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German Pages 459 [461] Year 2013
Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht 291 Herausgegeben vom
Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht Direktoren:
Jürgen Basedow, Holger Fleischer und Reinhard Zimmermann
Félicie Schneider
Die Leistungsverfügung im niederländischen, deutschen und europäischen Zivilprozessrecht
Mohr Siebeck
Félicie Schneider, geboren 1979; Studium der Rechtswissenschaften in Kiel, Liège und Maastricht; Referendariat beim Hanseatischen Oberlandesgericht Hamburg mit Stationen in Hamburg, Berlin und Brüssel; Richterin in Hamburg.
e-ISBN PDF 978-3-16-152167-6 ISBN 978-3-16-151992-5 ISSN 0720-1141 (Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb. dnb.de abrufbar. © 2013 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohr.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwer tung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elek tronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde-Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruck papier gedruckt und von der Buchbinderei Nädele in Nehren gebunden.
Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2011/2012 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel als Dissertation angenommen. Rechtsprechung und Literatur wurden bis einschließlich November 2011 berücksichtigt. Mein herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Haimo Schack, der mein Studium von Beginn an begleitet, die Dissertation angeregt und sie in bemerkenswerter Geschwindigkeit und mit großer Sorgfalt korrigiert hat. Die Arbeit an seinem Lehrstuhl und die Teilnahme an seinem Mitarbeiterseminar haben meine Begeisterung für zivilprozessuale Fragestellungen im internationalen Kontext geweckt, die ich während eines Aufenthaltes an der Universität Maastricht vertiefen konnte. Danken möchte ich außerdem Herrn Prof. Dr. Stefan Smid für die Erstellung des Zweitgutachtens. Für großzügige Unterstützung durch ein Stipendium bin ich dem Land Schleswig-Holstein zu Dank verpflichtet. Am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg konnte ich unter hervorragenden Bedingungen recherchieren. Die Aufnahme der Dissertation in die Studienreihe freut mich sehr. Hierfür danke ich Herrn Prof. Dr. Jürgen Basedow ganz besonders. Die Dissertation wird mit dem Fakultätspreis des Jahres 2012 der Juristischen Fakultät der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel ausgezeichnet. Dies empfinde ich als besondere Ehre. Gewidmet ist diese Arbeit meinen Eltern. Ihr Rückhalt bedeutet mir sehr viel. Den größten Anteil am Gelingen der Arbeit hat Kilian. Hamburg, Januar 2013
Félicie Schneider
VI
Vorwort
Inhaltsübersicht Vorwort ................................................................................................... V Inhaltsverzeichnis ................................................................................... IX Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XIX
Erster Teil: Einführung........................................................................ 1 A. B. C. D. E. F. G. H.
Bedeutung des grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtschutzes ..... 1 Herausforderungen der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung ........ 2 Interessenlage der Parteien .................................................................. 4 Entstehung des Art. 24 EuGVÜ ........................................................... 7 Streitfragen bei der Anwendung des Art. 24 EuGVÜ ......................... 10 Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH ............................... 14 Umwandlung des Art. 24 EuGVÜ in Art. 31 EuGVO ........................ 21 Gang der Darstellung und Ziel der Untersuchung............................... 25
Zweiter Teil: Das niederländische kort geding im Vergleich zu der deutschen Leistungsverfügung ............................................ 27 A. Charakterisierung .............................................................................. 28 B. Historische Wurzeln .......................................................................... 30 C. Bedeutung ......................................................................................... 40 D. Gesetzliche Regelung ........................................................................ 53 E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren ..................................... 61 F. Verhältnis zur Hauptsache ................................................................. 67 G. Funktion im Vergleich zur Hauptsache .............................................. 75 H. Gegenstand ........................................................................................ 82 I. Rolle des Richters .............................................................................. 90 J. Zuständigkeit ..................................................................................... 93 K. Voraussetzungen.............................................................................. 131 L. Verfahrensablauf ............................................................................. 172 M. Entscheidung ................................................................................... 198 N. Rechtsbehelfe .................................................................................. 215
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Inhaltsübersicht
O. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen ................................................................ 226 P. Zusammenfassung der Ergebnisse .................................................... 230
Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht .............................................................................. 242 A. Internationale Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO ........................ 242 B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO ............ 373 C. Zusammenfassung ........................................................................... 403 Anhang: Ausgewählte Vorschriften der niederländischen Zivilprozessordnung................................................... 410 Literaturverzeichnis .............................................................................. 417 Sachverzeichnis .................................................................................... 435
Inhaltsverzeichnis Vorwort ................................................................................................... V Inhaltsübersicht ..................................................................................... VII Abkürzungsverzeichnis ........................................................................ XIX
Erster Teil: Einführung........................................................................ 1 A. Bedeutung des grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtschutzes ..... 1 B. Herausforderungen der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung ........ 2 C. Interessenlage der Parteien .................................................................. 4 I. II.
Interessen des Antragstellers ....................................................... 4 Interessen des Antragsgegners .................................................... 6
D. Entstehung des Art. 24 EuGVÜ ........................................................... 7 E. Streitfragen bei der Anwendung des Art. 24 EuGVÜ ......................... 10 F. Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH ............................... 14 I. II.
Die Entscheidung van Uden ...................................................... 15 1. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte .................................. 15 2. Vorabentscheidungsverfahren ............................................... 16 Die Entscheidung Mietz ............................................................ 18 1. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte .................................. 18 2. Vorabentscheidungsverfahren ............................................... 19
G. Umwandlung des Art. 24 EuGVÜ in Art. 31 EuGVO ........................ 21 I. II. III. IV.
Änderungsvorschlag der Kommission ....................................... 21 Änderungsvorschlag des Rates .................................................. 22 Einfluss der Entscheidungen van Uden und Mietz auf den Reformprozess .............................................................. 22 Transponierung des Art. 24 EuGVÜ in die EuGVO .................. 23
H. Gang der Darstellung und Ziel der Untersuchung............................... 25
X
Inhaltsverzeichnis
Zweiter Teil: Das niederländische kort geding im Vergleich zu der deutschen Leistungsverfügung............................................. 27 A. Charakterisierung............................................................................... 28 I. II.
Charakterisierung des kort geding ............................................. 28 Charakterisierung der Leistungsverfügung ................................ 29
B. Historische Wurzeln .......................................................................... 30 I.
II.
Entstehung des kort geding ....................................................... 30 1. Ursprung im französischen référé ......................................... 31 2. Entwicklung des kort geding aus dem référé ......................... 33 3. Jüngere Entwicklung des kort geding .................................... 34 Entstehung der Leistungsverfügung .......................................... 37
C. Bedeutung.......................................................................................... 40 I.
II.
Bedeutung des kort geding ........................................................ 40 1. Geringe Bedeutung in den Anfängen .................................... 41 2. Gründe für eine zunehmende Bedeutung ............................... 42 a) Änderung der Auslegung von Art. 292 WBRv aF ............. 42 b) Ausdehnung der Lehre von der unerlaubten Handlung ...... 43 c) Kodifizierung des Zwangsgeldes ...................................... 44 d) Einführung der Prozesskostenhilfe ................................... 45 e) Einsatz bei Streiks und in gesellschaftlichen Notlagen ..... 45 3. Große Bedeutung des heutigen kort geding ........................... 46 a) Quantitative Bedeutung .................................................... 46 b) Qualitative Bedeutung ...................................................... 48 4. Zukünftige Bedeutung .......................................................... 50 Bedeutung der Leistungsverfügung ........................................... 50 1. Quantitative Bedeutung ........................................................ 51 2. Qualitative Bedeutung .......................................................... 52
D. Gesetzliche Regelung......................................................................... 53 I.
II.
Gesetzliche Regelung des kort geding ....................................... 53 1. Grundregeln in Art. 254–259 WBRv ..................................... 53 2. Spezialregelungen ................................................................. 56 3. Anwendbare Regelungen des ordentlichen Verfahrens .......... 57 Keine gesetzliche Regelung der Leistungsverfügung ................. 59
Inhaltsverzeichnis
XI
E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren ..................................... 61 I. II.
Abgrenzung des kort geding zu anderen schnellen Verfahren .... 61 1. Erlass einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 223 WBRv ...... 61 2. Verkürzung des Verfahrens gemäß Art. 117 WBRv .............. 64 Abgrenzung der Leistungsverfügung zu anderen schnellen Verfahren .................................................................................. 64 1. Mahnverfahren ..................................................................... 64 2. Urkundenverfahren ............................................................... 65 3. Bagatellverfahren ................................................................. 66
F. Verhältnis zur Hauptsache ................................................................. 67 I.
II.
Verhältnis des kort geding zur Hauptsache ................................ 67 1. Formelle Akzessorietät ......................................................... 67 a) Keine Pflicht zur Klageerhebung in der Hauptsache in den Grundfällen des Art. 254 WBRv ................................ 67 b) Pflicht zur Klageerhebung in der Hauptsache in den Sonderfällen des Art. 260 WBRv aF................................. 68 2. Materielle Akzessorietät ....................................................... 69 a) Ersatz des Hauptsacheverfahrens durch das kort geding ... 69 b) Eigenständigkeit des kort geding neben dem Hauptsacheverfahren ........................................................ 70 c) Kort geding als Vorbereitung der Hauptsache .................. 70 d) Beurteilung ...................................................................... 71 Verhältnis der Leistungsverfügung zur Hauptsache ................... 72 1. Formelle Akzessorietät ......................................................... 72 2. Materielle Akzessorietät ....................................................... 73
G. Funktion im Vergleich zur Hauptsache .............................................. 75 I. II.
Funktion des kort geding ........................................................... 75 1. Vorläufige Entscheidung in dringenden Fällen ..................... 75 2. Problem der Verdrängung der Hauptsache ............................ 76 Funktion der Leistungsverfügung .............................................. 79
H. Gegenstand ........................................................................................ 82 I. II.
Gegenstand von korte gedingen ................................................ 82 Gegenstand von Leistungsverfügungen ..................................... 85
I. Rolle des Richters .............................................................................. 90 I. II.
Rolle des Richters beim kort geding .......................................... 90 Rolle des Richters bei der Leistungsverfügung .......................... 93
XII
Inhaltsverzeichnis
J. Zuständigkeit ..................................................................................... 93 I.
II.
Zuständigkeit für korte gedingen ............................................... 93 1. Internationale Zuständigkeit ................................................. 93 a) Staatsverträge und EU-Verordnungen ............................... 94 b) Autonomes Recht ............................................................. 95 aa) Bestimmung der internationalen Zuständigkeit bis Ende 2001 ............................................................. 95 (1) Forum acti ............................................................. 96 (2) Doppelfunktionale Anwendung der Regelungen zum ordentlichen Verfahren .................................. 98 (3) Gerichtsstandsvereinbarungen ............................... 99 (4) Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit ...... 104 bb) Bestimmung der internationalen Zuständigkeit seit Anfang 2002 ...................................................... 105 (1) Internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 13, 1 ff. WBRv .............. 106 (2) Vorstellung der Art. 1 ff. WBRv.......................... 106 2. Sachliche Zuständigkeit ...................................................... 114 a) Zuständigkeit des voorzieningen-Richters ...................... 117 b) Zuständigkeit des Kantonrichters ................................... 119 3. Örtliche Zuständigkeit ........................................................ 122 Zuständigkeit für Leistungsverfügungen ................................. 124 1. Internationale Zuständigkeit ............................................... 124 2. Sachliche und örtliche Zuständigkeit .................................. 130
K. Voraussetzungen .............................................................................. 131 I.
Voraussetzungen des kort geding ............................................ 131 1. Allgemeine Voraussetzungen gemäß Art. 254 und 256 WBRv .......................................................................... 133 a) Geeignetheit des Rechtsstreits für das kort geding .......... 133 aa) Ursachen fehlender Geeignetheit .............................. 134 bb) Rechtsfolge fehlender Geeignetheit .......................... 135 b) Eilbedürftigkeit .............................................................. 136 aa) Inhaltliche Anforderungen ........................................ 137 bb) Prozessuale Anforderungen ...................................... 140 c) Abwägung der Parteiinteressen....................................... 141 aa) Zulässigkeit der Abwägung ...................................... 142 bb) Faktoren der Abwägung ............................................ 143 (1) Parteiinteressen ................................................... 143 (2) Interessen Dritter und der Allgemeinheit ............. 145 (3) Beurteilung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ............................................. 146
Inhaltsverzeichnis
II.
XIII
cc) Ergebnis der Abwägung............................................ 146 d) Vorläufigkeit der Maßnahme .......................................... 151 2. Besondere Voraussetzungen bei Geldforderungen .............. 152 a) Kort geding für Geldforderungen ................................... 152 aa) Zulässigkeit des kort geding für Geldforderungen .... 153 bb) Voraussetzungen des kort geding für Geldforderungen....................................................... 154 (1) Bestehen der Forderung ....................................... 156 (2) Eilbedürftigkeit ................................................... 157 (3) Abwägung ........................................................... 159 (4) Vorläufigkeit ....................................................... 163 (5) Nebenforderungen ............................................... 163 b) Inkasso-kort geding ........................................................ 164 Voraussetzungen der Leistungsverfügung ............................... 166 1. Verfügungsanspruch ........................................................... 166 2. Verfügungsgrund ................................................................ 168
L. Verfahrensablauf ............................................................................. 172 I.
II.
Verfahrensablauf bei einem kort geding .................................. 173 1. Einleitung des Verfahrens ................................................... 174 a) Regelmäßiger Beginn mit einer dagvaarding ................. 174 b) Inhalt der dagvaarding ................................................... 177 2. Verhandlung ....................................................................... 179 a) Prozessvertretung ........................................................... 179 b) Vornehmlich mündliche Darlegung des Falles ................ 181 c) Beweisaufnahme ............................................................ 184 d) Beteiligung Dritter am Verfahren ................................... 187 e) Ausländisches Recht im kort geding ............................... 188 3. Schluss der Verhandlung und Urteilsverkündung ................ 189 Verfahrensablauf bei einer Leistungsverfügung ...................... 191 1. Einleitung des Verfahrens ................................................... 191 2. Verhandlung ....................................................................... 192 a) Prozessvertretung ........................................................... 192 b) Mündliche Verhandlung ................................................. 193 c) Beweisaufnahme ............................................................ 195 d) Streitgenossenschaft und Beteiligung Dritter .................. 197 e) Ausländisches Recht bei der Leistungsverfügung ........... 197 3. Abschluss des einstweiligen Erkenntnisverfahrens .............. 198
XIV
Inhaltsverzeichnis
M. Entscheidung ................................................................................... 198 I.
II.
Entscheidung im kort geding ................................................... 198 1. Inhalt im kort geding erlassener einstweiliger Maßnahmen . 199 a) Regelfall vorläufiger Gebote oder Verbote ..................... 200 b) Problem endgültiger Entscheidungen.............................. 202 2. Verhältnis der kort geding-Entscheidung zum Hauptsacheurteil ................................................................. 203 a) Keine Rechtskraft von Entscheidungen im kort geding ... 204 b) Wirkung des Hauptsacheurteils auf die kort gedingEntscheidung .................................................................. 205 aa) Bestätigung der kort geding-Entscheidung durch das Hauptsacheurteil ................................................. 205 bb) Divergenz von kort geding-Entscheidung und Hauptsacheurteil ....................................................... 206 (1) Außerkraftsetzung der kort geding-Entscheidung infolge anderslautenden Hauptsacheurteils .......... 206 (2) Zeitpunkt der Außerkraftsetzung ......................... 206 (3) Verantwortlichkeit des Klägers für Nachteile wegen Vollstreckung der kort geding-Entscheidung .............................. 207 (4) Behandlung des aufgrund der kort gedingEntscheidung geschuldeten Zwangsgeldes ........... 208 c) Wirkung der kort geding-Entscheidung auf das Hauptsacheurteil ...................................................... 209 aa) Kort geding-Entscheidung entgegen dem Hauptsacheurteil ....................................................... 210 bb) Erklärung des Hauptsacheurteils für vorläufig vollstreckbar über die Entscheidung im kort geding .. 211 Entscheidung bei der Leistungsverfügung ............................... 211 1. Inhalt der Leistungsverfügung ............................................ 211 2. Verhältnis der Leistungsverfügung zum Hauptsacheurteil ... 213
N. Rechtsbehelfe .................................................................................. 215 I.
II.
Rechtsbehelfe gegen korte gedingen........................................ 215 1. Besonderheiten im Instanzenzug des kort geding ................ 216 2. Einzelne Rechtsmittel ......................................................... 218 a) Einspruch ....................................................................... 219 b) Berufung ........................................................................ 219 c) Revision ......................................................................... 221 Rechtsbehelfe gegen Leistungsverfügungen ............................ 223
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O. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen ................................................................ 226 I. II.
Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen in den Niederlanden ....................... 227 Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen in Deutschland ............................... 229
P. Zusammenfassung der Ergebnisse.................................................... 230 I. Charakterisierung .................................................................... 230 II. Historische Wurzeln................................................................ 231 III. Bedeutung ............................................................................... 231 IV. Gesetzliche Regelung .............................................................. 231 V. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren .......................... 232 VI. Akzessorietät .......................................................................... 232 VII. Funktion ................................................................................. 233 VIII. Gegenstand ............................................................................. 233 IX. Rolle des Richters ................................................................... 234 X. Zuständigkeit .......................................................................... 234 XI. Voraussetzungen ..................................................................... 235 XII. Verfahren ................................................................................ 238 XIII. Entscheidung .......................................................................... 240 XIV. Rechtsbehelfe ......................................................................... 241 XV. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen ....................................................... 241
Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht .............................................................................. 242 A. Internationale Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO ........................ 242 I.
Einstweilige Maßnahmen in Art. 31 EuGVO........................... 242 1. Anwendbarkeit der EuGVO auf einstweilige Maßnahmen .. 242 a) Persönliche und zeitliche Anwendbarkeit ....................... 242 b) Sachliche Anwendbarkeit ............................................... 243 aa) Erfordernis einer Zivil- und Handelssache ................ 243 bb) Feststellung einer Zivil- und Handelssache ............... 245 (1) Die Entscheidung de Cavel I ............................... 246 (2) Die Entscheidung de Cavel II .............................. 246 (3) Die Entscheidung W./H. ...................................... 248 (4) Die Entscheidung van Uden ................................ 250
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II.
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2. Definition einstweiliger Maßnahmen .................................. 254 a) Sichernde und regelnde Maßnahmen .............................. 257 b) Leistungsverfügungen .................................................... 260 aa) Rechtsprechung des EuGH ....................................... 261 bb) Auslegung ................................................................ 266 cc) Bewertung ................................................................ 268 (1) Einbeziehung zugunsten effektiven Rechtsschutzes .................................................... 268 (2) Kein Ausschluss aufgrund fehlender Vorläufigkeit ....................................................... 269 (3) Kein Ausschluss aufgrund fehlender Eilbedürftigkeit ................................................... 271 (4) Risiken der Einbeziehung .................................... 273 3. Voraussetzungen einstweiliger Maßnahmen ........................ 276 a) Voraussetzungen des nationalen Rechts .......................... 276 b) Voraussetzungen des EuGH ........................................... 277 aa) Einordnung der Voraussetzungen.............................. 278 bb) Gewährleistung der Rückzahlung bei Leistungsverfügungen ............................................... 280 (1) Inhalt .................................................................. 281 (2) Bewertung ........................................................... 287 Gerichtsstände für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ......... 291 1. Das zweispurige Zuständigkeitssystem im einstweiligen Rechtsschutz ................................................. 291 a) Nebeneinander von europäischem und nationalem Recht ............................................................ 292 b) Zweck der Zuständigkeitserweiterung ............................ 293 c) Keine abschließende Zuständigkeitsregelung in Art. 31 EuGVO .............................................................. 295 d) Keine Begründung der internationalen Zuständigkeit jedes Mitgliedstaats ........................................................ 296 2. Zuständigkeit der Gerichte der Hauptsache gemäß Art. 2 ff. EuGVO ................................................................ 297 a) Zuständigkeit eines staatlichen Hauptsachegerichts ........ 299 b) Anhängigkeit der Hauptsache ......................................... 303 aa) Gegenwärtige oder potentielle spätere Anhängigkeit der Hauptsache ................................... 303 bb) Konkurrierende Hauptsachezuständigkeiten .............. 304 c) Verhältnis zu anderen Zuständigkeiten ........................... 307 aa) Zuständigkeit eines Gerichts der Hauptsache und Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO .................... 307 bb) Hierarchie der verschiedenen Zuständigkeiten .......... 309
Inhaltsverzeichnis
III.
XVII
3. Zuständigkeit sonstiger Gerichte nach nationalem Recht .... 312 a) Reichweite der Verweisung auf nationales Recht ........... 312 aa) Eilgerichtsstände ...................................................... 315 bb) Hauptsachegerichtsstände ......................................... 317 (1) Keine Prüfung der Zuständigkeit bei Anhängigkeit der Hauptsache .............................. 318 (2) Ermittlung des Gerichts der Hauptsache vor Anhängigkeit der Hauptsache .............................. 319 cc) Exorbitante Gerichtsstände ....................................... 321 b) Restriktionen des EuGH für nationale Gerichtszuständigkeiten ................................................. 327 aa) Reale Verknüpfung bei allen einstweiligen Maßnahmen ........................................ 328 (1) Inhalt .................................................................. 328 (2) Folgen ................................................................. 335 (3) Bewertung ........................................................... 339 bb) Ortsbezug bei Leistungsverfügungen ........................ 343 (1) Betreffen von Vermögensgegenständen ............... 344 (2) Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts ...... 348 (3) Vergleich des Ortsbezuges mit Art. 20 EheGVO . 351 c) Eigener Regelungsvorschlag unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH ............................................. 353 Weitere Aspekte der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen......................................................... 354 1. Gerichtsstandsvereinbarungen ............................................ 354 2. Zuständigkeit durch rügelose Einlassung ............................ 359 3. Ausschließliche Zuständigkeiten......................................... 361 4. Folgen anderweitiger Rechtshängigkeit .............................. 362 a) Hauptsache und einstweilige Verfahren .......................... 363 b) Mehrere einstweilige Verfahren ..................................... 368 5. Aufhebung einstweiliger Maßnahmen ................................. 371
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO ............ 373 I.
Voraussetzungen der Anerkennung einstweiliger Maßnahmen ....................................................... 374 1. Einstweilige Maßnahmen als Entscheidungen im Sinne von Art. 32 ff. EuGVO ....................................................... 376 2. Rechtliches Gehör .............................................................. 379 a) Die Entscheidung Denilauler .......................................... 379 b) Folgen .......................................................................... 381 c) Bewertung ...................................................................... 382 d) Ausblick ......................................................................... 385
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II.
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3. Reale Verknüpfung, Gewährleistung der Rückzahlung und Ortsbezug..................................................................... 387 a) Die Entscheidung Mietz ................................................. 388 b) Folgen .......................................................................... 389 c) Bewertung ...................................................................... 392 4. Keine unvereinbaren Maßnahmen ....................................... 395 a) Die Entscheidung Italian Leather .................................... 396 b) Bewertung ...................................................................... 397 Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung einstweiliger Maßnahmen ....................................................... 399
C. Zusammenfassung ........................................................................... 403 I. II. III. IV. V.
Sachlicher Anwendungsbereich der EuGVO bei einstweiligen Maßnahmen ....................................................... 403 Begriff der einstweiligen Maßnahme ....................................... 404 Gerichtsstände für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ......... 405 Weitere Aspekte der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen ................................................... 407 Anerkennung und Vollstreckbarerklärung ............................... 408
Anhang: Ausgewählte Vorschriften der niederländischen Zivilprozessordnung................................................... 410 Literaturverzeichnis .............................................................................. 417 Sachverzeichnis .................................................................................... 435
Abkürzungsverzeichnis a.A. Aant. aaO abl. ABl. EG ABl. EU Abs. Acpc AEUV aF afd. AJP Alt. Anm. Art. AVAG AWB BB BGB BGBl. BGH BGHZ Brüssel I-VO Bull. ASA BV BVerfG BVerfGE BVerwG BW Cass. CEE CJQ Clunet CML Rev. Cpc
andere(r) Ansicht Aantekening am angegebenen Ort ablehnend/ablehnender Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Amtsblatt der Europäischen Union Absatz Ancien code de procédure civile Vertrag über die Arbeitsweise der europäischen Union alte Fassung afdeling Aktuelle Juristische Praxis Alternative Anmerkung(en) Artikel Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der EG auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen Algemene wet bestuursrecht Betriebsberater Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung Bulletin Association Suisse de l’ Arbitrage besloten vennootschap met beperkte aansprakelijkheid Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverwaltungsgericht Burgerlijk Wetboek Cour de Cassation Communauté économique européenne Civil Justice Quarterly Journal du droit international, begründet von Clunet Common Market Law Review Code de procédure civile
XX CPR D. ders. dies. DM ebd. EC ecolex EG EGGVG EGV EGZPO EheGVO Einl. EMRK endg. ERPL EU EuBVO EuGFVO EuGH EuGHE EuGVO EuGVÜ EuInsVO EurJLRef Eur. L. Rev. EuUHVO EuVTVO EuZPR EuZVO EuZVR EuZW EWG EWGV EWiR EWS
Abkürzungsverzeichnis Civil Procedure Rules Digesten derselbe dieselbe(n) Deutsche Mark ebenda/ebendieser European Community ecolex - Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Gemeinschaft Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft Einführungsgesetz zur Zivilprozessordnung EG-Verordnung über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung Einleitung Europäische Menschenrechtskonvention endgültig European Review of Private Law Europäische Union Europäische Beweisaufnahmeverordnung EG-Verordnung zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen Europäischer Gerichtshof Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (Sammlung der Rechtsprechung des EuGH) EG-Verordnung über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil-und Handelssachen EWG-Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen EG-Verordnung über Insolvenzverfahren European Journal of Law Reform European Law Review EG-Verordnung über Unterhaltssachen EG-Verordnung zur Einführung eines Europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen Europäisches Zivilprozessrecht EG-Zustellungsverordnung Europäisches Zivilverfahrensrecht Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Europäische Wirtschaftsgemeinschaft Vertrag zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft Entscheidungen zum Wirtschaftsrecht Europäisches Wirtschafts- und Steuerrecht
Abkürzungsverzeichnis f., ff. FamFG FamRZ Fn. FS Gaz. Pal. GebrMG Ger.W. GeschmMG GG GGVO GMVO GRUR GRUR Int. GRUR-RR GW GVG HBÜ h.M. Hrsg./hrsg. Hs. HZÜ I.C.J. ICLQ IHR ILA Inl. opm. IPR IPRax IPRG i.S.d./v. IZPR IZVR JBl. JR J.T. JuS JW JZ Kap. KG KOM
XXI
folgende Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit Zeitschrift für das gesamte Familienrecht Fußnote Festschrift La Gazette du Palais Gebrauchsmustergesetz Gerechtelijk Wetboek Geschmacksmustergesetz Grundgesetz EG-Verordnung über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster EG-Verordung über die Gemeinschaftsmarke Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Internationaler Teil Gewerblicher Rechtsschutz und Urheberrecht, Rechtsprechungs-Report Grondwet Gerichtsverfassungsgesetz Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen herrschende Meinung Herausgeber, herausgegeben(e) Halbsatz Haager Übereinkommen über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly Internationales Handelsrecht International Law Association Inleidende opmerking Internationales Privatrecht Praxis des Internationalen Privat-und Verfahrensrechts Gesetz zur Neuregelung des Internationalen Privatrechts im Sinne des/von Internationales Zivilprozessrecht Internationales Zivilverfahrensrecht Juristische Blätter Juristische Rundschau Journal des tribunaux Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung Kapitel Kammergericht Dokumente der Kommission der Europäischen Union
XXII LG lit. Lloyd’s MCLQ L.O.P.J. LugÜ
Abkürzungsverzeichnis
Landgericht litera Lloyd’s Maritime and Commercial Law Quarterly Ley Orgánica del Poder Judicial Luganer (Parallel-)Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen MarkenG Markengesetz MDR Monatsschrift für Deutsches Recht mwN mit weiteren Nachweisen Ncpc Nouveau code de procédure civile nF neue Fassung NILR Netherlands International Law Review NIPR Nederlands Internationaal Privaatrecht NJ Nederlandse Jurisprudentie NJB Nederlands Juristenblad NJW Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR NJW-Rechtsprechungs-Report No. Number Nr. Nummer NTBR Nederlands Tijdschrift voor Burgerlijk Recht NTER Nederlands Tijdschrift voor Europees Recht NZA Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht NZM Neue Zeitschrift für Miet- und Wohnungsrecht ÖJZ Österreichische Juristenzeitung OGH Oberster Gerichtshof OLG Oberlandesgericht OLGR OLG-Report PatG Patentgesetz Pres.Rb. President Rechtbank RabelsZ Rabels Zeitschrift für ausländisches und internationales Privatrecht Rev. arb. Revue de l’arbitrage Rev. crit. dr. int. priv. Revue critique de droit international privé RGBl. Reichsgesetzblatt RGZ Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen RIW Recht der Internationalen Wirtschaft Rn. Randnummer RO Wet op de Rechterlijke Organisatie Rs. Rechtssache RTD civ. Revue trimestrielle de droit civil RvdW Rechtspraak van de Week RW Rechtskundig Weekblad S. Seite s. siehe SGB Sozialgesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis SortenSchG Stb. StVG Suppl. SZIER SZW TCR Trb. TREMA TRIPS u.a. UrhG Urt. UWG v. Var. VersR vgl. Vzngr. WBRv WM WPNR WRP Yb. Eur. L. z.B. ZEuP ZfRV ZIP ZMR ZPO zust. ZVglRWiss ZZP ZZP Int.
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Sortenschutzgesetz Staatsblad Straßenverkehrsgesetz Supplement Schweizerische Zeitschrift für internationales und europäisches Recht Schweizerische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Tijdschrift voor Civiele Rechtspleging Tractatenblad Tijdschrift voor de Rechterlijke Macht Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights und andere, unter anderem Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte Urteil Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb von/vom Variante Versicherungsrecht vergleiche Voorzieningenrechter Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering Wertpapier-Mitteilungen Weekblad voor privaatrecht, notariaat en registratie Wettbewerb in Recht und Praxis Yearbook of European Law zum Beispiel Zeitschrift für Europäisches Privatrecht Zeitschrift für Rechtsvergleichung, Internationales Privatrecht und Europarecht Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Miet- und Raumrecht Zivilprozessordnung zustimmend(e) Zeitschrift für Vergleichende Rechtswissenschaft. Archiv für Internationales Wirtschaftsrecht Zeitschrift für Zivilprozess Randnummern ZZP International: Jahrbuch des Internationalen Zivilprozessrechts
Erster Teil
Einführung Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes sind ein fundamentales Element aller nationalen Prozessordnungen. Das Bedürfnis, einen drohenden Rechtsverlust in kurzer Zeit abwenden und eine Streitigkeit einer vorläufigen Lösung zuführen zu können, ist jeder Rechtsordnung immanent. Im niederländischen Recht heißt es hierzu: „Te trage rechtvaardigheid is geen rechtvaardigheid“ 1 (zu schwerfälliger Rechtsschutz ist kein Rechtsschutz). Der einstweilige Rechtsschutz schützt die subjektiven Rechte des Antragstellers durch eine grundsätzlich nur vorübergehend geltende gerichtliche Maßnahme vor irreparablen Nachteilen wegen der Dauer des Hauptsacheverfahrens, in dem eine endgültige Entscheidung ergeht. 2 Zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes kann auch die Erbringung einer Leistung angeordnet werden. 3
A. Bedeutung des grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtschutzes A. Bedeutung grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz
Eine immer größere Rolle spielt der grenzüberschreitende einstweilige Rechtsschutz. 4 Die Anzahl grenzüberschreitender Rechtsstreitigkeiten steigt mit der Zunahme der wirtschaftlichen Beziehungen im Binnenmarkt und der sonstigen Verbindungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten. Die Verwicklung in einen grenzüberschreitenden Rechtsstreit löst bei der Mehrheit der EU-Bürger auch in Zeiten eines zusammenwachsenden 1 Zitiert nach Rechtspleging Civiel en Bestuur 2008, S. 133 (http://www.cbs.nl/NR/rdon lyres/259D2EB6-4D14-43E2-A07E-AE8ACB770A30/0/2010rechtsplegingcivielbestuur 2008.pdf). 2 Kofmel Ehrenzeller, S. 271; Weinert, S. 132. 3 Kofmel Ehrenzeller, S. 275. 4 Dedek, EWS 2000, 246; Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 120; Normand, in: Andolina, Trans-national Aspects of Procedural Law, S. 1139, 1142; Special Eurobarometer 292 der Europäischen Kommission von April 2008, S. 2 (http://ec.europa.eu/public_opinon/archives/ ebs/ebs_292_en.pdf). Zu den wirtschaftlichen Hintergründen und Interessen Koch, in: Heldrich/Kono, Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 85 f.
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Erster Teil: Einführung
Europas noch besondere Befürchtungen aus. 5 Als Gründe hierfür werden die Unkenntnis der ausländischen Rechtsordnung und der Mentalität, sprachliche Barrieren, erhöhter logistischer Aufwand für die nicht im Gerichtsstaat ansässige Partei und höhere Kosten sowie mangelndes Vertrauen in das fremde Recht genannt. 6 Grenzüberschreitende Streitigkeiten können in der Tat inhaltlich anspruchsvoller und finanziell belastender sein. Vor allem aber sind Hauptsacheverfahren mit Auslandsbezug bis zur endgültigen Klärung der Rechtslage und bis zur Durchsetzung gerichtlich bestätigter Rechtspositionen typischerweise zeitintensiver als rein innerstaatliche Verfahren. Dieser Umstand eröffnet das Einsatzfeld für den grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutz. 7 Die Ausgestaltung des wegen seiner Erfüllungswirkung schlagkräftigsten Instruments des grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutzes, der Leistungsverfügung, variiert in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen erheblich. 8 Aufgrund unterschiedlicher Traditionen und Praktiken zeigen sich einige Rechtsordnungen hier überaus großzügig, andere hingegen sehr zurückhaltend. 9 So sind etwa die Anforderungen an den Erlass einer Leistungsverfügung nach deutschem Zivilprozessrecht deutlich strenger als die Anforderungen an den Erlass eines niederländischen kort geding, welches als das dynamischste und liberalste einstweilige Verfahren in Europa 10 beschrieben wird.
B. Herausforderungen der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung B. Herausforderungen der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung
Die Rechtsverfolgung über Staatengrenzen hinweg kann den Rechtsstreit zeitlich langwieriger gestalten, weil sie die Beteiligten trotz einer inzwischen hohen Regelungsintensität im europäischen Zivilprozessrecht 11 und weitreichender Vereinheitlichungs- bzw. Harmonisierungsbestrebungen regelmäßig vor eine Fülle von Herausforderungen stellt. Als erster Schritt ist zu ermitteln, welche Gerichte zuständig sind. Die internationale Zuständigkeit ergibt sich in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union für Zivil- und Handelssachen aus Art. 2–31 der Europäischen 5
Special Eurobarometer 292 der Europäischen Kommission, S. 33 (s. vorige Fn.). Special Eurobarometer 292 der Europäischen Kommission, S. 33. 7 Kofmel Ehrenzeller, S. 275 f. 8 Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 170 f. 9 Stürner, aaO, S. 143, 171. 10 Kramer, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 305, 307. 11 Überblick zur jüngeren Entwicklung des einheitlichen Justizraumes in Europa bei Schack, FS Leipold, S. 317 ff. und Wagner, NJW 2008, 2225 ff. 6
B. Herausforderungen der grenzüberschreitenden Rechtsverfolgung
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Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVO) 12, der Nachfolgerin des Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens (EuGVÜ) 13, welche gegenwärtig grundlegend überarbeitet wird 14. Ein geschickter Umgang mit diesen Regelungen eröffnet viele mögliche Gerichtsplätze. Das international, sachlich und örtlich zuständige Gericht bestimmt anhand seines Internationalen Privatrechts, welches materielle Recht auf den grenzüberschreitenden Rechtsstreit anwendbar ist. Zu einheitlichen Ergebnissen innerhalb der Europäischen Union führen derzeit zum Beispiel die so genannte Rom I-Verordnung 15 für das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und die Rom II-Verordnung für das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht. 16 Auch einige Richtlinien enthalten einzelne kollisionsrechtliche Vorschriften. 17 Folgt aus den jeweils herangezogenen Kollisionsnormen die Anwendbarkeit ausländischen Rechts, dann muss dessen Inhalt geklärt werden. 18 12
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen („Brüssel I“), ABl. EG 2001 L 12, S. 1 (in Kraft seit dem 1.3.2002, vgl. Art. 76), erstreckt auf Dänemark durch das Abkommen vom 19.10.2005 zwischen der EG und Dänemark über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. EU 2005 L 299, S. 62), in Kraft seit 1.7.2007, ABl. EU 2007 L 94, S. 70. 13 Brüsseler EWG-Übereinkommen vom 27.9.1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1972 II 774 (in Kraft seit dem 1.2.1973, BGBl. II 60); Neufassung vom 29.11.1996, BGBl. 1998 II 1411 (in Kraft seit dem 1.1.1999, BGBl. II 419). 14 Dazu der Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 174 endg.; Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 175 endg.; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg. (http://ec.europa.eu/justice/ policies/civil/docs/com_2010_748_de.pdf). 15 Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17.6.2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2008 L 177, S. 6. Die Verordnung ist am 17.12.2009 in Kraft getreten, vgl. Art. 29. 16 Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht, ABl. EU 2007 L 199, S. 40. Die Verordnung ist am 11.1.2009 in Kraft getreten, vgl. Art. 32. 17 So z.B. Art. 32 der Richtlinie 2002/83/EG vom 5.11.2002 über Lebensversicherungen (in Kraft seit dem 19.12.2002), ABl. EG L 345, S. 1–51 und Art. 3 Abs. 4, 12 Abs. 2, 16 der Richtlinie 2002/65/EG vom 23.9.2002 über den Fernabsatz von Finanzdienstleistungen an Verbraucher (in Kraft seit dem 9.10.2002), ABl. EG L 271, S. 16–24. 18 Vgl. im autonomen deutschen Recht § 293 ZPO, der in Eilverfahren aber mit der Maßgabe einschränkend ausgelegt wird, dass das Gericht anhand der präsenten Erkenntnisquellen entscheiden kann und dass es dem Antragsteller obliegt, die Anwendbarkeit des für ihn güns-
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Erster Teil: Einführung
Während des Verfahrens muss das zuständige Gericht unter Umständen den Rechtshilfeweg einschlagen, zum Beispiel bei der Zustellung von Schriftstücken oder im Rahmen der Beweisaufnahme. Der Vereinfachung des Rechtsverkehrs zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union dienen die europäische Zustellungsverordnung 19 (EuZVO) und die europäische Beweisaufnahmeverordnung 20 (EuBVO). Die Zustellung von Schriftstücken von einem Mitgliedstaat in einen anderen kann allerdings im Einzelfall immer noch mehrere Monate in Anspruch nehmen. 21 Die reformierte EuZVO von 2007 verpflichtet die Empfangsstellen in Art. 7 Abs. 2 Satz 1 zu einer Übermittlung der Schriftstücke binnen eines Monats nach Eingang. Diese Änderung lässt auf Verbesserungen hoffen. 22 Gegenwärtig aber bleibt es noch bei der herausragenden Rolle, die einstweilige Maßnahmen wegen der Behäbigkeit grenzüberschreitender Hauptsacheverfahren auf der internationalen Bühne spielen.
C. Interessenlage der Parteien C. Interessenlage der Parteien
Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes können die Sach- und Rechtslage zwischen den Beteiligten kurzfristig gestalten und dazu beitragen, die Interessen von Gläubiger oder Schuldner zu wahren. I. Interessen des Antragstellers Sieht sich ein Gläubiger mit zahlungsunwilligen Schuldnern konfrontiert, hat er oftmals großes Interesse daran, kurzfristig einen Titel zu erlangen, tigen Rechts glaubhaft zu machen, OLG Köln, Urt. v. 19.01.2007 – 6 U 163/06 (zitiert nach juris); OLG Frankfurt/Main NJW 1969, 991, 992; Schack, IPRax 1995, 158, 161. Letztlich steht es im richterlichen Ermessen, welche Mittel zur Feststellung ausländischen Rechts herangezogen werden. Von der Einholung eines Gutachtens kann abgesehen werden, sofern eigene Erkenntnismöglichkeiten, zum Beispiel deutschsprachige Literatur zum ausländischen Recht, vorliegen, OLG Oldenburg, Urt. v. 11.10.2007 – 14 U 71/07 (zitiert nach juris). 19 Seit dem 31.5.2001 galt die Verordnung (EG) Nr. 1348/2000 vom 29.5.2000 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. EG 2000 L 160, S. 37. An ihre Stelle trat mit Wirkung vom 13.11.2008 die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.11.2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen in den Mitgliedstaaten, ABl. EU 2007 L 324, S. 79. 20 Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 vom 28.5.2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 L 174, S. 1 (in Kraft seit dem 1.1.2004, vgl. Art. 24 Abs. 2). 21 Schack, IZVR5, Rn. 674. 22 Kritisch Schack, FS Leipold, S. 317, 327. Ausführlich zur reformierten Zustellungsverordnung Sujecki, NJW 2008, 1628 ff.
C. Interessenlage der Parteien
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um seine Forderung im Wege der Zwangsvollstreckung durchsetzen zu können. Verzögerte oder vollständig ausfallende Zahlungen führen gerade kleine und mittlere Unternehmen nicht selten in die Insolvenz. Je länger sich ein Hauptsacheverfahren verzögert, desto mehr steigt außerdem für den Gläubiger das Risiko irreversibler Veränderungen, welche die Entscheidung in der Hauptsache für ihn letztlich wirtschaftlich nutzlos werden lassen. In grenzüberschreitenden Angelegenheiten kommt zum Risiko einer Zahlungsunfähigkeit des Schuldners die Gefahr hinzu, dass der Schuldner sein Vermögen an einen für den Gläubiger nur schwer oder gar nicht erreichbaren Ort im Ausland transferiert. Zur zeitnahen Sicherung und Durchsetzung gefährdeter Ansprüche müssen Gläubiger deshalb gerade in internationalen Streitigkeiten schnell und wirksam Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes erlangen können. Genügt es nicht, wie z.B. in Unterhaltssachen, dass ein Anspruch zunächst gesichert wird, so ermöglichen Leistungsverfügungen die vorläufige Erfüllung eines Anspruchs. Viele Gläubiger ziehen ein Verfahren am eigenen Wohnsitz einem Verfahren am Wohnsitz des Schuldners vor, um die Schwierigkeiten eines Rechtsstreits im Ausland zu umgehen. 23 Andere international agierende Gläubiger wägen sorgfältig ab, welches Rechtsinstrument sich für sie als vorteilhaft erweist, damit sie schnell einen Titel in den Händen halten und sich etwaige Besonderheiten der jeweiligen Prozessordnung zu Nutze machen können. Da die Gerichte regelmäßig ihr eigenes Verfahrensrecht anwenden, kann sich eine taktisch getroffene Wahl des Gerichtsorts auf den Ausgang des Rechtsstreits auswirken. Besonderheiten können etwa hinsichtlich der zugelassenen Beweismittel, der Ausgestaltung der Dispositionsmaxime, der Rolle des Gerichts bei der Sachverhaltsaufklärung oder der Ausprägung des Schutzes von Amts-, Geschäfts- und Bankgeheimnis auftreten. 24 Die Folgen nationaler Unterschiede in der Rechtsanwendung wurden beispielsweise in dem Verfahren deutlich, das in die Italian Leather-Entscheidung des EuGH mündete. Dort hatte das Landgericht Koblenz den Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels Vorliegens eines Verfügungsgrundes abgelehnt. Das Tribunale Bari hingegen sah die Dringlichkeit als gegeben an und gab dem Antrag statt. 25 Zu erreichen ist eine einstweilige Maßnahme an einem für den Antragsteller günstigen Gerichtsstand über die zentrale Vorschrift zur internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen im europäischen Zivilprozessrecht, Art. 31 EuGVO. Hiernach können
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Körner, FS Bartenbach, S. 401, spricht vom „Sog zum Heimatgericht“. Jametti Greiner, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 11, 14 f. 25 EuGHE 2002, 4995 Rn. 18–23 – Italian Leather/WECO. 24
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Erster Teil: Einführung
„die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, … bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist“.
In seine Überlegungen einbeziehen muss der Gläubiger außerdem die Frage, ob er einen Titel in dem Staat erlangen möchte, in welchem anschließend auch die Zwangsvollstreckung stattfinden soll oder ob er den Titel in einem anderen als dem Vollstreckungsstaat erringen will. Ersteres bedeutet, dass der Gläubiger im Falle des Erlasses der beantragten Maßnahme nur mit dem Prozessrecht des Forumstaates in Berührung kommen wird. Letzteres hat zur Folge, dass der Titel vor der Vollziehung zunächst anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden muss. Welche Variante im konkreten Fall möglich und empfehlenswert ist, richtet sich nach den jeweils anwendbaren Vorschriften zur Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Die in Zivil- und Handelssachen maßgeblichen Regelungen des europäischen Zivilprozessrechts enthält die EuGVO. Sie sieht für die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung in Art. 32 ff. ein gegenüber bestehenden Staatsverträgen vereinfachtes Verfahren vor. Einstweilige Maßnahmen können dem Gläubiger bereits vor dem Erlass einer Entscheidung in der Hauptsache, aber auch in einer späteren Phase eines internationalen Rechtsstreits helfen, etwa nach der Entscheidung in der Hauptsache vor ihrer Anerkennung und Vollstreckbarerklärung oder nach der Vollstreckbarerklärung, falls dagegen ein Rechtsbehelf eingelegt wurde 26. II. Interessen des Antragsgegners Dem Interesse des Gläubigers an einer schnellen Entscheidung steht das Interesse des Schuldners entgegen, sein Recht an einem ihm zumutbaren Gerichtsstand effektiv verteidigen und die durch die einstweilige Maßnahme geschaffene Rechtsposition ggf. in einem Hauptsacheverfahren wieder revidieren zu können. Eine einstweilige Maßnahme kann endgültig werden und die Hauptsache ersetzen, wenn der Gläubiger mit der einstweiligen Maßnahme sein Ziel erreicht hat und das anwendbare Prozessrecht ihn nicht zur Einleitung eines Hauptsacheverfahrens zwingt. Ebenso kann diese Ersetzung eintreten, wenn es dem Schuldner obliegt, die Hauptsache einzuleiten und er dies aus Kosten- oder anderen Gründen scheut. Kommt es zu einem Hauptsacheverfahren, dann kann sich die Rückabwicklung gerade bei Leistungsverfügungen als problematisch erweisen, wenn der Schuldner aufgrund einer einstweiligen Zahlungsanordnung eine 26
Siehe Art. 47 EuGVO.
D. Entstehung des Art. 24 EuGVÜ
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bestimmte Geldsumme erbracht hat und der Gläubiger insolvent wird, so dass er zur Rückzahlung nicht mehr in der Lage ist. Dass das Gericht im Hauptsacheverfahren anders entscheidet als das Gericht im einstweiligen Rechtsschutz und die Folgen der einstweiligen Maßnahme rückgängig gemacht werden müssen, ist insbesondere deshalb denkbar, weil es sich um ein summarisches Verfahren handelt. Darin werden aufgrund der besonderen Dringlichkeit beispielsweise andere Beweismittel herangezogen als in Hauptsacheverfahren. Deshalb ist es nicht auszuschließen, dass sich die richterliche Einschätzung nach der Durchführung des Hauptsacheverfahrens ändert. Einerseits können in Fällen mit Auslandsbezug also aus Sicht des Gläubigers die Geltendmachung und die Durchsetzung eines Anspruchs erschwert sein. Andererseits können sich aus Sicht des Schuldners die Berichtigung der Entscheidung und die Rückgängigmachung der durch die einstweilige Maßnahme bewirkten Veränderungen als problematisch erweisen. Vor dem Hintergrund des Spannungsverhältnisses zwischen der Gewährung effektiven und schnellen Rechtsschutzes und der inhaltlichen Richtigkeit der erlassenen Maßnahme sind im grenzüberschreitenden vorläufigen Rechtsschutz sowohl der Gläubiger als auch der Schuldner in erhöhtem Maße schutzbedürftig. Ihren gegenläufigen Interessen ist bei der Auslegung von Art. 31 EuGVO, der derzeit wichtigsten Regelung zum einstweiligen Rechtsschutz in Zivil- und Handelssachen im europäischen Zivilprozessrecht, Rechnung zu tragen.
D. Entstehung des Art. 24 EuGVÜ D. Entstehung des Art. 24 EuGVÜ
Art. 31 EuGVO geht auf Art. 24 EuGVÜ zurück, der lautet: „Die in dem Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats auf Grund dieses Übereinkommens zuständig ist.“
Ähnliche Regelungen existierten, bevor das EuGVÜ ausgearbeitet wurde, in Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen. 27 Zwar wurden einstweili27 Vgl. Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 42, Fn. 1. Unter den von Deutschland abgeschlossenen Abkommen sind folgende Regelungen anzuführen: Art. 15 Abs. 2 des deutschbelgischen Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommens, jeweils Art. 18 Abs. 2 des deutsch-niederländischen und des deutsch-griechischen Abkommens, Art. 44 Abs. 2 des deutsch-tunesischen Abkommens, Art. 21 Abs. 2 des deutsch-norwegischen Abkommens, Art. 22 Abs. 2 des deutsch-israelischen Abkommens sowie Art. 21 Abs. 2 des deutschspanischen Abkommens.
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Erster Teil: Einführung
ge Maßnahmen bis in die 1950er Jahre als nicht anerkennungs- und vollstreckungsfähig eingestuft, was eine Erfassung in Staatsverträgen zur Anerkennung und Vollstreckung bis zu diesem Zeitpunkt verwehrte. 28 Mit dem Haager Übereinkommen über die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen auf dem Gebiet der Unterhaltspflicht gegenüber Kindern vom 15. April 1958 29 wurde dieser Grundsatz aber aufgegeben. 30 Im Gegensatz zu den Abkommen älteren Datums wurde der Anwendungsbereich vieler nach dem Haager Unterhaltsübereinkommen geschlossener Abkommen auf einstweilige Maßnahmen ausgedehnt. Infolge dieser Entwicklung reicht die Bandbreite 31 der von der Bundesrepublik Deutschland unterzeichneten Abkommen von Verträgen, welche einstweilige Maßnahmen vollständig aus ihrem Anwendungsbereich herausnehmen, 32 über Ver28 Beck, S. 34. Gegen die Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen wurde vor allem angeführt, dass einstweilige Maßnahmen keinen Bestand haben und dem ordentlichen Verfahren nur vorangehen. Als sich in der Zeit nach dem 2. Weltkrieg die grenzüberschreitenden Verbindungen intensivierten, wurde es notwendig, den Rechtsverkehr zu vereinfachen. Die Abkehr vom Grundsatz, dass einstweilige Maßnahmen nicht anerkennungsfähig sind, trug hierzu bei, Matscher, ZZP 95 (1982), 170, 172, 177 f., 188. 29 BGBl. 1961 II 1006, in Kraft seit dem 1.1.1962 (BGBl. II 15). 30 Siehe Art. 2 Nr. 3 2. Hs.: „… jedoch werden vorläufig vollstreckbare Entscheidungen und einstweilige Maßnahmen trotz der Möglichkeit, sie anzufechten, von der Vollstreckungsbehörde für vollstreckbar erklärt, wenn in dem Staat, dem diese Behörde angehört, gleichartige Entscheidungen erlassen und vollstreckt werden können ...“. Das Haager Übereinkommen vom 2.10.1973 über die Anerkennung und Vollstreckung von Unterhaltsentscheidungen, BGBl. 1986 II 826 (in Kraft seit dem 1.4.1987, BGBl. II 220), enthält in Art. 4 Abs. 2 eine entsprechende Regelung. 31 Ausführlich zu den verschiedenen Lösungen der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen in den einzelnen bilateralen Verträgen, Eilers, S. 246–252; Matscher, ZZP 95 (1982), 170, 189–208. 32 Art. 1 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 2.11.1929 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Schiedssprüchen, RGBl. 1930 II 1066 (in Kraft seit dem 1.12.1930, RGBl. II 1270); Art. 12 des Abkommens zwischen dem Deutschen Reich und dem Königreich Italien vom 9.3.1936 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, RGBl. 1937 II 145 (in Kraft seit dem 19.6.1937). Von den nach dem Inkrafttreten des Haager Unterhaltsabkommens von 1958 geschlossenen bilateralen Staatsverträgen enthalten lediglich die Folgenden Regelungen, die einstweilige Maßnahmen vom Anwendungsbereich ausschließen: Art. 3 Nr. 5 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien vom 14.11.1983 über die Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen und Vergleichen sowie vollstreckbaren öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1987 II 35 (in Kraft seit dem 18.4.1988, BGBl. II 375); Art. 3 Nr. 4 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Norwegen vom 17.6.1977 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1981 II 342 (in Kraft seit dem 3.10.1981, BGBl. II 901); Art. 4 Nr. 7 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Staat Israel vom 20.7.1977
D. Entstehung des Art. 24 EuGVÜ
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träge, die nur einstweilige Verfügungen einbeziehen, welche auf Unterhalts- und sonstige Geldleistungen 33 oder auch auf sämtliche Geldleistungen 34 gerichtet sind, bis hin zu Verträgen, die ausdrücklich alle einstweiligen Verfügungen erfassen 35. Einige Abkommen geben den Gerichten eines Vertragsstaates in Eilfällen die Möglichkeit, einstweilige Maßnahmen nach nationalem Recht zu erlassen, auch wenn sich ein anderes Gericht mit der Hauptsache beschäftigt. 36 Derartige Regelungen werden als direkte Zuständigkeitsnormen verstanden 37, obwohl Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge naturgemäß nur indirekte Zuständigkeitsnormen enthalten 38, aufgrund derer die Zuüber die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivilund Handelssachen, BGBl. 1980 II 926 (in Kraft seit dem 1.1.1981, BGBl. II 1531). 33 Art. 14 Abs. 2 Satz 1 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Österreich vom 6.6.1959 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1960 II 1246 (in Kraft seit dem 29.5.1960, BGBl. II 1523); Art. 17 Abs. 2 Satz 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Griechenland vom 4.11.1961 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Vergleichen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1963 II 110 (in Kraft seit dem 18.9.1963, BGBl. II 1278). 34 Art. 1 Abs. 1 Satz 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich Belgien vom 30.6.1958 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1959 II 766 (in Kraft seit dem 27.1.1963, BGBl. II 2408); Art. I Abs. 3 Satz 1 2. Hs. und Art. V Abs. 2 lit. c des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland vom 14.7.1960 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1961 II 302 (in Kraft seit dem 15.7.1961, BGBl. II 1025); Art. 27 Nr. 4 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Tunesischen Republik vom 19.7.1966 über Rechtsschutz und Rechtshilfe, die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen sowie über die Handelsschiedsgerichtsbarkeit, BGBl. 1969 II 890 (in Kraft seit dem 13.3.1970, BGBl. II 125). 35 Die Legaldefinition der Entscheidung in Art. 1 Abs. 2 des Vertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Königreich der Niederlande vom 30.8.1962 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1965 II 27 (in Kraft seit dem 15.9.1965, BGBl. II 1155) enthält eine Aufzählung verschiedener Entscheidungen, einschließlich der einstweiligen Verfügungen, die das Abkommen erfasst. 36 Art. 15 Abs. 2 des deutsch-belgischen Abkommens, jeweils Art. 18 Abs. 2 des deutschniederländischen sowie des deutsch-griechischen Abkommens, Art. 44 Abs. 2 des deutsch-tunesischen, Art. 21 Abs. 2 des deutsch-norwegischen, Art. 22 Abs. 2 des deutsch-israelischen sowie Art. 21 Abs. 2 des deutsch-spanischen Abkommens. 37 Eilers, S. 179 ff. Anders Merkt, S. 108, der die Regelungen in den Anerkennungs- und Vollstreckungsverträgen nicht als Zuständigkeitsbestimmungen versteht, sondern in ihnen Ausnahmevorschriften zum Verbot anderweitiger Rechtshängigkeit sieht. 38 Eilers, S. 176; Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427, 432.
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Erster Teil: Einführung
ständigkeit im Rahmen der Anerkennung geprüft wird 39. Die Ähnlichkeit dieser Regelungen mit Art. 24 EuGVÜ und Art. 31 EuGVO ist unverkennbar. 40 Als Relikt der Anerkennungs- und Vollstreckungsabkommen haben sie ihren Weg in die Zuständigkeitsregeln des EuGVÜ gefunden. 41 Dessen erste Fassung vom 27. September 1968 42 trat am 1. Februar 1973 43 in Kraft. Das EuGVÜ ersetzte gemäß Art. 55, 56 bilaterale Anerkennungsund Vollstreckungsabkommen, soweit sich deren Anwendungsbereich mit demjenigen des Übereinkommens überschneidet.
E. Streitfragen bei der Anwendung des Art. 24 EuGVÜ E. Streitfragen bei der Anwendung des Art. 24 EuGVÜ
In den Verhandlungen zum EuGVÜ nahm der Bereich des einstweiligen Rechtsschutzes eine untergeordnete Rolle ein. Einstweilige Verfahren hatten im Internationalen Zivilprozessrecht der damaligen Zeit nur geringe Bedeutung. 44 Schon kurz nach dem Inkrafttreten des Übereinkommens begann Art. 24 EuGVÜ aber langsam in den Fokus zu rücken. Ursache hierfür waren neben den Vorbereitungen des Beitritts des Vereinigen Königreichs und Irlands, deren Rechtsordnungen sich im Gegensatz zu denen mancher anderer Vertragsstaaten durch eine Fülle einstweiliger Maßnahmen auszeichnen 45, zum EuGVÜ, vor allem die Unzulänglichkeiten der Norm selbst. Diese machten es notwendig zu diskutieren, wie die „Schwachstelle des Übereinkommens“ 46 auszulegen und anzuwenden sei. Art. 24 EuGVÜ bietet vielfältige Angriffspunkte für Kritiker. Die Vorschrift erfasst den grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutz nur rudimentär. Ihr Regelungsgehalt beschränkt sich nach dem Wortlaut darauf, festzulegen, dass die nach nationalem Recht entscheidungsbefugten 39
Eilers, S. 176; Martiny, RabelsZ 45 (1981), 427, 432. In anderen EG-Rechtsakten gibt es Normen, die nach dem Vorbild von Art. 24 EuGVÜ entstanden, so etwa Art. 99 Abs. 1 der Gemeinschaftsmarkenverordnung (EG) Nr. 40/94 vom 20.12.1993, ABl. EG 1994 L 11, S. 1, und Art. 90 Abs. 1 der Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (EG) Nr. 6/2002 vom 12.12.2001, ABl. EG 2002 L 3, S. 1 (berichtigt durch ABl. EG 2002 L 179, S. 31). Siehe dazu Heinze, S. 123 ff.; Kurtz, S. 200. 41 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 42; Dahlhuisen, WPNR 5611 (1982), 365, 366; Geimer, RIW 1975, 81, 86; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 1. 42 ABl. EG 1972 L 299, S. 32. 43 Seit diesem Tag galt das Übereinkommen für Deutschland im Verhältnis zu Belgien, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden (BGBl. 1973 II 60). 44 Kennett, Enforcement of Judgments in Europe, S. 130. 45 Schlosser-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 126. Näher zur Entwicklung der einstweiligen Maßnahmen im englischen Recht Collins, Yb. Eur. L. 1981, 249, 251. 46 Kropholler, EuZPR6, Art. 24 Rn. 1. 40
E. Streitfragen bei der Anwendung des Art. 24 EuGVÜ
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Gerichte für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig bleiben, auch wenn für die Hauptsache die Gerichte eines anderen Staates aufgrund des Übereinkommens zuständig sind. Bei näherer Betrachtung zeigen sich bedeutsame Lücken und Interpretationsspielräume. So bleibt offen, welche nationalen Maßnahmen als einstweilige Maßnahmen im Sinne des Übereinkommens anzusehen sind und welche nationalen Gerichtsstände herangezogen werden können. Treffend wurde das Bild einer „coquille vide“ 47, einer leeren Muschelschale, zur Beschreibung der Norm herangezogen. In den ersten zehn Jahren des Bestehens des EuGVÜ äußerten sich die meisten Stimmen zu Unklarheiten der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen im Allgemeinen. 48 Entsprechendes gilt für mehrere Ende der 1980er und Anfang der 1990er Jahre in kurzer Folge in Deutschland erschienene Monografien zum europäischen und internationalen einstweiligen Rechtsschutz. 49 Nur vereinzelt wurden spezielle problematische Aspekte von Leistungsverfügungen erörtert. 50 Wegen der Bedeutung des kort geding im Prozessrecht der Niederlande handelte es sich bei denjenigen, die Leistungsverfügungen thematisierten, vornehmlich um niederländische Autoren. 51 47
Scherer, Bull. ASA 1998, 60, 88. Der Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 42, enthält keine näheren Angaben zur Definition des Begriffs der einstweiligen Maßnahme und damit auch nicht zu der Überlegung, ob Leistungsverfügungen zu ihnen zählen. Droz bezog sich weder bei der Erläuterung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme noch bei der Erläuterung der Anerkennungsfähigkeit auf Leistungsverfügungen (Nr. 331–334 und 429–437). Gothot/Holleaux sprachen einstweilige Maßnahmen im Zusammenhang mit Art. 25 EuGVÜ an. Sie meinten, der Begriff der „Entscheidung“ müsse so weit wie möglich ausgelegt werden. Demzufolge seien einstweilige Maßnahmen nach dem Übereinkommen anerkennungsfähig, J.T. 1971, 747, 776. Weser war Art. 24 EuGVÜ nur die Erwähnung in einer Fußnote wert (S. 319 Fn. 154–12). Bezüglich der Anerkennungsfähigkeit von Entscheidungen wies sie darauf hin, dass der Begriff der Entscheidung sehr weit auszulegen sei (aaO, S. 321 Nr. 267). Damit dürften ihrer Ansicht nach auch einstweilige Maßnahmen erfasst sein. Pocar, RabelsZ 42 (1978), 405, 424, äußerte sich ebenfalls zu einstweiligen Maßnahmen, irrte sich aber mit der Bemerkung „No great problems seem to have been caused by Art. 24 …“. 49 Albrecht, EuGVÜ und einstweiliger Rechtsschutz in England und der BRD, 1991; Eilers, Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1991; Gronstedt, Grenzüberschreitender einstweiliger Rechtsschutz, 1994; Stickler, Das Zusammenwirken von Art. 24 EuGVÜ und §§ 916 ff. ZPO, 1992. 50 Die Dissertation von Heiss, Einstweiliger Rechtsschutz im europäischen Zivilrechtsverkehr, 1987, konzentrierte sich auf Leistungsverfügungen. Die Arbeit untersuchte ausführlich, ob Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 24 EuGVÜ zu qualifizieren sind, S. 32–66. 51 Hervorzuheben ist der Aufsatz zur Bewertung des kort geding im Anwendungsbereich des EuGVÜ von Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1–5, WPNR 5548 (1981), 21–23 und WPNR 5549 (1981), 49–51. Dahlhuisen, WPNR 5611 (1982), 365–368 und WPNR 5612 (1982), 385–387 machte nur auf der letzten Seite explizite Ausführungen zum kort geding. Verheul, 48
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Erster Teil: Einführung
Im Zuge der wissenschaftlichen Erörterung von Leistungsverfügungen im Anwendungsbereich des Art. 24 EuGVÜ kristallisierten sich schnell drei Hauptstreitfragen heraus, die folgender Beispielsfall veranschaulicht 52: Die Wisseborn Machine- en Apparatenfabriek BV aus Enschede (Niederlande) verkaufte zwei Maschinen an die Anton Blome KG mit Sitz in Herne (Deutschland). Die Maschinen wurden an den Käufer geliefert und vor Ort installiert. Aufgrund von Beschwerden wurden später Nachbesserungsarbeiten durchgeführt. Die Anton Blome KG bezahlte einen Teilbetrag von 630.000 DM, verweigerte jedoch die restliche Kaufpreiszahlung mit der Begründung, dass die Maschinen nicht einwandfrei funktionierten. Die Wisseborn Machine- en Apparatenfabriek BV bestritt, dass sich ihre Ware in nicht ordnungsgemäßem Zustand befunden hatte und verlangte die Begleichung der noch offenstehenden Summe von 590.173,69 DM. Das Unternehmen wandte sich an die Rechtbank Almelo. Dort wurde die Anton Blome KG im kort geding-Verfahren zur Zahlung von 250.000 Gulden verurteilt. Die Beklagte bezweifelte, dass die Rechtbank Almelo international zuständig im Sinne von Art. 24 EuGVÜ gewesen sei. Entsprechend wurde in der Literatur darüber gestritten, ob Leistungsverfügungen einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 24 EuGVÜ darstellen, so dass die internationale Zuständigkeit über Art. 24 EuGVÜ begründet werden kann. Die überwiegende Anzahl der Autoren bejahte dies. 53 Des Weiteren wurde kontrovers diskutiert, ob so genannte exorbitante Gerichtsstände, die im ordentlichen Verfahren gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ keine Zuständigkeit begründen, im einstweiligen Rechtsschutz heranRechtsmacht, Deel 1, S. 135–137, ging ausdrücklich auf den besonderen Charakter von korte gedingen und auf die internationale Zuständigkeit für diese Verfahren ein. In der deutschen Literatur äußerten sich beispielsweise Geimer, RIW 1975, 81 ff., Grunsky, RIW 1977, 1 ff. und Hausmann, IPRax 1981, 79 ff., zu Fragen der Leistungsverfügung. Aus der französischen Literatur ist der Beitrag von Mezger, Rev. crit. dr. int. priv. 68 (1979), 130 ff., zu nennen. In Großbritannien meldete sich Collins, Yb. Eur. L. 1981, 249 ff., zu Wort. 52 Nachempfunden der Entscheidung Pres. Rb. Almelo vom 2.9.1979, NJ 1979, Nr. 145, ausführlich dargestellt bei Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1 ff. 53 So etwa Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 4; Dahlhuisen, WPNR 5612 (1982), 385, 387; Dashwood/Hacon/White, S. 140; Grunsky, RIW 1977, 1, 7; Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 135 f. Im Hinblick auf die Risiken warnte Collins, Yb. Eur. L. 1981, 249, 263, vor einer zu weiten Ausdehnung des Art. 24 EuGVÜ. Nach Ansicht von Heiss, S. 45 ff., stellen Leistungsverfügungen keine einstweiligen Maßnahmen dar, weil sie die Hauptsache vorwegnehmen. Mezger, Rev. crit. dr. int. priv. 68 (1979), 130, 132 f., setzte sich für eine autonome Bestimmung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme im Sinne des Art. 24 EuGVÜ ein und machte deutlich, dass er das französische référé-Verfahren nicht von diesem Begriff erfasst sehen möchte. Einen Überblick über die französische Literatur und Rechtsprechung lieferte Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 357 f.
E. Streitfragen bei der Anwendung des Art. 24 EuGVÜ
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gezogen werden können. Zu diesen exorbitanten Gerichtsständen gehörte Art. 126 Abs. 3 Wetboek van burgerlijke rechtsvordering (im Folgenden: WBRv) aF, wonach eine Zuständigkeit am Wohnsitz des Klägers in Betracht kam. Die Mehrheit in der Literatur sprach sich dafür aus, dass exorbitante Gerichtsstände eröffnet sein können. 54 Es wurden allerdings auch erhebliche Zweifel an deren Anwendbarkeit auf einstweilige Verfahren laut. 55 Für die Wisseborn Machine- en Apparatenfabriek BV ergab sich nach Erlangung des Titels im kort geding die Notwendigkeit, die niederländische Entscheidung in Deutschland anerkennen und für vollstreckbar erklären zu lassen. Das hiermit befasste Landgericht Bochum verweigerte die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung. Damit berührt der Fall die dritte Streitfrage im Rahmen von Art. 24 EuGVÜ und zwar die Anerkennungsfähigkeit von Leistungsverfügungen. Die Tendenz ging in diesem Punkt dahin, im Ausland ergangene Leistungsverfügungen nicht als anerkennungsfähige Entscheidungen im Sinne des Art. 25 EuGVÜ anzusehen. 56 Betrachtet man die genannten Themenkomplexe, also den Begriff der einstweiligen Maßnahme im Sinne von Art. 24 EuGVÜ, die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen und die Möglichkeit der Anerkennung ausländischer einstweiliger Maßnahmen, im Zusammenhang, so wird deutlich, welche extremen Positionen einander gegenüberstanden. Auf der einen Seite wurde vertreten, Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 24 EuGVÜ anzusehen, alle nationalen Gerichtsstände, auch exorbitante, für sie zu eröffnen und die ergangenen Entscheidungen in sämtlichen Vertragsstaaten anerkennen zu lassen. Auf der anderen Seite konnten Leistungsverfügungen vollständig aus dem Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 24 EuGVÜ ausgeschlossen werden, so dass die Fragen bezüglich der Zuständigkeit und der Anerkennungsfähigkeit nach dem Übereinkommen entfielen.
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Geimer, RIW 1975, 81, 85; Gronstedt, S. 296 (sofern der Anordnungsgegenstand einen qualifizierten Inlandsbezug aufweise); Grunsky, RIW 1977, 1, 7; Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Schütze, WM 1980, 1438, 1442. 55 Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 4, schloss aus dem Wortlaut des EuGVÜ zwar grundsätzlich, dass einstweilige Maßnahmen auch an exorbitanten Gerichtsständen ergehen können. Er hielt dies aber bei Leistungsverfügungen für unangebracht (WPNR 5549 (1981), 49, 50). Andere, wie Droz, Nr. 334, Mezger, Rev. crit. dr. int. priv. 68 (1979), 130, 132 und Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 136 f., lehnten es generell ab, den Erlass einstweiliger Maßnahmen auf exorbitante Zuständigkeiten zu stützen. 56 Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 4 f.; Collins, Yb. Eur. L. 1981, 249, 265; Dahlhuisen, WPNR 5612 (1982), 385, 387.
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Erster Teil: Einführung
F. Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH F. Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH
Hinter allen Diskussionen musste die Erkenntnis stehen, dass letztlich nur eine Änderung des Art. 24 EuGVÜ durch den Gesetzgeber oder eine eindeutige Stellungnahme des EuGH die Situation zufriedenstellend würde klären können. Der EuGH kann die einheitliche Anwendung und Fortbildung von EuGVÜ und EuGVO in den Vertrags- bzw. Mitgliedstaaten über die Vorabentscheidungsverfahren als oberste Auslegungsinstanz steuern. 57 Hierzu muss ein vorlageberechtigtes Gericht dem EuGH eine entscheidungserhebliche Frage zur Auslegung vorlegen. Die Antworten auf die abstrakten Auslegungsfragen betreffen formell jeweils nur die anhängige Streitigkeit. Sie wirken de facto jedoch für nachfolgende Verfahren bindend, weil ein Gericht, das erwägt, sich von der Auffassung des EuGH zu distanzieren, zu einer erneuten Vorlage verpflichtet ist. 58 Das Vorabentscheidungsverfahren van Uden 59 zur Behandlung des kort geding im Rahmen des Art. 24 EuGVÜ initiierte der Hoge Raad durch seine Vorlage vom 8. Dezember 1995. Der EuGH, der sich bereits in vorherigen Urteilen mit dem einstweiligen Rechtsschutz auseinandergesetzt hatte, 60 schloss es am 17. November 1998 ab. Damit dauerte das Verfahren ungewöhnlich lange 61. Die Bedeutung der Sache van Uden wurde zu Recht 57 Zur Entwicklung des Vorabentscheidungsverfahrens Hess, RabelsZ 66 (2002), 470 ff. Heute folgt die Auslegungsbefugnis aus Art. 267 AEUV, vgl. Kropholler/von Hein, EuZPR9, Einl EuGVO Rn. 54 ff. 58 Hess, EuZPR, § 12 Rn. 53 f.; Schack, IZVR5, Rn. 92. 59 Hoge Raad vom 8.12.1995, NJ 1999, Nr. 338. 60 EuGHE 1979, 1055 ff. – de Cavel I und EuGHE 1980, 731 ff. – de Cavel II erörterten, inwieweit der Anwendungsbereich des EuGVÜ auch für einstweilige Maßnahmen gilt. EuGHE 1980, 1553 ff. – Denilauler/Couchet Frères weckte viel Aufsehen, weil darin die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen an die Bedingung geknüpft wurde, dass vor ihrem Erlass rechtliches Gehör gewährt wurde. In EuGHE 1992, 2149 ff. – Reichert II setzte der Gerichtshof dazu an, den Begriff der einstweiligen Maßnahme zu definieren. EuGHE 1994, 467 ff. – Mund & Fester/Hatrex beschäftigte sich mit dem deutschen Arrestverfahren. Geprüft und vom EuGH verneint wurde die Vereinbarkeit von § 917 Abs. 2 ZPO, dem Arrestgrund der Auslandsvollstreckung, mit dem Diskriminierungsverbot in Art. 7 EWGV (heute Art. 18 AEUV). Einzig die Entscheidung EuGHE 1982, 1189 ff. – W./H. hätte Aufschluss über die Einordnung von Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen geben können. Der Hoge Raad hatte darin gefragt, ob ein kort geding als einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 24 EuGVÜ anzusehen sei. Der EuGH antwortete jedoch ausweichend. 61 Die Beantwortung der Vorlagefragen erfolgte erst nach zwei Jahren und elf Monaten. Das dem zugrunde liegende Eilverfahren dauerte einschließlich der Vorabentscheidung insgesamt etwa fünf Jahre. Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 225. Von einstweiligem Rechtsschutz kann angesichts dieser zeitlichen Dimension kaum mehr die Rede sein. Für van Uden wäre die Zeit kostbar gewesen: Über DecoLine wurde am 1.8.1998, während des Verfahrens vor dem EuGH, das Insolvenzverfahren eröffnet, Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 549, 553. Ähnlich viel Zeit nahm die Sache Mietz in Anspruch. Vom Antrag bis zur Vollstreckbarerklä-
F. Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH
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auch als weit über den Einzelfall hinausweisend eingeschätzt. 62 Kurze Zeit später, am 27. April 1999, mündeten weitere Vorlagefragen zu Art. 24 EuGVÜ, die der Bundesgerichtshof an den EuGH gerichtet hatte 63, in das Urteil Mietz 64. In den Entscheidungen van Uden 65 und Mietz 66 äußerte sich der EuGH zu den vorher umstrittenen Fragen der Einordnung von Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen, der Zuständigkeit an exorbitanten Gerichtsständen und der Anerkennungsfähigkeit. Damit tat er einen ersten Schritt auf dem Weg zur Behebung der bisherigen Schwachstellen des Art. 24 EuGVÜ. Aufgrund der großen Popularität des kort geding in den 1990er Jahren 67 ist es nicht erstaunlich, dass sich der EuGH gerade mit diesem Verfahren beschäftigen musste, noch dazu mehrfach innerhalb kurzer Zeit. Die Antworten des Gerichtshofs betreffen aber nicht nur korte gedingen, sondern auch die Verfahren anderer mitgliedstaatlicher Rechtsordnungen, die eine sofortige Leistung anordnen. Bevor die genannten Streitfragen im Einzelnen gewürdigt werden, sollen zur Einführung die tatsächlichen Gegebenheiten der zugrunde liegenden Fälle und ihre rechtliche Bewertung durch den EuGH skizziert werden. I. Die Entscheidung van Uden 1. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte Die van Uden Maritime BV mit Sitz in Rotterdam hatte im März 1993 mit der in Hamburg ansässigen Deco Line KG einen Vertrag über die entgeltliche Bereitstellung von Schiffsladeraum (slot/space charter agreement) geschlossen. Die van Uden Maritime BV verpflichtete sich darin, der Deco Line KG Schiffsladeraum zur Verfügung zu stellen. Die entsprechenden Kapazitäten befanden sich auf Schiffen, welche die van Uden Maritime BV selbst oder gemeinsam mit anderen Unternehmen im Linienverkehr zwischen Europa und Westafrika nutzte. Die Deco Line KG verpflichtete sich im Gegenzug, die vereinbarten Tarife für die Bereitstellung des Laderung der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz vergingen fünfeinhalb Jahre. Die Missachtung von Art. 6 EMRK wird hier zu Recht bemängelt, so Wolf, EuZW 2000, 11, 14. 62 So Generalanwalt Léger, EuGHE 1998, 7091, 7093 Rn. 1 – van Uden/DecoLine. Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 549, 551 und 552 bezeichneten die Rechtssache van Uden als “wichtigste Entscheidung des EuGH zum EuGVÜ im Jahr 1998” und als “Grundsatzurteil”. Dessen Bedeutung zeige sich auch daran, dass der EuGH das Verfahren nicht wie andere EuGVÜ-Verfahren einer Kammer zugewiesen habe, sondern vom Plenum entscheiden ließ. 63 BGH NJW 1997, 2685. 64 EuGHE 1999, 2277 – Mietz/Intership Yachting. 65 EuGHE 1998, 7091 – van Uden/DecoLine. 66 EuGHE 1999, 2277 – Mietz/Intership Yachting. 67 Van Houtte/Pertegàs Sender, S. 128.
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Erster Teil: Einführung
raums zu zahlen. Bestandteil des Vertrages wurde eine Schiedsklausel. Auf der Grundlage dieser Klausel leitete die van Uden Maritime BV ein Schiedsverfahren ein, als die Deco Line KG die vertraglich vorgesehenen Zahlungen schuldig blieb. Da die van Uden Maritime BV den Eindruck gewann, die Deco Line KG verzögere die Ernennung der Schiedsrichter, und bemerkte, dass ihre Liquidität durch die ausbleibenden Zahlungen erheblich beeinträchtigt wurde, strengte sie zusätzlich ein kort geding vor der Rechtbank Rotterdam an, mit dem Antrag, die Deco Line KG zur Begleichung vertraglicher Forderungen in Höhe von mehr als 800.000 DM zu verurteilen. Die Deco Line KG rügte die Zuständigkeit des niederländischen Gerichts mit der Begründung, sie könne nur an ihrem Sitz in Deutschland verklagt werden. Das niederländische Gericht war jedoch anderer Auffassung und verwies auf Art. 24 EuGVÜ. Vorliegend sei eine einstweilige Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift beantragt worden. Art. 24 EuGVÜ lasse den Rückgriff auf das niederländische Zuständigkeitsrecht zu, welches in Art. 126 Abs. 3 WBRv das Gericht am Wohnsitz oder Sitz des Klägers unabhängig davon für zuständig erkläre, ob der Beklagte in den Niederlanden seinen Wohnsitz habe. Hinreichende Verbindungen des Rechtsstreits zur niederländischen Rechtsordnung ergäben sich aus der Teilnahme der Deco Line KG am internationalen Handel, durch den das Unternehmen zukünftig Forderungen in den Niederlanden erwerben werde. Eine gegen die Deco Line KG gerichtete Entscheidung könne deshalb in den Niederlanden vollstreckt werden. Auch die Schiedsvereinbarung stehe der Zuständigkeit nicht entgegen. Art. 1022 Abs. 2 WBRv erlaube trotz einer Schiedsvereinbarung die Durchführung eines staatlichen einstweiligen Verfahrens. In erster Instanz verurteilte der Präsident der Rechtbank Rotterdam die Deco Line KG zur Zahlung von fast 400.000 DM an die van Uden Maritime BV. Der Gerechtshof Den Haag hob die erstinstanzliche Entscheidung auf, weil der Rechtsstreit keine ausreichende Verbindung zur niederländischen Rechtsordnung habe. Art. 24 EuGVÜ verweise nur dann auf Art. 126 Abs. 3 WBRv, wenn sich die zu erlassende einstweilige Maßnahme in den Niederlanden auswirke, also dort vollstreckt werden könne. Dafür sei nicht ausreichend, dass die Beklagte möglicherweise in Zukunft Vermögen in den Niederlanden erwerbe. Der schließlich mit der Sache befasste Hoge Raad setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere Fragen zur Vorabentscheidung vor. 2. Vorabentscheidungsverfahren Der Hoge Raad fragte, ob das niederländische kort geding unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme im Sinne des Art. 24 EuGVÜ fällt und ob dies auch dann gilt, wenn die Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung
F. Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH
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beantragt wird. Weiter wollte der Hoge Raad wissen, wie sich eine Schiedsvereinbarung für die Hauptsache auf die Zuständigkeit staatlicher Gerichte zum Erlass einstweiliger Maßnahmen auswirkt, ob Art. 24 EuGVÜ auch auf Vorschriften verweist, auf die gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ im Hauptsacheverfahren keine Zuständigkeit gestützt werden kann und ob die Zuständigkeit an die Bedingung geknüpft ist, dass sich die beantragte einstweilige Maßnahme im Gerichtsstaat auswirkt, also vollstreckt werden kann. 68 Zusammengefasst betrafen die Vorlagefragen drei Themengebiete: den Anwendungsbereich des EuGVÜ, die Definition des Begriffs der einstweiligen Maßnahme und die für den einstweiligen Rechtsschutz eröffneten Zuständigkeiten. Auf die Reichweite des Anwendungsbereichs des Übereinkommens ging der EuGH ein, weil im Rahmen der Zuständigkeitsproblematik die Auswirkungen der Schiedsklausel angesprochen wurden. Der Gerichtshof wies darauf hin, dass Schiedsverfahren zwar gemäß Art. 1 Abs. 2 Nr. 4 EuGVÜ vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen seien. Ungeachtet einer für die Hauptsache vereinbarten Schiedsklausel sei das EuGVÜ jedoch anwendbar, sofern die einstweiligen Maßnahmen nicht mit der Durchführung des Schiedsverfahrens in der Hauptsache konkurrierten, sondern die Sicherung oder vorzeitige Erfüllung des geltend gemachten Anspruchs zur Folge hätten (Rn. 31–33). Zum Begriff der einstweiligen Maßnahme bemerkte der EuGH, es könne nicht von vornherein verneint werden, dass eine auf die vorläufige Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung gerichtete einstweilige Maßnahme von Art. 24 EuGVÜ erfasst werde (Rn. 45). Da mit einer derartigen Maßnahme aber die Hauptsache vorweggenommen und die Hauptsachezuständigkeiten umgangen werden könnten (Rn. 46), stelle eine solche Maßnahme nur unter zwei Voraussetzungen eine einstweilige Maßnahme im Sinne des Art. 24 EuGVÜ dar. Erstens müsse die Rückgabe erbrachter Leistungen an den Antragsgegner für den Fall gewährleistet sein, dass der Antragsgegner in der Hauptsache erfolgreich sei, und zweitens müsse sich die einstweilige Maßnahme auf Vermögensgegenstände beziehen, welche sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten (Rn. 47, 48). Zur internationalen Zuständigkeit stellte der Gerichtshof fest, die nach Art. 2 ff. EuGVÜ für die Hauptsache zuständigen Gerichte könnten auch einstweilige Maßnahmen anordnen (Rn. 19, 22 und 48). Die Tatsache, dass die Hauptsache bei dem Gericht eines Vertragsstaates anhängig sei oder werden könne, nehme den Gerichten eines anderen Staates jedoch nicht ihre Zuständigkeit aus Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht (Rn. 28 und 34). Nach nationalem Recht zuständige Gerichte könn68
EuGHE 1998, 7091 Rn. 17 – van Uden/DecoLine.
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Erster Teil: Einführung
ten einstweilige Maßnahmen auch dann erlassen, wenn eine Zuständigkeit für die Hauptsache gemäß Art. 2 ff. EuGVÜ nicht bestehe (Rn. 20). Sofern die Hauptsachezuständigkeit durch eine Schiedsklausel ausgeschlossen sei, könne gleichwohl eine Zuständigkeit über Art. 24 EuGVÜ begründet werden (Rn. 23–25). Da Art. 24 EuGVÜ nicht zum Abschnitt der Zuständigkeitsregelungen in Art. 2 ff. gehöre, gelte Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ nicht. Auch so genannte exorbitante Gerichtsstände könnten deshalb eine Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen begründen (Rn. 20). Voraussetzung für eine allein auf Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht gestützte Zuständigkeit sei aber eine reale Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts (Rn. 40 und 48). Von den Hauptproblemen, die vor van Uden in Bezug auf Leistungsverfügungen diskutiert wurden, nämlich ihrer Bewertung als einstweilige Maßnahme, der Zuständigkeit an exorbitanten Gerichtsständen und der Anerkennungsfähigkeit, klärte der EuGH die Zuständigkeitsthematik, indem er den Erlass einstweiliger Maßnahmen an exorbitanten Gerichtsständen unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich erlaubte. Dass auf die vorläufige Erbringung einer Leistung gerichtete Verfügungen einstweilige Maßnahmen darstellen können, deutete das Gericht in van Uden jedenfalls zwischen den Zeilen an. II. Die Entscheidung Mietz In der Entscheidung Mietz bot sich dem EuGH Anfang 1999 kurz nach dem van Uden-Urteil die Gelegenheit, die Anwendung von Art. 24 EuGVÜ auf Leistungsverfügungen weiter zu konkretisieren. Zwischen beiden Entscheidungen bestehen große inhaltliche Parallelen, obwohl die Vorlagefragen jeweils einen anderen Ausgangspunkt hatten. Hinter der Vorlage im Falle van Uden standen Zweifel an der internationalen Zuständigkeit des Prozessgerichts. Im Verfahren Mietz wurden die Fragen aus der Perspektive der Vollstreckbarerklärung eines bereits vorhandenen Titels gestellt. 1. Sachverhalt und Verfahrensgeschichte Der in Lüchow (Deutschland) wohnhafte Hans-Hermann Mietz schloss im Frühjahr 1993 auf der Düsseldorfer Bootsmesse mit der Intership Yachting Sneek BV mit Sitz in Sneek (Niederlande) einen Vertrag über den Kauf eines Sportbootes. 69 Der Kaufpreis von 250.000 DM sollte vereinbarungsgemäß in fünf Teilbeträgen beglichen werden. Mietz leistete allerdings nicht in vollem Umfang, woraufhin die Intership Yachting Sneek BV beim 69
EuGHE 1999, 2277 Rn. 11 ff. – Mietz/Intership Yachting. Eine ausführlichere Darstellung des Sachverhalts findet sich bei Kramer, NIPR 2000, 26 f.
F. Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch den EuGH
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Präsidenten der Arrondissementsrechtbank Leeuwarden im kort geding einen Titel über die Zahlung des ausstehenden Betrages von beinahe 150.000 DM erwirkte. 70 Anschließend beantragte die Gläubigerin in Deutschland die Vollstreckbarerklärung der niederländischen Entscheidung. Das Landgericht Lüneburg gab dem Antrag statt und erteilte die Vollstreckungsklausel. Nach erfolgloser Beschwerde legte Mietz Rechtsbeschwerde beim Bundesgerichtshof ein. Der BGH setzte das Verfahren aus und legte dem EuGH mehrere Fragen 71 zur Vorabentscheidung vor. 2. Vorabentscheidungsverfahren Nur die vierte Vorlagefrage bezog sich unmittelbar auf einstweilige Maßnahmen zur vorläufigen Erbringung einer Leistung. Der BGH kam darin auf den Aspekt aus van Uden zurück, ob Anordnungen auf Zahlung einer vertraglichen Gegenleistung, die im Wege des niederländischen kort geding ergangen sind, einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 24 EuGVÜ darstellen. In seiner Antwort vertrat der EuGH viel deutlicher als noch in van Uden die Ansicht, dass das kort geding und ähnliche auf die Erbringung einer vertraglichen Gegenleistung gerichtete Verfahren als einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 24 EuGVÜ anzusehen seien 72. Er bestätigte außerdem die Ergebnisse der Vorgängerentscheidung. Eine auf die vorläufige Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung gerichtete Maßnahme, welche von einem Gericht erlassen wurde, das seine Zuständigkeit auf Art. 24 EuGVÜ gestützt habe, stelle unter zwei Voraussetzungen eine einstweilige Maßnahme dar. Zum einen müsse die Rückzahlung des geleisteten Betrages an den Antragsgegner für den Fall, dass dieser in der Hauptsache obsiege, gewährleistet sein. Zum anderen dürfe sich die Maßnahme nur auf Vermögensgegenstände beziehen, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des mit der Sache befassten Gerichts befinden. 73 Ebenfalls in Wiederholung von van Uden wies der EuGH darauf hin, dass das Gericht der Hauptsache gemäß Art. 2 ff. EuGVÜ einstweilige Maßnahmen anordnen könne, ohne dass weitere Voraussetzungen erfüllt sein müssten. 74 Art. 24 EuGVÜ spiele deshalb vor allem dann eine Rolle, 70 Pres. Rb. Leeuwarden vom 12.5.1993, Kortgedingnummer: 80–1993 (nicht veröffentlicht), zitiert nach Kramer, NIPR 2000, 26, 27, Fn. 5. 71 Auf die Fragen 1 und 2, die keinen unmittelbaren Bezug zum einstweiligen Rechtsschutz im Sinne von Art. 24 EuGVÜ haben, sondern sich Art. 13, 14 EuGVÜ widmen, soll hier nicht eingegangen werden. 72 EuGHE 1999, 2277 Rn. 38 f. – Mietz/Intership Yachting. 73 EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/Intership Yachting in Anlehnung an EuGHE 1998, 7091 Rn. 47, 48 – van Uden/DecoLine. 74 EuGHE 1999, 2277 Rn. 40 f. – Mietz/Intership Yachting in Anlehnung an EuGHE 1998, 7091 Rn. 19 und 22 – van Uden/DecoLine.
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Erster Teil: Einführung
wenn das angerufene Gericht nach dem EuGVÜ nicht für die Hauptsache zuständig sei 75, über Art. 24 in Verbindung mit nationalem Recht aber zuständig werden könne. 76 Der Wortlaut der dritten Vorlagefrage lässt einen Zusammenhang mit Leistungsverfügungen auf den ersten Blick nur erahnen. Der Kern der Frage betrifft die Prüfung der Zuständigkeit im Verfahren der Vollstreckbarerklärung. Die Erteilung einer Vollstreckungsklausel kann gemäß Art. 34 Abs. 2 abgelehnt werden, wenn einer der in Art. 27 und 28 EuGVÜ genannten Gründe vorliegt. Art. 28 Abs. 1 EuGVÜ führt als solchen Grund die Verletzung bestimmter Vorschriften an, welche eine besondere oder ausschließliche Zuständigkeit begründen. Ob das Prozessgericht zuständig war, darf in diesem Fall als Ausnahme zu Art. 28 Abs. 3 EuGVÜ im Verfahren der Vollstreckbarerklärung geprüft werden. Die Prüfung erfolgt gemäß Art. 28 Abs. 2 EuGVÜ anhand der tatsächlichen Feststellungen des Prozessgerichts. Der BGH wollte nun wissen, ob im Verfahren der Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 34 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 EuGVÜ auch neue Tatsachen zu beachten seien, die der Schuldner einwendet, um darauf hinzuweisen, dass das Ausgangsgericht Zuständigkeitsvorschriften missachtet habe. Der EuGH näherte sich der Antwort auf diese Frage von der Ebene der Zuständigkeit her und löste sich von den eigentlich erbetenen Ausführungen zur Auslegung des Art. 34 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 EuGVÜ. Er wies darauf hin, dass eine ausschließliche Zuständigkeit für die Hauptsache die Zuständigkeit eines anderen Gerichts für einstweilige Maßnahmen unberührt lasse. Ein Gericht könne nach Art. 24 EuGVÜ für einstweilige Maßnahmen auch dann zuständig sein, wenn es in der Hauptsache nicht zuständig sei (Rn. 44–46). Die Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme, die auf Art. 24 EuGVÜ basiere, dürfe aber nicht dazu führen, dass die Hauptsachezuständigkeiten umgangen würden (Rn. 47). Deshalb unterliege die Zuständigkeit nach Art. 24 EuGVÜ bestimmten Grenzen. Vor der Vollstreckbarerklärung einer einstweiligen Maßnahme sei auch zu prüfen, ob die Grenzen der Zuständigkeit aus Art. 24 EuGVÜ eingehalten worden seien. Dabei handele es sich um die aus van Uden bekannten Vorgaben, nämlich die Gewährleistung der Rückzahlung, die reale Verknüpfung und den Ortsbezug (Rn. 49). Damit diese Anforderungen beachtet würden, sei von einer auf Art. 24 EuGVÜ gestützten Zuständigkeit schon dann auszugehen, wenn das ausländische Urteil weder erkennen lasse, dass die Zuständigkeit über Art. 2 ff. EuGVÜ begründet worden sei, 75
Im Fall Mietz stand der Zuständigkeit der niederländischen Gerichte nach Art. 2 ff. EuGVÜ nicht wie bei van Uden eine Schiedsklausel im Wege, sondern die ausschließliche Zuständigkeit staatlicher Gerichte gemäß Art. 13, 14 EuGVÜ. 76 EuGHE 1999, 2277 Rn. 38 f. – Mietz/Intership Yachting.
G. Umwandlung des Art. 24 EuGVÜ in Art. 31 EuGVO
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noch dass der Antragsgegner einen Wohnsitz im Staat des Ursprungsgerichts habe (Rn. 53 und 55). Ohne diese Voraussetzungen liege keine einstweilige Maßnahme vor und es bestehe auch keine Zuständigkeit nach Art. 24 EuGVÜ (Rn. 53 f.), ebenso scheiterten die Anerkennung und die Vollstreckung (Rn. 56). Mangels eines anerkennungsfähigen Urteils müsse sich das Gericht, das über die Anerkennung und Vollstreckung entscheiden solle, gar nicht erst damit beschäftigen, ob, und wenn ja, unter welchen Umständen, neue Tatsachen zur Zuständigkeit zu prüfen seien (Rn. 57). Der EuGH ordnete also in Mietz das niederländische kort geding ausdrücklich als einstweilige Maßnahme im Sinne des Art. 24 EuGVÜ ein (Rn. 38), knüpfte es aber an die in van Uden für alle Leistungsverfügungen aufgestellten Bedingungen (Rn. 59). Eine Leistungsverfügung, die unter Beachtung der aufgestellten Voraussetzungen ergangen ist, ist nach Ansicht des EuGH auch anerkennungsfähig (Rn. 47 und 49).
G. Umwandlung des Art. 24 EuGVÜ in Art. 31 EuGVO G. Umwandlung des Art. 24 EuGVÜ in Art. 31 EuGVO
Während sich der Gerichtshof in seinen Entscheidungen bemühte, ein wenig Licht in das Dunkel von Art. 24 EuGVÜ zu bringen, blieb der Gesetzgeber nicht untätig. Bereits während der Beitrittsverhandlungen zum EuGVÜ im Jahr 1996 war eine Reform des Übereinkommens gefordert worden. 77 Wenig später beschäftigte sich die EG-Kommission mit der Überarbeitung des EuGVÜ. I. Änderungsvorschlag der Kommission Im Rahmen dieser Bestrebungen sprach sich die Kommission in einer Mitteilung vom 22. Dezember 1997 dafür aus, Art. 24 EuGVÜ durch einen neuen Art. 18 a zu ersetzen. 78 Nach Art. 18 a Abs. 1 EuGVÜ sollten die Gerichte des Staates, in dem eine Maßnahme vollstreckt werden kann, auch dann für den Erlass der Maßnahme zuständig sein, wenn sie nicht zugleich über die Hauptsache entscheiden dürfen. Art. 18 a Abs. 2 EuGVÜ definierte den Begriff der einstweiligen Maßnahme. Es sollte sich um Maßnahmen handeln, die die Überprüfung einer rechtlichen Streitigkeit gewährleisten, Beweise oder Vermögensgegenstände sichern oder einen bestimmten Zustand bewahren oder regeln, um Rechte zu schützen, mit
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Kerameus/Prütting, ZZP Int. 3 (1998), 265; Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 1, 2; Wagner, IPRax 1998, 241. 78 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, KOM(1997) 609 endg., ABl. EG 1998 C 33, S. 24.
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Erster Teil: Einführung
deren Anerkennung das Hauptsachegericht beschäftigt ist oder werden kann. 79 II. Änderungsvorschlag des Rates Beim Rat der Europäischen Union wurde eine aus Mitgliedern verschiedener EuGVÜ-Vertragsstaaten bestehende Gruppe zur Überarbeitung des Übereinkommens eingesetzt. Das EuGVÜ sollte nicht von Grund auf umstrukturiert werden. Der Auftrag war darauf beschränkt, die Normen zu revidieren, deren praktische Anwendung Schwierigkeiten bereitete. 80 Die Arbeitsgruppe präsentierte ein anderes Ergebnis zu Art. 24 EuGVÜ als die Kommission. 81 Der Ratsvorschlag sah vor, die Zuständigkeitsregelung in ihrer ursprünglichen Form aufrechtzuerhalten. Eine Neuausrichtung des einstweiligen Rechtsschutzes wollte die Arbeitsgruppe lediglich auf der Ebene der Anerkennung und Vollstreckung vornehmen. Gemäß eines neu einzuführenden Art. 25 a EuGVÜ sollte der Titel zur Anerkennung und Vollstreckung nicht mehr auf einstweilige Maßnahmen anwendbar sein, die von einem anderen als dem Hauptsachegericht erlassen wurden. 82 III. Einfluss der Entscheidungen van Uden und Mietz auf den Reformprozess Während die Kommission also vorrangig beim Begriff der einstweiligen Maßnahme und bei der Zuständigkeit ansetzte, wollte die Arbeitsgruppe des Rates die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung beschränken. Beide Möglichkeiten legislativer Reformbestrebungen spiegeln die Entscheidungen van Uden und Mietz wider. In van Uden knüpfte der EuGH den Begriff der einstweiligen Maßnahme sowie die Zuständigkeit für solche Maßnahmen an bestimmte Voraussetzungen. 83 In Mietz erstreckte er sie auf die Anerkennung und Vollstreckung. 84 Die Reformgedanken ähnelten damit den Ergebnissen des EuGH, ohne allerdings ausdrücklich auf die Behandlung von Leistungsverfügungen einzugehen. Die Arbeitsgruppe zur Revision des EuGVÜ war der Ansicht, die Entscheidung van Uden habe die Behandlung einstweiliger Maßnahmen aus79 Ebd., S. 24 f. Auch Wagner, IPRax 1998, 241, 243, hatte sich für die Präzisierung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme sowie der Zuständigkeitsregelungen für einstweilige Maßnahmen ausgesprochen. 80 Jayme/Kohler, IPRax 1998, 417, 421. 81 Siehe zu den verschiedenen Vorschlägen auch die Synopse bei Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 66 f. 82 Stadler, JZ 1999, 1089, 1098; dies., in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 63. 83 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. 84 EuGHE 1999, 2277 Rn. 47 und 49 – Mietz/Intership Yachting.
G. Umwandlung des Art. 24 EuGVÜ in Art. 31 EuGVO
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reichend eingeschränkt und die gröbsten Missstände beseitigt. 85 Die zuvor für „notwendig-heikel“ 86 befundene Überarbeitung des Art. 24 EuGVÜ wurde infolgedessen nicht mehr für erforderlich gehalten 87. In ihrem Abschlussbericht vom 30. April 1999 behielt die Arbeitsgruppe Art. 24 EuGVÜ in unveränderter Fassung bei. 88 Sämtliche Ergebnisse der Überprüfung wurden in der Erwartung eines Kommissionsvorschlags für einen neuen EG-Rechtsakt, in den das EuGVÜ umgewandelt werden sollte, „eingefroren“. 89 Die Kommission war hinsichtlich der Reformbedürftigkeit des Art. 24 EuGVÜ nach den Entscheidungen van Uden und Mietz der gleichen Auffassung wie die Arbeitsgruppe des Rates. Auch die Kommission hielt Änderungen nicht mehr für notwendig. 90 IV. Transponierung des Art. 24 EuGVÜ in die EuGVO Als der EG-Vertrag in der Fassung von Amsterdam 91 den gesetzlichen Rahmen dafür bot, das EuGVÜ in eine Verordnung umzuwandeln 92, wurde deshalb die Gelegenheit, Art. 24 EuGVÜ zu revidieren und der seit 1968 spürbar gestiegenen Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes auch
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Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 1, 30. Demgegenüber hält Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 9a, die Urteile für „wenig durchdacht“. 86 Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 1, 29. 87 Kohler, ebd.; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 230. Hierbei handelte es sich um eine bedauerliche Fehleinschätzung: Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 312; Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 139; Kennett, Enforcement of Judgments in Europe, S. 140; Stadler, JZ 1999, 1089, 1098 f. 88 Gruppe „Revision der Übereinkommen von Brüssel und Lugano“ vom 30.4.1999, Rat der Europäischen Union Dok. 7700/99. 89 Jayme/Kohler, IPRax 1999, 401, 404; Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 1, 31. 90 Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 14.7.1999, KOM(1999) 348 endg., Begründung zu Art. 31. 91 Vertrag von Amsterdam vom 2.10.1997, BGBl. 1998 II, S. 387, in Kraft getreten am 1.5.1999, BGBl. II S. 296. 92 Ob Art. 61 und 65 EGV als Rechtsgrundlage für den Erlass von Verordnungen im Bereich des Internationalen Zivilverfahrensrechts zulässig und geeignet waren, kann allerdings aus verschiedenen Gründen bezweifelt werden. Näher dazu Schack, ZEuP 1999, 805 ff., der in Art. 65 EGV einen „höchst gefährlichen Sprengsatz“ sieht, der, so ders., RabelsZ 65 (2001), 615, 618, eine „kompetenzrechtliche Entmündigung der Mitgliedstaaten“ zur Folge habe. Ebenfalls kritisch Mansel, in: Dauner-Lieb, Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 1, 3 ff. Ausführlich zur Thematik Drappatz, Die Überführung des internationalen Zivilverfahrensrechts in eine Gemeinschaftskompetenz nach Art. 65 EGV, 2002.
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Erster Teil: Einführung
durch eine Abkehr von der nur rudimentären Regelungsweise Rechnung zu tragen, nicht ergriffen. 93 Der auf der Grundlage von Art. 61 lit. c in Verbindung mit Art. 65 EGV geschaffene und gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 249 EGV) als Verordnung unmittelbar geltende Art. 31 EuGVO hat abgesehen von redaktionellen Anpassungen den gleichen Wortlaut wie sein staatsvertraglicher Vorgänger Art. 24 EuGVÜ 94. Auch Art. 31 EuGVO bezieht sich auf einstweilige Maßnahmen im Allgemeinen und erwähnt Leistungsverfügungen nicht explizit. Die Kontinuität zwischen EuGVÜ und EuGVO hat zur Folge, dass die im Rahmen von Art. 24 EuGVÜ vorhandenen Anwendungs- und Auslegungsprobleme auf Art. 31 EuGVO übertragbar sind und die zum EuGVÜ entwickelten Lösungen des EuGH gleichermaßen für die EuGVO gelten 95. Auch die anlässlich des Inkrafttretens des EuGVÜ und der Beitritte zum Übereinkommen veröffentlichten erläuternden Berichte 96 können zur Auslegung herangezogen werden. 97
93 Die gesetzgeberische Zurückhaltung bedauert Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 150 und NIPR 2003, 240, 242, die einen Vorschlag zur Präzisierung von Art. 31 EuGVO unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung macht: „De voorgaande bepalingen laten onverlet de bevoegdheid van de rechterlijke autoriteiten van de andere lidstaten om de in hun wetgeving voorziene voorlopige en bewarende maatregelen te treffen, mits tussen het voorwerp van de maatregel en het grondgebied van die staat een reële band bestaat. Een reële band is in ieder geval aanwezig indien de maatregel geheel of ten dele in die staat ten uitvoer gelegd dient te worden.“ Auf Deutsch: „Die vorstehenden Bestimmungen lassen die Zuständigkeit der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich des Erlasses der in der jeweiligen Rechtsordnung vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen unberührt, vorausgesetzt, es besteht eine reale Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme und dem Gebiet dieses Staates. Eine reale Verknüpfung besteht in jedem Fall dann, wenn die einstweilige Maßnahme ganz oder teilweise in dem Staat vollstreckt werden soll.“ 94 Art. 24 EuGVÜ lautet: „Die in dem Recht eines Vertragsstaats (in der EuGVO: Mitgliedstaats) vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats (in der EuGVO: Mitgliedstaats) auf Grund dieses Übereinkommens (in der EuGVO: aufgrund dieser Verordnung) zuständig ist.“ 95 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Einl Rn. 68; Schack, IZVR5, Rn. 115. 96 Insbesondere der Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 1 ff. und der SchlosserBericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 71 ff. 97 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Einl Rn. 76.
H. Gang der Darstellung und Ziel der Untersuchung
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H. Gang der Darstellung und Ziel der Untersuchung H. Gang der Darstellung und Ziel der Untersuchung
Die Ausgangsverfahren in van Uden und Mietz betrafen jeweils ein auf Zahlung gerichtetes kort geding. Um die Konsequenzen der beiden Entscheidungen später besser beleuchten zu können, werden im zweiten Teil der Arbeit zunächst das kort geding des niederländischen und die – restriktiver gehandhabte – Leistungsverfügung des deutschen Zivilprozessrechts vorgestellt. Im Vordergrund wird dabei die Herausarbeitung von Gemeinsamkeiten und Unterschieden beider Verfahrensformen stehen. Das niederländische Recht wird schwerpunktmäßig und ausführlich dargestellt. Das deutsche Recht wird zu Vergleichszwecken angeführt und komprimiert beschrieben. Der Fokus wird jeweils auf einstweiligen Verfügungen liegen, die, wie die in van Uden und Mietz beurteilten Maßnahmen, auf die Erbringung einer Leistung, insbesondere einer Zahlung, gerichtet sind. Auf den rechtsvergleichenden Erkenntnissen aufbauend wird im dritten Teil der Arbeit die nach den Entscheidungen van Uden und Mietz im europäischen Zivilprozessrecht bestehende Rechtslage im einstweiligen Rechtsschutz analysiert. Der EuGH hat die gesetzlichen Vorgaben des EuGVÜ zur internationalen Zuständigkeit und zur Anerkennung von einstweiligen Maßnahmen mit seinen Antworten auf die Vorlagefragen in van Uden und Mietz ergänzt. Als Folge der richterlichen Rechtsschöpfung sind zusätzliche Voraussetzungen zu beachten, die Restriktionen für den europäischen einstweiligen Rechtsschutz mit sich bringen. Der EuGH verzichtete darauf, den Inhalt der einzelnen Voraussetzungen konkret darzulegen. Mit teilweise sehr offenen Formulierungen ließ er den Rechtsanwendern in den EU-Mitgliedstaaten einen großen Spielraum. In dem Bestreben, bestehende Konflikte zu lösen und praktikable Lösungen zu offerieren, hat der EuGH damit neue Problemfelder geschaffen. 98 Das Ziel der Erörterung besteht darin, die Voraussetzungen zu präzisieren, zu bewerten und auch ins Verhältnis zu den nach van Uden und Mietz ergangenen EuGH-Entscheidungen 99 zum einstweiligen Rechtsschutz zu setzen. Die Analyse wird sich auf drei Themengebiete konzentrieren: den Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 24 EuGVÜ/Art. 31 EuGVO, die internationale Zuständigkeit von Hauptsachegerichten gemäß Art. 2 ff. und sonstigen Gerichten nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht für den Erlass einstweiliger Maßnahmen sowie die Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 32 ff. EuGVO. 98 Treffend Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 678, zu van Uden: „This judgment raises almost as many questions as it answers.” 99 Insbesondere EuGHE 2002, 7357 ff. – Italian Leather/WECO, EuGHE 2004, 3565 ff. – Turner/Grovit und EuGHE 2005, 3481 ff. – St. Paul Dairy Industries NV/Unibel Exser BVBA.
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Erster Teil: Einführung
Im Blickpunkt stehen diese Themen gegenwärtig vor dem Hintergrund der anstehenden Reform 100 der EuGVO. Die Diskussion darüber, in welchen Bereichen des einstweiligen Rechtsschutzes rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht, dauert noch an. Vorliegend ist deshalb auch zu untersuchen, inwieweit die in Vorbereitung befindliche Reform der EuGVO als Chance genutzt werden könnte, die Regelungen der einstweiligen Maßnahmen zu präzisieren. Der Vorschlag der Kommission vom 14. Dezember 2010 zur Neuformulierung des Art. 31 EuGVO erweckt derzeit den Anschein, als sollten die angesprochenen Aspekte im Wesentlichen weiterhin der Konkretisierung durch die Rechtsprechung überlassen werden 101, obwohl die mit der Umsetzung der Vorgaben aus den Entscheidungen van Uden und Mietz verbundenen Schwierigkeiten bekannt sind 102.
100
Dazu insbesondere Dickinson, IPRax 2010, 203 ff.; Hess, IPRax 2011, 125 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Einl EuGVO Rn. 29 ff.; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1 ff. 101 Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg. (http://ec.europa.eu/justice/policies/civil/ docs/com_2010_748_de.pdf). Mit einstweiligen Maßnahmen beschäftigen sich Art. 31, 35 und Art. 36 des EuGVOEntwurfs. Art. 31 EuGVO nF soll lauten: „Wenn ein Verfahren in der Sache vor einem Gericht eines Mitgliedstaats anhängig ist und bei Gerichten eines anderen Mitgliedstaats die Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt wurde, arbeiten die betreffenden Gerichte zusammen und stimmen das Verfahren in der Hauptsache und das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes miteinander ab. Insbesondere holt das Gericht, bei dem einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt wurden, bei dem anderen Gericht Informationen über alle relevanten Umstände des Falles ein, darunter über die Dringlichkeit der beantragten Maßnahme oder die etwaige Ablehnung einer ähnlichen Maßnahme durch das mit der Hauptsache befasste Gericht.” Art. 35 EuGVO nF soll lauten: „Sind die Gerichte eines Mitgliedstaats in der Hauptsache zuständig, sind diese Gerichte auch für die im Recht dieses Staates vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen zuständig.“ Art. 36 EuGVO nF soll lauten: „Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats oder ein Schiedsgericht aufgrund dieser Verordnung zuständig ist.” 102 Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 21.4.2009, KOM(2009) 174 endg.; Grünbuch zur Überprüfung der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 21.4.2009, KOM(2009) 175 endg.
Zweiter Teil
Das niederländische kort geding im Vergleich zu der deutschen Leistungsverfügung Beim niederländischen kort geding (wörtlich: kurzes Verfahren) handelt es sich nach seiner gesetzlichen Konstruktion in Art. 254–259 WBRv 1 wie bei der deutschen einstweiligen Verfügung um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes. 2 In korte gedingen können Anträge gestellt werden, die dem Hauptsacheantrag entsprechen. 3 Im Rahmen der im deutschen Recht nicht gesetzlich verankerten, aber dennoch allgemein anerkannten Leistungsverfügung ist es ebenfalls möglich, die Erfüllung eines Anspruchs bereits in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zu erreichen. 4 Von den verschiedenen Varianten der deutschen einstweiligen Verfügung steht die Leistungsverfügung, was das Rechtsschutzziel betrifft, dem kort geding am nächsten und bietet sich daher als Vergleichsobjekt an. Die folgende Gegenüberstellung der einzelnen Aspekte des niederländischen kort geding mit der deutschen Leistungsverfügung wird Gemeinsamkeiten und Unterschiede herausarbeiten. 5
1
Art. 254 ff. WBRv regeln das kort geding seit 1.1.2002. Zuvor war es in Art. 289 ff. WBRv aF normiert. Eine Übersetzung der Art. 289 Abs. 1, 291 und 292 WBRv aF findet sich bei Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 388, eine Übersetzung der Art. 254–259 WBRv bei Zhou, S. 221–223. 2 Für das kort geding: Bots, S. 69; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 1. Für die einstweilige Verfügung: Jauernig/Berger, § 34 Rn. 4; Prütting/Stickelbrock, § 44. 3 Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21, 22; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 226. 4 Brox/Walker, Rn. 1579; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 6; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 12; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1. 5 Einer der ersten, der Unterschiede und Gemeinsamkeiten in deutscher Sprache erörterte, war Zonderland, ZZP 90 (1977), 225 ff. Siehe in niederländischer Sprache auch Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21, 22.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
A. Charakterisierung A. Charakterisierung
Beim Einstieg in den Vergleich von kort geding und Leistungsverfügung soll eine kurze Charakterisierung beider Rechtsinstitute helfen. I. Charakterisierung des kort geding Das niederländische Zivilprozessrecht kennt korte gedingen und andere, arrestähnliche einstweilige Verfahren. Der conservatoir beslag gemäß Art. 700–770 c WBRv zum Beispiel dient der Sicherung von Geldforderungen durch die vorläufige Beschlagnahme beweglichen oder unbeweglichen Vermögens. Die wichtigsten Merkmale des heutigen kort geding beschreiben Art. 254 und 256 WBRv. Gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv ist der Eilrichter in allen eilbedürftigen Sachen, in denen das Interesse der Parteien den unverzüglichen Erlass einer einstweiligen Verfügung verlangt, dafür zuständig, eine solche Verfügung zu erlassen. Nach Art. 256 WBRv kann der Richter aber die Gewährung der einstweiligen Verfügung verweigern, wenn er der Auffassung ist, dass der Fall nicht geeignet ist, um im kort geding entschieden zu werden. Diesen Regelungen können vier Hauptelemente des kort geding entnommen werden: (1) Der Rechtsstreit muss dazu geeignet sein, im kort geding entschieden zu werden. 6 (2) Es muss eine eilbedürftige Situation vorliegen. 7 (3) Die Abwägung der Parteiinteressen muss ergeben, dass der Erlass einer einstweiligen Maßnahme notwendig und gerechtfertigt ist. 8 (4) Darüber hinaus muss es möglich sein, ein Hauptsacheverfahren durchzuführen. 9 Die genannten Elemente lassen sich zu folgender Definition zusammenfassen: Das kort geding ist ein Verfahren zur Klärung von Rechtsstreitigkeiten in eilbedürftigen Fällen, in denen die Abwägung der Interessen der Parteien den der Hauptsache vorangehenden Erlass einer einstweiligen Maßnahme durch den zuständigen Richter rechtfertigt. 10 6
Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 300; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 7 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Bots, S. 75; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 5; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 19. 8 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Bots, S. 75; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 5. 9 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Bots, S. 75; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 5; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 19. 10 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 81; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 5.
A. Charakterisierung
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II. Charakterisierung der Leistungsverfügung Die deutsche Zivilprozessordnung unterscheidet zwischen dem Arrest gemäß §§ 916 ff. ZPO, der auf die Sicherung von Geldforderungen gerichtet ist, und der einstweiligen Verfügung gemäß §§ 935 ff. ZPO. Einstweilige Verfügungen werden typischerweise dazu eingesetzt, als Sicherungsverfügung im Sinne von § 935 ZPO den Bestand eines nicht auf Geld gerichteten Anspruchs zu bewahren 11 oder als Regelungsverfügung im Sinne von § 940 ZPO einen Zustand in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis vorläufig zu regeln 12. Daneben wurde die im Rahmen der §§ 916–945 ZPO nicht ausdrücklich vorgesehene Leistungsverfügung entwickelt, mittels derer eine (vorläufige) Verurteilung zu einer Leistung oder zu einer Unterlassung erfolgen kann. 13 Weil eine vorläufige Befriedigung in Form einer Leistung angeordnet werden kann 14, wird zum Teil der Begriff „Befriedigungsverfügung“ 15 bevorzugt. Diese Bezeichnung knüpft an die Wirkung der Maßnahme für den Antragsteller an, während der Begriff „Leistungsverfügung“ 16 die Aufforderung an den Antragsgegner hervorhebt. 17 Zweckmäßiger erscheint es, von Leistungsverfügungen zu sprechen. Denn danach bleibt offen, ob eine Befriedigung des Antragstellers tatsächlich erfolgen konnte. Der Ausdruck „Befriedigungsverfügung“ hingegen suggeriert, dass eine Befriedigung wirklich stattgefunden hat. Das aber ist eine vom Prozessrecht nicht zu beantwortende Frage des materiellen Rechts, und zwar der §§ 362 ff. BGB. Leistungsverfügungen gehen über die gesetzlich vorgesehenen Sicherungs- oder Regelungsverfügungen hinaus und ordnen unter strengen Voraussetzungen eine vorzeitige Erfüllung an, wenn der Antragsteller so dringend einer sofortigen Leistung bedarf, dass er den Abschluss des ordentlichen Verfahrens nicht abwarten kann, ohne einen unverhältnismäßig
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Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 1; Jauernig/Berger, § 34 Rn. 2; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1; Wannenmacher, S. 34 f. 12 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 1; Jauernig/Berger, § 34 Rn. 3; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 1; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1; Wannenmacher, S. 34 f. 13 Erstmals: RGZ 9, 334, 335 (1883). 14 Compensis, S. 48; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 13; Reichold, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6–15. 15 Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 21–24; Stürner, FS Zeuner, S. 513; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 84. Darüber hinaus wird auch von einer „Angriffsverfügung“ gesprochen, Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 113 f. 16 Diesen Begriff favorisiert namentlich Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 323 f. 17 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 84.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
großen oder sogar irreparablen Schaden zu erleiden. 18 In ihren Rechtsfolgen kann die Leistungsverfügung dem Hauptsacheurteil entsprechen. 19 Ihr einstweiliger Charakter ist deshalb nicht so eindeutig wie der einer Sicherungs- oder Regelungsverfügung. 20 Er besteht aber in rechtlicher Hinsicht, weil stets die Möglichkeit einer Aufhebung gegeben ist und weil die Entscheidung in der Hauptsache der Leistungsverfügung letztlich vorgeht 21. Definiert werden können Leistungsverfügungen demnach als einstweilige Maßnahmen, die inhaltlich das gleiche Ziel wie das Hauptsacheverfahren verfolgen und die deshalb nur ergehen dürfen, wenn der Erlass einer Maßnahme anderen Inhalts den Antragsteller nicht vor dem irreparablen Schaden bewahren würde, der im Falle des Abwartens auf das Urteil in der Hauptsache einzutreten droht.
B. Historische Wurzeln B. Historische Wurzeln
Die Aufmerksamkeit, die dem kort geding heutzutage in den Niederlanden und spätestens seit den EuGH-Entscheidungen van Uden und Mietz 22 in ganz Europa entgegengebracht wird, lässt vergessen, dass das Verfahren schon seit Einführung des WBRv im 19. Jahrhundert existiert 23, aber lange Zeit kaum Beachtung gefunden hat 24. Auch die Leistungsverfügung stammt aus dem 19. Jahrhundert. Sie wurde vom Reichsgericht entwickelt. 25 I. Entstehung des kort geding Der Ursprung des niederländischen kort geding liegt im französischen référé. 26
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OLG Köln NJW-RR 1995, 546 f. und 1088; OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 123 f.; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 12 f.; Prütting/Stickelbrock, § 46 I 3; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6. 19 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 12 f. 20 Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 2; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 29. 21 BGH WM 1976, 134; KG WRP 1990, 330, 331 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1b. 22 EuGHE 1998, 7091 – van Uden/DecoLine, EuGHE 1999, 2277 – Mietz/Intership Yachting, siehe oben S. 15–21. 23 Meijers, S. 35; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 2. 24 Bots, S. 99; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 14. 25 RGZ 9, 334, 335. 26 Bots, S. 71; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 10; Meijers, S. 35; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6.
B. Historische Wurzeln
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1. Ursprung im französischen référé Die historischen Wurzeln des référé reichen sehr weit in die Geschichte zurück. Das gesellschaftliche Bedürfnis, in eilbedürftigen Fällen auf schnelle richterliche Hilfe vertrauen zu können, besteht schon, seit die Konfliktlösung nicht mehr im Wege der Selbstjustiz ausgeübt, sondern auf Organe der Rechtsprechung übertragen wurde. 27 Bereits das römische Recht sah die Anordnung einstweiliger Maßnahmen vor. 28 Über das römisch-kanonische Recht fand der einstweilige Rechtsschutz im Mittelalter als référé Eingang in das französische Recht. 29 Ein königliches Edikt von 1685 regelte eilbedürftige Fälle, in denen der Lieutenant Civil du Châtelet de Paris 30 entscheiden konnte, ohne an die Fristen und Formalitäten des ordentlichen Verfahrens gebunden zu sein. 31 Das Edikt differenzierte in Art. 6 und 9 32 entsprechend der allgemeinen Rechtspraxis des 17. und 18. Jahrhunderts zwischen zwei Arten von Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz: dem jugement oder ordonnance sur référé und dem jugement par provision. 33 Das mit einem jugement sur référé abschließende Verfahren begann typischerweise damit, dass ein Gerichtsvollzieher bei der Vollstreckung eines Titels auf Schwierigkeiten stieß und diese Schwierigkeiten schriftlich festhielt. Das auf diese Weise entstandene Schriftstück reichte er dann bei Gericht ein. 34 Der zuständige Richter konnte bestehende Vollstreckungshindernisse anschließend nach kurzer Anhörung und summarischer Untersuchung 35 mittels eines jugement sur référé ausräumen. 36 27
Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 10; Meijers, S. 1. Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 11. Siehe dazu D. 5.2.27.3; D. 25.3.7; D. 25.3.5.8; D. 1.6.10. Text bei Meijers, S. 4 Fn. 1. 29 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 11; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 11; Meijers, S. 4; Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 150. 30 Das Châtelet de Paris war das damalige Pariser Zivil- und Strafgericht. Bots, S. 71; Cleveringa, Art. 289, Aant. 2. 31 Caroli, S. 1; Meijers, S. 11; Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 150. 32 Abgedruckt bei Meijers, S. 3 und 12. 33 Bots, S. 71; Cleveringa, Art. 289, Aant. 2, noot 5; Meijers, S. 2; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6. 34 Caroli, S. 5; Cleveringa, Art. 289, Aant. 2, noot 5; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 1. Wer auf Schwierigkeiten bei der Vollstreckung stieß, wandte sich also an den Richter. Von dem Ausdruck „on en réfère au juge“ stammt die Bezeichnung „référé“, Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 10. 35 Meijers, S. 16. 36 Caroli, S. 5; Cleveringa, Art. 289, Aant. 2, noot 5; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 1. 28
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Einstweilige Maßnahmen in Form des jugement par provision waren zunächst nur für einige Spezialfälle vorgesehen. Später konnten sie in allen eilbedürftigen Fällen erlassen werden. 37 Der Gang des Verfahrens glich dem des référé. 38 Das Verfahren war aber anders als das référé inhaltlich ausschließlich auf solche Maßnahmen gerichtet, die wegen der nachfolgenden Entscheidung in der Hauptsache vorläufig blieben 39. Im 18. Jahrhundert verschmolzen beide Verfahren zu einem einheitlichen Verfahren. 40 Dieses Verfahren erhielt den Namen des jugement sur référé, jedoch das Wesen des jugement par provision. 41 Im Rahmen des nunmehr entstandenen référé-Verfahrens war der Lieutenant Civil zuständig, falls eine Streitigkeit so dringend der richterlichen Entscheidung bedurfte, dass ein Urteil im ordentlichen Verfahren nicht abgewartet werden konnte. 42 Der Lieutenant Civil durfte die Art und Weise seines Eingreifens frei wählen, so dass er die einstweiligen Maßnahmen an die konkrete Situation anpassen konnte. 43 Billigkeitsgesichtspunkte spielten eine große Rolle. Im référé erging aber stets nur eine vorläufige und keine endgültige Entscheidung, weil die Entscheidung in Erwartung der Hauptsache erlassen wurde. 44 Die jeweilige Maßnahme beeinflusste den Richter der Hauptsache nicht in seinem Vorgehen. 45 1807 wurde das référé in Art. 806 und 809 46 in den Ancien code de procédure civile (im Folgenden: Acpc) aufgenommen. 47 Die Juristen, die an der Redaktion des Ancien code de procédure civil teilhatten, bemühten sich, größere Veränderungen zu vermeiden. Ihr Anliegen war es vielmehr, die bewährten Regelungen zum vereinheitlichten référé wiederzugeben. 48 Anders als vorgesehen wurden Art. 806 und 809 Acpc in der Folgezeit jedoch so ausgelegt, als kodifizierten sie die ursprünglich gebräuchlichen, verschiedenen Verfahrensformen. 49 Die Ursache hierfür liegt im Text des Art. 806 Acpc. 50 Er unterschied wie Art. 6 und 9 des Edikts von 1685 zwischen eilbedürftigen Fällen und solchen, welche die Vollstreckung betref37
Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 1. Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 11; Meijers, S. 15 f. 39 Cleveringa, Art. 289, Aant. 2, noot 5; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6. 40 Bots, S. 71; Meijers, S. 15; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 1 f. 41 Cleveringa, Art. 289, Aant. 2, noot 5; Meijers, S. 2. 42 Bots, S. 72; Caroli, S. 14; Meijers, S. 23. 43 Bots, S. 72; Caroli, S. 14; Meijers, S. 23. 44 Bots, S. 72; Caroli, S. 14; Meijers, S. 23. 45 Bots, S. 72; Caroli, S. 12; Meijers, S. 24. 46 Beide abgedruckt bei Caroli, S. 14 und Meijers, S. 25. 47 Bots, S. 71; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 12; Meijers, S. 25. 48 Caroli, S. 18; Meijers, S. 26. 49 Caroli, S. 19 f.; Meijers, S. 28. 50 Meijers, S. 26. 38
B. Historische Wurzeln
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fen. 51 Möglich war dieser Rückschritt außerdem, weil das einheitliche référé bis zur Einführung des Ancien code de procédure civile außerhalb der Stadtgrenzen von Paris nicht bekannt gewesen war und sich deshalb in den übrigen Landesteilen noch kein sicherer Umgang mit dem Verfahren gefestigt hatte. 52 2. Entwicklung des kort geding aus dem référé 1811 wurde die Geltung des Ancien code de procédure civile auf die Niederlande erstreckt 53, so dass dessen Art. 806 und 809 auch dort direkt anwendbar waren. 1830 wurden die Vorschriften in das niederländische Wetboek van burgerlijke rechtsvordering übernommen. 54 Bei Art. 245 und 248 dieses Gesetzbuches handelte es sich um fast wörtliche Übersetzungen der französischen Vorschriften. 55 Wie in Art. 806 Acpc erfolgte im Text des Art. 245 WBRv von 1830 eine Trennung von einstweiligen Maßnahmen, welche die Vollstreckung eines Titels durchsetzen sollen, und sonstigen eilbedürftigen Maßnahmen. 56 Die Gründung des Staates Belgien verhinderte die geplante Einführung des WBRv zum 1. Februar 1831. 57 Weil es unter belgischem Einfluss entstanden war, wurde das Gesetzbuch zunächst revidiert, bevor es schließlich am 1. Oktober 1838 58 in Kraft trat. 59 Im Zuge der Überarbeitung gelangte das aus dem référé-Verfahren entstandene kort geding in Art. 289–297 WBRv. 60 Art. 289 WBRv wurde mit Beispielen versehen und deshalb etwas ausführlicher gefasst, erfuhr ansonsten aber keine inhaltlichen Änderungen. 61 Eingebettet in Beispielsfälle stellte die Vorschrift drei Voraussetzungen für 51 „Dans tous les cas d’urgence, ou lorsqu’il s’agira de statuer provisoirement sur les difficultés relatives à l’exécution d’un titre exécutoire ou d’un jugement ...“ Abgedruckt bei Caroli, S. 14 und Meijers, S. 25. 52 Meijers, S. 28 f. Zur weiteren Geschichte des référé-Verfahrens im 20. Jahrhundert siehe Mossler, S. 134–136. 53 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 12. 54 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 13; Meijers, S. 37; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 2. 55 Ein Vergleich des niederländischen Gesetzestextes mit seiner französischen Übersetzung zeigt dies deutlich, siehe Meijers, S. 37. 56 Meijers, S. 37 f. 57 Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 19 Fn. 15. 58 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 12. 59 Bots, S. 73; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 13; Meijers, S. 38; Schenk/ Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 2. 60 Bots, S. 73; Meijers, S. 38. 61 Bots, S. 73; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 13; Meijers, S. 38 f.; Schenk/ Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 2.
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das kort geding auf. Ausgangspunkt war das Vorliegen von Eilbedürftigkeit. Weiter musste die eilbedürftige Lage der Klärung mittels einer vorläufigen Maßnahme zugänglich sein und schließlich musste die Notwendigkeit dieser Maßnahme aus der Interessenlage der Parteien resultieren. 62 Wie schon Art. 245 WBRv von 1830 enthielten auch Art. 289 und 292 WBRv von 1838 den französischen Vorbildern Art. 806 und 809 Acpc entsprechend Spuren der beiden Ausgangsverfahren. 63 Grundsätzlich erfasste Art. 289 WBRv zwar alle eilbedürftigen Angelegenheiten, in denen der Erlass einer einstweiligen Maßnahme erforderlich war, und folgte damit dem jugement par provision. Gesondert führte er aber noch den Fall einer Streitigkeit im Zusammenhang mit der Vollstreckung eines Titels auf, welche Gegenstand des jugement sur référé war. 64 3. Jüngere Entwicklung des kort geding Eine Gesetzesänderung im Jahr 1992 hatte schließlich die Emanzipation der niederländischen Vorschriften von den französischen Wurzeln zur Folge. Die begriffliche Unterscheidung im Wortlaut des Art. 289 Abs. 1 WBRv von eilbedürftigen Fällen und solchen, welche die Vollstreckung betreffen, wurde aufgehoben. 65 Seither enthielt Art. 289 Abs. 1 WBRv nur noch ein Verfahren für alle eilbedürftigen Fälle („in alle zaken“). Lediglich eine Vorschrift im Vollstreckungsrecht, Art. 438 Abs. 4 WBRv, erinnert heute noch an das Verfahren, das ursprünglich in ein jugement sur référé mündete. 66 Gemäß Art. 438 Abs. 4 Satz 1 WBRv kann der kort gedingRichter eine einstweilige Maßnahme erlassen, wenn der Gerichtsvollzieher auf Schwierigkeiten bei der Vollstreckung gestoßen ist. Zum 1. Januar 2002 wurde das WBRv erneut und umfassend reformiert. 67 Der Gesetzgeber hatte sich vorgenommen, das Prozessrecht, das großenteils noch von 1838 stammte, zu vereinfachen 68 und weniger for-
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Meijers, S. 39 f. Meijers, S. 39; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 2. 64 Abgedruckt bei Meijers, S. 36. 65 Bots, S. 70; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 2. 66 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–2–6. 67 Wet van 6 december 2001 tot herziening van het procesrecht voor burgerlijke zaken, in het bijzonder de wijze van procederen in eerste aanleg, Stb. 2001, 580. 68 Vereinfachung brachte z.B. eine allgemeine Regelung für die erstinstanzlichen Verfahren, mit der die vorherige Trennung zwischen Verfahren vor den Rechtbanken und den Kantongerichten aufgehoben wurde. Außerdem wurden die zuvor üblichen häufigen Schriftwechsel zwischen den Parteien auf regelmäßig jeweils einen Schriftsatz des Klägers und des Beklagten beschränkt, Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 51, S. 51; Hendrikse, in: Hendrikse/ Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 11. 63
B. Historische Wurzeln
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mell 69 zu gestalten. 70 Weitere Ziele waren die Effizienzsteigerung 71 und Harmonisierung. 72 Das vormals in Art. 289–297 WBRv geregelte kort geding bekam im Zuge der Reform einen neuen Platz in Art. 254–260 WBRv. Inhaltlich erfuhr es abgesehen von der Nummerierung und von einigen kleinen Modernisierungen keine Veränderung. 73 In der Diskussion während des Reformprozesses wurde das kort geding-Verfahren nicht kontrovers behandelt. Praktiker und Wissenschaftler beurteilten das Verfahren als effizient und dynamisch, so dass es in der bestehenden Form beibehalten werden sollte. 74 Lediglich die Grundnorm, Art. 254 Abs. 1 WBRv, wurde im Vergleich zu ihrem Vorgänger straffer formuliert. Außerdem wurden die Regelungen, die nicht unmittelbar zum erstinstanzlichen Verfahren gehörten, Art. 295– 297 WBRv aF, aus dem Abschnitt zum kort geding entfernt. Art. 295 und 295a WBRv aF behandelten die Berufung und wurden deshalb teilweise in den Abschnitt zur Berufung implementiert. 75 Art. 297 WBRv aF wurde als überholt gestrichen. 76 Er sah vor, dass der kort geding-Richter die Vollstreckung direkt auf Grundlage des Originals (minuut 77) des Urteils und
69 Die Deformalisierung zeigt sich u. a. daran, dass Formfehler, wie eine falsche Verfahrenseinleitung oder das Versäumnis, einen Rechtsanwalt als Prozessvertreter zu benennen, nunmehr der Heilung zugänglich sind. Siehe Art. 69 und 123 WBRv. 70 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 4 f. 71 Eine Effizienzsteigerung wird dadurch erzielt, dass die Parteien verstärkt verpflichtet wurden, die Umstände des Falles am Anfang des Verfahrens so vollständig wie möglich schriftlich darzulegen. Ein weiterer Akzent wurde auf die Erscheinungspflichten der Parteien in der Verhandlung gelegt. Der Richter erhielt auch mehr Befugnisse, so dass er über die Zulassung von Prozesshandlungen je nach Lage des Einzelfalles entscheiden und darüber das Verfahren steuern kann. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 51, S. 51; Hendrikse, in: Hendrikse/ Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 14 ff.; Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 34 ff. 72 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 5 ff. Ein Harmonisierungseffekt trat ein, indem unnötige Unterschiede zwischen den verschiedenen Verfahrensformen beseitigt wurden. Auch Fristen, etwa diejenigen für die Ladung und das Einlegen von Rechtsmitteln, wurden angeglichen. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 51, S. 51; Hendrikse, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 16; Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 37 ff. 73 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–1; van Rooij/Polak, Private International Law, S. 24; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37. 74 Kramer, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 305, 307. 75 Siehe Art. 339 und 353 WBRv. 76 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 143. 77 Als minuut wird die Urschrift des Urteils bezeichnet, welche nicht zur Herausgabe an die Beteiligten, sondern für die Gerichtsakte bestimmt ist. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 119; Wieten, S. 47.
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nicht einer Ausfertigung (grosse 78) anordnen konnte. Durch den mittlerweile alltäglichen Einsatz von Computern und Kopiergeräten entstehen Original und Ausfertigung beinahe zeitgleich, so dass es einer besonderen gesetzlichen Regelung nicht mehr bedurfte. 79 Neu eingefügt in die Vorschriften zum kort geding wurde Art. 260 WBRv. Dieser sah in einstweiligen Verfahren, die dem Anwendungsbereich des TRIPs 80 unterfielen, vor, dass innerhalb einer bestimmten Zeit das Hauptsacheverfahren begonnen werden musste. Anderenfalls verlor die einstweilige Maßnahme ihre Wirksamkeit. Hierbei handelte es sich um eine Abbildung von Art. 50 Abs. 6 TRIPs, der nach der HermèsEntscheidung des EuGH 81, in kort geding-Verfahren beachtet werden musste. Zum 1. Mai 2007 ist Art. 260 WBRv weggefallen. 82 Vermutet wird, dass eine obligatorische Einleitung des Hauptsacheverfahrens mit dem Sinn des kort geding nicht in Einklang zu bringen war. 83 Vor diesem Hintergrund verwundert es wenig, dass schon während der Geltungszeit des Art. 260 WBRv aF vertreten wurde, dass die Parteien vereinbaren dürfen, dass eine nicht fristgerechte Klageerhebung keine Konsequenzen haben wird. 84 Art. 254 und 255 WBRv sowie Art. 259 WBRv gelten seit 15. Oktober 2005 in neuer Fassung. 85 In Art. 254 Abs. 4 WBRv wurden die Kompeten-
78 Die grosse ist die an die Beteiligten zu übermittelnde erste Ausfertigung eines Urteils. Sie bildet gemäß Art. 430 WBRv die Grundlage der Vollstreckung des Urteils. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 119; Wieten, S. 47. 79 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 143. 80 Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights = Overeenkomst inzake de handelsaspecten van de intellectuele eigendom, Trb. 1995, Nr. 130 (nicht-amtliche niederländische Fassung); Trb. 1994, No. 235 (amtliche englische Fassung), gebilligt durch Rijkswet van 21.12.1994, Stb. 1994, 947. Die Niederlande folgen der monistischen Theorie. Gemäß Art. 93 Gw gelten völkerrechtliche Verträge grundsätzlich unmittelbar, ohne dass sie transformiert werden müssen. Die erforderliche Billigung durch das Parlament erfolgt meist konkludent, indem der Vertrag im Tractatenblad (Trb.) veröffentlicht wird. Eine Ratifikation durch die Regierung ist nur erforderlich, wenn dies im Vertrag ausdrücklich vorgesehen ist. Charisius, Niederländisches Internationales Privatrecht, S. 29 f.; Verheugt, S. 546 f. 81 EuGHE 1998, 3603 Rn. 39 – Hermès International/FHT Marketing Choice BV. 82 Art. I Wet van 8 maart 2007 tot aanpassing van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering, Stb. 2007, 108. 83 Zhou, S. 123. 84 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 340. 85 Art. VII Wet van 8 september 2005 tot aanpassing van enkele onderdelen van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering en enige andere wetten in verband met het nieuwe procesrecht, Stb. 2005, 455.
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zen des Kantonrichters 86 erweitert, in Art. 255 Abs. 3, 259 Satz 2 WBRv das Vertretungsrecht geändert. 87 II. Entstehung der Leistungsverfügung Die noch heute festzustellenden Unterschiede zwischen der Leistungsverfügung und dem kort geding nahmen ihren Anfang bereits in unterschiedlichen geschichtlichen Ursprüngen. Eine dem französischen bzw. niederländischen Recht vergleichbare Unterscheidung bei einstweiligen Verfahren ist dem deutschen Zivilprozessrecht fremd. Die Entstehung der Leistungsverfügung basierte anders als die des kort geding nicht auf Regelungen des Ancien code de procédure civile. Da sich der Einfluss Napoleons nicht auf alle Teile Deutschlands erstreckte, wurde der Ancien code de procédure civile auch nicht überall adaptiert. Das deutsche Recht ist deshalb nicht in gleichem Umfang von der napoleonischen Rechtskultur geprägt wie das niederländische Recht. Insbesondere erfolgte keine Übernahme des référéVerfahrens. 88 Als Urtyp der heutigen Leistungsverfügung gilt die schon im gemeinen Recht bekannte „provisorische Verfügung auf Alimentationsleistung“. 89 In Unterhaltssachen offenbarte sich seit jeher sehr deutlich die Notwendigkeit
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Die niederländische Zivilgerichtsbarkeit bestand bis Ende 2001 aus Kantongerichten (Kantongerechten), Arrondissementsgerichten (Arrondissementsgerechten oder Rechtbanken), Gerichtshöfen (Gerechtshoven) und dem Hohen Rat (Hoge Raad). Seit der Reform von 2002 gibt es gemäß Art. 2 Wet op de rechterlijke organisatie (RO) nur noch Rechtbanken, Gerechtshoven und Hoge Raad. Die Kantongerichte sind nach Art. 47 RO aF zum Sektor Kanton bei den Rechtbanken umgestaltet worden und existierten nicht mehr selbständig. Gemäß Art. 93 WBRv aF entschied der Sektor für Kantonsachen über Fälle, welche Forderungen bis 5.000 Euro sowie manche miet- und arbeitsrechtlichen Streitigkeiten zum Gegenstand hatten. Da im Gesetz an vielen Stellen weiterhin von Kantongerichten gesprochen wird, soll im Bewusstsein, dass es sich dabei um den Kantonsektor beim Gericht erster Instanz handelt, der Ausdruck auch in dieser Arbeit beibehalten werden. Die Arrondissementsgerichte werden im Gesetz seit 2002 überwiegend als Rechtbanken bezeichnet, vergleiche Art. 40 ff. RO. Näheres bei Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 21 f., und Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 19 f. Seit dem Gesetz zur Modernisierung der Gerichtsorganisation vom 19. Mai 2011 (Wet van 19 mei 2011 tot wijziging van de Wet op de rechterlijke organisatie usw.), Stb. 2011, 255, gibt es den Sektor Kanton nicht mehr. Vielmehr bestimmt Art. 47 RO nF nunmehr, dass für die Kantonsachen bestimmte Kammern bei den Rechtbanken gebildet werden. Die Grenze für die Zuständigkeit in Kantonsachen wurde in Art. 93 WBRv nF auf 25.000 Euro hinaufgesetzt. 87 Zu Einzelheiten siehe Zhou, S. 116. 88 Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1144; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 76–81; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 88 f.; Weinert, S. 220 Fn. 314. 89 Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 64; ders., FamRZ 2003, 1137, 1142.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
einer vorläufigen Befriedigung unabweisbarer Bedürfnisse. 90 Anhaltspunkte für die Zulässigkeit der Anordnung einer vorläufigen Befriedigung im Rahmen von einstweiligen Verfügungen zeigten sich in den partikularen Prozessordnungen des 19. Jahrhunderts sowie in Vorentwürfen zur ZPO. 91 Eingang in die ZPO von 1877 fand die Leistungsverfügung allerdings nicht. Die ZPO unterscheidet vielmehr zwischen Arrest und einstweiliger Verfügung. Der Arrest bildet den Grundtypus 92, dessen Regelungen teilweise auch auf die einstweilige Verfügung anwendbar sind. Für die einstweilige Verfügung sehen § 935 ZPO mit der Sicherungsverfügung und § 940 ZPO mit der Regelungsverfügung zwei Varianten vor. Ungeachtet der Tatsache, dass das Institut der Leistungsverfügung in der ZPO nicht gesetzlich verankert worden war, befand das Reichsgericht den Erlass einer solchen Verfügung schon 1883 für zulässig 93. In dem zugrunde liegenden Rechtsstreit forderte die Antragstellerin rückständige Gehaltszahlungen. Das Reichsgericht vertrat die Ansicht, im Rahmen einer einstweiligen Verfügung könne eine Befriedigungswirkung zugelassen werden, allerdings nur innerhalb eines dauerhaften Rechtsverhältnisses 94. Letztlich verdankt die Leistungsverfügung ihre Etablierung der Erkenntnis, dass in Fällen, in denen dem Gläubiger ein schwerer, irreparabler Schaden droht, wenn er den Ausgang der Hauptsache abwarten müsste, nur eine einstweilige Maßnahme helfen kann, die inhaltlich dem Hauptsacheanspruch entspricht und die nicht wie eine Sicherungs- und Regelungsverfügung vorläufig wirkt, sondern zu vorzeitiger Erfüllung führt. 95 Durch die Erfüllungswirkung unterscheidet sich die Leistungsverfügung von der Sicherungs- und der Regelungsverfügung und stellt insoweit eine außergewöhnliche Figur des deutschen einstweiligen Rechtsschutzes dar.
90
Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 12; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1141; Grunsky, JuS 1976, 277, 283; Mossler, S. 15. 91 Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1144 f.; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 86 f.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 86–94. 92 Der Geldleistungsansprüche sichernde Arrest stand im Vordergrund, weil zur Zeit der Entstehung der ZPO davon ausgegangen wurde, dass in der Regel ein Schadensersatzprozeß durchgeführt wird, wenn ein Anspruch, der nicht auf eine Geldzahlung gerichtet ist, nicht erfüllt wird. Schlosser, FS Odersky, S. 669, 670. Auch wenn die ZPO den Arrest in den Vordergrund stellt und die einstweilige Verfügung eher stiefmütterlich behandelt, wurde die ZPO zum Zeitpunkt ihres Erlasses als fortschrittlich angesehen. Schlosser, FS Odersky, S. 669 f. 93 RGZ 9, 334, 336. Ebenso RGZ 15, 377, 378 f.; 27, 429, 430 ff.; 35, 32, 35; 36, 390, 391 f.; 46, 354, 355 f.; 47, 72, 75. Zur älteren Literatur: Hobbeling, S. 166 f.; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 40–47. 94 RGZ 9, 334, 336. Ausführlich zur Begründung des Reichsgerichts Compensis, S. 51– 53; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1141; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 30–33. Das Erfordernis des Dauerrechtsverhältnisses verlangen auch RGZ 15, 377, 379 und 27, 429, 430. 95 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 12 f.; Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 64.
B. Historische Wurzeln
39
Seit 1910 musste die Instanzrechtsprechung die Aufgabe der Rechtsfortbildung im Bereich einstweiliger Verfügungen übernehmen. Die Revision gegen im einstweiligen Rechtsschutz ergangene Urteile war nach einer Gesetzesänderung nicht mehr statthaft. 96 Die Untergerichte beschränkten den Einsatz von Leistungsverfügungen zunächst auf die Anordnung von Geldleistungen in dauerhaften Rechtsverhältnissen 97 oder sogar ausschließlich auf Unterhaltsleistungen 98. Im Laufe der Zeit wurde dieser enge Anwendungsbereich ausgeweitet. 99 Die Begrenzung auf Geldleistungen 100 wurde ebenso fallengelassen wie das Erfordernis eines Dauerrechtsverhältnisses. 101 Infolge der bis heute in § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO verankerten Revisionssperre für Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes ergab sich für den BGH erst 1963 die Gelegenheit, in einem obiter dictum zur Leistungsverfügung Stellung zu beziehen. Der BGH merkte an, dass im Rahmen eines Unterhaltsprozesses des unehelichen Kindes gegen seinen Vater zum Zwecke der vorläufigen Anordnung von Unterhaltszahlungen der Erlass einer einstweiligen Verfügung erwogen werden könne. 102 Wenig später bestätigte der BGH die Zulässigkeit von Leistungsverfügungen in einem weiteren Urteil, das eine einstweilige Besitzeinweisung zum Gegenstand hatte. 103 Da Anläufe zu einer Kodifikation der Leistungsverfügung 1931 und 1976 scheiterten, 104 blieb die Fortentwicklung des Verfahrens Aufgabe der Rechtsprechung. 105
96
Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1146. OLG Breslau JW 1927, 1893; KG JW 1927, 2473; OLG Braunschweig JW 1930, 1015 f.; OLG Köln JW 1933, 68; OLG Kiel JW 1933, 2925; OLG Stuttgart JW 1935, 1584; OLG Schleswig JR 1954, 305, 306. 98 OLG Celle NJW 1952, 1221; LG Koblenz NJW 1960, 2005. 99 OLG Düsseldorf MDR 1960, 58, 59; OLG Hamburg, MDR 1960, 59. 100 Erstmals wurden andere Leistungen angeordnet in: OLG Breslau JW 1921, 685, 686; OLG Karlsruhe JW 1937, 250. 101 OLG Karlsruhe JW 1930, 2068; OLG Frankfurt JW 1932, 3728 f.; OLG Düsseldorf MDR 1960, 58, 59; OLG Hamburg MDR 1960, 59. Siehe dazu auch Baur, BB 1964, 607, 608; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1146; Hobbeling, S. 173; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 34; Schuler, NJW 1959, 1801, 1802. 102 BGHZ 40, 367, 379. 103 BGH NJW 1965, 915. 104 Siehe dazu Compensis, S. 49 f.; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1147; Heinze, in: 50 Jahre BGH, S. 569, 583; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 47–49 und 94 f. 105 Zur Unterhaltsverfügung: OLG Köln FamRZ 1983, 410 ff. Im Anschluss daran OLG Düsseldorf FamRZ 1987, 1057 f. und 1059; OLG Celle FamRZ 1994, 386 f.; OLG Karlsruhe FamRZ 1997, 623 f.; KG FamRZ 1998, 688 f.; OLG Koblenz FamRZ 2000, 362 f.; OLG Hamm FamRZ 2001, 358. 97
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
C. Bedeutung C. Bedeutung
Das kort geding wie die Leistungsverfügung haben verglichen mit den ordentlichen Verfahren eher geringe quantitative Bedeutung. Gleichwohl haben sie als einstweilige Verfahren im Gefüge des Prozessrechts einen hohen Stellenwert. Hierfür gibt es eine Reihe von staatenübergreifenden Gründen. Eine wichtige Ursache für die Inanspruchnahme des einstweiligen Rechtsschutzes ist die teilweise lange Dauer der ordentlichen Verfahren. 106 Weitere Ursachen werden als „zivilisationsbedingt“ 107 bezeichnet. So verlangt die technische und wirtschaftliche Entwicklung, dass eine kurzfristige Schadensabwehr möglich sein muss. 108 Auch die zunehmende Teilhabe mehrerer Personen an einem Rechtsgut führt zu einer verstärkten Nachfrage nach einstweiligem Rechtsschutz, beispielsweise in Nachbar- oder Gesellschafterstreitigkeiten. 109 Ferner sind psychologische Ursachen von Bedeutung, soweit im privaten und im geschäftlichen Bereich weniger Menschen die Interessen der Mitmenschen respektieren. 110 Schließlich spielt das soziale Schutzbedürfnis eine Rolle. 111 Viele einstweilige Maßnahmen dienen dem Schutz einer vermeintlich schwächeren gegenüber einer stärkeren Partei, zum Beispiel im Miet-, Unterhalts- oder Schadensersatzrecht. 112 Neben den allgemeinen Gründen für die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes gibt es spezifische Ursachen gerade für die Bedeutung von kort geding und Leistungsverfügung. I. Bedeutung des kort geding Die Relevanz des kort geding entwickelte sich im Laufe der vergangenen Jahrhunderte kontinuierlich fort. Noch im 19. Jahrhundert hatte das kort geding nur geringe Bedeutung. Die Situation änderte sich zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als die Neugestaltung des Verfahrens einen rasanten Bedeutungsanstieg einläutete.
106
Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 6; Iliakopoulos, S. 5; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 11; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 96. 107 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 5. 108 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 5; Iliakopoulos, S. 6; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 96. 109 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 5. 110 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 5; Iliakopoulos, S. 6. 111 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 6; Iliakopoulos, S. 6; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 96. 112 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 6.
C. Bedeutung
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1. Geringe Bedeutung in den Anfängen Anfänglich wurde das kort geding nur sporadisch eingesetzt. 113 Auf ein mangelndes Bedürfnis nach einstweiligem Rechtsschutz war diese Tatsache allerdings nicht zurückzuführen. 114 Vielmehr muss dieses Bedürfnis angesichts des langwierigen ordentlichen Verfahrens 115 durchaus ausgeprägt gewesen sein, wie die spätere Zunahme der korte gedingen zeigte 116. Die Ursache für den seltenen Gebrauch lag vielmehr in verschiedenen hemmenden Faktoren, die das kort geding zunächst als wenig attraktiv erscheinen ließen. Zu den Hinderungsgründen zählte vor allem die Auslegung von Art. 292 WBRv aF (Art. 257 WBRv nF) mit ihren Folgen für die Zuständigkeit des kort geding-Richters. 117 Gemäß dieser Vorschrift verursacht die vorläufige Entscheidung im kort geding keinen Nachteil in der Hauptsache. Die Formulierung legte man so aus, dass der kort geding-Richter mit keinem Aspekt seiner Entscheidung das Urteil in der Hauptsache vorwegnehmen durfte, weil der Richter der Hauptsache daran gebunden gewesen wäre. 118 Nach diesem Verständnis beschränkte die Regelung die Zuständigkeit des kort geding-Richters. 119 Als Konsequenz daraus konnten im kort geding nur Randprobleme gelöst werden, während die eigentlichen Streitfragen zwischen den Parteien nicht behandelt werden durften. 120 Da der kort geding-Richter in den meisten Fällen das zugrunde liegende Rechtsverhältnis aber hätte betrachten müssen, verhinderte die damals herrschende Auslegung im Ergebnis viele einstweilige Entscheidungen. 121 In dieser Zeit führte das kort geding ein Schattendasein. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts wurden nur einige wenige Verfahren als kort geding durchgeführt. 122
113
Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 14. 114 Van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 69. 115 Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387. 116 Van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 69. 117 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 14. 118 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 119 Caroli, S. 64; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Meijers, S. 43. 120 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 121 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14. 122 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 129.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
2. Gründe für eine zunehmende Bedeutung Interesse für das Verfahren weckte 1906 der Amsterdamer Rechtsanwalt Caroli mit seinem Werk „Het kort geding“. 123 In der Folgezeit entfielen durch Änderungen in Literatur und Rechtsprechung bis dahin bestehende Hinderungsgründe, so dass der Anwendungsbereich und mit ihm die Bedeutung des kort geding schrittweise wachsen konnten. a) Änderung der Auslegung von Art. 292 WBRv aF Caroli verhalf dem kort geding zu neuen Impulsen, weil er sich für eine Änderung der Auslegung von Art. 292 WBRv aF einsetzte 124. Er sah in dieser Vorschrift keine Anhaltspunkte für eine Begrenzung der Zuständigkeit des kort geding-Richters aufgrund einer Bindung des Richters der Hauptsache an die im kort geding getroffene Entscheidung 125. Mit dieser Sichtweise räumte er das bis dahin größte Hemmnis in der Anwendung des kort geding aus. Bis heute versteht die herrschende Meinung im Einklang mit der Auffassung von Caroli die Vorschrift dahin, dass die Entscheidung der Hauptsache durch die Entscheidung in einem bereits durchgeführten vorläufigen Verfahren nicht präjudiziert wird 126. Im Unterschied zur früheren Auslegung gilt als Adressat des heutigen Art. 257 WBRv nicht mehr der kort geding-Richter, sondern der Richter der Hauptsache. 127 Art. 257 WBRv soll sich an den Richter der Hauptsache richten, indem er verdeutlicht, dass er nicht an die Entscheidung des kort geding-Richters gebunden ist. 128 Dadurch hat der Richter im vorläufigen Verfahren an Handlungsspielraum gewonnen. Dieser Umstand führte auch zu Wechselwirkungen zwischen dem kort geding und den Bereichen des materiellen Rechts, die häufig in verkürzten Verfahren eine Rolle spielen. In manchen Rechtsgebieten war parallel zum 123
Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 1. 124 Caroli, S. 42. 125 Caroli, S. 42. Ihm folgend: Hoge Raad vom 18.4.1913, NJ 1913, S. 727; Hoge Raad vom 10.1.1958, NJ 1958, Nr. 78; Pres. Rb. Den Bosch vom 8.2.1955, NJ 1956, Nr. 275; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298. 126 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134 f.; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 23; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 127 Hoge Raad vom 10.1.1958, NJ 1958, Nr. 78; Hoge Raad vom 11.2.1994, NJ 1994, Nr. 651; Hof Amsterdam vom 7.4.1949, NJ 1949, Nr. 624; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1038; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134 f.; Snijders/Ynzonides/ Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 128 Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1038; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 14; Zhou, S. 122.
C. Bedeutung
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kort geding eine Fortentwicklung zu beobachten, 129 zum Beispiel im Patent-, Marken- und Urheberrecht, im Presserecht und im Arbeitsrecht. 130 b) Ausdehnung der Lehre von der unerlaubten Handlung Neben der Korrektur der Auslegung von Art. 292 WBRv förderten auch Änderungen hinsichtlich des Inhalts der Lehre von der unerlaubten Handlung und des gerichtlichen Vorgehens gegen unerlaubte Handlungen die Bedeutung des kort geding. 1919 erweiterte der Hoge Raad den Kreis der Verhaltensweisen, die als unerlaubte Handlung angesehen werden. 131 Die Art. 1382 Code civil entlehnte Generalklausel 132 in Art. 1401 Burgerlijk Wetboek (BW) aF hatte zuvor keinen so weiten Anwendungsbereich wie aus ihrer Formulierung geschlossen werden könnte. 133 Art. 1401 BW aF bestimmte, dass jede rechtswidrige Handlung, durch die ein anderer einen Schaden erleidet, denjenigen, dem dieser Schaden zugerechnet werden kann, zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Die Vorschrift wurde restriktiv ausgelegt. 134 Eine deliktische Handlung lag nur vor, wenn ein absolutes Recht oder eine gesetzlich normierte Pflicht verletzt oder wenn gegen die guten Sitten verstoßen worden war. 135 In der Entscheidung Lindenbaum/Cohen erweiterte der Hoge Raad den Anwendungsbereich des Deliktsrechts deutlich und bot damit ein neues Einsatzgebiet für das kort geding. Seither sieht der Hoge Raad auch Handlungen als deliktisch an, die gegen die zum Schutz anderer Personen und ihrer Güter im Verkehr gebotene Sorgfalt verstoßen. 136 Ein Gesetzentwurf gleichen Inhalts war zum Zeitpunkt dieses Urteils in Entstehung begriffen. Der Entwurf wurde aber, nachdem der Hoge Raad in seinem Urteil die aufgestellten Kriterien zur Änderung der Lehre von der unerlaubten Handlung übernommen hatte, nicht weiter verfolgt. 137 Kodifiziert wurde die Ausdehnung der als unerlaubte Handlung angesehenen Verhaltensweisen 129
Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 228; Verkade, NJ 2000, 3283 f. Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5768 (1986), 25, 28; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 228. 131 Hoge Raad vom 31.1.1919, NJ 1919, S. 161. 132 Asser/Hartkamp/Sieburgh, Verbintenissenrecht, Deel IV, S. 37; van Dunné, Verbintenissenrecht, Deel 2, S. 130. 133 van Dunné, Verbintenissenrecht, Deel 2, S. 132. 134 Asser/Hartkamp/Sieburgh, Verbintenissenrecht, Deel IV, S. 36; van Dunné, Verbintenissenrecht, Deel 2, S. 132. 135 van Dunné, Verbintenissenrecht, Deel 2, S. 132. 136 Hoge Raad vom 31.1.1919, NJ 1919, S. 161, 163. 137 Asser/Hartkamp/Sieburgh, Verbintenissenrecht, Deel IV, S. 40 f.; van Dunné, Verbintenissenrecht, Deel 2, S. 130. 130
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erst über 70 Jahre später in dem seit 1992 geltenden Art. 6:162 Abs. 2 BW. 138 Seit Anfang des 20. Jahrhunderts erkennt die Rechtsprechung zudem an, dass im Deliktsrecht nicht nur Schadensersatz, sondern auch das Ge- oder Verbot einer bestimmten Verhaltensweise gefordert werden kann. 139 Es wurde daher möglich, schon im Falle drohenden unrechtmäßigen Handelns auf Unterlassung zu klagen. 140 In derartigen Angelegenheiten bietet es sich besonders an, auf das kort geding zurückzugreifen, weil meist eine schnelle Entscheidung notwendig ist. So ist es auch zu erklären, dass sich ein großer Anteil von korte gedingen mit Unterlassungsansprüchen befasst. 141 c) Kodifizierung des Zwangsgeldes Ein weiterer Grund für eine zunehmende Anzahl von korte gedingen war die Kodifizierung des Zwangsgeldes (dwangsom) in Art. 611a und b 142 WBRv aF im Jahr 1933. 143 Die Richter konnten ihre Ge- oder Verbote in der Folgezeit mit einer effektiven Sanktion verbinden, was die Durchsetzbarkeit vorläufiger Maßnahmen verbesserte. 144 Das Zwangsgeld ist an den Gläubiger zu zahlen. 145 Eine Anrechnung auf den originären Zahlungsanspruch oder einen Schadensersatzanspruch wegen Nichterfüllung erfolgt nicht. 146 Vor Einführung der Art. 611a und b WBRv aF bestand Uneinigkeit über den Charakter des Zwangsgeldes. Kontrovers diskutiert wurde, ob es sich um eine Vollstreckungsmaßnahme oder um eine Geldstrafe handelte. Die neuen Vorschriften brachten Klarheit darüber, dass das Zwangsgeld als Maßnahme der Vollstreckung einzuordnen ist. 147 Die zuvor mangels gesetzlicher Regelung gebräuchlichen Hilfskonstruktionen, die sich ähnlich 138
van Dunné, Verbintenissenrecht, Deel 2, S. 130; Spier/Hartlief/van Maanen/Vriesendorp, S. 27 f. 139 Hoge Raad vom 13.11.1914, NJ 1915, S. 98, 99; Hoge Raad vom 18.8.1944, NJ 1944/45, Nr. 598. 140 Wie vorige Fn. 141 Verheugt, S. 375. 142 Beide Artikel eingefügt durch das Wet van 29.12.1932 betreffende beslag op roerende goederen in door derden in gebruik gegeven ruimten, lijfsdwang en dwangsom, in Kraft getreten am 1.4.1933, Stb. 1932, 676. 143 Bots, S. 99; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 135; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 228; Verheugt, S. 375. Einen guten Überblick über die niederländischen Regelungen sowie einen ausführlichen Vergleich mit anderen Rechtsordnungen bietet Jongbloed, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 193 ff. 144 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 228. 145 Schack, IZVR5, Rn. 1080; Schlosser, IPRax 2009, 416, 417. 146 Schlosser, IPRax 2009, 416, 417. 147 Jongbloed, Dwangsom, S. 8.
