigkeiten vom 27. Oktober 1933, RGBl. 1933 I, S.  780 ff. Siehe außerdem die Zivilprozeßordnung in der Fassung der Bekannt­ machung vom 8. November 1933, RGBl. 1933 I, S.  821 ff. 569  Vgl. Reuschle ZPO 2002. 570  Rosenberg ZZP 58 (1934), 283 (337); aus historischer Perspektive Conze, S.  22. 571  Siehe Volkmar JW 1933, 2427 (2431) sowie Rosenberg ZZP 58 (1934), 283 (337) mit erläu­ ternden Beispielen. 572  Zu nennen sind insbesondere die nachträgliche objektive und die nachträgliche subjektive Klagehäufung. Die Anwendung der Vorschriften über die Klageänderung ist in den genannten Fällen mitunter streitig (siehe Roth, in: Stein/Jonas ZPO, §  263, Rn.  11 f.), jedoch Bestandteil einer gefestigten Rechtsprechung: Zur nachträglichen objektiven Klagehäufung siehe BGH NJW 1951, 311 (312) und BGH NJW 2004, 2152 (2154); zur nachträglichen subjektiven Klagehäufung siehe BGH NJW 1998, 1496 (1497) und OLG Rostock MDR 2005, 1011 (1011), Volltext der Entscheidung veröffentlicht in BeckRS 2010, Nr.  27116. 573  Mit dem Begriff der Aufrechnungserklärung meint das Gesetz an dieser Stelle sowohl die innerprozessuale Aufrechnung als auch die Geltendmachung einer außerprozessual erfolgten Auf­ rechnung; siehe Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  533, Rn.  26 m. w. N.

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und die Parteierweiterung orientieren sich an den Regeln der Klageänderung,574 während die Nebenintervention auch in der Berufung den allgemeinen Vorausset­ zungen der §§  66 ff. ZPO unterliegt.575 aa)  Die voie d’achèvement zwischen droit romain und „conception germanique“576 Auf französischer Seite konnten die Parteien bereits unter Geltung des Ancien Code de procédure civile in begrenztem Umfang neue Ansprüche in das Rechtsmittelver­ fahren einführen, Artt.  464 f. anc. CPC.577 Der Eintritt Dritter in das Rechtsmittel­ verfahren war in Art.  466 anc. CPC geregelt.578 Die genannten Vorschriften sind aufgrund ihres begrenzten Anwendungsbereiches und ihrer erhöhten Anforderun­ gen jedoch nicht mit der gegenwärtigen voie d’achèvement vergleichbar.579 Die Zu­ lässigkeit neuer Ansprüche war gemäß Art.  464 Abs.  1 anc. CPC ausdrücklich auf den Zweck der Verteidigung beschränkt.580 Im Übrigen musste der Anspruchs­ grund nach dem Erlass der eingangsgerichtlichen Entscheidung entstanden sein, Art.  464 Abs.  2 anc. CPC.581 Der nachträgliche Eintritt in das Rechtsmittelverfah­ ren war anfänglich denjenigen Dritten vorbehalten, denen alternativ die tierce ­opposition offenstand, Art.  466 anc. CPC.582 In der gerichtlichen Praxis war der Ausnahmecharakter neuer Ansprüche im Rechtsmittelverfahren vor dem Hintergrund der uneingeschränkten Zulassung neu­ er Tatsachen jedoch nur schwierig zu wahren.583 Zeitweilige Bestrebungen, sowohl das umfassende Novenrecht als auch die Zulässigkeit neuer Ansprüche aus Grün­ den der Rechtsklarheit generell abzuschaffen, konnten sich dennoch nicht durchset­ zen.584 Stattdessen wandte sich die Rechtsprechung zunehmend einer extensiven Auslegung der Tatbestände des Art.  464 anc. CPC zu.585 Der überwiegende Teil der 574  Die Anforderungen sind im Einzelnen streitig; siehe hierzu die nachfolgenden Ausführun­ gen sowie Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, K, Rn.  16 ff. m. w. N. und Doukoff, Rn.  176. 575  Vgl. §  70 Abs.  1 S.  1 ZPO. 576  Lefort Théorie, Rn.  877. 577  Ausführlich Glasson/Tissier/Morel, Rn.  903; ferner Salhi, Rn.  335; zitierte Normen nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 578  Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806. 579  Zusammenfassend Lefort Théorie, Rn.  864 ff. 580  Hierzu Lepage, S.  341 unter besonderer Berücksichtigung der Aufrechnung. 581  Bigot-Préameneu, in: Motifs et rapports anc. CPC 1806, S.  131. 582  Hierzu Bigot-Préameneu, in: Motifs et rapports anc. CPC 1806, S.  134 f. Zur tierce oppo­ sition siehe oben §  2 I. 583  Vgl. die Ausführungen zu den praktischen Abgrenzungsproblemen bei Glasson/Tissier/ Morel, Rn.  902. 584  Azard, S.  145 ff.; kritisch Boyreau, S.  113 ff. 585  Beispielhaft ist die Entscheidung Cass. civ. 24 mars 1925, D. 1925 (Recueil Hebdomadaire), 289 (289), in deren Rahmen die Cour de cassation sowohl die Forderung eines Prozesskostenvor­ schusses (provision ad litem) als auch einen Unterhaltsanspruch (pension alimentaire) als demande accessoire für zulässig befand; siehe hierzu Lefort Théorie, Rn.  867. Für ein Beispiel unmittel­

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Rechtslehre verstand das großzügige Novenrecht und die Zulässigkeit einzelner neuer Ansprüche als natürliche Konsequenz des reformatorischen Verfahrens­ zwecks des appel.586 Die einzelnen Fallgruppen der auf richterrechtlicher und wis­ senschaftlicher Grundlage fortentwickelten Artt.  464 ff. anc. CPC wurden 1963 im Rahmen des wegweisenden Colloque National de Droit Judiciaire des Institut d’Études Judiciaires de la Faculté de Droit et des Sciences Économiques d’Aix-enPro­vence zusammengeführt.587 Den einzelnen Referaten lag die gemeinsame Auf­ fassung zugrunde, dass sich zwischen der ersten und der zweiten Instanz sowohl der streitgegenständliche Lebenssachverhalt als auch das Interesse der Parteien und etwaiger Dritter ändern könnten.588 Auf dieser Grundlage sprachen sich Courteaud und Magnan als Vertreter der Rechtspraxis für ein zweistufiges Konzept des Zivil­ verfahrens aus: Das eingangsgerichtliche Verfahren solle sich in der tatsächlichen und rechtlichen Aufarbeitung des relevanten Prozessstoffs sowie in einer ersten Entscheidung des Verfahrens als Grundlage des appel erschöpfen; das anschließen­ de Rechtsmittelverfahren solle die Entscheidung nicht nur inhaltlich prüfen, ­sondern auch gegenständlich komplettieren.589 Die im Anschluss an das Colloque natio­nal de droit judiciaire einsetzende Arbeit an der Neufassung des appel anlässlich der Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile wird rückblickend von der französischen Rechtslehre als eine Abwägung zwischen dem römisch-rechtlichen Leitbild der reformatio und der damals noch geltenden zweiten Tatsacheninstanz des deutschen Rechts (deuxième première instance) interpretiert:590 Während die römisch-rechtliche appellatio zwar durch ein umfassendes Novenrecht gekenn­ zeichnet war, sich aber als novum iudicium auf den devolvierten Streitgegenstand konzentrierte, erlaubte die deutsche Berufung zuletzt auf der Grundlage von §§  523, 263 ZPO a. F.591 eine an den Begriffen der Einwilligung und der Sachdienlichkeit orientierte, weitreichende zweitinstanzliche Klageänderung.592 Der Gesetzgeber des (Nouveau) Code de procédure civile beschritt einen Mittelweg auf der Grund­ lage damaligen Richterrechts.593 Die Zulassung neuer Ansprüche im Rahmen des bar vor der Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile siehe Cass. 2e civ., 15 avril 1970 (zitiert nach Hébraud/Raynaud RTD civ. 1971, 407 (429 f.) – Abschnitt Raynaud). 586  Ausführlich Boyreau, S.  117 ff.; ferner Lefort Théorie, Rn.  866. 587  Ausdrücklich Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (40, Fn.  59). 588  Zu letzterem Aspekt insbesondere Bertrand, in: Colloque 1963, S.  132 (132 ff.). 589  Courteaud, in: Colloque 1963, S.  33 (34 f.); Magnan, in: Colloque 1963, S.  50 (52). 590  Ausdrücklich noch Giverdon, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 711 (1999), Rn.  6 f.; ferner Lefort Théorie, Rn.  877 – „conception romaine“ und „conception germanique“. 591  Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 592  Siehe oben §  10 III 1 b. Zur appellatio des römischen Rechts siehe Kaser/Hackl, S.  501 ff. zur klassischen Zeit und S.  617 ff. zur nachklassischen Zeit sowie historisch-rechtsvergleichend Hahn, S.  7 f. u. 58. Siehe ferner die ausführlichen Nachweise bei Wetzell, S.  754 (insb. Fn.  73) mit vergleichenden Hinweisen auch zum kanonischen Recht. 593  In der französischen Rechtslehre wird der appel gleichwohl historisch in einer Linie mit der römisch-rechtlichen appellatio gesehen; siehe etwa Solus/Perrot I, Rn.  526 sowie die histo­ risch-rechtsvergleichende Analyse bei Fournier, S.  93 ff. Zur Bedeutung des Richterrechts siehe Giverdon Gaz. Pal. 1974 (Doctrine), 28 (30) und Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  963.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 163

appel beruht seither auf der historisch gewachsenen Annahme, dass es sich bei ei­ nem Prozess nicht um eine statische Materie, sondern um ein dynamisches Gesche­ hen handele, das entsprechende Anpassungen des Streitgegenstandes erfordern kann.594 Als ergänzende Komponente besteht ein weiteres Ziel des appel darin, durch die Einbeziehung sachverwandter Ansprüche einen andernfalls drohenden Folgeprozess zu vermeiden.595 Vor diesem historisch-teleologischen Hintergrund erklärt sich die Diversität der einzelnen Zulassungstatbestände der Artt.  554 ff. und 564 ff. CPC, die zugleich den systematischen Vorrang des reformatorischen Zwecks des appel vor dessen Funktion einer voie d’achèvement betont.596 bb)  Rechtsvergleichende Analyse der Berufung seit der ZPO-Reform 2002 Das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 hat das Erfordernis der Einwilli­ gung oder Sachdienlichkeit für die zweitinstanzliche Klageänderung beibehalten und mithilfe von §  533 Nr.  1 ZPO auf die Aufrechnung und die Widerklage ausge­ weitet.597 Bereits vor dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes galt eine Klageänderung sowohl im eingangsgerichtlichen Verfahren als auch im Berufungs­ prozess als sachdienlich, wenn sie zur umfassenden Erledigung des Rechtsstreits führte und zur Vermeidung weiterer Rechtsstreite zwischen den Parteien beitrug.598 Die Sachdienlichkeit wird seither unterstellt, wenn die Ergebnisse der bisherigen Prozessführung auch in Bezug auf die geänderte Klage verwertbar bleiben.599 Um­ gekehrt verneint die Rechtsprechung regelmäßig das Vorliegen der Sachdienlich­ keit, wenn sich der nachträgliche Antrag auf einen völlig neuen Verfahrensstoff bezieht.600 Die Definition der Sachdienlichkeit hat sich somit aufgrund der Reform der Zivilprozessordnung nicht geändert.601 Gemäß §  533 Nr.  2 ZPO sind die zweitinstanzliche Klageänderung, Widerklage und Prozessaufrechnung aber seit dem Inkrafttreten der Reform dem eingeschränk­ ten Novenrecht der §§  529, 531 ZPO unterstellt.602 Die Parteien können die Klage­ änderung, die Prozessaufrechnung und die Widerklage hiernach nur noch auf Tat­ 594 

Salhi, Rn.  334 – „matière vivante“. Lefort Théorie, Rn.  876. 596  Instruktiv Vincent D. 1973 (Chronique) 179, (184) und Gallet, S. VIII (Vorwort Cadiet). Siehe außerdem Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  52 f. 597  Zum vormaligen Recht siehe §§  530 Abs.  1 ZPO a. F. sowie §§  523, 263 ZPO a. F. (zitiert nach Reuschle ZPO 2002). 598  RG JW 1935, 2635 (2635), hieran anknüpfend BGHZ 1, 65 (71) sowie ferner BGH MDR 1977, 310 (310) unter ausdrücklicher Erwähnung des Aspekts der Prozesswirtschaftlichkeit. Siehe außerdem Oberheim, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, P, Rn.  95 m. w. N. 599  Jauernig/Hess, §  42, Rn.  15; Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  99, Rn.  20. 600  Hierzu BGH NJW 1985, 1841 (1842) und BGH NJW 2000, 800 (803). Dies ist auch dann der Fall, wenn infolge der Klageänderung eine Zurückverweisung gemäß §  538 ZPO erforderlich wäre; siehe BGH NJW 1984, 1552 (1555). 601  Vgl. die Nachweise bei Ball, in: Musielak ZPO, §  533, Rn.  5. 602  Die bereits vor dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes bestehenden Einschrän­ 595 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

sachen stützen, „die das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung über die Berufung ohnehin nach §  529 zugrunde zu legen hat“ (§  533 Nr.  2 ZPO). Das Ziel des §  533 Nr.  2 ZPO besteht nach den Ausführungen des zugrunde liegen­ den Gesetzentwurfs der Bundesregierung einerseits darin, eine „Flucht in die Kla­ geänderung/Widerklage/Prozessaufrechnung“ zur Umgehung des reformierten No­ venrechts zu verhindern;603 andererseits soll die Vorschrift die Parteien vor einer Ab- bzw. Zurückweisung der geänderten Klage, Widerklage oder Aufrechnung als unbegründet schützen.604 (1)  Das Verständnis der reformierten Berufung in Abgrenzung zum appel Der rechtstheoretische Hintergrund der im Regierungsentwurf des Zivilprozessre­ formgesetzes allein pragmatisch begründeten Strukturentscheidung des §  533 Nr.  2 ZPO wird mit Blick auf das nachfolgende Gesetz zur Reform des Verfahrens in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG-Reformgesetz – FGG-RG) deutlich. In der Begründung des Regierungsent­ wurfs heißt es: „Die zivilprozessuale Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bindung des Gerichts an erstinstanzliche Feststellungen (§  529 Abs.  1 ZPO), der Pflicht des Gerichts zur Zurückwei­ sung verspäteten Vorbringens (§  531 Abs.  2 ZPO), der Einschränkung der Anschlussberu­ fung (§  524 Abs.  2 ZPO) und wegen des weitgehenden Ausschlusses von Klageänderung, Prozessaufrechnung und Widerklage (§  533 ZPO) den Bedürfnissen des familiengerichtli­ chen Verfahrens, die Tatsachenfeststellung an das häufig im Fluss befindliche Geschehen anzupassen, nicht immer gerecht. Diese Vorschriften, denen die Vorstellung zugrunde liegt, dass im Zivilprozess über einen abgeschlossenen Lebenssachverhalt gestritten wird, sind mit der Dynamik eines Trennungsgeschehens häufig nur schwer vereinbar und lassen, etwa in Unterhaltssachen, die Berücksichtigung veränderter Einkommens- und Vermögensverhält­ nisse nur in eingeschränktem Maße zu. Solche Änderungen sind sinnvollerweise bereits im Rechtsmittelverfahren und nicht erst in einem neuen Verfahren zu berücksichtigen. Bereits aus diesen Erwägungen ergibt sich, dass die Rechtsmittelinstanz in Familienstreitsachen als volle zweite Tatsacheninstanz ausgestaltet werden sollte.“605

kungen des zweitinstanzlichen Tatsachenvortrages traten demgegenüber noch hinter den Regeln der berufungsrechtlichen Klageänderung zurück, grundlegend RGZ 47, 390 (393). 603  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  102. 604  Siehe hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozess­ reformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  102; hierzu Oberheim, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  533, Rn.  14. Nach Wöstmann, in Saenger ZPO, §  533, Rn.  12 und Heßler, in: Zöller ZPO, §  533, Rn.  34 solle aber in Anlehnung an OLG Naumburg, Urteil vom 25. September 2003, 1 U 29/03 ( juris) eine Klageänderung auch aufgrund des erstinstanzlich vorgetragenen aber in der Sache unberücksich­ tigt gebliebenen Sachvortrages zulässig sein, wenn ein Anspruchsgrund eindeutig nicht besteht und die Klage daher abzuweisen ist; anderer Ansicht Ball, in: Musielak ZPO, §  533, Rn.  21. 605  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zum FGG-RG, BT-Drucks. 16/6308, S.  224 f. – bei der Hervorhebung handelt es sich um eine Anm. d. Verf.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 165

Für das allgemeine Zivilverfahren verneint der deutsche Gesetzgeber damit aus­ drücklich die Möglichkeit einer nachträglichen Entwicklung des streitgegenständli­ chen Sachverhaltes, was der französische Rapport Magendie II als illusorisch be­ trachtet: „L’immutabilité du litige n’est-elle pas une vue de l’esprit, dès lors que le temps qui sépare le prononcé du jugement et l’arrêt d’appel conduit souvent à une évolution naturelle de élé­ ments du contentieux, et il apparaît difficile de justifier que le juge d’appel n’en tienne pas compte.“606

(2)  Der systematische Widerspruch des §  533 ZPO in vergleichendem Kontext Allerdings verfolgt auch der deutsche Gesetzgeber das vergleichsweise restriktive Verständnis der zweiten Instanz nicht uneingeschränkt. Bereits auf den ersten Blick erscheint es inkonsequent, den durch Rechtsprechung und Rechtslehre geprägten Begriff der Sachdienlichkeit und die Alternative der Einwilligung ausdrücklich in das Berufungsrecht aufzunehmen (§  533 Nr.  1 ZPO) und zugleich eine mittel­ bar-faktische Einschränkung auf der Grundlage des zu berücksichtigenden Tatsa­ chenstoffs einzuführen (§  533 Nr.  2 ZPO). Dieser erste Befund verstärkt sich im Vergleich mit dem französischen Recht am Beispiel der Klageänderung. (i)  Rechtliche Ebene: §  533 Nr.  1 ZPO und Artt.  564 ff. CPC Anstelle eines umfassenden Begriffs der Sachdienlichkeit stellt das französische Recht die Klageänderung und die Klageerweiterung gemäß Art.  566 CPC unter die Voraussetzung, dass der nachträglich erhobene Anspruch bei verständiger Würdi­ gung bereits in der ursprünglichen Klageforderung enthalten war (virtuellement compris(e), er die Klageforderung sachverwandt ergänzt (accessoire), sich als Kon­ sequenz derselben darstellt (conséquence) oder deren wirtschaftlicher Vervollstän­ digung dient (complément). Es handelt sich hierbei um einzelne Ausprägungen des lien suffisant.607 Im Rahmen der in Art.  564 CPC niedergelegten Fallgruppen ist die Erhebung neuer Ansprüche ferner zulässig, wenn sie sich im Sinne einer évolution du litige mit nachträglich veränderten Umständen begründet (survenance ou révé­ lation dʼun fait).608 606  So die Begründung des Rapport Magendie II, S.  40 – „Ist die Unveränderlichkeit des Rechtstreits [in Wahrheit] nicht [nur] eine bloße Einbildung, zumal die Zeit zwischen der erst- und der zweitinstanzlichen Entscheidung häufig eine natürliche Fortentwicklung der einzelnen Ele­ mente des Streitgegenstandes begründet und es hiernach schwierig zu rechtfertigen ist, diese vom Rechtsmittelgericht unberücksichtigt zu lassen“ (Übers. d. Verf.). Siehe ferner Cadiet, in: Col­loque 1992, S.  27 (40) m. w. N. 607  Es handelt sich hierbei um einen Aspekt des lien suffisant; siehe Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  966 sowie Schilling, S.  318 f. 608  Es handelt sich hierbei um einen Aspekt der évolution du litige; siehe Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  95 sowie Cass. 3e civ., 25 janvier 1995, Bull. civ. III 1995, n°  25.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Die berufungsrechtliche Klageänderung ist im Vergleich hierzu aufgrund des Tatbestandes der Sachdienlichkeit weitaus weniger differenziert geregelt und damit strukturell weiter gefasst. Während das deutsche Recht darüber hinaus auch die Tatbestandsalternative der Einwilligung gemäß §  533 Nr.  1 ZPO vorsieht, sind auf französischer Seite seit der Reform durch das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 die Anforderungen der Artt.  564 ff. CPC zwingend von Amts wegen zu be­ rücksichtigen; eine Überwindung der dort niedergelegten Voraussetzungen durch die Einwilligung beider Parteien ist seither ausgeschlossen.609 (ii)  Tatsächliche Ebene: §  533 Nr.  2 ZPO und Art.  563 CPC Der im Rahmen von Klageänderung, Aufrechnung und Widerklage gemäß §  533 Nr.  2, 529 Abs.  1 Nr.  1 u. 2, 531 Abs.  2 ZPO zu berücksichtigende Tatsachenstoff korrespondiert indessen nur bedingt mit den Tatbeständen der Sachdienlichkeit und der Einwilligung gemäß §  533 Nr.  1 ZPO. Auf französischer Seite begründet das uneingeschränkte Novenrecht des Art.  563 CPC hingegen keine zusätzliche Ein­ schränkung der rechtlich determinierten Voraussetzungen der voie d’achèvement. Versucht man auf dieser Grundlage das deutsche Recht in die Terminologie der voie d’achèvement zu kleiden, so ist festzustellen, dass der Aspekt der évolution du litige sowohl auf rechtlicher Ebene im Begriff der Sachdienlichkeit (§  533 Nr.  1 ZPO) als auch auf tatsächlicher Ebene im Rahmen der Ausnahmeregeln der §§  533 Nr.  2, 529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO Berücksichtigung findet. Nach der Begrün­ dung des Regierungsentwurfs des Zivilprozessreformgesetzes besteht der idealtypi­ sche Fall des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO gerade darin, dass das neue Angriffs- und Verteidigungsmittel erst nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung entstanden ist.610 Der Aspekt des lien suffisant wird demgegenüber allein durch das Merkmal der Sachdienlichkeit (§  533 Nr.  1 ZPO) bedacht, während das eingeschränkte No­ venrecht der §§  533 Nr.  2, 529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO beim Fehlen einer gleichzeitigen évolution du litige seine volle Sperrwirkung entfaltet. Der systemati­ sche Widerspruch des §  533 ZPO beschränkt sich somit im Rahmen der Klageände­ rung effektiv auf diejenigen Fälle, in denen sich die Sachdienlichkeit der geänderten Klage allein aufgrund der Nähe zum ursprünglichen Streitgegenstand ergibt. (iii)  Beschränkung des systematischen Widerspruchs auf die Klageänderung? Hinsichtlich der Aufrechnung und der Widerklage wiegt der Widerspruch des §  533 ZPO weniger schwer. Aufgrund der dogmatischen Nähe der Prozessaufrechnung zum materiellen Recht ist die Vorschrift des §  533 Nr.  2 ZPO konsequent:611 Es be­ steht kein Grund, die Aufrechnung gegenüber Einwendungen aus dem originären 609 

Siehe oben §  8 III. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  101; hierzu bereits oben §  10 I 3 c. 611  So auch Oberheim, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, P, Rn.  88. Zum verbliebenen Anwendungs­ 610 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 167

Anwendungsbereich der §§  529, 531 ZPO zu privilegieren. Historisch zeigt sich die Nähe der Prozessaufrechnung zu den (sonstigen) prozessualen Verteidigungsmit­ teln daran, dass die Civilprozeßordnung noch in ihrer ursprünglichen Fassung mit liberalem Novenrecht allein im Wege der Prozessaufrechnung gemäß §  491 Abs.  2 CPO die Einführung neuer Ansprüche in das Rechtsmittelverfahren vorsah.612 Nichts anderes kann für die Widerklage gelten.613 Als Alternative des §  533 ZPO käme allenfalls eine Trennung des Verfahrensstoffs hinsichtlich der Klage und der Widerklage in Betracht. Dies widerspräche aber nicht nur dem einenden Zweck der Widerklage,614 sondern hätte auch die rechtspolitisch bedenkliche Folge, dass das Berufungsgericht womöglich sehenden Auges eine materiell unrichtige Entschei­ dung treffen müsste. (3)  Unterschiedliche Ökonomieverständnisse beider Rechtsmittel als Hintergrund Der Vergleich der theoretischen und praktischen Grundlagen der Berufung und der voie d’achèvement offenbart ein divergierendes Ökonomieverständnis der beiden Rechtsmittelverfahren. In Anlehnung an den Rapport Magendie II615 und den vorangegangenen Rapport Coulon616 schränkt das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 die Zulässigkeit neuer Ansprüche im Rechtsmittelverfahren nur insofern ein, als Verstöße gegen die unveränderten Zulassungsvoraussetzungen der Artt.  564 ff. CPC nunmehr von Amts wegen zu berücksichtigen sind, 564 CPC. Hierbei handelt es sich bei wertender Betrachtung jedoch nicht um eine Beschränkung der voie d’achèvement, sondern vielmehr um eine Beseitigung ihrer unbeabsichtigten Aus­ wüchse.617 Das Ziel der voie d’achèvement besteht unverändert darin, drohende Fol­ geverfahren zu vermeiden.618 Verzögerungen des laufenden Verfahrens aufgrund der voie d’achèvement versucht der französische Reformgeber allein mithilfe der formellen Verfahrensregeln zu beschränken und nimmt sie im Übrigen bewusst in bereich der zweitinstanzlichen Prozessaufrechnung und der Widerklage siehe Baumann, S.  178 und Ball, in: Musielak ZPO, §  533, Rn.  16. 612  Hierzu Hahn/Stegemann ZPO, S.  356; zitierte Norm nach von Kräwel CPO. 613  Grundlegend zur „Flucht in die Widerklage“ BGH NJW 1995, 1223 (1224). Zum prozessua­ len Zusammenhang (Konnexität) von Prozessaufrechnung und Widerklage siehe Patzina, in: MüKo ZPO, §  33, Rn.  10 u. 22. 614  Hierzu Roth, in: Stein/Jonas ZPO, §  33, Rn.  1 und BGH NJW 1964, 44 (45). 615  Vgl. Rapport Magendie II, S.  41 mit Hinweis auf den Rapport Coulon. 616  Vgl. Rapport Coulon, S.  83 f. 617  So die Begründung des Rapport Coulon, S.  83, welche der Rapport Magendie II, S.  41 in­ haltlich fortführt. Siehe ferner Weiler D. 2010, 591 (592) und Serinet JCP éd. G 2010 (Doctrine), 1018 (1022) mit Hinweis auf die Folgerichtigkeit der Bestimmung in Bezug auf die Césaréo-Ent­ scheidung. Kritisch hingegen Villacèque D. 2010 (Études et commentaires), 663 (664) mit Verweis auf die Parteiherrschaft und das begrenzte office du juge; hierzu bereits oben §  10 II 3. 618  Rapport Magendie II, S.  40 ff. Die praktische Vereinbarkeit beider Ökonomieansätze wird in der Rechtswissenschaft bisweilen bezweifelt. Im Mittelpunkt steht hierbei die Frage, inwiefern insbesondere die verkürzten Fristen die Nutzung des appel als voie d’achèvement erlauben; siehe Ferrand ZZPInt 2009, 43 (78). Die Rechtspraxis wird zeigen, ob die Zweifel berechtigt sind.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Kauf.619 Das ökonomische Leitbild der voie d’achèvement bezieht sich somit auf den Rechtsstreit der Parteien insgesamt ohne Beschränkung auf den jeweils rechtshän­ gigen Teil. Das Telos der voie d’achèvement entspricht insofern dem unveränderten Sachdienlichkeitsbegriff des §  533 Nr.  1 ZPO. Auf deutscher Seite hemmt indessen der reformierte §  533 Nr.  2 ZPO den effektiven Gehalt der Sachdienlichkeit.620 Das Ziel des deutschen Reformgebers bezieht sich dementsprechend allein auf die Be­ schleunigung des laufenden Rechtsmittelverfahrens. Etwaige Folgeverfahren sollen nach dem Konzept des Reformgebers bereits zuvor durch eine umfassende Erörte­ rung des Rechtsstreits im Rahmen der Erstinstanz vermieden werden.621 Entspricht die Prozessführung der Parteien nicht der vom Reformgeber beabsichtigten Stär­ kung der ersten Instanz,622 bietet die Berufung grundsätzlich keine Möglichkeit der Kompensation. Die beabsichtigte Erleichterung des laufenden Rechtsmittelverfah­ rens infolge des §  533 Nr.  2 ZPO geht damit bewusst zulasten der Vermeidung etwa­ iger Folgeprozesse,623 was systembedingt in Einzelfällen zu insgesamt wenig öko­ nomischen Ergebnisen führen kann. Ausnahmen lässt das Gesetz allein aufgrund der Zulassungstatbestände der §§  533 Nr.  2, 529 Abs.  1 Nr.  2 u. 531 Abs.  2 ZPO so­ wie im Fall unstreitiger Tatsachen zu.624 Entgegen der Begründung des Regierungsentwurfs der Bundesregierung zum FGG-Reformgesetz berücksichtigt das reformierte zivilprozessuale Berufungsver­ fahren im Rahmen von §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO allerdings die tatsächliche Fort­ entwicklung des Rechtsstreits (Aspekt der évolution du litige). Lediglich die Erhe­ bung nachträglicher (Annex-)Ansprüche, die bereits in erster Instanz hätten geltend gemacht werden können (Aspekt des lien suffisant), kommt außer im Fall einer un­ streitigen Tatsachengrundlage nicht in Betracht. Im Ergebnis wandelt sich damit das Ökonomieverständnis des deutschen Zivilverfahrens mit dem Übergang des Pro­ zesses in die zweite Instanz. Den endgültigen Beleg dieser These bietet die Recht­ sprechung des Bundesgerichtshofs zum Verhältnis der §§  533 und 264 Nr.  2 u. 3 ZPO. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass die Vorschrift des §  533 ZPO den ein­ gangsgerichtlichen Begriff der Klageänderung unverändert übernehme,625 weshalb auch die Fiktion des §  264 Nr.  2 u. 3 ZPO im Berufungsverfahren zu berücksichti­ gen sei.626 Für die Anwendung des §  264 Nr.  2 u. 3 ZPO spreche weiterhin der 619 

Rapport Magendie II, S.  28 ff. Aus französischer Sicht Ferrand, in: Mélanges Guinchard, S.  249 (257) auch mit Hinweisen auf die eingeschränkte Akzeptanz der ZPO-Reform seitens der gerichtlichen Praxis. 621  Siehe die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilpro­ zessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  58 ff. 622  Hierzu Däubler-Gmelin ZRP 2000, 33 (35) und Bamberger ZRP 2004, 137 (137 f.). 623  So auch der zentrale Vorwurf bei Lange, S.  109 und Ball, in: Musielak ZPO, §  533, Rn.  2; ebenso Greger JZ 2004, 805 (812) und Reinke NZM 2013, 404 (406). 624  Zu Letzterem siehe etwa BGH NJW-RR 2005, 437 (437) – Widerklage im Berufungsrechts­ zug auf der Grundlage unstreitigen Sachvortrages; ferner BGH NJW 2008, 3434 (3436). Zur Be­ gründung der Zulassung unstreitigen Sachevortrages siehe oben §  10 I 3 c. 625  So die allgemeine Ansicht; statt vieler Reichold, in: Thomas/Putzo ZPO, §  533, Rn.  2. 626  Grundlegend BGH NJW 2004, 2152 (2154); ebenso Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, 620 

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Zweck der Vorschrift, welcher darin bestehe, die „prozessökonomische und endgül­ tige Erledigung des Rechtsstreits zwischen den Parteien“ zu fördern.627 Indem der Bundesgerichtshof jedoch im nachfolgenden Schritt seiner Urteilbegründung zur uneingeschränkten Anwendung des §  531 Abs.  2 ZPO gelangt,628 bleibt das vorge­ nannte Argument der Prozessökonomie letztlich ohne praktische Folgen.629 cc)  Zu den praktischen Auswirkungen der Tatsachenbindung des §  533 Nr.  2 ZPO Um den Novenausschluss des §  533 Nr.  2 ZPO im Einzelfall abzumildern, werden seitens der Rechtsprechung und der Rechtslehre im Wesentlichen zwei Argumenta­ tionslinien vertreten: Einerseits wird die vom Reformgeber angestrebte Steigerung der Verfahrensökonomie entgegen den vorangegangenen Ausführungen dahinge­ hend verstanden, dass etwaige Folgeverfahren nach Möglichkeit zu vermeiden und neue Tatsachen zu diesem Zweck zuzulassen seien.630 Andererseits solle vor dem Hintergrund des weiteren Reformzieles, gütliche Einigungen zu fördern,631 die Ein­ willigung beider Parteien die Zulassung neuer Tatsachen legitimieren.632 Im Ergeb­ nis beschränken beide Lösungsansätze den effektiven Regelungsgehalt des §  533 ZPO auf dessen erste Ziffer. Eine faktische Außerachtlassung des §  533 Nr.  2 ZPO steht jedoch im Widerspruch zum Rechtsmittelkonzept des Zivilprozessreformge­ setzes.633 Nichtsdestoweniger können sich Konstellationen ergeben, in denen die bisweilen widerstreitenden Regelungsabsichten des deutschen Reformgebers nicht eindeutig zu gewichten sind. Betroffen sind insbesondere die Frage nach der erforderlichen Kongruenz der tatsächlichen Grundlagen der Berufung und der berufungsrechtli­ chen Klageänderung sowie die Zulässigkeit der Klageänderung im Fall einander widersprechender Klagegründe und schließlich der Parteiwechsel und die Parteier­ weiterung in der Berufung. Betrachtet man die rechtsvergleichende Methode als ein

§  533, Rn.  5. Zur Diskussion um die Rechtsnatur des §  264 Nr.  2 u. 3 ZPO siehe Jauernig/Hess, §  41, Rn.  6 und Assmann, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  264, Rn.  2. 627  So BGH NJW-RR 2010, 1286 (1287); zuvor BGH NJW-RR 2006, 390 (390). Zum Streitstand siehe außerdem Seyfarth/Rößler WuB VII A., §  531 ZPO 1.10, Reihe 2.1 (2010). 628  Siehe hierzu auch BGH NZBau 2006, 254 (255). 629  So auch Heßler, in: Zöller ZPO, §  533, Rn.  3. 630  So Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  533, Rn.  13 sowie Huber, in: van Compernolle/ Saletti, S.  231 (242) in Bezug auf die Zulassung des Parteiwechsels in der Berufung; ferner BGH NJW 2004, 2152 (2155) und BGH NJW 2006, 390 (390) zum Verhältnis von §  264 ZPO und §  533 ZPO. 631  Siehe hierzu die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozess­ reformgesetzes, BT-Druck. 14/4722, S.  58, 71 f. u. 82 ff. 632  So Rauscher, S.  248; hierzu Baumann, S.  180 f. 633  Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformge­ setzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  102 sowie den Beschluss des Großen Senats für Zivilsachen, BGH NJW 2008, 3434 (3436).

