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German Pages 595 Year 1989
HEINZ PETER MORITZ
Die (zivil-)rechtliche Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden innerhalb und außer halb der Familie
Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 115
Die (zivil-)rechtliche Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden innerhalb und außerhalb der Familie
Von Prof. Dr. Heinz Peter Moritz
DUßcker & Humblot . Berliß
CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek Moritz, Heinz Peter: Die (zivil-)rechtliche Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden innerhalb und ausserhalb der Familie / von Heinz Peter Moritz. - Berlin: Duncker u. Humblot, 1989 (Schriften zum Bürgerlichen Recht; Bd. 115) ISBN 3-428-06609-X NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1989 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Druck: Wemer Hildebrand, Berlin 65 Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-06609-X
Meiner Frau sowie unserem Sohn Fabian Andre in Liebe gewidmet
Vorwort Das Manuskript zu diesem Buch war im wesentlichen schon im Jahre 1984 fertiggestellt. Die danach vorgenommenen Änderungen sind eher marginaler Art; eingearbeitet wurden insbesondere auch Neuauflagen der Kommentarliteratur bis einschließlich Herbst 1987. Die vom Verfasser in der Untersuchung gewählte Vorgehensweise weist insofern eine Besonderheit auf, als er bei der Erörterung der (zivil)-rechtliehen Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden eigene Kindesinteressen zu definieren sucht, um diese sodann in Beziehung zu setzen zu Elternund Allgemeininteressen. Dabei werden weder die besonderen Beziehungen des Eltern-Kind-Verhältnisses übersehen, noch wird die Tatsache ignoriert, daß Kinder (jedenfalls bis zu einem bestimmten Lebensalter) eines besonderen (auch rechtlichen) Schutzes bedürfen. Die Berücksichtigung eigener Willens- und Interessenpositionen der Kinder bei der Definition des rechtlichen Dürfens insbesondere der Eltern ist in der Rechtsprechung inzwischen durchaus anerkannt (vgl. etwa BVerfG NJW 1982, 1379; BVerfG NJW 1983, 101; BVerfG NJW 1985, 423; BGH NJW 1985,1702 u. a.). Gleichwohl wurde von Fachkollegen (Univ.-Profes atte und Schiemann, Bielefeld) gegen den hier vertretenen Ansatz geargwöhnt, er wolle die Institution der Familie demontieren; konkret zur Entscheidung des BVerfG (NJW 1985, 423) wurde entsprechend angemerkt, daß das Gericht das Eltern-Kind-Verhältnis "als ein ... sinnvolles Ganzes aus dem Blick verloren" hätte. Der Gegenstand der Untersuchung ist und bleibt aktuell. Dies belegt nicht zuletzt auch der Umstand, daß sich der BGH in seinen Entscheidungen zum Eltern/Kind-Bereich immer wieder zu Stellungnahmen grundsätzlicher Art veranlaßt sieht. Die zitierten Gerichtsentscheidungen insbesondere auch des BVerfGerichts sowie die zu beobachtende Entscheidungspraxis in den unteren Instanzen der Zivilgerichtsbarkeit in Familiensachen haben den Verfasser darin bestärkt, seine Untersuchung nunmehr zu publizieren. Es ist mir ein Bedürfnis, meinen Dank für zahlreiche Anregungen sowie für die engagierte fachliche und persönliche Unterstützung insbesondere Herrn Bundesverfassungsrichter Univ.-Prof. Dr. Grimm, KarlsruhelBielefeld, sowie Herrn Univ.-Prof. Dr. Schild, Bielefeld, auszusprechen. Mein sehr herzlicher Dank gilt ebenfalls Herrn Univ.-Prof. Dr. Dr. Säcker, Kiel, der mir durch die Betreuung meiner Dissertation nicht nur den Weg für meine spätere und bis heute ausgeübte Tätigkeit in Lehre und Forschung eröffnete, sondern mir seitdem weiterhin mit Rat und Unterstützung zur Seite stand.
8
Vorwort
Für Hinweise und das Redigieren des Manuskriptes sage ich herzlichen Dank Herrn Assessor Dr. Volker Groß, Frankfurt/M. Dem Verlag Duncker & Humblot danke ich für die Aufnahme des Buches in die Reihe "Schriften zum Bürgerlichen Recht". Berlin, Februar 1988
H. P. Moritz
Inhaltsübersicht Einf"ührung: Problemaufriß und Skizzierung des Untersuchungsablaufes 1. Kapitel:
35
Fixierung des Personenkreises der Minderjährigen und Heranwachsenden sowie weitere Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . ..
41
1. Abschnitt: Minderjährigkeit, "Minderjährigenschutz" und der Begriff des Heranwachsenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
41
2. Abschnitt: Weitere Begriffsklärungen . . . . . . . . . . . . . . .
50
Verfassungsrechtliche Bewertung . . . . . . . . . .
55
2. Kapitel:
1. Abschnitt: Problematik und das eigene Konzept ihrer Erörterung . . . . . . . .
55
2. Abschnitt: Die wichtigsten Stellungnahmen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrecht . . . . . . . . . .
57
3. Abschnitt: Die allgemeine Drittwirkungsproblematik sowie deren Bedeutung für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern . . . . . . . . . . . .
70
4. Abschnitt: Medium ,Familie'; der Wertungsüberbau gern. Art. 6 Abs. 1 GG ..
72
5. Abschnitt: Die inhaltliche Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrecht . . . . . . . . . . 126 3. Kapitel:
Die zivilrechtliche Definition von ,Familie' und "Erziehung" sowie die Beurteilung des Verhältnisses von familieninterner und familienexterner Wertung unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertvorstellungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154
1. Abschnitt: Die verfassungsrechtlichen Vorgaben und ihre Operationalisierung bei der zivilrechtlichen Bestimmung des Verhältnisses von Elternund Kindesrechten sowie der Rechte Dritter . . . . . . . . . . . . . .. 154 2. Abschnitt: Familie i. S. d. Zivilrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 3. Abschnitt: Der zivilrechtliche Begriff der Erziehung und seine Inhalte ..... 169 4. Abschnitt: Zum Verhältnis von familieninternem und familienexternem Handeln Minderjähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 4. Kapitel:
Kindeswohl, Kindeswille und Kindesinteresse im Spannungsfeld von Kindespositionen, Elternrecht und Interessen des Rechtsverkehrs .. 186
1. Abschnitt: Der Begriff des Kindeswohls .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 186 2. Abschnitt: Begriff und Abgrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse sowie Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes . . . . . . . . . . . . . . .. 215
Inhaltsübersicht
10
3. Abschnitt: Die inhaltliche Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse und ihre Einbindung in einen zivilrechtlichen Interessenausgleich, unter besonderer Berücksichtigung der Elternbefugnisse . . . . . .. 222 5. Kapitel:
Stufen ,,11 5 - 6"; Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr sowie in besonderen Interaktionsbeziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . .. 299
1. Abschnitt: Das Bedürfnis einer (neuen) rechtssystematischen Fixierung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger .. . . . .. 299 2. Abschnitt: Die Beurteilung rechtsgeschäftlicher Teilkompetenzen Minderjähriger durch Gesetz, Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . .. 301 3. Abschnitt: Die Verfassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung fester Teilmündigkeitsstufen durch die §§ 107ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . 317 4. Abschnitt: Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
321
5. Abschnitt: Rechtsgeschäftliche Betätigung u n t e r - 1 5 jäh r i ger; insbesondere die Bedeutung eines Anspruches auf Taschengeld und seine Wirkung für die Auslegung der §§ 107ff. BGB . . . . . . . . . . . . . 347 6. Abschnitt: Konsequenzen des rechtspolitischen Lösungsvorschlags der Einführung einer Teil-Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag und ein Vergleich mit dem geltenden Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 7. Abschnitt: Die Handlungskompetenz in besonderen Interaktionsbeziehungen: Die "Arbeitsmündigkeit" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 6. Kapitel:
Stufe,,11 4"; Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten in jugendrechtlichen Angelegenheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387
1. Abschnitt: Problematik und die gesetzliche Berücksichtigung einer verfahrensmäßigen Handlungsfähigkeit Minderjähriger in jugendrechtlichen Angelegenheiten gegenüber dem Jugendamt sowie vor Vormundschafts- und Familiengericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 2. Abschnitt: Die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger vor Familien- und Vormundschaftsgericht sowie ihre Befugnisse gegenüber dem Jugendamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 3. Abschnitt: Anhörungsrechte
401
4. Abschnitt: Die verfahrensrechtliche Stellung Minderjähriger im Rechtsstreit mit Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 7. Kapitel:
Stufen"I 1- 3" sowie ,,111 7"; Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis sowie Unterhaltsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413
1. Abschnitt: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
414
2. Abschnitt: Vermögenssorgeverhältnis
480
3. Abschnitt: Die Berücksichtigung von Kindes-, Eltern- und Drittinteressen im Pflegekindschafts- und Adoptionsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 4. Abschnitt: Unterhaltsrecht
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511
Inhaltsverzeichnis Einführung
Problemaufriß und Skizzierung des Untersuchungsablaufes 1.
35
Kapitel
Fixierung des Personenkreises der Minderjährigen und Heranwachsenden sowie weitere Begriffsklärungen
41
1. Abschnitt Minderjährigkeit, "Minderjährigenschutz" und der Begriff des Heranwachsenden
41
§ 1 Minderjährigkeit ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
41
§ 2 "Minderjährigenschutz"
42
..................................
A. Meinungsstand
42
B. ,Schutz' der Minderjährigen und Heranwachsenden als Fragestellung im
familieninternen und familienexternen Bereich . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die Notwendigkeit eines Schutzes der Nichtvolljährigen und Heran-
43
wachsenden? ....... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
43
11. Thematische Reichweite des ,Schutzes' der Minderjährigen und Heranwachsenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
§ 3 Der zivilrechtliche Begriff des Heranwachsenden ...... . . . . . . . . . . ..
45
A. (Altersmäßige) Abgrenzung: MinderjährigelHeranwachsende .......
45
B. Heranwachsender/Kind, Jugendlicher
48
......................
I. Abgrenzung: Heranwachsender / Jugendlicher
11. Die Altersgruppe der Kinder
..............
48
.........................
49
2. Abschnitt Weitere Begriffsklärungen
50
§ 1 Die (zivil)rechtliche Zweidimensionalität des Begriffes "Kind"
50
§ 2 Kind/Abkömmling
50
.....................................