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wie ein Zwangsgeld auswirkten, wurden überflüssig. Insbesondere konnte in vielen Fällen auf die Anordnung des persönlichen Arrests verzichtet werden. 148 d) Einführung der Prozesskostenhilfe Ein weiterer Schritt, dem das kort geding zunehmende Bedeutung verdankte, war die Einführung der Prozesskostenhilfe im Jahr 1957. 149 Gemäß Art. 18 Abs. 2 Grondwet (im Folgenden: Gw) in Verbindung mit dem Wet op de Rechtsbijstand kann jedem Niederländer, dessen Vermögensverhältnisse eine gerichtliche Durchsetzung seiner Rechte mit anwaltlicher Hilfe nicht zulassen, unter bestimmten Voraussetzungen in einem Rechtsstreit ein Rechtsanwalt beigeordnet werden. Diese Möglichkeit bewirkte einen Anstieg von korte gedingen im Familien-, Ausländer-, Arbeits- und Mietrecht, weil hier häufig eine schnelle Entscheidung notwendig ist, aber kein hohes Prozesskostenrisiko in Kauf genommen werden kann. 150 e) Einsatz bei Streiks und in gesellschaftlichen Notlagen In den 1970er und 1980er Jahren gelangte das kort geding in den Fokus des gesellschaftlichen Interesses. 151 Das kort geding wurde in der juristischen Fachliteratur, aber auch in den Massenmedien propagiert. 152 Die mündliche Verhandlung, die im kort geding die langwierigen Schriftwechsel des ordentlichen Verfahrens teilweise ersetzt, eignet sich für eine medienwirksame Inszenierung. 153 Lobbygruppen wählten das Verfahren deshalb
148
Jongbloed, Dwangsom, S. 8 f. Wet op de rechtsbijstand aan on- en mindervermogenden van 4 juli 1957, Stb. 1957, 233. Zu den Auswirkungen der Einführung der Prozesskostenhilfe auf das kort geding Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 16; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-TakSen, Rechters over het kort geding, S. 83, 93. Die Kostentragungspflicht im Zivilprozess ist in Art. 237–245 WBRv geregelt. Gemäß Art. 237 Abs. 1 Satz 1 WBRv trägt grundsätzlich die unterlegene Partei die Kosten. De facto muss die obsiegende Partei aber regelmäßig für einen Teil ihrer Anwaltskosten selbst aufkommen, weil die Anwaltskosten nach einer Tabelle ermittelt werden und die tatsächlich anfallenden Kosten diesen Pauschalbetrag meist übersteigen. Janssen, Inleiding procesrecht, S. 42 f. 150 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 16. 151 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 15. Siehe auch die Tabelle für 1970–1988 bei Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 130. 152 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 130. 153 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 115; Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 50. 149
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gern. 154 Oftmals wurde das kort geding auch bei Streiks 155 oder im Kontext mit „unrechtmäßigem Wohnen“ eingesetzt. So betrafen im Bezirk der Rechtbank Amsterdam 12% der korte gedingen in den Jahren 1987/88 Hausbesetzungen. 156 Streitigkeiten, denen Gesetzgeber und Verwaltung manchmal vergleichsweise hilflos gegenüber zu stehen scheinen, kann der Richter im kort geding erfolgreich schlichten. 157 Selbst bei akuten gesellschaftlichen Problemen, die der Gesetzgeber aufgrund parteipolitischer Zerrissenheit unter Umständen nicht zu lösen vermag, ist es mittels des kort geding schnell und effektiv möglich, politischen Druck abzubauen. 158 Dies gilt insbesondere bei neuartigen Konflikten, für die noch keine hergebrachten Lösungen existieren. 159 Hintergrund dieser Flexibilität ist der Umstand, dass der Richter im kort geding besonderes Gewicht auf die Abwägung der Interessen der Parteien legen kann. 160 3. Große Bedeutung des heutigen kort geding Die vielfältigen Faktoren, die dem kort geding zu einem Bedeutungswachstum verhalfen, beeinflussen noch heute seine Relevanz. Das kort geding verdankt ihnen zu einem großen Anteil seine jetzige Rolle im System des niederländischen Prozessrechts. Die knappe Regelung des kort geding in Art. 254–259 WBRv steht in keinem Verhältnis zur heute sehr großen Bedeutung des Rechtsinstituts im niederländischen Prozessrecht 161. a) Quantitative Bedeutung Auf den ersten Blick könnte der Bedeutungsanstieg aus dem Wachstum der Verfahrenszahlen abgeleitet werden. 162 Im Zeitraum von 1900 bis 1972 154
Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 50. Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 15. 156 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114. 157 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 16. 158 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 16. 159 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114. 160 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 16; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230. 161 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1; Meijknecht, ZZP Int. 5 (2000), 209, 216; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 3 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296. 162 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296 f.; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 228. 155
C. Bedeutung
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wuchs die Zahl der Verfahren von 19 auf etwa 2500 pro Jahr. 163 1980 wurden über 4500 Urteile im kort geding ausgesprochen, 1985 waren es bereits über 5.600 und 1990 mit knapp 11.000 fast doppelt so viele, 1992 ergingen sogar 14.675 Entscheidungen im kort geding. 164 Im Zeitraum von 1995–2002 belief sich die Zahl der bei den Rechtbanken erlassenen Urteile pro Jahr dann allerdings nur noch auf circa 9.000. 165 In den Jahren 2003– 2007 wurden bei den Rechtbanken durchschnittlich rund 8.000 kort geding-Urteile erlassen. 166 Gemessen an den absoluten Zahlen war die Popularität des kort geding also Anfang der 1990er Jahre am größten. Die spätere Abnahme erklärt sich damit, dass nach der Einführung des Algemene wet bestuursrecht (Awb) 167 verkürzte Verfahren zum Ausländerrecht bei den Rechtbanken vom Sektor für Verwaltungsrecht behandelt wurden. 168 Gleichwohl zeigen die Zahlen über einen langen Zeitraum einen kontinuierlichen Anstieg der verkürzten Verfahren auf dem Gebiet des Zivilrechts. Im Verhältnis zur Anzahl der ordentlichen Verfahren bleibt die Anzahl der vorläufigen Verfahren dennoch gering. Handelte es sich in den Jahren 1995–2002 um circa 3% der erledigten Verfahren bei den Rechtbanken 169, so sank der Anteil der abgeschlossenen kort geding-Verfahren in den Jahren 2003–2007 aufgrund eines sprunghaften Anstiegs der Hauptsacheverfahren auf unter 1% 170. 163
Bots, S. 99; Blaauw, NJB 1981, 329; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 228 Fn. 7. 164 van den Haak, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 51, 56. 165 1995: 9.600, 1998: 9.300, 1999: 9.300, 2000: 9.200, 2001: 8.500, 2002: 9.000, Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek, Rechtspraak in Nederland 2002, S. 24 (http://www. cbs.nl /NR/rdonlyres/6734573E-3908-475D-8B6E-5D2B217E0169/0/rechtspraak2002.pdf). 166 Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek, Rechtspraak in Nederland 2007, S. 37 (http://www.cbs.nl/NR/rdonlyres/A4E15A44-154F-4B9A-8D47-20FDE0F95C6F/0/2007 w37pub.pdf). 167 Wet van 4 juni 1992, houdende algemene regels van bestuursrecht (Gesetz zum Allgemeinen Verwaltungsrecht, Erster Abschnitt), Stb. 1992, 315, gemäß Art. VII Overgangs- en Slotbepalingen Awb in Kraft seit 1.1.1994. 168 Centraal Bureau voor de Statistiek, Rechtspraak in Nederland 2002, S. 24 (http://www. cbs.nl/NR/rdonlyres/6734573E-3908-475D-8B6E-5D2B217E0169/0/rechtspraak 2002.pdf). 169 1995: 9.600 korte gedingen im Verhältnis zu 250.500 ordentlichen Verfahren vor den Rechtbanken, 1998: 9.300 zu 261.500, 1999: 9.300 zu 272.400, 2000: 9.200 zu 265.600, 2001: 8.500 zu 283.900, 2002: 9.000 zu 287.000, Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek, Rechtspraak in Nederland 2002, S. 24 (http://www.cbs.nl/NR/rdonlyres/6734573E-3908-475 D-8B6E-5D2B217E0169/0/rechtspraak2002.pdf). 170 2003: 8.000 korte gedingen im Verhältnis zu 350.800 ordentlichen Verfahren vor den Rechtbanken, 2004: 8.000 zu 416.900, 2005: 8.000 zu 431.000, 2006: 8.000 zu 419.700, 2007: 8.000 zu 415.800, Quelle: Centraal Bureau voor de Statistiek, Rechtspraak in Nederland 2007, S. 37 (http://www.cbs.nl/NR/rdonlyres/A4E15A44-154F-4B9A-8D47-20FDE0F9 5C6F/0/2007w37pub.pdf).
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
b) Qualitative Bedeutung Die heute wichtige Rolle des kort geding im niederländischen Prozessrecht lässt sich aber an anderen als quantitativen Faktoren messen. Ein entscheidender Aspekt ist, dass das kort geding auf die Rechtsschutzbedürfnisse der modernen, schnelllebigen Gesellschaft zugeschnitten ist, die hohe Kosten und eine lange Verfahrensdauer scheut. 171 Das kort geding ist im Vergleich zum ordentlichen Verfahren informeller und zügiger. 172 Die Möglichkeit, im Falle von Streitigkeiten kurzfristig und unkompliziert einen Titel erlangen zu können, soll sogar ausländische Investoren angezogen und damit die Wirtschaftskraft in den Niederlanden gestärkt haben. 173 Ein einfaches Beispiel illustriert einen alltäglichen Anwendungsfall des kort geding: Ein Unternehmen hat eine neue Maschine gekauft und in Betrieb genommen. Die Bezahlung ist mit der Begründung unterblieben, die Maschine verarbeite weniger als die vereinbarte Stückzahl von Produkten. Bleibt die Zahlung auch nach mehreren Aufforderungen weiter aus, dann muss der Verkäufer entscheiden, ob er ein Hauptsacheverfahren oder ein kort geding einleiten will. Das Hauptsacheverfahren beginnt mit einer fristgerechten Ladung des Beklagten zu einer Vorverhandlung, in der die Parteien Schriftsätze austauschen. Weitere Schriftwechsel können in der eigentlichen Verhandlung folgen, in der die Anwälte auch die Gelegenheit haben zu plädieren. Sofern erforderlich, findet zudem eine Beweisaufnahme statt. Ein kort geding wird demgegenüber meist in einer einzigen Sitzung und ohne viele Schriftsätze abgewickelt. Frist- und Formvorgaben spielen eine untergeordnete Rolle. Deshalb kann eine Entscheidung, anders als im ordentlichen Verfahren, schon nach wenigen Stunden, Tagen oder Wochen ergehen. 174 Je länger ein Verfahren dauert, desto länger trägt der Verkäufer das Insolvenzrisiko des Käufers, erhält im Falle der Rückabwicklung eine abgenutzte Maschine zurück, die deutlich an Wert verloren hat und kann das ihm geschuldete Geld selbst nicht gewinnbringend einsetzen. Welches Verfahren der Gläubiger in diesem und vielen anderen Fällen bevorzugen wird, dürfte damit offenkundig sein. 171 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 128; Bots, S. 103; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1; Snijders, in: Chorus/Gerver/Hondius, Introduction to Dutch Law, S. 266. 172 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 2; Snijders, in: Chorus/Gerver/ Hondius, Introduction to Dutch Law, S. 266. 173 Lange, NJB 1999, 157, 161. 174 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 128; Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1981, 419; Snijders/Ynzonides/ Meijer, S. 304.
C. Bedeutung
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Aufgrund des Selbstverständnisses der Beteiligten von der Bedeutung des kort geding konnte es dazu kommen, dass das kort geding – wenn es durchgeführt wird – faktisch die Funktion der Hauptsache übernimmt. 175 Auf 95% aller verkürzten Verfahren folgt kein Hauptsacheverfahren mehr 176, weil sich die Parteien mit der ergangenen Entscheidung begnügen. In diesem Fall wird aus der vorläufigen Regelung eine endgültige und das kort geding verdrängt die Hauptsache. 177 Die kort geding-Entscheidungen werden als vollwertige Form der Rechtsprechung anerkannt. 178 An dieser nicht unproblematischen Entwicklung zeigt sich ebenso die Bedeutung des verkürzten Verfahrens wie daran, dass auf diesem Wege rechtlich oder gesellschaftlich wichtige Angelegenheiten behandelt 179 und über hohe Werte entschieden werden kann 180. Die Aufmerksamkeit, mit der das kort geding in den letzten 20 Jahren bedacht wurde, spiegelt sich auch in Literatur 181 und Rechtsprechung 182 wider. 175 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, TREMA 1991, 306; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 297. 176 Freudenthal, in: Hess, Study JAI A3/02/2000, Nationale Berichte: Niederlande, 3.8; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 177 Keijser/Tjoen-Tak-Sen, TREMA 1991, 306; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 297. 178 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 2. 179 Bots, S. 101; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 297. Zum Beispiel kann der kort gedingRichter über ein Streikverbot in einem staatlichen Unternehmen mit vielen Mitarbeitern entscheiden. Van den Biesen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 32, 37. 180 Eine Forderung von 31,9 Mio. Gulden ist hierbei nicht außergewöhnlich, vgl. Hoge Raad vom 7.12.1990, NJ 1991, Nr. 308. 181 Nur einige Beispiele: Asscher u.a., Onverwijlde Spoed, 1987; Blaauw, NJB 1981, 329; Bruinsma, Korte gedingen, Een rechtssociologisch verslaag, 1995; Demeyere, RW 1999– 2000, 1353; Giesen, NJB 1998, 1629; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, 1993; Keijser/ Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, 1994; Kramer, Het kort geding in internationaal perspectief, 2001; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, 2002; van Haersolte/van Hof, NTER 1999, 63. 182 Seit 1981 wird die Zeitschrift „Kort geding“ herausgegeben, die ausschließlich im kort geding ergangene Entscheidungen abdruckt. Wichtige Urteile zum kort geding in den letzten 20 Jahren waren u. a.: Hoge Raad vom 16.11.1984, NJ 1985, Nr. 547 (Ciba Geigy/Voorbraak); Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84 (M’Barek/Van der Vloot); Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434 (Kempkes/Samson); Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659 (Vredo/Veenhuis); Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213 (Kloes/Fransman); Hoge Raad vom 15.1.1995, NJ 1996, Nr. 509 (Procter & Gamble/Kimberley-Clarke); Hoge Raad vom 15.5.1998, NJ 1999, Nr. 569 (Grebe/Tuinbouw Aankoopvereniging); Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489 (HBS Trading/Danestyle); Hoge Raad vom 23.1.1998, NJ 2000, Nr. 544 (Kruidvat/Lancôme); Hoge Raad vom 30.6.2000, NJ 2001, Nr. 389; Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395 (Arbeidsvoorzieningsorganisatie/TMU-CROY Consultants).
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
4. Zukünftige Bedeutung In Zukunft könnte die Bedeutung des kort geding zurückgehen, falls die mit der Prozessrechtsreform von 2002 verfolgten Ziele eines schnelleren, effizienteren und einfacheren Hauptsacheverfahrens 183 weiter umgesetzt werden und das ordentliche Verfahren langfristig einige Vorzüge des kort geding adaptiert. 184 Wenn diese Entwicklung fortschreitet, könnten die Parteien das Hauptsacheverfahren dem vorläufigen Verfahren wieder vorziehen, weil jenes eine endgültige Entscheidung und damit größere Rechtssicherheit verspricht. Hinzu kommt, dass sich das kort geding nicht nur der Konkurrenz des Hauptsacheverfahrens im Inland stellen, sondern auch den internationalen Entwicklungen im einstweiligen Rechtsschutz standhalten muss. Eigenarten des kort geding, die im europäischen Recht nicht haltbar erscheinen, können nicht um jeden Preis bewahrt werden. Der EuGH hat in den Entscheidungen van Uden und Mietz 185 gezeigt, dass er eine Modifizierung des niederländischen Rechtsinstitutes für geboten hält. Zwar wird in der niederländischen Literatur angenommen, dass die Entscheidungen van Uden und Mietz zu keiner wesentlichen Einschränkung des kort geding führen werden. 186 Es bleibt aber abzuwarten, inwieweit eine Entfremdung des kort geding von seinen Wurzeln 187 fortschreiten wird. II. Bedeutung der Leistungsverfügung Wie beim kort geding ist bei einstweiligen Verfahren nach deutschem Recht eine im Verhältnis zum ordentlichen Verfahren geringe quantitative Bedeutung festzustellen. Die Leistungsverfügung erlangt allerdings ebenfalls zunehmend Bedeutung als Ersatz für den Hauptsacheprozess. 188
183
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 4 ff. Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 48; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1 und 11. Die Vorzüge des kort geding auf das ordentliche Verfahren zu übertragen, schlugen bereits van Breda, NJB 1993, 1197 ff., und Brenninkmeijer, Advocatenblad 1993, 434 ff., vor. Van Breda, aaO, mutmaßte darüber hinaus, dass der Einsatz des kort geding infolgedessen zurückgehen werde. 185 EuGHE 1998, 7091 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 – Mietz/Intership Yachting. 186 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 349 und 362. 187 Beklagt von Heemskerk, NJ 1990, 1695 f. 188 Jauernig/Berger, § 34 Rn. 5. 184
C. Bedeutung
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1. Quantitative Bedeutung Das Verhältnis der einstweiligen Verfahren zu den Hauptsacheverfahren zeigt ähnlich niedrige Zahlen für Arrest und einstweilige Verfügung 189 wie sie beim Vergleich der korte gedingen und der ordentlichen Zivilprozesse in den Niederlanden zu erkennen waren. Anders als beim kort geding ist bei den einstweiligen Verfahren des deutschen Rechts im Verlauf des 20. Jahrhunderts aber keine kontinuierliche Zunahme festzustellen. 190 Spitzen gab es lediglich in Zeiten wirtschaftlicher Krisen Anfang der 1920er und der 1930er Jahre. 191 Von 1957 bis 1969 sank die Zahl der einstweiligen Verfahren vor den Amtsgerichten von fast 54.000 auf rund 30.000 Verfahren. 192 Bis 1995 pendelten sich die Zahlen auf 32.000 bis 40.000 Verfahren pro Jahr ein und schwankten dann bis zum Jahr 1999 zwischen 41.000 und 46.000. Im Zeitraum von 1957–1999 verringerte sich der Anteil einstweiliger Verfahren im Vergleich zu den Hauptsacheprozessen von 6,3 auf 2,8%. 193 2007 wurden vor den Amtsgerichten insgesamt 52.413 Arrest- oder einstweilige Verfügungsverfahren abgeschlossen. Dabei handelte es sich um 4,1% der zivilprozessualen Streitigkeiten. 194 Bei den Landgerichten zeigt die Statistik von 1957–1969 zwischen 9.800 und 15.400 Verfahren pro Jahr; bis 1986 stiegen die Verfahrenszahlen auf rund 25.000. 195 Von 1986 bis 1999 bewegten sich die Zahlen zwischen 22.000 und 25.000. 196 Der Anteil der einstweiligen Verfahren im Verhältnis zu den Hauptsacheprozessen fiel von 1957 bis 1999 von 11,54 auf 6,49%. 197 Bei den 27.637 einstweiligen Verfahren im Jahr 2007 handelte es sich um 7,3% der vor den Landgerichten beendeten Zivilsachen. 198 189
Siehe dazu die Tabellen bei Baglietto Bergmann, S. 342 f., und Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, S. 600–607, in denen Angaben des Statistischen Bundesamtes zusammengefasst wurden. Statistische Erhebungen speziell für Leistungsverfügungen sind – soweit ersichtlich – nicht vorhanden. 190 Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 5–9. Eine Übersicht der anhängig gewordenen Verfahren von 1894–1967 findet sich bei Leipold, aaO, S. 226–232. 191 Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 6 (grafische Darstellung) und 7. 192 Siehe dazu die Tabelle bei Baglietto Bergmann, S. 342, und Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, S. 601. 193 Siehe dazu die Tabelle bei Baglietto Bergmann, S. 342. 194 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Zivilgerichte, 2007, Fachserie 10, Reihe 2.1, S. 18 und 22. 195 Siehe dazu die Tabelle bei Baglietto Bergmann, S. 343, und Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, S. 605 f. 196 Tabelle bei Baglietto Bergmann, S. 343. 197 Tabelle bei Baglietto Bergmann, S. 343. 198 Statistisches Bundesamt, Rechtspflege, Zivilgerichte, 2007, Fachserie 10, Reihe 2.1, S. 42 und 46.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Angesichts dieser eher geringen quantitativen Bedeutung kann von einer „Lawine“ 199 von einstweiligen Verfahren, die Ende der 1960er Jahre befürchtet wurde, heute kaum gesprochen werden. Bedauerlicherweise fehlen gesicherte Erkenntnisse zum Verhältnis der unterschiedlichen Arten des einstweiligen Rechtsschutzes untereinander, weil die amtlichen Statistiken zwischen ihnen nicht differenzieren. 200 Bekannt ist immerhin, dass die einstweilige Verfügung in der gerichtlichen Praxis wichtiger ist als der Arrest. 201 Im Rahmen von einstweiligen Verfügungen wird zudem eine Verlagerung des einstweiligen Rechtsschutzes vom Sicherungs- ins Befriedigungsstadium beobachtet. 202 2. Qualitative Bedeutung Die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes im deutschen Zivilprozessrecht kann nicht nur vom quantitativen Blickwinkel aus betrachtet werden. Sie ist in gleicher Weise am qualitativen Stellenwert des einstweiligen Rechtsschutzes zu messen. Insoweit wird die Bedeutung des einstweiligen Rechtsschutzes weiterhin für hoch befunden. 203 Grund hierfür ist u. a. die Tatsache, dass der einstweilige Rechtsschutz in Form von Leistungsverfügungen endgültige Wirkung zeigen kann. In diesen Fällen handelt es sich bei den einstweiligen Verfahren nicht um einen revisiblen Zwischenschritt. 204 Die einstweiligen Verfahren beschränken sich nicht darauf, den Hauptsacherechtsschutz zu sichern oder zu ergänzen. Sie treten vielmehr an dessen Stelle. 205 In bestimmten Rechtsgebieten haben Leistungsverfügungen eine besondere Popularität erreicht, weil hier nur Maßnahmen mit vorläufiger Befriedigungswirkung effektiven Rechtsschutz versprechen. So werden Leistungsverfügungen etwa im Unterhalts-, Arbeits- und Wettbewerbsrecht häufig eingesetzt. 206 Im Unterhaltsrecht dominieren dabei auf Zahlung gerichtete Verfügungen, im Wettbewerbsrecht hingegen Unterlassungsverfügungen. Im Arbeitsrecht kommen sowohl auf Unterlassung als auch auf 199
Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 2. Ähnlich Wenzel, MDR 1967, 889: Einstweiliger Rechtsschutz werde in einem „früher kaum geahnten Ausmaß“ gefordert. 200 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 21 und 137. 201 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 50.3; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 7, 21 und 138; Zhou, S. 32. 202 Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 62 ff.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 140. 203 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.2; Jauernig/Berger, § 34 Rn. 5. 204 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 32. 205 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 32. 206 Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1141; Grunsky, JuS 1976, 277, 278; Jestaedt, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap. 43 Rn. 1–3; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 36 und 138.
D. Gesetzliche Regelung
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Leistung gerichtete Verfügungen zum Einsatz. 207 Während die Befriedigungsverfügungen im Arbeits- und Wettbewerbsrecht nach wie vor eine bedeutende Rolle spielen 208, haben in Unterhaltssachen speziellere einstweilige Anordnungen gemäß §§ 246 ff. FamFG (vormals zum Beispiel § 641c und § 644 ZPO) die Leistungsverfügung inzwischen weitgehend verdrängt 209. Die beim kort geding festzustellende sozialpolitische Relevanz, welche sich nicht zuletzt im Medienecho widerspiegelt, haben in Deutschland vornehmlich Leistungsverfügungen im Arbeitsrecht, weil beispielsweise kollektivrechtliche Streitigkeiten erhebliche Breitenwirkung entfalten können. 210
D. Gesetzliche Regelung D. Gesetzliche Regelung
Während sich zum kort geding ein Abschnitt im WBRv findet, existieren für die Leistungsverfügung, mit Ausnahme einiger Spezialvorschriften, keine gesetzlichen Bestimmungen. I. Gesetzliche Regelung des kort geding Die Grundregeln zum kort geding, die das Verfahren nachhaltig prägen, sind Art. 254–259 WBRv. Für einige Sonderfälle gelten spezielle Regelungen. Treten im kort geding Rechtsfragen auf, die nicht ausdrücklich normiert wurden, so muss geprüft werden, ob auf Vorschriften zum ordentlichen Verfahren zurückgegriffen werden kann. 1. Grundregeln in Art. 254–259 WBRv Die zentrale Norm des Abschnitts zum kort geding ist Art. 254 Abs. 1 WBRv. Nach ihrem Wortlaut handelt es sich um eine Zuständigkeitsregel, die gleichzeitig die Grundvoraussetzungen des kort geding vorgibt. Demgemäß ist der mit vorläufigen Verfahren betraute Richter in allen eilbedürftigen Fällen, in denen sich nach Abwägung der Parteiinteressen eine einstweilige Maßnahme als notwendig erweist, zuständig, diese zu erlassen.
207
Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 36. Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 46; Jestaedt, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, S. 888 f.; Mossler, S. 15; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 36 und 138; Wannenmacher, S. 37. 209 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 22; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1138; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 38; Mossler, S. 15 f. 210 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 33–36. 208
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Art. 254 Abs. 2 und 3 WBRv präzisieren die formalen Anforderungen an die mündliche Verhandlung. Danach legt der Richter auf Antrag einer Partei Tag und Uhrzeit der Verhandlung in einer Ladung fest. Die Sitzung kann sogar sonntags einberufen werden. Auch ist es möglich, hierfür einen anderen Ort als das Gerichtsgebäude zu bestimmen. Dem Richter steht es zudem frei, die Ladung mit Bedingungen für den Kläger zu versehen, die sich ggf. aus der Ladung ergeben müssen. Entbehrlich ist eine vorausgehende Bestimmung von Zeit und Ort, wenn die Sache in einer Verhandlung angebracht wird, die der zuständige Richter an eigens für verkürzte Verfahren eingerichteten festen Sitzungstagen abhält. Art. 254 Abs. 4 WBRv aF erklärte statt des grundsätzlich mit verkürzten Verfahren beschäftigten Richters der Rechtbank den Kantonrichter in den Fällen des Art. 93 WBRv, also denjenigen, die vor dem Kantongericht verhandelt werden, für zuständig. Mit Wirkung zum 15. Oktober 2005 wurde Art. 254 Abs. 4 WBRv dahin umformuliert, dass der Kantonrichter in allen Sachen, die er in der Hauptsache entscheidet, auch für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig ist. 211 Dabei sollen auf den Kantonrichter die Vorschriften anwendbar sein, die für den Eilrichter der Rechtbank gelten. Art. 255 WBRv behandelt die anwaltliche Vertretung der Parteien. Nach Abs. 1 kann der Beklagte das kort geding in den Angelegenheiten des Art. 79 Abs. 2 Satz 1 WBRv, in denen normalerweise Anwaltszwang herrscht, in eigener Person oder vertreten durch einen Rechtsanwalt führen. Unzulässig ist die Vertretung durch einen Bevollmächtigten, der kein Anwalt ist. Nach Art. 255 Abs. 2 WBRv können die Parteien auch freiwillig zur Verhandlung erscheinen. In diesem Fall findet Abs. 1 ebenfalls Anwendung. Gemäß Abs. 3 können beide Parteien in verkürzten Verfahren, die nicht mit einer Ladung beginnen, wählen, ob sie sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen oder persönlich prozessieren. Ein Bevollmächtigter, der kein Anwalt ist, darf die Vertretung jedoch nicht übernehmen. Vor dem 15. Oktober 2005 richtete sich Art. 255 Abs. 3 WBRv nicht an beide Parteien, sondern lediglich an den Kläger. Aus Art. 256 WBRv geht hervor, dass der Richter den Erlass einer einstweiligen Maßnahme ablehnen kann, wenn er die Sache für nicht geeignet hält, im kort geding entschieden zu werden. Art. 257 WBRv beschäftigt sich mit dem Verhältnis des kort geding zur Hauptsache und besagt, dass die vorläufigen Entscheidungen keinen Nachteil für die Hauptsache mit sich bringen.
211 Art. VII Wet van 8 september 2005 tot aanpassing van enkele onderdelen van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering en enige andere wetten in verband met het nieuwe procesrecht, Stb. 2005, 455.
D. Gesetzliche Regelung
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Gemäß Art. 258 WBRv kann der zuständige Richter seine Entscheidung von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklären. Ein Einspruch gegen ein im kort geding ergangenes Versäumnisurteil muss nach Art. 259 Satz 1 WBRv gegenüber dem Eilrichter erklärt werden. Dabei war nach dem bis 14. Oktober 2005 geltenden Satz 2 Art. 79 WBRv anwendbar. Dieser sah vor, dass die Parteien grundsätzlich anwaltlich vertreten sein mussten, es sei denn, sie traten vor einem Kantonrichter auf. Nunmehr bestimmt Art. 259 Satz 2, dass Art. 255 Abs. 1 WBRv nicht anwendbar ist, was bedeutet, dass auch der Beklagte nicht persönlich prozessieren kann, sondern sich stets durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen muss. Bereits bei der ersten Beschäftigung mit den Grundregeln zum kort geding fällt auf, dass das Verfahren im Gesetz weder vollständig noch in systematisch aufbereiteter Form dargestellt wird. Zwar ergeben sich die essentiellen, charakterbildenden Merkmale des Verfahrens, wie zum Beispiel die Eilbedürftigkeit der vorläufigen Maßnahme, insbesondere aus Art. 254 Abs. 1 WBRv. Außerdem wurden Vorschriften mit Bezug zu anderen Bereichen in die kort geding-Regelungen eingearbeitet 212, damit dieser Abschnitt die das kort geding betreffenden Vorschriften zusammenfasst 213. Dennoch bleibt die gesetzliche Ausgestaltung des kort geding fragmentarisch. Es fehlt beispielsweise ein Anhaltspunkt dafür, welche Fälle überhaupt Gegenstand eines verkürzten Verfahrens sein können. Auch ist der Ablauf des Verfahrens kaum reglementiert. Darüber hinaus bietet der Wortlaut der gesetzlichen Regelungen Raum für unterschiedliche Interpretationen, so dass etwa das Verhältnis des kort geding zur Hauptsache nicht einheitlich beurteilt wird. 214 Die Unklarheiten und Lücken werden von der Rechtsprechung durch Auslegung und die entsprechende Anwendung anderer Vorschriften geschlossen. Eine präzisere Regelung hätte demgegenüber zwar den Vorteil höherer Rechtssicherheit. Sie würde dem vorläufigen Verfahren jedoch seine Flexibilität nehmen. Diese Flexibilität ist wichtig, damit das Verfahren den Bedürfnissen des Einzelfalls gerecht wird und schnelle Entscheidungen in dringenden Fällen nicht verhindert werden. 215 So lässt sich die eher unvollständige Regelung erklären. Manche Lücken werden auch durch Verweisungen auf andere Vorschriften geschlossen. Die Verweisungstechnik erschwert auf den ersten Blick die Rechtsanwendung, doch dienen gemeinsame Regelungen der 212 Zum Beispiel Art. 254 Abs. 4 WBRv, der das kort geding vor dem Kantonrichter behandelt und deshalb auch Bestandteil des Abschnitts über Kantonsachen sein könnte. 213 Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 117. 214 Siehe dazu S. 67. 215 Bots, S. 113.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Einheitlichkeit der Prozessordnung. Das Ziel der Einheitlichkeit betonen auch die jüngsten Reformen, was sich zum Beispiel daran zeigt, dass nunmehr gemäß Art. 254 Abs. 4 WBRv für den Kantonrichter die allgemeinen Vorschriften zum kort geding entsprechend gelten und keine besonderen Regelungen mehr bestehen. 216 Solche eigenen Regeln können Unübersichtlichkeit und teilweise künstliche Unterschiede erzeugen, wo tatsächlich keine Unterschiede sind. Die lückenhafte Darstellung des kort geding ist also auch insoweit nachvollziehbar. Fraglich ist, ob Gleiches für die Tatsache gilt, dass die Regelungen der Art. 254 ff. WBRv wenig systematisch sind. Zuständigkeitsfragen und formelle wie materielle Anforderungen erscheinen an verschiedenen Stellen der Art. 254 ff. WBRv. Infolgedessen fällt es schwer, eine Struktur dieses Abschnitts zu erkennen. Eine grobe Hierarchie der Vorschriften vom Allgemeinen zum Speziellen kristallisiert sich immerhin heraus. So spricht Art. 254 Abs. 1 WBRv eingangs von allen eilbedürftigen Fällen und legt die wichtigsten Voraussetzungen fest. Von einer gewissen Ordnung zeugt auch, dass die erste Norm des Abschnitts die Einleitung des Verfahrens regelt. Abgesehen von Überlegungen zur Vollständigkeit und Systematik zeigt die Betrachtung der kort geding-Regelungen, dass die bloße Lektüre des Gesetzestextes noch kein hinreichend klares Bild des kort geding und seiner Besonderheiten verschaffen kann. Weitere Einblicke sollen im Folgenden vermittelt werden. 2. Spezialregelungen Nicht nur die Grundregeln in Art. 254 ff. WBRv eröffnen die Möglichkeit, ein kort geding durchzuführen. Daneben gibt es einige im Gesetz verstreute Spezialregeln. Zu nennen sind hier beispielhaft Art. 438, 479, 616, 676, 705 und 710 WBRv für die Zwangsvollstreckung und Art. 1051 WBRv für Schiedsverfahren. Gemäß Art. 438 Abs. 2 WBRv können Streitigkeiten in der Zwangsvollstreckung im kort geding entschieden werden. Art. 479 Abs. 2 WBRv lässt die Forderungspfändung gegen den Staat zu, deren Aufhebung im Wege des kort geding gefordert werden kann. Art. 616 Abs. 1 WBRv sieht die Möglichkeit eines kort geding in Streitigkeiten über eine richterlich angeordnete Sicherheitsleistung vor. Auch bei Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Ver- oder Entsiegelung von Gegenständen kann nach Art. 676 WBRv eine im kort geding erlassene einstweilige Maßnahme helfen. Gemäß Art. 705 Abs. 1 WBRv ist es ferner zulässig, im kort geding die Auf216
Eine besondere Regelung für verkürzte Verfahren vor dem Kantongericht war noch Art. 116 WBRv aF, siehe dazu S. 119.
D. Gesetzliche Regelung
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hebung einer Pfändung anzuordnen. Art. 710 WBRv behandelt die Bestellung eines bewind 217 durch richterliche Anordnung im kort geding. Nach Art. 1051 WBRv kann einem Schiedsgericht die Befugnis verliehen werden, im kort geding einstweilige Maßnahmen zu erlassen. 3. Anwendbare Regelungen des ordentlichen Verfahrens Die Sonderregelungen zum kort geding greifen aber nur in den genannten Spezialfällen ein und ändern nichts daran, dass die gesetzliche Ausgestaltung des Verfahrens insgesamt lückenhaft bleibt. Bei der Durchführung eines kort geding stellt sich deshalb öfter die Frage, ob auf die Regelungen zum ordentlichen Verfahren zurückgegriffen werden kann. Eine Antwort hierauf liefert Art. 78 Abs. 1 WBRv, wonach die Normen des zweiten Titels des ersten Buches des WBRv auf alle Fälle anwendbar sind, für welche nicht nach Art. 261 WBRv der dritte Titel gilt. Das kort geding ist in Art. 254–259 WBRv und damit am Ende des zweiten Titels geregelt. Dessen Vorschriften zur dagvaardingsprocedure 218 sind deshalb auf korte gedingen entsprechend anwendbar. Für die dagvaardingsprocedure gelten außerdem die allgemeinen Bestimmungen der Art. 1–77 WBRv, die nach dem Willen des Gesetzgebers ebenfalls auf verkürzte Verfahren Anwendung finden sollen. 219 Grundsätzlich können die Regelungen des ordentlichen Verfahrens also auf korte gedingen übertragen werden. Die entsprechende Anwendung einzelner Vorschriften scheitert allerdings, wenn das Gesetz dies ausdrücklich verbietet, etwas anderes bestimmt oder wenn die Vorschriften mit dem Wesen des kort geding unvereinbar sind. 220 Als unvereinbar angesehen werden zum Beispiel manche Regelungen, die vorgeben, welche Beweismittel zulässig sind, welche Beweiskraft
217
Das Rechtsinstitut bewind ist eine Besonderheit des niederländischen Rechts. Dabei verliert der Berechtigte die Befugnis, bestimmte Vermögensbestandteile zu verwalten und zum Teil auch die Verfügungsbefugnis. An die Stelle des Berechtigten tritt ein Verwalter. Vgl. Mincke, Einführung in das niederländische Recht, Rn. 125. 218 Das WBRv regelt in Titel 2 und 3 die beiden Verfahrensformen der ersten Instanz. Unterschieden wird nach der Form der Verfahrenseinleitung zwischen der dagvaardingsprocedure und der verzoekschriftprocedure. Während erstere gemäß Art. 125 WBRv mit der Zustellung der dagvaarding beginnt, wird letztere mit der verzoekschrift eingeleitet. Die dagvaardingsprocedure ist ein streitiges Verfahren, in dem nach Art. 78 WBRv grundsätzlich alle Sachen behandelt werden. Die verzoekschriftprocedure nach Art. 261 ff. WBRv stellt demgegenüber ein Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit dar. Zu den Unterschieden zwischen beiden Verfahrensarten Stein, Nieuw burgerlijk procesrecht, S. 62. 219 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 22. 220 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 4.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
ihnen zukommt 221 und wie die Beweislast verteilt ist 222. Da im kort geding eine schnelle Entscheidung ergehen soll, würde eine langwierige Beweisaufnahme unter strikter Beachtung aller hierfür maßgeblichen Verfahrensvorschriften zu erheblichen Verzögerungen führen. Auch die aus Art. 149 WBRv herrührende Pflicht, wonach das Gericht nur die von den Parteien dargelegten Tatsachen zur Grundlage seiner Entscheidung machen darf, gilt im kort geding nicht. 223 Diese Regelung bedeutet für den Richter im ordentlichen Verfahren, dass Umstände, von denen er auf anderem Wege als durch das Vorbringen der Parteien oder die förmliche Beweisaufnahme Kenntnis erlangt hat, nicht in seine Beurteilung einfließen dürfen. 224 Im kort geding wird ein Fall in zeitlich und inhaltlich begrenztem Ausmaß untersucht. Die Parteien haben daher nur begrenzte Möglichkeiten, die ihrer Ansicht nach relevanten Tatsachen darzulegen. Damit der kort geding-Richter angesichts der nur summarischen Untersuchung gleichwohl beurteilen kann, ob es notwendig ist, eine einstweilige Maßnahme zu erlassen, gilt die Einschränkung des Art. 149 WBRv im verkürzten Verfahren nicht. Der kort geding-Richter ist also freier in seiner Entscheidung, auf welche Tatsachen er die einstweilige Maßnahme stützt. 225 Die kurze Zeit zwischen Verhandlung und Entscheidung bringt es ferner mit sich, dass an die Begründung einer Entscheidung im kort geding geringere Anforderungen gestellt werden als an die Begründung eines Urteils im ordentlichen Verfahren. 226 Eine ausführlichere Begründung verlangt der Hoge Raad ausnahmsweise, wenn der Beklagte im kort geding zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt wird. Die Umstände, die eine unverzügliche Entscheidung erfordern, müssen in diesem Fall genau dargelegt werden. 227 Anders als ein Urteil im ordentlichen Verfahren kann eine Entscheidung im kort geding außerdem nicht gemäß Art. 236 WBRv materiell rechtskräftig werden. Die Bindungswirkung einer materiell rechtskräftigen Ent221 Hoge Raad vom 19.12.1958, NJ 1959, Nr. 127; Hoge Raad vom 31.1.1975, NJ 1976, Nr. 146; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Stein/ Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234. 222 Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682; Giesen, NJB 1998, 1629; Snijders/ Ynzonides/Meijer, S. 303. 223 Hoge Raad vom 21.4.1978, NJ 1979, Nr. 194; Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682. 224 Morée, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 149 Nr. 2 a). 225 Hoge Raad vom 21.4.1978, NJ 1979, Nr. 194. 226 Hoge Raad vom 14.6.1996, NJ 1997, Nr. 481; Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682. 227 Hoge Raad vom 22.1.1982, NJ 1982, Nr. 505; Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489.
D. Gesetzliche Regelung
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scheidung wäre nach Auffassung des Hoge Raad nicht mit der Vorläufigkeit einstweiliger Maßnahmen im kort geding vereinbar 228. II. Keine gesetzliche Regelung der Leistungsverfügung Die Vorschriften zum kort geding sind von einer umfassenden, eigenständigen Regelung also weit entfernt, obwohl das WBRv dem Verfahren einen ganzen Abschnitt widmet. Die Leistungsverfügung ihrerseits hat, abgesehen von einigen Spezialvorschriften wie zum Beispiel § 246 FamFG (§ 620 Nr. 4 und 6, § 641d, § 644 ZPO aF) und § 247 FamFG (§ 1615 o BGB aF) 229, keine positivrechtliche Grundlage. Anders als bei der Sicherungsverfügung in § 935 und der Regelungsverfügung in § 940 ZPO handelt es sich bei der Leistungsverfügung vielmehr um ein Konstrukt der Rechtsprechung. 230 Auch außerhalb der gesetzlichen Spezialregelungen ist die Existenz der Leistungsverfügung aber allgemein anerkannt. 231 Ihre Einordnung ist dennoch nach wie vor umstritten. Teilweise wird die Leistungsverfügung als eigene dritte Art der einstweiligen Verfügung neben der Sicherungs- und der Regelungsverfügung verstanden. 232 Teilweise wird sie als Unterfall der Regelungsverfügung angesehen. 233 Die Ursache für die letztgenannte Auffassung liegt darin begründet, dass Leistungsverfügungen von Sicherungsverfügungen klar unterscheidbar sind, von Regelungsverfügungen hingegen nicht. 234 Auch Regelungsverfügungen können zur vorläufigen Befrie-
228
Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213. Ferner zum Beispiel § 12 Abs. 2 UWG, § 101a Abs. 3 UrhG, § 85 PatG, § 20 GebrMG iVm § 85 PatG, § 19 Abs. 7 MarkenG, § 46 Abs. 7 GeschmMG, § 37b Abs. 7 SortenSchG. 230 Zur Entstehung des Typus der Leistungsverfügung siehe S. 37. 231 RGZ 9, 334, 336; BGHZ 40, 367, 378 f.; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 32 f.; Brox/Walker, Rn. 1608; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 4; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 31 ff.; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 108 ff.; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 50 ff.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 2; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 84 ff. 232 RGZ 55, 140, 142 ff.; BGH NJW 1965, 915; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 2 Rn. 16; Brox/Walker, Rn. 1607; Compensis, S. 63; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 31; Huber, in: Musielak, ZPO, § 935 Rn. 2; Jauernig/Berger, § 34 Rn. 3; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 119; Prütting/Stickelbrock, § 46 I 3; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 29; Stein, Grundriß Zivilprozeßrecht, S. 331; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 2. 233 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 32; Blomeyer, ZZP 65 (1952), 52, 65; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 10; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 160 f.; Schuler, NJW 1959, 1801 f. 234 Brox/Walker, Rn. 1607. 229
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
digung führen. 235 Wird die Leistungsverfügung unter § 940 ZPO gefasst, so wird der Anwendungsbereich allerdings zu weit ausgedehnt und die Wortlautgrenze überschritten. 236 Die besseren Argumente sprechen deshalb für das Verständnis der Leistungsverfügung als eigene Verfügungsart. Während einstweilige Verfügungen grundsätzlich Rechtsverluste des Antragstellers verhindern sollen, die durch ein überlanges Hauptsacheverfahren drohen, dienen Leistungsverfügungen der Realisierung bestehender Ansprüche. Deshalb sind Verfügungen mit befriedigendem Charakter dem System des einstweiligen Rechtsschutzes nach der ZPO fremd und können keiner existierenden Verfügungsart zugerechnet werden. 237 Da aber das praktische Bedürfnis für die Gewährung von Leistungsverfügungen unbestritten ist, muss die vorhandene Lücke durch die Annahme einer dritten Verfügungsart geschlossen werden. 238 Von der Einordnung der Leistungsverfügung hängt auch ihre Rechtsgrundlage ab. Vielfach wird § 940 ZPO in direkter oder analoger Anwendung als Rechtsgrundlage herangezogen, 239 was aus den dargestellten Gründen zweifelhaft ist. Daneben werden Leistungsverfügungen auf §§ 935 und 940 ZPO gestützt 240 oder es wird lediglich auf das Phänomen der richterlichen Rechtsfortbildung verwiesen. 241 Versteht man Leistungsverfügungen als eigenständige dritte Verfügungsart, liegt die richterliche Rechtsfortbildung als Grundlage am nächsten. Hinsichtlich der Details zum Erlass von Leistungsverfügungen sind die Regelungen zur einstweiligen Verfügung, §§ 936 ff. ZPO, anwendbar. 242 Soweit die Bestimmungen zur Sicherungs- und zur Regelungsverfügung 235
Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 32; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 1; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 13; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 10. A.A. Grunsky, JuS 1976, 277, 283, dem zufolge § 940 ZPO nur der Sicherung gefährdeter Rechtspositionen dient. 236 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 31. 237 Compensis, S. 62. 238 Compensis, S. 62 f. 239 RGZ 46, 354, 356; 47, 72, 75; BGHZ 33, 105, 122; OLG Köln FamRZ 1983, 410, 411; OLG Celle FamRZ 1987, 395; OLG Düsseldorf FamRZ 1989, 881; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1526; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 32; Blomeyer, ZZP 65 (1952), 52, 65; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 119 f.; Rosenberg/ Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 10; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 113; Schuler, NJW 1959, 1801, 1802; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 2. 240 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 4–6, meint, § 935 ZPO stelle die Rechtsgrundlage für den Erlass jeder einstweiligen Verfügung dar, während § 940 ZPO der Konkretisierung des möglichen Verfügungsinhalts diene. 241 BGH NJW 1965, 915; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 33; Baur/ Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Compensis, S. 63; Iliakopoulos, S. 31 ff.; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 19. 242 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 33; Mossler, S. 16.
E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren
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keine eigenen Regelungen vorsehen, verweist § 936 auf das Arrestverfahren in §§ 916–934 ZPO. Falls sich nicht aus §§ 916–945 ZPO etwas anderes ergibt, kann auf die Vorschriften des ordentlichen Verfahrens zurückgegriffen werden. 243 Ein solcher Rückgriff ist möglich, weil es sich bei der Leistungsverfügung um ein – wenngleich summarisches – Erkenntnisverfahren handelt. 244 Mit der Zwangsvollstreckung hat das Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Maßnahme nichts gemein. Deshalb wird die Eingliederung des einstweiligen Rechtsschutzes in das achte Buch der ZPO als inhaltlich verfehlt angesehen. 245 Die Zwangsvollstreckung ist erst betroffen, wenn eine einstweilige Maßnahme vollzogen wird. 246
E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren
Neben den auf vorläufige Befriedigung gerichteten einstweiligen Verfahren, kort geding und Leistungsverfügung, gibt es im niederländischen und im deutschen Zivilprozessrecht noch andere Verfahren, mit denen Gläubiger kurzfristig einen Titel erlangen können. I. Abgrenzung des kort geding zu anderen schnellen Verfahren Im niederländischen Zivilprozessrecht ist der Erlass einstweiliger Maßnahmen auch gemäß Art. 223 WBRv möglich. Darüber hinaus sieht Art. 117 WBRv ein verkürztes Verfahren vor. Von diesen anderen schnellen Verfahren ist das kort geding im Sinne der Art. 254 ff. WBRv abzugrenzen. 1. Erlass einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 223 WBRv Art. 223 WBRv ermöglicht den Erlass einstweiliger Maßnahmen (voorlopige voorzieningen) während eines bereits anhängigen Hauptsacheverfahrens. 247 Oftmals handelt es sich um Sicherungsmaßnahmen, die verhindern sollen, dass im Laufe des Prozesses eine Situation entsteht, die eine 243
Grunsky, JuS 1976, 277, 280; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 3. Grunsky, JuS 1976, 277, 280; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1 und 3. 245 BVerfGE 46, 166, 182; Grunsky, JuS 1976, 277, 279 f.; Prütting/Stickelbrock, § 44; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 14; Weinert, S. 167. 246 BVerfGE 46, 166, 182; Prütting/Stickelbrock, § 44. 247 Es handelt sich dabei um eine Form der Zwischenklage gemäß Art. 208 ff. WBRv. Diese Zwischenklagen werden durchgeführt, wenn im Verlauf eines Verfahrens Schwierigkeiten auftreten, welche die Hauptsache erheblich zu verlangsamen drohen, weil sie erst bereinigt werden müssen, bevor in der Sache weiter verhandelt werden kann. Wieten, S. 35. 244
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
spätere Vollstreckung des Urteils unmöglich macht. 248 Droht beispielsweise der Schuldner zahlungsunfähig zu werden, so kann die Forderung ganz oder teilweise mit einer auf Zahlung des entsprechenden Betrages gerichteten Zwischenklage (incidentele vordering) geltend gemacht werden. 249 Die einstweiligen Maßnahmen gemäß Art. 223 WBRv haben insoweit einen ähnlichen Regelungsgegenstand wie das kort geding. Die Voraussetzungen der Eilbedürftigkeit und der Interessenabwägung, die zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben sind, aber dennoch gefordert werden 250, erinnern ebenfalls an das kort geding. In beiden Verfahrensformen ist der Richter der Hauptsache zudem nicht an die vorausgehende einstweilige Maßnahme gebunden. 251 Trotz dieser Gemeinsamkeiten kann das Verfahren nach Art. 223 WBRv nicht mit dem kort geding gleichgesetzt werden. Entscheidender Unterschied zum kort geding ist seine gesetzlich vorgeschriebene zeitliche und inhaltliche Abhängigkeit zur Hauptsache. Art. 223 Abs. 1 und 2 WBRv setzen voraus, dass die vorläufige Maßnahme ergeht, während die Hauptsache anhängig ist. Es handelt sich um ein Zwischenverfahren im Rahmen des Hauptsacheverfahrens, wohingegen das kort geding ein selbständiges Verfahren darstellt. 252 Die Wirkung der Maßnahme nach Art. 223 WBRv ist auf die Zeit des Hauptsacheverfahrens begrenzt. Sobald das Urteil in der Hauptsache rechtskräftig wird oder der Rechtsstreit auf andere Weise beigelegt wird, verliert die einstweilige Maßnahme ihre Wirkung. 253 Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass einstweilige Maßnahmen nach Art. 223 WBRv nicht von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden können wie Entscheidungen im kort geding gemäß Art. 258 WBRv. 254 In Fällen des Art. 223 WBRv muss der Kläger die vorläufige Vollstreckbarkeit beantragen. Auf die Zwischenklagen (incidentele vorderingen) im Sinne der Art. 210–224 finden über Art. 208 WBRv verschiedene Normen des or248
van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 2 c). 249 Hoge Raad vom 30.6.1995, NJ 1996, Nr. 200; Hoge Raad vom 14.11.1997, NJ 1998, Nr. 113. 250 Bots, S. 72; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 2 c) und 3 f); von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 39. 251 Hoge Raad vom 14.11.1997, NJ 1998, Nr. 113; Hoge Raad vom 29.11.2002, NJ 2003, Nr. 50; Bots, S. 78; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 103, S. 103; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 1 d); Wieten, S. 40. 252 Bots, S. 77; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, 14. Afdeeling, Inl. opm., Nr. 1 b). 253 Bots, S. 78; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 103, S. 104; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 1 c); Wieten, S. 41. 254 van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 3 c).
E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren
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dentlichen Verfahrens Anwendung. Zwar muss das Verfahren zum Erlass einer einstweiligen Maßnahme nach Art. 223 WBRv nicht mit einer herkömmlichen Klagschrift (dagvaarding) eingeleitet werden. Es genügt vielmehr gemäß Art. 208 Abs. 1 WBRv eine weniger aufwändige Zwischenklageschrift (incidentele conclusie). Im Rahmen des Art. 223 WBRv ist aber beispielsweise ein ähnlich komplizierter Austausch von Schriftsätzen erforderlich wie im Hauptverfahren, während es sich beim kort geding um ein vorrangig mündliches Verfahren handelt. 255 Der Verweis auf das ordentliche Verfahren in Art. 208 WBRv ist gleichwohl zu begrüßen, denn hierdurch wird die Anwendung von Art. 223 WBRv im Ergebnis erleichtert. Vor der Reform 2002 fehlte eine entsprechende Regelung. Dass der Erlass einstweiliger Maßnahmen überhaupt möglich war, ergab sich bis dahin aus Art. 51 WBRv aF. Dieser sah aber lediglich vor, dass der Richter bei gleichzeitiger Beendigung des Hauptund Eilverfahrens ein einziges Urteil aussprechen konnte. Infolge der daraus resultierenden Unsicherheit über den Anwendungsbereich und den Verfahrensablauf wurde Art. 51 WBRv aF kaum herangezogen. 256 Bei der Überlegung, ob ein kort geding oder ein Verfahren nach Art. 223 WBRv gewählt wird, muss bedacht werden, dass eine Zwischenklage von dem gleichen Richter behandelt wird wie die Hauptsache 257. Dies ist auf der einen Seite von Vorteil, weil der Richter mit der Sach- und Rechtslage bereits vertraut ist. Auf der anderen Seite kann darin ein Nachteil liegen, wenn sein Vorgehen in der Hauptsache aus Sicht einer Partei den Eindruck erweckt, dass er voreingenommen ist 258. Zwar darf der Ausgang einer Zwischenklage den Richter der Hauptsache grundsätzlich nicht beeinflussen 259, doch in der Praxis kann dies anders aussehen. Sieht man von der Abhängigkeit zum Hauptsacheverfahren und von den Feinheiten der Verfahrensgestaltung ab, kann eine einstweilige Maßnahme gemäß Art. 223 WBRv durchaus eine Alternative zum kort geding darstellen 260. 255
van Schaik, in: Leijten/van Wessem/Cartigny, Bodemloos?, S. 115. Bots, S. 78; Stein, Nieuw burgerlijk procesrecht, S. 137; van Schaik, in: Leijten/van Wessem/Cartigny, Bodemloos?, S. 107 ff. 257 Snijder/Ynzonides/Meijer, Nederlands burgerlijk procesrecht, S. 294; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 5 a); von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 39; Wieten, S. 40. 258 Bots, S. 78; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 39; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 223 Nr. 5 a). 259 Hoge Raad vom 14.11.1997, NJ 1998, Nr. 113; Hoge Raad vom 29.11.2002, NJ 2003, Nr. 50; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 39. 260 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1114; Snijder/Ynzonides/Meijer, Nederlands burgerlijk procesrecht, S. 294; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 227; van Schaik, Advocatenblad 1985, 75; Wieten, S. 40. 256
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2. Verkürzung des Verfahrens gemäß Art. 117 WBRv Eine Alternative zum kort geding bietet auch Art. 117 WBRv. Diese Vorschrift eröffnet dem Kläger im ordentlichen Verfahren die Möglichkeit, einen mündlichen oder schriftlichen Antrag auf Verkürzung der Ladungsfristen zu stellen. Gemäß Art. 114–116 WBRv variieren die Fristen je nachdem, wo der Beklagte seinen Wohnsitz hat, von mindestens einer Woche bis zu mindestens drei Monaten. Die Verkürzung dieser Fristen und der daraus folgende Zeitgewinn können in eilbedürftiger Lage wichtig sein. Bei der Beurteilung des Antrags auf Verkürzung muss der Richter das Interesse des Klägers an einer schnelleren Behandlung der Sache gegenüber dem Interesse des Beklagten abwägen, der ausreichende Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung benötigt. 261 Fällt die Entscheidung zugunsten des Klägers aus, dann muss der Kläger, um seinen Zeitvorsprung nutzen zu können, darauf achten, dass in der Verhandlung alle Voraussetzungen für ein eventuelles Versäumnisurteil gegeben sind. 262 Der Beschluss zur Verkürzung der gewöhnlichen Ladungsfrist wird dem Beklagten gemäß Art. 117 Satz 2 WBRv mitgeteilt. II. Abgrenzung der Leistungsverfügung zu anderen schnellen Verfahren Im deutschen Zivilprozessrecht existieren außerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Mahnverfahren gemäß §§ 688–703d ZPO, dem Urkundenverfahren gemäß §§ 592–605a ZPO und dem Bagatellverfahren gemäß § 495a ZPO weitere Verfahren, mittels derer innerhalb kurzer Zeit ein auf Zahlung oder sonstige Leistung gerichteter Titel erlangt werden kann. 1. Mahnverfahren Beim Mahnverfahren gemäß §§ 688–703d ZPO, das kein Pendant im niederländischen Zivilprozessrecht hat, handelt es sich um ein vereinfachtes Verfahren zur Eintreibung von Geldforderungen, die voraussichtlich unbestritten bleiben. In den Niederlanden dominiert stattdessen das außergerichtliche Inkasso, innerhalb dessen Gerichtsvollzieher im Auftrag der Gläubiger Forderungen unmittelbar beim Schuldner eintreiben. 263 Über das deutsche Mahnverfahren kann sich der Gläubiger schnell und kostengünstig ohne mündliche Verhandlung bei dem Amtsgericht, in des261
Nr. 1.
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Ynzonides, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 117 Ynzonides, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 117 Hess, EuZPR, § 10 Rn. 41.
E. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren
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sen Bezirk er seinen allgemeinen Gerichtsstand hat 264, einen Titel verschaffen. Auf den Antrag des Gläubigers gemäß § 690 ZPO wird zunächst ein Mahnbescheid im Sinne von § 692 ZPO erlassen. Dieser wird der Gegenseite zugestellt, § 693 Abs. 1 ZPO. Gemäß § 694 Abs. 1 ZPO kann der Antragsgegner schriftlich Widerspruch gegen den geltend gemachten Anspruch erheben. Die Folge des Widerspruchs ist gemäß § 696 ZPO bei Vorliegen des entsprechenden Antrags einer Partei der Übergang vom Mahnverfahren in das normale streitige Verfahren. Wird kein Widerspruch erhoben, dann erlässt das Gericht auf der Grundlage des Mahnbescheids auf Antrag einen Vollstreckungsbescheid, § 699 ZPO. Gegen den Vollstreckungsbescheid kann der Antragsgegner gemäß §§ 700, 338 ff. ZPO Einspruch einlegen. Erfolgt dies nicht, so verfügt der Antragsteller mit dem Vollstreckungsbescheid über einen rechtskräftigen und vollstreckbaren Titel. Festzuhalten bleibt, dass es sich beim Mahnverfahren, anders als beim Verfahren zum Erlass einer Leistungsverfügung, nicht um ein Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern um eine besondere Form des Hauptsacheverfahrens handelt. Enger gestaltet ist das Mahnverfahren insofern, als es nur bei Geldforderungen statthaft ist. Die Voraussetzungen für den Erlass von Mahn- und Vollstreckungsbescheid liegen allerdings deutlich unter denen für den Erlass einer Leistungsverfügung. Während die Leistungsverfügung die Glaubhaftmachung von Verfügungsanspruch und grund erfordert, an die hohe Anforderungen gestellt werden, müssen im Mahnantrag der Anspruch und die begehrte Leistung gemäß § 690 Abs. 1 Nr. 3 ZPO lediglich individualisierbar bezeichnet werden. 2. Urkundenverfahren Auch das Urkundenverfahren gemäß §§ 592–605a ZPO stellt eine besondere Art des Erkenntnisverfahrens dar, das im Interesse des Klägers zügig zu einem vollstreckbaren Titel führen kann. Beschleunigt wird das Verfahren dadurch, dass die zulässigen Beweismittel ebenso wie die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten eingeschränkt sind. Der erhöhten Gefahr einer materiell unrichtigen Entscheidung wirkt die Möglichkeit der Durchführung eines Nachverfahrens entgegen. Gemäß § 592 ZPO können im Urkundenverfahren nur Ansprüche geltend gemacht werden, die auf die Zahlung einer bestimmten Geldsumme oder auf die Leistung einer bestimmten Menge vertretbarer Sachen gerichtet sind, sofern die anspruchsbegründenden Tatsachen durch Urkunden bewiesen werden können. Nach § 593 ZPO muss die Klage die Erklärung 264
§ 689 Abs. 2 Satz 1 ZPO. In den meisten Bundesländern wurden allerdings zentrale Mahngerichte im Sinne von § 689 Abs. 3 ZPO eingerichtet, die stattdessen zuständig sind.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
enthalten, dass im Urkundenprozess geklagt werden soll. Außerdem müssen die maßgeblichen Urkunden beigefügt werden. Eine Widerklage ist gemäß § 595 Abs. 1 ZPO nicht statthaft. Als Beweismittel sind gemäß § 595 Abs. 2 ZPO nur Urkunden und der Antrag auf Parteivernehmung zulässig. Möglich ist ein Übergang vom Urkundenverfahren zum normalen Prozess, § 596 ZPO. Bei Begründetheit der Klage ergeht im Regelfall ein Vorbehaltsurteil im Sinne von § 599 ZPO. Der Beklagte, dessen Verteidigungsmöglichkeiten im Vorverfahren eingeschränkt waren, erhält im Nachverfahren die Gelegenheit, seine Rechte vollumfänglich geltend zu machen. Gemäß § 600 Abs. 1 ZPO bleibt der Rechtsstreit im ordentlichen Verfahren anhängig, wenn dem Beklagten die Ausführung seiner Rechte vorbehalten wird. Das Nachverfahren unterliegt den allgemeinen Vorschriften der §§ 253 ff. ZPO. Allerdings entfaltet das Vorbehaltsurteil aufgrund von § 318 ZPO Bindungswirkungen für das Nachverfahren. Keine Bindung besteht lediglich hinsichtlich der Fragen, welche im Vorverfahren infolge der Beschränkung der Beweismittel nicht oder nicht vollständig geprüft werden konnten. Auch das Urkundenverfahren ist also, anders als das einstweilige Verfügungsverfahren, keine besondere Ausprägung des einstweiligen Rechtsschutzes, sondern ein Erkenntnisverfahren. Anders als bei Leistungsverfügungen können die Ansprüche, die mit dem Urkundenverfahren geltend gemacht werden, nur auf Zahlung oder auf Leistung bestimmter vertretbarer Sachen gerichtet sein. Einen Nachteil des Urkundenverfahrens kann die Beschränkung der Beweismittel auf Urkunden und Parteivernehmung darstellen. Sofern es im Nachverfahren zur uneingeschränkten Rechtsverteidigung kommt, kann der Effekt der Verfahrensbeschleunigung wieder verloren gehen. 3. Bagatellverfahren Schließlich gibt es bei Streitwerten, die 600 Euro nicht übersteigen, gemäß § 495a ZPO das Bagatellverfahren vor den Amtsgerichten. Nach § 495a Satz 1 ZPO kann das Gericht sein Verfahren nach billigem Ermessen bestimmen. Das Ermessen des Gerichts bezieht sich vornehmlich auf die Beweiserhebung. Zwar muss eine bestrittene Tatsache zur vollen richterlichen Überzeugung bewiesen werden. Das Gericht ist aber nicht an die Vorgaben des Strengbeweises gebunden. Entgegen dem sonst geltenden Grundsatz der Unmittelbarkeit kann etwa die telefonische oder schriftliche Befragung von Zeugen, Sachverständigen und Parteien genügen. 265 Nur auf Antrag einer Partei muss mündlich verhandelt werden, § 495a Satz 2 265
Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 495a Rn. 42; Herget, in: Zöller, ZPO, § 495a Rn. 10; Schelp, in: Prütting/Gehrlein, ZPO, § 495a Rn. 10.
F. Verhältnis zur Hauptsache
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ZPO. Insbesondere durch die vereinfachte Beweisaufnahme kann das Bagatellverfahren als Variante des normalen Erkenntnisverfahrens zügig zu einem Urteil führen.
F. Verhältnis zur Hauptsache F. Verhältnis zur Hauptsache
Im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Hauptsache sind kort geding und Leistungsverfügung einander sehr ähnlich. I. Verhältnis des kort geding zur Hauptsache Der Wortlaut von Art. 254–259 WBRv gibt nur ansatzweise über das Verhältnis des kort geding zur Hauptsache Auskunft. Deshalb bleibt hinsichtlich dieses Aspekts Raum für unterschiedliche Sichtweisen zu der Frage, ob das kort geding akzessorisch zur Hauptsache oder aber prozessual unabhängig von ihr ist. Dabei wird zwischen formeller und materieller Akzessorietät unterschieden. 266 Formelle Akzessorietät bedeutet, dass bereits Klage in der Hauptsache erhoben worden sein muss, wenn ein einstweiliges Verfahren eingeleitet wird oder dass im Anschluss an ein verkürztes Verfahren zwingend ein Hauptsacheverfahren zu folgen hat. 267 Dies ist beim kort geding nicht der Fall. Die materielle Akzessorietät bezieht sich auf den Inhalt der Streitigkeiten, die im kort geding oder in der Hauptsache entschieden werden. 268 Im Falle materieller Akzessorietät stünde die Forderung, über die im einstweiligen Verfahren entschieden wird, mit der Hauptforderung im Zusammenhang. 1. Formelle Akzessorietät Für eine formelle Akzessorietät des kort geding zur Hauptsache enthält das WBRv in seiner gegenwärtigen Fassung keine Anhaltspunkte. a) Keine Pflicht zur Klageerhebung in der Hauptsache in den Grundfällen des Art. 254 WBRv So findet man zum Beispiel in Art. 254 Abs. 1 WBRv, der ersten Bestimmung des Abschnitts über das verkürzte Verfahren und damit systematisch der Grundnorm des kort geding, keinen Hinweis auf eine Pflicht zur Klageerhebung in der Hauptsache. Die Vorschrift erklärt das vorläufige Ver266
Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 22. Bots, S. 82; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 22; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 20; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18. 268 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 22. 267
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
fahren in allen eilbedürftigen Sachen („In alle spoedeisende zaken …“) für zulässig. Eine weitere Bedingung, wie etwa eine an Art. 223 WBRv oder Art. 8:81 Awb angelehnte Beschränkung auf eilbedürftige Fälle, in denen ein ordentliches Verfahren bereits eingeleitet wurde, ist nicht vorgesehen. Dies spricht gegen eine formelle Akzessorietät des kort geding im Sinne der Art. 254–259 WBRv zur Hauptsache 269. Auch aus Art. 257 WBRv, wonach die einstweiligen Maßnahmen keinen Nachteil für die Hauptsache bringen, ergibt sich keine Pflicht zur Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. Art. 257 WBRv ist vielmehr so auszulegen, dass der Richter der Hauptsache durch das kort geding nicht in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt wird, sondern sein Urteil in der Hauptsache ohne Bindung an eine frühere kort geding-Entscheidung sprechen kann. 270 Das kort geding ist also in den Fällen der Art. 254–259 WBRv nicht formell akzessorisch. Es kann vielmehr unabhängig von einem Hauptsacheverfahren durchgeführt werden. 271 Typischerweise werden korte gedingen vor der Hauptsache durchgeführt. Im Anschluss an ein kort geding können die Parteien wählen, ob sie die Entscheidung im einstweiligen Verfahren akzeptieren oder dagegen Berufung einlegen oder aber ein Hauptsacheverfahren anstreben. 272 Die Rechtswirklichkeit belegt die prozessuale Unabhängigkeit des kort geding vom Hauptverfahren eindrucksvoll. Nur auf 5% aller korte gedingen folgt ein Hauptsacheverfahren. 273 b) Pflicht zur Klageerhebung in der Hauptsache in den Sonderfällen des Art. 260 WBRv aF Nur in eilbedürftigen Fällen, in denen zum Schutze von Immaterialgüterrechten der Anwendungsbereich des TRIPs eröffnet war, machte die niederländische Zivilprozessordnung vom 1. Januar 2002 bis zum 1. Mai
269 Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 43; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 22; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 20; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18. 270 Hoge Raad vom 10.1.1958, NJ 1958, Nr. 78; Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 21; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/ Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 1 a); Zhou, S. 122. 271 Bots, S. 82; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 22; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 20; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18. 272 Bots, S. 114. 273 Bruinsma, Korte gedingen, S. 155; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 22. Siehe dazu auch S. 76.
F. Verhältnis zur Hauptsache
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2007 274 eine Ausnahme von der prozessualen Unabhängigkeit des kort geding. Entsprechend dem Vorbild des Art. 50 Abs. 6 TRIPs ordnete Art. 260 WBRv aF ausdrücklich die formelle Akzessorietät an, indem er bestimmte, dass nach dem kort geding binnen einer bestimmten Frist das Hauptsacheverfahren eingeleitet werden musste. Nach dem Wegfall von Art. 260 WBRv aF ist das kort geding aber auch im Anwendungsbereich des TRIPs nicht mehr an die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens gebunden. 2. Materielle Akzessorietät Auf die Frage nach der materiellen Akzessorietät des kort geding gibt der Gesetzgeber ebenfalls keine eindeutige Antwort. Deshalb wird die inhaltliche Abhängigkeit des kort geding von der Hauptsache unterschiedlich beurteilt. a) Ersatz des Hauptsacheverfahrens durch das kort geding Ein Vorschlag aus rechtssoziologischer Sicht will das Hauptsacheverfahren durch das kort geding ersetzen. 275 Dieser Vorschlag löst sich bewusst von juristischer Dogmatik, um für das kort geding als „äußerst flexibles Verfahren mit menschlichen Zügen“ zu werben. 276 Anzustreben sei die vermehrte Beachtung der Rechtswirklichkeit und der Parteiinteressen im Einzelfall. 277 Angesichts der Tatsache, dass auf die wenigsten korte gedingen ein Hauptsacheverfahren folge und dieses faktisch bereits oft durch das kort geding ersetzt werde, erinnere das Beharren auf der Vorläufigkeit des verkürzten Verfahrens an Heuchlerei. 278 In der Gegenüberstellung von kort geding und Hauptsacheverfahren würden die Vorteile des verkürzten Verfahrens überwiegen. 279 Das kort geding sei schneller und kostengünstiger und behandele einen noch unmittelbar schwelenden Konflikt. Die vornehmlich mündliche Erörterung der Sache biete die Möglichkeit einer maximalen Beteiligung der Parteien. 280
274
Art. I Wet van 8 maart 2007 tot aanpassing van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering, Stb. 2007, 108. 275 Bruinsma, Korte gedingen, S. 155–165. 276 Bruinsma, Korte gedingen, S. 155. 277 Bruinsma, Korte gedingen, S. 155. 278 Bruinsma, Korte gedingen, S. 158 f. 279 Bruinsma, Korte gedingen, S. 157. 280 Bruinsma, Korte gedingen, S. 156 f.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
b) Eigenständigkeit des kort geding neben dem Hauptsacheverfahren Eine andere Auffassung geht weniger weit, sieht das kort geding aber als eigenständiges Verfahren neben dem ordentlichen Verfahren. 281 Dies ergebe schon eine Betrachtung der Aufgabenbereiche der Richter in kort geding und Hauptsache. Die Aufgabe des kort geding-Richters sei eine ganz andere als die des Richters der Hauptsache. Während der kort gedingRichter grundsätzlich zeitlich begrenzt wirkende Maßnahmen in geeigneten, eilbedürftigen Fällen erlasse, regele der Richter der Hauptsache das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien endgültig. 282 Abgesehen davon genieße der kort geding-Richter eine große Freiheit hinsichtlich des Inhalts der einstweiligen Maßnahmen. Der Umstand, dass ein Antrag in einem ebenfalls eingeleiteten Hauptsacheverfahren bereits abgelehnt worden sei, stelle zum Beispiel kein Hindernis dafür dar, eine entsprechende einstweilige Maßnahme im kort geding dennoch zu gewähren. 283 Der Vergleich mit Art. 223 WBRv legt ebenfalls eine materielle Eigenständigkeit des kort geding nahe. Wohingegen Art. 223 WBRv ausdrücklich den Zusammenhang der Forderung im kort geding mit der Hauptforderung voraussetzt, fehlt eine derartige Formulierung in Art. 254 Abs. 1 WBRv. 284 c) Kort geding als Vorbereitung der Hauptsache Vielfach wird das Verfahren als bloße Vorbereitung der Hauptsache und als materiell akzessorisch zu ihr verstanden. 285 Die traditionelle Bedeutung des kort geding liege in der Unterstützung der Hauptsache. 286 Von diesen Ursprüngen solle sich das kort geding nicht entfernen 287. Die Maßnahmen im kort geding gemäß Art. 254–259 WBRv regelten das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien eben anders als ein Urteil in der Hauptsache nur vorläufig und nicht endgültig. 288 Der kort geding-Richter könne deshalb in
281 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 45; Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1981, 419 und 1983, 113, 114 f.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 20. 282 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 20. 283 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 27. 284 Zu Art. 223 WBRv siehe oben S. 61. 285 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1111; Bots, S. 82; Heemskerk, NJ 1990, 1695, 1696; Schenk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 3; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 22; Snijders, NJ 2001, 3046. 286 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Bots, S. 83. 287 Heemskerk, NJ 1990, 1695. 288 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 23. Beispiele aus der Rechtsprechung, welche die Vorläufigkeit von kort
F. Verhältnis zur Hauptsache
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jedem Fall, in dem dies aus seiner Sicht notwendig sei, eine Frist zur Klageerhebung in der Hauptsache setzen, in der dann eine definitive Entscheidung getroffen werden müsse. 289 Auch der Hoge Raad versteht das kort geding als vorbereitend zur Hauptsache. Nach seiner Auffassung soll sich der kort geding-Richter an einer Prognose für den wahrscheinlichen Ausgang der Hauptsache orientieren. 290 Je höher er die Chance eines Erfolges in der Hauptsache einschätzt desto eher soll der kort geding-Richter Eilbedürftigkeit annehmen. 291 Er hat also eine einstweilige Maßnahme mit Blick auf ein eventuelles Hauptsacheverfahren zu treffen. Wenn das Hauptsacheverfahren bereits stattgefunden hat, müsse der kort geding-Richter seine Entscheidung auf das zuvor ergangene Hauptsacheurteil abstimmen. 292 Dieses „Primat der Hauptsache“ wird mit der größeren Genauigkeit und Sicherheit des Hauptsacheurteils begründet. 293 d) Beurteilung Der Vorschlag, das Hauptsacheverfahren durch das kort geding zu ersetzen, muss kritisch betrachtet werden. Zwar mag er den gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechen und durch die Anzahl der kort geding-Verfahren, denen kein Hauptsacheverfahren mehr folgt, gestützt werden. In der prozessrechtlichen Systematik von vorläufigem Rechtsschutz und ordentlichem Verfahren findet diese Auffassung aber keine Stütze. Aufgrund seiner – der Kürze der Zeit bis zur Entscheidung geschuldeten – möglichen Oberflächlichkeit, zum Beispiel bei der Beweiserhebung, ist das kort geding auch nicht geeignet, das Hauptsacheverfahren zu ersetzen. Die Anhaltspunkte, die Art. 254–259 WBRv zum Verhältnis des Eilverfahrens zur Hauptsache liefern, sprechen vielmehr dafür, dass das kort geding als vorläufiges, die Hauptsache vorbereitendes Verfahren dienen soll. So ist in Art. 254 Abs. 1 WBRv von vorläufigen Maßnahmen („onmiddelijke voorziening bij voorraad“) die Rede. Vorläufig ist eine Entscheidung, die durch eine Maßnahme im Hauptsacheverfahren ersetzt werden kann. 294 Einem kort geding kann ein Hauptsacheverfahren nachfolgen, in welchem geding-Maßnahmen verdeutlichen sind Hoge Raad vom 3.6.1983, NJ 1984, Nr. 6 und Hoge Raad vom 16.11.1984, NJ 1985, Nr. 547. 289 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 22. 290 Hoge Raad vom 19.10.1984, NJ 1985, Nr. 215; Hoge Raad vom 21.4.1995, NJ 1996, Nr. 462. 291 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84. 292 Hoge Raad vom 19.5.2001, NJ 2001, Nr. 407. 293 Snijders, NJ 2001, 3046. 294 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
die zuvor ergangene einstweilige Maßnahme unter Umständen außer Kraft gesetzt wird. 295 Dies entspricht der typischen Funktion des kort geding in dringenden Fällen, die kein Abwarten auf die endgültige Klärung der Sache im Hauptverfahren zulassen, mit einer einstweiligen Entscheidung sofortigen, summarischen Rechtsschutz zu gewähren. 296 Der vorläufige Charakter der Maßnahmen im kort geding kontrastiert mit der – nach Eintritt der Rechtskraft – endgültigen Wirkung von Hauptsacheurteilen. Bekräftigt wird dies außerdem durch Art. 256 WBRv. Diese Vorschrift ordnet eine Verweisung an den Hauptsacherichter an, falls eine Streitigkeit nicht dazu geeignet ist, im kort geding entschieden zu werden. Das bedeutet, dass das ordentliche Verfahren die für ein kort geding ungeeigneten Fallkonstellationen auffängt. Da das Gesetz aber keine formelle Akzessorietät zwischen kort geding und Hauptsache anordnet, das Hauptsacheverfahren also nicht zwingend durchgeführt werden muss, entscheiden die Parteien, ob sich an das kort geding ein Hauptsacheverfahren anschließen soll oder nicht. Die Parteien bestimmen letztlich, ob eine kort geding-Entscheidung vorläufig bleibt und durch das Hauptsacheurteil ersetzt werden kann oder ob sie das Rechtsverhältnis endgültig regeln darf. Die materielle Akzessorietät muss deshalb je nach Fortgang des konkreten Falles bejaht werden, so dass das kort geding ein bloßes Vorbereitungsstadium bleiben oder aber die Streitigkeit ähnlich wie ein Hauptsacheverfahren entscheiden kann. II. Verhältnis der Leistungsverfügung zur Hauptsache Leistungsverfügungen sind grundsätzlich nicht formell und materiell akzessorisch zur Hauptsache. Anders als beim kort geding hat der Antragsgegner allerdings die Möglichkeit, im Anschluss an eine Entscheidung über die einstweilige Verfügung die Klagerhebung in der Hauptsache zu erzwingen. 1. Formelle Akzessorietät Ein Antrag auf Erlass einer Leistungsverfügung kann unabhängig davon gestellt werden, ob die Hauptsache bereits anhängig ist, also auch im Vorfeld einer Klage. 297 Vor dem Hintergrund der verschiedenen Rechtsschutz295 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 299; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 296 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18. 297 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 77; Mossler, S. 14; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 935 Rn. 1; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 16.
F. Verhältnis zur Hauptsache
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ziele, nämlich vorläufiger oder endgültiger Befriedigung, sind Leistungsverfügung und Hauptsache auch nebeneinander zulässig 298. Leitet der Kläger jedoch neben dem Verfügungsverfahren ein Hauptsacheverfahren ein, ohne abzuwarten, ob der Antragsgegner den Streit nach Erlass der einstweiligen Verfügung fortsetzen will, kann das gleichzeitige Vorgehen mittels einstweiliger Verfügung und Klage unter Umständen rechtsmissbräuchlich sein. 299 Ist das Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig, so kann der Antragsgegner gemäß §§ 926 Abs. 1, 936 ZPO 300 beantragen, dass der Antragsteller, der die einstweilige Verfügung erwirkt hat, innerhalb einer vom Gericht festzulegenden Frist Klage erheben muss. Wird der Anordnung zur Klageerhebung nicht fristgerecht Folge geleistet, wird die einstweilige Verfügung nach §§ 926 Abs. 2, 936 ZPO auf Antrag aufgehoben. Ein Hauptsacheverfahren schließt also nicht automatisch, sondern nur auf Initiative des Antragsgegners an den Erlass einer einstweiligen Verfügung an. Die Parteien können auch vereinbaren, dass kein Hauptsacheverfahren durchgeführt werden soll. 301 Die einstweilige Verfügung erlangt hierdurch Bestandskraft (aber keine Rechtskraft). 302 § 926 ZPO ist dann nicht anwendbar. 303 Besondere Bedeutung haben derartige Vereinbarungen im Wettbewerbsrecht. 304 2. Materielle Akzessorietät Zur inhaltlichen Reichweite einstweiliger Maßnahmen im Verhältnis zur Hauptsache bestehen unterschiedliche Auffassungen. Geprägt wird die Diskussion von der Vorläufigkeit als Wesensmerkmal einstweiliger Verfü298
BGH GRUR 1964, 274, 275 – Möbelrabatt; 1967, 611, 612 – Unterkunde; 1973, 384 – Goldene Armbänder; OLG Hamm NJW-RR 1991, 1335; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 11; Huber, in: Musielak, ZPO, § 916 Rn. 4; Jauernig/Berger, § 34 Rn. 4; Mossler, S. 14; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 45; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1 b; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 143. 299 BGHZ 144, 165, 180; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1 b. 300 Zur Anwendbarkeit von § 926 ZPO auf Leistungsverfügungen: Brox/Walker, Rn. 1649; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 33, § 936 Rn. 5; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 143. 301 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 936 Rn. 5; Hobbeling, S. 303, 305; Morbach, S. 115– 120; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 926 Rn. 4; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 39 f. 302 Morbach, S. 115; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 926 Rn. 4; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 40. 303 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 936 Rn. 5; Morbach, S. 120. 304 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 936 Rn. 5; Knothe, S. 305 und 354; Morbach, S. 115 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 926 Rn. 4; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 39 f.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
gungen. Ziel einstweiliger Maßnahmen ist es grundsätzlich, ein subjektives Recht vorläufig zu sichern und die Durchführung des Hauptverfahrens zu ermöglichen. 305 Der Ausgang des Eilverfahrens präjudiziert den der Hauptsache nicht. 306 Vielmehr lässt die Entscheidung im einstweiligen Verfahren das Ergebnis des Hauptverfahrens unberührt. 307 Einstweilige Verfügungen stehen aber unter dem Vorbehalt der Entscheidung in der Hauptsache. 308 Nach der klassischen Sichtweise bildet eine einstweilige Verfügung deshalb ein Minus zur Hauptsache. 309 Mit diesem Verständnis geht einher, dass das Ergebnis der Hauptsache im Prinzip nicht vorweggenommen werden darf 310 und der Erlass von Leistungsverfügungen nur ganz ausnahmsweise zulässig ist 311. Eine andere Ansicht ist mit dem Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache nicht einverstanden und hält Leistungsverfügungen nicht nur in Ausnahmefällen, sondern immer dann für zulässig, wenn ein praktisches Bedürfnis für ihren Erlass besteht. 312 Im Hinblick auf das Ge-
305 OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29 – Cerebro Card; Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 5; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 83 f.; Morbach, S. 10; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 62; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 20; Weinert, S. 146 und 171. 306 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 96; Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 65; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 84; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 19. 307 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 96; Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 5, § 938 Rn. 9; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 84; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 19. 308 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 5, § 938 Rn. 9; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 19. 309 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 49, 60; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.12; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 11; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 938 Rn. 3; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 5, 6, § 938 Rn. 5, § 940 Rn. 7; Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 4; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 3. 310 Kritisch zum Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 65 (das Verbot der Vorwegnahme bestehe lediglich in einem Präjudizverbot) und Vogg, S. 117–129 (es fehle an einer gesetzlichen Grundlage für ein Vorwegnahmeverbot). 311 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); OLG Hamburg GRUR-RR 2007, 29; OLG Frankfurt NJW 2007, 851; OLG Saarbrücken NJW-RR 2007, 1406; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 49, 60; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.12; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 11; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 938 Rn. 3; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 5, 6, § 938 Rn. 3, § 940 Rn. 7; Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 4; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 3. 312 Brox/Walker, Rn. 1618; Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 67, 91; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 323; Leipold, ZZP 90 (1977), 258, 268 f.; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 10; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 73; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 20 f.
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bot effektiven Rechtsschutzes sei die Möglichkeit einer Vorwegnahme der Hauptsache auch verfassungsrechtlich angezeigt. 313 Da beide Auffassungen die Notwendigkeit von einstweiligen Verfügungen mit Befriedigungswirkung eingestehen, sind die Unterschiede im Ergebnis gering. Während die eine Ansicht die vorläufige Befriedigung des Antragstellers nur in Kauf nimmt, wird sie von der anderen Ansicht ausdrücklich befürwortet. 314 Festgehalten werden kann, dass der Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz mit der gestiegenen Akzeptanz der Leistungsverfügung seine Bedeutung mehr und mehr verliert. 315
G. Funktion im Vergleich zur Hauptsache G. Funktion im Vergleich zur Hauptsache
Kort geding und Leistungsverfügung übernehmen im Vergleich zum ordentlichen Verfahren eine spezielle Funktion im Gefüge des Prozessrechts. I. Funktion des kort geding Gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv besteht die Funktion des kort geding darin, eine vorläufige Entscheidung in dringenden Fällen zu ermöglichen. 1. Vorläufige Entscheidung in dringenden Fällen In Eilfällen sind zügig ergehende richterliche Entscheidungen unentbehrlich. 316 Weil das ordentliche Verfahren dieser Notwendigkeit häufig nicht genügen kann, füllt das kort geding die entstehende Lücke. 317 Ist ein ordentliches Verfahren aufgrund seiner zu erwartenden Dauer kein geeignetes Mittel, um eine Streitigkeit zu schlichten, gibt das kort geding den Parteien die Möglichkeit, eine Entscheidung zu erwirken, die inhaltlich dem
313
Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 72. Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 67. 315 So auch Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 66; Leipold, ZZP 90 (1977), 258, 268 f.; Mantzourani-Tschaschnig, S. 92. 316 Bots, S. 113; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 10. Dies folgt auch aus Art. 6 EMRK, der Rechtsschutzsuchenden ein faires Gerichtsverfahren garantiert, was die Behandlung eines Falles innerhalb angemessener Zeit einschließt. Tonken-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 3. 317 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 226; Zonderland, Het Kort Geding, S. 12. 314
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Hauptsacheanspruch gleicht. 318 Auf diese Weise kann der Zeitraum bis zum Erlass des Urteils in der Hauptsache überbrückt werden. 319 Das kort geding stellt außerdem im Vorfeld eines möglichen Rechtsstreits ein effektives Instrument dazu dar, den Gegner zu einem Tun oder Unterlassen anzuhalten. 320 In einigen Fällen ist der Antragsteller bereits mit den Wirkungen der bloßen Androhung eines kort geding zufrieden. 321 Das angedrohte verkürzte Verfahren kann als Grundlage für eine weitere Aussprache der Parteien dienen und in festgefahrenen Angelegenheiten die Fronten aufbrechen, zum Beispiel, wenn es mit dem Ziel eingesetzt wird, vom Gegner eine Stellungnahme zu erzwingen. 322 Auch als Test, um kostengünstig die eigenen Chancen in einer unsicheren Rechtslage auszuloten, fungiert das kort geding häufig. 323 Je nach Ausgang des einstweiligen Verfahrens kann sich der Kläger entscheiden, ob es sich für ihn lohnt, seine Ziele in einem aufwändigeren Hauptverfahren zu verfolgen. 2. Problem der Verdrängung der Hauptsache Die Möglichkeit eines Austestens der eigenen Chancen ist ein Aspekt, der die Tendenz zu einer Umgehung und Verdrängung der Hauptsache durch das kort geding fördert. 324 Schätzungen zufolge findet nach 95% der verkürzten Verfahren kein Hauptsacheverfahren statt. 325 Damit setzt sich das kort geding in der Rechtswirklichkeit zunehmend an die Stelle des ordentlichen Verfahrens 326 und korrespondiert immer weniger mit der gesetzlich vorgesehenen Funktion des verkürzten Verfahrens 327. 318
Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 226. Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 226. 320 Bruinsma, Korte gedingen, S. 20. 321 Bruinsma, Korte gedingen, S. 20. 322 de la Porte, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 20. 323 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 71 f. 324 Bots, S. 102; Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 45; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 527; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235 f.; van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 68. 325 Bots, S. 102; Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 44; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 43; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236; Wieten, S. 55. Siehe oben S. 68. 326 Keijser/Tjoen-Tak-Sen, TREMA 1991, 306; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 297; van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 68. Diese Entwicklung ist nicht nur in den Niederlanden zu beobachten. Sie gilt entsprechend für das französische référé-provision und das belgische kort geding. Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 41. 327 Bots, S. 102; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 42 f.; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 527; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235 f. 319
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Auf die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens zu verzichten, ist möglich, da der Anschluss eines solchen Verfahrens nicht zwingend vorgeschrieben ist 328 und die offene gesetzliche Regelung des kort geding einem hauptsacheähnlichen „kreativen Gebrauch“ des Verfahrens nicht entgegen steht 329. Auch Art. 257 WBRv bildet kein Hindernis. 330 Der kort geding-Richter ist nach heutiger Auffassung nicht mehr zum Erlass einer einstweiligen Maßnahme verpflichtet, die das eigentliche Rechtsverhältnis unberührt lässt, weil dessen Klärung dem Richter der Hauptsache vorbehalten ist. 331 Er ist nicht auf eine provisorische Lösung beschränkt, sondern darf inhaltlich eine Anordnung treffen, die den Rechtsstreit vollständig beilegt. 332 Dass die Verdrängung des Hauptsacheverfahrens fortschreitet und problematische Ausmaße annimmt, liegt daran, dass die Parteien in vielen verkürzten Verfahren geneigt sind, die im kort geding ergangene Entscheidung zu akzeptieren. 333 Eine solche Haltung ist zu beobachten, wenn den Parteien nach dem kort geding die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nicht mehr sinnvoll erscheint. 334 Aus Sicht des Antragstellers ist dies der Fall, wenn die im kort geding ergangene Entscheidung zu seinen Gunsten faktisch endgültig wirkt. Eine solche Wirkung ist gegeben, wenn eine geforderte Handlung durch einmaliges Tun erfüllt ist und nicht mehr wiederholt zu werden braucht. 335 Davon kann zum Beispiel ausgegangen werden, wenn der Eigentümer einer Immobilie nach erfolgreicher Räumung im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes in sein Haus zurückziehen kann. 336 Der Eigentümer dürfte dann kaum noch an einem Hauptsacheverfahren interessiert sein, das die Gefahr birgt, dass er nach einer gegensätzlichen Entscheidung wieder ausziehen muss. 337 Entsprechend ist die Situation bei der Einziehung von Geldforderungen. Kommt es als Folge des kort geding 328
Bots, S. 102. Siehe dazu S. 67. Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 45; Bots, S. 104. 330 Bots, S. 102; van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 68. Zur Auslegung des Art. 292 WBRv aF, des Vorgängers von Art. 257 WBRv, siehe bereits S. 42. 331 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134 f.; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 23; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 332 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 14; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 130, S. 134 f.; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 23; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 333 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109; Bots, S. 103; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–25. 334 Bots, S. 102. 335 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–25. 336 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–20–24. 337 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–20–24. 329
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zur Zahlung, dann ist die Schuld beglichen und eine erneute Zahlungsanordnung in der Hauptsache wird überflüssig. 338 Die Durchführung eines ordentlichen Verfahrens kann sich auch aus zeitlichen Gründen als sinnlos erweisen, etwa wenn es den Parteien ausschließlich auf die sofortige Klärung eines Rechtsproblems ankommt, die in einem Verfahren von langer Dauer weder erreicht werden noch weiterführen könnte. 339 Der unterlegenen Partei ist das Hauptsacheverfahren keine weiteren Bemühungen wert, wenn sich nach dem kort geding ein Ausgang der Hauptsache abzeichnet, der angesichts der richterlichen Beurteilung der bereits vorgebrachten und einzig verfügbaren Fakten im vorläufigen Verfahren voraussichtlich ebenfalls nicht wunschgemäß ausfallen würde. 340 Für manche Parteien kann es auch ein zu großes finanzielles Risiko sein, noch ein Hauptsacheverfahren durchzuführen. Was den finanziellen Aufwand betrifft, stellt sich das kort geding als vorteilhaft dar, weil die Gerichts- und Anwaltsgebühren niedriger sind als im ordentlichen Verfahren. 341 Zum Teil werden im kort geding ergangene Entscheidungen auch akzeptiert, weil ihre Folgen im Falle eines anderweitigen Urteils in der Hauptsache nicht ohne großen wirtschaftlichen Aufwand rückgängig gemacht werden könnten. 342 Obwohl in der Verdrängung der Hauptsache durch das kort geding aufgrund des Verhaltens der Parteien kein Rechtsmissbrauch gesehen werden kann, weil das Gesetz kein zwingendes Hauptsacheverfahren nach dem kort geding vorsieht, ist diese Entwicklung dennoch kritisch zu betrachten. Die Gründe hierfür liegen in den verfahrensrechtlichen Besonderheiten des kort geding. Während im ordentlichen Verfahren die Aufklärung der tatsächlichen und rechtlichen Umstände der Streitigkeit viel Zeit in Anspruch nehmen kann, würdigt der Richter im kort geding die Gegebenheiten nur so umfassend, wie es angesichts der gebotenen Eile möglich ist. 343 Eine zügige Entscheidung hat Priorität. Die Rechtssicherheit ist gegenüber dem schnellen Abschluss des Verfahrens nachrangig. Im kort geding können die Parteien innerhalb eines Zeithorizontes von wenigen Stunden, Tagen oder 338
Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 43; Heemskerk, NJ 1982, 1748; Meijers, S. 83. 339 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–25. 340 van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 68. 341 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 116. 342 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–25. 343 Bots, S. 113; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 226. Oberflächlicher ist die Untersuchung des Falles im kort geding schon allein wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit, aber auch, weil ein Einzelrichter entscheidet und die gesetzlichen Beweisregeln nicht gelten. Bots, S. 104.
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Wochen mit einem vorläufig vollstreckbaren Titel rechnen. 344 Die mögliche Einbuße an Rechtssicherheit ist akzeptabel, wenn eine endgültige Entscheidung nach umfassender Aufklärung des Falles im Hauptsacheverfahren folgt, jedoch problematisch, wenn dem kort geding kein Verfahren nachfolgt. Es sind unterschiedliche Ansätze denkbar, der Verdrängung der Hauptsache durch das einstweilige Verfahren entgegen zu wirken. Eine wichtige Ursache für den häufigen Einsatz des kort geding liegt in der langen Dauer der ordentlichen Verfahren. 345 Die Verkürzung der ordentlich Verfahren war deshalb ein erklärtes Ziel der Zivilprozessreform im Jahr 2002. 346 Zusätzlich könnte es vielversprechend sein, auch das kort geding vorsichtig umzugestalten. Der Verdrängung der Hauptsache hätte zum Beispiel durch eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs von Art. 260 WBRv aF entgegengewirkt werden können 347, wonach im Anschluss an ein kort geding zwingend Klage in der Hauptsache erhoben werden musste. Der Gesetzgeber hat sich allerdings anders entschieden und Art. 260 WBRv aF vollumfänglich abgeschafft. 348 II. Funktion der Leistungsverfügung Auch im deutschen Zivilprozessrecht hat der einstweilige Rechtsschutz die vorrangige Funktion, die Interessen des Gläubigers vor Gefahren zu schützen, die aufgrund von Zeitablauf oder des Verhaltens des Gegners drohen. 349 Ziel ist es, dass zügig ein vollstreckbarer Titel erwirkt werden kann, der die Dauer des Hauptsacheverfahrens überbrückt und die Erreichbarkeit des vom Gläubiger begehrten Zustands gewährleistet. 350 Insoweit handelt es sich beim einstweiligen Rechtsschutz im deutschen Zivilprozessrecht um eine Ergänzung des Hauptsacheverfahrens. Hergeleitet wird
344 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 128; Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1981, 419; Snijders/Ynzonides/ Meijer, S. 302. 345 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 128; Bots, Op weg naar een zelfstandig bestuursrechtelijk kort geding?, S. 103; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1. 346 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 4 f. 347 von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 40. 348 Siehe zu Art. 260 WBRv aF bereits S. 68. 349 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 110; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 83 f.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 62; Weinert, S. 132. 350 Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 83 f.; Morbach, S. 10; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 62; Weinert, S. 146 und 171.
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das Erfordernis effektiven zivilprozessualen Eilrechtsschutzes aus dem Justizgewährungsanspruch des Art. 19 Abs. 4 GG. 351 In bestimmten Fällen kann effektiver Rechtsschutz nur durch Verfügungen bewirkt werden, bei denen die Anträge mit den Hauptsacheanträgen übereinstimmen. 352 Diese Leistungsverfügungen können die gleiche Reichweite entfalten wie ein Hauptsacheurteil. 353 Ursprünglich dienten Leistungsverfügungen deshalb „der Bewältigung einer Gefährdung …, nämlich der Sorge um die Person des Gläubigers, und zwar dort, wo er in seiner menschlichen Existenz akut bedroht ist wegen der tatsächlich oder rechtlich noch nicht möglichen Befriedigung seines Anspruchs. Es geht um die persönlichsten Rechtsgüter des Menschen: Gesundheit, Leib, Leben und die mit diesen drei Werten in ursächlichem Zusammenhang stehenden Fragen des individuellen Daseins.“ 354 Wie korte gedingen können Leistungsverfügungen aus verschiedenen Gründen endgültigen Rechtsschutz bieten. Die Endgültigkeit kann gesetzlich bedingt sein. So sehen die Pressegesetze einiger Bundesländer vor, dass ein Anspruch auf Gegendarstellung ausschließlich über eine einstweilige Verfügung durchgesetzt werden kann. Ein Hauptsacheverfahren ist nicht vorgesehen. 355 Die Endgültigkeit kann auch auf das Parteiverhalten zurückzuführen sein. 356 Oftmals haben die Parteien nach Erlass einer Leistungsverfügung das Interesse an einem Rechtsstreit in der Hauptsache verloren. 357 Dies gilt insbesondere, wenn Tatsachenermittlung und Würdigung der Rechtslage im Eilverfahren bereits vergleichsweise umfassend erfolgt sind und aus Sicht der Parteien in einem Hauptsacheverfahren nicht anders entschieden würde. 358 Ergreifen weder Antragsteller noch Antragsgegner die Initiative 351
Morbach, S. 8; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1a; Weinert, S. 147. Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 7; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 6; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 12 f.; Grunsky, in: Stein/ Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 38 ff. 353 Jestaedt, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, S. 888 f.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 32. 354 Altendorf, S. 28 f. 355 § 11 Abs. 4 Satz 4 Pressegesetz Baden-Württemberg, § 11 Abs. 4 Satz 5 Pressegesetz Bremen, § 11 Abs. 4 Satz 5 Pressegesetz Nordrhein-Westfalen, § 11 Abs. 4 Satz 2 Pressegesetz Schleswig-Holstein. 356 Arens, FS von Caemmerer, S. 75, 76; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 3 und 80; Morbach, S. 11; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 29. 357 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 3 und 80; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 12; Morbach, S. 11; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 29; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 40. 358 Arens, FS von Caemmerer, S. 75, 76; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 12 f.; Morbach, S. 11; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, 352
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zur Einleitung eines ordentlichen Verfahrens, so bleibt es bei der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz. 359 Zur Absicherung dieser Situation kann der Antragsgegner in Wettbewerbssachen seinen Verzicht auf Rechtsbehelfe im Eilverfahren und auf einen möglichen Antrag nach §§ 926 Abs. 1, 936 ZPO, mittels dessen der obsiegende Antragsteller zur Klageerhebung in der Hauptsache verpflichtet werden könnte, erklären (sog. Abschlusserklärung). 360 Selbst wenn sich der Antragsgegner für ein Vorgehen nach §§ 926 Abs. 1, 936 ZPO entscheidet, gibt es Konstellationen, in denen er hieraus keinen Nutzen ziehen können wird. Gemeint sind Leistungsverfügungen, die faktisch irreversible Verhältnisse schaffen, wie Zahlungsanordnungen, aber auch fristgebundene Anordnungen sonstigen Tuns oder Unterlassens. 361 Aufgrund der möglichen Endgültigkeit besteht bei Leistungsverfügungen anders als bei Sicherungsverfügungen, welche das Hauptsacheverfahren nur ergänzen, die Gefahr einer Ersetzung und Verdrängung der Hauptsache. Erkennbar ist die Tendenz, dass in einer zunehmenden Anzahl der Rechtsstreitigkeiten nur noch Eilverfahren durchgeführt werden. 362 Dieses Phänomen betrifft besonders das Wettbewerbsrecht und den Schutz des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts, wo oft nur schneller Rechtsschutz zählt. 363 Problematisch ist eine zunehmende Verdrängung der Hauptsache durch den einstweiligen Rechtsschutz, weil Eilverfahren wie im niederländischen Zivilprozessrecht auch nach deutschem Recht in entscheidenden Aspekten nicht die Richtigkeitsgarantien eines ordentlichen Prozesses bieten, sondern mit einem erhöhten Fehlentscheidungsrisiko behaftet sind. 364 Das Gericht hat im einstweiligen Rechtsschutz ein weites Ermessen hinsichtlich Rn. 29; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 40. 359 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 29. 360 Ahrens, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, S. 1163 f.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 29. 361 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 31; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 40. 362 Jestaedt, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, S. 888 f.; Arens, FS von Caemmerer, S. 75 f.; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 3; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 12; Morbach, S. 10 f.; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 39. 363 Jestaedt, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, S. 888 f.; Arens, FS von Caemmerer, S. 75 f.; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 12 Fn. 27; Morbach, S. 10 f.; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 39. 364 Arens, FS von Caemmerer, S. 75, 76; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 3; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 13.
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der Frage, ob es den Antragsgegner vor Erlass einer Maßnahme hört und ob mündlich verhandelt wird. 365 Gleiches gilt für die Frage, welche Beweise erhoben und gewürdigt werden. Darüber hinaus besteht mit dem Erfordernis der Glaubhaftmachung ein geringeres Beweismaß. 366 Zudem darf der Vorsitzende in dringenden Fällen allein entscheiden. 367 Treten einstweilige Verfahren an die Stelle von Hauptsacheverfahren, können also Einbußen bei Rechtssicherheit und Schuldnerschutz die Folge sein. Deshalb dürfen Leistungsverfügungen in keinem Rechtsgebiet zum regulären Verfahren werden. 368 Weil die lange Dauer der Hauptsacheverfahren einen maßgeblichen Grund für ihre Verdrängung durch den einstweiligen Rechtsschutz darstellt 369, waren die Bemühungen der Zivilprozessreform von 2001, den Zivilprozess straffer und effizienter zu gestalten 370, sinnvoll.
H. Gegenstand H. Gegenstand
Sowohl bei korte gedingen als auch bei Leistungsverfügungen kommt eine Vielzahl möglicher Verfahrensgegenstände in Betracht. I. Gegenstand von korte gedingen Im Grundsatz bestehen nahezu keine Einschränkungen für den Inhalt von korte gedingen, so lange ein Fall eilbedürftig ist. Das kort geding ist für viele verschiedene Gegenstände offen („In alle spoedeisende zaken …“). Ist das Begehren des Klägers dem Zivilrecht zuzuordnen, wird das kort geding auf das WBRv gestützt. 371 Betrifft das Klagebegehren keinen zivilrechtlichen Sachverhalt, kann eine verwaltungs- 372 oder strafrechtliche 373 Variante des kort geding durchgeführt werden. 365
Gemäß § 937 Abs. 2 ZPO kann eine einstweilige Verfügung in dringenden Fällen ohne mündliche Verhandlung erlassen werden. Ebenfalls ist eine mündliche Verhandlung bei Zurückweisung des Antrags auf Erlass einer Verfügung entbehrlich. 366 Gemäß §§ 920 Abs. 2, 935, 940, 936, 294 ZPO ist das Vorliegen von Verfügungsanspruch und -grund nur glaubhaft zu machen. 367 Siehe § 944 ZPO. 368 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 50.26 ff.; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 30. 369 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 6; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 11; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 96. 370 Gesetz zur Reform des Zivilprozesses vom 27.7.2001, BGBl. I 1887. 371 Hoge Raad vom 26.6.1959, NJ 1959, Nr. 515; Hoge Raad vom 26.3.1971, NJ 1971, Nr. 434. 372 Art. 8:81 bis 8:87 Algemene wet bestuursrecht (Awb) regeln ein kort geding im Verwaltungsrecht (siehe www.wetten.overheid.nl).
H. Gegenstand
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Die weite Bandbreite der dem Verfahren zugänglichen Gegenstände bringt es mit sich, dass die Beteiligten sehr unterschiedliche Interessen im kort geding verfolgen können. Diese reichen von rein materiellen Interessen bei der Einziehung von Geldforderungen bis hin zu rein ideellen Interessen von Umweltschützern. 374 Dazwischen gibt es viele Fälle, in denen hauptsächlich materielle, daneben aber auch ideelle Interessen von Bedeutung sind, namentlich in arbeits-, familien- oder mietrechtlichen Streitigkeiten sowie in Verfahren wegen Patent-, Marken- oder Urheberrechtsverletzungen. 375 Gerade in den zuletzt genannten Rechtsgebieten ist das kort geding populär, weil das Interesse an einer zügigen Entscheidung hier besonders stark ausgeprägt ist. 376 Im Patent-, Marken- oder Urheberrecht geht es regelmäßig darum, einer drohenden Verletzung des jeweiligen Rechts vorzubeugen oder eine erfolgte Verletzung zu sanktionieren. 377 Arbeitsrechtliche Streitigkeiten, die im deutschen Recht der Arbeitsgerichtsbarkeit zugewiesen sind, können nach niederländischem Recht ebenfalls im kort geding nach dem WBRv behandelt werden. 378 Sie befassen sich meist mit Rechtsproblemen, die nach Entlassungen 379 oder Arbeitsniederlegungen 380 auftreten. Erweist sich eine Entlassung als unrechtmäßig, können daraus verschiedene Forderungen erwachsen, gerichtet zum Beispiel auf die Fortsetzung der Gehaltszahlung, die Wiedereingliederung in die alte Position oder das Angebot, die bisher geleistete Arbeit an anderer Stelle weiterzuführen. 381 In mietrechtlichen Streitigkeiten geht es bei Klagen des Vermieters
373 Im Strafprozessrecht ist ein kort geding-Verfahren nicht explizit geregelt, wird aber bei Rechtsschutzlücken dennoch durchgeführt. Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 54 ff. 374 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25 f. 375 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 26; Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114 f. 376 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5768 (1986), 25, 28; Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125. 377 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 28; Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 389 ff. (zum Patentrecht); Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 16 f.; de Wit, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 103 f. Zu grenzüberschreitenden Verletzungsverboten im Patentrecht siehe von Meibom/Pitz, GRUR Int. 1998, 765 ff. 378 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114 f. 379 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 29; Brink, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 59; Bruinsma, Korte gedingen, S. 25. 380 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 29; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 99. 381 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 29.
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oft um die Räumung von Wohnraum. 382 Klagen des Mieters betreffen etwa die Beseitigung von Mängeln, die einen ordnungsgemäßen Gebrauch der Mietsache verhindern, oder die Instandsetzung des Mietobjekts. 383 Die Vielfalt der im kort geding behandelten Inhalte veranschaulichen nicht nur diese typischen Fallgruppen, sondern auch einige ausgewählte Einzelfälle. Beispielhaft können genannt werden die Verbote, als Geschäftsführer einer Gesellschaft aufzutreten 384, Produkte unter einem Minimumpreis an bestimmte Personen zu veräußern 385 oder sich der ehemaligen Lebensgefährtin auf der Straße zu nähern 386. Ebenso sind die Gebote, an der Begleichung fremder Schulden mitzuwirken 387, jemanden an einer Versammlung teilnehmen zu lassen 388, einen Ausverkauf fortzusetzen 389 oder an einen Aidskranken, der durch medizinisches Fehlverhalten infiziert wurde, Schmerzensgeld zu zahlen 390, hier zu nennen. Auch außergewöhnlich anmutende Rechtsstreitigkeiten treten im kort geding auf. Beispielsweise wurde die (im Ergebnis nicht erfolgreiche) Forderung eines Mädchens im kort geding abgewickelt, die Rotterdamer Straßenbahn mit Rollschuhen betreten zu dürfen, weil das Verbot, Rollschuhe zu tragen, gegen die allgemeine Beförderungspflicht der Bahn verstoße. 391 In einem anderen Fall ging es um das Verbot, Klavier zu spielen. Dem Nachbarn des Klägers, einem Pianisten und Klavierlehrer, wurde untersagt, stundenlang die gleichen Passagen zu intonieren, solange keine ordnungsgemäße Isolierung der Wohnung die Überschreitung des Dezibelgrenzwertes verhinderte. An Werktagen durfte er lediglich vormittags zwischen 9 und 10 Uhr und mittags zwischen 12.30 und 13.30 Uhr üben. 392 Musik bildete auch in einem anderen kort geding den Stein des Anstoßes. Ein Kabarettist hielt eine Aufnahme seiner Werke für künstlerisch so 382 Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 114; Bruinsma, Korte gedingen, S. 24. 383 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 30; Bruinsma, Korte gedingen, S. 24; Ruesink, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 77 ff.; Tomlow, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 87. 384 Hof Amsterdam vom 2.7.1926, NJ 1927, S. 121; Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 26.11.1928, NJ 1929, S. 1026. 385 Pres. Rb. Rotterdam vom 7.12.1937, NJ 1938, Nr. 278. 386 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 131. 387 Pres. Rb. Rotterdam vom 27.9.1928, NJ 1929, S. 1044. 388 Pres. Rb. Rotterdam vom 18.6.1935, NJ 1936, Nr. 274. 389 Pres. Rb. Alkmaar vom 1.12.1924, NJ 1925, S. 1084. 390 Hoge Raad vom 8.7.1992, NJ 1992, Nr. 714. 391 Pres. Rb. Rotterdam vom 10.1.1986, Kort Geding 1986, Nr. 70. 392 Hof ’s Gravenhage vom 21.5.1970 und Pres. Rb. ’s Gravenhage vom 28.8.1969, NJ 1971, Nr. 94.
H. Gegenstand
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wenig gelungen, dass er im einstweiligen Rechtsschutz verbieten lassen wollte, die Schallplatte in den Handel zu bringen. 393 Zu entscheiden war auch über das Problem einer Rentnerin, die regelmäßig nachts aus dem Schlaf gerissen wurde, weil Regenwasser auf eine von Holzfäule befallene Querverbindung ihres Schlafzimmerfensters tropfte. Um nicht weiterhin jede Nacht wach zu werden, forderte die Frau im kort geding von ihrem Vermieter, das Fenster zu sanieren. 394 II. Gegenstand von Leistungsverfügungen Wie die korte gedingen können auch Leistungsverfügungen viele unterschiedliche Gegenstände haben. Ursache hierfür ist, dass grundsätzlich jeder materielle Anspruch als Verfügungsanspruch im Rahmen einer Leistungsverfügung in Betracht kommt. 395 Im vorliegenden Zusammenhang sollen nur auf Leistung gerichtete Verfügungen betrachtet werden, nicht aber Maßnahmen bei Gestaltungsklagerechten, die ebenfalls zu den Befriedigungsverfügungen gezählt werden. 396 Die auf Leistung gerichteten einstweiligen Verfügungen lassen sich nach der Art des ihnen zugrunde liegenden Anspruchs in verschiedene Fallgruppen unterteilen. Am häufigsten sind Geldzahlungs- und Unterlassungsverfügungen. 397 Ansprüche auf Geldleistung können nach der Systematik in §§ 916 ff. ZPO grundsätzlich nur mit einem Arrest gesichert werden. Für Zahlungsansprüche zur Deckung des Lebensbedarfs reicht diese Möglichkeit der Sicherung aber nicht aus. Erforderlich ist, dass der lebensnotwendige Bedarf unmittelbar gedeckt wird. 398 Dieses Ziel wird erreicht, wenn sich die Rechtsfolgen von Leistungsverfügung und Hauptsache wesensmäßig entsprechen. Den auf einmalige oder wiederkehrende Geldzahlung lautenden einstweiligen Verfügungen liegen insbesondere Unterhalts-, Gehalts- oder Rentenansprüche zugrunde. 399 Daneben kom393
Hof Amsterdam vom 1.12.1970, NJ 1971, Nr. 205. Pres. Rb. Utrecht vom 20.2.1982, Rolnr. 49/1981, auszugsweise abgedruckt bei Tomlow, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 87, 91. 395 Brox/Walker, Rn. 1609; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 13. 396 Zur Unterscheidung von Befriedigungsverfügungen bei Gestaltungsklagerechten und bei Leistungsanordnungen siehe Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 16 ff.; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 135–137. 397 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 916 Rn. 4; Iliakopoulos, S. 43 und 68; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 7 und 14; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 154; Wannenmacher, S. 37. 398 Iliakopoulos, S. 43; Knothe, S. 324. 399 OLG Koblenz FamRZ 1988, 189; OLG Karlsruhe FamRZ 1995, 1424; OLG Karlsruhe FamRZ 1999, 244; OLG Frankfurt NJW 2007, 851; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.27; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 19; Iliakopou394
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
men Schadensersatzansprüche infrage, die dringende Heilungs- und Arztkosten abgelten. 400 Unterlassungsverfügungen greifen dann ein, wenn der Gläubiger vom Schuldner das vorübergehende oder dauerhafte Unterlassen eines bestimmten Verhaltens verlangt. Müsste der Gläubiger das Verhalten bis zur Entscheidung in der Hauptsache dulden, kann ein nicht wieder gut zu machender Schaden entstehen. Damit effektiver Rechtsschutz gewährt wird, kann deshalb eine auf vorläufige Erfüllung des Unterlassungsanspruchs gerichtete einstweilige Verfügung ergehen. Die Unterlassungsverfügungen dienen vielfach dem Schutz der Ehre 401 und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts 402, dem gewerblichen Rechtsschutz 403 sowie dem Schutz des lauteren Wettbewerbs. 404 Müssen die Unterlassungen über einen begrenzten Zeitraum durchgesetzt werden, zum Beispiel bei einem zeitlich beschränkten Wettbewerbsverbot, wird, wie bei einer Leistung, eine vorzeitige Befriedigung erwirkt. 405 Außerdem gibt es Leistungsverfügungen, welche die Herausgabe von Sachen anordnen. 406 Oft genügt bei Herausgabeansprüchen zwar eine Silos, S. 43–45; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 20; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 7– 11; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 18; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 138; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 41–44; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 400 OLG Köln MDR 1959, 398; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 4; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 42; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 19; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 20; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 11; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 18; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 401 OLG Frankfurt NJW-RR 2005, 54; OLG Hamm VersR 2008, 1118. 402 OLG München NJW-RR 2001, 765; OLG Brandenburg NJW-RR 2002, 1269; OLG Köln NJW-RR 2006, 126. 403 OLG Karlsruhe GRUR 1988, 900; KG BB 1994, 1596. 404 OLG Stuttgart NJW-RR 1990, 940; OLG Koblenz WRP 1991, 412; OLG Frankfurt GRUR-RR 2001, 5; OLG Frankfurt GRUR-RR 2003, 96; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 46; Iliakopoulos, S. 68; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 154; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 30; Wannenmacher, S. 37. 405 Brox/Walker, Rn. 1622; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 8 und § 940 Rn. 31–33; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 338. Deshalb überzeugt die Auffassung von Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 1, nicht, Unterlassungsverfügungen hätten zwar faktisch eine Befriedigung zur Folge, gleichwohl aber einen abwehrenden Charakter, so dass sie mit Sicherungsverfügungen vergleichbar seien. 406 OLG Köln NJW-RR 1997, 57; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Brox/Walker, Rn. 1609 und 1620; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 44; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 21; Iliakopoulos, S. 61–67; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 337; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 20; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 12; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 20; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 146 f.
H. Gegenstand
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cherungsverfügung, welche die vorläufige Herausgabe einer Sache an einen Sequester vorsieht. Der Besitz einer Sache kann für den Gläubiger aber in dem Maße existenznotwendig sein, dass eine Leistungsverfügung die Herausgabe an den Gläubiger anordnen muss. 407 Auch wenn der Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen wurde, erfolgt die Herausgabe der Sache aufgrund der gesetzlichen Wertungen in §§ 861 ff. BGB direkt an den Gläubiger. 408 Eine weitere Gruppe von Leistungsverfügungen hat die Vornahme vertretbarer oder unvertretbarer Handlungen zum Gegenstand. 409 Eine Rolle spielt hier insbesondere die Lieferung lebensnotwendiger Güter wie Gas, Wasser und Strom. 410 Umstritten ist, ob mittels einer Leistungsverfügung auch zur Abgabe einer Willenserklärung verurteilt werden kann. Mehrheitlich wird dies mit Recht für grundsätzlich unzulässig gehalten. 411 § 894 ZPO steht solchen
407 OLG Köln NJW-RR 1998, 1097 (Bauunterlagen, die für die Durchführung eines Bauvorhabens dringend erforderlich waren); Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 45; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 337; Knothe, S. 324 f.; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 12; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 8. 408 OLG Köln MDR 2000, 152; OLG Schleswig NZM 2002, 192; OLG Saarbrücken MDR 2003, 1198; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.23; Brox/Walker, Rn. 1620; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 44; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 18; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 21; Iliakopoulos, S. 61; Reichold, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 940 Rn. 12; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 20; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 31 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6, 8; Wannenmacher, S. 37. Eine Sonderregelung für die Wiedereinräumung von Besitz im Wege einstweiliger Verfügung enthält § 940a ZPO. Demgemäß darf die Räumung von Wohnraum durch einstweilige Verfügung nur wegen verbotener Eigenmacht oder bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für Leib oder Leben angeordnet werden. 409 Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 339 ff.; Morbach, S. 101; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 15; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 23 ff.; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 147–152; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 410 OLG Brandenburg GRUR-RR 2002, 399; OLG Rostock MDR 2007, 1249; Brox/Walker, Rn. 1621; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 54; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 340; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 24; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 36; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 411 OLG Hamburg MDR 1990, 1022; OLG Nürnberg NJW 2007, 2053, 2054; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 9; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 50; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 46; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 26; Iliakopoulos, S. 109; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 341; Morbach, S. 102; Rosenberg/Gaul/ Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 26; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 153; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 9.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Verfügungen entgegen. 412 Eine Willenserklärung gilt gemäß § 894 Abs. 1 Satz 1 ZPO erst mit Eintritt der Rechtskraft als abgegeben. Leistungsverfügungen können aber nicht formell rechtskräftig im Sinne von § 705 Satz 1 ZPO werden. Die Zulässigkeit einer Leistungsverfügung auf Anordnung einer Willenserklärung darf aber nicht davon abhängen, ob durch Beschluss oder durch Urteil entschieden wird. 413 Außerdem folgt aus § 895 ZPO, dass es keine vorläufige Vollstreckung eines auf Abgabe einer Willenserklärung gerichteten Urteils in der Hauptsache gibt. Dann aber kann eine einstweilige Verfügung zur Abgabe einer Willenserklärung erst recht nicht zulässig sein. Bei der einstweiligen Verfügung ist die Entscheidungsgrundlage noch unsicherer, und letztlich zeigt erst der Ausgang des ordentlichen Verfahrens, ob ihr Erlass wirklich gerechtfertigt war. 414 § 894 Abs. 1 ZPO ist deshalb so zu verstehen, dass er grundsätzlich eine endgültige Entscheidung im ordentlichen Verfahren verlangt. 415 Abgesehen von den gesetzlich geregelten Ausnahmefällen in §§ 885, 899 BGB darf eine einstweilige Verfügung wegen einer Willenserklärung deshalb nur in sehr engen Grenzen ergehen, etwa wenn im Falle ihres Nichterlasses eine Rechtsverweigerung droht. 416 Im Grundsatz ausgeschlossen sind Leistungsverfügungen zur Anordnung einer Widerrufserklärung, Auskunftserteilung oder Rechnungslegung. 417 Die Ursache für die beim Erlass von Leistungsverfügungen entsprechenden Inhalts gebotene Zurückhaltung verdeutlicht das Beispiel der Auskunftserteilung. Eine einmal erteilte Auskunft kann nicht rückgängig gemacht werden, auch nicht, wenn sich im Nachhinein erweisen sollte, dass der vermeintlich zugrunde liegende Auskunftsanspruch in Wahrheit
412 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 51; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 46; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 26; Iliakopoulos, S. 108 f.; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 341; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 153. 413 Iliakopoulos, S. 109; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 153. 414 Iliakopoulos, S. 109; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 153. 415 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 51; Iliakopoulos, S. 109; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 341; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 26; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 153. 416 OLG Köln NJW-RR 1997, 59, 60; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 50; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 46; Morbach, S. 101 f. Nach Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 152 f., sind die auf Abgabe einer Willenserklärung gerichteten Leistungsverfügungen generell ausgeschlossen. 417 KG GRUR 1988, 403, 404; OLG Hamm NJW-RR 1992, 640; OLG Schleswig GRURRR 2001, 70; OLG Köln WRP 2003, 1008; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 52 f.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 17; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 18, 20, 22; Jauernig, ZZP 79 (1966), 321, 343 f.; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 34 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 8.
H. Gegenstand
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nicht vorlag. 418 Zulässig kann eine auf Auskunftserteilung gerichtete Leistungsverfügung jedoch sein, wenn die Sicherung und Erfüllung des Hauptanspruchs nur nach vorheriger Auskunftserteilung möglich ist. 419 Dient die Auskunft aber lediglich der Vorbereitung der Hauptsache, wird eine einstweilige Verfügung gleichwohl scheitern, wenn die Auskunft im Wege einer Stufenklage erreicht werden könnte, ohne dass ein Nachteil entstünde. 420 Sondervorschriften, die in Fällen offensichtlicher Rechtsverletzung einstweilige Verfügungen auf Auskunft (Vorlage, Duldung der Besichtigung) in Durchbrechung des sonst bestehenden Grundsatzes ausdrücklich zulassen, finden sich im gewerblichen Rechtsschutz und im Urheberrecht. 421 Zum Beispiel kann gemäß § 101a Abs. 1, 3 UrhG zugunsten des Anspruchsberechtigten die Verpflichtung zur Vorlage einer Urkunde oder zur Duldung der Besichtigung einer Sache im Wege der einstweiligen Verfügung nach §§ 935–945 ZPO angeordnet werden, wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das Urheberecht widerrechtlich verletzt wurde und die Anordnung zur Begründung eines Anspruchs erforderlich ist. 422 Nur bei wenigen Ansprüchen sind Leistungsverfügungen regelmäßig ausgeschlossen. 423 Das liegt allerdings nicht an der Existenz eines numerus clausus der möglichen Ansprüche, sondern daran, dass andere Voraussetzungen der Leistungsverfügung bei derartigen Ansprüchen praktisch nicht vorhanden sein können. 424 Bei Mietforderungen dürfte es beispielsweise oft an einem Verfügungsgrund fehlen, also einer akuten Notlage, deretwegen der Vermieter auf die Zahlung der Miete dringend angewiesen ist. 425 Hierüber kann zukünftig voraussichtlich allerdings die neu einzuführende 418
KG GRUR 1988, 403, 404; OLG Hamm NJW-RR 1992, 640; OLG Köln WRP 2003, 1008; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 26; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 34; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 8. 419 OLG Rostock MDR 2004, 1109; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 53; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 17; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 18; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 34; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 8. 420 Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 18. 421 Aufzählung einiger Sonderregelungen bei Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 8. 422 Zur Entstehung aus Art. 6 und 7 der Durchsetzungs-Richtlinie: Czychowski, in: Nordemann, Urheberrecht, § 101a Rn. 6 f. Zur Kritik an der Umsetzung Wimmers, in: Loewenheim, Urheberrecht, § 101a Rn. 43–48. 423 OLG Celle NJW 1952, 1221; Brox/Walker, Rn. 1609; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 17; Stürner, FS Zeuner, S. 513 ff. 424 OLG Celle NJW 1952, 1221; Brox/Walker, Rn. 1609. 425 OLG Celle NJW 1952, 1221; OLG Düsseldorf ZMR 2004, 751; Brox/Walker, Rn. 1609; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 86; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 36 f.; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 44.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Hinterlegungsanordnung hinweghelfen, die Gläubiger einer Geldforderung davor schützen soll, durch die Dauer des Hauptsacheverfahrens einen wirtschaftlichen Schaden zu erleiden. 426 Gemäß des geplanten § 302a ZPO erlässt das Gericht des ersten Rechtszugs auf Antrag wegen der nach Rechtshängigkeit fällig werdenden Geldforderungen eine Hinterlegungsanordnung, soweit die Erweiterung der Klage auf diese Forderungen hohe Aussicht auf Erfolg hat und die Anordnung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen zur Abwendung besonderer Nachteile für den Kläger gerechtfertigt ist. 427 Hat der Vermieter Räumungsklage wegen Zahlungsverzugs erhoben, darf das Gericht die Räumung einer Wohnung durch einstweilige Verfügung gemäß des neuen § 940a Abs. 3 ZPO anordnen, wenn der beklagte Mieter der Hinterlegungsanordnung nicht Folge leistet. 428
I. Rolle des Richters I. Rolle des Richters
Hinsichtlich der Rolle des Richters zeigen sich beim kort geding und bei der Leistungsverfügung deutliche Unterschiede. I. Rolle des Richters beim kort geding Der kort geding-Richter bekleidet eine wichtige Position, die sich auch von der im Hauptsacheverfahren unterscheidet. Während im Hauptsacheverfahren klare Vorgaben für den Ablauf des Verfahrens und für die Entscheidung zu beachten sind, enthalten die wenigen gesetzlichen Regelungen zum kort geding weite Spielräume und eröffnen dem kort geding-Richter große Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit. 429 Ausdruck der offenen Verfahrensgestaltung ist es zum Beispiel, dass der kort geding-Richter in keinem nennenswerten Umfang an formelle Vorgaben oder Fristen gebunden ist. 430 So kann er eine Verhandlung innerhalb sehr kurzer Zeit einberufen. 431 Auch bei der Beurteilung der Zuständigkeit und der Eilbedürftigkeit einer Sache und bei der im kort geding so wichtigen Interessenabwägung 426 Referentenentwurf für ein Gesetz über die energetische Modernisierung von vermietetem Wohnraum und über die vereinfachte Durchsetzung von Räumungstiteln (Mietrechtsänderungsgesetz) vom 11. Mai 2011, S. 23 f. 427 aaO, S. 12 f. 428 aaO, S. 13. 429 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 115; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 34. 430 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 81; van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 70. 431 Keijser/Tjoen-Tak-Sen, TREMA 1992, 183, 186.
I. Rolle des Richters
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verfügt der Richter über einen großen Spielraum. Steht der jeweilige Richter korte gedingen positiv gegenüber und bewertet ihren häufigen Einsatz als sinnvoll, dann kann er seine Zuständigkeit weit auffassen. 432 Da nicht definiert ist, was unter Eilbedürftigkeit zu verstehen ist, kann auch diese Voraussetzung enger oder weiter verstanden werden. Die Interessenabwägung schließlich ermöglicht, dass der kort geding-Richter eine auf seiner Sichtweise der Sach- und Rechtslage basierende und an den Parteiinteressen orientierte Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg des klägerischen Antrags fällen kann. 433 Das heisst zum Beispiel, dass der kort gedingRichter trotz Vorliegens einer unerlaubten Handlung wegen sehr großer Nachteile für den Beklagten gegenüber dem Nutzen des Klägers oder wegen vorrangiger gesellschaftlicher Interessen von einer Verurteilung absehen kann. 434 Wie stark die kort geding-Richter den Gegenstand der Verfahren beeinflussen können, hat sich besonders bei den korte gedingen für Geldforderungen gezeigt. Der Richterschaft einiger das kort geding für Geldforderungen befürwortender Gerichtsbezirke ist es gelungen, diese lange Zeit als unzulässig erachtete Variante des Verfahrens nach und nach im ganzen Land durchzusetzen, so dass sie nunmehr als allgemein anerkannt gilt 435. Generell kann man festhalten, dass Gerichtsbezirke, in denen die Richter dem kort geding gegenüber wohlwollend eingestellt waren, einen überdurchschnittlichen Anstieg an korte gedingen verzeichnet haben 436, während dort, wo sich die Mehrheit der Richter gegen eine Ausdehnung des kort geding aussprach, besonders wenige verkürzte Verfahren durchgeführt wurden 437. Aufgrund der örtlichen Unterschiede tun die Parteien gut daran, sich für ihren Rechtsstreit an einen Rechtsanwalt zu wenden, dem
432
Bots, S. 101; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, TREMA 1992, 183, 186. Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 126; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, NJB 1985, 929, 930 f.; Wieten, S. 56. 434 Vgl. Hoge Raad vom 15.12.1995, NJ 1996, Nr. 509. 435 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489; Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395; Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 45 ff.; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45; Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21, 22; Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 48; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 73; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 138; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–7; Schenk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 3, 5; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 300; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 6 c); van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 436 Bots, S. 101; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, NJB 1985, 929, 930 f.; dies., TREMA 1991, 306, 310. 437 Bots, S. 101; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, NJB 1986, 491, 493; Keijser/Tjoen-TakSen, TREMA 1991, 306, 310. 433
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
die Gepflogenheiten der jeweils zuständigen kort geding-Richter bekannt sind. 438 Ein Nebeneffekt der geringen gesetzlichen Vorgaben ist die hohe Verantwortung des kort geding-Richters. Ihm wird nicht nur zugestanden, schnell, sondern – falls notwendig – auch intensiv einzugreifen. 439 Kort geding-Richter genießen für ihre Erfahrung und ihre Fähigkeit, in kurzer Zeit eine Entscheidung zu treffen, besondere Wertschätzung. 440 Die Bilder eines „weisen Mannes“, „Dorfältesten“ oder „Feuerwehrmannes“ werden in diesem Zusammenhang bemüht. 441 Besonders deutlich treten Machtfülle und persönliche Autorität des kort geding-Richters in gesellschaftlich oder politisch aufgeheizten Situationen hervor. 442 Namentlich bei Arbeitsniederlegungen oder Hausbesetzungen war die Entscheidung des kort gedingRichters oft von herausragender Relevanz für den weiteren Verlauf des Geschehens. 443 Daraus resultiert die Bezeichnung als „trouble shooter“ 444. Da die Umstände einer Eilentscheidung Fehler eher verzeihen lassen, erleidet das richterliche Ansehen selbst bei einer aus Sicht einer Partei fragwürdigen Entscheidung selten Schaden. 445 Vielmehr scheint es das hohe Ansehen des kort geding-Richters den Parteien zu erleichtern, seine Entscheidungen zu akzeptieren. 446 Nur sehr wenige korte gedingen werden in eine höhere Instanz gebracht, wodurch der kort geding-Richter faktisch auch die Autorität der letzten Instanz besitzt. 447 Infolgedessen prägt er das Rechtsleben in alltäglichen oder neuartigen Streitigkeiten oft sogar in größerem Umfang als der Hoge Raad, weil diese Fälle gar nicht oder erst nach beträchtlicher Zeit zum obersten Gericht gelangen. 448 Bei manchen im kort geding verhandelten Sachverhalten ist allerdings zu erwägen, ob sie nicht besser ins ordentliche Verfahren mit seinen festen Regeln gehörten, beispielsweise wegen hoher Grundrechtsbrisanz. 449 Die große Machtfülle des kort geding-Richters birgt hier das Risiko, dass er das Recht mehr als für 438 van den Biesen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het derland, Het Kort Geding, S. 70. 439 Zonderland, Het Kort Geding, S. 71. 440 van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 70. 441 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue fahren, S. 125, 127; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 81. 442 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue fahren, S. 125; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 15 f. 443 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 27. 444 Kramer, NTBR 1999, 74, 79. 445 Zonderland, Het Kort Geding, S. 72. 446 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue fahren, S. 125, 135. 447 Zonderland, Het Kort Geding, S. 71. 448 Zonderland, Het Kort Geding, S. 71. 449 Bots, S. 101.
kort geding, S. 36; Zon-
Methoden im ZivilverMethoden im Zivilver-
Methoden im Zivilver-
J. Zuständigkeit
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den Einzelfall nötig prägt 450 und Entwicklungen in Gang setzt, die nur noch schwer kontrollierbar sind 451. II. Rolle des Richters bei der Leistungsverfügung Anders als beim kort geding ist die Rolle des Richters bei der Leistungsverfügung gegenüber derjenigen im ordentlichen Verfahren nicht besonders herausgehoben. Ist ein Kollegialgericht zuständig, hat der Vorsitzende grundsätzlich kein Alleinentscheidungsrecht, solange kein Fall besonderer Dringlichkeit im Sinne von § 944 ZPO vorliegt. 452
J. Zuständigkeit J. Zuständigkeit
Hinsichtlich der Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen sind bei korte gedingen und Leistungsverfügungen einige Unterschiede zu verzeichnen. I. Zuständigkeit für korte gedingen Zu differenzieren ist wie immer zwischen der internationalen, sachlichen und örtlichen Zuständigkeit. 1. Internationale Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit (internationale bevoegdheid oder, wie es in Art. 1 WBRv heißt, rechtsmacht) behandelt die Frage, ob und inwieweit die Gerichte eines Staates für grenzüberschreitende Fälle zuständig sind. 453 Jeder Staat kann die Reichweite der internationalen Zuständigkeit seiner Gerichte selbständig festlegen, soweit keine dem nationalen Recht vorgehenden Regelungen bestehen. 454 Die niederländischen Gerichte prüfen von Amts wegen, ob sie international zuständig sind. 455 Auch in eilbedürftigen 450
Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 46. Bots, S. 101. 452 Anders als in den Niederlanden, wo stets ein Richter entscheidet. 453 Strikwerda, Inleiding, S. 211; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–1. 454 Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698; Strikwerda, Inleiding, S. 211 f.; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–2–6. 455 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 40; Polak, in: van Nispen/van Mierlo/ Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 1, Afd. 1, Inl. opm., Nr. 10; Rutgers, Advocatenblad 2000, 364, 368; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 14. Dies geht hervor aus der Formulierung, die in vielen Zuständigkeitsregelungen der Art. 2 ff. WBRv zu finden ist: „Die nie451
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Fällen mit Auslandsbezug muss die internationale Zuständigkeit geklärt werden. a) Staatsverträge und EU-Verordnungen In den meisten grenzüberschreitenden Fällen ergibt sich die internationale Zuständigkeit aus Staatsverträgen und EU-Verordnungen. Gemäß Art. 94 Gw gehen Staatsverträge dem nationalen niederländischen Recht vor. Bis zum Inkrafttreten der Europäischen Gerichtsstands- und Vollstreckungsverordnung (EuGVO) waren die für die Niederlande bedeutendsten Staatsverträge das Europäische Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen (EuGVÜ), das Luganer Übereinkommen (LugÜ) und der NederlandsBelgisch Executieverdrag 456. Alle drei Verträge enthalten Regelungen zur internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen, in EuGVÜ und LugÜ jeweils in Art. 24. Demgemäß können die nach mitgliedstaatlichem Recht vorgesehenen Maßnahmen bei den Gerichten dieses Mitgliedstaates auch dann beantragt werden, wenn für die Hauptsache das Gericht eines anderen Staates zuständig ist. In den Entscheidungen van Uden und Mietz hat der EuGH klargestellt, dass das kort geding eine einstweilige Maßnahme im Sinne des Art. 24 EuGVÜ ist. 457 Der Nederlands-Belgisch Executieverdrag sieht in Art. 8 die Möglichkeit vor, dass in dringenden Fällen einstweilige Maßnahmen in einem der beiden Länder erlassen werden können, unabhängig davon, welches Gericht die Hauptsache verhandeln wird. Gemäß Art. 55, 56 EuGVÜ geht das Übereinkommen allerdings bilateralen Vereinbarungen vor. Der Nederlands-Belgisch Executieverdrag spielt daher nur in den vom Übereinkommen nicht erfassten Rechtsgebieten eine Rolle. 458 Seit dem 1. März 2002 gilt für die internationale Zuständigkeit in Zivilund Handelssachen im Anwendungsbereich der EuGVO deren Art. 31. Auch EU-Verordnungen gehen nationalem Recht vor 459, sie gelten gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar. Art. 31 EuGVO hat die Regelung für einstweilige Maßnahmen in Art. 24 EuGVÜ wörtlich übernommen. derländischen Gerichte sind international zuständig, wenn …“ („De Nederlandse rechter heeft rechtsmacht indien …“). 456 Verdrag tusschen Nederland en België van 28 Maart 1925 betreffende de territoriale rechterlijke bevoegdheid, betreffende het faillissement en betreffende het gezag en de tenuitvoerleging van rechterlijke beslissingen, van scheidsrechterlijke uitspraken en van authentieke akten, Stb. 1929, 250. 457 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/ Intership Yachting. Zum Umgang mit den Anforderungen der EuGH-Entscheidungen van Uden und Mietz in der niederländischen Rechtsprechung vgl. Kramer, NIPR 2003, 240, 249 f. Siehe dazu ausführlich S. 260. 458 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 150 f. 459 Vgl. EuGHE 1964, 1251, 1269 f. – Costa/E.N.E.L.
J. Zuständigkeit
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b) Autonomes Recht Greifen weder Staatsverträge noch EU-Verordnungen ein, so muss zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit auf das autonome Recht zurückgegriffen werden. Dies kann etwa notwendig werden, wenn der Beklagte keinen Wohnsitz in einem Mitgliedstaat hat, so dass der persönliche Anwendungsbereich der EuGVO nicht gemäß Art. 2 Abs. 1 eröffnet ist. Nach Art. 4 Abs. 1 EuGVO richtet sich die internationale Zuständigkeit in diesem Fall nach nationalem Recht. Handelt es sich um keine Zivil- und Handelssache, so liegt die Streitigkeit außerhalb des sachlichen Anwendungsbereichs im Sinne des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 EuGVO. Davon abgesehen kann das nationale Zuständigkeitsrecht relevant werden, wenn es über Art. 31 EuGVO zur Anwendung berufen wird. 460 Für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach autonomem niederländischem Recht brachte die Zivilprozessreform von 2002 wichtige Änderungen, die auch verkürzte Verfahren betreffen. aa) Bestimmung der internationalen Zuständigkeit bis Ende 2001 Bis zum 31. Dezember 2001 kannte das WBRv nahezu keine Regelung der internationalen Zuständigkeit 461 und sah erst recht keine Regelung der internationalen Zuständigkeit in eilbedürftigen Fällen vor 462. Ursache hierfür war, dass grenzüberschreitende Sachverhalte bei der Entstehung des Gesetzes im Jahre 1838 sehr selten waren. 463 Als sich dies im Laufe der Zeit änderte, zeigte sich mehr und mehr die Lückenhaftigkeit des Gesetzes bezüglich der internationalen Zuständigkeit. Der Hoge Raad sah die Lösung des Problems in einer doppelfunktionalen Anwendung der Regeln über die örtliche Zuständigkeit 464, die zum Beispiel auch in Deutschland 465 und Frankreich 466 praktiziert wird. Doppelfunktionale Anwendung bedeutet, dass aus den Regelungen über die örtliche auf die internationale Zuständigkeit geschlossen wird. 467 Ist die
460
Siehe dazu S. 312. Strikwerda, Inleiding, S. 215; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–19. 462 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 159. 463 Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 41; Rutgers, Advocatenblad 2000, 364; Strikwerda, Inleiding, S. 218. 464 Hoge Raad vom 24.12.1915, NJ 1916, Nr. 417; bestätigt in Hoge Raad vom 5.12.1940, NJ 1941, Nr. 312 und Hoge Raad vom 26.10.1984, NJ 1985, Nr. 696. 465 BGHZ 44, 46, 47; Schack, IZVR5, Rn. 266. 466 Audit, S. 305; Mayer/Heuzé, S. 206. 467 Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 41; Rutgers, Advocatenblad 2000, 364; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–2–6; Ynzo461
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örtliche Zuständigkeit gegeben, indiziert sie die internationale Zuständigkeit (Distributie bepaalt attributie 468). 469 Zur Ermittlung der internationalen aus der örtlichen Zuständigkeit musste je nach Art des Verfahrens die passende Vorschrift über die örtliche Zuständigkeit herangezogen werden. Im Hinblick auf die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit beim kort geding führte der Grundsatz der Doppelfunktionalität allerdings nicht unmittelbar weiter, da es keine Regelung der örtlichen Zuständigkeit für das kort geding gab. 470 Mangels ausdrücklicher Regelung wurden in der Rechtsprechung verschiedene Möglichkeiten zur Ermittlung der örtlichen Zuständigkeit vorgeschlagen. Danach kamen das forum acti, also das Gericht, in dessen Bezirk eine einstweilige Maßnahme vollzogen werden sollte, oder aber die sich aus dem Gesetz für das ordentliche Verfahren ergebenden Gerichtsstände in Betracht, und der Kläger konnte hieraus wählen. 471 Diese örtlichen Zuständigkeiten wurden doppelfunktional zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit herangezogen. Außerdem konnte die internationale Zuständigkeit auch von den Parteien selbst mittels einer Gerichtsstandsvereinbarung festgelegt werden. 472 (1) Forum acti Als forum acti erklärte der Hoge Raad die Rechtbank für zuständig, in deren Bezirk eine einstweilige Maßnahme vollzogen werden sollte. 473 Die nides, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 3, Inl. opm., Nr. 5. 468 Distributie van rechtsmacht ist die örtliche Zuständigkeit, attributie van rechtsmacht die internationale. Distributie bepaalt attributie bedeutet also, die örtliche Zuständigkeit bestimmt die internationale Zuständigkeit. Strikwerda, Inleiding, S. 215. 469 Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 41; Rutgers, Advocatenblad 2000, 364; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–2–6; Ynzonides, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 3, Inl. opm., Nr. 5. 470 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 159. 471 Die Anknüpfung an das forum acti wurde erstmals in Hoge Raad vom 1.5.1896, W. 6811, befürwortet und in Hoge Raad vom 23.11.1917, NJ 1918, Nr. 6; Pres. Rb. Utrecht vom 27.11.1975, NJ 1976, Nr. 481; Pres. Rb. Amsterdam vom 3.11.1994, Kort Geding 1995, Nr. 12 bestätigt. Die Anwendung der Zuständigkeitsnormen des ordentlichen Verfahrens geht hervor aus Hoge Raad vom 27.1.1938, NJ 1938, Nr. 976; Pres. Rb. Breda vom 9.5.1961, NJ 1961, Nr. 529; Pres. Rb. Rotterdam vom 6.5.1976, NJ 1977, Nr. 205. 472 Pres. Rb. ’s-Hertogenbosch vom 3.1.1974, NJ 1974, Nr. 320; Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.5.1994, Kort Geding 1994, Nr. 404; Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 2; Eilers, S. 122; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28 f. 473 Hoge Raad vom 1.5.1896, W. 6811 (Ausführungen hierzu bei Meijers/Vermeulen, S. 206); Hoge Raad vom 23.11.1917, NJ 1918, Nr. 6; Pres. Rb. Utrecht vom 27.11.1975, NJ 1976, Nr. 481; Pres. Rb. Amsterdam vom 3.11.1994, Kort Geding 1995, Nr. 12. Zustimmend
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forum acti-Zuständigkeit wird aus dem Wortlaut von Art. 254 Abs. 1 WBRv, der von einer einstweiligen, also unverzüglichen Maßnahme („onmiddellijke voorziening“) spricht, abgeleitet. 474 Die Formulierung enthält damit zwar keine ausdrückliche Kompetenzzuweisung, doch betont sie das charakteristischste Merkmal des kort geding, die Eilbedürftigkeit. 475 Der Eilbedürftigkeit wird am besten Rechnung getragen, wenn der Rechtsstreit von dem Gericht entschieden wird, das eng mit dem Geschehen verbunden ist. 476 Dieses Gericht ist in der Lage, die Umstände zu beurteilen, die für oder gegen den Erlass von einstweiligen Maßnahmen sprechen. 477 Dabei handelt es sich insbesondere um das Gericht, in dessen Bezirk die einstweilige Maßnahme vollstreckt werden soll. 478 In doppelfunktionaler Anwendung ist der Gerichtsstand am Ort der Vollstreckung noch wichtiger als bei der örtlichen Zuständigkeit. Gerade in internationalen Streitigkeiten dürfte es dem Richter am Vollstreckungsort leichter fallen, die dortigen Gegebenheiten zu beurteilen, als einem Richter in einem anderen Staat. 479 Bemerkenswerte Folge einer Zuständigkeit an dem Ort, wo die einstweilige Maßnahme wirken soll, war, dass auf diese Weise ein niederländischer Richter örtlich zuständig sein konnte, obwohl – nach den gesetzlichen Regelungen – kein Gerichtsstand in den Niederlanden gegeben gewesen wäre. 480 Der Ort der Vollstreckung richtet sich nach dem Inhalt der Forderung. Bei Geldforderungen ergibt sich ein Gerichtsstand dort, wo sich Vermögen des Beklagten befindet. 481 Sind Ge- oder Verbote Gegenstand des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme, ist das Gericht an dem Ort zuständig, wo die gebotenen Handlungen erbracht oder die verbotenen unterlassen werden müssen. 482
auch Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 2, mwN aus der Literatur, und Kramer, NIPR 2003, 240, 243. 474 Eilers, S. 121 (noch zu Art. 289 WBRv aF); Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–62–66. 475 Eilers, S. 121 (noch zu Art. 289 WBRv aF); Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–62–66. 476 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–62–66. 477 Pres. Rb. Middelburg vom 4.3.1988, Kort Geding 1988, Nr. 168; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 160. 478 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 159 f.; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–62–66. 479 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 160. 480 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 135. 481 Pres. Rb. Arnhem vom 22.12.1999, Kort Geding 2000, Nr. 58; Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 2. 482 Pres. Rb. Zwolle vom 4.8.1983, Kort Geding 1983, Nr. 262; Pres. Rb. Middelburg vom 24.4.1987, NJ 1989, Nr. 744; Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 113.
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(2) Doppelfunktionale Anwendung der Regelungen zum ordentlichen Verfahren Neben dem von der Rechtsprechung geprägten forum acti wurde zur Ermittlung der internationalen Zuständigkeit für korte gedingen auch auf die Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit zurückgegriffen, aus denen dann auf die internationale geschlossen wurde. Für die verschiedenen Arten von Verfahren waren im Gesetz unterschiedliche Grundregeln zur örtlichen Zuständigkeit vorgesehen. Die örtliche Zuständigkeit in einer dagvaardingsprocedure richtete sich bei Rechtbanksachen nach Art. 126 WBRv aF, bei Kantonsachen nach Art. 98 WBRv aF. In einer verzoekschriftprocedure galt Art. 429c WBRv aF. Weil korte gedingen regelmäßig mit einer Ladung (dagvaarding) eingeleitet werden 483, lag die Anwendung der für die dagvaardingsprocedure geltenden Zuständigkeitsnormen, deren zentrale Vorschrift Art. 126 WBRv war, bei ihnen nahe. Die Heranziehung der bestehenden Vorschriften hatte den Vorteil, dass das Gericht seine Zuständigkeit anhand von eindeutigen Kriterien feststellen konnte. Die Zuständigkeit folgte mithin nicht allein daraus, ob der angerufene Richter die Verbindung der Streitigkeit zum Forum als ausreichend erachtete oder nicht. 484 Die Gefahren mangelnder Vorhersehbarkeit und Rechtssicherheit für die Beteiligten wurden hierdurch vermieden. Die Anwendung der Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit trug auch zur schnelleren Feststellung der Zuständigkeit bei und half, das Ziel des kort geding zu verwirklichen, eine zügige und zuverlässige Entscheidung in eilbedürftigen Fällen zu gewährleisten. Gerade im kort geding war deshalb die Heranziehung des Art. 126 WBRv wichtig. Art. 126 Abs. 1 WBRv aF, der entsprechend dem allgemein anerkannten Grundsatz „actor sequitur forum rei“ den Wohnsitz des Beklagten als Anknüpfungspunkt für die örtliche Zuständigkeit bestimmte, war für die internationale Zuständigkeit aber von geringer Bedeutung. Er glich Art. 2 Abs. 1 EuGVÜ, so dass bei einem Wohnort des Beklagten in den Niederlanden im Anwendungsbereich des Übereinkommens der Staatsvertrag vorging. Art. 126 Abs. 3 WBRv aF war demgegenüber reizvoll für den Kläger, weil er einen Gerichtsstand an seinem Wohnort eröffnete (forum actoris). Ein in den Niederlanden ansässiger Kläger konnte also im Rechtsstreit mit einem ausländischen Beklagten ein niederländisches Gericht zur Durchführung eines kort geding anrufen. Wie eine Entscheidung des Hof Amsterdam 483
Vgl. Art. 254 Abs. 2 Satz 1 WBRv. Hierzu und zu Folgendem Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–62–66. 484
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exemplarisch zeigt, waren die Gerichte auf eine verantwortungsvolle Anwendung von Art. 126 Abs. 3 WBRv aF in grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten Bedacht. In einem kort geding-Verfahren zwischen einer niederländischen und einer österreichischen Gesellschaft über die gemeinsame Geschäftstätigkeit in Polen verneinte der Hof Amsterdam seine internationale Zuständigkeit mit der Begründung, der Streitgegenstand habe unzureichende Verbindungen zu den Niederlanden. 485 Im Anwendungsbereich des EuGVÜ war die Heranziehung des Klägergerichtsstands im Hinblick auf den Ausschluss so genannter exorbitanter Gerichtsstände in Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ (der indes nur das Hauptverfahren betrifft) umstritten. 486 Art. 126 Abs. 3 WBRv aF galt gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVÜ als international unerwünscht. 487 (3) Gerichtsstandsvereinbarungen Die Parteien konnten die doppelfunktionale Anwendung der Regelungen zur örtlichen Zuständigkeit vermeiden, indem sie selbst einen Gerichtsstand vereinbarten. Vereinbarungen zur internationalen Zuständigkeit haben in den Niederlanden allerdings noch keine lange Tradition. Bis zu den Entscheidungen Piscator 488 und Harvest Trader 489 Mitte der 1980er Jahre war eine Bestimmung der internationalen Zuständigkeit nach dem Willen der Parteien nicht erlaubt. 490 Dahinter stand der damals vorherrschende Gedanke, dass die Rechtsprechung Ausdruck der staatlichen Souveränität ist, die nur durch das Völkerrecht begrenzt wird. Wer über Ausländer Recht sprach, verletzte nach dieser Auffassung die Souveränität des Heimatstaates und das Völkerrecht. 491 Außerdem wurde das Verbot von Gerichtsstandsver485
Hof Amsterdam vom 23.11.1995, NJ 1997, Nr. 739. Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 2; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 161; Strikwerda, Inleiding, S. 214 und 218; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 176 f. 487 Zur Behandlung so genannter exorbitanter Gerichtsstände im Rahmen von EuGVÜ und EuGVO ausführlich S. 321. 488 Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698 (zur Prorogation), mit Anm. Sauveplanne, IPRax 1986, 48 ff. 489 Hoge Raad vom 28.10.1988, NJ 1989, Nr. 765 (zur Derogation). 490 Hoge Raad vom 24.12.1915, NJ 1916, Nr. 417; Hoge Raad vom 26.4.1918, NJ 1918, Nr. 587; Hoge Raad vom 5.12.1940, NJ 1941, Nr. 312. Das Gesetz enthielt ein ausdrückliches Verbot in Art. 100 Abs. 1 WBRv aF: „Elk beding, waarbij van de wettelijke regelen omtrent de betrekkelijke bevoegdheid van de kantonrechter wordt afgeweken, is nietig.“ Abgedruckt in Ars Aequi Wetseditie, Burgerlijk Procesrecht, Wetboek van burgerlijke rechtsvordering (oud), 16. Auflage, 2011/2012. Auf Deutsch: „Jede Klausel, durch die hinsichtlich der Zuständigkeit des Kantonrichters von den gesetzlichen Regelungen abgewichen wird, ist nichtig.“ 491 Strikwerda, Inleiding, S. 211. 486
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einbarungen mit fiskalischen Erwägungen begründet. Der niederländische Staat habe ein Interesse daran, dass von dem mit seinen öffentlichen Mitteln finanzierten Gerichtsapparat nur innerhalb der von dem Staat selbst gesetzten Grenzen Gebrauch gemacht werde. 492 Umgangen werden konnte das Verbot von Gerichtsstandsvereinbarungen durch die freie Wahl eines Wohnsitzes (élection de domicile). 493 Das Gericht an dem gewählten Wohnsitz war für die Entscheidung der Streitigkeit örtlich zuständig. 494 Aus der örtlichen folgte auch hier die internationale Zuständigkeit. 495 Mit den Entscheidungen Piscator und Harvest Trader gab der Hoge Raad seine ablehnende Haltung gegenüber Pro- und Derogationen auf 496. Da zu diesem Zeitpunkt für viele vor niederländischen Gerichten verhandelten grenzüberschreitenden Fälle bereits das EuGVÜ galt, das in Art. 17 entsprechend der international verbreiteten Rechtspraxis Gerichtsstandsvereinbarungen anerkannte, war diese Änderung überfällig, damit auch das autonome niederländische Recht den Anforderungen des internationalen Rechtsverkehrs genügte. 497 Besonders im internationalen Wirtschaftsverkehr ist es bedeutsam, dass die Parteien schon zu Beginn ihrer geschäftlichen Beziehung einen Gerichtsstand für eventuell auftretende Streitigkeiten festlegen können. 498 Aus den höchstrichterlichen Entscheidungen Piscator und Harvest Trader ergab sich im Grundsatz die Zulässigkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Wesentliche Voraussetzung war, dass die Streitigkeit ein Rechtsgebiet betraf, auf welchem die Parteien Gestaltungsfreiheit hatten. 499 Konnten sie über den Streitgegenstand frei disponieren, stand auch der Wahl eines Gerichtsstandes nichts entgegen. Trotz Gestaltungsfreiheit blieb eine Gerichtsstandsvereinbarung aber unzulässig, wenn sie spezialge492
Vgl. Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698. Sauveplanne, IPRax 1986, 48; Schütze, in: Geimer/Schütze, EuZVR, E.16 (Länderbericht Niederlande) Rn. 6. 494 Vgl. Art. 126 Abs. 3 WBRv aF (Klägerwohnsitz) und Art. 126 Abs. 1 WBRv aF (Beklagtenwohnsitz). 495 Sauveplanne, IPRax 1986, 48; Schütze, in: Geimer/Schütze, EuZVR, E.16 (Länderbericht Niederlande) Rn. 6. 496 Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698; Hoge Raad vom 28.10.1988, NJ 1989, Nr. 765. Daran anknüpfend: Hoge Raad vom 17.12.1993, NJ 1994, Nr. 348. 497 Dies erkennt der Hoge Raad selbst an in den Entscheidungen vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698 und vom 28.10.1988, NJ 1989, Nr. 765. 498 Sauveplanne, IPRax 1986, 49. 499 Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698; Hoge Raad vom 28.10.1988, NJ 1989, Nr. 765. Aus dem Erfordernis der Gestaltungsfreiheit folgte, dass Gerichtsstandsvereinbarungen vornehmlich bei vermögensrechtlichen Streitigkeiten zulässig waren, Verheul/ Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 259. In familienrechtlichen Streitigkeiten wurden sie jedoch als unzulässig angesehen, Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54. 493
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setzlich oder staatsvertraglich ausgeschlossen war oder wenn an ihr kein berechtigtes Interesse bestand. 500 Das Kriterium des berechtigten Interesses wurde sehr weit ausgelegt und lag schon dann vor, wenn eine der Parteien in den Niederlanden ansässig war oder wenn die niederländischen Gerichte als besonders sachkundig für den jeweiligen Fall angesehen wurden, aber auch wenn die Niederlande bewusst als neutrales Forum gewählt worden waren. 501 (i) Gerichtsstandsvereinbarungen für das Hauptsacheverfahren Ob eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache auch im kort geding Bedeutung erlangen konnte, wurde in der Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. 502 Stimmen in der Literatur plädierten mehr oder weniger überzeugend dafür, Gerichtsstandsvereinbarungen im vorläufigen Rechtsschutz zu erlauben 503, es sei denn, die gesetzlichen Vorschriften, von denen abgewichen werden sollte, seien zwingend 504. Dann sollte für eine Gerichtsstandsvereinbarung kein Raum bleiben. 505 Nach richtiger Auffassung konnte eine Gerichtsstandsvereinbarung auch für das kort geding Geltung beanspruchen, wenn aus ihr eindeutig hervorging, dass beide Parteien den vorläufigen Rechtsschutz erfassen wollten. 506 Denn Gerichtsstandsvereinbarungen sind Ausdruck der prozessualen Parteiautonomie. Insbesondere wenn es sich bei der eilbedürftigen Angelegenheit in Wahrheit um ein verkapptes Hauptsacheverfahren handelt, sollte eine Erstreckung der Gerichtsstandsvereinbarung auf das kort geding möglich sein. 507 500
Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698; Hoge Raad vom 28.10.1988, NJ 1989, Nr. 765. 501 Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698. 502 Nach Pres. Rb. ’s-Hertogenbosch vom 3.1.1974, NJ 1974, Nr. 320 und Pres. Rb. ’sGravenhage vom 11.5.1994, Kort Geding 1994, Nr. 404, erstreckt sich eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache auf das kort geding. A.A. Hof ’s-Hertogenbosch vom 4.10.1949, NJ 1950, Nr. 723; Pres. Rb. Alkmaar vom 9.11.1955, NJ 1956, Nr. 367; Pres. Rb. Den Bosch vom 13.1.1961, NJ 1961, Nr. 535; Pres. Rb. Utrecht vom 27.11.1975, NJ 1976, Nr. 481. 503 Befürwortend, wenn die Umstände des Falles dafür sprechen: Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28. Ebenfalls dafür: Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 96 und Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 267. Ausdrücklich Zurückhaltung fordernd: Oudelaar, S. 119 f. 504 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 96; Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 267. 505 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 96; Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 267. 506 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28; Verheul, NJB 1967, 889, 920. 507 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28; Verheul, NJB 1967, 889, 893 f.