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

ergänzendes Mittel zur Hinterfragung der eigenen Rechtsordnung,634 kann die be­ wusst ablehnende Haltung des Rapport Magendie II gegenüber den Beschränkun­ gen des deutschen Zivilprozessreformgesetzes635 hilfreich sein, die genannten Zweifelsfälle einer ihrer Eigenart entsprechenden Lösung zuzuführen. (1)  Kongruenz des Verfahrensstoffs von Berufung und Klageänderung Die Bindung der Klageänderung an den erstinstanzlich vorgebrachten Grund der Klage gemäß §  533 Nr.  2 ZPO begründet wie dargelegt eine im Tatsächlichen wur­ zelnde, mittelbare Beschränkung der im Rahmen der Klageänderung oder Klageer­ weiterung statthaften Anträge. Unklar ist das erforderliche Maß der tatsächlichen Entsprechung der ursprünglichen und der geänderten Klage. (i)  Problemaufriss: Die „ohnehin“ zu berücksichtigenden Tatsachen Der Wortlaut des §  533 Nr.  2 ZPO verlangt, dass die Umstände zur Begründung der Klageänderung mit den Gründen der Berufung korrespondieren („ohnehin“). Aner­ kannt ist, dass zumindest eine isolierte Klageänderung ohne Angriff der eingangs­ gerichtlichen Entscheidung mangels Beschwer bezüglich des neuen Streitgegen­ standes unzulässig ist.636 Im Übrigen wird der genaue Umfang der tatsächlichen Korrespondenz unterschiedlich bewertet.637 Ein Teil der Rechtslehre verlangt, dass die für die Klageänderung relevanten Umstände auch hinsichtlich des ursprüngli­ chen Antrages entscheidungserheblich gewesen sein müssen und sich die Zulassung neuer Tatsachen anhand der ursprünglichen Klage bestimmt.638 Nach anderer, vor allem in der Rechtsprechung vertretener Ansicht genüge es, wenn sich die im Rah­ men der Klageänderung relevanten Umstände ungeachtet ihrer Entscheidungsrele­ vanz bezüglich des ursprünglichen Antrags aus den Prozessakten ergeben.639 Nach 634  So Zweigert RabelsZ 15 (1949/50), 5 (17) und Honsell, in: Staudinger BGB, Einleitung zum BGB, Rn.  162. 635  Rapport Magendie II, S.  46. 636  BGH NJW-RR 1987, 124 (125); BGH NJW 2011, 3653 (3653 f.); OLG Düsseldorf, Urteil vom 10. Juli 2003, 5 U 162/02 ( juris). Siehe ferner Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  99, Rn.  22 und Doukoff, Rn.  169 mit Hinweisen zur Klageerweiterung und zum Parteiwechsel. Zum französi­ schen Recht siehe Lefort Théorie, Rn.  862 f. 637  Die Abgrenzung zwischen §§  529, 531 ZPO (Tatsachenebene) und §  533 ZPO (Streitgegen­ stands-/Rechtsebene) umgeht in dogmatisch verkürzter Weise das OLG Naumburg, BeckRS 2010, Nr.  30213 unter Hinweis auf die Unstreitigkeit der in zweiter Instanz erstmals vorgetragenen Tat­ sachen, zu Recht kritisch Wagener MedR 2012, 198 (198 f.); anders OLG Karlsruhe BeckRS 2012, Nr.  22920. 638  Ball, in: Musielak ZPO, §  533, Rn.  22; Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  533, Rn.  14; eben­ so Wöstmann, in: Saenger ZPO, §  533, Rn.  12 und OLG Karlsruhe BeckRS 2012, Nr.  22920; ähn­ lich Althammer, in: Stein/Jonas ZPO, vor §  533, Rn.  15, nach dessen Ansicht die geänderte Klage „im Wesentlichen“ auf denselben Tatsachenstoff zu stützen sei. 639  BGH NJW 2004, 2152 (2154); BGH BeckRS 2013, Nr.  0 0267; hierzu Reinke NZM 2013, 404 (405); in Bezug auf Widerklagen BGH NJW-RR 2012, 429 (429 f.); Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  533, Rn.  12; wohl auch Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz ZPO 2002, §  533, Rn.  7.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 171

einer dritten, besonders liberalen Auffassung orientiere sich die Berücksichtigungs­ fähigkeit der im Rahmen der Klageänderung relevanten Umstände allein am Ge­ genstand der geänderten Klage.640 (ii)  Übertragung des Problems in das französische Verfahrensrecht Im Unterschied zu §  533 Nr.  2 ZPO stellt die voie d’achèvement nicht auf „ohnehin“ zu berücksichtigende Tatsachen ab. Sie verlangt auf tatsächlicher Ebene keine Kon­ gruenz des appel und einer etwaigen Klageänderung. Die Zulässigkeit neuer An­ sprüche unterliegt im Rahmen des appel allein den rechtlichen Voraussetzungen der Artt.  564 ff. CPC. Sofern ein neuer prozessualer Anspruch etwa unter den Voraus­ setzungen des Art.  566 CPC als virtuellement compris(e), accessoire, conséquence oder complément zu qualifizieren ist und damit auf rechtlicher Ebene das Merkmal eines lien suffisant erfüllt, folgt die Zulässigkeit etwaiger ergänzender Tatsachen unmittelbar aus Art.  563 CPC.641 Die Frage einer Kongruenz auf tatsächlicher Ebe­ ne stellt sich daher nicht. (iii)  Abwägung der einzelnen Interpretationsansätze des §  533 Nr.  2 ZPO Die Lösung des französischen Rechts entspricht auf deutscher Seite der letztge­ nannten Auslegung des §  533 Nr.  2 ZPO, die sich allein am Gegenstand der geänder­ ten Klage orientiert. Argumentativ stützen sich die Befürworter dieser Ansicht da­ rauf, dass sich der Umfang der prozessualen Förderungspflichten stets anhand des konkreten Streitgegenstandes bemesse. Streitgegenstände, die erst zu einem fortge­ schrittenen Zeitpunkt in das Verfahren eingeführt würden, begründeten keine vor­ auseilenden Prozessförderungspflichten.642 Diese Ansicht ist angesichts des Re­ formkonzepts des §  533 ZPO nicht unproblematisch. Könnten die Parteien mithilfe der Klageänderung Tatsachen in das Berufungsverfahren einführen, die hinsicht­ lich des eingangsgerichtlichen Streitgegenstandes gemäß §  529 Abs.  1 ZPO ausge­ schlossen sind, käme dies einer „Flucht in die Klageänderung“ sehr nahe.643 Um den Zweck der reformierten §§  529 ff. ZPO zu wahren, müsste das Berufungsge­ richt in diesem Fall den Verfahrensstoff der einzelnen Anträge voneinander tren­ nen. Anknüpfungspunkte einer derart „schizophrenen“644 Verfahrensgestaltung lässt die Regelungsabsicht des Reformgebers aber nicht erkennen. Es zeigt sich so­ 640 

So Schumann/Kramer, Rn.  482. CA Montpellier, 12 octobre 2011, n°  10/08964 (LexisNexis/Juris-Classeur). Siehe ferner Cass. 3e civ., 13 juin 2001, Gaz. Pal. 2001 (Jurisprudence), 1091 (1091); hierzu Giverdon/Camensuli-Feuillard/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 719 (2014), Rn.  70 – accessoire sowie Cass. 2e civ., 8 mars 2007, Bull. civ. II 2007, n°  58 – complément, hierzu Gallet, Rn.  219 und Cass. 2e civ.,­ 7 octobre 2004, Bull. civ. II 2004, n°  449. Zum Ganzen siehe auch Ferrand, in: Sonnenberger/ Classen, S.  481. 642  Schumann/Kramer, Rn.  482; ähnlich Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, H, Rn.  16 f. 643  Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz ZPO 2002, §  533, Rn.  7. 644  So wörtlich Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  533, Rn.  14. 641 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

mit der praktische Unterschied des französischen Rechts, welches bei unbeschränk­ tem Novenrecht allein auf Rechtsebene einen lien suffisant fordert (Artt.  564 ff. CPC), und des deutschen Rechts, welches auf tatsächlicher Ebene eine hinreichend enge Verknüpfung der prozessualen Ansprüche verlangt, §  533 Nr.  2 ZPO. Die ge­ genteilige Ansicht, welche eine vollständige Korrespondenz der tatsächlichen Grundlagen sämtlicher Anträge fordert, vermeidet die beschriebene „Schizophre­ nie“. Sofern das Eingangsgericht die entscheidungserheblichen Umstände rechts­ fehlerhaft bestimmt, bietet §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO die Möglichkeit einer entsprechenden Korrektur.645 Die Zulassungsgründe des §  531 Abs.  2 ZPO sind hiernach auf den ursprünglichen Klagegrund zu beziehen.646 Ausgeschlossen sind damit Klageerweiterungen zur Geltendmachung nachträglich erhobener (Neben-) Forderungen, die bereits im erstgerichtlichen Verfahren hätten geltend gemacht werden können.647 Solche kämen allein nach der vermittelnden Ansicht unter Be­ rücksichtigung des gesamten Akteninhalts in Betracht.648 Zwar mag für ein derarti­ ges Verständnis des §  533 Nr.  2 ZPO der Wortlaut der Norm sprechen („zugrunde zu legen hat“ statt „zugrunde legt“). Es böte allerdings dem Phänomen des präven­ tiven erstinstanzlichen Sachvortrages eine zusätzliche Rechtfertigung.649 Auch dogmatisch umgeht die Ansicht das System der §§  139 Abs.  1 S.  2 und 531 Abs.  2 ZPO, wonach sich die Parteien zu den nach Maßgabe ihrer Anträge „erheblichen“ Tatsachen erklären sollen und der anschließende Vortrag neuer Tatsachen einer be­ sonderen Rechtfertigung bedarf. Auf diese Weise nivelliert sie das abgestufte Sys­ tem zwischen gesetzlicher Devolution und richterlicher Berücksichtigungsfähig­ keit.650 Zugleich läuft die Ansicht Gefahr, die Anforderungen des §  531 ZPO mithil­ fe des §  533 ZPO herabzusenken und das systematische Verhältnis der Vorschriften zueinander auf den Kopf zu stellen. Das systematisch und rechtstatsächlich frag­ würdige Ergebnis bestünde darin, dass der Vortrag neuer Tatsachen im Rahmen einer Klageänderung in weiterem Umfang zulässig wäre als im Grundfall einer einfachen Berufung.651 Zu vergleichbaren Problemen führt die Ansicht im Hinblick auf zweitinstanzliche Widerklagen, indem sie auch diese in bedeutend weiterem Umfang gestattet und den Kläger und Widerbeklagten damit mittelbar um eine In­ 645  Insofern nicht ganz deutlich zwischen den Ansichten differenzierend BGH NJW 2007, 2414 (2416) und BGH NJW-RR 2010, 1508 (1509). 646  So auch Wöstmann, in: Saenger ZPO, §  533, Rn.  12; im Ergebnis auch BGH NJW-RR 2010, 1286 (1287). 647  So auch die grundsätzliche Annahme bei OLG Naumburg, Urteil vom 25. September 2003, 1 U 29/03 ( juris). 648  Siehe BGH NJW 2004, 2152 (2154), wonach eine Eventualklagehäufung im Rahmen der Berufung – auf der Grundlage des §  264 ZPO – zuzulassen sei, obgleich bereits das Eingangsge­ richt auf die Notwendigkeit eines entsprechenden Antrages hingewiesen hatte. 649  Siehe oben §  10 II 1 c. 650  Siehe die rechtsvergleichende Darstellung unter §  10 I 3 a. 651  Vgl. BGH BeckRS 2013, Nr.  0 0267 – Kündigungserklärung als Tatsache; zustimmend Reinke NZM 2013, 404 (405 f.); wie hier hingegen LG Berlin BeckRS 2012, Nr.  22166.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 173

stanz beraubt652 – ein Umstand, der in der französischen Prozesspraxis äußerst kri­ tisch betrachtet wird.653 Ein bloßer Hinweis auf die Verfahrensökonomie vermag dies nicht zu rechtfertigen.654 Nach dem Konzept des Reformgebers ist in der be­ schriebenen Konstellation vielmehr ein Folgeprozess in Kauf zu nehmen; Ein­ schränkungen aufgrund des Umfangs der materiellen Rechtskraft sind hierbei an­ ders als im französischen Zivilverfahren nicht zu befürchten. (2)  Die Klageänderung im Fall einander widersprechender Klagegründe Die Unterschiede des §  533 ZPO und der voie d’achèvement äußern sich des Weite­ ren im Rahmen der nachträglichen Klageänderung nach der Fallgruppe einander widersprechender Klagegründe. Hierbei beruht der Grund der geänderten Klage auf der Negation des ursprünglichen Klagegrundes. (i)  Problemaufriss: Der sog. „Bau-Fall“ als Ausgangspunkt Den Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen bildet der sog. „Bau-Fall“655 des Bundesgerichtshofs aus dem Jahr 1989.656 Im Mittelpunkt der Entscheidung stand eine Werklohnforderung des Klägers für den Einbau von Türen und Fenstern in das Haus des Beklagten. Nach dem Vortrag des Klägers sei der Beklagte beim Abschluss des streitgegenständlichen Werkvertrages durch den örtlichen Bauleiter der zuständigen Wohnsiedlungsbau-Gesellschaft vertreten worden. Das Gericht sah ein Handeln des örtlichen Bauleiters im Namen des Beklagten jedoch als nicht er­ wiesen an und wies die Klage mangels Vertragsschlusses ab. Nachdem auch die Klage des Werkunternehmers gegen die Wohnsiedlungsbau-Gesellschaft erfolglos geblieben war, klagte der Unternehmer erneut gegen den Beklagten des Erstprozes­ ses auf der Grundlage einer ungerechtfertigten Bereicherung. Mit dem Hinweis auf die entgegenstehende Rechtskraft des im Erstprozess ergangenen Urteils wies das Gericht die Klage ab. Die hiergegen eingelegte Berufung des Klägers hatte Erfolg und wurde letztlich vom Bundesgerichtshof bestätigt: Bei der Frage nach der Exis­ tenz eines Vertrages handele es sich um ein wesentliches Element des streitgegen­ ständlichen Sachverhaltes. Stütze der Kläger seinen prozessualen Anspruch zu­ nächst auf die Existenz eines Vertrages und später auf dessen Fehlen, begründe dies eine Änderung des Lebenssachverhaltes und damit einen neuen Streitgegenstand. Die Klage sei daher nicht aufgrund entgegenstehender Rechtskraft unzulässig.657 652 

Vgl. BGH NJW-RR 2012, 429 (429 f.). In allgemeiner Form Perrot Procédures 4/2012 (Commentaires) n°  102. 654  So aber Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  533, Rn.  13. 655  So die Bezeichnung bei Musielak NJW 2000, 3593 (3594). 656  BGH NJW 1990, 1795 (1796 f.). Für eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts siehe ferner Musielak NJW 2000, 3593 (3594). 657  BGH NJW 1990, 1795 (1796). Siehe auch Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  99, Rn.  2 ff. m. w. N.; kritisch hingegen Musielak NJW 2000, 3593 (3598). 653 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Unabhängig von der im konkreten Fall relevanten Dreieckskonstellation (§§  72 ff. ZPO) stellt sich ganz allgemein die Frage, ob der Kläger im Fall des Vortrages ein­ ander widersprechender Klagegründe einer erneuten Klage mithilfe einer beru­ fungsrechtlichen Klageänderung (§  533 ZPO) zuvorkommen kann. Aus der Sicht des Beklagten stellt sich das Problem in vergleichbarer Weise, sofern er eine nach­ träglich erhobene Widerklage mithilfe einer Rechtsgrundlage zu begründen ver­ sucht, die in einem Ausschlussverhältnis zu der von der Klägerseite angestrengten Rechtsgrundlage steht.658 (ii)  Vergleichende Übertragung des Problems in das französische Recht Das Problem widersprechender Klagebegründungen liegt in vergleichbarer Weise der Césaréo-Entscheidung der Cour de cassation zugrunde.659 Auch in diesem Fall stützte der Kläger seinen prozessualen Anspruch zunächst auf eine vertragliche und später auf eine bereicherungsrechtliche Grundlage. Entgegen dem Streitgegen­ standsverständnis des Bundesgerichtshofs begründete die Cour de cassation im Rahmen der Césaréo-Entscheidung einen Konzentrationszwang, welcher von den Parteien verlangt, sämtliche ihrer tatsächlichen und rechtlichen moyens im Rahmen des Erstprozesses darzulegen.660 Ein Folgeverfahren auf der Basis einer geänderten Rechtsgrundlage ist hiernach ausgeschlossen. Indem die Reformkommission Magendie II die Césaréo-Entscheidung ausdrücklich zum Anlass nahm, am uneinge­ schränkten Novenrecht des Art.  563 CPC festzuhalten,661 ist ein neuerliches Ver­ fahren aber auch nicht erforderlich. Stattdessen obliegt es den Parteien, ihren Vor­ trag im Rahmen des appel in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu ergänzen.662 Auf die zusätzlichen Voraussetzungen einer zweitinstanzlichen Klageänderung (Artt.  564 ff. CPC) kommt es hierbei nicht an. Die Zulässigkeit einer entsprechen­ den Widerklage ergibt sich wiederum unter Berücksichtigung des Art.  563 CPC aus Art.  567 CPC i. V. m. Artt.  63 ff. CPC. (iii)  Rückschlüsse und Lösungsansätze für das deutsche Recht Problematisch ist auf deutscher Seite die Vereinbarkeit des beschriebenen Falles mit den Zulassungsgründen der §§  533 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO. Sofern das Eingangsge­ richt seine Zweifel am Erfolg der vom Kläger zugrunde gelegten Rechtsansicht äu­ 658  Zu dieser Fallkonstellation unter dem Aspekt der Konnexität etwa BGH NJW 1975, 1228 (1228) und Roth, in: Stein/Jonas ZPO, §  33, Rn.  28 m. w. N. 659  Cass. ass. plén., 7 juillet 2006, Bull. ass. plén. 2006, n°  8; siehe ferner oben §  10 II 2 c. 660  Bei der Begründung eines prozessualen Anspruchs mithilfe des Vertragsrechts einerseits und mithilfe des Bereicherungsrechts andererseits handelt es sich nach der französischen Streitge­ genstandslehre lediglich um unterschiedliche moyens (de droit). Auf die prozessual notwendige Form der Antragstellung – etwa in Form einer Eventualklagehäufung wie im deutschen Zivilver­ fahren – geht der zitierte arrêt daher nicht ein. 661  Rapport Magendie II, S.  42. 662  Ausführliche Begründung bei Weiller D. 2006, 2135 (2139).

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 175

ßert, fehlt es an einem Verstoß gegen die richterliche Hinweispflicht gemäß §  139 Abs.  1 u. 2 ZPO. Im nachfolgenden Berufungsverfahren wäre §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 u. 2 ZPO nicht anwendbar.663 Der Kläger hätte die Gelegenheit gehabt, seinen ur­ sprünglichen Antrag auf der Grundlage des richterlichen Hinweises um einen Even­ tualantrag zu ergänzen.664 Entsprechendes gilt für die Widerklage.665 Unterbliebene Eventualanträge sind grundsätzlich als Nachlässigkeit der betroffenen Partei im Sinne des §  531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO zu werten.666 Ausdrücklich hat dies der Bun­ desgerichtshof für die erstmals in zweiter Instanz erfolgte Geltendmachung eines Anspruchs aus abgetretenem Recht entschieden.667 Im konkreten Fall hatte das Erstgericht nicht auf seine Zweifel an der Aktivlegitimation der Klägerin hingewie­ sen, sodass diese keine Veranlassung sah, sich die streitgegenständliche Forderung vom Berechtigten abtreten zu lassen und sie hilfsweise als Zessionarin geltend zu machen. Der Bundesgerichtshof verneinte in dieser Konstellation eine Nachlässig­ keit der Klägerin und erkannte in dem unterlassenen Hinweis eine Verletzung der materiellen Verfahrensleitung. Für die Klägerin ergab sich mithin aus §§  533 Nr.  1 u. 2, 529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO das Recht, ihre Klage in zweiter Instanz um einen entsprechenden Eventualantrag zu ergänzen.668 Die Fallkonstella­ tion einander widersprechender Klagegründe unterscheidet sich hiervon insoweit, als die Negation des vorgebrachten Klagegrundes (hier: Vertrag) bereits aus sich heraus einen anderen Klagegrund trägt (hier: ungerechtfertigte Bereicherung). Auf Tatbestandsebene bedarf es daher grundsätzlich keiner weiteren anspruchsbegrün­ denden Rechtshandlung oder Erklärung wie etwa im Fall der Abtretung. Dennoch wäre eine nachträgliche Eventualklagehäufung im Rahmen der Berufung unbe­ schadet der §§  533 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO wohl regelmäßig unstatthaft.669 Zwar ist es dem Kläger unbenommen, sich die in erster Instanz streitigen (Rechts-)Tatsachen in der Rechtsmittelinstanz zu eigen zu machen.670 Soweit im konkreten Fall aber eine Herausgabe in natura ausgeschlossen ist, wäre zumindest der notwendige Vortrag hinsichtlich des Wertes der Bereicherung sowie bezüglich etwaiger Nutzungen und 663  Vgl. zu den Anforderungen und den Grenzen der richterlichen Hinweispflicht Kocher, S.  427 f. sowie die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessre­ formgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  62 u. 101; ferner BGH NJW 2005, 2624 (2624). 664  Hierzu Assmann, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  260, Rn.  39. Für ein Beispiel der Konstel­ lation einander widersprechender Klagegründe siehe BGH NJW-RR 2004, 1196 (1197) – Vertrag und Bereicherungsrecht. Ob das Gericht eine Klageänderung bzw. Klagehäufung anregen darf, kann hingegen nicht abstrakt beurteilt werden; siehe Prütting, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  139, Rn.  10. 665  Zur Zulässigkeit der Eventual-Widerklage siehe BGH NJW 1996, 2306 (2307). 666  Vgl. BGH NJW 2004, 2152 (2154) m. w. N. 667  BGH a.a.O. 668  Das Berufungsgericht ging dabei nicht auf den Zeitpunkt der Abtretung ein, sondern recht­ fertigte die Nichtzulassung der Klageänderung mit der erstinstanzlich nicht geklärten Frage der Wirksamkeit des streitgegenständlichen Vertrages; vgl. BGH NJW 2004, 2414 (2415). 669  Sofern man die Klageerweiterung auf §  264 Nr.  3 ZPO stützt, stellt sich das Problem in vergleichbarer Weise auf der Grundlage des §  531 Abs.  2 ZPO. 670  OLG Nürnberg NJOZ 2004, 300 (301).

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Surrogate gemäß §  818 Abs.  1 u. 2 BGB ausgeschlossen.671 Obwohl die Lösung im Einzelfall mitunter kleinschrittig und ökonomisch nur schwierig nachzuvollziehen erscheinen mag, steht sie im Einklang mit der richterlichen Verfahrensleitung und dem Streitgegenstands- und Rechtskraftverständnis der deutschen Zivilprozessord­ nung. Rechtsvergleichend verdeutlicht dies der Wandel des französischen Reform­ konzepts vom Rapport Magendie I zum Rapport Magendie II infolge der zwischen­ zeitlich ergangenen Césaréo-Entscheidung.672 Darüber hinaus besteht für die Par­ teien bei entsprechendem gerichtlichem Hinweis auch kostenrechtlich kein Grund, von einer erstinstanzlichen Eventualklagehäufung bzw. Eventualwiderklage abzu­ sehen (vgl. §  45 Abs.  1 S.  2, HS 2 GKG und §  23 Abs.  1 RVG), sodass das deutsche Verfahrensrecht an dieser Stelle eine stringente Lösung bietet. (3)  Der Parteiwechsel und die Parteierweiterung in der zweiten Instanz Unklar vor dem Hintergrund des §  533 Nr.  2 ZPO sind schließlich die Zulässigkeit des Parteiwechsels und der Parteierweiterung in der Berufung. Bei einem Partei­ wechsel handelt es sich um die Ersetzung einer Partei durch einen Dritten, der bis­ lang nicht als Partei am Verfahren beteiligt war; das bestehende Prozessrechtsver­ hältnis ändert sich nicht.673 Im Fall der Parteierweiterung tritt ein Dritter einer Par­ tei des Rechtsstreits bei; das Prozessrechtsverhältnis wird insofern erweitert.674 Im Unterschied zum Code de procédure civile675 sieht die deutsche Zivilprozessord­ nung für den gewillkürten Parteiwechsel und die gewillkürte Parteierweiterung keine ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmungen vor.676 Bis zum Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes am 1. Januar 2002 wurde der gewillkürte Parteiwechsel in der zweiten Instanz sowohl von Seiten der Rechtsprechung als auch von Seiten der Rechtslehre als ein Rechtsinstitut eigener Art klassifiziert.677 Gleiches galt für die richterrechtliche Qualifikation der zweitinstanzlichen Parteierweiterung,678 die von Teilen des Schrifttums aus dogmatischen Gründen gänzlich abgelehnt wurde und auch weiterhin abgelehnt wird.679

671 

Zur Beweislastverteilung siehe Stadler, in: Jauernig BGB, §  818, Rn.  20. Siehe oben §  10 II 2 c. 673  Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, K, Rn.  23. 674  Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, K, Rn.  16. 675  Artt.  554 f. CPC. 676  Dies kritisieren ausdrücklich Jauernig/Hess, §  86, Rn.  11. 677  Grundlegend zur Anerkennung und den konkreten Voraussetzungen BGHZ 21, 285 (288 f.) und Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  42, Rn.  12 ff. Ausführlich zum Meinungsstand bez. des Par­ teiwechsels in erster und in zweiter Instanz Musielak, Rn.  216 f. 678  BGH NJW 1997, 2885 (2886); anders noch BGH NJW 1988, 2298 (2299). 679  So Hüßtege, in: Thomas/Putzo ZPO, Vor. §  50, Rn.  26 m. w. N. unter Verweis auf die funk­ tionelle Zuständigkeit des Rechtsmittelgerichts, welche der Begründung eines neuen Prozess­ rechtsverhältnisses entgegenstehe; für eine Anerkennung hingegen Musielak, Rn.  225. Siehe fer­ ner Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, K, Rn.  16 ff. m. w. N. und Lüke, Rn.  101. 672 

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(i)  Problemaufriss: Sachlegitimation des Dritten als neue Tatsache Seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes zeichnet sich bezüglich des Parteiwechsels und der Parteierweiterung ein Rechtsprechungswandel zugunsten der Vorschriften über die Klageänderung ab.680 Den Hintergrund der Entwicklung bildet der vom Reformgeber angestrebte Funktionswandel der Berufung (§§  529 ff. ZPO).681 Die Zurechnung des streitgegenständlichen Sachverhaltes zum betroffe­ nen Dritten war regelmäßig nicht Verhandlungsgegenstand des eingangsgerichtli­ chen Verfahrens. Bei dem Vortrag zur Passivlegitimation des Dritten handelt es sich folglich stets um neue Tatsachen. Bei strenger Lesart der zitierten Vorschriften könnte daher der Eindruck entstehen, dass sowohl der Parteiwechsel als auch die Parteierweiterung in der Berufung nunmehr per se ausgeschlossen seien.682 (ii)  Analyse der neueren berufungsgerichtlichen Rechtsprechung Ausdrücklich mit der Frage der Zurechnung des eingangsgerichtlichen Verfahrens­ stoffs zum hinzutretenden Dritten haben sich insbesondere das Oberlandesgericht Rostock683 und das Oberlandesgericht Düsseldorf684 befasst. Vor dem Hintergrund der akzessorischen Gesellschafterhaftung gemäß §  128 HGB (analog) ließ das Ober­ landesgericht Rostock den nachträglichen Verfahrenseintritt eines Dritten auf Be­ klagtenseite gestützt auf dessen unstreitige Gesellschafterstellung zu.685 Das Ober­ landesgericht Düsseldorf vertrat in einem obiter dictum die Ansicht, dass ein Partei­ wechsel, dessen Notwendigkeit sich aufgrund einer fehlerhaften Bewertung der Aktivlegitimation ergebe, auf der Grundlage der §§  533 Nr.  2, 529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO zuzulassen sei.686 Die Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf steht im Einklang mit der Korrekturfunktion des reformierten Beru­ fungsverfahrens. Das Urteil des Oberlandesgerichts Rostock entspricht der Recht­ sprechung des Bundesgerichtshofs zur Berücksichtigung unstreitiger Tatsachen im Rahmen von §  533 Nr.  2 ZPO.687 Unberücksichtigt lässt das Urteil des Oberlandes­ 680  Siehe etwa OLG Koblenz BeckRS 2009, Nr.  12806 zum Parteiwechsel und OLG Rostock BeckRS 2010, Nr.  27116 zur Parteierweiterung. 681  Siehe auch die Erläuterungen bei Jauernig/Hess, §  86, Rn.  14 zum Parteiwechsel und bei Lüke, Rn.  101 zur Parteierweiterung. 682  Vgl. Huber, in: van Compernolle/Saletti, S.  231 (242) und Crummenerl GRUR 2009, 245 (246); ähnlich kritisch Heßler, in: Zöller ZPO, §  533, Rn.  4. 683  OLG Rostock MDR 2005, 1011 (1011), der Volltext der Entscheidung ist verfügbar als OLG Rostock BeckRS 2010, Nr.  27116 – Parteierweiterung auf Beklagtenseite. 684  OLG Düsseldorf BeckRS 2004, Nr.  31380462 – Parteiwechsel auf Klägerseite. 685  OLG Rostock a. a. O. 686  OLG Düsseldorf a. a. O. Materiell-rechtlicher Hintergrund der Entscheidung war die Frage nach der Geltendmachung von Gesamthandsforderungen; hierzu auch BGH NJW 2003, 1043 (1043). 687  Vgl. die Rechtsprechung des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Klageänderung BGH NZG 2011, 697 (697) und zur Widerklage BGH NJW-RR 2005, 437 (437); ebenso Hirtz, in: Eichele/Hirtz/Oberheim, K, Rn.  20.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

gerichts Rostock allerdings, dass der unstreitige Vortrag in der konkreten Konstel­ lation eine sachliche und personelle Erweiterung des Rechtsstreits begründet. In bemerkenswerter Weise haben auch das Landesarbeitsgericht Baden-Würt­ temberg688 und das Landesarbeitsgericht München689 zur Frage der zweitinstanzli­ chen Parteiänderung Stellung bezogen. Das Landesarbeitsgericht München erklärte den aufgrund einer Unternehmensnachfolge notwendig gewordenen Parteiwechsel auf Beklagtenseite mit dem Argument für zulässig, dass der „Streitstoff im Wesent­ lichen derselbe“ bleibe. Demgegenüber wies das Landesarbeitsgericht Baden-Würt­ temberg die beantragte Parteiänderung auf Beklagtenseite mit der Begründung zu­ rück, dass die gegen den Dritten erhobene Forderung einen bislang nicht streitge­ genständlichen Zeitraum betreffe. Beide Urteile entsprechen einander darin, dass sie die Zurechnung des streitgegenständlichen Sachverhaltes zum hinzutretenden Dritten nicht als gesonderten Prüfungspunkt im Rahmen des §  533 Nr.  2 ZPO be­ handeln.690 Problematisch ist die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts München. Mit dem Hinweis auf den „im Wesentlichen“ identischen Streitstoff verwischt das Gericht die Grenzen des zweitinstanzlich zulässigen Sachvortrages und verschleiert den Blick auf die sich zusätzlich stellende Frage der Sachlegitimation. (iii)  Notwendigkeit einer teleologischen Korrektur des §  533 ZPO? Es stellt sich damit die Frage, wie die einzelnen Anwendungsformen des §  533 Nr.  2 ZPO im Rahmen der Parteiänderung einem allgemeinen Prinzip zugeführt werden können. 1)  Überblick über die bestehenden wissenschaftlichen Lösungsansätze Ein Teil des Schrifttums versucht, die Zulässigkeit der Parteiänderung in der Beru­ fung in allgemeiner Form mit dem Hinweis auf den vermeintlichen Zweck des Zi­ vilprozessreformgesetzes zu begründen: Um ein drohendes Folgeverfahren zu ver­ meiden und den ökonomischen Zweck des §  533 Nr.  2 ZPO nicht zu konterkarieren, sei die berufungsrechtliche Parteiänderung grundsätzlich zuzulassen.691 Weiterhin findet sich der Vorschlag einer teleologischen Reduktion des §  533 Nr.  2 ZPO: Die Vorschrift diene dem Zweck, eine „Flucht in die Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage“ zur Umgehung der §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO zu verhindern. Eine Parteiänderung böte aber aufgrund der subjektiven Erweiterung des Rechts­ streits nicht das Potenzial einer Flucht in die Klageänderung und sei daher nicht 688 