Inhaltsverzeichnis
12
§ 3 Mündigkeit sowie allgemeine und rechtliche Handlungsfähigkeit
52
A. Mündigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
B. Rechtsfähigkeit sowie Begriff und Inhalt der allgemeinen Handlungsfähigkeit; insbesondere die Geschäftsfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
2. Kap i tel
VerfassungsrechtIiche Bewertung
55
1. Abschnitt Problematik und das eigene Konzept ihrer Erörterung
55
2. Abschnitt Die wichtigsten Stellungnahmen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltem- und Kindesrecht § 1 Die Entwicklung des Meinungsspektrums in Rechtsprechung und Literatur
sowie die heute vorherrschende Auffassung
.....................
§ 2 Die wichtigsten Einzelansätze zur Abgrenzung von Eltern- und Kindesgrund-
rechten in der zivilrechtlichen Literatur ....
. . . . . . . . . . . . . . ..
57
57 59
A. Die Güterabwägungsthese bei H. Krüger
59
B. Die Güterabwägungsthese bei Perschel
60
c.
61
Die Harmonisierungsthese Gernhubers
D. Die Differenzierungsthese von Reuter
62
E. Die Verdrängungstheorie bei E. Schwerdtner
63
F. Stöckers Theorie der "beschränkten Mündigkeit" . . . . . . . . . . . . . . .
63
§ 3 Neuere Stellungnahmen zum Verhältnis von Eltern- und Kindesgrundrech-
ten in der staatsrechtlichen Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
64
A. Das Modell der Grundrechtstreuhand der Eltern bei Anerkennung ihres Interpretationsmonopols ..... . . . . . . . . . . . . ..
64
B. Schmitt Glaeser .......... .
65
C. Die Mittelmeinung von Dürig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
D. Böckenförde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
E. Roell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
§ 4 Resümee und Konsequenzen für die weitere Vorgehensweise ..........
69
Inhaltsverzeichnis
13
3. Abschnitt Die aUgemeine DrittwirkungsprobIematik sowie deren Bedeutung f'tir das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern
70
4. Abschnitt Medium ,Familie'; der Wertungsüberbau gem. Art. 6 Abs. 1 GG § 1 Die Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 GG für die (verfassungsrechtliche) Bewer-
tung des Eltern/Kind-Verhältnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
72
72
§ 2 ,Familie' als verfassungsrechtliche Institution
74
§ 3 Die konstitutiven Elemente der Institution ,Familie' . . . . . . . . . . . . . . . .
78
A. Die vertretenen und nach den getroffenen Feststellungen noch relevanten Ansätze für eine inhaltliche Konkretisierung des Familienbegriffs . . . ..
78
B. (Historische) Normvorgaben und sozialer Wandel . . . . . . . . . . . . . ..
80
I. Die Funktion historischer Betrachtung und die Berücksichtigung so-
zialen Wandels
..................................
11. Rechtsgewinnung, Entscheidungsfindung und die Berücksichtigung sozialen Wandels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ansatzpunkt rechtstheoretischer Überlegungen .. . . . .. 2. Die Bedeutung der Grundrechtspositionen und der einfachgesetzlichen Normen sowie die Berücksichtigung sozialen Wandels in rechtstheoretischer Sicht . . . . . . . . . . . . . . 111. Konsequenzen für die Frage der Berücksichtigung sozialen Wandels C. Historischer und historisch-funktionalistischer Ansatz
80 81 81 82 87 88
I. Anknüpfung an den historisch vorgefundenen Familienbegriff? ...
88
11. Historisch-funktionalistischer Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
D. Der kulturanthropologische Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
94
I. Die Unterscheidung zwischen Erscheinungsform und Originärität . ..
94
11. ,Familie' als Verbindung von Erwachsenen mit Kindern, als Rechtsbegriff heute in der Form der ,Kleinfamilie' . . . . . . . . . . . .,....
95
111. Der materiell-wirtschaftliche und der immateriell-persönliche Bereich als mögliche Grundstrukturen der ,Familie' . . . . . . . . . . . ..
95
IV. Die Bedeutung der materiell-wirtschaftlichen Komponente . . . . .. 1. Die historische Situation sowie der heutige Meinungsstand 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . , . . . . . . . . . . . . . . . . .
96 96 98
V. Der persönlich-immaterielle Bereich als Grundelement der ,(Klein)Familie' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101
14
Inhaltsverzeichnis 1. 2. 2.1. 2.2. 3. 4. 5.
Überlegungsansatz Die ergänzende interaktionistische Deutung des "persönlich-immateriellen Bereichs" der ,Familie' . . . . . . . . . .. Die Brauchbarkeit des interaktionistischen Ansatzes Das konstitutive Element der Emotionalität . . . . . . . . . Die Voraussetzung ehelicher Verbindung . . . . . . . . . .. Die Voraussetzung (bluts-)verwandtschaftlicher Bindungen Zwischen-Ergebnis: Emotionalität und die daraus folgende Konkretisierung des Familienbegriffs . . . . . . . . . . . . .
101 103 103 105 108 110 113
VI. Abgrenzung zu anderen Gemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 1. Bloße Geschlechtsgemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2. Wohngemeinschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 116 § 4 Die Rückwirkungen der gefundenen Konkretisierung des Begriffs ,Familie'
auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 GG . . . . . . . . 117 A. Rechtsdogmatische Gesichtspunkte
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
I. Die grundsätzliche Anwendbarkeit des psycho-sozialen Familienbegriffs auf das Verfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117
11. Generalisierung kontra kasuistische Normierung
. . . . . . . . . . . . 117
III. Einheit des Rechtssystems . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 B. Folgen der gefundenen Familiendefinition für die personale Erstreckung des Art. 6 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 I. Die herrschende Meinung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119
11. Eigener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundsätzliche Gleichwertigkeit der natürlichen und der ("nur") sozialen Kindschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. "Kernfamilie" "Restfamilie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. "Unvollständige Familie" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Pflegefamilie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.
120 120 121 121 121 122
III. Die Frage nach Beginn und Beendigung der Familienqualität . . . .. 124 C. Wirkungen für Art. 6 Abs. 2 GG .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 125
5. Abschnitt Die inhaltliche Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrecht
126
§ 1 "Echte-" und "unechte Grundrechtsmündigkeit" sowie der Grundsatz einer prinzipiell existenten Grundrechtsmündigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 § 2 Der Begriff des Elternrechts
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
Inhaltsverzeichnis
15
A. Dogmatische Qualifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128
B. "Natürliches Recht" und "Naturrecht" .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129
c.
Der Kreis der Rechtsinhaber
131
I. Ableitung aus dem Familienbegriff des Art. 6 Abs. 1 GG ....... 131
11. ,Eltern' und ,Erziehungsberechtigte' . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 132 § 3 Die inhaltliche Konkretisierung des "Elternrechts" sowie seiner Grenzen
... 135
A. Das Verhältnis von Elternrecht und Elternpflicht sowie die Frage nach dem Pflichtbezogenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 B. Begrenzung des Ausübungsvorbehalts durch verfassungsrechtliche Erziehungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 137 I. Die Möglichkeit einer Strukturierung des Elternrechts durch vorgegebene Erziehungsziele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
11. Art und Inhalt verfassungsrechtlicher Erziehungsvorgaben elterlicher "Erziehung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Zulässigkeitseingrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 140 2. Verfassungsrechtliche Leitideen elterlicher "Erziehung" .. 140
111. Wirkung der verfassungsrechtlichen Erziehungsziele auf das Elternrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 C. Konsequenzen für die Kindesposition .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 145 I. Die Grenzziehung für anzuerkennende Selbstbestimmungsbefugnisse 145
11. Außen- und Innenverhältnis der ,Familie' . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 § 4 Ergebnisse und Perspektiven für die weitere Untersuchung
. . . . . . . . . . . 149
3. Kapitel
Die zivllrechtliche Definition von ,Familie' und "Erziehung" sowie die Beurteilung des Verhältnisses von familieninterner und familienextemer Wertung unter Berücksichtigung der vedassungsrechtlichen WertvorsteUungen
154
1. Abschnitt Die verfassungsrechtüchen Vorgaben und ihre OperationaUsiemng bei der zivilrechtüchen Bestimmung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrechten sowie der Rechte Dritter
154
16
Inhaltsverzeichnis 2. Abschnitt Familie i.S.d. Zivilrechts
158
§ 1 Verfassungsrechtlicher und zivilrechtlicher Familienbegriff und das Erforder-
nis einer zivilrechtlichen Definition der ,Familie' . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158
§ 2 Der zivilrechtliche Familienbegriff
160
A. Die (zivil-)gesetzliche Fixierung der Familie B. Stellungnahmen in der Literatur
160
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161
C. Eigene Stellungnahme
163 3. Abschnitt
Der zivilrechtUche Begriff der Erziehung und seine Inhalte
169
§ 1 "Erziehung" und/oder Sozialisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 § 2 Die abstrakten zivilrechtlichen Sozialisations-Inhalte
174
4. Abschnitt Zum Verhältnis von familienintemem und familienextemem Handeln Minderjähriger
177
§ 1 Gesetzliche Vorgaben, Meinungsstand und eigene Wertung ........... 177 § 2 Stufung anstelle von Grenzziehung ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
4. Kap i tel
Kindeswohl, Kindeswille und Kindesinteresse im Spannungsfeld von Kindespositionen, Elternrecht und Interessen des Rechtsverkehrs
186
1. Abschnitt Der Begriff des Kindeswohls § 1 Rechtsdogmatische Bestimmung
186 186
§ 2 Die Verwendung im Gesetz und die Deutung nach den Gesetzesmaterialien 187 § 3 Konkretisierungsansätze in Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . 190
A. Allgemeine Einschätzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 190
Inhaltsverzeichnis
17
B. Bedeutung und Reichweite des Kindeswohlbegriffs
191
I. Das Meinungsspektrum in Literatur und Rechtsprechung ....... 191
11. Die Deutung von Coester
193
C. Versuche einer inhaltlichen Fixierung des Kindeswohls I. Abstrakte positive oder negative Bestimmung
194
. . . . . . . . . . . . . . 194
11. Kontinuitätsgrundsatz, Förderungsprinzip und der Maßstab der "Erziehungsfähigkeit" ................................. 196 111. Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohlbegriffs ........... 197 IV. Die Bedeutung des Kindeswillens sowie des Lebensalters des Kindes 198 § 4 Die eigene Deutung '"
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 200
A. Der Regelungsbereich des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 200 B. Eingliedrige oder mehrgliedrige Definition, negative und/oder positive Bestimmung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 C. Konkretisierung auf erster Stufe = Der abstrakt-definitorische Grundgehalt des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 I. Rechtstatsächliche Kategorisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohls ...... 2. Das Prinzip des Vorbehalts bzw. absoluten Vorranges ... 3. Die Wertungsrichtung "vom Kind her" ............