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(ii) Gerichtsstandsvereinbarungen für das kort geding Eine weitere Frage war, ob Gerichtsstandsvereinbarungen auch isoliert nur für den einstweiligen Rechtsschutz getroffen werden konnten. Die Zulässigkeit einer Prorogation für Streitigkeiten im kort geding war umstritten. Blaauw befürchtete ein forum shopping im einstweiligen Rechtsschutz, das er vermeiden wollte. 508 Er hielt die bestehenden Möglichkeiten der Prozessordnung für ausreichend und Gerichtsstandsvereinbarungen für Streitigkeiten im kort geding für unwirksam. 509 Oudelaar bezweifelte, dass ein Verbot von Gerichtsstandsvereinbarungen im kort geding, wie von Blaauw gefordert, richtig ist. 510 Er meinte, ein Verbot bedenke nicht ausreichend, dass für die Hauptsache die Auswahl eines Gerichts zulässig sei. 511 Im Ergebnis sprach er sich für Gerichtsstandsvereinbarungen in korte gedingen aus, machte dabei jedoch eine Einschränkung, wenn die Vereinbarung zu Komplikationen bei der schnellen Abwicklung eilbedürftiger Fälle führen würde. 512 Auch Kramer zog einen Vergleich zur Hauptsache, für die Gerichtsstandsvereinbarungen zulässig sind, und sah in Bezug auf diese Vereinbarungen keine so evidenten Unterschiede zwischen kort geding und Hauptsache, dass eine andere Behandlung des kort geding notwendig sei. 513 Aus diesem Grund vertrat sie die Zulässigkeit von Prorogationen für Streitigkeiten im kort geding. 514 Auch nach neuerer Rechtsprechung waren Prorogationen für korte gedingen zulässig. 515 Mit der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur ist die Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen für Streitigkeiten, die im kort geding ausgetragen werden, zu befürworten. Denn eine schon vor Beginn eines Rechtsstreits festgelegte Zuständigkeit ist im einstweiligen Rechtsschutz besonders vorteilhaft. Während mangels ausdrücklicher Regelung der Gerichtsstand über die doppelfunktionale Anwendung der örtlichen Zuständigkeit erst ermittelt werden muss, schafft die Vereinbarung von vornherein Klarheit über den Ort eines möglichen Rechtsstreits. Die Be508
Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 97. Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 97. 510 Oudelaar, S. 120. 511 Oudelaar, S. 120. 512 Oudelaar, S. 120. 513 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28 f. 514 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28 f. 515 Pres. Rb. ’s-Hertogenbosch vom 3.1.1974, NJ 1974, Nr. 320; Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.5.1994, Kort Geding 1994, Nr. 404. Prorogationen erachteten noch als unzulässig: Pres. Rb. Haarlem vom 11.12.1946, NJ 1947, Nr. 696; Pres. Rb. Zwolle vom 8.9.1948, NJ 1950, Nr. 87; Pres. Rb. Rotterdam vom 10.5.1950, NJ 1952, Nr. 484. 509
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fürchtung, mit der Erlaubnis der Gerichtsstandsvereinbarungen könne forum shopping im einstweiligen Rechtsschutz Einzug halten, vermag die genannten Vorteile nicht zu entkräften. Das Ausnutzen günstiger Gerichtsstände bringt im einstweiligen Rechtsschutz insoweit weniger Gefahren mit sich als im ordentlichen Verfahren, weil ein Hauptsacheverfahren folgen kann, für das eine isoliert für den einstweiligen Rechtsschutz getroffene Gerichtsstandsvereinbarung keine Wirkung zeigt. Selbst wenn sich die Parteien also im vorläufigen Rechtsschutz länderspezifische Unterschiede zunutze gemacht haben, können damit einhergehende international unerwünschte Folgen durch ein am gesetzlichen Gerichtsstand durchgeführtes Hauptsacheverfahren wieder ausgeglichen werden. Was Derogationen betrifft, wurde in der Rechtsprechung angenommen, dass die von Gesetzes wegen befugten Gerichte und das Gericht des Vollstreckungsortes neben dem gewählten Gericht zum Erlass von korte gedingen stets zuständig bleiben 516. Die Abwahl der ohne die Gerichtsstandsvereinbarung zuständigen Gerichte für einstweilige Maßnahmen war nach dieser Auffassung also nicht zulässig. Der Annahme, dass das forum acti durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht berührt wird, schlossen sich auch Stimmen in der Literatur 517 an. Zur Begründung wurde auf den Wortlaut von Art. 254 Abs. 1 WBRv verwiesen, wonach die Maßnahmen unverzüglich erlassen werden sollen 518. Der Unverzüglichkeit meinte man am Vollstreckungsort am besten gerecht zu werden, so dass der gewählte Gerichtsstand insoweit zurücktreten musste. 519 Dieser Argumentation ist allerdings entgegenzuhalten, dass die Bedeutung der Parteiautonomie im Prozessrecht immer mehr zunimmt. 520 Daher wurde die Unzulässigkeit von Vereinbarungen mit derogierender Wirkung in der Literatur vor der Zivilprozessreform von 2002 zuletzt zu Recht für nicht mehr vertretbar gehalten 521.
516 Hof Den Bosch vom 4.10.1949, NJ 1950, Nr. 723; Hof Den Haag vom 7.4.1982, Schip en Schade 1982, Nr. 82; Pres. Rb. Utrecht vom 27.11.1975, NJ 1976, Nr. 481; Pres. Rb. Zwolle vom 4.8.1983, Kort Geding 1983, Nr. 262. 517 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27; Meijers, S. 111 f.; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–67; Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 267. 518 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–67. 519 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–67. 520 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27 und 164. 521 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27 und 164.
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(4) Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit National unterschiedliche Anknüpfungsmerkmale können dazu führen, dass auch die Gerichte anderer Staaten international zuständig sind. 522 Ist ein Rechtsstreit zwischen denselben Parteien über denselben Streitgegenstand bereits vor einem ausländischen Gericht anhängig, besteht das Problem der anderweitigen Rechtshängigkeit. 523 Dies betrifft vornehmlich den Fall, dass es sich um zwei Verfahren im einstweiligen Rechtsschutz oder um zwei Hauptsacheverfahren handelt, nicht aber die Situation, dass ein vorläufiges und ein ordentliches Verfahren durchgeführt werden sollen. 524 Das einstweilige und das ordentliche Verfahren betreffen nicht denselben Streitgegenstand, weil das eine Verfahren die Sache grundsätzlich nur vorläufig regelt, während das andere nach einer endgültigen Lösung strebt. 525 Vor der Zivilprozessreform war der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit bezüglich der internationalen Zuständigkeit nicht gesetzlich geregelt 526, aber an zwei ungeschriebene Voraussetzungen geknüpft. Zum einen musste absehbar sein, dass das ausländische Urteil in den Niederlanden anerkennungsfähig 527 sein würde. 528 Bei negativer Anerkennungsprognose konnte der Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit nicht durchgreifen, und das inländische Verfahren wurde ohne Unterbrechung fortgesetzt. 529 Zum zweiten war erforderlich, dass der Kläger kein berechtigtes Interesse daran hatte, die Sache, die schon im Ausland anhängig war, auch
522
Strikwerda, Inleiding, S. 234. Strikwerda, Inleiding, S. 234; Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 252. 524 Hof Den Haag vom 29.2.1980, NJ 1980, Nr. 608; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28. Der Einwand anderweitiger Rechtshängigkeit bei mehreren einstweiligen Verfahren in verschiedenen Staaten ist umstritten. In der niederländischen Literatur wird er als zulässig angesehen. Erauw, Beginselen van internationaal privaatrecht, S. 74; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 136; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 292, Art. 31–3. 525 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28. 526 Hinsichtlich der örtlichen Zuständigkeit bestanden Regelungen in Art. 158 Abs. 1 WBRv aF (dagvaardingsprocedure) und Art. 429m Abs. 1 WBRv aF (verzoekschriftprocedure). Sie sahen eine Verweisung an den bereits mit der Sache beschäftigten Richter („andere gewone rechter“) vor. In Bezug auf die internationale Zuständigkeit waren die Normen daher nicht anwendbar. Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 250. 527 Die Anerkennung ausländischer Urteile in den Niederlanden setzt voraus, dass der ausländische Richter für den Fall zuständig war, dass das Urteil in einem ordnungsgemäßen Verfahren zustande gekommen ist und dass das Urteil nicht im Widerspruch zur öffentlichen Ordnung steht. Strikwerda, Inleiding, S. 275. 528 Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54; Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 251. 529 Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54. 523
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noch vor ein niederländisches Gericht zu bringen. 530 Lagen beide Voraussetzungen vor, musste der mit der Angelegenheit befasste Richter seinen Rechtsstreit unterbrechen, bis das ausländische Urteil ergangen war. 531 Erwies sich dann die Annahme der Anerkennungsfähigkeit der ausländischen Entscheidung als richtig, konnte die inländische Klage als unzulässig abgewiesen werden. 532 Allein die Tatsache, dass eine Sache zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand schon vor einem ausländischen Gericht anhängig war, bildete aber noch keinen Grund für das später angerufene niederländische Gericht, sich sogleich für unzuständig zu erklären. 533 Im einstweiligen Rechtsschutz kamen als weitere Voraussetzungen des Einwands der anderweitigen Rechtshängigkeit hinzu, dass das ausländische Recht eine vergleichbare Maßnahme kannte, dass die ausländische Maßnahme den gleichen Zweck verfolgte und auch im Inland Wirkung entfalten konnte, woraus letztendlich erst das Risiko einander widersprechender Maßnahmen resultierte. 534 Handelte es sich um ein kort geding, musste zudem die Eilbedürftigkeit geltend gemacht werden. Wenn die Hürde der Eilbedürftigkeit überwunden werden konnte, scheiterte der Einwand der Rechtshängigkeit regelmäßig an der mangelnden Wirkung der ausländischen Maßnahme im Inland. 535 bb) Bestimmung der internationalen Zuständigkeit seit Anfang 2002 Das Inkrafttreten des neuen WBRv am 1. Januar 2002 brachte für die Bestimmung der internationalen Zuständigkeit gravierende Änderungen mit sich. Seither finden sich in den ersten 14 Artikeln des neuen WBRv ausdrückliche Regelungen für die internationale Zuständigkeit. Die Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit dürfen nur noch in Ausnahmefällen doppelfunktional angewandt werden, Art. 10 WBRv. Der Gesetzgeber beließ es auch nicht bei der Kodifizierung anerkannter Meinungen aus Literatur und Rechtsprechung, sondern nahm einige inhaltliche Modernisierungen vor. 536 Die Änderungen wirken sich auch auf die internationale Zuständigkeit für korte gedingen aus. 530 Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54; Pres. Rb. Roermond vom 2.10.1997, NIPR 1998, Nr. 287; Hof ’s-Gravenhage vom 23.12.1998, NIPR 1999, Nr. 235. 531 Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54. 532 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 164. 533 Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 689; bestätigt in Hoge Raad vom 8.9.2000, NJ 2000, Nr. 641. 534 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 164. 535 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 164. 536 Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 41; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–14–18.
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(1) Internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 13, 1 ff. WBRv Art. 1 ff. WBRv enthalten keine eigene Zuständigkeitsregelung für das kort geding. Als einstweilige Maßnahme fällt das kort geding aber unter Art. 13 WBRv. 537 Diese Vorschrift ist an Art. 31 EuGVO angelehnt. 538 Zwischen der niederländischen und der europäischen Regelung gibt es allerdings einen Unterschied. Während gemäß Art. 31 EuGVO nach mitgliedstaatlichem Recht vorgesehene Maßnahmen bei den Gerichten des Mitgliedstaates auch dann beantragt werden können, wenn für die Hauptsache das Gericht eines anderen Staates zuständig ist, formuliert Art. 13 WBRv, dass die internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte für einstweilige Maßnahmen nicht schon dadurch ausgeschlossen ist, dass für die Hauptsache keine niederländische internationale Zuständigkeit besteht. Die europäischen Regelungen wollen also eine Zuständigkeit schaffen, die niederländische Regelung möchte hingegen der Unzuständigkeit entgegenwirken. 539 Mit Art. 13 WBRv soll der Einwand ausgeschlossen werden, das angerufene Gericht sei nicht in der Hauptsache zuständig. 540 Die Vorschrift begründet damit selbst keine Zuständigkeit. Die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen ergibt sich erst aus Art. 13 in Verbindung mit Art. 1 ff. WBRv. 541 Die Gerichtsstände der Hauptsache stehen als Eilzuständigkeiten zur Verfügung, selbst wenn die Gerichte nicht über die Hauptsache entscheiden. Gemäß den jeweiligen Anknüpfungskriterien der Zuständigkeitsregelungen muss auch für die internationale Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen eine hinreichende Verbindung zu den Niederlanden 542 gegeben sein. (2) Vorstellung der Art. 1 ff. WBRv Über die Verweisung von Art. 13 wird die internationale Zuständigkeit in korte gedingen anhand der Art. 1 ff. WBRv ermittelt. (i) Grundlagen der neuen Vorschriften Art. 1 WBRv stellt eingangs klar, dass die folgenden Vorschriften nur dann die internationale Zuständigkeit bestimmen, wenn keine Staatsverträge oder EU-Verordnungen einschlägig sind. An exponierter Stelle wird 537
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 46; Strikwerda, Inleiding, S. 226. Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 46; Strikwerda, Inleiding, S. 229; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Art. 13–1. 539 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 46; Strikwerda, Inleiding, S. 226. 540 Kramer, NIPR 2003, 240, 243. 541 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 46; Strikwerda, Inleiding, S. 226. 542 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 46. 538
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hiermit deutlich gemacht, dass die internationale Zuständigkeit hauptsächlich durch internationale Regelwerke bestimmt wird. 543 Der Vorrang von Staatsverträgen und EU-Verordnungen folgt allerdings bereits aus Art. 94 Gw. Art. 1 WBRv ist daher rein deklaratorisch. Der Gesetzgeber war sich dessen bewusst, wollte im WBRv aber noch einmal an das Rangverhältnis erinnern, das unter Umständen die Anwendung der nationalen Zuständigkeitsnormen in Art. 2 ff. WBRv verwehren kann. 544 Art. 2 WBRv bestimmt als Ausgangspunkt zur Ermittlung der internationalen Zuständigkeit den Wohnsitz 545 oder gewöhnlichen Aufenthaltsort des Beklagten in den Niederlanden. Die Vorschrift gilt für Verfahren, die mittels einer dagvaarding eingeleitet werden, also auch für korte gedingen. Anders als Art. 99 WBRv für die örtliche Zuständigkeit spricht Art. 2 WBRv nicht von werkelijk verblijf (tatsächlichem Aufenthaltsort), sondern von gewone verblijf (gewöhnlichem Aufenthaltsort). Eigenständige Bedeutung erlangt der werkelijk verblijf nur dann, wenn eine Person keinen festen Wohnsitz hat. In diesem Fall kann der werkelijk verblijf auch einen Anknüpfungspunkt für die internationale Zuständigkeit bieten. Hat eine Person aber einen Wohnsitz, der außerhalb der Niederlande liegt, wären die Verbindungen zu den Niederlanden zur Begründung der internationalen Zuständigkeit ungenügend. 546 Art. 3 ff. WBRv enthalten Sonderregelungen für besondere Rechtsgebiete, zum Beispiel für Familien- und Verbrauchersachen. (ii) Besonderheiten der neuen Vorschriften Die Regelungen der Art. 1 ff. WBRv weisen einige Besonderheiten auf. So erklären etwa Art. 9 lit. b und c WBRv die niederländischen Gerichte für international zuständig, wenn ein Gerichtsverfahren außerhalb der Niederlande nicht möglich erscheint bzw. wenn dem Kläger eine Rechtsverfolgung im Ausland unzumutbar wäre. Die Vorschriften unterscheiden sich von den mit klaren Kriterien versehenen vorangehenden Regelungen durch die Verwendung der unbestimmten Begriffe „onmogelijk“ (unmöglich) oder „onaanvaardbaar“ (unzumutbar). Sie fungieren als Auffangnormen in Fällen, in denen trotz einer gewissen Verbindung zum niederländischen Rechtskreis kein Anknüpfungspunkt aus Art. 2–8 WBRv gegeben ist. Es handelt sich um eine gesetzliche Ausprägung des forum necessitatis. 547 Die 543
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 27. Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 27. 545 Die Definition des Wohnsitzes (woonplats) in Art. 1:10 BW findet Anwendung, Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 28. 546 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 27 ff. 547 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 41 f.; Kramer, NIPR 2002, 375, 383; Meijknecht, Kennismaking, S. 15; Strikwerda, Inleiding, S. 233. 544
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Anforderungen sind sehr hoch. Deshalb greifen Art. 9 lit. b und c WBRv als Notzuständigkeiten nur in Extremfällen wie Kriegen oder Naturkatastrophen ein. 548 Neben Art. 9 lit. b und c WBRv verdient unter den neuen Bestimmungen die forum conveniens-Regel des Art. 3 lit. c WBRv besonderes Augenmerk. Hiernach sind niederländische Gerichte auch in Fällen zuständig, in denen andere Regelungen keine ausdrückliche Zuständigkeit ergeben, weil kein zuständigkeitsbegründendes Merkmal vorliegt, obwohl eine Verbindung zum niederländischen Rechtskreis besteht. Auf das mit einer dagvaarding einzuleitende kort geding findet Art. 3 lit. c WBRv allerdings keine Anwendung, denn Art. 3 WBRv gilt nur für Verfahren, die mit einer verzoekschrift beginnen. Auf die forum non conveniens-Lehre kann nach der Reform von 2002 mit der Einführung eines ausdrücklich geregelten Zuständigkeitssystems, von wenigen Ausnahmen im Familienrecht abgesehen, 549 nicht mehr zurückgegriffen werden. 550 1970 war mit dem damaligen Art. 429c Abs. 15 WBRv eine forum non conveniens-Regelung in das Gesetz eingefügt worden, die allerdings 2002 wieder abgeschafft wurde. 551 Gemäß Art. 429c Abs. 15 WBRv, der für die internationale Zuständigkeit doppelfunktional angewandt wurde, konnte ein Richter feststellen, dass er unzuständig ist, weil der Rechtsstreit keine genügende Verbindung zum niederländischen Rechtskreis aufwies. 552 Zunächst beschränkte sich der Anwendungsbereich entsprechend dem Wortlaut der Norm auf verzoekschrift-Verfahren, wurde aber bald darüber hinaus ausgeweitet und erfreute sich großer Popularität. 553 Besonders im kort geding beriefen sich die Gerichte häufig auf den forum non conveniens-Gedanken, um sich für unzuständig zu erklären. 554 Auch für einen Rückgriff auf die Normen zur örtlichen Zuständigkeit ist dank der Neuerungen kaum mehr Raum. Eine Besonderheit unter den neuen Vorschriften stellt deshalb Art. 10 WBRv dar, der den Grundsatz der 548
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 41; Kramer, NIPR 2002, 375, 383; Meijknecht, Kennismaking, S. 15; Rutgers, Advocatenblad 2000, 364, 367; Strikwerda, Inleiding, S. 233. 549 Vgl. Art. 4 Abs. 3 lit. b und Art. 5 WBRv. 550 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 30 f.; Kramer, NIPR 2002, 375, 376. 551 Kramer, NIPR 2002, 375, 376; Strikwerda, Inleiding, S. 231. 552 Art. 429c Abs. 15 WBRv aF lautete: „Aan de rechter komt geen rechtsmacht toe, indien het verzoek onvoldoende aanknoping met de rechtssfeer van Nederland heeft.“ Auf Deutsch: „Der Richter ist nicht zuständig, wenn der Antrag unzureichende Verbindungen zur niederländischen Rechtsordnung hat.“ 553 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 83; Kramer, NIPR 2002, 375, 376; Steenhoff, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 19, 26; Strikwerda, Inleiding, S. 231. 554 Hof Amsterdam vom 23.11.1995, NJ 1997, Nr. 739; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 83; Steenhoff, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 19, 26; Strikwerda, Inleiding, S. 232; Vlas, NILR 1999, 102, 108.
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Doppelfunktionalität in engen Grenzen aufrechterhält. Demgemäß kann sich die internationale Zuständigkeit immer noch aus bestimmten Sonderregelungen zur örtlichen Zuständigkeit ergeben. Als Beispiel nennt Art. 10 WBRv den vollstreckungsrechtlichen Art. 767 WBRv, aus dem ein forum arresti folgt 555. Außerdem können Art. 438 Abs. 2, Art. 676, Art. 700 Abs. 1, Art. 705 Abs. 1 und Art. 765 WBRv herangezogen werden. Gemäß Art. 438 Abs. 2 Satz 1 WBRv kann in Zwangsvollstreckungssachen eine einstweilige Maßnahme von den nach Abs. 1 der Norm befugten Gerichten im kort geding erlassen werden. Dies kann sowohl das Gericht sein, das schon nach den Regeln für das ordentliche Verfahren zuständig war als auch dasjenige, in dessen Zuständigkeitsbereich die Zwangsvollstreckung stattfindet. 556 Eine weitere Spezialvorschrift zur örtlichen Zuständigkeit in kort geding-Sachen ist Art. 676 WBRv. Diese Norm erklärt für Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Ver- oder Entsiegelung von Sachen aus einem Nachlass das Gericht des Ortes für zuständig, an dem die Ver- oder Entsiegelung stattfinden soll, und bei Streitigkeiten wegen der Erstellung eines Nachlassverzeichnisses das Gericht des Ortes, an dem sich die zu verzeichnenden Nachlassgegenstände befinden. Art. 700 Abs. 1 WBRv fordert für die dem deutschen Arrest ähnliche Sicherungspfändung (conservatoir beslag) die Genehmigung des Gerichts, in dessen Bezirk die betroffenen Sachen lagern oder, falls sich die Maßnahme nicht auf Sachen bezieht, des Gerichts am Wohnort des Schuldners. Die danach zur Sicherungspfändung befugten Gerichte sind gemäß Art. 705 Abs. 1 WBRv auch für deren Aufhebung im kort geding zuständig. Daneben können laut Art. 705 Abs. 1 WBRv die nach den Bestimmungen für das ordentliche Verfahren zuständigen Gerichte die Aufhebung anordnen. Art. 765 erstreckt die Regelungen der Art. 700 und 705 WBRv auch auf Pfändungen, die sich gegen Ausländer ohne Wohnsitz im Inland richten (vreemdelingenbeslag). Anders als bei der Sicherungspfändung gemäß Art. 700 ff. WBRv muss im Fall des vreemdelingenbeslag nicht geltend gemacht werden, dass die Durchsetzung des Anspruchs wegen Verdunkelung gefährdet ist. Art. 765 WBRv spielt in der Praxis eine Rolle bei Pfändungen von ausländischen Schiffen, die einen niederländischen Hafen angelaufen haben. 557
555
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 44. Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 161; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 220 ff. 557 Jongbloed, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Inl. opm. Art. 765. 556
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
In den genannten Fällen kann die internationale Zuständigkeit über die örtliche Zuständigkeit ermittelt werden. So soll der Situation vorgebeugt werden, dass niederländische Gerichte nicht international zuständig sind, weil keine Zuständigkeit aus Art. 1 ff. WBRv zur Verfügung steht, obwohl eine Verbindung zu den Niederlanden gegeben ist. 558 Voraussetzung ist aber, dass die Sonderregelungen nicht nur für Inlandsfälle Geltung beanspruchen. 559 Der Gesetzgeber zog damit den einfacheren Weg vor, hinsichtlich der Spezialregelungen eine Verweisungsnorm wie Art. 10 WBRv zu schaffen, statt auch diese Normen direkt in den Abschnitt über die internationale Zuständigkeit einzuarbeiten. 560 Nach Art. 11 WBRv obliegt es dem Beklagten, die internationale Unzuständigkeit der niederländischen Gerichte geltend zu machen. Anderenfalls verliert er diese Einrede. Art. 12 WBRv regelt den Einwand ausländischer Rechtshängigkeit: Wenn eine Rechtssache im Ausland anhängig ist, die der Anerkennung und Vollstreckung in den Niederlanden zugänglich ist, kann das später angerufene niederländische Gericht den bei ihm anhängigen Rechtsstreit aussetzen. Wenn sich herausstellt, dass die ausländische Entscheidung tatsächlich anerkennungs- und vollstreckungsfähig ist, erklärt sich das Gericht für unzuständig. Die Aussetzung ist im Gegensatz zu Art. 27 EuGVO nicht zwingend, sondern steht im Ermessen des Gerichts. 561 Findet ein Richter bei der Prüfung seiner internationalen Zuständigkeit keinen Anknüpfungspunkt in Art. 2 ff. WBRv, dann muss er sich für unzuständig erklären. (iii) Änderungen gegenüber der alten Rechtslage Eine im Vergleich zur alten Rechtslage besonders hervorzuhebende Änderung ist die mit der Abschaffung des Grundsatzes der Doppelfunktionalität einhergegangene Streichung des zuvor beliebten 562 Klägergerichtsstands in Art. 126 Abs. 3 WBRv aF. 563 Für den Kläger bot Art. 126 Abs. 3 WBRv aF die Gelegenheit, ohne großen Aufwand vor einem inländischen Gericht sein Recht durchzusetzen, selbst wenn der Beklagte im Ausland wohnte. Ein Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers kann bei einstweiligen Maß558
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 43; Kramer, NIPR 2002, 375, 384. Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 43; Polak, in: van Nispen/van Mierlo/ Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 10 Nr. 2. 560 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 43; Kramer, NIPR 2002, 375, 384; Polak, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 10 Nr. 2. 561 Kramer, NIPR 2002, 375, 384. 562 Kramer, IPRax 2002, 537, 541; Strikwerda, Inleiding, S. 218. 563 Ausführlich zu Art. 126 Abs. 3 WBRv aF Verheul/Feteris, Rechtsmacht, Deel 2, S. 83–88. 559
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nahmen ebenso reizvoll für den Kläger wie risikoreich für den Beklagten sein. Der Beklagte ist bei einem Verfahren am Wohnort des Klägers besonders schutzbedürftig, weil der Kläger ihn mit der Antragstellung überrascht. 564 Der Beklagte hat eine kürzere Vorbereitungszeit und die größeren logistischen Anstrengungen durch die Prozessführung im Ausland. 565 Art. 126 Abs. 3 WBRv aF wurde aus diesen Gründen als exorbitant angesehen, was die Anerkennung darauf gestützter niederländischer Entscheidungen im Ausland meist ausschloss. 566 Im Einklang mit der internationalen Rechtspraxis wurde der Gerichtsstand am Klägerwohnsitz abgeschafft 567 und steht niederländischen Rechtsschutzsuchenden nun nicht mehr zur Verfügung. 568 Erstaunlich ist vor diesem Hintergrund, dass der jetzige Art. 109 WBRv inhaltlich an Art. 126 Abs. 3 WBRv aF angelehnt zu sein scheint. Auch diese Norm knüpft für die örtliche Zuständigkeit an den Wohnsitz des Klägers an. Zu beachten ist aber, dass die mit Art. 126 Abs. 3 WBRv aF verbundene Sorge, dass in grenzüberschreitenden Fällen ein international nicht anerkannter Gerichtsstand eröffnet wird, auf Art. 109 WBRv nicht übertragbar ist. Art. 109 WBRv kann nämlich nur eingreifen, wenn die internationale Zuständigkeit bereits festgestellt wurde. 569 Eine doppelfunktionale Anwendung kommt wegen der ausdrücklichen Regeln der Art. 1 ff. WBRv für die internationale Zuständigkeit nicht in Betracht. Außerdem hat Art. 109 WBRv lediglich die Funktion einer Auffangnorm. Art. 109 ist nur dann einschlägig, wenn Art. 99–108 WBRv nicht eingreifen. Schon bezüglich der örtlichen Zuständigkeit hat die Norm also geringe Bedeutung. Eine weitere auffallende Änderung gegenüber der alten Rechtslage ist die Aufnahme von Regelungen zur Gerichtsstandsvereinbarung in den Gesetzestext. Vor der Reform ergab sich die Zulässigkeit von Prorogationen aus der höchstrichterlichen Rechtsprechung und zwar aus den Entscheidungen Piscator und Harvest Trader des Hoge Raad. 570 Die Kernpunkte dieser Urteile wurden im Zuge der Reform des WBRv in Art. 8 Abs. 1 und
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Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 28. Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 28. 566 Kramer, IPRax 2002, 537, 541; Strikwerda, Inleiding, S. 214 f. 567 Kramer, NIPR 2002, 375, 376. 568 Etwas anderes gilt nur in verzoekschrift-Verfahren gemäß Art. 3 lit. a WBRv in besonderen, beispielsweise familienrechtlichen Verfahren. 569 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 96; Fokker, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 286, Artikel 109–1; Ynzonides, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 109 Nr. 1. 570 Hoge Raad vom 1.2.1985, NJ 1985, Nr. 698 (zur Prorogation); Hoge Raad vom 28.10.1988, NJ 1989, Nr. 765 (zur Derogation), siehe oben S. 99. 565
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2 WBRv nF kodifiziert. 571 Im Einklang mit der Piscator-Entscheidung setzt Art. 8 Abs. 1 WBRv für die Zulässigkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung voraus, dass die Parteien ein niederländisches Gericht für einen zwischen ihnen möglicherweise später entstehenden Rechtsstreit über ein bestimmtes Rechtsverhältnis ausgewählt haben und diesbezüglich ein berechtigtes Interesse haben. Erforderlich ist außerdem, dass die Parteien über das Rechtsverhältnis disponieren dürfen. Abs. 2 schreibt die gleichen Voraussetzungen für die Wahl eines ausländischen Gerichtsstandes und damit die Abwahl der niederländischen Entscheidungszuständigkeit vor. Angesichts dieser eindeutigen Regelung müssen Derogationen nunmehr auch im einstweiligen Rechtsschutz für zulässig gehalten werden, wofür schon vor der Zivilprozessreform die zunehmende Bedeutung der Parteiautonomie im Prozessrecht sprach. 572 Gemäß Art. 8 Abs. 5 Satz 1 WBRv bedürfen Gerichtsstandsvereinbarungen der Schriftform. Schließlich enthält noch die neue Regelung zum Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit eine beachtenswerte Neuerung. Geändert hat sich die Folge der Geltendmachung anderweitiger Rechtshängigkeit. Vor der Reform musste das spätere Verfahren bis zum Erlass des anderen Urteils ausgesetzt 573 und die Klage daraufhin gegebenenfalls als unzulässig zurückgewiesen werden. 574 In Art. 12 WBRv ist nun geregelt, dass der Richter im Falle der Geltendmachung des Einwandes der Rechtshängigkeit sein Verfahren aussetzen kann. Er ist hierzu jedoch nicht verpflichtet 575. Hat sich der Richter aber zur Aussetzung entschlossen und ist das ausländische Urteil im Inland anerkennungsfähig, dann muss er sich für unzuständig erklären. Die Vorschrift normiert damit eine Ausnahme zur internationalen Zuständigkeit nach Art. 2 ff. WBRv. 576 (iv) Gründe und Ziele der ausdrücklichen Regelungen der internationalen Zuständigkeit Für die Schaffung ausdrücklicher Regelungen der internationalen Zuständigkeit gab es eine Vielzahl von Gründen. Hauptaspekte waren die Vereinfachung des nationalen Rechts und seine Modernisierung in Anpassung an internationale Entwicklungen. 577 571 Kramer, NIPR 2002, 375, 382; van Rooij/Polak, Private International Law, S. 46 f.; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–7. 572 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27 und 164. 573 Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54. 574 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 164. 575 Dies schließt an frühere Rechtsprechung an: Hoge Raad vom 3.7.1995, NJ 1997, Nr. 54; Hof ’s-Gravenhage vom 23.12.1998, NIPR 1999, Nr. 235. 576 Strikwerda, Inleiding, S. 234. 577 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23.
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Maßgeblichen Anteil auf dem Weg zur Vereinfachung und Modernisierung hatte die Abkehr vom Grundsatz der Doppelfunktionalität. Der Rückgriff auf die im Gesetz verstreuten Vorschriften der örtlichen Zuständigkeit in einer steigenden Anzahl grenzüberschreitender Fälle schürt Rechtsunsicherheit und erschwert eine zügige Rechtsanwendung. Die systematische Erfassung der Regelungen fördert hingegen die Rechtssicherheit und erleichtert die Rechtsanwendung. 578 Der einstweilige Rechtsschutz kann auf diese Weise seine Aufgabe schneller, unkomplizierter Hilfe besser erfüllen. Die Annahme, dass die internationale Zuständigkeit stets der örtlichen folgt, ist außerdem im modernen internationalen Rechtsverkehr nicht mehr logisch zwingend. Der Grundsatz der Doppelfunktionalität trägt nämlich den heutzutage bestehenden Unterschieden zwischen örtlicher und internationaler Zuständigkeit nicht hinreichend Rechnung. 579 Gerade in einem kleinen Staat wie den Niederlanden kommt es dank der Verkehrsanbindung nicht mehr darauf an, ob ein Richter in Groningen oder Rotterdam örtlich zuständig ist. 580 Die örtliche Zuständigkeit kann daher flexibler und einfacher geregelt und gehandhabt werden als die internationale Zuständigkeit, anhand derer entschieden wird, ob im In- oder Ausland prozessiert wird. Ein Prozess im Ausland ist mit größerem Aufwand verbunden, der sich u. a. in Sprachproblemen, Unkenntnis des ausländischen Rechts und höheren Kosten niederschlagen kann. 581 Zur Vereinfachung des Zuständigkeitsrechts hat beigetragen, dass der Gesetzgeber die Regelungen der internationalen Zuständigkeit systematisch an den Anfang des WBRv platziert hat. Ziel war es, die Bestimmungen, die für alle Verfahren gelten, in einem vorangestellten Allgemeinen Teil zusammenzufassen. 582 Die Vorschriften zur internationalen Zuständigkeit für die unterschiedlichen Verfahrenstypen dagvaardingsprocedure und verzoekschriftprocedure findet man daher nicht mehr in den jeweiligen Abschnitten, sondern zu Beginn des Gesetzes in Art. 2 und 3 WBRv. Mit der Aufnahme der internationalen Zuständigkeit in das WBRv betont der Gesetzgeber außerdem ihre Verbindung zum Prozessrecht, was eine Ent-
578 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23; Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 41. 579 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23; Kramer, NIPR 2002, 375; Rutgers, Advocatenblad 2000, 364; Strikwerda, Inleiding, S. 217 f.; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–7. 580 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23; Kramer, NIPR 2002, 375. 581 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23; Kramer, NIPR 2002, 375; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–7. 582 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 21 f.
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scheidung gegen eine Regelung in einem Gesetz zum Internationalen Privatrecht 583 impliziert. 584 Zur Modernisierung gehört auch, dass der niederländische Gesetzgeber sich an die Vorschriften anderer EU-Mitgliedstaaten und besonders diejenigen des EuGVÜ anlehnte. 585 Der Einfluss des EuGVÜ auf den Entstehungsprozess dieser Vorschriften ist zum Beispiel in Art. 13 WBRv unverkennbar. 586 Die niederländischen Zuständigkeitsregelungen reichen insgesamt allerdings weiter, was damit zu erklären ist, dass sie auch dann einen Gerichtsstand bereitstellen wollen, wenn europäisches Recht nicht anwendbar ist. 587 Für den internationalen Rechtsverkehr bedeutet die Anlehnung an das EuGVÜ Rechtseinheit und -sicherheit. 588 2. Sachliche Zuständigkeit Die sachliche Zuständigkeit (absolute competentie) bestimmt, welches Gericht in erster Instanz über einen Rechtsstreit zu entscheiden hat, Rechtbank, Gerechtshof oder Hoge Raad. 589 Die Grundnorm für die sachliche Zuständigkeit der Rechtbanken ist Art. 42 Wet op de rechterlijke organisatie (im Folgenden: RO). Danach sind die Rechtbanken – vorbehaltlich gesetzlicher Ausnahmen – in erster Instanz für alle bürgerlich-rechtlichen Sachen zuständig. 590 Für eilbedürftige Fälle ist diese Regelung jedoch nicht anwendbar. Die Entscheidungszuständigkeit für verkürzte Verfahren liegt gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv stets beim voorzieningenrechter 591 oder gemäß Art. 254 Abs. 4 WBRv beim kantonrechter.
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An der Kodifizierung des niederländischen Internationalen Privatrechts wird seit Anfang der 1980er Jahre gearbeitet. Vorgesehen ist ein Gesetzesentwurf für die nicht in Verträgen oder Verordnungen geregelten Gebiete, der einen Platz in Buch 10 des Burgerlijk Wetboek erhalten soll, Kamerstukken 2009–2010, 32137, Nr. 2. 584 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 25 f. 585 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23 f.; Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 42; Vlas, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 279, Titel 1, afd. 1–8–12. 586 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 24 f. und 46. 587 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 25. 588 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 23; Ernes, S. 16. 589 Vgl. Art. 2 RO. 590 Die Rechtbanken werden daher auch oft als „gewone rechter“ (ordentliche Richter) bezeichnet. Ernes, S. 17. 591 Voorziening bedeutet Maßnahme; der voorzieningenrechter ist also der für einstweilige Maßnahmen (voorlopige voorzieningen) im kort geding zuständige Richter. Er wird daher auch als kort geding-Richter bezeichnet.
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Umstritten ist, ob die über korte gedingen entscheidenden Richter hinsichtlich ihrer Zuständigkeit an die Begrenzung des Art. 112 Abs. 1 Gw 592 auf zivilrechtliche Ansprüche gebunden sind 593 oder ob sie in gesellschaftlichen Interessenkonflikten jeglicher Art als Schlichter auftreten dürfen. Ein Urteil der Rechtbank ’s-Gravenhage 594 entfachte eine Diskussion über dieses Problem. 595 Zugrunde lag ein Fall, in dem ein Streik bei der Post durch eine Entscheidung im kort geding beendet werden sollte. Das Gericht erließ eine einstweilige Maßnahme, obwohl es nach summarischer Prüfung des Falles nicht zu dem Ergebnis gekommen war, dass unrechtmäßig gehandelt worden war 596. Dies erweckte den Eindruck, das kort geding könne losgelöst vom Vorliegen der jeweiligen Tatbestandsmerkmale und von der Zuständigkeitsverteilung in Art. 112 Abs. 1 Gw als Ordnungsinstrument bei Interessenkonflikten eingesetzt werden. 597 Das Urteil gab den Vertretern der Ansicht Auftrieb, welche die gesellschaftliche und soziale Funktion des kort geding betonen. 598 Ihnen zufolge sind im vorläufigen Verfahren getroffene Entscheidungen bloße Ordnungsmaßnahmen, die viele verschiedene Arten von Konflikten auf der Basis einer Interessenabwägung lösen können. 599 Dabei sollen die Gerichte 592 Art. 112 Abs. 1 Gw lautet: „Aan de rechterlijke macht is opgedragen de berechting van geschillen over burgerlijke rechten en over schuldvorderingen.“ Auf Deutsch: „Die Rechtsprechung über Streitigkeiten bezüglich zivilrechtlicher Ansprüche und Forderungen ist der ordentlichen Gerichtsbarkeit übertragen.“ 593 Lange Zeit war die sachliche Zuständigkeit der Zivilgerichte in Art. 2 RO aF geregelt, so dass sich auch ein Großteil der im Folgenden zitierten Literatur und Rechtsprechung hierauf bezieht. Art. 2 RO aF lautete: „De kennisneming en beslissing van alle geschillen over eigendom of daaruit voortspruitende rechten, over schuldvorderingen of burgerlijke rechten zijn bij uitsluiting opgedragen aan de rechterlijke macht.“ Schenk/Blaauw, Het kort geding5, Algemeen deel, S. 30. Auf Deutsch: „Die Kenntnisnahme und Entscheidung bezüglich aller Streitigkeiten betreffend das Eigentum und daraus abzuleitender Rechte, betreffend Forderungen und zivilrechtlicher Ansprüche ist ausschließlich der ordentlichen Gerichtsbarkeit übertragen.“ Die Vorschrift wurde im Zuge der Reformierung des Gesetzes zur Gerichtsorganisation mit Wirkung zum 1.1.1994 gestrichen, da der Gesetzgeber die Auffassung vertrat, es handele sich um eine unnötige Wiederholung des Art. 112 Gw. Gesetzesbegründung zum Wet van 16 december 1993 tot wijziging van de Wet op de rechterlijke organisatie, Stb. 1993, 650, Kamerstukken II 1991–1992, 22 495, Nr. 3, S. 83 f. 594 Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.11.1983, NJ 1983, Nr. 774. 595 Bots, S. 83; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 69; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 4. 596 Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.11.1983, NJ 1983, Nr. 774. 597 Bots, S. 89. 598 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 44 f.; Bruinsma, Korte gedingen, S. 4 und 155 ff.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 66–71; Schut, in: Kort Geding en Toetsing, S. 35, 40. 599 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 44 f.; Bruinsma, Korte gedingen, S. 155 ff.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 67.
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nicht an die Beschränkung des Art. 112 Abs. 1 Gw auf bürgerliche Rechte und Forderungen gebunden sein. 600 Ihre sachliche Zuständigkeit ergebe sich vielmehr allein aus Art. 254 Abs. 1 WBRv, der von allen eilbedürftigen Sachen („alle spoedeisende zaken“) spricht, und erfordere lediglich die Eilbedürftigkeit der jeweiligen Sache. 601 Das Vorliegen von Eilbedürftigkeit genüge, ohne dass die Rechtsnatur der zu entscheidenden Fälle näher konkretisiert werden müsse. Gegen die Anwendung des Art. 112 Gw werden auch rechtshistorische Argumente vorgebracht. Als Nachfolger des Lieutenant Civil beim Châtelet de Paris müsse dem kort geding-Richter die gleiche weite Zuständigkeit für eilbedürftige Fälle zukommen. 602 Auch sei es die Absicht der Verfasser des Art. 806 Acpc, der Ursprungsnorm des kort geding, gewesen, die richterliche Zuständigkeit lediglich an die Voraussetzung der Eilbedürftigkeit zu knüpfen. 603 In Anbetracht der wichtigen Änderungen in der Auslegung der Regelungen zum kort geding im 20. Jahrhundert und der daraus folgenden Bedeutung des Verfahrens erscheinen diese aus einer viel früheren Rechtspraxis stammenden Argumente heutzutage aber wenig schlagkräftig. Eine andere Auffassung stellt deshalb zutreffend die rechtliche Funktion des kort geding in den Vordergrund, das typischerweise einer potentiellen Hauptsache vorangehe und diese unterstützen solle. 604 Infolgedessen sei die Zuständigkeit des über ein kort geding entscheidenden Richters an die des Zivilrichters im ordentlichen Verfahren gekoppelt. 605 Der Wortlaut des Art. 112 Abs. 1 Gw erstrecke die sachliche Zuständigkeit des Zivilrichters ausschließlich auf Streitigkeiten über zivilrechtliche Ansprüche. Ob ein Anspruch zivilrechtlicher Art sei, richte sich nach der Natur des Anspruchs. 606 Beruft sich der Kläger im kort geding auf einen zivilrechtlichen 600
Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 70. Nach Schut, in: Kort Geding en Toetsing, S. 35, 40, soll die Geltung des Art. 112 Gw für das kort geding jedenfalls in Ausnahmefällen außer Kraft gesetzt werden können. 601 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 71. 602 Cleveringa, Art. 289, Aant. 2. 603 Meijers/Vermeulen, S. 27. 604 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 135 f.; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 13; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 26 f.; Meijers/Vermeulen, S. 39 f.; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 33. 605 Hoge Raad vom 26.3.1971, NJ 1971, Nr. 434; Hoge Raad vom 9.11.1973, NJ 1974, Nr. 91; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 135 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 25; Meijers/Vermeulen, S. 39 f.; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 33; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 2 b); van den Haak, in: Leijten/van Wessem/ Cartigny, Bodemloos?, S. 119. 606 Hoge Raad vom 26.6.1959, NJ 1959, Nr. 515; Hoge Raad vom 26.3.1971, NJ 1971, Nr. 434; Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718.
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Anspruch im Sinne des Art. 112 Gw, ist deshalb stets der voorzieningenoder Kantonrichter zuständig. Den einzigen Unterschied zwischen den Sachen, die im ordentlichen Verfahren und denen, die im kort geding entschieden werden, bildet danach die Eilbedürftigkeit. Die Reformen des Prozessrechts der letzten Jahre hätten den Gesetzgeber angesichts der dargestellten Diskussion dazu veranlassen können, eine ausdrückliche Regelung für die sachliche Zuständigkeit zu schaffen. Er hat diese Gelegenheit nicht wahrgenommen, was darauf hin deutet, dass er die Erstreckung des Art. 112 Abs. 1 Gw auf das kort geding als selbstverständlich und die sachliche Zuständigkeit somit nicht für gesondert regelungsbedürftig erachtet. Auch der Hoge Raad hat sich für eine Anwendung des Art. 112 Abs. 1 Gw ausgesprochen. In der Elsloo-Entscheidung hatte ein Richter seine Zuständigkeit für ein kort geding allein auf Art. 254 WBRv gestützt. 607 Der Hoge Raad urteilte jedoch, dass Art. 2 RO aF (jetzt Art. 112 Abs. 1 Gw) auch für das vorläufige Verfahren gelte. 608 Das Urteil Limmen knüpfte die Zuständigkeit des Richters im kort geding ebenfalls an diese Vorschrift. 609 Die Entscheidung der Rechtbank ’s-Gravenhage 610 zur Beendigung eines Streiks bei der Post hat daher Ausnahmecharakter, begründet durch die Störung des gesellschaftlichen Zusammenlebens und der schwerwiegenden Auswirkungen auf unbeteiligte Dritte. Im Ergebnis muss die sachliche Zuständigkeit des Richters im kort geding ebenso wie die des Zivilrichters im ordentlichen Verfahren aus Art. 112 Abs. 1 Gw folgen. a) Zuständigkeit des voorzieningen-Richters Vorrangig werden eilbedürftige Fälle von den bei den Rechtbanken gemäß Art. 50 Abs. 1 und 2 RO gebildeten und mit dem voorzieningenrechter als Einzelrichter besetzten Kammern (enkelvoudige kamers) entschieden. Der Begriff des voorzieningenrechters ist erst mit der Zivilprozessreform 2002 etabliert worden. Gemäß Art. 289 WBRv aF wurde der im kort geding entscheidende Richter als „President“ bezeichnet. Es handelte sich um den Präsidenten einer Rechtbank, der allerdings auch durch den Vizepräsidenten vertreten werden konnte. 611 607 Hoge Raad vom 26.3.1971, NJ 1971, Nr. 434. Daran anschließend Hoge Raad vom 9.11.1973, NJ 1974, Nr. 91. 608 Hoge Raad vom 26.3.1971, NJ 1971, Nr. 434. Daran anschließend Hoge Raad vom 9.11.1973, NJ 1974, Nr. 91. Zustimmend Bots, S. 84; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1027; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 43; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27. 609 Hoge Raad vom 9.11.1973, NJ 1974, Nr. 91. 610 Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.11.1983, NJ 1983, Nr. 774. 611 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 115.
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Im Zuge der Reformierung des Gesetzes zur Gerichtsorganisation (Wet op de rechterlijke organisatie) wurde das Ziel definiert, dass bereits die gesetzliche Bezeichnung eine Schlussfolgerung auf den Aufgabenkreis eines gerichtlichen Amtsträgers zulassen sollte. 612 Das Änderungsgesetz Wet organisatie en bestuur gerechten 613 ordnet deshalb eine strikte Trennung von Rechtsprechungs- und Justizverwaltungsaufgaben an. 614 Die Bezeichnung President weist nunmehr auf eine Aufgabe in der Justizverwaltung hin, während der für korte gedingen zuständige Richter im Gesetz 615 voorzieningenrechter genannt wird. In der Verhandlung wird er gemäß Art. 50 Abs. 3 RO aber weiterhin als „President in kort geding“ angesprochen. Die sachliche Zuständigkeit des Richters im kort geding ist insofern sehr großzügig ausgestaltet, als sie über die gewöhnliche Zuständigkeit eines Richters der Rechtbank hinausgehen kann. 616 So kann ein voorzieningen-Richter auch dann zuständig sein, wenn die Hauptsache vor einem Kantonrichter, einem Gerechtshof oder dem Hoge Raad entschieden würde. 617 Dies gilt beispielsweise für die Räumung von Wohnraum, die im ordentlichen Verfahren vor dem Kantonrichter zu verhandeln wäre. 618 Art. 254 Abs. 4 WBRv, der die Möglichkeit bietet, korte gedingen vor einen Kantonrichter zu bringen, gewährt diesem Richter keine ausschließliche Erstzuständigkeit. Neben dem Kantonrichter bleibt der voorzieningenRichter für Kantonsachen zuständig, wie sich aus der Formulierung „auch“ („ook“) in Art. 254 Abs. 4 WBRv ergibt. 619 Vergleichbares zeigt sich in Art. 1022 Abs. 2 und 1051 Abs. 2 WBRv, aus denen hervorgeht, dass die Vereinbarung eines Schiedsgerichts die Zuständigkeit des kort gedingRichters unberührt lässt. Der kort geding-Richter erfüllt also die Aufgabe eines „Restrichters“ 620. Sinn und Zweck dieser weiten Zuständigkeit ist es,
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Kamerstukken II 1999–2000, 27 181, Nr. 3, S. 29 f. Gesetzesbegründung Wet organisatie en bestuur gerechten, Kamerstukken II 1999– 2000, 27 181, Nr. 1–2; Gesetzestext siehe Stb. 2001, Nr. 582. 614 Dies wird u. a. in Art. 14 Abs. 1 RO und Art. 15 Abs. 1 RO deutlich. 615 Vergleiche nur Art. 254 Abs. 1 WBRv und Art. 50 Abs. 2 RO. 616 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 135 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 26; van Rooij/Polak, Private International Law, S. 24. 617 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 26; Vlaswinkel, in: Hendrikse/ Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 187. 618 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125. 619 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 144; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 295; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 227. 620 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 26; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 2 c). 613
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für alle zivilrechtlichen eilbedürftigen Fälle ein verkürztes Verfahren zu gewährleisten, das schnellen Rechtsschutz bietet. 621 Darüber hinaus verleiht das Gesetz dem kort geding-Richter die Zuständigkeit für einige Spezialfälle, für die keine Hauptsachezuständigkeit besteht. Eine ausschließliche Zuständigkeit ist zum Beispiel gegeben für Streitigkeiten im Zusammenhang mit einer Sicherheitsleistung gemäß Art. 616 Abs. 1 WBRv und Streitigkeiten im Rahmen einer treuhandähnlichen Verwaltung gemäß Art. 710 Abs. 1 WBRv. 622 Eine – wenn auch nicht ausschließliche, gleichwohl wichtige – weitere Zuständigkeit des kort geding-Richters betrifft Zwangsvollstreckungssachen. Die Rechtsgrundlagen hierfür bilden zum Beispiel Art. 438 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und 700 Abs. 1 WBRv. 623 Für den kort geding-Richter gelten Art. 72 und 73 WBRv, 624 aus denen hervorgeht, dass der Richter sich von Amts wegen für unzuständig erklären kann, wenn ein Fall nicht in seine sachliche Zuständigkeit fällt und dass er die Sache an das zuständige Gericht verweisen muss. Die sachliche Unzuständigkeit muss von Amts wegen geprüft werden. 625 Angesichts der weiten Zuständigkeiten wird eine Verweisung aber selten notwendig werden. 626 b) Zuständigkeit des Kantonrichters Als Eingangsinstanz für kort geding-Verfahren waren früher traditionell die Rechtbanken zuständig. 627 Der Präsident der Rechtbank war auch dann zuständig, wenn der Rechtsstreit in der Hauptsache vor dem Kantongericht zu führen war. 628 Erst seit 1992 konnte aufgrund des damaligen Art. 116 WBRv ein kort geding erstinstanzlich vor einem Kantongericht durchgeführt werden. 629
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Hoge Raad vom 16.3.1990, NJ 1990, Nr. 500. Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 26. 623 Dem kort geding im Rahmen des Zwangsvollstreckungsrechts widmen Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, ein ganzes Kapitel, S. 217–295. 624 Ernes, S. 16; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–67. 625 Ernes, S. 41. 626 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–67. 627 Bots, S. 105; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 526; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 227. 628 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 115. 629 Bis 1992 bestand zwar gemäß Art. 100 WBRv aF die Möglichkeit, vor dem Kantongericht eine einstweilige Maßnahme zu erwirken. Dieses Verfahren war aber nicht wie das kort geding als selbständiges Verfahren konzipiert, sondern hatte den Charakter eines Zwischen622
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Mit der Umwandlung der Kantongerichte in einen Sektor der Rechtbanken 630 wurde Art. 116 WBRv aF gestrichen und durch eine neue Vorschrift im Abschnitt zum kort geding ersetzt, Art. 254 Abs. 4 WBRv. 631 Nach dieser Vorschrift war es nun möglich, den Kantonrichter innerhalb seines Aufgabenbereiches bei den Rechtbanken erstinstanzlich mit einem kort geding zu beauftragen. Im Jahr 2005 wurde Art. 254 Abs. 4 WBRv dahingehend umformuliert, dass der Kantonrichter in allen Sachen, die er in der Hauptsache entscheidet, ebenfalls für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig ist. 632 Dabei sollen auf den Kantonrichter die Vorschriften anwendbar sein, die auch für den kort geding-Richter gelten. Aufgrund der Änderungen des Gesetzes zur Modernisierung der Gerichtsorganisation vom 19. Mai 2011 633 wird nun nicht mehr zwischen dem verfahrens. Es setzte anders als das kort geding ein bereits anhängiges Hauptverfahren voraus, erforderte jedoch keine Eilbedürftigkeit. Art. 116 WBRv aF ähnelte den jetzigen Art. 254 ff. WBRv schon eher und bezeichnete das geregelte Verfahren auch als „kort geding“. Ein wichtiger Unterschied lag allerdings noch darin, dass ein kort geding vor dem Kantongericht gemäß Art. 116 WBRv aF wie nach Art. 110 WBRv aF eine bereits vor dem selben Gericht anhängige Hauptsache erforderte und dass gegen Entscheidungen, die auf Art. 116 WBRv aF basierten, weder Berufung noch Revision eingelegt werden konnte. Bots, S. 106 ff.; Janssen, Inleiding procesrecht, S. 119 f.; van Rooij/Polak, Private International Law, S. 26 f. Eine ausführliche Gegenüberstellung der Art. 100 und 116 WBRv mit dem bis 2002 geltenden Art. 289 WBRv sowie die Normtexte bietet Jongbloed, De nieuwe civiele kantongerechtsprocedure, S. 84 ff. 630 Vergleiche Art. 47 Abs. 1 RO: „Er is een sector kanton waarbinnen in enkelvoudige kamers kantonzaken worden behandeld en beslist.“ Auf Deutsch: „Es besteht ein Sektor Kanton, in dem Kantonsachen durch Einzelrichter verhandelt und entschieden werden.“ Mit der Einbeziehung der Kantongerichte zur Straffung der Gerichtsorganisation traten nicht nur organisatorische Änderungen ein. Auch das Verfahren vor dem Kantonrichter wurde dem Verfahren bei der Rechtbank angenähert. Einige Besonderheiten des Kantonverfahrens blieben aber erhalten. So besteht nach wie vor kein Anwaltszwang. Gemäß Art. 79 Abs. 1 WBRv können die Parteien selbst vor Gericht auftreten. Ob eine Partei selbst oder vertreten durch einen Rechtsanwalt prozessiert, wirkt sich auch darauf aus, wie die Prozesshandlungen vorzunehmen sind. Art. 82 WBRv differenziert hier. Grundsätzlich müssen die Parteien eines Rechtsstreits vor der Rechtbank ihren Standpunkt zunächst schriftlich darlegen, wohingegen dies vor dem Kantonrichter entweder schriftlich oder mündlich geschehen kann, vgl. Art. 82–84 WBRv. Weitere Besonderheiten des Kantonverfahrens sind in Art. 94–98 WBRv normiert. Sie sind zum Beispiel zu beachten in Fragen der objektiven Klagehäufung, der Klageänderung und der Widerklage. 631 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 144 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 295; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 227. 632 Art. VII Wet van 8 september 2005 tot aanpassing van enkele onderdelen van het Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering en enige andere wetten in verband met het nieuwe procesrecht, Stb. 2005, 455. 633 Wet van 19 mei 2011 tot wijziging van de Wet op de rechterlijke organisatie usw., Stb. 2011, 255.
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Sektor Kanton und der Rechtbank unterschieden. Vielmehr entscheiden über die Kantonsachen jetzt bestimmte Kammern bei den Rechtbanken. 634 Den Zuständigkeitsbereich des Kantonrichters legt vornehmlich Art. 93 WBRv fest. Gemäß Art. 93 lit. a-c WBRv ist die Zuständigkeit des Kantonrichters für Streitigkeiten über Forderungen mit einem Wert bis 25.000 Euro sowie unabhängig vom Wert für Streitigkeiten aus Dienst- oder Mietverträgen gegeben. Daneben ist der Kantonrichter gemäß Art. 93 lit. d WBRv noch für andere Sachen zuständig, soweit das Gesetz dies ausdrücklich bestimmt. Hierzu gehören zum Beispiel die Aufgaben, die dem Kantonrichter durch Art. 94 Abs. 1 WBRv zugewiesen sind. Diese betreffen Klagen, die mehrere Forderungen mit einem Gesamtwert bis 25.000 Euro zum Gegenstand haben, oder Klagen über mehrere Forderungen, von denen mindestens eine unter Art. 93 lit. c oder d WBRv fällt. Da Art. 254 Abs. 1 WBRv von „allen“ eilbedürftigen Sachen spricht und Art. 254 Abs. 4 Satz 1 WBRv formuliert, dass der Kantonrichter „auch“ zuständig ist, behält der kort geding-Richter neben dem Kantonrichter die Zuständigkeit für Streitigkeiten, die im ordentlichen Verfahren dem Aufgabenbereich des Kantonrichters zuzurechnen sind. 635 Art. 254 Abs. 4 WBRv eröffnet dem Kantonrichter also eine zusätzliche Befugnis, ohne jedoch die Möglichkeiten des kort geding-Richters zu beschränken. 636 Der Kläger kann in diesen Fällen wählen, welchem Richter er seinen Rechtsstreit vorlegen will. 637 Weil die Regelungen des verkürzten Verfahrens vor einem kort gedingRichter gemäß Art. 254 Abs. 4 Satz 2 WBRv grundsätzlich auch auf das Verfahren vor einem Kantonrichter anwendbar sind, unterscheidet sich der Ablauf der Verfahren nur wenig. 638 Einzelne Vorschriften der Art. 254 ff. WBRv gelten allerdings nicht im kort geding vor dem Kantonrichter. Insbesondere findet Art. 255 WBRv, soweit er vorsieht, dass der Kläger im 634
Vgl. Art. 47 RO nF. Janssen, Inleiding procesrecht, S. 114 und 119; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 295; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 227. 636 Janssen, Inleiding procesrecht, S. 114 und 119; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 58; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 295; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 232; Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 144 f. 637 Janssen, Inleiding procesrecht, S. 114 und 119; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 58; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 295; Stein, Nieuw burgerlijk procesrecht, S. 139; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 14 a). 638 Die Verfahren gleichen sich weitgehend hinsichtlich der Regelungen, welche speziell das kort geding betreffen. Da die Einzelheiten des kort geding aber nur rudimentär geregelt sind, finden über Art. 78 Abs. 1 WBRv auf manche Verfahrensfragen die Bestimmungen des ordentlichen Verfahrens Anwendung. Soweit in diesen Bestimmungen ausdrücklich zwischen Kanton- und Rechtbanksachen unterschieden wird, weichen die Verfahren in einigen Punkten doch voneinander ab. 635
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
kort geding durch einen Rechtsanwalt vertreten werden muss, auf Kantonsachen keine Anwendung. 639 Kantonsachen zeichnen sich dadurch aus, dass die Parteien keinen Anwalt einschalten müssen. 640 Eine Änderung in diesem Punkt hätte explizit vollzogen werden müssen, aber nicht über die Hintertür des Art. 254 Abs. 4 Satz 2 WBRv. 641 Entsprechend hat der Gesetzgeber in den Fällen des Art. 259 Abs. 2 WBRv bestimmt, dass Art. 255 Abs. 1 WBRv nicht anwendbar ist. Auch wenn Art. 254 Abs. 4 WBRv also pauschal die das kort geding vor dem voorzieningen-Richter betreffenden Regelungen für den Kantonrichter für anwendbar erklärt, ergibt sich daraus keine Pflicht zur anwaltlichen Vertretung des Klägers nach Art. 255 WBRv. 642 Entscheidend für die Auswahl des einen oder anderen Richters kann es deshalb sein, ob der Kläger es vorzieht, den Prozess selbst oder vertreten durch einen Rechtsanwalt zu führen. 643 Ein weiterer Unterschied, der bei dieser Entscheidung bedacht werden muss, ist der Umstand, dass es keine Kantonrichter gibt, die sich wie die voorzieningenrechter ausschließlich mit vorläufigen Verfahren beschäftigen. Da ein Kantonrichter nicht nur mit verkürzten Verfahren betraut ist, deren Inhalt allen Bereichen des Zivilrechts entstammen können, hat er besondere Erfahrung in den ihm nach Art. 93 WBRv zugewiesenen Gebieten, zum Beispiel im Mietrecht. 644 Insoweit kann er als gegenüber dem kort geding-Richter fachkundiger eingeschätzt werden. Eine andere Konsequenz aus der nicht ausschließlichen Zuweisung von verkürzten Verfahren kann sein, dass derselbe Richter zuerst im kort geding und später in der Hauptsache über ein und dieselbe Streitigkeit urteilt. 645 Dass er deshalb genaue Kenntnis des Falles besitzt, kann vorteilhaft sein. Als problematisch könnte sich dieser Umstand allerdings erweisen, wenn die Entscheidung in der Hauptsache unter dem Eindruck des Ergebnisses des einstweiligen Verfahrens getroffen wird. 646 3. Örtliche Zuständigkeit Auch die örtliche Zuständigkeit (relatieve bevoegheid/competentie) ist für das kort geding nicht ausdrücklich gesetzlich geregelt. Die für die dagvaardingsprocedure vor den Rechtbanken geltenden Regelungen über 639
Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37. Vgl. Art. 79 Abs. 1 WBRv. 641 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37. 642 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/ Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 14 a). 643 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296. 644 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296. 645 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 296. 646 Siehe dazu auch S. 63. 640
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die örtliche Zuständigkeit in Art. 99–110 WBRv finden aber entsprechende Anwendung. 647 Daneben gibt es einige besondere Zuständigkeitsvorschriften für einstweilige Maßnahmen. Außerdem sieht die Rechtsprechung weitere ungeschriebene Zuständigkeiten vor. 648 Ergebnis dieses Zusammenspiels ist ein großzügiges Zuständigkeitsrecht 649. Die Anwendbarkeit der Art. 99–110 WBRv im kort geding lässt sich gesetzessystematisch begründen. Art. 78 Abs. 1 WBRv erklärt alle Normen des zweiten Titels des ersten Buches des WBRv auf die Sachen für anwendbar, für welche nicht nach Art. 261 WBRv der dritte Titel gilt. Das kort geding ist in Art. 254–259 WBRv und damit am Ende des zweiten Titels geregelt. Als allgemeinen Gerichtsstand beruft Art. 99 WBRv das Gericht am Wohnsitz des Beklagten, hilfsweise dasjenige an seinem gewöhnlichen Aufenthaltsort. In Art. 100–106 WBRv folgen besondere Zuständigkeiten für Arbeits-, Verbraucher-, Immobilien- und Erbstreitigkeiten, aber auch für Fälle, die unerlaubte Handlungen oder Insolvenzstreitigkeiten betreffen. Art. 107 WBRv regelt die Zuständigkeit, wenn sich eine Klage gegen mehrere Beklagte richtet. Gerichtsstandsvereinbarungen können unter den Voraussetzungen von Art. 108 Abs. 1 WBRv geschlossen werden. Gemäß Art. 108 Abs. 2 WBRv sind sie aber bei Forderungen unter 25.000 Euro nur unter bestimmten Bedingungen wirksam. Ob sich eine Gerichtsstandsvereinbarung in der Hauptsache nach dem Willen der Parteien auf den vorläufigen Rechtsschutz erstreckt, ist eine Frage der Auslegung. 650 Art. 109 WBRv ist eine Auffangnorm für die wenigen Fälle, in denen sich keine örtliche Zuständigkeit aus Art. 99–108 WBRv ergibt. Nur dann darf heute noch, wie ehemals nach Art. 126 Abs. 3 WBRv aF, an den Wohnsitz des Klägers angeknüpft werden. Der Abschnitt schließt mit Art. 110 WBRv, der sich mit der Unzuständigkeit und ihren Folgen beschäftigt. Grundsätzlich muss sich der Beklagte auf die Unzuständigkeit des Gerichts berufen. Nur in bestimmten Fällen prüft der Richter das Vorliegen seiner örtlichen Zuständigkeit von Amts wegen. Wird die Unzuständigkeit festgestellt, muss die Sache an das örtlich zuständige Gericht verwiesen werden. 647 Hoge Raad vom 23.11.1917, NJ 1918, Nr. 6; Ernes, S. 69; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 135; Janssen, Inleiding procesrecht, S. 114; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27; Wieten, S. 56. 648 Hoge Raad vom 1.5.1896, W. 6811; Hoge Raad vom 23.11.1917, NJ 1918, Nr. 6; Hof Amsterdam 16.12.1948, NJ 1949, Nr. 206; Pres. Rb. ’s-Gravenhage 5.9.1944, NJ 1946, Nr. 454; Pres. Rb. Utrecht vom 27.11.1975, NJ 1976, Nr. 481; Pres. Rb. Amsterdam vom 3.11.1994, Kort Geding 1995, Nr. 12. 649 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–56–60. 650 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 28.
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Neben den allgemeinen Vorschriften, die für korte gedingen herangezogen werden, halten einige Spezialvorschriften Eilzuständigkeiten bereit. 651 Die örtliche Zuständigkeit des Kantongerichts ist nach Abschaffung der Eigenständigkeit dieser Gerichte und der Zuordnung der Kantonsachen zu den Rechtbanken im Gesetz nicht mehr gesondert geregelt. Deshalb finden Art. 99 ff. WBRv bei Kantonsachen, welche gemäß Art. 254 Abs. 4 WBRv im kort geding verhandelt werden können, ebenfalls entsprechende Anwendung. 652 Ergeben sich nach Gesetz und Rechtsprechung verschiedene Gerichtsstände, kann der Kläger hieraus wählen. 653 II. Zuständigkeit für Leistungsverfügungen Anders als beim kort geding gibt es im deutschen Zivilprozessrecht keinen Richter wie den voorzieningenrechter, der sich speziell mit einstweiligen Verfügungen befasst. Auch ungeschriebene örtliche Zuständigkeiten für den Eilrechtsschutz wie das forum acti des niederländischen Rechts sind dem deutschen Recht fremd. Hinsichtlich der internationalen Zuständigkeit setzt das autonome deutsche Recht weiterhin auf den Grundsatz der Doppelfunktionalität. 1. Internationale Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für Leistungsverfügungen ergibt sich vorrangig aus Staatsverträgen und EU-Verordnungen, für Zivil- und Handelssachen etwa aus Art. 31 EuGVO. 654 Das autonome deutsche Recht enthält kaum ausdrückliche Regelungen zur internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte. 655 Stattdessen werden in Hauptsacheverfahren die Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit doppelfunktional angewandt, das heisst, die örtliche Zuständigkeit in-
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Siehe dazu S. 56. Vgl. § 4 Art. 12 Abs. 1 Besluit nevenvestigings- en nevenzittingsplaatsen. 653 Hoge Raad vom 23.11.1917, NJ 1918, Nr. 6; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 135; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 27; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 232. 654 Siehe dazu S. 291. 655 Ausnahmen sind vor allem §§ 98–106 FamFG. 652
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diziert die internationale Zuständigkeit. 656 Dieser Grundsatz gilt auch hinsichtlich der Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen. 657 Daraus folgt, dass sich die internationale Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Verfügungen vorrangig aus §§ 937 Abs. 1, 943 Abs. 1 ZPO ergibt. 658 Das örtlich zuständige Gericht der Hauptsache ist somit auch international zuständig. Welches Gericht als Gericht der Hauptsache in Betracht kommt, bemisst sich nach den allgemeinen Vorschriften, §§ 12 ff. ZPO. 659 Problematisch ist dabei der besondere Gerichtsstand des Vermögens gemäß § 23 ZPO. 660 Für die internationale Hauptsachezuständigkeit nach § 23 ZPO verlangt der BGH zusätzlich zur Belegenheit von Vermögen in Deutschland das Vorliegen eines hinreichenden Inlandsbezuges des Rechtsstreites. 661 Definiert hat der Gerichtshof dieses ungeschriebene Tatbestandsmerkmal nicht. Infolgedessen ist es zum Teil schwierig vorhersehbar, ob ein hinreichender Inlandsbezug gegeben ist oder nicht. Denn neben einigen klareren Anknüpfungskriterien wie der Staatsangehörigkeit und dem Wohnsitz des Klägers 662 oder des Beklagten 663 können auch Aspekte wie die Rechts- und Beweisnähe 664 oder das Vorliegen schutzwürdiger inländischer Interessen 665 den Inlandsbezug herstellen. In der Literatur ist das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des hinreichenden Inlandsbezuges zu Recht auf Kritik gestoßen. 666 656 BGHZ 94, 156, 157 f.; 115, 90, 92; BGH NJW 1993, 1073; WM 1997, 1310, 1311; Albrecht, S. 67; Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 27; Eilers, S. 6; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 919 Rn. 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 24; Schack, IZVR5, Rn. 266. 657 OLG Karlsruhe MDR 2002, 231; Albrecht, S. 67; Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 27; Eilers, S. 6 ff.; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 919 Rn. 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 24; Schack, IZVR5, Rn. 475; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 919 Rn. 2; Willeitner, S. 20. 658 Albrecht, S. 68; Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 27; Eilers, S. 11; Gronstedt, S. 288; Huber, in: Musielak, ZPO, § 937 Rn. 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 44; Schack, IZVR5, Rn. 475; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 937 Rn. 1; Wannenmacher, S. 91; Willeitner, S. 20. 659 Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 44, 10; Schack, IZVR5, Rn. 475; Wannenmacher, S. 91. 660 Zur Anwendbarkeit von § 23 ZPO über Art. 24 EuGVÜ/Art. 31 EuGVO siehe S. 321 ff. 661 BGHZ 115, 90; BGH NJW 1996, 2096; 1997, 324, 325. 662 BGHZ 115, 90, 99; BGH NJW 1997, 324, 325. 663 BGH NJW-RR 1993, 5; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 13. 664 OLG Stuttgart IPRax 1991, 179, 181; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 13. 665 OLG Stuttgart IPRax 1991, 179, 181; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 13. 666 Fischer, RIW 1992, 57; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 23 Rn. 16; Heinrich, in: Musielak, ZPO, § 23 Rn. 3; Roth, in: Stein/Jonas, ZPO, § 23 Rn. 10; Schack, IZVR5, Rn. 368. Für das Merkmal des hinreichenden Inlandsbezuges: Fricke, NJW 1992, 3066, 3069; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 45 f.; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, § 23 Rn. 2;
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In dringenden Fällen kann sich die internationale Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen auch aus § 942 Abs. 1 ZPO ergeben. 667 Danach ist das Amtsgericht zuständig, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet. Bei Leistungsverfügungen ist das der Ort, wo die jeweilige Leistung zu erbringen ist. 668 Teilweise wird die Doppelfunktionalität des § 942 Abs. 1 ZPO mit dem Argument verneint, das in der Norm vorgesehene Rechtfertigungsverfahren erfordere die internationale Zuständigkeit inländischer Gerichte in der Hauptsache. 669 § 942 Abs. 1 ZPO setzt voraus, dass das Amtsgericht bei Erlass der einstweiligen Verfügung eine Frist bestimmt, innerhalb derer beim Gericht der Hauptsache die Ladung des Gegners zu einer mündlichen Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung beantragt werden muss. Aus dieser Vorgabe wird abgeleitet, dass eine Zuständigkeit nach § 942 Abs. 1 ZPO nur dann gegeben sein könne, wenn auch eine internationale Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren gemäß § 937 Abs. 1 ZPO begründet sei. 670 Diese Schlussfolgerung ist indes nicht zwingend. Möglich erscheint auch eine Überprüfung vor einem ausländischen Hauptsachegericht, 671 ohne dass die Rechtsbehelfe des Antragsgegners unzumutbar eingeschränkt würden. 672 Die Frist zur Einleitung einer Überprüfung sollte aber länger bemessen sein, als wenn ein inländisches Hauptsachegericht zu entscheiden hätte. 673 Würde dem Gläubiger die internationale Zuständigkeit gemäß § 942 Abs. 1 ZPO abgeschnitten, so müsste er unter Umständen von vornherein eine einstweilige Maßnahme beim ausländischen Hauptsachegericht beantragen. Die ausländische Maßnahme müsste dann in Deutschland anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Diese Vorgehensweise ist angesichts des Ziels, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, wenig praktikabel.
Mark/Ziegenhain, NJW 1992, 3062, 3065 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 1; Wollenschläger, IPRax 2002, 96, 97 f. 667 Albrecht, S. 68; Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 27; Carl, S. 280; Eilers, S. 11; Geimer, RIW 1975, 81, 86; Gronstedt, S. 300; Schack, IZVR5, Rn. 476; Wannenmacher, S. 91; Willeitner, S. 20. 668 Carl, S. 281; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 3; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 942 Rn. 2. 669 Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 45; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 942 Rn. 4. 670 Eisermann, S. 64 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 45; Thümmel, in: Wieczorek/ Schütze, ZPO, § 942 Rn. 4. 671 Kurtz, S. 80; Wolf, FS Schütze, S. 983, 985. 672 So aber die Befürchtung von Eisermann, S. 65. 673 Kurtz, S. 80.
J. Zuständigkeit
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§ 942 Abs. 1 ZPO greift nur „in dringenden Fällen“ ein. Der Begriff der Dringlichkeit wird in internationalen Rechtsstreitigkeiten eng ausgelegt, 674 weil eine grenzüberschreitende Rechtsverfolgung typischerweise mit Verzögerungen einhergeht, die sich für den Gläubiger nachteilig auswirken können. 675 Nähme man bei internationalen Streitigkeiten stets einen dringenden Fall an, so wäre immer ein Gerichtsstand nach § 942 Abs. 1 ZPO begründet, wenn sich der Streitgegenstand im Inland befindet. 676 Dadurch könnte das Regel-Ausnahme-Verhältnis von § 937 Abs. 1 und § 942 Abs. 1 ZPO ausgehebelt werden und ein Wahlrecht für den Gläubiger entstehen. 677 Deshalb ist von Dringlichkeit im Sinne des § 942 Abs. 1 ZPO nur unter der Voraussetzung auszugehen, dass der ausländische Justizapparat infolge einer gravierenden politischen oder wirtschaftlichen Krise voraussichtlich auf unbestimmte Zeit stillstehen wird. 678 Umstritten ist, ob die besondere Dringlichkeit im Sinne des § 942 Abs. 1 ZPO auch aufgrund einer bekanntermaßen überlangen Verfahrensdauer in bestimmten Staaten bejaht werden kann. Während einige Stimmen insbesondere die Langsamkeit der belgischen und italienischen Justiz in diesem Zusammenhang anführen, 679 weisen andere darauf hin, dass nicht maßgeblich sei, wie lange die ordentlichen Verfahren dauerten, sondern wieviel Zeit bis zum Erlass einer einstweiligen Maßnahme vergehe. 680 Dass auch über Eilverfahren zu langsam entschieden werde, sei nicht nachgewiesen. 681 Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für einstweilige Verfahren kann sich auch aus einer Gerichtsstandsvereinbarung ergeben. Ihr steht § 802 ZPO nicht entgegen. 682 Gemäß § 802 ZPO handelt es sich bei den Gerichtsständen des 8. Buches der ZPO, darunter auch § 937 Abs. 1 und § 942 Abs. 1 ZPO, um ausschließliche Gerichtsstände. Wenn für eine Klage ein ausschließlicher Gerichtsstand begründet ist, sind Gerichtsstandsvereinbarungen gemäß § 40 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 ZPO unzuläs-
674 Carl, S. 281; Eilers, S. 12; Kurtz, S. 81; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 110; Schack, IZVR5, Rn. 476; Wannenmacher, S. 92. A.A. Gronstedt, S. 301 f. 675 Siehe dazu S. 2. 676 Dafür Gronstedt, S. 301 f. Dagegen Eilers, S. 12. 677 Eilers, S. 12; Kurtz, S. 81. 678 Carl, S. 282; Eilers, S. 12; Schack, IZVR5, Rn. 476; Wannenmacher, S. 92. A.A. Gronstedt, S. 301 f. 679 Eilers, S. 12 f.; Kurtz, S. 81. 680 Carl, S. 282. 681 Carl, S. 282. 682 Eilers, S. 29–35; Gronstedt, S. 41 f.; Kurtz, S. 77 f.; Schack, IZVR5, Rn. 477; Wannenmacher, S. 94.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
sig. § 802 ZPO ist jedoch nicht doppelfunktional anwendbar. 683 Grund hierfür ist zum einen, dass die Regelungen zum einstweiligen Rechtsschutz nach §§ 916 ff. ZPO systemfremd in das 8. Buch eingeordnet wurden. 684 Der Erlass einstweiliger Maßnahmen erfolgt in einem summarischen Erkenntnisverfahren und hat nichts mit der im Übrigen im 8. Buch der ZPO geregelten Zwangsvollstreckung gemein. Zum anderen sollen § 937 Abs. 1 und § 942 Abs. 1 ZPO grundsätzlich für weite Zuständigkeiten im einstweiligen Rechtsschutz sorgen und gerade nicht, was bei der Ausschließlichkeit der Gerichtsstände der Fall wäre, diese Möglichkeiten begrenzen. 685 Gerichtsstandsvereinbarungen für die Hauptsache erfassen die internationale Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen im Zweifel nicht. 686 Parteien, welche für das Hauptverfahren ein bestimmtes, ausschließlich zuständiges Gericht ausgewählt haben, wollen nicht zwingend auch die ihnen im einstweiligen Rechtsschutz zur Verfügung stehenden Zuständigkeiten begrenzen. 687 Da eine Prorogation für die Hauptsache allerdings die Zuständigkeit gemäß § 937 Abs. 1 ZPO festlegt, wirkt sie sich indirekt auch auf die Eilzuständigkeit aus. 688 Von der Prorogation nicht beeinflusst wird die Zuständigkeit nach § 942 Abs. 1 ZPO. 689 Soweit die Parteien die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens ausschließen können, ist ihnen das Gleiche hinsichtlich der Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen gestattet. 690 Da § 802 ZPO nicht doppelfunktional anwendbar ist, steht er einer Derogation nicht entgegen. 691 Die Derogation der internationalen Zuständigkeit der deutschen Gerichte zum Erlass einstweiliger Maßnahmen muss aber ausdrücklich erfolgen. 692 Eine Derogation für das Hauptsacheverfahren impliziert im Zweifel nicht auch den Ausschluss der 683
Eilers, S. 29–35; Gronstedt, S. 41 f.; Kurtz, S. 77 f.; Schack, IZVR5, Rn. 477. A.A. Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 104. 684 BVerfGE 46, 166, 182; Eilers, S. 29 f.; Kurtz, S. 77 f.; Gronstedt, S. 41; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 103; Schack, IZVR5, Rn. 477; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1; Wannenmacher, S. 93. 685 Eilers, S. 31; Kurtz, S. 77 f.; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 103; Schack, IZVR5, Rn. 477. 686 Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Schack, IZVR5, Rn. 478. A.A. Wannenmacher, S. 94. 687 Schack, IZVR5, Rn. 478. 688 OLG Stuttgart RIW 2001, 228, 229; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Schack, IZVR5, Rn. 478; Wannenmacher, S. 94. 689 Schack, IZVR5, Rn. 478. 690 Eilers, S. 36; Schack, IZVR5, Rn. 478; Wannenmacher, S. 93 f. 691 Schack, IZVR5, Rn. 478; Wannenmacher, S. 94. A.A. Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 104. 692 Albrecht, S. 70; Eilers, S. 36; Gronstedt, S. 46; Wannenmacher, S. 94.
J. Zuständigkeit
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Entscheidungszuständigkeit für Eilverfahren, sonst würde die Rechtsdurchsetzung unnötig erschwert. 693 Bevor ein sachlich, international und örtlich zuständiges Gericht über den Erlass einer einstweiligen Maßnahme entscheiden darf, ist noch zu prüfen, ob der Rechtsstreit zwischen denselben Parteien bereits im Ausland rechtshängig ist. Ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nach § 261 Abs. 3 Nr. 1 ZPO unzulässig, wenn im Ausland bereits ein Verfügungsverfahren mit identischem Streitgegenstand schwebt. 694 Anders liegt dies, wenn die verschiedenen einstweiligen Maßnahmen in ihrer Wirkung auf den jeweiligen Staat begrenzt bleiben. 695 Erforderlich ist, dass die ausländische Verfügung in Deutschland anerkennungsfähig wäre. 696 Auch wenn nach autonomem deutschem Recht einstweilige Maßnahmen grundsätzlich nicht anerkennungsfähig sind, 697 macht man für Leistungsverfügungen eine Ausnahme wegen ihrer faktischen Endgültigkeit. 698 Nicht gehindert wird eine einstweilige Maßnahme im Inland durch die etwaige Rechtshängigkeit der Hauptsache im Ausland. 699 Denn Hauptsache und einstweilige Verfügung haben keinen identischen Streitgegenstand. 700 Typischerweise unterscheiden sich die Anträge. Während die Hauptsache auf eine endgültige Beilegung des Rechtsstreits gerichtet ist, wird mit der einstweiligen Maßnahme regelmäßig eine vorläufige Sicherung angestrebt. Leistungsverfügungen können zwar zu einer vorzeitigen Erfüllung führen und faktisch endgültig wirken. Konstruktiv stehen aber auch sie unter dem Vorbehalt einer abschließenden Hauptsacheentscheidung und sind deshalb nicht mit der Hauptsache identisch.
693
Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Kurtz, S. 78 f.; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 107; Schack, IZVR5, Rn. 478; Wannenmacher, S. 94. A.A. Geimer, IZPR, Rn. 1767. 694 Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozessrecht, S. 293, 317; Wannenmacher, S. 95. 695 Gronstedt, S. 311; Matscher, ZZP 95 (1982), 170, 224 f. 696 Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 114; Wannenmacher, S. 95. 697 Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 79; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. 698 Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 79; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 135; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. 699 Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 112; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 317; Wannenmacher, S. 95. 700 Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 112; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 317; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 5; Wannenmacher, S. 95.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
2. Sachliche und örtliche Zuständigkeit Gemäß §§ 937 Abs. 1, 802 ZPO ist das Gericht der Hauptsache für den Erlass einstweiliger Verfügungen sachlich und örtlich ausschließlich 701 zuständig. Das Gericht der Hauptsache ist nach § 943 Abs. 1 ZPO das Gericht des ersten Rechtszuges. Mit der Hauptsache in diesem Sinne ist der Rechtsstreit über den der einstweiligen Verfügung zugrunde liegenden Anspruch gemeint. 702 Sinn der Regelung ist die Förderung der Prozessökonomie. Es spart Ressourcen der Rechtspflege, wenn dasselbe Gericht sowohl im einstweiligen Rechtsschutz als auch in der Hauptsache entscheidet. 703 Ist die Hauptsache bereits anhängig, so ist das mit dem Rechtsstreit befasste Gericht auch das Gericht der Hauptsache im Sinne von § 943 Abs. 1 ZPO. 704 Da formal auf die Anhängigkeit abgestellt wird, ist das betreffende Gericht in rein nationalen Sachverhalten sogar dann zuständig, wenn die Zuständigkeit in der Hauptsache zu Unrecht angenommen wurde. 705 Solange die Hauptsache noch nicht anhängig ist, kommt jedes Gericht als Gericht der Hauptsache in Frage, bei dem das Hauptverfahren anhängig gemacht werden könnte. 706 Der Antragsteller kann in diesem Fall gemäß § 35 ZPO wählen, bei welchem Gericht er die einstweilige Verfügung beantragen möchte. 707 Die erstinstanzliche sachliche Zuständigkeit richtet sich im Hauptverfahren nach §§ 23, 71 GVG. Die örtliche Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache bemisst sich nach den allgemeinen Vorschriften, §§ 12 ff. ZPO. Gemäß § 942 Abs. 1 ZPO kann in dringenden Fällen auch das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet, als sachlich und 701
Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 57; Brox/Walker, Rn. 1627; Gronstedt, S. 41; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 1; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 919 Rn. 1. 702 Dunkl, in: Dunkl, Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, Teil A, Rn. 128; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 919 Rn. 3, § 937 Rn. 3. 703 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 56; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 919 Rn. 4. 704 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 58; Grunsky, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 937 Rn. 3; Mantzourani-Tschaschnig, S. 73; Mossler, S. 22; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 1. 705 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 58; Grunsky, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 937 Rn. 3; Huber, in: Musielak, ZPO, § 943 Rn. 4; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 1. 706 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 57; Grunsky, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 937 Rn. 1; Mantzourani-Tschaschnig, S. 73. 707 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 57; Grunsky, in: Stein/ Jonas, ZPO, § 937 Rn. 1.
K. Voraussetzungen
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örtlich zuständiges Gericht eine einstweilige Verfügung erlassen. Bei Leistungsverfügungen ist hinsichtlich der Belegenheit maßgeblich, wo die Erfüllung erfolgen wird. 708 Ein dringender Fall liegt vor, wenn die Anrufung des Gerichts der Hauptsache eine für den Antragsteller nachteilige Verzögerung zur Folge hätte. 709 Die Besetzung des Gerichts beim Erlass einstweiliger Maßnahmen ist grundsätzlich dieselbe wie im normalen ordentlichen Verfahren. Beim Amtsgericht entscheidet also ein Berufsrichter. Beim Landgericht gilt auch im einstweiligen Rechtsschutz § 348 ZPO, so dass in der Regel nicht die aus drei Berufsrichtern bestehende Zivilkammer, sondern ein Einzelrichter entscheidet. 710 Liegt allerdings gemäß § 348 Abs. 1 Satz 2 ZPO keine Einzelrichterzuständigkeit vor, ist die Zivilkammer in voller Besetzung zur Entscheidung berufen. 711 Nur in dringenden Fällen darf gemäß § 944 ZPO der Vorsitzende allein entscheiden, sofern die Durchführung einer mündlichen Verhandlung nicht erforderlich ist. Dringlichkeit bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die Entscheidung so schnell getroffen werden muss, dass das Zusammentreten der Kammer als Kollegialorgan nicht mehr abgewartet werden kann. 712
K. Voraussetzungen K. Voraussetzungen
Zum Erlass eines kort geding müssen teilweise andere Voraussetzungen vorliegen als zum Erlass einer Leistungsverfügung. Insgesamt sind die Anforderungen an den Erlass einer Leistungsverfügung deutlich höher. I. Voraussetzungen des kort geding Die gesetzlichen Voraussetzungen des kort geding sind seit 1. Januar 2002 in Art. 254 Abs. 1 und Art. 256 WBRv niedergelegt. Grundlegend ist, dass sich der Rechtsstreit überhaupt dazu eignet, im kort geding entschieden zu 708 Carl, S. 281; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 3; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 942 Rn. 2. 709 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 65; Brox/Walker, Rn. 1628; Carl, S. 281; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 2; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 942 Rn. 4; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 942 Rn. 2; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 942 Rn. 1. 710 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 72; Greger, in: Zöller, ZPO, § 348 Rn. 2; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 1. 711 Berger, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 3 Rn. 72; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 1. 712 Brox/Walker, Rn. 1627; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 944 Rn. 1; Zhou, S. 46; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 944 Rn. 1.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
werden. Sodann ist der kort geding-Richter in allen eilbedürftigen Fällen zuständig, in denen der unverzügliche Erlass einer vorläufigen Maßnahme nach Abwägung der Parteiinteressen erforderlich erscheint. Das Gesetz stellt also vier Voraussetzungen an ein kort geding: Die Geeignetheit der Streitigkeit zur Entscheidung im vorläufigen Verfahren, die Eilbedürftigkeit der Sache, eine Abwägung der Parteiinteressen sowie die Vorläufigkeit der zu erlassenden Maßnahme. Detailliertere Anforderungen wurden vermieden, damit das Verfahren flexibel eingesetzt werden kann. Wo die Rechtsprechung entgegen diesem Ansatz einer offenen Verfahrensgestaltung Konkretisierungsbedarf sah, präzisierte sie den Inhalt der bestehenden Voraussetzungen. Dass die gesetzlichen Anforderungen durch die Rechtsprechung konkretisiert wurden, bringt für die Prüfung der Voraussetzungen einige Besonderheiten mit sich, die charakteristisch für die Behandlung eines Rechtsstreits im kort geding sind. Voranzustellen ist die Erkenntnis, dass es keine eindeutig formulierten Definitionen für die vier Merkmale des kort geding gibt. Da auf manchen Gebieten aber regelmäßig in ähnlichem Sinne entschieden wurde, haben sich Fallgruppen herausgebildet. Sie sind bei der Ermittlung der Voraussetzungen hilfreich und liefern Anhaltspunkte für künftige Entscheidungen. Eine gesicherte Vorhersage der jeweils zu erwartenden Entscheidung erlauben die Fallgruppen dennoch nicht. Die Beurteilungsfreiheit des kort geding-Richters wird durch zuvor ergangene Entscheidungen nicht gebunden. 713 Der Richter kann sich zwar von früheren Entscheidungen leiten lassen, aber im konkreten Fall stets auch abweichend urteilen. 714 Typischerweise orientiert sich der kort geding-Richter bei seiner Untersuchung der verschiedenen Voraussetzungen daran, wie er den Ausgang eines eventuellen Hauptsacheverfahrens einschätzt. 715 Erwartet er, dass der Kläger des kort geding in der Hauptsache obsiegen wird, stellt er oftmals niedrigere Anforderungen an die einzelnen Voraussetzungen als im umge713
Hoge Raad vom 8.1.1965, NJ 1965, Nr. 162; Hoge Raad vom 29.11.2002, RvdW 2002, Nr. 198; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 256 Nr. 1 a). 714 Hoge Raad vom 8.1.1965, NJ 1965, Nr. 162; Hoge Raad vom 29.11.2002, RvdW 2002, Nr. 198; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3, 4, 14; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 256 Nr. 1 a). 715 Hoge Raad vom 19.10.1984, NJ 1985, Nr. 215; Hoge Raad vom 21.4.1995, NJ 1996, Nr. 462; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 83, 96; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3, 4, 14; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 164; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230.
K. Voraussetzungen
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kehrten Fall. 716 Je höher die Chance eines Erfolges in der Hauptsache ist, desto eher nimmt der kort geding-Richter zum Beispiel die Eilbedürftigkeit an. 717 Neben den Wechselwirkungen zwischen dem möglichen Ergebnis der Hauptsache und dem Vorliegen bestimmter Merkmale des kort geding können auch die einzelnen Voraussetzungen aufeinander einwirken. 718 Liegt eine Voraussetzung zweifelsfrei vor, so wird häufig auf das Vorliegen einer anderen geschlossen. Dies gilt insbesondere, wenn die Eilbedürftigkeit offenkundig ist. Je dringlicher eine Sache erscheint, desto weniger muss der Richter auf Zurückhaltung beim Erlass einer einstweiligen Maßnahme bedacht sein. 719 1. Allgemeine Voraussetzungen gemäß Art. 254 und 256 WBRv Zunächst sollen die allgemeinen Voraussetzungen von korte gedingen gemäß Art. 254 und 256 WBRv erläutert werden, bevor anschließend die besonderen Voraussetzungen für Verfahren über Geldforderungen dargestellt werden. a) Geeignetheit des Rechtsstreits für das kort geding In Art. 256 WBRv heißt es zum Merkmal der Geeignetheit lediglich, dass der kort geding-Richter den Erlass einer einstweiligen Maßnahme verweigern kann, wenn er sie für nicht geeignet („niet geschikt“) hält, um im vorläufigen Verfahren entschieden zu werden. Die negative Formulierung überlässt die Prüfung des Merkmals der Beurteilungsfreiheit des Richters. 720 Konkrete Angaben, anhand derer die Geeignetheit ermittelt werden könnte, gibt es nicht. Der Gesetzgeber tendierte anlässlich der Zivilprozessreform von 2002 dahin, die richterliche Beurteilungsfreiheit noch weiter auszudehnen. Eine solche Tendenz zeigte sich zum einen an der Art und Weise, in der die Vorgängernorm von Art. 256 WBRv gestrafft wurde. Art. 291 WBRv aF verbot den Erlass einer einstweiligen Maßnahme, wenn ein Rechtsstreit 716
Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 83, 96; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3, 4, 14; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 164; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230. 717 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84. 718 Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 164; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490 f. 719 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 23. 720 Hoge Raad vom 8.1.1965, NJ 1965, Nr. 162. Bestätigt in Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Aufschub duldete, weil weder eine große Gefahr noch ein irreparabler Nachteil drohten. Diese Passage wurde gestrichen. Die Beurteilung, ob ein Rechtsstreit dazu geeignet ist, im Wege des kort geding entschieden zu werden, sollte nicht zwingend kraft gesetzlicher Vorgabe von derartigen Aspekten abhängig gemacht werden. 721 Im Zuge der Reform wurde auch der Zeitraum, innerhalb dessen die Feststellung zulässig ist, ob eine Sache für ein kort geding geeignet ist oder nicht, durch die neue Formulierung von Art. 256 WBRv erweitert. Hieß es in Art. 291 WBRv aF früher „während der mündlichen Verhandlung“ 722, lautet die revidierte Fassung in Art. 256 WBRv nun nur noch „Der Präsident urteilt …“. 723 Eine zeitliche Beschränkung ist damit nicht mehr zu beachten. Die Geeignetheit kann schon zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, aber auch erst in der Folgezeit, in welcher der Richter die Entscheidung vorbereitet, vorliegen. 724 aa) Ursachen fehlender Geeignetheit Einige typische Ursachen fehlender Geeignetheit wurden im Laufe der Zeit in Fallgruppen zusammengefasst. Eine Gruppe von Streitigkeiten, denen die Geeignetheit regelmäßig – wenn auch mangels gesetzlicher Vorgabe nicht mehr automatisch – abgesprochen wird, sind diejenigen, in denen ebenso gut wie ein kort geding ein ordentliches Verfahren durchgeführt werden könnte. 725 Nicht notwendig ist ein vorläufiges Verfahren zum Beispiel, wenn ein gewisser zeitlicher Aufschub keinen großen, nicht wieder gut zu machenden Nachteil zur Folge hätte. 726 Ein kort geding kann auch an mangelnder Geeignetheit scheitern, wenn für die Streitigkeit ein anderer Rechtsweg eröffnet ist, der ebenfalls schnell zu einer einstweiligen Maßnahme zu führen verspricht und dabei den gleichen Rechtsschutz bietet (vgl. Art. 80 Wetboek van Strafvordering, Art. 26 Wet op de ondernemingsraden). 727 Weiterhin können Streitigkeiten, deren Tatsachenlage derart verworren und undurchsichtig ist, dass sie in einem kurzen, summarischen Verfahren 721
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 145. „… op de teregtzitting … .“ 723 „… de voorzieningenrechter oordeelt … .“ 724 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 146; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Art. 256–1; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 256 Nr. 1 a). 725 Hoge Raad vom 23.1.1998, NJ 2000, Nr. 544; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; Bots, S. 91. 726 Bots, S. 91; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16. 727 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26. 722
K. Voraussetzungen
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nicht adäquat ermittelt werden kann, einer Regelung im kort geding unzugänglich sein. 728 In solchen Fällen kann eine ausführliche Beweiserhebung notwendig werden, welche im kort geding aus Zeitgründen nicht üblich ist. 729 Entsprechend der Situation bei einer unklaren Tatsachenlage kann die Durchführung eines verkürzten Verfahrens auch deshalb versagt werden, weil die zu entscheidenden Rechtsfragen zu komplex erscheinen. 730 Das bedeutet nicht, dass sich ein Gericht einer schwierigen Aufgabe mit Blick auf Art. 256 WBRv leicht entledigen kann. Nach der Rechtsprechung des Hoge Raad darf der kort geding-Richter die Behandlung umstrittener Rechtsfragen nicht von vornherein umgehen, sondern muss regelmäßig versuchen, ein vorläufiges Urteil unter Anwendung der jeweiligen Vorschriften zu fällen. 731 Geht es aber zum Beispiel um die Anwendung ausländischen Rechts, wird die Feststellung der Ungeeignetheit aufgrund einer komplexen Rechtslage großzügiger zugelassen. 732 Schließlich kann die Durchführung eines kort geding mangels Geeignetheit verweigert werden, wenn der zuständige Richter die Folgen seiner Entscheidung im einstweiligen Verfahren noch nicht absehen kann. 733 bb) Rechtsfolge fehlender Geeignetheit Der zuständige Richter entscheidet über die Geeignetheit einer Sache für das kort geding von Amts wegen. Es ist nicht erforderlich, dass sich eine der Parteien darauf beruft. 734 Liegt einer der Umstände vor, der die Sache als ungeeignet erscheinen lässt, erlaubt dies allerdings auch nicht zwingend eine sichere Schlussfol728 Hoge Raad vom 8.1.1965, NJ 1965, Nr. 162; Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Hoge Raad vom 15.12.1995, NJ 1996, Nr. 509; Bots, S. 91; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 300; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 30; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 256 Nr. 1 b). 729 Hoge Raad vom 21.4.1978, NJ 1979, Nr. 194; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; Bots, S. 91. 730 Hoge Raad vom 2.4.1993, NJ 1994, Nr. 650; Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Hoge Raad vom 15.12.1995, NJ 1996, Nr. 509; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 256 Nr. 1 b). 731 Hoge Raad vom 2.4.1993, NJ 1994, Nr. 650. 732 Hoge Raad vom 2.4.1993, NJ 1994, Nr. 650. 733 Hoge Raad vom 8.1.1965, NJ 1965, Nr. 162; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Art. 256–7; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 256 Nr. 1 b). 734 Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
gerung darauf, dass keine einstweilige Maßnahme erlassen werden wird. Art. 256 WBRv gewährt dem Richter Beurteilungsfreiheit nicht nur hinsichtlich der Gründe für die Ungeeignetheit, sondern auch der Konsequenzen, die er aus einer etwaigen Ungeeignetheit zieht. Die Vorschrift enthält nur die Befugnis, aber keine Verpflichtung zur Verweigerung einer einstweiligen Maßnahme. 735 Im Gegensatz zur Vorgängernorm Art. 291 WBRv aF sieht Art. 256 WBRv als mögliche Rechtsfolge nicht mehr vor, dass die Sache an das für das ordentliche Verfahren zuständige Gericht verwiesen wird. 736 Mit dieser Verweisung war ohnehin keine Verweisung im rechtstechnischen Sinne gemeint. Es sollte nur ausgedrückt werden, dass das kort geding mit der Feststellung der Ungeeignetheit beendet ist und dass der Rechtsschutzsuchende stattdessen ein ordentliches Verfahren anhängig machen muss. 737 Der Hoge Raad betont, dass von der Befugnis, ein vorläufiges Verfahren wegen fehlender Geeignetheit abzulehnen, nur zurückhaltend und mit ausführlicher Begründung Gebrauch gemacht werden sollte. 738 Dass eine Sache als ungeeignet angesehen wird, kommt dementsprechend selten vor. 739 b) Eilbedürftigkeit Die Voraussetzung der Eilbedürftigkeit ergibt sich aus zwei verschiedenen Formulierungen in Art. 254 Abs. 1 WBRv. Zum einen spricht Art. 254 Abs. 1 WBRv von eilbedürftigen Sachen („spoedeisende zaken“), zum anderen vom Erlass einer einstweiligen Maßnahme („onmiddellijke voorziening“). Die Eilbedürftigkeit ist das entscheidende Merkmal der im kort geding behandelten Streitigkeiten. Das ordentliche Verfahren gewährt in den meisten Fällen hinreichenden Rechtsschutz. Wenn aber besondere Umstände hinzutreten, die Eile gebieten, muss das kort geding als kurzes,
735
Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Art. 256–7. Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Art. 256–1. 737 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 45. Asscher, NJB 1986, 337, 338 f., hatte vorgeschlagen, Art. 291 WBRv aF zu ändern und dem kort geding-Richter eine echte Verweisung im Sinne des Art. 157a WBRv aF zu ermöglichen. Nach der Idee von Asscher, NJB 1986, 337, 338 f., sollte die ursprüngliche Sache anhängig bleiben und nur in anderer Form, nämlich als ordentliches Verfahren statt als kort geding, fortgesetzt werden. Auf diese Weise wollte Asscher Kosten und Zeit sparen und die Gerichte entlasten. 738 Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Hoge Raad vom 2.4.1993, NJ 1994, Nr. 650. 739 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 126; Bots, S. 92. 736
K. Voraussetzungen
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schnelles Verfahren eingreifen und unverzügliche Hilfe ermöglichen. 740 Die Eilbedürftigkeit grenzt vorläufige von ordentlichen Verfahren ab. aa) Inhaltliche Anforderungen Eilbedürftigkeit liegt vor, wenn sofortiges Handeln geboten ist und der Abschluss des ordentlichen Verfahrens nicht abgewartet werden kann. 741 Diese Definition zeigt, dass es sich bei der Eilbedürftigkeit um einen Begriff handelt 742, der sich nicht an feststehenden Kriterien messen lässt 743. Wann sofortiges Handeln geboten ist, wird ermittelt, indem die Umstände des Einzelfalles, die für oder gegen Eilbedürftigkeit sprechen, gegeneinander abgewogen werden. 744 Die pauschale Feststellung, dass das Hauptsacheverfahren länger dauern wird als das kort geding, was immer der Fall sein dürfte, begründet allein noch keine Eilbedürftigkeit. Ein als langwierig eingestuftes Hauptsacheverfahren stellt aber oft eines von mehreren Kriterien dar, die typischerweise für die Eilbedürftigkeit angeführt werden. 745 In Anlehnung an Art. 291 WBRv aF gilt der Zeitrahmen immer dann als zu lange, wenn durch das Abwarten des ordentlichen Verfahrens ein großer, irreparabler Nachteil droht. 746 Im Einzelfall wird es auch schon als ausreichend erachtet, wenn Höhe oder Umfang des Schadens während des Hauptverfahrens
740 Hoge Raad vom 8.1.1971, NJ 1971, Nr. 172; Hoge Raad vom 23.4.1982, NJ 1982, Nr. 523. 741 Pres. Rb. Middelburg vom 18.8.1978, NJ 1979, Nr. 591; Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 24.3.1982, NJ 1982, Nr. 621; Pres. Rb. Zutphen vom 2.11.1992, Kort Geding 1992, Nr. 401; Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/TjoenTak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 83, 96; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 6; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 742 Anneveldt, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 21; Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 523. 743 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 523; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 7; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 744 Hoge Raad vom 29.11.2002, RvdW 2002, Nr. 198; Ernes, S. 67; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 7; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 745 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 6. 746 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16; Lampe, in: Keijser/Tjoen-TakSen, Rechters over het kort geding, S. 72; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 6.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
zuzunehmen drohen. 747 Beim zu befürchtenden Schaden muss es sich nicht um einen Vermögensschaden handeln. Auch nachteilige Auswirkungen ideeller oder immaterieller Art können eine eilbedürftige Lage auslösen. 748 Im Patent-, Marken- oder Urheberrecht wird die Eilbedürftigkeit ohne Weiteres bejaht, wenn bereits eine Verletzungshandlung festgestellt wurde. 749 Soll einer erst drohenden Verletzung vorgebeugt werden, bedarf die Eilbedürftigkeit genauerer Überprüfung. 750 Im Mietrecht wird die Eilbedürftigkeit großzügig angenommen, wenn der Mieter geltend macht, an der ordnungsgemäßen Nutzung seiner Wohnung gehindert zu werden. 751 Keine Eile gebietende Situation liegt vor, wenn das ordentliche Verfahren eine schnelle Entscheidung mit dem gleichen Ergebnis wie das vorläufige Verfahren verspricht. 752 Außerdem fehlt die Eilbedürftigkeit, wenn der Kläger lange Zeit nichts unternommen hat, um seine Rechte durchzusetzen, 753 oder sich auf andere Weise selbst in die dringend entscheidungsbedürftige Lage manövriert hat 754. Die Möglichkeiten, dass dem Kläger ein anderer schneller Rechtsweg offensteht 755 oder dass sich das Gericht im kort geding einer besonders strittigen Rechtsfrage annehmen müsste, 756 sprechen nicht nur gegen die Geeignetheit einer Sache, im kort geding entschieden zu werden. Sie können auch darauf hinweisen, dass eine Sache nicht eilbedürftig ist. Daran zeigt sich, wie eng die verschiedenen Voraussetzungen miteinander verflochten sind und wie schwierig es ist, sie voneinander abzugrenzen. 747
Meijers, S. 103. Meijers, S. 104. 749 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 28; de Wit, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 103, 104. 750 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 28; de Wit, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 103, 104. 751 Ruesink, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 77, 83. 752 Hoge Raad vom 22.1.1982, NJ 1982, Nr. 505; Hoge Raad vom 16.3.1990, NJ 1990, Nr. 500; Hoge Raad vom 29.11.2002, RvdW 2002, Nr. 198; Meijers, S. 102; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 8. 753 Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 24.3.1982, NJ 1982, Nr. 621; Hof ’s-Gravenhage vom 2.10.1985, Kort Geding 1986, Nr. 14; Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.6.1999, Kort Geding 1999, Nr. 165; Anneveldt, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 21; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 6. Möglicherweise zeichnet sich bei dieser Beurteilung eine Wende ab. Der Hoge Raad vom 29.11.2002, RvdW 2002, Nr. 198, hat zwar auch das Kriterium des langen Abwartens in Bezug zur Eilbedürftigkeit angeführt, aber ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dieser Umstand nicht in jedem Fall bedeutet, dass die Eile fehlt. 754 Anneveldt, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 21, 22. 755 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Meijers, S. 104. 756 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17. Auch diesem Kriterium gegenüber hat sich der Hoge Raad in seiner Entscheidung vom 29.11.2002, NJ 2003, Nr. 78, zurückhaltend gezeigt und betont, dass es zum Fehlen der Eile führen kann, aber nicht muss. 748
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Kritisch gesehen wird nicht nur, dass nicht definiert ist, wann Eilbedürftigkeit vorliegt, sondern auch, dass die Eilbedürftigkeit durch eine Abwägung ermittelt wird. Dies löst Bedenken im Hinblick auf die Rechtssicherheit aus. 757 Vorgebracht wird, die Methode der Abwägung habe zur Konsequenz, dass das Vorliegen von Eilbedürftigkeit nicht voraussehbar sei. 758 Vergleiche man die Streitigkeiten, die mangels Eile abgewiesen werden, mit denjenigen, in denen sie zumindest implizit angenommen werde, dann sei es zum Teil unverständlich, warum eine Streitigkeit als eilbedürftig gelte und eine andere nicht. 759 Der Kritik ist insoweit zuzustimmen, als eine Abwägung der Rechtssicherheit abträglich sein kann. Auch wenn der Weg zu einem Abwägungsergebnis grundsätzlich nur schwer nachvollzogen werden kann, ist das Ergebnis zur Frage der Eilbedürftigkeit aber sehr wohl voraussehbar. Die meisten Richter stellen heute nämlich sehr geringe Anforderungen an die Eilbedürftigkeit 760 und sind geneigt, dieses Merkmal zu bejahen 761. Dies gilt besonders bei unerlaubten Handlungen. 762 Fehlende Eilbedürftigkeit steht der Durchführung eines kort geding deshalb nur selten entgegen. Daher ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine eilbedürftige Sache falsch beurteilt und ein an sich berechtigtes kort geding mangels Eilbedürftigkeit abgelehnt wird. Hinzu kommt, dass Anträge auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme zumeist nur auf den ersten Blick wegen fehlender Eilbedürftigkeit 763 abgewiesen wurden. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass die Gerichte die Eilbedürftigkeit zur weiteren Prüfung unterstellt 764 und im 757
Lampe, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 71. Lampe, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 71. 759 Lampe, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 71. 760 Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1027 f.; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 62. 761 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 26; Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 44; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16. Früher wurden strengere Anforderungen an das Vorliegen von Eilbedürftigkeit gestellt. Zonderland, Het Kort Geding, S. 28. Beispiele älterer Rechtsprechung, von denen einige im Vergleich zur heutigen Praxis strengere Anforderungen erkennen lassen, nennt Meijers, S. 101 ff. Viele in jüngerer Zeit entschiedene Beispielsfälle zur Eilbedürftigkeit finden sich bei Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 6 f. 762 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16. 763 Pres. Rb. Utrecht vom 4.4.1991, Kort Geding 1991, Nr. 153 und Pres. Rb. Haarlem vom 23.7.1991, Kort Geding 1991, Nr. 285: „geen spoedeisende belang“. 764 Pres. Rb. Utrecht vom 4.4.1991, Kort Geding 1991, Nr. 153: „Ook echter indien hierover anders zou moeten worden geoordeld, zou Jansens vordering in dit k.g. niet kunnen verslagen.“ Pres. Rb. Haarlem vom 23.7.1991, Kort Geding 1991, Nr. 285: „Ten overvloede – veronderstellenderwijs een spoedeisend belang aannemende – overweegt de president het volgende ...“ 758
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Zuge näherer Untersuchung der Streitigkeit andere Gründe für die Abweisung ausgemacht haben. 765 Das eigentliche Problem der gegenwärtigen Bestimmung der Eilbedürftigkeit ist deshalb nicht in der Abwägung, sondern in der Bereitschaft zu sehen, die Eilbedürftigkeit stets zu bejahen. Diese Vorgehensweise verwischt die Grenzen zwischen vorläufigem und ordentlichem Verfahren und nimmt dem vorläufigen Rechtsschutz seinen Ausnahmecharakter. Obwohl das Gesetz nach wie vor eine eilige Lage voraussetzt, scheint sich die Abkehr von diesem Merkmal noch weiter zu beschleunigen. Ging die Tendenz zunächst dahin, immer geringere Anforderungen an das Vorliegen der Eilbedürftigkeit zu stellen, wird als Fortführung dessen jetzt sogar vorgeschlagen, dieses für das kort geding wesensbestimmende Merkmal als überholt komplett aufzugeben 766. Mit derartigen Vorstößen wächst die Gefahr einer Entwicklung des kort geding zu einem allgemeinen Schnellverfahren, das dem ordentlichen Verfahren Konkurrenz machen kann. Dazu ist das kort geding von seiner Gestaltung her aber nicht angelegt. 767 Die Abkoppelung des kort geding von seiner gesetzlichen Konstruktion durch Absehen vom Merkmal der Eilbedürftigkeit ist deshalb nicht unterstützenswert. bb) Prozessuale Anforderungen Die Tatsachen, aus denen sich die Eilbedürftigkeit ergeben soll, muss der Kläger vortragen. Eine Prüfung der Eilbedürftigkeit ist nach heutiger Auffassung nur erforderlich, wenn der Beklagte das Vorliegen der die Eile be-
765
In Pres. Rb. Utrecht vom 4.4.1991, Kort Geding 1991, Nr. 153, beschuldigte der Kläger den Beklagten, unwahre Behauptungen über eine vom Kläger im Zweiten Weltkrieg gegründete und geleitete Widerstandsorganisation gemacht zu haben, und forderte einen Widerruf. Das Gericht verneinte zunächst die Dringlichkeit der Sache, da die Behauptungen dem Kläger seit Jahren bekannt gewesen seien. Außerdem sei es dem Kläger nicht gelungen, die großen Zweifel an der Richtigkeit des klägerischen Tatsachenvortrags zu zerstreuen, und eine Verurteilung hätte keine dem Zweck des kort geding entsprechende vorläufige, sondern endgültige Wirkung. Pres. Rb. Haarlem vom 23.7.1991, Kort Geding 1991, Nr. 285, wies eine Klage auf Mitwirkung an einem Bluttest ab, weil hinsichtlich der Feststellung der Vaterschaft des Beklagten keine Eile geboten sei, aber auch, weil die Klägerin ihre Gewissheit darüber, der Beklagte sei Vater ihrer Tochter, nicht hinreichend begründet habe darlegen können, so dass ihr Interesse an einer Bekräftigung der Vaterschaft durch eine medizinische Untersuchung in der Abwägung nicht höher eingestuft werden könne, als das Recht des Beklagten auf körperliche Unversehrtheit, in das durch eine Blutabnahme eingegriffen würde. 766 de la Porte, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 19. 767 Zum Problem der Verdrängung der Hauptsache siehe S. 76.
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gründenden Umstände bestreitet. 768 Die ältere Rechtsprechung ging davon aus, dass das zuständige Gericht das Vorliegen der Eilbedürftigkeit von Amts wegen prüfen muss. 769 Da die Eilbedürftigkeit richtungsweisend dafür ist, ob der Weg eines vorläufigen oder eines ordentlichen Verfahrens eingeschlagen werden kann, sollte ihr Vorliegen auch stets von Amts wegen geprüft werden. Der zuständige Richter entscheidet dann im Einzelfall nach Abwägung, ob vom Vorliegen der Eilbedürftigkeit auszugehen ist. 770 In die Beurteilung der Eilbedürftigkeit fließen die Tatsachen ein, die der Kläger in der Antragsschrift und in der mündlichen Verhandlung vorgebracht hat. 771 Dem Kläger ist zu raten, die Umstände, aus denen sich seiner Ansicht nach die Eilbedürftigkeit ergibt, schon in der Antragsschrift ausführlich darzulegen, weil das Verfahren auf diese Weise beschleunigt wird. 772 Spätestens muss zum Zeitpunkt der Entscheidung Eile geboten sein. 773 Die Eilbedürftigkeit einer Sache kann sich folglich auch erst während des Verfahrens entwickeln. 774 c) Abwägung der Parteiinteressen Nachdem der Richter die Eilbedürftigkeit einer Sache bejaht hat, muss er gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv die Interessen der Parteien („de belangen van partijen“) gegeneinander abwägen. Ziel der Abwägung ist es zu prüfen, ob der Eingriff in Rechtspositionen des Beklagten durch eine einstweilige Maßnahme zum Zeitpunkt des Urteils gerechtfertigt ist oder nicht. 775 Die Abwägung der widerstreitenden Parteiinteressen bildet das Kernstück der Aufgabe des Richters im kort geding. 776 Der Richter muss die ver-
768 Hoge Raad vom 23.4.1982, NJ 1982, Nr. 523; Pres. Rb. Utrecht vom 4.4.1991, Kort Geding 1991, Nr. 153; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 76; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17 f. 769 Hoge Raad vom 2.2.1968, NJ 1968, Nr. 62. So auch Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12 und Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 7. 770 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 16. 771 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17. 772 Meijers, S. 100 f.; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 7. 773 Hoge Raad vom 26.6.1981, NJ 1983, Nr. 612; Hoge Raad vom 29.11.2002, RvdW 2002, Nr. 198; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1036; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 774 Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1036; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 8. 775 Hoge Raad vom 29.11.2002, NJ 2003, Nr. 78; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 2; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 11. 776 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 27; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
schiedenen Interessen herausarbeiten und sie gegenüberstellen. Die Gewichtung der Parteibelange erfolgt allein nach seiner Einschätzung. 777 aa) Zulässigkeit der Abwägung Das Ergebnis der richterlichen Abwägung entscheidet letztlich über den Erlass des gewünschten Ge- oder Verbots. Der Abwägung kommt erhebliche Bedeutung zu. Dass kein Katalog an abwägungsrelevanten Faktoren existiert, ist deshalb im Hinblick auf die Rechtssicherheit problematisch. Es fragt sich ähnlich wie bei der Ermittlung der Eilbedürftigkeit, warum eine Abwägung zulässig ist und was sie fördern soll. Der Entschluss, im kort geding auf eine Abwägung zu setzen, hängt mit der Zielsetzung zusammen, dem Rechtsschutzsuchenden ein schnelles und unkompliziertes Verfahren anzubieten, das die Zeit bis zu einem Urteil im ordentlichen Verfahren überbrückt. 778 Da die Parteien und ihre Prozessvertreter nur über eine kurze Vorbereitungszeit verfügen und auch die prozessualen Möglichkeiten zur Aufklärung der Tatsachen beschränkt sind, sind die Bedingungen für eine gesicherte Feststellung des Rechtsverhältnisses nicht günstig. Eine strenge Subsumtion unter bestimmte Tatbestandsmerkmale anhand der – unter den gegebenen Möglichkeiten – festgestellten Tatsachen birgt deshalb im kort geding eher die Gefahr einer Fehlentscheidung als eine an der Interessenlage der Parteien orientierte Abwägung. 779 Fehler in der Abwägung sollen dadurch vermieden werden, dass der kort geding-Richter in stärkerem Maße als der Richter im ordentlichen Verfahren Rechenschaft über die Folgen seiner Entscheidung ablegen muss. 780 Etwaige aus der Abwägung resultierende Mängel werden letztlich kompensiert, wenn die Sach- und Rechtslage in einem anschließenden Hauptsacheverfahren ausführlich anhand der im Gesetz normierten 777 Dies veranschaulicht ein Rechtsstreit zwischen einer Bürgerinitiative und dem niederländischen Staat. Die Bürgerinitiative wollte die Pfändung von Forderungen des Staates gegen die Nederlandse Bank erreichen, weil der Staat ihr Zwangsgelder in Höhe von 31,9 Mio. Gulden schuldete. Der Staat hatte versprochen, die Schulden sofort zu begleichen, sobald feststehe, ob und wieviel zu zahlen sei. Die Pfändung wurde dann jedoch in einem vom Staat angestrengten kort geding mit der Begründung aufgehoben, das Interesse des Staates, vorläufig weiter über das Geld zu verfügen, gehe dem Interesse der Vereinigung an einer erneuten Pfändung voraus. Der Hoge Raad bestätigte dieses Urteil und verwarf die Revision der Bürgerinitiative. Hoge Raad vom 7.12.1990, NJ 1991, Nr. 308. 778 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18. 779 Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13. 780 Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 2; Zonderland, Het Kort Geding, S. 18 f.
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Voraussetzungen untersucht wird. Dass die Entscheidung im kort geding im Wesentlichen auf einer Abwägung basiert, stellt also vorrangig dann ein Problem dar, wenn das an sich vorläufige Verfahren endgültig wirkt oder das Hauptsacheverfahren ganz verdrängt. bb) Faktoren der Abwägung Nach dem Gesetzeswortlaut sind die Parteiinteressen für die Abwägung maßgeblich („ … gelet op de belangen van partijen …“.). Darüber hinaus kann eine von Zweckmäßigkeitserwägungen geleitete Abwägung erfolgen, innerhalb derer nicht nur die Interessen der Parteien, sondern auch Drittinteressen und das Interesse der Allgemeinheit eine Rolle spielen. 781 In die Abwägung einfließen kann außerdem eine vorläufige Einschätzung der Rechtslage. (1) Parteiinteressen Die Interessen der Parteien bestimmen sich nach den jeweils zugrunde liegenden Tatsachen, den daraus resultierenden Rechtspositionen der Parteien sowie sonstigen Umständen mit Bezug zum Rechtsverhältnis der Parteien. 782 Im Rahmen der Abwägung verschafft sich der Richter zunächst einen Eindruck von der Interessenlage des Klägers und prüft, ob und gegebenenfalls welche Rechte dieser hat. 783 Regelmäßig beantragt der Kläger den Erlass einer einstweiligen Maßnahme wegen akuter Gefährdung eines Anspruchs oder Rechts. Aus dieser Gefährdung ergibt sich sein Interesse am schnellen Eingreifen mit einer einstweiligen Maßnahme, mittels derer die bedrohte Rechtsposition geschützt werden soll. 784 Beim gefährdeten Recht muss es sich um ein bürgerliches Recht oder eine Forderung im Sinne von Art. 112 Abs. 1 Gw 785 handeln oder um eine Streitigkeit, der zwar kein zivilrechtliches Rechtsverhältnis zugrunde liegt, die aber gemäß Art. 112 Abs. 2 Gw auch der Zuständigkeit der Zivilgerichte übertragen wurde. 786
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Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 19; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 14. 782 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 12. 783 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 12 f. 784 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 11. 785 Art. 112 Abs. 1 Gw überträgt der Rechtsprechung die Aufgabe, Streitigkeiten über bürgerliche Rechte und Forderungen zu entscheiden. Die Vorschrift wird weit ausgelegt. Forderungen im Sinne der Norm können sowohl privat- als auch öffentlich-rechtlicher Natur sein. Akkermans, Art. 112 III.2; Bax, in: Koekkoek, Grondwet, Art. 112 Nr. 5. 786 Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 11 f.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Mit der Voraussetzung eines gefährdeten Rechts folgt das kort geding dem das ordentliche Verfahren prägenden und in Art. 3:303 BW kodifizierten Grundsatz, dass niemand Rechtsschutz beanspruchen kann, ohne ein ausreichendes rechtliches Interesse hieran zu haben. 787 Art. 254 Abs. 1 WBRv schreibt genau genommen zwar nur irgendein rechtliches Interesse vor. 788 Eine gewisse Intensität dürfte aber auch für das kort geding vorauszusetzen sein, um das rechtliche Verfahren von der Schlichtung eines bloß gesellschaftlich relevanten Interessenkonflikts zu unterscheiden. Außerdem darf das jeweilige Interesse nicht moralisch zweifelhaft sein. 789 Erforderlich ist aber nicht, dass eine schuldrechtliche Forderung bereits besteht. Es genügt, dass sie zukünftig entstehen wird. 790 Ebenso wenig ist das Vorliegen eines Interesses materieller Art notwendig. Auch ein immaterielles und ideelles Interesse kann in der Abwägung für ein kort geding sprechen. 791 Die Voraussetzung eines Interesses des Klägers am Erlass einer einstweiligen Maßnahme zum Schutze eines gefährdeten Rechts wird damit alles andere als restriktiv gehandhabt. Sie liegt in der Mehrzahl der Fälle vor. Die Interessen des Klägers müssen in der Abwägung in Beziehung zu den Interessen des Beklagten gesetzt werden. Es bedarf auch einer näheren Untersuchung, welche Nachteile der Kläger erleiden würde, falls keine einstweilige Maßnahme getroffen würde, und inwieweit in Rechte des Beklagten eingegriffen würde, falls die Maßnahme erginge. 792 Für das Beklagten787 Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Hof ’s-Hertogenbosch vom 4.9.1995, NJ 1996, Nr. 326; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 18; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 13. Ausführlich zu Inhalt und Bedeutung des damals noch ungeschriebenen Rechtsgrundsatzes „point d’intérêt, point d’action“: van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 170 ff. 788 Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 13. 789 Dies ist zum Beispiel anzunehmen, wenn die Räumung einer Wohnung nur als Drohmittel zur Zustimmung zu einer Mieterhöhung gefordert wird (siehe hierzu Pres. Rb. Alkmaar vom 9.5.1972, NJ 1973, Nr. 22), oder wenn eine Forderung im kort geding als Drohmittel in laufenden Vertragsverhandlungen eingesetzt wird, wie in Hof ’s-Hertogenbosch vom 4.9.1995, NJ 1996, Nr. 326. 790 Hoge Raad vom 26.9.1980, NJ 1981, Nr. 90; Pres. Rb. Roermond vom 23.2.1973, NJ 1973, Nr. 294. 791 In der Entscheidung des Hof Amsterdam vom 1.12.1970, NJ 1971, Nr. 205, hatte ein Kabarettist ein Interesse daran, dass eine Schallplatte, die er für künstlerisch nicht gelungen hielt, nicht in den Handel gebracht wurde. In seinem Urteil vom 8.7.1992, NJ 1992, Nr. 714, sprach der Hoge Raad Ersatz für einen immateriellen Schaden zu, da der Kläger durch einen medizinischen Fehler mit dem AIDS-Virus infiziert wurde. 792 Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 2; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13; Zonderland, Het Kort Geding, S. 18 f.
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interesse an der Verweigerung einer einstweiligen Maßnahme kann es in der Abwägung von Bedeutung sein, ob dem Beklagten durch den Erlass der Maßnahme ein nicht wieder rückgängig zu machender Schaden zugefügt würde. 793 (2) Interessen Dritter und der Allgemeinheit Obwohl Art. 254 Abs. 1 WBRv die Interessen Dritter oder der Allgemeinheit nicht erwähnt, können auch sie in die Abwägung einbezogen werden 794. Die Interessen Dritter können insbesondere in Streitigkeiten des Arbeits- oder Verbraucherschutzrechts eine Rolle spielen. 795 Als Interessen der Allgemeinheit kommen zum Beispiel Aspekte des Umweltschutzes, der städtebaulichen Entwicklung und der Wirtschaftsförderung in Betracht. 796 793
Hoge Raad vom 8.2.1946, NJ 1946, Nr. 166. Bestätigt in Hoge Raad vom 11.2.1994, NJ 1994, Nr. 651; Pres. Rb. Arnhem vom 26.3.1981, NJ 1981, Nr. 199. Ebenso Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 18; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 14. 794 So schon zu Art. 289 WBRv aF: Hoge Raad vom 18.4.1913, NJ 1913, S. 727; Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 2; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 18. Zu Art. 254 WBRv: Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 14. 795 In einem arbeitsrechtlichen Fall vor dem Hoge Raad, Entscheidung vom 27.5.1983, NJ 1983, Nr. 758, forderte eine Arbeitnehmerin von ihrem Arbeitgeber, einer Stiftung zur Förderung von Bürgern aus Surinam, ihre Wiedereinstellung sowie Lohnfortzahlung. Bezüglich der Erlaubnis, weiter zu arbeiten, waren die Interessen der Frau und der Stiftung zu beachten, aber auch die der Teilnehmer an den Stiftungsprogrammen, die nicht in den Streit hineingezogen werden sollten und denen eine ungestörte Fortsetzung der Betreuung zuteil werden sollte. Die Rechtbank Zwolle beschäftigte sich in der Entscheidung vom 13.3.1961, NJ 1961, Nr. 455, mit der Klage eines Bäckers gegen den Inhaber eines Lebensmittelgeschäfts, der Brot verkaufte, ohne eine entsprechende Erlaubnis zu besitzen. In die Entscheidung wurde das Interesse der Verbraucher an qualitativ hochwertigem Brot einbezogen. Im Fall des Hoge Raad vom 21.4.1995, NJ 1996, Nr. 462, wurde diskutiert, ob in die Entscheidung über die Sanktionierung einer Patentverletzung bei einem Medikament die Interessen der Patienten einbezogen werden sollten. Der Hoge Raad lehnte dies ab, Verkade sprach sich in der Urteilsanmerkung, NJ 1996, 2476 f., dafür aus. 796 In Hoge Raad vom 16.3.1973, NJ 1975, Nr. 74, ging es um die Einrichtung einer Mülldeponie in einer in einem Naturschutzgebiet gelegenen Kiesgrube. Gegen die Umwandlung der Kiesgrube wurden die durch drohende Verunreinigung von Luft und Boden beeinträchtigten Belange der Anrainer und das Interesse der Allgemeinheit an der Bewahrung der Flora und Fauna vorgebracht. In Hoge Raad vom 20.5.1994, NJ 1996, Nr. 691, wurde das von der Gemeinde für die Allgemeinheit geltend gemachte städtebauliche und wirtschaftliche Interesse an der Ansiedlung eines Betriebes als höherrangig beurteilt als das Interesse der an das Betriebsgrundstück angrenzenden Nachbarn an der Beibehaltung ihrer über das Grundstück führenden Grunddienstbarkeit.
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(3) Beurteilung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses Art. 254 Abs. 1 WBRv setzt nicht voraus, dass die einstweiligen Maßnahmen nach einer Untersuchung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses ergehen. Ob eine unerlaubte Handlung oder ein Vertragsverhältnis vorliegt, ist danach eigentlich unerheblich. In den meisten verkürzten Verfahren werden die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens dennoch geprüft, 797 weil es danach leichter fällt, die Interessenlage der Parteien, Dritter und der Allgemeinheit zu beurteilen. Die Konsequenzen für einen Beklagten, gegen den zunächst eine einstweilige Maßnahme erlassen wird, der dann aber in der Hauptsache Recht bekommt, stellen zum Beispiel einen wichtigen Aspekt für die Abwägung im kort geding dar. 798 cc) Ergebnis der Abwägung Sind alle maßgeblichen Faktoren ermittelt, kann die eigentliche Abwägung vorgenommen werden. Da die Partei- oder Drittinteressen, die in die Abwägung einfließen, und ihre Gewichtung stets unterschiedlich sind, ist das Ergebnis der Abwägung auf den jeweiligen Fall zugeschnitten. Hält der Richter einen Eingriff in die Rechtspositionen des Beklagten für notwendig, muss er sich darüber Gedanken machen, welche Intensität der Eingriff haben sollte. Dabei muss er sich bewusst sein, dass noch nicht abschließend festgestellt wird, ob der Kläger tatsächlich einen Anspruch gegen den Beklagten hat, sondern dass zunächst nur der vorläufige Rechtszustand auf der Grundlage einer Interessenabwägung ermittelt wurde. 799 Hat der kort geding-Richter mehrere Möglichkeiten, das vorliegende Rechtsverhältnis vorläufig zu regeln, so ist er verpflichtet, die am wenigsten belastende Maßnahme zu wählen. Je stärker beeinträchtigend der erforderliche Eingriff ist, desto sorgfältiger müssen die gegenüberstehenden Interessen herausgearbeitet und abgewogen werden. 800 In der Mehrzahl der Fälle orientiert sich der kort geding-Richter am Ergebnis seiner Prüfung des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsver-
797
Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 27.5.1983, NJ 1983, Nr. 758; Bots, S. 86. Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1983, 113, 115. 799 Hoge Raad vom 15.12.1995, NJ 1996, Nr. 509; Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 27.5.1983, NJ 1983, Nr. 758; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 2; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13. 800 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 27: Ein starker Eingriff ist zum Beispiel gegeben bei der Räumung eines besetzten Gebäudes, bei der Aufhebung einer Pfändung, bei der Zuweisung von Geldforderungen und bei der Ablehnung, die Abschiebung eines Ausländers auszusetzen. 798
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hältnisses. 801 Dann stellt die Überlegung, ob der Richter der Hauptsache einen Anspruch des Klägers gleichfalls bejahen wird oder nicht, einen wesentlichen Faktor in der Abwägung dar. 802 Dies gilt in besonderem Maße, wenn sich bereits abzeichnet, dass das Hauptsacheverfahren tatsächlich durchgeführt werden wird. Entscheidet der kort geding-Richter entsprechend des Ergebnisses seiner Untersuchung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses, prognostiziert er insoweit also zugleich den Ausgang der Hauptsache. 803 Der kort geding-Richter orientiert sich allerdings nicht in jedem Fall am Ergebnis seiner Abwägung und am wahrscheinlichen Ausgang der Hauptsache. Es ist schon vorgekommen, dass ein Richter den Erlass einer einstweiligen Maßnahme ablehnte, obwohl er davon ausging, dass der Beklagte unrechtmäßig gehandelt hatte, oder dass er eine einstweilige Maßnahme erließ, obgleich er das zu unterbindende Verhalten als rechtmäßig ansah. Inwieweit es dem kort geding-Richter frei steht, sich von der rechtlichen Beurteilung des Falles zu lösen, ist umstritten. Den Anstoß zu dieser Diskussion gaben die Panhonlibco-Entscheidungen. 804 Ausgangspunkt dieser Streitigkeiten war ein Boykott der so genannten Panhonlibco-Schiffe. 805 Gewerkschaftsverbände hatten ihre Mitglieder dazu aufgerufen, für einige Tage an den betreffenden Schiffen das Löschen der Fracht zu verweigern. Die Aktion zielte darauf ab, die Lage der auf den Schiffen beschäftigten Seeleute durch Vereinbarung eines Tarifvertrages nach den Grundsätzen der Föderation der internationalen Transportarbeiter zu stärken. Die betroffene Arbeitgeberorganisation forderte im kort geding die sofortige Einstellung des Streiks. Der zuständige Richter der Rechtbank Rotterdam lehnte diese Forderung in erster Instanz ab, weil er die Arbeitsverweigerung unter den gegebenen Umständen nicht als unrechtmäßig ansah. Der Hof Den Haag bestätigte dieses Urteil. In der Revisionsinstanz entschied der Hoge Raad anders. Er verstand die Arbeits801 So erstmals Hoge Raad vom 18.4.1913, NJ 1913, S. 727; Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Hoge Raad vom 21.4.1995, NJ 1996, Nr. 462; Bijlsma/Keijser/Tjoen-TakSen, WPNR 5786 (1986), 25, 27; Bots, S. 86. 802 Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Hoge Raad vom 21.4.1995, NJ 1996, Nr. 462; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 13. 803 Hoge Raad vom 18.2.1994, NJ 1995, Nr. 718; Hoge Raad vom 21.4.1995, NJ 1996, Nr. 462; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13; Zonderland, Het Kort Geding, S. 17. 804 Hoge Raad vom 15.1.1960, NJ 1960, Nr. 84. Die Vorinstanzen waren Pres. Rb. Rotterdam vom 28.11.1958, NJ 1958, Nr. 593, und Hof Den Haag vom 17.4.1959, NJ 1959, Nr. 216. 805 Der Ausdruck „Panhonlibco“ ist eine Abkürzung der Länder Panama, Honduras, Liberia und Costa Rica, unter deren (Billig-)Flagge die Schiffe fuhren, van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 373.
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verweigerung als Nichterfüllung und verwies die Sache zurück. In einem obiter dictum am Ende des Urteils bemerkte er „… abgesehen von der gegebenen oder nicht gegebenen Rechtmäßigkeit der betriebenen Aktion, kann die Frage gestellt werden, ob das Eingreifen des kort geding-Richters geboten war …“ 806. Aus diesem obiter dictum wurde abgeleitet, dass ein kort geding-Richter den Erlass einer einstweiligen Maßnahme ablehnen kann, obwohl er es für wahrscheinlich hält, dass der Beklagte eine unerlaubte Handlung begangen hat. 807 Eine Ablehnung sollte besonders in Fällen zulässig sein, in denen der Erlass einer einstweiligen Maßnahme einen unverhältnismäßig großen Nachteil für den Beklagten oder große Nachteile für Dritte bedeuten würde oder wenn sich im Laufe der Zeit zeigt, dass der Erlass einer einstweiligen Maßnahme keinen Sinn mehr hätte. 808 Nach anderer Auffassung war der Ausspruch des Hoge Raad vor allem als Hinweis darauf zu verstehen, dass die Rolle der Interessenabwägung im kort geding nicht übermächtig werden dürfe. Der Hoge Raad habe vielmehr bemerken wollen, dass der kort geding-Richter nicht verpflichtet sei, bei Vorliegen einer unerlaubten Handlung ein Verbot auszusprechen, und sich von der Interessenabwägung leiten lassen könne, sich aber dennoch im Allgemeinen nach dem wahrscheinlichen Ergebnis der Hauptsache zu richten habe. 809 Eine weitere Interpretation ging dahin, dass der Hoge Raad lediglich habe verdeutlichen wollen, dass die Sache sich nicht dazu eignete, um im kort geding entschieden zu werden, weil die Konsequenzen einer einstweiligen Maßnahme nicht überschaubar gewesen seien. 810 Die von der Rechtbank ’s-Gravenhage 811 entschiedene umgekehrte Konstellation, also der Erlass einer einstweiligen Maßnahme trotz rechtmäßigen Handelns des Beklagten, erregte ebenso viel Aufsehen wie die Panhonlibco-Entscheidungen. In diesem Fall ging es um einen Streik von Postbeamten, der darauf zurückzuführen war, dass Verhandlungen zwischen Vertretern des Staates und der Beamtenverbände über die Arbeitsbedingungen im folgenden Jahr festgefahren waren. Die Kläger waren Herausgeber von Zeitschriften, deren Unternehmen durch den Streik bei der Post erhebliche Verluste erlitten hatten. Sie verlangten im kort geding u. a. 806 Hoge Raad vom 15.1.1960, NJ 1960, Nr. 84: „… dat tenslotte nog opmerking verdient, dat de vraag kan rijzen of in het onderhavige arbeidsconflict, daargelaten de al dan niet rechtmatigheid van de gevoerde actie, het ingrijpen van den President wel geboden was …“. 807 Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 4. 808 Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 4; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–13. 809 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 20 f. 810 Meijers/Vermeulen, S. 107; van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 375. 811 Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.11.1983, NJ 1983, Nr. 774.
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die Wiederaufnahme der Beförderung von Postsendungen. Das Gericht ordnete an, dass die Vertreter des Staates und der Verbände spätestens am vierten Tag nach der Entscheidung wieder in Verhandlungen treten müssen, und sah diese Maßnahme deshalb als begründet an, weil die schwerwiegenden Auswirkungen, welche die Erfolglosigkeit der Verhandlungen auf die Interessen aller Beteiligten hatten, dies erforderten. 812 Maßgeblich für die Anordnung war also die Abwägung der verschiedenen Interessen. Dass das Gericht nach Prüfung der Rechtsfragen nicht zu dem Ergebnis kam, dass unrechtmäßig gehandelt worden war, hinderte nicht den Erlass der einstweiligen Maßnahme. Vielmehr erließ das Gericht die einstweilige Maßnahme, obwohl es von der Rechtmäßigkeit des Handelns der Beklagten in Bezug auf den Streik ausging. Das Urteil zum Streik bei der Post gab deshalb in noch größerem Ausmaß als die Panhonlibco-Entscheidungen Anlass zur Annahme, dass eine Entscheidung im kort geding losgelöst von einer rechtlichen Grundlage auf der Basis der reinen Interessenabwägung ergehen kann. Hinter der Diskussion zur Bedeutung der Beurteilung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses steht die Streitfrage, ob durch Entscheidungen im kort geding Recht gesprochen wird oder ob die Entscheidungen bloße Ordnungsmaßnahmen in gesellschaftlichen Interessenkonflikten darstellen. 813 Handelte es sich um Rechtsprechung, dann müsste eine Entscheidung ohne Beachtung der rechtlichen Gegebenheiten generell als unzulässig angesehen werden. 814 Ordnungsmaßnahmen in einem gesellschaftlichen Interessenkonflikt könnten demgegenüber weniger an das Vorliegen einer unerlaubten Handlung oder einer Vertragsbeziehung gebunden sein. 815 Kort geding-Entscheidungen sollten meines Erachtens zwar als Rechtsprechung verstanden werden, was die Bindung der im kort geding ergehenden Entscheidung an die Untersuchung der Rechtslage betrifft, ist aber zu differenzieren. Der Erlass einer einstweiligen Maßnahme im kort geding stellt die Handlung eines Organs der Rechtsprechung dar. Mithin kann auf eine rechtliche Grundlage der Entscheidung nicht verzichtet werden. 816 Dennoch darf das Ergebnis der Rechtsprüfung bei der Entscheidung nicht allein den Ausschlag über den Erlass von einstweiligen Maßnahmen im kort geding geben, weil im verkürzten Verfahren auch nach der Untersuchung des zwischen den Parteien bestehenden Rechtsverhältnisses keine sichere, sondern nur eine mehr oder weniger wahrscheinliche Aussage dar812
Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 11.11.1983, NJ 1983, Nr. 774. Bots, S. 89 f.; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 5 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 19; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 304. 814 Bots, S. 90. 815 Bots, S. 89 f. 816 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 19. 813
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über getroffen wird, ob von einem recht- oder unrechtmäßigen Verhalten des Beklagten auszugehen ist. 817 Idealerweise sollten deshalb sowohl die rechtlichen Gegebenheiten als auch die zugrunde liegenden Interessen in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. Hält es der Richter im Einzelfall für notwendig, muss er sich über das Ergebnis der Untersuchung der Rechtslage hinwegsetzen können. 818 Art. 254 WBRv stützt diese Sichtweise, indem er die Abwägung der Interessen der Parteien betont. Somit sollte es grundsätzlich zulässig sein, eine einstweilige Maßnahme zu erlassen, auch wenn das Handeln der Beklagtenseite wahrscheinlich als rechtmäßig einzuschätzen ist. Im umgekehrten Fall, dass der kort geding-Richter den Erlass einer einstweiligen Maßnahme ablehnt, obwohl der Beklagte sich unrechtmäßig verhalten hat, wird die Zulässigkeit einer solchen Entscheidung mit Blick auf die Ähnlichkeit zwischen ordentlichem Verfahren und kort geding verneint. Da im ordentlichen Verfahren eine Verurteilung erfolgen müsse, wenn die Unrechtmäßigkeit festgestellt worden sei, müsse das genauso für das verkürzte Verfahren gelten. 819 Demnach wäre es unzulässig, den Erlass einer einstweiligen Maßnahme abzulehnen, obwohl es wahrscheinlich ist, dass sich der Beklagte unrechtmäßig verhalten hat. Ein solcher Vergleich verbietet sich aber, weil er die Rolle der ausdrücklich im Gesetz verankerten Abwägung, aus der sich ergeben kann, dass die Verweigerung einer einstweiligen Maßnahme gerechtfertigt ist, nicht ausreichend berücksichtigen würde. 820 Der Hoge Raad hat diese Auffassung bekräftigt. Er urteilte, dass der Richter ausnahmsweise trotz Unrechtmäßigkeit eines Verhaltens ein Verbot ablehnen kann, wenn die Abwägung zwischen den Folgen eines Verbots für den Beklagten und den Folgen für den Kläger, falls kein Verbot ergeht, zugunsten des Beklagten ausfällt. 821 Diese Situation trete zum Beispiel dann auf, wenn ein Verbot einen zu großen Eingriff darstellen würde oder wenn dem unrechtmäßigen Verhalten noch auf andere Weise entgegengewirkt werden könnte. Das oberste Gericht hat damit diejenigen bestätigt, die entsprechende Aussagen bereits aus dem Panhonlibco-Urteil herausgelesen haben. Trotz gewisser Ähnlichkeiten zwischen ordentlichem Verfahren und kort geding sind also die Unterschiede gerade im Hinblick auf die Rolle der Interessenabwägung so groß, dass eine Gleichbehandlung 817 Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 27.5.1983, NJ 1983, Nr. 758; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3, 4, 14. Dies gibt auch van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 394 f., zu. 818 Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 27.5.1983, NJ 1983, Nr. 758; Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3, 4, 14. 819 Cleveringa, Art. 289, Aant. 11; Meijers/Vermeulen, S. 104 f.; van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 394 f. 820 Korthals Altes, in: Kort Geding en Toetsing, S. 1, 3, 4, 14. 821 Hoge Raad vom 15.12.1995, NJ 1996, Nr. 509.
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der Rechtmäßigkeitsprüfungen dem kort geding nicht gerecht würde. Um die Interessen der Parteien zu verwirklichen, muss der kort geding-Richter im Umgang mit dem Ergebnis seiner Untersuchung mehr Freiheit genießen als ein Richter im ordentlichen Verfahren. Das bedeutet, dass sich der kort geding-Richter nicht unter allen Umständen nach dem in der Hauptsache zu erwartenden Urteil richten muss. Die Ablehnung einer einstweiligen Maßnahme trotz wahrscheinlich unrechtmäßigen Verhaltens des Beklagten kann mithin in Ausnahmefällen gerechtfertigt sein. d) Vorläufigkeit der Maßnahme Schließlich muss der im kort geding zu klärende Rechtsstreit den Erlass einer Maßnahme mit – grundsätzlich – vorläufiger Wirkung erfordern. Die Voraussetzung der Vorläufigkeit der Maßnahme folgt aus der Grundnorm des kort geding: Art. 254 Abs. 1 WBRv verleiht dem kort geding-Richter wörtlich die Zuständigkeit für Maßnahmen auf Vorrat („onmiddellijke voorziening bij voorraad“). Sprachlich deutlicher zeigt sich demgegenüber Art. 8:81 Abs. 1 Awb für das verwaltungsrechtliche kort geding. Darin ist unmittelbar von vorläufigen Maßnahmen („voorlopige voorzieningen“) die Rede. Kort geding-Maßnahmen können hinsichtlich ihres Inhalts, ihrer Dauer und ihres Umfangs vorläufig sein. 822 Der Entscheidungsinhalt von Maßnahmen im kort geding ist insofern immer vorläufig, als er nicht gemäß Art. 236 Abs. 1 WBRv materiell rechtskräftig werden kann. 823 Das bedeutet, dass die kort geding-Entscheidung in jedem weiteren kort geding oder im ordentlichen Verfahren zwischen denselben Parteien geändert werden kann. 824 Bezüglich der zeitlichen Dauer bedeutet Vorläufigkeit, dass eine Maßnahme typischerweise ein Rechtsverhältnis bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren regelt. 825 Erwächst das Urteil des Hauptsacheverfahrens in Rechtskraft oder legen die Parteien ihren Streit außergerichtlich bei, so endet die Geltung der einstweiligen Maßnahme. 826 Zu 822
Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 16. Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 43; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 236 Nr. 2 c). 824 Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213. 825 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 4 a). 826 Bots, S. 93; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 21; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 16. 823
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beachten ist aber, dass die Vorläufigkeit nicht zwingend mit einer zeitlich limitierten Geltung einer Maßnahme gleichzusetzen ist, denn Art. 254 WBRv enthält keine Pflicht zur Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. 827 In den Fällen der Art. 254–259 WBRv sind die gesetzlich auf vorläufige Wirkung ausgerichteten Maßnahmen somit nur dann auch tatsächlich vorläufig, wenn die Parteien ein ordentliches Verfahren initiieren. In Bezug auf die Reichweite einer Maßnahme setzt das Gesetz dem kort geding-Richter an sich keine Grenzen. 828 Als Einschränkung, die sich aus Sinn und Zweck des kort geding ableiten lässt, sollte der Richter grundsätzlich aber beachten, dass er vom Umfang her nicht über das hinausgeht, was mit Blick auf eine unter Umständen nachfolgende Hauptsache notwendig und zu verantworten ist. 829 2. Besondere Voraussetzungen bei Geldforderungen Die Voraussetzungen eines kort geding, welches eine Geldforderung 830 anordnet, unterscheiden sich teilweise von denjenigen eines kort geding sonstigen Inhalts. Die Voraussetzungen des Inkasso-kort geding, eines Unterfalls des kort geding für Geldforderungen, weichen ihrerseits in einigen Punkten von den Voraussetzungen des kort geding für Geldforderungen ab. a) Kort geding für Geldforderungen Die Zulässigkeit der Geltendmachung von Geldforderungen im Wege des kort geding wurde lange Zeit verneint. 831 Die ursprünglichen Zweifel an der Zulässigkeit hingen vorrangig mit der Annahme zusammen, die Entscheidung über eine Geldforderung impliziere, anders als bei sonstigen Streitgegenständen, zwingend die Entscheidung über das der Forderung zugrunde liegende Rechtsverhältnis. 832 Eine Entscheidung dieser Tragweite wollte man dem kort geding-Richter im Hinblick auf Art. 257 WBRv,
827 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 21 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 299; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18. 828 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 17. 829 Hof ’s-Hertogenbosch vom 28.1.1997, Kort Geding 1997, Nr. 95; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 17. 830 Welcher Art das Rechtsverhältnis ist, aus dem die Geldforderung stammt, ist unerheblich. Es kann sich um eine Zahlungsverpflichtung aus Vertrag oder um eine Schadensersatzforderung aus unerlaubter Handlung handeln. Freudenthal, Incassoprocedures, S. 47; Gisolf/ de Boer, Kort geding en rechter, S. 72; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 163; Wieten, S. 58. 831 Cleveringa, Art. 289, Aant. 4; Meijers, S. 83. 832 Meijers, S. 83; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 489.
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wonach die einstweiligen Maßnahmen keinen Nachteil für die Hauptsache mit sich bringen sollen, ursprünglich nicht zugestehen. 833 aa) Zulässigkeit des kort geding für Geldforderungen Eine vorsichtige Öffnung des kort geding für Streitigkeiten über Geldforderungen zeichnete sich seit Mitte des 20. Jahrhunderts ab. Einige Gerichte ließen unter strengen Voraussetzungen Zahlungen mit Alimentationscharakter zu. 834 In der Literatur fand sich vereinzelt Zustimmung für die Zulässigkeit des kort geding bei Geldforderungen. 835 Zurückhaltender war man allerdings weiterhin bei Kaufpreisforderungen. 836 Erst das Engagement der Präsidenten der Amsterdamer Rechtbank, Asscher und Borgerhoff Mulder, brachte Anfang der 1980er Jahre das kort geding auch für Geldforderungen mit Nachdruck ins Gespräch. 837 Das Ziel bestand vordergründig darin, dem in Rezessionszeiten zunehmenden Phänomen entgegenzuwirken, dass Gläubiger der schlechten Zahlungsmoral ihrer Schuldner machtlos gegenüberstehen, weil die zwischenzeitliche Insolvenz der Schuldner eine am Ende eines langwierigen Prozesses ergehende richterliche Zahlungsaufforderung bedeutungslos werden lässt. 838 Dass gerade Amsterdamer Richter dem kort geding für Geldforderungen aus Verträgen wohlgesonnen waren, ist nicht verwunderlich. Im Handelszentrum Amsterdam erkannten sie in ihren Verhandlungen vielfach, wie wichtig es für die Gläubiger ist, Außenstände schnell einziehen zu können. 839 Hinter der veränderten Beurteilung des kort geding für Geldforderungen stand auch die Erkenntnis, dass der kort geding-Richter in seine Entschei833
Cleveringa, Art. 289, Aant. 4; Meijers, S. 83. Pres. Rb. ’s-Hertogenbosch vom 19.2.1949, NJ 1950, Nr. 183; Pres. Rb. Groningen vom 17.6.1953, NJ 1954, Nr. 334; Hof Arnhem vom 16.6.1959, NJ 1960, Nr. 300; Pres. Rb. Haarlem vom 26.6.1962, NJ 1963, Nr. 161. 835 Zonderland, Het Kort Geding, S. 19 ff. 836 Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 2, berichtet von vier Entscheidungen im Zeitraum von 1951–1977: Pres. Rb. Zutphen vom 27.3.1950, NJ 1951, Nr. 244; Pres. Rb. Haarlem vom 6.11.1963, NJ 1964, Nr. 191; Pres. Rb. Amsterdam vom 11.6.1964, NJ 1965, Nr. 208; Pres. Rb. Amsterdam vom 14.7.1977, NJ 1977, Nr. 593. 837 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 45 ff.; Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1981, 419; ders., Advocatenblad 1982, 25; ders., Advocatenblad 1983, 113. Diese Art der Ausdehnung eines Rechtsinstitutes kritisiert Bruinsma. Zwar plädiert auch er für die Zulässigkeit des kort geding für Geldforderungen, hält aber die Einführung durch die Rechtsprechung für verfehlt. Bruinsma, Dutch Law in Action, S. 46. 838 Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1981, 419; ders., Advocatenblad 1983, 113, 115. 839 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 73. Da insbesondere die Präsidenten der Rechtbank Amsterdam das kort geding gefördert haben, spricht man auch von der „Amsterdamer Schule“, Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 130. 834
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dung über eine Geldforderung zwar den Grund ihres Bestehens einbeziehen muss, dass er aber gleichwohl lediglich ein vorläufiges Urteil über die Streitigkeit und das zugrunde liegende Rechtsverhältnis fällt. 840 Nach der modernen Auslegung von Art. 257 WBRv greift eine kort gedingEntscheidung der Hauptsache nicht vor. 841 Auf Art. 257 WBRv gestützte Bedenken an der Zulässigkeit des kort geding für Geldforderungen sind daher überholt. Entsprechend ist das Verfahren mittlerweile auch allgemein anerkannt. 842 Dies ist angesichts der Vielzahl der Fälle, in denen um Geldforderungen gestritten wird, zu begrüßen. Es handelte sich wegen der Relevanz für die Praxis um einen notwendigen Entwicklungsschritt. bb) Voraussetzungen des kort geding für Geldforderungen Schwierigkeiten treten beim Versuch zutage, die Voraussetzungen von Art. 254 Abs. 1 WBRv auf das kort geding für Geldforderungen zu übertragen. Fraglich ist zum Beispiel, ob fehlende Liquidität des Klägers bereits Eile gebietet, 843 ob es mit der Vorläufigkeit vereinbar ist, dass Zahlungen faktisch endgültig wirken, 844 und welche Interessen in die Abwägung einbezogen werden müssen. 845 Aufgrund der Besonderheiten des kort geding für Geldforderungen erwies es sich als notwendig, die Voraussetzungen zu modifizieren und strengere Maßstäbe anzusetzen. 846 Der Hoge Raad erarbeitete spezielle Kriterien für das kort geding über Geldforderungen. 847 So wird verlangt, dass der Kläger den Bestand der Geldfor840
Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 72; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 525; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 841 Siehe oben S. 42. 842 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489; Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395; Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 45 ff.; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45; Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21, 22; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 73; Hugenholtz/ Heemskerk, Nr. 131, S. 138; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–7; Schenk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 3, 5; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 300; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 6 c); van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 843 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 75. 844 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29. 845 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 75. 846 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 49. A.A.: Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45 f., der allerdings in den Kriterien des Hoge Raad nur eine besonders restriktiv klingende Wiederholung der gesetzlichen Voraussetzungen sieht. 847 Die Hauptkriterien wurden erstmals erwähnt in Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84. Die Entscheidung wurde bestätigt und ergänzt in Hoge Raad vom 19.2.1988, NJ 1988, Nr. 658; Hoge Raad vom 26.5.1989, NJ 1989, Nr. 653; Hoge Raad vom 8.7.1992, NJ 1992,
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derung hinreichend glaubhaft macht und Umstände vorträgt, aus denen die Eilbedürftigkeit folgt. 848 Bevor der kort geding-Richter eine vorläufige Zahlungsanordnung erlässt, hat er die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen, wobei er besonderes Augenmerk auf das Restitutionsrisiko legen muss. 849 Da das Verfahren nicht gesetzlich geregelt ist und von Rechtsprechung und Literatur stetig fortentwickelt wird, unterliegen die Voraussetzungen einem dynamischen Prozess bei dem sich die Akzente bei der Prüfung der Voraussetzungen verschieben können. Die verschiedenen Voraussetzungen dürfen außerdem nicht isoliert voneinander betrachtet werden. Sie beeinflussen sich gegenseitig. Ist eine Voraussetzung gegeben, kann das zur Konsequenz haben, dass eine andere ebenfalls als vorliegend angesehen wird. 850 In noch stärkerem Maße als andere verkürzte Verfahren wird das kort geding für Geldforderungen durch die Einschätzung der Chancen im Hauptsacheverfahren beherrscht. 851 Das erklärt sich damit, dass seine Voraussetzungen in engem inhaltlichen Zusammenhang 852 mit dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis stehen. 853 Der enge Zusammenhang zeigt sich Nr. 714; Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489; Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395. 848 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84. 849 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84. Eeken, NTBR 2002, 532, 533, sieht in der Entscheidung des Hoge Raad folgende drei Voraussetzungen für korte gedingen über Geldforderungen: Eilbedürftigkeit, Restitutionsrisiko und Chancen in der Hauptsache. Diese Einteilung vernachlässigt die ausdrücklich geforderte Voraussetzung des Bestehens der Forderung („… het bestaan van een vordering van de eiser op de gedaagde …“) und weist nicht auf die im kort geding so wichtige Vorläufigkeit hin. Restitutionsrisiko und Chancen in der Hauptsache werden zudem besser als Aspekte der Interessenabwägung denn als eigenständige Voraussetzungen gesehen. Aus Eekens Erläuterungen ergibt sich, dass er mit der Voraussetzung der Chancen in der Hauptsache die Wahrscheinlichkeit des Bestehens der Forderung meint. Abgesehen von der anderen Einteilung in einzelne Voraussetzungen weicht seine Darstellung somit inhaltlich nicht stark von den üblichen Ansichten ab. Die hier präferierte Einteilung in die vier Voraussetzungen Bestehen der Forderung, Eilbedürftigkeit, Vorläufigkeit und Abwägung ist aber klarer und zeigt deutlicher den Bezug zum kort geding für andere als Geldforderungen auf. 850 Eeken, NTBR 2002, 532, 535; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 164; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490 f. 851 Hoge Raad vom 19.10.1984, NJ 1985, Nr. 215; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 83, 96; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 164; Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21. 852 Der enge inhaltliche Zusammenhang zeigt sich besonders bei der Prüfung des Bestands der Forderung und bei der Einbeziehung des Restitutionsrisikos in die Abwägung. 853 Hoge Raad vom 19.10.1984, NJ 1985, Nr. 215; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 83,
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besonders bei der Prüfung des Bestands der Forderung und bei der Einbeziehung des Restitutionsrisikos in die Abwägung. Je nachdem, wie die Prognose für den Ausgang des Hauptsacheverfahrens ausfällt, werden die Anforderungen an das Vorliegen der Voraussetzungen strenger oder großzügiger beurteilt. 854 Infolgedessen werden regelmäßig alle Voraussetzungen für ein kort geding als gegeben angesehen, wenn der Beklagte das Bestehen der Forderung nicht bestreitet. 855 Bestreitet der Beklagte hingegen die vom Kläger vorgetragenen Umstände, so wird der Antrag auf Durchführung des verkürzten Verfahrens meist abgelehnt. 856 (1) Bestehen der Forderung Um eine Entscheidung im kort geding zu seinen Gunsten zu erreichen, muss der Kläger zunächst also glaubhaft machen, dass die zu begleichende Zahlungsforderung besteht. Im Rahmen untergerichtlicher Rechtsprechung wurden die Anforderungen an den Klägervortrag zunächst sehr hoch angesetzt. Demgemäß musste es nach den vorgetragenen Tatsachen in sehr hohem Maße wahrscheinlich sein, dass der Beklagte die betreffende Summe schuldet. 857 Der Hoge Raad verwarf diese restriktive Linie. Ihm genügt es, wenn der Bestand der Zahlungsforderung hinreichend wahrscheinlich ist. 858 Die Zustimmung zu einer strengeren oder großzügigeren Ansicht impliziert eine Entscheidung darüber, ob der überwiegende Teil der verkürzten Verfahren abgelehnt werden muss oder nicht. Müsste das Bestehen der Forderung als sehr wahrscheinlich erscheinen, wird die Durchführung der meisten verkürzten Verfahren an dieser Voraussetzung scheitern. Der Kläger hat selten schon zu Beginn eines kort geding, in einer Situation, in der die Zeit drängt, alle Tatsachen und Beweismittel zusammengetragen, die den Bestand der Forderung aufzeigen, um das Gericht zu überzeugen, dass die Zahlungsverpflichtung mit sehr großer Wahrscheinlichkeit besteht. 96; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 164. 854 Pres. Rb. Amsterdam vom 27.6.1985, Kort Geding 1986, Nr. 3; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21. 855 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 856 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77. Zustimmend Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 165. 857 Hof Amsterdam vom 8.12.1983, wiedergegeben in Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Pres. Rb. Utrecht vom 20.10.1982, Kort Geding 1982, Nr. 185; Pres. Rb. Utrecht vom 22.2.1983, Kort Geding 1983, Nr. 111. 858 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 24.3.1995, NJ 1995, Nr. 350. So auch Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 46; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 138; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 300.