LAG Baden-Württemberg BeckRS 2009, Nr.  68152 – Parteierweiterung auf Beklagtenseite. LAG München BeckRS 2009, Nr.  67659 – Parteiwechsel auf Beklagtenseite. 690  Die Besonderheiten des arbeitsgerichtlichen Verfahrens (§§  6 4 Abs.  6, 67 ArbGG) waren hierbei nicht von Bedeutung. 691  So Huber, in: van Compernolle/Saletti, S.  231 (242), der aber mit Verweis auf §§  533 Nr.  2 , 529 Abs.  1, 531 ZPO eine sachliche Beschränkung des zulässigen Verfahrensstoffs innerhalb des neu begründeten bzw. modifizierten Prozessrechtsverhältnisses fordert. 689 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 179

vom gesetzgeberischen Zweck des §  533 Nr.  2 ZPO erfasst.692 Der Vortrag hinsicht­ lich der Zurechnung des streitgegenständlichen Geschehens zum hinzutretenden Dritten erfolge vielmehr, um die Parteiänderung zu ermöglichen, nicht aber erfolge die Parteiänderung um des Vortrages neuer Tatsachen willen. 2)  Vergleichende Übertragung der Fälle in das französische Recht Im französischen Rechtsmittelverfahren setzen der Parteiwechsel und die Parteier­ weiterung auf Betreiben eines Verfahrensbeteiligten (sog. intervention forcée) aus­ weislich des Art.  555 CPC eine évolution du litige und damit die Enthüllung eines tatsächlichen oder rechtlichen Umstandes aufgrund oder im Anschluss des erstins­ tanzlichen jugement voraus.693 Ist die intervention forcée zulässig, können die damit verbundenen Fragen („questions nées de l’intervention d’un tiers“) gemäß Art.  564 CPC vollumfänglich in das Verfahren vor der Cour dʼappel eingeführt werden.694 Die Zulässigkeit neuen Tatsachenvortrages ergibt sich aus der allgemeinen Regel des Art.  563 CPC. Um eine évolution du litige handelt es sich auch bei der Unternehmensnachfol­ ge,695 wie sie dem vorgenannten Urteil des Landesarbeitsgerichts München zugrun­ de lag. Die Berücksichtigung eines nur „im Wesentlichen“ identischen Verfahrens­ stoffs gestattet Art.  563 CPC, während es hierzu im deutschen Berufungsverfahren der besonderen Voraussetzungen der §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO bedarf.696 Die Ausweitung der Klage auf einen weiteren Gesellschafter, den der Kläger bereits in das erstinstanzliche Verfahren hätte einbeziehen können, ist demgegenüber nicht vom Begriff der évolution du litige erfasst.697 Das Urteil des Oberlandesgerichts Rostock übersteigt somit rechtsvergleichend die Gewährleistungen der französi­ schen voie d’achèvement. 3)  Für eine konsequente Anwendung des §  533 Nr.  2 ZPO Die für das deutsche Recht geäußerte Ansicht, die auf der Grundlage der Verfahren­ sökonomie eine generelle Zulassung der berufungsrechtlichen Parteiänderung for­ 692 

Crummenerl GRUR 2009, 245 (246 f.). Cass. ass. plén., 11 mars 2005, Bull. ass. plén. 2005, n°  4, bestätigt durch Cass. ch. mixte, 9 novembre 2007, Bull. ass. plén, 2007, n°  10. 694  Zur systematischen Korrespondenz beider Normen Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  966 f. 695  Siehe Cass. soc., 19 mars 1980, Bull. civ. V 1980, n°  267, wonach die Qualifikation eines Unternehmensübergangs als évolution du litige im rechtsmittelrechtlichen Sinn ausgeschlossen ist, wenn die zugrunde liegenden Planungen bereits während des eingangsgerichtlichen Verfah­ rens bekannt waren. 696  Das Landesarbeitsgericht München ging darauf nicht ein. 697  Entscheidender Zeitpunkt ist der Schluss der mündlichen Verhandlung (clôture); siehe Cass. 1re civ., 10 décembre 1991, Gaz. Pal. 1992 (Panorama de la Cour de cassation), 77 (77) sowie Cass. com., 19 mars 1991, D. 1991 (Informations rapides), 114 (114) und Cass. ch. mixte, 9 novembre 2007, Bull. ass. plén, 2007, n°  10. 693 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

dert, überspannt das Ökonomieverständnis des deutschen Reformgebers.698 Darü­ ber hinaus führt die Ansicht zu Folgefragen, die anhand des zitierten Urteils des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg deutlich werden. Wäre die Zulässigkeit der Parteiänderung zur Vermeidung von Folgeverfahren aus prozessökonomischen Gründen per se zuzulassen, müsste konsequenterweise dasselbe für den Vortrag neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel gelten. Insbesondere in gesamtschuldneri­ schen Konstellationen böte dann aber die Parteiänderung eine nahezu uneinge­ schränkte Möglichkeit der Flucht in die Klageänderung.699 Ähnliches gilt für den Fall des Oberlandesgerichts Rostock: Die Ausdehnung der Klage auf einen weiteren akzessorisch haftenden Gesellschafter ermöglicht diesem, eigene Einwendungen sowie verbliebene Einwendungen der Gesellschaft gegen die vom Kläger erhobenen Ansprüche geltend zu machen, §  129 HGB.700 Unabhängig vom Verfahrensstadium wäre der Kläger in beiden Fällen nach den Grundsätzen des rechtlichen Gehörs (Art.  103 Abs.  1 GG) und der prozessualen Waffengleichheit zum Gegenvortrag be­ rechtigt.701 Der verfahrenserleichternde Zweck der §§  529 ff. ZPO würde hiernach verfehlt, sofern der Gesellschafter bereits im erstinstanzlichen Verfahren hätte ver­ klagt werden können. Aus vergleichbaren Gründen ist auch eine teleologische Reduktion des §  533 Nr.  2 ZPO abzulehnen. Wie insbesondere die Rechtsansicht des Oberlandesgerichts Düsseldorf belegt, führen die §§  533 Nr.  2, 529 Abs.  1 Nr.  1 u. 2, 531 Abs.  2 ZPO bei konsequenter Anwendung zu sachgerechten Lösungen, was bereits die Erforder­ lichkeit einer teleologischen Reduktion im Sinne eines „präzisierenden Elements“702 in Frage stellt. Auch insoweit ist das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-Würt­ temberg von ergänzender Bedeutung: Hätte das Gericht im genannten Fall die Par­ teiänderung infolge einer teleologischen Reduktion des §  533 Nr.  2 ZPO zugelassen, hätte es den gegenüber dem Dritten erhobenen Anspruch aufgrund der §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 ZPO mangels hinreichenden Tatsachenvortrages als un­ schlüssig und damit als unbegründet abweisen müssen. Das Ziel des reformierten §  533 Nr.  2 ZPO besteht allerdings neben der Straffung des Rechtsmittelverfahrens auch darin, die Zurückweisung einer verspäteten Klageänderung, Aufrechnung oder Widerklage als unbegründet zu verhindern.703 Eine teleologische Reduktion des §  533 Nr.  2 ZPO allein in Bezug auf die Parteiänderung liefe diesem Zweck zu­ wider. Es zeigt sich somit, dass eine Zulassung der berufungsrechtlichen Parteiän­ derung allein aufgrund der unstreitigen Passivlegitimation des hinzutretenden Drit­ ten ohne sachliche Rechtfertigung gemäß §  531 Abs.  2 ZPO im Widerspruch zum 698 

Vgl. oben §  10 III 1 c bb (3). Vgl. hierzu §  425 Abs.  2 BGB a. E. sowie Gottwald, in: MüKo ZPO, §  325, Rn.  85. 700  So auch das OLG Rostock a. a. O. 701  Vgl. Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  82, Rn.  9 – rechtliches Gehör als Recht zur Gegenäu­ ßerung. 702  So die Definition bei Brandenburger, S.  57 f. 703  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  102. 699 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 181

reformierten Berufungsrecht steht. Zwar beruht die Zulassung unstreitigen Tatsa­ chenvortrages im Berufungsverfahren im Allgemeinen auf der zutreffenden Erwä­ gung, dass die andernfalls drohende Einschränkung des rechtlichen Gehörs nach den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit nicht zu rechtfertigten sei.704 Im Fall der Parteiänderung erfolgt aber gerade keine Beschränkung des rechtlichen Gehörs. Es bleibt dem Rechtsmittelführer unbenommen, eine neuerliche Klage gegen den Drit­ ten anzustrengen.705 Zwar mag das Ergebnis unter dem Aspekt der Verfahrensöko­ nomie in einzelnen Fällen unbefriedigend sein. Es entspricht aber der vom Reform­ geber beabsichtigten Konzentration des Verfahrens in der ersten Instanz. Letztlich belegt dies auch ein Blick auf das französische Recht. Wenn hiernach die für die Parteiänderung notwendige Voraussetzung einer évolution du litige den Vorrang der reformatorischen Funktion des appel vor dessen Eigenschaft als voie d’achève­ ment betonen soll, kann für die Berufung nichts anderes gelten. Um ein Wort ­Crozés bezüglich der intervention forcée auf das deutsche System zu übertragen: „Assigner tout ce qui bouge, tel est le conseil pratique que l’on peut donner à la lecture de l’arrêt […].“706

2.  Die évocation im französischen Zivilverfahren und Parallelen im deutschen Zivilprozess Eine Besonderheit des Verfahrens vor der Cour d’appel ist der Umgang mit erstins­ tanzlichen Prozessresten.707 Es handelt sich hierbei um Teile des Rechtsstreits, die das Eingangsgericht zum Zeitpunkt des appel noch nicht entschieden hat und die daher nicht vom Devolutiveffekt erfasst sind.708 a)  Dogmatische und historische Grundlagen der évocation Unter den Voraussetzungen von Art.  568 CPC hat die Cour d’appel die Möglichkeit, die entsprechenden Prozessreste an sich zu ziehen. Erforderlich ist, dass sich der zulässige appel gegen ein jugement richtet, das den Streitgegenstand nicht erschöp­ fend erfasst. Nach der Rechtsprechung der Cour de cassation709 betrifft dies die Fälle eines vorzeitigen appel gegen die décision ordonnant l’expertise (Art.  272 704 

Grundlegend BGH NJW 2005, 291 (293). So die Konzeption des Reformgebers; siehe die Begründung des Gesetzentwurfs der Bun­ desregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  102. 706  So Croze Procédures 4/2007 (Commentaires), n°  89 in Bezug auf Cass. 2e civ., 23 novembre 2006, a. a. O. – „Alles zu laden, was sich bewegt, das ist der praktische Rat, den man angesichts der Lektüre des Urteils geben kann“ (Übers. d. Verf.). 707  So die Terminologie bei Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  138, Rn.  20 in Bezug auf das deut­ sche Zivilverfahren. Bezüglich des französischen Rechts spricht Habscheid, in: FS Beitzke, S.  1051 (1061) auch vom „Rest des Streitgegenstandes“. 708  Zur dogmatischen Unterscheidung von dévolution und évocation siehe Ouaissi/Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 717 (2014), Rn.  3 ff. 709  Zusammenfassend Cass. BICC n°  620, 6/2005 (Communication), 5 (11). 705 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

CPC) und den sursis à statuer (Art.  380 CPC).710 Betroffen sind weiterhin der appel gegen ein jugement mixte (Art.  544 Abs.  1 CPC) und der appel gegen ein Prozessur­ teil aufgrund einer verfahrensbeendenden Prozesseinrede (exception de procédure mettant fin à l’instance, Art.  544 Abs.  2 CPC).711 Über das Recht der évocation verfügt die Cour d’appel darüber hinaus gemäß Art.  89 CPC im Zusammenhang des contredit de compétence.712 Der contredit de compétence eröffnet den Parteien die Möglichkeit, eine vom Eingangsgericht zurückgewiesene Zuständigkeitsrüge (exception de compétence, Art.  75 CPC) a limine litis der Cour d’appel zuzuleiten, Artt.  81 ff. CPC.713 Als spezieller Zuständigkeitsrechtsbehelf findet der contredit de compétence keine Entsprechung im deutschen Recht.714 Gemeinsame Voraussetzung der évocation sowohl im Rahmen des appel (Art.  568 CPC) als auch im Zusammenhang des contredit de compétence (Art.  89 CPC) ist, dass die Cour d’appel eine umfassende Entscheidung des Rechtsstreits als sinnvoll und geboten erachtet (Aspekt der bonne justice). Das Einverständnis der Parteien ist nicht notwendig.715 Bis zur Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile war die évocation auf der Grundlage von Art.  473 anc. CPC716 nur zuläs­ sig, wenn die Cour d’appel die angegriffene Entscheidung als formell fehlerhaft verwarf. Die Entkoppelung der évocation vom Erfordernis einer fehlerhaften Ent­ scheidung wird in der wissenschaftlichen Literatur als Funktionswandel der évo­ cation betrachtet: Bestand ihr Zweck noch unter der Geltung des Ancien Code de procédure civile darin, eine Wiederholung prozessualer Fehler durch das Eingangs­ 710  Siehe oben §  6 I 2 sowie CA Nîmes, 7 juillet 2009, n°  08/03270 (Lamyline). Ausführlich zu Grenzfragen des sachlichen Anwendungsbereichs der évocation etwa Cohen, in: Mélanges Héron, S.  173 (176 ff.) sowie Gallet, Rn.  147 und Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  481. 711  Zur Statthaftigkeit des appel immédiat siehe oben §  6 I 2. 712  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1763 ff.; Gallet, Rn.  305 f. 713  Fallen die Zuständigkeitsentscheidung und die Sachentscheidung des Eingangsgerichts in einem jugement zusammen, ist der appel unter den Voraussetzungen der Artt.  78 f. CPC statthaft; hierzu Douchy-Oudot, Rn.  196. 714  Hiernach ist gegen die Zurückweisung eines Verweisungsantrages gemäß §  281 Abs.  1 S.  1 ZPO kein Rechtsbehelf statthaft. Während eine nachträgliche Überprüfung der Zuständigkeit im Rahmen der Berufung ausdrücklich an §  513 Abs.  2 ZPO scheitert, wird die Statthaftigkeit der sofortigen Beschwerde nach Maßgabe des §  567 Abs.  1 Nr.  2 ZPO zwar einhellig jedoch mit unter­ schiedlichen Begründungen abgelehnt. Zum Teil wird auf den Wortlaut des §  281 Abs.  2 S.  2 ZPO verwiesen (so Reichold, in: Thomas/Putzo ZPO, §  281, Rn.  11 und Foerste, in: Musielak, §  281, Rn.  11). An anderer Stelle wird der Zurückweisung bereits die Qualität einer rechtsmittelfähigen Entscheidung abgesprochen; so Leipold, in: Stein/Jonas, §  281, Rn.  31 und OLG Oldenburg NJWRR 1992, 828 (828). 715  Siehe Cass. 1re civ., 2 décembre 1975, Bull. civ. I 1975, n°  354; hierzu Gallet, Rn.  146. An­ lässlich der Einführung des (Nouveau) Code de procédure civile hat Habscheid die Frage aufge­ worfen, ob die französische évocation aufgrund ihrer allgemeinen Form dem Recht auf den gesetz­ lichen Richter und dem Gebot des rechtlichen Gehörs entspreche; siehe Habscheid, in: FS Beitzke, S.  1051 (1061). Auf französischer Seite wird die Frage der Grundrechtskonformität der évocation allerdings nur sehr zurückhaltend diskutiert; vgl. etwa Lefort Théorie, Rn.  103 ff. 716  Zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806 sowie zuletzt nach Moreau anc. CPC 1971. Zur Entwicklung der Norm während der Geltungsdauer des Ancien Code de procédure civile siehe Vincent D. 1973 (Chronique), 179 (186 f.) und Morel (1949), Rn.  637.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 183

gericht zu vermeiden,717 dient sie nunmehr uneingeschränkt der Verfahrensbe­ schleunigung und damit der Entlastung der Parteien und der Justiz.718 Das tatbe­ standliche Merkmal der bonne justice dient hiernach dem Zweck, ein Gleichgewicht zwischen dem double degré de juridiction und dem Ziel einer zügigen Verfahren­ serledigung herzustellen.719 Die Anwendung des Merkmals steht im freien Ermes­ sen der Cour d’appel, die Cour de cassation leistet lediglich eine Evidenzkontrolle nach dem Grundsatz des fair trial gemäß Art.  6 Abs.  1 EMRK.720 Entscheidet sich die Cour d’appel, die in erster Instanz verbliebenen Teile des Rechtsstreits zu evo­ zieren, sind die Parteien berechtigt, die entsprechenden Angriffs- und Verteidi­ gungsmittel vorzutragen. Die Zulässigkeit des Sachvortrages ergibt sich unproble­ matisch aus der allgemeinen Vorschrift des Art.  563 CPC.721 b)  Vergleichbare Fälle einer Evokation in der deutschen Rechtspraxis Wenngleich die deutsche und die französische Entscheidungsdogmatik nur bedingt miteinander vergleichbar sind,722 bietet auch das deutsche Recht diverse Anknüp­ fungspunkte eines „Heraufholens“723. Eine allgemeine Regel ist dem deutschen Recht allerdings fremd.724 Die Grundlagen der Evokation ergeben sich aus dem Ver­ hältnis der berufungsgerichtlichen Entscheidungs- und der Zurückverweisungs­ kompetenzen gemäß §  538 ZPO.725 Hiernach kann das Berufungsgericht im Fall der Berufung gegen ein Grundurteil (§  304 ZPO) auch über den Betrag entscheiden, sofern die Sache diesbezüglich spruchreif ist, §  538 Abs.  2 S.  1 Nr.  4 ZPO.726 Im Interesse einer einheitlichen Entscheidung ist das Berufungsgericht weiterhin im Rahmen der Berufung gegen ein Teilurteil über den noch offenen Teil des Rechts­ streits zur Entscheidung befugt, sofern das Teilurteil als solches gemäß §  301 ZPO 717  Hierzu Morel (1949), Rn.  637 und Lepage, S.  345. Eine ausführliche Dokumentation der Rechtsprechung zu den theoretischen und praktischen Rechtfertigungsansätzen und dem daraus resultierenden Geltungsbereich der évocation auf der Grundlage von Art.  473 anc. CPC findet sich bei Moreau anc. CPC 1971, Art.  473, Rn.  6 ff. Zur évocation während der Zeit des Ancien Régime siehe Kernaleguen, Rn.  127 sowie von deutscher Seite Schilling, S.  316 (Rn.  10). Eine umfassende historische Analyse des Rechts der évocation bietet Carles, S.  17 ff. 718  So bereits Vincent D. 1973 (Chronique), 179 (186 f.); siehe ferner Cohen, in: Mélanges Héron, S.  173 (175) und Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1267. 719  Siehe Lefort Théorie, Rn.  105 u. 876 sowie Gallet, Rn.  148. 720  Cass. 2e civ., 21 avril 2005, Bull. civ. II 2005, n°  110. Zur grundsätzlichen Bedeutung von Art.  6 Abs.  1 EMRK im französischen Verfahrensrecht siehe Ferrand, in: FS Henrich, S.  133 (135). 721  Vgl. Art.  568 Abs.  2 CPC; hierzu Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  1023 ff. 722  Siehe hierzu die Ausführungen unter §  5 und §  6 I 3. 723  So etwa die Terminologie bei Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  538, Rn.  67 mit zahl­ reichen Beispielen und Nachweisen. 724  Historisch-rechtsvergleichend etwa Carles, S.  160 f. Grundlegend für die gegenwärtige Pra­ xis BGH NJW 1959, 1824 (1824 f.) mit Hinweis auf §  537 ZPO a. F. 725  Ausführlich Saueressig, S.  171 ff. 726  Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  538, Rn.  59 m. w. N.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

nicht hätte erlassen werden dürfen, §  538 Abs.  1, 2 S.  1 Nr.  7 ZPO.727 Nach der An­ sicht des Bundesgerichtshofs und Teilen der wissenschaftlichen Literatur könne das Berufungsgericht darüber hinaus auch im Fall einer objektiven Häufung logisch aufeinander aufbauender Klagen sowie im Fall der Stufenklage die Klage insgesamt abweisen, sofern es den grundlegenden Antrag abweist.728 Schließlich sei das Beru­ fungsgericht nach der Rechtsprechung auch dann befugt, den eingangsgerichtlich noch nicht entschiedenen Teil des Verfahrens an sich zu ziehen, wenn beide Parteien diesem Vorgehen zustimmen.729 c)  Zur Vereinbarkeit der gerichtlichen Praxis mit dem Funktionswandel der Berufung Der Gesetzgeber des Zivilprozessreformgesetzes hat sich nicht zur Zulässigkeit der Evokation geäußert. Lediglich im Rahmen des Entwurfs eines Gesetzes zur Siche­ rung von Werkunternehmeransprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG) aus dem Jahr 2006 gab der Bundesrat an, die bestehende gerichtliche Praxis des sog. „Hochziehens“ trotz der ursprünglich geplanten Ergänzungen der Vorschriften über das Teilurteil gemäß §  301 ZPO nicht ändern zu wollen.730 Mit Blick auf die Äußerung des Bundesrates und den Wandel der Berufung von einer zweiten Tatsacheninstanz zu einer Fehler­ korrekturinstanz ist fraglich, ob die bisherige Rechtspraxis weiterhin fortgesetzt werden kann.731 Die Frage konzentriert sich auf die Fälle des „Hochziehens“ kraft Einwilligung, denen es im Unterschied zu den auf §  538 ZPO basierenden Fällen an 727  Siehe BGH NJW 1999, 1035 (1036) sowie Ball, in: Musielak ZPO, §  538, Rn.  36. Zurückhal­ tender OLG Saarbrücken BeckRS 2010, Nr.  22239, wonach es zusätzlich auf das Einverständnis der Parteien ankomme; ebenso Gerken, in: Wieczorek/Schütze ZPO, §  538, Rn.  67; offen gelassen von OLG Schleswig BeckRS 2007, Nr.  02851. 728  Entschieden ist dies bislang für die objektive Häufung von Feststellungsklage und sachlich untergeordneter Leistungsklage (hierzu BGH NJW 1959, 1827 (1828)) sowie für die Häufung von Unterlassungsklage und Schadensersatzklage (hierzu BGH NJW 1969, 678 (679)) und schließlich für die Stufenklage (hierzu BGH NJW 1985, 2405 (2407)). Zum Ganzen siehe Musielak, in: MüKo ZPO, §  301, Rn.  22 und Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  138, Rn.  24 mit dem Hinweis auf den feh­ lenden Nutzen einer eingangsgerichtlichen Verfahrensfortsetzung. 729  Siehe BGH NJW 1986, 2108 (2112) m. w. N. Siehe ferner die Nachweise bei Leipold, in: Stein/Jonas ZPO, §  301, Rn.  34 u. 40. Anders – wohl aber als Einzelfall zu werten – BGH NJW 1984, 120 (121). 730  Begründung des Gesetzentwurfs des Bundesrates eines Forderungssicherungsgesetzes, BT-Drucks. 16/511, S.  18. 731  Die noch im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen der Zivilprozessordnung wurden letztlich aufgrund dogmatischer Bedenken vom Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zu­ rückgestellt, was allerdings keine Rückschlüsse auf die Legitimität der Praxis des „Hochziehens“ erlaubt; siehe hierzu die Beschlussempfehlung und den Bericht des Rechtsausschusses, BTDrucks. 16/9787, S.  17 u. 19 und vgl. schließlich das Gesetz zur Sicherung von Werkunternehmer­ ansprüchen und zur verbesserten Durchsetzung von Forderungen (Forderungssicherungsgesetz – FoSiG) vom 23. Oktober 2008, BGBl. 2008 I, S.  2582 ff. Zu den vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen des §  301 ZPO siehe ferner Leipold, in: Stein/Jonas ZPO, §  301, Rn.  44 ff.

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einer positiven Verankerung im reformierten Berufungsrecht fehlt. Entscheidend ist hierbei die Begründung, mit welcher der Bundesgerichtshof bis zum Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes die Evokation rechtfertigte: „Sie [die Evokation – Anm. d. Verf.] steht der Klageerweiterung und der Klageänderung in der Berufungsinstanz, die jedenfalls mit Einwilligung des Gegners zulässig sind, so nahe, daß eine unterschiedliche Beurteilung willkürlich erscheinen müßte.“732

Zwar erscheint die Argumentation des Bundesgerichtshofs auf den ersten Blick plausibel; es stellt sich aber die Frage, ob sie auch vor dem Hintergrund des refor­ mierten §  533 ZPO Bestand haben kann. Grundsätzlich wären die Parteien im Fall einer Evokation wohl regelmäßig berechtigt, die bestehenden Lücken ihres Vortra­ ges hinsichtlich der evozierten Teile des Rechtsstreits gemäß §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 S.  1 Nr.  3 ZPO nachträglich zu schließen. Die Vorschrift des §  531 Abs.  2 ZPO führt allerdings zu der weiteren Frage, ob der hiernach zuzulassende Tatsa­ chenstoff auch bezüglich des bereits entschiedenen Teils des Rechtsstreits verwen­ det werden darf. Besonders augenfällig wird das Problem, im Fall mehrerer Streit­ gegenstände, die sich allein aufgrund ihrer Anträge unterscheiden.733 Die Situation führt zwangsläufig in ein systematisches Dilemma: Eine umfassende Zulassung der Nova bezüglich sämtlicher Teile des Rechtsstreits stünde im Widerspruch zu §  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO. Sollte die Rechtsprechung auf dieser Grundlage eine umfassende Sperrwirkung des entschiedenen Teils statuieren, hätte dies über kurz oder lang einen Rückgang der Einwilligungsbereitschaft der Parteien zur Folge.734 Sollte die Rechtsprechung stattdessen den Tatsachenvortrag hinsichtlich der devolvierten und der evozierten Teile des Rechtstreits trennen, hätte dies eine „schizophrene“ Streit­ gegenstandsbetrachtung zur Folge.735 Unter Umständen wäre das Berufungsgericht gezwungen, sehenden Auges eine Entscheidung entgegen der materiellen Richtig­ keit zu treffen.736 Die bisherige Praxis der Evokation bedarf daher einer neuen sys­ tematischen Grundlage, die de lege lata nicht zu erkennen ist.737 Nichtsdestoweni­ ger wird in der wissenschaftlichen Literatur bereits vereinzelt eine Übertragung des Merkmals der Sachdienlichkeit gemäß §§  533 Nr.  1, 263 ZPO auf die richterrecht­ lich begründete Evokation als Alternative zur Einwilligung erwogen.738 Die darin liegende Verkürzung des gesetzlich vorgesehenen Instanzenzuges müsste über die 732 

BGH NJW 1986, 2108 (2112); ebenso OLG Frankfurt am Main JR 1984, 290 (290). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn der Kläger bezüglich einer deliktischen Schädigung neben der Zahlung eines Kapitalbetrags auch die Entrichtung einer Schmerzensgeldrente und die Feststellung der Haftung des Beklagten für Folgeschäden begehrt, so die Situation bei OLG Düs­ seldorf VersR 1989, 705 (705). 734  Nach dem Gebot des „sichersten Wegs“ (hierzu bereits oben §  10 II 1 c bb (3)) müsste ein anwaltlicher Rat gegen die Einwilligung lauten. 735  Zu diesem Argument siehe bereits oben §  10 III 1 c cc (1) (iii). 736  Zu diesem Argumentationsmuster siehe bereits oben §  10 III 1 c. 737  Zu demselben Ergebnis gelangt auch die theoretische Untersuchung bei Saueressig, S.  185 u. 198 auf der Grundlage von §  538 ZPO. 738  So Thole, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  301, Rn.  22 m. w. N. 733 

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

beschriebene Problematik hinaus unter dem Aspekt der Justizgewähr objektiv zu­ mutbar und gerechtfertigt sein.739 Auch aus Gründen der Rechtssicherheit wäre in­ soweit eine Kodifizierung der gerichtlichen Praxis geboten. Wie der Entwurf eines Forderungssicherungsgesetzes belegt, hat der Gesetzgeber das Phänomen des „Hochziehens“ zumindest zur Kenntnis genommen. Bei der Entwicklung einer ge­ setzlichen Regel könnte das französische Recht nach Maßgabe der bonne justice als Vorbild dienen. 3.  Der appel-nullité und der Schutz gegen grob fehlerhafte Entscheidungen Im Unterschied zur évocation, die eine quantitative Erweiterung des Rechtsmittel­ gegenstandes bewirkt, ermöglicht der appel-nullité auf der Grundlage richterlicher Rechtsfortbildung740 den Angriff erstinstanzlicher Entscheidungen wegen grober Verfahrensmängel.741 Das Ziel des appel-nullité ist die annulation des betroffenen jugement; das Verfahren entspricht dem Verfahren der Artt.  542 ff. CPC.742 Insoweit handelt es sich bei dem appel-nullité um den systematischen „clone“ das appel.743 a)  Der Anwendungsbereich des appel-nullité in Abgrenzung zu appel und pourvoi Der appel-nullité erfordert eine formelle oder materielle Kompetenzüberschreitung des Eingangsgerichts (excès de pouvoir) und die fehlende Statthaftigkeit sonstiger Rechtsbehelfe im konkreten Fall.744 Ein excès de pouvoir kann sich sowohl in Be­ zug auf die Zuständigkeit des erkennenden Gerichts als auch aufgrund einer Mis­ sachtung der Grenzen des Streitgegenstandes ergeben.745 Um einen excès de pouvoir handelt es sich außerdem bei einem jugement, das gegen eine Partei ergeht, die