207 207 208 209
11. Rechtsdogmatische Überprüfung " . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Bedeutung einer rechtsdogmatischen Absicherung . .. 2. Kindeswohl und zivilrechtliches Persönlichkeitsrecht 2.1. Die Rechtsfigur des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts Die Bedeutung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechtes 2.2. im vorliegenden Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Vergleichbarkeit der Problemfelder . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. Ähnlichkeit oder Entsprechung sowie Identität oder Bereichsspezifität der Rechtsfolge? . . . . . . . . . . . . . . . .
209 209 210 210 212 212 213
111. Die sich ergebende übergreifende, abstrakt-definitorische Konkretisierung des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214
2. Abschnitt Begriff und Abgrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse sowie Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes § 1 Der Begriff des Kindesinteresses
215 215
A. Die Verwendung im Gesetz sowie die Deutungen von Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. 215
B. Eigene Deutung: Kindesinteresse und seine Abgrenzung zum Begriff des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 2 Moritz
18
Inhaltsverzeichnis C. Die abstrakt-definitorische Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse und das Stufenschema kindlichen Handeins .......... . .. 219
§ 2 Wille, Bedürfnis und Fähigkeit des Kindes
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
3. Abschnitt Die inhaltliche Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse und ihre Einbindung in einen zivilrechtlichen Interessenausgleich, unter besonderer Berücksichtigung der Eltembefugnisse
222
§ 1 Die allgemeinen Sozialisationsvoraussetzungen der Persönlichkeit und ihrer
Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 222 A. Persönlichkeitsentwicklung sowie Kindeswohl und Kindesinteresse . . .. 222 B. Konkretisierung des Begriffs der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung im Gesetz und in der Fachdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 C. Die nachbardisziplinären Erklärungen der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 1. Die geisteswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen Persönlichkeitsbegriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Einzelansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlichkeitsentwicklung als prozessualer Ablauf; Voraussetzung der psychischen Gesundheit sowie der Mensch als geselliges Wesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. AnlagefUmwelt und die Bedeutung des "Bösen" ...... 4. Zusammenfassung: Die konstitutiven Merkmale der Persönlichkeit und ihre Bedeutung für die rechtliche Wertung
11. Das Vitalbedürfnis des "Geborgenseins" und die daran anknüpfenden sozio-/psychologischen Grundbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. "Geborgensein" als körperlich/psychisches Grundbedürfnis 1.1. Die Existenzbedingung "Geborgensein" 1.2. Komponenten des Beurteilungsmaßstabes "Geborgensein" 2. "Geborgensein" als (grundsätzlich) lebenslange Existenzbedingung der Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . ., 3. "Geborgensein" und Schicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Der Beurteilungsmaßstab "Geborgensein", der Begriff der 4. Familie sowie Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1. "Geborgensein" und der psycho-soziale Familienbegriff " 4.2. "Geborgensein" in Abgrenzung zu und anstelle von Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip . . . . . . . . . . ..
225 225 226 226 230 232 232 232 233 233 234 236 236 237
Inhaltsverzeichnis
19
§ 2 (Kindes-)Wille, Willensmacht, Willensfähigkeit und rechtliche Handlungs-
fähigkeit sowie die Bedeutung des Lebensalters . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 239 A. Der Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 I. Der Kindeswille in der bisherigen rechtlichen Diskussion ....... 239 1. Abgrenzung; (Kindes-)Wille, Willensmacht, Willensfähigkeit und rechtliche Handlungsfähigkeit . . . . . . . . . . . . 239 2. Kindeswille und rechtliche Entscheidungspraxis 239
11. Die nachbardisziplinäre Fixierung von Kindeswille und Willensfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 1. Wille und Persönlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 243 2. Kindeswille und entwicklungspsychologische Willensfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 111. Auswirkungen der nachbardisziplinären Deutungen von Kindeswille und Willensfähigkeit für die rechtliche Wertung . . . . . . . . . . . . . 1. Der "begründete" Kindeswille als oberster Maßstab für die Erkenntnis des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Definitionskompetenz für die Begründetheit des Kindeswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vorgehensweise für die Feststellung des "begründeten" 3. Kindeswillens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Handlungsanweisungen für Richter und Jugendamt .... 3.1. 3.1.1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Vorgehensweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eltern/Kind-Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2. 3.2.1. Grundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. 3.2.2.1. Verbot körperlicher Züchtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2.2. Konsensualprinzip.......................... 3.2.2.3. Prävention und ultima ratio der Beeinflussungsmittel in der Grenze aus § 1631 Abs. 2 BGB, der Verletzung des Selbstwertgefühls des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.2.2.4. Die Respektierung des Kindeswillens als Konkretisierung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
245 245 246 248 248 248 248 251 251 252 252 254
255
255
B. Die Bedeutung des Lebensalters . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 I. Nachbardisziplinäre Beurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Reifungstheoretischer und lemtheoretischer Ansatz .... 2. Pubertät und Adoleszenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Folgerungen für altersmäßige Fixierung von Ausübungskompetenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
256 256 257 259
11. Gesetzestextliche Wertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 1. Die unterschiedlichen Lebensaltersstufen und ihre Rechtsfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 261 2*
20
Inhaltsverzeichnis 2.
Rückschlüsse auf ein gesetzlich vorgegebenes System des Kompetenzzuwachses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268
III. (Industrie-)Gesellschaftliche Vorgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 269 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . :......... 272 § 3 Die inhaltliche Begrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse durch die
Interessen, Bedürfnisse und Rechte anderer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 A. Verkehrssicherheit (und Rechtssicherheit) . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 274 I. Die vorstehenden Wertungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
11. Der Begriff der Verkehrssicherheit
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275
III. Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 275 1. Die Einschätzung in der rechtlichen Erörterung . . . . . .. 275 2. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 B. Die Interessen und Befugnisse der Eltern und sonstiger Dritter ...... 278 I. Mögliche Eltern- und Drittpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 1. Die gesetzestextlich berücksichtigten Eltern- und Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 2. Die allgemein-sozio-/psychologischen Eltern- und Drittinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279
11. Das Verhältnis der Eltern- und Drittpositionen zu Kindeswohl und Kindesinteresse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die aufgeführten sozio-/psychologischen Interessen und Bedürfnisse in der rechtlichen Wertung sowie die Bedeutung der elterlichen Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Das elterliche Sinn-Interesse am Kind . . . . . . . . . . . . . 1.2. Die elterlichen Vermögensinteressen . . . . . . . . . . . . .. 2. Würdigung der gesetzestextlichen Vorgaben ......... 2.1. Die "Leitnormen" der §§ 1626 Abs. 1, 1627 Satz 1 BGB Die Bedeutung der Ausstattung der Entscheidungen von 2.2. VormundschaftsgerichtlFamiliengericht zu § 1632 (§ 1634) BGB mit Drittwirkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. § 1632 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . § 1634 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2. 2.2.2.1. Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2. Subjektives Elternrecht und/oder Recht des Kindes? . . .. 2.2.3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Elterliche Sorge und § 823 Abs. 1, § 1004 analog BGB ... 2.3. Die Qualifizierung von § 1618a und § 1626 Abs. 2 BGB .. 2.4. Der Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1. Eigene Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2.
281 281 281 283 286 286 287 287 288 288 289 292 292 293 293 294
C. Fazit und Folgerungen für die Einzelbereichswertungen der Kapitel 5 bis 7 297
Inhaltsverzeichnis 5.
21
Kapitel
Stufen "D 5 - 6"; Handlungen im aUgemeinen Rechtsverkehr sowie in besonderen Interaktionsbeziehungen
299
1. Abschnitt Das Bedürfnis einer (neuen) rechtssystematischen Fixierung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger
299
2. Abschnitt Die Beurteilung rechtsgeschäftlicher Teilkompetenzen Minderjähriger durch Gesetz, Literatur und Rechtsprechung § 1 Die gesetzliche Regelung der §§ 107 ff. BGB
301 301
A. Teilmündigkeit vom 15. Geburtstag an und die §§ 107ff. BGB ....... 301
B. Generalkonsens und beschränkte Generaleinwilligung . . . . . . . . . . . . 302
c.
§ 110 BGB
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303
D. §§ 112f. BGB
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307
E. Ergebnis
307
§ 2 Die Beurteilung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger
durch Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307 A. Konfliktrelevanz und die Bedeutung des Lebensalters nach der Fachliteratur 307 B. Die Korrelation von Lebensalter und Konfliktträchtigkeit einer Versagung rechtsgeschäftlicher Handlungskompetenzen sowie die Differenzierung nach Rechtsgeschäftstypen in der Wertung der Rechtsprechung ...... 311 1. Zentrale Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311
11. Auswertung der Gerichtsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . .. 313
c.
Schlußfolgerungen für die weitere Untersuchung
316
3. Abschnitt Die Verfassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung fester Teilmündigkeitsstufen durch die §§ 107ff. BGB
317
22
Inhaltsverzeichnis 4. Abschnitt Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
§ 1 Voraussetzungen für eine Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag
321 321
§ 2 Betragsmäßige Fixierung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag. . . . .. 322
A. Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 322 B. Überlassene Mittel und "Mindest-Verfügungsbetrag"
323
C. "Mindest-Anspruchswert" als Anknüpfungspunkt für die Konkretisierung eines "Mindest-Verfügungsbetrages" sowie für die Installierung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 I. Die gesetzlichen bzw. quasi-gesetzlichen (Geld-)Ansprüche der Min-
derjährigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323
11. Die Konkretisierung eines "Mindest-Anspruchswertes" ........ 325 D. "Mindest-Anspruchswert", "Mindest-Verfügungsbetrag" und rechtsgeschäftliche Teil-Mündigkeit ab-15jähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 I. Keine gesetzliche Gleichstellung des "Mindest-Anspruchswertes" mit
einern realen Verfügungsbetrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 326
11. Familienrechtliche Begründung einer Pflicht der Eltern auf Zuerkennung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit von der Vollendung des 15. Lebensjahres an . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 III. Konkretisierung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ab15jähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Abstrakte Fixierung der Betragshöhe einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ab-15jähriger ........... 2. Die für die Garantie des Existenzminimums anzusetzende Summe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Ergebnis: Die Relation von "Mindest-Anspruchswert" und rechnerischem "Mindest-Verfügungsbetrag" sowie die betragsmäßige Fixierung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ab-15jähriger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Das Verhältnis von "rechnerischem ,Mindest-Verfügungsbetrag'" und realem "Mindest-Verfügungs betrag" sowie die Durchsetzung des Anspruches auf Überlassung von Mitteln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Familienrechtlicher "Anspruch" auf Zurverfügungstellung des "Mindest-Verfügungsbetrages" . . . . . . . . . . . . . . . 2. Höhe und Durchsetzung des "Anspruchs" .......... 3. Begründung privatrechtlicher Rechtsfolgen unter Bezugnahme u. a. auf öffentlich-rechtliche Normen sowie das Verhältnis von "Mindest-Verfügungsbetrag" zum "Bestimmungsrecht" des § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB .........