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Hohe Anforderungen an die Darlegung der Forderung werden der Zwecksetzung des kort geding nicht gerecht, schnell und unkompliziert eine Entscheidung erlangen zu können. Infolgedessen ist dem Hoge Raad beizupflichten, dass es ausreichen muss, wenn der Kläger den Bestand der Geldforderung hinreichend glaubhaft macht. (2) Eilbedürftigkeit Sieht das Gericht den Bestand der Forderung als glaubhaft gemacht an, prüft es weiter, ob Umstände vorliegen, die eine besondere Eilbedürftigkeit erkennen lassen. Als Eile begründende und eine sofortige Zahlung gebietende Tatsachen werden die fehlende Liquidität des Klägers, 859 aber auch die drohende Insolvenz des Beklagten genannt. 860 Ob hieraus zwingend auf die Eilbedürftigkeit geschlossen werden kann, ist allerdings fraglich, weil die Sicherung der Forderung in diesen Konstellationen vielfach genügen dürfte, um die Position des Gläubigers zu schützen. 861 Eilbedürftig ist ein Fall, der eine Geldforderung zum Gegenstand hat, aber jedenfalls dann, wenn eine Sicherung der Forderung nicht weiterhilft, weil der Gläubiger sofort über die geschuldete Summe verfügen muss. Zweifel am Vorliegen von Eilbedürftigkeit bestehen, wenn die Geldforderung durch eine andere Person als den Schuldner erfüllt werden kann. 862 Bei Zahlungsforderungen ist der Kläger nicht unbedingt darauf angewiesen, dass der Schuldner in Person leistet. Die Zahlung kann auch von einer dritten Person, hilfsweise einer Bank oder eines sonstigen Kreditgebers, vorläufig vorgenommen werden. Bestehen verschiedene Möglichkeiten vorzeitiger Erfüllung, erscheint eine Zahlungsaufforderung an eine bestimmte Person im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes nicht zwingend notwendig. Hinsichtlich der Intensität, welche die Eilbedürftigkeit aufweisen muss, setzten einige Untergerichte hohe Maßstäbe an und verlangten vom Kläger den Beweis, dass er in eine finanzielle Notlage geriete, wenn eine sofortige 859 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 75. 860 Schenk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 3, 5; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490; Versteegh, NJB 1992, 1138, 1139. Obwohl sich der Beklagte zu seiner Verteidigung nicht auf mangelnde Zahlungsfähigkeit berufen kann, weil er für seine Schulden einstehen muss, kann der kort geding-Richter die wirtschaftlichen Umstände des Beklagten in seine Abwägung vor dem Erlass der einstweiligen Zahlungsaufforderung einfließen lassen. Der Richter kann zum Beispiel berücksichtigen, innerhalb welcher Zeit der Beklagte finanzielle Mittel erlangen kann, und danach die Zahlungsfrist bemessen oder eine Zahlung in Raten oder eine Teilzahlung anordnen. Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 524 f. 861 Eeken, NTBR 2002, 532. 862 Eeken, NTBR 2002, 532.
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Zahlung ausbliebe. 863 Hierfür finden sich allerdings weder Anhaltspunkte im Gesetz noch wären die Folgen akzeptabel. 864 Hätte der Kläger gravierende Liquiditätsprobleme, die gerade den Rang einer Notlage verfehlten, oder gelänge es ihm nicht, die Notlage zu beweisen, würde das für ihn bedeuten, dass er sich für die Dauer des ordentlichen Verfahrens selbst finanzieren müsste, anstatt im kort geding eine vorläufige Zahlung erwirken zu können. 865 Das ordentliche Verfahren kann aber mehrere Jahre dauern. Derartige Zeiträume bis zum Eingang der Zahlung zu überbrücken, würde einige Finanzkraft erfordern. 866 Deshalb kann die Frage, ob Eilbedürftigkeit vorliegt oder nicht, bei enger Auslegung der Eilbedürftigkeit über den wirtschaftlichen Ruin des Klägers entscheiden. Beharrt ein Gericht also auf dem Beweis einer finanziellen Notlage, protegiert es letztlich den Beklagten, der sich weigert, seine Schulden zu begleichen, zu Lasten des Klägers. 867 Hier sollten die Prioritäten zugunsten des Klägers gesetzt werden, damit dieser nicht schutzlos bleibt. Vorzugswürdig ist es, die Anforderungen niedriger anzusetzen. Sollte dies zu einer Fehlentscheidung führen, das heißt eine Zahlung angeordnet werden, obwohl die Sache tatsächlich nicht eilbedürftig war, könnten Vorkehrungen getroffen werden, um das Rückzahlungsrisiko für den Beklagten senken. Dafür bietet, wie noch zu zeigen ist, die Interessenabwägung Raum. Die Voraussetzung der Eilbedürftigkeit für Forderungen, die der Beklagte nicht bestreitet, vollständig aufzugeben, 868 erscheint nicht empfehlenswert. Auf diese Weise würde ein vom Gesetz, welches in Art. 254 Abs. 1 WBRv nach wie vor das Vorliegen von Eilbedürftigkeit verlangt, losgelöstes Schnellverfahren geschaffen und die Entwicklung in Richtung einer Verdrängung der Hauptsache durch das kort geding gefördert. 869 Der Hoge Raad möchte die Eilbedürftigkeit weder vollständig aufgeben, noch verknüpft er die Voraussetzung mit besonders restriktiven Anforderungen wie dem Beweis der finanziellen Notlage. Stattdessen orientiert 863
Hof Amsterdam vom 8.12.1983, wiedergegeben in Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Pres. Rb. Utrecht vom 20.10.1982, Kort Geding 1982, Nr. 185; Pres. Rb. Utrecht vom 22.2.1983, Kort Geding 1983, Nr. 111. 864 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 75; Haardt, NJ 1986, 317 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17. 865 Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47; Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 76. 866 Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 867 Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47; Bijlsma/Keijser/ Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 76. 868 Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1983, 113, 115. 869 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1112; Houtappel, Advocatenblad 1983, 521, 522.
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sich das oberste Gericht an der Auslegung des Merkmals bei verkürzten Verfahren, die keine Geldforderungen zum Gegenstand haben. 870 Dem Hoge Raad genügen jegliche Umstände, aus denen sich eine besondere Eile ergibt. 871 Die Anforderungen an das Vorliegen der Eilbedürftigkeit werden also sehr niedrig gehalten. Die Umstände, aus denen die Eile folgt, müssen im kort geding über Geldforderungen aber ausführlicher dargelegt werden als bei anderen verkürzten Verfahren. 872 Die geringen Anforderungen auf der einen und die erhöhte Begründungspflicht auf der anderen Seite machen deutlich, wie ambivalent der Umgang mit der Voraussetzung der Eilbedürftigkeit ist. Einerseits stellt die Eilbedürftigkeit das Kriterium dar, das die Gerichte am schnellsten bejahen. 873 Andererseits muss ausführlich begründet werden, woraus sich die Eile ergibt, und die übrigen Voraussetzungen werden erst geprüft, wenn die Eilbedürftigkeit festgestellt worden ist. 874 Letzteres ist zu begrüßen, weil es sich bei der Eilbedürftigkeit um das entscheidende Merkmal zur Abgrenzung des einstweiligen vom ordentlichen Verfahren handelt. (3) Abwägung Die Interessenabwägung als weitere Voraussetzung des kort geding für Geldforderungen bietet Spielraum dafür, die Umstände, welche in die Abwägung einfließen sollen, und ihre Gewichtung an die Besonderheiten von Geldforderungen anzupassen. So erklärt es sich, dass beim kort geding für Geldforderungen neben den aus der Abwägung bei den übrigen verkürzten Verfahren bekannten Aspekten die Beurteilung des Restitutionsrisikos in der Abwägung besonders zu beachten ist 875. (i) Begriff des Restitutionsrisikos Hinter dem Begriff des Restitutionsrisikos verbirgt sich die Gefahr für den Hauptsachegläubiger, dass ein von ihm aufgrund der Entscheidung im kort geding geleisteter Betrag nach einem entgegengesetzten Urteil im ordentli870 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 30.6.2000, NJ 2001, Nr. 389. Dem obersten Gericht folgte: Hof ’s-Hertogenbosch vom 10.7.1985, Kort Geding 1985, Nr. 265. 871 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 8.7.1992, NJ 1992, Nr. 714. 872 Hoge Raad vom 22.1.1982, NJ 1982, Nr. 505; Hoge Raad vom 19.2.1993, NJ 1995, Nr. 704; Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489. Der Rechtsprechung folgen Eeken, NTBR 2002, 532, 533; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 17 Fn. 28; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12. 873 Eeken, NTBR 2002, 532, 535. 874 Eeken, NTBR 2002, 532, 533 f., 535; Houtappel, Advocatenbald 1983, 521, 522. 875 van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 491.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
chen Verfahren wegen Zahlungsunfähigkeit des Hauptsacheschuldners nicht zurückgewährt werden kann. 876 Ob das Restitutionsrisiko im jeweiligen Fall als bedenklich eingestuft wird, richtet sich danach, wie der Richter die finanzielle Lage des kort geding-Gläubigers einschätzt. Hierfür untersucht der Richter die konkreten Umstände der Geldforderung, zum Beispiel ihre Höhe 877 und ihren Ursprung 878. Auch die Frage, ob der kort geding-Richter in Erwägung zieht, dem Kläger vollständig oder nur teilweise Recht zu geben, kann einbezogen werden. 879 Nicht erforderlich ist es für die Beurteilung des Restitutionsrisikos, dass die Rückzahlung garantiert ist. 880 (ii) Gewicht des Restitutionsrisikos in der Abwägung Die Beurteilung des Restitutionsrisikos nimmt einen zentralen Platz in der Abwägung ein. Der Kläger hat gute Chancen, den Erlass der beantragten einstweiligen Maßnahme zu erreichen, wenn das Restitutionsrisiko als gering eingestuft wird. Der starke Einfluss der Hauptsache auf das kort geding und die anderen kort geding-Voraussetzungen können die Bedeutung des Restitutionsrisikos jedoch modifizieren. 881 Das Restitutionsrisiko wiegt umso geringer, je wahrscheinlicher eine Bejahung der Forderung in der Hauptsache ist. 882 Deshalb spielt das Restitutionsrisiko für die Abwägung auch nur eine untergeordnete Rolle, wenn der Beklagte die im kort geding gestellte Forderung nicht bestreitet. 883 Umgekehrt wird es aber umso höher bewertet, je weniger wahrscheinlich es ist, dass die betreffende Forderung
876 Hoge Raad vom 22.1.1982, NJ 1982, Nr. 505; Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 19.2.1988, NJ 1988, Nr. 658; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–14–18; Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21, 22. 877 Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Eeken, NTBR 2002, 532, 534. 878 Schlussantrag ten Kate in Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 46. 879 Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395. 880 Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395. 881 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 46; Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 491. 882 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 46; Eeken, NTBR 2002, 532, 534; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Schenk/Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 165. 883 Eeken, NTBR 2002, 532, 534; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 77; Schenk/ Blaauw, Het kort geding6, Bijzonder deel, S. 165.
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in der Hauptsache zugesprochen wird. 884 In diesem Fall gewinnt das Interesse des Beklagten an der Beibehaltung des status quo an Gewicht. 885 Der Hoge Raad machte die mögliche Beeinflussung des Restitutionsrisikos durch andere Voraussetzungen des kort geding deutlich, als er entschied, dass die Zuweisung einer Geldforderung nicht allein an einer finanziellen Notlage auf Seiten des Klägers scheitern muss, obwohl man gerade in einer solchen Situation daran zweifeln kann, ob er zu einer Rückzahlung in der Lage ist. Auch wenn in diesem Fall das Restitutionsrisiko besonders hoch ist, hielt es der Hoge Raad für wichtiger, dass die finanzielle Notlage Eile begründet und damit eine einstweilige Maßnahme erforderlich macht. 886 Dem ist im Ergebnis zuzustimmen, da die Geltendmachung einer Geldforderung im kort geding durch das Restitutionsrisiko sonst gerade in Fällen, in denen ihre Realisierung besonders dringend ist, nahezu ausgeschlossen wäre. Das Restitutionsrisiko soll ein Element sein, mit dem die Interessen des Beklagten geschützt werden können, es soll aber nicht das eigentliche Ziel des kort geding, den Schutz des Klägers in Notfällen, untergraben. (iii) Aufgabe des Restitutionsrisikos? Das Restitutionsrisiko bildete in der Zeit, in der das kort geding für Geldforderungen aufkam, den Hauptansatzpunkt, anhand dessen der Hoge Raad zu Zurückhaltung mahnte. 887 Genau genommen bringt allerdings jede Leistungsverfügung Veränderungen für das Rechtsverhältnis der Parteien mit sich, und es besteht stets das Risiko, dass die Folgen nicht rückgängig zu machen sind. Bei dem Hinweis auf das Restitutionsrisiko handelt es sich um keine Besonderheit des kort geding für Geldzahlungen, sondern um den allgemeinen Grundsatz, dass sich der kort geding-Richter vor Erlass einer Leistungsverfügung fragen muss, ob sie gegebenenfalls rückgängig gemacht werden kann. 888 Im Vergleich mit Forderungen anderen Inhalts sind Geldforderungen sogar unkomplizierter rückgängig zu machen. 889 Aufgrund des Restitutionsrisikos generell vom kort geding für Geldforderungen abzuraten, ist daher nicht gerechtfertigt. 890 884 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 46; Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1113; Eeken, NTBR 2002, 532, 534; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 885 van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 491. 886 Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395. 887 Hoge Raad vom 22.1.1982, NJ 1982, Nr. 505. 888 Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47. 889 Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21, 22. 890 Für das kort geding für Geldforderungen deshalb Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47.
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Anstatt vor der Fortentwicklung weiter zu warnen, sah es der Hoge Raad auch bald als Aufgabe des Restitutionsrisikos an, die Handhabung des kort geding für Geldforderungen kontrollierbarer zu gestalten und mögliche unerwünschte und nachteilige Folgen dieser Variante des verkürzten Verfahrens auszugleichen. Die Einschätzung des Restitutionsrisikos beherrscht seitdem die Interessenabwägung, wenn im kort geding über Geldforderungen verhandelt wird 891. Dass der große Einfluss des Restitutionsrisikos in Zukunft abnehmen könnte, ist möglich, wenn die Rechtsprechung weitere Veränderungen einläuten sollte. Erste Anzeichen eines Bedeutungsverlusts meint man vereinzelt bereits zu erkennen. 892 Gemutmaßt wird, dass eine Kontrolle des verkürzten Verfahrens statt über das Restitutionsrisiko wieder vermehrt über das Kriterium der Eilbedürftigkeit erfolgen könnte. 893 Geht es nur um das Anliegen, die weiten Voraussetzungen des kort geding einzuschränken, wäre es aber genauso denkbar, den Begriff des Restitutionsrisikos zu präzisieren, statt das Merkmal der Eilbedürftigkeit restriktiver zu handhaben. Bestandteil eines Katalogs von Aspekten, welche für ein höheres oder geringeres Restitutionsrisiko sprechen, könnte zum Beispiel die Überprüfung sein, ob eine Sicherheit 894 gestellt wird. Zukunftsweisend könnte ebenfalls eine in der Literatur vertretene Auffassung sein, wonach die Restitutionsmöglichkeit auch in den Fällen berücksichtigt werden sollte, die keine Geldforderungen behandeln. Das Restitutionsrisiko würde sich dann nicht speziell auf das Unvermögen des Zurückzahlens beziehen, sondern auf die grundsätzliche Gefahr, durch das Urteil einen nicht wieder gut zu machenden Schaden zu verursachen. 895
891 Hoge Raad vom 29.3.1985, NJ 1986, Nr. 84; Hoge Raad vom 19.2.1988, NJ 1988, Nr. 658; Hoge Raad vom 26.5.1989, NJ 1989, Nr. 653; Hoge Raad vom 8.7.1992, NJ 1992, Nr. 714; Hoge Raad vom 30.6.2000, NJ 2001, Nr. 389; Hoge Raad vom 14.6.2002, NJ 2002, Nr. 395; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 46; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 10; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230; Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21 f. 892 Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21, 22; Verkade, NJ 2000, 3283 f. 893 Eeken, NTBR 2002, 532, 534; Tonkens-Gerkema, TCR 2001, 21, 22; Verkade, NJ 2000, 3283 f. 894 Auf die Bedeutung einer Sicherheit für das Restitutionsrisiko weisen zum Beispiel Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 47 und Eeken, NTBR 2002, 532, 536, hin. Der Hoge Raad wies in seinem Urteil vom 19.10.1984, NJ 1985, Nr. 215, die Forderung nach einer einstweiligen Maßnahme allerdings trotz des Angebots einer Sicherheit ab, weil die Chancen eines Obsiegens in der Hauptsache für den Revisionskläger als gering eingestuft wurden. 895 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 300.
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(4) Vorläufigkeit Einstweilige Maßnahmen, die eine Zahlung anordnen, müssen wie alle im kort geding ergehenden Maßnahmen grundsätzlich vorläufig sein. Problematisch ist hier, dass Zahlungen faktisch endgültig wirken, weil der Kläger mehr als die Begleichung der geschuldeten Summe auch im ordentlichen Verfahren nicht erreichen kann und eine erneute Zahlungsaufforderung daher überflüssig wäre. 896 Dies verhindert jedoch nicht die rechtliche Vorläufigkeit. Zu bedenken ist, welchen Charakter eine Zahlung im kort geding gemäß Art. 257 WBRv hat. 897 Nach dieser Vorschrift dürfen einstweilige Maßnahmen keinen Nachteil für die Hauptsache bewirken. Die Zahlungsanordnung im kort geding erfolgt deshalb unter dem Vorbehalt einer anderslautenden Entscheidung in der Hauptsache. 898 Kommt der Richter im Hauptsacheverfahren nach der Prüfung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses zu dem Ergebnis, dass keine Zahlung geschuldet war, weil ein Vertrag nicht zustande gekommen ist oder weil der Schuldner für eine deliktische Handlung nicht verantwortlich ist, verliert die Zahlung ihre Rechtsgrundlage und muss zurückgewährt werden. 899 Eine Zahlung im kort geding hat rechtlich also den Charakter einer Vorauszahlung 900 und genügt insoweit der Voraussetzung der Vorläufigkeit. (5) Nebenforderungen Oft möchte der Kläger nicht nur die Hauptforderung einklagen, sondern auch noch eine Nebenforderung. Ist die Hauptforderung eine Zahlungsverpflichtung, kann eine Nebenforderung z. B. die Inkassokosten für die Einziehung dieses Betrages beinhalten. 901 Fraglich ist in derartigen verkürzten Verfahren, ob die Nebenforderung wie die Hauptforderung die kort geding-Voraussetzungen erfüllen muss. Stehen Haupt- und Nebenforderung in direktem inhaltlichem Zusammen896
Bijlsma/Keijser/Tjoen-Tak-Sen, WPNR 5786 (1986), 25, 29; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 43; Heemskerk, NJ 1982, 1748; Meijers, S. 83. 897 van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 898 Eeken, NTBR 2002, 532; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 46 f.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 72; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–14–18; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 899 Eeken, NTBR 2002, 532; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 46 f.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 72; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–14–18; van Schilfgaarde, Ars Aequi 34 (1985), 488, 490. 900 Hoge Raad vom 8.7.1992, NJ 1992, Nr. 714; Barendrecht, Intellectuele eigendom & reclamerecht 1989, 45, 48; Eeken, NTBR 2002, 532; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 46 f.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 72; Verkade, NJ 2000, 3283 f. 901 Hof Den Bosch vom 23.1.1996, NJ 1996, Nr. 589.
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hang, reicht es aus, wenn die Hauptforderung den Voraussetzungen genügt. 902 Ist eine Streitigkeit hinsichtlich der Hauptforderung eilbedürftig, soll sich die Eilbedürftigkeit auf die Nebenforderung erstrecken, und jene kann ebenfalls im kort geding zugesprochen werden. 903 Ein hinreichender Zusammenhang mit der Hauptsache wurde für das Beispiel der Inkassokosten bejaht. An die Einziehung von Zahlungsforderungen im Wege des Inkasso seien die Inkassokosten untrennbar geknüpft. 904 Ist kein Zusammenhang zwischen Haupt- und Nebenforderung erkennbar, muss zur Durchsetzung der Nebenforderung ein gesondertes kort geding-Verfahren durchgeführt werden. 905 Im Hinblick auf die Nebenforderung müssen dann sämtliche Anforderungen eines kort geding-Verfahrens vorliegen. 906 b) Inkasso-kort geding Eine spezielle Ausprägung des kort geding für Geldforderungen stellt das Inkasso-kort geding dar. 907 Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das Ende der 1980er Jahre in Anknüpfung an den Erfolg des neuen kort geding für Geldforderungen in Amsterdam entwickelt wurde. 908 Ein besonderes Inkasso-Verfahren fehlte bis dahin in der niederländischen Rechtspraxis. 909 Das Inkasso-kort geding gibt Gläubigern, die in Ausübung ihrer beruflichen Tätigkeit vertragliche Forderungen erlangt haben, eine besonders effiziente und schnelle 910 Möglichkeit, diese Forderungen einzuziehen. 911 Damit laufend eine große Anzahl von Forderungen durchgesetzt werden
902
Hof Den Bosch vom 23.1.1996, NJ 1996, Nr. 589; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 10. 903 Hof Den Bosch vom 23.1.1996, NJ 1996, Nr. 589; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 10. 904 Hof Den Bosch vom 23.1.1996, NJ 1996, Nr. 589. 905 Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 10. 906 Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489. 907 Der Begriff des Inkasso-kort geding wird oft synonym für jegliche verkürzten Verfahren über Geldforderungen verwendet. Dies ist ungenau, da das Inkasso-kort geding anderen Anforderungen unterliegt. Zwischen dem Inkasso-kort geding und sonstigen korte gedingen für Geldforderungen muss deshalb differenziert werden. 908 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 53; Rademaker, TREMA 1993, 396; Versteegh, NJB 1992, 1138, 1139. 909 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 333. 910 Mit dem Inkasso-kort geding kann innerhalb weniger Tage ein Titel erlangt werden, Freudenthal, NJB 1992, 1133, 1134; Versteegh, NJB 1992, 1138, 1140. 911 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 43; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 53.
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kann, wurde das Verfahren für Inkassosachen formalistischer, aber dadurch noch einfacher als das herkömmliche kort geding gestaltet. 912 Das Inkasso-kort geding greift nur bei Forderungen aus Verträgen ein, deren Inhalt sich auf die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen bezieht. 913 Anfangs musste der Gläubiger ein institutioneller Gläubiger sein, beispielsweise eine Bank, ein Versandhaus oder eine Wohnungsbaugesellschaft. Von dieser Voraussetzung wurde mittlerweile abgesehen. 914 Weiterhin darf die Zahlungsverpflichtung nicht bestritten worden sein. 915 Die Eilbedürftigkeit wird als gegeben angesehen, wenn die übrigen Voraussetzungen vorliegen. 916 Ob unter diesen Umständen noch von einem kort geding gesprochen werden kann, ist fraglich. Argumentiert wird, dass es sich nicht um ein kort geding, sondern um ein die Hauptsache ersetzendes Schnellverfahren handele, wenn auf die Voraussetzung der Eilbedürftigkeit verzichtet wird. 917 Dass der niederländische Gesetzgeber gleichwohl auf das Inkassokort geding setzt, zeigte sich bei der Umsetzung der Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug im Geschäftsverkehr 918. Die Richtlinie bezieht sich, wie zunächst das Inkasso-kort geding, gemäß Art. 1 und Art. 2 Nr. 1 ausschließlich auf Zahlungen im Geschäftsverkehr, ist also nicht im Verhältnis zwischen Verbrauchern anwendbar. Auch die Voraussetzung in Erwägung 23 der Richtlinie, dass die einzuziehenden Zahlungsforderungen nicht bestritten sein dürfen, entspricht dem Inkasso-kort geding. Deshalb verwundert es nicht, dass hinsichtlich des von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie verlangten Beitreibungsverfahrens, anhand dessen die Gläubiger innerhalb von 90 Tagen einen vollstreckbaren Titel erwirken können, in den Niederlanden auf das Inkasso-kort geding zurückgegriffen wird. Dieser Vorgehensweise kam entgegen, dass gemäß Erwägung 23 der Richtlinie nicht zwingend ein neues Verfahren ins Gesetz aufgenommen werden musste, sofern den Anforderungen bisher schon genügt wurde. Auf die 912
Freudenthal, Incassoprocedures, S. 55 ff., und Versteegh, NJB 1992, 1138 ff., beschreiben den Verfahrensablauf des Amsterdamer Inkasso-kort geding näher. Rademaker, TREMA 1993, 396 ff., geht zudem ausführlich auf die Unterschiede in den einzelnen Gerichtsbezirken ein. 913 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 54; Rademaker, TREMA 1993, 396; Versteegh, NJB 1992, 1138, 1140; Wieten, S. 58. 914 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 54. 915 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 54; Rademaker, TREMA 1993, 396; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 230; Versteegh, NJB 1992, 1138, 1140; Wieten, S. 58. 916 Asscher, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 42, 43; Borgerhoff Mulder, Advocatenblad 1983, 113, 115; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 55. 917 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1112. 918 Richtlijn 2000/35/EG van het Europees Parlement en de Raad van 29 juni 2000 betreffende bestrijding van betalingsachterstand bij handelstransacties, PbEG 2000 L 200/35.
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Einführung eines besonderen Verfahrens wurde daher unter Hinweis auf das Inkasso-kort geding verzichtet, 919 welches damit auf die gleiche Stufe gestellt wurde wie gesetzlich geregelte ausländische Verfahren, 920 mittels derer Zahlungsforderungen eingezogen werden können. Viele Gerichte, zum Beispiel die Rechtbanken Utrecht und Haarlem, standen dem Inkasso-kort geding gleichwohl lange Zeit skeptisch gegenüber und bevorzugten für die Einziehung von Zahlungsforderungen das ordentliche Verfahren. Als etabliert gilt das Inkasso-kort geding vornehmlich bei der Rechtbank Amsterdam. 921 II. Voraussetzungen der Leistungsverfügung Die Voraussetzungen der Leistungsverfügung sind, anders als die meisten Voraussetzungen des kort geding, nicht gesetzlich geregelt. Der Antrag auf Erlass einer Leistungsverfügung ist begründet, wenn die für das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs und eines Verfügungsgrundes erforderlichen Tatsachen dargelegt und glaubhaft gemacht worden sind. 922 1. Verfügungsanspruch Als Verfügungsanspruch kommt jeder fällige und einredefreie materiellrechtliche Anspruch des Antragstellers auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen in Betracht, der in einem Hauptsacheverfahren durchgesetzt werden kann. 923 Oft handelt es sich um Zahlungsansprüche, die dem Antragsteller ein menschenwürdiges Dasein garantieren sollen. 924 Neben Unterhaltsansprü919
Kamerstukken II 2001/2002, 28 239, Nr. 3, S. 2 f. Zu nennen sind beispielhaft das deutsche und das österreichische Mahnverfahren sowie die französische „injonction de payer“, die „référé-provision“ und die belgische „summiere rechtspleging om betaling de bevelen“. Diese Verfahren vergleicht Freudenthal und kommt dabei zum Ergebnis, dass in den Niederlanden statt der bisher geübten Praxis ein dem deutschen und österreichischen Mahnverfahren ähnliches Inkassoverfahren eingeführt werden sollte. Freudenthal, Incassoprocedures, S. 335 f. 921 Freudenthal, in: Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, Nationale Berichte: Niederlande, S. 10. 922 OLG Düsseldorf NJW-RR 1996, 123, 124; OLG Frankfurt MDR 2004, 1019; Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 20; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 2; Iliakopoulos, S. 40; Knothe, S. 320; Mossler, S. 16; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 935 Rn. 4; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 923 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.24 f.; Brox/Walker, Rn. 1609; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 13; Knothe, S. 308 f.; Prütting/Stickelbrock, § 46 II 3 a; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 222 f. 924 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 916 Rn. 41; Mossler, S. 17; Prütting/Stickelbrock, § 46 II 3 a. 920
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chen 925 können dies Ansprüche aus unerlaubter Handlung gemäß §§ 842 ff. BGB 926 oder § 13 StVG, 927 aber auch Ansprüche auf Zahlung von Arbeitsentgelt, 928 sonstiger Vergütung, 929 Schmerzensgeld, 930 Krankentagegeld 931 oder Miete 932 sein. Dem Arrest gemäß §§ 916 ff. ZPO machen Leistungsverfügungen keine Konkurrenz. Durch einen Arrest werden Zahlungsansprüche nur gesichert. Es erfolgt keine vorläufige Befriedigung des Gläubigers. 933 Die Verfahren haben unterschiedliche Rechtschutzziele. Als Verfügungsanspruch kommen außerdem Ansprüche in Betracht, die auf Herausgabe gerichtet sind, zum Beispiel im Bereich des Besitzschutzes, sowie sonstige Ansprüche auf Vornahme oder Unterlassen einer Handlung. 934 Der Antragsteller muss den Verfügungsanspruch schlüssig darlegen, damit es dem Gericht möglich ist, das Bestehen des Anspruchs auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen zu beurteilen. 935 Die Schlüssigkeit wird einer strengen Prüfung unterzogen. 936 Das Risiko, dass schwierige 925
Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 56; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Iliakopoulos, S. 44. 926 OLG Düsseldorf VersR 1988, 803; OLG Celle VersR 1990, 212; OLG Frankfurt NJW 2007, 851; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 56; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Mossler, S. 17; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 42. 927 OLG Hamm MDR 2000, 847; Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 56; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Mossler, S. 17. 928 LAG Bremen NZA 1998, 902 f.; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Iliakopoulos, S. 45; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 122; Mossler, S. 17; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 43. 929 LG Köln MDR 1962, 415 f.; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Iliakopoulos, S. 45; Mossler, S. 17. 930 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24; Spickhoff, VersR 1994, 1155, 1158. 931 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 24. 932 Dies ist umstritten. Dafür: Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 41; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 19; Iliakopoulos, S. 49; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 122; Mossler, S. 17; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 44. Dagegen: OLG Celle NJW 1952, 1221; Brox/ Walker, Rn. 1609; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 17. 933 Knothe, S. 307; Prütting/Stickelbrock, § 46 II 3 a; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 223. 934 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 28 ff., 34 ff., 40 ff.; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 20 ff. 935 Brox/Walker, Rn. 1631; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 36 f.; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 935 Rn. 6. 936 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.24; Brox/Walker, Rn. 1609; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 19; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 36; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 9; Iliakopoulos, S. 16, 40; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 22; Mantzourani-Tschaschnig, S. 71; Vollkommer, in: Zöller,
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rechtliche Fragestellungen nicht geklärt werden können, trägt der Antragsteller. 937 Voll bewiesen werden muss das Vorliegen der dem Verfügungsanspruch zugrunde liegenden Tatsachen allerdings nicht. 938 Vielmehr genügt die Glaubhaftmachung im Sinne der §§ 920 Abs. 2, 936, 294 ZPO, also ein geringeres Maß richterlicher Überzeugung. Während es bei Sicherungsund Regelungsverfügungen aber nur überwiegend wahrscheinlich sein muss, dass die relevanten Tatsachen vorliegen und der Anspruch gegeben ist, 939 ist die erforderliche Intensität der Glaubhaftmachung bei Leistungsverfügungen erst erreicht, wenn das Obsiegen des Antragstellers in höchstem Maße wahrscheinlich ist. 940 Sonst wären die einschneidenden Wirkungen für den Antragsgegner durch den Erlass einer Leistungsverfügung nicht gerechtfertigt. Zudem wird die Richtigkeitsgarantie gesteigert. 941 Vermieden werden soll, dass sich im Hauptsacheverfahren herausstellt, dass der Antragsteller doch nicht Gläubiger des Antragsgegners war und dass ein möglicher Rückgewähranspruch dann nicht realisiert werden kann. 942 2. Verfügungsgrund Neben dem Verfügungsanspruch muss ein Verfügungsgrund glaubhaft gemacht werden. Die Anforderungen sind hoch. 943 Dies gilt besonders auch ZPO, § 940 Rn. 6; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 25. 937 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 10; Mossler, S. 18; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 316. 938 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 20, § 935 Rn. 14; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 61; Iliakopoulos, S. 40; Mossler, S. 19; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 79 Rn. 9; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 6. 939 Mossler, S. 19. 940 OLG Brandenburg GRUR-RR 2002, 399, 400; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.24; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 19; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 37; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 9; Iliakopoulos, S. 40; Mossler, S. 16 f., 19; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 79 Rn. 9; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 935 Rn. 9. 941 Baglietto Bergmann, S. 304. 942 Prütting/Stickelbrock, § 46 II 3 b. 943 OLG München NJW 1965, 2161 f.; OLG Köln FamRZ 1983, 410; OLG Hamm NJWRR 1990, 1236; OLG Köln BB 1998, 2131, 2132; OLG Rostock MDR 1996, 1183; OLG Brandenburg GRUR-RR 2002, 399; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.25; Brox/Walker, Rn. 1611; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 9; Mossler, S. 16 f.; Prütting/Stickelbrock, § 46 II 3 b; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 25.
K. Voraussetzungen
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im Vergleich zu den Anforderungen, die bei korte gedingen an die Eilbedürftigkeit gestellt werden. Erforderlich ist die Glaubhaftmachung des Bestehens bzw. Drohens einer existenzgefährdenden Notlage 944 oder der Gefahr eines völligen Rechtsverlusts 945. Die Notlage kann sich in einer unmittelbaren Bedrohung für Leib oder Leben des Antragstellers, aber auch in Form eines bevorstehenden Vermögensschadens ausdrücken 946. Der Antragsteller muss so dringend auf eine unverzügliche Erfüllung seines Anspruchs angewiesen sein oder ihm müssen so gravierende wirtschaftliche Einbußen drohen, dass weder ein Abwarten mit der Durchsetzung des Anspruchs noch eine Verweisung auf die spätere Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen zumutbar wäre. 947 Nicht ausreichend ist, dass ohne den Erlass der Leistungsverfügung die Verwirklichung eines subjektiven Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte im Sinne von § 935 ZPO. 948 Ebenso wenig genügt es, dass die Verfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint im Sinne von § 940 ZPO. 949 Darüber hinaus fehlt es an einer Notlage, wenn dem Gläubiger andere Ansprüche zustehen, die er leicht durchsetzen könnte, 950 oder wenn der Gläubiger die Notlage selbst 944
OLG Köln MDR 1959, 398; OLG Celle VersR 1960, 280; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); OLG Frankfurt NJW 2007, 851; OLG Saarbrücken NJW-RR 2007, 1406; Brox/Walker, Rn. 1612; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 23; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 39; Iliakopoulos, S. 16, 36, 46 ff.; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 23; Knothe, S. 324; Prütting/Stickelbrock, § 46 I 3, § 46 II 3 b; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 248. 945 Brox/Walker, Rn. 1615; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 23; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 247. 946 So die überwiegende Meinung: OLG Düsseldorf MDR 1960, 58, 59; OLG Hamm NJW-RR 1992, 640; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.25; Brox/Walker, Rn. 1614; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 23; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 39; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 123; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 248. Ein drohender Vermögensschaden genügt nicht nach Auffassung von: Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 14. 947 OLG Köln NJW-RR 1995, 1088; OLG Düsseldorf, NJW-RR 1996, 123, 124; OLG Frankfurt MDR 2004, 1019; OLG Hamburg, Urt. v. 11.10.2006 – 5 U 112/06 (zitiert nach juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Brox/ Walker, Rn. 1612; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 14; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 938 Rn. 12; Prütting/Stickelbrock, § 46 II 3 b; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 948 OLG Köln NJW 1994, 56, 57; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris). 949 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris). 950 Brox/Walker, Rn. 1613; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 23; Grunsky, in: Stein/ Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 39; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 142.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
dadurch (mit)verursacht hat, dass er es schuldhaft unterlassen hat, seine Ansprüche zeitnah mittels einer Klage geltend zu machen. 951 Problematisch ist, ob sich der Gläubiger auf die Möglichkeit verweisen lassen muss, er könne Sozialhilfeleistungen in Anspruch nehmen. Falls er noch keine Sozialhilfe bezieht, wird dies mit Blick auf das Subsidiaritätsprinzip in § 2 Abs. 1 SGB XII 952 abgelehnt. 953 Ob der Erlass von auf Zahlung gerichteten Leistungsverfügungen abgelehnt werden sollte, wenn bereits Sozialhilfe bezogen wird, weil dann kein Verfügungsgrund vorliege, ist sehr umstritten. 954 Sinnvoll erscheint es, das Subsidiaritätsprinzip zu beachten und auch insoweit den zwingenden Rückgriff auf Sozialhilfeleistungen zu verneinen. 955 Im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes ist, wie auch beim kort geding, eine Abwägung der widerstreitenden Interessen vorzunehmen, die zugunsten des Antragstellers ausgehen muss. 956 Dies ist ein Gebot des ver951
OLG Frankfurt NJW 2007, 851. „Sozialhilfe erhält nicht, wer sich vor allem durch Einsatz seiner Arbeitskraft, seines Einkommens und seines Vermögens selbst helfen kann oder wer die erforderliche Leistung von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen, erhält.“ 953 OLG Stuttgart FamRZ 1988, 305; OLG Hamburg FamRZ 1988, 1181; OLG Hamm FamRZ 1989, 619, 620; OLG Köln FamRZ 1992, 75, 76; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 387; OLG Bamberg NJW-RR 1995, 579; OLG München FamRZ 2000, 1580, 1581; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.25 Fn. 71; Brox/Walker, Rn. 1613; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1149; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 39; Huber, in: Musielak, ZPO, § 940 Rn. 15; Knothe, S. 324; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 123; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 142 f.; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 41; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 26. 954 Für die Ablehnung: OLG Düsseldorf FamRZ 1987, 1059; OLG Zweibrücken FamRZ 1988, 1073; OLG Celle NJW-RR 1991, 137; OLG Oldenburg NJW 1991, 2029; OLG Nürnberg NJW-RR 1995, 262, 264; OLG Bamberg NJW-RR 1995, 579; OLG Karlsruhe FamRZ 1996, 1431, 1432; KG FamRZ 1998, 690, 691; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.25 Fn. 71; Brox/Walker, Rn. 1613; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 23; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, vor § 935 Rn. 41; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. Gegen die Ablehnung: OLG Koblenz FamRZ 1988, 189; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 387; OLG Köln FamRZ 1996, 1430, 1431; Compensis, S. 117 ff.; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 39; Knothe, S. 324. 955 OLG Koblenz FamRZ 1988, 189; OLG Düsseldorf FamRZ 1994, 387; OLG Köln FamRZ 1996, 1430, 1431; Compensis, S. 117 ff.; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 39; Knothe, S. 324. A.A. Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 23, der das Bestehen des Verfügungsanspruchs beim Antragsteller verneint, weil der Unterhaltsanspruch nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB XII kraft cessio legis auf den Träger der Sozialhilfe übergegangen sei. 956 OLG Hamburg, Urt. v. 11.10.2006 – 5 U 112/06 (zitiert nach juris); OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Compensis, S. 64; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 32; Iliakopoulos, S. 17, 37, 952
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fassungsrechtlichen Grundsatzes von der Ausgewogenheit des einstweiligen Rechtsschutzes. 957 Die Interessenabwägung hat im deutschen Zivilprozessrecht allerdings keine so große Bedeutung wie im niederländischen Recht. 958 Kriterien der Interessenabwägung sind insbesondere der zu erwartende Ausgang der Hauptsache und die Schutzbedürftigkeit der Parteien. 959 Auf der einen Seite ist das Interesse des Antragstellers an effektivem Rechtsschutz durch Erlass einer Leistungsverfügung zu berücksichtigen. 960 Auf der anderen Seite steht das ebenfalls schutzbedürftige Interesse des Antragsgegners, nicht auf der Grundlage begrenzter Erkenntnismöglichkeiten in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zur Erfüllung eines Anspruchs verurteilt zu werden und das Risiko zu tragen, nach einem Erfolg in der Hauptsache den Schadensersatzanspruch gemäß § 945 ZPO 961 nicht realisieren zu können. 962 Neben der jeweiligen Schutzbedürftigkeit der Parteien spielen die Erfolgsaussichten des Verfügungsantrags eine wichtige Rolle. 963 Je eindeutiger die Berechtigung des Antragstellers zu bejahen ist, desto höher ist sein Interesse an der Zuerkennung des geltend machten Anspruchs zu bewer-
51 ff.; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 139 ff., 161; Vogg, S. 109 f.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 261. 957 Vogg, S. 104–107; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 261. 958 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 65 f. Anders soll dies nach Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 53 f., 83 ff., 223, sein, der zwischen materiell-akzessorischen und offenen Eilentscheidungen unterscheidet. Stehe die Rechtslage in der Hauptsache zweifelsfrei fest, legitimiere sie den Erlass einer einstweiligen Maßnahme. Im Übrigen sei allein anhand des Ergebnisses einer Interessenabwägung zu entscheiden. Die Auffassung Leipolds konnte sich nicht durchsetzen. 959 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 261. 960 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Iliakopoulos, S. 17. 961 Gemäß § 945 ZPO ist die Partei, die eine einstweilige Maßnahme erwirkt hat, verpflichtet, den aus der Vollziehung der Maßnahme oder aufgrund der Sicherheitsleistung zur Abwendung der Vollziehung entstandenen Schaden zu ersetzen, wenn sich herausstellt, dass die Anordnung der einstweiligen Maßnahme von Anfang an ungerechtfertigt war. 962 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Iliakopoulos, S. 17. 963 OLG Hamburg WM 1992, 274, 276; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Brox/Walker, Rn. 1611; Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1148; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 261 ff. A.A. Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 53 f., 88 f., 223; ders., ZZP 90 (1977), 258, 267 f., demzufolge grundsätzlich eine Folgenabwägung vorzunehmen ist. Nur wenn die Rechtslage schon im einstweiligen Verfahren zweifelsfrei feststellbar ist, soll sie Berücksichtigung finden können.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
ten. 964 Der Antragsgegner hat in diesem Fall kein schützenswertes Interesse an der Aufrechterhaltung eines voraussichtlich rechtswidrigen Zustandes. 965 Die verschiedenen Kriterien, die in die Abwägung einzubeziehen sind, beeinflussen einander auch gegenseitig. 966 Je klarer die Rechtslage zugunsten des Antragstellers ist, desto niedriger sind die Hürden für das Vorliegen einer Notlage. Wenn durch die Versagung der Verfügung ein endgültiger Rechtsverlust drohen würde, sind die Anforderungen an die Notlage geringer. 967 Ist die Berechtigung des Antragstellers hingegen zweifelhaft oder wäre ein späteres Ausweichen auf Schadensersatzansprüche zumutbar, steigen die Hürden für das Vorliegen einer Notlage. 968 Die Last der Darlegung und Glaubhaftmachung aller für die Annahme des Verfügungsgrundes relevanten Tatsachen trägt der Antragsteller. 969 Der Verzicht auf den Vollbeweis soll die Entscheidungsfindung beschleunigen. 970
L. Verfahrensablauf L. Verfahrensablauf
Der Verfahrensablauf von kort geding und Leistungsverfügung weist einige Übereinstimmungen, aber auch Unterschiede auf. Gemeinsam sind kort geding und Leistungsverfügung die geringen formalen Anforderungen an die Gestaltung einer Beweisaufnahme. Ein wesentlicher Unterschied betrifft die mündliche Verhandlung. Wohingegen die mündliche Darlegung des Sach- und Streitstandes im kort geding obligatorisch ist, kann bei der Leistungsverfügung unter bestimmten Voraussetzungen ganz auf eine mündliche Verhandlung verzichtet werden. Unterschiede zeigen sich auch hinsichtlich der Vorgaben zur anwaltlichen Vertretung. Hier verfügt das kort geding zum Teil über Sonderregeln, während bei der Leistungsverfügung die allgemeinen Bestimmungen des Hauptsacheverfahrens gelten. 964
OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Brox/Walker, Rn. 1611; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 261; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 37 f. 965 Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 261. 966 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 9; Hobbeling, S. 284. 967 OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris). 968 OLG Celle FamRZ 1994, 386 f.; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Mossler, S. 17. 969 OLG Frankfurt MDR 2004, 1019; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 20; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 11; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 970 Prütting/Stickelbrock, § 45 III 1.
L. Verfahrensablauf
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I. Verfahrensablauf bei einem kort geding Der Verfahrensablauf eines kort geding muss der Funktion des einstweiligen Rechtsschutzes Rechnung tragen, so schnell wie möglich eine Lösung anzubieten. 971 Da manche Regelungen des ordentlichen Verfahrens übertragen auf das kort geding die schnelle Abwicklung des Verfahrens gefährden würden, sind einige Vorschriften des ordentlichen Verfahrens im kort geding nicht anwendbar. 972 Das Ergebnis der Bemühungen um ein zügiges Verfahren ist vor allem, dass die Dauer eines kort geding von der Ladung bis zum Urteil mit einigen Stunden bis Wochen bemessen wird, wohingegen ein ordentliches Verfahren Monate bis Jahre in Anspruch nehmen kann. 973 Wesensmerkmal des kort geding ist der informell gestaltete Prozessverlauf. 974 Infolge der geringen formellen Anforderungen verfügt der kort geding-Richter über große Freiheit bei der Verfahrensgestaltung. Abweichungen des kort geding vom ordentlichen Verfahren sind in allen Verfahrensstadien festzustellen, schon bei der Einleitung des Verfahrens, aber auch in der mündlichen Verhandlung und schließlich beim Erlass der Entscheidung. Weil das kort geding Züge eines normalen und eines einstweiligen Verfahrens trägt, wird es auch als „hybride Verfahrensform“ bezeichnet. 975 Ein Nebeneffekt der begrenzten gesetzlichen Vorgaben sind regionale Unterschiede, die sich ausprägen konnten. Die Art und Weise, in der korte gedingen in einem Gerichtsbezirk behandelt werden, zeigt häufig, dass die zuständigen kort geding-Richter das Verfahren jeweils individuell gestalten. 976
971
Ernes, S. 67; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 46; Vlaswinkel, in: Hendrikse/ Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 186; Wieten, S. 55. 972 Bots, S. 95; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 46; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 301; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12. 973 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 302. 974 Bots, S. 95; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 46; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1039. 975 Brinkhof, GRUR Int. 1997, 489, 490. 976 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 45; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1039.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
1. Einleitung des Verfahrens Ein kort geding kann wie das ordentliche Verfahren mit einer dagvaarding 977, aber auch ohne eine solche förmliche Ladung eingeleitet werden. 978 a) Regelmäßiger Beginn mit einer dagvaarding Zu Beginn eines kort geding stellt der Kläger beim zuständigen Gericht einen Antrag auf Festsetzung von Zeitpunkt und Ort eines Verhandlungstermins. Die Form des klägerischen Antrags auf Festsetzung eines Termins bestimmt sich nach den jeweiligen örtlichen Gegebenheiten. 979 Die Verwendung eines vorgefertigten Formulars oder auch ein telefonisches Ersuchen sind möglich. 980 Regelmäßig wird einem schriftlichen Antrag ein Entwurf der Klage beigefügt, um das Gericht über den Gegenstand der Streitigkeit zu informieren. 981 Gemäß Art. 254 Abs. 2 Satz 1 WBRv entscheidet der Richter über Tag und Uhrzeit der mündlichen Verhandlung. Sollte es aufgrund besonderer Dringlichkeit erforderlich sein, kann er die Sitzung sogar an einem Sonnoder Feiertag ansetzen. Normalerweise findet die Sitzung im Gerichtsgebäude statt. Art. 254 Abs. 2 Satz 2 WBRv erlaubt dem Richter jedoch, sie auch an einem anderen Ort abzuhalten. Nach Art. 254 Abs. 2 Satz 3 und 4 WBRv ist der kort geding-Richter befugt, seine Terminsbestimmung mit Bedingungen für den Kläger zu verknüpfen, die aus der dagvaarding hervorgehen müssen. Es kann sich dabei um die Bestimmung eines Tages handeln, bis zu dem die Ladung dem Beklagten zugegangen sein muss, oder um die Aufforderung, die Ladung so-
977
Genau genommen hat der Begriff „dagvaarding“ zwei Bedeutungen: Zum einen meint er die Aufforderung an den Beklagten, aus näher bezeichneten Gründen zu einer bestimmten Zeit vor Gericht zu erscheinen, zum anderen wird damit die Urkunde (exploot) bezeichnet, mittels derer diese Aufforderung überbracht wird. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 53, S. 52; Wieten, S. 13. Die Terminologie des Gesetzes zeigt an, was jeweils gemeint ist: Spricht eine Vorschrift von „dagvaarding“, ist – inhaltlich – die Aufforderung gemeint; wird die Begrifflichkeit „exploot (van dagvaarding)“ benutzt, ist das Dokument gemeint. Kamerstukken II 1999– 2000, 26 855, Nr. 3, S. 97. Beispiele von dagvaardingen des ordentlichen Verfahrens und des kort geding bei Janssen, Inleiding procesrecht, S. 59 f. und 117 f. und Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 87–89. 978 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 139; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 77. 979 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 9 b); Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk Procesrecht, S. 191. 980 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 9 b); Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk Procesrecht, S. 191. 981 Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 389.
L. Verfahrensablauf
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fort per Fax an den Beklagten zu senden, aber auch um die Anweisung, sie zunächst übersetzen zu lassen. 982 Der Gerichtsvollzieher stellt dem Beklagten die Ladung im Auftrag des Klägers förmlich zu. Hierdurch erlangt der Beklagte Kenntnis von dem gegen ihn geltend gemachten Anspruch und wird aufgefordert, zu einer bestimmten Zeit vor dem mit der Sache befassten Gericht zu erscheinen. Ab dem Tag, an dem die Ladung zugestellt wurde, ist die Sache anhängig im Sinne von Art. 125 Abs. 1 WBRv. Die Fristen für die Ladung im ordentlichen Verfahren richten sich nach Art. 114–116 WBRv. Sie variieren abhängig vom Wohnsitz des Beklagten von mindestens einer Woche bis zu drei Monaten. Wann immer es die im kort geding zu verhandelnde Sache zulässt, sollen die Fristen für das verkürzte Verfahren denen des ordentlichen Verfahrens entsprechen. 983 Auf Antrag des Klägers kann aber gemäß Art. 117 WBRv eine kürzere Frist gesetzt werden, bis zu der dem Beklagten die Ladung zugegangen sein muss. Voraussetzung dafür ist, dass das Interesse des Klägers an einem schnellen Verfahren das Interesse des Beklagten an ausreichend Zeit zur Vorbereitung seiner Verteidigung überwiegt. 984 In sehr eiligen Fällen kann die Verhandlung noch an dem Tag stattfinden, an dem das Ersuchen um Terminsanberaumung eingegangen ist. 985 Eine kürzere Frist als eine Woche soll aber die Ausnahme bleiben, damit sich der Beklagte angemessen auf die mündliche Verhandlung vorbereiten kann. 986 Die Anberaumung eines Verhandlungstermins bedeutet zunächst lediglich, dass der kort geding-Richter bereit ist, die Parteien anzuhören. 987 Sie impliziert nicht zwingend, dass er die Sache auch für geeignet hält, um im kort geding entschieden zu werden. 988 Einige Gerichtsbezirke haben insbesondere für Inkasso-Sachen von der Möglichkeit des Art. 254 Abs. 3 WBRv Gebrauch gemacht und feste Verhandlungstage eingerichtet, die eine Terminsbestimmung entbehrlich machen. 989 An diesen Tagen werden mehrere verkürzte Verfahren nacheinander abgewickelt. 990 982
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 144. Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 144. 984 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 54. 985 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298. 986 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 57, S. 56. 987 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 9 d). 988 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 9 d). 989 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 302; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/ Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 9 a); Wieten, S. 59. 990 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 302. 983
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Im ordentlichen Verfahren gibt es stets feste Verhandlungstage, 991 an denen die sogenannten rolzittingen stattfinden. Der Name stammt von der Terminrolle (rol), in welche eine zu verhandelnde Sache im Anschluss an die fristgerechte Einreichung der Klagschrift bei der Geschäftsstelle des Gerichts eingetragen wird. Die Sitzungen sind der mündlichen Verhandlung vorgeschaltet und dienen dem verfahrenseinleitenden Austausch von Schriftsätzen, nicht aber der inhaltlichen Behandlung des Falles. 992 Der rolrechter bietet in seinen Sitzungen 993 nur den formalen Rahmen für den Austausch von Schriftsätzen zwischen den Parteien, ohne eine rechtliche Einschätzung abzugeben. Im Unterschied dazu findet im Termin vor dem kort geding-Richter, auch wenn dieser auf der Grundlage des Art. 254 Abs. 3 WBRv zustande gekommen ist, bereits eine inhaltliche Erörterung der Sache statt. Anders als im ordentlichen Verfahren ist die Ladung in korte gedingen nicht immer erforderlich. Zur schnellen Abwicklung eines Falles sieht Art. 255 Abs. 2 Satz 1 WBRv vor, dass die Parteien vereinbaren können, freiwillig zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, ohne vorher den Weg über die förmliche Ladung beschreiten zu müssen. Auch die „andere(n) korte gedingen“ im Sinne des Art. 255 Abs. 3 WBRv erfordern keine Ladung. Bei ihnen handelt es sich um Streitigkeiten im Zusammenhang mit der Zwangsvollstreckung. Hier ersetzt die Mitteilung eines Gerichtsvollziehers oder Notars die Ladung. 994
991
Art. 1.3 des Landelijk procesreglement voor civiele dagvaardingszaken bij de rechtbanken legt den Beginn der wöchentlichen rolzittingen auf Mittwoch 10 Uhr fest. Einzelheiten des Verfahrens vor dem rolrechter sind geregelt im Landelijk procesreglement voor civiele dagvaardingszaken bij de rechtbanken und im Landelijk procesreglement voor civiele rol van de kantonsectoren (beide wiedergegeben in Ars Aequi Wetseditie, Burgerlijk Procesrecht, Landelijk procesreglement voor civiele dagvaardingszaken bij de rechtbanken bzw. Landelijk procesreglement voor civiele rol van de kantonsectoren, 16. Auflage, 2011/2012). Die Procesreglements vereinheitlichen seit dem 1.10.2000 den Verfahrensverlauf vor den Gerichten zum Beispiel durch die Regelung der Fristen für das Einreichen der Schriftsätze und tragen dazu bei, die Verfahrensdauer zu verringern. Zuvor verfügte jedes Gericht über ein eigenes Reglement. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 50, S. 50; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 104; Wieten, S. 6. 992 Wieten, S. 6. 993 Offiziell wird zwar noch von einer Sitzung gesprochen, in der Praxis wird diese aber oft durch ein komplett schriftliches Verfahren ersetzt. Wird der Termin der rolzitting genutzt, erscheinen meist nicht die eigentlichen Beteiligten. Die Rechtsanwälte der Parteien lassen sich regelmäßig durch einen Kollegen vertreten, der an einem Termin alle Fälle betreut. Den Part des rolrechters übernimmt ein Urkundsbeamter des Gerichts. Wieten, S. 7 f. 994 Bots, S. 95; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 255 Nr. 3.
L. Verfahrensablauf
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b) Inhalt der dagvaarding Die Anforderungen an den Inhalt einer dagvaarding im kort geding bemessen sich nach Art. 45 Abs. 3, Art. 111 Abs. 2, Art. 112 WBRv. Art. 45 befindet sich im ersten Titel des WBRv, dem allgemeinen Teil. Er stellt die Grundvoraussetzungen für alle zuzustellenden Urkunden (exploten) auf, von denen eine Variante die dagvaarding ist. Art. 111 ist systematisch in den zweiten Titel des WBRv eingeordnet. Gemäß Art. 78 Abs. 1 WBRv sind die Regelungen des zweiten Titels für alle Verfahren anwendbar, für die Art. 261 Abs. 1 WBRv nicht die Anwendung des dritten Titels bestimmt. Für das in Art. 254–259 WBRv des zweiten Titels geregelte kort geding gelten deshalb die Vorschriften dieses Titels wie auch Art. 111 WBRv. Eine Ladung zum kort geding ist inhaltlich nicht so strikt wie beim ordentlichen Verfahren an die gesetzlichen Voraussetzungen gebunden. 995 Die von Art. 65 und Art. 120 Abs. 1 WBRv angeordnete Nichtigkeit tritt daher nicht ein, solange die zur Information des Beklagten wesentlichen Elemente enthalten sind. 996 Zu diesen Elementen gehören gemäß Art. 45 Abs. 3 und Art. 111 Abs. 2 WBRv neben der Mitteilung, wo und wann sich der Beklagte vor Gericht einzufinden hat, ähnlich einer Klageschrift auch Gegenstand und Grund des gegen ihn erhobenen Anspruchs sowie Namen und Adressen des Klägers und seines Prozessvertreters. Darüber hinaus sind im kort geding die Erläuterung der Eilbedürftigkeit der Sache 997 und gemäß Art. 111 Abs. 2 lit. k WBRv der Hinweis, dass im Falle des Erscheinens vor dem Richter vom Beklagten Gerichtskosten verlangt werden, unbedingt erforderlich. Von Kosten freigestellt bleibt der Beklagte in Kantonsachen. Ob auch die von Art. 111 Abs. 3 WBRv für die dagvaarding geforderte Substantiierungspflicht auf das kort geding übertragbar ist, wird unterschiedlich gesehen. Art. 111 Abs. 3 Satz 1 WBRv verlangt, dass der Kläger die Sachlage inklusive der ihm bereits bekannten Verteidigungsmittel des Beklagten so vollständig wie möglich wiedergibt. 998 Die Substantiie995 Ernes, S. 69; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 a). 996 Ernes, S. 69; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 a). 997 Bots, S. 95; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 998 Art. 111 Abs. 3 Satz 1 WBRv, der mit der Reform von 2002 eingeführt wurde, ist damit eine Ergänzung des Art. 21 Satz 1 WBRv, nach dem die Parteien verpflichtet sind, die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen so vollständig wie möglich und wahrheitsgemäß darzulegen. Dahinter steht zum einen das Anliegen, den Richter zur Beschleunigung des Prozesses so früh wie möglich umfassend über den Fall zu informieren. Zum anderen soll den Parteien gleich zu Prozessbeginn klar werden, ob es sich lohnt, das Verfahren durchzuführen. Siehe Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 99.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
rungspflicht soll gerade im kort geding von Bedeutung sein, weil die dargelegten Erläuterungen dem kort geding-Richter schon bei der Terminsbestimmung die Möglichkeit böten, zu beurteilen, wie dringlich die Sache sei, so dass er seine Terminswahl daran ausrichten könne. 999 Dieser Auffassung ist insoweit zuzustimmen, als der Richter im kort geding bei der Vorbereitung der mündlichen Verhandlung meist nur über die dagvaarding verfügt. Wer darin seine Position überzeugend darlegt, hinterlässt also bereits einen gewissen Eindruck. Vor diesem Hintergrund ist jedem Kläger zu raten, seinen Antrag auf Erlass eines kort geding hinreichend zu begründen. Eine strikte Umsetzung der Vorgaben des Art. 111 Abs. 3 Satz 1 WBRv in der Praxis dürfte allerdings illusorisch sein. Dem Kläger fällt es gerade in eilbedürftigen Fällen schwer, innerhalb kürzester Zeit alle wichtigen Informationen in Erfahrung zu bringen. Plausibel erscheint der Hinweis, ob die Begründungspflicht im kort geding gelte oder nicht, sei nur von theoretischer Bedeutung, weil die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten zu Beginn eines Verfahrens regelmäßig weder bekannt noch absehbar seien, so dass der Kläger sie nicht anführen könne. 1000 Der Kläger ist allenfalls dann in der Lage, die Verteidigungsmittel des Beklagten zu nennen, wenn sie ihm aus Gesprächen oder vorgerichtlicher Korrespondenz bekannt sind. Die Substantiierung der zugrunde liegende Tatsachen ist deshalb wünschenswert, die inhaltlichen Anforderungen an die Substantiierungspflicht sollten aber niedrig angesetzt werden. Art. 111 Abs. 3 Satz 2 WBRv verlangt weiter die Angabe der Beweismittel, über die der Kläger zur Glaubhaftmachung der durch den Beklagten bestrittenen Tatsachen verfügt. Damit wird das Ziel verfolgt, Kläger und Beklagtem gleich zu Beginn des Verfahrens die eigenen Chancen vor Augen zu führen. 1001 Hierzu wird zwar betont, dass die Darlegungs- und Beweispflicht im kort geding wie im ordentlichen Verfahren bestehen müsse, damit sich der kort geding-Richter ein für seine Entscheidung maßgebliches Bild davon machen könne, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Forderung in der Hauptsache zugesprochen wird. 1002 Überzeugender ist aber der Hinweis darauf, dass im kort geding auch im Übrigen keine Regeln bei der Beweisaufnahme zu beachten sind. 1003 Die Pflicht, in der dagvaarding bereits die Beweismittel anzugeben, sollte daher allenfalls mit geringeren Anforderungen auf das kort geding übertragen werden. 999
Freudenthal, in: Hess, Study JAI A3/02/2002, Nationale Berichte: Niederlande, 3.4.1.3; Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk Procesrecht, S. 193. 1000 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 a). 1001 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 100. 1002 Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk Procesrecht, S. 193. 1003 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 a).
L. Verfahrensablauf
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Dass sich die Vorgaben des Art. 111 Abs. 3 WBRv im Ergebnis nur vorteilhaft für die Parteien auswirken sollen, zeigt Art. 120 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 WBRv. Danach führt eine Missachtung dieser Vorgaben nicht zur Nichtigkeit der dagvaarding. Hieraus folgt, dass die Parteien nicht bestraft werden sollen, wenn sie den Bedingungen des Art. 111 Abs. 3 WBRv nicht folgen. Geringere Anforderungen an die Substantiierungspflicht im kort geding sind auch vor diesem Hintergrund vertretbar. 1004 2. Verhandlung Wurde der Beklagte ordnungsgemäß geladen, hat er sich in der mündlichen Verhandlung einzufinden. Der Gang der Verhandlung unterliegt kaum strikten Regeln. 1005 Vielmehr zeichnet sich die Verhandlung durch ihre geringen formellen Anforderungen aus. 1006 a) Prozessvertretung Bei der Auswahl eines Rechtsanwalts für das Verfahren einschließlich der Verhandlung ist zu beachten, dass auf dem Gebiet des kort geding mehr und mehr ein regional unterschiedliches Prozessrecht gewachsen ist. Viele kort geding-Richter haben eine eigene prozessuale Praxis herausgebildet, etwa was die Fristsetzung oder die Art und Weise der Vernehmung von Zeugen und Sachverständigen betrifft. 1007 Wurde ein ortsunkundiger Rechtsanwalt mit der Vertretung in einem kort geding beauftragt, ist es empfehlenswert, dass sich dieser bei einem Kollegen vor Ort über die Gebräuche des zuständigen Richters informiert. 1008 Gesetzlich geregelt ist, dass nur der Kläger in der Verhandlung eines Prozessvertreters bedarf. Während sich im ordentlichen Verfahren vor der Rechtbank gemäß Art. 79 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 WBRv grundsätzlich beide Parteien anwaltlicher Hilfe bedienen müssen, ist der Beklagte im kort geding nicht verpflichtet, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen. Nach Art. 255 Abs. 1 WBRv kann der Beklagte in den von Art. 79 Abs. 2 WBRv bestimmten Fällen, also allen bei der Rechtbank behandelten Streitigkeiten mit Ausnahme der Kantonsachen im Sinne von Art. 79 Abs. 1 WBRv, selbständig vor Gericht auftreten. Hinter dieser Vorschrift steht die Überlegung, dass dem Beklagten angesichts der kurzen Ladungsfrist im kort geding die Zeit fehlen kann, um bis zur mündlichen Verhandlung 1004
Jongbloed, Inleiding nieuw burgerlijk procesrecht, S. 80. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 139; Snijders, in: Chorus/Gerver/Hondius, Introduction to Dutch Law, S. 263. 1006 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 364. 1007 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 301. 1008 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 301. 1005
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
einen geeigneten Rechtsanwalt seiner Wahl zu finden. 1009 Außerdem wird die Position des Beklagten im Vergleich zu der des Klägers als unkomplizierter eingestuft. Denn der Kläger muss die dem Fall zugrunde liegenden Tatsachen in der dagvaarding darlegen, wohingegen sich der Beklagte darauf beschränken kann, auf die klägerischen Erwägungen einzugehen. 1010 Fühlt sich der Beklagte dem Verfahren ohne fachkundigen Beistand nicht gewachsen, darf er einen so genannten Rechtshelfer zu Rate ziehen, der ihn auf seinen Auftritt vor Gericht vorbereitet. 1011 Dabei kann es sich beispielsweise um einen Gerichtsvollzieher, Wirtschaftsprüfer oder Versicherungsangestellten handeln, der in der jeweiligen Angelegenheit mit besonderem Sachverstand aufwarten kann. 1012 Möchte der Beklagte nicht in eigener Person verhandeln, was oft der Fall ist, 1013 kann er einen Prozessvertreter bestellen. Gemäß Art. 255 Abs. 1 WBRv muss es sich dabei um einen Rechtsanwalt handeln. Ein anderer Bevollmächtigter ist nicht postulationsfähig. In vorläufigen Verfahren, die nicht mit einer dagvaarding eingeleitet werden, darf gemäß Art. 255 Abs. 3 WBRv auch der Kläger ohne Rechtsanwalt vor Gericht auftreten. Vom Anwaltszwang generell ausgenommen sind im Übrigen Kantonsachen. In ihnen muss sich gemäß Art. 79 Abs. 1 WBRv weder der Kläger noch der Beklagte anwaltlich vertreten lassen. Nach Art. 80 Abs. 1 WBRv bestehen in Kantonsachen drei Möglichkeiten für die Parteien: Sie können entweder selbst und ohne Hilfe vor Gericht auftreten, eigenständig verhandeln, aber einen Rechtsbeistand zu Rate ziehen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. Viele Parteien vertrauen in Kantonsachen einem Gerichtsvollzieher (deurwaarder) als Rechtsbeistand. 1014
1009
Ernes, S. 68; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 255 Nr. 1 b); Wieten, S. 59. 1010 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 255 Nr. 1 b). 1011 Hoge Raad vom 28.4.1995, NJ 1995, Nr. 729; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 255 Nr. 1 e); Vlaswinkel, in: Hendrikse/ Jongbloed, Burgerlijk Procesrecht, S. 189. 1012 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 255 Nr. 1 e). 1013 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 128. 1014 Nach einer bei Eshuis/Paulides, S. 43, erläuterten Studie wählten im Jahr 2000 71% der Kläger in Kantonsachen einen deurwaarder als Rechtsbeistand.
L. Verfahrensablauf
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b) Vornehmlich mündliche Darlegung des Falles Im Hinblick auf die Vorbereitung der mündlichen Verhandlung im Anschluss an die Zustellung der dagvaarding unterscheiden sich kort geding und ordentliches Verfahren deutlich. Im ordentlichen Verfahren folgte auf die Zustellung der dagvaarding bis zum Jahr 2002 gemäß Art. 140 WBRv aF die Übergabe einer begründeten Klageschrift (conclusie 1015 van eis) vom klägerischen Anwalt an den Beklagten. 2002 entschloss sich der Gesetzgeber, auf die conclusie van eis zu verzichten, zumal die dagvaarding einer begründeten Klageschrift inhaltlich nahe kommt und der Beklagte durch sie ausreichende Kenntnis über die gegen ihn erhobenen Ansprüche erlangt. 1016 Deshalb reagiert der Beklagte im ordentlichen Verfahren nunmehr statt auf die conclusie van eis schon auf die dagvaarding gemäß Art. 128 Abs. 2 Satz 1 WBRv mit einer Klagerwiderung (conclusie van antwoord). 1017 Erkennt der Beklagte die Forderung an, Art. 154 Abs. 1 WBRv, endet der Rechtsstreit. Bestreitet er hingegen die Forderung unter Angabe von Gründen, wird mündlich verhandelt. Nach dem Austausch der ersten Schriftsätze übernimmt im ordentlichen Verfahren der zuständige Richter die Sache vom rolrechter. 1018 Er kann gemäß Art. 131 Satz 1 WBRv das Erscheinen der Parteien oder ihrer Vertreter zur mündlichen Verhandlung anordnen (comparitie na antwoord). Die Anwesenheit der Parteien soll nach Art. 87 Abs. 1, Art. 88 Abs. 1 WBRv ermöglichen, dass ein Vergleich geschlossen oder dass im Rahmen einer Anhörung Auskünfte erteilt werden. Mündet die Verhandlung nicht in einen Vergleich, bestimmt der Richter gemäß Art. 87 Abs. 4 WBRv ein Datum, an dem die Sache erneut auf die Terminsrolle gesetzt wird. Alternativ zur Anordnung des persönlichen Erscheinens nach Art. 131 erlaubt
1015
Eine conclusie umfasst eine Stellungnahme, die auch auf den Vortrag der gegnerischen Partei eingeht. Verträge, Briefe oder andere Schriftstücke, auf die sich die conclusie beruft, werden Teil der Prozessakte. Sie heißen producties und müssen gemäß Art. 85 Abs. 1 WBRv der conclusie in Abschrift beigefügt werden. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 74, S. 75; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 96. 1016 Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 4. 1017 Die conclusie van antwoord spielt eine wichtige Rolle, weil manche Verteidigungsmittel nur in diesem Stadium des Verfahrens geltend gemacht werden können. Außerdem ist zu diesem Zeitpunkt nicht klar, ob sich im weiteren Verfahrensverlauf noch Gelegenheit bieten wird, den eigenen Standpunkt darzustellen, weil der Richter erst danach über weitere Schriftwechsel entscheidet. Die conclusie van antwoord sollte deshalb so ausführlich und klar wie möglich gefasst sein. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 64, S. 64; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 96. Ein Beispiel einer conclusie van antwoord findet sich bei Janssen, Inleiding procesrecht, S. 77. 1018 Siehe oben S. 176.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Art. 132 Abs. 1 WBRv dem Richter, den Parteien schriftliche Stellungnahmen aufzugeben. 1019 Der Kläger kann auf die conclusie van antwoord im ordentlichen Verfahren einen weiteren Schriftsatz (conclusie van repliek) folgen lassen, auf den der Beklagte seinerseits schriftlich erwidern kann (conclusie van dupliek). Sollte es erforderlich sein, kann der Austausch von Schriftsätzen zwischen den Parteien gemäß Art. 132 Abs. 3 WBRv danach noch weiter fortgesetzt werden. Aus Art. 132 Abs. 2 WBRv folgt, dass der Richter das Verfahren von repliek und dupliek ausnahmsweise auch noch nach dem Erscheinen der Parteien gemäß Art. 131 WBRv anordnen kann, wenn er es als notwendig ansieht, um dem Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 19 WBRv zu genügen. Für den Austausch der Schriftsätze müssen gemäß Art. 133 Abs. 1 WBRv jeweils neue Fristen und Termine gesetzt werden, was das Verfahren langwierig machen kann. Daher wird im kort geding auf das schriftliche Verfahren zur Vorbereitung der Sitzung weitgehend verzichtet. 1020 Entscheidend ist vielmehr die mündliche Erörterung des Falles. 1021 Deshalb verwirklicht das kort geding den Grundsatz der Mündlichkeit besser als das ordentliche Verfahren. 1022 Möglicherweise fällt es den Parteien nach der Erörterung auch leichter, die spätere Entscheidung zu akzeptieren. Zum Zwecke einer schnellen Klärung der Angelegenheit bleibt es in der Mehrzahl der Fälle, für welche die Verfahrensform des kort geding gewählt wurde, bei einer einzigen Sitzung. 1023 Nur in Ausnahmesituationen kommt es zu weiteren Verhandlungstagen. 1024 In der mündlichen Verhandlung legt zunächst der Klägervertreter die Klagforderung dar. Anschließend erhält der Beklagte Gelegenheit, darauf einzugehen und seine Einwendungen vorzutragen. 1025 Die Parteien bzw. deren Anwälte konkretisieren ihren jeweiligen Standpunkt und können dabei zur Unterstützung schriftliche Zusammenfassungen (pleitnotas) und Stellungnahmen einreichen, welche die sonst üblichen Plädoyers (plei1019
Dies ist zum einen sinnvoll, wenn der Fall so kompliziert gelagert ist, dass eine weitere schriftliche Erörterung erforderlich ist oder wenn er so einfach abzuhandeln ist, dass das Erscheinen der Parteien keinen Wert hat. Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 100 f.; Wieten, S. 11. 1020 Ernes, S. 69; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 139; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234; Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 186 f. 1021 Ernes, S. 69; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 139; Snijders, in: Chorus/Gerver/ Hondius, Introduction to Dutch Law, S. 263; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234; Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 186 f. 1022 Bots, S. 96; Ernes, S. 69. 1023 Bots, S. 96; Ernes, S. 69; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 34. 1024 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140. 1025 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234.
L. Verfahrensablauf
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dooien) ersetzen. 1026 Die jeweils vertretene Ansicht kann gemäß Art. 134 Abs. 1 Satz 1 WBRv auch in einem Plädoyer herausgestellt werden. Weil überwiegend nur eine mündliche Verhandlung stattfindet, ist es besonders wichtig, dass zu diesem Anlass alle relevanten Argumente vorgetragen werden. Sind die Parteien selbst anwesend, was im kort geding häufiger als im ordentlichen Verfahren der Fall ist, 1027 kann der Richter die Parteien zusätzlich noch anhören. 1028 Der Kläger darf seine Klagforderung bis zum Erlass eines Endurteils gemäß Art. 129 bzw. Art. 130 Abs. 1 Satz 1 WBRv verringern, erweitern oder ändern, falls sich auch die weitere Forderung für eine Behandlung im kort geding eignet. 1029 Dabei muss für die Ankündigung der Änderung die von Art. 130 Abs. 1 WBRv geforderte Schriftform eingehalten werden. Eine nähere Begründung kann der Kläger in der Verhandlung mündlich nachliefern. 1030 Art. 130 Abs. 3 Satz 1 WBRv setzt daher voraus, dass der Beklagte in der Sitzung zugegen ist. Er muss vor der Verurteilung wegen einer Forderung, die ihm nicht bekannt ist, geschützt werden und die Gelegenheit haben, sich zu verteidigen. 1031 Der Beklagte kann auch im kort geding gemäß Art. 136 WBRv eine Widerklage (eis in reconventie) erheben, 1032 die er nach Art. 137 Satz 1 WBRv seiner schriftlichen Klagerwiderung (conclusie van antwoord) beizufügen hat. Zwar wird eine erst in der Sitzung mündlich erhobene Widerklage ebenfalls für zulässig erachtet. 1033 Damit der Kläger über angemessene Vorbereitungszeit verfügt, empfiehlt es sich aber, eine Widerklage
1026
Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 75, S. 76; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 302. Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 128. 1028 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 133; Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 389; Wieten, S. 60. 1029 Pres. Rb. ’s-Gravenhage vom 24.1.1991, Kort Geding 1991, Nr. 59; Hugenholtz/ Heemskerk, Nr. 132, S. 140; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Wieten, S. 60. 1030 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 e). 1031 Hoge Raad vom 6.10.2000, NJ 2001, Nr. 167; Hoge Raad vom 1.3.2002, RvdW 2002, Nr. 50. Diese Rechtsprechung folgt dem Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 19 WBRv, wonach beide Parteien vor Erlass einer Entscheidung angehört werden müssen (hoor und wederhoor). 1032 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; TonkensGerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 f); Wieten, S. 60. 1033 Hof Arnhem vom 21.12.1981, NJ 1983, Nr. 40; Hof Amsterdam vom 18.3.1991, NJ 1992, Nr. 449; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1043; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 197. 1027
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
vor der mündlichen Verhandlung bereits schriftlich anzukündigen. 1034 Voraussetzung im kort geding-Verfahren ist, dass die mit der Widerklage verfolgte Forderung ebenfalls eilbedürftig ist. 1035 Die Widerklage stellt ein selbständiges Verfahren dar, das aus Gründen der Prozessökonomie 1036 gemäß Art. 138 Abs. 1 WBRv regelmäßig mit dem Ausgangsverfahren (eis in conventie) verbunden bleibt. Ein materiell-rechtlicher Zusammenhang zwischen den Forderungen muss nicht vorliegen. 1037 Der Richter, der über die Zulässigkeit der Widerklage entscheidet, kann das Ausgangsverfahren nach Art. 138 Abs. 2 WBRv auch abtrennen. 1038 Ein Beklagter, der auf anwaltliche Vertretung verzichtet hat, muss beachten, dass er sich für eine Widerklage eines Rechtsanwalts bedienen muss. 1039 Jener kann ihn dabei beraten, ob es sinnvoll ist, eine Widerklage, wie üblich, unter der Bedingung zu erheben, dass der Richter die Verteidigungsmittel des Beklagten als unerheblich verwirft. Tritt diese Bedingung nicht ein, wird über die Widerklage nicht entschieden. 1040 c) Beweisaufnahme Auch im kort geding ist die Tatsachenlage selten unstreitig, so dass eine Beweisaufnahme notwendig werden kann. Der Eilbedürftigkeit liefe es aber zuwider, wenn die Beweisaufnahme formell und langwierig gestaltet wäre. Deshalb gelten die Beweisvorschriften der Art. 149 ff. WBRv für das ordentliche Verfahren im kort geding nicht. 1041 Es besteht kein numerus clausus für die Beweismittel. 1042 Der kort geding-Richter kann Zeugen und Sachverständige vernehmen oder den Augenscheinsbeweis anord1034
Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 197. 1035 Hoge Raad vom 4.12.1987, NJ 1988, Nr. 344; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 f); Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 195. 1036 Eine Widerklage spart Arbeit, Zeit und Kosten, denn es wird kein neues Verfahren notwendig. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 70, S. 72; Wieten, S. 30 f. 1037 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 71, S. 72; Wieten, S. 30. 1038 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 12 f). 1039 Hof Amsterdam vom 11.7.1985, NJ 1986, Nr. 201; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Vlaswinkel, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 195. von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 38, meint, durch den Anwaltszwang würde die Möglichkeit, Widerklage zu erheben, zu sehr eingeschränkt. Stattdessen schlägt er vor, dass die Schriftform verpflichtend wird. Auf diese Weise könnten Überraschungen für den Kläger vermieden werden. 1040 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 68, S. 71. 1041 Hoge Raad vom 19.12.1958, NJ 1959, Nr. 127; Hoge Raad vom 31.1.1975, NJ 1976, Nr. 146; Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682; Ernes, S. 68; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 139; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234; Wieten, S. 60. 1042 Ernes, S. 68; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 34.
L. Verfahrensablauf
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nen. 1043 Aus Zeitgründen stützt er seine Entscheidung in der Mehrzahl der Fälle allerdings darauf, was die Anhörung der Parteien 1044 oder die Vorlage von Urkunden 1045 ergeben hat. Den Ablauf der Beweisaufnahme kann der kort geding-Richter frei gestalten. 1046 Es bestehen keine Vorgaben für die Art und Weise der Beweisaufnahme. 1047 Hinsichtlich des Beweismaßes genügt im kort geding die Glaubhaftmachung, also die Wahrscheinlichkeit, dass die bestrittenen, entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben sind. 1048 Streitig ist, ob die Bestimmungen zur Verteilung der Beweislast im kort geding anwendbar sind. 1049 Der Hoge Raad vertrat hierzu lange Zeit keine klare Linie. Entweder differenzierte er nicht zwischen den verschiedenen beweisrechtlichen Bestimmungen 1050 oder er sprach die Regelungen zur Verteilung der Beweislast 1051 zwar explizit an, drückte sich dabei aber nicht eindeutig aus 1052. Die Literatur legte die Urteile überwiegend so aus, dass sämtliche mit der Beweisführung zusammenhängenden Regelungen nicht angewendet werden müssen. 1053 Bewegung in die Thematik brachte möglicherweise ein Aufsatz, in dem für die Anwendung der Regelungen zur Verteilung der Beweislast plädiert wurde. 1054 Kurz darauf sorgte der Hoge Raad endlich für Klarheit. Er stellte – ohne nähere Erläuterung – fest, dass die Regelungen zur Verteilung der Beweislast im kort geding 1043
Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140; Zhou, S. 120. Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Wieten, S. 60. 1045 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234. 1046 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140; Wieten, S. 60. 1047 Ernes, S. 68; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303. 1048 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 126; Freudenthal, in: Hess, Study JAI A3/02/2002, Nationale Berichte: Niederlande, 3.4.1.1; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Wieten, S. 60. 1049 Gegen die Geltung: Meijers, S. 227; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 34; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Stein/ Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234. Für die Geltung: Giesen, NJB 1998, 1629 ff.; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 125. 1050 Vergleiche nur Hoge Raad vom 31.1.1975, NJ 1976, Nr. 146: „de wettelijke regels omtrent bewijs“. 1051 Die Beweislastumkehr zugunsten eines Verbrauchers, der irreführender Werbung zum Opfer fiel, ergibt sich aus Art. 6:195 Abs. 2 BW. Aus Art. 7:658 Abs. 1 BW wird die Beweislastumkehr für Schadensersatzklagen von Arbeitnehmern gegen ihre Arbeitgeber gefolgert. 1052 So betonte der Hoge Raad zwar stets zutreffend, dass eine komplizierte, langwierige Beweisaufnahme zu den Grundsätzen des kort geding im Widerspruch steht, formulierte im Übrigen aber nur vage, dass die Regelungen zur Verteilung der Beweislast Anwendung finden können bzw., dass es dem kort geding-Richter überlassen bleibt, ob er sie heranziehen möchte. Hoge Raad vom 21.4.1978, NJ 1979, Nr. 194. 1053 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Stein/ Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234. 1054 Giesen, NJB 1998, 1629 ff. 1044
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nicht anwendbar seien. 1055 Es ist aber wichtig, dass die Regelungen zur Verteilung der Beweislast auch im kort geding gelten. Die Vorschriften zur Verteilung der Beweislast übernehmen eine andere Aufgabe als diejenigen, die bestimmen, welche Beweismittel zulässig sind. 1056 Letztere schaffen den Rahmen für die Beweisaufnahme, wohingegen die Beweislastregeln zum Zuge kommen, wenn der Versuch, die wahre Tatsachenlage ans Licht zu bringen, gescheitert ist. 1057 Die Verteilung der Beweislast gibt in diesen Fallkonstellationen den Ausschlag und hat damit wesentlichen Einfluss auf das Ergebnis. Nicht zuletzt ist zu beachten, dass das kort geding eine Prognose für die Hauptsache geben kann, in der ebenfalls die Regeln über die Beweislast zur Anwendung kommen. Bliebe die Verteilung der Beweislast allein dem kort geding-Richter überlassen, sind einander widersprechende Ergebnisse vorprogrammiert. Diese aber gilt es zu vermeiden. 1058 Wenn die Beweisaufnahme erst in der mündlichen Verhandlung geschieht, können Beweismittel verloren gehen oder unbrauchbar werden. Um dieser Situation vorzubeugen, besteht im kort geding wie im ordentlichen Verfahren die Möglichkeit einer vorherigen Zeugenvernehmung (voorlopig getuigenverhoor) nach Art. 186–193 WBRv. 1059 Anders als die Bezeichnung vermuten lässt, handelt es sich dabei um eine dem selbständigen Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO ähnliche, von der mündlichen Verhandlung unabhängige Beweiserhebung, die sich auf alle Beweismittel und nicht nur auf Zeugenvernehmungen erstrecken kann. 1060 Erforderlich ist dazu gemäß Art. 186 Abs. 1 WBRv ein Antrag des Klägers, den er im kort geding mit dem Ersuchen auf Festsetzung eines Termins für die Verhandlung verbinden kann. 1061 Gemäß Art. 190 Abs. 1 Satz 1 WBRv muss die gegnerische Partei eine Ladung zur Beweiserhebung erhalten. Waren beide Parteien anwesend, hat eine vorherige Beweisaufnahme nach Art. 192 Abs. 1 WBRv die gleiche Beweiskraft wie eine Beweisaufnahme im ordentlichen Verfahren. Fehlte eine Partei, kann der Richter laut Art. 192 Abs. 2 WBRv die erhobenen Beweise bei seiner Entscheidung unberücksichtigt lassen. 1062
1055
Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682. Giesen, NJB 1998, 1629, 1630. 1057 Giesen, NJB 1998, 1629, 1630. 1058 Giesen, NJB 1998, 1629, 1633. 1059 Bots, S. 96; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234. 1060 Mincke, Einführung in das niederländische Recht, Rn. 372. 1061 Bots, S. 96; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 234. 1062 Hier zeigt sich die Ähnlichkeit mit dem selbständigen Beweisverfahren gemäß §§ 485 ff. ZPO. Nach § 493 Abs. 2 ZPO kann das Ergebnis der Beweisaufnahme nur dann verwendet werden, wenn die gegnerische Partei trotz rechtzeitiger Ladung fehlte. 1056
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d) Beteiligung Dritter am Verfahren Wie im ordentlichen Verfahren können auch im kort geding neben dem Kläger und dem Beklagten Dritte am Verfahren beteiligt sein. Für eine freiwillige Beteiligung Dritter stehen gemäß Art. 217 WBRv die Nebenintervention (voeging) und die Hauptintervention (tussenkomst) zur Verfügung. Bei der Nebenintervention tritt die dritte Person auf Seiten einer Partei als deren Gehilfe in den Rechtsstreit ein. Voraussetzung dafür ist ein rechtliches Interesse an der Unterstützung der Partei, um durch das Verfahren drohende Nachteile für eigene Rechtspositionen abzuwenden. 1063 Auch bei einer Hauptintervention muss ein rechtliches Interesse des Dritten gegeben sein. Hier greift der Dritte aber nicht unterstützend ein, sondern macht selbständig ein durch den anhängigen Prozess gefährdetes Recht gegenüber den Parteien geltend. 1064 Im kort geding sind sowohl Neben- als auch Hauptintervention zulässig, es sei denn, das Verfahren wird dadurch zu stark verlangsamt. 1065 Dies beurteilt der kort geding-Richter. 1066 Abgesehen von der freiwilligen Intervention kann ein Dritter gemäß Art. 210–216 WBRv auch gegen seinen Willen in einen Rechtsstreit einbezogen werden, wenn eine der Parteien glaubt, im Falle des Unterliegens Regressansprüche gegen den Dritten zu haben oder selbst den Ansprüchen des Dritten ausgesetzt zu sein (oproeping in vrijwaring). 1067 Während bei der freiwilligen Einbeziehung ein Eintritt in das laufende Verfahren erfolgt, können die Verfahren in dieser Variante, wie sich aus Art. 215 WBRv ergibt, voneinander abgetrennt werden, sofern sie nicht gleichzeitig entscheidungsreif sind. 1068 Ob die Einbeziehung Dritter gegen ihren Willen im kort geding denkbar ist, wird nicht einheitlich gesehen. 1069 Aufgrund der Eilbedürftigkeit der Sache und der deshalb erforderlichen schnellen,
1063
Ernes, S. 52. Die voeging nach Art. 217 WBRv ist damit der Nebenintervention gemäß §§ 66 ff. ZPO vergleichbar. 1064 Ernes, S. 52; Wieten, S. 38. Die tussenkomst nach Art. 217 WBRv erinnert an die Hauptintervention gemäß §§ 64 f. ZPO. 1065 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 8 a); Wieten, S. 60. 1066 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303. 1067 Mit diesem Anliegen ähnelt die oproeping in vrijwaring gemäß Art. 210 ff. WBRv der Streitverkündung nach §§ 72 ff. ZPO. 1068 Wieten, S. 38. 1069 Dagegen: Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; dafür: Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 140.
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aber nur vorläufigen Entscheidung erscheint ein derartiges Prozessverhalten schwer vorstellbar. 1070 e) Ausländisches Recht im kort geding Umstritten ist, ob der zuständige Richter auch in korte gedingen anhand der Regelungen des Internationalen Privatrechts das anwendbare Recht und gegebenenfalls den Inhalt ausländischen Rechts ermitteln muss. Die Eilbedürftigkeit der Streitigkeiten, die im kort geding verhandelt werden, und die Vorläufigkeit des Verfahrens könnten einer präzisen Untersuchung kollisionsrechtlicher Fragestellungen entgegenstehen. 1071 Gemäß Art. 25 WBRv gilt aber der Grundsatz iura novit curia. Hieraus resultiert die Verpflichtung, dass der Richter die für den jeweiligen Sachverhalt passenden Regelungen findet und anwendet. Die Frage, welches materielle Recht anwendbar ist, muss beantwortet werden. 1072 Da diese Verpflichtung im kort geding-Verfahren zu Verzögerungen führen kann, 1073 wird aus Vereinfachungsgründen vorgeschlagen, in einstweiligen Verfahren stets das Recht der lex fori anzuwenden. 1074 Die Bedeutung von Art. 25 WBRv für den Zivilprozess spricht allerdings für seine Anwendung auch im kort geding. 1075 Deshalb wird die Heranziehung des Internationalen Privatrechts und gegebenenfalls die Anwendung ausländischen Rechts im kort geding überwiegend nicht für vollständig ausgeschlossen erachtet; es werden aber höhere Darlegungspflichten an die Parteien, besonders an den Antragsteller, und niedrigere Anforderungen an die Prüfung der Rechtslage durch das Gericht gestellt. 1076 Wenn der Antragsteller seiner Darlegungspflicht nicht ausreichend nachkommt, kann der Antrag auf Erlass der einstweiligen Maßnahme zurückgewiesen wer-
1070 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 8 b). 1071 Brinkhof, GRUR Int. 1997, 489, 494; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 80 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 272 und 279. 1072 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 80. So schon Hoge Raad vom 4.6.1915, NJ 1915, Nr. 865. 1073 Pres. Rb. Rotterdam vom 15.5.1987, NIPR 1988, Nr. 340; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 81. 1074 Brinkhof, WPNR 6180 (1995), 309; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 82. 1075 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 278 f. 1076 Hof ’s-Hertogenbosch vom 15.8.2002, NIPR 2003, Nr. 26; Pres. Rb. Rotterdam vom 19.4.2001, NIPR 2001, Nr. 275; Pres. Rb. Arnhem vom 24.8.2001, NIPR 2002, Nr. 109; Pres. Rb. Almelo vom 24.9.2001, NIPR 2002, Nr. 39; Vzngr. Rb. Maastricht vom 15.2.2002, NIPR 2002, Nr. 195; Vzngr. Rb. Arnhem vom 3.5.2002, NIPR 2002, Nr. 253; Vzngr. Rb. Arnhem vom 27.1.2003, NIPR 2003, Nr. 101; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 292 und 322; Schmidt, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 5 ff.
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den. 1077 Als ausreichend wird es angesehen, wenn der Inhalt des ausländischen Rechts mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ermittelt wurde. 1078 Ist der Inhalt des anwendbaren Rechts in angemessener Zeit nicht ermittelbar, auch nicht durch schriftliche Gutachten gemäß Art. 67 und 68 WBRv oder durch die Befragung von Sachverständigen, 1079 sollte ausnahmsweise auf das Recht mit den engsten Verbindungen zum Fall, die lex fori oder eine verwandte Rechtsordnung zurückgegriffen werden. 1080 Fraglich ist weiterhin, wie sich eine Rechtswahl auswirken kann. Hierfür ist u. a. von Bedeutung, wann die Rechtswahlvereinbarung zustande gekommen ist. Erfolgt die Rechtswahl vor Beginn der Streitigkeit, muss die Auslegung der Vereinbarung ergeben, ob sie auch für das kort geding gelten soll. 1081 Wird die Rechtswahlvereinbarung während des kort gedingVerfahrens getroffen, ist der zuständige Richter im einstweiligen Verfahren daran gebunden. 1082 Aus Gründen des Gleichlaufs ist eine während des Hauptsacheverfahrens getroffene Rechtswahlvereinbarung in der Regel auch für das kort geding relevant. 1083 Allein der Umstand, dass ein niederländisches Gericht angerufen wurde, genügt aber nicht, um die Wahl niederländischen Rechts unterstellen zu können. 1084 3. Schluss der Verhandlung und Urteilsverkündung Gegen Ende der mündlichen Verhandlung können die Vertreter der Parteien noch ihre Prozessdossiers vorlegen. 1085 Die Dossiers bestehen aus Stellungnahmen und Zusammenfassungen sowie aus der Originaldagvaarding und der an den Beklagten gesandten Abschrift der dagvaarding. 1086 Weil im kort geding kein Vorverfahren vor dem rolrechter stattfindet, verfügt das Gericht bis zu diesem Zeitpunkt häufig noch nicht über Schriftsätze. 1087 1077 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 327 ff.; Schmidt, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 5, 10 f. 1078 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 323. 1079 Franx, NIPR 2003, 11, 15; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 34. 1080 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 271 ff., 327 ff., 373 f.; Schmidt, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 5, 12. 1081 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 316. 1082 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 317. 1083 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 318. 1084 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 319 f. 1085 Ernes, S. 69; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141. Zutreffend weist von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 38, darauf hin, dass dazu keine Pflicht mehr besteht, denn der 2002 abgeschaffte Art. 45 Abs. 2 WBRv hat im neuen WBRv kein Pendant mehr. Falls die Parteien dies wünschen, können gleichwohl Dokumente vorgelegt werden. 1086 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141. 1087 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141.
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Der Richter bestimmt dann gemäß Art. 229 Satz 1 WBRv den Zeitpunkt der Urteilsverkündung und teilt den Anwesenden diesen Termin mit. Zwischen Verhandlung und Urteilsverkündung liegen im kort geding durchschnittlich ein bis zwei Wochen. 1088 In äußerst eilbedürftigen Fällen kann der Richter seine Entscheidung auch unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung verkünden. 1089 Die Entscheidung stützt der Richter regelmäßig auf die Begründung in der dagvaarding, die schriftlichen Stellungnahmen, die Plädoyers sowie auf die Ergebnisse der Anhörung der Parteien in der mündlichen Verhandlung. 1090 Der in Art. 24 und Art. 149 Abs. 1 Satz 1 WBRv verankerte Grundsatz, wonach das Gericht ausschließlich auf der Basis der von den Parteien dargelegten Tatsachen entscheiden darf, gilt im kort geding nicht. 1091 Dieser Grundsatz ist Ausdruck der Parteiautonomie 1092 und bedeutet für den Richter im ordentlichen Verfahren, dass Umstände, die er auf anderem Wege als durch das Vorbringen der Parteien zur Kenntnis genommen hat, in seine Beurteilung nicht einfließen dürfen. Weil die Streitigkeiten im kort geding in zeitlich gedrängtem Rahmen untersucht werden, haben die Parteien auch nur begrenzte Möglichkeiten, die ihrer Ansicht nach relevanten Tatsachen darzulegen. Deshalb gelten die sich aus Art. 24 und Art. 149 Abs. 1 Satz 1 WBRv ergebenden Einschränkungen im verkürzten Verfahren nicht. Der kort geding-Richter kann frei entscheiden, auf welche Tatsachen er sein Urteil stützt. 1093 An den klägerischen Antrag ist der Richter ebenfalls nicht gebunden. 1094 Ist der Beklagte 1095 weder selbst noch vertreten durch einen Rechtsanwalt in der mündlichen Verhandlung erschienen, kann gegen ihn ein Versäumnisurteil ergehen. Die Regeln zum Versäumnisurteil, Art. 139–142 WBRv, sind im kort geding entsprechend anwendbar, soweit sie nicht im
1088
Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 389; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 304. Hof Amsterdam vom 7.11.1996, Kort Geding 1997, Nr. 372; Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 389; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 304. 1090 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 76, S. 77; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 302. 1091 Hoge Raad vom 21.4.1978, NJ 1979, Nr. 194; Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682. 1092 Morée, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 149 Nr. 2 a). 1093 Hoge Raad vom 21.4.1978, NJ 1979, Nr. 194. 1094 Hof Leeuwarden vom 7.10.1998, NJ 1999, Nr. 405; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 304. 1095 Ein Versäumnisurteil gegen den Kläger kann seit 1.1.2002 nicht mehr ergehen. Er gilt schon mit Einreichen der dagvaarding als erschienen. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 63, S. 62; Wieten, S. 2; Ynzonides, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 139 Inl. opm. 1089
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Widerspruch zu dessen Prinzipien stehen. 1096 Ein Versäumnisurteil setzt gemäß Art. 139 WBRv voraus, dass der Beklagte ordnungsgemäß geladen wurde und Kenntnis von der Verhandlung hatte. Außerdem muss der Richter die klägerische Forderung als begründet einstufen. Im kort geding nimmt er zusätzlich eine Interessenabwägung vor, in der er das Interesse des Beklagten, sich verteidigen zu können, mit dem Interesse des Klägers an unverzüglicher Entscheidung abwägt. 1097 Bis zum Erlass des Urteils ist gemäß Art. 142 WBRv eine Heilung der Säumnis möglich, falls der Beklagte doch noch erscheint. An den Inhalt eines Versäumnisurteils stellt Art. 230 Abs. 2 WBRv geringere Anforderungen als an ein kontradiktorisches Urteil. II. Verfahrensablauf bei einer Leistungsverfügung Ähnlich dem kort geding kann ein Verfügungsverfahren in drei Abschnitten verlaufen. Auf die Antragstellung folgt zum Teil eine mündliche Verhandlung, bevor das Gericht eine Entscheidung fällt. Die mündliche Verhandlung kann auch entfallen. 1. Einleitung des Verfahrens Am Anfang jeder Leistungsverfügung steht ein Antrag. Dieser kann schriftlich eingereicht 1098 oder gemäß §§ 920 Abs. 3, 936 ZPO vor der Geschäftsstelle zu Protokoll erklärt werden. Unter den Voraussetzungen des § 130a ZPO ist auch ein elektronischer Antrag möglich. Der Antrag hat ähnliche Bedeutung wie eine Klageschrift im Sinne von § 253 ZPO. 1099 Entsprechend § 253 Abs. 2 Nr. 1 ZPO sind die Parteien und das Gericht zu benennen. Gemäß §§ 920 Abs. 1, 936 ZPO soll der Antrag außerdem den Verfügungsanspruch sowie den Verfügungsgrund bezeichnen. Die dem Verfügungsanspruch und -grund zugrunde liegenden Tatsachen sind schlüssig darzulegen und gemäß §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO glaubhaft zu machen. Bei Leistungsverfügungen muss nicht wie bei anderen einstweiligen Verfügungen lediglich das Rechtsschutzziel angegeben werden, sondern wie bei Leistungsklagen nach § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO ein bestimmter Antrag gestellt werden. 1100 So ist etwa Unterhalt der Höhe nach zu bezif1096 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 303; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/ Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 259 Nr. 1. 1097 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 259 Nr. 1 d). 1098 Brox/Walker, Rn. 1507, 1629; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 920 Rn. 17; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 920 Rn. 7. 1099 Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 3. 1100 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.2; Brox/Walker, Rn. 1629; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 10; Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 3; Knothe, S. 330; Mossler, S. 23.
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fern. 1101 Denn während das Gericht beim Erlass von Sicherungs- und Regelungsverfügungen den Inhalt der beantragten einstweiligen Verfügung im Hinblick auf § 938 Abs. 1 ZPO nach freiem Ermessen beurteilen kann, 1102 gilt bei Leistungsverfügungen eine strikte Bindung an den Antrag entsprechend § 308 Abs. 1 ZPO 1103. Mit dem Eingang des Verfügungsantrags beim zuständigen Gericht wird das einstweilige Verfahren rechtshängig. 1104 2. Verhandlung Hinsichtlich der Verhandlung bestehen bei der Leistungsverfügung im Vergleich zum kort geding einige Unterschiede. a) Prozessvertretung Im Hinblick auf die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung gelten bei der Leistungsverfügung die Vorschriften der §§ 78 f. ZPO ohne Einschränkung. 1105 Antragsteller und Antragsgegner müssen sich gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 ZPO durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen, wenn das VerfahA.A. Hobbeling, S. 316, der allerdings zugesteht, dass § 938 Abs. 1 ZPO bei Leistungsverfügungen nur sehr eingeschränkte Anwendung finden kann. Sein Hauptargument, bei Leistungsverfügungen stehe der Verfügungstenor ebensowenig wie bei anderen Verfügungsarten fest, weil zum Beispiel bei Zahlungsverfügungen die Betragshöhe und die Bezugsdauer bei Antragstellung nicht exakt bezeichnet werden könnten, überzeugt nicht. Ebenfalls anderer Auffassung, weil das richterliche Ermessen gemäß § 938 Abs. 1 ZPO auch im Falle von Leistungsverfügungen vorgehe, du Mesnil de Rochemont, S. 137. 1101 Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 3. 1102 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 72 f.; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.10, 54.2; Brox/Walker, Rn. 1629; Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 1, 3; Knothe, S. 330; Morbach, S. 97; Mossler, S. 23. Noch weiter (erlassen werden können auch Maßnahmen, welche die gleiche Richtung wie die beantragte Maßnahme verfolgen, streng genommen aber als aliud anzusehen sind): Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 6 f. A.A. (volle Bindung an den Antrag): Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 11; Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, ZPO, § 938 Rn. 4. 1103 Dunkl, in: Dunkl, Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A Rn. 560; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 11; Huber, in: Musielak, ZPO, § 938 Rn. 5; Knothe, S. 331; Mantzourani-Tschaschnig, S. 77; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 938 Rn. 8. A.A. du Mesnil de Rochemont, S. 137. 1104 OLG Düsseldorf JZ 1995, 315, 316; OLG München NJW 1993, 1604; Brox/Walker, Rn. 1630; Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 ff. Rn. 15; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 920 Rn. 2, vor § 935 Rn. 12; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 920 Rn. 8; Huber, in: Musielak, ZPO, § 916 Rn. 9; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 920 Rn. 8; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 920 Rn. 12. 1105 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 Rn. 18; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 25.
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ren vor einem Landgericht stattfindet. Vor den Amtsgerichten können die Parteien den Rechtsstreit gemäß § 79 Abs. 1 Satz 1 ZPO selbst führen. Für die Einreichung des Verfügungsantrags besteht wegen §§ 920 Abs. 3, 936, 78 Abs. 3 ZPO kein Anwaltszwang, selbst wenn der Antrag in die Zuständigkeit des Landgerichts fällt. b) Mündliche Verhandlung Wenn mündlich verhandelt wird, richtet sich die Durchführung der Verhandlung nach den Regelungen für das ordentliche Verfahren gemäß §§ 128 ff. ZPO. 1106 Das Gericht bestimmt von Amts wegen einen Verhandlungstermin und lädt die Parteien. Dabei ist die Ladungsfrist nach § 217 ZPO zu berücksichtigen, die gemäß § 226 ZPO aber verkürzt werden kann. 1107 Die in § 274 Abs. 3 Satz 1 ZPO vorgesehene Einlassungsfrist muss nicht beachtet werden. Die daraus resultierende Verzögerung von mindestens zwei Wochen liefe der beabsichtigten zügigen Erledigung des Verfahrens zuwider. 1108 Nach der gesetzlichen Konstruktion in §§ 937, 942 ZPO muss das Gericht der Hauptsache im einstweiligen Verfügungsverfahren grundsätzlich eine mündliche Verhandlung durchführen und dem Anspruch der Gegenpartei auf rechtliches Gehör nach Maßgabe des Art. 103 Abs. 1 GG genügen. Rechtliches Gehör kann im Rahmen einer schriftlichen Stellungnahme gewährt werden. 1109 Im Falle der Säumnis einer Partei in der mündlichen Verhandlung finden die §§ 330 ff. ZPO Anwendung. 1110 Ebenfalls anwendbar sind die Regelungen zu Antragsrücknahme, Anerkenntnis, Erledigungserklärung und
1106
Brox/Walker, Rn. 1635, 1515; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, Grundz § 916 Rn. 12. 1107 Brox/Walker, Rn. 1515; Huber, in: Musielak, ZPO, § 916 Rn. 9. 1108 Brox/Walker, Rn. 1515; Huber, in: Musielak, ZPO, § 916 Rn. 9. 1109 Danckwerts, GRUR 2008, 763, 765; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 6; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 937 Rn. 8; Knothe, S. 332; Mossler, S. 23; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 132; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 288. 1110 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 922 Rn. 28 f.; Huber, in: Musielak, ZPO, § 935 Rn. 6; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, vor § 330 Rn. 2; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 77 Rn. 18.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Vergleich. 1111 Der Antragsgegner kann, entsprechend einer Widerklage im Hauptsacheverfahren, auch selbst einen Antrag einbringen. 1112 Verzichtet werden kann auf eine mündliche Verhandlung gemäß § 937 Abs. 2 ZPO in dringenden Fällen, wenn die Anberaumung der mündlichen Verhandlung den Zweck der Verfügung in Gefahr bringen würde, 1113 weil etwa keine Zeit besteht, den Terminstag abzuwarten 1114 oder eine Überraschungsentscheidung erforderlich ist 1115 und wenn der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen werden soll. In Bezug auf Leistungsverfügungen wird Zurückhaltung bei der Annahme von Dringlichkeit im Sinne des § 937 Abs. 2 ZPO gefordert. 1116 Um für den Fall, dass keine mündliche Verhandlung stattfindet, bei Gericht dennoch die eigene Position zu Gehör zu bringen, ist es im Wettbewerbsrecht üblich, bei allen in Betracht kommenden Gerichten eine Schutzschrift einzureichen, in der schon im Vorhinein bestritten wird, dass ein dringender Fall vorliegt, und in der Argumente zur Verteidigung vorgetragen werden. 1117 Das zuständige Gericht muss die Ausführungen aus der Schutzschrift bei seiner Entscheidung berücksichtigen. 1118
1111 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 Rn. 21–26; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 920 Rn. 4, vor § 935 Rn. 19, 21, 28; Huber, in: Musielak, ZPO, § 916 Rn. 9, § 935 Rn. 6; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 77 Rn. 18; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 5. 1112 OLG Celle NJW 1959, 1833; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 27; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 79 Rn. 9; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 4. 1113 OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1206; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.4; Brox/Walker, Rn. 1634; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 5; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 937 Rn. 5; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 78; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 937 Rn. 2; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 2. 1114 OLG Karlsruhe NJW-RR 1987, 1206; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.4; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 5; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 937 Rn. 5; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 2. 1115 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.4; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 5; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 937 Rn. 5; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 2. 1116 Iliakopoulos, S. 40; Knothe, S. 332. 1117 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.4; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 7; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 29; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 78; Morbach, S. 86; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 79 Rn. 11; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 4; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 17. 1118 BGH NJW 2003, 1257, 1258; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.4; Dunkl, in: Dunkl, Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A Rn. 553; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 7; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 29; Morbach, S. 86; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 79 Rn. 11; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 4; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 17.
L. Verfahrensablauf
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Das Amtsgericht kann gemäß § 942 Abs. 4 in Verbindung mit § 128 Abs. 4 ZPO nach pflichtgemäßem Ermessen entscheiden, ob es eine mündliche Verhandlung anberaumt. In vielen Fällen kommt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung aufgrund der die Zuständigkeit des Amtsgerichts gemäß § 942 Abs. 1 ZPO erst begründenden besonderen Dringlichkeit nicht in Frage. 1119 Sollten durch die Anrufung des Amtsgerichts Verzögerungen vermieden werden, muss erst recht der mit einer mündlichen Verhandlung verbundene Zeitverlust verhindert werden. 1120 In der Praxis werden die meisten einstweiligen Verfügungen ohne vorherige mündliche Verhandlung erlassen. 1121 Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG wird aber durch die Möglichkeit des Antragsgegners, Rechtsbehelfe einzulegen, gewahrt. 1122 c) Beweisaufnahme Die Beweisaufnahme im einstweiligen Rechtsschutz erfolgt in freierer Form als im ordentlichen Verfahren. 1123 Außerdem genügt mit der Glaubhaftmachung im Sinne von §§ 920 Abs. 2, 936, 294 Abs. 1 ZPO ein geringeres Maß an richterlicher Überzeugung. Grundsätzlich muss das Obsiegen des Antragstellers nur überwiegend wahrscheinlich sein. 1124 Der Verzicht auf den Vollbeweis soll die Entscheidungsfindung beschleunigen. 1125 Die Intensität der Glaubhaftmachung kann aber im Einzelfall variieren. 1126 So kann eine hinreichende Erfolgsaussicht des Antragstellers ausreichen, wenn die ihm drohenden Nachteile etwaige Nachteile beim Antragsgegner erheblich übersteigen und die Maßnahme nur auf Sicherung gerichtet 1119
Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.8; Brox/Walker, Rn. 1634; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 6; Knothe, S. 333. 1120 Brox/Walker, Rn. 1634; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 6; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 289. 1121 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 4; Mantzourani-Tschaschnig, S. 74; Morbach, S. 83. 1122 BVerfG NJW 2004, 2443; BGHZ 161, 298, 303 f.; Bülow, ZZP 98 (1985), 274, 281; Mantzourani-Tschaschnig, S. 74; Teplitzky, GRUR 2008, 34, 40; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 1 a. 1123 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 14; Mossler, S. 19; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 294 Rn. 1, 3; Zhou, S. 38. 1124 BGH NJW 2003, 3558, 3359; Brox/Walker, Rn. 1511; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 15; Huber, in: Musielak, ZPO, § 920 Rn. 9; Mossler, S. 19; Reichold, in: Thomas/ Putzo, ZPO, § 294 Rn. 2; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 132; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 17; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 8. 1125 Prütting/Stickelbrock, § 45 III 1. 1126 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 15, 21; Mossler, S. 19; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 132 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 8. A.A. Vogg, S. 79–82, der von einem statischen Maßstab ausgeht.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
ist. 1127 Bei stärker in die Rechtssphäre des Antragsgegners eingreifenden Maßnahmen, insbesondere also bei Leistungsverfügungen, wird hingegen gefordert, dass das Obsiegen des Antragstellers in höchstem Maße wahrscheinlich ist. 1128 Glaubhaft zu machen sind die Tatsachen für das Vorliegen von Verfügungsanspruch und -grund. 1129 In einigen Fällen kann auf die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes allerdings verzichtet werden, weil nach materiellem Recht eine Dringlichkeitsvermutung vorliegt. 1130 Beispiele hierfür sind etwa § 12 Abs. 2 UWG und §§ 885 Abs. 1 Satz 2 und 899 Abs. 2 Satz 2 BGB. Verteilt ist die Glaubhaftmachungslast wie die Beweislast im ordentlichen Verfahren, das heisst, der Antragsteller muss das Vorliegen des Verfügungsanspruchs darlegen und bestrittene Tatsachen gegebenenfalls glaubhaft machen. 1131 Auch die Last der Darlegung und Glaubhaftmachung aller für die Annahme des Verfügungsgrundes relevanten Tatsachen trägt der Antragsteller. 1132 Das Gericht verfügt bei der Würdigung der glaubhaft gemachten Tatsachen über einen Beurteilungsspielraum. 1133 Mittel der Glaubhaftmachung ist typischerweise die eidesstattliche Versicherung einer Partei oder eines Dritten. Daneben kommen aber gemäß § 294 Abs. 1, 2 ZPO auch alle anderen präsenten Beweismittel in Betracht. Ein Antrag auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens gemäß §§ 485 ff. ZPO ist, anders als beim kort geding, nicht zulässig. 1134
1127
Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 15; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 132 f. Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 56 f.; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.24 f.; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 15, § 938 Rn. 19; Iliakopoulos, S. 40; Mossler, S. 19; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 132 f.; Schuschke, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 935 Rn. 9. 1129 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.24 f.; Brox/Walker, Rn. 1632; Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 ff. Rn. 20, § 935 Rn. 20, § 936 Rn. 7; Hobbeling, S. 327; Iliakopoulos, S. 40; Knothe, S. 331; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 935 Rn. 4; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 76 Rn. 6; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 8, 12. 1130 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 22, § 936 Rn. 7; Huber, in: Musielak, ZPO, § 935 Rn. 5, 13; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 935 Rn. 12. 1131 Brox/Walker, Rn. 1512, 1632 f.; Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 ff. Rn. 20, § 935 Rn. 14; Jauernig/Berger, § 35 Rn. 11; Mantzourani-Tschaschnig, S. 77; Mossler, S. 19; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, vor § 916 Rn. 9; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 6a. 1132 OLG Frankfurt MDR 2004, 1019; OLG Düsseldorf, Urt. v. 13.12.2006 – VI–U (Kart) 39/06 (zitiert nach juris); Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 20; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 935 Rn. 11; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 1133 Drescher, in: MüKo-ZPO, § 935 Rn. 21; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 132. 1134 OLG Frankfurt NJW 1985, 811; OLG Köln VersR 1996, 733, 734; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 940 Rn. 42; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 920 Rn. 4. 1128
L. Verfahrensablauf
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Auf der Grundlage der vorgetragenen und glaubhaft gemachten Tatsachen prüft der Richter die Zulässigkeit und die Begründetheit nach den allgemeinen Grundsätzen und ermittelt, ob die formellen und materiellen Voraussetzungen für den Erlass der beantragten einstweiligen Maßnahme vorliegen. 1135 Aufgrund ihrer Befriedigungswirkung ist bei Leistungsverfügungen eine genauere Prüfung der Rechtslage vorzunehmen als bei anderen einstweiligen Verfügungen. 1136 d) Streitgenossenschaft und Beteiligung Dritter Grundsätzlich ist das einstweilige Verfügungsverfahren als Zwei-ParteienVerfahren ausgestaltet, 1137 in welchem Antragsteller und Antragsgegner bzw. Verfügungskläger und Verfügungsbeklagter einander gegenüberstehen. Anwendbar sind aber auch die Regelungen zur Streitgenossenschaft in §§ 59 ff. ZPO. 1138 Darüber hinaus können Dritte mittels Nebenintervention und Streitverkündung am Verfahren beteiligt werden. 1139 e) Ausländisches Recht bei der Leistungsverfügung Auch bei einstweiligen Verfahren mit Auslandsbezug sind die Regelungen des Internationalen Privatrechts zur Ermittlung des anwendbaren Rechts heranzuziehen. 1140 In Bezug auf den Inhalt ausländischen Rechts gilt wie im Hauptsacheverfahren gemäß § 293 ZPO der Amtsermittlungsgrundsatz. 1141 Kann der Inhalt des ausländischen Rechts nicht in angemessener Zeit festgestellt werden, ist es wegen der Eilbedürftigkeit zulässig, dass sich das erkennende Gericht bei der Ermittlung des anwendbaren Rechts
1135
Huber, in: Musielak, ZPO, § 935 Rn. 5. Dunkl, in: Dunkl, Handbuch des vorläufigen Rechtsschutzes, A Rn. 499, 507; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 22, 14. 1137 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 ff. Rn. 18; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 23. 1138 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 ff. Rn. 18; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 23. 1139 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor §§ 916 ff. Rn. 18; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, vor § 935 Rn. 23; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, vor § 916 Rn. 5 b. 1140 Dethloff, RabelsZ 62 (1998), 286, 287; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 293 Rn. 11; Mankowski/Kerfack, IPRax 1990, 372, 374; Schack, IPRax 1995, 158, 160; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 317; Thümmel, NJW 1996, 1930, 1932; Wannenmacher, S. 45. 1141 Dethloff, RabelsZ 62 (1998), 286, 290; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 293 Rn. 14, 19; Mankowski/Kerfack, IPRax 1990, 372, 374; Schack, IPRax 1995, 158, 160 f.; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 318; Thümmel, NJW 1996, 1930, 1932; Wannenmacher, S. 46. 1136
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
auf präsente Erkenntnisquellen beschränkt und das von einer Partei glaubhaft dargelegte ausländische Recht anwendet. 1142 3. Abschluss des einstweiligen Erkenntnisverfahrens Mit dem Erlass der Leistungsverfügung oder ihrer Ablehnung wird das einstweilige Erkenntnisverfahren abgeschlossen. Wenn mündlich verhandelt wurde, erlässt das Gericht ein Urteil, anderenfalls ergeht gemäß §§ 922 Abs. 1 Satz 1, 936 ZPO ein Beschluss. Das gemäß § 942 Abs. 1, 2 zuständige Amtsgericht entscheidet nach § 942 Abs. 4 ZPO stets durch Beschluss.
M. Entscheidung M. Entscheidung
Die Entscheidung, die im Rahmen des kort geding oder der Leistungsverfügung ergeht, weist, was ihren Inhalt und ihr Verhältnis zur Hauptsacheentscheidung betrifft, einige Besonderheiten auf. I. Entscheidung im kort geding Den notwendigen Inhalt eines Urteils bestimmt Art. 230 Abs. 1 WBRv. 1143 Das Urteil muss außer dem Tenor die Namen und Adressen der Parteien und ihrer Vertreter, den Verfahrensverlauf, den Sachverhalt und die Entscheidungsgründe sowie den Namen des entscheidenden Richters und den Verkündungstag enthalten. Auch ein Urteil, das im kort geding ergeht, bedarf einer Begründung. 1144 Als Mindestvoraussetzung jeder richterlichen Entscheidung muss garantiert sein, dass die Begründung hinreichende Einsicht in die der Entscheidung zugrunde liegenden Überlegungen gewährt und die Entscheidung auf diese Weise für die Parteien und für Dritte nach-
1142
OLG Frankfurt NJW 1969, 991, 992; OLG Koblenz RIW 1993, 939, 940; OLG Köln, Urt. v. 19.01.2007 – 6 U 163/06 (zitiert nach juris); Dethloff, RabelsZ 62 (1998), 286, 296 f.; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 293 Rn. 11; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 293 Rn. 7; Schack, IPRax 1995, 158, 160 f.; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 318; Thümmel, NJW 1996, 1930, 1932; Wannenmacher, S. 46. 1143 Namen und Adressen der Parteien und ihrer Prozessvertreter werden im Urteilskopf vermerkt. Im petitum wird der Verlauf des Verfahrens von der dagvaarding bis zu den conclusies wiedergegeben. Darauf folgen die Begründung der Entscheidung und der Tenor, das dictum. Die Begründung fasst die Tatsachen zusammen, wiederholt die relevanten Stellungnahmen der Parteien und enthält die rechtliche Beurteilung des erkennenden Richters. Bergamin, in: Boon/Reijntjes/Rinkes, Van Apeldoorn’s inleiding, S. 181; Snijders/Ynzonides/ Meijer, S. 304; Wieten, S. 46. 1144 Vgl. Art. 121 Satz 1 Gw, Art. 5 Abs. 1 RO, Art. 30 und Art. 230 Abs. 1 lit. e WBRv.
M. Entscheidung
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vollziehbar macht. 1145 Die kurze Zeit zwischen Verhandlung und Urteilsverkündung bringt es jedoch mit sich, dass an Umfang und Inhalt der Begründung einer Entscheidung im kort geding geringere Anforderungen gestellt werden als an die Begründung eines Urteils im ordentlichen Verfahren. 1146 Ihr Ausmaß variiert anhand der Umstände des Einzelfalles. 1147 Greift eine einstweilige Maßnahme sehr stark in die Rechtsposition einer Partei ein, so liegen die Anforderungen an die Begründung im Einzelfall höher. 1148 Eine ausführliche Begründung verlangt der Hoge Raad zum Beispiel, wenn der Beklagte im kort geding zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt wird. Die Umstände, die eine unverzügliche Entscheidung erfordern, müssen in diesem Fall genau dargelegt werden. 1149 Die Entscheidung im kort geding unterscheidet sich, was ihren Inhalt angeht, von der Entscheidung in der Hauptsache vornehmlich durch die – grundsätzlich verlangte – Vorläufigkeit der kort geding-Maßnahme im Gegensatz zur Endgültigkeit des Hauptsacheurteils. Wenn zwei Entscheidungen getroffen werden, wird die Frage nach dem Verhältnis der kort gedingEntscheidung zum Urteil in der Hauptsache relevant. 1. Inhalt im kort geding erlassener einstweiliger Maßnahmen Das Begehren, das mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme verfolgt wird, wird von Art. 254–259 WBRv, abgesehen von der erwarteten Vorläufigkeit, nicht eingeschränkt. Infolgedessen kann der Kläger seinen Antrag frei formulieren. 1150 Der Richter ist nicht strikt an den klägerischen Antrag gebunden, sondern kann eine Maßnahme treffen, die
1145 Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Hoge Raad vom 16.10.1998, NJ 1999, Nr. 7; Hoge Raad vom 29.6.2001, NJ 2001, Nr. 494 und 495; Hoge Raad vom 25.10.2002, NJ 2003, Nr. 171; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 30; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 258 Nr. 1 b). 1146 Hoge Raad vom 21.1.1983, NJ 1983, Nr. 466; Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Hoge Raad vom 15.12.1995, NJ 1996, Nr. 509; Hoge Raad vom 14.6.1996, NJ 1997, Nr. 481; Hoge Raad vom 2.10.1999, NJ 1999, Nr. 682; Bruinsma, Korte gedingen, S. 102; Ernes, S. 69; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 126; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 30; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 304. 1147 Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Groen, Tijdschrift voor Privaatrecht 28 (1991), 1025, 1045. 1148 Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 200; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 304. 1149 Hoge Raad vom 22.1.1982, NJ 1982, Nr. 505; Hoge Raad vom 4.6.1993, NJ 1993, Nr. 659; Hoge Raad vom 14.4.2000, NJ 2000, Nr. 489. 1150 Bots, S. 93; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 18; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 5 a).
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ihm angesichts des Rechtsschutzbegehrens am wirksamsten erscheint. 1151 Der Inhalt einer einstweiligen Maßnahme ist damit abhängig vom Vorbringen der Parteien und dessen Einschätzung durch den Richter, 1152 der über große Beurteilungsfreiheit verfügt. 1153 Er trifft die im Einzelfall gerechte und erforderliche Entscheidung nach eigenem Ermessen. 1154 Anerkanntermaßen können im kort geding erlassene einstweilige Maßnahmen vorläufige Ge- oder Verbote enthalten. Umstritten sind die endgültig wirkenden Maßnahmen. a) Regelfall vorläufiger Gebote oder Verbote Im Regelfall sehen kort geding-Maßnahmen eine Verurteilung zu einem Tun oder Unterlassen im Sinne von Art. 3:296 Abs. 1 BW, 1155 also ein Geoder Verbot, vor. 1156 Dabei kann es sich etwa um die Anordnung handeln, einer Zahlungsverpflichtung aus einem vertraglichen oder deliktischen Schuldverhältnis nachzukommen. 1157 Der Erlass einer einstweiligen Maßnahme ist auch möglich, wenn ein Schaden erst einzutreten droht. 1158 Die einstweilige Maßnahme kann, unabhängig davon, ob die Hauptsache bereits anhängig ist oder nicht, inhaltlich der Forderung in der späteren Hauptsache gleichen. 1159 In diesem Fall darf aber nichts angeordnet werden, was nicht ebenfalls im Rahmen eines Hauptsacheurteils ergehen könnte. 1160 So darf nichts Unmögliches gefordert werden. 1161
1151
S. 304. 1152
Hof Leeuwarden vom 7.10.1998, NJ 1999, Nr. 405; Snijders/Ynzonides/Meijer,
Bots, S. 93; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 364. Meijers, S. 38; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 5 b). 1154 Freudenthal, in: Hess, Study JAI A3/02/2000, Nationale Berichte: Niederlande, 3.5.1. 1155 Bots, S. 94; Meijers, S. 39. 1156 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 29; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Meijers, S. 38; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–7; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 191; TonkensGerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 6 a). 1157 Bots, S. 93; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 21; Keijser/Tjoen-Tak-Sen, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 83, 99; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 29. 1158 Bots, S. 94; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 191. 1159 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 138; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–7; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 188. 1160 Meijers, S. 38. 1161 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 21. 1153
M. Entscheidung
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Beachten muss das Gericht, dass die Maßnahme hinsichtlich Dauer und Intensität des Eingriffs verhältnismäßig ist. 1162 Die Maßnahme kann in ihrer Wirkung zeitlich begrenzt werden. 1163 Im Übrigen muss die getroffene Anordnung vollstreckbar sein. 1164 Zeit, Ort und Inhalt einer ge- oder verbotenen Handlung müssen so deutlich erkennbar sein, dass die Parteien wissen, was sie zu tun oder zu unterlassen haben. 1165 An Ge- oder Verbote können Bedingungen geknüpft werden. Eine auflösende Bedingung ist zum Beispiel in der Form möglich, dass die einstweilige Verurteilung zur Räumung einer Wohnung ihre Wirkung verliert, wenn der Beklagte den Mietrückstand innerhalb einer bestimmten Frist begleicht. 1166 Außerdem kann vorgeschrieben werden, dass die Vollziehung einer einstweiligen Maßnahme ausgesetzt wird, wenn und solange der Schuldner eine Sicherheit stellt. 1167 Regelmäßig wird für den Fall der Zuwiderhandlung gegen ein Verbot ein Zwangsgeld gemäß Art. 611a Abs. 1 Satz 1 WBRv angedroht. 1168 Dies verhilft dem kort geding zu stärkerer Wirksamkeit. 1169 Nach Art. 611a Abs. 1 Satz 2 WBRv kann ein Zwangsgeld aber nicht bei Verurteilungen zu einer Geldzahlung angeordnet werden. Zweckmäßig ist es, wenn der kort geding-Richter in seiner Entscheidung ergänzend bestimmt, dass der Kläger die Angelegenheit innerhalb einer festgesetzten Frist dem Gericht der Hauptsache vorzulegen hat und dass anderenfalls die einstweilige Maßnahme ihre Wirkung verliert. 1170 Auf diese Weise kann unnötigen Verzögerungen sowie einer Umgehung der Hauptsache vorgebeugt werden. 1171
1162 Hof ’s-Hertogenbosch vom 26.6.1985, Kort Geding 1985, Nr. 208; Pres. Rb. Amsterdam vom 28.6.1985, Kort Geding 1985, Nr. 211; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 21. 1163 Pres. Rb. Haarlem vom 6.2.1967, NJ 1967, Nr. 403; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 138; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 5 c). 1164 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 21. 1165 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 21. 1166 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 5 d). 1167 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 5 d). 1168 Bots, S. 97; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 208; Wieten, S. 61. 1169 Blankenburg, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 125, 126. 1170 Bots, S. 94; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 138 f.; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 5 d). 1171 Bots, S. 94 f.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Der kort geding-Richter kann sein Urteil gemäß Art. 258 WBRv von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklären, während hierfür im ordentlichen Verfahren nach Art. 233 Abs. 1 Satz 1 WBRv ein Antrag des Klägers Voraussetzung ist. Dieser Unterschied zwischen kort geding und ordentlichem Verfahren wird mit dem Schutz der Parteien begründet, die im kort geding oft selbst prozessieren, ohne sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen. Als juristische Laien wissen sie häufig nicht, dass sie sich mit einem Antrag auf Vollstreckbarerklärung an den Richter wenden müssen. 1172 Da der im kort geding erlangte Titel typischerweise kurz nach seinem Erlass vollzogen werden soll, ist es im kort geding deshalb die Regel, dass die Entscheidungen von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. 1173 Die vorläufige Vollstreckbarkeit wird durch die Einlegung von Rechtsmitteln nicht gehindert. 1174 Gemäß Art. 233 Abs. 3 WBRv kann der Richter außerdem anordnen, dass für den Fall einer anderweitigen Entscheidung im Rechtsmittelverfahren eine Sicherheit geleistet wird. Hiervon wird regelmäßig Gebrauch gemacht. 1175 b) Problem endgültiger Entscheidungen Art. 254 Abs. 1 WBRv fordert für die im kort geding ergehenden Maßnahmen grundsätzlich Vorläufigkeit („een onmiddellijke voorziening bij voorraad“). Vorläufig bleiben einstweilige Maßnahmen im kort geding insoweit, als die Parteien jederzeit ein Urteil in der Hauptsache erwirken können 1176 und den Maßnahmen anders als Urteilen in der Hauptsache in späteren Prozessen keine Rechtskraft zukommt. 1177 Grundsätzlich sollen kort geding-Maßnahmen auch im Hinblick auf ihren Inhalt vorläufig sein. Vorläufige Maßnahmen sollen einem Hauptsacheverfahren inhaltlich vorangehen, während endgültige Maßnahmen den Platz der Hauptsache ein1172
Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 146. Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 132, S. 141; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 258 Nr. 2 b); Wieten, S. 61. 1174 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 31; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 258 Nr. 2 b); van Rossum, Uitvoerbaarheid, S. 1; Wieten, S. 61. 1175 Freudenthal, in: Hess, Study JAI A3/02/2000, Nationale Berichte: Niederlande, 3.6.1. und 3.6.2. 1176 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 226; Sterk, in: Asscher, Onverwijlde Spoed, S. 16, 18; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 4 a); van der Woude, Ars Aequi 34 (1985), 65, 67. 1177 Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 236 Nr. 2 c). 1173
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nehmen könnten. 1178 Einstweilige Maßnahmen wirken endgültig, wenn sie eine definitive Veränderung des Rechtsverhältnisses zwischen den Parteien zur Folge haben. 1179 Obwohl durch sie de facto eine unumkehrbare Situation entstanden ist, können diese Maßnahmen im kort geding erlassen werden. 1180 Hierbei ist beispielsweise an eine Verurteilung zur Auslieferung von Rohstoffen zu denken, die der kort geding-Kläger sogleich verarbeitet. 1181 Problematisch ist, dass die faktisch endgültigen Maßnahmen den Sinn eines Hauptsacheverfahrens in Frage stellen. 1182 Denn ungeachtet der Tatsache, dass gemäß Art. 257 WBRv rechtlich keine Bindung an das kort geding besteht, kann der Richter der Hauptsache unter Umständen nicht mehr anordnen, die Folgen des kort geding rückgängig zu machen, sondern nur noch zur Zahlung von Schadensersatz verurteilen. Da im einstweiligen Rechtsschutz schnelles Hilfeleisten aber im Vordergrund steht, muss das Risiko endgültiger Folgen gelegentlich in Kauf genommen werden. Selbst wenn die faktischen Auswirkungen vorhersehbar sind, kann es sich als unvermeidlich erweisen, faktisch endgültige Maßnahmen zu treffen, falls dadurch größerer Schaden abgewendet werden kann. 1183 2. Verhältnis der kort geding-Entscheidung zum Hauptsacheurteil Wenn neben dem kort geding ein Hauptsacheverfahren stattfindet, liegen zwei Entscheidungen über dieselbe Streitigkeit vor. Das wirft die Frage nach dem Verhältnis der kort geding-Entscheidung zum Hauptsacheurteil auf. Grundlegend ist, dass der kort geding-Entscheidung keine Rechtskraft zukommt und dass das Hauptsacheurteil die Geltung der kort geding-Entscheidung beendet, wenn es selbst rechtskräftig wird. 1184 Inhaltlich kann 1178 Janssen, Inleiding procesrecht, S. 113; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229. 1179 Meijers, S. 82; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229; Wieten, S. 44; Zonderland, Het Kort Geding, S. 25. 1180 Hoge Raad vom 8.2.1946, NJ 1946, Nr. 166; Hoge Raad vom 12.2.1947, NJ 1947, Nr. 157; Hoge Raad vom 6.4.1962, NJ 1965, Nr. 116; Hoge Raad vom 11.2.1994, NJ 1994, Nr. 651; Bots, S. 94; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–20–24; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 229; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 254 Nr. 4 d). 1181 Hoge Raad vom 8.2.1946, NJ 1946, Nr. 166. 1182 Zum Problem der Verdrängung der Hauptsache siehe S. 76. 1183 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 137; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 231. 1184 Bots, S. 93; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 21; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Schenk/Blaauw, Het
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das Hauptsacheurteil die kort geding-Entscheidung bestätigen oder aufheben. Die Konsequenzen verdeutlichen verkürzte Verfahren, welche die Zahlung eines Geldbetrages zum Gegenstand haben. 1185 Eine anderslautende Verurteilung in der Hauptsache kann der aus dem kort geding herrührenden Zahlungsverpflichtung die Rechtsgrundlage nehmen, mit der Folge, dass eine schon geleistete Zahlung zurückgewährt werden muss. 1186 Die kort geding-Entscheidung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf das Hauptsacheurteil, weil der Richter im Hauptsacheverfahren nicht an die Entscheidung im einstweiligen Verfahren gebunden ist. 1187 Als Ausnahme wird die Möglichkeit von kort geding-Entscheidungen diskutiert, die anders lauten als das Hauptsacheurteil. Außerdem kann ein Hauptsacheurteil über den Umweg einer einstweiligen Maßnahme für vorläufig vollstreckbar erklärt werden. a) Keine Rechtskraft von Entscheidungen im kort geding Entscheidungen im kort geding werden nicht materiell rechtskräftig 1188 im Sinne von Art. 236 WBRv. 1189 Denn sie treffen grundsätzlich keine endgültige Entscheidung über das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien. 1190 Der Tatbestand des Art. 236 WBRv ist deshalb nicht erfüllt. 1191 Das bedeutet, dass die kort geding-Entscheidung in jedem weiteren kort geding oder ordentlichen Verfahren zwischen den gleichen Parteien nicht bindend ist. 1192 Ungeachtet der Abweisung eines früheren Verfahrens kann in derkort geding7, Algemeen deel, S. 16; Wieten, S. 61; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 a). 1185 Blaauw/de Bruijn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1110; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 72. 1186 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 72. 1187 Brinkhof, GRUR Int. 1997, 489, 490. 1188 Zu unterscheiden sind kracht van gewijsde und gezag van gewijsde. Ersteres bedeutet, dass gegen eine Entscheidung keine Rechtsmittel mehr eingelegt werden können. Letzteres heißt, dass eine Entscheidung die Parteien auch in einem späteren Verfahren über die gleiche Sache bindet. Wieten, S. 48. 1189 Hoge Raad vom 10.1.1958, NJ 1958, Nr. 78; Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Beukers, S. 116; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 139; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 33; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 58; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 236 Nr. 2 c); Wieten, S. 61. 1190 Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 185. 1191 Hoge Raad vom 10.1.1958, NJ 1958, Nr. 78; Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Beukers, S. 116; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 33; Snijders/ Ynzonides/Meijer, S. 58; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 236 Nr. 2 c); Wieten, S. 61. 1192 Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Beukers, S. 116; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl.
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selben Sache ein weiteres einstweiliges Verfahren angestrebt werden. 1193 Allerdings wird der Kläger im zweiten kort geding wieder unterliegen, wenn er sein Begehren nicht auf neue Tatsachen stützt. 1194 Trägt er andere Tatsachen vor, kann eine erneute Untersuchung des Falles gegebenenfalls zu einem anderen Ergebnis führen. 1195 Im späteren Verfahren werden daher meist Tatsachen vorgetragen, die daraus resultieren, dass sich die Umstände nach Erlass der ersten Entscheidung geändert haben. 1196 Ein weiteres kort geding ist unzulässig, wenn sich der Verdacht eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens des Klägers aufdrängt. 1197 Rechtsmissbrauch liegt beispielsweise vor, wenn die im zweiten Verfahren präsentierten neuen Tatsachen im ersten Verfahren bewusst zurückgehalten worden sind. 1198 b) Wirkung des Hauptsacheurteils auf die kort geding-Entscheidung Es sind zwei Möglichkeiten denkbar, wie das Hauptsacheurteil auf die kort geding-Entscheidung wirkt. Das Hauptsacheurteil kann die im kort geding ergangene Entscheidung bestätigen oder sie aufheben. aa) Bestätigung der kort geding-Entscheidung durch das Hauptsacheurteil Das Hauptsacheurteil kann die kort geding-Entscheidung in der Weise bestätigen, dass letztere in Kraft bleibt. Dies ist der Fall, wenn das Hauptsacheurteil mit der kort geding-Entscheidung übereinstimmt und der Richter der Hauptsache die einstweilige Maßnahme weder aufheben noch ersetzen möchte. 1199
opm., Nr. 4 e). Kort geding-Entscheidungen kommt damit keine positive Rechtskraftwirkung zu, Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 33; van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 444. 1193 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 139; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 4 e). 1194 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 139. 1195 Beukers, S. 116; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 139. 1196 Beukers, S. 116. 1197 Hoge Raad vom 27.5.1983, NJ 1983, Nr. 600; Beukers, S. 116; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 139; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 4 e). Insofern kann eine kort gedingEntscheidung ausnahmsweise negative Rechtskraftwirkung haben, Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 33. 1198 Hoge Raad vom 8.10.1993, NJ 1994, Nr. 508; bestätigt in Hoge Raad vom 16.12.1994, NJ 1995, Nr. 213; Beukers, S. 116; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 131, S. 139. 1199 Hoge Raad vom 15.5.1998, NJ 1999, Nr. 569.
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bb) Divergenz von kort geding-Entscheidung und Hauptsacheurteil Die kort geding-Entscheidung und das Hauptsacheurteil können in ihren Ergebnissen aber auch divergieren. 1200 (1) Außerkraftsetzung der kort geding-Entscheidung infolge anderslautenden Hauptsacheurteils Eine anderslautende Entscheidung in der Hauptsache hat zur Folge, dass die einstweilige Maßnahme ihre Geltung ex tunc verliert und außer Kraft gesetzt wird. 1201 Falls der Richter der Hauptsache die Sach- und Rechtslage anders beurteilt als der kort geding-Richter, hebt er die einstweilige Maßnahme auf. 1202 (2) Zeitpunkt der Außerkraftsetzung Fraglich ist, wann die kort geding-Entscheidung durch ein Urteil in der Hauptsache ihre Geltung verliert. Die kort geding-Entscheidung könnte ihre Geltung schon mit der Verkündung des Hauptsacheurteils verlieren 1203 oder erst dann außer Kraft gesetzt werden, wenn das Urteil in der Hauptsache rechtskräftig wird. 1204 Die überwiegende Auffassung unterscheidet danach, ob das Hauptsacheurteil für vorläufig vollstreckbar erklärt wird oder nicht. Wenn ja, soll es die kort geding-Entscheidung sofort mit Verkündung außer Kraft setzen, wenn nein, soll die kort geding-Entscheidung fortgelten, bis es rechtskräftig geworden ist. 1205 1200 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 141 f.; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 1201 Bots, S. 93; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 21; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 16; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 a); Wieten, S. 61. Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298, unterscheiden zwischen der kort geding-Entscheidung und der in ihr getroffenen einstweiligen Maßnahme. Während erstere durch ein anderslautendes Hauptsacheurteil nicht berührt werde, soll letztere aufgrund des Hauptsacheurteils entfallen. Bei den übrigen zitierten Autoren ist eine dahingehende Differenzierung nicht eindeutig erkennbar. Stets jedoch muss die Geltung der einstweiligen Maßnahme mit dem Urteil in der Hauptsache enden. 1202 Hoge Raad vom 15.5.1998, NJ 1999, Nr. 569; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 a). 1203 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142; van Waarden, NJB 1984, 862. Der Hoge Raad scheint sich im Urteil vom 29.6.2001, RvdW 2001, Nr. 127, für den frühen Zeitpunkt der Verkündung auszusprechen. 1204 So noch Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht11, S. 231, die sich inzwischen auch der herrschenden Meinung angeschlossen haben: Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 1205 Meijers/Vermeulen, S. 146; Gras, S. 185; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 444 f.
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Die erstgenannte Auffassung hat den Nachteil, dass überhaupt keine gerichtliche Entscheidung mehr gelten kann, wenn die kort gedingEntscheidung schon mit der Verkündung des Hauptsacheurteils entfallen ist und das Hauptsacheurteil später in höherer Instanz aufgehoben wird. 1206 Die zweite Auffassung weckt insoweit Bedenken, als der Richter der Hauptsache die kort geding-Entscheidung nicht sofort mit seiner Entscheidung berichtigen kann, wenn er die Rechtslage anders einschätzt. 1207 Außerdem können danach zwei gegensätzliche Entscheidungen nebeneinander existieren. 1208 Wird das in der Hauptsache geforderte Verbot in erster Instanz abgewiesen und gegen die Abweisung Berufung eingelegt, dann kann ein Verbot aus dem kort geding noch jahrelang in Kraft bleiben. 1209 Über die Entscheidung, das Hauptsacheurteil für vorläufig vollstreckbar zu erklären oder nicht, kann die Geltungsdauer der einstweiligen Maßnahmen aus dem kort geding hingegen gesteuert werden. Widersprüche werden hierdurch vermieden. Deshalb ist diese Auffassung zu bevorzugen. (3) Verantwortlichkeit des Klägers für Nachteile wegen Vollstreckung der kort geding-Entscheidung Ein Problem ergibt sich im Falle divergierender Entscheidungen in Hauptsache und kort geding dadurch, dass die kort geding-Entscheidung vor dem Zeitpunkt, an dem sie aufgrund des Hauptsacheurteils außer Kraft gesetzt wird, häufig schon vollstreckt wurde. Der Beklagte muss die vorläufige Entscheidung zunächst befolgen. 1210 Erhält er im späteren Hauptsacheverfahren Recht, kann er den kort gedingKläger aber für eventuell erlittene Nachteile zur Verantwortung ziehen, 1211 weil das Hauptsacheurteil zurückwirkt. 1212 Der Beklagte kann beispielsweise den Betrag, den er gezahlt hat, um der Anordnung in der kort geding-Entscheidung Folge zu leisten, zurückfordern. 1213 Anspruchsgrundlage für die Rückforderung der Leistung ist das Bereicherungsrecht. 1214
1206
Snijders, NJ 1999, 3199 f. Snijders, NJ 1999, 3199 f. 1208 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142, Fn. 41. 1209 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142, Fn. 41. 1210 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236; van Nispen, Rechterlijk verbod en bevel, S. 444. 1211 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 143; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 31; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 1212 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 143; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298. 1213 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 1214 Art. 6:203 Abs. 1 BW, Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 1207
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Der Beklagte kann auch Schadensersatz verlangen. 1215 Die Schadensersatzpflicht beruht auf Art. 6:162 BW. Der Kläger hat den Schaden durch die Vollstreckung der einstweiligen Maßnahme kausal verursacht, wenn sich nach dem Urteil in der Hauptsache herausstellt, dass die einstweilige Maßnahme überhaupt nicht hätte erlassen werden dürfen. 1216 Handelte der Kläger auch schuldhaft, liegen die Voraussetzungen einer unerlaubten Handlung vor. 1217 Als unrechtmäßiges Handeln wird in diesem Zusammenhang schon die Drohung mit Vollstreckung verstanden, weil eine Drohung bereits ein bestimmtes Verhalten des Beklagten erreichen kann. 1218 (4) Behandlung des aufgrund der kort geding-Entscheidung geschuldeten Zwangsgeldes Einen finanziellen Nachteil kann der Beklagte auch dadurch erleiden, dass er ein Zwangsgeld im Sinne von Art. 611a ff. WBRv zahlen muss. Die Zahlungsverpflichtung entsteht, wenn der Beklagte gegen ein im kort geding auferlegtes Verbot verstößt, das für den Fall der Zuwiderhandlung mit einem Zwangsgeld verknüpft war. 1219 Fraglich ist, welche Auswirkungen ein zugunsten des Beklagten ausfallendes Hauptsacheurteil auf das von ihm geschuldete Zwangsgeld hat, ob das Zwangsgeld also geschuldet bleibt oder nicht. Die herrschende Meinung bejaht den Fortbestand der Schuld. 1220 Die Zahlungsverpflichtung für das Zwangsgeld folge aus dem Zuwiderhandeln gegen das im kort geding ausgesprochene Verbot und nicht daraus, dass 1215 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142 f.; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 1216 Hoge Raad vom 16.11.1984, NJ 1985, Nr. 547; Hoge Raad vom 19.2.1999, NJ 1999, Nr. 367; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142 f.; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236; van der Kwaak, WPNR 6358 (1999), 402, 403; van Rossum, NJB 1989, 1419. 1217 Hoge Raad vom 16.11.1984, NJ 1985, Nr. 547; Hoge Raad vom 19.2.1999, NJ 1999, Nr. 367; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142 f.; van der Kwaak, WPNR 6358 (1999), 402, 403; van Rossum, NJB 1989, 1419 f. 1218 Hoge Raad vom 16.11.1985, NJ 1985, Nr. 547; bestätigt in Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19; Hugenholtz/ Heemskerk, Nr. 133, S. 142 f. 1219 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 142; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 c). 1220 Hoge Raad vom 16.11.1985, NJ 1985, Nr. 547; bestätigt in Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 26; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 237; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 c).
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der Beklagte seinen Pflichten aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis nicht nachgekommen ist. 1221 Stelle sich in der Hauptsache heraus, dass das angenommene Rechtsverhältnis gar nicht bestanden habe, lasse das den Verstoß gegen das Verbot unberührt, denn dass der Beklagte das Verbot nicht befolgt habe, habe nichts mit der falschen Beurteilung des zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses zu tun. 1222 Demnach bleibt der Beklagte auch dann zur Zahlung des Zwangsgeldes verpflichtet, wenn er später in der Hauptsache Recht bekommt. Die Auferlegung des dem Gläubiger zufließenden Zwangsgeldes ist insoweit endgültig. 1223 Die Höhe des geschuldeten Zwangsgeldes richtet sich nach dem Zeitraum, während dessen der Verstoß aufrechterhalten wird, oder nach der Häufigkeit der Verstöße. 1224 Da das Zwangsgeld an das Verbot geknüpft ist, kann der Betrag durch Zuwiderhandlungen so lange steigen, wie das Verbot des kort geding in Kraft ist. 1225 c) Wirkung der kort geding-Entscheidung auf das Hauptsacheurteil Grundsätzlich darf eine kort geding-Entscheidung nicht im Widerspruch zu einer bereits ergangenen Hauptsacheentscheidung erlassen werden. 1226 In Ausnahmefällen wird dennoch der gewöhnliche Ablauf, dass eine einstweilige Maßnahme durch ein späteres Hauptsacheurteil außer Kraft gesetzt wird, umgekehrt und eine kort geding-Entscheidung entgegen dem Hauptsacheurteil erlassen. Ausnahmsweise kann die kort geding-Entscheidung auch dadurch auf das Hauptsacheurteil wirken, dass dieses über die Entscheidung im kort geding für vorläufig vollstreckbar erklärt wird. 1221
Hoge Raad vom 16.11.1985, NJ 1985, Nr. 547; bestätigt in Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19; TonkensGerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 c). 1222 Hoge Raad vom 16.11.1985, NJ 1985, Nr. 547; bestätigt in Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19; TonkensGerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 c). 1223 Hoge Raad vom 31.5.1963, NJ 1966, Nr. 336; Hoge Raad vom 16.11.1985, NJ 1985, Nr. 547; bestätigt in Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434; Hoge Raad vom 19.4.1991, NJ 1991, Nr. 629; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19; Hugenholtz/ Heemskerk, Nr. 133, S. 142; Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–8–12; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 299; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 237; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 257 Nr. 2 c). 1224 Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 208. 1225 Hoge Raad vom 31.5.1963, NJ 1966, Nr. 336; Hoge Raad vom 16.11.1985, NJ 1985, Nr. 547; Hoge Raad vom 22.12.1989, NJ 1990, Nr. 434; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 19. 1226 Hoge Raad vom 25.6.1982, NJ 1983, Nr. 194; Hoge Raad vom 19.5.2000, NJ 2001, Nr. 407; Blaauw/de Brujn-Luikinga, NJB 1985, 1109, 1111.
210
Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
aa) Kort geding-Entscheidung entgegen dem Hauptsacheurteil Der Richter kann sich im kort geding in Ausnahmefällen von der Hauptsache lösen, zum Beispiel, wenn das Hauptsacheurteil auf einer eindeutig falschen Würdigung der zugrunde liegenden Sach- und Rechtslage beruht und die Sache derart eilbedürftig ist, dass das Ende eines gegen das Urteil eingeleiteten Rechtsmittelverfahrens nicht abgewartet werden kann. 1227 Die Möglichkeit, eine kort geding-Entscheidung gegen das Hauptsacheurteil zu erlassen, besteht außerdem, wenn sich die Tatsachen und Umstände des Falles zwischenzeitlich geändert haben. 1228 Wenn Umstände hinzugetreten sind, die bei Erlass des Hauptsacheurteils noch nicht vorlagen oder wenn sich bereits vorliegende Umstände derart verändert haben, dass das Hauptsacheurteil nicht mit gleichem Inhalt ergangen wäre, ist eine solche kort geding-Entscheidung denkbar. 1229 Im Übrigen bleibt Raum für eine gegen das Hauptsacheurteil gerichtete einstweilige Maßnahme, solange die materielle Rechtskraft des Hauptsacheurteils noch nicht eingetreten ist. 1230 Dies steht nicht im Widerspruch zur endgültigen Wirkung von Entscheidungen in der Hauptsache. Endgültig ist ein Urteil erst, wenn es in der nächst höheren Instanz nicht mehr angefochten werden kann, also rechtskräftig geworden ist. 1231 Ein kort geding-Richter sollte jedoch nur äußerst zurückhaltend von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, um nicht das Vertrauen in den Bestand der Entscheidungen im ordentlichen Verfahren zu gefährden. Der kort geding-Richter muss sich außerdem dessen bewusst sein, dass er das Hauptsacheurteil weder ändern darf noch selbst dazu befugt ist, ein Hauptsacheurteil zu erlassen. 1232 Möglicher Inhalt einer zum Hauptsacheurteil konträren einstweiligen Maßnahme kann die Unterbrechung einer durch das Hauptsacheurteil aufgegebenen Verpflichtung mit Dauerwirkung sein. Eine solche Unterbrechung kann sich zum Beispiel als notwendig erweisen, wenn der zum Unterhalt Verpflichtete nicht mehr in der Lage ist, die Unterhaltsleistung zu erbringen. 1233
1227
Hoge Raad vom 19.5.2000, NJ 2001, Nr. 407; van Rossum, Uitvoerbaarheid, S. 22. Pres. Rb. ’s-Hertogenbosch vom 31.12.1980, NJ 1981, Nr. 280; Blaauw/de BrujnLuikinga, NJB 1985, 1109, 1111; Snijders, NJ 2001, 3046 f.; van Rossum, Uitvoerbaarheid, S. 22. 1229 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–19. 1230 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–14–18. 1231 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–14–18. 1232 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–19. 1233 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–19. 1228
M. Entscheidung
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bb) Erklärung des Hauptsacheurteils für vorläufig vollstreckbar über die Entscheidung im kort geding Bis zum 1. Januar 1992 war es eine Besonderheit des kort geding, dass jede Entscheidung sofort für vorläufig vollstreckbar erklärt werden konnte. 1234 Dies war im ordentlichen Verfahren nur in den von Art. 52 und 53 WBRv aF genannten Fällen zulässig. 1235 Art. 52 WBRv nF, der später zu Art. 233 Abs. 1 WBRv wurde, hat die Möglichkeit der Vollstreckbarerklärung zwar nicht wieder auf einen bestimmten Katalog von Fällen beschränkt. Allerdings ist im Hauptsacheverfahren nach Art. 233 WBRv ein Antrag des Klägers erforderlich, während die Vollstreckbarerklärung im kort geding gemäß Art. 258 WBRv von Amts wegen erfolgt. 1236 Aus diesem Unterschied ergibt sich ein weiterer Fall, in welchem eine kort geding-Entscheidung ausnahmsweise auf das Hauptsacheurteil einwirken kann. Hat der Richter der Hauptsache sein Urteil mangels Antrags nicht für vorläufig vollstreckbar erklärt, ist es möglich, eine Entscheidung gleichen Inhalts im kort geding zu beantragen und diese für vorläufig vollstreckbar erklären zu lassen. 1237 II. Entscheidung bei der Leistungsverfügung Auch die Entscheidung, mit der eine Leistungsverfügung ausgesprochen wird, weist im Hinblick auf ihren Inhalt im Vergleich zum Urteil in der Hauptsache einige Besonderheiten auf. 1. Inhalt der Leistungsverfügung Hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung der einstweiligen Maßnahme räumt § 938 Abs. 1 ZPO dem zuständigen Gericht grundsätzlich freies Ermessen ein. Der Richter soll diejenige Maßnahme anordnen, die zur Erreichung des Rechtsschutzziels des Antragstellers erforderlich ist. Erforderlich ist die einstweilige Maßnahme, die das Ziel des Antragstellers erreicht, zugleich aber den Antragsgegner am wenigsten beeinträchtigt. 1238 Die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme muss gewahrt werden. 1239 Be1234 Mendlik, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 73; van Rossum, Uitvoerbaarheid, S. 2 f. 1235 Mendlik, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 73; van Rossum, Uitvoerbaarheid, S. 2 f. 1236 Siehe oben S. 202. 1237 Numann, in: Vlas, Burgerlijke Rechtsvordering, Suppl. 285, Titel 2, afd. 14–20–24; van Maanen, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 234 Nr. 2. 1238 Hobbeling, S. 314; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 938 Rn. 7; Thümmel, in: Wieczorek/Schütze, ZPO, § 938 Rn. 7; Zhou, S. 52. 1239 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 4; Wannenmacher, S. 38.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
grenzt wird der Ermessensspielraum durch das vom Antragsteller benannte Rechtsschutzziel und durch das materielle Recht. 1240 Eine andere als die beantragte Maßnahme darf nicht erlassen werden, insoweit gilt auch im einstweiligen Verfahren die Bindung an den Antrag gemäß § 308 Abs. 1 ZPO. 1241 § 938 Abs. 2 ZPO nennt verschiedene Beispiele einstweiliger Verfügungen. So können sie darin bestehen, dass dem Gegner eine Handlung geoder verboten wird. 1242 Die Anordnung soll die Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vorwegnehmen, sondern im Verhältnis zum Hauptsacheanspruch ein Minus darstellen. 1243 Nur im Wege der Leistungsverfügung darf ausnahmsweise eine vorläufige Befriedigung, etwa eine Zahlung, angeordnet werden. 1244 Die Höhe des Betrages, der zugesprochen wird, richtet sich nach dem Bedarf in der bestehenden Situation und nicht nach dem geltend gemachten Anspruch. 1245 Zahlungen für die Vergangenheit sind nicht zulässig. 1246 In der Regel wird die Leistungsverfügung zeitlich befristet. 1247 Die erlassene Entscheidung muss genau bezeichnen, wozu der Antragsgegner verpflichtet wird, 1248 und vollstreckbar 1249 sein. Für den Fall der Zuwiderhandlung werden Leistungsverfügungen, die dem Gegner eine Handlung ge- oder verbieten, gemäß §§ 936, 928, 887, 888 Abs. 1, 890 ZPO oft mit der Androhung von Ordnungsmitteln versehen. 1250 Nach §§ 936, 921 Satz 2 ZPO können die Anordnung einer Leistungsverfügung oder ihre Vollziehung von der Erbringung einer Sicherheitsleistung abhängig gemacht werden. 1251 Dies gilt allerdings nicht für Geldleis-
1240
Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 72 f.; Hobbeling, S. 314. Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 2. 1242 Beispiele bei Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 12 f. 1243 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 3. 1244 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 3 f. 1245 OLG Rostock MDR 1996, 1183, 1184; Drescher, in: MüKo-ZPO, § 938 Rn. 25; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 24; Mossler, S. 25; Zhou, S. 52. 1246 OLG Celle NJW 1952, 1221; OLG Rostock MDR 1996, 1183, 1184; Mossler, S. 25; Zhou, S. 52. 1247 OLG Karlsruhe FamRZ 1980, 1117 f.; OLG Rostock MDR 1996, 1183, 1184; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 24; Mossler, S. 25; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 940 Rn. 6. 1248 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.29; Grunsky, JuS 1976, 277, 281; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 4. 1249 OLG Naumburg NJW-RR 1998, 873 f.; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.29; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 6; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 4. 1250 Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 938 Rn. 6; Wannenmacher, S. 38. 1251 Dazu KG WRP 2004, 112, 116 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 921 Rn. 7; Wannenmacher, S. 39. 1241
M. Entscheidung
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tungsverfügungen, weil der Antragsteller in derartigen Fällen gerade nicht über die finanziellen Mittel für eine solche Sicherheitsleistung verfügt. 1252 Einstweilige Verfügungen sind mit Erlass des Beschlusses oder mit Verkündung des Urteils sofort vollstreckbar. Einer ausdrücklichen Entscheidung hierüber bedarf es nicht. 1253 2. Verhältnis der Leistungsverfügung zum Hauptsacheurteil Das Verhältnis der Leistungsverfügung zum Hauptsacheurteil wird dadurch geprägt, dass die Entscheidung in der Hauptsache nicht an eine vorherige einstweilige Verfügung gebunden ist. Leistungsverfügungen können zwar formell rechtskräftig werden. Im Verhältnis zur Hauptsache entfalten sie aber keine materielle Rechtskraft. Formell rechtskräftig im Sinne des § 705 ZPO werden Leistungsverfügungen, wenn kein Rechtsbehelf mehr gegen sie eingelegt werden kann. Ist eine einstweilige Verfügung nach einer mündlichen Verhandlung durch Urteil erlassen worden, tritt die formelle Rechtskraft mit Ablauf der Frist zur Einlegung der Berufung bzw. dann ein, wenn die Berufungsinstanz entschieden hat. Ist die einstweilige Verfügung im Beschlusswege ergangen, besteht keine formelle Rechtskraft, solange der Beschluss mit einem Widerspruch gemäß §§ 936, 924 Abs. 1 ZPO angegriffen werden kann. Da der Widerspruch an keine Frist gebunden ist, wird die einstweilige Verfügung erst mit dem Verzicht auf den Widerspruch unangreifbar. 1254 Materielle Rechtskraft hinsichtlich der Hauptsache entfaltet eine Leistungsverfügung nicht. 1255 Die Leistungsverfügung führt nicht zwingend zur Erledigung der Hauptsache. 1256 Insbesondere, wenn eine Zahlungsanordnung betragsmäßig oder zeitlich begrenzt wurde, besteht weiterhin ein Rechtsschutzbedürfnis für die Verfolgung des Hauptsacheverfahrens. 1257 Einstweilige Maßnahmen greifen der Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht vor. Das Gericht der Hauptsache ist nicht an die Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz gebunden. 1258 Deshalb darf es die Klage in der Hauptsache abweisen, obwohl es dem Antrag im einstweiligen Verfahren stattgegeben hatte. Ursache hierfür kann sein, dass sich die tatsächli-
1252
Brox/Walker, Rn. 1640; Mossler, S. 26; Zhou, S. 46. BGH WRP 2009, 999, 1000; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 929 Rn. 1. 1254 Knothe, S. 226 f.; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 924 Rn. 9. 1255 Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 84; Mossler, S. 28; Zhou, S. 37. 1256 Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 84; Mossler, S. 31. 1257 Mossler, S. 31. 1258 Grunsky, JuS 1976, 277, 281; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 25; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 84. 1253
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
chen Umstände oder die rechtliche Beurteilung geändert haben. 1259 Sofern die Rechtslage im Hauptsacheverfahren anders beurteilt wird als noch im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, gilt dies auch rückwirkend für den Zeitraum, in dem die einstweilige Verfügung in Kraft war. 1260 Wurde infolge einer einstweiligen Verfügung eine Leistung erbracht und die Verfügung später wieder aufgehoben, dann kann der Antragsgegner das Geleistete nach den Grundsätzen des Bereicherungsrechts zurückfordern. 1261 Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, ob der Antragsgegner freiwillig oder im Wege der Zwangsvollstreckung geleistet hat. 1262 Auch durch den Schadensersatzanspruch gemäß § 945 ZPO wird das Risiko einer Fehlentscheidung kompensiert. 1263 Hinter dieser Vorschrift steht der Rechtsgedanke, dass der Antragsteller das Risiko der Vollstreckung aus einem noch nicht rechtskräftigen Titel und damit die Gefahr trägt, dass sein Begehren letztlich unbegründet ist. 1264 Gemäß § 945 ZPO kann der Antragsgegner Schadensersatz vom Antragsteller verlangen, sofern sich der Erlass einer Leistungsverfügung als von Anfang an ungerechtfertigt erweist und ihm ein Schaden entstanden ist. Das Tatbestandsmerkmal „von Anfang an ungerechtfertigt“ liegt nicht vor, wenn Umstände die Berechtigung verhindern, die erst aufgetreten sind, nachdem die einstweilige Maßnahme erlassen wurde. 1265 Von Anfang an ungerechtfertigt war vielmehr eine einstweilige Maßnahme, bei der Verfügungsanspruch oder -grund von vornherein fehlten. 1266 Zu ersetzen ist nach dem Gesetzeswortlaut der Schaden, welcher der gegnerischen Partei aus der Vollziehung der Maßnahme oder dadurch entstanden ist, dass zur Abwendung der Vollziehung eine Sicherheit geleistet wurde. Bei der Leistungsverfügung ist auch der Schaden zu ersetzen, der durch eine Leistung verursacht wurde, welche die Vollziehung der Verfügung abwenden sollte. 1267 Der Schadensersatzanspruch dürfte im Fall einer auf Zahlung ge1259 Grunsky, JuS 1976, 277, 281; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 25; Leipold, in: Gilles, Effiziente Rechtsverfolgung, S. 113, 129. 1260 Leipold, in: Gilles, Effiziente Rechtsverfolgung, S. 113, 129. 1261 Grunsky, JuS 1976, 277, 286; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 25; Zhou, S. 59. 1262 Grunsky, JuS 1976, 277, 286. 1263 Grunsky, JuS 1976, 277, 280; Schilken, in: 50 Jahre BGH, S. 593, 596. 1264 BGHZ 131, 141, 143; BGH NJW 1990, 122, 124; MDR 2007, 148 f.; WRP 2009, 999, 1000 f.; Prütting/Stickelbrock, § 47; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 945 Rn. 3; Zhou, S. 59. 1265 Grunsky, JuS 1976, 277, 286; Schilken, in: 50 Jahre BGH, S. 593, 603. 1266 BGHZ 168, 352, 357; BGH NJW 1988, 3268, 3269; NJW-RR 1992, 733, 736; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 945 Rn. 17; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 945 Rn. 7; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 945 Rn. 8; Zhou, S. 59. 1267 BGH NJW 1974, 642, 644; NJW 1996, 198, 199; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.22; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 945 Rn. 4; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 945 Rn. 22; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 945 Rn. 1, 15; Zhou, S. 60.