739 

Vgl. BVerfG NJW 1986, 244 (244) und BVerfG NJW 2009, 572 (573). Grundlegend Cass. civ., 14 juin 1887, Rec. Sirey 1890 I (Jurisprudence de la Cour de cassation), 434 (436). Siehe ferner Gallet, Rn.  56 ff. – „création prétorienne“ sowie Cass. com., 12 mai 1992, Bull. civ. IV 1992, n°  182: „[…] aucune disposition ne peut interdire de faire constater, selon les voies de recours du droit commun, la nullité d’une décision entachée d’excès de pouvoir“ – „Keine Bestimmung vermag zu untersagen, gemäß den gesetzlichen Rechtsmitteln die Nichtigkeit einer Entscheidung festzustellen, die an einer Kompetenzüberschreitung leidet“ (Übers. d. Verf.). 741  Cass. BICC n°  620, 6/2005 (Communication), 5 (9). 742  Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 724 (2013), Rn.  4; Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1155. 743  So Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1155; siehe ferner Perrot Procédures 3/2008 (Commentaires), n°  68. 744  Siehe Cass. ch. mixte, 28 janvier 2005, Bull. ch. mixte 2005, n°  1. Betroffen sind hiervon insbesondere die Fälle des gesetzlichen Rechtsmittelausschlusses sowie die Fälle des zeitlich ver­ zögerten Rechtsschutzes im Rahmen prozessualer Nebenentscheidungen, daher auch die gelegent­ lich verwendete Bezeichnung appel-nullité autonome oder appel-nullité subsidiaire; hierzu Bléry Procédures 4/2012 (Focus), n°  12 m. w. N.; siehe außerdem Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 724 (2013), Rn.  18. 745  Der Zuständigkeitsbegriff im Rahmen des excès de pouvoir bezieht sich stets auf den Spruchkörper insgesamt, sodass etwaige Fehler seiner Zusammensetzung keinen excès de pouvoir begründen; siehe Cass. 2e civ., 17 novembre 2005, Procédures 1/2006 (Commentaires), n°  12. 740 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 187

nicht formell am Verfahren beteiligt oder nicht ordnungsgemäß geladen war,746 ferner bei einem jugement, das unter Missachtung einer wirksamen Schiedsklausel (convention d’arbitrage) ergeht.747 Die sachliche Beschränkung des appel-nullité auf die Fälle eines excès de pouvoir hat die Cour de cassation mit arrêt vom 28. Januar 2005 ausdrücklich bekräf­ tigt.748 Zuvor hatte der sachliche Anwendungsbereich des appel-nullité in der Rechtspraxis eine enorme Ausdehnung erfahren, die letztlich auch Verletzungen sonstiger Verfahrensprinzipien und Verfahrensgrundrechte (violation d’un principe essentiel de procédure) sowie Fälle evidenter Rechtswidrigkeit (méconnaissance fondamentale de la loi) erfasste.749 Insbesondere in Insolvenzverfahren, welche durch einen weitreichenden Rechtsmittelausschluss gekennzeichnet sind, konnte sich der appel-nullité aufgrund der vormals liberalen Rechtsprechung zu einem um­ fassenden Ersatzbehelf entwickeln.750 Seit dem arrêt vom 28. Mai 2005 sind der Schutz von Verfahrensprinzipien und Verfahrensgrundrechten sowie der Schutz gegenüber groben Rechtsverstößen dem gesetzlichen Dualismus aus appel und pourvoi en cassation vorbehalten. Dies ist sachgerecht, bietet doch das französische Rechtsmittelsystem durch das streitwertgebundene Nebeneinander von appel und pourvoi en cassation sowie durch den vergleichsweise weiten Begriff der annu­ lation bereits von Gesetzes wegen einen grundsätzlich lückenlosen Schutz der Ver­ fahrensgrundrechte und der sonstigen Verfahrensprinzipien.751 Nichtsdestoweniger wirft auch nach der Grundsatzentscheidung der Cour de cassation das Verhältnis zwischen dem appel-nullité und insbesondere dem pourvoi en cassation wiederkehrende Fragen auf. Entgegen der ursprünglichen Konzeption ei­ nes Notbehelfs hält die Rechtsprechung den appel-nullité vereinzelt auch dann für statthaft, wenn das durch einen excès de pouvoir belastete jugement den taux d’appel nicht erreicht und im konkreten Fall der pourvoi en cassation gemäß Artt.  604 f. CPC statthaft wäre.752 Die Rechtsprechung beruft sich auf ein praktisches Bedürf­ nis, wonach der betroffenen Partei im Fall eines excès de pouvoir nicht zugemutet werden könne, das vergleichsweise aufwendige Verfahren vor der Cour de cas­

746  Cass. com., 23 novembre 1955, JCP éd. G 1956 II (Jurisprudence), n°  9159; siehe ferner Gallet, Rn.  59. 747  Cass. 2e civ., 27 juin 2002, Bull. civ. II 2002, n°  146. Siehe darüber hinaus die Beispiele bei Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 724 (2013), Rn.  23 ff. sowie die empirische Analyse bei Sommer, in: Rencontres, S.  108 passim. 748  Vgl. Cass. ch. mixte, 28 janvier 2005, Bull. ch. mixte 2005, n°  1; hierzu Bléry Procédures 4/2012 (Focus), n°  12. Offenbar übersieht dies Douchy-Oudot, Rn.  657. 749  Zusammenfassend Gallet, Rn.  58 und Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 724 (2013), Rn.  22 ff. 750  Ausführlich Robert Droit & Patrimoine 2/1998, 58 (59 f.) sowie Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 724 (2013), Rn.  12. 751  Siehe hierzu die Ausführungen zur annulation als gemeinsamem Verfahrensziel von appel und pourvoi en cassation unter §  10 I 1. 752  Vgl. Cass. com., 12 avril 2005, RTD com. 2005 (Chronique), 606 (606); anders noch Cass. 2e civ., 27 juin 1984, Bull. civ. II 1984, n°  122; hierzu Barret RTD civ. 1990, 199 (218).

188

Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

sation zu betreiben.753 Historisch ist die Auffassung problematisch, sah doch der Ancien Code de procédure civile gerade aus diesem Grund einzelne Ausnahmen von der Statthaftigkeit des pourvoi en cassation zugunsten des appel vor, die der Gesetzgeber des (Nouveau) Code de procédure civile jedoch nicht in das geltende Recht übernommen hat.754 Auch systematisch ist die Auffassung der Cour de cassation bemerkenswert, handelt es sich bei dem pourvoi en cassation doch um das idealtypische Rechtsmittel der annulation rechtsfehlerhafter Entscheidungen.755 Rechtsvergleichend führt die Rechtsprechung daher zu der grundsätzlichen Frage nach der Legitimität der streitwertgebundenen Parallelität von appel und pourvoi en cassation auf. Ihr soll im nachfolgenden vierten Teil dieser Arbeit nachgegangen werden. b)  Entsprechungen des französischen Schutzkonzepts im deutschen Verfahrensrecht Im Unterschied zum französischen Recht verfügt das deutsche Verfahrensrecht über keinen besonderen Rechtsbehelf zur Geltendmachung gerichtlicher Kompe­ tenzüberschreitungen. Urteile, die an einem schweren formellen Verfahrensfehler leiden, sind als wirkungslos oder wirkungsgemindert mit der Berufung anzufech­ ten.756 Gleiches gilt für Urteile, die sich durch eine unrechtmäßige Erweiterungen des Streitgegenstandes auszeichnen.757 Eine Scheinpartei kann sich gegen die zu ihrem Nachteil erlassenen Urteile mit dem regulär statthaften Rechtsmittel wen­ den.758 Sofern die Beschwer im konkreten Fall nicht die Erwachsenheitssumme der Berufung gemäß §  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO erreicht und das Eingangsgericht die Beru­ fung nicht gemäß §  511 Abs.  2, Abs.  4 S.  1 ZPO zugelassen hat, ist die betroffene Partei auf die Rechtsbehelfe der Zwangsvollstreckung angewiesen.759 Gegen die Missachtung einer Schiedsklausel durch ein staatliches Gericht können sich die Par­ teien bereits vorzeitig wenden, wenn über die Zulässigkeit der Klage gesondert ver­ handelt wird, §§  1032 Abs.  1, 280 Abs.  2 S.  1 ZPO.760 Im Ergebnis bietet damit auch das deutsche Recht ein geschlossenes Schutzkonzept. Gewichtige Unterschiede be­ stehen allerdings auf der Ebene der Verfahrensgrundrechte.

753 

So Barret RTD civ. 1990, 199 (218) und Cadiet, in: Colloque 1992, S.  27 (45). So in den Artt.  15 und 454 anc. CPC (zitiert nach Motifs et rapports anc. CPC 1806); siehe hierzu Lepage, S.  13 u. 332 f. sowie Barret RTD civ. 1990, 199 (201). 755  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1158; siehe ferner Cadiet/Normand/Amrani-Mekki, Rn.  275. 756  Siehe oben §  10 I 2. 757  Siehe Musielak, in: Musielak ZPO, §  308, Rn.  19 m. w. N. 758  BGH NJW-RR 1995, 764 (765). 759  Vgl. Arens/Lüke JURA 1982, 455 (455 f.). 760  Geimer, in: Zöller ZPO, §  1032, Rn.  15 ff. 754 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 189

c)  Unzureichender Schutz der Verfahrensgrundrechte im deutschen Rechtsmittelsystem Im französischen Zivilverfahren wird der Schutz der Verfahrensgrundrechte in Ab­ hängigkeit vom Streitwert lückenlos durch die alternative Statthaftigkeit von appel und pourvoi en cassation gewährleistet.761 Im Zivilverfahren nach deutschem Recht sind Beeinträchtigungen der Verfahrensgrundrechte im Urteilsverfahren grund­ sätzlich mit der Berufung geltend zu machen.762 Sofern die Berufung im konkreten Fall ausgeschlossen ist, kommt im Fall der Verletzung des rechtlichen Gehörs eine Anhörungsrüge gemäß §  321a Abs.  1 S.  1 ZPO in Betracht. Auf der Grundlage des allgemeinen Justizgewähranspruchs (Artt.  2 Abs.  1, 20 Abs.  3 GG) verlangt das Bundesverfassungsgericht auch im Übrigen eine Möglichkeit des fachgerichtlichen Grundrechtsschutzes. Betroffen von dieser verfassungsgerichtlichen Forderung sind neben dem allgemeinen Justizgewähranspruch insbesondere das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art.  101 Abs.  1 S.  2 GG) und das Willkürverbot (Art.  3 Abs.  1 GG) sowie das Recht auf ein faires Verfahren.763 Die Rechtsbehelfe der Zwangsvoll­ streckung bieten insoweit keinen hinreichenden Schutz. aa)  Widerstreitende Schutzkonzepte in Rechtsprechung und Rechtslehre Die Umsetzung der verfassungsgerichtlichen Forderung ist gegenwärtig nicht ab­ schließend geklärt.764 Die bestehenden Ansätze der Rechtsprechung und der wis­ senschaftlichen Literatur umfassen eine analoge Anwendung des §  321a ZPO,765 die Statthaftigkeit einer Gegenvorstellung als ungeschriebenem Rechtsbehelf766 sowie eine Kombination der Gegenvorstellung mit der Frist des §  321a ZPO.767 Zur Be­ gründung der Analogiefähigkeit des §  321a ZPO verweisen die Vertreter der erstge­ nannten Ansicht auf die historisch vorangegangene Rechtsprechung des Bundesver­ fassungsgerichts, die lediglich als eingeschränkter, nicht aber als einschränkender Regelungsauftrag an den Gesetzgeber zu verstehen sei.768 Dagegen findet sich der 761 

762 

Vgl. Gallet, Rn.  58 f. Dies folgt aus §  321a Abs.  1 S.  1 Nr.  1 ZPO; hierzu Thole, in: Prütting/Gehrlein ZPO, §  321a,

Rn.  3. 763  Siehe BVerfG NJW 2003, 1924 (1924) und Voßkuhle NJW 2003, 2193 (2197); siehe außer­ dem BVerfG NJW 2001, 3473 (3473) und BVerfG NJW 2009, 829 (831) sowie BVerfG NJW 2011, 1497 (1498 f.). Zur Abgrenzung von offensichtlichen und schwerwiegenden Rechtsfehlern von grundrechtsrelevanter Willkür siehe BGH NJW 2005, 153 (153 f.). 764  Ausdrücklich Musielak, in: Musielak ZPO, §  321a ZPO, Rn.  6; siehe ferner die Darstellung bei Althammer, in: Stein/Jonas ZPO, vor §  511, Rn.  66 ff. 765  Jauernig/Hess, §  29, Rn.  12; ferner Lipp, in: MüKo ZPO, Vor. §§  567 ff., Rn.  14, der sich jedoch im Grundsatz für eine Korrektur im Rahmen des gesetzlichen Rechtsbehelfssystems aus­ spricht. 766  BGH NJW 2004, 2529 (2529); BGH NJW-RR 2007, 1295 (1295). 767  So Musielak, in: Musielak ZPO, §  321a ZPO, Rn.  6; wohl auch BGH NJW 2005, 143 (144) – „(fristgebundene) Gegenvorstellung“. 768  Jauernig/Hess, §  29, Rn.  12.

190

Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Einwand, dass der Gesetzgeber die textliche Beschränkung des §  321a ZPO auf Ver­ letzungen des rechtlichen Gehörs bewusst getroffen und zudem ausführlich begrün­ det habe.769 In der Tat stützen sich sowohl der Regierungsentwurf770 des Zivilpro­ zessreformgesetzes als auch der Regierungsentwurf771 des nachfolgenden Anhö­ rungsrügengesetzes772 ausdrücklich auf Art.  103 Abs.  1 GG, wenngleich sich der Regierungsentwurf des Zivilprozessreformgesetzes auch auf verschiedene wissen­ schaftliche Abhandlungen bezieht, die neben dem fachgerichtlichen Schutz des rechtlichen Gehörs auch den Schutz weiterer prozessualer Grundrechte fordern.773 Der Reformgeber hat die Vorschrift des §  321a ZPO somit jedenfalls in Kenntnis der Forderung nach einer umfassenden Regelung formuliert und sie auch nicht nach­ träglich angesichts der wissenschaftlichen Diskussion im Rahmen des Anhörungs­ rügengesetzes tatbestandlich erweitert. Eine planwidrige Regelungslücke als Vor­ aussetzung einer Analogie774 kann demnach wohl nicht angenommen werden. bb)  Keine befriedigende Lösung in der Rechtspraxis Auch der Bundesgerichtshof lehnt eine analoge Anwendung des §  321a ZPO ab und erkennt stattdessen die Statthaftigkeit der Gegenvorstellung zum Schutz sonstiger prozessualer Grundrechte an.775 Als ungeschriebener Rechtsbehelf bietet die Ge­ genvorstellung in der Rechtspraxis jedoch keine befriedigende Lösung. Neben ihren im Einzelnen unklaren Anforderungen ist die Gegenvorstellung insbesondere nicht vom Subsidiaritätsvorbehalt der Verfassungsbeschwerde gemäß §  90 Abs.  2 S.  1 BVerfGG erfasst und daher nicht geeignet, den Fristbeginn der Verfassungsbe­ schwerde gemäß §  93 Abs.  1 BVerfGG aufzuschieben.776 Indem das Bundesverfas­ sungsgericht diese Frage seit einem Beschluss vom 25. November 2008 als geklärt erachtet,777 führt eine isolierte Gegenvorstellung nunmehr zwangsläufig zum Ver­ lust der Verfassungsbeschwerde. Es fehlt damit an einer inhaltlich befriedigenden

769 

Musielak, in: Musielak ZPO, §  321a ZPO, Rn.  6. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  85. 771  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Anhörungsrügengesetzes, BTDrucks. 15/3966, S.  5 unter wörtlicher Bezugnahme auf den parlamentarischen Entwurf, BTDrucks. 15/3706, S.  15; hierzu auch Vollkommer, in: Zöller ZPO, §  321a ZPO, Rn.  3a. 772  Gesetz über die Rechtsbehelfe bei Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Anhö­ rungsrügengesetz) vom 9. Dezember 2004, BGBl. 2004 I, S.  3220 ff. 773  Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformge­ setzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  85 mit Hinweis u. a. auf Gottwald, Gutachten 61. DJT, S. A 1 (A 27) – „aus sonstigen Gründen objektiv willkürlich“ und Kreft, in: FS Graßhof, S.  185 (195) – „Verlet­ zung von Verfahrensgrundrechten“. 774  Rüthers/Fischer/Birk, Rn.  889 f. 775  BGH NJW 2004, 2529 (2529); BGH NJW-RR 2007, 1295 (1295). 776  Ausdrücklich BVerfG NJW 2009, 829 (831). Zur unzureichenden Rechtsmittelklarheit der Gegenvorstellung bereits ausführlich Voßkuhle NJW 2003, 2193 (2198). 777  So ausdrücklich BVerfG NJW 2009, 829 (831). 770 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 191

und formell transparenten Lösung zum Schutz der Verfahrensgrundrechte unter­ halb der berufungsrechtlichen Erwachsenheitsumme in der Rechtspraxis. cc)  Für eine Anwendung der Nichtzulassungsbeschwerde zum Schutz der Verfahrensgrundrechte Zwar obliegen die Gewährleistung eines Instanzenzuges und die Ausgestaltung des Rechtsmittelsystems grundsätzlich dem parlamentarischen Gesetzgeber.778 Im Rahmen der Verletzung prozessualer Grundrechte kollidiert die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit jedoch mit dem verfassungsmäßigen Justizgewähranspruch. Den hieraus erwachsenden, gegenwärtig ungelösten Konflikt könnte eine Übertra­ gung der revisionsrechtlichen Nichtzulassungsbeschwerde gemäß §  544 ZPO sys­ temkonform lösen. In der wissenschaftlichen Literatur wurde etwa eine Analogie des §  544 ZPO bislang nur vereinzelt und in umfassender Form gefordert. So sei nach Ansicht Ebels die Nichtzulassungsbeschwerde generell auf das Wertsegment unterhalb der Erwachsenheitssumme der Berufung anzuwenden.779 Dem ist aller­ dings entegegenzusetzen, dass eine generelle Übertragung der Nichtzulassungsbe­ schwerde auf die Nichtzulassung der Berufung im Widerspruch zur rechtsmittel­ rechtlichen Gestaltungsfreiheit des parlamentarischen Gesetzgebers stünde. Die nachfolgenden Ausführungen beziehen sich daher ausschließlich auf eine Übertra­ gung der Nichtzulassungsbeschwerde zur Wahrung der Verfahrensgrundrechte. (1)  Zur Rechtslage vor und nach der Zivilprozessreform 2002 Bis zum Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes am 1. Januar 2002 war die Revision gemäß §  546 Abs.  1 ZPO a. F.780 nur im Fall einer Beschwer von über 60.000 DM oder bei Zulassung durch das Berufungsgericht statthaft. Die Parteien hatten keine Möglichkeit, sich gegen die Nichtzulassung der Revision zu wenden.781 Infolge des Zivilprozessreformgesetzes ist die vormalige Beschwerdewertrevision einer umfassenden Zulassungsrevision gewichen, vgl. §  543 ZPO. Nach der Konzep­ tion des Reformgebers dient die gleichzeitig neu eingeführte Nichtzulassungsbe­ schwerde (§  544 ZPO) der praktischen Kompensation der entfallenen Streitwertrevi­ sion und damit der Abmilderung der alleinigen Zuständigkeit der Berufungsgerichte für die Revisionszulassung.782 Die Zulassungsrevision und mit ihr die Nichtzulas­ sungsbeschwerde stünden nach dem Reformkonzept im Zeichen der Einheitlichkeit 778 

Grundlegend BVerfG NJW 1955, 17 (18 f.); siehe ferner Kapsa, in: FS Graßhof, S.  165 (176). Ebel ZRP 2001, 309 (310). 780  Zitiert nach Reuschle ZPO 2002. 781  Siehe BGH NJW 1989, 2758 (2758), bestätigt durch BGH NJW 1999, 290 (290 f.); kritisch noch Deubner JuS 2002, 267 (270). 782  So die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozess­ reformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  67. Siehe ferner Hannich, in: Hannich/Meyer-Seitz ZPO 2002, §  544, Rn.  2 sowie Roth JZ 2006, 9 (15 f.). 779 

192

Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

der Rechtsordnung,783 was insbesondere für die Wahrung der Verfahrensgrundrech­ te gelte: „Hierher gehören vor allem die Fälle, in denen Verfahrensgrundrechte, namentlich die Grundrechte auf Gewährung des rechtlichen Gehörs und auf ein objektiv willkürfreies Ver­ fahren, verletzt sind und deswegen Gegenvorstellung erhoben (BGH JZ 2000, 526) und Ver­ fassungsbeschwerde eingelegt werden könnte.“784

Mit dem Zweck der Zulassungsrevision (§  543 Abs.  2 S.  1 ZPO) korrespondiert der Zweck der ebenfalls neu eingeführten Zulassungsberufung (§  511 Abs.  2, Abs.  4 S.  1 ZPO). Aufgrund des zwingenden Nacheinanders von Berufung und Revision erfüllt die Zulassungsberufung den Zweck eines „Passierscheins“785 zum Bundes­ gerichtshof.786 Auf der Grundlage dieses vorgezeichneten Wertungsrahmens beruht die Annah­ me einer planwidrigen Regelungslücke hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Nicht­z ulassungsbeschwerde auf der Erwägung, dass die Zulassungsberufung ihren konzeptionellen Zweck gemäß §  511 Abs.  2 Nr.  2, Abs.  4 ZPO nur dann sinnvoll erfüllen kann, wenn die Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend frühzeitig zur Anwendung gelangt.787 Eine Regelungslücke wäre allerdings ausgeschlossen, wenn es sich bei der gesetzgeberischen Verortung der Nichtzulassungsbeschwerde im ­Revisionsrecht um eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers handeln und §  544 ZPO insofern einen Umkehrschluss zum Nachteil der Berufung rechtfertigen würde.788 Ausdrücklich hat sich der Gesetzgeber des Zivilprozessreformgesetzes hierzu nicht geäußert. Dennoch wäre es wohl verfehlt, anzunehmen, der Reform­ geber ha­be die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegenüber der Nicht­ zulassung der Berufung schlichtweg übersehen. Das Gegenteil ergibt sich bereits aus der Bezugnahme des Regierungsentwurfs auf das Sozialgerichtsgesetz und die Verwaltungsgerichtsordnung,789 welche ihrerseits eine berufungsrechtliche Nicht­ zulassungsbeschwerde kennen.790 Allein das arbeitsgerichtliche Verfahren, auf wel­ 783  Nach Ansicht des Reformgebers entspreche die juristische Bedeutung des Rechtsstreits in den betroffenen Fällen nicht zwangsläufig dem wirtschaftlichen Wert; siehe hierzu die allgemeine Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BTDrucks. 14/4722, S.  65 f. Zur vorangegangenen Kritik von Seiten der französischen Rechtslehre siehe Ferrand, Rn.  441 und Guinchard Droit processuel, Rn.  331-2; hierzu bereits oben §  3 II. 784  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  104. 785  Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  511, Rn.  3, 61 u. 67 f. 786  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  61 u. 93; hierzu Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz ZPO 2002, Rn.  13. 787  Zu dem dahinter stehenden Verständnis einer planwidrigen Gesetzeslücken als Wertent­ scheidung siehe Canaris, S.  17 u. 55 ff. und Rüthers/Fischer/Birk, Rn.  889. 788  Zur logischen Beziehung von Analogie und Umkehrschluss vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rn.  899 ff. 789  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  105. 790  Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren sind sowohl die Berufung (§  124 Abs.  2 VwGO) als

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 193

ches sich der Regierungsentwurf im Rahmen der Begründung zu §  544 ZPO eben­ falls bezieht, sieht keine Nichtzulassungsbeschwerde hinsichtlich der Berufung vor, §  72a ArbGG. Hieraus aber den umgekehrten Fall eines Übertragungsverbotes ab­ zuleiten,791 kann angesichts der übrigen Verweise ebensowenig überzeugen. Zwar besteht zwischen der Zivilgerichtsbarkeit und der Arbeitsgerichtsbarkeit naturge­ mäß eine besondere sachliche Nähe,792 entscheidend ist aber das dogmatische Nähe­ verhältnis der konkret in Frage stehenden Normen. (2)  Störung des ursprünglichen Konzepts aufgrund neuerer Rechtsentwicklung Vor diesem Hintergrund sowie angesichts der jüngeren Gesetzes- und Rechtspre­ chungsentwicklung auf dem Gebiet der Verfahrensgrundrechte ist zweifelhaft, ob die textliche Ausnahme der Berufung vom Anwendungsbereich der Nichtzulas­ sungsbeschwerde auch weiterhin gerechtfertigt ist. Der Reformgeber des Zivilpro­ zessreformgesetzes setzte in Übereinstimmung mit der (damaligen) Rechtspre­ chung des Bundesgerichtshofs die Anerkennung der Gegenvorstellung zum Schutz der Verfahrensgrundrechte seitens der Rechtspraxis voraus.793 Aufgrund der neue­ ren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet die Gegenvor­ stellung aber wie dargelegt keinen zuverlässigen Schutz und wird auch von Seiten der Rechtslehre als zu unbestimmt kritisiert. Eine wesentliche Prämisse des Re­ formgebers ist daher nachträglich entfallen. Hinzu kommen gesetzliche Neuerun­ gen: In der ursprünglichen Fassung des Zivilprozessreformgesetzes war die Nicht­ zulassungsbeschwerde gemäß §  544 ZPO i. V. m. §  26 Nr.  8 EGZPO nur bei einem Beschwerdewert von über 20.000 EUR statthaft.794 Sofern das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verwarf und der Wert der Beschwer die Schwelle von 20.000 EUR nicht überragte, konnte sich die rechtsmittelführende Partei zwar mit­ hilfe der Rechtsbeschwerde gemäß §§  522 Abs.  1 S.  4, 574 Abs.  1 S.  1 Nr.  1 ZPO gegen die Verwerfung wenden. Die Voraussetzung hierfür war allerdings, dass die auch die Revision (§  132 Abs.  2 VwGO) unabhängig vom Streitwert nur im Fall ihrer Zulassung statthaft; über den Antrag auf Zulassung entscheidet jeweils das nächsthöhere Gericht, §§  124a Abs.  4 u. 133 Abs.  5 VwGO. Zwar vermeidet der geltende §  124a Abs.  4 VwGO im Unterschied zur ursprünglichen Fassung der Verwaltungsgerichtsordnung den Begriff der Nichtzulassungs­ beschwerde im Rahmen der Berufungszulassung; dies ist jedoch nicht als ein Systemwechsel zu verstehen; vgl. die Begründung des zugrunde liegenden Entwurfs der Bundesregierung eines Sechsten Gesetzes zur Änderung der Verwaltungsgerichtsordnung und anderer Gesetze (6. VwGOÄndG), BT-Drucks. 13/3993, S.  13. Bezüglich des sozialgerichtlichen Verfahrens siehe §  145 SGG. 791  So Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz ZPO 2002, §  511, Rn.  22. 792  Siehe etwa BGHZ 26, 304 (306). 793  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  104. 794  Der im Ursprung als Übergangsvorschrift konzipierte §  26 Nr.  8 EGZPO hat mit Art.  3 Ge­ setz zur Änderung des §  522 Zivilprozessordnung vom 21. Oktober 2011 (BGBl. 2011 I, S.  2082 ff.) bereits die zweite Verlängerung seiner Frist erfahren; Nachweise bei Büttner, in: FS Eichele, S.  61 (66).

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

Berufung nicht durch Urteil, sondern durch Beschluss gemäß §  522 Abs.  1 S.  3 ZPO verworfen worden war.795 Der Gesetzgeber erkannte darin zutreffend eine Un­ gleichbehandlung wesentlich gleicher Umstände, deren Eintritt noch dazu in der Hand des erkennenden Berufungsgerichts lag.796 Durch die Einführung von §  26 Nr.  8 S.  2 EGZPO im Wege des 1. Justizmodernisierungsgesetzes797 vom 24. August 2004 wurden daher sämtliche Verwerfungsentscheidungen des Berufungsgerichts vom Vorbehalt eines hinreichenden Beschwerdewertes befreit. Die Nichtzulas­ sungsbeschwerde ist seither gegen Verwerfungsentscheidungen ungeachtet ihrer Entscheidungsform statthaft. Seit dem Inkrafttreten von Art.  1 des Gesetzes zur Änderung des §  522 der Zivil­ prozessordnung798 vom 21. Oktober 2011 findet die Nichtzulassungsbeschwerde auch gegen die Beschlusszurückweisung der Berufung gemäß §  522 Abs.  3 ZPO Anwendung.799 Die Parteien können seither sämtliche zweitinstanzlichen Entschei­ dungen zumindest mit dem Ziel einer Zulässigkeitsprüfung der Revision dem Bun­ desgerichtshof zuführen. Einschränkungen ergeben sich allein im Hinblick auf die Wertschwelle des §  26 Nr.  8 EGZPO, wobei es sich aber unbeschadet der zwischen­ zeitlichen Verlängerungen des Geltungszeitraumes der Norm um eine bloße Über­ gangsvorschrift handelt.800 Unterhalb der Erwachsenheitssumme des §  511 Abs.  1 Nr.  1 ZPO und bei fehlen­ der Berufungszulassung durch das Eingangsgericht gemäß §  511 Abs.  1 Nr.  2 ZPO findet hingegen selbst im Fall einer Verletzung von Verfahrensgrundrechten keine rechtssichere Abhilfe statt. Der Schutz gegenüber erstinstanzlichen Grundrechts­ verstößen liegt damit unverändert im Ermessen des – womöglich verletzenden – Erstgerichts. Dessen Abhilfezuständigkeit wird jedoch von Teilen der Rechtslehre bereits in Bezug auf die gesetzliche Regel des §  321a ZPO als Strukturfehler be­ zeichnet.801 Die vom Gesetzgeber noch im Rahmen des 1. Justizmodernisierungsge­ setzes zutreffend konstatierte Ungleichbehandlung betrifft somit de lege lata den Rechtsschutz gegenüber Entscheidungen des Erstgerichts im Verhältnis zum mitt­ 795 

Kritisch hierzu Gruber, in: MüKo ZPO, §  26 EGZPO, Rn.  6. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Modernisierung der Justiz, BT-Drucks. 15/1508, S.  22; zustimmend Gruber, in: MüKo ZPO, §  26 EGZPO, Rn.  6. 797  Erstes Gesetz zur Modernisierung der Justiz (1. Justizmodernisierungsgesetz) vom 24. Au­ gust 2004, BGBl. 2004 I, S.  2198 ff. 798  Gesetz zur Änderung des §  522 der Zivilprozessordnung vom 21. Oktober 2011, BGBl. 2011 I, S.  2082 ff.; hierzu oben §  8 III. 799  Dies geht zwar nicht eindeutig aus dem Wortlaut hervor, ergibt sich jedoch aus systemati­ schen Gründen; vgl. die Begründung des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs der Bundesregie­ rung, BT-Drucks. 17/5334, S.  8. 800  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  126. Der nachträgliche Vorschlag des Bundesrates, die Vorschrift dauer­ haft in die ZPO zu übertragen, findet sich nicht im geltenden Recht wieder; vgl. die Stellungnahme des Bundesrates im Anschluss an die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Änderung des §  522 der Zivilprozessordnung, BT-Drucks. 17/5334, S.  13. 801  Jauernig/Hess, §  29, Rn.  10 m. w. N. 796 

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 195

lerweile umfassenden Rechtsschutz gegenüber den Entscheidungen der Berufungs­ instanz.802 (3)  Systematische Vereinbarkeit von Nichtzulassungsbeschwerde und Berufung Angesichts der jüngeren Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Nichtzulas­ sungsbeschwerde stellt sich die Frage, ob die Nichtzulassungsbeschwerde auch auf das Verhältnis der ersten zur zweiten Instanz übertragen werden kann. Alternativ käme eine grundrechtswahrende „außerordentliche Berufung“ in Betracht. Denn bis zum Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes erkannte das Bundesverfas­ sungsgericht in einzelnen Konstellationen eine „außerordentliche Berufung“ zur Verteidigung des rechtlichen Gehörs und zur Wahrung der Frist der Verfassungsbe­ schwerde an.803 Der Reformgeber sprach sich zwar nicht gegen eine „außerordentli­ che Berufung“ aus, erklärte sie aber angesichts der neu eingefügten Anhörungsrüge gemäß §  321a ZPO für obsolet.804 Im Anschluss an die Zivilprozessreform 2001/2002 forderte bislang Schneider die Anerkennung einer „Ausnahmeberufung“ für den Fall einer willkürlichen Versagung der Berufungszulassung durch die Erstins­ tanz.805 Dieser Ansatz könnte weiterhin Geltung beanspruchen, sofern nicht eine Nichtzulassungsbeschwerde aus systematischen Gründen vorzuziehen wäre. Es stellt sich somit die Frage nach der größeren sachlichen Nähe der widerstreitenden Lösungsansätze.806 Die Beantwortung der Frage erfordert eine historisch-systema­ tische Analyse der Nichtzulassungsbeschwerden der deutschen Verfahrensordnun­ gen als Grundlage des geltenden §  544 ZPO.807 (i)  Die Nichtzulassungsbeschwerden der Arbeits- und Sozialgerichtsbarkeit Die Zulassungsrevision und die Nichtzulassungsbeschwerde des arbeitsgerichtli­ chen Verfahrens (§§  72, 72a ArbGG) treten historisch an die Stelle einer Kombina­ tion aus Zulassungsrevision und zulassungsfreier Revision. Letztere war in der ur­ sprünglichen Fassung des Arbeitsgerichtsgesetzes gemäß §  72 Abs.  1 S.  2 a. F.808 statthaft, sofern das Berufungsurteil des erkennenden Landesarbeitsgerichts von 802  Zur Bedeutung des Gleichheitsgebots bei der Auffindung gesetzlicher Lücken siehe Canaris, S.  71 ff. 803  So noch BVerfG NJW 2001, 746 (746) m. w. N.; ausführlich zu den Anwendungsfällen der „außerordentlichen Berufung“ Jauernig, in: FS Schumann, S.  241 (255 ff.). 804  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  94. 805  Siehe Schneider ZAP Fach 13, 2001, 1058 (1059 f.); zustimmend Meyer-Seitz, in: Hannich/ Meyer-Seitz ZPO 2002, §  511, Rn.  22. Ferner forderte bereits Feiber NJW 1996, 2057 (2060) die Einführung einer umfassenden Annahmeberufung. 806  Vgl. Rüthers/Fischer/Birk, Rn.  889. 807  Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformge­ setzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  105. Die Finanzgerichtsordnung wird aufgrund des Fehlens eines Berufungsverfahrens nicht in die nachfolgenden Betrachtungen einbezogen. 808  Arbeitsgerichtsgesetz vom 3. September 1953, BGBl. 1953 I, S.  1267 ff.