329 329 331
333
335 335 335
337
Inhaltsverzeichnis
23
§ 3 Rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Schnittpunkt von
Verkehrs-, Minderjährigen- und Elterninteresse
. . . . . . . . . . . . . . . . . . 339
A. Die Minderjährigenposition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 B. Die Bedeutung der Elterninteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 342 C. Verkehrsinteresse
344
D. Ergebnis und Vorschlag für die gesetzestextliche Installierung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346
5. Abschnitt Rechtsgeschäftliche Betätigung u n t e r - 15 jäh r i ger; insbesondere die Bedeutung eines Anspruches auf Taschengeld und seine Wirkung rur die Auslegung der §§ 107ft'. BGB § 1 Überlegungsansatz § 2 Dogmatik des § 110 BGB
347 347
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 347
§ 3 Der Anspruch auf Taschengeld
348
A. Meinungsstand
348
B. Definition und entwicklungspsychologische Funktion von Taschengeld
348
C. Rechtliche Beurteilung eines "Anspruchs" des Kindes auf Taschengeld
350
D. Grundsätze über die Höhe des Taschengeld-"Anspruchs" und Wirkungen für die Anwendung des § 110 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 354
E. Ergebnis
6. Abschnitt Konsequenzen des rechtspolitischen Lösungsvorschlags der Einführung einer Teil-Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag und ein Vergleich mit dem geltenden Recht
354
§ 1 Stellenwert der eigenen Wertungen für die aktuelle Konfliktlösung sowie die
zu unterscheidenden Arten der Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . 354
§ 2 Einzelbereiche
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356
A. Rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit Minderjähriger bei Bargeschäften und Ratenverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 B. Rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit bei unbaren - und nichtvermögensrechtlichen Geschäften sowie im Bankverkehr . . . . . . . . . . . . . . 358 I. Grundsatz
358
Inhaltsverzeichnis
24
11. Betätigung Minderjähriger im Bankverkehr . . . . . . . . . . . . . . .. 359 1. Sparkonten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 359 2. Wechsel- und Scheckrecht 360 111. Persönlichkeitsrelevante Geschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Typisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Persönlichkeitsrelevante Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Familienrechtliche Geschäfte . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.2. Wohnsitz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.3. Namensänderung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Rechtsgeschäftsähnliche Handlungen ............. 3. 3.1. Meinungsstand und eigene Stellungnahme .......... 3.2. Umsetzung des eigenen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1. Beispiel: Schwangerschaftsabbruch . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2. Beispiel: "Einwilligung" zur Ablichtung und Verbreitung von Nacktfotos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
361 361 361 361 362 363 363 363 367 367
371
IV. Leistungsannahme, Schenkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 V. Einzelne 1. 2. 3. 4.
Rechtsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . §§ 812ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Geschäftsführung ohne Auftrag . . . . . . . . . . . . . . . . . §§ 823 ff. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigentümer/Besitzer-Verhältnis
374 374 376 376 377
7. Abschnitt Die Handlungskompetenz in besonderen Interaktionsbeziehungen: Die "Arbeitsmündigkeit" § 1 Auslegungsprobleme zu § 113 BGB
378
379
§ 2 Arbeitsmündigkeit und Berufsausbildungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . 381
A. Meinungsstand und Problemstellung
381
B. Die Anwendbarkeit des § 113 BGB auf Berufsausbildungsverhältnisse . .. 382 C. § 113 BGB analog
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383
I. Berufsausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis
........... 383
11. Anwendung und Wirkung des § 113 BGB analog für das Berufsausbildungsverhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 384 § 3 Arbeitsmündigkeit und Aushilfstätigkeit § 4 Der minderjährige Arbeitgeber
385
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 386
Inhaltsverzeichnis 6.
25
Kap i tel
Stufe ,,11 4"; Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten in jugendrechtlichen Angelegenheiten
387
1. Abschnitt Problematik und die gesetzliche Berücksichtigung einer verfahrensmäßigen Handlungsfähigkeit Minderjähriger in jugendrechtlichen Angelegenheiten gegenüber dem Jugendamt sowie vor Vormundschaftsund Familiengericht
387
2. Abschnitt Die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger vor Familien- und Vormundschaftsgericht sowie ihre Befugnisse gegenüber dem Jugendamt
390
§ 1 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 § 2 Würdigung der bestehenden Wertungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 § 3 Eigene Lösung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393
A. §§ 1631 a, 1666 BGB als ausschließliche Konflikts- und Transformationsnormen bei Spannungen im bestehenden Eltern/Kind-Verhältnis ..... 393 B. Initiativrechte vor Vormundschafts-/Familiengericht und Jugendamt . .. 395 I. Anregungs- und/oder Antragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 395
11. Anregungs- und Bescheidungsrechte Minderjähriger im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bescheidung auch unabhängig von einem Antrag . . . . .. 2. Kein Antragserfordernis für eine einstweilige Anordnung 3. Konsequenzen für die verfahrensrechtliche Stellung Minderjähriger vor Vormundschafts- und Familiengericht . .. 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
396 396 397 397 399
111. Die rechtliche Stellung Minderjähriger in bezug zum Jugendamt. .. 399
3. Abschnitt Anhörungsrechte § 1 Die Bedeutung des Lebensalters und die Häufigkeit der Anhörung
A. Der Meinungsstand
401 401 401
B. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403
26
Inhaltsverzeichnis I. Die Auslegung des § 50 b FGG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . -+U3
11. Anhörung in der Beschwerdeinstanz
404
§ 2 Die Durchführung der Anhörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405
A. Form, Art und Ort
405
B. Anwalt des Kindes
406
C. Anwesenheit der Sorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408
4. Abschnitt
Die verfahrensrechtliche SteUung Minderjähriger im Rechtsstreit mit Dritten
410
§ 1 Allgemeine Grundsätze § 2 §§ 1629 BGB, 51 ZPO
410
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410
§ 3 Zustellung an Minderjährige; Urteil gegen Minderjährige
............ 410
§ 4 Zeugnisfähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411
7.
Kapitel
Stufen "I 1 - 3" sowie "lU 7"; SoziaUsationsbezug, VermögenssoraeverhäItnis sowie Unterhaltsrecht
413
1. Abschnitt
Einzelwertungen im Kindeswohlbereich § 1 Eltern/Kind-Beziehungen in der "intakten" Familie
414
. . .............. 414
A. Der konzeptionelle Wertungszusammenhang .................. 414
B. Bestimmung von Aufenthalt und Unterbringung sowie des Umgangs ... 415 I. Aufenthaltsbestimmung, § 1631 BGB .................... 415
1. 2.
3. 3.1. 3.2.
Ausgangsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Aufenthaltsbestimmung in der Wertung von Literatur und Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Aufenthaltsbestimmung und die Bedeutung des ,,(begründeten) Kindeswillens" anhand der Ausgangsfälle ...... Generelle Wertungsgrundlagen .................. Lösung der Ausgangsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
415 416 417 417 417
11. Unterbringung, § 1631 b BGB ................... . ..... 419
Inhaltsverzeichnis
27
III. Umgangsrecht, § 1632 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die Beurteilung in der Rechtsprechung und Literatur . .. 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
422 422 423 423
C. Die Respektierung der Individualsphäre und verdinglichter Persönlichkeitsdetails sowie der Umgang mit dem eigenen Körper ........... 425 I. Respektierung der Individual- und Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . 1. Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
425 425 426 426
11. Der Umgang mit dem eigenen Körper . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 1. Gesundheitspflege, ärztliche Behandlung ........... 429 2. Versuche am Kind 429 III. Das Recht am eigenen Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 1. Beispielsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 431 2. Problematik und Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . .. 432 D. Der Eingriff in die körperliche und/oder psychische Integrität des Kindes (§ 1631 Abs. 2 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434 E. Ausbildung und Berufswahl, § 1631 a BGB
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 434
I. Entwicklungspsychologische Relevanz und Meinungsstand ...... 434
11. Eigene Stellungnahme unter den im 4. Kapitel entwickelten Prämissen 1. Ausgangsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Lösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Stellungnahme zu den vertretenen Auslegungen . . . . . .. 2.2. Eigener Lösungsansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.3. Anwendung auf die Ausgangsfälle . . . . . . . . . . . . . . . § 2 Scheidungsfolgenrecht
435 435 436 436 437 438
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
A. "Umgangsrecht" (und Auskunftsanspruch) des § 1634 BGB und seine Finanzierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 I. § 1634 BGB im Wertungskonflikt der Interessen der Elternteile und des Kindes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439
11. Rechtsnatur und inhaltliche Deutung des "Umgangsrechtes" . . . .. 1. Zusammenfassung der im 4. Kapitel (3. Abschnitt, § 3 B 11 2.2.2.) begründeten Erkenntnisse . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Beachtlichkeit des begründeten Kindeswillens sowie die daraus folgende Deutung: "Umgangsrecht" und/oder Besuchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Die Bedeutung des Kindeswillens für die Realisierung des "Umgangsrechts" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
440 440 441 441
28
Inhaltsverzeichnis 2.2. 2.3.
3. 4.