N. Rechtsbehelfe
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richteten Leistungsverfügung allerdings schwer durchsetzbar sein, denn Voraussetzung für den Erlass der Leistungsverfügung war gerade das Vorliegen einer Notlage des Antragstellers. 1268 Der Anspruch aus § 945 ZPO entsteht unabhängig von einem Verschulden des Antragstellers. 1269 Der Antragsteller macht sich auch dann schadensersatzpflichtig, wenn er annehmen durfte, dass sein Anspruch bestand. 1270
N. Rechtsbehelfe N. Rechtsbehelfe
Ein kort geding muss nicht nach einer Instanz beendet sein, denn die kort geding-Entscheidung kann mit Rechtsmitteln angefochten werden. Auch gegen eine Leistungsverfügung stehen Rechtsbehelfe zur Verfügung. I. Rechtsbehelfe gegen korte gedingen Das niederländische Recht unterscheidet zwischen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln (gewone en buitengewone rechtsmiddelen). 1271 Als ordentliche Rechtsmittel gegen kort geding-Entscheidungen stehen Berufung 1272 und Revision 1273 sowie bei Versäumnisurteilen der Einspruch 1274 zur Verfügung. 1275 Als außerordentliche Rechtsmittel kommen Drittwiderspruch 1276 und Widerruf 1277 in Betracht. 1278 Der wichtigste Unterschied zwischen ordentlichen und außerordentlichen Rechtsmitteln besteht darin, dass nur ordentliche Rechtsmittel aufschiebende Wirkung haben. 1279 Im kort geding werden die meisten Entscheidungen allerdings für vorläufig
1268
Grunsky, JuS 1976, 277, 286; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 25. Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 945 Rn. 1; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 25; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 945 Rn. 13; Zhou, S. 59. 1270 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 945 Rn. 19; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 945 Rn. 2. 1271 Ernes, S. 105. 1272 Hoger beroep gemäß Art. 332–362 WBRv. 1273 Cassatie gemäß Art. 398–429 WBRv. 1274 Verzet gemäß Art. 259 Satz 1, Art. 143–148 WBRv. 1275 Bots, S. 98; Ernes, S. 105; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235; Verheugt, S. 376 f. 1276 Verzet door derden gemäß Art. 376–380 WBRv. 1277 Herroeping gemäß Art. 382–391 WBRv. 1278 Bots, S. 99; Ernes, S. 105; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 134, S. 144; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 306. 1279 Bots, S. 98; Ernes, S. 105. 1269
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
vollstreckbar erklärt 1280, so dass keine aufschiebende Wirkung eintritt und dieser Unterschied keine Rolle spielt. Die außerordentlichen Rechtsmittel werden in der Praxis nur sehr selten eingesetzt, 1281 weshalb hier auf eine nähere Erörterung verzichtet wird. 1282 1. Besonderheiten im Instanzenzug des kort geding Besondere Vorschriften für die Berufung und die Revision gegen kort geding-Entscheidungen bestehen nicht. Deshalb sind die Regelungen des ordentlichen Verfahrens auf das kort geding anwendbar, soweit es dessen Charakter als Eilverfahren erlaubt. 1283 Der Instanzenzug des kort geding enthält einige Besonderheiten, die sich aus dem Zusammentreffen der verschiedenen Anforderungen ergeben, die einerseits an das kort geding als Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes und andererseits an das Rechtsmittelverfahren als zusätzliche Kontroll- und Begründungsinstanz gestellt werden. Die Eilbedürftigkeit der dem kort geding zugrunde liegenden Situation muss auch noch im Zeitpunkt bestehen, in dem das Berufungsurteil ergeht. 1284 Infolge der Eilbedürftigkeit gilt im kort geding nicht die Dreimonatsfrist der Art. 339 Abs. 1, 402 Abs. 1 WBRv für die Einlegung der Berufung, sondern Fristen von vier bzw. acht Wochen ab dem Tag der Urteilsverkündung gemäß Art. 339 Abs. 2 und Art. 402 Abs. 2 WBRv. Bemerkenswert ist, dass die Kumulation von kort geding und Hauptsacheverfahren zu einem Prozess über insgesamt sechs Instanzen führen kann. 1285 Wie in der Hauptsache sind im kort geding drei Instanzen 1286 eröffnet. Da die eigentliche Funktion des kort geding aber darin liegt, ein 1280 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 364; Mendlik, in: Keijser/TjoenTak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 73; van Rossum, Uitvoerbaarheid, S. 2 f. 1281 Ernes, S. 105. 1282 Näher dazu zum Beispiel van den Berg-Smit/Hulsewé, in: Hendrikse/Jongbloed, Burgerlijk procesrecht, S. 240 ff. und Winters, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 376–380 (Drittwiderspruch) bzw. ders., aaO, Art. 382–391 (Widerruf). 1283 Hoge Raad vom 9.12.1966, NJ 1967, Nr. 76; Hoge Raad vom 19.10.1984, NJ 1985, Nr. 189; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 134, S. 143; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 32; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 305. 1284 Hoge Raad vom 23.1.1998, NJ 2000, Nr. 544; Hoge Raad vom 30.6.2000, NJ 2001, Nr. 389; Hoge Raad vom 31.5.2002, RvdW 2002, Nr. 94; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 305; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 39. 1285 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 299; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235; van Nispen, NTBR 1994, 154, 155. 1286 Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 134; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 134, S. 143; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 32; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 5.
N. Rechtsbehelfe
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Rechtsverhältnis vorläufig zu regeln, bis das Urteil in der Hauptsache ergeht, mündet das kort geding nach der ersten Instanz im Idealfall in ein ordentliches Verfahren. Ein Prozess über sechs Instanzen hat Seltenheitswert, 1287 weil er kostspielig und langwierig ist, was die Parteien mit einem kort geding normalerweise gerade vermeiden wollen. Alle Instanzen von kort geding und Hauptsache werden im Übrigen nur selten ausgeschöpft, weil ein Urteil des Hoge Raad stets Autorität genießt, auch wenn es sich um die Revision zu einer kort geding-Entscheidung handelt. Ein Gericht wird sich in der ersten Instanz des Hauptsacheverfahrens kaum gegen das letztinstanzliche kort geding-Urteil in derselben Sache stellen. 1288 Oft führt es auch deshalb nicht weiter, alle Instanzen von kort geding und Hauptsache auszuschöpfen, weil sich der Ablauf von Berufung und Revision bis auf die kürzeren Fristen nicht wesentlich vom Ablauf des Hauptsacheverfahrens unterscheidet 1289 und die Chancen einer anderen Entscheidung in einer höheren Instanz der Hauptsache hierdurch gering sind, falls nicht neue Beweismittel oder Tatsachen eingebracht werden können 1290. Sind die Streitgegenstände in kort geding und Hauptsache gleich, besteht außerdem das Risiko einer Doppelung des Verfahrens. Um eine Wiederholung des kort geding in der Hauptsache zu verhindern, wird vorgeschlagen, dem kort geding-Richter die Befugnis zu verleihen, sein Urteil im kort geding als Hauptsacheurteil zu verkünden, falls ihm keine weitere Untersuchung der Tatsachen erforderlich erscheint. 1291 Die Konsequenz wäre in diesem Fall, dass nur noch der normale dreigliedrige Instanzenzug offenstünde. 1292 Dieser Vorschlag missachtet aber die Unterschiede von kort geding und Hauptsache. Beispielsweise kann sich der Beklagte im kort geding wegen der kurzen Dauer des Verfahrens weniger ausführlich verteidigen, weil die Vorbereitungszeit kürzer und die formellen wie inhaltlichen Anforderungen geringer sind. Für ein ordentliches Verfahren
1287
Seltene Beispiele sind: Hoge Raad vom 4.6.1965, NJ 1965, Nr. 381 (letzte Instanz des kort geding) und Hoge Raad vom 28.6.1974, NJ 1974, Nr. 400 (letzte Instanz der Hauptsache). 1288 Asser/Schaafsma-Beversluis, WPNR 6185 (1995), 394, 396; Ernes, S. 70. 1289 Asser/Schaafsma-Beversluis, WPNR 6185 (1995), 394, 396; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235. 1290 Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235. 1291 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 299. Asscher, NJB 1986, 338, 339, möchte dies durch Verweisung auf das ordentliche Verfahren erreichen. Ablehnend Asser/Schaafsma-Beversluis, WPNR 6185 (1995), 394, 396; van Nispen, NTBR 1994, 154, 155. 1292 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 299.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
kann dies unzureichend sein. 1293 Würde das kort geding in der Berufung in ein ordentliches Verfahren umgewandelt, müsste der Beklagte in der nunmehr letzten Tatsacheninstanz eine ausgefeilte Verteidigungsstrategie gleichsam aus dem Hut zaubern. Seine Chancen wären durch die plötzliche Umwandlung in ein ordentliches Verfahren geschmälert. Sinnvoll kann das Ausschöpfen der Instanzen im kort geding sein, wenn die Rückerstattung von Zwangsgeld begehrt wird. Die Anordnung eines Tuns oder Unterlassens, deren Zuwiderhandlung mit dem Zwangsgeld bestraft wurde, aber auch die Auferlegung des Zwangsgeldes selbst können im Rechtsmittelverfahren angegriffen werden. Während das Ge- oder Verbot entweder in der Berufung des Hauptsacheverfahrens oder des kort geding zur erneuten Untersuchung gebracht werden kann, muss ein im kort geding verhängtes Zwangsgeld in einer höheren kort geding-Instanz rückgängig gemacht werden. 1294 Ein Hauptsacheurteil – sei es in der ersten oder in der zweiten Instanz – kann zwar zur Unwirksamkeit der kort gedingEntscheidung führen, lässt aber das geschuldete Zwangsgeld unberührt. 1295 Anders ist dies im Falle einer erfolgreichen Berufung gegen die kort geding-Entscheidung. Wird die kort geding-Entscheidung in der Berufungsinstanz des kort geding für nichtig erklärt, verliert sie ex tunc jede Wirkung. 1296 Alle Folgen der Entscheidung müssen dann rückgängig gemacht und der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt werden. 1297 Auch Zwangsgelder müssen zurückgezahlt werden. 1298 Ein anders als die kort geding-Entscheidung ausfallendes Hauptsacheurteil hat diese Auswirkung nicht. 2. Einzelne Rechtsmittel Die Rechtsmittel, die im Einzelnen vorgestellt werden sollen, sind der Einspruch, die Berufung und die Revision.
1293
Asser/Schaafsma-Beversluis, WPNR 6185 (1995), 394, 396; van Nispen, NTBR 1994, 154, 155. 1294 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298 f. 1295 Siehe dazu S. 208 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 6 c) und Art. 257 Nr. 2 c). 1296 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 143; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298. 1297 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 32; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 6 a). 1298 Benelux-Gerechtshof vom 14.4.1983, NJ 1983, Nr. 615; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 133, S. 143; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 32; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 298; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 237.
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a) Einspruch Gegen ein im kort geding ergangenes Versäumnisurteil 1299 kann gemäß Art. 259 Satz 1 WBRv Einspruch (verzet) eingelegt werden. Hierfür ist der kort geding-Richter zuständig, der schon das Versäumnisurteil erlassen hat. 1300 Der Beklagte, der im vorangehenden Verfahren nicht gehört wurde, weil er weder selbst zur Verhandlung erschienen ist noch einen Prozessvertreter geschickt hat, bekommt infolge eines zulässigen Einspruchs erneut die Möglichkeit, sich zu verteidigen. 1301 Faktisch setzt das Einspruchsverfahren dann das ursprüngliche Verfahren fort. 1302 Für das Verfahren gelten alle auf das kort geding zugeschnittenen Vorschriften. 1303 Daneben sind die das Einspruchsverfahren regelnden Art. 143–148 WBRv anwendbar. 1304 Nach Art. 143 Abs. 2 Satz 1 WBRv ist der Einspruch innerhalb von vier Wochen unter Darlegung einer Begründung einzulegen und zwar gemäß Art. 259 Satz 1 WBRv beim Eilrichter. Eine Abweichung zum kort geding vor dem Einspruch ergibt sich für die Prozessvertretung aus Art. 259 Satz 2, der auf Art. 255 Abs. 1, 79 Abs. 2 Satz 1 WBRv verweist. Daraus folgt, dass sich beide Parteien durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen müssen, es sei denn, es handelt sich um eine Kantonsache. b) Berufung Die Vorschriften über das Berufungsverfahren (beroep) in Art. 332–362 WBRv gelten auch für ein kort geding-Urteil, soweit der durch Eile gekennzeichnete Charakter des kort geding keine Abweichungen notwendig macht. 1305 Aus Amsterdam wird berichtet, dass nur gegen 8% der Urteile im kort geding Berufung eingelegt wird. 1306 1299
Die Voraussetzungen für den Erlass eines Versäumnisurteils nennen Art. 139–142 WBRv. 1300 Ernes, S. 106; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 38. 1301 Ernes, S. 106; Tonkens/Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 259 Nr. 3 a); Verheugt, S. 376. 1302 Ernes, S. 106. 1303 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 305; Tonkens/Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Art. 259 Nr. 3 a). 1304 Ernes, S. 70; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 134, S. 143. 1305 Hoge Raad vom 9.12.1966, NJ 1967, Nr. 76; Bots, S. 98; Ernes, S. 105; Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 134, S. 143; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 305; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235 f.; Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 5 d). 1306 Blankenburg/Leipold, in: Blankenburg/Leipold/Wollschläger, Neue Methoden im Zivilverfahren, S. 109, 115.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Gemäß Art. 332 Abs. 1 Satz 1 WBRv ist die Berufung statthaft bei Forderungen über 1.750 Euro, auch bei Entscheidungen in Kantonsachen. 1307 Ist die Beschwer niedriger, so hat die in erster Instanz unterlegene Partei in Kantonsachen gemäß Art. 80 Abs. 1 RO in bestimmten Fällen die Möglichkeit, in Revision zu gehen. Die Frist für die Berufung gegen eine kort geding-Entscheidung bestimmt Art. 339 Abs. 2 WBRv mit vier Wochen ab Verkündung des Urteils. Zuständig sind für Berufungssachen nach Art. 60 Abs. 1 RO die Gerichtshöfe (gerechtshoven). Gemäß Art. 353 Abs. 1 WBRv müssen sich die Parteien vor dem Berufungsgericht durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. In der Berufungsinstanz überprüft und bewertet das Gericht erneut die zugrunde liegenden Tatsachen. 1308 Der Ablauf ähnelt demjenigen der ersten Instanz. Die Berufung beginnt nach Art. 343 Satz 1 WBRv mit einer Ladung (dagvaarding). Anders als in der ersten Instanz muss die dagvaarding keine Begründung enthalten. Die Begründung muss vielmehr erst in einem der erstinstanzlichen Klageschrift ähnelnden Schriftsatz (conclusie van eis) geliefert werden, auf welchen gemäß Art. 347 Abs. 1 WBRv die Klagerwiderung des Berufungsbeklagten (conclusie van antwoord) folgt. Im Gegensatz zum Verfahren der Eingangsinstanz, in welchem oft mehrere Schriftsätze verfasst werden, 1309 bleibt es bei einem Austausch von Schriftsätzen zwischen den Parteien. Ein Nachteil der Anlehnung der kort geding-Berufung an die des ordentlichen Verfahrens ist ein vergleichsweise langsamer Prozessverlauf, der den Bedürfnissen eines kort geding eigentlich widerspricht. Klagen über die zeitliche Dimension der zweiten Instanz führten zu Überlegungen, wie die Berufung schneller abgewickelt werden kann. 1310 Das Resultat waren besondere Bestimmungen für ein Schnellverfahren in der Berufung, dem spoedappel in kort geding. Diese Bestimmungen wurden in ein für alle fünf Gerichtshöfe geltendes Reglement 1311 aufgenommen. Art. 1 des Reglements verlangt, dass ein Antrag des Berufungsklägers auf Durchführung eines spoedappel schon in der dagvaarding zur Einleitung des Berufungsverfahrens gestellt werden muss. Außerdem müssen die Berufungsgründe und ihre Erläuterung in der dagvaarding vermerkt werden. Das Gericht hat dann die Eilbedürftigkeit der Sache zu prüfen. Liegt die Eilbe1307
Bots, S. 98; von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 38. Ernes, S. 106. 1309 Siehe dazu im Hinblick auf das kort geding und das Hauptsacheverfahren S. 181 ff. 1310 Bots, S. 98. 1311 Reglement voor Spoedappel in kort geding bij de vijf gerechtshoven, Stb. 1996, 141, wiedergegeben auch bei Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, Bijlage 1, S. 313– 315. 1308
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dürftigkeit tatsächlich vor, wird das Verfahren als spoedappel behandelt. Der Berufungsbeklagte erhält daraufhin innerhalb einer vierzehntägigen Frist Gelegenheit zur Stellungnahme. Art. 2 des Reglements eröffnet dem Berufungsbeklagten in der ersten Verhandlung die Möglichkeit, ein spoedappel zu beantragen. In diesem Fall muss der Kläger innerhalb einer Woche die Berufung begründen, sofern dies noch nicht geschehen ist. Im Anschluss daran wird dem Beklagten eine Frist von höchstens zwei Wochen gewährt, binnen derer er auf diese Begründung eingehen kann. Art. 3–5 des Reglements regeln den Verlauf der mündlichen Verhandlung. Festgelegt ist u. a., dass die Parteien nur jeweils 20 Minuten Zeit für ihr Plädoyer zur Verfügung haben. Nach Art. 6 des Reglements muss das Gericht so zügig wie möglich sein Urteil verkünden. Gemäß Art. 8 des Reglements können die in Art. 1 ff. vorgesehenen Termine und Fristen in einem Fall äußerster Eile sogar noch weiter verkürzt werden (Turbo-kort geding 1312). c) Revision Die Revision (beroep in cassatie) richtet sich nach Art. 398–429 WBRv. Da diese Vorschriften des ordentlichen Verfahrens auch für das kort geding gelten, 1313 ist die Revision gegen eine im kort geding ergangene Entscheidung gemäß Art. 398 WBRv zulässig gegen Berufungsurteile oder gegen Urteile erster Instanz, falls die Parteien eine Sprungrevision vereinbart haben. Für das Revisionsverfahren zuständig ist gemäß Art. 78 Abs. 1 RO der Hoge Raad. Die Frist für die Einlegung der Revision beträgt nach Art. 402 Abs. 2 WBRv in korte gedingen acht Wochen ab dem Tag der Urteilsverkündung. War eine Berufung nicht statthaft, gilt für die Revision im kort geding die gleiche Frist wie im ordentlichen Verfahren, 1314 die gemäß Art. 402 Abs. 1 WBRv drei Monate beträgt. Nach Art. 419 WBRv ist das Revisionsgericht an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gebunden. Der Hoge Raad untersucht nur Rechtsfragen. Daher wird auch die Eilbedürftigkeit einer Sache als Tatfrage nicht mehr überprüft. 1315 Gemäß Art. 79 Abs. 1 lit. a und b RO kann die 1312 Tonkens-Gerkema, in: van Nispen/van Mierlo/Polak, Burgerlijke Rechtsvordering, Boek 1, Titel 2, Afd. 14, Inl. opm., Nr. 5 g). 1313 Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 306; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 235 f. 1314 Hugenholtz/Heemskerk, Nr. 134, S. 143 f.; Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 305. Dies bezweifelt von Schmidt auf Altenstadt, TCR 2003, 37, 38, der davon ausgeht, dass der Hoge Raad, der sich – soweit ersichtlich – bisher nicht geäußert hat, die Acht-Wochen-Frist befürwortet. 1315 Hoge Raad vom 1.12.1972, NJ 1973, Nr. 111; Hoge Raad vom 7.11.1980, NJ 1981, Nr. 295; Ernes, S. 67.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Revision entweder auf Verfahrensfehler gestützt werden, infolge derer das Urteil nichtig ist, oder auf sonstige Rechtsverletzungen. Für die Revision gegen Urteile des Kantongerichts, gegen die keine Berufung eingelegt werden konnte, gelten die speziellen Revisionsgründe des Art. 80 Abs. 1 RO. Die Revisionsschrift muss gemäß Art. 407 Abs. 2 Satz 1 WBRv lediglich die Revisionsgründe enthalten. Art. 411 Abs. 1 Satz 1 WBRv erlaubt dem Beklagten, darauf zu erwidern. Aus Art. 412 Abs. 2, 417 und 418 Abs. 1 WBRv geht hervor, dass auch Plädoyers gehalten werden können. Diese Plädoyers übernehmen die Prozessvertreter, die den Prozess für die Parteien führen. Zur Prozessvertretung sind gemäß Art. 409 Abs. 1 WBRv nur die beim Hoge Raad zugelassenen Rechtsanwälte befugt. Eine Besonderheit des Revisionsverfahrens ist, dass laut Art. 418 Abs. 1 WBRv nach dem Einreichen der Schriftsätze und den Plädoyers der in jedem Verfahren vor dem Hoge Raad anwesende procureur-generaal zur Sache Stellung nimmt und dem Gericht einen Entscheidungsvorschlag unterbreitet. Der Hoge Raad hat dann verschiedene Entscheidungsmöglichkeiten. Ist das Rechtsmittel zulässig, kann er die Revision als unbegründet zurückweisen oder das angegriffene Urteil aufheben. Wird die Revision als unbegründet zurückgewiesen, kann die Urteilsbegründung gemäß Art. 81 RO kurz gefasst werden und sich auf die Erläuterung beschränken, warum die betreffende Rechtsfrage nicht im Interesse von Rechtseinheit und Rechtsfortbildung durch den Hoge Raad beurteilt werden muss. Hebt das Gericht das angefochtene Urteil auf, dann richtet sich der Fortgang des Verfahrens nach Art. 420–424 WBRv. Grundsätzlich soll der Hoge Raad in diesem Fall gemäß Art. 420 WBRv selbst entscheiden. Müssen aber noch weitere Tatsachen aufgeklärt werden, verweist der Hoge Raad den Rechtsstreit zurück, Art. 421 WBRv. Sind keine Tatsachen- sondern Rechtsfragen ungeklärt, lässt Art. 422 WBRv dem Hoge Raad die Wahl, ob er selbst eine Entscheidung trifft oder den Rechtsstreit zurückverweist. Das Revisionsverfahren eines kort geding unterscheidet sich nicht grundlegend von der Revision im ordentlichen Verfahren. Trotz verkürzter Fristen dauert das Verfahren regelmäßig lange, weshalb es unzutreffend wäre, noch von einem Schnellverfahren zu sprechen. 1316 Ein besonders zügiges Revisionsverfahren, das entsprechend dem spoedappel auf die besonderen Bedürfnisse eines einstweiligen Verfahrens abgestimmt ist, kennt das niederländische Recht grundsätzlich nicht. In dringenden Ausnahmefällen kann allerdings auf ausdrückliches Ersuchen des Revisionsklägers, ein beschleunigtes Verfahren durchgeführt werden. 1317 1316 1317
Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 305. Snijders/Ynzonides/Meijer, S. 306.
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II. Rechtsbehelfe gegen Leistungsverfügungen Die Rechtsbehelfe gegen Leistungsverfügungen richten sich nach Inhalt und Form der Verfügungsentscheidung. Wurde eine Leistungsverfügung durch Urteil erlassen oder abgelehnt, steht dem durch die Entscheidung Beschwerten unter den Voraussetzungen der §§ 511–541 ZPO die Berufung offen. Eine Revision findet gegen derartige Urteile gemäß § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO nicht statt. Hier zeigt sich, dass die Rechtsbehelfsmöglichkeiten bei Leistungsverfügungen im Vergleich zu denjenigen bei korte gedingen eingeschränkter sind. Wurde die Leistungsverfügung im Wege eines Beschlusses erlassen, kann der Schuldner Widerspruch gemäß §§ 924 Abs. 1, 936 ZPO einlegen. Der Widerspruch hat keinen Suspensiv- oder Devolutiveffekt. Gemäß §§ 924 Abs. 3 Satz 1, 936 ZPO wird durch die Erhebung des Widerspruchs die Vollziehung der einstweiligen Verfügung nicht gehemmt. Zuständig für das Widerspruchsverfahren ist das Gericht, das den Beschluss erlassen hat. Entschieden wird nach einer mündlichen Verhandlung durch Endurteil gemäß §§ 925 Abs. 1, 936 ZPO. Den Inhalt des Urteils bestimmt § 925 Abs. 2 ZPO. Danach kann die einstweilige Verfügung vollständig oder nur zum Teil bestätigt, abgeändert oder aufgehoben werden. Aufgehoben wird die einstweilige Verfügung, wenn das Gericht den Antrag als von Anfang an oder zum Schluss der mündlichen Verhandlung im Widerspruchsverfahren unbegründet ansieht. 1318 Gemäß § 939 ZPO kann die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung gegen Sicherheitsleistung nur unter besonderen Umständen gestattet werden. Gegen das Urteil ist die Berufung gemäß §§ 511 ff. ZPO statthaft. Gegen ein Versäumnisurteil kann gemäß §§ 338 ff. ZPO Einspruch eingelegt werden. Fraglich ist, ob der Antragsteller Widerspruch oder Berufung einlegen kann, wenn ein Beschluss erlassen wurde, obgleich ein Urteil hätte ergehen müssen, weil eine mündliche Verhandlung durchgeführt worden ist. Zum einen wird hier vertreten, dass einzig die Berufung statthaft sei, weil dem Antragsteller kein Rechtsbehelf zustehen könne, den er im Falle einer ordnungsgemäßen Entscheidung nicht hätte. 1319 Zum anderen wird auf den Grundsatz der Meistbegünstigung verwiesen, nachdem dem Antragsteller ein Wahlrecht zwischen Widerspruch und Berufung eingeräumt werden müsse. 1320 Wurde das Verfügungsgesuch in Form eines Beschlusses zurückgewiesen, kann nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sofortige Beschwerde eingelegt 1318
Mossler, S. 29. OLG Karlsruhe NJW 1987, 509. 1320 Brox/Walker, Rn. 1645. 1319
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werden. Eine Rechtsbeschwerde ist gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 2, 542 Abs. 2 ZPO nicht statthaft. Gegen eine bestandskräftige einstweilige Verfügung kann sich der Antragsgegner wehren, indem er ein Aufhebungsverfahren einleitet. Gemäß §§ 926, 936 ZPO kann die Aufhebung einer einstweiligen Verfügung beantragt werden, wenn die Frist zur Klageerhebung in der Hauptsache versäumt wurde. Eine Frist zur Erhebung der Klage in der Hauptsache setzt das Gericht dem Gläubiger gemäß § 926 Abs. 1 ZPO auf Antrag des Schuldners. Die Entscheidung ergeht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss. 1321 Das Gericht kann dem Gläubiger eine Frist von zwei bis vier Wochen zur Erhebung der Klage in der Hauptsache setzen. 1322 Wird der Anordnung keine Folge geleistet, muss die einstweilige Verfügung gemäß §§ 926 Abs. 2, 936 ZPO auf Antrag des Schuldners aufgehoben werden. § 926 ZPO ist auch auf Leistungsverfügungen anwendbar. 1323 Ein Aufhebungsantrag kann ferner wegen veränderter Umstände gemäß §§ 927, 936 ZPO gestellt werden. Von einer Änderung der für den Erlass der einstweiligen Verfügung grundlegenden Umstände wird gesprochen, wenn die Erlassvoraussetzungen nachträglich entfallen sind 1324 oder wenn die Monatsfrist zur Vollziehung gemäß § 929 Abs. 2 ZPO abgelaufen ist. 1325 Das Erbieten des Schuldners zur Sicherheitsleistung im Sinne von § 927 Abs. 1 ZPO reicht nur unter den strengen Anforderungen des § 939 ZPO. Besondere Umstände im Sinne von § 939 ZPO sind gegeben, wenn das Ziel der einstweiligen Verfügung durch die Sicherheitsleistung des Schuldners erreicht werden kann. 1326 Zusätzlich soll eine Aufhebung gegen Sicherheitsleistung erfordern, dass auf Seiten des Schuldners Umstände eingetreten sind, welche die typischerweise mit einer Vollziehung verbundenen Nachteile übersteigen. 1327 Nicht anwendbar ist § 927 ZPO nach sei-
1321 Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 926 Rn. 7; Huber, in: Musielak, ZPO, § 926 Rn. 11; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 926 Rn. 4. 1322 Huber, in: Musielak, ZPO, § 926 Rn. 11; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 926 Rn. 15 f. 1323 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 936 Rn. 5. 1324 Brox/Walker, Rn. 1648, 1527; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 927 Rn. 3 f.; Mossler, S. 29; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 927 Rn. 12 f.; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 927 Rn. 12 ff. 1325 Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 927 Rn. 15; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 927 Rn. 17. 1326 Brox/Walker, Rn. 1648; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 939 Rn. 1; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 939 Rn. 2; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 939 Rn. 1. 1327 Brox/Walker, Rn. 1648; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 939 Rn. 1; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 939 Rn. 2; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 939 Rn. 2.
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nem Sinn und Zweck, wenn die einstweilige Verfügung eine einmalige Geldzahlung angeordnet hat und diese bereits erbracht wurde. 1328 Wenn das Amtsgericht gemäß § 942 Abs. 1 oder 2 ZPO über die einstweilige Verfügung entschieden und den Erlass der Verfügung mit Beschluss 1329 im Sinne des § 942 Abs. 4 ZPO verweigert hat, kann der Gläubiger gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sofortige Beschwerde einlegen. Mit dem Erlass einer beantragten einstweiligen Verfügung muss das Amtsgericht dem Antragsteller gemäß § 942 Abs. 1 ZPO zugleich von Amts wegen eine Frist setzen, innerhalb derer er die Ladung des Antragsgegners zur Verhandlung über die Rechtmäßigkeit der Verfügung beim Gericht der Hauptsache zu beantragen hat. Die Frist beträgt üblicherweise eine Woche. 1330 Hat der Gläubiger innerhalb der gesetzten Frist kein Rechtfertigungsverfahren vor dem Gericht der Hauptsache eingeleitet, hebt das Amtsgericht die einstweilige Verfügung gemäß § 942 Abs. 1, 3, 4 ZPO auf Antrag des Schuldners durch Beschluss auf. Dagegen ist die sofortige Beschwerde analog § 934 Abs. 4 ZPO statthaft. 1331 Lehnt das Amtsgericht die Aufhebung ab, kann der Schuldner gemäß § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO sofortige Beschwerde einlegen. Hat das Amtsgericht gemäß § 926 ZPO die Klageerhebung in der Hauptsache binnen einer bestimmten Frist angeordnet und ist der Gläubiger dieser Anordnung nicht nachgekommen, so entscheidet das Gericht der Hauptsache über die Aufhebung, auch wenn es bis dahin noch nicht mit dem Rechtsstreit befasst war. 1332 Gleiches gilt bei einer Aufhebung wegen veränderter Umstände gemäß § 927 ZPO. 1333 Die Möglichkeit des Widerspruchs im Sinne des § 924 gibt es bei einstweiligen Verfügungen nach § 942 ZPO nicht, sondern nur das dort geregelte Rechtfertigungsverfahren. 1334 Hat der Gläubiger dieses Rechtfertigungsverfahren fristgerecht eingeleitet, wird entsprechend § 924 Abs. 2 Satz 2 ZPO eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Anschließend wird 1328
Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 936 Rn. 6; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 936 Rn. 5; Knothe, S. 352; Mossler, S. 29. 1329 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 6; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 942 Rn. 3. 1330 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 8; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 942 Rn. 7. 1331 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 18; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 942 Rn. 14; Huber, in: Musielak, ZPO, § 942 Rn. 9; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 942 Rn. 8; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 942 Rn. 6; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 942 Rn. 17. 1332 OLG Schleswig NJW-RR 1997, 829; Jauernig/Berger, § 37 Rn. 31. 1333 Jauernig/Berger, § 37 Rn. 31. 1334 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 10; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 936 Rn. 4; Huber, in: Musielak, ZPO, § 916 Rn. 10; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 936 Rn. 6.
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durch Urteil entschieden. 1335 Dagegen ist gemäß § 511 ZPO die Berufung statthaft, nicht jedoch wegen § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO die Revision. Ergeht in der mündlichen Verhandlung ein Versäumnisurteil, kann gemäß §§ 338 ff. ZPO Einspruch eingelegt werden. Der Schuldner muss das Rechtfertigungsverfahren nicht abwarten. Er kann auch selbst die Initiative ergreifen und einen Termin zur mündlichen Verhandlung beantragen. 1336 Wichtig ist, dass das Gericht der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Verfügung entscheidet. Das folgt daraus, dass § 942 ZPO die Zuständigkeit des Amtsgerichts vollumfänglich regelt, das Widerspruchsverfahren aber nicht erfasst. 1337 Ist das Landgericht das Gericht der Hauptsache, muss das Amtsgericht entsprechend § 281 ZPO verweisen. 1338 Insbesondere bei einstweiligen Verfügungen auf dem Gebiet des Wettbewerbsrechts kommt es zu einem Verzicht auf Rechtsbehelfe. 1339 Um klare Verhältnisse zu schaffen, kann der Antragsteller seinen Gegner dazu auffordern, im Rahmen einer Abschlusserklärung 1340 auf Widerspruch und Aufhebung zu verzichten und die ergangene einstweilige Verfügung als endgültig anzuerkennen. 1341
O. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen O. Anerkennung und Vollstreckung ausländ. einstw. Maßnahmen
Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen richtet sich vorrangig nach Staatsverträgen oder EU-Recht. In Zivil-
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Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 13; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 942 Rn. 11; Huber, in: Musielak, ZPO, § 942 Rn. 8; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 942 Rn. 12. 1336 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.11; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 11. 1337 OLG Schleswig NJW-RR 1997, 829; Brox/Walker, Rn. 1645; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 12; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 942 Rn. 4; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 942 Rn. 9 f. 1338 Baur/Stürner/Bruns, Rn. 54.11; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 10 f.; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 942 Rn. 10; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 942 Rn. 4; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 942 Rn. 10. 1339 Ahrens, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap. 58 Rn. 15–24; Brox/Walker, Rn. 1646; Huber, in: Musielak, ZPO, § 936 Rn. 3; Rosenberg/Gaul/Schilken, Zwangsvollstreckungsrecht, § 79 Rn. 25. 1340 Siehe oben S. 81. 1341 Ahrens, in: Ahrens, Wettbewerbsprozess, Kap. 58 Rn. 32–37; Brox/Walker, Rn. 1646; Huber, in: Musielak, ZPO, § 936 Rn. 3.
O. Anerkennung und Vollstreckung ausländ. einstw. Maßnahmen
227
und Handelssachen sind Art. 32–52 EuGVO von besonderer Bedeutung. 1342 Das autonome Recht in den Niederlanden zeigt sich bei einstweiligen Maßnahmen anerkennungsfeindlich. 1343 Im autonomen deutschen Recht ist die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen ebenfalls im Grundsatz ausgeschlossen. 1344 Ausnahmen werden aber bei Leistungsverfügungen gemacht. 1345 I. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen in den Niederlanden Das autonome niederländische Recht ist hinsichtlich der Anerkennung und Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen weniger liberal als die geltenden Staatsverträge und Verordnungen. Auch die Zivilprozessreform von 2002 hat dies nicht geändert. Gemäß Art. 431 Abs. 1 WBRv dürfen ausländische Entscheidungen vorbehaltlich der Regelungen in Art. 985–994 WBRv in den Niederlanden nicht anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. Die Streitigkeiten können nach Art. 431 Abs. 2 WBRv stattdessen nochmals vor einem niederländischen Richter verhandelt werden, der unter Umständen seinerseits eine Entscheidung erlässt. Angesichts des Wortes „können“ in Art. 431 Abs. 2 WBRv wurde eine Anerkennung in bestimmten Fällen ausnahmsweise für möglich gehalten. 1346 Hierfür hat die Rechtsprechung verschiedene Voraussetzungen herausgearbeitet. 1347 Erstens muss der ausländische Richter zuständig gewesen sein. Zweitens muss dem Antragsgegner rechtliches Gehör gewährt worden sein. Drittens darf die ausländische Entscheidung nicht gegen den
1342
Siehe dazu S. 373 ff. Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 184; Schütze, in: Geimer/Schütze, EuZVR, E.16 (Länderbericht Niederlande) Rn. 10 ff.; Strikwerda, Inleiding, S. 269. 1344 Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 70; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 266; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 2; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 134; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328; Wolf, EWS 2000, 11, 17. 1345 OLG München IPRax 1992, 174, 175; Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223 f.; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 70; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 80; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. 1346 Strikwerda, Inleiding, S. 269 f. 1347 Hoge Raad vom 14.11.1924, NJ 1925, Nr. 91; Hoge Raad vom 17.5.1991, NJ 1991, Nr. 505; Hof ’s-Hertogenbosch vom 9.10.1996, NIPR 1997, Nr. 73; Hof Amsterdam vom 21.3.1996, NIPR 1997, Nr. 362. Vgl. auch Franx, NIPR 2003, 11, 13; Strikwerda, Inleiding, S. 274 f. 1343
228
Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
niederländischen ordre public verstoßen. Viertens muss die ausländische Entscheidung im Erlassstaat rechtskräftig geworden sein. Hinsichtlich der Zuständigkeit wird verlangt, dass sie auf ein international akzeptiertes Anknüpfungskriterium gestützt wurde. 1348 Dies können zum Beispiel der Wohnsitz des Antragsgegners oder der Tatort einer unerlaubten Handlung sein. Im Zuge der Gewährung rechtlichen Gehörs muss sichergestellt worden sein, dass der Antragsgegner die Gelegenheit zur Rechtsverteidigung hatte. 1349 Ob ein ordre public-Verstoß vorliegt, wird von Fall zu Fall entschieden. Das größte Problem stellt sich bei der Anerkennung ausländischer einstweiliger Maßnahmen hinsichtlich des Erfordernisses der Rechtskraft. Ob eine Entscheidung rechtskräftig geworden ist, beurteilt sich nach dem Recht des Erlassstaates. Typischerweise werden einstweilige Maßnahmen nicht rechtskräftig. Gerade wenn einstweilige Maßnahmen auf vorläufige Befriedigung gerichtet sind, also die Hauptsache bereits vorwegnehmen, muss eine Anerkennung aber möglich sein. In diesen Fällen sollte es ausreichen, dass eine ausländische einstweilige Maßnahme vollstreckbar ist. 1350 Gemäß Art. 985 Satz 1 WBRv können ausländische Entscheidungen nur dann vollstreckt werden, wenn ein Staatsvertrag oder ein Gesetz dies bestimmt. In Zivil- und Handelssachen fehlt ein solches Gesetz, so dass ausländische Entscheidungen auf diesen Gebieten der Vollstreckung nicht zugänglich sind. Darüber hinweg hilft ein verkapptes Exequaturverfahren. 1351 Wird eine Streitigkeit gemäß Art. 431 Abs. 2 WBRv neu vor einem niederländischen Richter verhandelt, kann dieser seinerseits eine Entscheidung erlassen. Zuständig ist das Gericht an dem Ort, wo die Entscheidung später vollstreckt werden soll. Wenn die von der Rechtsprechung entwickelten Anerkennungsvoraussetzungen erfüllt sind, unterbleibt eine nähere Prüfung der Sache. Es erfolgt eine Verurteilung entsprechend dem Inhalt der ausländischen Entscheidung. 1352 Das verkappte Exequaturverfahren kann auch bei der Vollstreckbarerklärung ausländischer einstweiliger Maßnahmen durchgeführt werden. Unkomplizierter dürfte es für den Antragsteller allerdings sein, stattdessen ein kort geding einzuleiten, um eine einstweilige Maßnahme nach niederländischem Recht zu erlangen. 1353
1348
S. 275. 1349
Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 216; Strikwerda, Inleiding,
Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 216 f. Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 217. 1351 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 215. 1352 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 215. 1353 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 217 f. 1350
O. Anerkennung und Vollstreckung ausländ. einstw. Maßnahmen
229
II. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen in Deutschland Die Voraussetzungen für die Anerkennung ausländischer Urteile nach autonomem deutschem Recht enthält § 328 ZPO. Gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist es erforderlich, dass der ausländische Richter auch bei hypothetischer Geltung der deutschen Zuständigkeitsregeln international zuständig gewesen wäre (Spiegelbildprinzip 1354). § 328 Abs. 1 Nr. 2 ZPO bestimmt die Anforderungen an die Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftstücks. § 328 Abs. 1 Nr. 3 ZPO beugt einander widersprechenden Entscheidungen vor. Ausweislich § 328 Abs. 1 Nr. 4 ZPO darf das Ergebnis der Anerkennung der ausländischen Entscheidung nicht mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar sein. Gemäß § 328 Abs. 1 Nr. 5 ZPO muss die Gegenseitigkeit verbürgt sein. 1355 Darüber hinaus muss die ausländische Entscheidung den Rechtsstreit endgültig beigelegt haben und in Rechtskraft erwachsen sein. 1356 An diesen Kriterien scheitert die Anerkennung ausländischer einstweiliger Maßnahmen in aller Regel. 1357 Eine Ausnahme wird allerdings wegen der faktischen Endgültigkeit bei Leistungsverfügungen gemacht. 1358 Ein anderer Ansatzpunkt könnte darin bestehen, nach dem Gerichtsstand, an dem die einstweilige Maßnahme erlassen wurde, zu differenzieren. Anerkannt werden könnten jedenfalls die in einem Hauptsachegerichtsstand ergangenen Maßnahmen. 1359 Die Vollstreckung ausländischer Entscheidungen setzt ihre Vollstreckbarerklärung, also einen inländischen Hoheitsakt voraus, der als Exequatur bezeichnet wird. 1360 Die Vollstreckbarerklärung erfolgt nach §§ 722, 723 1354
BGHZ 120, 334, 337; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 101 ff.; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 8a; Schack, IZVR5, Rn. 922 ff.; von Hoffmann/Thorn, IPR, § 3 Rn. 160. 1355 Dazu BGHZ 59, 116, 121; BGH NJW 1999, 3198, 3201 f.; NJW 2001, 524, 525; Geimer, IZPR, Rn. 2879 f.; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 20; Schack, IZVR5, Rn. 964 ff. 1356 Eilers, S. 223; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 264; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 2 f.; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 134; Schack, IZVR5, Rn. 910; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. 1357 Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223; Gottwald, ZZP 103 (1990), 257, 266; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 134; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328; Wolf, EWS 2000, 11, 17. 1358 OLG München IPRax 1992, 174, 175; Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223 f.; Geimer, in: Zöller, ZPO, § 328 Rn. 70; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 328 Rn. 2; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 80; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. 1359 Schack, IZVR5, Rn. 917. Nach Auffassung von Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 220, ergibt sich dies bereits aus § 328 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. 1360 Schack, IZVR5, Rn. 1024 f.
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
ZPO in einem Vollstreckungsurteil, das auf eine Vollstreckungsklage hin erlassen wird. Gemäß § 723 Abs. 2 ZPO wird die Entscheidung eines ausländischen Gerichts aber nur für vollstreckbar erklärt, wenn sie im Erlassstaat bereits Rechtskraft erlangt hat und die Anerkennung nicht nach § 328 ZPO ausgeschlossen ist. Weil einstweilige Maßnahmen weder rechtskräftig werden noch gemäß § 328 ZPO anerkannt werden können, ist auch eine Vollstreckbarerklärung gemäß §§ 722, 723 ZPO regelmäßig ausgeschlossen. 1361 Anders wird dies nur bei Leistungsverfügungen beurteilt, weil sie ähnlich rechtskräftigen Entscheidungen durch ihre Befriedigungswirkung für den Zeitraum ihrer Geltung de facto endgültig sind. 1362
P. Zusammenfassung der Ergebnisse P. Zusammenfassung der Ergebnisse
Im Rahmen der Gegenüberstellung des kort geding und der Leistungsverfügung hat sich gezeigt, dass die beiden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes neben einigen Übereinstimmungen viele deutliche Unterschiede aufweisen. Den zweiten Teil zusammenfassend sind die folgenden Ergebnisse festzuhalten. I. Charakterisierung Das kort geding kann charakterisiert werden als ein Verfahren zur Klärung von Rechtsstreitigkeiten in eilbedürftigen Fällen, in denen die Abwägung der Interessen der Parteien den der Hauptsache vorangehenden Erlass einer einstweiligen Maßnahme rechtfertigt. Dabei darf der Antrag wie in der Hauptsache auf Leistung gerichtet sein. Leistungsverfügungen können als einstweilige Maßnahmen beschrieben werden, die inhaltlich das gleiche Ziel wie das Hauptsacheverfahren verfolgen und die deshalb nur ergehen dürfen, wenn der Erlass einer Maßnahme nur vorläufigen Inhalts den Antragsteller nicht vor dem irreparablen Schaden bewahren würde, der bei einem Abwarten auf das Urteil in der Hauptsache einzutreten droht.
1361 Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223; Geimer, IZPR, Rn. 3107; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 79; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. 1362 Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223 f.; Geimer, IZPR, Rn. 3107; Matscher, ZZP 95 (1982), 170, 180; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 80; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328.
P. Zusammenfassung der Ergebnisse
231
II. Historische Wurzeln Das kort geding hat seinen Ursprung im französischen référé. Gesetzlich verankert im niederländischen Recht ist es seit der Einführung des WBRv im 19. Jahrhundert. Das Institut der Leistungsverfügung wurde nicht durch das französische référé geprägt. Auch wurde die Leistungsverfügung nicht in die ZPO von 1877 als eigenständiges Verfahren neben dem Arrest sowie der Sicherungs- und der Regelungsverfügung aufgenommen. Das Reichsgericht erklärte Leistungsverfügungen aber schon im 19. Jahrhundert in bestimmten Konstellationen für zulässig. III. Bedeutung Das kort geding wurde anfangs nur sporadisch eingesetzt. Ursache hierfür war vor allem die Auslegung des Art. 292 WBRv aF (Art. 257 WBRv nF), wonach die vorläufige Entscheidung im kort geding keinen Nachteil in der Hauptsache verursachen darf. Die Formulierung legte man früher so aus, dass der kort geding-Richter mit keinem Aspekt seiner Entscheidung das Urteil in der Hauptsache vorwegnehmen darf, weil der Richter der Hauptsache daran gebunden wäre. Im Unterschied dazu gilt als Adressat des jetzigen Art. 257 WBRv nicht mehr der kort geding-Richter, sondern der Richter der Hauptsache. Nach diesem Verständnis verdeutlicht Art. 257 WBRv lediglich, dass der Hauptsacherichter nicht an die Entscheidung des kort geding-Richters gebunden ist. Dadurch hat der Richter im vorläufigen Verfahren an Handlungsspielraum gewonnen. Die heute sehr große Bedeutung des kort geding im niederländischen Prozessrecht lässt sich zwar nicht an der Anzahl der ordentlichen verglichen mit den vorläufigen Verfahren ermessen, jedoch an dem Umstand, dass auf 95% aller verkürzten Verfahren kein Hauptsacheverfahren mehr folgt, weil die Parteien die ergangene Entscheidung akzeptieren. Faktisch übernimmt das kort geding damit die Funktion des Hauptsacheverfahrens. Das kort geding befriedigt insoweit die Rechtsschutzbedürfnisse der modernen, schnelllebigen Gesellschaft, die eine lange Verfahrensdauer scheut. Wie beim kort geding ist bei einstweiligen Verfahren des deutschen Rechts eine im Verhältnis zum ordentlichen Verfahren geringe quantitative Bedeutung festzustellen. Die Leistungsverfügung erlangt allerdings ebenfalls zunehmend Bedeutung als Ersatz für die Hauptsache. IV. Gesetzliche Regelung Die Grundregeln zum kort geding finden sich in Art. 254–259 WBRv. Für Sonderfälle und außerhalb des Zivilrechts gelten spezielle Regelungen.
232
Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Lücken in den Grundregeln zum kort geding werden durch Auslegung oder entsprechende Anwendung der Vorschriften zum ordentlichen Verfahren geschlossen. Eine präzisere gesetzliche Regelung hätte den Vorteil höherer Rechtssicherheit, würde dem kort geding jedoch seine Flexibilität nehmen. Diese ermöglicht eine schnelle Entscheidung entsprechend den Bedürfnissen des jeweiligen Einzelfalles. Die Leistungsverfügung beruht, abgesehen von einigen Spezialvorschriften, wie § 246 und § 247 FamFG, auf keiner eigenen gesetzlichen Grundlage. Anders als die Sicherungsverfügung gemäß § 935 und die Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO handelt es sich bei der Leistungsverfügung um eine Schöpfung der Rechtsprechung. Auf Leistungsverfügungen anwendbar sind aber die Vorschriften zu den Sicherungs- und Regelungsverfügungen in §§ 935 ff. ZPO. Über § 936 ZPO sind auch die Arrestvorschriften entsprechend anzuwenden. Eine vergleichbare Verknüpfung zwischen arrestähnlichen einstweiligen Verfahren und korte gedingen kennt das niederländische Zivilprozessrecht nicht. V. Abgrenzung zu anderen schnellen Verfahren Vom kort geding abzugrenzen sind andere schnelle Verfahren oder Methoden zur Verfahrensbeschleunigung. So ist der Erlass einstweiliger Maßnahmen auch gemäß Art. 223 WBRv möglich, vorausgesetzt, ein Hauptsacheverfahren ist bereits anhängig. Art. 117 WBRv eröffnet dem Kläger im ordentlichen Verfahren die Gelegenheit, einen Antrag auf Verkürzung der Ladungsfristen zu stellen. Im deutschen Zivilprozessrecht existieren außerhalb des einstweiligen Rechtsschutzes mit dem Mahnverfahren gemäß §§ 688–703d ZPO, dem Urkundenverfahren gemäß §§ 592–605a ZPO und dem Bagatellverfahren gemäß § 495a ZPO weitere Verfahren, mittels derer innerhalb kurzer Zeit ein auf Zahlung oder sonstige Leistung gerichteter Titel erlangt werden kann. VI. Akzessorietät Das Gesetz ordnet keine formelle Akzessorietät zwischen kort geding und Hauptsache an. Das Hauptsacheverfahren muss also nicht zwingend durchgeführt werden. Die Parteien entscheiden, ob sie ein Hauptsacheverfahren an das kort geding anschließen oder nicht. Sie bestimmen, ob eine kort geding-Entscheidung vorläufig bleibt und durch das Hauptsacheurteil ersetzt werden kann oder ob sie das Rechtsverhältnis endgültig regeln soll. Die materielle Akzessorietät hängt deshalb vom Fortgang des konkreten Falles ab. Das kort geding kann sich als bloßes Vorbereitungsstadium der Haupt-
P. Zusammenfassung der Ergebnisse
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sache erweisen oder aber die Streitigkeit ähnlich wie ein ordentliches Verfahren zum Abschluss bringen. Ein Antrag auf Erlass einer Leistungsverfügung kann ebenfalls unabhängig davon gestellt werden, ob die Hauptsache bereits anhängig ist. Ein Hauptsacheverfahren schließt sich auch nicht automatisch an das einstweilige Verfahren an. Ist das Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig, kann der Antragsgegner gemäß §§ 926 Abs. 1, 936 ZPO aber beantragen, dass der Antragsteller, der die einstweilige Verfügung erwirkt hat, innerhalb einer vom Gericht zu setzenden Frist Klage erheben muss. Wird die Klage nicht fristgerecht erhoben, so wird die einstweilige Verfügung gemäß §§ 926 Abs. 2, 936 ZPO auf Antrag aufgehoben. VII. Funktion Kort geding und Leistungsverfügung übernehmen im Vergleich zum ordentlichen Verfahren eine spezielle Funktion im Gefüge des Prozessrechts. Gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv besteht die Funktion des kort geding darin, eine vorläufige Entscheidung in dringenden Fällen zu ermöglichen. Diese gesetzlich vorgesehene Aufgabe korrespondiert allerdings immer weniger mit der tatsächlichen Funktion des verkürzten Verfahrens in der Rechtswirklichkeit. Faktisch übernimmt das kort geding oft die Aufgabe des ordentlichen Verfahrens, wenn sich wie in 95% aller Fälle keine Hauptsache mehr an das einstweilige Verfahren anschließt. Mit der gestiegenen Akzeptanz der Leistungsverfügung und mit der Tendenz zur Ersetzung des Hauptverfahrens durch Eilverfahren verliert auch im deutschen Zivilprozessrecht der Grundsatz des Verbots der Vorwegnahme der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz an Bedeutung. VIII. Gegenstand Bei korte gedingen wie bei Leistungsverfügungen kommt eine Vielzahl möglicher Verfahrensgegenstände in Betracht. Es bestehen nahezu keine Einschränkungen für den Inhalt von korte gedingen, solange ein Fall eilbedürftig ist. Bei Leistungsverfügungen kommt jeder materielle Anspruch als Verfügungsanspruch in Betracht. Nur bei wenigen Ansprüchen sind Leistungsverfügungen regelmäßig ausgeschlossen, weil es bei ihnen typischerweise an einem Anordnungsgrund fehlt. Die auf Leistung gerichteten einstweiligen Verfügungen lassen sich nach der Art des ihnen zugrunde liegenden Anspruchs in verschiedene Fallgruppen unterteilen. Am häufigsten sind Zahlungs- und Unterlassungsverfügungen. Den auf einmalige oder wiederkehrende Zahlung lautenden einstweiligen Verfügungen liegen meist für
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
den Gläubiger lebensnotwendige Unterhalts-, Gehalts- oder Rentenansprüche zugrunde. IX. Rolle des Richters Hinsichtlich der Rolle des Richters zeigen sich beim kort geding und bei der Leistungsverfügung deutliche Unterschiede. Kort geding-Richter verfügen über eine starke Machtfülle und genießen hohe Wertschätzung. Ihnen wird nicht nur zugestanden schnell, sondern – falls nötig – auch intensiv einzugreifen. Demgegenüber ist die Rolle des Richters bei der Leistungsverfügung im Vergleich zu der im ordentlichen Verfahren nicht besonders herausgehoben. Wenn das Landgericht zuständig ist, hat der Vorsitzende grundsätzlich kein Alleinentscheidungsrecht, anders als in den Niederlanden, wo stets ein Einzelrichter entscheidet. Wenn allerdings ein Fall besonderer Dringlichkeit im Sinne von § 944 ZPO vorliegt, kann der Vorsitzende anstatt des Gerichts entscheiden. X. Zuständigkeit Die internationale Zuständigkeit ergibt sich in der überwiegenden Mehrzahl grenzüberschreitender einstweiliger Fälle aus Staatsverträgen und EUVerordnungen. Im Übrigen muss zur Bestimmung der internationalen Zuständigkeit auf das autonome Recht zurückgegriffen werden. Bis Ende 2001 kannte das WBRv so gut wie keine Regelungen zur internationalen Zuständigkeit. Die Vorschriften über die örtliche Zuständigkeit wurden deshalb doppelfunktional angewendet. Mangels ausdrücklicher Regelung der örtlichen Zuständigkeit für das kort geding wurden die Gerichtsstände für das ordentliche Verfahren herangezogen. Daneben kam das forum acti, also das Gericht, in dessen Bezirk eine einstweilige Maßnahme vollzogen werden sollte, in Betracht. Das Inkrafttreten des neuen WBRv am 1. Januar 2002 brachte für die internationale Zuständigkeit gravierende Änderungen mit sich. Seither finden sich in den ersten 14 Artikeln des neuen WBRv ausdrückliche Regelungen. Art. 2 WBRv bestimmt als Ausgangspunkt zur Ermittlung der internationalen Zuständigkeit den Wohnsitz des Beklagten in den Niederlanden. Der zuvor beliebte Klägergerichtsstand des Art. 126 Abs. 3 WBRv aF wurde gestrichen. Eine weitere auffallende Änderung gegenüber der alten Rechtslage ist die gesetzliche Regelung von Gerichtsstandsvereinbarungen. Art. 1 ff. WBRv enthalten zwar keine eigene Zuständigkeitsregelung für das kort geding. Als einstweilige Maßnahme fällt das kort geding aber unter Art. 13 WBRv. Danach ist die internationale Zuständigkeit niederländischer Gerichte für einstweilige Maßnahmen nicht schon dadurch ausge-
P. Zusammenfassung der Ergebnisse
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schlossen, dass für die Hauptsache keine internationale Zuständigkeit besteht. Die Zuständigkeit ergibt sich damit aus Art. 13 in Verbindung mit Art. 1 ff. WBRv. Sachlich zuständig für korte gedingen ist gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv der voorzieningenrechter oder gemäß Art. 254 Abs. 4 WBRv der kantonrechter. Die örtliche Zuständigkeit ist für das kort geding nicht ausdrücklich geregelt. Die für die dagvaardingsprocedure vor den Rechtbanken geltenden Regelungen über die örtliche Zuständigkeit (Art. 99–110 WBRv) finden entsprechende Anwendung. Außerdem sieht die Rechtsprechung weitere ungeschriebene Zuständigkeiten vor. Ergebnis dieses Zusammenspiels ist eine großzügige örtliche Zuständigkeit. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für einstweilige Verfügungen ergibt sich vorrangig aus Staatsverträgen und EUVerordnungen. Auch im autonomen deutschen Recht werden in Hauptsacheverfahren die Vorschriften zur örtlichen Zuständigkeit doppelfunktional herangezogen. Die örtliche indiziert die internationale Zuständigkeit. Dies gilt ebenfalls für die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen. Daher ergibt sich die internationale Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Verfügungen vorrangig aus §§ 937 Abs. 1, 943 Abs. 1, in dringenden Fällen auch aus § 942 Abs. 1 ZPO. Gemäß §§ 937 Abs. 1, 802 ZPO ist für den Erlass einstweiliger Verfügungen das Gericht der Hauptsache sachlich und örtlich ausschließlich zuständig. Das Gericht der Hauptsache ist nach § 943 Abs. 1 ZPO das Gericht des ersten Rechtszuges. Gemäß § 942 Abs. 1 ZPO kann in dringenden Fällen auch das Amtsgericht, in dessen Bezirk sich der Streitgegenstand befindet, eine einstweilige Verfügung erlassen. Im Übrigen kennt das deutsche Zivilprozessrecht keinen Eilrichter, der speziell für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig wäre. XI. Voraussetzungen Die gesetzlichen Voraussetzungen des kort geding sind seit 2002 in Art. 254 Abs. 1 und Art. 256 WBRv niedergelegt. Das Gesetz knüpft den Erlass eines kort geding an die Geeignetheit der Streitigkeit zur Entscheidung im vorläufigen Verfahren, die Eilbedürftigkeit der Sache, eine Abwägung der Parteiinteressen sowie die Vorläufigkeit der zu erlassenden Maßnahme. Detailliertere Anforderungen wurden vermieden, damit das Verfahren in eilbedürftigen Fällen flexibel eingesetzt werden kann. Wo die Rechtsprechung Konkretisierungsbedarf sah, präzisierte sie den Inhalt der bestehenden Voraussetzungen. Zum Merkmal der Geeignetheit heißt es in Art. 256 WBRv, dass der kort geding-Richter den Erlass einer einstweiligen Maßnahme verweigern
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
kann, wenn er sie für nicht geeignet („niet geschikt“) hält, um im vorläufigen Verfahren entschieden zu werden. Einige typische Konstellationen fehlender Geeignetheit wurden im Laufe der Zeit in Fallgruppen zusammengefasst. Ein kort geding kann an mangelnder Geeignetheit scheitern, wenn ebenso gut wie ein kort geding ein ordentliches Verfahren durchgeführt werden könnte oder wenn für die Streitigkeit ein anderer Rechtsweg eröffnet ist, der ebenfalls schnell zu einer einstweiligen Maßnahme zu führen verspricht. Streitigkeiten, deren Tatsachenlage derart unklar ist, dass sie in einem einstweiligen Verfahren nicht adäquat beurteilt werden kann, können einer Regelung im kort geding unzugänglich sein. Entsprechend kann die Durchführung eines verkürzten Verfahrens deshalb versagt werden, weil die sich stellenden Rechtsfragen zu komplex sind. Die Voraussetzung der Eilbedürftigkeit ergibt sich aus zwei verschiedenen Formulierungen in Art. 254 Abs. 1 WBRv. Zum einen spricht Art. 254 Abs. 1 WBRv von eilbedürftigen Sachen („spoedeisende zaken“), zum anderen vom Erlass einer einstweiligen Maßnahme („onmiddellijke voorziening“). Eilbedürftigkeit liegt vor, wenn sofortiges Handeln geboten ist und der Abschluss des ordentlichen Verfahrens nicht abgewartet werden kann. Oft werden heutzutage sehr geringe Anforderungen an die Eilbedürftigkeit gestellt. In Anlehnung an Art. 291 WBRv aF gilt der Zeitrahmen immer dann als zu lange, wenn durch das Abwarten des ordentlichen Verfahrens ein großer, irreparabler Nachteil droht. Es wird aber auch schon als ausreichend erachtet, dass Höhe oder Umfang des Schadens während des Hauptverfahrens zuzunehmen drohen. Nach heutiger Auffassung ist eine Prüfung der Eilbedürftigkeit nur dann erforderlich, wenn der Beklagte das Vorliegen der die Eile begründenden Umstände bestreitet. Da die Eilbedürftigkeit aber die Weiche dafür stellt, ob der Weg eines vorläufigen oder eines ordentlichen Verfahrens eingeschlagen werden kann, sollte ihr Vorliegen stets von Amts wegen geprüft werden. Nachdem der Richter die Eilbedürftigkeit einer Sache bejaht hat, muss er gemäß Art. 254 Abs. 1 WBRv die Interessen der Parteien („de belangen van partijen“) gegeneinander abwägen. Ziel der Abwägung ist es zu prüfen, ob der Eingriff in Rechtspositionen des Beklagten durch eine einstweilige Maßnahme gerechtfertigt ist oder nicht. Die Abwägung der widerstreitenden Parteiinteressen bildet das Kernstück der Aufgabe des Richters im kort geding. Nach dem Gesetzeswortlaut sind die Parteiinteressen für die Abwägung maßgeblich. Darüber hinaus kann eine von Zweckmäßigkeitserwägungen geleitete Abwägung erfolgen, innerhalb derer auch Interessen Dritter oder der Allgemeinheit eine Rolle spielen können. In der Mehrzahl der Fälle orientiert sich der kort geding-Richter bei seiner Entscheidung auch am Ergebnis seiner Prüfung der Rechtslage. Dann stellt die Überle-
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gung, ob der Richter der Hauptsache einen Anspruch des Klägers bejahen wird oder nicht, einen wesentlichen Faktor in der Abwägung dar. Schließlich muss der im kort geding zu klärende Rechtsstreit den Erlass einer Maßnahme mit – grundsätzlich – vorläufiger Wirkung erfordern. Art. 254 Abs. 1 WBRv verleiht dem kort geding-Richter die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen auf Vorrat („onmiddellijke voorziening bij voorraad“). Kort geding-Maßnahmen können hinsichtlich ihres Inhalts, ihrer Dauer oder ihres Umfangs vorläufig sein. Der Inhalt von Maßnahmen im kort geding ist insofern immer vorläufig, als die Entscheidung nicht gemäß Art. 236 Abs. 1 WBRV materiell rechtskräftig werden kann. Eine kort geding-Entscheidung ist in jedem weiteren kort geding oder ordentlichen Verfahren zwischen denselben Parteien nicht bindend. Bezüglich der zeitlichen Dauer bedeutet die Vorläufigkeit, dass eine Maßnahme typischerweise das Rechtsverhältnis bis zur endgültigen Entscheidung im Hauptsacheverfahren regelt. Zu beachten ist aber, dass die Vorläufigkeit nicht zwingend mit einer zeitlich limitierterten Geltung einer Maßnahme gleichzusetzen ist. Denn Art. 254 WBRv enthält gerade keine Pflicht zur Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. An ein kort geding, das eine Zahlung anordnet, werden strengere Maßstäbe angesetzt. In noch stärkerem Maße als andere verkürzte Verfahren wird das kort geding für Geldforderungen durch die Einschätzung der Chancen im Hauptsacheverfahren beherrscht. Bevor der kort gedingRichter eine vorläufige Zahlungsanordnung erlässt, hat er die Interessen der Parteien gegeneinander abzuwägen, wobei er besonderes Augenmerk auf das Restitutionsrisiko legen muss. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die Gefahr, dass ein vom kort geding-Schuldner geleisteter Betrag nach einem entgegengesetzten Urteil in der Hauptsache wegen Zahlungsunfähigkeit des Prozessgegners nicht zurückgewährt werden kann. Der Kläger muss den Bestand der Geldforderung hinreichend glaubhaft machen und die Umstände vortragen, aus denen die Eilbedürftigkeit folgt. Sieht das Gericht den Bestand der Forderung als glaubhaft gemacht an, prüft es weiter, ob Umstände vorliegen, die eine besondere Eilbedürftigkeit erkennen lassen. Eilbedürftig ist ein Fall, der eine Geldforderung zum Gegenstand hat, jedenfalls dann, wenn eine Sicherung der Forderung nicht weiterhilft, weil der Gläubiger sofort über die geschuldete Summe verfügen muss. Einstweilige Maßnahmen, die eine Zahlung anordnen, müssen wie alle im kort geding ergehenden Maßnahmen grundsätzlich auch vorläufig sein. Problematisch ist diesbezüglich, dass Zahlungen faktisch endgültig wirken, weil der Kläger mehr als die Begleichung der geschuldeten Summe auch im ordentlichen Verfahren nicht erreichen will und kann und eine erneute Zahlungsaufforderung daher überflüssig wäre. Dies verhindert jedoch nicht die Vorläufigkeit im Rechtssinne. Zu bedenken ist, welchen
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
Charakter eine Zahlung im kort geding gemäß Art. 257 WBRv hat. Nach dieser Vorschrift dürfen einstweilige Maßnahmen keinen Nachteil für die Hauptsache haben. Die Zahlungsanordnung im kort geding erfolgt deshalb stets unter dem Vorbehalt einer anderslautenden Entscheidung in der Hauptsache. Die Voraussetzungen der Leistungsverfügung sind, anders als die meisten Voraussetzungen des kort geding, nicht gesetzlich geregelt. Verglichen mit dem kort geding werden an den Erlass einer Leistungsverfügung aber deutlich höhere Anforderungen gestellt. Der Antrag auf Erlass einer Leistungsverfügung ist begründet, wenn die für das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs und eines Verfügungsgrundes erforderlichen Tatsachen dargelegt und glaubhaft gemacht worden sind. Als Verfügungsanspruch kommt jeder fällige und einredefreie materiell-rechtliche Anspruch auf ein Tun, Dulden oder Unterlassen in Betracht, welcher der Durchsetzung in einem Hauptsacheverfahren fähig ist. Der Antragsteller muss den Verfügungsanspruch schlüssig darlegen, damit es dem Gericht möglich ist, das Bestehen des Anspruchs auf der Grundlage der vorgetragenen Tatsachen zu beurteilen. Die Schlüssigkeit wird einer strengen Prüfung unterzogen. Da die einschneidenden Wirkungen für den Antragsgegner durch den Erlass einer Leistungsverfügung sonst nicht gerechtfertigt wären, muss das Obsiegen des Antragstellers in höchstem Maße wahrscheinlich sein. Voll bewiesen werden muss das Vorliegen der dem Verfügungsanspruch zugrunde liegenden Tatsachen aber nicht. Die Glaubhaftmachung im Sinne von §§ 920 Abs. 2, 936, 294 ZPO genügt. Die Anforderungen an den Verfügungsgrund sind im Gegensatz zu den an die Eilbedürftigkeit beim kort geding zu stellenden Anforderungen ebenfalls hoch. Erforderlich ist die Glaubhaftmachung des Bestehens bzw. Drohens einer existenzgefährdenden Notlage oder der Gefahr eines völligen Rechtsverlusts. Im Rahmen der Prüfung des Verfügungsgrundes ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, die zugunsten des Antragstellers ausgehen muss. Kriterien der Interessenabwägung sind insbesondere der zu erwartende Ausgang der Hauptsache und die Schutzbedürftigkeit der Parteien. XII. Verfahren Zu Beginn eines kort geding stellt der Kläger einen Antrag auf Festsetzung eines Verhandlungstermins. Von diesem Termin wird der Beklagte mit einer förmlichen Ladung, der dagvaarding, in Kenntnis gesetzt. Eine Ladung zu einem Termin im kort geding ist inhaltlich nicht so strikt wie beim ordentlichen Verfahren an die gesetzlichen Voraussetzungen gebunden. Zu den Elementen, die vorhanden sein müssen, gehören gemäß Art. 45 Abs. 3 und Art. 111 Abs. 2 WBRv neben der Mitteilung, wo und wann sich der Beklagte vor Gericht einzufinden hat, ähnlich einer
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Klageschrift auch Gegenstand und Grund des gegen ihn erhobenen Anspruchs sowie Name und Adresse des Klägers und seines Prozessvertreters. Darüber hinaus ist im kort geding die Erläuterung der Eilbedürftigkeit der Sache erforderlich. Korte gedingen können auch ohne förmliche Ladung eingeleitet werden. Zur zügigen Abwicklung eines Falles sieht Art. 255 Abs. 2 Satz 1 WBRv vor, dass die Parteien vereinbaren können, freiwillig zur mündlichen Verhandlung zu erscheinen, ohne vorher den Weg über eine förmliche Ladung beschreiten zu müssen. Während sich im ordentlichen Verfahren vor der Rechtbank grundsätzlich beide Parteien anwaltlich vertreten lassen müssen, ist der Beklagte dazu im kort geding nicht verpflichtet. Nur der Kläger bedarf eines Prozessvertreters. An den Verfahrensablauf werden nur geringe formelle Anforderungen gestellt. Auf das schriftliche Verfahren zur Vorbereitung der Sitzung wird im kort geding weitgehend verzichtet. Wichtig ist stattdessen die rasche mündliche Erörterung der Sach- und Rechtslage. Sind für die Entscheidung erhebliche tatsächliche Umstände streitig, kann auch eine Beweisaufnahme notwendig werden. Den Ablauf der Beweisaufnahme kann der kort geding-Richter frei gestalten. Der kort geding-Richter kann Zeugen und Sachverständige vernehmen oder den Augenscheinsbeweis anordnen. Aus Zeitgründen stützt er seine Entscheidung meist allerdings darauf, was die Anhörung der Parteien oder die Vorlage von Urkunden ergeben hat. Hinsichtlich des Beweismaßes genügt im kort geding die Glaubhaftmachung. Die Heranziehung des Internationalen Privatrechts und gegebenenfalls die Anwendung ausländischen Rechts können im kort geding ebenfalls erforderlich werden. Dabei werden höhere Darlegungspflichten an die Parteien, besonders an den Antragsteller, als in korte gedingen ohne Auslandsbezug und niedrigere Anforderungen an die Prüfung der Rechtslage durch das Gericht gestellt als im ordentlichen Verfahren. Zwischen Verhandlung und Urteilsverkündung liegen im kort geding durchschnittlich ein bis zwei Wochen. In äußerst eilbedürftigen Fällen verkündet der Richter seine Entscheidung unmittelbar nach der mündlichen Verhandlung. Am Anfang jeder Leistungsverfügung steht ein Antrag. Die Tatsachen sind schlüssig darzulegen und gemäß §§ 920 Abs. 2, 936 ZPO glaubhaft zu machen. Die Darlegungs- und Begründungspflichten sind hier höher als im Rahmen des kort geding. Gemäß §§ 920 Abs. 1, 936 ZPO hat der Antrag den Verfügungsanspruch sowie den Verfügungsgrund zu bezeichnen. Mit der Glaubhaftmachung im Sinne von §§ 920 Abs. 2, 936, 294 Abs. 1 ZPO genügt bei einstweiligen Verfügungen wie bei korte gedingen ein geringe-
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Zweiter Teil: Das kort geding im Vergleich zur Leistungsverfügung
res Maß an richterlicher Überzeugung als im ordentlichen Verfahren. Mittel der Glaubhaftmachung ist typischerweise die eidesstattliche Versicherung einer Partei oder eines Dritten. Daneben kommen gemäß § 294 Abs. 1, 2 ZPO alle präsenten Beweismittel in Betracht. Im Hinblick auf die Notwendigkeit einer anwaltlicher Vertretung gelten bei der Leistungsverfügung die Vorschriften für das ordentliche Verfahren in §§ 78 f. ZPO ohne Einschränkung. Sofern mündlich verhandelt wird, richtet sich die Durchführung der Verhandlung ebenfalls nach den Regelungen für das ordentliche Verfahren gemäß §§ 128 ff. ZPO. Verzichtet werden kann auf eine mündliche Verhandlung gemäß § 937 Abs. 2 ZPO in dringenden Fällen, wenn die Anordnung der mündlichen Verhandlung den Zweck der Verfügung in Gefahr bringen würde. In der Praxis werden die meisten einstweiligen Verfügungen ohne vorherige mündliche Verhandlung erlassen. Auch bei einstweiligen Verfahren mit Auslandsbezug sind die Regelungen des Internationalen Privatrechts zur Ermittlung des anwendbaren Rechts heranzuziehen. Sofern mündlich verhandelt wurde, erlässt das Gericht ein Urteil, anderenfalls ergeht gemäß §§ 922 Abs. 1 Satz 1, 936 ZPO ein Beschluss. Das gemäß § 942 Abs. 1, 2 zuständige Amtsgericht entscheidet nach § 942 Abs. 4 ZPO stets durch Beschluss. XIII. Entscheidung Die Entscheidung, die im Rahmen des kort geding oder der Leistungsverfügung ergeht, weist, was ihren Inhalt und ihr Verhältnis zum Urteil in der Hauptsache betrifft, einige Besonderheiten auf. Kort geding-Maßnahmen sehen im Regelfall eine Verurteilung zu einem Tun oder Unterlassen im Sinne von Art. 3:296 Abs. 1 BW, also ein Geoder Verbot, vor. Vorläufig bleiben einstweilige Maßnahmen im kort geding insoweit, als die Parteien jederzeit ein Urteil in der Hauptsache erwirken können und den Maßnahmen anders als Urteilen in der Hauptsache in späteren Prozessen keine Rechtskraft zukommt. Grundsätzlich sollen kort geding-Maßnahmen auch im Hinblick auf ihren Inhalt vorläufig sein. Da im einstweiligen Rechtsschutz schnelle Hilfe aber im Vordergrund steht, kann es sich als unvermeidlich erweisen, faktisch endgültige Maßnahmen zu treffen, falls dadurch größerer Schaden abgewendet werden kann. Die kort geding-Entscheidung hat grundsätzlich keinen Einfluss auf das Hauptsacheurteil. Der Richter im Hauptsacheverfahren ist nicht an die Entscheidung im einstweiligen Verfahren gebunden. Das Hauptsacheurteil kann die kort geding-Entscheidung in der Weise bestätigen, dass letztere in Kraft bleibt. Die kort geding-Entscheidung und das Hauptsacheurteil können in ihren Ergebnissen aber auch divergieren. Eine anderslautende Ent-
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scheidung in der Hauptsache hat zur Folge, dass die einstweilige Maßnahme ihre Geltung ex tunc verliert und außer Kraft gesetzt wird, mit der Folge, dass eine schon geleistete Zahlung zurückgewährt werden muss. Bei einstweiligen Verfügungen räumt § 938 Abs. 1 ZPO dem zuständigen Gericht hinsichtlich der inhaltlichen Ausgestaltung im Grundsatz freies Ermessen ein. Nach dem jeweiligen Inhalt der einstweiligen Verfügung unterscheidet das deutsche – anders als das niederländische – Zivilprozessrecht aber zwischen Sicherungs-, Regelungs- und Leistungsverfügungen. Im Wege der Leistungsverfügung darf ausnahmsweise eine vorläufige Befriedigung, zum Beispiel eine Zahlung, angeordnet werden. Die Höhe des Betrages, der zugesprochen wird, richtet sich nach dem Bedarf in der bestehenden Situation. In der Regel gilt die Leistungsverfügung zeitlich befristet. Das Gericht der Hauptsache ist nicht an die Entscheidung in einstweiligen Rechtsschutz gebunden. XIV.Rechtsbehelfe Ein kort geding-Verfahren kann über drei Instanzen geführt werden. Für die Berufung und die Revision sind grundsätzlich die Regelungen des ordentlichen Verfahrens anwendbar, soweit nicht die Eilbedürftigkeit, etwa hinsichtlich der zu beachtenden Fristen, eine Abweichung erfordert. In dringenden Fällen kann in der Berufungsinstanz ein besonderes Schnellverfahren stattfinden. Gegen Leistungsverfügungen, die in Urteilsform ergangen sind, kann Berufung eingelegt werden. Anders als bei kort geding-Entscheidungen ist die Revision allerdings nicht statthaft. Sofern Leistungsverfügungen im Beschlusswege ergangen sind, besteht die Möglichkeit des Widerspruchs. Des Weiteren kann der Antragsgegner beantragen, dass das Gericht dem Antragsteller eine Frist setzt, innerhalb derer dieser Klage in der Hauptsache erheben muss. Bei Fristversäumung kann der Antragsgegner die Aufhebung der Leistungsverfügung verlangen. Außerdem kann der Antragsgegner einen Antrag auf Aufhebung wegen veränderter Umstände stellen. XV. Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen Die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen richtet sich im niederländischen wie im deutschen Zivilprozessrecht vorrangig nach Staatsverträgen und EU-Verordnungen. Das autonome Recht in den Niederlanden ist bei einstweiligen Maßnahmen grundsätzlich anerkennungsfeindlich eingestellt. Im autonomen deutschen Recht ist die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen ebenfalls im Grundsatz ausgeschlossen. Ausnahmen werden aber bei Leistungsverfügungen gemacht.
Dritter Teil
Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht A. Internationale Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
Die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen ist nach dem Wortlaut von Art. 31 EuGVO daran geknüpft, dass eine im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehene einstweilige Maßnahme beantragt wird. Das Vorliegen einer einstweiligen Maßnahme ist die einzige ausdrückliche Voraussetzung von Art. 31 EuGVO und damit das Abgrenzungsmerkmal zu den Zuständigkeitsregelungen für ordentliche Verfahren in Art. 2–24 EuGVO. I. Einstweilige Maßnahmen in Art. 31 EuGVO Um herauszufinden, in welchen Fällen die internationale Zuständigkeit für Leistungsverfügungen nach Art. 31 EuGVO (früher Art. 24 EuGVÜ) bestimmt werden kann, ist deshalb zu erörtern, inwieweit die Verordnung auf einstweilige Maßnahmen anwendbar ist, was im Einzelnen unter einstweiligen Maßnahmen im Sinne der Norm zu verstehen ist und unter welchen Bedingungen Leistungsverfügungen hiervon erfasst werden. 1. Anwendbarkeit der EuGVO auf einstweilige Maßnahmen Die Anwendbarkeit der EuGVO auf einstweilige Maßnahmen entspricht hinsichtlich des persönlichen und zeitlichen Anwendungsbereichs dem ordentlichen Verfahren. Was den sachlichen Anwendungsbereich betrifft, muss jedoch den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes Rechnung getragen werden. Dieser Aufgabe hat sich der EuGH in mehreren Entscheidungen angenommen. a) Persönliche und zeitliche Anwendbarkeit Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich richtet sich im einstweiligen Rechtsschutz wie bei ordentlichen Verfahren nach Art. 2–4 EuGVO. 1 1
Carl, S. 254; Donzallaz, AJP 2000, 956, 960; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 21; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 1; Heiss, S. 17;
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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Nach der Grundregel in Art. 2 Abs. 1 ist die EuGVO anwendbar, wenn in Fällen mit irgendeinem internationalen Bezug der Wohnsitz des Beklagten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates liegt. 2 Die zeitliche Anwendbarkeit der EuGVO begrenzt Art. 66 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 76 Abs. 1 EuGVO auf Klagen, die nach Inkrafttreten der Verordnung am 1. März 2002 erhoben wurden. Dieser Zeitpunkt markiert auch die Grenze für Anträge auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme. Anhaltspunkte, die es erfordern könnten, die Anwendbarkeit für einstweilige Maßnahmen abweichend zu beurteilen, sind nicht ersichtlich. Vor dem 1. März 2002 beantragte einstweilige Maßnahmen richten sich daher nach der jeweils maßgeblichen Fassung des EuGVÜ, später beantragte nach der EuGVO. b) Sachliche Anwendbarkeit Sachlich ist die EuGVO auf sämtliche Zivil- und Handelssachen anwendbar, mit Ausnahme der von Art. 1 Abs. 2 lit. a-d EuGVO genannten Rechtsgebiete. Zu ihnen gehören Statussachen, Konkurse, Vergleiche und ähnliche Verfahren, soziale Sicherheit und Schiedsgerichtsbarkeit. 3 Ob eine Zivil- und Handelssache vorliegt, bemisst sich nach dem Gegenstand des jeweiligen Rechtsstreits. Steht der Streitgegenstand im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse, ist eine Zivil- und Handelssache zu verneinen. 4 aa) Erfordernis einer Zivil- und Handelssache In den Anfangsjahren des Übereinkommens war unklar, ob sich der in Art. 1 EuGVÜ beschriebene sachliche Anwendungsbereich auch auf einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 24 EuGVÜ erstreckt. Vereinzelt wurde erwogen, Streitgegenstände, die nach Art. 1 Abs. 2 EuGVÜ Kofmel Ehrenzeller, S. 247; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 121 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 2; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 3; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 24; Willeitner, S. 32. A.A. Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 346; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 633. 2 Anders als nach der Lehre von den ungeschriebenen Grenzen des europäischen Zuständigkeitsrechts (hierzu Schack, IZVR5, Rn. 269–271) muss sich der Auslandsbezug nach EuGHE 2005, 1383 Rn. 26 – Owusu/Jackson, nicht unbedingt zu einem anderen Mitgliedstaat ergeben. 3 Das Verhältnis zu anderen Rechtsinstrumenten auf besonderen Rechtsgebieten regeln Art. 67 und 71 EuGVO. 4 EuGHE 1976, 1541 Rn. 4 – LTU/Eurocontrol; EuGHE 1980, 3807 Rn. 8 – Niederlande/Rüffer.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgenommen sind, über Art. 24 EuGVÜ dennoch einzubeziehen. 5 Gefolgert wurde dies daraus, dass Art. 24 EuGVÜ deutlich zwischen einstweiligen Maßnahmen und dem Hauptsacheverfahren trenne. Die Unterscheidung zwischen einstweiligen und ordentlichen Verfahren zeige, dass Art. 24 EuGVÜ nicht nur vom System der Zuständigkeitsregelungen für das Hauptsacheverfahren in Art. 2 ff. EuGVÜ, sondern auch vom Anwendungsbereich des Art. 1 EuGVÜ losgelöst sei. 6 Der EuGH teilte diese Auffassung nicht. Er verwies auf die Formulierung in Art. 24 EuGVÜ: „Die … einstweiligen Maßnahmen … können … auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaates aufgrund dieses Übereinkommens zuständig ist.“ Danach könnten im Rahmen des Art. 24 EuGVÜ einstweilige Maßnahmen auch in den Fällen erlassen werden, in denen eine anderweitige Hauptsachezuständigkeit nach dem Übereinkommen bestehe. Letzteres erfordere, dass der Anwendungsbereich des Übereinkommens eröffnet sei. Eine Zuständigkeit auf der Grundlage des Art. 24 EuGVÜ sei deshalb nur für einstweilige Maßnahmen gegeben, die Zivil- und Handelssachen beträfen. 7 Der Wortlaut von Art. 1 Abs. 1 EuGVÜ, unverändert in Art. 1 Abs. 1 EuGVO, stützt eine solche Auslegung. Art. 1 Abs. 1 EuGVO besagt: „Diese Verordnung ist in Zivil- und Handelssachen anzuwenden …“. Die Formulierung ist eindeutig und erlaubt keine Ausnahmen. Auch die systematische Stellung vor allen anderen Regelungen zeigt, dass der gleiche Anwendungsbereich für sämtliche folgenden Regelungen vorgesehen ist. Ein vollständiger oder partieller Ausschluss einstweiliger Maßnahmen aus dem Anwendungsbereich der EuGVO hätte ausdrücklich in den Text aufgenommen werden müssen. 8 Es wäre allerdings inkonsequent gewesen, den Gerichten die Kompetenz zum Erlass der Hauptsacheentscheidung zuzu-
5 App. Bruxelles vom 1.4.1977, J.T. 1978, 119, zitiert nach Heiss, S. 13; Erklärungen des Antragstellers in EuGHE 1979, 1055, 1058 – de Cavel I, siehe dazu auch Sauveplanne, IPRax 1983, 65, 66. Hinsichtlich der EheGVO ist die Auffassung, dass einstweilige Maßnahmen auch Aspekte betreffen können, die außerhalb des Anwendungsbereiches liegen, verbreiteter, dazu BoeleWoelki, ZfRV 2001, 121, 126, mwN. Die Auffassung stützt sich auf den erläuternden Bericht zum Vorgängerübereinkommen, Borràs-Bericht, ABl. EG 1998, C 221, S. 47 f. 6 Erklärungen des Antragstellers in EuGHE 1979, 1055, 1058 – de Cavel I, dazu Sauveplanne, IPRax 1983, 65, 66. 7 EuGHE 1979, 1055 Rn. 9 – de Cavel I (zust. Anm. Hausmann, FamRZ 1980, 418, 420); bestätigt in EuGHE 1982, 1189 Rn. 12 – W./H. 8 Albrecht, S. 86 f.
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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sprechen und die weniger weitgehenden einstweiligen Maßnahmen auszuschließen. 9 Einhellige Meinung ist deshalb heute zu Recht, dass der in Art. 1 EuGVO beschriebene sachliche Anwendungsbereich auch für den einstweiligen Rechtsschutz gilt. 10 Art. 31 EuGVO trifft eine Sonderregelung der internationalen Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, aber keine Sonderregelung hinsichtlich der sachlichen Anwendbarkeit der EuGVO. Bevor eine einstweilige Maßnahme erlassen wird, muss folglich festgestellt werden, dass nach dem Streitgegenstand eine Zivil- und Handelssache im Sinne von Art. 1 EuGVO vorliegt. bb) Feststellung einer Zivil- und Handelssache Für die Feststellung, ob eine Zivil- und Handelssache vorliegt, bieten sich bei einstweiligen Maßnahmen verschiedene Anknüpfungsmöglichkeiten. Entweder kann die zivil- und handelsrechtliche Natur des Streitgegenstands anhand der Rechtsnatur der beantragten einstweiligen Maßnahme oder anhand der Rechtsnatur des Gegenstands der Hauptsache bestimmt werden. Der EuGH hat sich dafür entschieden, die Anwendbarkeit anhand der Rechtsnatur der beantragten einstweiligen Maßnahme zu ermitteln, die sich aus der Rechtsnatur der mit ihr durchzusetzenden Ansprüche ergebe. 11 Der Gerichtshof erörterte die Frage im Rahmen der Abgrenzung der Zivil- und Handelssachen von den vom Anwendungsbereich des EuGVÜ ausgeschlossenen Rechtsgebieten. In de Cavel I, de Cavel II und W./H. hatte er einstweilige Maßnahmen zu beurteilen, die innerhalb von Ehescheidungsverfahren beantragt worden waren. 12 Voneinander abgegrenzt werden mussten Zivil- und Handelssachen von Streitigkeiten des Personenstands 9
Albrecht, S. 87. EuGHE 1992, 2149 Rn. 32 – Reichert/Dresdner Bank; EuGHE 1998, 7091 Rn. 28, 30 und 48 – van Uden/DecoLine; EuGHE 2005, 3481 Rn. 10 – St. Paul Dairy Industries NV/Unibel Exser BVBA; Albrecht, S. 86 f. und 179; Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 549, 552; Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 306; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 22; Gothot/Holleaux, Convention de Bruxelles, Nr. 201; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 1; Heinze, S. 82; Heiss, S. 13; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 3; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 4; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 632; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 24; van Houtte/Pertegàs Sender, S. 130; Wannenmacher, S. 280. 11 EuGHE 1979, 1055 Rn. 7 – de Cavel I; EuGHE 1980, 731 Rn. 9 – de Cavel II. Fortgeführt in EuGHE 1992, 2149 Rn. 32 – Reichert/Dresdner Bank; EuGHE 1998, 7091 Rn. 33 – van Uden/DecoLine; EuGHE 2005, 3481 Rn. 10 – St. Paul Dairy Industries NV/Unibel Exser BVBA. 12 EuGHE 1979, 1055 Rn. 3 – de Cavel I; EuGHE 1980, 731 Rn. 2 – de Cavel II; EuGHE 1982, 1189 Rn. 3 – W./H. 10
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und der ehelichen Güterstände, die gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. a EuGVO nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung fallen. In der Entscheidung van Uden ging es um die Abgrenzung zur Schiedsgerichtsbarkeit, die gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d nicht zum Anwendungsbereich der EuGVO gehört. (1) Die Entscheidung de Cavel I In der Entscheidung de Cavel I beschäftigte sich der EuGH erstmals mit der Thematik. Zugrunde lag ein Ehescheidungsverfahren, in welchem beantragt worden war, die einstweilige Verfügung eines Familienrichters am Tribunal de Grande Instance Paris in Deutschland für vollstreckbar zu erklären. In der Sicherungsmaßnahme waren die Siegelung der Möbel und anderer Gegenstände in der Frankfurter Wohnung der Parteien sowie die Siegelung eines Schließfaches und die Pfändung der deutschen Bankkonten der Antragsgegnerin angeordnet worden. 13 Auf Vorlage des BGH antwortete der EuGH, die Rechtsnatur einstweiliger Maßnahmen müsse sich nach derjenigen der durch sie gesicherten Ansprüche richten, weil einstweilige Maßnahmen dazu geeignet seien, eine Vielzahl unterschiedlicher Ansprüche zu sichern. 14 Das EuGVÜ sei deshalb auf einstweilige Maßnahmen zivil- und handelsrechtlichen Inhalts anwendbar, welche die vermögensrechtlichen Ansprüche zwischen den Parteien regelten, ohne Bezug zum Personenstand zu haben. Nicht eröffnet sei der Anwendungsbereich bei einstweiligen Maßnahmen, die Fragen des Personenstands oder der ehelichen Güterstände betreffen, sowie bei einstweiligen Maßnahmen, die vermögensrechtliche Ansprüche betreffen, die sich unmittelbar aus der Ehe oder ihrer Auflösung ergeben. 15 Die streitgegenständlichen Sicherungsmaßnahmen ordnete der EuGH der letztgenannten Kategorie zu. (2) Die Entscheidung de Cavel II In einem weiteren Rechtsstreit zwischen den Eheleuten de Cavel wurde darüber gestritten, ob eine vom Richter für Familiensachen am Tribunal de Grande Instance Paris erlassene einstweilige Anordnung, wonach der Ehemann seiner Frau bis zum Abschluss des Ehescheidungsverfahrens monatliche Unterhaltszahlungen zu leisten hatte, in Deutschland vollstreckbar sei. Auf Vorlage des BGH bekräftigte der EuGH in Anlehnung an de Cavel I, dass der Gegenstand des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme für die Bestimmung der Anwendbarkeit des EuGVÜ ausschlaggebend sei. Eine auf Unterhaltszahlung gerichtete einstweilige Maß13
EuGHE 1979, 1055 Rn. 2 – de Cavel I. EuGHE 1979, 1055 Rn. 8 – de Cavel I. 15 EuGHE 1979, 1055 Rn. 7 – de Cavel I. 14
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nahme könne daher in den Anwendungsbereich des EuGVÜ fallen, obwohl das Ehescheidungsverfahren, mit dem die Maßnahme prozessual zusammenhänge, vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sei. 16 Zur Begründung führte der Gerichtshof aus, keine Vorschrift des EuGVÜ knüpfe die Eröffnung des Anwendungsbereichs für einstweilige Maßnahmen an deren Akzessorietät zur Hauptsache. 17 Art. 42 und Art. 24 EuGVÜ verdeutlichten vielmehr, dass die Akzessorietät unbeachtlich sei. 18 Art. 42 EuGVÜ erlaube die Zwangsvollstreckung eines oder mehrerer Anträge, falls in einer ausländischen Entscheidung mehrere mit der Klage geltend gemachte Ansprüche zuerkannt würden, aber nicht die gesamte Entscheidung zur Zwangsvollstreckung zugelassen werden könne. Art. 24 EuGVÜ zeige durch seine Unterscheidung zwischen Hauptsache- und Eilzuständigkeit, dass zwischen dem Antrag auf Erlass einstweiliger Maßnahmen und der Entscheidung in der Hauptsache zu differenzieren sei. 19 Der EuGH hat mit Recht auf den Gegenstand der einstweiligen Maßnahme abgestellt. Dadurch wird gewährleistet, dass die EuGVO, so wie es Art. 1 vorschreibt, nur auf einstweilige Maßnahmen anwendbar ist, die selbst zivil- und handelsrechtliche Ansprüche betreffen. Trotzdem wird die EuGVO regelmäßig parallel auf einstweilige Maßnahmen und die Hauptsache anwendbar sein, was den Vorteil hat, dass die selben Gerichte entscheiden können. Der Entscheidungseinklang wird hierdurch gefördert. Eine parallele Anwendbarkeit kann zum Beispiel gegeben sein, wenn Leistungsverfügung und Hauptsache einen Zahlungsanspruch zum Gegenstand haben, der mit Hilfe der Leistungsverfügung vorläufig und mit Hilfe der Klage in der Hauptsache endgültig erfüllt werden soll oder wenn eine einstweilige Maßnahme den in der Hauptsache geltend gemachten Anspruch sichern soll. Würde stattdessen auf die prozessuale Verbindung einer einstweiligen Maßnahme zur Hauptsache abgestellt, so wäre eine im Rahmen einer personenstands- oder güterrechtlichen Angelegenheit beantragte und zur Hauptsache akzessorische einstweilige Maßnahme unabhängig von ihrem zivil- und handelsrechtlichen Inhalt vom Anwendungsbereich der EuGVO ausgeschlossen. 20 Umgekehrt würde die Anwendbarkeit erzwungen, wenn der Gegenstand der Hauptsache als Zivil- und Handelssache in den An16
EuGHE 1980, 731 Rn. 9 – de Cavel II. EuGHE 1980, 731 Rn. 7 – de Cavel II. 18 EuGHE 1980, 731 Rn. 7 – de Cavel II. 19 EuGHE 1980, 731 Rn. 7 – de Cavel II. 20 Dafür aber die Regierung des Vereinigten Königreichs in EuGHE 1979, 1060 ff. – de Cavel I, und das OLG Frankfurt JZ 1977, 803, 804, das innerhalb des Instanzenzugs des ersten de Cavel-Verfahrens die Beschwerde des Antragstellers gegen die Zurückweisung des Antrags auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel bezüglich der Entscheidung des Tribunal de Grande Instance Paris verworfen hatte. 17
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
wendungsbereich fiele, obgleich die einstweilige Maßnahme, die innerhalb dieses Verfahrens beantragt wird, ein anderes Gebiet beträfe. Das könnte zur Folge haben, dass eine einstweilige Maßnahme in den Anwendungsbereich einbezogen würde, welche die EuGVO nicht erfassen will. Dieses Ergebnis stünde mit Art. 1 EuGVO nicht im Einklang. Ließe man die prozessuale Verbindung einstweiliger Maßnahmen zur Hauptsache entscheiden, so bestünde zusätzlich die Gefahr, dass die Anwendbarkeit der EuGVO über die Ausgestaltung des autonomen Zivilprozessrechts gesteuert werden könnte. 21 Der prozessuale Zusammenhang zwischen einstweiligen Maßnahmen und Statusverfahren ist in den nationalen Rechtsordnungen unterschiedlich konstruiert. In der einen Rechtsordnung kann eine einstweilige Maßnahme nur im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens durchgeführt werden, in einer anderen auch unabhängig von einem Hauptsacheverfahren. 22 Die Anwendbarkeit der EuGVO wäre daher nicht nur schwierig vorherzusehen, sondern auch manipulierbar. (3) Die Entscheidung W./H. Das Urteil W./H. fügt sich auf den ersten Blick nicht nahtlos an die de Cavel-Entscheidungen an. Dem Urteil lag ein Rechtsstreit zwischen zwei Ehegatten niederländischer Staatsangehörigkeit mit Wohnsitz in Belgien zugrunde. Die Parteien stritten in ihrem Ehescheidungsverfahren auch um die Verwaltung des Vermögens der Ehefrau durch den Ehemann. Die Ehefrau wollte ein Schriftstück als Beweismittel in den Prozess einbringen, in welchem der Ehemann festgehalten hatte, dass das Vermögen der Ehefrau von Lasten frei bleiben soll, die aus der Verwaltung durch den Ehemann entstehen. Mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung an die Arrondissementsrechtbank Rotterdam versuchte der Ehemann, die Herausgabe des Schriftstücks zu erreichen und die Verwendung als Beweismittel zu verhindern. 23 Der EuGH konstatierte, Art. 24 EuGVÜ könne „nicht als Begründung dafür herangezogen werden, einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, auf Rechtsgebieten, die vom Anwendungsbereich des Übereinkommens ausgeschlossen sind, in diesen einzubeziehen“. 24 Die Streitigkeit über die Verwaltung des Vermögens der 21
Hausmann, FamRZ 1980, 418, 421 f. Nach französischem Recht erlässt das zuständige Gericht einstweilige Maßnahmen zur Sicherung vermögensrechtlicher Ansprüche zwischen den Ehegatten im Rahmen des Ehescheidungsverfahrens, wohingegen ein deutsches Familiengericht die einstweilige Maßnahme entsprechenden Inhalts in einem von der Ehescheidung unabhängigen einstweiligen Verfahren erlassen müsste. Vgl. Hausmann, FamRZ 1980, 418, 421. 23 EuGHE 1982, 1189 Rn. 2 – W./H. 24 EuGHE 1982, 1189 Rn. 12 – W./H. 22
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Ehefrau betreffe das Rechtsgebiet der ehelichen Güterstände, weil sie mit den vermögensrechtlichen Beziehungen zwischen den Ehegatten zusammenhänge, die sich unmittelbar aus der Ehe ergäben. Auf die Hauptsache sei das EuGVÜ demzufolge nicht anwendbar. Da der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung zur Streitigkeit über die Vermögensverwaltung akzessorisch sei, gelte für ihn das Gleiche. 25 Aus diesen Äußerungen ist keine Abkehr von den zuvor in de Cavel I und de Cavel II aufgestellten Grundsätzen abzuleiten, insbesondere nicht zur Unbeachtlichkeit der Akzessorietät einer einstweiligen Maßnahme zur Hauptsache. Die Akzessorietät resultierte in der Entscheidung W./H. nicht aus der prozessualen Verbindung eines Ehescheidungsverfahrens mit einem Begleitverfahren, wie zum Beispiel demjenigen in de Cavel II, das auf Unterhaltszahlungen gerichtet war, sondern aus dem Zweck der beantragten einstweiligen Verfügung. Mit der einstweiligen Verfügung sollte der Einsatz eines Beweismittels in einem Verfahren auf dem Gebiet der ehelichen Güterstände verhindert werden, welches nicht in den Anwendungsbereich des EuGVÜ fiel. Da diese einstweilige Maßnahme keinen Anspruch sichern, regeln oder vorläufig erfüllen sollte, stellte sich nicht die Frage, welches Rechtsgebiet dieser Anspruch betraf und ob er bestand, sondern, ob das Beweismittel zulässig war und ob es eingesetzt werden durfte. Ob ein Beweismittel eingesetzt werden darf oder nicht, kann nur in Bezug auf das Verfahren, innerhalb dessen es verwendet werden soll, beurteilt werden. Abgesehen von diesem Ausnahmefall 26 ist die Anwendbarkeit der EuGVO auf einstweilige Maßnahmen daher nach dem Rechtsgebiet zu bestimmen, dem der Gegenstand der einstweiligen Maßnahme zuzuordnen ist. 27 Erforderlich ist, dass sorgfältig ermittelt wird, welche Ansprüche im einstweiligen und welche im ordentlichen Verfahren geltend gemacht werden. Der Anspruch, der durch eine einstweilige Maßnahme gesichert, geregelt oder vorläufig erfüllt werden soll, entscheidet über die Anwendbarkeit der Vorschriften der EuGVO. Über Art. 31 EuGVO werden damit keine 25
EuGHE 1982, 1189 Rn. 6–9 – W./H. Dass auch der EuGH die Entscheidung W./H. als Ausnahme wegen des Zwecks der einstweiligen Maßnahme betrachtet haben muss, zeigte sich, als EuGHE 1998, 7091 Rn. 34 – van Uden/DecoLine, wieder auf den Gegenstand der einstweiligen Maßnahme abstellte. 27 So auch OLG Karlsruhe FamRZ 1978, 923, 924 mit zust. Anm. Linke; Collins, Civil Jurisdiction and Judgments Act 1982, S. 31; Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 549, 552; Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 306; Gronstedt, S. 18; Heiss, S. 15; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 120; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 3; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 4; Pocar, RabelsZ 42 (1978), 405, 410; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 3; Scherer, Bull. ASA 1998, 60, 79; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 24; Wannenmacher, S. 280. 26
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Verfahren erfasst, die durch Art. 1 Abs. 2 EuGVO von ihrem Anwendungsbereich ausgenommen werden. Umgekehrt werden aber auch keine Verfahren vom Anwendungsbereich ausgeschlossen, nur weil sie zu anderen ausgenommenen Verfahren akzessorisch sind. Leistungsverfügungen, die inhaltlich die Hauptsache vorwegnehmen, sind vom Anwendungsbereich gedeckt, wenn dies auch bei der Hauptsache der Fall ist. Aus dem deutschen Zivilprozessrecht erfasste der Anwendungsbereich der EuGVO bis zum Inkrafttreten der EuUHVO 28 gemäß §§ 49 ff., 119, 246 ff. FamFG die einstweiligen Anordnungen auf Unterhalt (vgl. Art. 5 Nr. 2 EuGVO), nicht aber solche zur elterlichen Sorge und zum Umgang mit einem gemeinsamen Kind und zum Getrenntleben der Ehegatten. Wegen Art. 1 Abs. 2 lit. a ebenfalls vom Anwendungsbereich der EuGVO ausgeschlossen, aber ggf. von der EheGVO erfasst, waren Anordnungen zur Benutzung oder zur Herausgabe von Ehewohnung, Hausrat und anderen Sachen des persönlichen Gebrauchs sowie zu Maßnahmen des Gewaltschutzgesetzes oder eines Kostenvorschusses für die Ehesache. 29 (4) Die Entscheidung van Uden In van Uden führte der EuGH die in den de Cavel-Entscheidungen begonnene Rechtsprechung fort. Anders als in den vorangegangenen Urteilen musste der Gerichtshof in van Uden Zivil- und Handelssachen, für die staatliche Gerichte zuständig sind, von Angelegenheiten, die Schiedsgerichten unterworfen sind, abgrenzen, 30 denn die Parteien hatten für die Hauptsache die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbart. Die Schiedsgerichtsbarkeit gehört gemäß Art. 1 Abs. 2 lit. d zu den vom Anwendungsbereich der EuGVO ausgenommenen Gebieten. Verfahren, über die ein Schiedsrichter entscheidet, unterliegen nicht der EuGVO. 31 Darüber hinaus sind auch bestimmte Verfahren vor staatlichen Gerichten aufgrund von Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVO vom sachlichen Anwendungsbereich ausgeschlossen. 32 Dem Schlosser-Bericht folgend hatte der EuGH in 28
Die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 vom 18. Dezember 2008 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Zusammenarbeit in Unterhaltssachen, ABl. EU 2009 L 7, S. 1, ist am 18.6.2011 in Kraft getreten. 29 Vgl. die Übersicht bei Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 23– 27. Ebenso Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 2. 30 EuGHE 1998, 7091 Rn. 32–34 – van Uden/DecoLine. 31 Bei den Vorarbeiten zum EuGVÜ wurde die Einbeziehung von Schiedsverfahren für nicht erforderlich gehalten, weil in diesem Bereich bereits eine ganze Reihe von Staatsverträgen existierte. Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 1, 13; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 1 Rn. 41. Das Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO, KOM(2009) 175 endg., S. 9, geht davon aus, dass sich eine (teilweise) Rücknahme des Ausschlusses der Schiedsgerichtsbarkeit vom Anwendungsbereich der Verordnung positiv auswirken könnte. 32 Dazu Haas, IPRax 1992, 292, 295 f.
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Marc Rich entschieden, dass ein Verfahren zur Schiedsrichterernennung nicht in den Anwendungsbereich des EuGVÜ fällt. 33 Der Bericht benennt Maßnahmen und Verfahren, die vom Anwendungsbereich des EuGVÜ ausgenommen sein sollen, weil sie dem Schiedsverfahren dienen. 34 Beispielhaft nennt er Maßnahmen zur Feststellung der Wirksamkeit oder Unwirksamkeit eines Schiedsvertrages, zur Einwirkung auf die Parteien, ein Verfahren nicht zu betreiben, sowie Maßnahmen bezüglich der Aufhebung, Änderung, Anerkennung und Vollstreckung von Schiedssprüchen und Verfahren, in denen es um die Ernennung oder Abberufung von Schiedsrichtern, um die Bestimmung des Schiedsortes oder Fristverlängerungen geht. 35 In van Uden sollte der EuGH klären, ob eine Schiedsvereinbarung für die Hauptsache die Anwendung des EuGVÜ auf den Erlass einstweiliger Maßnahmen durch ein Gericht, das seine Zuständigkeit auf Art. 24 EuGVÜ stützt, ausschließt oder nicht. Die Beklagte, die deutsche Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs trugen im Verfahren vor, eine zwischen den Parteien ausgehandelte Schiedsvereinbarung für die Hauptsache wirke sich dahingehend aus, dass auch Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes vom Anwendungsbereich des EuGVÜ ausgeschlossen seien. 36 Die deutsche Regierung führte näher aus, der Anwendungsbereich sei nicht eröffnet, wenn die beantragten einstweiligen Maßnahmen untrennbar mit dem Gegenstand des Schiedsverfahrens verbunden seien. Die Regierung des Vereinigten Königreichs stellte darauf ab, ob die beantragten einstweiligen Maßnahmen dem Schiedsverfahren dienen sollten. Sei dies der Fall, sehe sie die einstweiligen Maßnahmen als vom Anwendungsbereich ausgeschlossen an. Die Klägerin und die Kommission waren dagegen der Ansicht, dass eine Schiedsvereinbarung für die Hauptsache nicht die Anwendbarkeit des EuGVÜ auf einstweilige Maßnahmen verhindere. 37 Die Kommission hielt allein den Streitgegenstand des einstweiligen Verfahrens für maßgeblich. Der Anwendungsbereich des Übereinkommens sei eröffnet, wenn der einstweiligen Maßnahme ein zivil- oder handelsrechtlicher Anspruch zugrunde liege. Hiervon ging auch der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen aus. 38 33 EuGHE 1991, 3855, 3903 Rn. 26–29 – Marc Rich/Impianti, mit zust. Anm. Haas, IPRax 1992, 292 ff. 34 Zum Hintergrund dieser Auffassung, insbesondere ihrem Zusammenhang mit dem Beitritt des Vereinigten Königreichs zum EuGVÜ, das eine weite Auslegung des Art. 1 EuGVÜ bevorzugte, van Haersolte-van Hof, NTER 1999, 63, 66. 35 Schlosser-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 71, 93 Rn. 64. 36 EuGHE 1998, 7091 Rn. 26 – van Uden/DecoLine. 37 EuGHE 1998, 7091 Rn. 27 – van Uden/DecoLine. 38 EuGHE 1998, 7091, 7103 Nr. 43–47 – van Uden/DecoLine.
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Der EuGH folgte seiner schon früher vertretenen Linie, indem er das EuGVÜ für anwendbar erklärte, wenn der Gegenstand eines Antrags auf Erlass einstweiliger Maßnahmen ein Rechtsgebiet berühre, das in den sachlichen Anwendungsbereich falle. 39 Weiter präzisierte er unter Hinweis auf den Schlosser-Bericht, wie einstweilige Maßnahmen, die den Zivilund Handelssachen zuzuordnen sind, von den einstweiligen Maßnahmen, die der Schiedsgerichtsbarkeit zuzuordnen sind, abzugrenzen sind. Der Gegenstand einer einstweiligen Maßnahme betreffe die Schiedsgerichtsbarkeit als ein vom Anwendungsbereich ausgeschlossenes Gebiet, wenn eine einstweilige Maßnahme der Durchführung eines Schiedsverfahrens diene, also für die Durchführung des Schiedsverfahrens notwendig sei, 40 nicht aber, wenn sie sich darauf beschränke, das Schiedsverfahren lediglich zu unterstützen. 41 Der Gerichtshof ging davon aus, dass einstweilige Maßnahmen im Grundsatz unterstützende und nicht dienende Funktion haben. 42 Gegenstand einer einstweiligen Maßnahme, die ein Schiedsverfahren unterstütze, sei nicht die Schiedsgerichtsbarkeit, sondern der zugrunde liegende Anspruch. Deshalb sei das Vorliegen einer Schiedsvereinbarung in diesen Fällen unbeachtlich und das EuGVÜ anwendbar. 43 Die Anwendbarkeit der EuGVO auf einstweilige Maßnahmen trotz Bestehens einer Schiedsvereinbarung wird grundsätzlich befürwortet. 44 Weil der Abschluss einer Schiedsvereinbarung nicht automatisch das Interesse der Parteien am Erlass einstweiliger Maßnahmen durch staatliche Gerichte beseitigt, ist dies zu begrüßen. Die Abgrenzung nach der Funktion einstweiliger Maßnahmen hat den großen Vorteil, dass die Wirksamkeit der
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EuGHE 1998, 7091 Rn. 32–34 – van Uden/DecoLine. Erläuterung von Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 89. 41 EuGHE 1998, 7091 Rn. 33 – van Uden/DecoLine. Für eine Einbeziehung von Verfahren, die der Schiedsgerichtsbarkeit zuarbeiten: Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO, KOM(2009) 175 endg., S. 9. 42 EuGHE 1998, 7091 Rn. 33 – van Uden/DecoLine: „Jedoch sind einstweilige Maßnahmen grundsätzlich nicht auf die Durchführung eines Schiedsverfahrens gerichtet.“ 43 EuGHE 1998, 7091 Rn. 34 – van Uden/DecoLine. So auch BGH NJW-RR 2009, 999; OLG München RIW 2000, 464, 465; OGH IPRax 2003, 64; McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 11; Dietze/Schnichels, EuZW 1999, 549, 552; Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 156; Kramer, NTBR 1999, 74, 75; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 4; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 5; Reiner, IPRax 2003, 74, 75 f.; Scherer, Bull. ASA 1998, 60, 88; Schlosser, IPRax 2009, 416, 417; Vlas, NILR 1999, 106, 107. 44 BGH NJW-RR 2009, 999; OLG München RIW 2000, 464, 465; OGH IPRax 2003, 64; Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 156; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 24; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 120; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 4; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 5; Reiner, IPRax 2003, 74, 75 f.; Scherer, Bull. ASA 1998, 60, 88; Schlosser, IPRax 2009, 416, 417; Vlas, NILR 1999, 106, 107. 40
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Schiedsvereinbarung außer Betracht bleiben kann. 45 Wäre die Anwendbarkeit der EuGVO davon abhängig, könnte die Rechtssicherheit leiden. 46 Die Wirksamkeit von Schiedsvereinbarungen unterliegt in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen verschiedenen Voraussetzungen, so dass die Anwendbarkeit der EuGVO von Staat zu Staat differieren könnte, 47 zumal der EuGH bislang keine Voraussetzungen für wirksame Schiedsvereinbarungen entwickelt hat. 48 Kritik erntete die Trennung in dienende und unterstützende Maßnahmen. 49 Kritisiert wird, dienende und unterstützende Maßnahmen stünden nicht in einem Exklusivitätsverhältnis, denn einstweilige Maßnahmen, die einem Schiedsverfahren dienten, würden es zugleich unterstützen und umgekehrt, was eine Abgrenzung erschwere. 50 Die Vorgaben des EuGH sind jedoch praktikabel. Der Schlosser-Bericht, auf den die van UdenEntscheidung verweist, zählt umfassend die Maßnahmen auf, die vom Anwendungsbereich ausgeschlossen sein sollen, weil sie dienende Funktion haben. 51 Mittels dieser Aufzählung können dienende von unterstützenden Maßnahmen abgegrenzt werden. Sollten dem Wunsch nach einer Rahmenregelung des Rechts der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit auf EUEbene 52 Taten folgen, hätte dies allerdings unter Umständen ein höheres Maß an Klarheit zur Folge. Möglich wäre auch eine Ergänzung von Art. 1 Abs. 2 EuGVO, die klarstellt, dass einstweilige Maßnahmen ohne Bezug zur Schiedsvereinbarung vom Anwendungsbereich erfasst werden. 53 Ungeachtet der Tatsache, dass für die Hauptsache die Zuständigkeit eines Schiedsgerichts vereinbart wurde, entscheidet über die Anwendbarkeit also der Gegenstand des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme. 45
Aus EuGHE 1998, 7091 Rn. 33 – van Uden/DecoLine folgt, dass eine Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO trotz des Vorliegens einer Schiedsvereinbarung für die Hauptsache eröffnet sein kann. Auf die Wirksamkeit der Schiedsvereinbarung kommt es nicht an. 46 Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 90; Kramer, NTBR 1999, 74, 75; Wolf, EWS 2000, 11, 12. 47 Haas, IPRax 1992, 292, 293; Schulz, ZEuP 2001, 805, 811. 48 Dies kritisierte Schack, IZVR5, Rn. 103, bereits anlässlich EuGHE 1991, 3855 Rn. 26 ff. – Marc Rich AG/Impianti. 49 Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 89 f.; van Haersolte-van Hof, NTER 1999, 63, 66. 50 Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 89 f.; van Haersolte-van Hof, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 32, 35. 51 Schlosser-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 71, 93 Rn. 64. 52 Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 157; Gómez Jene, IPRax 2005, 84, 92 f.; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 27. 53 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 654 und 740: „… not including provisional measures not affected, under the law of the Member State, by an arbitration agreement.“ Für eine Streichung von Art. 1 Abs. 2 lit. d EuGVO, eine stärkere Einbindung der EuGVO zur Unterstützung von Schiedsverfahren und die Schaffung eines ausschließlichen Gerichtsstandes für bestimmte Annexverfahren zur Schiedsgerichtsbarkeit: Hess, EuZPR, § 6 Rn. 27.
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Der sachliche Anwendungsbereich der EuGVO ist eröffnet, wenn der Gegenstand des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme den Zivilund Handelssachen zuzuordnen ist und die einstweilige Maßnahme nicht der Durchführung eines Schiedsverfahrens dient. In dem van Uden zugrunde liegenden Rechtsstreit ging es um die vorläufige Erfüllung eines Zahlungsanspruchs wegen Bereitstellung von Schiffsladeraum. Gegenstand des einstweiligen Verfahrens war damit eine Zivil- und Handelssache, die nicht unmittelbar einem späteren Schiedsverfahren diente. 2. Definition einstweiliger Maßnahmen Grundlegend für die Betrachtung der internationalen Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz ist, wie der Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 31 EuGVO zu verstehen ist. Wenn eine konkrete Maßnahme als einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO qualifiziert werden kann, darf Art. 31 EuGVO auch für die Ermittlung der internationalen Zuständigkeit herangezogen werden. Liegt hingegen keine solche Maßnahme vor, richtet sich die internationale Zuständigkeit für den einstweiligen Rechtsschutz nach den Regelungen für das ordentliche Verfahren gemäß Art. 2 ff. EuGVO. Nach dem Wortlaut bezieht sich Art. 31 EuGVO auf „die in dem Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“. Zu berücksichtigen ist also, dass die Maßnahmen einstweiligen Charakter haben. Der Begriff der Einstweiligkeit enthält unterschiedliche Nuancen. Er kann in einem prozessualen oder einem materiellen Sinne verstanden werden. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist eine Maßnahme einstweilig, wenn sie unter dem Vorbehalt einer abschließenden Entscheidung in der Hauptsache steht. 54 Inhaltlich einstweilig ist eine Maßnahme, die der Hauptsache weder vorgreift noch faktisch endgültig wirkt, es sei denn, dies erscheint aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes unbedingt erforderlich. 55 Im internationalen Kontext erscheint es zweckmäßig, die Begriffe des einstweiligen und des vorläufigen Rechtsschutzes synonym zu verwenden. Im deutschen Recht wird teilweise zwischen einstweiligem und vorläufigem Rechtsschutz unterschieden. 56 Während vorläufiger Rechtsschutz aufgrund vorläufig vollstreckbarer Urteile im Sinne der §§ 704 ff. ZPO endgültigen Rechtsschutz erlaube, sei für den einstweiligen Rechtsschutz kennzeichnend, dass er eine Sicherung oder Regelung treffe, die eine spätere, dann 54
Heiss, S. 35. Heiss, S. 35. 56 Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 Rn. 6 ff.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 3 ff. 55
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abschließend wirkende Entscheidung in der Hauptsache ermögliche. 57 Vorherrschend ist aber auch im deutschen Recht eine synonyme Verwendungsweise der Begriffe „vorläufig“ und „einstweilig“. 58 Neben dem Kriterium der Einstweiligkeit lässt der Wortlaut von Art. 31 EuGVO erkennen, dass einstweilige Maßnahmen unterschiedlicher Zielsetzung erfasst werden, insbesondere solche mit sichernder Wirkung. Im Übrigen nimmt Art. 31 EuGVO auf das nationale Recht Bezug. Durch den Hinweis auf das nationale Recht bleibt es den einzelnen Rechtsordnungen überlassen, welche Rechtsschutzformen sie in ihrer jeweiligen innerstaatlichen Ausprägung in grenzüberschreitenden Konstellationen zur Verfügung stellen wollen. Eine abschließende gemeinschaftsrechtlich autonome Definition der einstweiligen Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO, die eine eindeutige Begriffsbestimmung und eine klare Abgrenzung der hierunter fallenden einstweiligen Maßnahmen ermöglichen würde, enthält Art. 31 EuGVO nicht. Im Zuge der vor Entstehung der EuGVO geplanten, dann aber verworfenen Revision des EuGVÜ hatte die Europäische Kommission folgende Definition vorgeschlagen: „Im Sinne dieses Übereinkommens sind einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, dringende Maßnahmen, die es ermöglichen sollen, eine Untersuchung in einem Rechtsstreit durchzuführen, Beweismaterial oder Vermögen im Hinblick auf die Entscheidung oder die Zwangsvollstreckung zu sichern, eine tatsächliche oder rechtlich bestehende Lage aufrechtzuerhalten oder zu regeln, um Rechte zu wahren, deren Anerkennung bei dem mit der Hauptsache befassten Gericht beantragt wird oder beantragt werden kann.“ 59
Diese umständliche Ausdrucksweise lässt das Bemühen erkennen, der enormen Formenvielfalt der Verfahren in den nationalen Rechtsordnungen gerecht zu werden und eine große Anzahl von Maßnahmen zu erfassen. Der Definitionsversuch zeigt jedoch, dass eine eindeutige Begriffsbestim-
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Drescher, in: MüKo-ZPO, vor § 916 Rn. 6 ff.; Walker, Einstweiliger Rechtsschutz im Zivilprozeß, Rn. 3 ff. 58 Baur, Studien zum einstweiligen Rechtsschutz, S. 3 f.; Leipold, Grundlagen des einstweiligen Rechtsschutzes, S. 1; Schilken, Befriedigungsverfügung, S. 15 f.; Vogg, S. 25. 59 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu KOM(1997) 609 endg., ABl. EG 1998 C 33, S. 24 f.
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mung angesichts des „Artenreichtums“ 60 oder „Wildwuchses“ 61 der einstweiligen Maßnahmen in den nationalen Rechtsordnungen illusorisch ist. 62 Den EuGH führte die Vielgestaltigkeit unlängst zu der Annahme, „dass sich die Vorschriften der Vertragsstaaten über die nationalen Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes möglicherweise stärker voneinander unterscheiden als die Vorschriften über Verfahren zur Hauptsache“. 63 Die Systeme einstweiligen Rechtsschutzes sind in den Mitgliedstaaten nicht homogen ausgebildet. Einstweilige Verfahren nehmen in den nationalen Rechtsordnungen einen ganz unterschiedlichen Stellenwert ein. Das zeigt sich bereits am jeweiligen Spektrum der vorsorglichen Maßnahmen. So ist der einstweilige Rechtsschutz etwa in Deutschland und der Schweiz eher zurückhaltend, in Frankreich und den Niederlanden deutlich weiter und im Vereinigten Königreich nahezu expansiv ausgebaut. 64 Die Ausdehnung einstweiliger Maßnahmen in einigen Mitgliedstaaten wird seit der Schaffung des Gemeinsamen Marktes in Europa verstärkt beobachtet und hiermit auch unmittelbar in Zusammenhang gebracht. 65 Offenbar sollen attraktive Verfahren ausländische Investoren anziehen. 66 Aber nicht nur die Anzahl der zur Verfügung stehenden einstweiligen Maßnahmen ist unterschiedlich. Gleiches gilt für die Funktion, die einstweilige Verfahren in der jeweiligen Rechtsordnung bekleiden. So übernimmt beispielsweise das niederländische kort geding auch Aufgaben, die im deutschen Recht vom Mahnverfahren erfüllt werden. 67 Der Übergang zwischen einstweiligen und beschleunigten Verfahren ist also oft fließend. Es erstaunt daher wenig, dass die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen von Rechtsordnung zu Rechtsordnung differieren. Deshalb können die einstweiligen Maßnahmen auch nicht isoliert betrachtet werden, sondern immer nur gemeinsam mit der Rechtsordnung, in die sie eingebettet sind. Die im Folgenden darzustellenden vorsichtigen Ansätze des EuGH und der Literatur zu einer gemeinschaftsrechtlich autonomen Auslegung des 60
Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 26. So Schack, ZZP 107 (1994), 279, 299, der es für empfehlenswert hält, die Anzahl der im grenzüberschreitenden Rechtsschutz verfügbaren einstweiligen Maßnahmen auf einige wenige zu verringern, die dann aber einheitlich in allen Mitgliedstaaten erlangt werden können. 62 Fraglich ist vor diesem Hintergrund auch, ob die Forderung von Eisermann, S. 188, nach einem verbindlichen Katalog der einzubeziehenden einstweiligen Maßnahmen in Form eines Anhangs zur EuGVO umsetzbar wäre. 63 EuGHE 2002, 4995 Rn. 42 – Italian Leather/WECO. 64 Gaul, FamRZ 2003, 1137, 1140; Jametti Greiner, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 11, 20 ff. 65 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220. 66 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220. 67 Kramer, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 305. Siehe oben S. 64 f. 61
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Begriffs der einstweiligen Maßnahme können lediglich das Grundgerüst einer Definition bilden, anhand dessen festgestellt werden kann, welche Arten von Maßnahmen vom Begriff der einstweiligen Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO erfasst sind. Eine derartige Annäherung an den Begriff der einstweiligen Maßnahme lässt eine einheitlichere Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten erwarten. Differenziert wird im Folgenden entsprechend ihrer unterschiedlichen inhaltlichen Zielrichtung und Funktion zwischen zwei Gruppen einstweiliger Maßnahmen, die drei Maßnahmentypen erfassen, die in nahezu allen Rechtsordnungen vorkomme. 68 Eine Gruppe umfasst die Verfahren, die eine spätere Entscheidung in der Hauptsache ermöglichen wollen. Es handelt sich um Maßnahmen, die einen Anspruch sichern oder ein Rechtsverhältnis einstweilig regeln. Sie sind gekennzeichnet durch ihre vorläufige Wirkung. Die andere Gruppe vereinigt Maßnahmen, welche die Hauptsache bereits vorwegnehmen können, indem sie den geltend gemachten Anspruch teilweise oder vollumfänglich zusprechen. Welche dieser Maßnahmentypen in ihrer jeweiligen nationalen Ausprägung in einem Staat zur Verfügung stehen, bestimmt die lex fori des angerufenen Gerichts. 69 a) Sichernde und regelnde Maßnahmen Art. 31 EuGVO spricht ausdrücklich von einstweiligen Maßnahmen, „die auf eine Sicherung gerichtet sind“. Danach sind sichernde Maßnahmen vom Begriff der einstweiligen Maßnahme erfasst. Auch der EuGH zählt die Einstweiligkeit und den Sicherungszweck zu den charakteristischen Merkmalen einer einstweiligen Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO. Nach seiner Lesart handelt es sich um Maßnahmen, „die auf in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallenden Rechtsgebieten ergehen und eine Sach- und Rechtslage erhalten sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird.“ 70 Dieser Formulierung werden 68
Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 161. Kofmel Ehrenzeller, S. 277–285, geht demgegenüber von zwei Grundformen des vorläufigen Rechtsschutzes, nämlich Sicherungs- und Befriedigungsmaßnahmen aus, unter die auch Regelungsmaßnahmen fallen. Ebenso Eisermann, S. 161. 69 Kramer, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 305, 314, Fn. 26, hegt Zweifel, ob wirklich von einer autonomen Begriffsbestimmung gesprochen werden kann oder ob allein nach der lex fori zu entscheiden ist, ob eine einstweilige Maßnahme vorliegt. Meines Erachtens ist autonom zu ermitteln, ob die jeweilige nationale Maßnahme einer der von Art. 31 EuGVO erfassten Funktionen entspricht und deshalb als einstweilige Maßnahme in diesem Sinne einzuordnen ist. Sodann richtet sich nach der lex fori, welche Voraussetzungen an die Maßnahme gestellt werden. 70 EuGHE 1992, 2149 Rn. 34 – Reichert/Dresdner Bank; EuGHE 1998, 7091 Rn. 37 – van Uden/DecoLine; EuGHE 2005, 3481 Rn. 13 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA.
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drei Komponenten entnommen. 71 Soweit von „Maßnahmen, die eine Sachund Rechtslage erhalten sollen“, 72 die Rede ist, werde die Wirkung der Maßnahmen beschrieben. Zweck der Maßnahmen sei es, „Rechte zu sichern“. Negativ formuliert und daher nicht erfasst sei die Beurteilung der Rechte im Übrigen, „deren Anerkennung … bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird“. Der EuGH betont darüber hinaus, dass der Erlass einstweiliger Maßnahmen genaue Kenntnisse der Umstände erfordere, unter denen die Maßnahme eingreifen solle. Je nach den Umständen des konkreten Falles müsse es möglich sein, den Erlass einer einstweiligen Maßnahme von Voraussetzungen abhängig zu machen, die dafür sorgten, dass die Maßnahme einstweiligen oder auf Sicherung gerichteten Charakter habe. 73 Als Voraussetzungen werden beispielhaft die Befristung der einstweiligen Maßnahme, die Beibringung einer Bankbürgschaft oder die Bestellung eines Sequesters genannt. 74 Die Literatur stimmt mit dem EuGH insbesondere in Bezug auf das Kriterium der Einstweiligkeit überein, indem sie als Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO solche bezeichnet, die einen vorläufigen, vom Ergebnis des späteren Hauptsacheverfahrens abhängigen Rechtsschutz ermöglichen. 75 Aus der Hervorhebung „einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind,“ wird abgeleitet, dass sichernde Maßnahmen den „Kernbereich“ einstweiliger Maßnahmen nach Art. 31 EuGVO bilden. 76 Für die Aufnahme einer entsprechenden Definition in Art. 31 EuGVO oder eine neu zu schaffende Bestimmung: Dickinson, IPRax 2010, 203, 208. 71 Heinze, S. 87. 72 EuGHE 1992, 2149 Rn. 34 – Reichert/Dresdner Bank; EuGHE 1998, 7091 Rn. 37 – van Uden/DecoLine; EuGHE 2005, 3481 Rn. 13 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. 73 EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 – Denilauler/Couchet Frères; EuGHE 1992, 2149 Rn. 33 – Reichert/Dresdner Bank; EuGHE 1998, 7091 Rn. 38 f. – van Uden/DecoLine; EuGHE 2005, 3481 Rn. 14 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. 74 EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 – Denilauler/Couchet Frères; EuGHE 1992, 2149 Rn. 33 – Reichert/Dresdner Bank; EuGHE 1998, 7091 Rn. 38 f. – van Uden/DecoLine. 75 Albrecht, S. 180; McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 12 f.; Carl, S. 254; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 35; Grunsky, RIW 1977, 1, 7; Kessedjian, Clunet 1997, 103, 107; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 5; Mankowski, JZ 2005, 1144, 1145; Mayr, EuZPR, Rn. II/182; Newton, S. 341 f.; Schack, IZVR5, Rn. 484; Stadler, JZ 1999, 1089, 1095; van Drooghenbroeck, in: van Compernolle/Tarzia, Mesures Provisoires, S. 498; van Houtte/Pertegàs Sender, S. 131 f.; Wannenmacher, S. 154. Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 140, schlägt dementsprechend vor, folgende Definition als neuen Abs. 2 in Art. 31 EuGVO aufzunehmen: „For the purposes of the first paragraph, provisional, including protective measures are measures to maintain the status quo pending determination of the issues at trial; or measures to secure assets out of which an ultimate judgment may be satisfied.“ 76 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 5. In diesem Sinne auch Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 123; Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 304; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 625; van Houtte/Pertegàs Sender, S. 131 f.
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Stellen sichernde Maßnahmen lediglich einen Unterfall der einstweiligen Maßnahme dar, können weitere Maßnahmen erfasst werden, vorausgesetzt, sie erfüllen das Kriterium der Einstweiligkeit. Hierzu gehören Maßnahmen, die ein streitiges Rechtsverhältnis einstweilig regeln. Regelungsverfügungen sind in nahezu jedem Mitgliedstaat bekannt, auch wenn es für sie überwiegend keine speziellen Bestimmungen gibt und eine Generalklausel zu ihrem Erlass ermächtigt. 77 Wie die auf Sicherung sind auch die auf Regelung gerichteten Maßnahmen in ihrer Zielsetzung vorläufig, weil sie auf den Schutz der im Hauptsacheverfahren endgültig durchzusetzenden Rechtspositionen beschränkt sind. Auch Regelungsverfügungen streben danach, eine Veränderung der Sach- und Rechtslage zu verhindern. Der Zweck, unerwünschten Veränderungen entgegenzuwirken, ist daher nicht als Beschränkung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme auf Sicherungsmaßnahmen zu verstehen, sondern als Betonung der Einstweiligkeit, die auch Regelungsverfügungen immanent ist. 78 Weiter weist die Zwecksetzung einstweiliger Maßnahmen nach Art. 31 EuGVO, „Rechte zu sichern“, darauf hin, dass Regelungsverfügungen ebenfalls einstweilige Maßnahmen im Sinne der Vorschrift darstellen. 79 Das Vorhaben, Schäden der Parteien aufgrund der langen Verfahrensdauer zu verhindern 80, kann nicht allein mit sichernden Maßnahmen verwirklicht werden. Es setzt auch die Möglichkeit voraus, einstweilige Regelungen zu treffen. 81 Obgleich weder vom Verordnungswortlaut noch vom EuGH ausdrücklich erwähnt, werden daher außer sichernden auch regelnde Maßnahmen als einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO verstanden, ohne dass dies kontrovers diskutiert wird. 82 Aus dem deutschen Recht zählen der Arrest gemäß § 916 ZPO, die Sicherungsverfügung gemäß § 935 ZPO und die Regelungsverfügung gemäß § 940 ZPO sowie einstweilige Anordnungen in Ehe- und Kindschaftssachen gemäß §§ 49 ff., 119, 246 ff. FamFG zu den einstweiligen Maßnahmen. 83 Für einstweilige Unterhaltsanordnungen gilt allerdings ab dem 18. Juni 2011 Art. 14 EuUHVO, dessen Wortlaut sich jedoch sehr stark an Art. 31 EuGVO orientiert. 77
Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 169. Heinze, S. 89. 79 Heinze, S. 89. 80 EuGHE 2005, 3481 Rn. 13 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. 81 Heinze, S. 90. 82 Heiss, S. 51 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 6; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 26; Wannenmacher, S. 154 f.; Zhou, S. 130. 83 Carl, S. 254; Heiss, S. 51 ff.; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 31 EuGVVO Rn. 2; Kofmel Ehrenzeller, S. 246; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 6; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 5. 78
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b) Leistungsverfügungen Vor dem Hintergrund, dass der Sicherungszweck und die Vorläufigkeit die wesentlichen Merkmale von Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes darstellen, ist verständlich, dass die Frage, ob es sich bei Leistungsverfügungen um einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO handelt, lange Zeit Diskussionsstoff bot. Anstatt den status quo zu sichern, ordnen diese Verfügungen die sofortige Erfüllung eines Teils oder der gesamten geschuldeten Leistung oder ein Unterlassen an und gewähren dem Antragsteller damit inhaltlich bereits das, was er auch in der Hauptsache anstreben würde. Die Leistungsverfügung wirkt damit hinsichtlich ihres Inhalts faktisch endgültig. Anders als die Hauptsacheentscheidung wird sie aber innerhalb kürzester Zeit im Rahmen eines summarischen Verfahrens auf begrenzter Grundlage erlassen. Vorläufig ist eine solche Leistungsverfügung nur insoweit, als sie durch eine Entscheidung in der Hauptsache gegenstandslos werden kann. Wenn allerdings keine Verpflichtung besteht, die Hauptsache durchzuführen, muss das Ergebnis des einstweiligen Verfahrens auch nicht zwingend überprüft und gegebenenfalls revidiert werden. Die Leistungsverfügung wirkt dann faktisch endgültig. Damit verschwimmen die Grenzen zwischen dem einstweiligen Rechtsschutz und dem ordentlichen Verfahren. Maßnahmen zur vorläufigen Befriedigung kennen alle mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. 84 Am stärksten ausgeprägt ist das so genannte Référé-Modell in Frankreich und den Benelux-Staaten. 85 Im Wege der référé-provision 86 bzw. in den daraus entwickelten Verfahren wie dem kort geding 87 kann der zuständige Richter vor oder während des Hauptsacheverfahrens Zahlungen anordnen. 88 Auf vorläufige Befriedigung gerichtete Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes gibt es mit den provvedimenti d’urgenza auch in Italien 89 und in Deutschland, wo die Leistungsverfügungen aber sehr restriktiv gehandhabt und fast ausschließlich bei dringenden Unterhaltszahlungen herangezogen werden. 90 Außerdem gibt es den Typus der Abschlagszahlung parallel zum Hauptverfahren, der im eng84 Aufzählung bei Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 170, Fn. 126 bzw. ders., FS Geiss, S. 199, 207, Fn. 41. Zu den Voraussetzungen von Zahlungsanordnungen in Deutschland, Italien, Frankreich und England siehe Mossler, S. 5 ff. 85 Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 68; Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 172. 86 Art. 484–492, 809 Abs. 2 Ncpc. 87 Art. 254 ff. WBRv (Niederlande); Art. 584, 1035–1041 Gerechtelijk Wetboek/Code judiciaire (Belgien). 88 Die gesetzlichen Grundlagen nennt Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 172, Fn. 132. 89 Art. 700 Cpc. 90 Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 173 f.; siehe oben S. 37 ff.
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lischen Recht als interim payment order 91 ausgestaltet ist und sich ebenfalls im italienischen Recht als provvedimenti anticipatori di condanna findet. 92 aa) Rechtsprechung des EuGH Seit van Uden und Mietz zählt der EuGH Leistungsverfügungen, die in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes das auch in der Hauptsache zu verfolgende Klageziel zusprechen, unter bestimmten Voraussetzungen zu den einstweiligen Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO. 93 An dieses Ergebnis tastete sich der Gerichtshof im Laufe seiner Rechtsprechung zu einstweiligen Maßnahmen heran. In dem Urteil Denilauler resümierte der EuGH, das EuGVÜ meine vornehmlich solche gerichtlichen Entscheidungen, die im Anschluss an ein kontradiktorisches Verfahren ergingen. 94 Da korte gedingen als kontradiktorische Verfahren gestaltet werden können, wurde diese Passage des Urteils so interpretiert, dass der EuGH auch korte gedingen und damit Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen im Sinne des EuGVÜ ansehe. 95 Dies erscheint jedoch spekulativ. Gegenstand der Vorlagefragen 96 waren keine Leistungsverfügungen, sondern auf Sicherung gerichtete Maßnahmen. Einzuräumen ist aber, dass der EuGH in dieser Entscheidung den Weg für die später gefundene Lösung ebnete, Leistungsverfügungen unter bestimmten Voraussetzungen, die ihre Einstweiligkeit fördern, als einstweilige Maßnahmen anzusehen. Denn der EuGH verdeutlichte in der Denilauler-Entscheidung, dass der Erlass einstweiliger Maßnahmen an bestimmte Voraussetzungen geknüpft werden kann, die gewährleisten, dass die Maßnahmen einstweilig sind. Beispielsweise könnten einstweilige Maßnahmen befristet oder Bankbürgschaften verlangt werden. 97 Explizit fragte erstmals der Hoge Raad im Verfahren W./H., ob das kort geding eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 24 EuGVÜ darstellen könne. Der EuGH äußerte sich in diesem Fall ausweichend. Er beschränkte sich auf den schon bekannten Hinweis, dass durch Art. 24 EuGVÜ keine einstweiligen Maßnahmen auf Rechtsgebieten, die außer-
91
Siehe Rule 25.1(1)(k) CPR. Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 173. 93 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/Intership Yachting. 94 EuGHE 1980, 1553 Rn. 13 – Denilauler/Couchet Frères. 95 Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 135. 96 EuGHE 1980, 1553, 1556 – Denilauler/Couchet Frères. 97 EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 f. – Denilauler/Couchet Frères. 92
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
halb des Anwendungsbereichs des Übereinkommens liegen, in den Anwendungsbereich einbezogen werden könnten. 98 Die Reichert-Entscheidung betonte später, dass die auf der Grundlage des Art. 24 EuGVÜ ergehenden Maßnahmen „eine Sach- oder Rechtslage erhalten sollen, um Rechte zu sichern“. 99 Das veranlasste den EuGH dazu, die Gläubigeranfechtungsklage 100 ausdrücklich aus dem Begriff der einstweiligen Maßnahme auszuschließen, denn Gläubigeranfechtungsklagen verfolgen das Ziel, eine Verfügungshandlung, durch die der Schuldner Rechte des Gläubigers verletzt hat, rückgängig zu machen. 101 Später deutete der Gerichtshof an: „Es kann daher nicht von vornherein in genereller und abstrakter Weise ausgeschlossen werden, dass eine vorläufige Zahlung, auch wenn ihr Betrag dem des Klageantrags entspricht, zur Sicherstellung der Wirksamkeit des Urteils zur Hauptsache erforderlich ist und gegebenenfalls angesichts der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt erscheint.“ 102 Anlässlich dieser Entscheidung musste der Gerichtshof zu seiner eigenen Kompetenz zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gemäß Art. 186 EGV aF 103 Stellung nehmen. 104 Im Hermès-Fall wurde der EuGH gefragt, ob ein kort geding eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 50 TRIPs 105 darstellen könne. Dies bejahte der Gerichtshof sogar für den Fall, dass die Parteien die Entscheidung als endgültig behandeln und kein Hauptsacheverfahren mehr einleiten. 106 Da der EuGH zur Behandlung von Leistungsverfügungen im Rahmen des EuGVÜ immer noch keinen eindeutigen Standpunkt bezogen hatte, legte der Hoge Raad im van Uden-Verfahren erneut die Frage vor, ob ein kort geding als einstweilige Maßnahme im Sinne des Art. 24 EuGVÜ einzuordnen sei. 107 Nach der Reichert-Entscheidung, die sichernde Maßnahmen besonders hervorhob, hätte man erwarten können, dass der Gerichtshof diese Frage verneinen würde. Überraschenderweise führte der EuGH 98
EuGHE 1982, 1189 Rn. 11 f. – W./H.; so bereits EuGHE 1979, 1060 Rn. 12 – de Cavel I. Siehe oben S. 246. 99 EuGHE 1992, 2149 Rn. 34 – Reichert/Dresdner Bank. 100 In casu handelte es sich um eine französische action paulienne gemäß Art. 1167 Code civil. Vergleichbar sind Verfahren nach § 13 des deutschen Anfechtungsgesetzes. 101 EuGHE 1992, 2149 Rn. 35 – Reichert/Dresdner Bank. 102 EuGHE 1997, 441 Rn. 37 – Antonissen/Rat und Kommission. 103 Die Vorschrift entspricht Art. 279 AEUV (ex-Art. 243 EGV). 104 EuGHE 1997, 441 Rn. 23 ff. – Antonissen/Rat und Kommission. 105 Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights vom 15.4.1994, BGBl 1994 II, S. 1730 ff. Ausführlich zu Art. 50 TRIPs Zhou, S. 137 ff. 106 EuGHE 1998, 3603 Rn. 45 – Hermès International/FHT Marketing Choice BV. Art. 50 Abs. 6 TRIPs wurde in den niederländischen Art. 260 WBRv implementiert, später allerdings wieder abgeschafft. Siehe dazu S. 68. 107 EuGHE 1998, 7091 Rn. 17 – van Uden/DecoLine (vierte Vorlagefrage).
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aber aus, es könne „nicht von vornherein abstrakt und generell“ verneint werden, dass eine einstweilige Maßnahme erlassen werden müsse, welche die vorläufige Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung anordne, um zu gewährleisten, dass die Entscheidung in der Hauptsache wirksam bleibe. 108 Eine solche Maßnahme könne durch die Interessen der Parteien gerechtfertigt sein. Dies gelte sogar, wenn ihr Betrag dem Klageantrag der Hauptsache entspreche. Da eine derartige Leistung allerdings die Hauptsache vorwegnehmen könne, seien Anordnungen auf vorläufige Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung nur dann als einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 24 EuGVÜ anzusehen, wenn sichergestellt sei, dass der im vorläufigen Verfahren zugesprochene Betrag im Falle einer entgegenstehenden Entscheidung in der Hauptsache zurückgezahlt werde und wenn sich die begehrte Maßnahme ausschließlich auf Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts beziehe. 109 Vermutet wird, dass es dem EuGH angesichts der Tatsache, dass das erstinstanzlich zuständige niederländische Gericht nur etwa 50% der Klagesumme von insgesamt 800.000 DM zugesprochen hatte, etwas leichter fiel, die Einbeziehung von Leistungsverfügungen zu bejahen, als wenn der volle Betrag hätte gezahlt werden sollen. 110 Zwar hatte der EuGH damit in der van Uden-Entscheidung bereits das Wesen des kort geding, genauer gesagt eines Inkasso-kort geding 111, beschrieben, indem er sich auf ein vorläufiges Verfahren bezogen hatte, das auf Geldzahlung gerichtet war. Ausdrücklich hatte er das kort geding aber nicht als vom Begriff der einstweiligen Maßnahme erfasst bezeichnet. Deshalb erkundigte sich der BGH im Fall Mietz ein weiteres Mal, ob das niederländische Verfahren zu den einstweiligen Maßnahmen gehöre. 112 Der EuGH erläuterte daraufhin die Gesetzeslage zum kort geding vor dessen Änderung im Jahr 2002. Zunächst hob er unter Hinweis auf Art. 289 Abs. 1 WBRv hervor, beim kort geding handele es sich um ein Verfahren, in welchem vorläufige Maßnahmen erlassen werden könnten, die angesichts der Dringlichkeit der Sache unter Beachtung der Parteiinteressen geboten erschienen. 113 Gemäß Art. 292 WBRv berühre eine Entscheidung im kort geding die Entscheidung in der Hauptsache nicht, der Erlass einer Maßnahme könne beantragt werden, ohne dass zwingend ein Hauptsacheverfahren folgen müsse. 114 Für den Leser unvermittelt und ohne die gesetz108
EuGHE 1998, 7091 Rn. 45 – van Uden/DecoLine. Wie bereits dargelegt, stammen diese Gedanken aus EuGHE 1997, 441 Rn. 37 – Antonissen/Rat und Kommission. 109 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 f. – van Uden/DecoLine. 110 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221, Fn. 11. 111 Siehe oben S. 164 ff. 112 EuGHE 1999, 2277 Rn. 20 – Mietz/Intership Yachting (vierte Vorlagefrage). 113 EuGHE 1999, 2277 Rn. 34 – Mietz/Intership Yachting. 114 EuGHE 1999, 2277 Rn. 35 – Mietz/Intership Yachting.
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lichen Regelungen zu hinterfragen, folgerte der EuGH anschließend aus seiner Darstellung der Art. 289 ff. WBRv, dass das kort geding eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 24 EuGVÜ darstelle. 115 Werde die Zuständigkeit eines auf die vorläufige Erfüllung einer vertraglichen Hauptleistung gerichteten Verfahrens wie dem kort geding auf Art. 24 EuGVÜ gestützt, handele es sich aber nur dann um eine einstweilige Maßnahme, wenn sichergestellt sei, dass der im vorläufigen Verfahren zugesprochene Betrag im Falle einer entgegenstehenden Entscheidung in der Hauptsache zurückgewährt werden könne und wenn sich die von der Maßnahme betroffenen Vermögensgegenstände im Bereich der örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts befänden. 116 Insoweit wiederholte der EuGH die in van Uden entwickelten Kriterien. Ein anderes niederländisches Verfahren, die vorgezogene Zeugenvernehmung (vorloopig getuigenverhoor), 117 schloss der EuGH in St. Paul Dairy demgegenüber vom Begriff der einstweiligen Maßnahme aus. 118 Dies ist insoweit bemerkenswert, als einige Rechtsordnungen Beweismaßnahmen als Maßnahmen des einstweiligen Rechtsschutzes verstehen 119 und einige Beweisbeschaffungsmaßnahmen im Ergebnis mit Leistungsverfügungen vergleichbar sind. Beide Maßnahmentypen sollen eine Notlage des Gläubigers beseitigen und schaffen oft eine nicht wieder rückgängig zu machende Endgültigkeit. 120 Im Ausgangsverfahren St. Paul Dairy war eine Maßnahme beantragt worden, mit der die Vernehmung eines in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften Zeugen durch ein dortiges Gericht angeordnet werden sollte. Nach Ansicht des EuGH sollte die Vernehmung Tatsachen betreffen, die für die Entscheidung des Gerichts eines anderen Mitgliedstaats in einem späteren Prozess hätten relevant werden können. Der Antrag auf Zeugenvernehmung ziele darauf ab, dem Antragsteller zu er115
EuGHE 1999, 2277 Rn. 38 – Mietz/Intership Yachting. EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/Intership Yachting. 117 Vgl. Art. 186–193 WBRv. Siehe oben S. 186. 118 EuGHE 2005, 3481 Rn. 24 f. – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. Die deutsche Literatur und Rechtsprechung ist geteilter Meinung, ob das selbständige Beweisverfahren nach §§ 485 ff. ZPO als einstweilige Maßnahme anzusehen ist: Dagegen Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 32; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 2; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 31 EuGVVO Rn. 2; Jayme/Kohler, IPRax 2005, 481, 489; Schack, IZVR5, Rn. 491; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 312. Dafür OLG Hamburg IPRax 2000, 530; Carl, S. 254; Heiss, S. 56; Mankowski, JZ 2005, 1144 ff.; Morbach, S. 331; Stürner, IPRax 1984, 299, 300; mit Einschränkung auch Albrecht, S. 108 (Art. 24 EuGVÜ erfasse lediglich die Maßnahmen zur Beweissicherung, die verhindern, dass Beweismittel verloren gehen, die aber nicht dem Antragsteller die Verfügungsgewalt über die in der Hand des Antragsgegners befindlichen Beweismitteln einräumen.). 119 Überblick bei Heinze, S. 104 f., und Hess/Zhou, IPRax 2007, 183, 186. 120 Hess/Zhou, IPRax 2007, 183, 185. 116
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möglichen, die Zweckmäßigkeit einer Klage, die Klagegründe und deren Erheblichkeit beurteilen zu können. 121 Demzufolge entspreche die Maßnahme nicht dem Ziel des Art. 24 EuGVÜ zu verhindern, dass die Parteien durch die regelmäßig lange Dauer internationaler Verfahren Nachteile in Kauf nehmen müssten. 122 Außerdem könne die Maßnahme dazu dienen, die Vorschriften der EuBVO zu umgehen. 123 Die Entscheidung des EuGH hat zur Folge, dass neben dem vorloopig getuigenverhoor, die französische saisie-contrefaçon, die deutsche Besichtigungsverfügung nach §§ 809, 810 BGB und Auskunftsverfügungen im gewerblichen Rechtsschutz nicht als einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO anzusehen sind. 124 Damit die Zuständigkeitsregelungen des europäischen Zivilprozessrechts nicht umgangen werden, entschied der EuGH in Turner, dass ein Prozessführungsverbot nach englischem Recht (anti-suit injunction), mit dem einer Partei untersagt wird, das Gericht eines anderen Mitgliedstaats anzurufen, den zuständigkeitsrechtlichen Grundprinzipien des EuGVÜ widerspricht. Dies gelte auch dann, wenn die Partei mit dem anderen Verfahren das Ziel verfolge, ein bereits anhängiges Verfahren zu blockieren. 125 Obgleich eine interlocutory anti-suit injunction, welche die Prozessfüh121
EuGHE 2005, 3481 Rn. 15 f. – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. EuGHE 2005, 3481 Rn. 12, 22 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. Mankowski, JZ 2005, 1144, 1149, wendet hiergegen ein, das Verhältnis des Beweisverfahrens zur Hauptsache spiele keine Rolle, da die Konzeption des Art. 31 EuGVO gerade von der Unabhängigkeit einstweiliger Maßnahmen von der Hauptsache ausgehe. 123 EuGHE 2005, 3481 Rn. 23 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. Nach Wannenmacher, S. 178–185, ist dem EuGH insoweit zuzustimmen, als er Maßnahmen, die der Ermittlung von Tatsachen dienen, aus dem Anwendungsbereich von Art. 24 EuGVÜ ausklammert. Die Definition einstweiliger Maßnahmen durch den Gerichtshof und die Zielsetzung des Art. 24 EuGVÜ erlaube jedoch die Einbeziehung solcher Beweissicherungsmaßnahmen, die sich auf bereits bekannte Tatsachen beziehen und im Hinblick auf ein späteres Hauptsacheverfahren ergehen. Die Gefahr einer Umgehung der EuBVO sei schon deshalb nicht gegeben, weil die EuBVO einen anderen Regelungsgehalt habe als die EuGVO. Sie enthalte keine Zuständigkeitsvorschriften, sondern regele nur die Frage, in welcher Weise Ersuchen um Beweisaufnahme im Ausland übermittelt und ausgeführt würden. Letzteres bekräftigt auch Mankowski, JZ 2005, 1144, 1146 f., der zusätzlich darauf hinweist, die EuBVO solle die Beweisaufnahme im Ausland erleichtern und keinesfalls eine Sperrwirkung entfalten. Hess/Zhou, IPRax 2007, 183, 188 f., bemängeln, die St. Paul-Entscheidung führe zu Rechtsschutzlücken im Verhältnis zwischen der EuGVO und der EuBVO. Von verschiedenen vorgeschlagenen Lösungsmodellen bevorzugen sie die Anknüpfung an die nationale Qualifikation. Danach soll für die Beweismaßnahmen, die nach autonomem Recht dem einstweiligen Rechtsschutz zugeordnet werden, Art. 31 EuGVO Anwendung finden. Eine ausführliche Analyse zum Verhältnis von EuGVO und EuBVO unter Berücksichtigung der Argumente des EuGH und der verschiedenen Auffassungen aus der Literatur findet sich bei Heinze, S. 105– 111, eine kurze Zusammenfassung bei Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 5. 124 Zhou, S. 133. 125 EuGHE 2004, 3565 Rn. 31 – Turner/Grovit. 122
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rung im Ausland bis zum Abschluss des Rechtsstreits in England untersagt, nur vorläufig wirkt, kann sie daher nach Turner keine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO darstellen, wenn sich das Prozessführungsverbot auf ein Verfahren in einem anderen Mitgliedstaat bezieht. 126 Die Ergebnisse der Turner-Entscheidung bestätigend stellte der EuGH in Allianz SpA/West Tankers Inc. klar, dass der Erlass einer Anordnung, mit der ein mitgliedstaatliches Gericht ein Verfahren vor dem Gericht eines anderen Mitgliedstaates mit der Argumentation untersage, dass ein solches Verfahren eine Schiedsvereinbarung verletze, mit der EuGVO unvereinbar sei. 127 bb) Auslegung Während die Auslegung von Art. 31 EuGVO anhand von Entstehungsgeschichte, Wortlaut und Systematik keine weiterführenden Erkenntnisse liefert, stützt die Auslegung nach dem Normzweck das Ergebnis des EuGH, dass Leistungsverfügungen einstweilige Maßnahmen darstellen. Die Sachverständigenberichte von Jenard 128 und Schlosser 129, die in vielen Zweifelsfällen über die Intention des Gesetzgebers Aufschluss geben, äußern sich nicht zu Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 24 EuGVÜ. Die grammatische Auslegung lässt mehrere Deutungen zu. Die deutsche Fassung 130 von Art. 31 EuGVO könnte man einerseits so verstehen, dass Leistungsverfügungen keine einstweiligen Maßnahmen darstellen, weil der Wortlaut klar zwischen einstweiligen Maßnahmen und der Hauptsache trennt, Leistungsverfügungen der Hauptsache aber gerade inhaltlich vorgreifen. Andererseits hebt die Formulierung „einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind“, sichernde Maßnahmen besonders hervor. Das könnte darauf hindeuten, dass außer den besonders genannten sichernden Maßnahmen auch andere einstweilige Maßnahmen, zum Beispiel Leistungsverfügungen, erfasst werden. 131 Die englische Fassung 132 ist 126
Näher zu anti-suit injunctions als einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO und zu den Auswirkungen der Turner-Entscheidung Dutta/Heinze, ZEuP 2005, 436 f.; Eisermann, S. 146–149; Rauscher, IPRax 2004, 405 ff. 127 EuGH, Urt. vom 10.2.2009, Rs. C-185/07, Rn. 23, 29 f., 34 – Allianz SpA/West Tankers Inc. 128 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 1 ff. 129 Schlosser-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 71 ff. 130 Die verschiedenen Sprachfassungen des EuGVÜ sind gemäß Art. 68 EuGVÜ gleichermaßen verbindlich. 131 Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 4; McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 15; Dedek, EWS 2000, 246, 248; Stadler, JZ 1999, 1089, 1096 f. A.A. Heiss, S. 35 Fn. 14. 132 „provisional, including protective, measures“.