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen Landesarbeitsge­ richts abwich (sog. Divergenzrevision). Der Gesetzgeber des bis heute maßgeben­ den Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfah­ rens vom 21. Mai 1979809 empfand die Regel als zu weitreichend, da sie keine iso­ lierte Prüfung des Vorliegens einer Divergenz erlaubte und daher regelmäßig zu Verzögerungen des Verfahrens führte.810 Die Revision des arbeitsgerichtlichen Ver­ fahrens ist daher im historischen Vergleich durch einen konzeptionell einschrän­ kenden Charakter geprägt, den die Nichtzulassungsbeschwerde lediglich auszuglei­ chen sucht.811 Bei der Neufassung der §§  72, 72 a ArbGG orientierte sich der Gesetzgeber an der Revision des sozialgerichtlichen Verfahrens.812 Auch diese war im Ursprung durch eine Zulassungsrevision und eine zulassungsfreie Revision geprägt und wur­ de durch das Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 30. Juli 1974813 aus ähnlichen Gründen durch eine umfassende Zulassungsrevision mit korrespon­ dierender Nichtzulassungsbeschwerde ersetzt.814 (ii)  Der Paradigmenwechsel des sozialgerichtlichen Berufungsverfahrens Der systematische Bruch des arbeits- und des sozialgerichtlichen Rechtsmittelsys­ tems erfolgte durch das Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993.815 In seiner ursprünglichen Fassung kannte das Sozialgerichtsgesetz sowohl eine Zulassungsberufung als auch eine zulassungsfreie Berufung.816 Durch das Ge­ setz vom 11. Januar 1993 führte der Gesetzgeber für das sozialgerichtliche Beru­ fungsverfahren eine Beschwerdewertberufung ein und passte deren Zulassungs­ gründe den Zulassungsgründen der sozialgerichtlichen Revision an. Zwar hatte der Gesetzgeber die Zulassungsgründe der arbeitsgerichtlichen Berufung bereits durch

809  Gesetz zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens vom 21. Mai 1979, BGBl. 1979 I, S.  545 ff. 810  Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, BT-Drucks. 8/1567, S.  35. 811  So auch BSG BeckRS 2001, Nr.  41622 in Bezug auf das konzeptionell zugrunde liegende sozialgerichtliche Verfahren. 812  So ausdrücklich die Begründung des Entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, BT-Drucks. 8/1567, S.  36. 813  Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 30. Juli 1974, BGBl. 1974 I, S.  1625 ff. 814  Vgl. §§  160, 162 Abs.  1 des Sozialgerichtsgesetzes vom 3. September 1953, BGBl. 1953 I, S.  1239 ff. Die Nichtzulassungsbeschwerde des §  160a SGG beruht historisch auf Art.  1 Nr.  17 des Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 30. Juli 1974, BGBl. 1974 I, S.  1625 ff. Zur Gesetzesbegründung siehe BT-Drucks. 7/861, S.  10 sowie BSG BeckRS 2001, Nr.  41622. 815  Gesetz zur Entlastung der Rechtspflege vom 11. Januar 1993, BGBl. 1993 I, S.  50 ff. 816  Letztere war u. a. für den Fall vorgesehen, dass die Berufung der Rüge eines wesentlichen Mangels des eingangsgerichtlichen Verfahrens diente; vgl. §  150 Nr.  2 SGG a. F. (BGBl. 1953 I, S.  1239 ff.).

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 197

das Gesetz vom 21. Mai 1979 den Zulassungsgründen der Revision angeglichen.817 Im Unterschied zum arbeitsgerichtlichen Verfahren erstreckte der Gesetzgeber von 1993 aber auch den Anwendungsbereich der sozialgerichtlichen Nichtzulassungsbe­ schwerde auf das Berufungsverfahren, §§  144 f. SGG. Der zugrunde liegende Re­ gierungsentwurf bezog sich ausdrücklich auf den Entwurf einer Verwaltungspro­ zessordnung (VwPO) vom 31. Mai 1985,818 welcher die systematische Parallelität der Berufungs- und der Revisionszulassung wie folgt begründete: „§  141 [betreffend die Zulassung der Berufung] stellt sicher, dass in grundsätzlich bedeutsa­ men und schwierigen Sachen die Berufung zur Verfügung steht. Ist sie nicht statthaft, kann auch die Revision nicht eingelegt werden.“819

Im besonderen Teil der Begründung heißt es: „Die Nichtzulassung einer Berufung kann mit der Nichtzulassungsbeschwerde nach §  142 gerügt werden. Die Beteiligten haben es damit in der Hand, die zweite Instanz wenigstens im Beschwerdewege einzuschalten.“820

Konzeptionell entsprach der Entwurf einer Verwaltungsprozessordnung in diesem Punkt der Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960.821 Diese kannte be­ reits in ihrer ursprünglichen Fassung822 allein eine Zulassungsrevision und sah zu­ gleich eine Zulassungsberufung mit teilweise identischen Zulassungsgründen vor; darunter auch den Fall, dass „die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat“.823 Die historischen Gesetzesmaterialien der Verwaltungsgerichtsordnung betonen einheitlich das Ziel, die Revision und die Berufung hinsichtlich ihrer Zulassungs­ systematiken einander anzugleichen.824 Die Nichtzulassungsbeschwerde diene 817  Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Be­ schleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, BT-Drucks. 8/1567, S.  34 f. 818  Entwurf der Bundesregierung einer Verwaltungsprozessordnung (VwPO) vom 31. Mai 1985, BT-Drucks. 10/3437; siehe die Bezugnahme hierauf im Rahmen der Begründung des Gesetz­ entwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Entlastung der Rechtspflege, BT-Drucks. 12/1217, S.  51 f. (nicht als Gesetz verabschiedet). 819  Begründung des Entwurfs der Bundesregierung einer Verwaltungsprozessordnung (VwPO), BT-Drucks. 10/3437, S.  66. Bei dem Klammerzusatz handelt es sich um eine Anm. d. Verf. 820  Begründung des Entwurfs der Bundesregierung einer Verwaltungsprozessordnung (VwPO), BT-Drucks. 10/3437, S.  146. 821  Ferner orientierte sich auch der „Entwurf eines Verwaltungsgerichtsgesetzes zur Verein­ heitlichung der Verwaltungsgerichtsordnung, der Finanzgerichtsordnung und des Sozialgerichts­ gesetzes“ von Ule aus dem Jahr 1969 an der Verwaltungsgerichtsordnung in ihrer damals gültigen Fassung. Die Begründung lautete: „Es besteht kein zwingender Grund, die Verfahrensberufung anders als die Verfahrensrevision zu regeln […]“; siehe Ule VwGG, S.  421 f. 822  Verwaltungsgerichtsordnung vom 21. Januar 1960, BGBl. 1960 I, S.  17 ff. 823  So auch gegenwärtig §  124 Abs.  2 Nr.  3 VwGO (Berufung) und §  132 Abs.  2 Nr.  1 VwGO (Revision). Der zitierte Wortlaut der Vorschriften beruht auf den Vorschlägen des Rechtsausschus­ ses des Deutschen Bundestages im Rahmen des zugrunde liegenden Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 3/1094, S.  56. 824  So die Begründungen sämtlicher Regierungsentwürfe des sich über mehrere Legislaturpe­ rioden erstreckenden Gesetzgebungsvorhabens; siehe BT-Drucks. 1/4278, S.  47 sowie BT-Drucks. 2/462, S.  46 und schließlich BT-Drucks. 3/55, S.  45. Siehe außerdem die Stellungnahme des Bun­

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Dritter Teil:  Gegenüberstellung des appel und der Berufung

dementsprechend sowohl im Fall der Berufung als auch im Fall der Revision dazu, eine „einheitliche Handhabung der Zulassung zu erreichen“.825 Die berufungsrecht­ liche Nichtzulassungsbeschwerde sowohl der Verwaltungsgerichtsordnung als auch des Sozialgerichtsgesetzes erfüllen damit nach geltendem Recht einen konzeptio­ nell erweiternden Zweck. (iii)  Schlussfolgerungen bezüglich der zivilprozessualen Berufung Es stellt sich damit die Frage, ob die reformierte zivilprozessuale Berufung dem Leitbild des sozial- und des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens oder dem Leitbild des arbeitsgerichtlichen Verfahrens entspricht. Die Einführung der Zulassungsbe­ rufung gemäß §  511 Abs.  2 Nr.  2, Abs.  4 ZPO soll nach der Konzeption des Reform­ gebers das bestehende System der beschwerdewertgebundenen Berufung ergänzen und erfüllt damit einen erweiternden Zweck.826 Den Zulassungsgrund der grund­ sätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§  511 Abs.  4 S.  1 Nr.  1 ZPO und §  543 Abs.  2 S.  1 Nr.  1 ZPO) definiert der Reformgeber ausdrücklich mit Verweis auf die Verfah­ rensgrundrechte.827 Dass der Reformgeber die Nichtzulassungsbeschwerde den­ noch auf die Revision beschränkt, kann nur damit erklärt werden, dass der Reform­ geber die Zulassungsberufung aufgrund der fortbestehenden Beschwerdewertberu­ fung nicht als weitergehend sicherungswürdig befand.828 Diese Annahme verkennt allerdings, dass die Zulässigkeitsgründe der Berufung gemäß §  511 Abs.  2 Nr.  1 u. 2 ZPO zur Wahrung eines effektiven Rechtsschutzes nicht parallel, sondern alternativ in den Blick zu nehmen sind. Wie die historische Analyse der Nichtzulassungsbe­ schwerden der übrigen Verfahrensordnungen belegt, hat der Gesetzgeber dies be­ reits in Bezug auf das sozialgerichtliche Verfahren erkannt. Die sozialgerichtliche und die verwaltungsgerichtliche Verfahrensordnung belegen weiterhin, dass das Institut der Nichtzulassungsbeschwerde der Berufung auch nicht grundsätzlich we­ sensfremd ist. Die systematisch ältere Regelung des arbeitsgerichtlichen Rechtsmittelverfah­ rens erscheint im Ganzen überholt und ist nicht mit dem Konzept des Zivilprozess­ reformgesetzes zu vereinbaren. Nicht zuletzt zeigt sich dies auch daran, dass die bis heute maßgebende Reform des arbeitsgerichtlichen Verfahrens durch das Gesetz vom 21. Mai 1979 hinsichtlich der Berufung zuvorderst mit der Entlastung der Jus­ desrates im Rahmen des letztgenannten Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 3/55, S.  58 sowie den entsprechenden Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages, BT-Drucks. 3/1094, S.  12. 825  Siehe auch die Begründungen der einzelnen Regierungsentwürfe: BT-Drucks. 1/4278, S.  48, BT-Drucks. 2/462, S.  46 und BT-Drucks. 3/55, S.  46. 826  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  61 u. 93; hierzu Rimmelspacher, in: MüKo ZPO, §  511, Rn.  3, 61 u. 67 f. 827  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  104. 828  Vgl. hierzu die vorgenannten Erwägungen bezüglich des arbeitsgerichtlichen Rechtsmittel­ verfahrens.

§  10  Der Devolutiveffekt beider Rechtsmittel und ihr Verhältnis zur Eingangsinstanz 199

tiz begründet wurde,829 während der Zugang zur Berufung durch das Zivilprozess­ reformgesetz vom 27. Juli 2001 insgesamt erweitert werden sollte.830 Zwar ändert dies alles nichts daran, dass der Gesetzgeber den Anwendungsbereich der zivilpro­ zessualen Nichtzulassungsbeschwerde bewusst auf die Nichtzulassung der Revision bezogen hat. Sofern im konkreten Fall aber eine mögliche Verletzung der Verfah­ rensgrundrechte in Frage steht, hat die gesetzgeberische Entscheidung dem von Verfassungs wegen gebotenen „Rechtsschutz gegen den Richter“ zu weichen.831 Dieser Rechtsschutz sollte mithilfe einer Analogie der Nichtzulassungsbeschwerde zu suchen sein. Ein Durchgriff in Form einer „außerordentlichen Berufung“ oder einer „Ausnahmeberufung“ ist abzulehnen. Fraglich ist allein, in welcher Weise eine Rechtsänderung erwartet werden darf. Denn ein Rechtsanwalt, der im Interesse seiner Mandanten den „sichersten Weg“ zu beschreiten hat, wird weiterhin regelmäßig zur Verfassungsbeschwerde raten. Sollte sich jedoch die Diskussion über eine Anhebung des berufungsrechtlichen Be­ schwerdewertes verdichten,832 wird sich spätestens auch der Gesetzgeber der Frage nach einer berufungsrechtlichen Nichtzulassungsbeschwerde stellen müssen.

829  Siehe hierzu nur die Begründung für die Erhöhung des Beschwerdewertes der arbeitsge­ richtlichen Berufung im Rahmen der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Gesetzes zur Beschleunigung und Bereinigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, BT-Drucks. 8/1567, S.  19 u. 34. 830  Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung eines Zivilprozessreformgesetzes, BT-Drucks. 14/4722, S.  59 u. 93. 831  Vgl. Voßkuhle NJW 2003, 2193 (2196). 832  Siehe bereits die Nachweise im Rahmen von §  6 II 3.

Vierter Teil

Vergleich von appel und pourvoi en cassation: Der zweitinstanzliche Rechtsschutz gegen Entscheidungen von verhältnismäßig geringem Wert Ein übergreifender Unterschied des deutschen und des französischen Rechtsmittel­ systems besteht im Umgang mit erstinstanzlichen Entscheidungen von verhältnis­ mäßig geringem Wert.1 Zwar bietet das System der Parallelität von appel und pourvoi en cassation einen im Grundsatz lückenlosen Rechtsschutz.2 In der Rechtswirk­ lichkeit werden sog. small claims aber nur selten einer Kontrollinstanz zugeführt.3 So wurde die Cour de cassation im Jahr 2011 mit lediglich 501 und im Jahr 2012 mit lediglich 474 Kassationsbeschwerden gegen Entscheidungen der Juridiction de proximité angerufen,4 obgleich vor dieser 83.097 Verfahren im Jahr 2011 und 96.199 Verfahren im Jahr 2012 endeten.5 Mit Blick auf die jüngeren Reformen des appel stellt sich die Frage, ob die historische Begründung6 der Statthaftigkeit des pourvoi en cassation gegenüber eingangsgerichtlichen Entscheidungen unterhalb des taux d’appel von gegenwärtig über 4.000 EUR noch immer trägt.7

§  11  Erschwerter Zugang und begrenzter Schutz: Der pourvoi en cassation im Vergleich zum appel Das Verfahren vor der Cour de cassation ist vergleichbar dem Verfahren vor der Cour d’appel in eine procédure avec représentation obligatoire und eine procédure sans représentation obligatoire geteilt, Art.  973 Abs.  1 CPC.8 Die allgemeine Zivil­ 1 

Siehe oben §  3 II und III. Die These des umfassenden Rechtsschutzes in Abgrenzung zum deutschen Recht vertritt etwa Ferrand, in: FS Henrich, S.  133 (138); kritisch von deutscher Seite Schilling, S.  323. 3  Siehe hierzu die Feststellung des Rapport Guinchard, S.  206. 4  Cour de cassation (Hrsg.), Rapport annuel 2012, S.  62 f. 5  Siehe (letzter Zugriff am 15.12.2014). Zur Ein­ ordnung der Juridiction de proximité in die französische Gerichtsverfassung und das französische Rechtsmittelsystem siehe oben §  4 II 1 und §  7 I. 6  Siehe oben §  6 II 2. 7  Zur Kritik des deutschen historischen Gesetzgebers siehe bereits oben §  6 II 2. 8  Der Anwendungsbereich des Verfahrens mit verbindlicher Vertretung (procédure avec ­représentation obligatoire, Artt.  983 ff. CPC) ist im Rahmen des pourvoi en cassation umfang­ reicher als im Rahmen des appel (vgl. oben §  4 II 2). Seit dem Inkrafttreten von Art.  39 décret 2 

§  11  Erschwerter Zugang und begrenzter Schutz

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gerichtsbarkeit und die Handelsgerichtsbarkeit fallen in den Bereich der procédure avec représentation obligatoire. I.  Überblick über die bestehende Kritik am Nebeneinander von appel und pourvoi en cassation Bereits unter Geltung des Ancien Code de procédure civile wiesen Solus und Perrot auf die mögliche Diskrepanz zwischen pauschalem taux d’appel und individuellem Rechtsschutzinteresse der Betroffenen hin. Den Ausschluss des double degré de juridiction bis zu einem Streitwert von 4.000 EUR bezeichnet Perrot ferner als nachteilhaft im Interesse der Rechtsfortbildung und verweist auf das deutsche Sys­ tem der am Beschwerdewert (§  511 Abs.  2 Nr.  1 ZPO) und der grundsätzlichen Be­ deutung der Rechtssache (§  511 Abs.  2 Nr.  2 ZPO) orientierten Berufung.9 Das Ver­ hältnis von appel und pourvoi en cassation wurde auch im Vorfeld der Einführung der Juridiction de proximité durch die loi n°  2002-113810 diskutiert. Die sachliche Zuständigkeit der Juridiction de proximité unterhalb des taux d’appel sah sich von Beginn an mit dem Vorwurf konfrontiert, der allein statthafte pourvoi en cassation konterkariere das Ziel einer bürgernahen Ziviljustiz.11 Ähnliche Kritik existiert auch im Hinblick auf die Implementierung des Europäischen Verfahrens für gering­ fügige Forderungen gemäß EuGFVO in das französische Verfahrensrecht.12 Vor allem die erforderliche Vertretung durch einen Rechtsanwalt mit Zulassung beim Conseil d’État und bei der Cour de cassation (avocat au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation) gemäß Art.  973 Abs.  1 CPC führe zu erhöhten Verfahrenskosten.13 Darüber hinaus gewährleiste der pourvoi en cassation aufgrund der beschränkten Kassationsgründe (moyens de cassation) keinen hinreichenden Schutz.14 II.  Zum vergleichsweise eingeschränkten Prüfungsumfang der Cour de cassation Im Unterschied zum double degré de juridiction des appel konzentriert sich der pourvoi en cassation auf die Vereinbarkeit gerichtlicher Entscheidungen mit mate­ riellem und formellem Recht, Art.  604 CPC („non-conformité du jugement […] aux n°  2004-836 du 20 août 2004 (JO du 22 août 2004, S.  15032 ff.) ist insbesondere auch das arbeits­ gerichtliche Verfahren hiervon erfasst; vgl. Vuitton/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 758 (2013), Rn.  5. 9  Siehe Perrot Institutions, Rn.  168; zuvor bereits Solus/Perrot I, Rn.  535. 10  JO du 10 septembre 2010, S.  14934 ff.; hierzu Ferrand, in: Sonnenberger/Classen, S.  4 43. 11  Coleno/Barbière LPA 2003 n°  146, 6 (7); kritisch von deutscher Seite Hess, in: Gottwald, Effektivität, S.  121 (138 f.) mit Verweis auf die europäische Urteilsfreizügigkeit. Letztlich war der als unbefriedigend angesehene Rechtsweg im Rahmen der Juridiction de proximité einer der tra­ genden Gründe für die begonnene Abschaffung dieser Gerichtsbarkeit; Nachweise bei Zwickel ZZPInt 17 (2012), 43 (46). 12  Siehe hierzu bereits oben §  7 III. 13  So von deutscher Seite Zwickel, S.  336. Im Jahr 2014 belief sich die Anzahl der avocats au Conseil d’État et à la Cour de cassation auf insgesamt 106; siehe Camus (Hrsg.), Chiffres 2014, S.  35. 14  Beraudo/Beraudo, in: J.-Cl. Europe, Fasc. 2820 (2013), Rn.  104.

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Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

règles de droit“). In ihrer Eigenschaft als Fehlerkorrekturinstanz ist die Cour de cassation anders als die Cour d’appel an die tatsächlichen Feststellungen der Vorin­ stanz gebunden.15 Eine Prüfung auf tatsächlicher Ebene kann der Rechtsmittelfüh­ rer nur indirekt erreichen, indem er die Begründung der angefochtenen Entschei­ dung als logisch fehlerhaft kritisiert (motivation inexacte ou insuffisante). Die Be­ hauptung, eine andere Schlussfolgerung sei möglich oder gar besser, genügt hierzu nicht.16 Auch auf neue Angriffs- und Verteidigungsmittel können sich die Parteien entgegen Art.  563 CPC im Rahmen des pourvoi en cassation grundsätzlich nicht berufen, Art.  619 Abs.  1 CPC. Ausnahmen gelten entsprechend dem Verfahrens­ zweck des pourvoi en cassation für den Vortrag neuer rechtlicher Positionen (mo­ yens de pur droit) sowie für den Vortrag von Fehlern, die der angefochtenen Ent­ scheidung selbst anhaften und daher nicht im Rahmen der Vorinstanz gerügt wer­ den konnten (moyens nés de la décision attaquée), Art.  619 Abs.  2 CPC.17 Ebenso ist es den Parteien verwehrt, neue Ansprüche in das Verfahren vor der Cour de cassation einzuführen.18 Vereinbar mit der Kontrollfunktion der Cour de cassation ist allein der Vortrag neuer sachlicher und rechtlicher Argumente, um die bisher vorge­ tragenen Angriffs- und Verteidigungsmittel zu stärken.19 Die damit erforderliche Abgrenzung neuer Tatsachen und neuer Ansprüche einerseits von neuen Rechtsas­ pekten und neuen Argumenten andererseits wird von der Cour de cassation streng beachtet und bereitet in der Rechtspraxis nicht selten Schwierigkeiten.20 Ihre Be­ rücksichtigung im Rahmen des Parteivortrages ist die wesentliche Aufgabe der avocats au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation, Art.  973 Abs.  1 CPC.21

15  Normativ ergibt sich dies im Umkehrschluss zu Art.  651 CPC; siehe ferner Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1318 und Douchy-Oudot, Rn.  723. 16  Héron/Le Bars, Rn.  840; Cadiet/Jeuland, Rn.  878. 17  Zur Herausbildung der letztgenannten Regel in der Rechtspraxis siehe etwa Cass. 2e civ., 28 mai 1968, Bull. civ. II 1968, n°  154; ferner Boré/Boré, Rn.  82.142 – „[…] tous les vices qui entachent un arrêt […], puisque seule la lecture de la décision a pu faire connaître au demandeur au pourvoi l’erreur du juge“ – „Sämtliche Mängel, die dem Urteil anhaften, weil der Fehler des Rich­ ters dem Rechtsmittelführer des pourvoi en cassation allein [besser: erst – Anm. d. Verf.] bei der Lektüre der Entscheidung auffallen konnte“ (Übers. d. Verf.). Rückausgenommen sind wiederum solche moyens de pur droit, die im Widerspruch zum vorinstanzlichen Parteivortrag stehen; hierzu grundlegend Cass. com., 7 novembre 1989, D. 1989 (Informations rapides), 320 (320). 18  Auch dies begründet sich mit der Kontrollfunktion des pourvoi en cassation; siehe Héron/Le Bars, Rn.  817. 19  Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1318. 20  Ausführlich und mit Bezug zur deutschen Revision bereits Ferrand, Rn.  179 ff. sowie hierzu Schilling, S.  323. In der jüngeren Vergangenheit führte eine strenge Auslegung des Art.  619 CPC seitens der Cour de cassation zu einer Verurteilung Frankreichs durch den Europäischen Gerichts­ hof für Menschenrechte wegen der mittelbaren Versagung eines vorgesehenen Rechtswegs („droit à un juge de cassation“); siehe CEDH (EGMR), 21 mars 2000, n°  34553/97 (Dulaurans/France), D. 2000 (Jurisprudence), 883 (883 ff.) sowie dazu Guinchard, in: Rép. pr. civ., Procès équitable (2013), Rn.  142 ff m. w. N. 21  Die formellen Voraussetzungen der procédure sans représentation obligatoire sind dement­ sprechend herabgesetzt; ausführlich Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Pourvoi en cassation (2013),

§  11  Erschwerter Zugang und begrenzter Schutz

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Soweit der pourvoi en cassation aufgrund eines vorgebrachten oder von Amts wegen berücksichtigten 22 moyen de cassation zulässig und begründet ist, spricht die Cour de cassation die cassation totale ou partielle der angefochtenen Entscheidung aus, Art.  623 CPC.23 Die aufgehobenen Teile des Rechtsstreits verweist die Cour de cassation zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurück, Art.  626 CPC.24 An die Rechtsansicht der Cour de cassation ist die juridiction de renvoi nur gebunden, wenn die Zurückverweisung von der Assemblée plénière de la Cour de cassation angeordnet wurde, Art. L431-4 Abs.  2 COJ. Eine Wiederholung des Rechtszuges ist daher im Grundsatz nicht ausgeschlossen.25 Auch die auf den Streitgegenstand bezogenen Restriktionen des Verfahrens vor der Cour de cassa­ tion sind im Verfahren vor der juridiction de renvoi aufgehoben, sodass die Parteien nunmehr neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vortragen sowie neue Ansprüche geltend machen können, Artt.  631 ff. CPC.26 III. Der mémoire ampliatif als besondere Voraussetzung des pourvoi en cassation Der eingeschränkte Prüfungsumfang der Cour de cassation spiegelt sich formal in den Anforderungen an die durch einen avocat au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation zu verfassende Rechtsmittelbegründung wider. Im Rahmen dieses sog. mémoire ampliatif sind die von der rechtsmittelführenden Partei behaupteten Rechtsverletzungen als moyens de cassation ausführlich darzulegen und einem an­ erkannten Eröffnungsgrund (cas d’ouverture) des pourvoi en cassation zuzuord­ Rn.  753 ff. Siehe außerdem Boré D. 1989 (Chronique) 1989, 159 (161) und Canivet BICC n°  573, 3/2003, S.  22 (28). 22  Die Cour de cassation ist nicht an die moyens eines zulässigen pourvoi gebunden. Ist der pourvoi en cassation nach dem Parteivortrag zwar zulässig aber unbegründet, kann die Cour de cassation dem pourvoi auch auf der Grundlage nicht vorgebrachter moyens de cassation stattge­ ben, Art.  620 Abs.  2 CPC. Ist der pourvoi en cassation im umgekehrten Fall auf der Grundlage der vorgebrachten moyens zwar begründet, die angefochtene Entscheidung aber aus einem anderen rechtlichen Grund gerechtfertigt, kann die Cour de cassation die vorgebrachten moyens durch ei­ gene moyens erronés ersetzen und den pourvoi als unbegründet zurückweisen, Art.  620 Abs.  1 CPC. Die Entscheidungsbreite der Cour de cassation korrespondiert insoweit mit ihrem auf Rechtsfragen beschränkten Prüfungsumfang. Weist die Cour de cassation den pourvoi insgesamt als unzulässig oder unbegründet zurück, ist ein weiteres Rechtsmittel gegen dieselbe Entschei­ dung ausgeschlossen, Art.  621 CPC. 23  Siehe Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  2033. Technisch handelt es sich hierbei um einen Fall der annulation; siehe oben §  10 I 3 b bb. 24  Gemäß Art.  626 CPC i. V. m. Art. L431-4 Abs.  1 COJ erfolgt die Zurückverweisung an ein anderes Gericht desselben vorinstanzlichen Rechtszugs oder an einen anderen Spruchkörper des­ selben Gerichts. Eine eigene verfahrensbeendende Entscheidung der Cour de cassation kommt anders als im Verfahren vor der Cour d’appel nur ausnahmsweise unter den hohen Voraussetzun­ gen des Art.  627 CPC i. V. m. Art. L411-3 Abs.  2 COJ in Betracht. Eine derartige cassation sans renvoi setzt voraus, dass die Vorinstanz den Sachverhalt zweifelsfrei festgestellt hat und die zu treffende Entscheidung allein von einer Rechtsfrage abhängig ist; instruktiv Luxembourg D. 2006, 2358 (2359 f.). 25  Couchez/Lagarde, Rn.  457. 26  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  2038.

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Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

nen; ferner ist der betroffene Teil des angefochtenen jugement ausdrücklich zu be­ nennen, Art.  978 Abs.  3 CPC.27 Die Definition der einzelnen cas d’ouverture hat der Gesetzgeber bewusst der Rechtspraxis überlassen.28 Genügt die Rechtsmittelbe­ gründung nicht den formellen Anforderungen des Art.  978 CPC, führt dies zur Un­ zulässigkeit des betroffenen moyen de cassation, Art.  978 Abs.  3 S.  1 CPC.

§  12  Ausnahmen und prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten nach geltendem Recht Angesichts der divergierenden Rechtsschutzintensität des appel und des pourvoi en cassation stellt sich die Frage, welche prozesstaktischen Möglichkeiten das geltende Recht den Parteien bietet, um die Systematik des taux d’appel zu durchbrechen und Rechtsstreite unterhalb eines Wertes von gegenwärtig über 4.000 EUR einer umfas­ senden und kostengünstigeren Kontrolle jenseits des pourvoi en cassation zuzufüh­ ren. I.  Unbezifferte Klageforderungen als Ausnahme vom Prinzip des taux de ressort Zunächst bestimmt Art.  40 CPC, dass wertmäßig unbestimmte Klagen (demandes indéterminées) stets dem appel zugänglich sind. Entgegen dem Wortlaut bezieht sich die Norm jedoch nicht auf sämtliche unbestimmten Klageanträge.29 Nach dem Sinn und Zweck sind nur solche Klageanträge erfasst, die tatsächlich nicht zu bezif­ fern sind.30 Das rechtsmittelrechtliche Gestaltungspotenzial des Art.  40 CPC im Hinblick auf den Instanzenzug ist daher äußerst gering. II.  Überhöhte Klageforderungen als prozesstaktisches Mittel zur Erreichung des taux d’appel Kann das Klagebegehren einem konkreten Wert zugeordnet werden, bietet sich dem Kläger die Möglichkeit, durch eine überhöhte Wertangabe (demande exagérée) den taux d’appel zu erreichen. Maßgeblich ist die zeitlich letzte Wertangabe des Klä­ gers, selbst wenn dieser den Wert seines Antrages noch im laufenden Verfahren erhöht.31 Allerdings riskiert der Kläger damit, in Höhe des überzogenen Teils der 27  Zu den formellen und materiellen Anforderungen der Darlegung Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Pourvoi en cassation (2013), Rn.  563. 28  Ausführlich Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1307. Anerkannt sind hiernach sieben Fall­ gruppen, von denen sich fünf auf prozessuale Fehler beziehen. 29  CA Paris, 8 novembre 2002 D. 2003 (Informations rapides), 529 (529). 30  Siehe Despaquis, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 210-2 (2012), Rn.  8 und Lefort Théorie, Rn.  301. Zur Geltung der Regel unter dem Ancien Code de procédure civile siehe Solus/Perrot II, Rn.  428. Ein Beispiel ist die Klage auf Zahlung eines „angemessenen“ Schmerzensgeldes; siehe Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  235 ff. 31  Solus/Perrot II, Rn.  410; Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  211 u. 214.