Die Dauer des Umgangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. "Umgangsrecht" und/oder Besuchsrecht . . . . . . . . . . . . Ort, Häufigkeit und Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Brief- und Telefonkontakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111. Die Finanzierung von Kindesbesuch und Ferienaufenthalt beim Nichtsorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Fallkategorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Meinungsstand zur Kostentragung . . . . . . . . . . . . 3. Stellungnahme und eigener Lösungsweg . . . . . . . . . . . 3.1. U nterhalts- und Personensorge- bzw. restfunktionale Personensorgerechtsbeziehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1. Die These von der Inkohärenz der Ebenen Unterhalt und Personensorge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2. Lösung der Fallkategorien des NichtsorgeberechtigtenKind-Kontaktes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1. Fahrtkosten des Kindes und Zusatzkosten des Nichtsorgeberechtigten bei einem dem Umgangsrecht vorgehenden oder entsprechenden Besuchsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1.1. Personensorgerechtsebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1.2. Umgangskosten als unterhaltsrechtlicher Sonder- oder Zusatzbedarf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.1.3. Anspruch auf Erstattung der Fahrt- und Umgangskosten gegenüber dem Sorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.2. Nachrangiges Interesse des Kindes am Nichtsorgeberechtigten-Kind-Kontakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3. Wochenend- und Ferienaufenthalt sowie gemeinsamer Urlaub mit dem Nichtsorgeberechtigten . . . . . . . . . . . . .. 3.1.2.3.1. Aufenthalts- und Verpflegungskosten . . . . . . . . . . . . . 3.1.2.3.2. Reisekosten des Kindes und des Nichtsorgeberechtigten ..
443 443 444 445 446 446 446 448 448 448 449 449 449 450 452 454 454 454 457
IV. Umgangsbefugnis im Nichtehelichenrecht (§§ 1634, 1711 BGB) ... 457 V. Der persönliche Verkehr der Großeltern mit dem Enkelkind ..... 458 B. Kindeswille und Elternrecht bei § 1632 Abs. 1, letzte Alt.; Abs. 3, letzt. Halbs. BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 458 C. Das "Wohl des Kindes" und die Personensorgerechtsentscheidung für die Zeiten des Getrenntlebens und nach der Scheidung (§§ 1671 f. BGB) .. 460 I. Konstruktion des § 1671 BGB und Problemstellung . . . . . . . . . .. 460
11. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Kindeswohl, Erforderlichkeit für das Kindeswohl (§ 1671 Abs. 3 S. 1) und Gefahr für das Wohl des Kindes (§ 1671 Abs.5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1. Begriff und Inhalt des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . .. 1.2. "Zum Wohle des Kindes erforderlich" (§ 1671 Abs. 3 S. 1 BGB) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3. ",Gefahr' für das Wohl des Kindes" . . . . . . . . . . . . . ..
462 462 462 462 465
Inhaltsverzeichnis 2. 2.1. 2.1.1. 2.1.1.1. 2.1.1.2. 2.1.2. 2.1.2.1. 2.1.2.2. 2.2.
Der zulässige Inhalt des Elternvorschlags Gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung und ihre Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Das Prinzip grundsätzlich möglicher gemeinsamer elterlicher Sorge auch nach der Scheidung . . . . . . . . . . . . .. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes ...... Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die unterverfassungsrechtliche Umsetzung .......... Die Wertungslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit Aufteilung nach Zeitabschnitten, befristete Zuteilung . ..
29 465
465 465 465 466 467 467 469 471
§ 3 Die Sicherung des Wohls des Kindes im Rahmen der und durch die §§ 1666f.
BGB
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472
I. Die wesentlichen Neuregelungen der §§ 1666f. BGB .......... 472
11. Die herrschende restriktive Interpretation der §§ 1666f. BGB .... 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme und Zusammenfassung des eigenen Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. Rechtsgut "Kindeswohl" und das sich daraus ergebende Verhältnis von Elternrecht und Kindesposition ....... 2.2. Subsidiarität des Verhältnismäßigkeitsprinzips . . . . . . .. 2.3. Gefährdung .......... : . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1. Begriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.2. Objektiv-konkrete und individuell-soziale Dimension des Begriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.3.3. "Verschulden" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4. Interventionsstufen der §§ 1666f. BGB sowie die Bedeutung des Vorranges kommunikativen Konsenses für die Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz .......... 2.5. Die zweifache Interventionsfunktion . . . . . . . . . . . . . .
473 473 474 475 475 476 476 477 478 479 479
2. Abschnitt Vermögenssorgeverbältnis § 1 Probleme im Untersuchungszusammenhang
480
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480
A. Abgrenzung des Bereichs der Vermögenssorge . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 B. Vermögenssorge und die Frage der Zubilligung einer eigenen rechtlichen Handlungsfähigkeit für das Kind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 § 2 Einzellösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
A. Das Prinzip der "Familieneinheit" und die Vermögensinteressen des wohlhabenden Kindes bei § 1649 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482
30
Inhaltsveneichnis I. Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 482
11. Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Bewertungsgrundsatz ............... . . . . . . . .. 2. Einzellösungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1. § 1649 Abs. 1 S. 2 BGB; Wiederauffüllung früherer Verluste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Die Bedeutung der "Blutsverwandtschaft" für die Begünstigung nach § 1649 Abs. 2 BGB ................ 2.3. Anwendbarkeit des § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB .........
483 483 484 484 484 485
B. Rechnungslegung, Inventarisierung, das Prinzip der wirtschaftlichen Vermögensverwaltung sowie das Verhältnis des § 1664 zu den §§ 1667, 1666 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485
c.
Anspruch des Kindes auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung I. Ausgangsfälle
486
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486
11. Problemstellung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 487 III. Meinungsstand und eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Bewertung durch Literatur und Rechtsprechung ...... 2. Stellungnahme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.1. Relevanz der Frage nach einem Anspruch der Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung . . . . .. 2.1.1. Das Argument der tatsächlich bestehenden Risikoabsicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2. Problemlösung durch eine obligatorische Privathaftpflichtversicherung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2. Der familienrechtliche Anspruch des Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung ............ 2.2.1. Begründung und Voraussetzungen eines solchen Anspruchs 2.2.2. Rechtsfolgen im Falle des Nichtabschlusses ......... 2.2.2.1. Haftungsrechtliche Folgen 2.2.2.2. Familienrechtliche Folgen 3. Lösung der Ausgangsfälle
488 488 489 489 489 490 491 491 493 493 495 495
3. Abschnitt
Die Berücksichdgung von Kindes-, EItem- und Drittinteressen im PDegeklndschaftsund Adopdonsrecht § 1 Pflegekindschaftsverhältnis
496 496
A. Stunden-, Tages- und Kurzpflegschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496 B. Dauerpflegschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 I. Die gesetzliche Neuregelung und der Meinungsstand .......... 497
Inhaltsverzeichnis 11. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtliche sowie psycho/soziale Funktion der Familienpflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Auslegungsmaßstab Kindeswohl 2. Grundsatz der Geltung des Kindeswohl-Vorbehaltes 2.1. 2.2. Grenze: Ausübungswille der Pflegeeltern . . . . . . . . . . . 2.3. Die Bedeutung des Kindeswillens . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Weitere Einzelfragen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1. Rechtliche Möglichkeit und Umfang einer Delegation der Sorgerechtsausübung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Untervertretung und gerichtliche Übertragung ....... 3.1.1. § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB, § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB analog so3.1.2. wie § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB i. V.m. §§ 888 Abs. 1 ZPO, 1666 Abs. 1 BGB, auf Antrag der Pflegeeltern aus eigenem, kindeswohlgebundenem Recht . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3.2. "Längere Zeit" Ls. der §§ 1630 Abs. 3 S. 1, 1632 Abs. 4 S. 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Bindendes Rückgabeverlangen der Eltern? 3.3. § 2 Die Rechtspositionen des Kindes bei der Adoption
31 500 500 501 501 502 502 503
503 503
504 506 507 508
A. Die Bedeutung des Kindeswohls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508 I. Kindeswohl als Zielprojektion
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 508
11. Kindeswohl und Kindeswille . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 509 B. Die Zielsetzung der Adoption und ihre Folgen für die Bewertung der Adoptionspflegschaft im Dreieck aus den Interessen des Kindes, der Adoptionswilligen sowie der natürlichen Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . 510
4. Abschnitt
Unterhaltsrecht § 1 Das "Bestimmungsrecht" der Eltern gemäß § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB
A. Problemstellung und Meinungsstand
511
512 512
B. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 515 I. Die Begründung des Unterhaltsanspruchs sowie die Abgrenzung zwischen minderjährigen und volljährigen Unterhaltsberechtigten und die Bedeutung des "Bestimmungsrechtes" gegenüber Minderjährigen 515
11. "Bestimmungsrecht" gegenüber Volljährigen . . . . . . . . . . . . . . . 1. Allgemeine Kritik an den befürwortenden Stellungnahmen 2. Ableitung des "Bestimmungsrechtes" aus der Verfassung 3. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange der unterhaltsverpflichteten Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
516 516 518 518
32
Inhaltsverzeichnis 3.1. 3.2. 3.3.
Wirtschaftliche Interessen als einzig berucksichtigungsfähiger Gesichtspunkt zugunsten der Eltern ......... 518 Die Sorge um die unzweckmäßige Verwendung der Unterhaltsleistungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 Schutz vor übermäßiger Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten . .. 520
III. Ergebnis und Auslegung des § 1612 Abs. 2 BGB
. . . . . . . . . . . . 522
§ 2 Inhalt und Dauer des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruches sowie das Ver-
hältnis volljähriger und minderjähriger Unterhaltsberechtigter ......... 523 A. Art und Maß des zivilrechtlichen Unterhalts
I. Die gesetzlichen Grundlagen
11. Die "Lebensstellung" des Bedürftigen und die daran knüpfende Bestimmung der Höhe des Unterhaltsanspruches . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Bedeutung der "Lebensstellung" des Bedürftigen und die zu ihrer Fixierung vertretenen Auffassungen ...... Das minderjährige, im Haushalt der Eltern lebende Kind 1.1. Der Unterhalt minderjähriger Externer sowie Volljähriger 1.2. 1.2.1. Der zivilrechtliche Auszubildenden-Unterhalt ........ 1.2.2. "Lebensstellung" des Kindes getrennt lebender oder geschiedener Eltern sowie die Frage der Korrelation von Lebensalter des Kindes und Betreuungsaufwand ........ Der Unterhaltsanspruch von Kindern besonders wohl1.2.3. habender Eltern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Allgemeine Kritik ........................... 2.1. 2.2. Eigener Lösungsvorschlag .. . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Arbeitslose Unterhaltsberechtigte . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1. Die "Lebensstellung" Auszubildender und daran knüp2.2.2. fende Konsequenzen für die Höhe des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.1. Die "Lebensstellung" Auszubildender . . . . . . . . . . . . . 2.2.2.2. Das Maß des Auszubildenden-Unterhalts . . . . . . . . . .. 2.2.2.3. Minderjährigen- und Volljährigenunterhalt ......... 2.2.2.4. Der Unterhaltsanspruch von Kindern besonders wohlhabender Eltern .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..