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ähnlich formuliert wie die deutsche und kann daher ebenfalls in verschiedene Richtungen ausgelegt werden. Anders verhält es sich mit der französischen, italienischen, niederländischen und spanischen Version. Sie beziehen sich auf vorläufige oder sichernde Maßnahmen. 133 Dem könnte entnommen werden, dass neben vorläufigen nur sichernde Maßnahmen zulässig sind. Leistungsverfügungen sind weder vorläufig noch auf Sicherung gerichtet und wären folglich nicht erfasst. Auch die Betrachtung der Systematik der Zuständigkeitsregelungen erlaubt kein eindeutiges Auslegungsergebnis. Gemäß Art. 2 ff. EuGVO geht das europäische Zuständigkeitsrecht vom Grundsatz actor sequitur forum rei aus. Der allgemeine Gerichtsstand besteht am Wohnsitz des Beklagten. Eine Ausnahme hiervon macht Art. 31 EuGVO, der u. a. die Eröffnung von Klägergerichtsständen der nationalen Rechtsordnungen ermöglicht. 134 Als Ausnahme von Art. 2 ff. ist Art. 31 EuGVO eng auszulegen. 135 Daraus folgt jedoch nicht zwingend, dass der Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 31 EuGVO auf vorläufige und sichernde Maßnahmen zu beschränken ist. Berücksichtigt werden muss vielmehr, dass sich die Zuständigkeiten für einstweilige Maßnahmen deshalb vom Regelfall des allgemeinen Gerichtsstands am Wohnsitz des Beklagten unterscheiden, weil der Gläubiger stärker als im ordentlichen Verfahren geschützt werden soll. Die letztgenannte Überlegung leitet über zur teleologischen Auslegung. Sie vermag anders als die anderen Auslegungsmethoden zu erklären, warum Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen verstanden werden müssen. Der EuGH legt bei der Auslegung von Art. 31 EuGVO besonderes Gewicht auf die Zielsetzung der Norm. 136 Ihr Zweck besteht darin, einen möglichst weitreichenden und zügigen einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, damit die Parteien durch die oft lange Dauer internationaler Verfahren keine Nachteile erleiden. 137 Optimaler Rechtsschutz darf Leistungsverfügungen nicht ausschließen, weil in Notlagen oft nur sie und nicht bloß sichernde Maßnahmen helfen können. Ist ein Gläubiger dringend auf eine Leistung angewiesen, nützen ihm weder das Abwarten der Hauptsache noch der Erlass einer bloß sichernden Maßnahme. Die Sicherung seiner Ansprüche ernährt den Berechtigten nicht. Er benötigt Geld. Wollte man Leistungsverfügungen vom Anwendungsbereich des Art. 31 EuGVO kategorisch ausschließen, würde dem Gläubiger dieser Zahlungs133 „Les mesures provisoires ou conservatoires“ bzw. „I provvedimenti provvisori o cautelari“ bzw. „voorlopige of bewarende maatregelen“ bzw. „medidas provisionales o cautelares“. 134 Heiss, S. 12. 135 EuGHE 2005, 3481 Rn. 11 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. 136 EuGHE 2005, 3481 Rn. 13 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA: “Gemäß dieser Zielsetzung ...”. 137 EuGHE 2005, 3481 Rn. 12 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
ansprüche in grenzüberschreitenden Fällen ein effektiver Rechtsschutz verwehrt. cc) Bewertung In Anbetracht des Zwecks von Art. 31 EuGVO ist die Entscheidung des EuGH, Leistungsverfügungen grundsätzlich in den Begriff der einstweiligen Maßnahme einzubeziehen, zu befürworten. 138 Ein Ausschluss einzelner Maßnahmen, denen aufgrund ihrer Ausgestaltung in einer der autonomen Rechtsordnungen typische Merkmale einstweiliger Maßnahmen wie Vorläufigkeit oder Eile fehlen, ist abzulehnen, auch wenn die Einbeziehung von Leistungsverfügungen mit verschiedenen Risiken verbunden ist. (1) Einbeziehung zugunsten effektiven Rechtsschutzes Der Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 31 EuGVO muss weit ausgelegt und auf Leistungsverfügungen erstreckt werden, damit effektiver Rechtsschutz gewährleistet wird und keine Rechtsschutzlücken entstehen können. Eine Verweisung auf das Hauptsacheverfahren kann in manchen 138 Dafür auch BGHZ 140, 396 ff.; OLG Hamm RIW 1994, 243; OLG Stuttgart RIW 1997, 684; OLG Düsseldorf RIW 1985, 493; Carl, S. 254; Dedek, EWS 2000, 246, 250; Gronstedt, S. 295 f. (soweit die Leistungsverfügung an einem exorbitanten Gerichtsstand ergeht, allerdings nur unter der Voraussetzung, dass der Anordnungsgegenstand einen qualifizierten Inlandsbezug hat); Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Kessedjian, Clunet 1997, 103, 107; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 125; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 7; Lange, NJB 1999, 157, 158; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 10; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 7; Schlosser, EUZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 22 und 26; Stadler, JZ 1999, 1089, 1099; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 135; Vlas, NJ 1999, 1867; Walter, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 121, 129; Willeitner, S. 96. Ebenso Art. 10.1.2 und 10.1.3 der Vorschläge für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch, ZZP 109 (1996), 345, 357, dazu Kofmel Ehrenzeller, S. 533–536. Anders jedoch Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 3; Heiss, S. 46 ff. und 63 ff.; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 250; O’Malley/Layton, Nr. 24.11; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 314; van Drooghenbroeck, in: Fentiman/Nuyts/Tagaras/Watté, L’espace judiciaire européen, S. 251, 264; van Houtte/Pertegàs Sender, S. 136; Zeiler, JBl. 1996, 635, 639, und auch der im Rahmen der Revision des EuGVÜ gemachte Vorschlag einer Definition der einstweiligen Maßnahme, Mitteilung der Kommission, KOM(1997) 609 endg., ABl. EG 1998 C 33, S. 24 f. Dass die Entscheidung für die Einbeziehung im internationalen Kontext nicht selbstverständlich ist, zeigt der Ausschluss von Leistungsverfügungen in Nr. 22 der 1996 in Helsinki von der International Law Association (ILA) verabschiedeten Resolution zum vorläufigen Rechtsschutz im internationalen Verhältnis („Helsinki-Regeln“), abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 203. Dazu kritisch Kessedjian, Clunet 1997, 103, 107; Schack, ZEuP 1998, 931, 954 Fn. 118 („Überreaktion“). Zustimmend Jametti Greiner, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 11, 34.
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Situationen de facto zu Verweigerung des Rechtsschutzes führen. 139 Außer der deutschen Leistungsverfügung 140 und dem belgischen und niederländischen kort geding 141 stellen deshalb auch die französische référéprovision, 142 die italienische provvedimenti d’urgenza 143 sowie die englische interim payment order 144 einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO dar. 145 Mit der Einbeziehung von Leistungsverfügungen in den Begriff der einstweiligen Maßnahme steht der EuGH im Einklang mit der Rechtswirklichkeit. Denn Leistungsverfügungen sind ein heute häufig beanspruchter und kein außergewöhnlicher Rechtsbehelf mehr. 146 Von den Entscheidungen van Uden und Mietz geht im Übrigen die richtige Signalwirkung für Schuldner aus. Die Einbeziehung der Leistungsverfügung zeigt ihnen, dass auch in internationalen Konstellationen schnell ein auf Erfüllung gerichteter Titel erlangt werden kann. Dieser Umstand könnte sogar dazu animieren, Verbindlichkeiten rechtzeitig zu begleichen, weil ein einstweiliges Verfahren im Ausland gefürchtet wird. (2) Kein Ausschluss aufgrund fehlender Vorläufigkeit Eine denkbare Lösung für die Behandlung von Leistungsverfügungen hätte darin bestanden, Maßnahmen, die entsprechend den Anforderungen des jeweiligen autonomen nationalen Rechts als einstweilig und vorläufig gel139 Dagegen nicht überzeugend Heiss, S. 46: Für den Gläubiger bedeute es keinen Rechtsverlust, wenn Leistungsverfügungen aus dem Anwendungsbereich des Art. 24 EuGVÜ herausgenommen würden. Er müsse in diesem Fall nicht mit Zeitverlust bis zur Hauptsacheentscheidung rechnen, sondern nur eine Verzögerung einkalkulieren, die dadurch entstehe, dass ein einstweiliges Verfahren im Wohnsitzstaat des Schuldners durchgeführt werden müsse, sofern nach dem EuGVÜ kein inländischer Gerichtsstand eröffnet sei. Schon diese Verzögerung kann aber dazu führen, dass kein rechtzeitiger Rechtsschutz gewährleistet wird. Bei einem drohenden Rechtsverlust lenkt Heiss selbst ein und will Leistungsverfügungen ausnahmsweise als von Art. 24 EuGVÜ erfasst ansehen, S. 65. Um das Problem zu umgehen, schlägt er sogar Ausweichmöglichkeiten durch besondere Tenorierungen vor, S. 66 ff. 140 Zum Verfahren siehe oben S. 191 ff. 141 Zum Verfahren siehe oben S. 173 ff. 142 Zum Verfahren Eisermann, S. 98–108; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 44 ff. Einen Überblick zum Meinungsstand bezüglich der référé-provision in der französischen Literatur und Rechtsprechung liefert Huet, Clunet 1999, 613, 616 f. 143 Zum Verfahren Giardina, FS Lalive, S. 499, 503; Mossler, S. 44 ff. 144 Zum Verfahren Albrecht, S. 43; Mossler, S. 174 ff. 145 Dedek, EWS 2000, 246, 247; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 125; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 7; Leible/Freitag, § 7 Rn. 8. Weitere Beispiele der nationalen Rechtsordnungen bei Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 123. Gegen eine Einbeziehung der référé-provision Eisermann, S. 181 und 183. 146 Dedek, EWS 2000, 246; Stadler, JZ 1999, 1089, 1096. Siehe oben S. 50 ff.
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ten, einzubeziehen und Leistungsverfügungen in nationalen Ausprägungen, denen diese typischen Merkmale fehlen, auszuschließen. 147 Diesen Weg ist der EuGH zu Recht nicht gegangen. Das Beispiel des kort geding zeigt, dass sich das Merkmal der Vorläufigkeit eines Verfahrens nicht dazu eignet, zwischen einstweiligen Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO und anderen Maßnahmen zu unterscheiden. Maßgeblich für die Feststellung der Vorläufigkeit wäre die gesetzliche Ausgestaltung. Die Vorläufigkeit ist gesetzliche Voraussetzung des kort geding. 148 Ausdrücklich ordnet Art. 257 WBRv außerdem an, dass eine Entscheidung im kort geding keine Bindungswirkung für die Entscheidung der Hauptsache entfaltet. 149 Der Gesetzgeber hatte also die Absicht, das Verfahren vorläufig zu gestalten. Die praktische Umsetzung kann aber von den gesetzlichen Vorgaben durchaus abweichen. So wirkt eine kort geding-Entscheidung in der Praxis, wie gesehen, meist endgültig. 150 Ob eine Leistungsverfügung unter dem Vorbehalt einer endgültigen Entscheidung in der Hauptsache steht, wird, wenn die anschließende Durchführung eines Hauptsacheverfahrens nicht obligatorisch ist, weniger durch die gesetzlichen Vorgaben bestimmt als vielmehr durch das fehlende Interesse des Gläubigers an der Durchführung eines Hauptsacheverfahrens. 151 Dass dem Gläubiger die rechtlich gesehen provisorische Entscheidung regelmäßig ausreicht, beruht darauf, dass seine Interessen im Rahmen von Leistungsverfügungen durch die Anordnung vollständiger Leistungserbringung umfassend befriedigt werden können. Ein Schuldner hat deshalb oft keine andere Wahl, als selbst Klage zu erheben, wenn er die Streitigkeit in einem ordentlichen Verfahren endgültig klären lassen möchte. 147
Dafür Heiss, S. 42 ff. und 44 ff.; Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 310; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 44; Gothot/Holleaux, Convention de Bruxelles, Nr. 203. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt Albrecht, S. 180, der sich zwar dafür ausspricht, Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen anzusehen, gleichzeitig aber solche Maßnahmen ausschließen will, mit denen eine Entscheidung in der Hauptsache rechtlich unmöglich gemacht würde oder für die der Antragsteller nicht darlegen könnte, dass ein Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist oder demnächst anhängig gemacht werden wird. 148 Siehe oben S. 151 ff. Art. 254 Abs. 1 WBRv ermächtigt zum Erlass einer „voorziening bij voorraad“, einer vorläufigen Maßnahme. Art. 257 WBRv spricht von „beslissingen bij voorraad“, vorläufigen Entscheidungen. Entsprechend Art. 484 Ncpc („décision provisoire“) und Art. 584 belgisches Ger.W. („bij voorraad“). 149 Siehe oben S. 42 f. Ebenso Art. 488 Ncpc, wonach sich die einstweilige Maßnahme nicht auf die Hauptsache auswirkt, und Art. 1039 Abs. 1 Ger.W., der Art. 257 WBRv stark ähnelt. 150 Siehe oben S. 76 ff. Freudenthal, in: Hess, Study JAI A3/02/2000, Nationale Berichte: Niederlande, 3.8; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 1; Snijders/Ynzonides/ Meijer, S. 297; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236. 151 Stadler, JZ 1999, 1089, 1099.
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Entscheidet das Gericht in der Hauptsache zugunsten des Schuldners und wurde keine Sicherheit geleistet, dann kann eine Rückabwicklung gleichwohl an Zahlungsschwierigkeiten des Gläubigers scheitern. Dann steht der Schuldner vor der eigentümlichen Situation, dass die provisorische Rechtslage in einer faktisch endgültigen Tatsachenlage konserviert wird. Unabhängig von ihrer jeweiligen nationalen Erscheinungsform wurde dafür plädiert, Unterlassungsverfügungen vom Anwendungsbereich des Art. 31 EuGVO auszunehmen, weil sie die Hauptsache vorwegnähmen und ihnen die „strikte Einstweiligkeit“ fehle. 152 Zu Recht wurde dagegen eingewandt, dass es in manchen Sachverhaltskonstellationen durchaus möglich ist, eine zunächst verbotene Handlung später nachzuholen. 153 Deshalb nehmen nicht alle auf Unterlassung gerichteten Maßnahmen die Hauptsache vorweg und ein genereller Ausschluss von Unterlassungsverfügungen verbietet sich. Für eine Prüfung im Einzelfall spreche, dass auch bei Unterlassungsverfügungen eine Absicherung des Antragsgegners für den Fall der Rückabwicklung denkbar sei, in der Regel in Form von Ersatz des erlittenen Schadens. 154 Nicht zuletzt sei zu berücksichtigen, dass der EuGH in Italian Leather 155 Ausführungen zur Auslegung des Art. 24 EuGVÜ durch ein deutsches Gericht gemacht habe, das eine Unterlassungsverfügung erlassen hatte. Dies hätte der EuGH nicht getan, wenn Art. 24 EuGVÜ bei Unterlassungsverfügungen überhaupt nicht anwendbar gewesen wäre. 156 Die große praktische Bedeutung von Unterlassungsverfügungen lässt es auch nicht zu, diese vom Übereinkommen auszunehmen. 157 (3) Kein Ausschluss aufgrund fehlender Eilbedürftigkeit Auch der Vorschlag, die Einbeziehung von Leistungsverfügungen an der fehlenden Voraussetzung der Eilbedürftigkeit scheitern zu lassen, 158 ist
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Willeitner, S. 94 ff. Für die Einbeziehung von Unterlassungsverfügungen dagegen Heinze, S. 102; Hess, IPRax 2000, 370, 373; Kurtz, S. 68–71. 153 Wannenmacher, S. 166. 154 Wannenmacher, S. 166. 155 EuGHE 2002, 4995 Rn. 39 – Italian Leather/WECO. 156 Heinze, S. 100; Wannenmacher, S. 167 f. 157 Heinze, S. 102; Hess, IPRax 2000, 370, 373; Kurtz, S. 68. 158 So der Generalanwalt Léger in EuGHE 1998, 7091 Rn. 136 – van Uden/DecoLine; Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 310; Grundmann, S. 143; Heiss, S. 43 f.; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 225 f.; Stadler, JZ 1999, 1089, 1096. Auch die Kommission forderte in ihrem Vorschlag zur Definition einstweiliger Maßnahmen das Vorliegen von Dringlichkeit, KOM(1997) 609 endg., ABl. EG 1998 C 33, S. 24 f. Anders die Sichtweise von van Drooghenbroeck, in: Fentiman/Nuyts/Tagaras/Watté, L’espace judiciaire européen, S. 251, 262, der die Eilbedürftigkeit nicht als Voraussetzung
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nicht empfehlenswert. Dahinter verbirgt sich zwar die aus dem deutschen autonomen Recht vertraute und sachgerechte Überlegung, dass der Erlass einer Leistungsverfügung nur gerechtfertigt ist, wenn in Kürze irreparable Schäden drohen, und dass der Gläubiger, wenn er warten kann, ein ordentliches Verfahren durchführen sollte, um das Verhältnis des einstweiligen Rechtsschutzes zum ordentlichen Verfahren nicht auszuhöhlen. 159 Auf europäischer Ebene bietet es sich jedoch nicht an, anhand der Eilbedürftigkeit abzugrenzen. 160 Bei manchen nationalen Maßnahmen wird von vornherein auf das Vorliegen einer Eilsituation verzichtet. 161 Der Grund dafür, dass etwa Art. 809 Abs. 2 Ncpc bei der référé-provision in bestimmten Fällen, in denen das Bestehen eines Anspruchs nicht bestritten wird, auf das Merkmal der Eilbedürftigkeit verzichtet, ist, dass viele ordentliche Verfahren im französischen Prozessrecht lange dauern. 162 Bei anderen Verfahren wird zwar Eilbedürftigkeit verlangt, an die jedoch äußerst geringe Anforderungen gestellt werden. 163 Beim kort geding kann unter Umständen schon die Erwartung eines langen Hauptsacheverfahrens genügen, um eine Eilsituation zu begründen. 164 Trotz anderer rechtlicher Gestaltung hinsichtlich des Erfordernisses der Eilbedürftigkeit sind die Unterschiede der Verfahren de facto also marginal. Eine unterschiedliche Behandlung im Rahmen von Art. 31 EuGVO ist nicht gerechtfertigt. Sogar wenn zwei Rechtsordnungen jeweils Eilbedürftigkeit fordern, sind aufgrund höherer oder niedrigerer Anforderungen divergierende Ergebnisse möglich. Dies unterstreicht die Entscheidung Italian Leather, in der ein deutsches Gericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung mangels Dringlichkeit zurückwies, während ein italienisches Gericht im selben Fall die Dringlichkeit als gegeben ansah und dem Antrag stattgab. 165 Abhängig von der – nach nationalem Recht zu beurteilenden – einstweiligen Maßnahme versteht, sondern als Zuständigkeitsvoraussetzung in Art. 24 EuGVÜ hineinliest. Ausführlich dazu, ob die Eilbedürftigkeit in Art. 31 EuGVO hineinzulesen ist, einschließlich eines Vorschlages zu einer autonomen Interpretation, Donzallaz, AJP 2000, 956, 971–974. 159 Heiss, S. 43 f.; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 225 f.; Stadler, JZ 1999, 1089, 1096. 160 Anderer Auffassung Eisermann, S. 174 f. 161 Das trifft etwa zu auf die französische référé-provision gemäß Art. 484–492, 809 Abs. 2 Ncpc und die englische interim payment order gemäß Rule 25.1(1)(k) CPR zu: Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 225. Vgl. zur référé-provision auch Merkt, S. 32; Mossler, S. 143; Wannenmacher, S. 57. 162 Gaul, Festgabe Vollkommer, S. 61, 71; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 225 f.; Weber, Verdrängung des Hauptsacheverfahrens durch einstweiligen Rechtsschutz, S. 54 f. 163 Vlas, NILR 1999, 106, 108. 164 Siehe oben S. 137. 165 EuGHE 2002, 4995 Rn. 18–22 – Italian Leather/WECO.
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der Einschätzung des zuständigen Richters ist die Eilbedürftigkeit ein sehr unsicheres Kriterium. 166 Im Gegensatz zu einigen Abkommen 167 und zur Parallelvorschrift in Art. 20 Abs. 1 EheGVO, die explizit nur „in dringenden Fällen“ zum Einsatz kommt, fordert Art. 31 EuGVO selbst nicht ausdrücklich eine Eilsituation. Der EuGH überlässt es den nationalen Zuständigkeitsvorschriften, welche Bedeutung sie der Eilbedürftigkeit zumessen wollen. 168 Ein ungeschriebenes Erfordernis der Eilbedürftigkeit kraft europäischen Rechts würde die nationalen Rechtsschutzsysteme eines Teils der durch die Verweisung auf das nationale Recht in Art. 31 EuGVO gewährten Autonomie berauben. Die Eilbedürftigkeit sollte ein in den nationalen Rechtsordnungen charakteristisches, aber kein zwingendes Merkmal des europäischen Begriffs der einstweiligen Maßnahme darstellen. Eine Differenzierung danach, ob das nationale Recht die Eilbedürftigkeit verlangt, erscheint verfehlt. (4) Risiken der Einbeziehung Seit der Mietz-Entscheidung des EuGH herrscht Klarheit, dass Leistungsverfügungen nach Auffassung des EuGH einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO darstellen. Die Risiken der Einbeziehung von Leistungsverfügungen in den Begriff der einstweiligen Maßnahme werden dadurch jedoch nicht reduziert. Konfliktpotential bieten sowohl die fehlende Einstweiligkeit mit dem daraus resultierenden problematischen Verhältnis zur Hauptsache als auch die Heterogenität der nationalen Maßnahmen. Der Vergleich der deutschen Leistungsverfügung mit dem niederländischen kort geding hat exemplarisch gezeigt, inwiefern sich die Voraussetzungen für den Erlass der Maßnahmen unterscheiden. 169 Während die Leistungsverfügung nach autonomem deutschem Recht nur eingesetzt werden kann, wenn eine existenzgefährdende Notlage, ein unverhältnismäßiger Vermögensschaden oder ein endgültiger Rechtsverlust abzuwenden sind, 170 reicht es beim kort geding aus, dass das Hauptsacheverfahren sehr 166
Merkt, S. 60. Dies gesteht wohl auch Eisermann, S. 175, ein. Art. 15 Abs. 2 des deutsch-belgischen Abkommens vom 30.6.1958 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von gerichtlichen Entscheidungen, Schiedssprüchen und öffentlichen Urkunden in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1959 II 766 (in Kraft seit dem 27.1.1963, BGBl. II 2408); Art. 18 Abs. 2 des deutsch-niederländischen Abkommens vom 30.8.1962 über die gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen und anderer Schuldtitel in Zivil- und Handelssachen, BGBl. 1965 II 27 (in Kraft seit dem 15.9.1965, BGBl. II 1155). 168 EuGHE 2002, 4995 Rn. 42–44 – Italian Leather/WECO. 169 Zu den unterschiedlichen Voraussetzungen in den EU-Mitgliedstaaten siehe auch Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 123 f. 170 Siehe oben S. 168 f.; Baur/Stürner/Bruns, Rn. 53.25; Brox/Walker, Rn. 1612, 1614, 1615; Dedek, EWS 2000, 246, 247. 167
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lange dauern wird 171 oder dass Höhe oder Umfang des befürchteten Schadens zuzunehmen drohen. 172 Die Anforderungen an ein kort geding sind also deutlich niedriger. Die unterschiedlichen Voraussetzungen laden dazu ein, die bestehenden Unterschiede bewusst auszunutzen und anhand der jeweils günstigsten nationalen Regelungen einen Titel zu erlangen, also „Maßnahmenshopping“ 173 zu betreiben. Gemeinschaftsrechtliche Mindestanforderungen für alle einstweiligen Maßnahmen gab es bis zu den Entscheidungen van Uden und Mietz nicht. Daraus folgt, dass für ein und denselben Anspruch je nach Gerichtsort ein qualitativ unterschiedlicher einstweiliger Rechtsschutz zur Verfügung steht. Soweit hierdurch die Defizite einer Prozessordnung durch die Vorteile einer anderen ausgeglichen werden können, ist dies grundsätzlich positiv zu bewerten. Gleichzeitig kann sich dies im Hinblick auf das gemeinschaftsrechtliche Diskriminierungsverbot allerdings auch als problematisch erweisen. 174 Außerdem erwächst aus den nationalen Divergenzen das Risiko eines race to the bottom. Das heißt, dass sich im Wettstreit der nicht harmonisierten Prozessordnungen das Verfahren mit den geringsten Anforderungen durchsetzt. Darüber hinaus besteht das Risiko, dass sich die niedrigeren Anforderungen unterliegenden Leistungsverfügungen an die Stelle des Hauptsacheverfahrens setzen. 175 Selbst wenn eine Leistungsverfügung keine Bindungswirkung für die Hauptsache entfaltet, wirkt sie faktisch endgültig, wenn im Anschluss an den einstweiligen Rechtsschutz kein Hauptsacheverfahren mehr durchgeführt wird. Denn inhaltlich nimmt eine Leistungsverfügung die Hauptsache partiell oder vollständig vorweg. Dass kein Hauptsacheverfahren mehr durchgeführt wird, ist ein zunehmendes Phänomen. In den Niederlanden folgt auf 95% der vorläufigen Verfahren kein Hauptsacheverfahren mehr. 176 Die endgültige Wirkung von Leistungsverfügungen zeigt sich für den Schuldner schließlich auch daran, dass er die 171
Siehe oben S. 137; Kramer, Het kort geding in internationaal perspectief, S. 16; Lampe, in: Keijser/Tjoen-Tak-Sen, Rechters over het kort geding, S. 72; Schenk/Blaauw, Het kort geding7, Algemeen deel, S. 6; Vlas, NILR 1999, 106, 108. 172 Siehe oben S. 137; Lange, NJB 1999, 157, 161; Meijers, S. 103; Vlas, NILR 1999, 106, 108. 173 Consolo, ZZP Int. 6 (2001), 49, 53, nennt dies in Anspielung an den Ausdruck forum shopping „remedy shopping“. 174 Hess, JZ 1998, 1021, 1024. 175 Dedek, EWS 2000, 246, 247; Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 139 f., der sich deshalb für den Ausschluss von Leistungsverfügungen aus dem Anwendungsbereich von Art. 31 EuGVO ausspricht. Stattdessen sollen Leistungsverfügungen allein von den nach Art. 2 ff. EuGVO zuständigen Gerichten erlassen werden. Ebenso Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 651. 176 Siehe oben S. 49; Bots, S. 102; Bruinsma, Korte gedingen, S. 44; Freudenthal, Incassoprocedures, S. 43; Stein/Rueb, Compendium burgerlijk procesrecht15, S. 236; Wieten, S. 55.
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Last der Rückforderung des von ihm Geleisteten trägt, einschließlich des Risikos einer Insolvenz des Gläubigers. Ferner droht durch die Verdrängung des Hauptverfahrens ein Qualitätsverlust im Rechtsschutz. Das schnelle summarische Verfahren, das zum Erlass einer Leistungsverfügung führt, vermag nicht die gleiche Qualität wie ein ordentliches Verfahren zu bieten. Beispielsweise stehen in ihm regelmäßig nicht dieselben Beweismittel zur Verfügung wie im ordentlichen Verfahren. Die zügigere Verfahrensdurchführung verkürzt die Gewährung rechtlichen Gehörs und bewirkt eine Entscheidung auf einer weniger gesicherten Tatsachengrundlage. Eine Fehlentscheidung droht deutlich häufiger als im Hauptsacheverfahren. Das kort geding hat sich dank seiner niedrigen Anforderungen in den Niederlanden indes als kostengünstige und schnelle Alternative zum oft langatmigen Hauptsacheverfahren etabliert. 177 Mit der Reform der niederländischen ZPO von 2002 wurde deshalb u. a. das Ziel verfolgt, ordentliche Verfahren zu verkürzen. 178 Ob diese internen Bemühungen Früchte tragen, wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Der Grund für einen Richtungswechsel im Verhältnis des einstweiligen Rechtsschutzes zum ordentlichen Verfahren könnte auch von EU-Seite kommen. In den Fällen, in denen im Anschluss an ein kort geding kein Hauptsacheverfahren durchgeführt wird, übernimmt das kort geding häufig die Funktion des Mahnverfahrens im deutschen Recht gemäß §§ 688 ff. ZPO. 179 Die niederländische Rechtsordnung kennt ein derartiges Verfahren nicht. 180 Das europäische Mahnverfahren 181 könnte, wenn es in der Praxis angenommen wird, bewirken, dass ein Teil der korte gedingen, auf die kein ordentliches Verfahren folgt, entfiele. De lege ferenda könnte das Risiko der Umgehung strengerer Anforderungen einer Rechtsordnung am effektivsten durch die Vereinheitlichung der verschiedenen Maßnahmen überwunden werden, 182 die allerdings den 177 Bertrams, WPNR 5549 (1981), 49; Brinkhof, GRUR Int. 1993, 387, 394; Dedek, EWS 2000, 246, 247; Lange, NJB 1999, 157, 161; Stadler, JZ 1999, 1089, 1095; Vlas, NILR 1999, 106, 108. 178 Meijknecht, ZZP Int. 5 (2000), 209, 213. 179 Wie Schilken, ZZP 109 (1996), 315, betont, besteht natürlich ein konstruktiver Unterschied zwischen dem Mahnverfahren als summarischem Erkenntnisverfahren, das mit einer rechtskraftfähigen Entscheidung endet, und einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes, das einer solchen Entscheidung nicht zugänglich ist. 180 Freudenthal, Incassoprocedures, S. 333 ff. (Zusammenfassung in deutscher Sprache); Lange, NJB 1999, 157, 161. 181 Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens, ABl. EU 2006 L 399, S. 1. Die Verordnung ist am 12.12.2008 in Kraft getreten, vgl. Art. 33. 182 Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 339.
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Verlust der im einstweiligen Rechtsschutz gewachsenen Vielfalt zur Folge hätte und noch nicht auf der Agenda des europäischen Gesetzgebers steht. Der EuGH hat Art. 31 EuGVO auf andere Weise eingeschränkt, um dem mit der Einbeziehung von Leistungsverfügungen verbundenen Risiko der Umgehung nationaler Anforderungen und der Vorwegnahme der Hauptsache entgegenzuwirken, gleichzeitig aber dem Ziel eines möglichst umfassenden Rechtsschutzes gerecht zu werden. 183 Statt eines vollständigen Ausschlusses, mit dem dieses Ziel nicht erreicht werden könnte, hat der EuGH neue Tatbestandsvoraussetzungen für die Anwendung des Art. 24 EuGVÜ entwickelt. 184 Unabhängig von einer Bewertung der Voraussetzungen im Einzelnen ist diese Vorgehensweise akzeptabel, führt sie doch einerseits dazu, dass grundsätzlich in grenzüberschreitenden Fällen Leistungsverfügungen erlassen werden können, dass sie aber andererseits nicht zum ständigen und unkontrollierten Einsatz kommen können. Einem race to the bottom zwischen den Maßnahmen der verschiedenen Mitgliedstaaten wird durch zusätzliche Voraussetzungen in dem Umfang Einhalt geboten, in welchem dies durch richterliches Eingreifen möglich ist. Dass das Wertesystem der EuGVO nach der Kompetenzverteilung des AEUV eigentlich durch den Gesetzgeber bewahrt werden müsste, steht auf einem anderen Blatt. 3. Voraussetzungen einstweiliger Maßnahmen Seit van Uden und Mietz können einstweilige Maßnahmen außer vom Gericht der Hauptsache nur dann erlassen werden, wenn neben den Voraussetzungen des nationalen Rechts die durch den EuGH aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. a) Voraussetzungen des nationalen Rechts Art. 31 EuGVO verweist mit der Formulierung „Die in dem Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen“ auf die lex fori. Nach dem Prozessrecht am Ort des mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme befassten Gerichts richten sich die Art der Maßnahme, die Voraussetzungen für den Erlass, ihre Wirksamkeit, ihre Aufhebung, ihr Inhalt und die Gerichtszuständigkeit. 185 Hierdurch können die 183
EuGHE 1998, 7091 Rn. 42, 46 – van Uden/DecoLine EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. Leitlinien für den Umgang mit dem kort geding, die der EuGH Ende der 1990er Jahre in den Entscheidungen van Uden und Mietz ansatzweise formulierte, forderte Sauveplanne schon in IPRax 1983, 65, 67. 185 McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 2; Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 345; Demeyere, RW 1999–2000, 1353, 1357; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR2, Art. 31 EuGVVO Rn. 37 f.; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 1; Jenard-Bericht, ABl. 184
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unterschiedlichsten Maßnahmen gewährt werden. Gemein sind ihnen regelmäßig das Erfordernis eines zugrunde liegenden Anspruchs, den es zu sichern oder vorläufig zu erfüllen gilt (fumus boni iuris) und die Gefahr des Anspruchsverlusts sowie eines nicht leicht wieder gutzumachenden Schadens (periculum in mora). 186 Die Tendenz geht bei auf Leistung gerichteten einstweiligen Maßnahmen allerdings dahin, dass statt der Gefährdung des Anspruchs eine eindeutige Rechtslage und die Leistungsfähigkeit des Schuldners zur Voraussetzung werden, dies gilt etwa für die englische interim payment order und die französische référé-provision. 187 Nach mitgliedstaatlichem Recht bestimmt sich ferner, welche Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen. 188 Damit führt Art. 31 EuGVO zu einer umfassenden Anwendung des autonomen nationalen Rechts. Weil einstweiliger Rechtsschutz durch viele verschiedene nationale Maßnahmen gewährt werden kann, ermöglicht die Verweisung auf autonomes Recht, dass auf ganz verschiedene Situationen flexibel reagiert werden kann. Wegen der vorhandenen Unterschiede ist die Frage, welches Gericht zuständig sein und die nach seiner lex fori bereitgestellten einstweiligen Maßnahmen anordnen wird, von entscheidender Bedeutung für den Ausgang des Rechtsstreits. b) Voraussetzungen des EuGH Der EuGH knüpft den Erlass einer einstweiligen Maßnahme auf der Grundlage des Art. 31 EuGVO nunmehr an drei ungeschriebene Voraussetzungen. Bei allen einstweiligen Maßnahmen fordert der EuGH, dass eine reale Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der beantragten Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des angerufenen Mitgliedstaats besteht. 189 Leistungsverfügungen stellen nach Auffassung des Gerichtshofs nur dann einstweilige Maßnahmen i.S. dieser Vorschrift dar, wenn zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen. Zum einen muss bei Leistungsverfügungen die Rückzahlung des zugesprochenen Betrags für den Fall, dass der Antragsteller in der Hauptsache unterliegt, gewährleistet EG 1979 C 59, S. 1, 42; Kofmel Ehrenzeller, S. 242; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 2; Leible/Freitag, § 7 Rn. 5; Mayr, EuZPR, Rn. II/181; Newton, S. 338; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 1. 186 Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 344; Kennett, Enforcement of Judgments in Europe, S. 160 ff.; Kofmel Ehrenzeller, S. 287 ff. 187 Kofmel Ehrenzeller, S. 291; Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 177. 188 Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 679; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 28. 189 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine.
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sein. 190 Zum anderen darf eine Leistungsverfügung nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betreffen, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten. 191 Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH ist der Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 31 EuGVO folgendermaßen zu fassen: „Im Sinne der Verordnung sind einstweilige Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, dringende Maßnahmen, die zur Wirksamkeit der Entscheidung in der Hauptsache Beweismaterial oder Vermögen sichern oder eine bestehende Sach- und Rechtslage aufrechterhalten oder regeln, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im Übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt werden kann. Solche Maßnahmen können auch die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer Hauptleistung umfassen, wenn die Rückzahlung der zugesprochenen Leistung an den Antragsgegner bei Unterliegen des Antragstellers in der Hauptsache gesichert ist und die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betrifft, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten.“ 192 Da der EuGH die neuen Anforderungen nicht näher erläutert hat, sind die zentralen Fragen bei Leistungsverfügungen, wie die Voraussetzungen einzuordnen sind und was sich inhaltlich hinter ihnen verbirgt. Zu beachten ist, dass einstweilige Maßnahmen, die nicht auf Art. 31, sondern auf Art. 2 ff. EuGVO gestützt werden, den einschränkenden Voraussetzungen nicht unterliegen. Wenn das Hauptsachegericht entscheidet, geht es nicht darum, die Umgehung der vereinheitlichten Zuständigkeitsregelungen der Art. 2 ff. EuGVO zu verhindern. 193 Das Gericht der Hauptsache kann deshalb auch Entscheidungen treffen, die nicht unter den Begriff der einstweiligen Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO fallen. 194 aa) Einordnung der Voraussetzungen Der inhaltlichen Konkretisierung der Voraussetzungen muss die Beantwortung der Frage vorausgehen, wie die Voraussetzungen einzuordnen sind, das heißt, worauf sie sich beziehen. Aus den Entscheidungen van Uden 190 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/ Intership Yachting. 191 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/ Intership Yachting. 192 Heinze, S. 117. Darüber hinaus bietet er S. 128 f. einen einheitlichen Begriff der einstweiligen Maßnahme für Art. 31 EuGVO, Art. 99 GMVO, Art. 90 GGVO, Art. 50 TRIPs, Art. 7, 9 Durchsetzungsrichtlinie. 193 EuGHE 1998, 7091 Rn. 22, 47 – van Uden/DecoLine. 194 Wannenmacher, S. 210.
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und Mietz geht nicht zweifelsfrei hervor, ob es sich um Voraussetzungen des Begriffs der einstweiligen Maßnahme oder um Voraussetzungen der Zuständigkeit handeln soll. Zwei Varianten der Einordnung sind denkbar. Einerseits könnten die Gewährleistung der Rückzahlung und der Ortsbezug den Begriff der einstweiligen Maßnahme begrenzen und die reale Verknüpfung könnte die Zuständigkeit einschränken. Andererseits könnte lediglich die Gewährleistung der Rückzahlung den Begriff der einstweiligen Maßnahme begrenzen und sowohl die reale Verknüpfung als auch der Ortsbezug die Zuständigkeit einschränken. Bei der realen Verknüpfung fällt die Einordnung am leichtesten. Die reale Verknüpfung soll zwischen dem Gegenstand der Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts bestehen. 195 Damit fordert die Voraussetzung einen Bezug der Maßnahme zur Zuständigkeit und schließt Gerichtsstände ohne hinreichende Anknüpfungspunkte an den Gegenstand der Maßnahme aus. Dass der EuGH derartige Zuständigkeiten im Visier hatte, zeigt sich u.a. daran, dass sich die Diskussion im Zusammenhang mit van Uden und Mietz an Art. 126 Abs. 3 WBRv aF entzündete, der einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers eröffnete. Die reale Verknüpfung begrenzt also die Zuständigkeit. 196 Schwieriger ist es, die Gewährleistung der Rückzahlung und den Ortsbezug einzuordnen. In van Uden meinte der EuGH: „Deshalb stellt die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung nur dann eine einstweilige Maßnahme dar, wenn die Rückzahlung … gewährleistet ist und wenn die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betrifft, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten.“ 197 Die Formulierung deutet darauf hin, dass nur Leistungsverfügungen, die beide Voraussetzungen erfüllen, einstweilige Maßnahme darstellen. 198 Die Gewährleistung der Rückzahlung als Begrenzung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme einzuordnen, 199 ist nachvollziehbar. Die Voraussetzung ermöglicht die Rückerstattung für den Fall einer abweichenden 195
EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. So auch Heinze, S. 82 (unter Hinweis auf EuGHE 2002, 4995 Rn. 39 – Italian Leather/ WECO: „Der Gerichtshof geht einleitend davon aus, dass das Landgericht Koblenz … die Grenzen der aus Artikel 24 des Übereinkommens abgeleiteten Zuständigkeit, wie sie der Gerichtshof ausgelegt hat, nicht überschritten hat.“); Lange, NJB 1999, 157, 160; Stadler, JZ 1999, 1089, 1098. 197 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine (Hervorhebung der Autorin). Ähnlich EuGHE 1999, 2277 Rn. 42 – Mietz/Intership Yachting. 198 Dieser Ansicht sind auch Lange, NJB 1999, 157, 160; Stadler, JZ 1999, 1089, 1098. 199 So auch Dedek, EWS 2000, 246, 251; Lange, NJB 1999, 157, 158; Stadler, JZ 1999, 1089, 1090. 196
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Entscheidung in der Hauptsache und erschwert auf diese Weise, dass die Hauptsache faktisch vorweggenommen wird. Zugleich verdeutlicht die Voraussetzung, dass einstweilige Verfahren unter dem Vorbehalt der Hauptsache stehen, also vorläufig sein sollen. 200 Sähe man die Begrenzung auf Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich ebenfalls als Merkmal der einstweiligen Maßnahme an, würde man diese Voraussetzung jedoch in eine Kategorie hinein zwingen, in die sie nicht passt. Der Ortsbezug sichert die Sach- und Vollstreckungsnähe von Gerichtsständen im einstweiligen Rechtsschutz. Damit wird noch eindeutiger als mit der realen Verknüpfung verhindert, dass Gerichtsstände des einstweiligen Rechtsschutzes mit nur geringfügigem Bezug zum Rechtsstreit herangezogen und Hauptsachezuständigkeiten umgangen werden. Deshalb ist der Ortsbezug als Merkmal der Zuständigkeit zu qualifizieren. 201 Das Ergebnis für die Einordnung muss daher lauten, dass die Gewährleistung der Rückerstattung den Begriff der einstweiligen Maßnahme begrenzt, wohingegen die reale Verknüpfung und der örtliche Bezug die internationale Zuständigkeit einschränken. Bei Beachtung der Voraussetzungen des EuGH stellt eine Leistungsverfügung deshalb nur dann eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO dar, wenn die Rückzahlung gewährleistet ist. Gerichte, bei denen eine einstweilige Maßnahme beantragt wurde, können ihre Zuständigkeit auf Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht nur stützen, wenn eine reale Verknüpfung besteht. Bei Leistungsverfügungen, sind die Gerichte nach hier vertretener Auffassung nur zuständig, wenn auch ein örtlicher Bezug gegeben ist. bb) Gewährleistung der Rückzahlung bei Leistungsverfügungen Die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer Leistung stellt nach Auffassung des EuGH eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO dar, wenn gewährleistet ist, dass der zugesprochene Betrag an den Antragsgegner zurückgezahlt werden kann, wenn er in der Hauptsache obsiegt. 202
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So auch Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 680; Lange, NJB 1999, 157, 158. So auch Eisermann, S. 167 f.; Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 162; Heinze, S. 96; Lange, NJB 1999, 157, 158; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 365; Petrochilos, Lloyd’s MCLQ 2000, 99, 107; Vlas, NILR 1999, 106, 109. Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 232, bezeichnen die Einordnung des Ortsbezuges als Voraussetzung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme als „sachlogisch verblüffend“, Wannenmacher, S. 171, als „systematisch ungeschickt“. 202 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. 201
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(1) Inhalt Der Inhalt der neuen Voraussetzung muss präzisiert werden, denn als der EuGH in van Uden und Mietz entschied, dass die Rückzahlung der infolge einer Leistungsverfügung geleisteten Summe gesichert sein müsse, führte er nicht näher aus, auf welche Art und Weise die Rückzahlung zu gewährleisten ist. 203 Die Gewährleistung der Rückzahlung muss sich daran orientieren, wie der Antragsgegner seiner Leistungspflicht nachgekommen ist. Der EuGH spricht diesbezüglich von der „vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung“ und dem „zugesprochenen Betrag“ 204. Eine Leistung kann vorläufig erbracht werden, indem der Antragsgegner den „zugesprochenen Betrag“ direkt an den Antragsteller zahlt, aber auch, indem der Antragsgegner den entsprechenden Betrag lediglich hinterlegt. 205 Eine Hinterlegung rückgängig zu machen, ist weniger aufwändig als eine Rückzahlung. Deshalb könnten im Falle einer Hinterlegung andere Anforderungen an die Gewährleistung der Rückabwicklung gestellt werden als bei einer Zahlung. 206 Der EuGH redet jedoch stets von einer „Rückzahlung“. 207 Daher steht im Vordergrund die Frage, wie gewährleistet werden kann, dass ein Antragsgegner, der aufgrund einer entsprechenden Anordnung im einstweiligen Rechtsschutz eine bestimmte Summe an den Antragsteller gezahlt hat, sicher sein kann, den Betrag im Falle einer entgegen gesetzten Entscheidung in der Hauptsache zurückzuerhalten. Rechtlich ist die Rückzahlung gewährleistet, wenn ein Rückzahlungsanspruch, etwa ein Bereicherungs- oder Schadensersatzanspruch, 208 be203
Vgl. EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/Intership Yachting. 204 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. 205 Schulz, ZEuP 2001, 805, 822. 206 Schulz, ZEuP 2001, 805, 822. 207 Vgl. EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/Intership Yachting. 208 Das deutsche Zivilprozessrecht sieht den Schadensersatzanspruch gemäß § 945 ZPO vor, wonach die Partei, welche die Anordnung eines ungerechtfertigten oder später aufgehobenen Arrests bzw. einer einstweiligen Verfügung erwirkt hat, verschuldensunabhängig zum Ersatz des der Gegenpartei aus der Vollziehung der Maßnahme entstandenen Schadens verpflichtet ist. In den Niederlanden hat die Rechtsprechung einen entsprechenden Schadensersatzanspruch entwickelt. Wer seinen Gegner durch Drohung mit Vollstreckung dazu zwingt, sich entsprechend einer erlassenen einstweiligen Maßnahme zu verhalten, handelt unrechtmäßig, wenn in der Hauptsache anders entschieden wird als im einstweiligen Verfahren, und ist deshalb zum Ersatz des verursachten Schadens verpflichtet; Hoge Raad vom 16.11.1984, NJ 1985, Nr. 547. Auch die ALI/UNIDROIT-Principles of Transnational Civil Procedure, die grundlegende prozessuale Voraussetzungen für Gerichtsverfahren in internationalen Handelssachen vorse-
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steht. 209 Diese Rückabwicklungsmöglichkeiten entlasten den Antragsgegner allerdings nicht vom Risiko der Insolvenz des Antragstellers. 210 Daher ist eine derartige schuldrechtliche Gewährleistung der Rückzahlung grundsätzlich unzureichend. 211 Etwas Anderes kann nur für faktisch unumkehrbare Maßnahmen gelten, etwa zur Durchsetzung von Auskunfts- oder Rückrufsansprüchen. Diese sollten aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes ebenfalls als einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO angesehen werden. Da es sich aber um nicht pekuniäre Leistungsanordnungen handelt, kann sich die Sicherheitsleistung in derartigen Fällen nicht auf einen Rückzahlungsanspruch beziehen. Stattdessen muss ein Anspruch auf Schadensersatz wegen ungerechtfertigten einstweiligen Rechtsschutzes bestehen. 212 Ebenfalls zur Sicherung etwaiger Schadensersatzansprüche muss bei Unterlassungsanordnungen Sicherheit geleistet werden. Für eine generelle Pflicht zur Sicherheitsleistung sprechen auch die Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit. 213 Den Vorzug gegenüber einer rein schuldrechtlichen Gewährleistung der Rückzahlung verdienen eine rechtliche und tatsächliche Absicherung des Antragsgegners. 214 Der Rückzahlungs- oder Schadenersatzanspruch muss auch wirtschaftlich durchsetzbar sein. 215 Nach allgemeinem Verständnis ist der Antragsgegner am besten geschützt, wenn der Antragsteller im einstweiligen Verfahren mindestens in Höhe der zugesprochenen Summe Sicherheit leistet, 216 etwa durch eine Bankbürgschaft, Sequestration oder hen und als Vorbild für gesetzgeberische Reformprojekte dienen können, sprechen in Nr. 8.3 Satz 1 die Möglichkeit einer Entschädigung an: „Wer eine einstweilige Maßnahme beantragt hat, haftet in der Regel für die Entschädigung einer Person, gegen welche die einstweilige Maßnahme erlassen worden ist, wenn das Gericht später entscheidet, dass dieser einstweilige Rechtsschutz nicht hätte gewährt werden dürfen.“ (http://www.unidroit.org/german/principles/civilprocedure/ali-unidroitprinciples-g.pdf). Eine Einschränkung ergibt sich hier allerdings aus der Formulierung “ in der Regel”. 209 Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 22; Schulz, ZEuP 2001, 805, 822. 210 Heinze, S. 95; Schulz, ZEuP 2001, 805, 822. 211 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 49; Heinze, S. 95; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 246; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 15; Pansch, S. 40; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 22; Schulz, ZEuP 2001, 805, 822; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097; Zhou, S. 131. 212 Heinze, S. 95 f. Ähnlich Wannenmacher, S. 169 f. 213 A.A. Heinze, S. 99, der die vom EuGH für Leistungsverfügungen formulierten Einschränkungen gerade aus diesen Gründen bei Unterlassungsanordnungen nicht heranziehen will. 214 So auch Schulz, ZEuP 2001, 805, 822; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. 215 Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 73. 216 McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 16; Dedek, EWS 2000, 246, 251; Eisermann, S. 168; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 15; Hess, IPRax 2000, 370, 372; Kofmel Ehrenzeller, S. 244; Kramer, NTBR 1999, 74, 76; Kropholler/
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Hinterlegung. 217 Daraus folgt, dass keine Leistungsverfügung erlassen werden darf, die nicht gleichzeitig eine Sicherheitsleistung des Antragstellers anordnet. 218 Die Details der Erbringung der Sicherheitsleistung sind der lex fori zu entnehmen. 219 Die Verpflichtung, eine Sicherheitsleistung anzuordnen, muss unabhängig von der aktuellen Vermögenssituation des Antragstellers bestehen, da sich die finanziellen Verhältnisse im Laufe des Verfahrens verändern können und eine solche Entwicklung nicht zu Lasten des Antragsgegners gehen darf. Als der EuGH in Denilauler erstmals anklingen ließ, dass er den Begriff der einstweiligen Maßnahme in Art. 24 EuGVÜ weit verstehen wollte, ohne ihn ausufern zu lassen, stellte es der Gerichtshof noch in das Ermessen des zuständigen Richters, den Erlass einer Maßnahme an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, von denen er einige beispielhaft aufführte. 220 In van Uden und Mietz ist eine freiwillige Lösung nicht mehr vorgesehen. Die Rückzahlung ist vielmehr nur gesichert, wenn die Gerichte zur Anordnung einer Sicherheitsleistung verpflichtet sind. 221 Da man im deutschen, franvon Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 7; Lange, NJB 1999, 157, 158; Markus, SZW 1999, 205, 218; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 15; Petrochilos, Lloyd’s MCLQ 2000, 99, 106; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 7; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 22; Schulz, ZEuP 2001, 805, 822; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 224; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097; Zhou, S. 131. Die Sicherheitsleistung bei Leistungsverfügungen ist auch dem deutschen Recht bekannt, vgl. §§ 936, 921 Satz 2 ZPO. 217 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 15; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Lange, NJB 1999, 157, 158; Zhou, S. 131. Im deutschen Recht ist Sicherheit durch Bankbürgschaft oder Hinterlegung zu leisten, wenn nichts anderes angeordnet oder vereinbart wurde, § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO. 218 So auch Schulz, ZEuP 2001, 805, 823; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097; Wannenmacher, S. 169. Siehe zu den Nachteilen der Sicherheitsleistung aber S. 288. 219 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 49; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. 220 EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 – Denilauler/Couchet Frères: Die Befristung der Maßnahme oder ihre Begrenzung auf bestimmte Vermögensgegenstände, die Vereinbarung von Bankbürgschaften oder die Bestellung eines Sequesters. 221 Die Verpflichtung ergibt sich aus der Formulierung: „dass … die Anordnung der vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung nur dann eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Artikel 24 des Übereinkommens darstellt, wenn …“ (Hervorhebung der Autorin), EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine; sehr ähnlich EuGHE 1999, 2277 Rn. 43 – Mietz/Intership Yachting. Ebenso Heinze, S. 95; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Kennett, ICLQ 48 (1999), 966, 973; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 38; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 73; Willeitner, S. 99. Schon vor dem EuGH hatte Eilers, S. 283, gefordert, dass der Gläubiger mit Beginn der Vollstreckung nachweist, im Urteilsstaat eine Sicherheit geleistet zu haben, damit der Schuldner effektiv geschützt werde. Dies leitete sie aus Art. 38 Abs. 3 EuGVÜ ab.
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zösischen und niederländischen Recht vor van Uden und Mietz von richterlichem Ermessen ausging, werden die autonomen Rechte in diesem Punkt im Anwendungsbereich der EuGVO nun durch das Gemeinschaftsrecht modifiziert und der Ermessensspielraum auf Null reduziert. 222 Formal halten das deutsche 223 wie auch das französische 224 Recht noch an den Ermessensregeln fest. Die niederländische Regelung, Art. 293 WBRv aF, ist zwischenzeitlich weggefallen. Berichtet wird jedoch von einzelnen Fällen, in denen sich die niederländischen Gerichte darüber hinweggesetzt und wie nach alter Rechtslage nach eigenem Ermessen eine Sicherheitsleistung angeordnet haben. 225 Die alte Rechtslage erlaubte es, dass der zuständige Richter erster Instanz im Fall van Uden Maritime BV die Deco Line KG zur Zahlung von immerhin fast 400.000 DM verurteilten konnte, ohne von der Klägerin eine Sicherheitsleistung zu verlangen. Die Parteien können auch nicht in gegenseitigem Einvernehmen von einer Sicherheitsleistung absehen. 226 Nach Ansicht des EuGH ist die Gewährleistung der Rückzahlung, der durch eine Sicherheitsleistung entsprochen werden kann, eine Voraussetzung, ohne die eine Leistungsverfügung keine einstweilige Maßnahme darstellt. 227 Wäre diese Voraussetzung disponibel, so hätten es die Parteien in der Hand, ob eine einstweilige Maßnahme vorläge oder nicht. Danach würde sich bestimmen, ob eine Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO eröffnet wäre, was einer Gerichtsstandsvereinbarung gleich käme. Dass der EuGH soweit gehen wollte, ist nicht anzunehmen. Die Verpflichtung, eine Sicherheitsleistung anzuordnen, enthält auch Nr. 8.3 Satz 2 der ALI/UNIDROIT-Principles of Transnational Civil Procedure, welcher in deutscher Übersetzung lautet: “In geeigneten Fällen muss das Gericht vom Antragsteller des einstweiligen Verfahrens Sicherheitsleistung oder eine förmliche Haftungsverpflichtung verlangen.” (http://www.unidroit.org/german/principles/civilprocedure/ali-unidroitprinciples-g.pdf). Fraglich bleibt hier allerdings, wann von “geeigneten Fällen” gesprochen werden kann. 222 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 49; Heinze, S. 95; Hess/ Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 38; Pansch, S. 40; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 7; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 73; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. 223 §§ 936, 921 Satz 2 ZPO. Nähere Einzelheiten der Sicherheitsleistung bestimmen §§ 108–113 ZPO. 224 Art. 489 al. 1, 517 Ncpc. Details der Sicherheitsleistung sind in Art. 518–523 Ncpc geregelt. Zu beachten ist Art. 521 Ncpc, wonach im Verfahren der référé-provision die Vollstreckung dadurch verhindert werden kann, dass der Schuldner Sicherheit leistet. 225 Lange, NJB 1999, 157, 158; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. In den Niederlanden sah man vor van Uden kein Bedürfnis für die Anordnung von Sicherheitsleistungen, Vlas, NILR 1999, 106, 109. 226 So aber Lange, NJB 1999, 157, 162. 227 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine.
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Unbeachtlich ist, ob das zugrunde liegende Rechtsverhältnis vertraglicher oder gesetzlicher Natur ist, auch wenn der EuGH das Merkmal der Sicherheitsleistung in van Uden in einer vertragsrechtlichen Streitigkeit entwickelt hat. 228 Der Ausspruch des Gerichtshofs wird aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage in vertraglichen und gesetzlichen Rechtsverhältnissen teilweise so ausgelegt, dass eine Sicherheitsleistung nur dann erforderlich sei, wenn ein Vertrag vorliege. 229 Vertragsparteien sei zuzumuten, dass sie selbst für den Fall vorsorgten, dass eine nicht den Erwartungen entsprechende Abwicklung des Vertragsverhältnisses eintrete. Bei außervertraglichen, etwa deliktischen oder familienrechtlichen Verhältnissen sei das hingegen ausgeschlossen. 230 Über einer Differenzierung zwischen vertraglichen und anderen Rechtsbeziehungen steht im einstweiligen Rechtsschutz aber das Interesse des Gläubigers an einer schnellen Entscheidung. Muss exakt untersucht werden, ob ein Rechtsverhältnis vertraglicher oder gesetzlicher Natur ist, wird die im vorläufigen Verfahren kostbare Zeit verschenkt. Vor allem aber wurde die Voraussetzung erarbeitet, um die Gefahr einzudämmen, dass die Hauptsache vorweggenommen wird. 231 Sämtliche Leistungsverfügungen, unabhängig davon, ob sie auf vertraglichen oder außervertraglichen Ansprüchen basieren, haben das Potential, die Hauptsache vorwegzunehmen. Deshalb muss die Rückzahlung in sämtlichen Fällen gewährleistet sein, in denen eine Hauptleistung vorläufig erbracht werden soll, unabhängig davon, ob das zugrunde liegende Rechtsverhältnis vertraglicher oder gesetzlicher Natur ist. 232 In diesem Sinne könnte es auch zu deuten sein, dass die besondere unterhaltsrechtli228
EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. Für eine Differenzierung McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 17; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 40; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 627; Schulz, ZEuP 2001, 805, 820 (mit dem Hinweis auf die Tradition des EuGH, seine Entscheidungen eng am Vorlagefall auszurichten, der in van Uden und Mietz vertragliche Hauptleistungen zum Gegenstand hatte); Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 224 f.; Zhou, S. 131 f. Dagegen Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 50; Heinze, S. 94. Nach Carl, S. 272, ist eine Sicherheitsleistung nur bei Zahlungsansprüchen zu erbringen, weil sie nur bei diesen exakt zu bestimmen sei. 230 McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 17; Eisermann, S. 170 f.; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 224 f. Hess, EuZPR, § 6 Rn. 246 und Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 627, möchten nur die unterhaltsrechtlichen Ansprüche herausnehmen. 231 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 – van Uden/DecoLine. 232 So auch Dedek, EWS 2000, 246, 250; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 50; Heinze, S. 94; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 128; Pansch, S. 40 Fn. 168; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. Eisermann, S. 170 f., ist demgegenüber der Auffassung, dass eine faktische Vorwegnahme der Hauptsache insbesondere bei Unterhaltsansprüchen und bei deliktischen Ansprüchen hinzunehmen sei. 229
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
che Problematik im Rahmen von Art. 14 EuUHVO nicht gewürdigt wurde, obgleich dessen Wortlaut dem des Art. 31 EuGVO entspricht. Aus der Formulierung, es könne „nicht von vornherein abstrakt und generell ausgeschlossen werden“, 233 dass der Erlass einer Leistungsverfügung erforderlich und angesichts der Parteiinteressen gerechtfertigt sei, wird im Umkehrschluss hergeleitet, es müsse im Einzelfall untersucht werden, ob eine Maßnahme endgültige Wirkung entfalte. 234 Selbst wenn Statistiken zur Häufigkeit der Durchführung von Hauptsacheverfahren im Anschluss an einstweilige Verfahren Indizcharakter zugestanden würde, 235 bleibt dieser Vorschlag unpraktikabel. Eine Prüfung des Einzelfalles dürfte zum Zeitpunkt des Erlasses einer einstweiligen Maßnahme selten Erfolg versprechen, da eine Zukunftsprognose zu der Frage, ob später noch ein Hauptsacheverfahren stattfinden wird, mangels entsprechender Anhaltspunkte regelmäßig nicht erstellbar wäre. Oft zeigt sich erst im Laufe der Zeit, wie sich das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien fortentwickelt und ob der Übergang in das ordentliche Verfahren notwendig und sinnvoll wäre. Obgleich der EuGH die Gewährleistung der Rückgewähr gefordert hat, um Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO ansehen zu können, wird diese Voraussetzung auch als Argument dafür vorgetragen, Leistungsverfügungen vom Begriff der einstweiligen Maßnahme auszunehmen. 236 Aufgrund der erforderlichen Sicherheitsleistung ähnelten Leistungsverfügungen, die das Hauptsacheverfahren vorwegnähmen oder sogar verdrängten, noch deutlicher als sonst den für vorläufig vollstreckbar erklärten Urteilen des deutschen Rechts. 237 Deshalb seien Leistungsverfügungen nicht unter Art. 31 EuGVO zu fassen, sondern wie vorläufig vollstreckbare Urteile zu behandeln, für die Zuständigkeiten nach Art. 2 ff. EuGVO bestünden. 238 Die Entscheidung van Uden zeigt jedoch, dass der EuGH die Zuständigkeit aus Art. 31 EuGVO erhalten will, damit sie auch in Situationen, in denen eine Zuständigkeit gemäß Art. 2 ff. EuGVO zum Beispiel aufgrund einer Schiedsvereinbarung ausgeschlossen ist, flexiblen Rechtsschutz ermöglicht.
233
EuGHE 1998, 7091 Rn. 45 – van Uden/DecoLine. Dedek, EWS 2000, 246, 250. 235 Dedek, EWS 2000, 246, 251. 236 Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 224. 237 Nach Vogg, S. 17 f., ist einstweiligen Maßnahmen und vorläufig vollstreckbaren Urteilen insbesondere ihre Überbrückungsfunktion gemeinsam. Beide sollen über die Zeit bis zur endgültigen Durchsetzung eines Rechts, also bis zum Eintritt der formellen Rechtskraft des Titels und bis zum Ende der Zwangsvollstreckung, hinweg helfen. 238 Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 224. 234
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(2) Bewertung Mit der Forderung, dass die Rückzahlung gewährleistet sein muss, schränkt der EuGH den Erlass von Leistungsverfügungen ein. Eine Einschränkung ist dem vollständigen Ausschluss von Leistungsverfügungen aus Art. 31 EuGVO aus Gründen effektiven Rechtsschutzes grundsätzlich vorzuziehen. Zu erörtern bleibt, ob sich das vom EuGH ausgewählte Merkmal dazu eignet, die ihm zugedachte Aufgabe zu erfüllen. Methodisch ist zu bemängeln, dass durch eine zusätzliche Voraussetzung für Leistungsverfügungen die vorbehaltlose Verweisung auf das nationale Recht der Mitgliedstaaten aufgegeben wurde. Art. 31 EuGVO wird hierdurch zu einer Zuständigkeitsregelung für einstweilige Verfahren, die partiell bereits die inhaltlichen Voraussetzungen für einstweilige Maßnahmen statuiert, wobei die konkreten inhaltlichen Anforderung der Voraussetzung für Leistungsverfügungen aber offen blieben. In mehrfacher Hinsicht verhindert die Gewährleistung der Rückzahlung aber, dass eine Leistungsverfügung faktisch endgültig wirkt und an die Stelle der Hauptsache tritt, und wird so ihrer Aufgabe gerecht, für den vorläufigen Charakter von Leistungsverfügungen zu sorgen. Zum einen ermöglicht die Gewährleistung der Rückzahlung, dass die durch eine Leistungsverfügung geschaffene Rechts- und Tatsachenlage wieder rückgängig gemacht werden kann. Der Antragsgegner wird hierdurch geschützt. Falls er den gezahlten Betrag nach einer abweichenden Entscheidung in der Hauptsache nicht zurückerhält oder Schäden erlitten hat, kann er auf die Sicherheitsleistung zugreifen. In Höhe dieser Sicherheitsleistung sind die Rückerstattung und die Wiederherstellung des status quo garantiert. Ein etwaiger Schadensersatzanspruch des Antragsgegners kann einfacher vollstreckt werden. Damit entlastet die Sicherheitsleistung ihn wirksam vom Risiko einer Insolvenz des Gläubigers. Weil dieser sich typischerweise in einer Notlage befindet, wenn eine Leistungsverfügung erlassen wird, und die Wahrscheinlichkeit somit besonders groß ist, dass der Schuldner sein Geld nicht zurückerlangt, ist dies für eine ausgeglichene Risikoverteilung bei Leistungsverfügungen sehr wichtig. Zum anderen ist die Erbringung einer Sicherheit vorteilhaft, weil sie den Gläubiger dazu anhält, auch bei siegreichem Ausgang des einstweiligen Verfahrens weiter zu prozessieren, um die Sicherheitsleistung rückgängig zu machen. Die Sicherheitsleistung sorgt mithin dafür, dass noch ein Hauptsacheverfahren durchgeführt wird. Für den Antragsteller kann eine drohende Sicherheitsleistung außerdem abschreckend wirken und unnötige Verfahren verhindern. Ob die Befürchtung zutrifft, dass die zwingende Gewährleistung einer Rückzahlung zum noch großzügigeren Erlass
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
einstweiliger Maßnahmen in manchen Mitgliedstaaten führen wird, 239 muss sich erst noch zeigen. Zweckmäßig ist darüber hinaus, dass der EuGH festgelegt hat, dass die Sicherheit schon im – summarischen – Erkenntnisverfahren geleistet werden muss. 240 Demgegenüber sieht das geschriebene Gemeinschaftsrecht in Art. 46 Abs. 3 EuGVO vor, dass erst das Gericht, welches einen Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung behandelt, eine Sicherheitsleistung anordnen kann. Vorgeschlagen wurde auch, Art. 46 Abs. 3 EuGVO analog anzuwenden und das erstinstanzlich befasste Gericht im Vollstreckungsstaat (Exequaturgericht) mit der Anordnung einer Sicherheitsleistung zu beauftragen. 241 Beide Möglichkeiten schützen den Schuldner nicht ausreichend. Zum einen kommen sie zu spät, denn zum Zeitpunkt der Vollstreckbarerklärung oder des dagegen eingelegten Rechtsbehelfs kann der Gläubiger bereits insolvent und unfähig zur Sicherheitsleistung sein. Zum anderen greifen die Wirkungen einer direkten oder analogen Anwendung von Art. 46 Abs. 3 EuGVO überhaupt nur, wenn es tatsächlich zu einer grenzüberschreitenden Vollstreckung kommt. 242 Obwohl die Konstruktion der Sicherheitsleistung also die angestrebten Ziele erreicht, sollte sie dennoch nicht als Einschränkung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme herangezogen werden. Denn sie bringt einen unüberbrückbaren Nachteil mit sich. In den entscheidenden Fällen verhindert sie den Rückgriff auf den einstweiligen Rechtsschutz. 243 Zu bedenken ist, dass eine Leistungsverfügung meist gerade deshalb beantragt wird, weil der Gläubiger nicht liquide, sondern auf die Zahlung des ihm – womöglich nur vermeintlich – zustehenden Betrages dringend angewiesen ist, zum Beispiel um seine Lebenshaltungskosten zu bestreiten oder seinen Betrieb aufrechtzuerhalten. Wer sich in finanzieller Bedrängnis befindet, ist wirtschaftlich nicht in der Lage, eine Sicherheit zu leisten. Die Sicherheitsleistung durch Bankbürgschaft kann sehr kostspielig sein. 244 Den Erlass einer 239
Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. 241 Hess, IPRax 2000, 370, 373. 242 Carl, S. 272; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097; Wannenmacher, S. 169. 243 Ähnlich Willeitner, S. 105 ff., der eine Sicherheitsleistung nur bei der Geltendmachung von vertraglichen Ansprüchen im Wege einer Leistungsverfügung fordert und bei Unterhaltsansprüchen oder deliktischen Schadensersatzansprüchen die Einstweiligkeit der Verfügung durch Anordnung der Klageerhebung in der Hauptsache sichern will. Anders offenbar Heinze, S. 476, der auch hier eine Sicherheitsleistung befürwortet. 244 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 651 und 736, schlagen deshalb vor, die Höhe der Sicherheitsleistung oder den Zeitraum, für den eine Garantie gestellt werden muss, zu begrenzen. Außerdem müsse geklärt werden, ob eine Kostenerstattung für den Fall, dass der Antragsteller obsiegt, in Frage komme. 240
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Leistungsverfügung zu beantragen, wäre damit unmöglich. Die Folge wäre, dass nur derjenige in den Genuss einer schnellen Zahlung käme, der nicht wirklich darauf angewiesen wäre, nicht aber derjenige, der ihrer besonders dringend bedarf. 245 Aufgrund der geäußerten Bedenken sollte die Suche nach anderen Möglichkeiten, mit Hilfe derer der Einsatz von Leistungsverfügungen reguliert werden kann, fortgesetzt werden. Geeignet sind einschränkende Merkmale, welche die Notlage des Gläubigers beheben und zugleich verhindern, dass durch eine Leistungsverfügung die Hauptsache vorweggenommen wird. Um eine derartige Einschränkung zu erreichen, ist es denkbar, bei mehrmaligen Leistungen die Dauer der Leistungserbringung zu befristen 246 oder bei einmaligen Leistungen nur eine Teilleistung zuzusprechen. 247 Handelt es sich bei der Teilleistung um eine Zahlung, müsste sie beispielsweise nur so hoch sein, wie es zur Bewältigung der konkreten Notlage erforderlich wäre. Da der Anspruch des Gläubigers auf diese Weise nicht schon im einstweiligen Verfahren vollständig erfüllt würde, behielte er ein Interesse daran, das Hauptsacheverfahren noch durchzuführen.
245 So auch Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 225; Wannenmacher, S. 170. Ähnlich Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221, die vermuten, dass diese Konstellation einfach übersehen wurde. Wannenmacher, S. 170 f., will in Ausnahmefällen, in denen die Sicherheitsleistung die einstweilige Maßnahme sinnlos machen würde, auf die Voraussetzung verzichten. Vorsichtig in Richtung einer Lockerung äußerte sich die Kommision im Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 175 endg.: „Was die Rückzahlungsgarantie für eine Zwischenzahlung betrifft, wäre es vielleicht sinnvoll festzulegen, dass diese nicht unbedingt in Form einer vorläufigen Zahlung oder einer Bankgarantie erfolgen muss. Dem gegenüber ließe sich der Standpunkt vertreten, dass die Rechtsprechung eine passende Antwort auf dieses Problem finden wird.“ 246 Dies wird im deutschen Recht praktiziert. Abschlagszahlungen auf periodisch wiederkehrende Leistungen wie laufende Unterhalts- oder Gehaltsansprüche in Höhe des notwendigen Unterhalts werden auf die Dauer von 6 Monaten befristet. Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 940 Rn. 9. 247 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 654 und 739, schlagen hingegen vor, Art. 31 EuGVO um folgenden Absatz zu ergänzen: „In the case of an order for interim performance the court shall make the enforcement of the order dependent on the providing of a bank guarantee (on conditions to be specified by the court) for repayment or damages due whenever the applicant should be finally unsuccessful in the proceedings for the substance of the matter. In order to avoid unusual hardship, however, the court may grant the applicant an exception.” Dieser Vorschlag hält also an der Sicherheitsleistung fest, räumt den Gerichten aber Spielraum ein bei den Bedingungen, zu denen die Sicherheitsleistung zu erbringen ist. Hinsichtlich der Möglichkeit, in Ausnahmefällen zur Vermeidung unzumutbarer Härten vom Erfordernis der Sicherheitsleistung abzusehen, erscheinen der gewährte Spielraum allerdings zu groß und die Vorgaben zu wenig konkret.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Macht der Inhalt einer Leistungsverfügung, etwa bei Herausgabe einer Sache, eine Befristung oder Teilleistung unmöglich, so kann in der einstweiligen Maßnahme die Durchführung der Hauptsache innerhalb einer bestimmten Frist angeordnet werden, 248 soweit die Parteien nicht einvernehmlich darauf verzichten. Hierdurch werden die Rolle des Hauptsacheverfahrens gegenüber dem einstweiligen Rechtsschutz und die Position des Schuldners gestärkt, ohne dass dem Gläubiger verwehrt wird, seine Interessen im einstweiligen Verfahren durchzusetzen. Nach Ansicht des EuGH ist es für den Kläger nicht obligatorisch, neben oder im Anschluss an eine Leistungsverfügung ein Hauptsacheverfahren durchzuführen. 249 Welche negativen Auswirkungen dies für den Beklagten hat, zeigt folgende Abwandlung des van Uden-Falles. 250 Hätte es weder eine Schiedsvereinbarung noch eine sonstige besondere Hauptsachezuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVÜ gegeben, dann hätte die niederländische Klägerin gegen die deutsche Beklagte gemäß Art. 2 EuGVÜ ein Hauptsacheverfahren in Deutschland und gemäß Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit Art. 126 Abs. 3 WBRv aF ein kort geding in den Niederlanden führen können. Mangels einer Verpflichtung für die Klägerin, innerhalb einer bestimmten Frist ein Hauptsacheverfahren zu beginnen, hätte sich die Beklagte ihrerseits in die Klägerposition begeben müssen, um sich gegenüber einem Unterliegen im kort geding zu verteidigen. Zu denken wäre beispielsweise an eine Klage auf Feststellung, dass die Beklagte nicht haftet. Dabei hätte sich die Beklagte allerdings mit dem Nachteil konfrontiert gesehen, dass gegen das niederländische Unternehmen keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bestünde und das Verfahren somit in den Niederlanden hätte stattfinden müssen. Nach den genannten alternativen Voraussetzungen für Leistungsverfügungen sind einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO alle nach nationalem Recht vorgesehenen Maßnahmen, also solche, die auf Sicherung, Regelung oder Erbringung einer geschuldeten Leistung gerichtet sind. Leistungsverfügungen stellen aber nur dann eine einstweilige Maßnahme dar, wenn die Leistung auf einen Teil des Anspruchs beschränkt oder befristet wurde. Lässt der Anspruchsinhalt weder eine Teilleistung noch Befristung zu, so ist eine angemessene Frist zu setzen, innerhalb derer die Hauptsache eingeleitet werden muss, es sei denn, die Parteien eini-
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Dies ist in den Niederlanden auch bisher schon möglich gewesen, wurde aber in der Praxis selten eingesetzt. Kamerstukken II, 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 147. 249 EuGHE 1999, 2277 Rn. 35 – Mietz/Intership Yachting. Der EuGH verweist insoweit auf Art. 292 WBRv aF (Art. 257 WBRv nF), wonach eine Entscheidung im kort geding unabhängig von einer Entscheidung in der Hauptsache ergeht. Siehe oben S. 42. 250 Nach Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 680.
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gen sich darauf, auf die Durchführung des Hauptsacheverfahrens zu verzichten. II. Gerichtsstände für den Erlass einstweiliger Maßnahmen 1. Das zweispurige Zuständigkeitssystem im einstweiligen Rechtsschutz Einheitliche europäische Bestimmungen für die internationale Zuständigkeit sollen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes fördern. 251 Während rechtliche Unterschiede im Zuständigkeitsrecht die Aktivitäten im Binnenmarkt oftmals behindern, können einheitliche Bestimmungen mit vorhersehbaren Anknüpfungspunkten die Rechtssicherheit erhöhen. Für ordentliche Verfahren in Zivil- und Handelssachen bieten Art. 2 ff. EuGVO deshalb ein übersichtliches, abschließendes Anknüpfungssystem mit aufeinander abgestimmten Regelungen. Art. 2 ff. EuGVO gelten gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV (ex-Art. 249 EGV) unmittelbar und verdrängen innerhalb des Anwendungsbereiches der Verordnung die nationalen Rechtsnormen zur internationalen Zuständigkeit. Dies trägt maßgeblich zur Vereinheitlichung, Vereinfachung und größeren Vorhersehbarkeit im europäischen Zuständigkeitsrecht bei. Art. 31 EuGVO und vor ihm Art. 24 EuGVÜ gehen demgegenüber einen eigenen Weg. 252 Als Zuständigkeitsregelungen für den einstweiligen Rechtsschutz im letzten Abschnitt des zweiten Kapitels sind sie verglichen mit den anderen Vorschriften der EuGVO außergewöhnlich konstruiert. Mit der Formulierung „Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist“, begründen sie streng genommen selbst keinen positiven, eigenständigen Zuständigkeitstatbestand und verweisen auch nicht auf europäisches oder nationales Recht. 253 Hervor geht aus Art. 31 EuGVO, dass das europäische Recht ausnahmsweise das nationale Recht unberührt lässt, der Vorrang des Verordnungsrechts vor dem nationalen Recht also nicht gilt. Rechtstechnisch kann man deshalb von einem Vorbehalt des europäischen zugunsten 251
Erwägungsgründe 2 und 11 der EuGVO. So auch EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 – Denilauler/Couchet Frères: „Eine Analyse der Funktion des speziell einstweilige – auch sichernde – Maßnahmen betreffenden Artikels 24 im Gesamtsystem des Übereinkommens führt zu der Schlußfolgerung, daß für Maßnahmen dieser Art eine besondere Regelung beabsichtigt war.“ 253 Treffend Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 1: „Der unmittelbare Aussagegehalt der Norm ist recht beschränkt.“ Ähnlich Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674: „The precise meaning of this provision is unclear.“ 252
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
des nationalen Rechts 254 oder von einer „Koordinationsregel“ 255 sprechen. Gebräuchlich ist dennoch die Bezeichnung als „Verweisung“. 256 a) Nebeneinander von europäischem und nationalem Recht Die richtige Terminologie spielt für das Ergebnis nur eine untergeordnete Rolle. Entscheidend ist die praktische Konsequenz von Art. 31 EuGVO: das Nebeneinander von zwei verschiedenen Zuständigkeitssystemen. 257 Die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen kann sich sowohl aus Art. 2, 5–24 EuGVO als auch aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalen Regelungen ergeben. 258 Einerseits können Gerichte, die nach der EuGVO für die Hauptsache zuständig sind, gleichfalls einstweilige Maßnahmen erlassen. Die Formulierung „Die … einstweiligen Maßnahmen … können … auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist“, lässt insoweit einen Erst-recht-Schluss zu. Andererseits können Gerichte entscheiden, die zwar nicht nach der EuGVO für die Hauptsache, aber nach innerstaatlichem Recht für einstweilige Maßnahmen zuständig sind. 259 Dies ergibt sich aus der Wendung „Die 254
Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 12; Stickler, S. 29. Volken, SZIER 1999, 485, 486. 256 Eisermann, S. 179 f.; Jametti Greiner, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 11, 24; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 2; Wannenmacher, S. 140. 257 Cuniberti, S. 315; Donzallaz, AJP 2000, 956, 960 und 967; Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 156; Heinze, S. 81 und 196 f.; Heiss, S. 12; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 2; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 2; Normand, RTD civ. 1999, 177, 180; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 226 f.; Vuitton, Recueil Dalloz 1999, 545, 546; Wannenmacher, S. 280 f. Carl, S. 255, Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221 und Gebauer, in: Gebauer/ Wiedmann, Zivilrecht, Art. 31 EuGVVO Rn. 152, gehen sogar von einem dreispurigen Zuständigkeitssystem aus. Sie differenzieren zwischen der Annexkompetenz des Gerichts der Hauptsache, jedem nach Art. 2, 5–18 EuGVO zuständigen Gericht sowie den nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständigen Gerichten. Ob man eine Drei- oder Zweispurigkeit annimmt, ist für die Zuständigkeitsermittlung unerheblich. Denn Einigkeit besteht insoweit, dass die Zuständigkeiten auf zwei verschiedenen Rechtsquellen basieren, dem europäischen und dem nationalen Recht. 258 OGH JBl. 1998, 392, 393; Cuniberti, S. 315; Donzallaz, AJP 2000, 956, 960; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 9; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Heiss, S. 12; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 1; Kurtz, S. 64; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 2; Newton, S. 283; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 313. 259 Franz. Cass. vom 3.9.2000, GRUR Int. 2001, 73, 74; Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 306; Giardina, FS Lalive, S. 499, 506; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 1; Kurtz, S. 64; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 2; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 631; Stadler, JZ 1999, 1089, 1090; van Houtte/Pertegàs Sender, S. 128. 255
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im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen … können bei den Gerichten dieses Staates … beantragt werden …“. Über Art. 31 EuGVO bleiben die nationalen Zuständigkeiten in grenzüberschreitenden Sachverhalten anwendbar. Auf nationale Zuständigkeiten kann auch abgestellt werden, wenn zum Zeitpunkt des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme noch unklar ist, welche Hauptsachezuständigkeit der Art. 2 ff. EuGVO eröffnet sein könnte. 260 Art. 31 EuGVO nimmt damit weder den Hauptsachegerichten ihre Zuständigkeit aus dem vereinheitlichten europäischen Recht noch bestimmt er eine ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Gerichte. Vielmehr sieht er für einstweilige Maßnahmen neben den EU-rechtlichen Gerichtsständen unabhängige Zuständigkeiten nach autonomem Recht vor, die kumulativ oder alternativ herangezogen werden können. 261 Ein niederländisches Gericht kann somit über ein kort geding entscheiden, auch wenn es für die Hauptsache nicht zuständig wäre. 262 Auf eine Vereinheitlichung der Zuständigkeitsregeln im einstweiligen Rechtsschutz wurde also verzichtet, ebenso auf einen Gleichlauf von Hauptsache- und Eilzuständigkeiten. Vielmehr wurde das zuständigkeitsrechtliche Auseinanderfallen von ordentlichem und einstweiligem Verfahren bewusst in Kauf genommen. b) Zweck der Zuständigkeitserweiterung Dahinter stand ursprünglich die Entscheidung, dem Schutz des Gläubigers durch zusätzliche Zuständigkeiten Priorität vor einer vollständigen Vereinheitlichung der Normen einzuräumen. 263 Als Begründung für eine derartige Gewichtung diente die beim Gesetzgeber vorherrschende – einseitige – Vorstellung leistungsunwilliger Schuldner, die nach Kräften versuchen, ihr Vermögen der Vollstreckung zu entziehen und außer Landes zu schaffen. 264 Damit der Gläubiger einem solchen Verhalten nicht wehrlos zusehen muss, sollte er den Trumpf der über Art. 2, 5 ff. EuGVO hinausgehenden Zuständigkeiten erhalten. Art. 31 EuGVO fungiert als „Öffnungsklausel“, 265 durch die der Gläubiger aus den vielfältigen Gerichtsplätzen den tatsächlich und rechtlich sachnächsten oder für ihn sonst günstigsten aussuchen kann. Er kann also auf der Grundlage eines Gerichtsstands des nationalen Rechts kurzfristig dort prozessuale Schritte einleiten und einen 260
Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 631. Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 306; Heiss, S. 12; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 10; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 205, 226; Stickler, S. 29. 262 Beispiel nach Hoge Raad, Ars Aequi 52 (2003), 118. 263 Gronstedt, S. 18; Stadler, JZ 1999, 1089, 1090. 264 Stadler, JZ 1999, 1089, 1090. 265 Heinze, S. 244. 261
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Titel erlangen, wo auch vollstreckt werden kann, weil sich Vermögen des Schuldners an dem betreffenden Ort befindet. 266 Dann entfällt die Notwendigkeit einer Anerkennung und Vollstreckung im Ausland, mit der Folge, dass die Effektivität des Rechtsschutzes gesteigert, die Erlangung und Durchsetzung eines Titels beschleunigt und die typische Gefahr von Verzögerungen eines grenzüberschreitenden Rechtsstreits vermieden werden. Die nationalen Kompetenzordnungen gehen zwar meist wie Art. 2 Abs. 1 EuGVO vom Grundsatz der Zuständigkeit im Wohnsitzstaat des Beklagten aus, 267 kennen daneben aber alle auch klägerfreundliche Gerichtsstände, die es dem Gläubiger ermöglichen, ortsnah eine einstweilige Maßnahme zu beantragen. 268 Außerdem enthält das autonome Recht zum Teil zusätzliche Zuständigkeiten, 269 die nicht in die EuGVO übernommen wurden. 270 Hierbei handelt es sich zum Teil um Zuständigkeiten, die keine Verbindung des Rechtsstreits zum Forumstaat verlangen, wie sie den Anknüpfungskriterien der Art. 2 ff. EuGVO immanent ist. 271 Aufgrund derartiger nationaler Zuständigkeiten erlangt Art. 31 EuGVO große praktische Bedeutung. Schließlich kommt Art. 31 EuGVO auch dann eine wichtige Ergänzungsfunktion zu, wenn bestimmte Hauptsachezuständigkeiten entfallen, etwa weil für die Hauptsache eine Schiedsvereinbarung besteht. 272 Die Dynamik von Art. 31 EuGVO drückt sich dadurch aus, dass es den nationalen Gesetzgebern frei steht, ihr Kompetenzrecht zu verändern. Über Art. 31 EuGVO wirken sich Umgestaltungen auf grenzüberschreitende Fälle aus. Eine Versteinerung des bei Inkrafttreten der Verordnung bestehenden Rechtszustandes kann es deshalb nicht geben. 273 Doch gewähren Art. 2 ff. EuGVO einen Mindeststandard, innerhalb dessen jeder Mitgliedstaat zur Rechtsschutzgewährung verpflichtet ist. 274 Wurde zunächst bei der Auslegung von Art. 31 EuGVO vornehmlich auf das Schutzbedürfnis des Gläubigers in internationalen Rechtsstreitigkeiten abgestellt, so zeigt sich der EuGH inzwischen moderater. Er sieht es 266
Grundmann, S. 143; Grunsky, RIW 1977, 1, 8; Heiss, S. 12; Leible/Freitag, § 7 Rn. 4. Vgl. §§ 12, 13 ZPO; Art. 5 § 1er Code de droit international privé belge; Art. 2 WBRv; Art. 18 italien. Cpc; Art. 42 Abs. 1 Ncpc. 268 Siehe z. B. Art. 14 und 15 Code civil; § 23 ZPO; § 99 Jurisdiktionsnorm. 269 Das deutsche Recht kennt z. B. den Gerichtsstand des Aufenthaltsortes, § 20 ZPO, den Gerichtsstand der Vermögensverwaltung, § 31 ZPO, und den Gerichtsstand des Hauptprozesses, § 34 ZPO. 270 Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 10; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 2; Stickler, S. 29. 271 Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 623. 272 In einem solchen Fall entfällt die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache nach Auffassung des EuGH. Siehe dazu S. 299 ff. 273 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 39. 274 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 40. 267
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nunmehr als Ziel der Vorschriften an zu verhindern, dass beide Parteien infolge der naturgemäß längeren Verfahrensdauer grenzüberschreitender Streitigkeiten einen Schaden erleiden. 275 c) Keine abschließende Zuständigkeitsregelung in Art. 31 EuGVO Vereinzelt wird Art. 31 EuGVO als eigenständige und abschließende Zuständigkeitsvorschrift verstanden. 276 Diese Auffassung betrachtet die reale Verknüpfung als eigenes zuständigkeitsrechtliches Tatbestandsmerkmal von Art. 31 EuGVO, das die Kriterien der Zuständigkeitsregelungen der nationalen Rechtsordnungen ersetze und eine Verweisung entbehrlich mache. 277 Hierdurch werde die Rechtsvereinheitlichung der europäischen Zuständigkeitsvorschriften verwirklicht und die Systemlücke, die Art. 31 EuGVO zwischen Art. 2 ff. EuGVO bilde, geschlossen. Auf diese Weise könne eine Ungleichbehandlung und Diskriminierung von Antragstellern verschiedener Mitgliedstaaten verhindert werden, die sich aus den uneinheitlichen nationalen Zuständigkeitsregelungen ergebe. 278 Das Verständnis als eigenständige Zuständigkeitsvorschrift stehe auch im Einklang mit der EuGH-Rechtsprechung in van Uden und mit dem Wortlaut der Norm. Ausdrücklich verweise Art. 31 EuGVO nämlich nur auf die „im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen“ und nicht auf die nationalen Zuständigkeitsregeln. 279 Schließlich sei es nicht Sinn und Zweck der Vorschrift, dem Gläubiger eine uneingeschränkte Auswahl des Rechtsschutzes zu ermöglichen, sondern die Chancengleichheit aller am Rechtsleben Beteiligter bei der Rechtsfindung zu gewährleisten. 280 275
EuGHE 2005, 3481 Rn. 12 – St. Paul Dairy Industries NV/Unibel Exser BVBA. Willeitner, S. 139 ff. Ähnlich bereits Pertegàs Sender, in: Fentiman/Nuyts/Tagaras/ Watté, L’espace judiciaire européen, S. 277, 281, wonach sich die Verweisung auf das nationale Recht in Art. 24 EuGVÜ nicht auf die nationalen Zuständigkeitsregeln erstrecke, sondern lediglich auf die Voraussetzungen für das Vorliegen einer einstweiligen Maßnahme beziehe. Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 344, sieht in Art. 31 EuGVO eine eigene Zuständigkeitsnorm, da es „Nonsens“ bedeute, wenn auf das nationale Recht verwiesen werde, dieses aber überhaupt keine Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen im konkreten Fall bereit halte. Dem ist entgegenzuhalten, dass die weite Fassung von Art. 31 EuGVO für die meisten Situationen Gerichtsstände nach nationalem Recht eröffnet und dass das mit der Konstruktion einhergehende geringe Risiko, dass es an einer Zuständigkeit fehlt, vernachlässigt werden kann. Sollte ein Staat tatsächlich einmal überhaupt keine Zuständigkeit zur Verfügung stellen, dürfte überdies das Ausweichen auf einen anderen Mitgliedstaat möglich sein. 277 Willeitner, S. 140 ff. 278 Willeitner, S. 141 ff. 279 Willeitner, S. 144. Ähnlich Pertegàs Sender, in: Fentiman/Nuyts/Tagaras/Watté, L’espace judiciaire européen, S. 277, 281 280 Willeitner, S. 145. 276
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Dieser Argumentation kann nicht gefolgt werden. Die Aussagen des EuGH in van Uden sprechen gegen eine Charakterisierung von Art. 31 EuGVO als selbständige Zuständigkeitsnorm. Der Gerichtshof macht darin deutlich, dass er von einer Verweisung auf das nationale Zuständigkeitsrecht ausgeht. Anderenfalls hätte er die Frage, ob der Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände in Art. 3 EuGVO auch im Rahmen des Art. 31 EuGVO gilt, 281 nicht beantworten müssen. 282 Der Wortlaut von Art. 31 EuGVO verweist nicht nur auf die nach nationalem Recht vorgesehen einstweiligen Maßnahmen, sondern bestimmt außerdem, dass die Maßnahmen „bei den Gerichten dieses Staates“ beantragt werden können. Darin ist eine Bezugnahme auf die nationalen Zuständigkeitsvorschriften zu erkennen. Zweck von Art. 31 EuGVO war ursprünglich, wie bereits erläutert, vorrangig der Gläubigerschutz und nicht die Chancengleichheit aller Verfahrensbeteiligter. Diese Besonderheit des einstweiligen Rechtsschutzes war gerade der Grund für die Schaffung der Norm, die aus dem System der im Übrigen vereinheitlichten Zuständigkeitsregelungen für die Hauptsache so deutlich heraus sticht. Soweit aufgrund der Bandbreite der unterschiedlichen nationalen Regelungen nicht nur eine grundsätzliche Bevorzugung der Gläubiger vor den Schuldnern, sondern eine Ungleichbehandlung der Gläubiger bestimmter Mitgliedstaaten entsteht, muss dies als nicht vermeidbare Konsequenz der Unterschiede der nationalen Regelungen in Kauf genommen werden. Etwaige Härten werden dadurch aufgefangen, dass die vereinheitlichten Hauptsachezuständigkeiten neben den nationalen Gerichtsständen zur Verfügung stehen. 283 Da Art. 31 EuGVO im Übrigen außer dem ungeschriebenen Erfordernis der realen Verknüpfung keine Voraussetzungen an das Vorliegen der internationalen Zuständigkeit aufstellt, muss die Zuständigkeit im Ergebnis stets aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht hergeleitet werden. d) Keine Begründung der internationalen Zuständigkeit jedes Mitgliedstaats Ein weiterer Ansatz möchte Art. 24 LugÜ, der Art. 24 EuGVÜ entspricht, in dem Sinne als „echte Zuständigkeitsnorm“ verstanden wissen, dass er die internationale Zuständigkeit jedes Vertragsstaats für den Erlass einstweiliger Maßnahmen begründe, sofern ein anderer Vertragsstaat in der Hauptsache zuständig sei. 284 Die Vertragsstaaten, bei denen das Hauptsacheverfahren nicht anhängig sei, würden damit verpflichtet, einstweili281
EuGHE 1998, 7091 Rn. 42 – van Uden/DecoLine. So auch Eisermann, S. 179 f., und Heinze, S. 259. 283 Wannenmacher, S. 142. 284 Albrecht, S. 114 f.; Grundmann, S. 161 f.; Kofmel Ehrenzeller, S. 537. 282
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gen Rechtsschutz zu gewähren. Es sei also nicht möglich, dass nach nationalem Recht überhaupt kein Gericht zuständig sei. Das nationale Recht bestimme demzufolge nur noch die örtliche, nicht aber die internationale Zuständigkeit. 285 Gegen diese Auffassung wird zutreffend angeführt, der Wortlaut von Art. 24 LugÜ wie Art. 24 EuGVÜ zeige, dass einstweiliger Rechtsschutz bei anderen Vertragsstaaten möglich sein solle, nicht aber, dass eine entsprechende Verpflichtung bestehe. 286 Dies ergebe sich aus der Formulierung „Die im Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten diese Staates auch beantragt werden“. Eine Verpflichtung hätte hingegen ausgedrückt werden müssen durch eine Formulierung wie zum Beispiel „die Gerichte jedes Vertragsstaats sind zuständig“. 287 Darüber hinaus stehen die Erkenntnisse des EuGH in van Uden und Mietz der Auslegung von Art. 24 EuGVÜ als Verpflichtungsnorm entgegen. In van Uden entwickelte der Gerichtshof speziell für die Zuständigkeiten nach Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht eine eigene Voraussetzung, die reale Verknüpfung. 288 Der EuGH geht von einer Verweisung auf die innerstaatlichen Zuständigkeitsvorschriften aus. Diese schränkt er durch die reale Verknüpfung ein, mit der Folge, dass von einer generellen Verpflichtung zur Zuständigkeit nicht zwingend ausgegangen werden kann. Die Unterscheidung zwischen Hauptsachezuständigkeiten nach dem EuGVÜ und sonstigen Zuständigkeiten nach nationalem Recht wurde später in Mietz aufrechterhalten. 289 2. Zuständigkeit der Gerichte der Hauptsache gemäß Art. 2 ff. EuGVO Im Folgenden sollen die beiden Regelungskomplexe für den Erlass einstweiliger Maßnahmen nacheinander dargestellt werden. Begonnen wird mit der Zuständigkeit der Gerichte der Hauptsache nach Art. 2 ff. EuGVO; danach folgt die Zuständigkeit sonstiger Gerichte nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht.
285 Albrecht, S. 114 f.; Grundmann, S. 161 f. Ähnlich wohl der Hinweis von Kennett, Enforcement of Judgments in Europe, S. 131, Fn. 4, es sei auch möglich, Art. 24 EuGVÜ in der Weise zu interpretieren, dass sich die internationale Zuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVÜ bestimme und Art. 24 EuGVÜ lediglich hinsichtlich der Art der einstweiligen Maßnahmen auf das nationale Recht Bezug nehme. 286 Wannenmacher, S. 142 f. 287 Wannenmacher, S. 142 f. 288 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. 289 EuGHE 1999, 2277 Rn. 46, 54 f. – Mietz/Intership Yachting.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Schon vor van Uden war es allgemeine Meinung, dass jedes aufgrund von Art. 2 Abs. 1 und/oder 5–18 EuGVÜ für die Hauptsache zuständige Gericht auch einstweilige Maßnahmen erlassen kann. 290 Diese Auffassung hat der EuGH in van Uden bestätigt. 291 An besondere ungeschriebene Voraussetzungen hat er die Zuständigkeit der Hauptsachegerichte nicht geknüpft. 292 Bemerkenswert ist, mit welch allgemeiner Form der EuGH die Zuständigkeit der Hauptsachegerichte statuiert. 293 Er begrenzt die Kompetenz nicht auf besondere oder ausschließliche Gerichtsstände aus Art. 2 ff. EuGVO. Daraus folgt, dass die Zuständigkeit eines Gerichts, das auch über die Hauptsache entscheiden darf, zum Erlass einstweiliger Maßnahmen in unterschiedlichen Staaten eröffnet sein kann. Denkbar ist zum Beispiel die internationale Zuständigkeit der Gerichte im Wohnsitzstaat des Beklagten gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVO und des Staates, in welchem ein schädigendes Ereignis im Sinne von Art. 5 Nr. 3 EuGVO eingetreten ist. Art. 31 EuGVO lässt die Zuständigkeit der Hauptsachegerichte unberührt. Die Vorschrift soll die vereinheitlichten Gerichtsstände gerade nicht ausschließen. 294 290 OLG Koblenz NJW 1976, 2081, 2082; OLG Düsseldorf NJW 1977, 2034; OGH JBl. 1998, 392, 393; Albrecht, S. 96; Donzallaz, AJP 2000, 956, 967 f.; Eilers, S. 193; Gothot/Holleaux, Convention de Bruxelles, Nr. 202; Grunsky, RIW 1977, 1, 8; Hausmann, IPRax 1981, 79 f.; Kropholler, EuZPR6, Art. 24 Rn. 6; Schlafen, NJW 1976, 2082; Stickler, S. 29; Vareilles-Sommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 416 ff. Anders (und verfehlt) nur Schlosser, EuGVÜ, Art. 24 EuGVÜ Rn. 1. 291 EuGHE 1998, 7091 Rn. 19 – van Uden/DecoLine; bestätigt in EuGHE 1999, 2277 Rn. 41 – Mietz/Intership Yachting. Seitdem einhellig Hoge Raad, Ars Aequi 52 (2003), 118, 119; Briggs/Rees, S. 641 f.; Cuniberti, S. 326; Demeyere, RW 1999–2000, 1353, 1358; Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 165; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 3; Gerhard, SZIER 1999, 97, 130; Heinze, S. 81 und 197 ff.; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Huet, Clunet 1999, 613, 619; Kennett, Enforcement of Judgments in Europe, S. 134; Kofmel Ehrenzeller, S. 248; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 10; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 2; Newton, S. 309; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 366; Petrochilos, Lloyd’s MCLQ 2000, 99, 102; van Drooghenbroeck, in: van Compernolle/Tarzia, Mesures Provisoires, S. 486. 292 EuGHE 1998, 7091 Rn. 19 – van Uden/DecoLine. Nur Pörnbacher, RIW 1999, 780, 781, ist der Auffassung, auch beim Erlass einer Leistungsverfügung an einem Gericht der Hauptsache im Sinne von Art. 2, 5–18 EuGVÜ müsse eine ungeschriebene Voraussetzung und zwar die Gewährleistung der Rückzahlung beachtet werden. Dem steht entgegen, dass der EuGH die zusätzlichen Anforderungen in EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/Deco Line, ausdrücklich nur für Zuständigkeiten gemäß Art. 24 EuGVÜ fordert. Zuzustimmen ist Pörnbacher allerdings darin, dass die Besorgnis, das Hauptsacheverfahren werde vorweggenommen, bei beiden Zuständigkeiten gleichermaßen besteht. Für die Aufnahme einer entsprechenden Klarstellung zur Zuständigkeit der Hauptsachegerichte ohne weitere Voraussetzungen in Art. 31 EuGVO oder einer neu zu schaffenden Bestimmung: Dickinson, IPRax 2010, 203, 208. 293 Gaudemet-Tallon, Compétence et exécution des jugements en Europe, Nr. 306; Huet, Clunet 1999, 613, 619. 294 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 10.
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Die Annexkompetenz ist sinnvoll, weil sie sachnahe und prozessökonomische Entscheidungszuständigkeiten gewährleistet. Das bereits mit der Hauptsache betraute Gericht kennt die tatsächlichen und rechtlichen Gegebenheiten des Falles. Ein Gericht, welches das Hauptsachegericht werden könnte, hat aufgrund der zuständigkeitsbegründenden Anknüpfungsmerkmale regelmäßig einen Bezug zum Rechtsstreit. Leistungsverfügungen oder andere einstweilige Maßnahmen können entsprechend schnell bearbeitet werden. Außerdem fördert die Zuständigkeit des Hauptsachegerichts den Entscheidungseinklang zwischen einstweiligem und ordentlichem Verfahren. Von den Zuständigkeiten der Gerichte der Hauptsache gemäß Art. 2 ff. EuGVO sind die Hauptsachezuständigkeiten zu unterscheiden, die sich aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit Normen des autonomen Rechts ergeben. Wie die EuGVO erklären auch die nationalen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten das Gericht der Hauptsache im einstweiligen Rechtsschutz für zuständig. 295 Die Hauptsachezuständigkeiten aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit autonomem Recht werden als Unterfall der Zuständigkeit der Gerichte nach nationalem Recht erst im folgenden Abschnitt dargestellt. 296 a) Zuständigkeit eines staatlichen Hauptsachegerichts Nach Ansicht des EuGH kann neben dem Gericht, das eine einstweilige Maßnahme erlässt, auch das Hauptsachegericht mit der Angelegenheit befasst sein. So bemerkte der Gerichtshof bereits in der ReichertEntscheidung, dass unter einstweiligen Maßnahmen im Sinne von Art. 24 295
Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 133. Im deutschen Recht u.a. §§ 919 1. Alt., 937 Abs. 1, 943 ZPO. Im niederländischen Recht ist die Zuständigkeit der Hauptsachegerichte nur mittelbar ersichtlich. Gemäß Art. 13 WBRv ist die internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen nicht ausgeschlossen, wenn für die Hauptsache keine Zuständigkeit eröffnet ist. Art. 13 WBRv begründet damit selbst keine Zuständigkeit. Die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen folgt aber unabhängig davon, ob die niederländischen Gerichte auch für die Hauptsache zuständig sind, aus den Regelungen für das ordentliche Verfahren in Art. 1– 12 WBRv. Kamerstukken II 1999–2000, 26 855, Nr. 3, S. 46. Auch im französischen Recht ist es üblich, die Normen über die Zuständigkeit für die Hauptsache für den einstweiligen Rechtsschutz heranzuziehen. Auf dieser Grundlage können die Gerichte der Hauptsache einstweilige Maßnahmen erlassen. Merkt, S. 32; Santa Croce, Gaz. Pal. 2000, 384; VareillesSommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 416–421; Wannenmacher, S. 117 f. Im spanischen Recht gilt die internationale Zuständigkeit der Gerichte der Hauptsache gemäß Art. 22 Nr. 1–4 L.O.P.J. ebenfalls für einstweilige Maßnahmen. Näher dazu Knothe, S. 139; Schrader, S. 57–60. Das österreichische Recht sieht eine Zuständigkeit der Hauptsache in § 387 Abs. 1 Exekutionsordnung vor. Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221 sprechen mit Blick auf Nr. 16 Helsinki-Regeln, abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 202, sogar von einem „internationalen Trend“. 296 Siehe unten S. 317 ff.
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EuGVÜ solche zu verstehen seien, die „eine Sach- oder Rechtslage erhalten sollen, um Rechte zu sichern, deren Anerkennung im übrigen bei dem in der Hauptsache zuständigen Gericht beantragt wird“. 297 In van Uden bejahte der EuGH die Zuständigkeit der Hauptsachegerichte für den Erlass einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 2 ff. EuGVO aber nur unter der Bedingung, dass ein staatliches Gericht tatsächlich über die Hauptsache entscheiden dürfe. 298 Für einstweilige Maßnahmen auf eine hypothetische, im Einzelfall ausgeschlossene Hauptsachezuständigkeit der Art. 2 ff. EuGVO zurückzugreifen, sei ausgeschlossen. 299 Die Zuständigkeit eines Hauptsachegerichts für den Erlass einstweiliger Maßnahmen sei versagt, wenn die Parteien die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte für die Hauptsache durch eine Schiedsvereinbarung abbedungen hätten. 300 Dieses Ergebnis verdient keine Zustimmung. 301 Der EuGH verleiht Schiedsvereinbarungen dadurch eine Derogationswirkung entsprechend Art. 23 EuGVO, die ihnen nicht zukommen sollte. 302 Er orientiert sich an der im französischen Recht vertretenen Auffassung, dass das Schiedsverfahren Vorrang vor dem référé-Verfahren genieße, 303 entscheidet aber ent297
EuGHE 1992, 2149 Rn. 34 – Reichert/Dresdner Bank. EuGHE 1998, 7091 Rn. 19–24 – van Uden/DecoLine in Abgrenzung zur Schiedsgerichtsbarkeit. 299 EuGHE 1998, 7091 Rn. 22–24 – van Uden/DecoLine. Entsprechend verneinte der OGH IPRax 2003, 64, die internationale Zuständigkeit österreichischer Gerichte, weil er die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache nach § 387 Abs. 1 Exekutionsordnung wegen einer Schiedsvereinbarung als nicht gegeben ansah und die deshalb nur noch in doppelfunktionaler Anwendung in Betracht kommende Zuständigkeit des Gerichts der Zwangsbereitschaft gemäß § 387 Abs. 2 Exekutionsordnung mangels Wohnsitzes der Antragsgegnerin in Österreich ebenfalls nicht eingriff. Kritisch dazu Reiner, IPRax 2003, 74. Dem EuGH ebenfalls zustimmend Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 13; Wannenmacher, S. 229 f.; vor van Uden Grundmann, S. 142 f. 300 EuGHE 1998, 7091 Rn. 24 – van Uden/DecoLine. Zustimmend Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 623. Noch weitergehend van Haersolte-van Hof, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 32, 36, wonach außerdem die Zuständigkeit gemäß Art. 24 EuGVÜ ausgeschlossen sein soll. 301 Ablehnend auch OLG München RIW 2000, 464; Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 346; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 1 EuGVVO Rn. 165; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 7; Heinze, RIW 2003, 922, 926; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222; Huet, Clunet 1999, 613, 623; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 20; Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 316; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 11; Schlosser, EUZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 25 („völlig sachwidrigerweise“). 302 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222. Ähnlich Kröll, IHR 2005, 142, 146. 303 Vareilles-Sommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 435 f.: Sobald das Schiedsgericht konstituiert ist, darf ein staatliches Gericht nicht mehr über die référéprovision entscheiden. Für andere einstweilige Maßnahmen gilt das jedoch nicht. Sie können ungeachtet einer Schiedsvereinbarung für die Hauptsache von staatlichen Gerichten erlassen 298
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gegen der gängigen Praxis in anderen autonomen Rechtsordnungen, die zulässt, dass staatliche Gerichte ungeachtet einer Schiedsvereinbarung einstweilige Maßnahmen anordnen dürfen. 304 Im deutschen 305 Recht erlauben §§ 1033, 1041 und 1042 Abs. 3 ZPO den Erlass einstweiliger Maßnahmen trotz einer Schiedsvereinbarung, 306 solange die Parteien nicht ausdrücklich festgelegt haben, dass staatliche Gerichte hierzu nicht befugt sein sollen. 307 Insoweit findet das deutsche Recht gemäß § 1025 Abs. 2 ZPO sogar dann Anwendung, wenn der Schiedsort im Ausland liegt. Die Zuständigkeit der Gerichte der Hauptsache für den Erlass einstweiliger Maßnahmen neben der Entscheidungszuständigkeit eines Schiedsgerichts für die Hauptsache ist aus mehreren Gründen wichtig. Staatliche Gerichte können sich einer Sache schnell annehmen und effektiven Rechtsschutz gewähren, schon bevor das Schiedsgericht für die Hauptsache konstituiert ist 308 oder wenn dieses mangels ordnungsgemäßer Besetzung an einer Entscheidung gehindert ist. Auch entfällt das Erfordernis einer Abstimmung zwischen den regelmäßig in verschiedenen Staaten ansässigen Schiedsrichtern. Kann ein staatliches Gericht in derartigen Fällen zügiger entscheiden, ist es ihm auch eher möglich, den für einstweilige Maßnahmen oft entscheidenden Überraschungseffekt 309 auszunutzen. Ein noch gravierenderer Nachteil einstweiliger Maßnahmen, die von einem Schiedsgericht ausgesprochen werden, ist, dass ihre Vollziehung gemäß §§ 1041 Abs. 2 Satz 1, 1060 Abs. 1 ZPO durch ein ordentliches Gericht angeordnet werden muss. Ein weiterer Faktor, der die Schlagkraft einstweiliger Maßnahmen von Schiedsgerichten im grenzüberschreitenden Rechtsverkehr entscheidend hemmt, ist, dass die Vollstreckung derartiger Maßnahmen im werden. Ist das Schiedsgericht noch nicht konstituiert, kann ein staatlicher Richter entscheiden, falls der Antragsteller darlegen kann, dass Eile geboten ist. Zu den weiteren Voraussetzungen: Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 159, und Huet, Clunet 1999, 613, 624 mwN. 304 Vgl. § 1033 ZPO; Art. 1022 Abs. 2 WBRv (bei einem Schiedsort in den Niederlanden) bzw. Art. 1074 Abs. 2 WBRv (bei einem Schiedsort außerhalb der Niederlande). Ebenso die Schiedsordnungen institutioneller Schiedsgerichte, vgl. Art. 23 Abs. 2 Schiedsgerichtsordnung der Internationalen Industrie- und Handelskammer; § 20 Abs. 2 DIS-Schiedsordnung. 305 Auch im niederländischen Recht ist der voorzieningenrechter des staatlichen Gerichts gemäß Art. 254 WBRv für ein kort geding zuständig, es sei denn, die Parteien machen von der Möglichkeit des Art. 1051 Abs. 1 WBRv Gebrauch, die Schiedsvereinbarung auf den Erlass eines kort geding zu erstrecken und das Schiedsgericht zu ermächtigen. 306 Im einstweiligen Verfahren kann die Schiedseinrede gemäß § 1032 Abs. 1 ZPO nicht erhoben werden: Schwab/Walter, Kap. 7 Rn. 12. 307 Anders OLG Nürnberg, IPRax 2006, 468 f. mit abl. Anm.: Schütze, 442 ff. und Kröll, IHR 2005, 142, 145 f. 308 Deshalb hält auch das Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO, KOM(2009) 175 endg., S. 9, einstweilige Maßnahmen durch staatliche Gerichte für wichtig. 309 Der EuGH schränkt diesen Effekt ein, indem er die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen von der Gewährung rechtlichen Gehörs abhängig macht, siehe dazu S. 379 ff.
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Ausland nur von wenigen Rechtsordnungen zugelassen wird. 310 Aus all diesen Gründen dürfen sich Schiedsvereinbarungen nicht auf die Zuständigkeit der staatlichen Gerichte der Hauptsache für den Erlass einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 2 ff. EuGVO auswirken, wenn die Parteien dies nicht ausdrücklich vorgesehen haben. Eine unerwünschte Zuständigkeitskollision zwischen Schiedsgericht und staatlichem Gericht ist nicht zu erwarten, wenn sich die vereinbarte schiedsgerichtliche Zuständigkeit nur auf die Hauptsache bezieht. 311 Der Generalanwalt hat in seinen Schlussanträgen zu van Uden mit Recht dahingehende Befürchtungen zurückgewiesen. 312 Wie der Fall van Uden zeige, sei die Gefahr einer negativen Entscheidungskollision weitaus größer, wenn die Anwendbarkeit des EuGVÜ verneint werde. 313 Der Kläger hatte die einstweilige Verfügung vor einem staatlichen Gericht beantragt, weil der Beklagte seiner Ansicht nach die Besetzung des Schiedsgerichts verzögerte, so dass dieses nicht entscheiden konnte. 314 Obwohl der Anwendungsbereich des EuGVÜ trotz Bestehens der Schiedsvereinbarung eröffnet war, konnte die internationale Zuständigkeit nur noch auf Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht, aber nicht mehr auf Gerichtsstände aus Art. 2 ff. EuGVÜ gestützt werden. Ob und inwieweit die Parteien die Zuständigkeit staatlicher Gerichte mittels einer Schiedsvereinbarung abbedingen dürfen, richtet sich nach dem internationalen Verfahrensrecht des Forumstaates, also den geltenden Übereinkommen zur Schiedsgerichtsbarkeit und den innerstaatlichen Bestimmungen. 315 Wenn staatliche Gerichte danach wie kraft § 1033 ZPO einstweilige Maßnahmen erlassen dürfen, richtet sich die Zuständigkeit hierfür nach der EuGVO. 316 Vom Vorliegen der internationalen Zuständigkeit ist die Frage zu unterscheiden, wie das jeweilige nationale Prozessrecht die Einrede der 310 Reiner, IPRax 2003, 74, 77, schlägt vor, dies zu ändern, indem der Geltungsbereich des New Yorker UN-Übereinkommens auf schiedsrichterliche Maßnahmen ausgedehnt wird. 311 Art. II des New Yorker UN-Übereinkommen vom 10.6.1958 über die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Schiedssprüche, BGBl. 1961 II 121 (in Kraft seit dem 28.9.1961, BGBl. 1962 II 102), wonach die Vertragsstaaten Vereinbarungen anerkennen, durch die sich die Parteien verpflichten, alle oder einzelne Streitigkeiten aus einem bestimmten Rechtsverhältnis vor einem Schiedsgericht auszutragen, wird deshalb nicht beeinträchtigt. 312 EuGHE 1998, 7091, 7103 Rn. 43–47 – van Uden/DecoLine. 313 EuGHE 1998, 7091, 7104 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. 314 EuGHE 1998, 7091 Rn. 10 – van Uden/DecoLine. 315 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222; Huet, Clunet 1999, 613, 623; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 20; Schulz, ZEuP 2001, 805, 812 Fn. 31; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 25; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 205, 227; Vlas, NILR 1999, 106, 107. 316 Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 20; Pörnbacher, in: Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 4.
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Schiedsgerichtsbarkeit behandelt. 317 Das angerufene Gericht muss nach seiner lex fori prüfen, ob die Prozessvoraussetzungen vorliegen und keine Hindernisse bestehen. Ein deutsches Gericht etwa müsste wegen § 1032 Abs. 1 ZPO auf Rüge des Beklagten eine Schiedsklausel berücksichtigen und eine Klage wegen der Schiedseinrede als unzulässig abweisen. Die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte für Eilverfahren indes ist vom Schiedsverfahren unabhängig und wäre gemäß §§ 1033, 1041 Abs. 2 ZPO gleichwohl gegeben. b) Anhängigkeit der Hauptsache Der EuGH spricht in van Uden von einem Hauptsacheverfahren, das „anhängig ist oder werden kann“ bzw. „eingeleitet wurde oder eingeleitet werden kann“. 318 aa) Gegenwärtige oder potentielle spätere Anhängigkeit der Hauptsache Obwohl der Gerichtshof die Eilzuständigkeit eines Hauptsachegerichts davon abhängig macht, dass dieses Gericht in einem ordentlichen Verfahren tatsächlich entscheiden dürfte, fordert er also nicht, dass das Hauptsacheverfahren bereits anhängig ist. 319 Das in Art. 31 EuGVO erwähnte Gericht der Hauptsache nach der EuGVO kann daher nicht nur ein Gericht sein, das schon mit der Hauptsache befasst ist, sondern jedes Gericht, das sich in Zukunft mit ihr befassen könnte. 320 Ist die Hauptsache bereits anhängig, gilt der ermittelte Gerichtsstand gleichermaßen für die Hauptsache wie für den einstweiligen Rechts317
Schulz, ZEuP 2001, 805, 811; Schütze, S. 442, 443. EuGHE 1998, 7091 Rn. 29 und 34 – van Uden/DecoLine. 319 So auch OLG Frankfurt RIW 1980, 799; OGH JBl. 1998, 392, 393; McGuire, in: Burgstaller, IZVR, Art. 31 EuGVO Rn. 20; Carl, S. 256; Fähndrich/Ibbeken, GRUR Int. 2003, 616, 623; Gassmann, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 85, 106; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 7; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 6; Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 679; Heinze, S. 82 und 198; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. Q Rn. 502; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 11; Marmisse/Wilderspin, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 669, 680; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 360; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 623; Pertegàs Sender, in: Fentiman/Nuyts/Tagaras/Watté, L’espace judiciaire européen, S. 277, 282; Pörnbacher, RIW 1999, 780, 781; Puttfarken, RIW 1977, 360; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 18; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 75; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 205, 228; Stadler, JZ 1999, 1089, 1092 und 1094; Wannenmacher, S. 208 und 218. 320 Strenger Albrecht, S. 118 f., der Art. 24 EuGVÜ insbesondere aufgrund seiner Entstehungsgeschichte dahingehend versteht, dass der Kläger bei Beantragung einer einstweiligen Maßnahme glaubhaft machen muss, dass die Hauptsache bereits anhängig gemacht wurde oder demnächst dort anhängig gemacht werden wird. 318
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schutz. 321 Falls die Hauptsache noch nicht anhängig ist, muss geprüft werden, ob das angerufene Gericht den Anforderungen von Art. 2, 5–24 EuGVO genügen würde. 322 Wenn ja, darf das Gericht auf der Grundlage der potentiellen Hauptsachezuständigkeit über den Erlass einer einstweiligen Maßnahme entscheiden. 323 Kommen mehrere konkurrierende Hauptsachegerichtsstände in Betracht, so kann der Antragsteller zwischen ihnen wählen. 324 bb) Konkurrierende Hauptsachezuständigkeiten Fraglich ist, wie sich die Anhängigkeit eines einstweiligen Verfahrens an einem Hauptsachegerichtsstand auf die konkurrierende Zuständigkeit anderer potentieller Hauptsachegerichte auswirkt. 325 Eine ausdrückliche Stellungnahme des EuGH zu dieser Frage war in van Uden und Mietz entbehrlich, weil in den Ausgangsfällen keine Klage vor einem ordentlichen Gericht erhoben worden war. Eine fiktive Hauptsachezuständigkeit scheiterte in van Uden nach Ansicht des EuGH an der Schiedsvereinbarung. 326 In Mietz kam eine ausschließliche Zuständigkeit (gemäß Art. 13, 14 EuGVÜ) in Betracht, das Ursprungsgericht hatte aber nicht dargelegt, dass es sich auf diese Zuständigkeit gestützt hatte. Deshalb bezog der EuGH seine 321 Art. 10.4 der Vorschläge zum europäischen Zivilprozessrecht (abgedruckt in ZZP 109 (1996), 345 ff.) spricht sich sogar dafür aus, dass nach Anhängigkeit das Gericht der Hauptsache ausschließlich zuständig sein soll: „Where the application for the remedy is made after proceedings have been begun, the court seised of the proceedings shall have exclusive jurisdiction to grant the remedy.“ Dies engt den einstweiligen Rechtsschutz jedoch zu sehr ein. Gerade wenn das Verfahren schon begonnen hat, kann der Schuldner dazu bewogen werden, sein Vermögen in einen anderen Staat zu verbringen. Für einen kurzfristigen Zugriff ohne vorherige Anerkennung einer ausländischen Entscheidung kann deshalb eine Zuständigkeit nach nationalem Prozessrecht wichtig sein. 322 Carl, S. 256; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 18. Insoweit ist Art. 31 EuGVO großzügiger als Art. 10.4 der Vorschläge zum europäischen Zivilprozessrecht (s. vorige Fn.), der alternativ zum Gerichtsstand am Vollstreckungsort nur einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten vorsieht, nicht aber mehrere Gerichtsstände entsprechend Art. 2 ff. EuGVO: „Where the application for the remedy is made before proceedings have been begun, the application may be made either to the court having jurisdiction where the remedy is to be executed or to the court having jurisdiction where the party resides against whom the remedy is sought resides.“ 323 Carl, S. 256 f.; Kofmel Ehrenzeller, S. 248; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 18. 324 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 7. 325 Zum Parallelproblem konkurrierender Hauptsachezuständigkeiten nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht, insbesondere dazu, ob ein deutsches Gericht gemäß Art. 31 EuGVO, § 937 Abs. 1 ZPO einstweilige Maßnahmen erlassen kann, wenn die Hauptsache bereits im Ausland anhängig ist, ausführlich Carl, S. 273–279. 326 EuGHE 1998, 7091 Rn. 24 – van Uden/DecoLine.
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Antworten auf eine Zuständigkeit aus Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht. 327 Der Gerichtshof betonte, auch wenn ein Hauptsacheverfahren vor dem Gericht eines Mitgliedstaates anhängig sei, bleibe das Gericht eines anderen Mitgliedstaates nach nationalem Recht für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig. 328 Bezüglich der Zuständigkeit anderer Hauptsachegerichte gemäß Art. 2 ff. EuGVO schwieg der EuGH. Dies erklärt, warum sich gegensätzliche Ansichten zur Begründung auf die Rechtsprechung des EuGH stützen können. Auf der einen Seite wird vertreten, auf europäischer Ebene könne wie im autonomen deutschen Recht 329 nur noch das schon mit der Hauptsache beschäftigte Gericht zuständig sein, sobald eine Rechtssache anhängig sei, es sei denn, das Gericht erkläre sich für unzuständig. 330 Um diese Zuständigkeitskonzentration zu begründen, wird die zuständigkeitsrechtliche Wirkung, die der EuGH seit van Uden Schiedsvereinbarungen beimisst, mit der Wirkung anderweitiger Rechtshängigkeit gleichgesetzt. Dürfe ein Hauptsachegericht nicht über den Erlass einer einstweiligen Maßnahme entscheiden, weil seine Zuständigkeit wegen einer Schiedsvereinbarung unerreichbar sei, müsse wegen Art. 27 EuGVO auch eine zweite konkurrierende Hauptsachezuständigkeit ausgeschlossen sein. Dem Austesten potentieller Zuständigkeiten sei entgegenzutreten. 331 Ein solcher Parallelschluss verbietet sich jedoch. Die Rechtsfolgen einer Schiedsvereinbarung sind nicht mit den Rechtsfolgen ausländischer Rechtshängigkeit vergleichbar. Liegt eine Schiedsvereinbarung vor, die sich auf die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen erstreckt, wollen die Parteien nicht, dass am Gerichtsstand der Hauptsache einstweilige Maßnahmen erlassen werden können. Bei einer früheren ausländischen Rechtshängigkeit besteht gerade unabhängig vom Willen der Parteien von Gesetzes wegen nur diese eine und keine weitere Hauptsachezuständigkeit. Auf der anderen Seite wird vertreten, dass sich ein Gläubiger an alle potentiell zuständigen Hauptsachegerichte wenden könne, auch wenn die Hauptsache bereits anhängig sei. 332 Die Entscheidung van Uden enthalte 327
EuGHE 1999, 2277 Rn. 55 – Mietz/Intership Yachting. EuGHE 1998, 7091 Rn. 29 – van Uden/DecoLine. 329 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 937 Rn. 3; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 937 Rn. 1. 330 Eilers, S. 201; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 11; Marmisse/Wilderspin, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 669, 681 f.; Pörnbacher, RIW 1999, 780, 781; Schulz, ZEuP 2001, 805, 814; Wannenmacher, S. 209; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 61. Ebenso aus niederländischer Sicht Polak, Ars Aequi 52 (2003), 118, 123. 331 Schulz, ZEuP 2001, 805, 814; Wolf, EWS 2000, 11, 14. 332 Albrecht, S. 96; Carl, S. 259 f.; Droz, Nr. 331; Gassmann, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 85, 106; Heinze, S. 198 f.; Hess, IPRax 2000, 370, 374; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221 f.; Kurtz, S. 74; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 17; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz, Kap. 18 Rn. 54; Schlosser, EU-ZPR, 328
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nur Restriktionen für Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht, jedoch keine für Zuständigkeiten der Art. 2 ff. EuGVO. 333 Kämen mehrere unterschiedliche Hauptsachezuständigkeiten in Betracht, zum Beispiel gemäß Art. 2 Abs. 1 und Art. 5 Nr. 1 EuGVO, könnten demnach, selbst wenn für die Hauptsache ggf. Art. 27 EuGVO eingriffe, bei den verschiedenen Hauptsachegerichten einstweilige Maßnahmen beantragt werden. Für den Gläubiger hätte das den Vorteil, dass er während eines bereits anhängigen ordentlichen Verfahrens den Erlass unterstützender einstweiliger Maßnahmen bei einem anderen Gericht beantragen könnte, gerade auch in einem anderen Staat, in welchem der Schuldner über Vermögenswerte verfügt. Da ein solches Vorgehen nicht in jedem Fall notwendig ist, wird vermittelnd vorgeschlagen, die Zuständigkeit anderer Hauptsachegerichte nur heranzuziehen, wenn dies notwendig erscheine, weil das die Hauptsache verhandelnde Gericht eine einstweilige Maßnahme ablehne oder das Recht des Forumstaates einer einstweiligen Maßnahme entgegenstehe. 334 Diese Differenzierung erscheint indes nicht praktikabel, da in jedem Einzelfall die Frage der Notwendigkeit beantwortet werden müsste. Sinnvoll ist vielmehr, neben der Zuständigkeit des bereits mit der Hauptsache befassten Gerichts generell auch andere Gerichtsstände der Art. 2 ff. EuGVO zu eröffnen. Dies steht im Einklang mit der gläubigerfreundlichen Konzeption der Zuständigkeiten für den einstweiligen Rechtsschutz in Art. 31 EuGVO. Zwar bestehen die Vorteile einer Annexkompetenz unmittelbar vor allem bei dem Gericht, bei dem die Hauptsache bereits anhängig ist. 335 Die übrigen in Betracht kommenden Hauptsachezuständigkeiten gewähren aber ebenfalls sachnahen Rechtsschutz, und es handelt sich bei ihnen nicht um Ausnahmevorschriften wie Art. 31 EuGVO, sondern um das Zuständigkeitssystem der EuGVO. Wäre die Zuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVO ab Anhängigkeit der Hauptsache auf das angerufene Gericht beschränkt, so könnte der mögliche Schuldner über das Erheben einer negativen Feststellungsklage zudem die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen zu Lasten des Gläubigers steuern. Der Schuldner könnte sich an ein Gericht wenden, das nach dem dort anwendbaren Recht nur über ein begrenztes Arsenal an einstweiligen Maßnahmen verfügt und womöglich strengere Voraussetzungen an Leistungsverfügungen stellt. Der Gläubiger könnte dann an anderen, gemäß Art. 31 EuGVO Art. 31 EuGVVO Rn. 19; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 75; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 228; Stadler, JZ 1999, 1089, 1094. 333 Stadler, JZ 1999, 1089, 1094. 334 Stadler, JZ 1999, 1089, 1095. 335 Heinze, S. 199, hält es deshalb für empfehlenswert, dass die potentiellen Hauptsachegerichte gegenüber dem tatsächlichen Hauptsachegericht „eine gewisse Zurückhaltung“ üben.
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zuständigen Gerichten nur einstweilige Maßnahmen beantragen, die den ungeschriebenen Restriktionen des EuGH gerecht würden. Seine Möglichkeiten, einstweiligen Rechtsschutz zu erlangen, wären deutlich beschnitten. 336 Schließlich kann es auch nicht erwünscht sein, dass die nicht vereinheitlichten Gerichtsstände gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht durch größere Beständigkeit gekennzeichnet wären als die Zuständigkeiten nach Art. 2 ff. EuGVO, weil diesen bei Anhängigkeit der Hauptsache an einem bestimmten Gericht der Ausschluss drohte. 337 c) Verhältnis zu anderen Zuständigkeiten Angesichts der Neuerungen in van Uden und Mietz bedarf nicht nur das Verhältnis konkurrierender Hauptsachezuständigkeiten zueinander der Erörterung, sondern auch das Verhältnis der Hauptsachezuständigkeiten gemäß Art. 2, 5 ff. EuGVO zu anderen Zuständigkeiten. Klärungsbedürftig ist, ob die auf Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht gestützten Zuständigkeiten unter der Bedingung stehen, dass eine Zuständigkeit für die Hauptsache gegeben ist, und in welchem Verhältnis diese Zuständigkeiten zu den Hauptsachezuständigkeiten nach der EuGVO stehen. aa) Zuständigkeit eines Gerichts der Hauptsache und Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO Ob Art. 31 EuGVO Zuständigkeiten zum Erlass einstweiliger Maßnahmen auch dann eröffnet, wenn keine Hauptsachezuständigkeit nach der EuGVO besteht, lässt sich dem Wortlaut nicht eindeutig entnehmen. Er besagt nur, dass eine einstweilige Maßnahme von einem nach nationalem Recht zuständigen Gericht auch dann erlassen werden kann, wenn ein anderes Gericht nach der EuGVO für die Hauptsache zuständig ist. Daraus kann man sowohl die Auffassung ableiten, das Entfallen der Hauptsachezuständigkeit wirke sich nicht auf die nationalen Zuständigkeiten aus, 338 als auch die Auffassung, die Zuständigkeiten erforderten das Vorliegen einer Hauptsachezuständigkeit. 339 Versteht man die Formulierung konditional, wären die Zuständigkeiten aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht daran geknüpft, dass ein Gericht der Hauptsache zuständig ist. 336
Die Gefahr von Rechtsschutzlücken sieht ebenfalls Heinze, S. 199. Carl, S. 258 f.; Heinze, S. 199. 338 Demeyere, RW 1999–2000, 1353, 1358; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 19; Kramer, NIPR 2003, 240; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 10; Lange, NJB 1999, 157, 159; Pörnbacher, RIW 1999, 780, 781. Die Unabhängigkeit der Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen von der Zuständigkeit für die Hauptsache statuiert auch Nr. 10 der Helsinki-Regeln, abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 202. 339 Albrecht, S. 118; Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 316. 337
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Hauptsache- und Eilzuständigkeit müssten zwingend parallel laufen. Liest man hingegen das Wort „wenn“ als ein „falls“, kommen nach Art. 31 EuGVO lediglich zwei verschiedene Zuständigkeiten in Betracht, ohne dass zwingend eine Hauptsachezuständigkeit nach der EuGVO zu fordern wäre. Der EuGH hat, indem er der zuletzt genannten Auslegung folgt, die Position der nicht harmonisierten Gerichtsstände gestärkt. Nach Ansicht des EuGH soll die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache aufgrund der Schiedsvereinbarung versagt, die Zuständigkeit anderer Gerichte aufgrund Art. 31 EuGVO aber dessen ungeachtet eröffnet sein. 340 Der Gerichtshof geht also davon aus, dass zwar eine Schiedsvereinbarung für die Hauptsache sämtliche Hauptsachezuständigkeiten auch für den Erlass einstweiliger Maßnahmen ausschließt, dass sich diese Schiedsvereinbarung aber nicht auf eine Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO auswirkt, die keine Berührungspunkte zur Hauptsache aufweist. Letzteres wird dem Anliegen von Art. 31 EuGVO gerecht, dem Gläubiger im einstweiligen Rechtsschutz weite Zuständigkeiten bereitzustellen, gerade auch für den Fall, dass keine Hauptsachezuständigkeit besteht. Dass die Zuständigkeiten des nationalen Rechts erhalten bleiben, ist bedeutsam für die Optimierung des einstweiligen Rechtsschutzes. Ein zwingender Gleichlauf von Hauptsache- und Eilzuständigkeiten ist nicht zu fordern. Die deutschen Gerichte können demzufolge gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit §§ 937 Abs. 1, 942 341, 1033 ZPO für Leistungsverfügungen international zuständig sein, auch wenn die Hauptsache vor einem Schiedsgericht entschieden werden soll. Nicht nachvollziehbar ist allerdings, warum die Zuständigkeit nach nationalem Recht eröffnet, die Hauptsachezuständigkeit aber verwehrt sein soll. Es könnte sich um einen Kompromiss handeln, wonach die Schieds340
EuGHE 1998, 7091 Rn. 19–24 – van Uden/DecoLine. Allgemein für den Fall, dass keine Hauptsachezuständigkeit nach dem EuGVÜ besteht, also unabhängig vom Vorliegen einer Schiedsvereinbarung, EuGHE 1999, 2277 Rn. 46 – Mietz/Intership Yachting. In diesem Sinne auch OGH IPRax 2003, 64; zustimmend ferner Gerhard, SZIER 1999, 97, 133; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 137; Wannenmacher, S. 227 f. 341 Vereinzelt wird vertreten, weil § 942 Abs. 1 ZPO innerhalb einer bestimmten Frist ein Rechtfertigungsverfahren vor dem Gericht der Hauptsache vorsehe, sei das Bestehen einer inländischen Hauptsachezuständigkeit obligatorisch. Denn sonst müsse das Rechtfertigungsverfahren auf der Grundlage einer ausländischen Verfahrensordnung durchgeführt werden. Deshalb sei § 942 Abs. 1 ZPO nicht doppelfunktional anwendbar, könne also keine internationale Zuständigkeit begründen, wenn das Gericht der Hauptsache ein ausländisches Gericht sei; Eisermann, S. 64 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 45. Überwiegend indes wird die doppelfunktionale Anwendung der Norm zur Vermeidung von Rechtsschutzlücken für möglich gehalten. Siehe Eilers, S. 11; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 69; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 29; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 14. Siehe dazu auch S. 130.
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vereinbarung wenigstens auf eine der beiden möglichen Zuständigkeitsarten Einfluss haben soll. Diese Konstruktion wirkt jedoch gekünstelt. 342 Dem EuGH ist deshalb nur insoweit zuzustimmen, als die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen über Art. 31 EuGVO nach nationalem Recht nicht an das Bestehen einer Hauptsachezuständigkeit gebunden ist und unabhängig davon eröffnet sein kann. 343 Nicht zu folgen ist dem EuGH hingegen in seiner Auffassung, die Zuständigkeit eines Hauptsachegerichts zum Erlass einstweiliger Maßnahmen sei infolge einer Schiedsvereinbarung zu verneinen. Kann über Art. 31 EuGVO eine Zuständigkeit nach nationalem Recht auch dann begründet werden, wenn keine Hauptsachezuständigkeit nach der Verordnung besteht, dann muss Art. 31 EuGVO erst recht eingreifen dürfen, wenn die Hauptsachezuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVO und die Eilzuständigkeit nach nationalem Recht in demselben Gerichtsstaat eröffnet sind. Zwar sieht der Wortlaut von Art. 31 EuGVO diese Konstellation nicht direkt vor. Die Formulierung „Die … einstweiligen Maßnahmen … können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats auf Grund dieser Verordnung zuständig ist“ legt ein solches Verständnis durch Verwendung des Wortes „auch“ jedoch nahe. bb) Hierarchie der verschiedenen Zuständigkeiten Weiterhin fragt es sich, in welchem Verhältnis die unterschiedlichen Zuständigkeiten zueinander stehen. Die Zuständigkeiten der Art. 2, 5–24 EuGVO auf der einen und des Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht auf der anderen Seite könnten gleichwertig sein, mit der Folge, dass der Gläubiger zwischen ihnen wählen kann. 344 Die Hauptsachezuständigkeiten könnten – gerade im Hinblick auf das Gebot einer einheitlichen Geltung des Gemeinschaftsrechts – aber auch Vorrang genießen. 345 Wie 342
Van Haersolte-van Hof, NTER 1999, 63, 66. So auch Kofmel Ehrenzeller, S. 249; Pörnbacher, RIW 1999, 780, 781; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 227. 344 Carl, S. 255; Donzallaz, AJP 2000, 956, 960; Gerhard, SZIER 1999, 97, 127 f.; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Heiss, S. 13; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222; Kofmel Ehrenzeller, S. 251; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 129; Marmisse/Wilderspin, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 669, 681; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 7; Schrader, S. 59; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 226; Stickler, S. 29 f. 345 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 245; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 61. Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 308, sprechen sich für einen Vorrang der ausschließlichen Zuständigkeiten gemäß Art. 16 EuGVÜ gegenüber Zuständigkeiten auf der Grundlage von Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht aus. Bei einer ausschließlichen Zuständigkeit für die 343
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erwähnt, hat der Gerichtshof in van Uden darauf hingewiesen, dass die gegenwärtige oder zukünftige Anhängigkeit der Hauptsache den Gerichten eines anderen Staates nicht die Zuständigkeit aus Art. 31 EuGVO nimmt. 346 Dies spricht zunächst dagegen, dass er die Zuständigkeiten des Art. 31 EuGVO in Verbindung mit innerstaatlichem Recht für nachrangig hält. Außerdem stellt der EuGH in van Uden die Zuständigkeiten der Art. 2 ff. neben die Zuständigkeiten nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht. 347 Seine Ausführungen lassen hier ebenso wie der Wortlaut von Art. 31 EuGVO gerade keine Hierarchie, sondern eine Liberalisierung der nationalen Gerichtsstände erkennen. 348 Für die Autonomie der nationalen Zuständigkeitsregelungen spricht auch die Tatsache, dass sie nach Auffassung des EuGH selbst dann herangezogen werden können, wenn die Hauptsachezuständigkeiten aus Art. 2 ff. EuGVO wegen einer Schiedsvereinbarung ausgeschlossen sind. 349 In Italian Leather trat der EuGH der Idee einer Hierarchiebildung entgegen, indem er der einstweiligen Maßnahme des Hauptsachegerichts in Italien keinen Vorrang gegenüber der einstweiligen Maßnahme eines deutschen Gerichts einräumte. 350 Die Einschränkungen, die der EuGH in Gestalt der realen Verknüpfung und des Ortsbezuges den Zuständigkeiten nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht, nicht aber den Hauptsachezuständigkeiten nach Art. 2 ff. EuGVO auferlegt, sprechen allerdings eine andere Sprache. Gerichte, die gemäß Art. 2, 5–24 EuGVO zuständig sind und damit über die Hauptsache entscheiden dürfen, sollen erst recht für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig sein, ohne dass ihre Zuständigkeit besonderen Voraussetzungen unterworfen wird. 351 Mit Kriterien wie der realen Verknüpfung und dem Ortsbezug wird es erheblich erschwert, die über Art. 31 EuGVO zuständigen Gerichte anzurufen. 352 De facto verursachen die zusätzlichen Anforderungen also ein Rangverhältnis. Erkennbar ist insoweit doch eine Tendenz zur Stärkung der Hauptsachezuständigkeiten. 353 Hauptsache könnten Leistungsverfügungen nicht durch ein nach Art. 24 EuGVÜ zuständiges Gericht erlassen werden. Möglich sei hingegen der Erlass sichernder Maßnahmen. 346 EuGHE 1998, 7091 Rn. 29 – van Uden/DecoLine. 347 EuGHE 1998, 7091 Rn. 19 f. – van Uden/DecoLine. 348 So auch Hess, IPRax 2005, 23, 25, der eine Hierarchiebildung zwar für sinnvoll hält, aber eingesteht, dass ein solches Konzept nicht aus der EuGVO hervorgehe. 349 EuGHE 1998, 7091 Rn. 24 f. – van Uden/DecoLine. 350 EuGHE 2002, 4995 Rn. 45 – Italian Leather/WECO. Siehe zur Entscheidung ausführlich S. 396 ff. 351 EuGHE 1998, 7091 Rn. 22 – van Uden/DecoLine. 352 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 223; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 228. 353 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 47, spricht insoweit von der „grundsätzlichen Priorität der Hauptsache“; Stadler, JZ 1999, 1089, 1095, von einer „ge-
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Angesichts des Ausnahmecharakters von Art. 31 EuGVO und des Risikos einer Umgehung der Hauptsachezuständigkeiten ist es auch nachvollziehbar, dass der Erlass einstweiliger Maßnahmen an Gerichtsständen der nationalen Rechtsordnungen Einschränkungen unterworfen wurde und dass den danach berufenen Gerichten vor allem eine Ergänzungsfunktion zukommen soll. 354 In Mietz spricht der EuGH jedoch nicht davon, dass eine Pflicht bestehe, eine einstweilige Maßnahme zuerst beim Gericht der Hauptsache zu beantragen. Er weist lediglich darauf hin, ein Gericht, dass mit der Hauptsache befasst sei, brauche Art. 24 EuGVÜ nicht heranzuziehen. 355 Die Entwicklung ist deshalb nicht so zu verstehen, dass ein Gläubiger zwingend zuerst das Gericht der Hauptsache nach vereinheitlichtem europäischem Recht anrufen muss. Wendet er sich aber an ein anderes, nach innerstaatlichem Recht zuständiges Gericht, muss er sich auf die zusätzlichen Voraussetzungen einstellen. In Art. 20 Abs. 2 EheGVO 356 findet sich hingegen ein deutlicher Hinweis zum Verhältnis der Zuständigkeiten. Einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 20 Abs. 1 EheGVO treten außer Kraft, wenn das Gericht des Mitgliedstaats, das gemäß dieser Verordnung für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig ist, die Maßnahmen getroffen hat, die es für angemessen hält. Hier ist der Vorrang einstweiliger Maßnahmen des Hauptsachegerichts offenkundig. 357 Eine entsprechende Tendenz zeigen diesbezüglich die geplanten neuen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen. In Art. 35 f. des Entwurfs einer reformierten wissen Subsidiarität“ der nationalen Gerichtsstände. So auch Polak, Ars Aequi 52 (2003), 118, 124. 354 So auch Hess, IPRax 2000, 370, 374 und ders., Study No. JAI/A3/2002/02, 140 f.; Polak, Ars Aequi 52 (2003), 118, 124; Stadler, JZ 1999, 1089, 1099; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 60. 355 EuGHE 1999, 2277 Rn. 40 – Mietz/Intership Yachting. 356 Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 vom 27. November 2003, ABl. EU 2003 L 338, S. 1. 357 Deutlich in diese Richtung tendiert auch die Kommission im Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 175 endg. Danach könne das Erfordernis der realen Verknüpfung entfallen, wenn der Mitgliedstaat, dessen Gerichte in der Hauptsache zuständig sind, das Recht hätte, eine einstweilige Maßnahme, die von einem nach Artikel 31 zuständigen Gericht eines Mitgliedstaates angeordnet wurde, aufzuheben, zu ändern oder anzupassen. Die Rolle des mit dem Antrag im Eilverfahren befassten Gerichts bestehe darin, das Verfahren in der Hauptsache durch „leihweise Gewährung eines Rechtsschutzes“ zu unterstützen. Sobald diese Hilfsmaßnahme nicht mehr benötigt werde, könne sie vom in der Hauptsache zuständigen Gericht aufgehoben werden. Zustimmend Hess, IPRax 2011, 125, 130; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 20 f.
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EuGVO ist eine primäre Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache vorgesehen. 358 Ergänzend kann gemäß Art. 31 des Entwurfs der Erlass einstweiliger Maßnahmen bei den Gerichten anderer Mitgliedstaaten beantragt werden. 359 3. Zuständigkeit sonstiger Gerichte nach nationalem Recht Der Regelungsgehalt von Art. 31 EuGVO beschränkt sich darauf, die Möglichkeit eines Erlasses einstweiliger Maßnahmen durch die Gerichte, die das nationale Recht für zuständig erklärt, unberührt zu lassen. Darin liegt die Besonderheit dieser Vorschrift des europäischen Zivilprozessrechts, die zur Folge hat, dass die Gerichtsstände des autonomen nationalen Rechts für einstweilige Maßnahmen bestehen bleiben. a) Reichweite der Verweisung auf nationales Recht Art. 31 EuGVO soll dem Gläubiger mittels eines gegenüber Art. 2 ff. EuGVO erweiterten Zuständigkeitsangebots optimalen einstweiligen Rechtsschutz in grenzüberschreitenden Fällen bieten. Dieses Ziel erreichen die Vorschriften dadurch, dass das nationale Zuständigkeitsspektrum konserviert wird. 360 Unter den Gerichtsständen der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen wählt die Vorschrift keine bestimmten aus, sondern spricht all358
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg. (http://ec.europa.eu/justice/policies/civil/ docs/com_2010_748_de.pdf). Art. 35 EuGVO nF soll lauten: „Sind die Gerichte eines Mitgliedstaats in der Hauptsache zuständig, sind diese Gerichte auch für die im Recht dieses Staates vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen zuständig.“ Art. 36 EuGVO nF soll lauten: „Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats oder ein Schiedsgericht aufgrund dieser Verordnung zuständig ist.” 359 Art. 31 EuGVO nF soll lauten: „Wenn ein Verfahren in der Sache vor einem Gericht eines Mitgliedstaats anhängig ist und bei Gerichten eines anderen Mitgliedstaats die Anordnung einstweiliger Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt wurde, arbeiten die betreffenden Gerichte zusammen und stimmen das Verfahren in der Hauptsache und das Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes miteinander ab. Insbesondere holt das Gericht, bei dem einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen beantragt wurden, bei dem anderen Gericht Informationen über alle relevanten Umstände des Falles ein, darunter über die Dringlichkeit der beantragten Maßnahme oder die etwaige Ablehnung einer ähnlichen Maßnahme durch das mit der Hauptsache befasste Gericht.” 360 Hausmann, FamRZ 1980, 418, 420; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I– VO Rn. 2.
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gemein von „den Gerichten“. Die Reichweite der Verweisung auf nationales Recht ist nach dem Gesetzeswortlaut unbegrenzt. Einstweilige Maßnahmen können grundsätzlich an allen Gerichtsständen ergehen, die nach nationalem Recht eröffnet sind. Dies gilt auch für solche, die die EuGVO nicht kennt. Die Zuständigkeiten nach nationalem Recht sind von den vereinheitlichten Hauptsachegerichtsständen des EU-Rechts unabhängig und eigenständig. 361 Für einen Mitgliedstaat besteht aber keine Verpflichtung zur Ausübung der Gerichtsbarkeit im einstweiligen Rechtsschutz, wenn keine nationale Zuständigkeit gegeben ist. 362 Spezifische EU-rechtliche Anforderungen stellt Art. 31 EuGVO nach seinem Wortlaut nicht. Dieser „Freibrief“ 363 für die autonomen Rechte und der Verzicht auf den Gleichlauf der Zuständigkeiten in Hauptsache und Eilverfahren zum Schutz des Gläubigers sind nicht ohne Risiko. Über die Hintertür von Art. 31 EuGVO kann das kohärente und interessengerechte System der vereinheitlichen Hauptsachezuständigkeiten in Art. 2 ff. EuGVO umgangen werden. Greift ein Gläubiger für Leistungsverfügungen auf die nicht vereinheitlichten Zuständigkeiten zurück, so gelten die Zuständigkeiten für ein die Hauptsache inhaltlich vorwegnehmendes Verfahren auch dann, wenn sie in der Hauptsache nicht zur Verfügung stünden. Es versteht sich von selbst, dass der Gläubiger einen klägerfreundlichen Gerichtsstand bevorzugt, wenn ihm diese Möglichkeit gegeben wird. Für den Beklagten kann das zur Folge haben, dass ihm statt eines Verfahrens in seinem Wohnsitzstaat gemäß Art. 2 Abs. 1 EuGVO ein Prozess im Ausland aufgebürdet wird, dessen Ergebnis unter Umständen faktisch endgültig wird. Die Rechtfertigung für die gläubigerfreundliche Gestaltung von Art. 31 EuGVO basierte zunächst auf der Vorstellung, dass der Schuldner gerade in grenzüberschreitenden Angelegenheiten ein leichtes Spiel hat, die Durchsetzung von Forderungen zu verhindern. 364 Im Laufe der Zeit wurde es allerdings für den Gläubiger immer einfacher, seine Ansprüche im internationalen Rechtsverkehr geltend zu machen. So wurde im einstweiligen Rechtsschutz das forum shopping gängige Praxis. 365 Aus den zur Auswahl stehenden mitgliedstaatlichen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit wurde vermehrt auf klägerfreundliche Zuständigkeitsregeln mit weniger hohen Anforderungen zurückgegriffen und dadurch Einfluss auf die 361
Kofmel Ehrenzeller, S. 249; Pörnbacher, RIW 1999, 780, 781; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 227. 362 Siehe dazu S. 297; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 628. A.A. Albrecht, S. 114 f. und 180; Grundmann, S. 161 f. 363 Schack, IZVR5, Rn. 484. Kritisch auch Heinze, S. 82: „unqualifizierte Öffnungsklausel“. 364 Stadler, JZ 1999, 1089, 1090. 365 Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 136.
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Sachentscheidung genommen. 366 Da die mitgliedstaatlichen Regelungen, auf die Art. 31 EuGVO verweist, nicht aufeinander abgestimmt sind, knüpfen manche Prozessordnungen die internationale Gerichtspflichtigkeit für Leistungsverfügungen an Merkmale, auf die in anderen Prozessordnungen keine Zuständigkeit gestützt werden könnte. 367 Forum shopping ist als logische Konsequenz der bestehenden rechtlichen Vielfalt in Europa zwar nicht generell negativ zu bewerten. 368 Zu kritisieren ist es jedoch, wenn der Kläger versucht, von den Vorteilen eines Gerichtsstaats Gebrauch zu machen, der keinerlei Beziehung zum streitigen Rechtsverhältnis hat. 369 Vor allem aber steht das forum shopping im Rahmen der EuGVO dem Ziel eines harmonisierten Rechts- und Wirtschaftsraumes entgegen, innerhalb dessen gleichwertiger Rechtsschutz gewährt werden sollte. 370 Damit die Hauptsachezuständigkeiten der EuGVO nicht unterlaufen, die Konkurrenz der unterschiedlichen und zum Teil zu gläubigerfreundlichen Gerichtsorte vernünftig koordiniert und die Interessen von Gläubiger und Schuldner ausgewogen geschützt werden, war es deshalb unerlässlich, die Verweisung auf nationales Recht einzuschränken. Als Anknüpfungspunkt hierfür bot sich einmal das europäische Recht, aber auch das autonome nationale Recht an. So reagierte etwa der niederländische Gesetzgeber auf die Kritik an Art. 126 Abs. 3 WBRv und schaffte diesen Klägergerichtsstand mit Wirkung zum 1. Januar 2002 ab. 371 Da nicht alle Rechtsordnungen über einen solchen Klägergerichtsstand verfügen, war seine Anwendung auf internationale Sachverhalte umstritten. Dies manifestierte sich darin, dass Art. 126 Abs. 3 WBRv von Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I als exorbitant eingestuft wurde. Das Beispiel zeigt, dass die Gesetzgeber der Mitgliedstaaten auf Entwicklungen im EU-Recht reagieren und sich einer zunehmenden Harmonisierung der innerstaatlichen Rechte nicht verschließen. Gleichwohl ist es nicht vorrangig eine nationale Aufgabe, die Schwachstellen des höherrangigen Rechts auszumerzen. Verursacht wird die Missbrauchsanfälligkeit durch die Konstruktion von Art. 31 EuGVO. Die Probleme lassen sich letztlich nur lösen, wenn die Verweisung auf das nationale Zuständigkeitsrecht überdacht wird. 366
Donzallaz, AJP 2000, 956, 958; Hess, JZ 1998, 1021, 1022. Zu denken ist hier besonders an die so genannten exorbitanten Gerichtsstände wie etwa den Klägergerichtsstand aus Art. 14 Code civil, der an die französische Staatsangehörigkeit des Klägers anknüpft. 368 So auch McGuire, ZfRV 2005, 83, 93, nach der die negative Bewertung des forum shopping nur hinsichtlich der Torpedoklagen gerechtfertigt ist. 369 Buchner, S. 75. 370 Hess, JZ 1998, 1021, 1027. 371 Siehe oben S. 110. 367
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Um die Reichweite der Verweisung unmittelbar im europäischen Recht einzuschränken, wurden vor den EuGH-Entscheidungen van Uden und Mietz verschiedene Ansätze vorgetragen. Ein Vorschlag wollte die Verweisung auf spezifische Eilgerichtsstände begrenzen. 372 Andere wollten die Hauptsachezuständigkeiten, die das nationale Recht vorsieht, nach EURecht anstatt nach nationalem Recht zu ermitteln 373 oder so genannte exorbitante Gerichtsstände von der Verweisung ausnehmen. 374 Der EuGH verdeutlichte in van Uden, dass auch er Einschränkungen der Ausnahmevorschrift Art. 31 EuGVO für geboten hält, weil er befürchtet, dass die in Art. 2 ff. EuGVO normierten Hauptsachezuständigkeiten bei Leistungsverfügungen durch Gerichtsstände der autonomen Rechte umgangen werden könnten. 375 Der Gerichtshof favorisierte jedoch keine der genannten Einschränkungsmöglichkeiten. Stattdessen entwickelte er in van Uden und Mietz mit neuen Voraussetzungen für die Zuständigkeiten nach autonomem nationalem Recht einen eigenen Ansatz, um die mit Art. 31 EuGVO verbundenen Schwierigkeiten zu bewältigen. Vor diesem Hintergrund fragt es sich, wie die zuvor kontrovers diskutierten Einschränkungsmöglichkeiten angesichts der Errungenschaften der beiden EuGHEntscheidungen zu bewerten sind. aa) Eilgerichtsstände Wie eben erwähnt, wurde vertreten, Art. 24 EuGVÜ ermögliche den Erlass einstweiliger Maßnahmen nur an spezifischen Eilgerichtsständen 376 und nicht an sämtlichen Gerichtsständen des nationalen Rechts einschließlich der Hauptsachegerichtsstände. 377 Eilgerichtsstände sollen solche sein, die ausdrücklich oder nach Auslegung voraussetzen, dass die beantragte Maß372
Eilers, S. 200; Puttfarken, RIW 1977, 360; Zeiler, JBl. 1996, 635, 639. OLG Koblenz IPRax 1991, 241, 242 f.; Gronstedt, S. 25 ff.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 17 und 21. In diesem Sinne, bezogen auf das Projekt des inzwischen nur noch partiell weiterverfolgten weltweiten Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, auch Schack, ZEuP 1998, 931, 954. 374 Gothot/Holleaux, Convention de Bruxelles, Nr. 203; Mezger, Rev. crit. dr. int. priv. 68 (1979), 130, 132; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 136 f. 375 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 – van Uden/DecoLine. 376 Eilers, S. 200; Puttfarken, RIW 1977, 360; Zeiler, JBl. 1996, 635, 639. Nach Grundmann, S. 143 f., soll Art. 24 LugÜ ausschließlich auf Gerichtsstände verweisen, die tatsächlich verfahrensbeschleunigenden Effekt haben oder diesen zumindest beabsichtigen. Dies könne selbst bei Eilgerichtsständen zu verneinen sein. 377 Für Letzteres die weit überwiegende Meinung: OLG Düsseldorf NJW 1977, 2034; OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; LG Bremen RIW 1980, 366; Dittmar, NJW 1978, 1720, 1721; Grunsky, RIW 1977, 1, 8; Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Heiss, S. 29 ff.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 7; Schack, IZVR5, Rn. 484; Schlafen, NJW 1976, 2082; Stickler, S. 47. 373
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nahme eilbedürftig ist. 378 An Eilgerichtsständen können nur einstweilige Maßnahmen erlassen, aber keine ordentlichen Verfahren entschieden werden. 379 Die Beschränkung auf Eilgerichtsstände wurde damit begründet, dass eine einheitliche Anknüpfung an die Eilbedürftigkeit die Rechtsanwendung erleichtere und der Rechtssicherheit im einstweiligen Rechtsschutz diene. 380 Außerdem schaffe sie einen gerechten Ausgleich zwischen den gegensätzlichen Interessen von Gläubiger und Schuldner, weil die auf Eilgerichtsstände gestützte Zuständigkeit nur so weit reiche, wie im einstweiligen Rechtsschutz erforderlich sei. Beide Argumente sind angreifbar. Aus dem Ziel, zur Rechtsvereinheitlichung beizutragen, ergibt sich nicht zwingend die Schlussfolgerung auf eine teleologische Reduktion der Verweisung in Art. 31 EuGVO. 381 Zudem passt es konzeptionell streng genommen nicht zu einer Zuständigkeitsnorm, die Voraussetzungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen, wie zum Beispiel die Eilbedürftigkeit, vorzugeben. 382 Im Übrigen macht die Beschränkung auf die Eilgerichtsstände der nationalen Rechtsordnungen die Anwendung von Art. 31 EuGVO nicht einfacher, sondern komplizierter. Das autonome deutsche Zivilprozessrecht enthält zum Beispiel keine Vorschrift, welche die internationale Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen ausdrücklich und unabhängig vom Hauptsacheverfahren regelt. § 919 1. Var. und § 937 Abs. 1 ZPO scheiden schon deshalb als besondere Eilgerichtsstände aus, weil sie das Gericht der Hauptsache zum Erlass von Arresten bzw. einstweiligen Verfügungen ermächtigen. Zur Begründung von Eilgerichtsständen kommt lediglich eine doppelfunktionale Anwendung von § 919 2. Var. und § 942 ZPO 383 in Betracht. § 919 2. Var. ZPO setzt die Eilbedürftigkeit nicht ausdrücklich voraus, sie ergibt sich allenfalls mittelbar aus der ratio legis. 384 § 942 ZPO greift nur in „dringenden Fällen“ ein. Welche Anforderungen daran zu stellen sind, ist nicht eindeutig. 385 Jedenfalls handelt es sich um eng begrenzte Ausnahmefälle. 386 Auf die Zuständigkeit für einstweilige Verfügungen hätte die Auffassung, die nur Eilgerichtsstände berücksichtigen will, daher stärkere Auswirkungen 378
Eilers, S. 200 f. Eilers, S. 201. 380 Eilers, S. 201 und 207. 381 Mankowski, RabelsZ 58 (1994), 355, 356. 382 Mankowski, RabelsZ 58 (1994), 355, 356. In seinen Urteilen van Uden und Mietz hat der EuGH allerdings ebenfalls Voraussetzungen für Leistungsverfügungen geschaffen, siehe oben S. 280 ff. und S. 327 ff. 383 Eilers, S. 209 ff.; Heiss, S. 30; Kurtz, S. 80 f.; Puttfarken, RIW 1977, 360. 384 So Eilers, S. 210, selbst. 385 Dies räumt auch Eilers, S. 210, ein. 386 Beispiele bei Kurtz, S. 81. Noch restriktiver Carl, S. 281 f. 379
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als auf Arreste. Während bei Arresten stets § 919 2. Var. ZPO herangezogen werden könnte, wäre ein Abstellen auf § 942 ZPO bei einstweiligen Verfügungen ungleich schwieriger. Daher liefe die Verweisung von Art. 31 EuGVO auf das nationale deutsche Prozessrecht für die Beantragung einstweiliger Verfügungen weitgehend leer. Spürbare Zuständigkeitslücken wären die Folge. 387 Auch den versprochenen Ausgleich der Interessen von Gläubiger und Schuldner vermag eine auf Eilgerichtsstände begrenzte Verweisung nicht zu liefern. Da dem Gläubiger mit den Eilgerichtsständen nur noch wenige Gerichtsstände der nationalen Rechtsordnungen zur Verfügung stünden, 388 würden seine Rechtsschutzmöglichkeiten hierdurch stärker als nötig eingeschränkt. Nach van Uden und Mietz ist die Auffassung, die Verweisung auf das nationale Recht meine nur besondere Eilzuständigkeiten, endgültig überholt. Diese Entscheidungen trennen wie der Wortlaut von Art. 31 EuGVO nicht zwischen verschiedenen Zuständigkeiten der nationalen Prozessordnungen, sondern sie sprechen allgemein von nationalen Zuständigkeiten für einstweilige Maßnahmen. 389 Der EuGH begegnet den mit der Anwendung der autonomen Zuständigkeitsregeln verbundenen Risiken also auf andere Weise als durch eine alleinige Heranziehung spezifischer Eilgerichtsstände. Soweit die noch näher zu erläuternde Voraussetzung der realen Verknüpfung allerdings zu Gerichtsständen führt, die als spezifische Eilgerichtsstände bezeichnet werden, divergiert lediglich die Konstruktion, nicht aber das Ergebnis. bb) Hauptsachegerichtsstände Einstweilige Maßnahmen können demgemäß nicht nur an besonderen Eilgerichtsständen, sondern auch an anderen Gerichtsständen beantragt werden, welche die nationalen Prozessordnungen für den vorläufigen Rechtsschutz bereitstellen. Das sind zum Beispiel die Gerichtsstände der Hauptsache, bei denen die Hauptsache bereits anhängig ist oder an denen sie erhoben werden könnte.