§  12  Ausnahmen und prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten nach geltendem Recht

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Klage abgewiesen und an den Verfahrenskosten beteiligt zu werden, Art.  696 CPC.32 Darüber hinaus kann das Rechtsmittelgericht einen auf diese Weise „er­ schlichenen“ appel als rechtsmissbräuchlich qualifizieren (sog. appel abusif ) und gemäß Art.  559 CPC mit einer amende sanktionieren.33 Dem Beklagten bietet sich von vornherein kein vergleichbares Gestaltungsmittel. Zwar ließe sich an die Erhe­ bung einer Widerklage (demande reconventionnelle) denken. Die Artt.  37 ff. CPC sehen in diesem Fall jedoch vergleichbar §  5 ZPO eine getrennte Bestimmung des taux de ressort vor. Das Urteil betreffend die Klage kann hiernach en dernier ressort ergehen, das Urteil betreffend die Widerklage en premier ressort.34 III.  Kompensation des pourvoi en cassation mithilfe der opposition als „kleinem appel“? Die in der wissenschaftlichen Literatur bisweilen anzutreffende Bezeichnung der opposition als ersatzweise Ausprägung des double degré de juridiction35 unterhalb des taux d’appel berechtigt schließlich zu der Frage, inwiefern sich die opposition in ihrer Eigenschaft als ein Rechtsmittel zugunsten des säumigen Beklagten36 pro­ zesstaktisch zur Umgehung des pourvoi en cassation nutzen lässt. In Anlehnung an die im deutschen Zivilverfahren geläufige „Flucht in die Säumnis“37 ist der Frage nachzugehen, ob das französische Versäumnisverfahren einen taktischen défaut des Beklagten zur Umgehung des pourvoi en cassation mithilfe der opposition er­ laubt.38 Mit Blick auf die Rechtswirklichkeit ist insofern auffällig, dass der Anteil der Versäumnisentscheidungen vor denjenigen Gerichten besonders hoch ist, deren Entscheidungen typischerweise nicht dem appel zugänglich sind.39 Statistisch belief sich der Anteil der Versäumnisentscheidungen gegen den Beklagten im Verfahren vor den Tribunaux d’instance einschließlich der Juridiction de proximité und den Tribunaux paritaires des baux ruraux in den Jahren 2002 bis 2010 auf 52 % (2003) bis 58,6 % (2008).40 Vor den Tribunaux de grande instance lag die Quote im selben 32  Für eine vergleichende Gegenüberstellung des französischen und des deutschen Kosten­ rechts und insbesondere zur beiderseitigen Geltung der im rechtsvergleichenden Kontext sog. „lo­ ser pays rule“ siehe Desdevises/Villedieu, in: Hodges/Vogenauer/Tulibacka, S.  327 (345 ff.) und Hess/Hübner, in: Hodges/Vogenauer/Tulibacka, S.  349 (365 ff.). Zu den Grundstrukturen des fran­ zösischen Kostenrechts gemäß Artt.  695 ff. CPC siehe außerdem Ferrand, in: Sonnenberger/Clas­ sen, S.  477. 33  Siehe Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  211 u. 236. Zum appel abusif siehe bereits oben §  8 III und §  10 II 2 c cc. 34  Ferrand, in: Rép. pr. civ., Appel (2012), Rn.  249. 35  So beispielsweise Boursier/Botrel, in: Rép. pr. civ., Jugement par défaut ou réputé contra­ dictoire (2014), Rn.  61. Siehe außerdem oben §  3 III sowie §  6 III 2. 36  Zum personellen und sachlichen Anwendungsbereich siehe oben §  6 III 2 b. 37  Hierzu Rosenberg/Schwab/Gottwald, §  105, Rn.  62. 38  Zu den Voraussetzungen der Statthaftigkeit der opposition siehe oben §  3 III und §  6 III. 39  Vgl. oben §  7 I. 40  Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  35, Posten 20 mit Erläuterungen auf S.  34, Posten 20 und Glossaire I/II auf S.  366; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe

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Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

Zeitraum zwischen 12,6 % (2005) und 16,1 % (2008).41 Wollte man diesen Umstand nicht pauschal mit dem fehlenden Interesse der Beklagten an der Wahrung ihrer Rechte begründen, ist die Schlussfolgerung eines taktischen Gebrauchs der oppo­ sition jedenfalls nicht fernliegend. 1.  Gewährleistungen und Verfahrensablauf der opposition im Vergleich zum appel Das Ziel der opposition besteht in der Zurücknahme (rétractation) des angefochte­ nen jugement rendu par défaut und seiner Ersetzung durch ein streitiges jugement unter Berücksichtigung des unterbliebenen Sachvortrages des säumigen Beklagten, Artt.  571 f. CPC (voie de rétractation).42 Die opposition wird vor dem Gericht ver­ handelt, welches das jugement rendu par défaut erlassen hat, Art.  481 Abs.  2 CPC.43 Die Frist der opposition beträgt gemäß Art.  538, HS 1 CPC entsprechend der Frist des appel einen Monat ab der Zustellung (notification) der anzufechtenden Ent­ scheidung (Art.  528 CPC i. V. m. Artt.  675 ff. CPC). Der Rechtsmittelführer hat im Rahmen der opposition die versäumten Angriffs- und Verteidigungsmittel darzulegen, Art.  574 CPC. Ist die opposition zulässig, wird das Verfahren unter Beibehaltung der bisherigen Parteirollen und der sich daraus ergebenden Darlegungs- und Beweislast in die Lage vor dem défaut zurückversetzt, Artt.  576 f. CPC.44 Das Ziel ist eine neuerliche und vor allem umfassende kontradik­ Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  35, Posten 20 mit Erläuterungen auf S.  34, Posten 20 und Glossaire I/III auf S.  352. Mit Ausnahme der Tribunaux paritaires des baux ruraux werden die genannten Gerichte statistisch nicht gesondert erfasst. Über die rechtstatsächliche Häufigkeit der opposition liegen keine statistischen Daten vor. 41  Für die Jahre 2002 bis 2006 siehe Marais (Hrsg.), AsJ 2008, Tabelle S.  31, Posten 22 mit Er­ läuterungen auf S.  30, Posten 22 und Glossaire I/II auf S.  366; für die Jahre 2007 bis 2010 siehe Camus (Hrsg.), AsJ 2011/12, Tabelle S.  31, Posten 22 mit Erläuterungen auf S.  30, Posten 22 und Glossaire I/III auf S.  352. 42  Systematisch entspricht die opposition insofern dem recours en révision (Art.  593 CPC) und der tierce opposition (Art.  582 Abs.  1 CPC), bei denen es sich ebenfalls um voies de rétractation handelt. Mithilfe einer voie de rétractation wendet sich der Rechtsbehelfsführer nicht primär ge­ gen einen Fehler der angegriffenen Entscheidung. Vielmehr sei der Rechtsstreit auf der Grundlage des gerichtskundigen Verfahrensstoffs zwar korrekt entschieden worden; bei der Entscheidung seien jedoch Umstände unberücksichtigt geblieben, die im Fall ihres rechtzeitigen Vorbringens zu einem anderen Ergebnis geführt hätten; hierzu Santulli, Rn.  613 f. und Mirabail, S.  43 u. 45 f. Im Rahmen der opposition sind dies die Säumnis des Beklagten und der infolgedessen ausgebliebene tatsächliche und rechtliche Vortrag (Art.  472 CPC). Im Rahmen des recours en révision handelt es sich um Umstände, die nach deutschem Recht unter den Voraussetzungen der §§  578 ff. ZPO eine Wiederaufnahme des Verfahrens rechtfertigen können. Die tierce opposition beruht auf dem Ge­ danken, dass der Rechtsbehelfsführer nicht Partei des Verfahrens war, das Urteil ihn aber dennoch in seiner Rechtsstellung berührt; siehe zum Ganzen Douchy-Oudot, Rn.  748 ff. u. 760 sowie Miniato, Rn.  389 und Bunge, S.  95. 43  Zur korrespondierenden Regelung des recours en révision siehe Art.  599 CPC; zur tierce opposition siehe Art.  587 CPC. Siehe ferner die systematische Darstellung bei Barrère, in: Mélan­ ges Hébraud, S.  1 (4 ff.). 44  Cass. soc., 3 avril 1979, JCP éd. G 1979 IV (Tableaux de jurisprudence), 203 (203); Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1189 f.

§  12  Ausnahmen und prozessuale Gestaltungsmöglichkeiten nach geltendem Recht

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torische Verhandlung.45 Vergleichbar dem Rechtsmittelführer des appel (Art.  563 CPC) ist der Rechtsmittelführer der opposition (sog. opposant) berechtigt, uneinge­ schränkt neue Angriffs- und Verteidigungsmittel vorzutragen.46 In diesem Punkt entspricht die opposition dem appel (Art.  561 CPC), weshalb ihr trotz gleichbleiben­ der instanzieller Zuständigkeit ein Devolutiveffekt zuerkannt wird.47 Neue Ansprü­ che kann der opposant in seiner fortbestehenden prozessualen Position des Beklag­ ten nur unter den Voraussetzungen der Widerklage (demande reconventionnelle, Artt.  63, 70 CPC) erheben.48 Der Kläger kann neue Ansprüche allein unter den Vo­ raussetzungen einer demande additionnelle (Artt.  65, 70 CPC) im Fall eines unmit­ telbaren Zusammenhangs mit dem ursprünglichen Streitgegenstand (lien de connexité) in das Verfahren einführen. Entsprechendes gilt für zurückgewiesene Teile der Klage, die der Kläger nur im Fall einer identischen cause erneut geltend machen kann.49 Der Devolutiveffekt des appel geht insoweit über den Devolutiveffekt der opposition hinaus.50 Eine Gegenüberstellung der zugrunde liegenden Vorschriften verdeutlicht dennoch die systematische Nähe beider Rechtsmittel zueinander: Art.  561 CPC: „L’appel remet la chose jugée en question devant la juridiction d’appel pour qu’il soit à nouveau statué en fait et en droit.“ Art.  572 Abs.  1 CPC: „L’opposition remet en question, devant le même juge, les points jugés par défaut pour qu’il soit à nouveau statué en fait et en droit.“

Gelangt das Gericht nach erneuter Verhandlung zu einer von der ursprünglichen Versäumnisentscheidung abweichenden Bewertung des Rechtsstreits, ersetzt das Gericht das jugement rendu par défaut gemäß Art.  572 Abs.  2 CPC durch eine neue, streitige Entscheidung.51 Im umgekehrten Fall ergeht ein Sachurteil gleichen Te­ nors.52 Einen bloßen Ausspruch der Aufrechterhaltung der angegriffenen Entschei­ dung, wie ihn §  343 S.  1 ZPO für das Verfahren nach dem Einspruch gegen ein sachlich richtiges Versäumnisurteil vorsieht, erlaubt der Code de procédure civile nicht.53 Gegen die nachfolgende streitige Sachentscheidung ist der pourvoi en cas45 

Boursier/Bortel, in: Rép. pr. civ., Opposition (2014), Rn.  92 u. 97. Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  174. 47  Statt vieler siehe nur Cadiet/Jeuland, Rn.  854 und d’Ambra, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  545.60 – „l’effet dévolutif de l’opposition“. 48  Desdevises, Rn.  341. 49  Boursier/Bortel, in: Rép. pr. civ., Opposition (2014), Rn.  121. 50  Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  175. 51  Mirabail, S.  285 bezeichnet dies als „substitution“. Zum besonderen Fall der rétractation partielle siehe Mirabail, S.  285 m. w. N. 52  So bereits vor Inkrafttreten des (Nouveau) Code de procédure civile Cass. 2e civ., 23 février 1955, JCP éd. G 1955 IV, 50 (50). Zum geltenden Recht siehe Douchy-Oudot, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 540 (2014), Rn.  181. 53  Um zu vermeiden, dass der Kläger über zwei Titel verfügt, gelten die angefochtene Ver­ säumnisentscheidung und die nachfolgende streitige Entscheidung als materiell verbunden durch eine „sorte de lien d’indivisibilité“ (sog. homogénéité de la chose jugée); siehe Solus/Perrot III, Rn.  22 und Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  1191. 46 

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Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

sation unter den Voraussetzungen der Artt.  604 ff. CPC statthaft.54 Mithilfe der ­opposition kann der Beklagte somit auf kurzem Wege denselben Verfahrenszustand herbeiführen, der sich andernfalls erst nach Zurückverweisung des Rechtsstreits durch die Cour de cassation ergeben würde. 2.  Das rechtstatsächliche Potenzial der opposition im Sinne einer faktischen zweiten Instanz Zusätzliche Attraktivität erlangt die opposition durch den Umstand, dass die fran­ zösischen Zivilgerichte wie oben dargelegt auch im Fall der Säumnis stets unter Berücksichtigung des gesamten gerichtskundigen Tatsachen- und Beweisstoffs ent­ scheiden und einer säumigen Partei insoweit kein Nachteil entsteht.55 Weiterhin ist zu beachten, dass der Erlass eines der opposition zugänglichen jugement rendu par défaut zwar nur zulässig ist, wenn die Ladung zum Termin dem Beklagten nicht persönlich zugestellt wurde (sog. signification à personne), Art.  473 Abs.  1 CPC.56 Die Untersuchungen im Rahmen des Rapport Magendie I haben allerdings ergeben, dass die signification à personne in der Rechtspraxis gegenüber der Ersatzzustel­ lung (signification à domicile) die Ausnahme ist.57 Bedeutsam für eine taktische Nutzung der opposition ist weiterhin der Umstand, dass das auf die opposition fol­ gende Verfahren im Unterschied zum Verfahren auf den Einspruch (§  342 ZPO) nicht zwangsläufig vor demselben Spruchkörper geführt wird. Das systematische Verständnis der opposition als voie de recours ordinaire hat zur Folge, dass die opposition formal von außen an das Gericht herangetragen wird und sich ihre Zu­ weisung an den zuständigen Spruchkörper nach der allgemeinen Geschäftsvertei­ lung bestimmt.58 Geht man davon aus, dass ein Wechsel des Spruchkörpers ein hö­ heres Maß an Objektivität begründet und damit die Chance einer abweichenden Entscheidung erhöht,59 begünstigt auch dieser Aspekt das prozesstaktische Potenzi­ al der opposition im Sinne einer faktischen zweiten Instanz. 3.  Unklare Akzeptanz einer prozesstaktischen Nutzung der opposition seitens der Gerichte Trotz alledem finden sich in der Rechtsprechung und der wissenschaftlichen Litera­ tur keine Nachweise einer taktischen „Flucht in die opposition“. Der rechtstatsäch­ liche Gebrauch der opposition aus prozesstaktischen Gründen ist daher nur schwie­ 54 

Zur Regel opposition sur opposition ne vaut siehe oben §  6 III 1. Siehe oben §  6 III 3. 56  Die persönliche Zustellung i. S. d. Art.  473 CPC verlangt die tatsächliche Übergabe der La­ dung zu Händen des Beklagten oder seines gesetzlichen Vertreters (Artt.  651, 654 CPC); siehe hierzu Lefort, Rn.  428 (insb. Fn.  2) und Bléry, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  161.132. 57  Siehe Rapport Magendie I, S.  54 ff.; außerdem Bléry, in: Guinchard, Droit et pratique, Rn.  161.133. 58  Desdevises, Rn.  315 m. w. N. 59  So die Annahme bei Jauernig/Hess, §  29, Rn.  10 im Zusammenhang mit §  321a ZPO. 55 

§  13  Grundlagen einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation 209

rig nachzuweisen. Auf der Grundlage eigener Recherchen handelt es sich trotz des aufgezeigten Potenzials wohl um eine lediglich theoretische Möglichkeit.60 Zu­ nächst gelangen die Verfahren der insofern maßgeblichen Juridiction de proximité häufig innerhalb eines Termins zur Entscheidungsreife, sodass sich die theoretisch bestehende Möglichkeit einer nachträglichen Säumnis faktisch nur sehr selten er­ gibt.61 Im Übrigen entscheidet das Eingangsgericht im Fall der Säumnis des Beklag­ ten entgegen dem Wortlaut des Art.  473 Abs.  1 CPC regelmäßig durch streitiges Urteil, wenn sich der Beklagte zuvor umfassend zur Sache geäußert hat. Begründet wird dies mit dem Zweck des jugement rendu par défaut und der korrespondieren­ den opposition, welcher nach allgemeiner Ansicht in der Gewährleistung eines kon­ tradiktorischen Verfahrens (principe du contradictoire) besteht.62 Hat der Beklagte bereits umfassend zur Sache vorgetragen, ist das principe du contradictoire ge­ wahrt und eine opposition nicht geboten. Auf dieser Grundlage kommt eine takti­ sche Säumnis regelmäßig nur dann in Betracht, wenn sich der Beklagte noch nicht zur Sache eingelassen hat. In diesem Fall ginge allerdings die taktische Säumnis mit einem vollständigen Verzicht auf die Eingangsinstanz einher und wäre daher nur in dem Fall ratsam, dass der Ausgang des Verfahrens einzig von einer bislang unge­ klärten Rechtsfrage abhängt. Da es sich bei der Klärung zweifelhafter Rechtsfragen allerdings um die vornehmliche Funktion des pourvoi en cassation handelt, wäre im genannten Fall wenigstens ein nachfolgender pourvoi en cassation zu erwarten. Als Ersatz des appel taugt die opposition daher nicht.

§  13  Grundlagen und Perspektiven einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation Es bleibt somit die Frage, welche Möglichkeiten sich de lege ferenda bieten, um eine Verbesserung des Rechtsschutzes gegenüber Entscheidungen unterhalb des taux d’appel zu erreichen. Den Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen bildet eine Übersicht über die einzelnen Gesetzesänderungen der jüngeren Vergangenheit, die in Teilen zu einer Angleichung des appel und des pourvoi en cassation geführt ha­ ben. In ihrer Gesamtheit verstärken sie die Widersprüche des bestehenden Systems und bilden zugleich den Ansatzpunkt möglicher Verbesserungen.

60  An dieser Stelle dankt der Verfasser Eric Senna, Conseiller à la Cour d’appel de Montpellier und Christophe Toulza, Avocat et Directeur de la formation initiale à l’École des Avocats Centre Sud für die aufschlussreichen Gespräche über die gerichtliche Praxis. 61  Vgl. Solus/Perrot III, Rn.  458 f. 62  Ausführlich Miniato, Rn.  370 ff. u. 386 f. – „garantie en cas d’atteinte au contradictoire“.

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Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

I.  Beschränkung des Suspensiveffekts des appel durch mittelbaren Erfüllungszwang In seiner Eigenschaft als voie de recours ordinaire unterscheidet sich der appel vom pourvoi en cassation neben dem Devolutiveffekt auch durch die Gewährung eines Suspensiveffekts, Art.  539 CPC.63 1.  Historische und systematische Grundlagen der radiation de l’affaire Durch Art.  47 décret n°  2005-1678 du 28 décembre 200564 wurde der Suspensiv­ effekt des appel bedeutend eingeschränkt.65 Richtet sich der appel des Beklagten gegen ein für vorläufig vollstreckbar erklärtes jugement (Art.  524 CPC), kann der Kläger gemäß Art.  526 CPC die radiation des Rechtsmittelverfahrens verlangen. Bei der radiation de l’affaire handelt es sich um eine vorübergehende Streichung des Verfahrens aus dem Terminverzeichnis des Gerichts bis zur Vornahme einer pflichtwidrig unterlassenen Parteihandlung, Artt.  377, 381 u. 383 Abs.  2 CPC.66 Im Rahmen des Art.  526 CPC bezieht sich die radiation de l’affaire auf die geschuldete Erfüllung des Beklagten.67 Ihren Einzug in das Rechtsmittelrecht fand die radiation de l’affaire im Jahr 1989 im Rahmen des pourvoi en cassation.68 Ihre Rechtfertigung leitete die radiation de l’affaire ursprünglich von der fehlenden Suspensivwirkung des pourvoi en cassa­ tion ab.69 Im Rahmen des appel steht eine systematische Rechtfertigung der radiation de l’affaire bislang aus.70

63 

Hierzu bereits unter §  2. JO du 29 décembre 2005, S.  20350 ff. 65  Kritisch von deutscher Seite bereits Hess, in: Gottwald, Effektivität, S.  121 (137). 66  Hierzu Guinchard/Chainais/Ferrand, Rn.  436 2. Die im Einzelnen mit der radiation de l’affaire bedrohten Nachlässigkeiten der Parteien bedürfen gemäß Art.  381 Abs. CPC einer ausdrück­ lichen gesetzlichen Bestimmung („dans les limites de la loi“); hierzu Douchy-Oudot, Rn.  471. Bis zum Inkrafttreten des décret n°  2005-1678 du 28 décembre 2005 am 1. März 2006 war die radiation de l’affaire im Verfahren vor der Cour d’appel gemäß Artt.  907, 781 CPC a. F. nur für den Fall vorgesehen, dass beide Parteien ihren Mitwirkungspflichten gegenüber dem conseiller de la mise en état nicht entsprachen. Die Vorschrift des Art.  907 CPC a. F. trat infolge des décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 an die Stelle des vormaligen Art.  910 CPC. Ferner war die radiation de l’affaire für den Fall vorgesehen, dass der Rechtsmittelführer die Frist der Rechtsmittelbegründung im Verfahren vor dem conseiller de la mise en état versäumte, zur Neuregelung siehe oben §  9 II 2. 67  Rechtsvergleichend Ferrand ZZPInt 2009, 43 (53 ff.). 68  Vgl. Art.  27 décret n°  89-511 du 20 juillet 1989 (JO du 25 juillet 1989, S.  9280 ff.); hierzu Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Pourvoi en cassation (2013), Rn.  828. Die Vorschrift bezeichnete den Vorgang noch als retrait du rôle, worin nach geltendem Recht (Art.  382 CPC) eine einvernehmli­ che Aussetzung des Verfahrens liegt. Zur Unterscheidung der radiation de l’affaire und des retrait du rôle nach geltendem Recht siehe Douchy-Oudot, Rn.  469 m. w. N. auf die Änderungsvorschläge des zugrunde liegenden Rapport Coulon aus dem Jahr 1997. 69  Siehe nur Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 759 (2013), Rn.  24. 70  Siehe hierzu die Nachweise bei Hess, in: Gottwald, Effektivität, S.  121 (137, Fn.  120). 64 

§  13  Grundlagen einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation 211

2.  Voraussetzungen und Ausschlusstatbestände der radiation de l’affaire Angesichts der einschneidenden Folge der radiation de l’affaire in Gestalt eines mittelbaren Erfüllungszwangs, sind an ihren Ausspruch strenge Voraussetzungen geknüpft.71 Gesetzliche Ausschlussgründe sind gemäß Art.  526 Abs.  1 CPC die Un­ möglichkeit der Erfüllung (impossibilité d’exécuter la décision)72 sowie unverhält­ nismäßige Konsequenzen für den Beklagten (conséquences manifestment exces­ sives). Auf richterrechtlicher Grundlage ist die radiation de l’affaire auch dann aus­ geschlossen, wenn sie im konkreten Fall mit einer sinnvollen Verfahrensgestaltung (bonne administration de la justice) unvereinbar ist.73 Die Cours d’appel lehnen das Ersuchen um radiation regelmäßig ab, wenn entweder die titulierte Schuld in einem krassen Missverhältnis zum Vermögen und den laufenden Einkünften des rechts­ mittelführenden Schuldners steht (Aspekt der conséquences manifestment exces­ sives),74 der Schuldner bereits einen derart hohen Teil der Schuld beglichen hat, dass von einem generellen Erfüllungswillen auszugehen ist (Aspekt der bonne administration de la justice)75 oder der rechtsmittelführende Gläubiger die radiation de l’affaire erst bei fortgeschrittenem Verfahrensstand beantragt hat (Aspekt der ­bonne administration de la justice).76 Nach der neueren Rechtsprechung der Cour de cassation hat der Rechtsmittelführer ferner die Möglichkeit, die zugrunde liegende Anordnung der vorläufigen Vollstreckbarkeit (Art.  514 ff. CPC) unter den hohen ­Voraussetzungen des Art.  524 CPC als rechtswidrig anzugreifen und der radiation de l’affaire auf diese Weise ihre wesentliche tatbestandliche Voraussetzung zu ent­ ziehen.77 3.  Rechtsstaatliche Probleme und praktische Folgen Umstritten ist die Vereinbarkeit der radiation de l’affaire mit den Anforderungen des fair trial-Grundsatzes gemäß Art.  6 Art.  1 EMRK.78 Zwar stellte die Cour de cassation bezogen auf den appel bereits ausdrücklich die Vereinbarkeit fest;79 eine 71 

Ferrand ZZPInt 2009, 43 (55 ff.). Ein Beispiel dafür ist die zwischenzeitliche Insolvenz des Rechtsmittelführers; siehe Hoonakker, in: Rép. pr. civ., Exécution provisoire (2013), Rn.  89 m. w. N. 73  Ausführlich Ferrand ZZPInt 2009, 43 (57 f.). 74  Vgl. CA Montpellier, 20 octobre 2009, n°  09/144 (Lamyline) – im konkreten Fall wurden die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes verneint; siehe aber CEDH (EGMR), 14 novembre 2006, n°  348/03 (Ong/France), veröffentlicht unter (letzter Zugriff am 15.12.2014) sowie Ferrand ZZPInt 2009, 43 (57) m. w. N. 75  Nachweis bei Ferrand ZZPInt 2009, 43 (56, Fn.  58). 76  Hierzu CA Nîmes, 13 janvier 2009, n°  07/02779 (Lamyline) und CA Paris, 5 décembre 2008, n°  08/10293 (Lamyline). Eine Frist für den Antrag auf radiation de l’affaire besteht i. Ü. nicht; siehe Ferrand ZZPInt 2009, 43 (56). 77  Cass. 2e civ., 9 juillet 2009, Bull. civ. II 2009, n°  192 und Fricero, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 679 (2013), Rn.  30. In ihrer Eigenschaft als mesure d’administration judiciaire (Art.  383 Abs.  1 CPC) ist die radiation de l’affaire selbst keinem Rechtsbehelf zugänglich, Art.  537 CPC. 78  Ferrand, in: Gerechtigkeit und Ökonomie, S.  39 (48 ff.). 79  Cass. 2e civ., 18 juin 2009, Bull. civ. II 2009, n°  167. 72 

212

Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte steht bislang aber aus.80 Allerdings qualifizierte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Rahmen des pourvoi en cassation die radiation de lʼaffaire gemäß Art.  1009-1 CPC als unvereinbar mit Art.  6 Abs.  1 EMRK, da im konkreten Fall die Erfüllung des zuerkannten Anspruch eine krasse finanzielle Überforderung des Beklagten bedeu­ tete. Obwohl die radiation de l’affaire in der Rechtspraxis zurückhaltend erfolgt, senkt Art.  526 CPC die Suspensivwirkung des appel systematisch auf den Gewähr­ leistungsumfang des pourvoi en cassation herab. Unter dem Aspekt der Suspension ist die Statthaftigkeit des pourvoi en cassation gegenüber erstinstanzlichen Ent­ scheidungen unterhalb des taux d’appel daher seit dem Inkrafttreten des décret n°  2005-1678 du 28 décembre 2005 nur noch eingeschränkt gerechtfertigt. II.  Vergleich der Fristen und Einleitungsformen von appel und pourvoi en cassation Auch die gegenwärtige Struktur der Fristen und der Einleitungsformen des appel und des pourvoi en cassation weist systematische Widersprüche auf. Die Frist zur Erhebung des pourvoi en cassation im Rahmen der procédure avec représentation obligatoire beträgt zwei Monate (Art.  612 CPC) ab der Zustellung der anzufechten­ den Entscheidung, Art.  528 CPC.81 Binnen weiterer vier Monate ist der pourvoi en cassation in Form des mémoire ampliatif zu begründen, Art.  978 Abs.  1 CPC. Der Rechtsmittelbeklagte muss den pourvoi en cassation innerhalb von zwei Monaten erwidern, Art.  982 CPC. Beschleunigte Einleitungsformen sind im Rahmen des pourvoi en cassation nicht vorgesehen.82 Sowohl die Frist zur Einlegung des pourvoi en cassation als auch die Frist zur Begründung sind um jeweils einen Monat länger als die entsprechenden Fristen des appel.83 Zwar wurde die Frist zur Erstellung des mémoire ampliatif noch durch Art.  5 décret n°  2008-484 du 22 mai 200884 der damals gültigen Frist zur Begrün­ dung des appel von vier Monaten angepasst.85 Die nachfolgende Herabsetzung der Rechtsmittelbegründungsfrist des appel auf nunmehr drei Monate durch Art.  2 décret n°  2009-1524 du 9 décembre 200986 hat der französische Gesetzgeber aber nicht auf den pourvoi en cassation übertragen. Das Ergebnis ist nicht frei von Widersprüchen: Die unterschiedlichen Fristen des appel und des pourvoi en cassation ließen sich allein unter Berücksichtigung der 80 

CEDH (EGMR), 14 novembre 2006, n°  348/03 (Ong/France), a. a. O. (Fn. 74). Darüber hinaus bestehen besondere Fristen im Rahmen einzelner Sachmaterien; siehe die Darstellung bei Vuitton/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 754 (2013), Rn.  2 ff. u. 44. 82  Anders im Rahmen des appel; siehe oben §  9 I. 83  Vgl. Art.  538 CPC und Art.  908 CPC sowie oben §  9 I – II. 84  JO du 24 mai 2008, S.  8477 ff. 85  Hierzu Beignier/Miniato Lamy 54/2008, 57 (57). 86  JO du 11 décembre 2009, S.  21386 ff.; hierzu oben §  9 I – II. 81 

§  13  Grundlagen einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation 213

hohen Anforderungen an die Erstellung des mémoire ampliatif rechtfertigen.87 Im Unterschied zum pourvoi en cassation ermöglicht der appel jedoch den Vortrag neuer Angriffs- und Verteidigungsmittel sowie die Entwicklung neuer rechtlicher Strategien. Je nach Sach- und Rechtslage ist die Begründung des appel daher nicht weniger aufwendig als die Erstellung eines mémoire ampliatif.88 Seitens der Rechts­ lehre wird die Verkürzung der Rechtsmittelbegründungsfrist des appel daher als ein Angriff auf den double degré de juridiction gewertet.89 Auch verfahrensökono­ misch ist die Diskrepanz der Rechtsmittelbegründungsfristen von appel und pourvoi zweifelhaft. Zu berücksichtigen ist zunächst, dass der mémoire ampliatif als Rechtfertigung für die zwingende Mandatierung eines avocat au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation dient,90 während das Verfahren vor der Cour d’appel aus Gründen der Einfachheit seit seiner jüngsten Reform auf die vormals verbindliche Prozessvertretung durch einen avoué verzichtet.91 Bei erhöhten prozessualen An­ forderungen und geringerem Gewährleistungsumfang dauert das Verfahren vor der Cour de cassation damit bereits zum Zeitpunkt der Rechtsmittelerwiderung unter Ausschöpfung aller Fristen zwei Monate länger als das Verfahren vor der Cour d’appel.92 Die Maximen der Einfachheit und der Bürgernähe werden auf diese Wei­ se programmatisch verfehlt.93 III.  Ansatzpunkte eines Systemwandels der französischen zweiten Zivilinstanz Die Unterschiede des appel und des pourvoi en cassation beziehen sich somit effek­ tiv auf den beschränkten Prüfungs- und Entscheidungsumfang der Cour de cas­ sation und das vergleichsweise schwerfällige Kassationsverfahren. Nicht nur der objektiv hohe taux d’appel von gegenwärtig über 4.000 EUR, sondern auch die jüngeren Reformen des appel stützen die Kritik an der streitwertgebundenen Pa­ ralleli­tät von appel und pourvoi en cassation. Indem der Situation de lege lata nur sehr eingeschränkt prozesstaktisch zu begegnen ist, stellt sich die Frage nach den Möglichkeiten einer gesetzlichen Korrektur. Es kommen hierfür drei Ansatzpunkte in Betracht. 1.  Herabsenkung des taux d’appel Zunächst ließen sich im Rahmen einer empirischen Untersuchung das Maß der rechtstatsächlichen Entlastung der Cours d’appel infolge der auf Grundlage des Rapport Magendie II durchgeführten Reformen ermitteln und der taux d’appel ent­ 87 