523 523 524 524 524 524 525 526 526 528 528 529 529 529 529 531 532 533
B. Die Bemessung der Dauer des privatrechtlichen Unterhaltsanspruches .. 534 C. Das Verhältnis volljähriger und minderjähriger Unterhaltsberechtigter 537 I. Problematik und Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537
11. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 538 § 3 Marginalie: Unterhalt durch "Erziehung"? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540
Inhaltsverzeichnis
33
Anhang Nachweis der Ausbildungsvergütungen
3 Moritz
in der gewerblichen Wirtschaft und im Handwerk
543
Literaturverzeichnis
559
Einführung
Problemaufriß und Skizzierung des Untersuchungsablaufes Während der Gesetzgeber in der Vergangenheit bei der legislativen Berücksichtigung von Jugendfragen eher Zurückhaltung wahrte, zeichnete sich die Zeit von 1969 -1979 durch verstärkte Aktivitäten in diesem Bereich aus. Ende der 60er Jahre erfolgte eine Änderung des Nichtehelichengesetzes vom 19. 8. 19691 . Es schlossen sich an der Ausbau der Jugendvertretung durch das BetrVG vom 15. 1. 19722 und so dann das JugArbSchG vom 12. 4. 19763 , das Gesetz zur Neuregelung des Volljährigkeitsalters vom 31. 7. 19744, das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18.7. 19795 sowie die Neubekanntmachung des Jugendgerichtsgesetzes vom 11. 12. 19746 . Mittelbaren Bezug zur rechtlichen Stellung der Nichtvolljährigen haben schließlich das 1. EheRG vom 14. 6. 19767 , das Adoptionsgesetz vom 2. 7. 19768 sowie - bislang nur als Auslegungshilfe für die Verwaltung 9 - das nicht rechtskräftige Jugendhilfegesetz lO • Die rechtliche Stellung der Jugendlichen (und Heranwachsenden) ist insbesondere durch das Volljährigkeitsgesetz sowie durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge angesprochen. Nach der Fülle von jugendrechtlichen Neuregelungen und insbesondere nach der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre ll sowie der verstärkten Berücksichtigung von Kindesinteressen durch das Sorgerechtsgesetz12 mögen nicht nur Uneingeweihte der Auffassung sein, daß nunmehr wohl dem Interesse der Minderjährigen und Heranwachsenden Genüge getan sei und sich weitere BGBI I, S. 1243. BGEl I, S. 13. 3 BGBI I, S. 965; geändert durch Gesetz vom 15. Oktober 1984, BGBI I, S. 1277. und vom 24. April 1986, BGEl I, S. 560. 4 BGBI I, S. 1713. 5 BGEl I, S. 1061. 6 BGBI I, S. 3427. 7 BGEl I, S. 1421. 8 BGEl I, S. 1749; ergänzt durch das AdVermiG vom 2. Juli 1976, BGBI I, S. 1762. 9 Vgl. schon MoritziMeier (1982), S. 17 ff. 10 Siehe den abschließenden Entwurf in BT-DrS 9/4080 v. 21. 5. 1980. 11 Gesetz zur Herabsetzung des Volljährigkeitsalters, Art. 1 Ziff. 1. 12 Vgl. vor allem §§ 1626 Abs. 2 und 1631 a BGB n. F. I
2
3*
36
Einführung
Ausführungen zu diesem Thema erübrigten 13 • Das Volljährigkeitsgesetz betrifft jedoch nur einen Teilbereich der Rechtsstellung der über-18jährigen 14 • Und auch die gesetzliche Neuregelung der elterlichen Sorge läßt bewußt oder unbewußt in vielerlei Hinsicht rechtliche Fragestellungen unbeantwortet 15 • Dies betrifft insbesondere die nähere Eingrenzung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Kindeswohls 16 . Andere Fragen werden neu aufgeworfen, so jene nach generalisierbaren Erziehungszielen 17 sowie, damit zusammenhängend, jene, ob die im Eltern/Kind-Verhältnis vorgesehenen Befugnisse als Anspruchsnorm oder lex desciptiva 18 zu qualifizieren sind. Offen ist nach wie vor auch die Beantwortung zahlreicher Einzelprobleme. So aus dem Sorgerechtsbereich, ob die Zulässigkeit von Eingriffen in den Persönlichkeitsbereich des Kindes (Bestimmung des Umgangs und Aufenthalts entgegen dem Kindeswillen, Briefkontrolle) nach einem objektiven oder einem individualisierenden Ansatz zu beurteilen sind 19 • Ungeklärt ist ebenfalls, ob etwa die Eitern ihre Kinder körperlich züchtigen dürfen 20 oder etwa an der Stelle einer 16jährigen einer Operation sowie Heilversuchen an dem Kind zustimmen können oder gegenüber Dritten die Erlaubnis zur Verbreitung von Nacktaufnahmen von der Tochter erteilen dürfen21 . Fraglich ist die Bedeutung des Kindeswillens insbesondere auch im Scheidungsfolgenrecht; so ist umstritten, ob ein "Umgangsrecht" gegen den Willen des Kindes durchgeführt werden kann22 oder ob ein Gericht an einen Vorschlag der Eitern zur Sorgerechtsverteilung nach der Scheidung gebunden ist23 • 13 Vgl. etwa Uffelmann (1977), S. 4, welcher in der "Reform zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge" einen jedenfalls "vorläufigen Schlußpunkt" im Bemühen um den Abbau der ObjektsteIlung des Kindes sieht. 14 Problematisch ist insbesondere die Auslegung des § 1612 Abs. 2 BGB; vgl. dazu im einzelnen im 7. Kapitel, 4. Abschnitt, § 1. 15 Vgl. Gernhuber, aaO, sowie die Beispiele bei Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 24 ff. 16 Siehe dazu insbesondere die Zusammenstellung bei Beitzke, FamRZ 1979, S. 8 ff. Die Frage der Auslegung des materiellen Begriffs des Kindeswohls war Gegenstand z. B. einer Tagung von Familien- und Vormundschaftsrichtern vom 31. 8. - 6. 9. 1980 in Trier, vgl. ZbIJugR 1980, S. 35. 17 Vgl. insbesondere Schmitt Glaeser, DÖV 1978, 629 ff.; ders. (1980), S. 59,65. Er sieht in der Sorgerechtsneuregelung eine verfassungswidrige gesetzliche "Verordnung" eines bestimmten Erziehungsziels. - A. A. z. B. Häberle (1981); Schultz, MDR 1980, 21. 18 Zur Problematik vgl. Diederichsen, NJW 1980, 2; Holtgrave, JZ 1979, 666; Simon, JuS 1979. 753. 19 Vgl. im 7. Kapitel, 1. Abschnitt; insbesondere S. 425 ff. 20 Vgl. Eberbach, FamRZ 1982, 452; Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 24; s. im einzelnen auch im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1; S. 434ff. 21 Vgl. BGH FamRZ 1974, 595 sowie im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 C III. 22 Vgl. etwa OLG DüssdfFamRZ 1979, 857; im einzelnen: 7. Kap., 1. Abschn., § 2. 23 Vgl. BayObLG FamRZ 1976, 36 f.; BGHZ 33,57; BVerfG NJW 1983,101; siehe auch im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 2; S. 460ff.
Einführung
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Fernwirkungen aus den Sorgerechtsregelungen ergeben sich für den prozessualen Bereich - Stichwort: Anhörungsrecht24 - sowie im Unterhaltsrecht, wo vor allem Uneinigkeit darüber herrscht, ob die Eltern über Unterhaltszahlungen Erziehungsziele verfolgen dürfen25 . Darüber hinaus decken die erwähnten Gesetze zur Rechtsstellung Jugendlicher die hier angesprochene Problematik nur zum Teil ab. So bleiben die Wechselwirkungen der Normen des Familienrechts zu jenen der §§ 106 ff. BGB unberücksichtigt26 . In einer Industriegesellschaft gehört die Teilhabe am Geschäftsverkehr zu den vorauszusetzenden "Lehrinhalten" bei der "Erziehung" der Kinder. Fraglich ist jedoch, ob etwa ein aus dem eigenen Verdienst bezahlter Pauschalreisevertrag gültig von einem Minderjährigen geschlossen werden kann 27 • Unsicher ist die Reichweite von Teilmündigkeiten anläßlich einer genehmigten Arbeitstätigkeit; fraglich ist, ob die Genehmigung z. B. die Befugnis des autonomen Abschlusses von Miet- und Beförderungsverträgen etc. umfaßt28 • Unterschiedliche Meinungen bestehen des weiteren hinsichtlich der Betätigung Minderjähriger im Bankverkehr; entspricht etwa die Praxis der Banken den §§ 106 ff. BGB, wonach Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres frei über ihr Bankguthaben verfügen können29 ? Die §§ 106 ff. BGB beziehen sich auf die Abgabe von Willenserklärungen. Nicht jede Entscheidung des Kindes mit Außen wirkung ist aber mit Willenserklärungen verbunden. So liegt bei der Einwilligung zum Heileingriff keine Willenserklärung vor. Sind hier die §§ 106 ff. BGB entsprechend anwendbar, und wenn nicht, nach welchen Kriterien ist dann zu entscheiden30 ? Auch hierüber schweigt das BGB31. Die Tatsache, daß Teilbereiche des Jugendrechts gesetzlich neu gestaltet wurden, hindert somit nicht, sich der Materie erneut zuzuwenden. Inzwischen existieren mehrere Monographien zum KindeswohP2. Darüber hinaus gibt es eine kaum noch überschaubare Zahl von Aufsätzen und kürzeren Beiträgen sowie von Rechtsprechungsäußerungen zu Einzelproblemen der Personen- und Vermögenssorge sowie des Unterhaltsrechts33 . Eine Darstel24 Zur Diskussion vgl. die Zusammenstellung bei Fehmel, DAmtsV 1981, Sp. 169 ff.; im einzelnen vgl. im 6. Kapitel, 3. Abschnitt. 25 Vgl. BGH NJW 1981, 574 ff.; s. im einzelnen: 7. Kapitel, 4. Abschnitt; S. 512ff. 26 Kritisch insbesondere auch Bosch (1970), S. 51 ff. sowie Gernhuber (1977). 27 Vgl. Amtsgericht Siegburg FrVerkrEntsch 6, 270. 28 Vgl. StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 16. 29 Vgl. Beitzke, AcP 172 (1972), S. 250 f. 30 Vgl. BGH NJW 1972, 336 f.; LG München I NJW 1980, 646; - s. im einzelnen: 5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 B III. 31 Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3 (1977), Rn. 24. 32 Gerber (1975); GoldsteinlFreudlSolnit (1979); dies. (1982); Simitis/Zenz u. a. (1979) sowie vor allem Coester (1983). 33 Vgl. im einzelnen die Wiedergabe insbesondere im 4. bis 7. Kapitel.