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Eilers, S. 212, möchte zur Schließung dieser Lücke bei einstweiligen Maßnahmen auf § 23 ZPO zurückgreifen. 388 Vgl. den Überblick über die Eilgerichtsstände der EuGVÜ-Vertragsstaaten bei Eilers, S. 209. 389 EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42, 53 f. – Mietz/Intership Yachting.
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(1) Keine Prüfung der Zuständigkeit bei Anhängigkeit der Hauptsache Ist das Hauptsacheverfahren im Zeitpunkt, in dem eine einstweilige Maßnahme beantragt wird, bereits im Inland anhängig, ist das Gericht der Hauptsache gemäß § 937 Abs. 1 ZPO auch für den Erlass einstweiliger Verfügungen zuständig. 390 Klärungsbedürftig ist, ob die internationale Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache für das einstweilige Verfahren erneut geprüft werden muss oder ob der formale Umstand der Anhängigkeit der Hauptsache ausreicht. Zur Beantwortung dieser Frage wird die Prüfung der internationalen Hauptsachezuständigkeit mit der Prüfung der Rechtswegzuständigkeit verglichen. Letztere muss nach autonomem deutschem Recht verifiziert werden, wenn Zweifel an der Eröffnung des Rechtswegs bestehen, 391 damit kein falscher Rechtsweg erschlichen wird. Daraus wird abgeleitet, auch die internationale Zuständigkeit für die Hauptsache sei in Zweifelsfällen zu überprüfen, weil bei einer Erschleichung der Zuständigkeit eines international unzuständigen Gerichts eine ähnliche Konstellation vorliege. 392 Dagegen wird eingewandt, die Anrufung des Gerichts der Hauptsache gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht sei nicht schon an sich rechtsmissbräuchlich und dürfe nicht mit der Erhebung einer Klage in einem nicht gegebenen Rechtsweg gleichgesetzt werden. Die fehlende internationale Zuständigkeit im einstweiligen Verfahren sei nicht vergleichbar mit der Eröffnung eines falschen Rechtswegs. 393 Darüber hinaus läuft es den Zielen des einstweiligen Rechtsschutzes zuwider, wenn die internationale Zuständigkeit geprüft werden müsste, obwohl die Hauptsache bereits anhängig ist. Die Entscheidung des OLG Koblenz, die für eine solche Prüfung plädiert, liefert dafür selbst den besten Beweis. 394 Das Gericht erörtert darin sehr aufwändig verschiedene in Betracht kommende Gerichtsstände des EuGVÜ, darunter die Gerichtsstände des Erfüllungsortes und der unerlaubten Handlung in Art. 5 Nr. 1 und 3 EuGVÜ. 395 Ein einstweiliges Verfahren sollte durch eine langwierige Untersuchung der zuständigkeitsbegründenden Umstände aber mög390 Dazu, ob ein deutsches Gericht gemäß Art. 31 EuGVO, § 937 Abs. 1 ZPO auch einstweilige Maßnahmen erlassen kann, wenn die Hauptsache bereits im Ausland anhängig ist, ausführlich Carl, S. 273–279. Zum Problem konkurrierender Hauptsachezuständigkeiten nach Art. 2 ff. EuGVO siehe S. 304 ff. 391 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 919 Rn. 5; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 919 Rn. 8; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 919 Rn. 3. 392 OLG Koblenz IPRax 1991, 241, 242. Für eine Prüfung der Zuständigkeit auch Gronstedt, S. 27; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 919 Rn. 5; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 18; Reichold, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 919 Rn. 3; Roth, IPRax 1990, 161. 393 Hanisch, IPRax 1991, 215, 216. 394 So auch Otte, ZIP 1991, 1048, 1051. 395 OLG Koblenz IPRax 1991, 241, 243 f.
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lichst nicht aufgehalten werden. 396 Insbesondere über Leistungsverfügungen, in denen es regelmäßig um eine echte Notlage geht, muss zügig entschieden werden. Hier hat der Gläubiger ein existentielles Interesse daran, schnell gerichtlichen Rechtsschutz zu erlangen. 397 Dies wird am besten bei dem Gericht umsetzbar sein, das bereits mit der Hauptsache vertraut ist. Eine Zuständigkeitskonzentration ist in diesem Fall sinnvoll und prozessökonomisch. 398 Zudem kann eine einstweilige Maßnahme wieder aufgehoben werden, sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass das Gericht der Hauptsache nicht zuständig war. 399 Die internationale Zuständigkeit sollte deshalb allenfalls dann überprüft werden, wenn sich die Unzuständigkeit aufdrängt. 400 Im Regelfall muss das Hauptsachegericht über den Erlass von Leistungsverfügungen entscheiden können, sobald das Hauptsacheverfahren anhängig ist, ohne dass es einer weiteren Prüfung der internationalen Zuständigkeit bedarf. Es kann in Kauf genommen werden, dass das entscheidende Gericht unter Umständen nur fiktiv zuständig ist. 401 (2) Ermittlung des Gerichts der Hauptsache vor Anhängigkeit der Hauptsache Falls noch kein Hauptsacheverfahren anhängig ist und das nationale Recht für den einstweiligen Rechtsschutz die Zuständigkeit eines Hauptsachegerichts vorsieht, muss ermittelt werden, welches Hauptsachegericht gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständig sein könnte. Die Art und Weise, wie dieses Gericht der Hauptsache zu ermitteln ist, bildete vor van Uden und Mietz neben den spezifischen Eilgerichtsständen einen weiteren Anknüpfungspunkt, um die Verweisung auf die nationalen Rechtsordnungen zu begrenzen. So wurde bei der Bestimmung der hypothetischen Hauptsachezuständigkeit teilweise allein das autonome Recht 402, 396 Hanisch, IPRax 1991, 215, 216; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 184; Otte, ZIP 1991, 1048, 1051. A.A. Hornung, ZVglRWiss 95 (1996), 305, 313. 397 Hanisch, IPRax 1991, 215, 216; Otte, ZIP 1991, 1048, 1051. 398 Otte, ZIP 1991, 1048, 1051. 399 Otte, ZIP 1991, 1048, 1052. 400 Otte, ZIP 1991, 1048, 1053. 401 So auch die h.M.: OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; LG Frankfurt/Main IPRax 1990, 177; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 919 Rn. 1, 3 und 8; Heiss, S. 30; Kurtz, S. 75; Otte, ZIP 1991, 1048, 1051; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 13; Schack, IZVR5, Rn. 484; Stickler, S. 42 f.; Thümmel, NJW 1996, 1930, 1931. 402 OLG Düsseldorf NJW 1977, 2034; OLG Köln NJW-RR 1997, 59 f.; OLG Karlsruhe MDR 2002, 231; LG Bremen RIW 1980, 366; Dittmar, NJW 1978, 1720, 1721; Hanisch, IPRax 1991, 215, 216 f.; Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Heiss, S. 31; Otte, ZIP 1991, 1048, 1050; Schack, IZVR2, Rn. 424; Schlafen, NJW 1976, 2082; Zeiler, JBl. 1996, 635, 638 f.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
aber auch allein das EU-Recht 403 oder wahlweise eine der beiden Rechtsquellen 404 für maßgeblich gehalten. Das Gericht der Hauptsache im Sinne von § 937 Abs. 1 ZPO 405 könnte sich demzufolge aus §§ 12 ff. ZPO oder Art. 2 ff. EuGVO bzw. alternativ aus beiden Rechtsquellen ergeben. Wer allein auf autonomes Recht abstellt, bietet dem Gläubiger für den Erlass von Leistungsverfügungen Zuständigkeiten, die nicht ins EG-Recht aufgenommen wurden, 406 missachtet jedoch, dass die EuGVO auch für den einstweiligen Rechtsschutz gilt. 407 Stammen die Hauptsachezuständigkeiten im Sinne von Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht ausschließlich aus dem EU-Recht, werden die Rechtsvereinheitlichung und der Gleichlauf des ordentlichen und einstweiligen Verfahrens verwirklicht, die Verweisung auf das nationale Recht jedoch zu großen Teilen obsolet gemacht. 408 Eine Einschränkung der über Art. 31 EuGVO eröffneten Zuständigkeiten darf dessen Ziel, die Zuständigkeiten für den einstweiligen Rechtsschutz mit zusätzlichen Gerichtsständen der nationalen Rechtsordnungen gegenüber den Zuständigkeiten für die ordentlichen Verfahren zu erweitern, nicht vollständig torpedieren. Um dieses Ziel zu erreichen, nennt Art. 31 EuGVO gerade zwei Zuständigkeitssysteme. Mit dem Wortlaut und der Zielsetzung der Vorschriften wäre es daher nicht vereinbar, die Auswahl auf eine der beiden Rechtsquellen zu beschränken. Unterstützenswert ist es vielmehr, dass der Antragsteller zwischen den Hauptsachezuständigkeiten nach autonomem oder nach vereinheitlichtem Recht wählen kann. In van Uden musste sich der EuGH hierzu nicht direkt äußern. Im Ausgangsfall wurde über einen Gerichtsstand am Wohnsitz des Klägers (Art. 126 Abs. 3 WBRv aF) und nicht über einen Hauptsachegerichtsstand, wie zum Beispiel § 937 Abs. 1 ZPO, diskutiert. Der EuGH verdeutlichte aber, 403
OLG Koblenz IPRax 1991, 241, 242 f. mit Anm. Hanisch, 215 ff.; Gronstedt, S. 25 ff.; Puttfarken, RIW 1977, 360; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 17 und 21. In diesem Sinne, bezogen auf das Projekt des nicht weiterverfolgten weltweiten Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommens, auch Schack, ZEuP 1998, 931, 954. 404 OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 8; Grunsky, RIW 1977, 1, 8; Kropholler, EuZPR6, Art. 24 Rn. 6; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 27; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 10; Stickler, S. 47. 405 Das Gericht der Hauptsache ist gemäß § 937 Abs. 1 ZPO vorrangig zuständig. Nur in dringenden Fällen kann nach § 942 Abs. 1 ZPO das Amtsgericht am Belegenheitsort eine einstweilige Verfügung erlassen. Anders ist das beim Arrest. Hier entscheidet gemäß § 919 1. und 2. Alt. ZPO entweder das Gericht der Hauptsache oder das Gericht, in dessen Bezirk ein mit Arrest zu belegener Gegenstand belegen ist. Ein Vorrang des Gerichts der Hauptsache besteht hier nicht. 406 Siehe die Aufzählung der als exorbitant klassifizierten Gerichtsstände in Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I. 407 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 221. 408 Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 10.
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dass sowohl die Hauptsachezuständigkeiten als auch die Zuständigkeiten des nationalen Rechts für den Erlass einstweiliger Maßnahmen berufen sind. 409 Mit einer Beschränkung der Zuständigkeiten des nationalen Rechts auf bestimmte Gerichte der Hauptsache ist diese Aussage nicht kompatibel. Den Gedanken der Zweispurigkeit der Zuständigkeiten weiterführend, ist vielmehr anzunehmen, dass nach dem Willen des EuGH die Gerichte der Hauptsache nach nationalem Recht, zum Beispiel §§ 937 Abs. 1, 12 ff. ZPO, und nach EU-Recht, Art. 2 ff. EuGVO, bestimmt werden können. 410 Da das zuständige Hauptsachegericht (solange das Hauptsacheverfahren noch nicht anhängig ist) nur hypothetisch bestimmt werden kann, ist es für die Zuständigkeit im einstweiligen Rechtsschutz unerheblich, falls sich ex post herausstellen sollte, dass das im einstweiligen Verfahren als zuständig ermittelte Hauptsachegericht für das ordentliche Verfahren überhaupt nicht zuständig wäre. Das Gericht kann einstweilige Maßnahmen auch dann erlassen, wenn die Hauptsachezuständigkeit nur fiktiv ist. 411 Es können sich folglich Hauptsachezuständigkeiten ergeben, die im ordentlichen Verfahren durch Art. 2 ff. EuGVO verdrängt werden. Zwar fördert die Zuständigkeit des Gerichts der Hauptsache im einstweiligen Verfahren in diesem Fall nicht den Entscheidungseinklang, 412 doch zeigen sich einstweilige Verfahren in anderen prozessualen Fragen ebenso als von der Hauptsache unabhängig. 413 cc) Exorbitante Gerichtsstände Gleichfalls nur um fiktive Zuständigkeiten handelt es sich bei den Zuständigkeiten, die über Art. 31 EuGVO auf nationale Regelungen gestützt werden, die als exorbitant gelten. Exorbitante Gerichtsstände sind nicht in al409
EuGHE 1998, 7091 Rn. 19, 20 – van Uden/DecoLine. Zustimmend OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 8; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 27. Anders Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 17 und 21. 411 OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; LG Frankfurt/Main IPRax 1990, 177; Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 919 Rn. 1, 3 und 8; Heiss, S. 30; Kurtz, S. 75; Otte, ZIP 1991, 1048, 1051; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 13; Schack, IZVR5, Rn. 484; Stickler, S. 42 f.; Thümmel, NJW 1996, 1930, 1931. A.A. OLG Koblenz RIW 1977, 359 mit zust. Anm. Puttfarken; OLG Koblenz IPRax 1991, 241, 242; LG Frankfurt/Main IPRax 1990, 177; Albrecht, S. 127 f.; Gronstedt, S. 25; Hornung, ZVglRWiss 95 (1996), 305, 310 ff.; Schlosser, EUZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 19. 412 Dies bemängelt Puttfarken, RIW 1977, 360. 413 Im einstweiligen Verfahren müssen die Tatsachen, die auf das Bestehen eines Anspruchs schließen lassen, zum Beispiel nicht bewiesen, sondern bloß glaubhaft gemacht werden. Weitere Beispiele aus dem deutschen Recht: Brox/Walker, Rn. 1632; Stickler, S. 41. Für das französische Recht Vareilles-Sommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 398 f. 410
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len Rechtsordnungen gleichermaßen anerkannt und im internationalen Rechtsverkehr grundsätzlich unerwünscht. 414 Manche dieser Gerichtsstände haben ihren Ursprung im Nationalismus des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts. 415 Anders als der allgemeine Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten privilegieren viele der so genannten exorbitanten Gerichtsstände einseitig den Gläubiger. Manchmal erscheint die Privilegierung gerechtfertigt, oft aber nur schwer nachvollziehbar. Regelmäßig fehlt bei exorbitanten Zuständigkeiten ein Bezug zwischen Rechtsstreit und Forum. Der betroffene Staat möchte den Rechtsstreit aber trotz fehlender Sachnähe an sich ziehen. Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I nennen beispielhaft exorbitante Gerichtsstände. 416 Danach darf ein grenzüberschreitendes Hauptsacheverfahren gegen Personen mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat nicht an einem dieser Gerichtsstände durchgeführt werden. Hintergrund ist, dass diese Gerichtsstände an Merkmale anknüpfen, die dem System der EuGVO fremd sind, zum Beispiel an die Staatsangehörigkeit des Klägers 417, den Klägerwohnsitz 418 oder die Vermögensbelegenheit 419. Mit Ausnahme Spaniens verfügen die meisten EU-Mitgliedstaaten über exorbitante Gerichtsstände. 420 Ob der Ausschluss gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I für ordentliche Verfahren gleichermaßen für solche des einstweiligen Rechtsschutzes gilt oder ob einstweilige Maßnahmen auch an exorbitanten Gerichtsständen erlassen werden können, 421 wurde kontrovers erörtert, 422 bis der EuGH in van Uden für Klarheit sorgte. 423 414
BGHZ 42, 194, 199 f.; 52, 251, 256. Schulz, ZEuP 2001, 805, 818 Fn. 61, meint sogar, weil es sich beim EuGVÜ um ein geschlossenes System handele, seien alle nicht darin enthaltenen Gerichtszuständigkeiten als exorbitant einzustufen. 415 Baumgartner, EurJLRef 4 (2002), 219, 235. 416 Wie die Formulierung „insbesondere“ zeigt, ist die Aufzählung nicht abschließend, erwähnt sind nur die relevantesten Gerichtsstände; Schlafen, NJW 1976, 2082. Seit 8.4.2009 gilt eine neue konsolidierte Fassung der Anhänge I bis IV der EuGVO, Verordnung (EG) Nr. 280/2009 vom 6.4.2009, ABl. EU 2009 L 93, S. 13 ff. 417 Art. 14 des französischen und luxemburgischen Code civil. 418 Art. 126 Abs. 3 WBRv aF, Art. 638 des belgischen Code judiciaire aF. 419 §§ 937 Abs. 1, 23 ZPO; § 99 Nr. 1 österreichische Jurisdiktionsnorm; Kap. 10 § 1 Abs. 1 Satz 2 finnische ZPO; Kap. 10 § 3 Abs. 1 Satz 1 schwedische ZPO. 420 Fernández Arroyo, FS Jayme, S. 169, 173; Schack, ZZP 107 (1994), 279, 290. 421 Exorbitante Gerichtsstände können entweder direkt zur Anwendung berufen werden oder indirekt, indem ein Hauptsachegerichtsstand des nationalen Rechts auf einen exorbitanten Gerichtsstand gestützt wird. Eilers, S. 195. 422 Für die Heranziehung exorbitanter Gerichtsstände: OLG Düsseldorf NJW 1977, 2034; OLG Frankfurt/Main RIW 1983, 289, 290; OLG Köln NJW-RR 1997, 59, 60; Dahlhuisen, FS Riesenfeld, S. 1, 9; Dittmar, NJW 1978, 1720, 1721; Geimer, RIW 1975, 81, 86; Grunsky, RIW 1977, 1, 7; Hanisch, IPRax 1991, 215, 217; Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Heiss,
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Für eine Einschränkung der Verweisung auf das nationale Recht sprachen die bereits dargelegten Risiken, die aus der Systematik des Art. 31 EuGVO resultieren. Könnte der Gläubiger alle ihm zugute kommenden Gerichtsstände nutzen, so wird die mit Art. 2 ff. EuGVO begonnene Rechtsvereinheitlichung untergraben und das forum shopping gefördert, mit dem das Zuständigkeitssystem der EuGVO ausgehöhlt werden kann. 424 Als Beispiel, das diese Besorgnis illustriert, wird die worldwide freezing injunction (bis 1999: Mareva Injunction) 425 angeführt, ein nahezu unbegrenzt wirkendes, grenzüberschreitendes Verfügungsverbot gegen den Schuldner, das seit den 1980er Jahren eine große Rolle im englischen Recht spielt. Für die Begründung der internationalen Zuständigkeit genügt hier schon die ordnungsgemäße Zustellung und Ladung des Beklagten, selbst wenn dieser nur kurz in Großbritannien verweilt, oder sogar eine Auslandszustellung. 426 Besonders brisant ist die Eröffnung exorbitanter Gerichtsstände bei Leistungsverfügungen, 427 weil sie nicht nur auf vorläufige Sicherung oder Regelung, sondern auf Erfüllung gerichtet sind. Können Leistungsverfügungen an Gerichtsständen erlassen werden, die gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVO im ordentlichen Verfahren gerade nicht zur Verfügung stehen, wird eine Entscheidung, die inhaltlich der Hauptsacheentscheidung gleicht, an einem für die Hauptsache nicht eröffneten Gerichtsstand erlassen. S. 29; Koch, in: Heldrich/Kono, Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 85, 88; Matthews, CJQ 14 (1995), 190, 194; O’Malley/Layton, Nr. 24.04; Otte, ZIP 1991, 1048, 1049; Schack, ZZP 107 (1994), 279, 299; Schlafen, NJW 1976, 2082; Spellenberg/ Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 309; Stickler, S. 38 f.; Thümmel, NJW 1996, 1930, 1931. Dagegen: OLG Koblenz NJW 1976, 2081 f.; Eilers, S. 204 ff.; Gothot/Holleaux, Convention de Bruxelles, Nr. 203; Merkt, S. 112; Mezger, Rev. crit. dr. int. priv. 68 (1979), 130, 132; Puttfarken, RIW 1977, 360; van Drooghenbroeck, in: Fentiman/Nuyts/Tagaras/Watté, L’espace judiciaire européen, S. 251, 252 f.; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 136 f. 423 EuGHE 1998, 7091 Rn. 42 – van Uden/DecoLine. 424 Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 124; Schulz, ZEuP 2001, 805, 814. 425 Einzelheiten bei Dohmann, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 157– 170, und Grunert, Die „world-wide“ Mareva Injunction, 1998. Zur Entstehungsgeschichte siehe ebenfalls Deane, University of Toronto Law Journal 49 (1999), 1, 6 ff. und Stürner, in: Storme, Procedural Laws in Europe, S. 143, 163 ff. Im Unterschied zum Arrest gemäß §§ 916 ff. ZPO soll die Mareva injunction nicht allgemein die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners sichern. Sie bezieht sich stattdessen auf bestimmte Vermögensgegenstände. Außerdem hat die Mareva injunction auch keine dingliche Sicherung zur Folge. Sie wirkt nur in personam und wird durch eine Strafandrohung durchgesetzt. Koch, in: Heldrich/Kono, Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 85, 99. 426 Eilers, S. 138 ff.; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 77. 427 Dedek, EWS 2000, 246, 249: „Kumulierung der Risiken“. Kritisch auch Eilers, S. 206, und Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220.
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Gleichwohl ging die herrschende Meinung schon vor dem EuGH davon aus, dass der Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände nicht für den einstweiligen Rechtsschutz gilt. 428 Zur Begründung wurde verbreitet auf systematische Argumente abgestellt. Art. 3 Abs. 1 EuGVO bestimmt, dass Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, vor den Gerichten eines anderen Mitgliedstaats nur aufgrund bestimmter Vorschriften verklagt werden können. Zu diesen Vorschriften zählt Art. 31 EuGVO nicht. 429 Weiter heißt es in Art. 3 Abs. 2 EuGVO, gegen die in Absatz 1 bezeichneten Personen könnten die exorbitanten Gerichtsstände nicht geltend gemacht werden. Im Umkehrschluss ergibt sich daraus, dass Personen, die aufgrund anderer Vorschriften, wie zum Beispiel Art. 31 EuGVO, verklagt werden, sehr wohl an exorbitanten Gerichtsständen verklagt werden können. 430 Der EuGH hält Art. 3 EuGVO im einstweiligen Rechtsschutz ebenfalls für nicht anwendbar, weil die Vorschrift nicht zum System der Zuständigkeitsvorschriften gehöre, auf die sich der Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände beziehe. 431 Angesichts der jahrelangen hitzigen Erörterung der Problematik wäre eine ausführlichere Begründung wünschenswert gewesen. Die Stellung von Art. 3 EuGVO vermag auch die Gegenposition zu 428
OLG Düsseldorf NJW 1977, 2034; OLG Frankfurt/Main RIW 1983, 289, 290; OLG Köln NJW-RR 1997, 59, 60; Dittmar, NJW 1978, 1720, 1721; Geimer, RIW 1975, 81, 86; Grunsky, RIW 1977, 1, 7; Hanisch, IPRax 1991, 215, 217; Hausmann, IPRax 1981, 79, 80; Heiss, S. 29; O’Malley/Layton, Nr. 24.04; Otte, ZIP 1991, 1048, 1049; Schack, ZZP 107 (1994), 279, 298 f.; Schlafen, NJW 1976, 2082; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 309. A.A. OLG Koblenz NJW 1976, 2081 f.; Eilers, S. 204 ff.; Gothot/Holleaux, Convention de Bruxelles, Nr. 203; Merkt, S. 112; Mezger, Rev. crit. dr. int. priv. 68 (1979), 130, 132; Puttfarken, RIW 1977, 360; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 136 f. Bertrams, WPNR 5547 (1981), 1, 4 , 5548 (1981), 21, 5549 (1981), 49 und Dahlhuisen, WPNR 5612 (1982), 385, 387, halten exorbitante Gerichtsstände nicht für ausgeschlossen, mahnen aber eindringlich sehr zurückhaltenden Gebrauch an. 429 Art. 3 Abs. 1 EuGVO bezieht sich auf den 2.–7. Abschnitt, während Art. 31 EuGVO im 10. Abschnitt steht. 430 Bertrams, WPNR 5548 (1981), 21; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 62; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 3 EuGVVO Rn. 1; Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 307; Schlafen, NJW 1976, 2082; Schulz, ZEuP 2001, 805, 818; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 77; Stadler, JZ 1999, 1089, 1091. Ob sich der Ausschluss unmittelbar aus Art. 3 Abs. 1 EuGVO ergibt, so dass Art. 3 Abs. 2 EuGVO nur deklaratorische Bedeutung hätte (so Heiss, S. 29; Stickler, S. 37 f.) oder aus Art. 3 Abs. 2 EuGVO selbst, kann dahinstehen, das Ergebnis ist jeweils gleich. Nach Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 66, Heiss, S. 29, und Otte, ZIP 1991, 1048, 1050, kommt eine Einschränkung von Art. 31 EuGVO durch den Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände auch deshalb nicht in Betracht, weil eine solche Einschränkung ausdrücklich hätte erwähnt werden müssen. 431 EuGHE 1998, 7091 Rn. 42 – van Uden/DecoLine.
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stützen. Für dessen Anwendbarkeit wurde argumentiert, da sich Art. 3 EuGVO in Titel II unter der Überschrift „Zuständigkeit“ befinde, gelte er für alle Zuständigkeitsregelungen, einschließlich Art. 31 EuGVO. 432 Somit bietet die Systematik keine tragfähige Begründung. Statt dieser formalistischen Betrachtungsweise muss auf den Schutzzweck des Art. 31 EuGVO zurückgegriffen werden, um die Anwendbarkeit exorbitanter Gerichtsstände zu begründen. Art. 31 EuGVO eröffnet dem Gläubiger über die vereinheitlichten Zuständigkeiten hinausgehende Gerichtsstände, damit er vielerorts vom einstweiligen Rechtsschutz profitiert. Solange die nicht vereinheitlichten Gerichtsstände flexiblen, effektiven und sachnahen grenzüberschreitenden Rechtsschutz garantieren, kann zur schnellen Sicherung und Durchsetzung von Ansprüchen nicht auf diese exorbitanten Gerichtsstände verzichtet werden. 433 Im Bestreben, keine Rechtsschutzlücken entstehen zu lassen und den grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutz zu erleichtern, übernehmen die meist gläubigerfreundlichen exorbitanten Gerichtsstände eine wichtige Funktion, die bei einem Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände durch Art. 2 ff. EuGVO nicht hinreichend kompensiert werden könnte. 434 Für einen inländischen Gläubiger kann es zum Beispiel von großer Bedeutung sein, sich bei einstweiligen Verfügungen auf den Vermögensgerichtsstand gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit §§ 937 Abs. 1, 23 ZPO stützen zu können, wenn der Schuldner im Ausland wohnt und außer vollstreckungsfähigem Vermögen kein anderer Anknüpfungspunkt zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte besteht. § 23 ZPO hat in Verfügungsverfahren noch größere Bedeutung als in Arrestverfahren. Gemäß § 919 ZPO können wahlweise das Gericht der Hauptsache oder das Amtsgericht am Ort des mit dem Arrest zu belegenden Gegenstandes zuständig sein. Eine Hauptsachezuständigkeit gemäß §§ 919 1. Var., 23 ZPO kann deshalb am selben Ort begründet sein wie die Zuständigkeit gemäß § 919 2. Var. ZPO. Bei einstweiligen Verfügungen folgt eine Hauptsachezuständigkeit aus §§ 937 Abs. 1, 12 ff. ZPO. Die Belegenheitszuständigkeit nach § 942 Abs. 1 ZPO ist bei einstweiligen Verfügungen allerdings nur ausnahmsweise unter strengen Voraussetzungen eröffnet. § 942 knüpft zwar wie § 23 ZPO an 432
Eilers, S. 206. Otte, ZIP 1991, 1048, 1050. Schack, ZZP 107 (1994), 279, 298 f., schlägt vor, sich auf eine einheitliche Anwendung bestimmter exorbitanter Gerichtsstände zu einigen und die damit nicht kompatiblen Gerichtsstände („Sumpfblüten“) abzuschaffen. Eilers, S. 173, bevorzugt im Interesse größerer Rechtssicherheit eine europäische Zuständigkeitsregelung. 434 OLG Frankfurt/Main RIW 1983, 289, 290; OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; Heiss, S. 12; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 70; Koch, in: Heldrich/Kono, Herausforderungen des Internationalen Zivilverfahrensrechts, S. 85, 88; Nagel/ Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 11; O’Malley/Layton, Nr. 24.04; eindringlich Schack, ZEuP 1998, 931, 953; Stadler, JZ 1999, 1089, 1091; Stickler, S. 45 f. 433
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die Belegenheit 435 an, darüber hinaus gibt es jedoch wenige Gemeinsamkeiten. Zuständig ist im Fall des § 942 ZPO stets das Amtsgericht und nie das Landgericht. § 942 Abs. 1 ZPO erfordert keinen hinreichenden Inlandsbezug, dafür jedoch eine Fristsetzung sowie das Vorliegen besonderer Dringlichkeit. Insoweit sind die Anforderungen deutlich höher als diejenigen von § 23 ZPO. Da § 942 ZPO nur subsidiär anwendbar ist, muss er auch für die internationale Zuständigkeit restriktiv ausgelegt werden. Es fallen also nur wenige der von § 23 ZPO erfassten Konstellationen unter § 942 ZPO, so dass ein Ausschluss von § 23 ZPO Rechtsschutzlücken bei einstweiligen Verfügungen zur Folge hätte. Für die Hauptsachezuständigkeit nach § 937 Abs. 1 ZPO ist § 23 ZPO besonders wichtig, wenn sich der Wohnsitz des Schuldners nicht im Gerichtsstaat befindet. Auch die zuständigkeitsrechtliche Gleichbehandlung von Arresten und einstweiligen Verfügungen gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem deutschem Prozessrecht spricht für die Anwendung exorbitanter Gerichtsstände. Die Anwendbarkeit aller nationalen Gerichtsstände steht darüber hinaus mit dem Wortlaut von Art. 31 EuGVO im Einklang, der nicht zwischen den verschiedenen nationalen Zuständigkeiten differenziert. Die Interessen des Schuldners werden durch die Eröffnung dieser Zuständigkeiten nicht in unzumutbarer Weise beeinträchtigt. Er muss überall dort, wo er über Vermögenswerte verfügt, mit einem Verfahren und anschließender Vollstreckung des erlangten Titels rechnen. 436 Die Konzeption des Art. 31 EuGVO als Ausnahmevorschrift, die als einzige Zuständigkeitsnorm in der Verordnung auf nationales Recht setzt, bestärkt die Annahme, dass Art. 31 EuGVO auch insoweit eine Ausnahme darstellt und dass der Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände nicht gilt. Davon abgesehen wird vertreten, dass Art. 3 Abs. 2 EuGVO nur deklaratorische Bedeutung habe, denn Art. 3 Abs. 1 EuGVO stelle bereits klar, dass die Zuständigkeiten in Art. 5–24 EuGVO eine abschließende Regelung erfahren hätten. 437 Hat aber die beispielhafte Aufzählung exorbitanter Gerichtsstände nur deklaratorischen Charakter, dann rechtfertigt sie erst recht keine Unterscheidung der nationalen Gerichtsstände, auf die Art. 31 EuGVO verweist, in exorbitante und andere. 438 Im Ergebnis können einstweilige Maßnahmen somit – vorbehaltlich der Einschränkungen des EuGH in van Uden und Mietz – von Gerich-
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Bei Leistungsverfügungen ist hierfür maßgeblich, wo erfüllt werden muss, Carl, S. 281; Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 942 Rn. 3. 436 Bertrams, WPNR 5549 (1981), 49, 50; Huet, Clunet 1982, 162, 169; Stadler, JZ 1999, 1089, 1092. 437 Heiss, S. 29; Stickler, S. 37 f. 438 Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 183.
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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ten erlassen werden, die ihre Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht auf exorbitante Gerichtsstände stützen. 439 Die Bedeutung exorbitanter Gerichtsstände könnte in Zukunft allerdings dennoch schwinden. Wegen des großen Einflusses des europäischen auf das nationale Recht ist nicht auszuschließen, dass weitere Gerichtsstände, wie die an den Wohnsitz bzw. die Staatsangehörigkeit des Klägers anknüpfenden Art. 126 Abs. 3 WBRv aF, der im Ausgangsverfahren van Uden den Stein des Anstoßes bildete, 440 und Art. 15 des belgischen Code civil, abgeschafft werden. Dies gilt insbesondere, soweit sie mit dem Diskriminierungsverbot aus Art. 18 Abs. 1 AEUV (ex-Art. 12 EGV) unvereinbar sind. b) Restriktionen des EuGH für nationale Gerichtszuständigkeiten In van Uden und Mietz hat der EuGH mit der realen Verknüpfung und dem Ortsbezug zusätzliche ungeschriebene Voraussetzungen aufgestellt. An ihnen sind die Zuständigkeiten, die auf Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht gestützt werden, zu messen. 441 Methodisch hat der EuGH damit eine neue Richtung innerhalb der Bestrebungen eingeschlagen, die Anwendung von Art. 31 EuGVO restriktiver zu gestalten und den Kreis der eröffneten Gerichtsstände zu begrenzen. 442 Die Voraussetzungen müssen nicht nur dann erfüllt sein, wenn sich ein Gericht explizit auf eine Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO beruft. Der EuGH ist bemüht, die Einhaltung der realen Verknüpfung und des Ortsbezuges zu sichern. Deshalb will der Gerichtshof vermuten, dass die einst439
EuGHE 1998, 7091 Rn. 42 – van Uden/DecoLine. So auch OLG Düsseldorf RIW 1999, 873, 874; OLG Karlsruhe MDR 2002, 231; Consolo, ZZP Int. 6 (2001), 49, 52; Eisermann, S. 176; Fohrer/Mattil, WM 2002, 840, 842; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 61–71; Heinze, S. 82 und 241; Kofmel Ehrenzeller, S. 249; Kramer, NTBR 1999, 74, 77; Kreuzer/Wagner, in: Dauses, Handbuch des EU-Wirtschaftsrechts, Kap. Q Rn. 503; Kurtz, S. 65 f.; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 21; Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 307; Schack, IZVR5, Rn. 484; Walter, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 121, 128. 440 EuGHE 1998, 7091 Rn. 13 – van Uden/DecoLine. 441 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42, 53 f. – Mietz/Intership Yachting. Zustimmend Hoge Raad, Ars Aequi 52 (2003), 118. Sogar für einen anderen EU-Rechtsakt haben die Entscheidungen van Uden und Mietz Bedeutung. Die in den beiden Urteilen geschaffenen Voraussetzungen sollen auch für Art. 99 Abs. 1 der Gemeinschaftsmarkenverordnung gelten, Kurtz, S. 200. 442 Demgegenüber hält Lange, NJB 1999, 157, 162, eine Einschränkung für unnötig, da es den Parteien stets freistehe, noch ein Hauptsacheverfahren anzustrengen und die Gerichte bei der Überprüfung ihrer internationalen Zuständigkeit missbräuchlichem Vorgehen entgegen wirken würden. Dieses Vertrauen in Parteien und Gerichte, eine Umgehung der Zuständigkeiten der Hauptsache zu verhindern, erscheint realitätsfern.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
weilige Maßnahme im Zweifel auf Art. 31 EuGVO gestützt wurde, wenn das Gericht den Zuständigkeitsgrund nicht ausdrücklich benannt hat. 443 Zu betonen ist aber, dass die einschränkenden Voraussetzungen lediglich bei den gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht eröffneten Zuständigkeiten beachtet werden müssen. Denn nur bei ihnen besteht die zu unterbindende Gefahr einer Umgehung der vereinheitlichten Hauptsachezuständigkeiten aus Art. 2 ff. EuGVO. Der Erlass einstweiliger Maßnahmen durch die Hauptsachegerichte ist nicht an zusätzliche Vorgaben des EuGH geknüpft. Die Diskussion über die Anwendbarkeit der nationalen Zuständigkeitsregelungen für den Erlass einstweiliger Maßnahmen wird seit van Uden und Mietz von der Frage nach Inhalt und Bewertung der neuen Voraussetzungen geprägt und hat sich hierdurch grundlegend verändert. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, wirken sich die reale Verknüpfung und der Ortsbezug de facto jedoch ähnlich aus, wie es eine Anwendung von Art. 3 Abs. 2 EuGVO tun würde. Infolge der von der Rechtsprechung entwickelten Voraussetzungen darf über Art. 31 EuGVO nur noch eingeschränkt auf exorbitante Gerichtsstände zurückgegriffen werden. aa) Reale Verknüpfung bei allen einstweiligen Maßnahmen Nach der Rechtsprechung des EuGH muss beim Erlass aller 444 einstweiligen Maßnahmen an einem über Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht eröffneten Gerichtsstand eine reale Verknüpfung vorliegen. 445 Anders als die Gewährleistung der Rückzahlung und der Ortsbezug handelt es sich bei der realen Verknüpfung also nicht um eine Voraussetzung, die allein für Leistungsverfügungen Bedeutung erlangt. (1) Inhalt Der EuGH ließ in van Uden und Mietz weitgehend offen, welche inhaltlichen Anforderungen an die reale Verknüpfung zu stellen sind. Er forderte lediglich, dass die reale Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Staates des angerufenen Gerichts bestehen muss. 446 Diese Bezugspunkte
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EuGHE 1999, 2277 Rn. 55 – Mietz/Intership Yachting. In Anlehnung an den Wortlaut von Art. 31 EuGVO bezieht sich der EuGH auf „… die Anordnung einstweiliger und sichernder Maßnahmen…“, EuGHE 1998, 7091 Rn. 40 – van Uden/DecoLine. 445 EuGHE 1998, 7091 Rn. 40 – van Uden/DecoLine. 446 EuGHE 1998, 7091 Rn. 40 – van Uden/DecoLine. 444
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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lassen den gemeinschaftsrechtlich autonom 447 zu bestimmenden Inhalt der realen Verknüpfung allenfalls erahnen. An Kontur gewinnt die reale Verknüpfung, wenn man betrachtet, wie sie entstanden ist. Dabei fällt zunächst auf, dass die reale Verknüpfung keine Neuschöpfung der Entscheidungen van Uden und Mietz ist. Der EuGH hatte in einem viel früher ergangenen Urteil schon einmal eine „kennzeichnende Verknüpfung“ 448 erwähnt. Andere Gerichte im In- und Ausland bedienen sich ähnlicher Begriffe, um eine Verbindung zwischen Rechtsstreit und Gerichtsstaat herzustellen und ihre internationale Zuständigkeit zu rechtfertigen. 449 Im Ausgangsfall van Uden vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, eine Zuständigkeit gemäß Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit Art. 126 Abs. 3 WBRv aF sei nur gegeben, wenn die Streitsache hinreichende Anknüpfungspunkte („voldoende anknopingspunten“) mit der niederländischen Rechtsordnung aufweise. Diese seien zu bejahen, wenn eine einstweilige Maßnahme im Bezirk des Erlassgerichts vollstreckt werden könne. 450 Ähnlich äußerte sich die deutsche Bundesregierung im van Uden-Verfahren vor dem EuGH. Sie betonte, exorbitante Gerichtszuständigkeiten könnten nur dann gemäß Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht herangezogen werden, wenn die zu erlassende Maßnahme einen qualifizierten Inlandsbezug aufweise, also im Gerichtsstaat vollstreckt werden könne. 451 Die Wortwahl lässt vermuten, dass hierbei an § 23 ZPO gedacht wurde, für den der BGH das Vorliegen eines „hinreichenden Inlandsbezugs“ 452 fordert. Die terminologische Ähnlichkeit mit der realen Verknüpfung legt nahe, dass sich der EuGH von diesem Vorbringen inspirieren ließ, als er die neue Voraussetzung entwickelte. Es verbietet sich allerdings, den Inhalt der hinreichenden Anknüpfungspunkte oder des qualifizierten Inlandsbezuges uneingeschränkt auf die reale Verknüpfung zu projizieren. Explizit berief 447 Gerhard, SZIER 1999, 97, 134 f.; Hess, IPRax 2000, 370, 373. Zur autonomen als der vorzugswürdigen Auslegungsmethode Schack, IZVR5, Rn. 98 f. 448 EuGHE 1976, 1735 Rn. 15, 19 – Bier BV/Mines de Potasse. 449 Nach dem XI. Zivilsenat des BGH setzt die internationale Zuständigkeit gemäß § 23 ZPO neben der Vermögensbelegenheit einen hinreichenden Inlandsbezug des Rechtsstreits voraus, BGHZ 115, 90 (kritisiert von Schack, IZVR5, Rn. 368, siehe unten S. 336 f.). Der OGH spricht von der „inländischen Nähebeziehung“ (ÖJZ 1983, 45, 48), der Internationale Gerichtshof von einer „genuine connection“ (Nottebohm-Case, I.C.J. Reports 1955, 4, 23) und der US-Supreme Court von „minimum contacts“ bzw. „substantial connection“, International Shoe Co. v. Washington, 326 U.S. 310 (1945) und McGee v. International Life Insurance Co., 355 U.S. 220, 222 f. (1957). 450 Wiedergegeben in Rn. 13 der Schlussanträge des Generalanwalts Léger zu EuGHE 1998, 7091 – van Uden/DecoLine. 451 So der Vortrag der deutschen Bundesregierung in EuGHE 1998, 7091 Rn. 36 – van Uden/DecoLine. 452 Siehe Fn. 489.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
sich der EuGH nicht auf einen solchen Ursprung. Stattdessen versuchte er, die reale Verknüpfung aus eigenen Feststellungen in früheren Urteilen herzuleiten. Wie in ihnen beschrieb er in van Uden detailliert die Situation, in der sich ein Gericht nach der Beantragung einer einstweiligen Maßnahme befindet. 453 Um darüber entscheiden zu können, ob eine Maßnahme erlassen oder versagt werden solle, müsse das Gericht die Umstände eines Falles genau kennen. Erst dann sei es in der Lage zu beurteilen, ob eine einstweilige Maßnahme von besonderen „Modalitäten und Voraussetzungen“ abhängig zu machen sei. 454 Es könne beispielsweise erforderlich sein, eine Maßnahme zeitlich zu befristen oder auf bestimmte Vermögensgegenstände zu begrenzen. 455 Die beste Kenntnis der Umstände schreibt der EuGH dem Gericht zu, in dessen Gerichtsbezirk sich die von der Maßnahme betroffenen Vermögensgegenstände befinden. 456 Hierbei dürfte der Gerichtshof einstweilige Maßnahmen vor Augen gehabt haben, die sich auf bestimmte Vermögensgegenstände beziehen, etwa die französische Sicherungspfändung (saisie conservatoire), die Gegenstand der Denilauler-Entscheidung 457 war. 458 Aus seiner Erkenntnis, dass das Gericht, in dessen Zuständigkeitsbereich sich die von der Maßnahme betroffenen Gegenstände befinden, den Anforderungen, die an ein Gericht zum Erlass einer einstweiligen Maßnahme zu stellen sind, am besten gewachsen ist, folgerte der EuGH erstmals in van Uden, dass die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen eine reale Verknüpfung voraussetzt. 459 Dieser Ursprung erklärt, dass eine reale Verknüpfung insbesondere in den Fällen besteht, in denen die Gerichte des Ortes zuständig sind, wo die einstweilige Maßnahme vollstreckt werden
453 EuGHE 1998, 7091 Rn. 38 – van Uden/DecoLine. Bestätigt in EuGHE 2005, 3481 Rn. 14 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. So schon EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 f. – Denilauler/Couchet Frères; EuGHE 1992, 2149 Rn. 33 – Reichert/Dresdner Bank. 454 EuGHE 1998, 7091 Rn. 38 f. – van Uden/DecoLine. Bestätigt in EuGHE 2005, 3481 Rn. 14 – St. Paul Dairy Industries/Unibel Exser BVBA. So schon EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 f. – Denilauler/Couchet Frères. 455 EuGHE 1998, 7091 Rn. 38 – van Uden/DecoLine. 456 EuGHE 1998, 7091 Rn. 39 – van Uden/DecoLine. So bereits EuGHE 1980, 1553 Rn. 15 f. – Denilauler/Couchet Frères; EuGHE 1992, 2149 Rn. 33 – Reichert/Dresdner Bank. 457 EuGHE 1980, 1553 ff. – Denilauler/Couchet Frères. Im Wege einer saisie conservatoire wurde zugunsten der französischen Gläubigerin eine Sicherungsvollstreckung über ein Konto der deutschen Schuldnerin bei einer Bank in Frankfurt/Main angeordnet. Das Verfahren der saisie conservatoire war damals in Art. 48 Acpc geregelt, heute in Art. 74 ff. des Gesetzes Nr. 91–650 vom 9.7.1991 und Art. 220 ff. des Dekrets Nr. 92–755 vom 31.7.1992. 458 Schulz, ZEuP 2001, 805, 815 f.; Stadler, JZ 1999, 1089, 1093. 459 EuGHE 1998, 7091 Rn. 38–40 – van Uden/DecoLine.
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könnte. 460 Im Einklang damit steht, dass der EuGH von einer „gebietsbezogenen“ 461 Zuständigkeit spricht. Auch viele autonome Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten kennen derartige vollstreckungsnahe Zuständigkeiten. 462 Die Zielsetzung einer zügigen Vollstreckung ist der einstweiligen Maßnahme immanent. 463 Entsprechend fiel Art. 18 a Abs. 1 des Vorschlags der Kommission im Zuge der Arbeiten zur letztlich nicht mehr realisierten Revision des EuGVÜ aus: „Die in dem Recht eines Vertragsstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können, wenn sie im Hoheitsgebiet dieses Staates vollstreckt werden müssen, unabhängig davon, wo sie ihre Wirkung entfalten, in diesem Staat auch beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Vertragsstaats aufgrund dieses Übereinkommens zuständig ist.“ 464 Zuvor stellte bereits Art. 10.4 der Vorschläge für ein europäisches Zivilprozessgesetzbuch auf den Vollstreckungsort ab. 465 Für eine vollstreckungsbezogene Zuständigkeit steht ferner Nr. 11 der HelsinkiRegeln. 466 460 Frz. Cass. vom 13.4.1999, Clunet 2000, 83, 84; Dedek, EWS 2000, 246, 252; Eisermann, S. 178; Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 164; Gerhard, SZIER 1999, 97, 135; Heinze, RIW 2003, 922, 928; Hess, IPRax 2000, 370, 373; Huet, Clunet 1999, 613, 621; Kurtz, S. 69; Lange, NJB 1999, 157, 160; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 24; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 362; Santa Croce, Gaz. Pal. 2000, 384, 392; Schulz, ZEuP 2001, 805, 818; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 229; Stadler, JZ 1999, 1089, 1093; Strikwerda, Inleiding, S. 263; van Haersolte-van Hof, NTER 1999, 63, 67; Vuitton, Recueil Dalloz 1999, 545, 546; Wannenmacher, S. 240 f. und 245; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 57. 461 EuGHE 1998, 7091 Rn. 40 – van Uden/DecoLine. 462 Das deutsche Recht etwa in § 942 ZPO. Zum französischen Recht vgl. Merkt, S. 32; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 362; Santa Croce, Gaz. Pal. 2000, 384, 385; Vareilles-Sommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 421 und 423 mwN; Wannenmacher, S. 118. Gestützt wird die Zuständigkeit auf Art. 211 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 2 des Dekrets Nr. 92–755 vom 31.7.1992. Siehe dazu Kurtz, S. 182 f. Das luxemburgische Recht kennt ebenfalls eine Zuständigkeit am Vollstreckungsort, Eilers, S. 116. Im niederländischen Recht besteht Art. 10 in Verbindung mit Art. 767 WBRv; siehe oben S. 109. Im österreichischen Recht erlaubt § 387 Abs. 2 Exekutionsordnung unter bestimmten Voraussetzungen die Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk sich die Sache befindet, auf die sich die einstweilige Verfügung bezieht. Das spanische Recht sieht eine Eilzuständigkeit am Vollstreckungsort in Art. 22 Nr. 5 L.O.P.J. vor, dazu Knothe, S. 138 f.; Schrader, S. 61. Für vollstreckungsnahe Zuständigkeiten zum Erlass einstweiliger Maßnahmen in einem weltweiten Haager Gerichtsstands- und Vollstreckungsübereinkommen sprach sich de lege ferenda Schack, ZEuP 1998, 931, 954, aus. 463 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222. 464 Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament zu KOM(1997) 609 endg., ABl. EG 1998 C 33, S. 24 f. 465 Siehe ZZP 109 (1996), 345, 359. 466 Abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 202.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Grundmann wollte – bereits vor van Uden – die internationale Zuständigkeit nach Art. 24 LugÜ an eine „gewisse Sachnähe“ knüpfen, welche immer dann gegeben sei, wenn die Möglichkeit der Vollstreckung des Hauptsacheurteils im betreffenden Staat bestehe. 467 Gronstedt sprach sich – ebenfalls noch vor van Uden – gegen eine Beschränkung des Art. 24 EuGVÜ aus, dass die Gerichte einstweilige Maßnahmen nur dann erlassen können, wenn diese Maßnahmen im Gerichtsstaat vollzogen werden können. Der Wortlaut von Art. 24 EuGVÜ spreche ebenso gegen ein solches Verständnis wie dessen systematische Stellung. Zugunsten einer einheitlichen Entscheidung müsse es außerdem möglich sein, bei Vermögensteilen in verschiedenen Vertragsstaaten eine Maßnahme bezüglich des ganzen Vermögens in einem Staat zu erlangen und die Maßnahme in den übrigen Staaten anerkennen zu lassen. 468 Heinze plädiert für eine Differenzierung zwischen dem Ort, an dem eine einstweilige Maßnahme vollzogen werden könne sowie dem Ort, an dem die Maßnahme ihre Wirkungen entfalten solle. Beide Orte fielen nicht zwangsläufig zusammen. 469 Kofmel Ehrenzeller vertritt ebenfalls eine leicht abgewandelte Auffassung. Danach decke die Vollstreckbarkeit lediglich einen Teil des Kriteriums der realen Verknüpfung ab. Es handele sich vorrangig um eine dingliche, sachbezogene Verknüpfung. Bei Sicherungsmaßnahmen müsse der zu beschlagnahmende Gegenstand im Forumstaat belegen sein, bei Leistungsverfügungen das Vermögen, in das wegen einer Geldzahlung vollstreckt werden könne, oder eine Sache, die herauszugeben sei. 470 Wie Kofmel Ehrenzeller selbst einräumt, führt die reale Verknüpfung aber in der Mehrzahl der Fälle dazu, dass die Maßnahme im Forumstaat vollstreckbar ist. Unterschiede treten lediglich bei einstweiligen Maßnahmen auf, die wie die englische freezing injunction in personam wirken. Nach Carl ist eine Auslegung im Sinne einer Belegenheitsanknüpfung der vollstreckungskonnexen Auslegung der realen Verknüpfung vorzuziehen. 471 Danach soll es ausreichen, dass eine Eilmaßnahme einen im Forumstaat belegenen Vermögensgegenstand betrifft. 472 Nicht notwendig sei hingegen, dass die Maßnahme in diesem Staat später auch vollstreckt werden könne. 467
Grundmann, S. 162. Gronstedt, S. 38–40. 469 Heinze, S. 246 f. 470 Kofmel Ehrenzeller, S. 256 f. 471 Carl, S. 263. Willeitner, S. 118 und 133, der von Carl ebenfalls als Vertreter der Auslegung im Sinne einer Belegenheitsanknüpfung zitiert wird, plädiert m.E. für ein vollstreckungsbezogenes Verständnis. Jedenfalls wird bei ihm eine Differenzierung zwischen den Kriterien der Belegenheit und der Vollstreckungsmöglichkeit nicht hinreichend klar. 472 Carl, S. 263. 468
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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Zwar propagiert auch diese Auffassung die zu erreichende Sachnähe, 473 fördert diese Zielsetzung im Ergebnis aber weniger als das vollstreckungsrechtliche Verständnis der realen Verknüpfung. Denn eine größere Sachnähe wird erreicht, wenn eine einstweilige Maßnahme nicht nur auf einen im Erlassstaat belegenen Vermögensgegenstand bezogen ist, sondern auch in diesem Staat vollstreckt werden kann. Die Folge ist außerdem ein stärkerer Beschleunigungseffekt, der im einstweiligen Rechtsschutz herausragende Bedeutung besitzt. Das Abstellen auf die bloße Belegenheit greift im Vergleich einen Schritt zu kurz. Die Präzisierung der Verknüpfung durch das Wort „real“ bedeutet nicht, dass eine einstweilige Maßnahme nur ergehen kann, wenn ihre Vollstreckung tatsächlich durchführbar ist, weil Vermögen im Vollstreckungsstaat belegen ist. 474 Eine derart enge Betrachtungsweise käme zwar insofern dem Gläubiger entgegen, als sein Ziel nicht allein der Erlass einer einstweiligen Maßnahme, sondern vor allem ihre spätere Vollziehung ist. Jedoch ist es ex ante und in einer eiligen Situation schwierig zu prognostizieren, ob die Vollstreckung letztlich erfolgreich sein wird. Die Folge wäre, dass die Zuständigkeit nach nationalem Prozessrecht in vielen Fällen versagt werden müsste. Dies entspricht nicht dem Interesse des Gläubigers. Deshalb ist die „reale“ Verknüpfung weiter zu verstehen und zwar als Möglichkeit des Vollstreckungszugriffs im Zeitpunkt der Antragstellung, 475 für die der Gläubiger glaubhaft machen muss, dass er ein ernsthaftes Interesse an der Vollstreckung hat und dass die Durchführbarkeit einer Vollstreckung überwiegend wahrscheinlich ist. 476 Glaubhaft zu machen ist beispielsweise, dass der Schuldner im Staat des angerufenen Gerichts Vermögen besitzt, in das vollstreckt werden könnte und dass der Vermögenswert eine Erfüllung der geltend gemachten Forderung zuließe. 477 Die Aussicht auf einen zukünftigen Vermögenserwerb in dem betreffenden Staat darf ebenso wenig ausreichen wie dort vorhandenes, jedoch nur ge473 Carl, S. 263. Die übrige Argumentation auf S. 263 f. vermischt die Voraussetzungen der realen Verknüpfung und des Ortsbezuges. Zum Vergleich des Ortsbezuges mit den Merkmalen des Art. 20 EheGVO siehe S. 351 ff. 474 Stadler, JZ 1999, 1089, 1094. 475 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 14; Heinze, S. 251 f.; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 6; Wannenmacher, S. 244. 476 Heinze, S. 251 f.; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 6; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231; Stadler, JZ 1999, 1089, 1094; Wannenmacher, S. 241. Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224, weisen darauf hin, dass diese Deutung mit dem deutschen Prozessrecht, etwa §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO, im Einklang steht. 477 Heinze, S. 251 f.; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 225; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 25; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
ringwertiges Vermögen. 478 Die einstweilige Maßnahme kann aber auf den im Gerichtsstaat vorhandenen Vermögensteil beschränkt werden. 479 Sollte sich die Vollziehung im Nachhinein als nicht Erfolg versprechend erweisen, hat dies keine Auswirkungen auf die Zuständigkeit. In diesem Fall greift der Grundsatz des perpetuatio fori. 480 Die einzige Funktion von Art. 31 EuGVO dürfte der EuGH allerdings in der Eröffnung einer Zuständigkeit am Vollstreckungsort nicht gesehen haben, sonst hätte er, anstatt mit der „Verknüpfung“ sehr allgemein zu formulieren, in van Uden konkreter auf die Vollstreckung abstellen können. Dass er dies nicht tat, deutet darauf hin, dass er keineswegs alle Gerichtsstände, die ihre Zuständigkeit auf andere Merkmale als den Vollstreckungsbezug stützen, ausschließen wollte. Könnte der Gläubiger außer an den Gerichtsständen der Hauptsache lediglich an vollstreckungsbezogenen Gerichtsständen eine einstweilige Maßnahme beantragen, würden seine Möglichkeiten stärker als nötig eingeschränkt. Die über Art. 31 EuGVO eröffneten Zuständigkeiten müssen nur so weit reguliert werden, dass die mittels verschiedener Anknüpfungsmerkmale fein austarierte Zuständigkeitsordnung für das ordentliche Verfahren nicht unterlaufen und kein zuständigkeitsrechtliches race to the bottom in Gang gesetzt werden kann. Zwischen der erforderlichen Einschränkung auf der einen und der gewünschten Zuständigkeitserweiterung im einstweiligen Rechtsschutz auf der anderen Seite muss ein angemessener Ausgleich geschaffen werden. Dies geschieht, indem die reale Verknüpfung eine Verbindung des Rechtsstreits zum zuständigen Gericht sichert und Zuständigkeiten ohne Anknüpfungspunkte an den Gegenstand einer Maßnahme ausschließt. Demzufolge kann die reale Verknüpfung durch die Möglichkeit einer Vollstreckung im Gerichtsbezirk, aber auch durch Anknüpfungsmerkmale verwirklicht werden, die mit denjenigen der Art. 2 ff. EuGVO verwandt sind, beispielsweise dem Wohnsitz des Beklagten oder dem Erfüllungsort. 481 Die aus Art. 2 ff. EuGVO bekannten Anknüpfungsmerkmale sorgen für eine Verbindung zwischen Streitgegenstand und Forum. Da am Wohnsitz des Beklagten oder am Erfüllungsort regelmäßig Vermögen belegen ist, in das vollstreckt werden kann, zeigt sich hierdurch mittelbar ebenfalls ein Vollstreckungsbezug. Eine über die Anknüpfung an die Vollstreckungs478
1094.
479
Heinze, S. 252; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 225; Stadler, JZ 1999, 1089,
Heinze, S. 252 Fn. 338; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 25. Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 6; Stadler, JZ 1999, 1089, 1098; Wannenmacher, S. 245. 481 So auch Gerhard, SZIER 1999, 97, 135; Kramer, NIPR 2003, 240; Pansch, S. 39 Fn. 163; Stadler, JZ 1999, 1089, 1093. Anders Wannenmacher, S. 245: Der EuGH habe mit der realen Verknüpfung nur den Vollstreckungsbezug gemeint und hätte dies auch ausdrücklich als Konkretisierung der realen Verknüpfung benennen sollen. 480
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
335
möglichkeit hinausgehende Auslegung der realen Verknüpfung entspricht auch den in den Erwägungsgründen festgeschriebenen Zielen der EuGVO. Danach müssen Rechtsstreitigkeiten einen Anknüpfungspunkt mit dem Staat aufweisen, der durch die Verordnung verpflichtet wird. 482 In Ergänzung zum Gerichtsstand am Wohnsitz des Beklagten sollen Gerichtsstände bestehen, die entweder eine enge Verbindung zwischen Gericht und Rechtsstreit aufweisen oder die aus Gründen einer geordneten Rechtspflege geboten sind. 483 Die reale Verknüpfung spiegelt in der hier vertretenen weiten Auslegung also elementare Gedanken des in der Verordnung normierten Zuständigkeitsrechts wider. 484 (2) Folgen Die reale Verknüpfung erweitert die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht insoweit gegenüber den Hauptsachezuständigkeiten der Verordnung, als sie vollstreckungsbezogene Gerichtsstände zulässt, die für ordentliche Verfahren nicht vorgesehen sind. 485 Das Vollstreckungsinteresse spielt im Erkenntnisverfahren ordentlicher Verfahren keine so große Rolle wie im einstweiligen Rechtsschutz. 486 482
Erwägungsgrund 8 der EuGVO. Erwägungsgrund 12 der EuGVO. 484 Gerhard sieht in der realen Verknüpfung einen altbekannten Aspekt des Völkerrechts, den der EuGH als neue Voraussetzung für den einstweiligen Rechtsschutz hochstilisiert habe, SZIER 1999, 97, 116 und 134. Danach seien die Gerichte eines Staates für die Entscheidung eines Rechtsstreites nur unter der Voraussetzung befugt, dass der Rechtsstreit Berührungspunkte zu der Rechtsordnung dieses Staates aufweise. Bei einer Zuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVO müssten diese Berührungspunkte nicht besonders erwähnt werden, da sie den Tatbestandsmerkmalen immanent seien. Anders sei dies jedoch bei den Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht, so dass hier die reale Verknüpfung nachgewiesen werden müsse. Einer völkerrechtlichen Einschränkung der internationalen Zuständigkeit bedarf es schon deshalb nicht, weil kein Staat das Anliegen verfolgen dürfte, seine Gerichte mit dem Erlass von Entscheidungen zu belasten, welche mangels jeglicher Verbindung weder im Inland vollstreckt noch im Ausland anerkannt werden könnten. Selbst die exorbitanten Gerichtsstände stützen sich auf – zumindest geringfügige – Berührungspunkte; vgl. Schack, IZVR5, Rn. 215. Gleichwohl versucht Willeitner, S. 56–77, in Anlehnung an Gerhard, den Inhalt der realen Verknüpfung unter Rückgriff auf Grundsätze des Völkerrechts, der EMRK, der EUMarktfreiheiten sowie der Europäischen Grundrechtecharta zu präzisieren. 485 Art. 22 Nr. 5 EuGVO betrifft keine einstweiligen Verfahren, die der Vollstreckung vorausgehen, sondern Verfahren, die sich auf die Durchführung der Zwangsvollstreckung beziehen. Aus dem deutschen Recht sind hier beispielhaft die Vollstreckungserinnerung (§ 766 ZPO), die Vollstreckungsabwehrklage (§ 767 ZPO) und die Drittwiderspruchsklage (§ 771 ZPO) zu nennen; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 22 Rn. 61. 486 Wolf, EWS 2000, 11, 16. 483
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Gleichzeitig wird der bestehende Standard durch die Gerichtsstände, die sich auf Merkmale wie diejenigen der Art. 2 ff. EuGVO stützen, gesichert, weil die reale Verknüpfung verwehrt, dass über Art. 31 EuGVO auf nationale Gerichtsstände mit sehr geringen Berührungspunkten zum Fall zurückgegriffen wird. Damit stellt die reale Verknüpfung eine Mindestanforderung für die Zuständigkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes dar. Exorbitante nationale Gerichtsstände, die keinen Vollstreckungsbezug haben, werden ausgeschlossen, wenn sie nicht anderweitig eine reale Verknüpfung schaffen. Zu denken ist an Gerichtsstände, die sich auf EuGVOfremde Merkmale stützen, wie etwa die Staatsangehörigkeit des Klägers. 487 Insoweit wirkt sich die reale Verknüpfung ähnlich aus wie ein Ausschluss exorbitanter Gerichtsstände gemäß Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I. Es scheitern zwar nicht alle in die Liste exorbitanter Gerichtsstände aufgenommenen Zuständigkeiten am Erfordernis einer realen Verknüpfung. Doch erschwert es die reale Verknüpfung, Zuständigkeiten der nationalen Rechte heranzuziehen, die nur einen marginalen Bezug zum Forumstaat aufweisen. Deshalb steigert die reale Verknüpfung tendenziell die praktische Bedeutung der Hauptsachezuständigkeiten im einstweiligen Rechtsschutz. Wird über Art. 31 EuGVO die Heranziehung deutschen Zivilprozessrechts erwogen, kann eine Eilzuständigkeit für den Erlass einstweiliger Verfügungen gemäß §§ 937 Abs. 1, 12 ff. und § 942 ZPO begründet sein. Zu den §§ 12 ff. ZPO gehört der nach Art. 3 Abs. 2 EuGVO in Verbindung mit Anhang I als exorbitant geltende § 23 ZPO, der an die Belegenheit von Vermögen anknüpft. Der BGH fordert seit Anfang der 1990er Jahre nach langer Diskussion um Fluch und Segen des Vermögensgerichtsstands 488 als zusätzliches ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für die internationale Zuständigkeit nach § 23 ZPO einen hinreichenden Inlandsbezug. 489 Hierbei handelt es sich wie bei der realen Verknüpfung um einen Ansatz der Rechtsprechung mit dem Ziel, den Zugang zu exorbitanten Zuständigkeiten restriktiver zu gestalten. Inhaltlich können die reale Verknüpfung und der hinreichende Inlandsbezug nicht gleichgesetzt werden, gewisse Übereinstimmungen sind aber 487
Art. 14 französischer und luxemburgischer Code civil. Siehe statt vieler Schack, ZZP 97 (1984), 46 ff. 489 BGHZ 115, 90. Das Erfordernis eines hinreichenden Inlandsbezuges war ein in der Literatur vertretener Ansatz, der aus dem Zweck von § 23 Satz 1 1. Var. ZPO als Inländerschutzvorschrift abgeleitet wurde, Hausmann, IPRax 1982, 51, 56; Schumann, ZZP 93 (1980), 408, 432 ff. Diese Art der Einschränkung des § 23 ZPO wird von vielen abgelehnt: Hartmann, in: Baumbach/Lauterbach, ZPO, § 23 Rn. 16; Heinrich, in: Musielak, ZPO, § 23 Rn. 3; Schack, JZ 1992, 54, 55 (Anm. zu BGHZ 115, 90). Für erforderlich halten einen hinreichenden Inlandsbezug u.a. Fricke, NJW 1992, 3066, 3068; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, § 23 Rn. 2. 488
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festzustellen. Eine reale Verknüpfung liegt bei Gerichtsständen vor, die einen Vollstreckungsbezug aufweisen, sowie bei Gerichtsständen, die an ein Merkmal der Art. 2 ff. EuGVO anknüpfen. Für die Festellung des hinreichenden Inlandsbezuges existieren verschiedene, im Einzelnen umstrittene Fallgruppen. Dazu gehören zum Beispiel der Wohnsitz oder die Staatsangehörigkeit des Klägers 490 oder des Beklagten, 491 die Rechts- und Beweisnähe 492 und schutzwürdige inländische Interessen. 493 Die Voraussetzung des hinreichenden Inlandsbezugs ist damit noch weiter als die reale Verknüpfung, sie wirkt nahezu unbegrenzt. 494 Für das Verhältnis beider Voraussetzungen zueinander bedeutet das, dass beispielsweise am Wohnsitz des Beklagten sowohl eine reale Verknüpfung als auch ein hinreichender Inlandsbezug gegeben sind. Dort, wo Vermögen des Gegners belegen ist, besteht Vollstreckungsbezug und damit eine reale Verknüpfung. Weil sich in der Vollstreckungsnähe auch Rechts- und Beweisnähe ausdrücken können, ist der hinreichende Inlandsbezug gleichfalls verwirklicht. Die Anforderungen an § 23 ZPO werden durch die reale Verknüpfung insoweit verschärft, als das Vermögen nicht zu geringwertig für die Vollstreckung sein darf. 495 Dass eine Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit § 23 ZPO nur eröffnet ist, wenn beide Voraussetzungen gegeben sind, 496 heißt nicht, dass die reale Verknüpfung und der hinreichende Inlandsbezug stets getrennt voneinander zu prüfen sind. Eine vorgeschlagene Abgrenzung zwischen vollstreckungsbezogenen Anknüpfungsmerkmalen, auf die der EuGH abstellt, und verfahrensbezogenen Anknüpfungsmerkmalen, die der BGH heranzieht, 497 ist nicht sinnvoll. Zum einen kann die Abgrenzung nicht immer eindeutig getroffen werden. Zum anderen ist nicht ersichtlich, dass die reale Verknüpfung und der hinreichende Inlandsbezug in einem Ausschlussverhältnis stehen. 490
BGHZ 115, 90, 99; BGH NJW 1997, 324, 325. BGH NJW-RR 1993, 5; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 13. 492 OLG Stuttgart IPRax 1991, 179, 181; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 13. 493 OLG Stuttgart IPRax 1991, 179, 181; Vollkommer, in: Zöller, ZPO, § 23 Rn. 13. 494 Stadler, JZ 1999, 1089, 1099, merkt deshalb erfreut an, dass der EuGH die reale Verknüpfung konkreter gefasst habe als der BGH den hinreichenden Inlandsbezug. Wird die reale Verknüpfung über Vollstreckungsnähe oder die Merkmale der Art. 2 ff. EuGVO ausgedrückt, ist sie zwar sehr weit, aber immer noch enger als der hinreichende Inlandsbezug, der in die verschiedensten Fallgruppen hineininterpretiert wird. 495 Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 225; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 135; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 25; Spellenberg/ Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231; Stadler, JZ 1999, 1089, 1094. 496 Dies ist die Konsequenz der Kombination der Rechtsprechung von EuGH und BGH. So auch Carl, S. 284; Kurtz, S. 71. 497 Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 229. 491
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Für einen Gläubiger, dessen Schuldner über Vermögen in Deutschland verfügt, ist es wichtig, dass der vom EU-Zuständigkeitsrecht als exorbitant geächtete Vermögensgerichtsstand sowohl der realen Verknüpfung als auch dem hinreichenden Inlandsbezug gerecht werden kann. Eine Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit §§ 937 Abs. 1, 23 ZPO ist für den Gläubiger attraktiver als die Zuständigkeit nach § 942 ZPO. Im Fall des § 942 ZPO darf das Amtsgericht des Belegenheitsortes nur entscheiden, wenn eine besondere Dringlichkeit gegeben ist. Für eine Zuständigkeit nach § 23 ZPO lässt das nationale Recht genügen, dass im Gerichtsbezirk Vermögen belegen ist. Zuständig kann das Amts- oder Landgericht sein. Wird eine Zuständigkeit über Art. 31 EuGVO in Verbindung mit niederländischem Zivilprozessrecht begründet, so gilt für die internationale Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen Art. 13 WBRv. 498 Daraus geht hervor, dass die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte für einstweilige Maßnahmen nicht allein deshalb verneint werden darf, weil die niederländischen Gerichte für die Hauptsache nicht zuständig sind. Verstanden wird die Vorschrift als Verweisung auf die Gerichtsstände der Hauptsache, Art. 2 ff. WBRv, die auch zum Erlass einstweiliger Maßnahmen zuständig sein sollen. 499 Vorausgesetzt wird dabei stets, dass hinreichende Anknüpfungspunkte zur niederländischen Rechtsordnung bestehen. Dies soll – konform mit van Uden – der Fall sein, wenn eine reale Verknüpfung der Maßnahme zur niederländischen Rechtsordnung gegeben ist. 500 Besonders sorgfältig muss die reale Verknüpfung bei den als forum necessitatis bezeichneten Zuständigkeiten in Art. 9 lit. b und c WBRv überprüft werden. Die Vorschriften wurden als Kompensation für den abgeschafften Gerichtsstand am Klägerwohnsitz (Art. 126 Abs. 3 WBRv aF) entwickelt. 501 Art. 9 lit. b WBRv sieht vor, dass die niederländischen Gerichte zuständig sein können, obwohl keines der von Art. 2–8 WBRv verlangten Anknüpfungsmerkmale vorliegt, wenn ein Verfahren außerhalb der Niederlande unmöglich erscheint. 502 Explizit fordert der Tatbestand keine Verbindung zur niederländischen Rechtssphäre. Dennoch müssen hinreichende Berührungspunkte gegeben sein, die eine reale Verknüpfung darstellen können. 503 Art. 9 lit. c WBRv verlangt ausdrücklich, dass die Streit-
498
Siehe oben S. 106. Siehe oben S. 106 ff. 500 Kramer, NIPR 2003, 240, 243; dies., NIPR 2002, 375, 384 f. 501 Koppenol-Laforce/Kramer, NTBR 2003, 202, 211 f. 502 Siehe oben S. 107 f. 503 Kramer, NIPR 2002, 537, 542. 499
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
339
sache hinreichend mit der niederländischen Rechtssphäre verbunden ist. 504 Ob diese Verbindung eine reale Verknüpfung begründen kann, muss im Einzelfall untersucht werden. Der Wohnsitz des Klägers allein, auf den das niederländische Gericht seine Zuständigkeit im Ausgangsverfahren van Uden gemäß Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit Art. 126 Abs. 3 WBRv aF gestützt hatte, stellt jedenfalls keine reale Verknüpfung zum Forum her. 505 Darüber half in diesem Fall aber hinweg, dass der Wohnsitz des Klägers zugleich der Erfüllungsort war, der als zuständigkeitsbegründendes Merkmal auch in der EuGVO anerkannt ist. 506 (3) Bewertung Es fragt sich, wie die reale Verknüpfung in der hier vertretenen Auslegung zu bewerten ist, ob sie also Art. 31 EuGVO angemessen regulieren kann. Für die Einschränkung der Zuständigkeiten zum Erlass einstweiliger Maßnahmen durch eine reale Verknüpfung sprechen mehrere Argumente. Auf diese Weise werden über Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht eröffnete, ausufernde Zuständigkeiten, insbesondere sachfremde Gerichtsstände, die einseitig den Gläubiger begünstigen, wirksam vermieden. Forum shopping wird eingedämmt und die Gefahr, dass die vereinheitlichten Gerichtsstände der Art. 2 ff. EuGVO umgangen werden, deutlich verringert. Mit den Zuständigkeiten am Vollstreckungsort werden dem Gläubiger zugleich wichtige Zuständigkeiten belassen. Vollstreckungskonnexität ist gerade im einstweiligen Rechtsschutz zweckmäßig, denn der Gläubiger hat ein großes Interesse daran, dass eine einstweilige Maßnahme schnell erlassen und sogleich vollzogen werden kann. Vollstreckungsbezogene Zuständigkeiten beschleunigen und vereinfachen durch ihre Sachnähe das einstweilige Verfahren. 507 Wird auf Gerichtsstände im Vollstreckungsstaat zurückgegriffen, so entfällt das Erfordernis, dass eine ausländische Entscheidung anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden muss. Damit lassen sich aus dem Verfahren der Vollstreckbarerklärung resultierende Verzöge504
ren.
Darüber hinaus muss es dem Kläger unzumutbar sein, den Prozess im Ausland zu füh-
505 Franx, NIPR 2003, 11; Kramer, Het kort geding in internationaal perspectief, S. 161; Vlas, NILR 1999, 106, 108 f. 506 Niederländische Gerichte haben ihre internationale Zuständigkeit ohnehin sehr selten allein auf Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht gestützt: Vlas, NILR 1999, 106, 109. Ein solcher Ausnahmefall war die Entscheidung Pres. Rb. Almelo vom 2.9.1979, NJ 1979, Nr. 145, in der sich das niederländische Gericht allein wegen des Wohnsitzes des Klägers in den Niederlanden für zuständig erklärt und den deutschen Beklagten im kort geding zur Zahlung verurteilt hatte. 507 Stadler, JZ 1999, 1089, 1093; Vareilles-Sommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 424 f.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
rungen vermeiden. Angesichts dessen kann in Kauf genommen werden, dass Gerichtsstände am Vollstreckungsort mit einer Zersplitterung der Zuständigkeiten und mangelndem Entscheidungseinklang verbunden sein können. 508 Weil die Zuständigkeiten des nationalen Rechts die reale Verknüpfung durch verschiedene Kriterien herstellen können, nämlich durch vollstreckungsbezogene oder Art. 2 ff. EuGVO entsprechende Merkmale, werden die nationalen Unterschiede in gewissem Umfang aufrechterhalten. Ein Teil der Gerichtsstandsvielfalt kommt dem Gläubiger daher weiterhin zugute. Die Bandbreite von Anknüpfungsmerkmalen ermöglicht es, auf neue Entwicklungen im internationalen Zivilprozessrecht flexibel zu reagieren. Die reale Verknüpfung trifft damit das richtige Maß, um die Reichweite der Verweisung auf das nationale Recht in Art. 31 EuGVO einzuschränken. Eine Verbindung zwischen Maßnahme und Zuständigkeit bleibt bestehen, doch wird die Priorität großzügiger Zuständigkeiten im einstweiligen Rechtsschutz nicht vollends aufgegeben. Die Voraussetzung der realen Verknüpfung wird ihrer Aufgabe, Art. 31 EuGVO einzuschränken, gerecht. Kritisch wird aber beleuchtet, auf welche Art und Weise dies geschieht. Während eine Ergänzung der gesetzlichen Regelung klare Verhältnisse geschaffen hätte, führte der EuGH mit der ungeschriebenen Voraussetzung der realen Verknüpfung einen generalklauselartigen, nahezu kryptischen Begriff in das sonst so präzise formulierte Zuständigkeitssystem der EuGVO ein. Das weckt Befürchtungen von forum non conveniens-Auswüchsen nach US-amerikanischem Muster. Danach können gegebene Zuständigkeiten nach einer Prüfung des Einzelfalls wegen fehlender Verbindung der Sache zum Gerichtsstaat versagt werden, wenn Rechtsschutz in einem anderen Staat erlangt werden kann und das öffentliche Interesse an der Verneinung der Zuständigkeit das Interesse des Klägers an der Behandlung seines Anliegens übersteigt. 509 Die Idee des forum non conveniens, in kort geding-Verfahren vor van Uden praktiziert, 510 verträgt sich nicht mit dem europäischen Leitbild einer einheitlichen Rechtsanwendung und damit
508
So auch Vareilles-Sommières, Rev. crit. dr. int. priv. 85 (1996), 397, 425. Buxbaum, FS Jayme, S. 73, 79; Kropholler, IPR, S. 637; Schack, IZVR5, Rn. 559 ff. 510 Hof Amsterdam vom 23.11.1995, NJ 1997, Nr. 739; Gisolf/de Boer, Kort geding en rechter, S. 79, 83 und 96; Steenhoff, in: Schmidt, IPR & Kort Geding, S. 19, 25 ff.; Vlas, NILR 1999, 106, 108. In van Uden, EuGHE 1998, 7091 Rn. 16 – van Uden/DecoLine, hatte der Gerechtshof Den Haag die internationale Zuständigkeit unter Berufung auf forum non conveniens verneint, weil dem Rechtsstreit eine ausreichende Verbindung zur niederländischen Rechtsordnung fehle, allein der Wohnsitz des Klägers in den Niederlanden genüge nicht. Seit die neuen Regelungen zur internationalen Zuständigkeit Anfang 2002 in Kraft traten, kann der forum non conveniens-Gedanke nicht mehr herangezogen werden, siehe S. 108. 509
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
341
verbundener Rechtssicherheit und -klarheit. 511 In Owusu hat der EuGH eindeutig festgehalten, dass im Anwendungsbereich von Art. 2 EuGVÜ kein Raum für die forum non conveniens-Doktrin verbleibt. 512 Gerade bei Zuständigkeitsregelungen ist ein dem Rechtsanwender eröffneter Spielraum ungünstig. 513 Es muss zügig feststellbar sein, ob ein Gericht zuständig ist oder nicht. Interpretiert wird die Schaffung einer nur schemenhaft beschriebenen Voraussetzung wie der realen Verknüpfung als Ausdruck einer zunehmend restriktiven Haltung des EuGH in Vorabentscheidungsverfahren. Damit überlasse der Gerichtshof die inhaltliche Präzisierung den nationalen Gerichten, so dass eine Kontrolle der Konsequenzen im Einzelfall nicht notwendig sei. 514 Aufgrund des besonderen Zuständigkeitskonzepts für den einstweiligen Rechtsschutz geht die Kritik an der Vorgehensweise des EuGH im Ergebnis aber fehl. Enge Vorgaben widersprächen dem einzigartigen Konzept des Art. 31 EuGVO, im einstweiligen Rechtsschutz die nationalen Regelungen unberührt zu lassen und nicht vollständig durch EU-weit vereinheitlichte Zuständigkeitsbestimmungen zu ersetzen. Die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen muss einerseits ausreichend weit gefasst und flexibel bleiben, um das Ziel von Art. 31 EuGVO zu erreichen. Andererseits muss sie an den Stellen eingeschränkt werden, an denen eine Umgehung der Art. 2 ff. EuGVO droht, weil keine Verbindung zum Forum besteht. Eine Vorschrift, die einen Gerichtsstand am Vollstreckungsort festlegt, würde alle nationalen Gerichtsstände ausschließen, die Art. 2 ff. EuGVO ähneln und die Zuständigkeiten des einstweiligen Rechtsschutzes zu stark einschränken. Auch andere als vollstreckungsbezogene nationale Gerichtsstände können für die Durchsetzung der Interessen des Gläubigers wertvoll sein, etwa wenn für die Hauptsache staatliche Gerichte aufgrund einer Schiedsvereinbarung nicht angerufen werden können. Zwar sind unbestimmte Rechtsbegriffe im Zuständigkeitsrecht grundsätzlich zu vermeiden. Doch im einstweiligen Rechtsschutz wird über die reale Verknüpfung in der hier vertretenen Auffassung der Ausgleich zwischen den gewünschten Zuständigkeiten und Restriktionen erfolgreich hergestellt, so dass eine derartige Voraussetzung im Rahmen von Art. 31 EuGVO als geeignetes Regulativ zu bewerten ist. Zu betonen ist jedoch, dass ein derartiges Tatbestandsmerkmal ausschließlich im besonderen Rahmen von Art. 31 EuGVO 511 So auch Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 222; Stadler, JZ 1999, 1089, 1093; Wannenmacher, S. 245; Wolf, EWS 2000, 11, 16. Der EuGH hat ausdrücklich entschieden, dass die Rechtssicherheit eines der Ziele des EuGVÜ ist, EuGHE 2002, 4995 Rn. 51 – Italian Leather/WECO. 512 EuGHE 2005, 1383 Rn. 37 ff. – Owusu/Jackson. 513 So auch Stadler, JZ 1999, 1089, 1093. 514 Hess, RabelsZ 66 (2002), 470, 495 f.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
richtig erscheint. Für diese außergewöhnliche Vorschrift ist ein unbestimmtes Zuständigkeitskriterium ausnahmsweise 515 annehmbar. Zu befürworten ist daher folgender Vorschlag zur Präzisierung des Art. 31 EuGVO unter Berücksichtigung der van Uden-Rechtsprechung: „Die im Recht eines Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich solcher, die auf eine Sicherung gerichtet sind, können bei den Gerichten dieses Staates auch dann beantragt werden, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache das Gericht eines anderen Mitgliedstaats aufgrund dieser Verordnung zuständig ist. Voraussetzung für die Zuständigkeit nach nationalem Recht ist aber das Bestehen einer realen Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme und der gebietsbezogenen Zuständigkeit des Staates des angerufenen Gerichts. Eine reale Verknüpfung besteht in jedem Fall zu dem Staat, in dem die einstweilige Maßnahme vollständig oder teilweise vollstreckt werden kann.“ 516 Im Zuge der Reformarbeiten der EuGVO werden Stimmen laut, die sich von der EuGH-Rechtsprechung zum Erfordernis der realen Verknüpfung vollständig lösen wollen. 517 Für den Fall, dass das Hauptsachegericht stets über die Aufhebung bzw. die Änderung einer einstweiligen Maßnahme entscheiden dürfe, könne auf das Kriterium der realen Verknüpfung verzichtet werden. Art. 31 EuGVO sei deshalb um folgenden Absatz zu ergänzen: „The court vested with jurisdiction for, and seised by either party with the substance of the matter, has power to discharge, to modify or to adapt to its own legal system any provisional measure granted by a court of another Member State.“ 518
515
Zu den Besonderheiten des Art. 31 EuGVO im Vergleich zum übrigen Zuständigkeitssystem siehe auch Dickinson, IPRax 2010, 203. 516 Ähnlich Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 150, und dies., NIPR 2003, 240, 242: „De voorgaande bepalingen laten onverlet de bevoegdheid van de rechterlijke autoriteiten van de andere lidstaten om de in hun wetgeving voorziene voorlopige en bewarende maatregelen te treffen, mits tussen het voorwerp van de maatregel en het grondgebied van die staat een reële band bestaat. Een reële band is in ieder geval aanwezig indien de maatregel geheel of ten dele in die staat ten uitvoer gelegd dient te worden.“ Auf Deutsch: „Die vorstehenden Bestimmungen lassen die Zuständigkeit der Gerichte der anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich des Erlasses der in der jeweiligen Rechtsordnung vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen unberührt, vorausgesetzt, es besteht eine reale Verknüpfung zwischen dem Gegenstand der einstweiligen Maßnahme und dem Gebiet dieses Staates. Eine reale Verknüpfung besteht in jedem Fall dann, wenn die einstweilige Maßnahme ganz oder teilweise in dem Staat vollstreckt werden soll.“ 517 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 652–654 und 737–739. Das Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO, KOM(2009) 175 endg., S. 8, tendiert ebenfalls in diese Richtung. 518 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 654 und 739.
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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Mit diesem Vorschlag wird, nach Jahren, in denen die Frage dominierte, wie die Rechtsprechung des EuGH in den Entscheidungen van Uden und Mietz zu verstehen sei, eine neue Stufe im europäischen einstweiligen Rechtsschutz eingeläutet. Danach erscheint es möglich, dass das Merkmal der realen Verknüpfung nach der Überarbeitung der EuGVO obsolet werden könnte. Kritisiert wird an dem Vorschlag allerdings zu Recht, dass durch die Aufhebung oder Änderung einer von den Gerichten eines Staates erlassenen einstweiligen Maßnahme durch die Gerichte eines anderen Staates neue Probleme entstehen könnten. 519 Abgesehen von dem Eingriff in die verfahrensrechtliche Souveränität des Mitgliedstaates sei auch fraglich, wie die Abstimmung der in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen unterschiedlich gestalteten Rechtsbehelfsmöglichkeiten gegen eine Aufhebung oder Änderung ausgestaltet werden könnte. 520 Die Vorteile der Zuständigkeit des Hauptsachegerichts würden aufgrund der Ähnlichkeit zum Streitgegenstand in der Hauptsache nur bei Leistungsverfügungen überwiegen. Deshalb sei es zu bevorzugen, dass ein anderes Gericht zum Erlass solcher einstweiliger Maßnahmen nur ausnahmsweise zuständig werden könne. Notwendig sei dies bei besonderer Eilbedürftigkeit oder wenn das Gericht der Hauptsache nicht eingreifen könne. 521 bb) Ortsbezug bei Leistungsverfügungen Bei Leistungsverfügungen genügt es dem EuGH nicht, die Zuständigkeit über die Voraussetzung der realen Verknüpfung zu regulieren. Neben der realen Verknüpfung verlangt der Gerichtshof, dass „die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betrifft, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten“. 522 Verglichen mit der realen Verknüpfung beschreibt der Gerichtshof diese Zuständigkeitsvoraussetzung genauer. Auf den ersten Blick scheint sie der Rechtsanwendung deshalb besser zugänglich und ihr Präzisierungsbedarf weniger ausgeprägt zu sein. Bei näherer Betrachtung werfen die Formulie519
Dickinson, IPRax 2010, 203, 210 f. Dickinson, IPRax 2010, 203, 211. 521 Dickinson, IPRax 2010, 203, 212 f. mit einem Vorschlag zur Neufassung von Art. 31 EuGVO. 522 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42 – Mietz/Intership Yachting. Fehl geht die Auffassung von Wannenmacher, S. 281 f., die Voraussetzung gelte für alle einstweiligen Maßnahmen. Der EuGH bezieht sich hier ausdrücklich nur auf Leistungsverfügungen. Zusammenfassend soll diese Voraussetzung im Folgenden als „Ortsbezug“ bezeichnet werden. Zu dessen Einordnung als Voraussetzung der Zuständigkeit siehe S. 278 ff. und S. 343 ff. 520
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
rungen „Betreffen von Vermögensgegenständen“, „örtlicher Zuständigkeitsbereich“ und „befinden oder befinden müssten“ jedoch wie die reale Verknüpfung verschiedene Fragen auf. (1) Betreffen von Vermögensgegenständen Bei der Ermittlung der inhaltlichen Anforderungen dieses Merkmals ist das Verhältnis der realen Verknüpfung und des Ortsbezuges zueinander zu beachten. Über dieses Verhältnis geben die unterschiedlichen Funktionen beider Voraussetzungen Aufschluss. Die reale Verknüpfung konzipierte der EuGH, um zu verhindern, dass beim Erlass einstweiliger Maßnahmen die vereinheitlichten Zuständigkeitsregelungen in Art. 2 ff. durch Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht umgangen und stattdessen sachfremde nationale Gerichtsstände herangezogen werden. 523 Die Verweisung auf das nationale Recht einschränkend, soll die reale Verknüpfung für Sachnähe sorgen. Diese Sachnähe kann sich durch Vollstreckungsbezug oder andere Anknüpfungsmerkmale ausdrücken. 524 Bei den der Hauptsache inhaltlich stark ähnelnden Leistungsverfügungen fürchtete der Gerichtshof darüber hinaus, dass an einem Gerichtsstand nach nationalem Prozessrecht, der für die Hauptsache nicht zur Verfügung stünde, eine Entscheidung erreicht wird, die inhaltlich der zu erwartenden Hauptsacheentscheidung gleicht. Um dieses Szenario zu verhindern, fordert der EuGH, dass Leistungsverfügungen bestimmte Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts betreffen. 525 Aufgrund der zusätzlichen Funktion muss der Ortsbezug enger verstanden werden als die reale Verknüpfung. 526 Außerdem lässt der EuGH beim Ortsbezug anders als bei der realen Verknüpfung gerade keine irgendwie geartete Verbindung der beantragten Maßnahme zum Forum ausreichen, sondern gibt 523
EuGHE 1998, 7091 Rn. 38–40 – van Uden/DecoLine. Siehe S. 328 ff. 525 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 f. – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 47 und 55 – Mietz/Intership Yachting. Ähnlichkeit besteht mit Nr. 17 der Helsinki-Regeln, abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 202: „Where the court is not exercising jurisdiction over the substance of the matter, and is exercising jurisdiction purely in relation to grant of provisional and protective measures, its jurisdiction shall be restricted to assets located within the jurisdiction. Subject to international law, national rules (including rules of the conflict of laws) will determine the location of assets.“ 526 So auch Gaudemet-Tallon, Rev. arb. 1999, 152, 164; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224; Lange, NJB 1999, 157, 160; Marmisse/Wilderspin, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 669, 677; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 365; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097 f. Anderer Auffassung ist Wannenmacher, S. 282: Eine engere Auslegung schränke die Rechte des Gläubigers zu sehr ein. Wannenmacher trennt allerdings auch nicht ausreichend zwischen Leistungsverfügungen und anderen einstweiligen Maßnahmen und beachtet somit nicht die besondere Risikolage bei Leistungsverfügungen. 524
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selbst vor, die Maßnahme müsse bestimmte, im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts belegene Vermögensgegenstände des Antragsgegners betreffen. 527 Der geforderte Ortsbezug konkretisiert damit die Anforderungen an die reale Verknüpfung bei Leistungsverfügungen. Liegt der Ortsbezug vor, ist also automatisch auch die reale Verknüpfung gegeben, was umgekehrt nicht der Fall sein muss. Die Grundvoraussetzung dafür, dass eine Leistungsverfügung bestimmte Vermögensgegenstände betrifft, ist, dass sich zum Zeitpunkt des Antrags der einstweiligen Maßnahme tatsächlich Vermögensgegenstände im Gerichtsstaat befinden, in die vollstreckt werden kann. Damit eine Leistungsverfügung erlassen werden kann, muss der Gläubiger beweisen, dass im Gerichtsstaat der Vollstreckung zugängliche Vermögensgegenstände belegen sind. Gelingt dem Gläubiger der Beweis, kann das Verfahren zügig durchgeführt werden, denn es ist bereits geklärt, wo und in welche Vermögensteile vollstreckt werden kann. Darin liegt der Vorteil einer engen Verflechtung der Zuständigkeit zum Erlass einer Leistungsverfügung mit der späteren Vollstreckung. Anders als bei der realen Verknüpfung genügt es also nicht, glaubhaft zu machen, dass eine spätere Vollstreckung wahrscheinlich ist. 528 Weil der Gläubiger mit der Leistungsverfügung schon erreicht, was er auch in der Hauptsache erreichen könnte, ist es gerechtfertigt, im Vergleich zum Antrag auf Erlass anderer einstweiliger Maßnahmen höhere Anforderungen an sein Vorbringen zu stellen. Da die Zuständigkeit für den Erlass von Leistungsverfügungen wegen des erforderlichen Ortsbezuges an die Vollstreckbarkeit gekoppelt und nur in dem Staat eröffnet ist, in welchem sich Vollstreckungsobjekte befinden, muss ein Gläubiger einstweilige Maßnahmen in mehreren Staaten beantragen, wenn die Vermögensgegenstände des Schuldners auf verschiedene Staaten verteilt sind und er nicht in einem EuGVO-Gerichtsstand klagen will. 529 Zuständigkeiten des anglo-amerikanischen Rechtskreises für so genannte orders in personam, die an die Person des Beklagten anknüpfen, unabhängig davon, wo die einstweilige Maßnahme letztlich vollstreckt werden soll, sind im Gegensatz zu orders in rem in diesem Zusammenhang ausgeschlossen. 530 Verglichen mit den Zuständigkeiten zum Erlass anderer einstweiliger Maßnahmen, bei denen über die reale Verknüpfung lediglich zu fordern ist, dass die Vollstreckung wahrscheinlich stattfinden kann und dass die Zuständigkeit durch die Nähe zur Vollstreckung oder auf andere 527
EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42 – Mietz/Intership Yachting. 528 So aber Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 230 f. 529 Stadler, JZ 1999, 1089, 1098, bezeichnet diese Vorgehensweise als „Mosaik“-Taktik. 530 Zu den orders in personam und in rem Matthews, CJQ 14 (1995), 190, 191.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Weise sachbezogen ist, sind die Zuständigkeiten für Leistungsverfügungen damit zum Schutz vor einem Missbrauch der in den nationalen Rechtsordnungen vorgesehenen Gerichtsstände erheblich eingeschränkt. Gewährleistet wird jedoch, dass ein Gericht entscheidet, das aufgrund seiner Sachnähe besonders gut dazu geeignet ist, das Vorhandensein von Vermögen und folglich von Vollstreckungsmöglichkeiten zu beurteilen. Hierdurch wird das wichtigste Interesse des Gläubigers an zügiger Vollstreckung realisiert, weil eine inländische Entscheidung im Gegensatz zu einer außerhalb des Vollstreckungsstaates ergangenen nicht erst für vollstreckbar erklärt werden muss. Zugleich wird noch deutlicher als durch die reale Verknüpfung dem Phänomen des forum shopping entgegengewirkt. 531 Möchte der Gläubiger den Restriktionen entgehen, ist es ihm in vielen Fällen unbenommen, die Gerichte der Hauptsache nach der EuGVO anzurufen, deren Zuständigkeit für Leistungsverfügungen keinen Einschränkungen unterliegt. Fraglich ist, ob die dargestellten inhaltlichen Anforderungen des Ortsbezuges ohne Ausnahme gelten sollten. Dass eine Leistungsverfügung bestimmte Vermögensgegenstände „betrifft“, die sich „im örtlichen Zuständigkeitsbereich … befinden“, ist auf Verfügungen zugeschnitten, welche die Erbringung einer Sachleistung anordnen. Bei ihnen kann genau lokalisiert werden, wo die Sache belegen ist. Die meisten Leistungsverfügungen wie Geldzahlungsanordnungen und Verfügungen auf Tun, Dulden oder Unterlassen, sind aber gerade nicht auf die Herausgabe oder andere Sachleistungen gerichtet. 532 Geldschulden etwa können sich allenfalls auf das Schuldnervermögen im Allgemeinen beziehen. Von einer Konkretisierung auf bestimmte Vermögensgegenstände kann erst im Rahmen der Zwangsvollstreckung gesprochen werden, wenn bestimmte Gegenstände gepfändet und verwertet werden, um den Zahlungsanspruch zu befriedigen. 533 Bei Zahlungsanordnungen sind die Gefahren einer Umgehung der Hauptsachezuständigkeiten und einer Vorwegnahme der Hauptsache, deretwegen der EuGH die Voraussetzung des Ortsbezuges entwickelte, 534 allerdings besonders gravierend. Den Entscheidungen van Uden und Mietz lagen selbst Zahlungsanordnungen zugrunde. Folglich kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Voraussetzung nur für eine bestimmte Art gegenständlich beschränkter Leistungsverfügungen gelten soll und andere Maßnahmen im Anwendungsbereich der Verordnung durch ein nach nationalem Kompe-
531
365.
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Consolo, ZZP Int. 6 (2001), 49, 53; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340,
Dedek, EWS 2000, 246, 252; Stadler, JZ 1999, 1089, 1093 f. Heinze, S. 250. 534 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 – van Uden/DecoLine. 533
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tenzrecht zuständiges Gericht nicht erlassen werden können. 535 Für Leistungsverfügungen, die nicht auf die Erbringung von Sachleistungen zielen, müssen die Anforderungen an Vollstreckbarkeit und Zuständigkeit vielmehr entsprechend modifiziert werden. 536 Bei Zahlungsanordnungen ist eine Zuständigkeit dort begründet, wo der Schuldner über Vermögen verfügt, zum Beispiel in Form von Guthaben auf einem Konto, 537 so dass die Anordnungen dort vollzogen werden können. 538 Geldzahlungsansprüche können aber auch aus der Verwertung beliebiger Gegenstände des Schuldnervermögens befriedigt werden. 539 Zu prüfen ist, ob das für die Vollstreckung in Frage kommende Vermögen der ausstehenden Forderung entsprechen muss, um sicherzustellen, dass die Anordnung tatsächlich und nicht nur wahrscheinlich vollstreckbar ist. 540 Aus Gläubigerschutzgesichtspunkten zu weitgehend erscheint es dabei, die Zuständigkeit vollumfänglich zu verneinen, wenn das in Betracht kommende Vermögen geringer ist als die durchzusetzende Forderung. 541 Vielmehr ist es in derartigen Fällen sachgerecht, die Zahlungsanordnung auf den vollstreckbaren Anteil zu beschränken. 542 Bei Verfügungen, die auf ein sonstiges Tun, Dulden oder Unterlassen gerichtet sind, ergeben sich Zuständigkeiten an dem Ort, wo die jeweilige Handlung vorgenommen oder unterlassen 543 bzw. ein Unterlassen mittels Zwangsgelds durchgesetzt werden kann. 544 Im Ergebnis folgt daraus, dass das Betreffen von Vermögensgegenständen bei Leistungsverfügungen als „territoriale Wirkungsbeschränkung“ zu 535 So auch Dedek, EWS 2000, 246, 252; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 13 f.; Heinze, S. 97; Kofmel Ehrenzeller, S. 245; Lange, NJB 1999, 157, 160; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 74; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231; Stadler, JZ 1999, 1089, 1094. 536 Heinze, S. 102, hingegen glaubt, die Ausführungen des EuGH zu Sicherheitsleistung und Ortsbezug beträfen lediglich Anordnungen zur vorläufigen Erbringung einer vertraglichen Hauptleistung, während Unterlassungsanordnungen ohne die Einhaltung dieser Voraussetzungen gewährt werden könnten. Bei Unterlassungsverfügungen genüge das Erfordernis der realen Verknüpfung. 537 Wannenmacher, S. 172. 538 Gleicher Auffassung Heinze, S. 251; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 80. 539 Heinze, S. 97. 540 Kramer, NTBR 1999, 74, 76 und 78; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231. 541 So aber Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231. 542 Ebenso Kramer, NTBR 1999, 74, 76 f.; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 80. 543 Hess, EuZPR, § 6 Rn. 247; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231. 544 Kurtz, S. 71; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 80. Ausführlich zur realen Verknüpfung bei Unterlassungsanordnungen unter Berücksichtigung einer vorgeschlagenen Differenzierung zwischen Wirkungs- und Vollstreckungsort Heinze, S. 252–258.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
verstehen ist. 545 Hierdurch wird schon im Rahmen der Zuständigkeit festgelegt, dass eine grenzüberschreitende Vollstreckung regelmäßig nicht erforderlich sein wird. (2) Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts Das zweite Element des Ortsbezugs verlangt, dass sich die von einer Leistungsverfügung betroffenen Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts „befinden oder befinden müssten“. 546 In diesem Zusammenhang ist insbesondere fraglich, in welchem Fall sich Vermögensgegenstände nicht im örtlichen Zuständigkeitsbereich befinden, obwohl sie sich dort befinden müssten. Eine Beschreibung des Beweismaßes in dem Sinne, dass es zur Begründung der Zuständigkeit genügt, dass sich das Objekt der Vollstreckung gemäß einer Prognose ex ante wahrscheinlich im Gerichtsstaat befindet und dass die Glaubhaftmachung der für die Gerichtszuständigkeit relevanten Tatsachen ausreicht, kann damit nicht gemeint sein. 547 Die zusätzliche Voraussetzung für Leistungsverfügungen hätte dann gegenüber der realen Verknüpfung keine eigenständige Bedeutung. Erst recht wäre es für den Gläubiger zu unsicher, wenn die Anforderungen so weit gesenkt würden, dass die Erwartung des Schuldners, in Zukunft Forderungen im Gerichtsstaat zu erlangen, ausreichte. 548 Unpraktikabel wäre es außerdem, die Zuständigkeit an dem Ort als begründet anzusehen, wo sich der Vermögensgegenstand nach der Funktionsbestimmung des Gläubigers oder nach der
545 So auch Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 74; Stadler, JZ 1999, 1089, 1097. Ähnlich Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 365. Grundmann, S. 143 f. und 163, forderte dies schon vor den EuGH-Entscheidungen van Uden und Mietz. Gegen eine territoriale Wirkungsbeschränkung bringt Willeitner, S. 109–112, (nicht überzeugend) vor, diese schüre Abgrenzungsprobleme zwischen Art. 31 und Art. 22 Nr. 5 EuGVO, der Zuständigkeit für die Zwangsvollstreckung. 546 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42 – Mietz/Intership Yachting. 547 So aber Heinze, S. 97 und 249, und Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224 (mit Hinweis darauf, dass diese Auslegung mit dem deutschen Prozessrecht vereinbar sei, weil es auch in §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO ausreiche, dass der Gläubiger die zuständigkeitsbegründenden Tatsachen glaubhaft mache). Auch Wannenmacher, S. 173, genügt es, dass der Gläubiger „Mutmaßungen“ über den Verbleib des Vermögensgegenstandes anstellen kann. Huet, Clunet 1999, 613, 621, hingegen weist zu Recht darauf hin, dass bei dieser Auslegung auch die Voraussetzung der realen Verknüpfung obsolet würde. 548 So aber Consolo, ZZP Int. 6 (2001), 49, 54; Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 679 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 127; Vlas, NJ 1999, 1867, 1868; Willeitner, S. 128 ff.
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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gewohnheitsgemäßen Bestimmung befindet oder befinden sollte. 549 Eine Lagebestimmung durch den Gläubiger ließe sich schwer nachprüfen. Zweckmäßig ist es vielmehr, die Formulierung so zu verstehen, dass es der Zuständigkeit für den Erlass von Leistungsverfügungen nicht entgegensteht, wenn sich nach der Zuständigkeitsbegründung herausstellen sollte, dass im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts keine Vermögensgegenstände mehr belegen sind, weil der Schuldner die für die Vollstreckung interessanten Vermögensgegenstände, die sich eigentlich im betreffenden Staat befinden müssten, zwischenzeitlich an einen anderen Ort verbracht hat. 550 Damit wird deutlich, dass der Zeitpunkt der Antragstellung für das Vorliegen des Ortsbezuges entscheidend ist. 551 Der Gläubiger muss beweisen, dass zu diesem Zeitpunkt im Erlassstaat Vermögen vorhanden ist. Eine spätere Entfernung von Vermögensgegenständen durch den Schuldner geht bezüglich der Zuständigkeitseröffnung aber nicht zu Lasten des Gläubigers. Andere sprachliche Fassungen des van UdenUrteils stützen dieses Verständnis, 552 durch das einer missbräuchlichen Entfernung von Vermögen entgegengewirkt wird. 553 Dabei handelt es sich um die Festschreibung einer „erweiterten perpetuatio fori“. 554 Die EuGVO enthält das Prinzip der perpetuatio fori zwar nicht explizit, es liegt ihnen aber gleichwohl zugrunde. 555 Leistungsverfügungen müssen also bei einer Betrachtung ex ante, nicht aber bei einer Betrachtung ex post im Forumstaat vollstreckbar sein. Da eine Leistungsverfügung also nicht auf die Vermögensgegenstände beschränkt sein muss, die im Zeitpunkt des Erlasses der Maßnahme für die Vollstreckung zur Verfügung stehen, ist die Bezugnahme des EuGH auf „bestimmte Vermögensgegenstände“ 556 auch nicht so zu verstehen, dass die Gerichte diese Vermögensgegenstände im Tenor oder in den Gründen der Leistungsverfügung genau bezeichnen müssen. 557 Eine solche Vorgabe 549 So aber Willeitner, S. 129, der im Übrigen bei seiner Erörterung der realen Verknüpfung auf S. 107–134 nicht zwischen den verschiedenen Voraussetzungen der realen Verknüpfung und dem Ortsbezug differenziert. 550 Ähnlich Dedek, EWS 2000, 246, 252; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231. 551 Ebenso Heinze, S. 97; Wannenmacher, S. 173. 552 Ausführlich hierzu Consolo, ZZP Int. 6 (2001), 49, 53. A.A. Heinze, S. 249. 553 Wannenmacher, S. 173. 554 Der Ausdruck stammt von Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224. 555 Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 2 EuGVO Rn. 20; Heinze, S. 97 Fn. 245; Kropholler/von Hein, EuZPR9, vor Art. 2 Rn. 14. Siehe dazu auch EuGHE 2006, 701 Rn. 24–29 – Staubitz/Schreiber (zur EuInsVO). 556 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42 – Mietz/ Intership Yachting. 557 So aber Dedek, EWS 2000, 246, 252; Eisermann, S. 170; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 14; Hess, IPRax 2000, 370, 372 f.; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 365; Willeitner, S. 122 ff. Nach Wannenmacher, S. 173 und 241, deutet
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würde zu tief in die nationalen Zivilprozessordnungen eingreifen 558 und die Effektivität der Leistungsverfügungen zu sehr beschneiden. 559 Außerdem könnte sonst die Beantragung mehrerer Maßnahmen nacheinander in einem Mitgliedstaat notwendig werden, wenn die Vollziehung in den konkret benannten Gegenstand nicht möglich ist. 560 Zu klären bleibt schließlich, ob sich die Voraussetzung des Ortsbezuges auf die örtliche oder auf die internationale Zuständigkeit bezieht. Da die EuGVO vorrangig die internationale Zuständigkeit bestimmt, irritiert es, dass der EuGH auf den „örtlichen Zuständigkeitsbereich“ 561 abstellt. Die örtliche Zuständigkeit wird zwar in einzelnen Vorschriften 562 der internationalen Zuständigkeit mitgeregelt. Zu diesen Vorschriften gehört Art. 31 EuGVO aber nicht. Verbreitet wird deshalb „örtlich“ durch „international“ ersetzt. 563 Die niederländische Originalfassung des van Uden-Urteils erlaubt eine solche Deutung. In ihr ist die Rede von „territoriale bevoegdheidssfeer“. 564 Dieser Begriff kann nicht nur mit örtlicher Zuständigkeit, sondern auch mit staatlicher, also internationaler Zuständigkeit wiedergegeben werden. 565 Da mit der Voraussetzung des Ortsbezuges die internationale Zuständigkeit auf den örtlichen Bereich, in welchem sich die Vermögensgegenstände befinden, beschränkt wird, um die Sachnähe des die Hauptsache vorwegnehmenden Gerichts zu gewährleisten, 566 ist im Ergebnis davon auszugehen, dass für Leistungsverfügungen zugleich die internationale und die örtliche Zuständigkeit festgelegt werden. 567 Damit sind die insbesondere die französische Fassung der van Uden-Entscheidung darauf hin, dass eine genaue Bezeichnung der Vermögensgegenstände notwendig ist. Möglicherweise interpretierte die Cour de cassation die Voraussetzungen des Ortsbezuges deshalb in dieser Weise, Cass. vom 13.04.1999, Belbetoes Fundacoes/Société Bachy, Clunet 2000, 83, 84 f., mit zust. Anm. Huet. Gegen eine genaue Bezeichnung Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 127; Otte, in: Berger, Einstweiliger Rechtsschutz in Zivilsachen, Kap. 18 Rn. 49; Schulz, ZEuP 2001, 805, 816 f. 558 Die nationalen Rechtsordnungen unterscheiden sich darin, ob bestimmte Vermögenswerte in der einstweiligen Maßnahme bezeichnet werden müssen. Dazu Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 132. 559 Schulz, ZEuP 2001, 805, 817. 560 Wannenmacher, S. 173. 561 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 42 – Mietz/ Intership Yachting. 562 Etwa in Art. 5 und 6 EuGVO. 563 Dedek, EWS 2000, 246, 252; Heinze, S. 117; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224; Kurtz, S. 70; Schulz, ZEuP 2001, 805, 815 Fn. 48; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 74; Stadler, JZ 1999, 1089, 1098; Willeitner, S. 121; Wolf, EuZW 2000, 11, 14. 564 EuGH vom 17.11.1998, NJ 1999, Nr. 339. 565 Willeitner, S. 120. So auch die Auslegung des Hoge Raad in NJ 2001, Nr. 290, der davon spricht, dass sich die Vermögensgegenstände „binnen Nederland“ befinden müssten. 566 Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 230. 567 So auch Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 230.
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Gerichte des Staates zuständig, in dessen Hoheitsgebiet die von einer Leistungsverfügung betroffenen Vermögensgegenstände belegen sind. (3) Vergleich des Ortsbezuges mit Art. 20 EheGVO Die Ermittlung des Inhalts des Ortsbezuges hat gezeigt, dass der EuGH verschiedene Fragen zur Anwendung der Voraussetzung offenließ, was der Rechtsklarheit abträglich ist. Art. 20 Abs. 1 EheGVO geht diesbezüglich einen anderen Weg, obwohl er im Übrigen auffallend mit Art. 31 EuGVO übereinstimmt. 568 Art. 20 Abs. 1 EheGVO lautet: „Die Gerichte eines Mitgliedstaats können in dringenden Fällen ungeachtet der Bestimmungen dieser Verordnung die nach dem Recht dieses Mitgliedstaats vorgesehenen einstweiligen Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen in Bezug auf in diesem Staat befindliche Personen oder Vermögensgegenstände auch dann anordnen, wenn für die Entscheidung in der Hauptsache gemäß dieser Verordnung ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats zuständig ist.“ 569
Zwar sollten ausweislich des erläuternden Berichts zur EheGVO mit der Schaffung der Vorgängernorm zu Art. 20 EheGVO, Art. 12 EheGVO 570 (Brüssel II), keine Auslegungsprobleme von Art. 31 EuGVO gelöst werden, 571 doch bietet sich ein Vergleich der Vorschriften an, um festzustellen, ob sich Art. 20 Abs. 1 EheGVO als Vorbild einer klaren Zuständigkeitsregelung für einstweilige Maßnahmen in Zivil- und Handelssachen eignen würde. Art. 20 EheGVO ist anwendbar, wenn einstweilige Maßnahmen die elterliche Verantwortung, die Eheauflösung oder sonst die Regelung eines einstweiligen Zustandes betreffen. Wie Art. 31 EuGVO erlaubt auch Art. 20 Abs. 1 EheGVO, dass die Gerichte eines Mitgliedstaates einstweilige Maßnahmen erlassen können, wenn sie nach innerstaatlichem Recht 568
Hess, IPRax 2006, 348, 355. Den gleichen Wortlaut wie Art. 20 Abs. 1 EheGVO hat die neue Regelung zur internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen im belgischen Internationalen Zivilverfahrensrecht. Art. 10 Code de droit international privé vom 16.7.2004 lautet: „Dans les cas d'urgence, les juridictions belges sont également compétentes pour prendre des mesures provisoires ou conservatoires et des mesures d'exécution concernant des personnes ou des biens se trouvant en Belgique lors de l'introduction de la demande, même si, en vertu de la présente loi, les juridictions belges ne sont pas compétentes pour connaître du fond.“ 570 Art. 12 EheGVO I und Art. 20 EheGVO II stimmen weitgehend überein. Lediglich der Satzbau wurde geändert und die „Sicherungsmaßnahmen“ und „Güter“ wurden durch „Schutzmaßnahmen“ und „Vermögensgegenstände“ ersetzt. Der deutlichste Unterschied ist die Einrichtung eines zweiten Absatzes in Art. 20 EheGVO. Dieser regelt, dass die einstweilige Maßnahme eines anderen Gerichts außer Kraft tritt, wenn das Gericht der Hauptsache ebenfalls eine solche Maßnahme getroffen hat. Wenngleich nicht kodifiziert, galt das Gleiche bereits im Rahmen von Art. 12 EheGVO I, Borrás-Bericht, ABl. EG 1998 C 221, S. 48. 571 Borrás-Bericht, ABl. EG 1998 C 221, S. 47. 569
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
dafür zuständig sind. 572 Doch ist Art. 20 Abs. 1 EheGVO an einigen Stellen präziser als Art. 31 EuGVO. So regelt Art. 20 EheGVO zum Beispiel die internationale Zuständigkeit nur in „dringenden Fällen“. Dieses Merkmal ergänzt den Tatbestand der autonomen Zuständigkeitsregelungen, für den Fall, dass lege fori kein Eilbedürfnis verlangt wird. 573 Während jedoch den über Art. 31 EuGVO erlassenen Maßnahmen die Dringlichkeit regelmäßig immanent ist, müssen die Maßnahmen in status- und sorgerechtlichen Verfahren, etwa während der Zeit des Getrenntlebens, nicht unbedingt dringlich sein. 574 Die Erfassung der Dringlichkeit in den Vorschriften für Zivil- und Handelssachen ist daher entbehrlich. 575 Anders lässt sich darüber denken, dass auf Art. 20 EheGVO gestützte Maßnahmen auf bestimmte, im betreffenden Mitgliedstaat befindliche Personen oder Vermögensgegenstände bezogen sein müssen. Auf diese Weise könnte die Voraussetzung des Ortsbezuges in Gesetzesform gegossen werden, was verglichen mit der ungeschriebenen Voraussetzung des EuGH größere Klarheit in der Anwendung von Art. 31 EuGVO zur Folge hätte. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Beschränkung auf Personen und Vermögensgegenstände im Gerichtsstaat in Art. 20 Abs. 1 EheGVO einen anderen Hintergrund als der Ortsbezug hat. Während einstweilige Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO den Anwendungsbereich der Verordnung beachten müssen, soll es Art. 20 Abs. 1 EheGVO ermöglichen, auch Personen und Vermögensgegenstände außerhalb des Anwendungsbereichs der EheGVO zu erreichen, die Wirkung der Maßnahmen aber territorial auf den jeweiligen Gerichtsstaat zu begrenzen. 576 Außerdem ist die Begrenzung auf im Erlassstaat befindliche Personen und Vermögensgegenstände im Rahmen der von der EuGVO geregelten Zivil- und Handelssachen zu eng. In diesem Bereich sind nur wenige Leistungsverfügungen unmittelbar auf höchstpersönliches Tun, Dulden oder Unterlassen oder auf die Herausgabe bestimmter Vermögensgegenstände gerichtet und die mit einer einstweiligen Maßnahme verfolgten Ziele vielfältig. 577 Für Anordnungen zur Herausgabe von Sachen oder zur Vornahme bestimmter Handlungen besteht im Familienrecht eher ein praktisches Bedürfnis. 578 Wegen 572
Vgl. dazu auch Erwägungsgrund 16 der EheGVO. Kramer, NIPR 2003, 240, 242; Rauscher, in: Rauscher, EuZPR, Art. 20 Brüssel IIaVO Rn. 15. 574 Rauscher, in: Rauscher, EuZPR, Art. 20 Brüssel IIa-VO Rn. 15. 575 Siehe S. 271 ff. 576 Borrás-Bericht, ABl. EG 1998 C 221, S. 47. Berechtigte Zweifel an dieser Auslegung hegt Rauscher, in: Rauscher, EuZPR, Art. 20 Brüssel IIa-VO Rn. 4. Zustimmend äußert sich hingegen Kramer, NIPR 2003, 240, 242. 577 Siehe dazu S. 344 ff. 578 Vgl. §§ 49 ff. FamFG. 573
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dieser Unterschiede ist die Begrenzung auf bestimmte Vermögensgegenstände im Rahmen des Ortsbezuges weiter zu verstehen als im Rahmen des Art. 20 Abs. 1 EheGVO. Eine Neufassung des Art. 31 EuGVO sollte sich daher nicht an der Formulierung von Art. 20 EheGVO orientieren. c) Eigener Regelungsvorschlag unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH Die Betrachtung von Art. 31 EuGVO hat gezeigt, dass die weite gesetzliche Fassung der Vorschrift behutsam eingeschränkt werden muss, ohne die Rechtsschutzmöglichkeiten zu sehr einzuengen. Der EuGH hat sich diesem Balanceakt gestellt, indem er eigene ungeschriebene Vorgaben für Art. 31 EuGVO entwickelte, welche nun die Anwendung modifizieren. Da der Gerichtshof die Voraussetzungen sehr allgemein gefasst hat, entstand jedoch eine diffuse Rechtslage. Zum Zwecke größerer Rechtsklarheit und Rechtssicherheit muss der Inhalt der Voraussetzungen so präzise wie möglich, aber so flexibel wie im einstweiligen Rechtsschutz nötig gestaltet werden. Methodisch gehört langfristig dazu, dass die ungeschriebenen Vorgaben in Art. 31 EuGVO eingearbeitet werden. Deshalb soll die vorangegangene Bestimmung des Inhalts der realen Verknüpfung und des Ortsbezuges in einen Regelungsvorschlag münden, 579 der die Aussagen des Gerichtshofs berücksichtigt, soweit sie zur Einschränkung geeignet erscheinen. Ein reformierter Art. 31 EuGVO sollte wie folgt lauten: (1) Für den Erlass einstweiliger Maßnahmen sind die Gerichte der Hauptsache und die nach nationalem Recht berufenen Gerichte international zuständig. (2) Nach nationalem Recht zuständige Gerichte können einstweilige Maßnahmen nur unter der Voraussetzung erlassen, dass eine reale Verknüpfung besteht. Die reale Verknüpfung erfordert eine Beziehung der zuständigkeitsbegründenden Merkmale zum Rechtsstreit, die insbesondere zu dem Staat hergestellt wird, in welchem die Maßnahme vollstreckt werden soll, sich aber auch durch die in Art. 2, 5–24 EuGVO genannten Anknüpfungsmerkmale ausdrücken kann.
579 Dedek, EWS 200, 246, 252, und Vlas, NILR 1999, 106, 109, bevorzugen es stattdessen abzuwarten, bis der EuGH selbst seine Rechtsprechung präzisiert. Bei anderen Regelungswerken war in den vergangenen Jahren große Aktivität zu verzeichnen. Es entstanden verschiedene neue Regelungen zur internationalen Zuständigkeit, die Art. 31 EuGVO ähneln und deren Grundgedanken aufgreifen, aber dennoch eigene Ideen zur internationalen Zuständigkeit zeigen. Zu nennen sind neben Art. 20 EheGVO beispielsweise Art. 10 Code de droit international privé belge, Art. 13 WBRv, Art. 10.4. der Vorschläge zum europäischen Zivilprozessrecht und Nr. 8 der ALI/UNIDROIT-Principles and Rules of Transnational Civil Procedure. Nahezu identisch mit Art. 31 EuGVO ist der Wortlaut von Art. 14 EuUHVO.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
(3) Für den Erlass von Leistungsverfügungen ist neben den Gerichten der Hauptsache nach Absatz 1 ausschließlich das Gericht am Vollstreckungsort zuständig. III. Weitere Aspekte der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen Einige Aspekte der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gehen über die unmittelbare Anwendung von Art. 31 EuGVO hinaus. Dazu gehören die Behandlung von Gerichtsstandsvereinbarungen, die Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung, das Verhältnis von ausschließlichen Zuständigkeiten zu denjenigen nach Art. 31 EuGVO, die Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit sowie die Zuständigkeit für die Aufhebung bereits erlassener einstweiliger Maßnahmen. Zu untersuchen ist, wie diese Themen nach van Uden und Mietz zu handhaben sind und insbesondere, ob die Rechtsprechung des EuGH zu Veränderungen geführt hat. 1. Gerichtsstandsvereinbarungen In Gerichtsstandsvereinbarungen können die an einem Rechtsverhältnis Beteiligten die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts festlegen und im Gegenzug auch gesetzlich zuständige Gerichte abwählen. Im europäischen Zivilprozessrecht für Zivil- und Handelssachen regelt Art. 23 EuGVO die Zulässigkeit und Wirksamkeit von Gerichtsstandsvereinbarungen. Dabei kann die Zuständigkeit des gewählten Gerichts als ausschließliche Zuständigkeit ausgestaltet werden. Anders als im autonomen deutschen Recht, in dem im Zweifel nicht von der Ausschließlichkeit eines vereinbarten Gerichtsstands auszugehen ist, gilt gemäß Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVO aber die Vermutung, dass die Zuständigkeit des vereinbarten Gerichts ausschließlich ist, sofern die Parteien nichts anderes vereinbart haben. 580 Ob und in welchem Umfang die Gerichtsstände für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 2 ff. oder Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht durch Vereinbarungen modifiziert werden können, ist jedoch nicht speziell geregelt. Gerichtsstandsvereinbarungen, die sich auf die Zuständigkeiten zum Erlass einstweiliger Maßnahmen auswirken, können auf unterschiedliche Weise zustande kommen. Denkbar ist, dass sich die Beteiligten auf eine ausschließliche Zuständigkeit für das Hauptsacheverfahren einigen und diese Vereinbarung ausdrücklich auf die Zuständigkeit des Hauptsachegerichts zum Erlass einstweiliger Maßnahmen erstrecken. 581 580
Schack, IZVR5, Rn. 520 und 541. Donzallaz, AJP 2000, 956, 962; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 12; Heinze, S. 206; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR, Art. 23 Brüssel I–VO Rn. 66. 581
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Möglich sind auch Vereinbarungen, die explizit nur für den einstweiligen Rechtsschutz getroffen werden. 582 Werden Gerichtsstandsvereinbarungen für den einstweiligen Rechtsschutz ausgehandelt, können die Beteiligten eines Rechtsverhältnisses festlegen, dass ein bestimmtes Gericht einstweilige Maßnahmen erlassen darf. Dieses Gericht entscheidet bei der Prüfung seiner Zuständigkeit über die Wirksamkeit der Gerichtsstandsvereinbarung und über ihre Reichweite. 583 Gerichtsstandsvereinbarungen für den einstweiligen Rechtsschutz betreffen neben den gemäß Art. 2 ff. auch die gemäß Art. 31 EuGVO eröffneten Zuständigkeiten der mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen. Geteilt sind die Meinungen darüber, ob die internationale Zuständigkeit inländischer Gerichte für den Erlass einstweiliger Maßnahmen auf diese Weise ausgeschlossen werden kann. Vertreten wird, dass mitgliedstaatliche Gerichte ihre Zuständigkeit ungeachtet einer anderslautenden Gerichtsstandsvereinbarung über Art. 31 EuGVO stets auf autonomes Recht stützen können. 584 Die Gerichtsstandsvereinbarung hätte also lediglich Prorogations-, aber keine Derogationswirkung. Überzeugend ist diese Folgerung nicht. Können die Parteien über den Streitgegenstand und damit das gesamte Verfahren disponieren, muss ihnen die Möglichkeit offenstehen, auf bestimmte Entscheidungszuständigkeiten für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zu verzichten. 585 Wenn die Parteien ihren Willen zur Derogation deutlich zum Ausdruck bringen, braucht man sie nicht vor deren Konsequenzen zu bewahren. Sie wollen sich gerade darauf einstellen, am vereinbarten Gerichtsstand anstatt an vielen verschiedenen Gerichtsständen klagen bzw. verklagt werden zu können. Der Wille, den Kreis der gesetzlichen internationalen Zuständigkeiten und damit den Radius des eigenen Rechtsschutzes einzuschränken, ist zu respektieren. Auch das Abstellen auf § 802 ZPO in doppelfunktionaler Anwendung verhilft zu keiner tragfähigen Begründung dafür, dass inländische Gerichtsstände, die gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit autonomem deutschem Recht eröffnet wären, durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht derogiert werden können. Argumentiert wird, die internationale Zu582 Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 346; Eilers, S. 217 f.; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 141; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR, Art. 23 Brüssel I–VO Rn. 66; Verheul, Rechtsmacht, Deel 1, S. 137. 583 Matthews, CJQ 14 (1995), 190, 195. 584 Collins, Yb. Eur. L. 1981, 249, 258; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 103; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 33; van Houtte/Pertegàs Sender, S. 130. 585 So auch Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 143; Matthews, CJQ 14 (1995), 190, 195; Merkt, S. 124; Schack, IZVR5, Rn. 478 und 511; Wannenmacher, S. 259 f.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
ständigkeit für einstweilige Verfügungen sei wegen § 802 ZPO ausschließlich und deshalb gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 2 ZPO derogationsfest, also dem Parteiwillen entzogen. 586 Zutreffend ist, dass § 802 ZPO die Ausschließlichkeit der Gerichtsstände des 8. Buches der Zivilprozessordnung vorsieht. Dieser Teil der Zivilprozessordnung enthält neben den Vorschriften zur Zwangsvollstreckung diejenigen zum einstweiligen Rechtsschutz einschließlich der Zuständigkeitsregelungen für einstweilige Verfügungen in § 937 Abs. 1 und § 942 Abs. 1 ZPO. Es war jedoch nach einhelliger Ansicht systematisch verfehlt, den einstweiligen Rechtsschutz in das 8. Buch der ZPO einzuordnen. 587 Denn der Erlass einstweiliger Maßnahmen erfolgt in einem (abgekürzten) Erkenntnisverfahren, das vom vollstreckungsrechtlichen Element des vorläufigen Rechtsschutzes unabhängig ist. 588 Außerdem versucht § 802 ZPO mit der Anordnung der Ausschließlichkeit im Fall der Zuständigkeit deutscher Vollstreckungsorgane lediglich, für einen Ausgleich der Gläubiger- und Schuldnerinteressen zu sorgen, untersagt aber nicht gleichzeitig, dass sich die Parteien einer Zuständigkeitsordnung unterwerfen können, die nach anderen Maßstäben verfährt. 589 Sofern über den betroffenen Streitgegenstand disponiert werden kann, muss es den Parteien also freistehen, nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht eröffnete Zuständigkeiten für den Erlass einstweiliger Maßnahmen zu derogieren. Wenn eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung für den einstweiligen Rechtsschutz fehlt, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob sich eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache auf die Zuständigkeiten für den einstweiligen Rechtsschutz erstrecken soll. Eine Vereinbarung für alle mit einem bestimmten Rechtsverhältnis verbundenen Streitigkeiten kann dahingehend auszulegen sein, dass sie den einstweiligen Rechtsschutz erfassen soll, 590 mit der Folge, dass sie wie eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung zu behandeln ist. Wenn die Vereinbarung allein und ausdrücklich die Hauptsache erwähnt, ist allerdings kein Raum für eine derartige Interpretation. 591 Hierfür müssten dann weitere Anhaltspunkte vorliegen. 592 586
Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 104. A.A. Eilers, S. 29 ff.; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Schack, IZVR5, Rn. 477 f. 587 Eilers, S. 30; Gronstedt, S. 41; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 179; Schack, IZVR5, Rn. 477. 588 Eilers, S. 30; Gronstedt, S. 41 f.; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180. 589 Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180. 590 Typische Formulierungsbeispiele bei Heinze, S. 206 f. 591 Mankowski, in: Rauscher, EuZPR, Art. 23 Brüssel I–VO Rn. 66. 592 Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 12; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Wannenmacher, S. 264.
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Die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands für die Hauptsache würde sich für den einstweiligen Rechtsschutz dahingehend auswirken, dass das vereinbarte Hauptsachegericht auch die Befugnis zum Erlass einstweiliger Maßnahmen erhält. 593 Von einem Interesse der Parteien an einer derartigen Prorogationswirkung ist vor dem Hintergrund auszugehen, dass eine Bündelung der Zuständigkeiten an einem Gerichtsstand prozessökonomisch ist und das Gericht der Hauptsache nicht wie die Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO den Einschränkungen des EuGH unterliegt. 594 Die hauptsacheakzessorische Kompetenz zum Erlass einstweiliger Maßnahmen ist dann allerdings auf das gewählte Gericht begrenzt. Die übrigen Hauptsachezuständigkeiten aus Art. 2 ff. EuGVO sind derogiert. 595 Nach richtiger, aber nicht unbestrittener Ansicht gilt die Vereinbarung eines ausschließlichen Gerichtsstands für die Hauptsache im Zweifel aber nicht für die über Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständigen Gerichte. 596 Hierfür spricht der eigenständige Charakter einstweiliger Verfahren gegenüber der Hauptsache. Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes sind kein Teil des ggf. folgenden Hauptsacheverfahrens, sondern von diesem weitgehend unabhängig. 597 Ist es nicht eindeutig, dass die Parteien bestimmte Gerichtsstände vereinbart und andere ausgeschlossen haben, darf nicht zu ihren Lasten davon ausgegangen werden. 598 Sonst würde das Anliegen von Art. 31 EuGVO, die Zuständigkeiten im einstweiligen Rechtsschutz zugunsten des Gläubigers auszudehnen und ihm durch großzügige Gerichtsstandseröffnung effektiven Rechtsschutz zu sichern, ins Gegenteil verkehrt. 599 Bei der Auslegung einer Gerichtsstandsvereinbarung muss zudem beachtet werden, dass Eilverfahren schnell und effizient sein müssen. Gesichtspunkte des Gläubigerschutzes sprechen deshalb dafür, dass insbesondere die Zuständigkeit eines Staates, in welchem der 593
Heinze, S. 207; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 103; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR, Art. 23 Brüssel I–VO Rn. 66. 594 Heinze, S. 207. 595 Heinze, S. 207; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 103. 596 Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 346; Collins, Civil Jurisdiction and Jugdments Act 1982, S. 90; Donzallaz, AJP 2000, 956, 962; Gassmann, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 85, 113; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 12; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 23 Rn. 103; Kurtz, S. 77 ff.; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 33; Schack, IZVR5, Rn. 478; Wannenmacher, S. 264. A.A. OLG Stuttgart RIW 2001, 228; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 23 EuGVVO Rn. 192; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 11; Schütze, IZPR, Rn. 421. 597 Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 12; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Wannenmacher, S. 264. 598 Carl, S. 288; Eilers, S. 220; Schack, IZVR5, Rn. 478. 599 Schack, IZVR5, Rn. 477.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Schuldner über vollstreckungsfähiges Vermögen verfügt, nicht derogiert ist. 600 Die Grundsätze des EuGH zu den Auswirkungen von Schiedsvereinbarungen für die Hauptsache, nach denen die Zuständigkeiten gemäß Art. 2 ff. ausgeschlossen, diejenigen gemäß Art. 31 EuGVO jedoch zu bejahen sind, 601 haben ein ähnliches Resultat. Auf die Zuständigkeit gemäß § 937 Abs. 1 ZPO wirkt sich eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache demnach regelmäßig nur insoweit aus, als sie festlegt, welches Hauptsachegericht berufen wird. 602 Den über Art. 31 EuGVO anwendbaren § 942 ZPO lässt eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache unberührt. 603 Die in Art. 23 Abs. 1 Satz 2 EuGVO normierte Zweifelsregelung, wonach es sich bei vereinbarten Zuständigkeiten im Zweifel um ausschließliche handelt, wenn die Parteien nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt haben, gilt für die Zuständigkeiten des nationalen Rechts nicht. Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes muss das Ziel, möglichst große Klarheit über das anzurufende Gericht zu schaffen, 604 hinter dem Anliegen zurücktreten, dem Gläubiger ausgedehnte Zuständigkeiten zu verschaffen oder ihn zumindest vor erheblichen Einschränkungen seiner Rechtsschutzmöglichkeiten zu schützen. Bei Leistungsverfügungen ist die Situation nicht anders zu beurteilen. Allein weil eine Leistungsverfügung die Hauptsache inhaltlich vorwegnimmt, kann nicht unterstellt werden, dass die Parteien eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache auf das einstweilige Verfahren erstrecken wollten. Um Leistungsverfügungen beantragen und später dort vollstrecken zu können, wo der Schuldner über Vermögen verfügt, möchte sich der Gläubiger erwartungsgemäß unabhängig vom vereinbarten Hauptsachegerichtsstand auf dort bestehende Zuständigkeiten stützen. Die Rechtsprechung des EuGH zu Leistungsverfügungen fördert jedenfalls mittelbar die Unabhängigkeit der Regelungen der internationalen Zuständigkeit gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht von Gerichtsstandsvereinbarungen in der Hauptsache. Der EuGH machte deutlich, dass Entscheidungszuständigkeiten für den Erlass einstweiliger Maßnahmen in einem Mitgliedstaat auch dann eröffnet sein können, wenn eine Hauptsachezuständigkeit in einem anderen Mitgliedstaat besteht. Zwar bezog sich van Uden nicht auf Gerichtsstandsvereinbarungen, sondern auf eine für die Hauptsache getroffene Schiedsvereinbarung, doch ist 600
Mankowski, in: Rauscher, EuZPR, Art. 23 Brüssel I–VO Rn. 66. EuGHE 1998, 7091 Rn. 24 f. – van Uden/DecoLine; siehe oben S. 299 ff. 602 OLG Stuttgart RIW 2001, 228 mit im Ergebnis zust. Anm. Gesser. 603 So auch Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 180; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 34; Schack, IZVR5, Rn. 478. 604 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 37. 601
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die Situation vergleichbar. Dahinter steht jeweils die vom EuGH verneinte Frage, ob eine Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht das Bestehen einer Hauptsachezuständigkeit voraussetzt. 605 Seine Linie weiterverfolgend, bestätigte der EuGH in Italian Leather, dass ein deutsches Gericht für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme zuständig sein kann, obwohl die Parteien für die Hauptsache die Zuständigkeit eines italienischen Gerichts vereinbart haben. 606 2. Zuständigkeit durch rügelose Einlassung Die internationale Zuständigkeit eines Gerichts, das nicht schon aufgrund einer anderen Vorschrift zuständig ist, kann gemäß Art. 24 EuGVO dadurch begründet werden, dass sich der Beklagte vor diesem Gericht auf das Verfahren einlässt, ohne den Mangel der Zuständigkeit geltend zu machen. Dies gilt nur dann nicht, wenn eine ausschließliche Zuständigkeit nach Art. 22 EuGVO besteht. Anders als § 39 ZPO verlangt Art. 24 EuGVO kein mündliches Verhandeln zur Hauptsache. Es genügt eine Einlassung auf das Verfahren. Darunter fällt jede Art der Verteidigung, die unmittelbar auf das Ziel einer Klagabweisung gerichtet ist. 607 Bevor die Entscheidungen van Uden und Mietz zu erheblichen Änderungen im grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutz führten, war es anerkannt, dass durch rügelose Einlassung auch eine Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen entstehen konnte. 608 Der vor 1998 für eine rügelose Einlassung im einstweiligen Rechtsschutz eröffnete Anwendungsbereich dürfte aber gering gewesen sein. Angesichts der vielen Gerichtsstände, die über Art. 24 EuGVÜ eröffnet werden konnten, dürfte das angerufene Gericht nur in seltenen Fällen nicht schon aufgrund dieser Norm in Verbindung mit nationalen Regelungen zuständig gewesen sein. 609 Als der EuGH die Zuständigkeiten der autonomen Prozessordnungen einschränkte, überdachte er auch die Rolle der Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung im einstweiligen Rechtsschutz. Würden die Einschränkungen in van Uden und Mietz nicht auch für die Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung gelten, könnte der Antragsteller, wenn sich der Antragsgegner rügelos einlässt, diese Zuständigkeit als Schlupfloch benutzen, um die Einschränkungen des EuGH zu umgehen. Da dies nicht im Sinne des Gerichtshofs sein konnte, wies er in Mietz folgerichtig darauf hin, dass es für 605
EuGHE 1998, 7091 Rn. 34 – van Uden/DecoLine. EuGHE 2002, 4995 Rn. 39 – Italian Leather/WECO. 607 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 24 Rn. 7; Schulte-Beckhausen, S. 164. 608 OLG Düsseldorf WM 1978, 359, 360; Kropholler, EuZPR6, Art. 18 Rn. 7; Merkt, S. 106; Schulte-Beckhausen, S. 116. 609 So auch Schulte-Beckhausen, S. 116 f. 606
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
die Eröffnung einer unbegrenzten Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht ausreicht, dass sich der Antragsgegner auf ein einstweiliges Verfahren rügelos einlässt. 610 Diesen Ausführungen wird verbreitet entnommen, dass es eine Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung im einstweiligen Rechtsschutz nicht mehr gebe. 611 Dies ist jedoch nicht der Fall. Lässt sich der Antragsgegner im Hauptsacheverfahren rügelos ein, dann wird das Gericht für die Hauptsache zuständig. Automatisch entsteht damit auch eine Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen. Wenn die Einschränkungen aus van Uden und Mietz beachtet werden, ist kein Grund ersichtlich, die Zuständigkeitsbegründung durch rügelose Einlassung auf ein einstweiliges Verfahren zu verneinen. 612 Der EuGH stellte fest, dass eine rügelose Einlassung in einem summarischen Verfahren nicht schon ausreiche, um dem Gericht eine Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen zuzuweisen, „als wäre es nach dem Übereinkommen für die Entscheidung in der Hauptsache zuständig“. 613 Somit kann durch eine rügelose Einlassung im einstweiligen Rechtsschutz keine Zuständigkeit entstehen, die wie die Hauptsachezuständigkeiten nach Art. 2 ff. EuGVO ohne die Prüfung einer realen Verknüpfung begründet wird. Möglich sind aber Zuständigkeiten, die eine reale Verknüpfung herstellen. Die Vorgaben aus van Uden und Mietz bewahren den Antragsgegner vor sachfremden Gerichtsständen, so dass es nicht erforderlich ist, zu seinem Schutz eine Zuständigkeitsbegründung kraft rügeloser Einlassung vollständig zu versagen. 614 Der Antragsgegner ist selbst dann nicht schutzlos, wenn er den Zuständigkeitsmangel gerügt hat, das angerufene Gericht aber zu Unrecht von seiner Zuständigkeit ausgeht. Zwar wird die Zuständigkeit in diesem Fall im Verfahren der Anerkennung und Vollstreckung grundsätzlich nicht mehr nachgeprüft. 615 Vor der Anerkennung einer auf Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht gestützten einstweiligen Maßnahme wird aber das Erfordernis der realen Verknüpfung geprüft und die Anerkennung versagt, sollte die Verknüpfung nicht vorliegen. Außerdem steht 610
EuGHE 1999, 2277 Rn. 52 – Mietz/Intership Yachting. Auer, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 24 EuGVO Rn. 11; Heinze, S. 209; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 24 Rn. 7 (anders noch bis zur 6. Auflage, Kropholler, EuZPR6, Art. 18 Rn. 7); Schlosser, EU-ZPR, Art. 24 EuGVVO Rn. 1; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231. 612 So auch Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 26; Wannenmacher, S. 260 f. Für die Anwendbarkeit von Art. 24 EuGVO ohne die Einschränkungen der Entscheidungen van Uden und Mietz: Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 81. 613 EuGHE 1999, 2277 Rn. 52 – Mietz/Intership Yachting. 614 So aber Heinze, S. 209; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231. 615 Siehe Art. 33, 34, 35 und 41 EuGVO. 611
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es dem Antragsgegner frei, im Rechtsbehelfswege gegen die ergangene Maßnahme vorzugehen und sich darauf zu berufen, dass er die Unzuständigkeit des Erlassgerichts gerügt habe, wenn das anwendbare mitgliedstaatliche Recht einen Rechtsbehelf vorsieht. 616 Zu unterscheiden ist allerdings zwischen den Folgen der rügelosen Einlassung auf das Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes für eben dieses Eilverfahren und das davon unabhängige Hauptsacheverfahren. 617 Eine Veränderung der Kompetenzverteilung im Hinblick auf die Hauptsache sollte hiermit nicht einhergehen. Das bedeutet, dass eine Zuständigkeit kraft rügeloser Einlassung auf ein einstweiliges Verfahren keine Zuständigkeit für die Hauptsache begründet. 618 3. Ausschließliche Zuständigkeiten Fraglich ist, wie sich die Ausschließlichkeit eines Hauptsachegerichts auf die Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO auswirkt. Ausschließliche Gerichtsstände gemäß Art. 22 EuGVO stehen in der Hierarchie der Zuständigkeiten der Verordnung grundsätzlich an der Spitze. 619 Sie können durch eine Gerichtsstandsvereinbarung nicht überwunden werden, Art. 23 Abs. 5 EuGVO. Bleiben sie unberücksichtigt, muss sich das angerufene Gericht gemäß Art. 25 EuGVO von Amts wegen für unzuständig erklären. Anderenfalls scheitert die Anerkennung der ergangenen Entscheidung, Art. 35 Abs. 1 EuGVO. Die gemäß Art. 22 EuGVO ausschließlich zuständigen Gerichte der Hauptsache sind auch zum Erlass einstweiliger Maßnahmen befugt. 620 Problematisch ist allerdings, ob die ausschließlichen Gerichtsstände ihre Ausschließlichkeit behalten, wenn Art. 31 EuGVO eingreifen könnte. Das würde bedeuten, dass die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht nicht herangezogen werden könnten. Nach herrschender Meinung haben die für die Hauptsache ausschließlichen Gerichtsstände jedoch keine ausschließende Wirkung für die Zuständigkeiten zum Erlass einstweiliger Maßnahmen. Vielmehr wird davon ausgegangen, dass die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht fortbestehen. 621 Der Antragsteller kann also auch dann zwi616
Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 81. Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 6; Wannenmacher, S. 261 f. 618 Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 6; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 8; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 14; Wannenmacher, S. 261 f. 619 Heinze, S. 200. 620 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 139. 621 EuGHE 1999, 2277 Rn. 45 f. – Mietz/Intership Yachting; Donzallaz, AJP 2000, 956, 962; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 22 EuGVVO Rn. 29; Gottwald, in: MüKoZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Gronstedt, S. 24 f.; Heinze, S. 203, 243; Kramer, Kort geding in 617
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schen der Zuständigkeit des Hauptsachegerichts und den nationalen Zuständigkeiten wählen, wenn nach EuGVO für die Hauptsache eine ausschließliche Zuständigkeit begründet ist. 622 Die herrschende Auffassung steht im Einklang mit dem Jenard-Bericht: „Grundsätzlich begründen die in Artikel 16 aufgezählten Streitsachen einen ausschließlichen Gerichtsstand nur dann, wenn das Gericht über sie als Hauptsache zu entscheiden hat.“ 623 Außerdem unterscheidet der Wortlaut von Art. 31 EuGVO nicht zwischen ausschließlichen und anderen Zuständigkeiten, so dass eine differenzierte Behandlung der Zuständigkeiten hiernach nicht geboten erscheint. Die systematische Stellung von Art. 31 hinter Art. 25 EuGVO spricht ebenfalls dafür, den Einwand der ausschließlichen Zuständigkeit eines anderen Gerichts, der im Hauptsacheverfahren zu einem Zuständigkeitsausschluss führen würde, im einstweiligen Rechtsschutz nicht zur Anwendung kommen zu lassen. 624 Schließlich spricht auch der Zweck von Art. 31 EuGVO gegen einen Vorrang der ausschließlichen Zuständigkeiten. Der Eilrechtsschutz soll neben dem hauptsacheakzessorischen Rechtsschutz gewährt werden. Das muss auch dann gelten, wenn in der Hauptsache eine ausschließliche Zuständigkeit eröffnet ist. 625 Art. 31 EuGVO stellt eine Ausnahmeerscheinung im sonst vereinheitlichten Zuständigkeitssystem dar, so dass er ebenfalls als Ausnahme zu Art. 25 EuGVO anzusehen ist. 626 Im Ergebnis können die Gerichte eines Mitgliedstaates einstweilige Maßnahmen deshalb auch in den Fällen erlassen, in denen die Gerichte eines anderen Mitgliedstaates nach Art. 22 EuGVO für die Hauptsache ausschließlich zuständig sind. 4. Folgen anderweitiger Rechtshängigkeit Da die Zuständigkeiten für den Erlass einstweiliger Maßnahmen gegenüber den Zuständigkeiten für ordentliche Verfahren wegen Art. 31 EuGVO weiter und flexibler sind, können nicht selten Entscheidungen in mehreren Mitgliedstaaten ergehen. Für die Anwendung von Art. 31 EuGVO spielt es deshalb eine nicht unerhebliche Rolle, wie sich Art. 27 EuGVO auf die Zuständigkeiten zum Erlass einstweiliger Maßnahmen auswirkt. Art. 27 EuGVO bestimmt die Folgen mehrfacher Rechtshängigkeit nach dem Prioritätsgrundsatz. Werden Klagen, die denselben Anspruch zwiinternationaal perspectief, S. 141; Leible/Freitag, § 7 Rn. 21; Matthews, CJQ 14 (1995), 190, 194 f.; Wannenmacher, S. 211 f., 233. A.A. O’Malley/Layton, Nr. 24.08; Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 630. 622 Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 31 EuGVO Rn. 5; Leible/Freitag, § 7 Rn. 21. 623 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 1, 34. 624 Heinze, S. 243. 625 Heinze, S. 203. 626 Gronstedt, S. 24 f.
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schen denselben Parteien betreffen, in verschiedenen Mitgliedstaaten erhoben, muss das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts wegen aussetzen, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts fest steht, Art. 27 Abs. 1 EuGVO. Hat das zuerst angerufene Gericht seine Zuständigkeit ermittelt, muss sich das später angerufene Gericht für unzuständig erklären, Art. 27 Abs. 2 EuGVO. Die Beachtung der anderweitigen Rechtshängigkeit verhindert, dass doppelte Prozesse die Ressourcen der Justiz unnötig belasten und dass widersprechende Entscheidungen ergehen. 627 Die Zielsetzung der Verfahrenskoordination kommt dem Interesse beider Parteien an effizienter Gerichtstätigkeit entgegen und schützt den Beklagten vor mehreren Verfahren an unterschiedlichen Orten. Positive Zuständigkeitskonflikte werden aufgelöst. Von vornherein vermieden wird die in Art. 34 Nr. 3 EuGVO geregelte Situation, dass eine Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer anderen zwischen denselben Parteien ergangenen Entscheidung nicht anerkannt wird. 628 Die Konsequenz ist allerdings, dass sich der Kläger für ein Gericht entscheiden muss. Konfliktpotential besteht deshalb zur Konzeption des Art. 31 EuGVO, eines Nebeneinanders von zwei verschiedenen Zuständigkeitssystemen. Im einstweiligen Rechtsschutz können parallele Verfahren dadurch entstehen, dass neben dem mit der Hauptsache befassten Gericht ein anderes Gericht angerufen wird oder dass der Erlass einstweiliger Maßnahmen bei mehreren Gerichten, die nicht für die Hauptsache zuständig sind, in verschiedenen Mitgliedstaaten beantragt wird. a) Hauptsache und einstweilige Verfahren Im Verhältnis der Hauptsache zu einstweiligen Verfahren wird Art. 27 EuGVO zu Recht verbreitet für nicht anwendbar gehalten. 629 Die Rechts-
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EuGHE 1987, 4861 Rn. 8 f., 18 – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1991, 3317 Rn. 16 – Overseas/New Hampshire; EuGHE 2003, 14693 Rn. 41 – Erich Gasser GmbH/MISAT Srl; EuGHE 2004, 9657 Rn. 31 – Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer; Fähndrich/Ibbeken, GRUR Int. 2003, 616, 622 f.; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 1; Heinze, S. 260; Isenburg-Epple, S. 47; Kropholler/von Hein, EuZPR9, vor Art. 27 Rn. 1; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I–VO Rn. 1; Schack, IZVR5, Rn. 833 f. 628 EuGHE 1987, 4861 Rn. 8 f., 18 – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1991, 3317 Rn. 16 – Overseas/New Hampshire; EuGHE 2003, 14693 Rn. 41 – Erich Gasser GmbH/MISAT Srl; EuGHE 2004, 9657 Rn. 31 – Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer. 629 OGH GRUR Int. 2002, 936, 937; Albrecht, S. 176; Carl, S. 212; Demeyere, RW 1999– 2000, 1353, 1359; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 46; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 12; Gronstedt, S. 310; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 248; Kaye, S. 1224; Kofmel Ehrenzeller, S. 251; Kramer, CML Rev. 2003, 953, 959 f.; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I–VO Rn. 13; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 12; Pansch, S. 69 f.; Polak, Ars Aequi 52 (2003), 118, 122; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationa-
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
hängigkeit der Hauptsache hindert deshalb nicht die Zuständigkeit der gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes heranzuziehenden Gerichte. 630 Nach dem Wortlaut wäre zu erwägen, die Anwendung des Art. 27 EuGVO im Verhältnis der Hauptsache zum einstweiligen Rechtsschutz bereits daran scheitern zu lassen, dass die Vorschrift von „Klagen“ spricht. Jedoch wird der Begriff weit ausgelegt und erfasst neben Klagen im technischen Sinne auch andere gerichtliche Verfahren, die wie der einstweilige Rechtsschutz unter die EuGVO fallen. 631 Dass Art. 27 EuGVO im einstweiligen Rechtsschutz nicht anwendbar ist, lässt sich jedoch damit begründen, dass die Regelung Verfahren wegen desselben Anspruchs fordert. In welchen Fällen derselbe Anspruch vorliegt, ist autonom auszulegen, denn die Vorschrift soll in allen Mitgliedstaaten einheitlich angewandt werden. 632 Um denselben Anspruch handelt es sich, wenn zwei Verfahren auf derselben Grundlage beruhen und denselben Gegenstand haben. 633 Die Grundlage bilden der Lebenssachverhalt und die Rechtsnorm, auf welche das Verfahren gestützt wird. 634 Mit dem Gegenstand ist der Zweck des Verfahrens gemeint. 635 Zwar vertritt der EuGH einen weiten Verfahrensgegenstandsbegriff, so dass Art. 27 EuGVO schon dann eingreift, wenn sich die „Kernpunkte“ der Verfahren gleichen. 636 Einstweilige Verfahren beruhen dennoch auf anderer Grundlage als Hauptsacheverfahren. Sie haben einen anderen Gegenstand und verfolgen ein anderes Ziel als das Hauptsacheverfahren, weil sie zur vorläufigen ler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 15; Stadler, JZ 1999, 1089, 1094; Wannenmacher, S. 217 f.; Wittibschlager, S. 93. 630 OGH GRUR Int. 2002, 936, 937; BGH NJW 1986, 662 f.; Carl, S. 212; Fähndrich/ Ibbeken, GRUR Int. 2003, 616, 623; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 46; Grothe, IPRax 2004, 83, 88; Grundmann, S. 122 (zum LugÜ); Hess, EuZPR, § 6 Rn. 248; Kaye, S. 1224; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 19; Kurtz, S. 74; Nagel/ Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 12; Pansch, S. 70; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 317. 631 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 19; Isenburg-Epple, S. 74; Schlosser, EU-ZPR, Art. 27 EuGVVO Rn. 1; Wannenmacher, S. 218. 632 EuGHE 1994, 5460 Rn. 30 – The Tatry; EuGHE 1998, 3075 Rn. 10 – Drouot assurances/CMI. 633 Der EuGH stellt hier auf die französische Fassung des Art. 21 EuGVÜ ab: „demandes ayant le même objet et la même cause“. EuGHE 1987, 4861 Rn. 14 – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1994, 5460 Rn. 39, 41 – The Tatry. 634 EuGHE 1987, 4861 Rn. 15 – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1994, 5460 Rn. 39 – The Tatry; EuGHE 2004, 9657 Rn. 38 – Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer. 635 EuGHE 1987, 4861 Rn. 15–17 – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1994, 5460 Rn. 41 – The Tatry; EuGHE 2003, 4207 Rn. 25 – Gantner Electronic GmbH/Basch Exploitatie. 636 EuGHE 1987, 4861 Rn. 16 f. – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1994, 5460 Rn. 30 – The Tatry. Für die weite Auslegung durch den EuGH Schack, IPRax 1989, 139, 140, dagegen Isenburg-Epple, S. 260.
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Sicherung eines Anspruchs oder zur vorläufigen Regelung eines Zustands eingesetzt werden und nicht wie das ordentliche Verfahren eine endgültige Entscheidung treffen. 637 Diese Argumentation wird auch durch die Rechtsprechung des EuGH zur Anwendbarkeit der EuGVO auf einstweilige Maßnahmen gestützt. 638 Nach Auffassung des Gerichtshofs richtet sich die Zugehörigkeit einstweiliger Maßnahmen zum Anwendungsbereich nicht nach der Rechtsnatur der einstweiligen Maßnahme selbst, sondern nach der Rechtsnatur der mit ihnen geltend gemachten Ansprüche. 639 Die Begründung mit der fehlenden Anspruchsidentität stößt an ihre Grenzen bei Leistungsverfügungen, die wie die Hauptsache auf Erfüllung gerichtet sind und den gleichen Verfahrensgegenstand wie die Hauptsache haben. 640 In diesem Zusammenhang ist auf die besondere Aufgabe des Art. 31 EuGVO zu verweisen, in Situationen, in denen die Hauptsache keine zügige oder sonst ausreichende Hilfe verspricht, dort effektiven einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren, wo die Vollstreckung Erfolg verspricht. Art. 31 EuGVO soll gerade verdeutlichen, dass parallel zu einer ausländischen Hauptsachezuständigkeit im Inland vollstreckungsnahe Eilzuständigkeiten bestehen können. Diese Intention könnte nicht erfüllt werden, wenn bei Rechtshängigkeit der Hauptsache die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen wegen des Prioritätsgrundsatzes aus Art. 27 EuGVO versagt werden und ein langwieriges Hauptsacheverfahren mit anschließender Vollstreckbarerklärung im Vollstreckungsstaat durchlaufen werden müsste. Der EuGH hat zum Ausdruck gebracht, dass die Anhängigkeit der Hauptsache bei dem Gericht eines Mitgliedstaats der Zuständigkeit eines weiteren Gerichts in einem anderen Mitgliedstaat zum Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht entgegensteht. 641 Da der Gerichtshof die Funktion der Leistungsverfügungen in grenzüberschreitenden Streitigkeiten für wichtig hält, wollte er auch Leistungsverfügungen von Art. 31 637
OLG Hamburg EWiR 1997, 791, mit Anm. Mankowski; Carl, S. 285 f.; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 47; Gottwald, in: MüKo-ZPO, Art. 27 EuGVO Rn. 12; Grundmann, S. 122; Heinze, S. 269; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 27 EuGVVO Rn. 6; Kramer, CML Rev. 2003, 953, 960; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 27 Rn. 14; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I–VO Rn. 13; Wannenmacher, S. 218; Wittibschlager, S. 93. 638 Heinze, S. 269. 639 EuGHE 1979, 1055 Rn. 8 – de Cavel I; EuGHE 1980, 731 Rn. 7, 9 – de Cavel II; siehe oben S. 246. 640 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 60; Grothe, IPRax 2004, 83, 88; Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224 Fn. 57; Stadler, JZ 1999, 1089, 1094 f. Anders Pansch, S. 69, demzufolge die Streitgegenstände von Leistungsverfügung und Hauptsache verschieden seien, weil auch Leistungsverfügungen nur der Sicherung der Hauptsache dienten. Sicherungsmittel der Leistungsverfügung sei die vorläufige Erfüllung. 641 EuGHE 1998, 7091 Rn. 29 – van Uden/DecoLine.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
EuGVO erfasst wissen und nationale Zuständigkeiten für ihren Erlass zur Verfügung stellen. 642 Art. 27 EuGVO ist deshalb im Verhältnis der Hauptsache zu einstweiligen Verfügungen einschließlich Leistungsverfügungen nicht anwendbar. Die Vorschrift ist so zu verstehen, dass sie nur widersprechende Entscheidungen vermeiden will, die eine endgültige Regelung treffen. Hiermit ist eine rechtliche Endgültigkeit der Hauptsache und nicht bloß die faktische Endgültigkeit von Leistungsverfügungen gemeint. 643 Art. 27 EuGVO in Ausnahmefällen dennoch anzuwenden, kommt nicht in Betracht. Weder erforderlich noch praktikabel erscheint etwa der Vorschlag, im Wege eines Kooperationsverhältnisses zwischen dem Hauptsachegericht und anderen Gerichten auf Art. 27 EuGVO zurückzugreifen, wenn das Hauptsachegericht für den Erlass einer einstweiligen Maßnahme besser geeignet erscheint als ein anderes angerufenes Gericht. 644 Ebenfalls abzulehnen ist der Vorschlag, dass sich letztlich immer das Gericht der Hauptsache gegenüber sonstigen Gerichten durchsetzen müsse. 645 Ein gemäß Art. 31 EuGVO zuständiges Gericht sei deshalb verpflichtet, eine einstweilige Maßnahme wieder aufzuheben, wenn ein nach Art. 2 ff. EuGVO berufenes Gericht entschieden habe. Die Begründung, einstweilige Verfahren hätten gegenüber der Hauptsache nur dienende Funktion, 646 passt insbesondere nicht bei Leistungsverfügungen. Nahezu eine Selbstverständlichkeit ist es, dass einstweilige Verfahren keine Rechtshängigkeitssperre für Hauptsacheverfahren entfalten dürfen. 647 Sonst könnte durch einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme bei einem nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständigen Gericht die Zuständigkeit des Hauptsachegerichts gemäß Art. 2 ff. EuGVO blockiert werden. 648 Der Kläger könnte eine Leis642
EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. Carl, S. 285 f. 644 So aber Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 47; Jametti Greiner, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 11, 34; Stadler, JZ 1999, 1089, 1095. In diesem Sinne auch die Helsinki-Regeln Nr. 10 und 14: „The jurisdiction to grant provisional and protective measures should be independent from jurisdiction on the merits.“ und „There may be scope for the court exercising substantive jurisdiction to play a supervisory role, on the application of the defendant, over provisional and protective measures granted in other countries, considering in particular whether in aggregate those measures are justifiable in the light of the action as a whole, and the amount claimed in it.“ Abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 202. 645 So Wolf, EWS 2000, 11, 15. 646 Wolf, EWS 2000, 11, 15. 647 OLG Hamburg EWiR 1997, 791; Albrecht, S. 176; Heinze, S. 269; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I–VO Rn. 13; Mankowski, JZ 2005, 1144, 1148; Pansch, S. 69 f.; Schlosser, EU-ZPR, Art. 27 EuGVVO Rn. 5; Wittibschlager, S. 93. 648 Heinze, S. 269; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 27 Rn. 14; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I–VO Rn. 13. 643
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tungsverfügung an einem seinen Interessen entgegen kommenden Gerichtsstand beantragen und dem Beklagten für die Dauer dieses Verfahrens den Zugang zum Hauptsachegerichtsstand an seinem Wohnsitz verwehren. In Hauptsacheverfahren ist diese Instrumentalisierung der Rechtshängigkeitssperre als „Torpedo“ 649 gefürchtet. Das bedeutet, dass gegen denjenigen, der ein gerichtliches Vorgehen erwägt, in einem für seine überlange Verfahrensdauer bekannten Mitgliedstaat 650 negative Feststellungsklage erhoben wird, um effektiven Rechtsschutz gegen die eigentliche Rechtsverletzung hinauszuzögern. 651 Eine solche – teilweise rechtsmissbräuchliche 652 – Prozesstaktik muss im Verhältnis einstweiliger Verfahren zur Hauptsache ausgeschlossen sein. Im Übrigen entspricht die der Hauptsache dienende Funktion gerade dem Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes, weshalb Hauptsache und einstweiliges Verfahren nebeneinander zulässig sein müssen. 653 Alles Andere stünde auch nicht im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zu Art. 31 EuGVO. Die Einschränkungen für Eilzuständigkeiten, die der Gerichtshof in van Uden und Mietz entwickelt hat, sollen verhindern, dass mit Leistungsverfügungen die Hauptsachezuständigkeiten umgangen werden. 654 Darüber hinausgehende Einschränkungen über Art. 27 EuGVO, etwa um ein „Austesten“ der verschiedenen Gerichte zu vermeiden, 655 sind aber nicht notwendig. Von Art. 27 EuGVO unberührt bleibt die Eilzuständigkeit eines für die Hauptsache zuständigen Gerichts sogar dann, wenn das Gericht das Hauptsacheverfahren aufgrund früherer anderweitiger Rechtshängigkeit ausgesetzt oder sich für unzuständig erklärt hat. 656 Zwar wird mit den Bemer649
Fähndrich/Ibbeken, GRUR Int. 2003, 616, 622 f.; Grothe, IPRax 2004, 83; Hess, IPRax 2005, 23, 24; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 27 Rn. 10; McGuire, ZfRV 2005, 83, 87; Schack, IZVR5, Rn. 851. Ausführlich zur Problematik Carl, S. 49 ff. 650 Dies sind insbesondere Italien und Belgien: Carl, S. 69 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 27 Rn. 10. 651 Carl, S. 37; Fähndrich/Ibbeken, GRUR Int. 2003, 616, 622 f.; Grothe, IPRax 2004, 83; Hess, IPRax 2005, 23, 24; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 27 Rn. 10; McGuire, ZfRV 2005, 83, 87; Schack, IZVR5, Rn. 851. 652 Carl, S. 60–62. 653 Pansch, S. 69. 654 EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 47 – Mietz/Intership Yachting; siehe oben S. 327 ff. 655 Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 61, verneinen deshalb die gleichzeitige Zuständigkeit von zwei Hauptsachegerichten für den Erlass einstweiliger Maßnahmen unter Rückgriff auf Art. 27 EuGVO. 656 Grundmann, S. 122 (zum LugÜ); Kurtz, S. 74; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 15. A.A. Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 19; Schulz, ZEuP 2001, 805, 814; Wolf, EWS 2000, 11, 14.