Hierzu oben §  11 III. Siehe insbesondere d’Ambra/Boucon D. 2010, 1093 (1094). 89  Statt vieler Ferrand ZZPInt 2009, 43 (78); siehe ferner oben §  9 III 3. 90  Siehe oben §  11 I. 91  Siehe oben §  9 II 3. 92  Zu den Rechtsmittelerwiderungsfristen siehe Art.  909 CPC (appel) und Art.  982 CPC (pourvoi en cassation). 93  Hierzu bereits Zwickel, S.  336. 88 

214

Vierter Teil:  Vergleich von appel und pourvoi en cassation

sprechend herabsenken. Da auf diese Weise aber das Ziel des Rapport Magendie II einer Entlastung der Justiz aufgewogen würde,94 ist eine Lösung allein auf Grund­ lage des taux d’appel im Ergebnis abzulehnen. 2.  Vereinfachung der Regeln des Verfahrens vor der Cour de cassation Einen weiteren Ansatzpunkt bietet das vielfach als schwerfällig und teuer kritisier­ te Verfahren vor der Cour de cassation. Zu denken wäre an eine Vereinfachung der Verfahrens- und Vertretungsregeln bezüglich des pourvoi en cassation gegenüber eingangsgerichtlichen Entscheidungen von verhältnismäßig geringem Wert. Zwar könnte auf diese Weise das Verfahren entsprechend den Maximen der Juridiction de proximité günstiger und bürgernäher gestaltet werden. Derartige Liberalisie­ rungsbestrebungen stünden allerdings im Widerspruch zur jüngeren Rechtsent­ wicklung. So wurde im Jahr 2004 durch Art.  39 décret n°  2004-836 du 20 août 200495 der pourvoi en cassation des arbeitsgerichtlichen Verfahrens, der bis dato nicht der Vertretung durch einen avocat au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation bedurfte (vgl. Art. R517-10 CTrav a. F.),96 der procédure ordinaire avec représentation obligatoire zugewiesen.97 Begründet wurde dies mit dem Ziel eines Qualitäts­ zuwachses der Verfahren vor der Cour de cassation.98 Darüber hinaus genießt das Monopol der avocats au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation gegenwärtig den Schutz des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.99 Politisch ist der An­ satz einer Liberalisierung des Verfahrens vor der Cour de cassation daher wohl kaum durchsetzbar.100 3.  Einführung eines ergänzenden Zulassungs- oder Annahme-appel Anstelle einer Änderung der kassationsgerichtlichen Verfahrensweise käme eine Änderung der Zuständigkeitsregeln unterhalb des taux d’appel in Betracht. In Fort­ führung der Erwägungen Perrots könnte hierbei die Zulässigkeitssystematik der Berufung gemäß §  511 Abs.  2 ZPO als Grundlage dienen.101 Der appel wäre hier­ nach zulässig, wenn er entweder den taux d’appel erreicht, aufgrund besonderer Voraussetzungen zugelassen wurde oder vom Rechtsmittelgericht angenommen 94 

Zur Programmatik des Rapport Magendie II siehe oben §  8. JO du 22 août 2004, S.  15032 ff. 96  Zitiert nach Teyssié CTrav 2004. 97  Hierzu Vuitton/Vuitton, in: J.-Cl. pr. civ., Fasc. 757 (2013), Rn.  3 u. Fasc. 758 (2013), Rn.  3. 98  Grumbach/Serverin RDT 2006 (Chroniques), 331 (331 f.). 99  CEDH (EGMR), 8 février 2000, n°  27362/95 (Voisine/France), D. 2000 (Jurisprudence), 651 (652 f.); siehe hierzu Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Cour de cassation (2008), Rn.  181. 100  Im Jahr 1981 scheiterte umgekehrt ein Reformprojekt zur Übertragung einzelner Kassati­ onsgründe auf die Cour d’appel, da eine Angleichung der Verfahren letztlich als praktisch nicht durchführbar eingestuft wurde; ausführlich hierzu Boré/Boré, in: Rép. pr. civ., Cour de cassation (2008), Rn.  182; vgl. ferner die Reform des Verfahrens vor der Cour de cassation durch das décret n°  2014-1338 du 6 novembre 2014 (JO du 8 novembre 2014, S.  18901). 101  Siehe Perrot Institutions, Rn.  168. 95 

§  13  Grundlagen einer Reform des Verhältnisses von appel und pourvoi en cassation 215

wird. Im Unterschied zum deutschen Recht dürfte sich die Zulassung oder Annah­ me des appel jedoch nicht am Ziel einer höchstrichterlichen Klärung des Rechts­ streits orientieren. Dies ist de lege lata bereits durch die Statthaftigkeit des pourvoi en cassation garantiert. Die Zulassung oder Annahme des appel wäre stattdessen an den beschriebenen Vorzügen des double degré de juridiction und der voie d’achève­ ment auszurichten. Auf der Grundlage des prozessökonomischen Ansatzes des Rapport Magendie II102 wäre der appel hiernach immer dann vom Eingangsgericht zuzulassen bzw. von der Cour d’appel anzunehmen, wenn der Rechtsmittelführer trotz sorgfältiger Verfahrensführung in berechtigter Weise ein neues Angriffs- oder Verteidigungsmittel vorträgt (Art.  563 CPC) oder einen neuen Anspruch geltend macht, vgl. Art.  564 ff. CPC. In beiden Fällen könnte der Rechtsstreit im Rahmen des appel seinen Abschluss finden und einen andernfalls nach dem Konzept der autorité de la chose jugée drohenden Folgeprozess verhindern. Die strukturellen Voraussetzungen, insbesondere das Prinzip eines Annah­ me-appel sind im geltenden französischen Verfahrensrecht durchaus vorhanden. So entscheidet der premier président der Cour d’appel nach geltendem Recht, wie oben dargelegt, ob der appel gegen eine décision ordonnant l’expertise (Art.  272 CPC) oder eine décision de sursis (Art.  380 CPC) durch ein motif grave et légitime ge­ rechtfertigt ist (sog. appel soumis à autorisation).103 Diese Vorprüfungskompetenz des premier président ließe sich nach Maßgabe der voie de réformation und der voie d’achèvement auf das jugement en premier et dernier ressort ausweiten. Im Fall einer abschlägigen Entscheidung des premier président wäre der pourvoi en cas­ sation entsprechend den geltenden Regeln statthaft. Eine eventuell drohende Mehr­ belastung der Cours d’appel104 zugunsten einer konsequenten Förderung der Bür­ gernähe und der voie de réformation sowie der voie d’achèvement würde sich in diesem Fall auf die Vorprüfung des premier président beschränken und im Übrigen durch eine Entlastung der Cour de cassation und der Eingangsgerichte kompen­ siert.

102 

Ausführlich unter §  8. Siehe hierzu §  6 I 2 c. 104  Siehe hierzu die Vorbehalte gegenüber einer generellen Umstellung der französischen Rechtsmittelsystematik vom bestehenden Streitwertsystem zu einem Beschwerdewertsystem bei Perrot Institutions, Rn.  168. 103 

Fünfter Teil

Zusammenfassung der Ergebnisse und Thesen Die Ergebnisse der Arbeit werden nachfolgend zusammengefasst. Ein kurzes Resü­ mee in französischer Sprache bildet den Schluss.

§  14  Zusammenfassung und Thesen I.

1.

2.

3.

Funktionell-rechtsvergleichend steht die deutsche Berufung auf französischer Seite nicht nur dem appel, sondern einem Dreiklang aus appel, pourvoi en cassation und opposition gegenüber. In Gestalt der sofortigen Beschwerde ver­ fügt das deutsche Zivilverfahren über ein weiteres Rechtsmittel, das im franzö­ sischen Recht keine Entsprechung findet. Sowohl die Berufung als auch der appel und der pourvoi en cassation sehen grundsätzlich nur eine nachträgliche Inzidentprüfung prozessualer Nebenent­ scheidungen vor. Die ergänzende sofortige Beschwerde des deutschen Zivil­ verfahrens spiegelt die historisch gewachsenen Unterschiede der deutschen und der französischen Urteilslehre sowie der Zusammensetzung der Spruch­ körper wider. Die rechtstatsächlichen Folgen beschränken sich im geltenden Recht auf verfahrensleitende Maßnahmen außerhalb der Sachverhaltsklärung und der Beweisaufnahme, die im französischen Zivilverfahren als mesures d’administration judiciaire keinem Rechtsbehelf zugänglich sind. Weitere Unterschiede bestehen hinsichtlich des Rechtsschutzes gegenüber Entscheidungen von verhältnismäßig geringem Wert (sog. small claims). Wäh­ rend die Berufung ab einem Wert der Beschwer von über 600 EUR statthaft ist, ist der appel erst ab einem Streitwert (taux de ressort oder taux d’appel) von über 4.000 EUR zulässig. Seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreform­ gesetzes am 1. Januar 2002 sieht das deutsche Verfahrensrecht für das Wert­ segment unterhalb der sog. Erwachsenheitssumme von über 600 EUR die Möglichkeit einer Zulassung der Berufung nach Maßgabe der rechtlichen Be­ deutung eines Rechtsstreits vor. Auf französischer Seite sind der pourvoi en cassation und die opposition als Rechtsbehelf zugunsten des säumigen Be­ klagten gegenüber den Entscheidungen unterhalb des taux d’appel statthaft. Der Einspruch gegen Versäumnisurteile nach deutschem Recht korrespondiert nur sehr eingeschränkt mit der opposition gegen das jugement rendu par ­défaut. Bei funktioneller Betrachtung entspricht jenes französische Versäum­

§  14  Zusammenfassung und Thesen

217

nisurteil auf deutscher Seite einer Entscheidung nach Lage der Akten. Die sich daran anschließende opposition ist im Rahmen ihrer historischen Entwicklung für das Wertsegment unterhalb des taux d’appel an die Stelle des appel getre­ ten und diesem in ihren Rechtswirkungen vergleichbar. Die funktionelle Kor­ respondenz des jugement rendu par défaut und der Entscheidung nach Akten­ lage zeigt sich auch anhand der Anknüpfung der nationalen Rechtsmittelsyste­ me an das Europäische Verfahren für geringfügige Forderungen nach der EuGFVO. II. Unbeschadet der Diversität der zweiten Instanz des französischen Zivilverfah­ rens ist der appel deren charakteristisches Rechtsmittel. Er erfüllt traditionell die Funktion einer zweiten Tatsacheninstanz mit uneingeschränktem Noven­ recht (sog. double degré de juridiction). Die Berufung des deutschen Rechts ist demgegenüber seit ihrer Reform durch das Zivilprozessreformgesetz vom 27. Juli 2001 als Fehlerkorrekturinstanz konzipiert und lässt den Vortrag neuer Tatsachen nur sehr eingeschränkt zu. 1. Der Unterschied zwischen Berufung und appel im Hinblick auf das zweitins­ tanzliche Novenrecht beruht dogmatisch auf der erstinstanzlichen Präklusion einzelner Angriffs- und Verteidigungsmittel gemäß §  296 ZPO. Die Vorschrift findet keine Entsprechung im französischen Recht, sodass für eine Fortset­ zung der Präklusion im Rahmen des appel kein Regelungsbedarf besteht. 2. Vor diesem Hintergrund sind die reformierten §§  529 Abs.  1 Nr.  2, 531 Abs.  2 S.  1 Nr.  2 ZPO auf deutscher Seite zwar konsequent; das in ihnen verkörperte Konzept einer „Fehlerkorrekturinstanz mit Ausnahmevorbehalt“ ist jedoch entgegen der Annahme des Reformgebers in der Rechtspraxis nicht zwingend ökonomischer als das Konzept eines double degré de juridiction. Auszugehen ist von einer zweigliedrigen Definition der Verfahrensökonomie, bestehend aus dem prozessualen Ertrag und dem erforderlichen prozessualen Aufwand des jeweiligen Rechtsmittels unter Berücksichtigung des vorangegangenen Rechtszuges. Bei normativer Betrachtung ist der Ertrag einer zweiten Tatsa­ cheninstanz grundsätzlich größer als der Ertrag einer Fehlerkorrekturinstanz, während sich letztere im Grundsatz durch einen geringeren prozessualen Auf­ wand auszeichnet. 3. Unter Berücksichtigung des gesamten Verfahrens übersteigt der tatsächliche Gewährleistungsumfang des appel dennoch nicht zwingend die Gewährleis­ tungen der Berufung. Dies folgt aus einem Vergleich der richterlichen Verfah­ rensleitung und der materiellen Rechtskraft. Die richterliche Verfahrenslei­ tung ist im deutschen Zivilverfahren auf der Grundlage von §  139 ZPO bedeu­ tend stärker ausgeprägt. Gleiches gilt für den Grundsatz iura novit curia. Im französischen Zivilverfahren obliegt es zuvorderst den Parteien, sowohl die tatsächlichen als auch die rechtlichen Grundlagen des Rechtsstreits darzutun. Der appel versteht sich auf dieser Grundlage als eine „zweite Chance“, wäh­ rend die Berufung den Parteien nur bei unzureichender richterlicher Verfah­

218

Fünfter Teil:  Zusammenfassung der Ergebnisse und Thesen

rensleitung oder besonderen externen Umständen den Vortrag neuer Tatsachen erlaubt, §  531 Abs.  2 ZPO. Der Umfang des zulässigen Tatsachenstoffs korres­ pondiert sowohl im Rahmen des appel als auch im Rahmen der Berufung mit dem gesetzlichen Umfang der materiellen Rechtskraft (autorité de la chose jugée). Im Ergebnis sind daher beide Rechtsmittelkonzepte konsequent, ob­ gleich die auf deutscher Seite bisweilen bevorzugte Auslegung nach dem Leit­ bild einer zweiten Tatsacheninstanz das System des Reformgebers stört. 4. Denn auf deutscher Seite ist dem Reformgeber der Funktionswandel der Beru­ fung nur mit Einschränkungen gelungen. Der grundsätzliche Ausschluss neu­ er Tatsachen im Berufungsverfahren verleitet die Parteien in erster Instanz zu präventivem Sachvortrag. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Berufungsgericht außerdem bei der Frage der Tragfähigkeit des erst­ instanzlich festgestellten Sachverhaltes nicht auf die Darlegungen in der Beru­ fungsschrift beschränkt, sondern zur eigenständigen Suche nach Berufungs­ gründen gemäß §§  513 und 520 ZPO gehalten. Auch führen die Ausnahme­ regeln des §  531 Abs.  2 S.  1 ZPO betreffend die Zulassung neuen Sachvortrages in erheblichem Maße zu rechtlichen Folgefragen. Entgegen der Rechtspre­ chung sollten insbesondere solche Tatsachen vom prozessualen Begriff „neuer Tatsachen“ ausgenommen werden, die auf einer nachträglichen Rechtshand­ lung einer Partei beruhen. III. In bewusster Abgrenzung zum deutschen Recht konzentrieren sich die Refor­ men des appel seit dem Jahr 2009 unter Beibehaltung des double degré de ­juridiction auf formelle Aspekte der Verfahrensleitung. Durch die Verkürzung von Verfahrensfristen und die Festlegung konkreter Anforderungen an die Rechtsmittelschrift zielt der französische Reformgeber darauf ab, den prozes­ sualen Aufwand und das Verzögerungspotenzial des appel zu begrenzen. Ein Vergleich der jeweiligen Durchschnittsdauer der Verfahren vor den Cours d’appel und den Berufungsgerichten belegt, dass die Strategie des französi­ schen Reformgebers durchaus erfolgversprechend ist. IV. Das System der §§  529 Abs.  1, 531 ZPO ist nur in begrenztem Umfang Verbes­ serungen zugänglich. Es liegt in der Natur der Sache, wenn die Parteien versu­ chen, den Verfahrensstoff in erster Instanz möglichst weitläufig zu fassen und im Übrigen auf eine für sie günstige Anwendung der Ausnahmetatbestände des §  531 Abs.  2 ZPO hinwirken. 1. Sofern der Gesetzgeber weder die Einführung eines strikten Novenausschlus­ ses („österreichisches Modell“) noch die Rückkehr zu einer zweiten Tatsa­ cheninstanz („französisches Modell“) beabsichtigt, ist eine Aufwertung der deutschen Berufung nur auf formellem Weg zu erreichen. Entsprechend den Bestrebungen des Reformgebers sollte das Ziel darin bestehen, die Berufungs­ gründe (§  513 Abs.  1 ZPO) in der Rechtspraxis stärker zu gewichten und damit eine frühzeitige Beschränkung des zweitinstanzlichen Prüfprogramms zu be­ wirken.

§  14  Zusammenfassung und Thesen

219

An dieser Stelle bietet das neu gestaltete Verfahren des appel diverse Ansatz­ punkte: Vergleichbar dem reformierten Art.  954 CPC sollten die Berufungs­ gründe (§  513 Abs.  1 ZPO) unter Ausschlusswirkung in einer Art Tenor der Berufungsschrift voranzustellen sein und den jeweils korrespondierenden An­ griffs- und Verteidigungsmitteln zugeordnet werden. Die Parteien müssten auf diese Weise ihre „Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entschei­ dungserheblichen Feststellungen“ (§  529 Abs.  1 Nr.  1 ZPO) präzise darlegen. In der Folge wäre das Berufungsgericht davon befreit, die Berufungsbegrün­ dung umfassend und unter ergänzender Berücksichtigung der Verfahrensak­ ten entsprechend einer zweiten Tatsacheninstanz auszuwerten. Weitere Anre­ gungen zur Verfassung der Berufungsschrift und zur Beschleunigung des Berufungsverfahrens bietet das französische Verfahrensrecht auf dem Gebiet der elektronischen Kommunikation. V. Als unproblematisch im Rahmen der Verfahrensweise ist auf deutscher Seite der Wegfall der Singularzulassung vor den Oberlandesgerichten zu bewerten. Statistisch lassen sich keine nachteiligen Folgen für das deutsche Rechtsmittel­ system nachweisen. Auch in Bezug auf das französische Zivilverfahren, das mit der Fusion von avocats und avoués gegenwärtig eine vergleichbare Verän­ derung durchlebt, lassen sich keine nachteilhaften Rückschlüsse ziehen. Dies gilt umso mehr, als der französische Gesetzgeber die Fusion der beiden Ver­ fahrensämter ausdrücklich im Rahmen der Reform der Verfahrensweise des appel berücksichtigte. VI. Weitere Unterschiede zwischen dem appel und der Berufung ergeben sich schließlich im Hinblick auf die Zulässigkeit neuer Ansprüche. 1. Unter dem Begriff der voie d’achèvement (Artt.  555 u. 564 ff. CPC) stellt das französische Recht differenzierte Anforderungen sowohl an die Einführung neuer Streitgegenstände in das Rechtsmittelverfahren als auch an den Verfah­ renseintritt dritter Personen. Das uneingeschränkte Novenrecht des Art.  563 CPC begründet keine zusätzliche Einschränkung der einzelnen Ausprägungen der voie d’achèvement auf tatsächlicher Ebene, sondern bildet deren Grundla­ ge. Seit der Reform des appel durch das décret n°  2009-1524 du 9 décembre 2009 können die Parteien die differenzierten tatbestandlichen Voraussetzun­ gen der voie d’achèvement nicht mehr kraft Einwilligung umgehen. 2. Im Rahmen der Berufung sind neue Ansprüche mithilfe der Klageänderung einschließlich ihrer verwandten Institute, im Wege der Widerklage und in Form der Aufrechnung bereits im Fall ihrer Sachdienlichkeit oder bei Einwil­ ligung des Gegners zulässig, §  533 Nr.  1 ZPO. Eine Einschränkung erfährt die Zulässigkeit neuer Ansprüche im Berufungsverfahren lediglich mittelbar durch das nunmehr eingeschränkte Novenrecht gemäß §  533 Nr.  2 ZPO. 3. Die Lösung des deutschen Systems ist insoweit konsequent, als sie darauf ab­ zielt, entsprechend dem Regierungsentwurf des Zivilprozessreformgesetzes eine „Flucht in die Klageänderung/Widerklage/Prozessaufrechnung“ zu ver­ 2.

220

Fünfter Teil:  Zusammenfassung der Ergebnisse und Thesen

meiden. Für die innere Systematik des §  533 ZPO gilt dies nicht: Der in §  533 Nr.  1 ZPO niedergelegte Begriff der Sachdienlichkeit beruht auf einem Öko­ nomieverständnis, das bei rechtsvergleichender Betrachtung zwar für den appel, nicht aber für die reformierte Berufung gilt. Auf dieser Grundlage wecken der Begriff der Sachdienlichkeit und die Alternative der Einwilligung prozes­ suale Erwartungen, die §  533 Nr.  2 ZPO auf tatsächlicher Ebene nicht umzu­ setzen erlaubt. Einige Gerichte lösen diesen Konflikt, indem sie neue Ansprü­ che in einem höheren Maße zulassen, als es das im Grundsatz weiterreichende französische Recht bei funktioneller Betrachtung erlaubt. 4. Eine Verbesserung des §  533 ZPO könnte dadurch erreicht werden, dass einer­ seits der Tatbestand der Einwilligung gestrichen und andererseits das Merk­ mal der Sachdienlichkeit durch ein System rechtlich differenzierter Zulas­ sungstatbestände ersetzt würden. Die Artt.  555 und 564 ff. CPC könnten hier­ bei als Muster dienen. VII. Ein speziell auf deutscher Seite mit der zweitinstanzlichen Klageänderung verbundenes Problem ist die Zulässigkeit der Entscheidung des Berufungsge­ richts über erstinstanzliche Verfahrensreste (sog. Evokation). Zwar erkennt die Rechtsprechung eine derartige Entscheidungsbefugnis des Berufungsgerichts grundsätzlich an; der dogmatische Begründungsansatz, der sich auf die Ver­ gleichbarkeit der Situation mit der zweitinstanzlichen Klageänderung stützt, ist jedoch seit dem Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes nicht mehr tragfähig. Insbesondere stellt sich die Frage, ob §  529 Abs.  1 ZPO für den Fort­ gang des Verfahrens eine Zäsur des zu berücksichtigenden Verfahrensstoffs verlangt. Eine gesetzliche Regelung sowohl der Voraussetzungen als auch der Folgen der Evokation etwa nach französischem Vorbild (Art.  568 CPC) bleibt zu wünschen. VIII. Beide Rechtsmittelsysteme werfen gegenwärtig Fragen auf im Umgang mit Klagen von verhältnismäßig geringem Wert (sog. small claims). 1. Der auf französischer Seite bis zu einem Streitwert von 4.000 EUR statthafte pourvoi en cassation bietet aufgrund seiner aufwendigen Verfahrensgestal­ tung keinen befriedigenden Rechtsschutz. Auf der Grundlage der prozesswirt­ schaftlichen Intention des appel in seiner Eigenschaft als double degré de juridiction und ergänzender voie d’achèvement liegt die Einführung eines Zulas­ sungs- oder Annahme-appel nahe. 2. Nach deutschem Recht ist die Berufung zwar ab einem Wert der Beschwer von über 600 EUR und im Übrigen im Fall ihrer Zulassung statthaft. Das Gesetz gibt den Parteien aber kein Mittel an die Hand, um sich gegen die Versagung der Zulassung zu wenden. Dies führt zu Problemen, sofern eine Partei eine Verletzung ihrer Verfahrensgrundrechte durch die Erstinstanz rügt. Eine Schließung dieser Rechtsschutzlücke ließe sich in sachgerechter und rechts­ sicherer Weise durch eine Übertragung der revisionsrechtlichen Nichtzulas­ sungsbeschwerde (§  544 ZPO) erreichen.

§  15  Résumé et conclusions

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§  15  Résumé et conclusions Les résultats de la recherche peuvent être résumés ainsi : I. Le champ d’application de la Berufung allemande recoupe non seulement celui de l’appel mais aussi celui du pourvoi en cassation et de l’opposition. La procé­ dure civile allemande connaît également une voie de recours, la sofortige Beschwerde, qui n’a pas d’équivalent en droit français. Le champ d’application de la sofortige Beschwerde allemande s’étend aux ­mesures d’administration judiciaire qui sont insusceptibles de recours en droit français. Du point de vue historique, la sofortige Beschwerde exprime les ­différences des ordres juridiques français et allemand en ce qui concerne la dogmatique des jugements et la formation des tribunaux. D’autres différences existent quant à la protection contre les décisions résultant de litiges, dont le montant des demandes est relativement faible. Alors que la Berufung est recevable à partir d’une valeur de grief de plus de 600 euros (si le jugement de première instance déboute une partie de plus de 600 euros par rapport à sa prétention initiale), l’appel est quant à lui recevable lorsque le montant du litige (« taux de ressort » ou « taux d’appel ») est de plus de 4 000 euros. Le pourvoi en cassation et l’opposition sont recevables contre les déci­ sions qui ne dépassent pas le taux de ressort. En Allemagne, depuis la loi de réforme de la procédure civile du 27 juillet 2001 (entrée en vigueur le 1er jan­ vier 2002), les tribunaux de première instance peuvent autoriser la Berufung, lorsque le litige soulève une question juridique fondamentale. Le recours contre les jugements par défaut en droit allemand (Einspruch) s’ap­ parente seulement de manière très limitée à l’opposition à un jugement rendu par défaut. Le jugement rendu par défaut est l’équivalent du jugement sur pièces (Entscheidung nach Aktenlage) en droit allemand. Contrairement au Ein­ spruch, qui n’a pas d’effet dévolutif, les effets de l’opposition sont aujourd’hui équivalents à ceux de l’appel. Ainsi, au regard de la procédure européenne de règlement des petits litiges (Règlement (CE) n°  861/2007), le jugement rendu par défaut français et le jugement sur pièces allemand remplissent la même fonction. II. Nonobstant la pluralité des voies de recours contre les jugements de première instance en droit français, l’appel est la voie de recours ordinaire de la seconde instance. Il assure l’existence d’un double degré de juridiction. Depuis sa ré­ forme par la loi précitée, la Berufung de droit allemand est en revanche conçue comme une instance permettant uniquement de corriger les erreurs matérielles ou procédurales du jugement attaqué. Par conséquent, la Berufung ne permet la présentation de faits nouveaux que de manière très limitée. En ce qui concerne le droit d’invoquer des faits et moyens nouveaux, la ­différence entre l’appel et la Berufung repose de manière dogmatique sur la forclusion des moyens en première instance. La règle allemande ne trouve

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Fünfter Teil:  Zusammenfassung der Ergebnisse und Thesen

a­ ucun équivalent en droit français. C’est pourquoi il n’existe en matière d’appel aucun besoin d’une réglementation visant à encadrer la forclusion de premier degré. Même si le droit de présenter des faits et moyens nouveaux dans le cadre de la Berufung est relativement limité par rapport au principe de double degré de juridiction, le droit français n’offre pas nécessairement un meilleur niveau de protection que le droit allemand. La différence entre les ordres juridiques français et allemand devient particulièrement claire au regard de l’office du juge. En droit allemand, celui-ci se manifeste de manière remarquable sur le fondement de la réforme précitée. Il en est de même pour le principe iura novit curia. En revanche, en droit de la procédure civile français, il incombe aux parties d’invoquer, non seulement les moyens de fait mais aussi de droit dont ils se prévalent. Sur cette base, l’appel français se comprend comme une « deuxième chance », alors que la Berufung n’autorise les parties à procéder à une présentation de faits nouveaux que si le tribunal de première instance n’a pas dirigé le procès de manière satisfaisante. De plus, le droit de présenter des faits nouveaux dans le cadre de la Berufung est limité par l’autorité de la chose jugée, plus vaste en droit allemand qu’en droit français. Cependant, le législateur allemand n’a que partiellement réussi à changer la fonction de la Berufung. L’exclusion fondamentale des faits nouveaux de la procédure de second degré incite les parties à présenter en première instance, de manière « préventive », l’ensemble des faits dont ils entendent se prévaloir. De plus, d’après la jurisprudence de la Cour fédérale de justice (Bundesgerichtshof ), les cours d’appel allemandes (Berufungsgerichte) ne sont pas liées par les conclusions d’appel en ce qui concerne le bien-fondé du jugement attaqué. Enfin, les règles d’exception relatives à l’autorisation de la présentation des faits nouveaux conduisent à une incertitude juridique conséquente. Contrairement à la réforme de la Berufung, les dernières réformes de la procé­ dure d’appel portent sur l’amélioration des règles de direction du procès. À travers l’exigence d’une détermination concrète des demandes dans les conclu­ sions et du raccourcissement des délais de la procédure, le législateur français vise à limiter le ralentissement de cette dernière et l’augmentation des frais potentiels qui y sont liés. Une comparaison de la durée moyenne de la procé­ dure devant les cours d’appel françaises et allemandes démontre que la straté­ gie du législateur français est tout à fait prometteuse. III. Dans la mesure où le législateur allemand, dans le cadre de la Berufung, n’envi­ sage ni l’exclusion stricte des faits et moyens nouveaux («  modèle autrichien  »), ni le retour à un double degré de juridiction (« modèle français »), une amélio­ ration de l’état actuel passerait uniquement par la voie formelle. La réforme de l’appel pourrait ici servir de modèle. Dans le domaine de la communication électronique, le droit de la procédure civile français offre également d’autres

§  15  Résumé et conclusions

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éléments intéressants pour le déroulement de la procédure en deux­ième ­in­stance. IV. Outre la présentation des faits et moyens nouveaux, d’autres différences entre l’appel et la Berufung existent en ce qui concerne l’admissibilité des demandes nouvelles en deuxième instance. Sous la notion de « voie d’achèvement », le droit français pose des exigences spécifiques, non seulement à l’introduction de nouvelles prétentions au cours de la procédure d’appel, mais aussi à l’intervention d’une tierce personne. A l’inverse, dans le cadre de la Berufung, les prétentions nouvelles sont générale­ ment admises en cas d’utilité ou avec le consentement de la partie adverse. Néanmoins, dans de tels cas, les règles restrictives portant sur la présentation des faits et moyens nouveaux s’appliquent également. Le résultat est bien ­souvent contradictoire et pourrait être amélioré en adoptant les exigences ­détaillées de la voie d’achèvement. V. Les deux systèmes de voies de recours soulèvent également des questions ­relatives aux demandes d’une valeur relativement faible (« small claims »). Du côté français, le pourvoi en cassation, recevable dès lors que le montant du litige n’excède pas 4 000 euros, n’offre pas, en pratique, une protection satisfai­ sante. Or, le champ d’application de l’opposition est trop étroit pour compenser ce manque effectif de protection. L’introduction d’un appel soumis à autori­ sation, dans les cas ou les parties ont omis, de bonne foi, de présenter tous leurs moyens en première instance, pourrait renforcer ce niveau de protection, tout en respectant la vocation économique de la procédure d’appel en sa qualité de double degré de juridiction. Du côté allemand, la loi ne donne aucun moyen aux parties pour exiger l’auto­ risation de la Berufung en dessous de la valeur de grief de 600 euros. Cela conduit à certains problèmes, dans la mesure où une telle situation porte ­atteinte aux droits fondamentaux procéduraux de la partie déboutée. Dans ces hypothèses, ce manque de protection pourrait être évité en autorisant le ­recours pour non admissibilité de la Revision.