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lung, welche den Versuch unternimmt, die Einzelprobleme als Teil des Gesamtkomplexes der rechtlichen Stellung der Minderjährigen innerhalb und außerhalb der Familie zu verstehen und zu erörtern, steht dagegen, soweit ersichtlich, noch aus. Elterliche Sorge geschieht in einem komplexen Bezugssystem. Dies trifft insofern zu, als die Einzelregelung die verfassungsrechtliche Regelung (vor allem) des Art. 6 Abs. 2 und 1 GG zu beachten hat; des weiteren besteht der aufgezeigte Zusammenhang zwischen den Sorgerechtsregelungen und den §§ 106 ff. BGB sowie insbesondere mit den unterhaltsrechtlichen Regelungen. Durch die Vorschriften über die elterliche Sorge werden schließlich soziale Beziehungen rechtlich bewertet. Der unbestimmte Rechtsbegriff "Kindeswohl" beauftragt den Richter, die Normen durch Fixierung des Normbereichs zu konkretisieren 34 • Zu leisten ist eine (jeweils neue) Rückbeziehung zu dem geregelten Gesellschaftsausschnitt. Dies erfordert die Auseinandersetzung mit den Ideen von Familie sowie dem Zusammenleben von Eltern und Kindern. Gefordert ist somit eine Bezugsetzung zum Grundrechtssystem, die Konkretisierung der pauschalen Wertungsmuster, eine rechtszweigübergreifende Problemschau sowie die - insbesondere nachbardisziplinäre - Eruierung des Bewertungshintergrundes und die Entwicklung von in diesem Sinne abgesicherten Bewertungsmaßstäben für die Einzelprobleme. Insofern stellen die getroffenen Neuregelungen einen Beginn und, entgegen einigen Auffassungen 35 , nicht den Abschluß eines Prozesses zur Neudefinition der zivilrechtlichen Stellung der Jugendlichen und Heranwachsenden dar. Für die nachfolgende Untersuchung wird ein bewußt breiter Ansatz gewählt, welcher die Verdeutlichung der Gesamtzusammenhänge zum Ziel hat. Angestrebt ist darüber hinaus eine Fixierung der Stellung der Jugendlichen und Heranwachsenden, welche einerseits Kindesrechte nicht lediglich als Annex von Fremdbefugnissen begreift, sondern ernst macht mit der Anerkennung und rechtlichen Realisierung einer Rechtssubjektivität persönlich und/oder wirtschaftlich Abhängiger, die andererseits aber den zu respektierenden Gemeinschafts- und Individualinteressen die gebotene Berücksichtigung und Anerkennung nicht versagt. Am Anfang der Untersuchung steht eine Fixierung des angesprochenen Personenkreises der Minderjährigen und Heranwachsenden. Dabei ist generell zu fragen, welche Inhalte den Begriffen herkömmlich zugrundeliegen und ob die angedeuteten neuen Sichtweisen nicht Auswirkungen auf die Begriffsinhalte haben. Im 1. Kapitel wird deshalb der Versuch einer Abgrenzung Vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B III. Belchaus, ZbIJugR 1979, 325 ff.; Diederichsen, NJW 1980,1; Uffelmann (1977), S. 4. - Für das Scheidungsfolgenrecht vgl. die Nachweise bei Moritz, ZbIJugR 1981,11, dort Fn. 4. 34
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der im Untersuchungszusammenhang relevanten Termini unternommen. Dadurch erfolgt zugleich eine Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht. Gegenstand des anschließenden 2. Kapitels ist die Erörterung der materiellverfassungsrechtlichen Problematik des Themas. Dabei entsteht im Hinblick darauf, daß ein Großteil der Literatur das Verhältnis von Kindes- und Elternrechten nach wie vor als verfassungsrechtliches Problem ansieht36 , zunächst die Frage nach der Leistungsfähigkeit des Grundgesetzes für die unterverfassungsrechtliche Einzelfallentscheidung. Unabhängig davon, ob Verfassung als Rahmen gebender Überbau oder als oberste, konkrete Subsumtionsnorm verstanden wird - diese Sichtweisen betreffen nicht das "Ob", sondern die Reichweite der gefundenen Ergebnisse für die weitere Untersuchung -, bildet naturgemäß das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG den ersten Ansatzpunkt für die verfassungsrechtlichen Erörterungen zum Eltern-Kind-Verhältnis. Die auf das Kürzel heteronome oder autonome Bestimmung Jugendlicher und Heranwachsender zu bringende Problematik37 basiert dabei auf der Frage nach der verfassungsrechtlichen Entscheidung zwischen den Alternativen: 1. Zuordnung der Kinder zu den Inhabern des Elternrechts oder 2. Anerkennung einer prinzipiellen Rechtssubjektivität al/er Bürger, wobei ein Eingreifen der Inhaber des Elternrechts im Falle fehlender oder beschränkter Selbstbestimmungskompetenz der vom Elternrecht passiv Betroffenen in Betracht kommt. Dabei wird hier versucht, die Diskussion über die bisherige, letztlich fruchtlose abstrakte Abwägung der Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG hinauszuheben. Zunächst geschieht dies dadurch, daß die verfassungsrechtliche Institution Familie und die Frage nach ihren möglichen Inhalten in die Erörterung mit einbezogen wird. Diese Ausführungen geben zugleich Gelegenheit, einige grundlegende rechtstheoretische Fragen anzusprechen wie jene der Rechtsgewinnung, Entscheidungsfindung und der Berücksichtigung sozialen Wandels. Entgegen der Praxis eines Abwägens der Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG setzen die weiteren Überlegungen bei der Konstruktion des Art. 6 Abs. 2 GG und der Fixierung der inhaltlichen Grenzen im Dreieck Eltern-Kind-Staat an. Für die Frage der rechtlichen Stellung der Kinder steht in diesem Zusammenhang die Überlegung im Mittelpunkt, ob für das Verhältnis von Eltern und Kindern Erziehungsvorgaben anzuerkennen sind und welche Wirkungen diese hätten. Nach der Konkretisierung der Inhalte der hier relevanten Verfassungsnormen und der Klärung des rechtstheoretischen Zusammenhangs von Verfassungsaussage und partikulärer Wertung, ist der Weg frei für die Bestimmung einer als adäquat zu erachtenden zivilrechtlichen Stellung der Minderjährigen
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Vgl. im 2. Kapitel, 2. Abschnitt. Zur Begriffsprägung vgl. schon E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 228.
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und Heranwachsenden. Adäquanz bezieht sich dabei zunächst auf die verfassungsrechtlichen Leitentscheidungen, wobei der Grad der inhaltlichen Determiniertheit von der zuvor getroffenen Entscheidung über das Verhältnis von Verfassung und Partikulärordnung abhängt. Adäquanz bedeutet hier jedoch nicht nur eine verfassungsrechtliche Entsprechung. Angestrebt ist zugleich eine systemimmanente und praktikable Lösung. So können die abweichenden Bedingungen der in Betracht kommenden möglichen zivilrechtlichen Handlungsräume nicht ignoriert werden. Diese sind 1. das Familieninternum, 2. die familienexterne rechtsgeschäftliehe Betätigung sowie 3. die Befugnisse vor Behörden und Gerichten in jugendrechtlichen Angelegenheiten. Eine wesentliche Aufgabe ist darin zu sehen, die Sonderheiten der jeweiligen Handlungsräume herauszuarbeiten. Denn Art und Umfang der Zubilligung rechtlicher Kompetenzen ist letztlich Resultat eines wertenden Ausgleichs zwischen den erkannten Sonderheiten der möglichen Betätigungsfelder sowie andererseits den akzeptierten Jugendlichen- und Heranwachsendeninteressen. Rechtsterminologisch erfolgt diese Wertung in der Ausfüllung und wechselseitigen Bezugsetzung der unbestimmten Rechtsbegriffe 1. Kindeswohl und Kindesinteresse, 2. der Sicherheit des Rechtsverkehrs sowie 3. der Interessen und Bedürfnisse der Sorgeberechtigten bzw. Vertretungsbefugten und sonstiger Dritter. Die Konkretisierung dieser Entscheidungspole bildet entsprechend deren Bedeutung den Gegenstand eines eigenen Kapitels (4. Kapitel), bevor, auf diesen Wertungen aufbauend, im 5. bis 7. Kapitel eine Umsetzung der Aussagen in den Einzelbereichen und anhand von Einzelfällen möglich wird.
1. Kapitel
Fixierung des Personenkreises der Minderjährigen und Heranwachsenden sowie weitere Begriffsklärungen Das Ziel der Arbeit ist die Definition der rechtlichen Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden. Dies erfordert zunächst eine Konkretisierung des Begriffs der Minderjährigkeit und des damit im Zusammenhang stehenden Terminus' des Minderjährigenschutzes; zu erläutern ist schließlich der Begriff des Heranwachsenden. Diese Definitionen ermöglichen so dann die erforderliche Abgrenzung gegenüber weiteren Rechtsbegriffen, welche im Problemzusammenhang von Bedeutung sind. 1. Abschnitt
Minderjährigkeit, "Minderjährigenschutz" und der Begriff des Heranwachsenden § 1 Minderjährigkeit
Minderjährigkeit umschreibt einen personenrechtlichen Status. Die Bezeichnung enthält die inhaltliche Wertung, daß die so benannte Person minder an Jahren seil. Eine Legaldefinition der Minderjährigkeit findet sich nicht im BGB. Eine Konkretisierung ergibt sich als Umkehrschluß aus § 2 BGB, wonach die Volljährigkeit mit der Vollendung des 18. Lebensjahres eintritt2 • Danach sind alle Personen minderjährig, die nicht volljährig sind. 3 Die Unterscheidung des § 106 BGB hinsichtlich der Geschäftsfähigkeit ist nach richtiger Ansicht dagegen für die Qualifizierung als Minderjähriger ohne Bedeutung4 • § 106 BGB betrifft nicht die Frage der Minderjährigkeit. Ent1 Zum historischen Ursprung vgl. o. v. Gierke (1895), S. 381, m. w. N. in der dort. Fn. 1; s. auch Dernburg (1902), § 61; Heusler (1886), S. 489 f. sowie Planitz (1925), S. 22 f. m. w. N. 2 Seit 1. 1. 1975; vgl. Volljährigkeitsgesetz vom 31. 7. 1974 (BGB! I, S. 1713). 3 Die Möglichkeit der vorzeitigen Volljährigkeitserklärung ist mit dem Volljährigkeitsgesetz beseitigt worden (s. dort. Art. IV, Ziff. 1).