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kungen des EuGH zur Schiedsgerichtsbarkeit versucht zu begründen, dass die Zuständigkeit eines Hauptsachegerichts zum Erlass einstweiliger Maßnahmen entfällt, wenn dieses Gericht wegen Art. 27 EuGVO für die Hauptsache nicht neben dem zuerst angerufenen Gericht zuständig sein kann. 657 Sei die Eilzuständigkeit eines Hauptsachegerichts nach Auffassung des EuGH bei der Vereinbarung eines Schiedsgerichts ausgeschlossen, müsse Entsprechendes gelten, wenn eine Hauptsachezuständigkeit wegen Art. 27 EuGVO nicht wahrgenommen werden dürfe. 658 Dieser Vergleich überzeugt indessen nicht. Anders als bei einem Eingreifen von Art. 27 EuGVO verzichten die Parteien durch eine Schiedsklausel auf eigenen Wunsch auf staatlichen Rechtsschutz. Zudem hat der EuGH in van Uden und Mietz lediglich eine Einschränkung der über Art. 24 EuGVÜ eröffneten nationalen Zuständigkeiten, nicht aber eine Einschränkung der Hauptsachezuständigkeiten befürwortet. 659 Die Hauptsachezuständigkeiten wurden hierdurch gestärkt. Zutreffend ist deshalb die Schlussfolgerung, dass, wenn über Art. 31 EuGVO nationale Gerichtsstände eröffnet sein können, die für die Hauptsache wegen Art. 3 Abs. 2 EuGVO nicht in Betracht kommen, es erst recht möglich sein muss, den Erlass einer einstweiligen Maßnahme bei dem Gericht zu beantragen, das gemäß Art. 2 ff. EuGVO grundsätzlich zuständig wäre, an der Entscheidung des Hauptsacheverfahrens aber aufgrund von Art. 27 EuGVO gehindert ist. 660 b) Mehrere einstweilige Verfahren Geteilt sind die Meinungen darüber, ob die Rechtshängigkeitssperre nach Art. 27 EuGVO zwischen mehreren einstweiligen Verfahren eingreift. 661 657
Grothe, IPRax 2004, 83, 88; Schulz, ZEuP 2001, 805, 814; Wolf, EWS 2000, 11, 14. Schulz, ZEuP 2001, 805, 814; Wolf, EWS 2000, 11, 14. 659 EuGHE 1998, 7091 Rn. 29 und 48 – van Uden/DecoLine. 660 Grothe, IPRax 2004, 83, 88; Kurtz, S. 74. 661 Gegen das Eingreifen: Demeyere, RW 1999–2000, 1353, 1359; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 27 EuGVVO Rn. 47; Giardina, FS Lalive, S. 499, 507; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 27 EuGVVO Rn. 6; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 27 Rn. 14; Mankowski, EWiR 1997, 791, 792; Pansch, S. 71 f.; Wannenmacher, S. 275. Dafür: Carl, S. 323; Eilers, S. 220 f.; Heinze, S. 264 (Anwendung von Art. 27 EuGVO im Grundsatz, jedoch mit verschiedenen Einschränkungen); Kaye, S. 1193 f.; Kramer, CML Rev. 2003, 953, 960; Polak, Ars Aequi 52 (2003), 118, 122; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 15. Albrecht, S. 177, und Grundmann, S. 123 f., differenzieren nach der Art der einstweiligen Maßnahme: Bei Sicherungsmaßnahmen finde Art. 21 EuGVÜ keine Anwendung, bei Regelungsmaßnahmen sowie Leistungsverfügungen sei eine Anwendung hingegen erforderlich. Diese Auffassung gerät an ihre Grenzen bei einstweiligen Maßnahmen der nationalen Rechtsordnungen, die sich in diese vom deutschen/schweizerischen Recht ausgehenden Kategorien nicht ohne Weiteres einordnen lassen. Zu denken ist beispielsweise an die Varianten einstweiliger Maßnahmen des englischen Rechts. 658
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Diese Frage stellt sich besonders dann, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Leistungsverfügungen desselben Inhalts beantragt werden. Für die Anwendung des Art. 21 EuGVÜ/Art. 27 EuGVO wird auf die Italian Leather-Entscheidung des EuGH verwiesen. 662 Diese Entscheidung bezog sich allerdings nicht auf Art. 21 EuGVÜ, sondern auf Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ, wonach die Anerkennung einer ausländischen Entscheidung wegen Unvereinbarkeit mit einer inländischen zu versagen ist. Ausnahmsweise dürfen sich Mitgliedstaaten danach ihrer Pflicht zur Anerkennung entziehen, wenn es gilt, unvereinbare Maßnahmen, also solche, deren Rechtsfolgen einander wechselseitig ausschließen, 663 zu vermeiden. In Italian Leather hat der EuGH die Unvereinbarkeit einer italienischen Entscheidung, welche der Beklagten untersagte, Lederprodukte unter einer bestimmten Marke zu vertreiben, mit einer deutschen Entscheidung, welche den Antrag gleichen Inhalts zurückgewiesen hatte, im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ angenommen. 664 Unvereinbarkeit liege auch dann vor, wenn die Unterschiede der Entscheidungen auf nationalem Verfahrensrecht, im vorliegenden Fall auf abweichenden Anforderungen an das Vorliegen von Dringlichkeit, und nicht auf dem Sachrecht beruhten. 665 Mittelbar könnte der Gerichtshof mit dieser Entscheidung gezeigt haben, dass er schon die Beantragung inhaltsgleicher Verfügungen, die nahelegen, dass die Gerichte gegeneinander ausgespielt werden, nach Art. 27 EuGVO nicht billigt, 666 weil Art. 27 gerade die Entstehung einer unter Art. 34 Nr. 3 EuGVO fallenden Situation vermeiden will. 667 Eine andere Auffassung stellt hinsichtlich der Anwendung von Art. 27 EuGVO darauf ab, ob die einstweilige Maßnahme anerkennungsfähig wäre. 668 Hierfür seien die unterschiedlichen Ursprünge der Zuständigkeiten für einstweilige Maßnahmen zu berücksichtigen. Bei einstweiligen Maßnahmen von Hauptsachegerichten sei die Anerkennungsfähigkeit zu unter662 Heinze, S. 263; Kramer, CML Rev. 2003, 953, 959 ff.; Pörnbacher, in: Geimer/ Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 15. Ähnlich bereits Gronstedt, S. 311, der bei Wirkungsüberschneidung einstweiliger Maßnahmen im Inland nur noch das ausländische Gericht der Hauptsache über den Erlass einstweiliger Maßnahmen entscheiden lassen will, um widersprechende einstweilige Maßnahmen eines inländischen und eines ausländischen Hauptsachegerichts zu vermeiden. 663 EuGHE 1988, 645 Rn. 22 – Hoffmann/Krieg. 664 EuGHE 2002, 4995 Rn. 45 – Italian Leather/WECO. 665 EuGHE 2002, 4995 Rn. 41–44 – Italian Leather/WECO. 666 Keine Anhaltspunkte liefert der EuGH indes für ein Verständnis von Art. 24 EuGVÜ als lex specialis zu Art. 21 EuGVÜ. Die von Wolf, EWS 2000, 11, 14, vertretene Auffassung dürfte überholt sein. 667 EuGHE 1987, 4861 Rn. 8 f., 18 – Gubisch/Palumbo; EuGHE 1991, 3317 Rn. 16 – Overseas/New Hampshire; EuGHE 2003, 14693 Rn. 41 – Erich Gasser GmbH/MISAT Srl; EuGHE 2004, 9657 Rn. 31 – Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer. 668 Hausmann, IPRax 1981, 79, 82; Heinze, S. 265; Pansch, S. 71 f.
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stellen, bei einstweiligen Maßnahmen von Gerichten, deren Zuständigkeit sich auf Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht gründe, müsse sie positiv festgestellt werden. 669 Sie sei nur gegeben, wenn die Grenzen des EuGH für Art. 31 EuGVO eingehalten worden seien und deshalb eine Anerkennung in Betracht komme. 670 Dieser differenzierten Behandlung nach der Zuständigkeitsgrundlage ist zuzubilligen, dass sie auf eine unangemessene, umfassende Rechtshängigkeitssperre verzichtet. Sie widerspricht allerdings dem in Rechtsprechung und Literatur verankerten Grundsatz, dass im Rahmen des Art. 27 EuGVO keine Anerkennungsprognose zu erfolgen hat. 671 Gegen das Eingreifen von Art. 27 EuGVO wird zu Recht angeführt, dass die Vorschriften einander widersprechende Entscheidungen in der Hauptsache verhindern, jedoch nicht den einstweiligen Rechtsschutz erschweren sollen. Um empfindliche Rechtsschutzlücken zu vermeiden, muss es erlaubt sein, mehrere einstweilige Maßnahmen desselben Inhalts in verschiedenen Staaten zu beantragen, damit eine schnelle Vollziehung an den jeweiligen Orten erreicht und ein Hauptsacheverfahren durch die Maßnahmen ergänzt und unterstützt werden kann. 672 Hierdurch werde außerdem dem Charakter von Art. 31 EuGVO als Ausnahmevorschrift im Zuständigkeitssystem der Verordnung und seiner systematischen Stellung hinter Art. 27 EuGVO Rechnung getragen. 673 Die Problematik einer territorialen Wirkungsüberschneidung kann sich bei Beachtung der Voraussetzungen aus van Uden und Mietz ohnehin nur noch bei einstweiligen Maßnahmen ergeben, die an Hauptsachegerichtsständen ergehen. Im Übrigen dürften die reale Verknüpfung und der Ortsbezug, soweit sie eine Zuständigkeit am jeweiligen Vollstreckungsort begründen, dafür sorgen, dass eine Entscheidungskollision nicht entsteht. Müssten Hauptsachegerichte zunächst prüfen, ob andere einstweilige Verfahren im In- oder Ausland rechtshängig sind, so hätte dies zudem eine zeitliche Verzögerung des einstweiligen Rechtsschutzes zur Folge, die es zu vermeiden gilt, erst recht bei Leistungsverfügungen, die in Notlagen eine schnelle Entscheidung herbeiführen sollen. Schließlich ist die Möglichkeit paralleler einstweiliger Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten auch als Konsequenz der 669
Heinze, S. 265. Heinze, S. 265. 671 EuGHE 1991, 3317 Rn. 26 – Overseas/New Hampshire; BGH NJW 1995, 1758, 1759; BGH IPRax 1996, 192, 193; OLG Frankfurt am Main IPRax 2002, 515, 521; Carl, S. 116; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 27 Brüssel I–VO Rn. 15; Otte, S. 403 f.; Schack, IZVR5, Rn. 848. A.A. Isenburg-Epple, S. 256; Heinze, S. 274, der die durch den EuGH geschaffenen ungeschriebenen Ausnahmen des Überprüfungsverbots auf der Ebene der Anerkennung bei der vorgelagerten Prüfung anderweitiger Rechtshängigkeit beachten will. 672 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 19. 673 Heinze, S. 266. 670
A. Internationale Zuständigkeit gem. Art. 31 EuGVO
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Rechtsprechung des EuGH, welche die Anerkennung einer einstweiligen Maßnahme von der Gewährung rechtlichen Gehörs abhängig macht, 674 geboten. Wenn dem Gläubiger schon die Gelegenheit genommen wird, den Schuldner mit einer ausländischen einstweiligen Maßnahme zu überraschen, darf ihm nicht zusätzlich verwehrt werden, mehrere Maßnahmen an verschiedenen Orten zu beantragen. 5. Aufhebung einstweiliger Maßnahmen Sind auf der Grundlage des Art. 31 EuGVO einstweilige Maßnahmen in einem anderen Mitgliedstaat ergangen als demjenigen der Hauptsache, so fragt sich, ob das Gericht der Hauptsache oder das des einstweiligen Rechtsschutzes die einstweilige Maßnahme aufheben oder abändern kann. Eine spezielle Regelung für die Aufhebung enthält die EuGVO nicht. Nach zutreffender Auffassung darf ein gemäß Art. 31 EuGVO zuständiges Gericht, das eine einstweilige Maßnahme erlassen hat, auch über die Aufhebung oder Abänderung der Maßnahme entscheiden. 675 In diesem Fall richten sich die Zuständigkeit für die Aufhebung bzw. Änderung und ihre Modalitäten nach dem nationalen Recht. 676 Der Gesichtspunkt der Sachnähe spricht für eine generelle Zuständigkeit des Erlassgerichts, unabhängig von der die Zuständigkeit begründenden Rechtsquelle. Ebenso wie ein nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständiges Gericht, das eine einstweilige Maßnahme erlassen hat, können daher die gemäß Art. 2 ff. EuGVO zuständigen Gerichte über die Aufhebung oder Abänderung der von ihnen erlassenen Maßnahmen entscheiden. Auf Art. 22 Nr. 5 EuGVO kann diese Zuständigkeit allerdings nicht gestützt werden. Die einstweiligen Maßnahmen im Sinne von Art. 31 EuGVO ergehen im Rahmen eines abgekürzten Erkenntnisverfahrens, nicht aber im Rahmen der Zwangsvollstreckung. 677 Die Gegenansicht, über den Fortbestand einer einstweiligen Verfügung müsse primär das Hauptsachegericht entscheiden, 678 überzeugt nicht. 679 In 674
EuGHE 1980, 1553 Rn. 17 f. – Denilauler/Couchet Frères, siehe S. 379 ff. Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 38; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 2; Merkt, S. 132 f. 676 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 38. 677 Heinze, S. 205. A.A. Eilers, S. 213 f.: Sowohl Art. 24 als auch Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ können eine Zuständigkeit begründen; ist der Erlassstaat nicht zugleich der Vollstreckungsstaat gilt jedoch allein Art. 16 Nr. 5 EuGVÜ. 678 Kurtz, S. 82 f.; Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 652–654 und 737–739. 679 Wie hier Dickinson, IPRax 2010, 203, 210 f.; Körner, FS Bartenbach, S. 401, 408. Anderer Ansicht Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 652–654 und 737–739, die für den Fall, dass das Hauptsachegericht stets über die Aufhebung bzw. Änderung entscheiden dürfe, das Kriterium der realen Verknüpfung bei Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO für obsolet halten und vorschlagen, Art. 31 EuGVO um folgenden Absatz zu ergänzen: „The court vested with ju675
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
diesem Zusammenhang wird argumentiert, ein deutsches Hauptsachegericht könne die einstweilige Verfügung eines ausländischen Gerichts gemäß §§ 927, 936 ZPO aufheben. 680 Da das Gericht der Hauptsache dazu befugt sei, die einstweilige Maßnahme eines anderen deutschen Gerichts aufzuheben, müsse dies erst recht für eine ausländische Entscheidung gelten. Denn einer ausländischen Entscheidung dürfe keine weiter reichende Wirkung zukommen als einer inländischen. 681 Diese Begründung trägt nicht. Die Vorgaben des autonomen deutschen Rechts, wonach das Hauptsachegericht zur Aufhebung befugt ist, können nicht auf die europäische Ebene übertragen werden. Eine solche Vorgehensweise würde dem System der zweispurigen Zuständigkeiten im europäischen einstweiligen Rechtsschutz nicht gerecht. 682 Sehen nationale Rechtsordnungen nach Anhängigkeit der Hauptsache allein die Aufhebungszuständigkeit des Hauptsachegerichts vor, 683 müssen sie deshalb restriktiv ausgelegt und dürfen nur für rein innerstaatliche Verfahren herangezogen werden. 684 Auch die These, ein Eingriff in die Souveränität des Erlassstaates sei mit der Aufhebung durch das deutsche Hauptsachegericht nicht verbunden, wenn die Aufhebung derart gestaltet würde, dass es sich um die Versagung der Anerkennung gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVO handele, 685 erscheint nicht haltbar. Auch in der umgekehrten Konstellation darf demzufolge ein ausländisches Hauptsachegericht eine im Inland ergangene einstweilige Maßnahme nicht aufheben. Im Hinblick auf inländische Souveränitätsinteressen ist die Zuständigkeit des ausländischen Hauptsachegerichts zu verneinen. 686 Ein ausländisches Gericht ist nicht dazu befugt, einen im Inland zu vollstreckenden inländischen Titel aufzuheben. Problematisch wäre es zudem, dass sich etwaige Rechtsbehelfe gegen die Aufhebung oder Abänderung nach der ausländischen Verfahrensordnung richteten. Es ist auch nicht aus Gründen der Prozessökonomie geboten, das Gericht der Hauptsache federführend entscheiden zu lassen und die Gerichte im Erlassstaat ohne weitere Nachprüfung zur Anerkennung der Aufhebungsentscheidung zu verpflich-
risdiction for, and seised by either party with the substance of the matter, has power to discharge, to modify or to adapt to its own legal system any provisional measure granted by a court of another Member State.“ 680 Gronstedt, S. 159 ff.; Kurtz, S. 82; Matscher, ZZP 95 (1982), 170, 230. 681 Kurtz, S. 82. 682 Im Ergebnis so auch Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 631. 683 Zur schwedischen ZPO siehe Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 631. 684 Pålsson, Liber amicorum Siehr, S. 621, 631. 685 Kurtz, S. 82. 686 Grunsky, in: Stein/Jonas, ZPO, § 927 Rn. 12; Walker, in: Schuschke/Walker, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, § 927 Rn. 9. Anderer Ansicht Hess, EuZPR, § 6 Rn. 252 (unter Hinweis auf den Grundsatz wechselseitigen Vertrauens); Kurtz, S. 83.
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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ten. 687 In zeitlicher Hinsicht dürfte es überwiegend günstiger sein, das Erlassgericht mit der Entscheidung über die Aufhebung zu befassen. 688 Eine andere Frage ist, wie es sich auf eine einstweilige Maßnahme auswirkt, dass das Hauptsachegericht in der Hauptsache entschieden oder seinerseits eine einstweilige Maßnahme zum Gegenstand einer bereits existierenden einstweiligen Maßnahme erlassen hat, ohne dass eine ausdrückliche Entscheidung über die Aufhebung der bestehenden einstweiligen Maßnahme vorliegt. Falls die erste einstweilige Maßnahme nicht ohnehin nur befristet bis zum Erlass einer Entscheidung des Hauptsachegerichts gilt, könnte die mögliche Folge entweder sein, dass die einstweilige Maßnahme sogleich mit Erlass der Entscheidung des Hauptsachegerichts gegenstandslos wird oder dass die einstweilige Maßnahme erst auf Antrag beseitigt werden muss. Für den Kläger hätte es nur begrenzten Wert, wenn er trotz Obsiegens in der Hauptsache noch in einem anderen Staat einen Antrag auf Aufhebung der dort erlassenen einstweiligen Maßnahme stellen müsste. Deshalb ist das Interesse des Erlassstaates an der Aufrechterhaltung seiner Entscheidung im summarischen Verfahren dem Interesse des Klägers an einer automatischen Beseitigung unterzuordnen und davon auszugehen, dass die einstweilige Maßnahme eines anderen Gerichts ihre Wirkung verliert, wenn das Hauptsachegericht eine Entscheidung erlässt. 689 Eine entsprechende Regelung findet sich in Art. 20 EheGVO, dessen Absatz 1 eine frappierende Ähnlichkeit mit Art. 31 EuGVO aufweist. Absatz 2 regelt zusätzlich, dass die einstweiligen Maßnahmen außer Kraft treten, wenn das Gericht der Hauptsache Maßnahmen erlassen hat, die es für angemessen hält.
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
An den Erlass einer einstweiligen Maßnahme durch das zuständige Gericht schließt sich deren Vollstreckung an. In der Vollziehung liegt das eigentliche Interesse des Gläubigers, während die Erlangung des Titels nur ein notwendiger Zwischenschritt ist. Das Ziel, bei einer Leistungsverfügung
687
So aber Kurtz, S. 83. Ähnlich Hess, EuZPR, § 6 Rn. 252, demzufolge die Befugnis des Hauptsachegerichts zur Aufhebung oder Änderung aus dessen Verantwortlichkeit für die Sicherung und Durchsetzung des Prozessergebnisses folge. 688 So auch Körner, FS Bartenbach, S. 401, 408. 689 So auch Kramer, CML Rev. 2003, 953, 960; Wolf, EWS 2000, 11, 15 und 17. A.A. Körner, FS Bartenbach, S. 401, 408, der auch in diesem Zusammenhang eine Aufhebung durch das Erlassgericht für erforderlich hält. Das autonome deutsche Recht sieht ebenfalls ein förmliches Aufhebungsverfahren gemäß § 927 Abs. 1 ZPO vor.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
etwa die vorläufige Zahlung, erreicht der Gläubiger erst durch die Vollstreckung. In grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten erfolgt die Vollstreckung oft außerhalb des Erlassstaates. Der Vollstreckung einer ausländischen Maßnahme sind in einem solchen Fall ihre Anerkennung und Vollstreckbarerklärung vorgeschaltet. Denn eine gerichtliche Entscheidung darf als Akt hoheitlicher Gewalt über die Grenzen des Erlassstaates hinaus keine Wirkung entfalten. 690 Wird eine ausländische Entscheidung anerkannt, ist nach Auffassung des EuGH eine Wirkungserstreckung in den Anerkennungsstaat die Folge. 691 Ob sich ein Staat zur Anerkennung entschließt, ist seine souveräne Entscheidung, wenn er hierzu nicht staatsvertraglich oder gemeinschaftsrechtlich verpflichtet ist. 692 Die wichtigsten Regelungen des europäischen Zivilprozessrechts zur Anerkennung und zur Vollstreckung befinden sich – noch 693 – in Art. 32–52 EuGVO. I. Voraussetzungen der Anerkennung einstweiliger Maßnahmen Gemäß Art. 33 Abs. 1 EuGVO werden ausländische Entscheidungen in einem anderen Mitgliedstaat ipso iure anerkannt, ohne dass es hierfür eines gerichtlichen Verfahrens bedarf. Die Anerkennung erfolgt, wenn es sich um eine anerkennungsfähige Entscheidung handelt und entsprechend Art. 53 Abs. 1 EuGVO eine Ausfertigung der Entscheidung vorgelegt wird. Damit ist die Anerkennung nach der EuGVO gekennzeichnet durch ein bemerkenswert hohes Maß an Vertrauen in die Gesetzestreue der mitgliedstaatlichen Rechtsprechungsorgane. 694 Grundlage hierfür ist die Annahme, dass die in den Mitgliedstaaten zur Verfügung stehenden Verfahren gleichwertig und austauschbar sind. 695 690
Näher dazu Schack, IZVR5, Rn. 865 ff. EuGHE 1988, 645 Rn. 10 f. – Hoffmann/Krieg. Zu den verschiedenen Ansätzen, die Reichweite der Wirkungserstreckung zu bestimmen, Schack, IZVR5, Rn. 881 ff. 692 Schack, IZVR5, Rn. 865. 693 Das Exequaturverfahren der EuGVO dürfte in Zukunft eine Änderung erfahren. Geplant ist eine Abschaffung der für die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen erforderlichen Zwischenmaßnahmen. Vgl. den Bericht der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat und den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss über die Anwendung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 174 endg.; Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 175 endg.; Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg. Einen Verzicht auf das Exequaturverfahren befürworten grundsätzlich: Hess, IPRax 2011, 125, 128; Magnus/Mankowski, ZVglRWiss 109 (2010), 1, 2 f. 694 Geimer, RIW 1975, 81, 82 zum EuGVÜ; zur EuGVO siehe deren Erwägungsgründe 16 und 17. 695 Kohler, in: Dauner-Lieb, Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 147, 156. 691
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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Nur ausnahmsweise kann die Anerkennung in den Fällen von Art. 34 und 35 EuGVO 696 wegen Verstoßes gegen bestimmte Mindeststandards versagt werden. So muss etwa gemäß Art. 34 Nr. 2 EuGVO dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück rechtzeitig zugestellt worden sein. 697 Der EuGH forderte aber mehrfach, die Versagungsgründe eng auszulegen, weil sie das Ziel, die Freizügigkeit von Entscheidungen zu fördern, behinderten. 698 Die auf der Ebene der Anerkennung hervortretende Großzügigkeit stützt sich darauf, dass die Zuständigkeiten gemäß Art. 2 ff. EuGVO vereinheitlicht sind und der Beklagte durch sie ausreichend geschützt wird. 699 Eine solche Vereinheitlichung im Sinne einer die Zuständigkeits- und Anerkennungsebene umfassenden convention double gibt es im einstweiligen Rechtsschutz mit Art. 31 EuGVO jedoch gerade nicht. Die Behandlung einstweiliger Maßnahmen ist vom zwingenden Zuständigkeitskatalog der Art. 2 ff. EuGVO ausgenommen. Deshalb kann es nicht verwundern, dass versucht werden musste, den Besonderheiten des einstweiligen Rechtsschutzes im Anerkennungsstadium Rechnung zu tragen. So entwickelte der EuGH, nachdem er geklärt hatte, dass einstweilige Maßnahmen grundsätzlich anerkennungsfähige Entscheidungen darstellen können, in den Entscheidungen Denilauler, 700 Mietz 701 und Italian Leather 702 über die bestehenden gesetzlichen Regelungen hinaus ungeschriebene Voraussetzungen und Versagungsgründe für die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen. Von einem „Anerkennungsautomatismus“ 703 kann im einstweiligen Rechtsschutz daher gegenwärtig nicht die Rede sein. Zu beobachten sein wird in naher Zukunft allerdings, ob sich der Vorschlag der Kommission im Rahmen der Reform der EuGVO durchsetzen wird. Danach soll jede einstweilige Maßnahme ohne Weiteres in jedem Mitgliedstaat anerkannt und vollstreckt werden können, wenn sie vom Gericht der Hauptsache erlassen wurde. Unter bestimmten Voraussetzungen soll dies auch für Maßnahmen gelten, die ohne vorherige Anhörung des 696
Zu den einzelnen Versagungsgründen Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 651 ff. Die Anerkennungsversagungsgründe waren nach dem EuGVÜ im Verfahren zur Vollstreckbarerklärung zu prüfen. Nach der Konzeption der EuGVO findet eine solche Prüfung erst im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung statt. 697 Siehe dazu auch OLG Düsseldorf, OLGR 2006, 876. 698 EuGHE 1994, 2237 Rn. 20 – Solo Kleinmotoren/Boch; EuGHE 2000, 1935 Rn. 21 – Krombach/Bamberski. 699 EuGHE 2003, 14693 Rn. 72 – Erich Gasser GmbH/MISAT Srl. 700 EuGHE 1980, 1553 – Denilauler/Couchet Frères. 701 EuGHE 1999, 2277 – Mietz/Intership Yachting. 702 EuGHE 2002, 4995 – Italian Leather/WECO. 703 So für Entscheidungen des ordentlichen Verfahrens: Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/ Moya Escudero, S. 69, 82.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Schuldners angeordnet wurden. Nicht in Betracht kommen soll hingegen eine Anerkennung von einstweiligen Maßnahmen, die an einem anderen als dem Gericht der Hauptsache erlassen wurden. 704 1. Einstweilige Maßnahmen als Entscheidungen im Sinne von Art. 32 ff. EuGVO Die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen ausländischer Gerichte nach den Regeln der EuGVO setzt voraus, dass es sich bei einstweiligen Maßnahmen überhaupt um anerkennungsfähige Entscheidungen im Sinne von Art. 32 ff. EuGVO handelt. Noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde die Anerkennungsfähigkeit einstweiliger Maßnahmen in vielen autonomen Rechtsordnungen und Staatsverträgen abgelehnt. 705 Dieser Haltung lag die Annahme zugrunde, ein Schuldner müsse vor der Vollstreckung einer vorläufigen Entscheidung, die sich später nach der Hauptsacheentscheidung als ungerechtfertigt herausstellt, geschützt werden. 706 Außerdem galt die Eilbedürftigkeit vieler einstweiliger Verfahren als Hindernis der Anerkennung. 707 Im Laufe der Zeit rückte das Interesse des Gläubigers an einer Anerkennung auch einstweiliger Maßnahmen in den Vordergrund. 708 Dies schlug sich zwar nicht im autonomen deutschen Recht nieder, das lediglich Leistungsverfügungen als anerkennungsfähig erachtet, 709 wohl aber in neueren Staatsverträgen. 710 704
Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, KOM(2010) 748 endg., siehe den Text von Art. 31, 35, 36 EuGVO-Entwurf oben S. 26. 705 Siehe oben S. 7 ff. 706 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 32 Rn. 20. 707 Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 370. 708 Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 32 Rn. 20. 709 Nach autonomem deutschem Recht sind ausländische einstweilige Maßnahmen mit Ausnahme der faktisch endgültig wirkenden Leistungsverfügungen sowie der einstweiligen Anordnungen nicht anerkennungsfähig. Albrecht, S. 141; Eilers, S. 223 f.; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 79; Schack, IZVR5, Rn. 914; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 328. Dass gerade Leistungsverfügungen als anerkennungsfähig angesehen werden, ist einerseits erstaunlich. Denn bei ihnen ist das Risiko des Schuldners besonders evident, die erbrachte Leistung nach Aufhebung der Entscheidung nicht zurückzuerlangen. Andererseits ist die Anerkennung aber angebracht, um den Gläubiger vor Notlagen zu bewahren. Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 191. 710 Siehe oben S. 7 ff. Die Helsinki-Regeln formulieren allerdings wieder zurückhaltender. Sie sehen in Nr. 20 vor, dass allein die Tatsache, dass eine Maßnahme nicht endgültig ist, der Anerkennung und Vollstreckung nicht entgegensteht. Abgedruckt im Anhang zu Kofmel Ehrenzeller, SZIER 1998, 177, 203. Auch im Anwendungsbereich der EheGVO dürften einstweilige Maßnahmen nicht anerkennungsfähig sein. Zum einen sind sie in Art. 2 Nr. 4 EheG-
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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Auch das EuGVÜ und die EuGVO folgten dieser Tendenz. Der Wortlaut von Art. 25 EuGVÜ/Art. 32 EuGVO ist weit gefasst. Danach ist jede vom Gericht eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung als Entscheidung im Sinne der Verordnung anzusehen. Nach Auffassung des EuGH bezieht sich Art. 32 EuGVO auf sämtliche Entscheidungen, die durch das Gericht eines Mitgliedstaats erlassen wurden. 711 Bewusst wurde in die Vorschrift nicht aufgenommen, dass die anzuerkennende Entscheidung für die jeweilige Instanz endgültig oder formell rechtskräftig sein muss. 712 Auch einstweilige Maßnahmen, die nur vorläufig wirken, sind deshalb Entscheidungen im Sinne von Art. 32 EuGVO. 713 Erst recht muss dies für die faktisch endgültige Tatsachen schaffenden Leistungsverfügungen gelten. Unerheblich ist demnach, dass anders als für die Zuständigkeit, die Art. 31 EuGVO für einstweilige Maßnahmen abweichend von der Hauptsache geregelt hat, für die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen keine Spezialvorschrift geschaffen wurde. Dass einstweilige Maßnahmen anerkannt werden können, ist zu begrüßen. Würde die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer einstweiliger Maßnahmen vollumfänglich versagt, würde der grenzüberschreitende VO, der den Begriff der „Entscheidung“ definiert, nicht erwähnt. Zum anderen sollen sich die Maßnahmen nach Art. 20 Abs. 1 EheGVO auf Personen oder Vermögensgegenstände beziehen, die sich im Forumstaat befinden. Diese Maßnahmen können nur eine auf den Erlassstaat beschränkte territoriale Wirkung haben. 711 EuGHE 1994, 2237 Rn. 17 – Solo Kleinmotoren/Boch. 712 Jenard-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 43; Schlosser-Bericht, ABl. EG 1979 C 59, S. 126. 713 EuGHE 1980, 1553 Rn. 17 f. – Denilauler/Couchet Frères. Ebenfalls bejaht wird die Anerkennungsfähigkeit in EuGHE 1999, 2277 Rn. 47 ff. – Mietz/Intership Yachting; EuGHE 2002, 4995 Rn. 41 – Italian Leather/WECO. Wenigstens indirekt geht der EuGH von der grundsätzlichen Anerkennungsfähigkeit einstweiliger Maßnahmen auch in folgenden Entscheidungen aus: EuGHE 1979, 1060 Rn. 9 – de Cavel I; EuGHE 1980, 731 Rn. 10 – de Cavel II; EuGHE 1982, 1189 Rn. 8 f. – W./H.; EuGHE 1984, 3971 Rn. 10 ff. – Brennero/Wendel. Für die Anerkennungsfähigkeit auch BGH WM 2007, 373; OLG München RIW 2000, 464 f.; Albrecht, S. 165; Demeyere, RW 1999–2000, 1353, 1358; Heinze, S. 461; Heiss, S. 10; Hess, IPRax 2000, 370, 373; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 191 und NIPR 2000, 26, 29 f.; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 32 Rn. 21; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 35; Marmisse/Wilderspin, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 669; Mayr, EuZPR, Rn. II/184; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16; Schack, ZEuP 1998, 931, 953; Tschauner, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 32 EuGVO Rn. 8. Stadler, JZ 1999, 1089, 1098 und Willeitner, S. 87, befürworten die Anerkennungsfähigkeit sichernder und regelnder Maßnahmen, wollen Leistungsverfügungen die Anerkennungsfähigkeit aber absprechen. Für eine Aufnahme der Anerkennungsfähigkeit einstweiliger Maßnahmen in Art. 32 EuGVO mit einem entsprechenden Formulierungsvorschlag: Dickinson, IPRax 2010, 203, 213. Gegen die Anerkennungsfähigkeit: Dahlhuisen, FS Riesenfeld, S. 1, 18, 21; Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 365; Wolf, EWS 2000, 11, 17; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 60.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
einstweilige Rechtsschutz zu stark eingeschränkt und seine Effektivität einbüßen. 714 Die oft lange Dauer von der Erlangung eines Titels im Hauptsacheverfahren bis hin zu dessen Vollstreckbarerklärung erleichtert es international tätigen Schuldnern im Binnenmarkt zunehmend, die Zwangsvollstreckung nach Urteilserlass durch grenzüberschreitende Vermögensverschiebungen zu durchkreuzen. Dagegen wäre der einstweilige Rechtsschutz eine stumpfe Waffe, wenn einstweilige Maßnahmen generell nur im Erlassstaat vollstreckbar wären. Der Gläubiger könnte auf eine nachträgliche Vermögensverschiebung nicht damit reagieren, dass er eine bereits vorhandene einstweilige Maßnahme anerkennen und für vollstreckbar erklären ließe. Der Gläubiger wäre gezwungen, in jedem Staat, in dem er vollstrecken lassen möchte, eine einstweilige Maßnahme zu beantragen, um auf den dort belegenen Teil des schuldnerischen Vermögens zuzugreifen. Die Gesamtleistung, auf die sein Anspruch gerichtet ist, müsste er mosaikartig aus den in den verschiedenen Staaten erlangten Teilleistungen zusammensetzen. 715 Ein solches Vorgehen kann sich als mühsam und aufwändig erweisen, selbst wenn die Zuständigkeiten aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht den Zugang erleichtern. Effektiver werden die Interessen der Gläubiger dadurch realisiert, dass ein einheitlicher Titel erwirkt und im Ausland anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann. 716 Die Schuldnerinteressen werden dabei nicht über Gebühr beeinträchtigt, denn ein Schuldner muss grundsätzlich überall, wo er über Vermögen verfügt, mit einer Vollstreckung rechnen. 717 Es ist deshalb erfreulich, dass die Arbeitsgruppe des Rates zur Revision des EuGVÜ von 1999 ihren Vorschlag nicht durchsetzen konnte, einen neuen Art. 25a einzufügen, wonach die Vorschriften zur Anerkennung und Vollstreckung nicht für Entscheidungen über die Anordnung einstweiliger Maßnahmen gelten, die von einem anderen als dem für die Hauptsache zuständigen Gericht erlassen werden. 718 Der EuGH hat vielmehr die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einstweiliger Maßnahmen weiterhin zugelassen, jedoch an bestimmte Einschränkungen geknüpft.
714 So auch Hess/Vollkommer, IPRax 1999, 220, 224; Hess, IPRax 2000, 370, 373; Stadler, JZ 1999, 1089, 1092. A.A. Wolf, EWS 2000, 11, 17. 715 Hess, IPRax 2000, 370, 373; Stadler, JZ 1999, 1089, 1092. 716 So auch Hess, IPRax 2000, 370, 373; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 21; Stadler, JZ 1999, 1089, 1092. 717 Stadler, JZ 1999, 1089, 1092. Von einer Beeinträchtigung der prozessualen Fairness, welche Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 60, befürchten, kann nicht die Rede sein. 718 Siehe dazu S. 22. Eine Synopse der Vorschläge der EU-Kommission und der Arbeitsgruppe mit dem Text des Art. 25a und anderer Vorschriften ist wiedergegeben bei Stadler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 37, 66.
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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2. Rechtliches Gehör Eine erste Einschränkung für die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen entwickelte der EuGH 1980 in der Denilauler-Entscheidung. Seitdem verlangt der Gerichtshof, dass dem Antragsgegner vor Erlass, Anerkennung und Vollstreckung einer einstweiligen Maßnahme rechtliches Gehör gewährt wird, auf diese Weise ex partes-Entscheidungen ausschließend. 719 Ist die einstweilige Maßnahme ohne Ladung der Gegenpartei ergangen oder soll sie ohne vorherige Zustellung vollstreckt werden, so darf sie nach Auffassung des EuGH nicht anerkannt werden. 720 a) Die Entscheidung Denilauler Gegenstand des Ausgangsverfahrens waren nicht beglichene Rechnungen des deutschen Unternehmens Denilauler, für welches das in Frankreich ansässige Unternehmen Couchet Frères Gütertransporte übernommen hatte. Couchet Frères verklagte Denilauler deswegen vor dem Tribunal de grande instance in Montbrison. Das Gericht verurteilte das deutsche Unternehmen zur Zahlung der geltend gemachten Beträge. Noch während des Verfahrens wurde das französische Unternehmen gerichtlich ermächtigt, das Konto von Denilauler bei einer Bank in Frankfurt am Main wegen der Forderung mit einer Sicherungspfändung (saisie conservatoire) gemäß Art. 48 Acpc belegen zu lassen. Der für vorläufig vollstreckbar erklärte Beschluss erging, ohne dass der deutsche Beklagte zuvor gehört wurde. Auf Antrag von Couchet Frères ordnete das LG Wiesbaden an, die Entscheidung des französischen Gerichts mit der Vollstreckungsklausel zu versehen. Danach wurde der Pfändungsbeschluss zur Pfändung des Bankguthabens erlassen. Gegen den Beschluss legte Denilauler Beschwerde beim OLG Frankfurt am Main ein und stützte sich zur Begründung darauf, der Beschluss des französischen Gerichts, die Sicherungspfändung zuzulassen, sei ihm nicht zugestellt worden. Der EuGH musste sich auf die vom OLG Frankfurt am Main aufgeworfenen Fragen hin damit befassen, ob einstweilige Maßnahmen von Gerichten eines Mitgliedstaats erlassen werden können, ohne dass die Gegenpartei geladen wurde, und in einem anderen Staat anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden können, ohne der Gegenpartei zuvor zugestellt worden zu sein. 719
EuGHE 1980, 1553 Rn. 17 f. – Denilauler/Couchet Frères, mit zust. Anm. Hausmann, IPRax 1981, 79 ff. In diesem Sinne auch BGH NJW 1999, 2372, 2373 f.; OLG München RIW 2000, 464; OLG Stuttgart RIW 1997, 684, 685; OLG Karlsruhe ZZP Int. 1 (1996), 91, 93; OLG Hamm RIW 1994, 243, 244; OLG Düsseldorf IPRax 1985, 289 f. Nach Eilers, S. 284, muss dies besonders für Leistungsverfügungen gelten, weil effektiver Vollstreckungsschutz für den Schuldner nur möglich sei, wenn keine vollendeten Tatsachen geschaffen würden. 720 EuGHE 1980, 1553 Rn. 18 – Denilauler/Couchet Frères.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Der EuGH zog für seine Begründung verschiedene Bestimmungen des EuGVÜ heran. Gemäß Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ war die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen, wenn dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück nicht ordnungsgemäß oder nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, dass er die Möglichkeit hatte, sich zu verteidigen. Nach Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ musste eine Partei, die eine in einem anderen Vertragsstaat im Versäumnisverfahren ergangene Entscheidung anerkennen oder vollstrecken lassen möchte, eine Urkunde vorlegen, die nachweist, dass der säumigen Partei das verfahrenseinleitende Schriftstück zugestellt worden ist. Für den EuGH sind beide Vorschriften nicht zur Anwendung auf gerichtliche Entscheidungen gedacht, die nach dem Recht eines Vertragsstaats ergangen sind, ohne dass die gegnerische Partei anwesend war und die vollstreckt werden können, ohne der gegnerischen Partei zuvor zugestellt worden zu sein. 721 Denn die Vorschriften gingen von einem „im Prinzip“ kontradiktorischen Verfahren aus. 722 Entsprechend müsse die Partei, welche die Zwangsvollstreckung betreiben wolle, gemäß Art. 47 Nr. 1 EuGVÜ Urkunden vorlegen, aus denen hervorgehe, dass die Entscheidung nach dem Recht des Erlassstaates vollstreckbar sei und zugestellt worden sei. 723 Aus dem Umstand, dass die Vorschriften nicht auf ex parteEntscheidungen anwendbar seien, könne aber gerade nicht geschlossen werden, dass diese Entscheidungen gleichwohl anerkannt und vollstreckt werden müssten. 724 Nach Systematik und Zielen des Übereinkommens und nach dem Wortlaut der Bestimmungen zur Zuständigkeit und zur Anerkennung und Vollstreckung gelten Art. 25 ff. EuGVÜ vielmehr nur für Entscheidungen, die in kontradiktorischen Verfahren ergangen seien. 725 Einstweilige Maßnahmen könnten nach dem Übereinkommen deshalb nur unter der Voraussetzung anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, dass im Verfahren zum Erlass der Maßnahmen rechtliches Gehör gewährt worden sei. 726 Die Anerkennung von Maßnahmen, die ohne Ladung der Gegenpartei ergangen sind, oder die Vollstreckung ohne vorherige Zustellung seien deshalb verwehrt. In Denilauler hatte das Gericht der Hauptsache die einstweilige Maßnahme erlassen. Der EuGH fordert die Gewährung rechtlichen Gehörs aber ebenso bei einstweiligen Maßnahmen, die an Gerichtsständen gemäß Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht erlassen wurden. 727 721
EuGHE 1980, 1553 Rn. 7 f. – Denilauler/Couchet Frères. EuGHE 1980, 1553 Rn. 8 – Denilauler/Couchet Frères. 723 EuGHE 1980, 1553 Rn. 9 – Denilauler/Couchet Frères. 724 EuGHE 1980, 1553 Rn. 10 – Denilauler/Couchet Frères. 725 EuGHE 1980, 1553 Rn. 13 – Denilauler/Couchet Frères. 726 EuGHE 1980, 1553 Rn. 17 f. – Denilauler/Couchet Frères. 727 EuGHE 1980, 1553 Rn. 16 f. – Denilauler/Couchet Frères. 722
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
381
b) Folgen Die Denilauler-Entscheidung hatte zur Folge, dass jeder Gläubiger vor Beantragung einer einstweiligen Maßnahme prüfen muss, ob es für eine erfolgreiche Vollziehung der Maßnahme wichtig sein könnte, den Schuldner zu überraschen. Kommt es auf den Überraschungseffekt an und verteilt sich das für die Vollstreckung interessante Vermögen des Schuldners auf verschiedene Staaten, dann muss der Gläubiger einstweilige Maßnahmen parallel in verschiedenen Vollstreckungsstaaten beantragen, weil ohne Gewährung rechtlichen Gehörs ergangene Maßnahmen nach dem EuGH außerhalb des Erlassstaates nicht anerkannt werden können. 728 Art. 27 EuGVO steht dieser Vorgehensweise nicht entgegen. Zum einen sind die Vorschriften bei mehreren einstweiligen Maßnahmen nicht anwendbar. 729 Zum anderen läge auch nicht unbedingt eine parallele Rechtshängigkeit vor, weil diese mit dem Vorliegen einer anerkennungsfähigen Entscheidung endet. 730 Besteht im Falle der Gewährung rechtlichen Gehörs vor Erlass einer Maßnahme keine Gefahr, dass der hierdurch gewarnte Schuldner Teile seines Vermögens der Vollstreckung entzieht, oder nimmt der Gläubiger dieses Risiko in Kauf, so kann er an einem beliebigen zuständigen Gericht außerhalb des Vollstreckungsstaates den Erlass einer einstweiligen Maßnahme beantragen. 731 Die nach Anhörung des Gegners ergangene Maßnahme kann im Ausland anerkannt und vollstreckt werden. Nach Auffassung des EuGH werden die Nachteile, die für den Gläubiger dadurch entstehen können, dass dem Schuldner rechtliches Gehör zu gewähren ist, dadurch aufgewogen, dass der Gläubiger infolge der Gerichtsstände, die über Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Zuständigkeitsrecht eröffnet sein können, einstweilige Maßnahmen unmittelbar in den Staaten beantragen kann, in denen ein Vollstreckungsbedürfnis besteht. 732
728 Hausmann, IPRax 1981, 79, 82; Heinze, ZZP 120 (2007), 303, 320; Hess, EuZPR, § 6 Rn. 251; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 192; Kofmel Ehrenzeller, S. 262; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 32 Rn. 23; Kurtz, S. 104; Mayr, EuZPR, Rn. II/184; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16; Nagel/Gottwald, IZPR, § 15 Rn. 3; Schack, IZVR5, Rn. 916; Tschauner, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 32 EuGVO Rn. 12; Walter, in: Spühler, Vorsorgliche Maßnahmen, S. 121, 135. 729 Siehe dazu S. 362 ff. 730 Hausmann, IPRax 1981, 79, 82. 731 Hausmann, IPRax 1981, 79, 82; Koch, in: Schlosser, Materielles Recht und Prozessrecht, S. 171, 192; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 32 Rn. 23; Kurtz, S. 104; Schack, IZVR5, Rn. 916; Tschauner, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 32 EuGVO Rn. 12. 732 EuGHE 1980, 1553 Rn. 17 – Denilauler/Couchet Frères.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
c) Bewertung Nach den Formulierungen des Gerichtshofs in Denilauler bleibt offen, welches Kriterium des Titels III konkret fehlte, mit der Folge, dass die Anerkennung verneint werden musste. 733 Die erörterten Regelungen Art. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2, 47 Nr. 1 EuGVÜ kommen insoweit nicht in Betracht, da der Gerichtshof sie bei ex parte-Maßnahmen für nicht anwendbar hält. 734 Maßgeblich kann vielmehr nur der Gedanke des EuGH sein, dass die Bestimmungen zu Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung (Titel II und III) in ihrer Gesamtheit die Zielsetzung verfolgen, den Grundsatz rechtlichen Gehörs zu wahren. 735 Die Wahrung rechtlichen Gehörs ist im europäischen Zivilprozessrecht zum Schutze des Antragsgegners und der prozessualen Fairness grundsätzlich von herausragender Bedeutung. Vorteilhaft ist die frühzeitige Einbeziehung eines Schuldners in ein Verfahren außerdem, weil sie die Wahrheitsfindung erleichtert und die Klärung der Sach- und Rechtslage verbessert. 736 Auch wird die Chance auf eine spätere Akzeptanz der gerichtlichen Entscheidung durch beide Parteien erhöht. 737 Der Schuldner erhält ferner eine letzte Gelegenheit, die insbesondere im Wirtschaftsleben unter Umständen drastischen Folgen einer Blockade von Bankkonten durch die Begleichung seiner Außenstände doch noch abzuwenden und hierdurch die Beeinträchtigung der geschäftlichen Kontakte mit unbeteiligten Dritten zu verhindern. 738 Im einstweiligen Rechtsschutz treten allerdings neben die Vorzüge einer frühen Gewährung rechtlichen Gehörs gravierende Nachteile, durch welche die Interessen des Gläubigers in nicht zu rechtfertigender Weise beeinträchtigt werden. Das Entfallen des Überraschungseffekts beim Erlass einer einstweiligen Maßnahme mindert den grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutz für den Gläubiger ganz erheblich. 739 Oft wird mit einer einstweiligen Maßnahme nämlich beabsichtigt, den Schuldner zu überra733
Heinze, S. 462. EuGHE 1980, 1553 Rn. 7–9 – Denilauler/Couchet Frères. 735 EuGHE 1980, 1553 Rn. 13 – Denilauler/Couchet Frères. 736 Grundmann, S. 155. 737 Grundmann, S. 155. 738 Kennett, Enforcement of Judgments in Europe, S. 147. 739 Carrascosa González, in: Calvo Caravaca/Areal Ludena, Cuestiones actuales del Derecho Mercantil Internacional, S. 341, 347; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Gronstedt, S. 74; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 32 Rn. 22 f.; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16; Schack, IZVR5, Rn. 916 f.; Spellenberg/Leible, in: Gilles, Transnationales Prozeßrecht, S. 293, 330; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 82; Tschauner, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 32 EuGVO Rn. 10; van Drooghenbroeck, in: van Compernolle/Tarzia, Mesures Provisoires, S. 493. 734
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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schen, damit er sein Vermögen nicht außer Landes schaffen kann und die Vollstreckung nicht ins Leere geht. 740 So notwendig die Gewährung rechtlichen Gehörs im ordentlichen Verfahren ist, so verfehlt wäre es, sie im einstweiligen Rechtsschutz über die Möglichkeit einer Überraschung des Schuldners zu stellen. Es ist keine akzeptable Lösung, in jedem Staat, in welchem eine Vollstreckung möglich erscheint, auch eine einstweilige Maßnahme beantragen zu müssen, um die Anerkennung entbehrlich zu machen. 741 Insbesondere in Staaten, in denen der Erlass einer einstweiligen Maßnahme längere Zeit in Anspruch nimmt oder höheren Anforderungen unterliegt als in anderen Staaten, würde dies bedeuten, dass die Effektivität des einstweiligen Rechtsschutzes leiden würde. In vielen nationalen Rechtsordnungen können einstweilige Maßnahmen deshalb erlassen und vollstreckt werden, ohne dass dem Gegner rechtliches Gehör gewährt wurde. 742 Dies gilt zum Beispiel für den Arrest gemäß § 922 Abs. 1 und für die einstweilige Verfügung gemäß § 937 Abs. 2 ZPO, zumindest für den Fall, dass die Entscheidung in Beschluss- und nicht in Urteilsform ergeht. 743 Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen kennen ex parte-Entscheidungen, 744 obwohl gleichzeitig der Anspruch auf rechtliches Gehör als grundlegendes, teilweise sogar verfassungsmäßig ausgestaltetes Recht verstanden wird. 745 Daher wird der Schuldner mit der Forderung nach Gewährung rechtlichen Gehörs vor der Anerkennung einer ausländischen Entscheidung auch nicht deutlich besser geschützt. Denn der Erlass 740 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Gronstedt, S. 74; Grundmann, S. 146 f.; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16; Schack, IZVR5, Rn. 916; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 82. 741 So der Vorschlag von Wannenmacher, S. 317. 742 Heinze, ZZP 120 (2007), 303; Schlosser, RIW 2002, 809 ff.; van Drooghenbroeck, in: van Compernolle/Tarzia, Mesures Provisoires, S. 493. Typischerweise kontradiktorisch ausgestaltet und daher nicht von der Denilauler-Rechtsprechung betroffen, ist allerdings das kort geding-Verfahren. Siehe oben S. 173 ff. 743 Wie deutsche Gerichte im Einzelnen dem Erfordernis rechtlichen Gehörs im Beschluss- bzw. Urteilsverfahren genügen können, schildert Carl, S. 297–299. 744 Ebenso § 397 Abs. 1 österreichische Exekutionsordnung; Art. 733 Abs. 2 des spanischen Ley de Enjuiciamento Civil (siehe die deutsche Übersetzung bei Baglietto Bergmann, S. 335); Art. 28 d Abs. 2 schweizerisches Zivilgesetzbuch; Art. 493 und 812 französischer Ncpc. Ex parte-Entscheidungen im einstweiligen Rechtsschutz sind auch im englischen Recht möglich. Art. 25.3 (1) CPR lautet: „The court may grant an interim remedy on an application made without notice if it appears to the court that there are good reasons for not giving notice.“ Als Gründe für den Erlass ohne Anhörung des Gegners gelten besondere Eilbedürftigkeit, aber auch die Wahrung des Überraschungseffekts, Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 95. Vor Inkrafttreten der Civil Procedure Rules war es üblich, die freezing order (Mareva injunction) und die search order (Anton Piller order) ohne Gewährung rechtlichen Gehörs zu erlassen. Siehe auch Art. 8.2 der ALI/UNIDROIT-Principles of Transnational Civil Procedure. 745 Grundmann, S. 154; Kurtz, S. 39.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
von ex parte-Entscheidungen im Vollstreckungsstaat bleibt möglich. Das bedeutet, dass etwa ein französischer Gläubiger eine in Frankreich zu vollstreckende ex parte-Entscheidung, etwa eine Sicherungspfändung (saisie conservatoire), erlangen kann, 746 über die er einen ausländischen Schuldner nicht in Kenntnis setzen muss. Der Schuldner sieht sich vielmehr erst später damit konfrontiert, sich in einer fremden Rechtsordnung und in einer fremden Sprache gegen den Titel und die Vollstreckung wehren zu müssen. Nicht nur der Erlass, sondern auch die Vollstreckung im Wege einer saisie conservatoire können vorgenommen werden, ohne dass der Schuldner darüber informiert wird. 747 Die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen bevorzugen es, mit dem Erlass einer einstweiligen Maßnahme ohne vorherige Anhörung des Schuldners zunächst die Interessen des Gläubigers zu schützen und dem Schuldner erst nach Erlass einer einstweiligen Maßnahme rechtliches Gehör zu gewähren, indem er die Möglichkeit hat, einen Rechtsbehelf einzulegen. 748 Das deutsche Recht kennt etwa den Widerspruch gegen einen Arrestbeschluss gemäß § 924 ZPO. Wie Art. 41 und 43 EuGVO zeigen, ist ein solches Vorgehen auch dem europäischen Zivilprozessrecht nicht fremd. Die gegenläufigen Interessen von Gläubiger und Schuldner können auf diese Weise besser berücksichtigt werden als durch die Notwendigkeit, bereits vor Erlass einer einstweiligen Maßnahme rechtliches Gehör gewähren zu müssen. Der Gläubiger erhält hierdurch die Chance, seine Ansprüche durchzusetzen, ohne einen Rechtsverlust fürchten zu müssen. Der Schuldner kann sich ex post rechtliches Gehör verschaffen und die Maßnahme nachträglich anfechten. Einen ähnlichen, gelungenen Ausgleich zwischen den widerstreitenden Interessen von Gläubiger und Schuldner bietet Nr. 8.2 der UNIDROITPrinciples of Transnational Civil Procedure, wonach eine einstweilige Maßnahme ohne vorheriges Gehör nur angeordnet werden kann, wenn dies dringend nötig ist und überwiegende rechtliche Interessen bestehen. In diesem Fall muss dem Gegner zum frühest möglichen Zeitpunkt die Gelegenheit rechtlichen Gehörs gewährt werden.
746
Beispiel nach Grundmann, S. 158. Schlosser, RIW 2002, 809 f., der außerdem die Rechtslage in England, Österreich, Italien und Deutschland darstellt. 748 Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Gronstedt, S. 87; Grundmann, S. 155; Remien, WRP 1994, 25, 27; Sosnitza, in: Sánchez Lorenzo/Moya Escudero, S. 69, 82. Hierfür sprach sich auch die Kommission aus: Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO vom 21.4.2009, KOM(2009) 175 endg. 747
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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d) Ausblick Erfreulich ist es vor diesem Hintergrund, dass der EuGH die Anforderungen an die Gewährung rechtlichen Gehörs im einstweiligen Rechtsschutz zu senken scheint. So genügte es dem Gerichtshof, dass rechtliches Gehör ex post durch die Erhebung eines Widerspruchs gegen einen von einem deutschen Gericht in einem Mahnverfahren erlassenen Zahlungsbefehl gewährt werden konnte. 749 Ex parte ergangene Entscheidungen können also anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden, wenn der Gegner sie nach ihrem Erlass im Rahmen eines sich dann kontradiktorisch entwickelnden Verfahrens angreifen konnte. 750 Sogar die bloße Möglichkeit, dass eine einstweilige Maßnahme in einem kontradiktorischen Verfahren hätte ergehen können, hat der EuGH als ausreichend erachtet. 751 Diese Möglichkeit besteht, wenn eine einstweilige Maßnahme erst wirksam wird, nachdem die gegnerische Partei über ihren Erlass in Kenntnis gesetzt worden ist und ihre Rechte beim Erlassgericht hätte geltend machen können. 752 Auch die Vorgaben des europäischen Gesetzgebers werden zunehmend anerkennungsfreundlicher. Die neu gefaßten Anerkennungs- und Vollstreckungsbestimmungen enthalten Hinweise auf den Willen, eine großzügigere Anerkennungspraxis zu fördern. Dies gilt beispielsweise für Art. 34 Nr. 2 EuGVO, der im Vergleich zu seinem Vorgänger Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ belegt, dass die Anerkennungsversagungsgründe eingeschränkt werden sollten. 753 Denn nach Art. 34 Nr. 2 EuGVO kommt es auf die formale Ordnungsmäßigkeit der Zustellung nicht mehr an. 754 Soweit allerdings aus der Liberalisierung des Anerkennungs- und Vollstreckungsregimes der EuGVO, insbesondere der Nachfolgeregelungen der in Denilauler erwähnten Art. 27 Nr. 2, 46 Nr. 2, 47 Nr. 1 EuGVÜ, 755 749
EuGHE 1981, 1593 Rn. 9 – Klomps/Michel. Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 36a f. 751 EuGHE 1995, 2113 Rn. 14 – Hengst Import/Campese; EuGHE 2004, 9657 Rn. 50 – Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer. 752 EuGHE 2004, 9657 Rn. 51 – Maersk Olie & Gas/de Haan en de Boer. 753 Heinze, S. 465. 754 In diesem Sinne auch EuGHE 2006, 12041 Rn. 20, 41–47 – ASML Netherlands/SEMIS. 755 Die Nachfolgeregelung in Art. 34 Nr. 2 EuGVO wurde abgewandelt, behielt aber die gleiche Zielsetzung wie Art. 27 Nr. 2 EuGVÜ, nämlich die Verteidigungsmöglichkeiten des Beklagten und die Gewährung rechtlichen Gehörs zu sichern. Gemäß Art. 34 Nr. 2 EuGVO kommt es nur noch auf die Rechtzeitigkeit der Zustellung an und nicht mehr auf die technischen Einzelheiten der Zustellung. Außerdem trifft den Beklagten gemäß dem neuen letzten Halbsatz die Obliegenheit, sich mit einem Rechtsbehelf im Erlassstaat gegen die Entscheidung zu wenden, sofern ihm dies möglich ist. Art. 46 Nr. 2 EuGVÜ wurde nicht in die EuGVO übernommen. Indirekt gilt er allerdings fort: Gemäß Art. 53 Abs. 2, 54 EuGVO hat die 750
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Rückschlüsse auf die Hinfälligkeit der Denilauler-Entscheidung gezogen werden, 756 muss eingewandt werden, dass der EuGH in ihr gerade verdeutlicht hat, dass diese Vorschriften bei einseitigen Maßnahmen nicht anwendbar sind, so dass es auf ihre Veränderung nicht ankommen kann. 757 In jedem Fall aber hat die Überführung des EuGVÜ in die EuGVO dazu geführt, dass die Diskussion um das Erfordernis rechtlichen Gehörs bei einstweiligen Maßnahmen neu entfacht wurde. So hat sich das OLG Schleswig gegen die Fortgeltung der DenilaulerRechtsprechung ausgesprochen. 758 Die Begründung des OLG Schleswig, das über die Beschwerde gegen die Erteilung einer Vollstreckungsklausel für einen schwedischen Arrestbeschluss zu entscheiden hatte, enthält dabei kaum neue Aspekte. Dass die Überraschung des Schuldners durch seine Anhörung vor Erlass einer einstweiligen Maßnahme entfällt und dieses Erfordernis den grenzüberschreitenden einstweiligen Rechtsschutz lähmt, klingt ebenso vertraut und der Zustimmung wert wie das Argument, dass auch die mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen keinen entsprechend weitreichenden Schutz des Schuldners vorsehen. 759 Erstaunen ruft hingegen die Schlussfolgerung hervor, die Anforderungen aus der DenilaulerEntscheidung könnten nicht auf Art. 32 ff. EuGVO übertragen werden, so dass Art. 32 EuGVO auch ausländische Entscheidungen erfasse, die ohne vorherige Anhörung des Gegners erlassen worden seien, da der Verordnungsgeber die Ergebnisse der seit langem existierenden Rechtsprechung zum rechtlichen Gehör nicht in die Verordnung eingearbeitet habe, sondern Art. 32 EuGVO ebenso weit gefasst belassen habe wie ursprünglich Art. 25 EuGVÜ. 760 Erstaunlich ist diese Folgerung, weil umgekehrt vorgetragen worden ist, auf eine Revision der Norm sei gerade wegen der Einschränkung des Art. 24 EuGVÜ durch die Rechtsprechung verzichtet worPartei, die eine Vollstreckbarerklärung beantragt, eine Bescheinigung des Gerichts oder einer sonst befugten Stelle des Mitgliedstaats, in dem die Entscheidung ergangen ist, über die im Ursprungsstaat vollstreckbare Entscheidung vorzulegen. Diese Bescheinigung wird auf einem Formblatt nach Anhang V der Verordnung ausgestellt, gemäß dessen Punkt 4.4 bei Säumnisentscheidungen das Datum der Zustellung an den Beklagten anzugeben ist. 756 Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16. 757 Heinze, S. 465. 758 OLG Schleswig OLGR 2005, 520, 521. Ebenso Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Heinze, S. 465 f. und IPRax 2007, 343, 347. Siehe dazu auch Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 36a; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16. 759 OLG Schleswig OLGR 2005, 520, 521. 760 OLG Schleswig OLGR 2005, 520, 521. So auch Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 31 EuGVVO Rn. 97 und Art. 32 EuGVVO Rn. 35. Kofmel Ehrenzeller, S. 262, argumentiert, die Denilauler-Rechtsprechung gelte fort, weil der Gesetzgeber die Anerkennung und Vollstreckung nach der EuGVO zwar erleichtert habe, die Gewährung rechtlichen Gehörs aber nicht an Bedeutung verloren und die hierfür relevanten Regelungen keine relevante Änderung erfahren haben. Ebenso BGH WM 2007, 373, 374.
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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den. 761 Indes weist die Argumentation in die richtige Richtung. Einerseits ist das Erfordernis rechtlichen Gehörs als Voraussetzung der Anerkennung einstweiliger Maßnahmen aus den dargelegten Gründen ungeeignet. Andererseits wird es zunehmend obsolet, weil die nunmehr einzuhaltende reale Verknüpfung und der Ortsbezug dazu führen, dass einstweilige Maßnahmen vermehrt gleich im Vollstreckungsstaat erlassen werden, so dass eine grenzüberschreitende Anerkennung entbehrlich wird. Einseitige Maßnahmen, bei denen Erlass- und Vollstreckungsgericht auseinanderfallen, können lediglich noch solche sein, die an einem Hauptsachegerichtsstand nach Art. 2 ff. EuGVO ergangen sind. Insgesamt zeigen sich in der Praxis ein verstärktes gegenseitiges Vertrauen und die Bereitschaft, ausländische einstweilige Maßnahmen, auch wenn sie in der eigenen Rechtsordnung kein unmittelbares Pendant haben, anzuerkennen. Deshalb erscheint die mittlerweile fast dreißig Jahre alte Denilauler-Entscheidung nicht mehr zeitgemäß. 762 Es ist daher zu begrüßen, dass die Denilauler-Rechtsprechung teilweise als überholt eingestuft wird 763 und dass das Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO diesen Gedanken aufgreift. 764 Zu bedauern ist hingegen, dass der BGH eine erneute Vorlage an den EuGH für nicht angezeigt hielt, als sich die Gelegenheit hierfür bot. 765 Solange der EuGH seine Auffassung nicht ausdrücklich ändert, stellt die Nichtgewährung rechtlichen Gehörs aber weiterhin ein Anerkennungsrisiko dar. 3. Reale Verknüpfung, Gewährleistung der Rückzahlung und Ortsbezug Wenige Monate nach van Uden konnte der EuGH den Weg, den er hinsichtlich der Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen eingeschlagen hatte, mit der Entscheidung Mietz auf der Ebene der Anerkennung und Vollstreckung fortsetzen. Der Gerichtshof zeigte darin auf, welche Rolle die in van Uden entwickelten Zuständigkeitsvoraussetzungen für die Anerkennung einer einstweiligen Maßnahme spielen. 766 Das Gericht, bei dem die 761
Kohler, in: Gottwald, Revision des EuGVÜ, S. 1, 29 ff. Heinze, ZZP 120 (2007), 303, 308; Hess, Study No. JAI/A3/2002/02, 138 f. 763 OLG Schleswig OLGR 2005, 520, 521; Geimer, in: Geimer/Schütze, EuZVR, Art. 32 EuGVVO Rn. 35; Heinze, S. 465 f. und IPRax 2007, 343, 347. Siehe dazu auch Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 36 a; Micklitz/Rott, EuZW 2002, 15, 16. A.A. aber BGH WM 2007, 373 f.; OLG Düsseldorf OLGR 2006, 876; OLG Zweibrücken, OLGR 2006, 218; Carl, S. 297; Fohrer/Mattil, WM 2002, 840, 844 f.; Hartmann, in: Baumbach/ Lauterbach, ZPO, Art. 32 EuGVVO Rn. 1; Hüßtege, in: Thomas/Putzo, ZPO, Art. 32 EuGVVO Rn. 4; Schlosser, EU-ZPR, Art. 32 EuGVVO Rn. 6; Schütze, IZPR, Rn. 439; Wannenmacher, S. 324 f. 764 Grünbuch zur Überprüfung der EuGVO, KOM(2009) 175 endg., S. 8. 765 Vgl. BGH WM 2007, 373 f. 766 EuGHE 1999, 2277 Rn. 34–58 – Mietz/Intership Yachting. 762
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Anerkennung geltend gemacht werde, müsse prüfen, ob die anzuerkennende Entscheidung den in van Uden aufgestellten Anforderungen genüge. 767 Damit meinte der Gerichtshof bei einstweiligen Maßnahmen, die auf einer Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht beruhen, eine reale Verknüpfung zum Forumstaat und bei Leistungsverfügungen zusätzlich die Gewährleistung der Rückzahlung sowie einen Bezug zu Vermögensgegenständen im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts. 768 Diese Kriterien erlangen im Rahmen der Anerkennung den Charakter ungeschriebener Anerkennungsversagungsgründe für einstweilige Maßnahmen, die neben den in Art. 34, 35 EuGVO gesetzlich geregelten Versagungsgründen und dem Erfordernis rechtlichen Gehörs zu beachten sind. a) Die Entscheidung Mietz Der Entscheidung Mietz lag wie in van Uden ein kort geding zugrunde. 769 Erwirkt hatte es ein niederländisches Unternehmen in den Niederlanden, nachdem der deutsche Vertragspartner vereinbarte Zahlungen für die Bestellung eines Bootes schuldig geblieben war. Der Titel sollte in Deutschland für vollstreckbar erklärt werden. Zum Thema des Vorabentscheidungsverfahrens Mietz wurde die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen, weil der BGH nach der Auslegung des Art. 28 EuGVÜ gefragt hatte. 770 Gemäß Art. 28 Abs. 1 und 3 (heute Art. 35 Abs. 1 und 3 EuGVO) darf die Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats grundsätzlich nicht nachgeprüft werden, es sei denn, es handelt sich um die in Abs. 1 genannten besonderen oder ausschließlichen Zuständigkeiten. Das Interesse der Mitgliedstaaten an der Beachtung dieser Zuständigkeitsregeln ist angeblich so groß, dass sie vom allgemeinen Verbot der Nachprüfung ausgenommen wurden. 771 Wegen einer Verletzung der in Art. 28 Abs. 1 EuGVÜ aufgeführten Zuständigkeiten kann die Anerkennung versagt werden. Bei der Überprüfung einer solchen Zuständigkeit ist das Gericht im Anerkennungsstaat nach Art. 28 Abs. 2 EuGVÜ an die tatsächlichen Feststellungen gebunden, von denen das Ursprungsgericht ausgegangen ist. Der BGH wollte geklärt wissen, ob im Rahmen der Entscheidung über die Vollstreckbarerklärung im Anerkennungsstaat gemäß Art. 34 Abs. 2, 28 Abs. 2 EuGVÜ neue Tatsachen beachtet werden dürfen, die der Schuldner erst im Verfahren der Vollstreckbarerklärung 767
EuGHE 1999, 2277 Rn. 49 – Mietz/Intership Yachting. EuGHE 1980, 1553 Rn. 18 – Denilauler/Couchet Frères; EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. 769 Zum zugrunde liegenden Sachverhalt siehe ausführlich oben S. 18. 770 EuGHE 1999, 2277 Rn. 20 – Mietz/Intership Yachting. 771 Kohler, in: Dauner-Lieb, Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 147, 149. 768
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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vorträgt, um darzulegen, dass das Ursprungsgericht bestimmte Zuständigkeitsregelungen verletzt habe. 772 Gefragt wurde auch danach, ob aufgrund von Art. 28 EuGVÜ die Nachprüfung der Tatsachen ausgeschlossen ist, mit denen sich das Erlassgericht noch nicht befasst hatte. Der Gerichtshof beantwortete diese Frage nicht. 773 Stattdessen hob er, wie schon in van Uden, hervor, dass die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen nach Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalen Regelungen von der Zuständigkeit für die Hauptsache unabhängig sei. 774 Ein Gericht könne auch dann aufgrund nationalen Rechts zuständig sein, wenn es für die Entscheidung in der Hauptsache nicht zuständig sei. Da die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen aber das Risiko berge, dass die Hauptsachezuständigkeiten der Art. 2 ff. EuGVO umgangen werden, weil mit den einstweiligen Maßnahmen Entscheidungen anerkannt werden können, die an nicht vereinheitlichten Gerichtsständen der nationalen Rechtsordnungen ergangen seien, müsse sich das Gericht, das über die Anerkennung einer einstweiligen Maßnahme entscheide, nicht nur fragen, ob das Ursprungsgericht überhaupt zuständig gewesen sei, sondern auch, innerhalb welcher Grenzen die Vollstreckungsklausel für die Entscheidung beantragt werden könne. 775 Zu beachten seien die Sonderregelungen, die für die Zuständigkeit nach Art. 24 EuGVÜ bestünden. Wie der Hinweis auf die genannten Entscheidungen zeigt, sind mit den Sonderregelungen die in Denilauler und van Uden entwickelten Einschränkungen gemeint, nämlich die Gewährung rechtlichen Gehörs, die reale Verknüpfung, die Gewährleistung der Rückzahlung und der örtliche Bezug. 776 b) Folgen Als Folge der EuGH-Rechtsprechung muss das Gericht zunächst untersuchen, ob die betreffende Maßnahme unter Beachtung des rechtlichen Gehörs ergangen ist. Anschließend ist zu prüfen, ob die einstweilige Maßnahme von einem Hauptsachegericht erlassen wurde. In diesem Fall kann sie ohne weitere Besonderheiten anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden. 772
EuGHE 1999, 2277 Rn. 20 – Mietz/Intership Yachting. EuGHE 1999, 2277 Rn. 57 – Mietz/Intership Yachting. Plausibel erscheint die Auffassung des Generalanwalts in seinen Schlussanträgen, dass Tatsachen, die der Schuldner bereits im Erkenntnisverfahren hätte vorbringen können, nicht mehr berücksichtigt werden können, um Verschleppungstaktiken zu begegnen, EuGHE 1999, 2277, 2294 Rn. 58 ff. – Mietz/Intership Yachting. 774 EuGHE 1998, 7091 Rn. 19 f. – van Uden/DecoLine; EuGHE 1999, 2277 Rn. 46 – Mietz/Intership Yachting. 775 EuGHE 1999, 2277 Rn. 47, 49 – Mietz/Intership Yachting. 776 EuGHE 1999, 2277 Rn. 49 – Mietz/Intership Yachting; EuGHE 1980, 1553 Rn. 18 – Denilauler/Couchet Frères; EuGHE 1998, 7091 Rn. 48 – van Uden/DecoLine. 773
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Handelt es sich dagegen um eine Maßnahme, die über Art. 31 EuGVO auf der Grundlage nationalen Rechts erlassen wurde, musste zur Begründung der Zuständigkeit eine reale Verknüpfung gegeben sein. Da die Voraussetzung der realen Verknüpfung insbesondere dort festzustellen ist, wo einstweilige Maßnahmen vollzogen werden sollen, ergibt sich vielfach aus den über Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht eröffneten Gerichtsständen eine Zuständigkeit im Vollstreckungsstaat. 777 In diesen Fällen werden Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einer Maßnahme in einem anderen Mitgliedstaat überflüssig sein. 778 Eine einstweilige Maßnahme im Ausland anerkennen und vollstrecken zu lassen, kann aber dann erforderlich werden, wenn das Vermögen im Inland zur Erfüllung nicht ausgereicht hat oder im Zeitpunkt der Vollstreckung nicht mehr vorhanden ist, und es sich entgegen der Glaubhaftmachung im Nachhinein erwiesen hat, dass das inländische Vermögen zur Erfüllung nicht genügt. 779 Bei Leistungsverfügungen ist zusätzlich zu bedenken, dass das Hauptsacheverfahren inhaltlich vorweggenommen werden kann. Deshalb sieht der EuGH Leistungsverfügungen nur dann als einstweilige Maßnahmen an, wenn eine Sicherheit für die Rückabwicklung geleistet wurde und ein spezifischer örtlicher Bezug die Zuständigkeit rechtfertigt. 780 Der örtliche Bezug setzt voraus, dass sich zum Zeitpunkt der Entscheidung im Gerichtsstaat der Vollstreckung zugängliche Vermögensgegenstände befinden. 781 Eine grenzüberschreitende Vollstreckung wird daher grundsätzlich nicht stattfinden. Ausnahmsweise kommen die Anerkennung und Vollstreckung einer Leistungsverfügung im Ausland in Betracht, wenn der Schuldner nachträglich Vollstreckungsgegenstände dorthin verbracht hat. 782 Dass der EuGH dies befürwortet, lässt sich aus der Formulierung herleiten, dass sich Vermögensgegenstände im betreffenden Staat „befinden oder befinden müssten“. 783 Wer Leistungsverfügungen wegen der Zielrichtung auf bestimmte Vermögensgegenstände im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen 777
Siehe oben S. 330 f. Die Konsequenzen der Mietz-Entscheidung sind also den Wirkungen des Vorschlags von Schack, IZVR5, Rn. 917, und Wolf, EWS 2000, 11, 18, zumindest einstweilige Maßnahmen anzuerkennen, die durch Hauptsachegerichte erlassen wurden, ähnlich. 779 Dedek, EWS 2000, 246, 252; Hess, IPRax 2000, 370, 373 Fn. 52; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 38; Spellenberg/Leible, ZZP Int. 4 (1999), 221, 231 f.; Schulz, ZEuP 2001, 805, 816. 780 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. Siehe zur Einordnung der Voraussetzung und zur Eignung der Sicherheitsleistung als Voraussetzung für Leistungsverfügungen oben S. 277 ff. 781 Siehe oben S. 345. 782 So auch Carl, S. 301. 783 EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine. 778
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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Gerichts jegliche extraterritoriale Wirkung absprechen möchte, 784 steht somit nicht im Einklang mit dem EuGH. Noch weniger trifft es zu, dass nicht nur Leistungsverfügungen, sondern einstweilige Maßnahmen im Allgemeinen, die auf der Grundlage von Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht ergangen sind, nach der Rechtsprechung des EuGH nicht anerkennungsfähig seien. 785 Richtig ist hingegen, dass die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen infolge des Urteils Mietz stärker als zuvor reglementiert wurde, weil sich zum Erfordernis der Gewährung rechtlichen Gehörs in Denilauler aufgrund der Mietz-Entscheidung die Voraussetzungen in van Uden hinzugesellen. 786 Zuvor konnte eine einstweilige Maßnahme an einem beliebigen, nach Art. 24 EuGVÜ in Verbindung mit nationalem Recht zuständigen Gericht erlassen werden, auch an einem exorbitanten Gerichtsstand, und musste, soweit rechtliches Gehör gewährt worden war, im Ausland anerkannt werden. Nunmehr können ausländische einstweilige Maßnahmen nur dann anerkannt werden, wenn zusätzlich die Voraussetzungen aus van Uden erfüllt sind und eine Vollstreckung außerhalb des Erlassstaates hierdurch nicht schon entbehrlich geworden ist. Damit offenbart der Gerichtshof, dass er das Vertrauen, das die Vertragsstaaten bei der Entwicklung des EuGVÜ in die anderen Rechtsordnungen hatten und das die Entscheidungsfreizügigkeit rechtfertigte, hinsichtlich einstweiliger Maßnahmen nicht hat. Seine Vorgaben sind Ausdruck der Sorge, dass angesichts der vielfältigen nationalen Zuständigkeiten eine „Verwilderung der Sitten“ 787 droht. Die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen soll deshalb restriktiv gehandhabt werden und nicht nur aus den Gründen in Art. 34, 35 EuGVO versagt werden können, sondern auch aus weiteren ungeschriebenen Gründen. Insofern setzt sich die Zweispurigkeit der Zuständigkeitsebene fort, wonach einstweilige Maßnahmen einerseits bei den Gerichten der Hauptsache gemäß Art. 2 ff. EuGVO, andererseits bei den gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständigen Gerichten beantragt werden können. 788 Der Anerkennung einstweiliger Maßnahmen von Hauptsachegerichten können nur die allgemeinen Anerkennungsversagungsgründe aus 784
Normand, Rev. crit. dr. int. priv. 88 (1999), 340, 365; Stadler, JZ 1999, 1089, 1098 f. So aber Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 31 Rn. 24; Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 60. Sie wollen die Anerkennung deshalb verneinen, weil wegen der Unanwendbarkeit von Art. 27 EuGVO bei einstweiligen Verfahren die Gefahr kollidierender, einander widersprechender Entscheidungen gegeben sei. Dagegen bringt Wannenmacher, S. 316, zutreffend vor, derartige Konflikte könnten über Art. 34 Nr. 3 und 4 EuGVO gelöst werden. Die strikte Ablehnung der Anerkennung sei kein adäquates Mittel. 786 Ebenso Heinze, S. 461; Leible, in: Rauscher, EuZPR, Art. 31 Brüssel I–VO Rn. 38. 787 Schack, IZVR5, Rn. 917. 788 Heinze, S. 460. 785
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Art. 34, 35 EuGVO entgegengesetzt werden. Bei den auf nationale Gerichtsstände gestützten Maßnahmen kann die Anerkennung auch an einer Missachtung der ungeschriebenen Grenzen der Rechtsprechung scheitern. Damit das Zweitgericht im Rahmen der Anerkennung feststellen kann, welche Kriterien anzulegen sind und nachprüfen kann, ob die geltenden Kriterien eingehalten wurden, verpflichtet der EuGH das Erlassgericht, zu begründen, warum es sich für zuständig hält. 789 Um eine Maßnahme des Gerichts der Hauptsache handelt es sich, wenn das Ursprungsgericht in der Entscheidung hervorhebt, dass der Schuldner seinen Wohnsitz im Staat des Ursprungsgerichts hat und keine ausschließliche Zuständigkeit besteht. 790 Ist die Rechtsgrundlage nicht hinreichend dokumentiert, so vermutet der EuGH eine Zuständigkeit aufgrund von Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht. 791 Im Zweifel gelten also die Anforderungen aus van Uden. Ergibt sich die Zuständigkeit nur ungenügend aus der Entscheidung, so kann eine Anerkennung nachträglich ermöglicht werden, indem der Antragsteller eine Ergänzung der Entscheidung beantragt. 792 c) Bewertung Die Fortführung der Rechtsprechung aus van Uden auf der Ebene der Anerkennung ist insoweit positiv zu bewerten, als die Zuständigkeitsvoraussetzungen entwickelt wurden, um eine Umgehung der Hauptsachezuständigkeiten zu verhindern und dieses Ziel, auch durch die in Zweifelsfällen vermutete Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO, konsequent weiterverfolgt wird, wenn die Anerkennung wegen einer Nichtbeachtung der Voraussetzungen versagt wird. Die van Uden-Kriterien werden hierdurch „anerkennungsfest“ 793 gemacht. Außerdem schützen die Voraussetzungen die Interessen des Antragsgegners wie des Antragstellers, weil sie überwiegend zu einer Vollstreckung im Erlassstaat führen, 794 eine grenzüberschreitende Vollstreckung 789
EuGHE 1999, 2277 Rn. 53 – Mietz/Intership Yachting. EuGHE 1999, 2277 Rn. 50 – Mietz/Intership Yachting. 791 EuGHE 1999, 2277 Rn. 54 f. – Mietz/Intership Yachting. Zustimmend Consolo, ZZP Int. 6 (2001), 49, 56. 792 Das autonome deutsche Recht sieht dies unter den Voraussetzungen von § 321 ZPO vor, Hess, IPRax 2000, 370, 373. 793 Jayme/Kohler, IPRax 1999, 401, 408. 794 Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 60, sehen die prozessuale Fairness dadurch beeinträchtigt, dass die Zuständigkeiten für den Erlass einstweiliger Maßnahmen anders als diejenigen für das ordentliche Verfahren nicht vereinheitlicht sind. So schon Wolf, EWS 2000, 11, 16 f., unter Berufung auf Albrecht, S. 120. Das Argument, die Zuständigkeiten seien nicht vereinheitlicht, hat allerdings an Gewicht verloren, seit die Anforderungen an die Zuständigkeit von Seiten des EuGH erhöht wurden und eine Umgehung der dergestalt vereinheitlichten Zuständigkeiten erschwert wurde. 790
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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der auf der Grundlage von Art. 31 EuGVO ergangenen Maßnahmen aber nicht kategorisch ausschließen. Problematisch ist jedoch, dass im Anerkennungsstadium aufwändig geprüft werden muss, auf Grundlage welcher Zuständigkeitsregelung die anzuerkennende ausländische Maßnahme erlassen worden ist und ob die bei der jeweiligen Zuständigkeit anzusetzenden Kriterien erfüllt sind. Der EuGH verlangt den Zweitgerichten damit eine umfangreiche Prüfung ab, die eine Verlangsamung des Verfahrens mit sich bringt. Auch wenn bis zur Vollstreckung nicht unbedingt über fünf Jahre vergehen müssen wie im Fall Mietz, kosten die grenzüberschreitende Anerkennung und Vollstreckung unter Beachtung der Rechtsprechung des EuGH Zeit, die im einstweiligen Rechtsschutz knapp ist. Von diesen praktischen Erwägungen abgesehen widerspricht die Prüfung eines ganzen Katalogs verschiedener Zuständigkeitsvoraussetzungen vor der Anerkennung den Grundpfeilern der Art. 32 ff. EuGVO. Art. 35 Abs. 1 EuGVO erlaubt eine Zuständigkeitsüberprüfung im Anerkennungsstadium nur in den genannten Ausnahmefällen. Unter diesen Zuständigkeitsbestimmungen ist Art. 31 EuGVO nicht. Sehr wohl findet auf Zuständigkeiten nach Art. 31 aber Art. 35 Abs. 3 EuGVO Anwendung, 795 der die Nachprüfung der Zuständigkeit der Gerichte des Ursprungsstaats untersagt. Beeinträchtigt werden somit der Grundsatz gegenseitigen Vertrauens in die richtige Auslegung und Anwendung der Regelungen zur Zuständigkeit durch die Gerichte der Mitgliedstaaten und das daraus resultierende Verbot einer Überprüfung der Zuständigkeit durch das Gericht eines anderen Mitgliedstaats. 796 Insofern liegt in der Tat ein „Systembruch“ 797 vor. Der EuGH argumentiert in diesem Zusammenhang, der Zweitrichter verifiziere nicht die Zuständigkeit des Erstgerichts, sondern nur, ob überhaupt eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO vorliege. 798 Auch diese Rechtfertigung steht aber der gesetzlichen Konzeption der Art. 32 ff. EuGVO entgegen. Zum einen wird gemäß Art. 32 EuGVO grundsätzlich jede Entscheidung anerkannt. Zum anderen werden durch die Notwendigkeit der Ermittlung, ob überhaupt eine einstweilige Maßnahme vorliegt, die Grenzen erreicht, wenn nicht gar überschritten, die Art. 36 und 45 Abs. 2 EuGVO hinsichtlich einer Überprüfung der Entscheidung in der Sache selbst setzen. 795
832.
796
Eilers, S. 205; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 35 Rn. 1; Schulz, ZEuP 2001, 805,
EuGHE 1991, 3317 Rn. 22–25 – Overseas/New Hampshire; EuGHE 1997, 5451 Rn. 23 – von Horn/Cinnamond; EuGHE 2003, 14693 Rn. 44, 45, 48 – Erich Gasser GmbH/ MISAT Srl. 797 Jayme/Kohler, IPRax 1999, 401, 408. 798 EuGHE 1999, 2277 Rn. 49 – Mietz/Intership Yachting. Dem folgen Stadler, JZ 1999, 1089, 1098; Wannenmacher, S. 329–334.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Außerdem handelt es sich de facto um eine Überprüfung der Zuständigkeit, wenn das Zweitgericht prüft, ob beim Erlass einer einstweiligen Maßnahme nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht eine reale Verknüpfung und ein örtlicher Bezug vorliegen. 799 Dieses Verständnis wird durch die Mietz-Entscheidung selbst bestärkt. Die Vorlagefrage bezog sich auf die Überprüfung einer Zuständigkeit im Verfahren der Vollstreckbarerklärung gemäß Art. 34 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 28 Abs. 2 EuGVÜ. 800 Im Zentrum der Ausführungen des EuGH stehen solche zur Zuständigkeit, insbesondere zur Zuständigkeit nach Art. 24 EuGVÜ. 801 Es ist daher nicht ersichtlich, weshalb der „Frage, in welchen Grenzen die Vollstreckungsklausel für eine Entscheidung beantragt werden kann, die in Wahrnehmung der Zuständigkeit nach Artikel 24 EuGVÜ ergangen ist“, 802 entnommen werden sollte, dass die „Grenzen“ lediglich die in van Uden aufgestellten Anforderungen für einstweilige Maßnahmen, nicht aber die reale Verknüpfung als Anforderung für die Zuständigkeit sein sollte. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil ausdrücklich auf die Gefahr einer Umgehung der Zuständigkeitsregelungen hingewiesen wird, 803 zu deren Bekämpfung die reale Verknüpfung entwickelt wurde. Wenn sich also „dem Gericht, bei dem die Anerkennung geltend gemacht wird, nicht die Frage“ stellt, „ob das Ursprungsgericht überhaupt zuständig war, sondern die Frage, in welchen Grenzen die Vollstreckungsklausel für eine Entscheidung beantragt werden kann, die in Wahrnehmung der Zuständigkeit nach Artikel 24 EuGVÜ ergangen ist“, 804 ist dies so zu verstehen, dass zu trennen ist zwischen „überhaupt zuständig“ und „Zuständigkeit nach Artikel 24 EuGVÜ“. Die Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO bedarf einer Überprüfung dahingehend, ob die Grenzen, welche die Rechtsprechung in van Uden gezogen hat, eingehalten wurden. Auf die nach Meinung des Gerichtshofs für Leistungsverfügungen als einstweilige Maßnahmen im Sinne des Art. 31 EuGVO geltenden Kriterien geht er im Einzelnen gar nicht ein. Von einer „deutlichen Abgrenzung“ 805 zwischen den Anforderungen an das Vorliegen einer einstweiligen Maßnahme bzw. an die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen kann keine Rede sein. 799
Ebenso Hartley, Eur. L. Rev. 24 (1999), 674, 682; Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 200; Pörnbacher, in: Geimer/Schütze, Internationaler Rechtsverkehr in Zivil- und Handelssachen, Art. 31 EuGVO Rn. 17; Schlosser, EU-ZPR, Art. 31 EuGVVO Rn. 16; Schulz, ZEuP 2001, 805, 825; Willeitner, S. 136. 800 EuGHE 1999, 2277 Rn. 20 – Mietz/Intership Yachting. 801 EuGHE 1999, 2277 Rn. 44–57 – Mietz/Intership Yachting. 802 EuGHE 1999, 2277 Rn. 49 – Mietz/Intership Yachting. 803 EuGHE 1999, 2277 Rn. 47 – Mietz/Intership Yachting, mit Hinweis auf EuGHE 1998, 7091 Rn. 46 – van Uden/DecoLine. 804 EuGHE 1999, 2277 Rn. 49 – Mietz/Intership Yachting. 805 Wannenmacher, S. 330.
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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Noch weniger als mit dem EuGVÜ ist die Rechtsprechung des EuGH mit der EuGVO vereinbar, weil gemäß der Verordnung bei Vorliegen eines Titels nach der Anerkennung auch die Vollstreckungsklausel für jede Entscheidung automatisch erteilt wird und eventuelle Versagungsgründe erst im Rechtsbehelfsverfahren auf Einrede des Schuldners Beachtung finden. 806 Dennoch müssen die Anforderungen des EuGH auch unter dem Regime der EuGVO eingehalten werden. Obwohl sie im deutlichen Gegensatz zu der von der EuGVO beabsichtigten Freizügigkeit der Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen und zum Ziel eines reibungslosen Funktionierens des Binnenmarktes stehen, 807 ließ der Gerichtshof bislang keine Abkehr von seiner Rechtsprechung erkennen. Da jede zusätzliche Prüfung die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung verlangsamt, würde eine Erweiterung von Art. 35 Abs. 1 auf die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht 808 nur formale Erleichterung bringen. Das Problem dürfte nur dadurch zufriedenstellend gelöst werden, dass sich der EuGH in einem weiteren Vorabentscheidungsverfahren von der geforderten Prüfung im Anerkennungsstadium verabschiedet. 809 4. Keine unvereinbaren Maßnahmen Die Anerkennung einer einstweiligen Maßnahme kann nicht nur an ungeschriebenen Versagungsgründen scheitern, sondern auch unmittelbar an Art. 34, 35 EuGVO. 810 Gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVO wird eine Entscheidung nicht anerkannt, wenn sie mit einer anderen Entscheidung unvereinbar ist, die zwischen denselben Parteien in dem Staat ergangen ist, in dem die Anerkennung geltend gemacht wird. Auf die zeitliche Reihenfolge der Entscheidungen kommt es nicht an. Der Anerkennungsversagungsgrund aus Art. 34 Nr. 3 EuGVO ist zwingend zu beachten. 811
806
Siehe Art. 38 Abs. 1, Art. 41 und Art. 43 EuGVO. Vgl. Erwägungsgründe 1, 2, 6, 10. 808 So der Vorschlag von Kramer, Kort geding in internationaal perspectief, S. 224, und Schulz, ZEuP 2001, 805, 835. 809 So auch Schulz, ZEuP 2001, 805, 836. Das OLG München EWS 2000, 231, geht faktisch bereits diesen Weg, indem es dahingestellt lässt, ob das Erlassgericht seine Zuständigkeit auf Art. 5 Nr. 1 oder Art. 24 EuGVÜ gestützt hat, und das Vorliegen einer realen Verknüpfung nicht prüft, weil kein Fall des Art. 28 Abs. 1 EuGVÜ vorliege. 810 Die Anerkennungsversagungsgründe gelten auch für einstweilige Maßnahmen, weil sie wie Art. 32 EuGVO von „Entscheidungen“ sprechen, EuGHE 2002, 4995 Rn. 41 – Italian Leather/WECO. 811 EuGHE 2002, 4995 Rn. 50 – Italian Leather/WECO. 807
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Liegt eine Entscheidung in der Hauptsache vor, ist die Anerkennung einer anderslautenden einstweiligen Maßnahme ausgeschlossen. Das folgt schon aus dem vorläufigen Charakter des einstweiligen Rechtsschutzes. 812 Wie der EuGH in Italian Leather bestätigt hat, kann auch die Unvereinbarkeit zweier einstweiliger Maßnahmen zur Versagung der Anerkennung gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVO führen. 813 a) Die Entscheidung Italian Leather In dem Ausgangsfall beantragte das Unternehmen Italian Leather am Sitz des beklagten Unternehmens WECO in Koblenz eine einstweilige Verfügung des Inhalts, das deutsche Unternehmen müsse es unterlassen, Lederwaren unter der Marke „naturia longlife by Maurizio Danieli“ zu vertreiben. Die beklagte Möbelfirma ließ sich von der Klägerin mit Leder für die Herstellung ihrer Polstermöbel beliefern. Nach dem Scheitern der Vertragsbeziehung versuchte die Klägerin mit dem Unterlassungsantrag, ihre Marke zu schützen. Das LG Koblenz war gemäß Art. 24 EuGVÜ zuständig. Das Erfordernis einer realen Verknüpfung war gewahrt, weil die Beklagte ihren Sitz im Gerichtsbezirk hatte. Der Antrag der Klägerin wurde aber zurückgewiesen, weil nach deutschem Recht kein Verfügungsgrund gegeben sei. Noch bevor die Entscheidung ergangen war, rief die Klägerin zusätzlich das Tribunale Bari an, das aufgrund einer Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache zuständig war. Dieses Gericht untersagte der Beklagten antragsgemäß, beim Vertrieb von Lederwaren die Bezeichnung „longlife“ zu gebrauchen. Es sah die Dringlichkeit nach italienischem Recht als gegeben an. Die Klägerin erwirkte daraufhin die Vollstreckbarerklärung der italienischen einstweiligen Verfügung beim LG Koblenz. Auf die Beschwerde der Beklagten hob das OLG Koblenz den Beschluss über die Vollstreckbarerklärung auf, weil die italienische einstweilige Verfügung mit der Entscheidung des deutschen Gerichts unvereinbar im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ sei. Als Rechtsbeschwerdegericht wollte der BGH vom EuGH wissen, ob einstweilige Maßnahmen, die hinsichtlich der Voraussetzungen ihres Erlasses differieren, als unvereinbare Entscheidungen im Sinne von Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ anzusehen sein können. 814 Die Besonderheit des Fal-
812
Pansch, S. 73. EuGHE 2002, 4995 Rn. 47, 52 – Italian Leather/WECO. Die zu Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ ergangene Entscheidung gilt auch für Art 34 Nr. 3 EuGVO. Ein Unterschied ergibt sich lediglich insofern, als die Gründe für eine Versagung der Anerkennung gemäß Art. 41 EuGVO nicht mehr vor der Vollstreckbarerklärung einer ausländischen Entscheidung, sondern erst im Rechtsbehelfsverfahren nach der Vollstreckbarerklärung geprüft werden. 814 Vgl. die Vorgelagefragen in EuGHE 2002, 4995 Rn. 33 – Italian Leather/WECO. 813
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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les bestand darin, dass keine materiell-rechtlichen, sondern Verfahrensunterschiede als Grund für eine Unvereinbarkeit in Frage kamen. Der EuGH stellte klar, dass Art. 27 Nr. 3 ebenso wie Art. 25 EuGVÜ auf „Entscheidungen“ jeglicher Art anzuwenden sei, also auch auf solche in einstweiligen Verfahren. 815 Dass sich die nationalen Verfahrensvorschriften im einstweiligen Rechtsschutz stärker unterscheiden als im Hauptsacheverfahren, hielt er nicht für bedeutsam, weil das EuGVÜ nicht der Vereinheitlichung dieser Vorschriften diene und die Unvereinbarkeit an den Wirkungen gerichtlicher Entscheidungen, nicht aber an unterschiedlichen Verfahrensvoraussetzungen zu messen sei. 816 Auf ein früheres Urteil verweisend erklärte der EuGH Entscheidungen für unvereinbar, wenn sich ihre Rechtsfolgen gegenseitig ausschließen. 817 Deshalb erachtete er eine ausländische einstweilige Maßnahme, mit der ein Schuldner verpflichtet wird, bestimmte Handlungen zu unterlassen, als unvereinbar im Sinne des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ mit einer zwischen denselben Parteien ergangenen Maßnahme, in welcher der Antrag auf den Erlass einer solchen Maßnahme zurückgewiesen wird. 818 In diesem Fall müsse das Gericht im Vollstreckungsstaat die Anerkennung der ausländischen Entscheidung versagen. 819 Auf den Wortlaut des Art. 27 Nr. 3 EuGVÜ, den Jenard-Bericht und die Verwirklichung der Rechtssicherheit als eines der Ziele des Übereinkommens führte der EuGH zurück, dass die Versagung der Anerkennung wegen Unvereinbarkeit zwingend ist und nicht etwa im Ermessen des Gerichts steht. 820 b) Bewertung Gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVO die Anerkennung zu versagen, wenn zwischen denselben Parteien mit einer einstweiligen Maßnahme das Gegenteil einer anderen Maßnahme angeordnet wird, ist richtig. 821 Der Wortlaut der Normen differenziert nicht zwischen Hauptsacheverfahren und einstweiligen Verfahren, so dass eine Gleichbehandlung erlaubt
815
EuGHE 2002, 4995 Rn. 41 – Italian Leather/WECO. EuGHE 2002, 4995 Rn. 42–44 – Italian Leather/WECO. 817 EuGHE 2002, 4995 Rn. 40 – Italian Leather/WECO; EuGHE 1988, 645 Rn. 22 – Hoffmann/Krieg. 818 EuGHE 2002, 4995 Rn. 47 – Italian Leather/WECO. 819 EuGHE 2002, 4995 Rn. 52 – Italian Leather/WECO. 820 EuGHE 2002, 4995 Rn. 48–51 – Italian Leather/WECO. Dem EuGH zustimmend Fritzsche, ZZP Int. 7 (2002), 250, 254. 821 So auch Dietze/Schnichels, EuZW 2003, 581, 587 (jedenfalls, wenn die Entscheidungen hinsichtlich ihres materiellen Gehalts unvereinbar sind, was der EUGH nicht hinreichend klargestellt habe); Pansch, S. 77; Wannenmacher, S. 338–340. 816
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
sein muss. 822 Sachgerecht ist sie insbesondere bei Leistungsverfügungen, die an die Stelle der Hauptsache treten. Art. 34 Nr. 3 EuGVO ist im einstweiligen Rechtsschutz wichtiger als im ordentlichen Verfahren. Denn im einstweiligen Rechtsschutz können infolge der Zuständigkeiten nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht mehrere Entscheidungen zu demselben Gegenstand ergehen, weil Art. 27 EuGVO nicht anwendbar ist. 823 Das Interesse des Gläubigers am Erlass paralleler einstweiliger Maßnahmen sollte auf der Zuständigkeitsebene aus Gründen effektiven Rechtsschutzes gewahrt werden. Da Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht besonders sach- und vollstreckungsnahe Gerichtsstände eröffnet, ist eine Anerkennung der einstweiligen Maßnahmen in anderen Staaten zur Optimierung des Rechtsschutzes aber nicht erforderlich. Im AnerAnerkennungsstadium muss vielmehr die Regulierungsfunktion von Art. 34 Nr. 3 EuGVO im Vordergrund stehen. Die Bedeutung von Art. 34 Nr. 3 EuGVO bei einstweiligen Maßnahmen beruht auch darauf, dass die nationalen Rechtsordnungen hinsichtlich der Anforderungen im einstweiligen Rechtsschutz stark voneinander abweichen. Der Rechtsstreit, der Italian Leather zugrunde lag, verdeutlicht, wie zwei Gerichte gegeneinander ausgespielt werden könnten, wenn Art. 34 Nr. 3 EuGVO nicht eingriffe. Während das zuerst angerufene deutsche Gericht einen Antrag auf Untersagung des Gebrauchs einer Marke zurückwies, gab das später eingeschaltete italienische Gericht dem Antrag hinsichtlich derselben Marke für dieselben Produkte in demselben geografischen Einzugsgebiet aufgrund niedrigerer Anforderungen an die Dringlichkeit statt. Würde man in einem solchen Fall nicht von Unvereinbarkeit im Sinne des Art. 34 Nr. 3 EuGVO ausgehen, könnten Gläubiger dazu animiert werden, in verschiedenen Staaten solange einstweilige Maßnahmen zu beantragen, bis ein Gericht eine einstweilige Maßnahme mit dem gewünschten Ergebnis erließe. Diese Entscheidung müsste dann, wenn Art. 34 Nr. 3 EuGVO nicht eingriffe, in jedem anderen Mitgliedstaat anerkannt werden, auch wenn ein Gericht innerhalb des Anerkennungsstaates womöglich ein gegenteiliges Ergebnis befürwortet hatte. Der EuGH hat deshalb mit seiner Entscheidung nicht nur einen wichtigen Beitrag zur Förderung der Rechtssicherheit im einstweiligen Rechtsschutz geleistet, sondern auch im Einklang mit der Zielsetzung von van Uden forum shopping im einstweiligen Rechtsschutz unterbunden. Die Zusammenschau der Entscheidungen mindert die Attraktivität paralleler einstweiliger Verfahren in verschiedenen Mitgliedstaaten. 822 823
A.A. Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 61. Siehe oben S. 362 ff.
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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Vereinzelt hatte man von der Italian Leather-Entscheidung erwartet, dass der EuGH darin ein weiterführendes Konzept zum einstweiligen Rechtsschutz, insbesondere eine „Hierarchiebildung“ im Sinne eines Vorrangs der einstweiligen Maßnahmen des Gerichts der Hauptsache vor den Maßnahmen anderer Gerichte, präsentieren würde. 824 Der Vorrang hätte zur Konsequenz, dass sich einstweilige Maßnahmen des Hauptsachegerichts stets gegenüber den übrigen einstweiligen Maßnahmen durchsetzen würden. Einstweilige Maßnahmen, die aufgrund von Art. 31 EuGVO ergangen sind, wären grundsätzlich subsidiär. Der Gerichtshof erfüllte die Erwartung nicht, was damit erklärt wurde, dass das EuGVÜ ein solches Konzept nicht vorsehe. 825 In der EuGVO setzt sich bei Unvereinbarkeit im Sinne von Art. 34 Nr. 3 EuGVO die Entscheidung des Anerkennungsstaats durch. Außerdem unterscheidet der Wortlaut von Art. 34 Nr. 3 EuGVO nicht zwischen Hauptsacheverfahren und einstweiligem Rechtsschutz. 826 II. Voraussetzungen der Vollstreckbarerklärung einstweiliger Maßnahmen Die Vollstreckbarerklärung von Entscheidungen aus Mitgliedstaaten bestimmt sich nach Art. 38 ff. EuGVO. 827 Es handelt sich um ein verglichen mit den autonomen Rechtsordnungen gestrafftes Verfahren, das in zwei Abschnitte unterteilt ist: das Verfahren der Vollstreckbarerklärung (Exequaturverfahren) und ein gegebenenfalls folgendes Rechtsbehelfsverfahren. Die Vollstreckbarerklärung erfolgt üblicherweise innerhalb einiger Wochen, in manchen Mitgliedstaaten sogar innerhalb weniger Tage. 828 Umfragen in den Mitgliedstaaten ergaben, dass das Ziel der Freizügigkeit von Entscheidungen im europäischen Rechtsraum durch die Regelungen zur Anerkennung und Vollstreckung in der EuGVO erfolgreich umgesetzt wird. 829 Das Verfahren der Vollstreckbarerklärung ist erforderlich, weil die Vollstreckungswirkung eines ausländischen Titels vom Anerkennungsstaat selbst verliehen werden muss. 830 Es beginnt mit einem entsprechenden An824
Ausführlich zum „System durch Hierarchiebildung“ Wolf/Lange, RIW 2003, 55, 62. Hess, IPRax 2005, 23, 25. 826 Hess, IPRax 2005, 23, 25. 827 Die nähere Ausgestaltung ergibt sich aus dem AVAG (Gesetz zur Ausführung zwischenstaatlicher Verträge und zur Durchführung von Verordnungen der Europäischen Gemeinschaft auf dem Gebiet der Anerkennung und Vollstreckung in Zivil- und Handelssachen vom 3.12.2009, BGBl. I 3830, zuletzt geändert durch Art. 6 des Gesetzes v. 23.5.2011, BGBl. I 898). Zur Durchsetzung unbestrittener Forderungen auf den alternativen Wegen eines europäischen Vollstreckungstitels kritisch Schack, IZVR5, Rn. 1053 ff. 828 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 454 und 506 (Übersicht über die einzelnen Mitgliedstaaten). 829 Hess/Pfeiffer/Schlosser, Rn. 454. 830 Schack, IZVR5, Rn. 1024 ff.; Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 644. 825
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
trag, der gemäß Art. 39 Abs. 1 EuGVO in Verbindung mit Anhang II an den Vorsitzenden einer Kammer des Landgerichts zu richten ist. Örtlich zuständig können gemäß Art. 39 Abs. 2 EuGVO das Gericht am Wohnsitz des Schuldners oder das Gericht an dem Ort sein, wo die Zwangsvollstreckung durchgeführt werden soll. Dem Antrag müssen nach Art. 40 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 53 und 54 EuGVO eine Ausfertigung der ausländischen Entscheidung sowie eine formalisierte Bescheinigung des ausländischen Gerichts, in der die Vollstreckbarkeit bestätigt wird, beigefügt werden. Gemäß Art. 41 Satz 1 EuGVO wird die ausländische Entscheidung für vollstreckbar erklärt, sobald diese formalen Voraussetzungen erfüllt sind. Eine Prüfung der Anerkennungsversagungsgründe aus Art. 34 und 35 EuGVO erfolgt in diesem Stadium nicht, was das Exequaturverfahren beschleunigt. Geprüft wird lediglich, ob ein vollstreckbarer Titel vorliegt. Das Gericht entscheidet gemäß § 8 AVAG durch Beschluss. Nach Erteilung der Vollstreckungsklausel werden dem Schuldner nach Art. 42 Abs. 2 EuGVO, §§ 8, 9, 10 Abs. 1 AVAG beglaubigte Abschriften des Beschlusses und, soweit noch nicht erfolgt, des Titels zugestellt. Nach Art. 41 Satz 2 EuGVO darf der Schuldner bis dahin nicht gehört werden. Die Vollstreckbarerklärung ist als einseitiges Verfahren von Gläubiger und Exequaturgericht gestaltet. Die im Anschluss an die Vollstreckbarerklärung erfolgende Vollstreckung geschieht grundsätzlich nach dem autonomen Recht des Vollstreckungsstaates. 831 Wenn der Schuldner mit der Vollstreckbarerklärung nicht einverstanden ist, kann er in einem Rechtsbehelfsverfahren dagegen vorgehen. 832 Gemäß Art. 43 Abs. 5 EuGVO in Verbindung mit Anhang III und §§ 11, 35, 55 Abs. 2 AVAG ist gegen den Beschluss die Beschwerde beim Oberlandesgericht statthaft. Nach Art. 45 berechtigen insbesondere 833 die in Art. 34 und 35 EuGVO genannten, ex post zu prüfenden Anerkennungsversagungsgründe dazu, den Beschluss über die Vollstreckbarerklärung aufzuheben. 834 831
Kofmel Ehrenzeller, S. 266; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 38 Rn. 3. Zur Vollziehung von Leistungsverfügungen vgl. Carl, S. 305 f. 832 Diese Neuerung gegenüber dem EuGVÜ ist als ein weiterer Schritt zum langfristigen visionären Ziel einer einheitlichen unmittelbaren Urteilsgeltung in Europa ohne Anerkennungs- und Vollstreckbarerklärungsverfahren, wie es das Maßnahmenprogramm des Rates zur Umsetzung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen, ABl. EG 2001 C 12, S. 1, definiert. 833 Art. 45 Abs. 1 EuGVO ist weiter auszulegen, als der enge Wortlaut der Norm nahelegt, Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 43 Rn. 27 f.; Schack, IZVR5, Rn. 1051 Fn. 1. 834 Kritisch zur Verlagerung der Anerkennungsprüfung in die Phase eines Rechtsbehelfs Kohler, in: Dauner-Lieb, Systemwechsel im europäischen Kollisionsrecht, S. 147, 152, der anmerkt, dass nicht nur Individualinteressen des Schuldners durch eine automatische Vollstreckbarerklärung beeinträchtigt werden könnten, sondern auch allgemeine staatliche Inte-
B. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung nach der EuGVO
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Sollte eine einstweilige Maßnahme entgegen Art. 34 Nr. 2 EuGVO und unter Missachtung der Denilauler-Entscheidung ohne vorheriges rechtliches Gehör erlassen worden sein, war sie also zunächst vollstreckbar, aber nicht anerkennungsfähig. Diese merkwürdige Situation wird wegen des großen Interesses des Gläubigers an einer schnellen Vollstreckbarerklärung hingenommen. Doch wird auch den Interessen des Schuldners Rechnung getragen. Seit van Uden fordert der EuGH schon bei Erlass einer Leistungsverfügung die Erbringung einer Sicherheitsleistung, durch die ein möglicher Schadensersatzanspruch des Schuldners nach dem Beschwerdeverfahren gesichert wird. 835 Sonst sieht das Gesetz die Anordnung einer Sicherheitsleistung in Art. 46 Abs. 3 EuGVO erst durch das mit dem Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung befasste Gericht vor. Gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts ist nach Art. 44 EuGVO in Verbindung mit Anhang IV und §§ 15 ff. AVAG die Rechtsbeschwerde beim BGH eröffnet. Im Zeitraum von der erstinstanzlichen Vollstreckbarerklärung bis zum Ablauf der Frist aus Art. 43 Abs. 5 EuGVO für den Rechtsbehelf gegen die Vollstreckbarerklärung kann die Zwangsvollstreckung gemäß Art. 47 Abs. 3 EuGVO 836 nur in der Gestalt von Sicherungsmaßnahmen erfolgen. Es ist somit möglich, dass einstweilige Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 31 EuGVO nach dem Recht eines Staates ergehen und ihre Durchsetzung in einem anderen Staat gemäß Art. 47 Abs. 3 EuGVO durch eine Maßnahme nach dem Recht des Vollstreckungsstaates gesichert wird. Art. 47 Abs. 1 EuGVO ermöglicht demjenigen, der einen Titel erstritten hat, einstweilige Maßnahmen nach dem Recht des Vollstreckungsstaates zu beantragen, ohne dass der anzuerkennende ausländische Titel zuvor für vollstreckbar erklärt worden sein müsste. 837 Abgesehen von Art. 31 ist Art. 47 Abs. 1 EuGVO die einzige Vorschrift der Verordnung, die explizit von einstweiligen Maßnahmen spricht. Auf der Grundlage von Art. 47 Abs. 1 EuGVO kann ein Gläubiger in Deutschland einstweilige Maßnahmen nach §§ 916 ff. ZPO oder Sicherungsmaßnahmen in Form einer Vor-
ressen, etwa bei einem Verstoß gegen die öffentliche Ordnung. Eine Überprüfung sei gleichwohl nur dann vorgesehen, wenn der Schuldner einen Rechtsbehelf einlege. Die Bedenken von Kohler teilt Stoppenbrink, ERPL 5 (2002), 641, 659 f. 835 EuGHE 1998, 7091 Rn. 40 – van Uden/DecoLine. Anders früher Eilers, S. 283 f., die grenzüberschreitende Leistungsverfügungen für nicht vollstreckbar hielt. 836 Zum Verhältnis der Vorschrift zu Art. 46 EuGVO siehe OGH IPRax 2007, 227 ff. mit Anm. Schlosser, IPRax 2007, 239 ff. 837 Eine Art. 47 Abs. 1 EuGVO vergleichbare Regelung enthielt das EuGVÜ nicht. Näher zur Auslegung von Art. 47 EuGVO, insbesondere zur Systematik, König, ecolex 2001, 737; Schlosser, IPRax 2007, 239, 240 f.; van der Plas, NIPR 2002, 146, 148.
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
pfändung nach § 845 ZPO oder einer Sicherungsvollstreckung nach § 720a ZPO erwirken. 838 Art. 47 ist als Fortsetzung von Art. 31 EuGVO zu verstehen, wonach die EuGVO für alle Verfahrensstadien einen einstweiligen Rechtsschutz vorsieht. 839 Während Art. 31 bis zum Erlass eines Titels eingreifen kann, gilt Art. 47 Abs. 1 EuGVO nach dem Erlass des Titels und vor seiner Vollstreckbarerklärung. Art. 47 Abs. 2, 3 EuGVO schließlich findet nach der Vollstreckbarerklärung bis zum Ende des Rechtsbehelfsverfahrens Anwendung. Zur Sicherheitsleistung im Vollstreckungsverfahren erging die Entscheidung Brennero/Wendel. 840 Dieser Entscheidung des EuGH lag eine italienische Arrestentscheidung zugrunde, die in Deutschland für vollstreckbar erklärt worden war. Während die Rechtsbehelfsfrist gegen die Vollstreckbarerklärung lief, war die Vollstreckung gemäß Art. 39 EuGVÜ auf Maßnahmen der Sicherung beschränkt. Obwohl lediglich eine einstweilige Maßnahme und keine Hauptsacheentscheidung vollstreckt werden sollte, wurde trotzdem eine Vollstreckung vollen Umfangs durchgeführt. Das OLG Hamm missbilligte dieses Vorgehen und ordnete noch vor der Entscheidung über den Rechtsbehelf eine Sicherheitsleistung an. 841 Der BGH legte dem EuGH die Frage vor, ob innerhalb eines schwebenden Rechtsbehelfs gegen die Vollstreckbarerklärung einer einstweiligen Maßnahme gemäß Art. 38 Abs. 3 EuGVÜ eine Sicherheitsleistung angeordnet werden kann, ohne dass über den Rechtsbehelf selbst entschieden wird. 842 Der EuGH verneinte dies und verwies darauf, dass Art. 38 Abs. 3 im Kontext mit Art. 39 EuGVÜ zu sehen sei. 843 Bis zur Entscheidung über den Rechtsbehelf sei der Schuldner ausreichend geschützt, weil die Zwangsvollstreckung nicht über Maßnahmen der Sicherung hinausgehen dürfe. Eine Sicherheitsleistung könne deshalb erst in der Entscheidung über den Rechtsbehelf angeordnet werden. Die Sicherheitsleistung solle 838 Hess/Hub, IPRax 2003, 93, 94 ff.; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 47 Rn. 4; Mankowski, in: Rauscher, EuZPR, Art. 47 Brüssel I–VO Rn. 4; Schlosser, IPRax 2007, 239, 240. In der Praxis allerdings ist die Vorgehensweise über Art. 47 Abs. 1 EuGVO regelmäßig von geringem Wert, weil Vollstreckbarerklärungen auch innerhalb weniger Tage ergehen können. Hess/Hub, IPRax 2003, 93, 97 f. 839 Hess/Hub, IPRax 2003, 93, 94; Kofmel Ehrenzeller, S. 242; Kropholler/von Hein, EuZPR9, Art. 47 Rn. 4; van der Plas, NIPR 2002, 146, 148. Ausführlich zum vollstreckungsbegleitenden einstweiligen Rechtsschutz nach autonomem deutschem Recht Weinert, S. 132 ff. 840 EuGHE 1984, 3971 – Brennero/Wendel. Zu Einzelheiten des Falles und den verschiedenen daraus resultierenden Rechtsfragen vgl. auch Gronstedt, S. 165–167. 841 EuGHE 1984, 3971 Rn. 3 – Brennero/Wendel. 842 EuGHE 1984, 3971 Rn. 6 – Brennero/Wendel. 843 EuGHE 1984, 3971 Rn. 12 – Brennero/Wendel.
C. Zusammenfassung
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die Interessen des Schuldners etwa dann wahren, wenn die Vollstreckung begonnen werde, obwohl eine Entscheidung noch Gegenstand einer Rechtsbeschwerde oder im Urteilsstaat anfechtbar sei. 844 Daher konnte eine in einem anderen als dem Vollstreckungsstaat erlassene und anerkannte Sicherungsmaßnahme vor Abschluss des Rechtsbehelfsverfahrens vollstreckt werden, auch wenn der Gläubiger keine Sicherheit geleistet hatte. 845 Bei Sicherungsmaßnahmen besteht allerdings auch nicht im gleichen Umfang wie bei ordentlichen Verfahren die Gefahr, dass die Folgen nicht mehr rückgängig gemacht werden können. Anders ist dies bei Leistungsverfügungen, die der Einschränkung des Art. 39 Abs. 1 EuGVÜ unterliegen und bei denen nach van Uden schon im Stadium des Erkenntnisverfahrens eine Sicherheitsleistung angeordnet werden muss.
C. Zusammenfassung C. Zusammenfassung
Für den dritten Teil sind die folgenden Ergebnisse festzuhalten. I. Sachlicher Anwendungsbereich der EuGVO bei einstweiligen Maßnahmen Die sachliche Anwendbarkeit der EuGVO richtet sich beim Erlass einstweiliger Maßnahmen gemäß Art. 31 nach dem in Art. 1 EuGVO eröffneten Anwendungsbereich, erfordert also das Vorliegen einer Zivil- oder Handelssache. Ob eine solche vorliegt, hängt von der Rechtsnatur des Gegenstands des Antrags auf Erlass einer einstweiligen Maßnahme ab. Deshalb können einstweilige Maßnahmen, die im Rahmen eines Ehescheidungsverfahrens beantragt werden, ebenso in den sachlichen Anwendungsbereich fallen wie einstweilige Maßnahmen, denen eine Hauptsache zugrunde liegt, für die eine Schiedsvereinbarung geschlossen wurde.
844
EuGHE 1984, 3971 Rn. 12 – Brennero/Wendel. Nach Maher/Rodger, ICLQ 48 (1999), 302, 310, spricht dies gegen die Anerkennung und Vollstreckbarerklärung einstweiliger Maßnahmen. Sie legen mehrere Konflikte dar, die aus einer möglichen Interaktion von Art. 24 und Art. 39 EuGVÜ folgten. Erstens sei es seltsam, die Durchsetzbarkeit einer Sicherungsmaßnahme nach Art. 24 durch eine Sicherungsmaßnahme nach Art. 39 EuGVÜ zu schützen. Zweitens betreffe Art. 39 EuGVÜ nur die Situation, dass die Vollstreckung bereits zugelassen worden sei. Auf der Grundlage von Art. 24 EuGVÜ könnten demgegenüber auch nach der Entscheidung in der Hauptsache, aber vor der Vollstreckung einstweilige Maßnahmen ergehen. Drittens sei der Anwendungsbereich von Art. 39 EuGVÜ kleiner als derjenige von Art. 24 EuGVÜ. Gemäß Art. 39 EuGVÜ könnten nur sichernde Maßnahmen erlassen werden, die sich auf die Zwangsvollstreckung in das Vermögen des Schuldners beziehen. 845
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
II. Begriff der einstweiligen Maßnahme Art. 31 EuGVO überlässt es den nationalen Rechtsordnungen, welche einstweiligen Maßnahmen sie in grenzüberschreitenden Sachverhalten anbieten wollen. Eine abschließende gemeinschaftsrechtliche Definition des Begriffs der einstweiligen Maßnahme im Sinne des Art. 31 EuGVO existiert nicht. Erfasst werden neben Maßnahmen, die auf vorläufige Sicherung oder Regelung eines Rechtsverhältnisses gerichtet sind, auch Maßnahmen, welche die Erbringung einer Leistung anordnen. Die Einbeziehung von Leistungsverfügungen ermöglicht effektiven Rechtsschutz in Notsituationen. Allerdings geht damit wegen der erheblichen rechtlichen Unterschiede in den Mitgliedstaaten das Risiko einher, dass zu Lasten nationaler Verfahren mit hohen Anforderungen verstärkt auf Leistungsverfügungen zurückgegriffen wird, die nach nationalem Recht niedrigen Anforderungen unterliegen. Ein weiteres Risiko besteht darin, dass nach der Durchführung einer Leistungsverfügung kein Hauptsacheverfahren mehr folgt, weil der Antragsteller die begehrte Leistung erhalten hat, und dass auf diese Weise die Anforderungen an ein Hauptsacheverfahren umgangen werden. Um den genannten Risiken entgegen zu wirken, hat der EuGH in van Uden einschränkende Voraussetzungen für Leistungsverfügungen aufgestellt, die neben den Voraussetzungen des nationalen Rechts erfüllt sein müssen. Dabei handelt es sich um die Gewährleistung der Rückzahlung des bewilligten Betrags und den Ortsbezug, wonach die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts betreffen darf. Nach Ansicht des EuGH stellt eine Leistungsverfügung nur dann eine einstweilige Maßnahme im Sinne von Art. 31 EuGVO dar, wenn die Rückzahlung des zugesprochenen Betrages gewährleistet ist. Hierfür ist erforderlich, dass der Antragsteller im einstweiligen Verfahren auf Anordnung des Gerichts mindestens in Höhe der zugesprochenen Summe Sicherheit leistet. Da diese Voraussetzung des EuGH in den entscheidenden Fällen den Rückgriff auf den einstweiligen Rechtsschutz verhindert, weil derjenige, der sich in finanzieller Bedrängnis befindet, keine Sicherheit zu erbringen vermag, sind andere Einschränkungsmöglichkeiten vorzuziehen. Die Notlage des Gläubigers wird behoben, indem bei wiederkehrenden Leistungen die Dauer der Leistungserbringung befristet oder bei einmaligen Leistungen nur eine Teilleistung zugesprochen wird. Hierdurch wird zugleich vermieden, dass durch eine Leistungsverfügung die Hauptsache vorweggenommen wird. Macht der Inhalt einer Leistungsverfügung eine Befristung oder Teilleistung unmöglich, etwa im Fall der Herausgabe einer Sache, ist es zweckmäßig, in der einstweiligen Maßnahme die Durchführung der Hauptsache innerhalb einer bestimmten Frist anzuordnen. Soweit die Parteien allerdings übereinstimmend darauf verzichten, ist die Anord-
C. Zusammenfassung
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nung der Durchführung der Hauptsache zum Schutz der im einstweiligen Verfahren unterlegenen Partei entbehrlich. Den Ortsbezug versteht der EuGH ebenfalls als Einschränkung des Begriffs der einstweiligen Maßnahme. Richtigerweise handelt es sich jedoch um eine Zuständigkeitsvoraussetzung, die bei Leistungsverfügungen die reale Verknüpfung präzisiert. III. Gerichtsstände für den Erlass einstweiliger Maßnahmen Die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen kann sich sowohl aus Art. 2, 5–24 als auch aus Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalen Regelungen ergeben. Jedes aufgrund von Art. 2 ff. EuGVO für die Hauptsache zuständige Gericht kann einstweilige Maßnahmen erlassen. Das tatsächliche Bestehen einer Hauptsachezuständigkeit ist nicht erforderlich, eine fiktive Zuständigkeit reicht aus. Falls die Hauptsache noch nicht anhängig ist oder aufgrund einer Schiedsvereinbarung nicht anhängig werden kann, muss geprüft werden, ob das angerufene Gericht den Anforderungen der Art. 2, 5–24 EuGVO genügen würde. Ist die Hauptsache bereits anhängig, gilt dieser Gerichtsstand gleichermaßen für die Hauptsache wie für den einstweiligen Rechtsschutz. Neben dem bereits mit der Hauptsache befassten Gericht können aber auch andere Gerichte nach Art. 2 ff. EuGVO angerufen werden. Die Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht ist ebenfalls nicht an das Bestehen einer Hauptsachezuständigkeit nach Art. 2 ff. EuGVO gebunden, sondern kann unabhängig davon eröffnet sein. Ein Vorrang der Hauptsachezuständigkeiten existiert grundsätzlich nicht. Ein faktisches Rangverhältnis verursachen allerdings die zusätzlichen restriktiven Anforderungen des EuGH an die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht. Die Verweisung auf das nationale Recht in Art. 31 EuGVO ist nicht auf Eilgerichtsstände begrenzt. Auch an Gerichtsständen der Hauptsache, die das nationale Recht (nicht aber die EuGVO) vorsieht, können einstweilige Maßnahmen erlassen werden. Ist die Hauptsache dort bereits anhängig, muss die Zuständigkeit für den Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht noch einmal überprüft werden. Vor Anhängigkeit der Hauptsache ist das Gericht der Hauptsache wahlweise nach autonomem nationalem Recht oder nach Art. 2 ff. EuGVO zu ermitteln. In van Uden hat sich der EuGH zu Recht dafür ausgesprochen, dass auch so genannte exorbitante Gerichtsstände der nationalen Rechtsordnungen zur Zuständigkeitsbegründung herangezogen werden können. Diese Gerichtsstände verwirklichen den Schutzzweck von
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Dritter Teil: Die Leistungsverfügung im europäischen Zivilprozessrecht
Art. 31, dem Gläubiger über Art. 2 ff. EuGVO hinausgehende Zuständigkeiten zu gewähren. Nach der Rechtsprechung des EuGH können die Gerichtsstände der nationalen Rechtsordnungen aber nur unter der Voraussetzung herangezogen werden, dass zwischen dem Gegenstand der beantragten einstweiligen Maßnahme und der internationalen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts eine reale Verknüpfung besteht. Diese liegt insbesondere bei den Gerichten des Ortes vor, wo die beantragte einstweilige Maßnahme vollstreckt werden könnte. „Real“ ist die Verknüpfung, wenn der Vollstreckungszugriff bei Antragstellung möglich erscheint. Dazu muss der Gläubiger glaubhaft machen, dass die Durchführbarkeit einer Vollstreckung überwiegend wahrscheinlich ist. Die reale Verknüpfung kann zudem durch Anknüpfungsmerkmale verwirklicht werden, die denen der Art. 2 ff. EuGVO verwandt sind, beispielsweise der Wohnsitz des Beklagten und der Erfüllungsort. Die Voraussetzung trifft das richtige Maß, um die Reichweite der Verweisung auf das nationale Recht in Art. 31 EuGVO einzuschränken. Eine Verbindung zwischen Maßnahme und Zuständigkeit muss bestehen, doch wird die Priorität großzügiger Zuständigkeiten im einstweiligen Rechtsschutz nicht vollends aufgegeben. Zwar trägt die Voraussetzung der realen Verknüpfung Unbestimmtheit in das Zuständigkeitsrecht hinein. Dies kann aber im einstweiligen Rechtsschutz insoweit akzeptiert werden, als es dem Konzept des Art. 31 EuGVO, Raum für die nationalen Regelungen zu lassen, zur Geltung verhilft und die im einstweiligen Rechtsschutz wichtige Flexibilität der Zuständigkeitsregelungen bewahrt. Bei Leistungsverfügungen verlangt der EuGH, dass „die beantragte Maßnahme nur bestimmte Vermögensgegenstände des Antragsgegners betrifft, die sich im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts befinden oder befinden müssten“. 846 Dadurch wird die Voraussetzung der realen Verknüpfung konkretisiert. Geregelt wird, anders als die Formulierung suggeriert, nicht nur die örtliche, sondern auch die internationale Zuständigkeit. In Anlehnung an deren Vollstreckungsbezogenheit betrifft eine Leistungsverfügung bestimmte Vermögensgegenstände, wenn diese sich im Zeitpunkt des Erlasses der einstweiligen Maßnahme im Gerichtsstaat befinden. Die Zuständigkeit zum Erlass einer auf die Erbringung einer Sachleistung gerichteten Leistungsverfügung ist gegeben, wenn der Gläubiger beweisen kann, dass sich die der Vollstreckung zugänglichen Vermögensgegenstände im Gerichtsstaat befinden. Anders als beim Erfordernis der realen Verknüpfung genügt das niedrigere Beweismaß der Glaubhaftmachung beim Ortsbezug nicht. Die Zuständigkeit für Zahlungsanordnungen besteht dort, wo der Schuldner über Vermögen verfügt. Zu prüfen ist bei Zahlungsanordnungen, ob das für die Vollstreckung in Frage kom846
EuGHE 1998, 7091 Rn. 47 – van Uden/DecoLine.
C. Zusammenfassung
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mende Vermögen der ausstehenden Forderung entspricht. Bei Verfügungen bezüglich eines sonstigen Tuns, Duldens oder Unterlassens ergeben sich Zuständigkeiten an dem Ort, wo die jeweilige Handlung vorgenommen, geduldet oder unterlassen werden kann. Da sich die von einer Leistungsverfügung betroffenen Vermögensgegenstände im Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts „befinden oder befinden müssten“, steht es der Zuständigkeit für den Erlass von Leistungsverfügungen nicht entgegen, wenn sich nach der Begründung der Zuständigkeit herausstellen sollte, dass im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts keine Vermögensgegenstände mehr belegen sind, weil der Schuldner diese zwischenzeitlich an einen anderen Ort verbracht hat. IV. Weitere Aspekte der internationalen Zuständigkeit für einstweilige Maßnahmen 1) Auch im einstweiligen Rechtsschutz können Gerichtsstandsvereinbarungen eingreifen und die gesetzlichen Zuständigkeiten modifizieren. Entweder kann eine Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache explizit auf die Zuständigkeit des Hauptsachegerichts für einstweilige Maßnahme erstreckt werden oder es können von der Hauptsache losgelöste Gerichtsstandsvereinbarungen für die Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen getroffen werden. Eine Gerichtsstandsvereinbarung hat sowohl Prorogationswirkung als auch Derogationswirkung, so dass mitgliedstaatliche Gerichte ihre Zuständigkeit entgegen einer solchen Vereinbarung nicht über Art. 31 EuGVO auf autonomes Recht stützen können. Fehlt eine ausdrückliche Gerichtsstandsvereinbarung für den einstweiligen Rechtsschutz, muss durch Auslegung ermittelt werden, ob sich eine Vereinbarung für die Hauptsache auch auf die Zuständigkeiten für den einstweiligen Rechtsschutz erstrecken soll. Im Zweifel schaltet die Gerichtsstandsvereinbarung für die Hauptsache die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht im Interesse eines effektiven Rechtschutzes nicht aus. 2) Eine Zuständigkeit zum Erlass einstweiliger Maßnahmen kann auch durch rügelose Einlassung begründet werden. Damit die Voraussetzungen des EuGH an die Zuständigkeiten nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht nicht umgangen werden, muss aber eine reale Verknüpfung der beantragten Maßnahme zum Forumstaat bestehen. 3) Ausschließlich zuständige Hauptsachegerichte sind ebenfalls zum Erlass einstweiliger Maßnahmen befugt. Die für die Hauptsache ausschließlichen Gerichtsstände des Art. 22 EuGVO schließen jedoch die Zuständigkeiten anderer Gerichte zum Erlass einstweiliger Maßnahmen nicht aus. Die Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht bestehen fort.
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4) Art. 27 EuGVO findet im Verhältnis der Hauptsache zum einstweiligen Rechtsschutz keine Anwendung. Die Rechtshängigkeit der Hauptsache hindert die Zuständigkeit der gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes berufenen Gerichte ebenso wenig wie umgekehrt einstweilige Verfahren eine Rechtshängigkeitssperre für Hauptsacheverfahren nach Art. 2 ff. EuGVO entfalten. Bei parallelen einstweiligen Verfahren greift Art. 27 EuGVO gleichfalls nicht ein. Die Vorschriften sollen einander widersprechende Entscheidungen in der Hauptsache verhindern, aber nicht den einstweiligen Rechtsschutz in mehreren Mitgliedstaaten erschweren. 5) Zuständig für die Aufhebung oder Änderung einer einstweiligen Maßnahme ist das Gericht, das die einstweilige Maßnahme erlassen hat. Ebenso wie ein nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht zuständiges Gericht können die gemäß Art. 2 ff. EuGVO zuständigen Gerichte über die Aufhebung oder Änderung der von ihnen erlassenen Maßnahmen entscheiden. V. Anerkennung und Vollstreckbarerklärung Einstweilige Maßnahmen einschließlich Leistungsverfügungen sind anerkennungsfähige Entscheidungen im Sinne von Art. 32 EuGVO. Der EuGH verneint seit Denilauler die Anerkennung jeder einstweiligen Maßnahme, vor deren Erlass dem Antragsgegner kein rechtliches Gehör gewährt worden ist. Angesichts der Bedeutung eines Überraschungseffekts im einstweiligen Rechtsschutz ist es jedoch sinnvoller, wenn erst nach Erlass der einstweiligen Maßnahme im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens rechtliches Gehör gewährt wird. Einstweilige Maßnahmen, die auf einer Zuständigkeit nach Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht basieren, können nach Ansicht des EuGH in der Mietz-Entscheidung nur dann anerkannt werden, wenn eine reale Verknüpfung zum Forumstaat besteht und bei Leistungsverfügungen die Gewährleistung der Rückzahlung sowie ein Bezug zu Vermögensgegenständen im örtlichen Zuständigkeitsbereich des angerufenen Gerichts gegeben sind. Der Gerichtshof verlangt also eine nochmalige Überprüfung der Zuständigkeitsvoraussetzungen im Stadium der Anerkennung. Dem ist entgegenzutreten, da die Prüfung der Zuständigkeit dem Konzept der Art. 32 ff. EuGVO widerspricht und die Anerkennung einstweiliger Maßnahmen verlangsamt. Zu Recht hat der EuGH in Italian Leather die Anerkennung gemäß Art. 34 Nr. 3 EuGVO versagt, wenn im einstweiligen Rechtsschutz mit einer Maßnahme das Gegenteil einer anderen zwischen denselben Parteien ergangenen Maßnahme angeordnet wurde. Sachgerecht ist dies insbesondere bei Leistungsverfügungen. Das Eingreifen von Art. 34 Nr. 3 EuGVO
C. Zusammenfassung
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ist im einstweiligen Rechtsschutz noch wichtiger als im ordentlichen Verfahren, weil im einstweiligen Rechtsschutz infolge der Zuständigkeiten gemäß Art. 31 EuGVO in Verbindung mit nationalem Recht mehrere Entscheidungen in verschiedenen Staaten ergehen können. Die Vollstreckung einstweiliger Maßnahmen richtet sich nach den allgemeinen Regeln der Art. 38 ff. EuGVO. Sie wurde durch die Rechtsprechung des EuGH bei Leistungsverfügungen nur insoweit modifiziert, als eine Sicherheitsleistung bereits bei Erlass der Verfügung angeordnet wird und nicht, wie nach Art. 46 Abs. 3 EuGVO, erst im Rechtsbehelfsverfahren gegen die Vollstreckbarerklärung.
Anhang
Ausgewählte Vorschriften der niederländischen Zivilprozessordnung * Aktuelle Fassung des WBRv (Stand: 1. Juli 2011) Art. 1 WBRv „Onverminderd het omtrent rechtsmacht in verdragen en EG-verordeningen bepaalde wordt de rechtsmacht van de Nederlandse rechter beheerst door de volgende bepalingen.“ Art. 2 WBRv „In zaken die bij dagvaarding moeten worden ingeleid, heeft de Nederlandse rechter rechtsmacht indien de gedaagde in Nederland zijn woonplaats of gewone verblijfplaats heeft.“ Art. 3 lit. c WBRv „In zaken die bij verzoekschrift moeten worden ingeleid, met uitzondering van zaken als bedoeld in de artikelen 4 en 5, heeft de Nederlandse rechter rechtsmacht indien: …, c. de zaak anderszins voldoende met de rechtssfeer van Nederland verbonden is.“
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Ungeachtet der Regelungen in Staatsverträgen und EU-Verordnungen richtet sich die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte nach den folgenden Bestimmungen. In Sachen, die durch eine dagvaarding eingeleitet werden müssen, sind die niederländischen Gerichte international zuständig, wenn der Beklagte in den Niederlanden seinen Wohnsitz oder allgemeinen Aufenthaltsort hat. In Sachen, die durch eine verzoekschrift eingeleitet werden müssen, mit Ausnahme der in Art. 4 und 5 genannten Sachen, sind die niederländischen Gerichte international zuständig, wenn: …, c. die Sache auf andere Weise hinreichend mit der niederländischen Rechtsordnung verbunden ist.
Übersetzung in die deutsche Sprache durch die Verfasserin
Synoptische Übersetzung Niederländisch - Deutsch Art. 8 Abs. 1 WBRv „De Nederlandse rechter heeft rechtsmacht indien partijen met betrekking tot een bepaalde rechtsbetrekking die tot hun vrije bepaling staat, bij overeenkomst een Nederlandse rechter of de Nederlandse rechter hebben aangewezen voor de kennisneming van geschillen welke naar aanleiding van die rechtsbetrekking zijn ontstaan of zullen ontstaan, tenzij daarvoor geen redelijk belang aanwezig is.“
Art. 8 Abs. 2 WBRv „De Nederlandse rechter heeft geen rechtsmacht indien partijen met betrekking tot een bepaalde rechtsbetrekking die tot hun vrije bepaling staat, bij overeenkomst een rechter of de rechter van een vreemde staat bij uitsluiting hebben aangewezen voor de kennisneming van geschillen welke naar aanleiding van die rechtsbetrekking zijn ontstaan of zullen ontstaan.“
Art. 9 lit. b und c WBRv „Komt de Nederlandse rechter niet op grond van de artikelen 2 tot en met 8 rechtsmacht toe, dan heeft hij niettemin rechtsmacht indien: …, b. een gerechtelijke procedure buiten Nederland onmogelijk blijkt, of c. een zaak die bij dagvaarding moet worden ingeleid voldoende met de rechtssfeer van Nederland verbonden is en het onaanvaardbaar is van de eiser te vergen dat hij de zaak aan het oordeel van een rechter van een vreemde staat onderwerpt.“
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Die niederländischen Gerichte sind international zuständig, wenn die Parteien hinsichtlich eines bestimmten Rechtsverhältnisses, über das sie disponieren können, durch eine Vereinbarung ein niederländisches Gericht oder die niederländischen Gerichte zur Entscheidung über Streitigkeiten für international zuständig erklärt haben, die in Bezug auf dieses Rechtsverhältnis entstanden sind oder entstehen werden, es sei denn, dass es hierfür an einem vernünftigen Interesse fehlt. Die niederländischen Gerichte sind nicht international zuständig, wenn die Parteien hinsichtlich eines bestimmten Rechtsverhältnisses, über das sie disponieren können, durch eine Vereinbarung die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts oder der Gerichte eines ausländischen Staates zur Entscheidung über Streitigkeiten, die in Bezug auf dieses Rechtsverhältnis entstanden sind oder entstehen werden, bestimmt haben. Ergibt sich die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte nicht aus den Art. 2-8, dann sind die niederländischen Gerichte gleichwohl international zuständig, wenn: …, b. die Durchführung eines Gerichtsverfahrens außerhalb der Niederlande unmöglich erscheint, oder c. eine Sache, die durch eine dagvaarding eingeleitet werden muss, mit der niederländischen Rechtsordnung verbunden ist und es unzumutbar ist, von dem Kläger zu verlangen, dass er die Sache von einem ausländischen Gericht entscheiden lassen muss.
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Ausgewählte Vorschriften der niederländischen ZPO
Art. 10 WBRv „De Nederlandse rechter heeft rechtsmacht in het geval, bedoeld in artikel 767, alsmede indien dit voortvloeit uit andere wettelijke bepalingen tot aanwijzing van een bevoegde rechter dan die vervat in de derde afdeling van de tweede titel en de tweede afdeling van de derde titel.“
Die niederländischen Gerichte sind international zuständig im Falle des Art. 767, sowie auch, wenn sich die Zuständigkeit aus anderen gesetzlichen Bestimmungen ergibt, nämlich denjenigen in der dritten Abteilung des zweiten Titels und der zweiten Abteilung des dritten Titels.
Art. 11 WBRv „Het verweer dat de Nederlandse rechter geen rechtsmacht heeft, wordt in zaken die bij dagvaarding moeten worden ingeleid op straffe van verval van het recht daartoe gevoerd vóór alle weren ten gronde.“
Die Möglichkeit, die Rüge der Unzuständigkeit der niederländischen Gerichte zu erheben, entfällt in Sachen, die mit einer dagvaarding eingeleitet werden müssen, wenn sich der Beklagte nicht darauf beruft.
Art. 12 Satz 1 WBRv „Indien een zaak voor een rechter van een vreemde staat aanhangig is gemaakt en daarin een beslissing kan worden gegeven die voor erkenning en, in voorkomend geval, voor tenuitvoerlegging in Nederland vatbaar is, kan de Nederlandse rechter bij wie nadien een zaak tussen dezelfde partijen over hetzelfde onderwerp is aangebracht, de behandeling aanhouden totdat daarin door eerstbedoelde rechter is beslist.“
Wenn eine Sache vor dem Gericht eines ausländischen Staates anhängig ist und in diesem Verfahren eine Entscheidung ergehen kann, die in den Niederlanden anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann, darf ein niederländisches Gericht, bei dem später eine Sache zwischen denselben Parteien über denselben Gegenstand anhängig gemacht wird, das Verfahren bis zur Entscheidung des zuerst angerufenen Gerichts aussetzen.
Art. 12 Satz 2 WBRv „Indien die beslissing voor erkenning en, in voorkomend geval, voor tenuitvoerlegging in Nederland vatbaar blijkt te zijn, verklaart de Nederlandse rechter zich onbevoegd.“ Art. 13 WBRv „De bevoegheid van de Nederlandse rechter tot het treffen van bewarende of voorlopige maatregelen kan niet worden betwist op de enkele grond dat hij met betrekking tot de zaak ten principale geen rechtsmacht heeft.“
Wenn die Entscheidung in den Niederlanden anerkannt und für vollstreckbar erklärt werden kann, erklärt sich das niederländische Gericht für unzuständig.
Die internationale Zuständigkeit der niederländischen Gerichte zum Erlass von sichernden oder vorläufigen Maßnahmen kann nicht aus dem Grund versagt werden, dass die niederländischen Gerichte für die Hauptsache nicht international zuständig sind.
Synoptische Übersetzung Niederländisch - Deutsch
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Aktuelle Fassung des WBRv (Stand: 1. Juli 2011)
Vor dem 1. Januar 2002 geltende Fassung des WBRv
Art. 254 Abs. 1 WBRv nF „In alle spoedeiDer Eilrichter ist in sende zaken waarin, allen eilbedürftigen gelet op de belanSachen, in denen gen van partijen, das Interesse der een onmiddellijke Parteien den unvervoorziening bij züglichen Erlass voorraad wordt ver- einer einstweiligen eist, is de voorzienVerfügung verlangt, ingenrechter bedafür zuständig, voegd deze te geeine solche Verfüven.“ gung zu erlassen.
Art. 289 Abs. 1 WBRv aF „In alle zaken waa- In allen eilbedürftirin uit hoofde van gen Sachen, in deonverwijlde spoed, nen nach Abwägung gelet op de belander Interessen der gen van partijen, Parteien der Erlass een onmiddellijke einer einstweiligen voorziening bij Maßnahme notwenvoorraad wordt ver- dig ist, kann der eist, kan de vorentsprechende Andering worden aan- trag in einer hierfür gebracht op een durch den Präsidenterechtzitting, te ten an einem von dien einde door de ihm bestimmten president te houden Werktag abgehalteop de daartoe door nen Sitzung gestellt hem te bepalen werden. werkdagen.“
Art. 254 Abs. 2 WBRv nF „Op aanvraag van Auf Antrag der bede belanghebbende troffenen Partei partij kan de voorkann der Eilrichter zieningenrechter de für jede Sache die dagvaarding beveLadung auf Tag und len tegen de dag en Stunde festsetzen, het uur, de zondag den Sonntag eingedaarbij inbegrepen, schlossen. Außervoor elk geval te dem kann er anordbepalen. Hij kann nen, dass die Sitdaarbij tevens beve- zung an einem anlen dat de terechtderen Ort als dem zitting op een ande- Gerichtsgebäude re plaats dan in het stattfindet. Der Eilgerechtsbebouw richter kann mit der wordt gehouden. De Terminsbestimmung voorzieningenrechBedingungen verter kan aan de dagknüpfen, die der bepaling voorwaar- Kläger befolgen den verbinden, die muss. Die Bedindoor de eiser in gungen müssen sich acht moeten worden aus der Ladung ergenomen. Deze geben. voorwaarden moeten uit de dagvaarding blijken.“
Art. 289 Abs. 2 WBRv aF „Bij nog meer spoIn Fällen noch gröed vereisende omßerer Eilbedürftigstandigheden kan de keit kann der Präsidaagvaarding wordent für eine Sache den bevolen op de die Ladung auf Tag dag en het uur, de und Stunde, den zondag ingesloten, Sonntag eingeop mondelinge aan- schlossen, auch auf vrage der belangmündlichen Antrag hebbende partij, der betroffenen Pardoor de president tei festsetzen. Er voor elk geval te kann dabei sogar bepalen. Hij kan festlegen, dass die daarbij tevens gelSitzung in seinem asten dat de teHaus stattfindet. rechtzitting te zijnen huize zal worden gehouden.“
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Ausgewählte Vorschriften der niederländischen ZPO
Art. 254 Abs. 3 WBRv nF „De zaak kan ook Die Sache kann worden aangeauch während einer bracht op een teGerichtsverhandrechtzitting, door de lung eingebracht voorzieningenrechwerden, die der Eilter te houden op de richter an den dazu daartoe door hem te von ihm festgelegbepalen werkdatenWerktagen abgen.“ hält.
Art. 289 Abs. 3 WBRv aF „In de gevallen beIn den im vorheridoeld in het voorgen Absatz geregelgaande lid geeft de ten Fällen beaufpresident mondelin- tragt der Präsident ge last aan een den Gerichtsvolldeurwaarder tot het zieher mündlich mit doen der dagvaarder Ladung, was ding, waarvan deze dieser auf dem Kopf in het hoofd van zijn der Ausfertigung exploit melding vermerkt. maakt.“
Art. 254 Abs. 4 WBRv „In zaken die ten In Sachen, die durch gronde door de kan- den Kantonrichter tonrechter worden in der Hauptsache behandeld en beslist behandelt und entis ook de kantonschieden werden, ist rechter bevoegd tot auch der Kantonhet geven van een richter zum Erlass voorziening als in einer einstweiligen deze afdeling is beVerfügung zuständoeld. Daarbij is op dig wie in diesem de kantonrechter Abschnitt erwähnt. van toepassing Dabei sind die Vorhetgeen omtrent de schriften auf den voorzieningenrechKantonrichter anter is bepaald.“ wendbar, die auch für den Eilrichter gelten. Art. 255 Abs. 1 WBRv nF „De gedaagde kan Der Beklagte kann in de zaken, bedoeld sich in den in Art. in artikel 79, tweede 79 Abs. 2 genannten lid, behalve bij adFällen sowohl durch vocaat ook in pereinen Rechtsanwalt soon procederen, vertreten lassen als maar niet vertegen- auch selbst prozeswoordigt door een sieren, sich aber gemachtigde die nicht von einem geen advocaat is. Bevollmächtigten, der kein Rechtsanwalt ist, vertreten lassen.
Art. 290 Abs. 1 WBRv aF „De aanlegger is Der Antragsteller gehouden bij het muss sich durch exploit van dageinen Rechtsanwalt vaarding procureur vertreten lassen, te stellen, op straffe anderenfalls ist er van nietigheid. De nicht erschienen. verweerder verDer Beklagte kann schijnt in persoon of in Person oder ververtegenwoordigd treten durch einen door een proRechtsanwalt ercureur.“ scheinen.
Synoptische Übersetzung Niederländisch - Deutsch
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Art. 255 Abs. 2 WBRv nF Partijen kunnen ook Die Parteien können vrijwillig ter tefreiwillig in der rechtzitting van de Verhandlung vor voorzieningenrechdem Eilrichter im ter in kort geding kort geding erscheiverschijnen. Het nen. Abs. 1 ist aneerste lid is van wendbar. toepassing.
Art. 290 Abs. 2 WBRv aF „Partijen kunnen in Die Parteien können de gevallen, in het in den im vorherivorige artikel vergen Artikel genannmeld, ook vrijwillig ten Fällen auch voor de president in freiwillig vor dem kort geding verPräsidenten im kort schijnen. Alsdan geding erscheinen. moet de eiser ter In diesem Fall muss terechtzitting verte- der Kläger bei der genwoordigd zijn Sitzung durch einen door een procureur; Rechtsanwalt verde verweerder kan treten werden; der in persoon of verte- Beklagte kann in genwoordigd door Person oder vertreeen procureur verten durch einen schijnen.“ Rechtsanwalt erscheinen.
Art. 255 Abs. 3 WBRv nF In andere korte geIn anderen, nicht dingen niet ingeleid mit einer dagvaarmet een dagvaarding eingeleiteten ding, kunnen parkorte gedingen köntijen behalve bij nen beide Parteien advocaat ook in sich durch einen persoon procedeRechtsanwalt verren, maar niet vertreten lassen oder tegenwoordigd door selbst prozessieren. een gemachtigde die Sie können sich geen advocaat is.“ aber nicht von einem Bevollmächtigten, der kein Rechtsanwalt ist, vertreten lassen.
Art. 290 Abs. 3 WBRv aF „In andere korte In anderen, nicht gedingen niet ingemit einer dagvaarleid met een ding eingeleiteten dagvaarding, is korte gedingen sind procureurstelling die Parteien nicht niet verplicht.“ verpflichtet, sich durch einen Rechtsanwalt vertreten zu lassen.
Art. 256 WBRv nF „Indien de voorzieningenrechter oordeelt dat de zaak niet geschikt is om in kort geding te worden beslist, weigert hij de voorziening.“
Art. 291 WBRv aF „Indien aan den president op de teregtzitting blijkt dat zonder groot of onherstelbar nadeel de zaak uitstel gedoogt om, het zij op de gewone wijze, het zij op korten termijn, voor de regtbank zelve te worden behandeld,
Der Eilrichter kann den Erlass einer einstweilgen Verfügung verweigern, wenn er der Auffassung ist, dass die Sache nicht geeignet ist, um im kort geding entschieden zu werden.
Wenn der Präsident in der Verhandlung den Eindruck gewinnt, dass die Sache ohne großen und nicht wieder gutzumachenden Nachteil Aufschub verträgt, um entweder auf normalem Wege oder kurzfristig vom Gericht
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Ausgewählte Vorschriften der niederländischen ZPO of wanneer de zaak niet vatbaar is om op kort geding genoegzaam te worden toegelicht, verwijst hij partijen naar de gewone wijze van regtspleging, of verleent aan den aanlegger verlof tot dagvaarding op korten termijn voor de regtbank in zaken waarin dezelve bevoegd is.“
Art. 257 WBRv nF „De beslissingen bij voorraad brengen geen nadeel toe aan de zaak ten principale.“
Art. 258 WBRv „De voorzieningenrechter kan zijn vonnis ook ambtshalve uitvoerbaar bij vorraad verklaren.“ Art. 259 WBRv nF „Het verzet moet worden gedaan bij de voorzieningenrechter. Artikel 255, eerste lid, is niet van toepassing.“
Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren haben keine nachteiligen Auswirkungen auf die Hauptsache.
Art. 292 WBRv aF „De beslissingen bij voorraad brengen geen nadeel toe aan de zaak ten principale.“
selbst behandelt zu werden, oder wenn die Sache nicht dazu geeignet ist, in einem Verfügungsverfahren ausreichend geklärt zu werden, verweist er die Parteien auf den ordentlichen Rechtsweg oder gestattet dem Kläger, kurzfristig bei dem für die Sache zuständigen Gericht einen Termin zu beantragen. Entscheidungen im einstweiligen Verfügungsverfahren haben keine nachteiligen Auswirkungen auf die Hauptsache.
Der Eilrichter kann seine Entscheidung auch von Amts wegen für vorläufig vollstreckbar erklären.
Der Einspruch muss gegenüber dem Eilrichter erklärt werden. Art. 255 Abs. 1 ist nicht anwendbar.
Art. 294 WBRv aF „Het verzet wordt gebragt voor de arrondissementsregtbank.“
Der Einspruch muss bei der Arrondissements-Rechtbank eingelegt werden.
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Sachverzeichnis Anerkennung 226 – Einstweiliger Maßnahmen in den Niederlanden 227 – Einstweiliger Maßnahmen in Deutschland 229 – Einstweiliger Maßnahmen nach der EuGVO 373 Ausschließliche Zuständigkeit 293, 304, 354, 357, 359, 361 Bagatellverfahren 66 Beweisaufnahme 58, 178, 184, 195 Effektiver Rechtsschutz 1, 7, 52, 75, 80, 171, 254, 268, 282, 287, 294, 301, 357, 367, 383, 398 Eilbedürftigkeit 34, 55, 62, 71, 90, 97, 105, 116, 117, 132, 136, 155, 157, 158, 162, 165, 169, 177, 184, 187, 197, 216, 220, 236, 271, 316, 343, 376 Eilgerichtsstände 315 Einstweilige Maßnahmen iSd Art. 31 EuGVO 242 – Definition 254 – Leistungsverfügung 260 – Sichernde und regelnde Maßnahmen 257 Einwand der anderweitigen Rechtshängigkeit 104, 110, 112, 305, 362, 368 Entscheidung Mietz 18, 276, 304, 311, 327, 359, 388 – Einfluss auf den Reformprozess 22 – Sachverhalt 18 – Verfahrensgeschichte 18 – Vorabentscheidungsverfahren 19 Entscheidung van Uden 15, 250, 261, 276, 303, 304, 310, 315, 327, 359, 387
– Einfluss auf den Reformprozess 22 – Sachverhalt 15 – Verfahrensgeschichte 15 – Vorabentscheidungsverfahren 16 Exorbitante Gerichtsstände 321 Geldforderungen 152 Gerichtsstandsvereinbarung 99, 101, 102, 111, 123, 127, 354 Gewährleistung der Rückzahlung 280, 287 Glaubhaftmachung 82, 168, 185, 196 Inkasso-kort geding 164 Interessenabwägung 141 – Interessen Dritter 145 – Kort geding für Geldforderungen 159 – Parteiinteressen 143 Kort geding 27, 273 – Alternative 63 – Anwendbare Regelungen des ordentlichen Verfahrens 57 – Auslegung Art. 292 WBRv aF 41, 42 – Beweisaufnahme 184 – Eilbedürftigkeit 136, 155 – Einleitung des Verfahrens 174 – Entscheidung 198 – Entwicklung 33 – Formelle Akzessorietät 67 – Funktion 75 – Gegenstand 82 – Geldforderung 152 – Grundregeln 53 – Interessenabwägung 141, 159 – Materielle Akzessorietät 69 – Merkmale 28, 55 – Prozessvertretung 179 – Rechtsmittel 215
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Sachverzeichnis
– Rolle des Richters 90 – Spezialregelungen 56 – Verdrängung der Hauptsache 76, 202 – Verfahrensablauf 173, 181 – Verhältnis zur Hauptsache 67, 203 – Verhandlung 179 – Voraussetzung 131 – Vorläufigkeit 151, 163 – Zuständigkeit 93, 115, 119 Kort geding-Richter 90, 92 – Kantonrichter 118 – Voorzieningen-Richter 117
– Zuständigkeit 124 – Entstehung 37
Leistungsverfügung 29, 273, 277, 390 – Beweisaufnahme 195 – Einleitung des Verfahrens 191 – Entscheidung 211 – Formelle Akzessorietät 72 – Funktion 79 – Gegenstand 85 – Konstrukt der Rechtsprechung 59 – Materielle Akzessorietät 73 – Prozessvertretung 192 – Rechtsfortbildung 39 – Rechtsmittel 223 – Verdrängung der Hauptsache 81 – Verfahrensablauf 191 – Verfügungsanspruch 166 – Verfügungsgrund 168 – Verhältnis zur Hauptsache 72, 80, 213 – Verhandlung 193 – Voraussetzung 166
Urkundenverfahren 65
Mahnverfahren 64, 275 Ortsbezug 279, 280, 343, 351, 387 Reale Verknüpfung 277, 279, 328, 387 Rechtsbehelfe 215 Référé 31, 260, 277, 300 Restitutionsrisiko 159 Rügelose Einlassung 359
Verfahrensablauf 172, 191 Voorzieningen-Richter 117 Vorläufige Vollstreckbarkeit 211 Vorläufigkeit 5, 29, 32, 34, 38, 59, 132, 151, 163, 188, 200, 202, 260, 269 Vorwegnahme der Hauptsache 49, 275 Zahlungsanordnung 6, 78, 81, 155, 163, 213, 237, 347, 406 Zuständigkeit 93, 291, 297 – Internationale 93, 124 – Örtliche 122, 130 – Sachliche 114, 130 – Zuständigkeitssystem der EuGVO für einstweilige Maßnahmen 291, 297, 299, 312, 318, 319 Zwangsgeld 44, 208 Zwischenklage 62