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Entscheidungsregister A. Europäische Gerichte I. EGMR 08.02.2000, Nr. 27362/95 (Voisine/France), D. 2000 (Jurisprudence), 651 . . . . . . . . . 214 21.03.2000, Nr. 34553/97 (Dulaurans/France), D. 2000 (Jurisprudence), 883 . . . . . . 202 06.02.2003, Nr. 71630/01 (Wendenburg/Deutschland), NJW 2003, 2221 . . . . . . . . . 110 14.11.2006, Nr. 348/03 (Ong/France), . . . . . . . . . . 211, 212 30.10.2012, Nr. 40150/09 (Glykantzi/Grèce), . . . . . . . . . 146 II. EuGH 21.06.1974, Rs. 2/74 (Reyners), NJW 1975, 513 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 B. Deutsche Gerichte I. BVerfG 21.10.1954, 1 BvL 9/51, 1 BvL 2/53, NJW 1955, 17 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122, 191 14.05.1985, 1 BvR 370/84, NJW 1986, 244 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 13.07.1993, 1 BvR 867/92, NJW 1994, 184 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 02.10.2000, 2 BvR 310/00, NJW 2001, 746 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 13.12.2000, 1 BvR 335/97, NJW 2001, 353 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105–108 21.06.2001, 1 BvR 436/01, NJW 2001, 3473 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 12.08.2002, 1 BvR 399/02, NJW 2002, 2937 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 30.04.2003, 1 PBvU 1/02, NJW 2003, 1924 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122, 189 12.06.2003, 1 BvR 2285/02, NJW 2003, 2524 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 22.10.2004, 1 BvR 894/04, NJW 2005, 814 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 04.11.2008, 1 BvR 2587/06, NJW 2009, 572 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 25.11.2008, 1 BvR 848/07, NJW 2009, 829 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189–190 22.04.2009, 1 BvR 386/09, NJW 2009, 2945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 08.12.2010, 1 BvR 1382/10, NJW 2011, 1497 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 II. RG 10.11.1900, V 208/00, RGZ 47, 390 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159, 164 13.02.1903, III 363/02, RGZ 54, 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 09.03.1935, I 270/34, JW 1935, 2635 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163

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Entscheidungsregister

III. BGH 17.01.1951, II ZR 16/50, BGHZ 1, 65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 17.01.1951, II ZR 16/50, NJW 1951, 311 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 13.11.1951, I ZR 106/51, NJW 1952, 381 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 14.06.1954, GSZ 3/54, NJW 1954, 1281 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 13.07.1956, VI ZR 32/55, BGHZ 21, 285 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 30.01.1958, VII ZR 33/57, BGHZ 26, 304 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 16.06.1959, VI ZR 81/58, NJW 1959, 1824 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 03.07.1959, I ZR 169/55, NJW 1959, 1827 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 17.10.1963, II ZR 77/61, NJW 1964, 44 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 20.03.1967, VII ZR 296/64, NJW 1967, 1566 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 06.12.1968, 3 AZR 251/67, NJW 1969, 678 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 18.12.1968, V ZR107/67, MDR 1969, 468 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 21.02.1975, V ZR 148/73, NJW 1975, 1228 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 04.10.1976, VIII ZR 139/75, MDR 1977, 310 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 10.07.1979, VI ZR 81/78, NJW 1979, 2307 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 10.11.1980, II ZR 96/80, NJW 1981, 989 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 30.03.1983, VIII ZR 3/82, NJW 1984, 1552 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 18.05.1983, IV b ZB 15/82, NJW 1984, 120 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 10.01.1985, III ZR 93/83, NJW 1985, 1841 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 24.04.1985, VIII ZR 95/84, NJW 1985, 1539 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 08.05.1985, IV a ZR 138/83, NJW 1985, 2405 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 25.03.1986, IX ZR 104/85, NJW 1986, 2108 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184–185 25.09.1986, II ZR 31/86, NJW-RR 1987, 124 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 25.11.1987, IVa ZR 135/86, NJW 1988, 1733 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 26.04.1988, VI ZR 246/86, NJW 1988, 2298 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 05.07.1989, IVa ZR 38/89, NJW 1989, 2758 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 13.12.1989, IV b ZR 19/89, NJW 1990, 1795 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 04.10.1990, XII ZB 89/90, NJW 1991, 231 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 19.12.1991, IX ZR 96/91, NJW 1992, 1172 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 27.05.1993, III ZR 59/92, NJW 1993, 2173 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 03.11.1993, XII ZR 135/92, NJW 1994, 589 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 15.12.1994, VII ZR 13/94, NJW 1995, 1223 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 28.03.1995, X ARZ 255/95, NJW-RR 1995, 764 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 06.07.1995, I ZR 20/93, NJW 1995, 3120 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 13.05.1996, II ZR 275/94, NJW 1996, 2306 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 03.07.1996, VIII ZR 302/95, NJW 1996, 3216 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 11.07.1996, III ZR 133/95, NJW 1996, 3151 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 18.03.1997, XI ZR 34/96, NJW 1997, 2885 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 13.05.1997, VI ZR 181/96, NJW 1997, 3447 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 16.12.1997, VI ZR 279/96, NJW 1998, 1496 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 28.10.1998, VIII ZR 190/98, NJW 1999, 290 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 12.01.1999, VI ZR 77/98, NJW 1999, 1035 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 30.11.1999, VI ZR 219/98, NJW 2000, 800 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 25.10.2001, III ZR 43/01, NJW 2002, 301 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 04.07.2002, VII ZR 103/01, NJW-RR 2002, 1596 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129, 132 15.01.2003, XII ZR 300/99, NJW 2003, 1043 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 28.05.2003, XII ZB 165/02, NJW 2003, 2531 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145

Entscheidungsregister

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09.10.2003, VII ZR 335/02, NJW-RR 2004, 167 . . . . . . . . . . . . . . . . . 129, 131–132 22.01.2004, V ZR 187/03, NJW 2004, 1458 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115, 138 19.02.2004, III ZR 147/03, NJW-RR 2004, 927 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130, 155 12.03.2004, V ZR 257/03, NJW 2004, 1876 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112, 120 19.03.2004, V ZR 104/03, NJW 2004, 2152 . . . . 112, 129, 138, 153, 160, 168–170, 172, 175 02.04.2004, V ZR 107/03, NJW 2004, 2382 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 14.05.2004, V ZR 120/03, NJW-RR 2004, 1196 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 19.05.2004, IXa ZB 182/03, NJW 2004, 2529 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189–190 08.06.2004, IX ZR 281/03, NJW 2004, 2983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 14.07.2004, VIII ZR 164/03, NZM 2004, 821 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129, 133 23.09.2004, VII ZR 173/03, NJW-RR 2005, 167 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 07.10.2004, V ZR 328/03, NJW 2005, 153 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114, 189 14.10.2004, VII ZR 180/03, NJW-RR 2005, 213 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 20.10.2004, XII ZB 35/04, NJW 2005, 143 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 21.10.2004, IX ZB 205/03, NJW 2005, 290 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29, 40 18.11.2004, IX ZR 229/03, NJW 2005, 291 . . . . . . . . . . . . . . . . . 129, 131, 138, 181 06.12.2004, II ZR 394/02, NJW-RR 2005, 437 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168, 177 09.03.2005, VIII ZR 266/03, NJW 2005, 1583 . . . . . . . . . . . . . . . . 82, 113, 115, 138 04.05.2005, XII ZR 23/03, NJW-RR 2005, 1007 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 09.06.2005, V ZR 271/04, NJW 2005, 2624 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153, 175 16.09.2005, V ZR 244/04, NJW 2005, 3417 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 06.10.2005, VII ZR 229/03, NJW-RR 2005, 1687 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128, 131 06.10.2005, VII ZR 229/03, NZBau 2005, 692 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129, 131–132 18.10.2005, VI ZR 270/04, NJW 2006, 152 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129–130 10.11.2005, IX ZB 240/04, NZI 2006, 123 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 08.12.2005, VII ZR 191/04, NJW-RR 2006, 390 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 08.12.2005, VII ZR 138/04, NZBau 2006, 254 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 21.12.2005, X ZR 165/04, GRUR 2006, 401 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 13.02.2006, II ZR 62/04, NJW-RR 2006, 760 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 28.03.2006, VI ZR 46/05, NJW 2006, 1589 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 27.09.2006, VIII ZR 19/04, NJW 2007, 2414 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120, 172 13.12.2006, IV ZR 180/04, VersR 2007, 373 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 21.12.2006, III ZR 117/06, NJW-RR 2007, 494 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 07.03.2007, VIII ZR 86/06, NJW 2007, 2049 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 23.05.2007, XII ZB 92/06, NJW-RR 2007, 1295 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189–190 04.12.2007, XI ZR 144/06, NJW 2008, 1312 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1, 129, 131 27.05.2008, XI ZB 41/06, NJW-RR 2008, 1308 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 23.06.2008, GSZ 1/08, NJW 2008, 3434 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129, 131, 168–169 14.07.2008, II ZR 202/07, DStR 2008, 1839 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 15.07.2008, X ZB 8/08, NJW 2008, 2649 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 17.09.2008, XII ZR 61/07, NJW-RR 2009, 21 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 16.10.2008, IX ZR 135/07, NJW 2009, 685 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 03.11.2008, II ZR 236/07, NJW-RR 2009, 332 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 18.12.2008, IX ZR 179/07, NJW 2009, 987 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 27.04.2009, II ZB 16/08, NJW 2009, 3161 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 12.05.2009, VI ZR 275/08, NJW 2009, 2604 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 20.05.2009, VIII ZR 247/06, NJW 2009, 2532 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 05.11.2009, IX ZR 239/07, NJW 2010, 2210 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148

256

Entscheidungsregister

24.11.2009, VII ZR 31/09, NJW 2010, 376 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1, 133, 144 27.01.2010, XII ZR 148/07, NJW-RR 2010, 1508 . . . . . . . . . . . . . . 130–131, 144, 172 01.02.2010, II ZR 209/08, NJW-RR 2010, 1048 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 22.04.2010, IX ZR 160/09, NJW-RR 2010, 1286 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169, 172 10.06.2010, Xa ZR 110/09, NJW-RR 2011, 211 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 30.06.2010, IV ZR 229/07, VersR 2011, 414 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 22.03.2011, II ZR 206/09, NZG 2011, 697 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 12.04.2011, VI ZR 300/09, NJW 2011, 1947 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 01.06.2011, I ZR 199/09, GRUR-RR 2011, 439 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128–129 05.07.2011, II ZR 188/09, NJW-RR 2011, 1365 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 29.09.2011, IX ZB 106/11, NJW 2011, 3653 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 21.12.2011, VIII ZR 166/11, NJW-RR 2012, 341 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 13.01.2012, V ZR 183/10, NJW-RR 2012, 429 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170, 173 10.07.2012, II ZR 212/10, NJW 2012, 3035 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 28.08.2012, X ZR 99/11, GRUR 2012, 1236 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 20.11.2012, VIII ZR 157/12, BeckRS 2013, 00267 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170, 172 21.03.2013, VII ZR 58/12, NJW-RR 2013, 655 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130, 136 02.07.2013, VI ZR 110/13, NJW 2014, 74 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 25.10.2013, V ZR 147/12, NJW 2014, 550 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 IV. BSG 16.11.2000, B 4 RA 122/99 B, BeckRS 2001, 41622 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 V. OLG 1. OLG Brandenburg 24.08.2000, 9 WF 138/00, FamRZ 2001, 294 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2. OLG Düsseldorf 29.08.1973, 23 W 135/73, NJW 1973, 2032 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 30.06.1988, 8 U 214/86, VersR 1989, 705 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 10.07.2003, 5 U 162/02 ( juris) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 29.04.2004, I-6 U 123/03, BeckRS 2004, 31380462 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 3. OLG Frankfurt am Main 29.01.1963, 1 W 85/62, NJW 1963, 912 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 10.01.1983, 17 W 1/83, MDR 1983, 411 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 17.11.1983, 1 U 59/83, JR 1984, 290 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 08.10.1991, 14 U 247/90, NJW-RR 1992, 1405 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 4. OLG Hamm 12.01.1993, 19 U 109/92, NJW-RR 1993, 1150 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 05.05.2009, 15 Wx 22/09, NZM 2010, 169 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 24.03.2014, 5 U 162/13, BeckRS 2014, 13406 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 5. OLG Karlsruhe 08.08.2012, 7 U 128/11, BeckRS 2012, 22920 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91, 170

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6. OLG Koblenz 08.05.2009, 10 U 1439/08, BeckRS 2009, 12806 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 7. OLG Köln 16.06.1975, 13 W 40/75, NJW 1975, 2349 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 11.01.2008, 4 WF 228/07, MDR 2008, 818 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 02.08.2013, 6 U 10/13, BeckRS 2013, 19757 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 8. OLG München 15.10.2009, 17 U 3897/09, BeckRS 2010, 01802 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 11.11.2011, 10 U 3109/11, BeckRS 2011, 26734 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 9. OLG Naumburg 25.09.2003, 1 U 29/03 ( juris) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164, 172 09.11.2010, 1 U 44/10, BeckRS 2010, 30213 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 10. OLG Nürnberg 07.05.2003, 13 U 615/03, NJOZ 2004, 300 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 11. OLG Oldenburg 07.11.1991, 6 W 105/91, NJW-RR 1992, 828 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 12. OLG Rostock 01.11.2004, 3 U 166/03, MDR 2005, 1011 = BeckRS 2010, 27116 . . . . . . . . . . 160, 177 13. OLG Saarbrücken 22.07.2010, 6 UF 16/10, BeckRS 2010, 22239 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 26.04.2012, 8 U 80/11–22, BeckRS 2012, 18701 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 14. OLG Schleswig 02.01.2007, 3 U 116/06, BeckRS 2007, 02851 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 184 VI. LG 1. LG Berlin 13.08.2012, 67 S 522/11, BeckRS 2012, 22166 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 2. LG Bonn 02.03.2006, 6 S 279/05, NJW 2006, 2640 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 VII. LAG 1. LAG Baden-Württemberg 25.04.2006, 14 Sa 130/05, BeckRS 2009, 68152 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. LAG München 31.07.2008, 3 Sa 354/08, BeckRS 2009, 67659 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178

258

Entscheidungsregister

C. Französische Gerichte I. Cour de cassation 14.06.1887, Rec. Sirey 1890 I (Jurisprudence de la Cour de cassation), 434 . . . . . . . . 186 18.10.1897, D. 1898 (Première partie), 51 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 21.02.1900, D. 1900 (Cour de cassation), 271 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 28.11.1904, Rec. Sirey 1907 I (Jurisprudence de la Cour de cassation), 281 . . . . . . . 117 01.07.1907, D. 1907 I (Cour de cassation), 318 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 20.01.1908, D. 1909, 231 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 24.03.1925, D. 1925 (Recueil Hebdomadaire), 289 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 25.07.1932, D. 1932, 505 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 21.03.1947, D. 1947 (Jurisprudence), 334 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 19.06.1950, Bull. civ. 1950, n°  144 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 20.07.1950, Gaz. Pal. 1950 (Jurisprudence), 377 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 20.10.1950, Bull. soc. 1950, n°  755 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 16.02.1951, JCP éd. G 1951 IV (Tableaux de jurisprudence), 61 . . . . . . . . . . . . . . 43 27.05.1952, Bull. civ. I 1952, n°  177 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 23.02.1955, JCP éd. G 1955 IV, 50 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 23.11.1955, JCP éd. G 1956 II (Jurisprudence), n°  9159 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 12.01.1962, D. 1962 (Jurisprudence), 237 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 06.02.1965, Bull. civ. II 1965, n°  109 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 24.11.1966, Bull. civ. II 1966, n°  921 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 28.05.1968, Bull. civ. II 1968, n°  154 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 15.04.1970, RTD civ. 1971, 407 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 24.04.1971, Bull. civ. V 1975, n°  207 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 19.11.1973, Bull. civ. V 1973, n°  622 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 11.04.1975, Bull. civ. II 1975, n°  100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 02.12.1975, Bull. civ. I 1975, n°  354 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 08.04.1976, Bull. civ. IV 1976, n°  105 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 12.04.1976, Bull. civ. II 1976, n°  119 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 09.12.1976, D. 1978 (Jurisprudence), 329 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32, 35 10.03.1977, Bull. civ. II 1977, n°  71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 15.06.1977, Bull. civ. III 1977, n°  259 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 11.01.1978, Bull. civ. II 1978, n°  15 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 22.02.1978, Bull. civ. III 1978, n°  100 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 15.03.1979, Bull. civ. II 1979, n°  84 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 03.04.1979, JCP éd. G 1979 IV (Tableaux de Jurisprudence), 203 . . . . . . . . . . . . 206 10.10.1979, JCP éd. G 1979 IV (Tableaux de jurisprudence), 366 . . . . . . . . . . . . . 120 19.03.1980, Bull. civ. V 1980, n°  267 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 25.02.1981, Bull. civ. IV 1981, n°  102 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 01.04.1981, RTD civ. 1982, 651 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 24.02.1982, Bull. civ. III 1982, n°  53 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 08.11.1983, Bull. civ. II 1983, n°  171 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 27.06.1984, Bull. civ. II 1984, n°  122 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 25.03.1985, Bull. civ. II 1985, n°  77 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 29.04.1986, Bull. civ. IV 1986, n°  76 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 22.05.1986, Gaz. Pal. 1987 (Sommaires annotés de la Cour de cassation), 41 . . . . . . 146 22.02.1989, Bull. civ. III 1989, n°  40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85

Entscheidungsregister

259

07.11.1989, D. 1989 (Informations rapides), 320 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 24.10.1990, JCP éd. G 1990 IV (Tableaux de jurisprudence), 411 . . . . . . . . . . . . . 118 26.11.1990, Bull. civ. II 1990, n°  248 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 19.03.1991, D. 1991 (Informations rapides), 114 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 09.10.1991, JCP éd. G 1991 IV (Tableaux de jurisprudence), 429 . . . . . . . . . . . . . 33 23.10.1991, Gaz. Pal. 1992 (Panorama de la Cour de cassation), 2 . . . . . . . . . . . . . 121 10.12.1991, Gaz. Pal. 1992 (Panorama de la Cour de cassation), 77 . . . . . . . . . . . . 179 12.05.1992, Bull. civ. IV 1992, n°  182 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 10.03.1993, JCP éd. G 1993 II (Jurisprudence), n°  22222 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 16.07.1993, Bull. civ. II 1993, n°  253 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 25.01.1995, Bull. civ. III 1995, n°  25 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 22.05.1995, Bull. civ. II 1995, n°  150 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 14.11.1995, Gaz. Pal. 1996 (Panorama de la Cour de cassation), 50 . . . . . . . . . . . 158 06.02.1996, Bull. civ. I 1996, n°  63 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 03.04.1997, JCP éd. G 1991 IV (Tableaux de jurisprudence), n°  1117 . . . . . . . . . . . 158 09.12.1997, Bull. civ. II 1997, n°  302 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 11.03.1998, Bull. civ. II 1998, n°  77 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 06.05.1999, Bull. civ. II 1999, n°  77 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 22.06.1999, Bull. civ. I 1999, n°  206 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 30.06.1999, D. 2000, 559 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 10.02.2000, Procédures 4/2000 (Commentaires), n°  85 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 08.06.2000, JCP éd. G 2000 IV (Sommaires de jurisprudence), n°  2315 . . . . . . . . . . 118 07.12.2000, Procédures 2/2001 (Commentaires), n°  28 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 10.01.2001, D. 2001, 2541 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 05.04.2001, Bull. civ. II 2001, n°  70 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 13.06.2001, Gaz. Pal. 2001 (Jurisprudence), 1091 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 27.06.2002, Bull. civ. II 2002, n°  146 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 13.02.2003, Bull. civ. II 2003, n°  35 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46–47 20.03.2003, Bull. civ. II 2003, n°  71 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 30.04.2003, Bull. civ. II 2003, n°  122 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 07.10.2004, Bull. civ. II 2004, n°  449 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 25.10.2004, Procédures 12/2004 (Commentaires), n°  251 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 28.01.2005, Bull. ch. mixte 2005, n°  1 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186–187 11.03.2005, Bull. ass. plén. 2005, n°  4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157, 179 12.04.2005, RTD com. 2005 (Chronique), 606 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 21.04.2005, Bull. civ. II 2005, n°  110 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 17.11.2005, Procédures 1/2006 (Commentaires), n°  12 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 05.07.2006, JCP éd. G 2006 IV (Panorama de jurisprudence), n°  2719 . . . . . . . . . . 25 07.07.2006, Bull. ass. plén. 2006, n°  8 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150, 174 13.11.2006, D. 2006 (Informations rapides), 2949 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 23.11.2006, Procédures 4/2007 (Commentaires), n°  89 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 21.12.2006, Bull. civ. II 2006, n°  359 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 08.03.2007, Bull. civ. II 2007, n°  58 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 02.04.2007, Bull. civ. avis 2007, n°  5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 02.04.2007, Bull. civ. avis 2007, n°  4 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 09.11.2007, Bull. ch. mixte 2007, n°  10 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 21.12.2007, JCP éd. G 2008 II (Jurisprudence), n°  10006 . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 13.03.2008, Bull. civ. II 2008, n°  68 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37

260

Entscheidungsregister

19.03.2008, Bull. civ. III 2008, n°  49 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 07.05.2008, Bull. civ. II 2008, n°  107 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 14.05.2008, Bull. civ. IV 2008, n°  99 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 19.11.2008, Bull. civ. II 2008, n°  252 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 13.03.2009, D. 2009 (Actualité jurisprudentielle), 879 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 18.06.2009, Bull. civ. II 2009, n°  167 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 09.07.2009, Bull. civ. II 2009, n°  192 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 30.09.2009, n°  08-19.003 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 20.05.2010, Bull. civ. II 2010, n°  96 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 05.06.2012, Bull. civ. avis 2012, n°  5 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 17.10.2012, Procédures 12/2012 (Commentaires), n°  343 . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 10.01.2013, Procédures 3/2013 (Commentaires), n°  62 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 21.01.2013, Bull. civ. avis 2013, n°  3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 21.01.2013, Bull. civ. avis 2013, n°  2 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 05.06.2014, Procédures 8/2014 (Commentaires), n°  224 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 II. Cours d’appel 1. CA Amiens 22.01.2009, n°  06-01844 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. CA Basse-Terre 22.03.2010, n°  10/00032 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 3. CA Dijon 21.03.1989, Gaz. Pal. 1990 I (Jurisprudence), 11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46–47 4. CA Montpellier 20.10.2009, n°  09/144 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 12.10.2011, n°  10/08964 (LexisNexis/Juris-Classeur) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 5. CA Nîmes 13.01.2009, n°  07/02779 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 07.07.2009, n°  08/03270 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 09.02.2010, n°  09/04106 () . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 6. CA Paris 07.03.1929, D. 1929, 274 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 20.12.1960, JCP éd. G 1961 II (Jurisprudence), n°  11929 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 11.01.1961, D. 1961 (Jurisprudence), 223 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 08.07.1977, Gaz. Pal. 1978 (Recueil des sommaires), 40 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 13.07.1978, D. 1980 (Jurisprudence), 45 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 08.11.2002, D. 2003 (Informations rapides), 529 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 05.12.2008, n°  08/10293 (Lamyline) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 7. CA Poitiers 29.06.1994, JCP éd. G 1995 IV (Tableaux de jurisprudence), n°  1640 . . . . . . . . . . . 118

Entscheidungsregister

261

8. CA Reims 08.03.1979, Gaz. Pal. 1980 (Recueil des sommaires), 7 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 9. CA Rennes 28.01.1975, Gaz. Pal. 1975 (Jurisprudence), 193 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 28.06.1982, Gaz. Pal. 1982 (Jurisprudence), 560 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 10. CA Rouen 29.06.1982, JCP éd. G 1983 IV (Tableaux de jurisprudence), 218 . . . . . . . . . . . . . 46

Sachregister Anhörungsrüge  189–190, 195 appel – appel abusif  85, 146, 205 – (voie d’) achèvement  84, 156–157, 161, 163, 166–168, 171, 173, 179, 181, 215 – amende (siehe appel abusif )  – (voie d’) annulation   10, 12, 117–118, 124, 156, 186–188, 203 – conseiller de la mise en état  12, 25, 34, 88, 90, 93–99, 115, 147, 210 – déféré 12, 98 – double degré de juridiction  2–3, 12, 66, 76, 81, 84–85, 112, 115, 121–124, 133, 139, 146, 152, 156, 183, 201, 205, 213, 215 – appel différé  12, 42, 45, 49, 53–55, 62, 64–65 – appel immédiat  12, 42–45, 47, 52–53, 55, 62, 64–65, 150, 182 – appel incident  90, 96–97, 99 – mesure d’instruction  42–44, 49, 52, 56, 62, 64, 95, 120, 153 – mesure provisoire  42–45, 47 – moyen nouveau (Novenrecht)  121–127, 136–146, 150–155, 166–167, 172–174 – appel-nullité  70, 186–187 – procédure à jour fixe  86, 88–89, 93 – procédure avec représentation obliga­ toire  19–20, 25, 86–90, 93, 200–201, 212, 214 – procédure ordinaire  86–93 – procédure par requête conjointe  86, 90 – (voie de) réformation  10, 12, 64, 117–119, 124, 156–157, 215 – appel soumis à autorisation  45–47, 51, 54, 62, 89, 215, 222 appellatio (römisches Recht)  56, 125, 162 Appelation (gemeines Recht)  126 autorité de la chose jugée  30–33, 36–38, 97, 118, 147–152, 215

autre recours  8–9 avocat  91–92, 100–103, 106–110 – avocat au Conseil dʼÉtat et à la Cour de cassation  201–203, 213–214 avoué  72, 91, 100–110, 213 Bagatellstreit  67 – EuGFVO  79–80, 201 – Prozessgrundrecht (siehe Verfahrens­ grundrecht) – pourvoi en cassation  64–68, 201 Berufung – Aufrechnung  83–85, 160–167, 178–180 – außerordentliche Berufung  195 – Klageänderung  83–85, 145, 156, 159–180, 185 – Nova/Novenrecht   85, 116, 125–134, 136–146, 152–155, 163–164, 166–167, 172–174, 185 – Parteiänderung (auch Parteierweiterung u. -wechsel)  160, 169, 176–181 – Widerklage  83, 85, 156, 160–180 Beschwerdewert – Deutschland  63, 65, 69–70, 76–78, 188, 191, 194 – Frankreich  14, 18, 63–66, 69–70, 76–77, 200–201, 204–205, 209, 212–214 caducité  37, 75, 87, 95, 97, 99 Césaréo-Entscheidung  150–152, 155, 158, 167, 174–179 conseiller de la mise en état (siehe appel) contredit de compétence  8, 182 Cour d’appel (siehe auch Gerichtsverfas­ sung) – conseiller de la mise en état  12, 25, 34, 88, 90, 93–99, 115, 147, 210 Cour de cassation (siehe auch pourvoi en cassation)  15, 17, 19–20, 24, 29

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Sachregister

de minimis non curat praetor  65–67 Devolutiveffekt – Deutschland  9, 95, 116–199, 207 – Frankreich  9, 13, 116–199, 207 effet dévolutif (siehe Devolutiveffekt)  effet suspensif (siehe Suspensiveffekt)  Einspruch  8, 10, 12–13, 70, 74–76, 80, 207–208 Emminger-Novelle  2, 126, 134, 136 Entscheidung nach Aktenlage  75–76 Eremodizialverfahren  75 Erwachsenheitssumme (siehe Beschwerde­ wert) EuGFVO (siehe Bagatellstreit)  évocation  181–186 – Evokation (Deutschland)  183–186 exception de procedure  182 expertise  45–47, 51, 62, 64, 89, 181, 215 fair trial-Grundsatz  122, 146, 183, 211 fin de non-recevoir  32, 37, 86, 91 force de chose jugée  7, 32–33, 147 Gerichtsverfassung – Deutschland  16–17 – Deutschland (gemeines Recht)  56–57 – Frankreich  17–26 Gegenvorstellung  189–190, 192–193 Gehörsrüge (siehe Anhörungsrüge) Große Justizreform  21, 23 iura novit curia  153–154 In-camera-Verfahren  51 juge chargé d’instruire l’affaire (siehe Tribunal de commerce) juge de la mise en état (siehe Tribunal de grande instance) jugement (siehe auch Urteilslehre) – jugement avant dire droit  29–33, 35–36, 42–46, 49, 56, 58, 60 – jugement définitif  30–33, 36, 38, 42, 55–62, 150 – jugement rendu par défaut (siehe auch opposition)  6, 12, 15, 71, 73–75, 206–209  – jugement réputé contradictoire  13, 15, 73, 75

– jugement sur incident  30 – jugement mixte  30, 42–44, 46, 49, 54–55, 59, 62, 150, 182 – jugement sur le fond  29–30, 32, 36, 42, 45, 47 Jüngster Reichsabschied  57, 126 Juridiction de proximité  14, 18–19, 34–35, 67, 72, 77, 80, 102, 139–140, 200–201, 205, 209, 214 Justice de Paix  58, 61, 67–68, 71–73 Justizverwaltungsakt  38 mesure d’administration judiciaire  38–39, 54, 211 mesure d’instruction (siehe auch appel)  30–33, 35–36 mesure provisoire (siehe auch appel)  30–33, 35–36 Nichtzulassungsbeschwerde (siehe Revision) objet du litige (Definition)  30 opposition  12–13, 70–76, 205–209 – opposition sur opposition ne vaut  71, 74, 208 ordonnance – conseiller de la mise en état (siehe dort) – ordonnance de clôture  35–36, 39, 97, 135, 179 – ordonnance de référé  11, 29, 31, 88 – juge chargé d’instruire l’affaire (siehe dort) – juge de la mise en état (siehe dort) – ordonnance portant injonction de payer  8 – ordonnance sur requête  11, 29, 31, 88 plénitude de juridiction  25–26 pourvoi en cassation  13–15, 62–70, 200–215 – mémoire ampliatif  203–204, 212–213 – procédure avec représentation obli­ga­toire  200–201, 212–214 principe du contradictoire  93, 209 procédure ordinaire (Eingangsinstanz)  34–35

Sachregister

Präklusion – Deutschland  83, 126–138, 141, 147 – Frankreich (siehe ordonnance de clôture) Prozessgrundrecht (siehe Verfahrensgrund­ recht) Prozessökonomie  137, 147 – Deutschland  132, 160, 167–169, 173, 176, 178–181 – Frankreich  167–169, 181 radiation de l’affaire – appel 99, 209–212 – pourvoi en cassation  209–212 Rapport Attali  – Rapport Attali I  102–104, 107  – Rapport Attali II  102–104 Rapport Coulon  84, 92, 167, 210 Rapport Guinchard  22, 200 Rapport Magendie  82, 102, 104 – Rapport Magendie I  37, 82, 92, 151, 176, 208 – Rapport Magendie II  3, 82–85, 93–99, 106, 112, 147, 151–157, 165–170, 176, 213–215 rechtliches Gehör (siehe Verfahrensgrund­ recht) Rechtskraft – formelle (siehe auch force de chose jugée)  9, 32 – materielle (siehe auch autorité de la chose jugée)  29, 32, 147–148, 151–152, 155, 173, 176 Rechtsmittelsystem  – Deutschland  11–15, 77–79 – Frankreich  11–15, 76–77 recours en révision  5–7, 48, 206 référé (Verfahren)  46 Revision  13–15 – Nichtzulassungsbeschwerde  28, 191–199 – Sprungrevision  63, 69 RPVA / RPVJ  91 sententia (römisches Recht)  56–57 serment décisoire  45, 48, 64 small claim (siehe Bagatellstreit) sursis à statuer  45–47, 54, 62–64, 89, 182, 215

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Suspensiveffekt – Deutschland  9–10, – Frankreich  6, 9–10, 33, 60, 98, 210–212 taux de compétence (siehe Zuständigkeits­ streitwert)  taux de ressort / taux dʼappel (siehe Beschwerdewert) tierce opposition  5–7, 161, 206 Tribunal de commerce (siehe auch Gerichts­ verfassung)  14, 18, 20, 72, 77, 80 – juge chargé d’instruire l’affaire  33–38, 47, 53 – juge rapporteur  33, 35, 47 Tribunal de grande instance (siehe auch Gerichtsverfassung)  14, 18, 22, 29, 33–35, 39, 76, 88, 92–94, 100, 102, 104, 120, 135–136, 139 – juge de la mise en état  29, 33–39, 45, 47, 49, 53, 88, 93–94, 97–98, 135–136 Tribunal d’instance (siehe auch Gerichts­ verfassung)  14, 18, 34–35, 61, 72, 76–77, 80, 102, 139–140, 205 Urteilslehre – Deutschland  27–29 – Frankreich (siehe auch jugement)  29–39 Vereinfachungsnovelle  126–127, 134 Verfahrensgrundrecht   63, 122, 187–199 Verfahrensökonomie (siehe Prozessökono­ mie) Versäumnisurteil (siehe Einspruch) voie de recours  5–7 – ordinaire 5–7, 9–12, 33, 71, 208, 210 – extraordinaire 5–6, 9–10 Wert der Beschwer (siehe Beschwerdewert) Zivilprozessreformgesetz  1–2, 21, 68–69, 78, 81–85, 109–111, 120, 127, 130, 139, 142–143, 152, 163–164, 169–170, 176–177, 184–185, 190–199 Zuständigkeitsstreitwert – Deutschland  78 – Frankreich  14, 18, 140