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1. Kap.: Fixierung des Personenkreises
sprechend römisch-rechtlichem Vorbild differenziert er hinsichtlich der rechtlichen Zuerkennung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit. Kinder vor Vollendung des 7. Lebensjahres rechnen zu den Unmündigen (infantiae proximi). Die römisch-rechtliche Bezeichnung der zweiten Altersgruppe, der proximi pubertati, bringt dagegen zum Ausdruck, daß diese der Mündigkeit (pubertas) näher stehen als dem Kindesalter (infantia)5. Somit sind der personenrechtliche Status sowie die Frage der rechtlichen Handlungsfähigkeit zu unterscheiden. Minderjährigkeit bedeutet zunächst nur eine altersmäßige Einstufung. § 2 "Minderjährigenschutz"
A. Meinungsstand Der Begriff des "Minderjährigenschutzes" ist nicht eindeutig. In den neueren Kommentaren zum BGB taucht er nur noch in Zusammensetzungen und bezogen auf Einzelbereiche auf!. Die Benutzung des Begriffs "Minderjährigenschutz" als solcher ist dagegen beschränkt auf das "Haager Übereinkommen über die Zuständigkeit der Behörden und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen" (MjSchübk) vom 5. 10. 19612. Das Übereinkommen regelt die gesetzliche und behördliche/gerichtliche Zuständigkeit bei Maßnahmen zum Schutz der Person oder des Vermögens des Minderjährigen, die im Interesse des Kindes erforderlich sind 3 . Dazu zählen insbesondere auch Maßregeln nach § 1666 BGB4, Entscheidungen über die elterliche Sorge5 und die "Verkehrsregelung" (das Umgangsrecht) nach § 1634 Abs. 2 BGB6 u. a. m.7. Angesprochen sind von diesem Abkommen somit insbesondere jene Regelungsbereiche, welche nach nationalem Recht im 4. Buch/2. Abschnitt des BGB berücksichtigt sind. Dem entspricht eine Auffas4 Ebenso Reiffenscheid u. a. (1968) sowie Köbler (1979), unter "Minderjährigkeit"; a. A. Posener's Rechtslexikon. 5 Vgl. im einzelnen Weiske (1839), S. 215. t Vgl. etwa die Stichwortverzeichnisse und Einzelnachweise bei: Ermann (1981), Bd. 2, S. 2619; PalandtlHeinrichs, Anh. 4 zu § 23 EGBGB. S. im einzelnen statt aller: Gitter, MünchKomm., 1. u. 2. Aufl., vor § 104, Rn. 1 "Schutz des nicht oder nur beschränkt Geschäftsfähigen"; ders., § 107, Rn. 1 "Der Minderjährige soll vor negativen Folgen geschützt werden"; ders., § 110, Rn. 1. 2 BGB! 11,1971, S. 217; das Abkommen ist für die Bundesrepublik Deutschland am 17. 9. 1971 in Kraft getreten. 3 BGHZ 60, 68. 4 BayObLG 1973, 331 und 345. 5 BGHZ 60, 68. 6 OLG Stuttgart NJW 1978,1746. 7 Vgl. im einzelnen die Nachweise etwa bei PalandtlHeldrich, Anh. 4 zu § 23 EGBGB, Art. 1, Anm. 3.
1. Abschn.: Minderjährigkeit, "Minderjährigenschutz"
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sung in der Literatur, welche zum "Minderjährigenschutz" die rechtlichen Beziehungen zwischen Eltern und Kindern sowie die familienexternen Rechtsbeziehungen zählt8 . Eine andere Meinung verknüpft den Begriff des "Minderjährigenschutzes" vor allem mit der rechtsgeschäftlichen Betätigung, also mit dem Normenkomplex der §§ 105 ff. BGB über die "Geschäftsfähigkeit"9.
B. ,Schutz' der Minderjährigen und Heranwachsenden als FragesteUung im familienintemen und familienextemen Bereich I. Die Notwendigkeit eines Schutzes der NichtvoUjährigen und Heranwachsenden?
Der Gedanke der Schutzbedürftigkeit - jedenfalls - kleiner Kinder ist anthropologischen Ursprungs. Struck lO weist darauf hin, daß diese anthropologische Sichtweise im Kern einleuchtet. Sie vermag z. B. aber nicht die bestehenden großen Unterschiede hinsichtlich des Schutzes von Kindern und von alten Menschen zu erklären. So gelten alte Menschen bis zur Grenze des § 104 Ziff. 2 BGB als unbeschränkt geschäftsfähig, obgleich die reale Selbstbestimmungskompetenz ggf. weit unter jener "beschränkt geschäftsfähiger" Kinder liegt. Anthropologisch ist auch nicht das Volljährigkeitsdatum schlüssig zu erklären; vgl. etwa seine Herabsetzung zum 1. 1. 1975. Erst recht folgen keine zwingenden Kriterien aus überkommenen kulturellen Moralpostulaten. So entspricht es zwar christlich-abendländischer Tradition, Kinder in besonderer Weise zu schützen ll . Dies trifft indes ebenso für einen Schutz der Witwen und Waisen sowie für die Achtung des Alters zu, ohne daß eben diese Schutzbereiche eine gesetzliche Berücksichtigung in der Privatrechtsordnung gefunden haben 12 • Es entspricht somit der anthropologischen Herleitung, Mündigkeitsdifferenzierungen zu treffen. Schon hier kann indes im Anschluß an Struck 13 festgestellt werden, daß keine Einzelheit des derzeitigen Rechtszustandes zwingend aus der "Natur des Menschen" folgt, sondern daß es historisch in dem Sinne ist, weil es aus der Gesamtheit der konkreten historischen Lage begriffen werden muß. Es ist damit nicht zu leugnen, daß ein Bedürfnis bestehen kann, einen besonderen Schutz hinsichtlich der Betätigung von Kindern und Jugendlichen Vgl. schon E. Hauser (1945), S. 245 f. In diesem Sinne etwa EnnecceruslNipperdey, BGB-AT, 2. Halbb., § 163 VII 2. 10 (1980), S. 2. 11 Siehe Struck, aaO, S. 5. 12 Dazu, daß der Erreichung des Greisenalters im Gegensatz etwa zum älteren deutschen Recht im Bürgerlichen Recht keine rechtliche Relevanz mehr zukommt, vgl. schon O. v. Gierke (1895), S. 389. 13 aaO, S. 2. 8 9
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1. Kap.: Fixierung des Personenkreises
im Rechtsverkehr vorzusehen. Dabei ist die Variante des Schutzes vor sich selbst denkbar; ebenso kommen aber Schutzerfordernisse in Betracht, welche primär den Interessen des allgemeinen Rechtsverkehrs oder auch der Eltern Rechnung tragen. Schutzbedürfnisse im letzteren Sinne sind jedoch nicht naturgegeben; sie sind damit auch weder Nichtvolljährigen noch (lediglich) wirtschaftlich Abhängigen immanent. Vielmehr ist die Bejahung eines Schutzerfordernisses Resultat einer Dezision unter eigenen Prämissen. Daß dabei heute die (rechtstatsächlichen) Bewertungskriterien von jenen bei Inkrafttreten des BGB variieren, liegt auf der Hand. Wie ein solcher Schutz in zeitgemäßer Weise auszusehen hätte, soll die vorliegende Untersuchung gerade klären. 11. Thematische Reichweite des ,Schutzes' der Minderjährigen und Heranwachsenden
Schon der aufgezeigte Regelungsinhalt des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens verdeutlicht, daß zumindest international als Gegenstand des Minderjährigenschutzes besonders, ja vorrangig, die Sorgerechtsregelungen verstanden werden. Daraus ergibt sich ein konzeptioneller Zusammenhang zwischen Minderjährigenschutz und den gesetzlichen Aufgabenzuweisungen an die Sorgeverpflichteten. Es entspricht andererseits dem Konzept der Privatautonomie, so wenig wie möglich in die Geschäfte Privater einzuwirken l4 . Ob nun die Ersetzung des Begriffs der "elterlichen Gewalt" durch jenen der "elterlichen Sorge" durch Gesetz vom 18. Juli 197915 , wie behauptet wurde l6 , lediglich "kosmetischen Charakter" hat, ist noch im einzelnen zu klären. Hier genügt zunächst die Feststellung, daß auch dieser Kritik der richtige gedankliche Ansatz zugrunde liegt, daß die reale Rechtsstellung der Minderjährigen nicht zentral durch die Normen der Geschäftsfähigkeit bedingt isti? Es besteht vielmehr ein unlösbarer Zusammenhang zwischen den familienrechtlichen Vorschriften zur "elterlichen Sorge", i. V. m. ihren verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen, und den Normierungen der §§ 106 ff. sowie etwa der §§ 1643, 1821, 1822 BGBI8. Es wäre deshalb unzutreffend, das Problem des Minderjährigenschutzes auf die Geschäftsfähigkeitsnormierungen zu beschränken 19 • Schon herkömmlich Vgl. Flume (1960), S. 135 ff.; ders. in AcP 161 (1961), S. 52. Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, BGBI I, 1979, S. 1061. 16 So insbesondere Schlüter (1983), S. 141; ebenso Struck, aaO, S. 3. 17 Struck, aaO, S. 3. 18 Entspr. auch: Hauser (1945), S. 245; Müller-Freienfels (1955), S. 375; Scherner, FamRZ 1976, S. 673 ff., 676 sowie Struck, aaO, S. 3; a. A. Blume, JHJB 1904, S. 434 sowie für die neuere Zeit vor allem Nipperdey in Ennecc./Nipperdey, BGB-AT, 2. Halbb., § 163 VII/2. 19 So aber wohl Nipperdey (1959), 2. Halbb., S. 1613, wenn er unter dem Stichwort "Minderjährigenschutz" allein auf Regelungen zum Komplex der Geschäftsfähigkeit verweist. 14
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1. Abschn.: Minderjährigkeit...Minderjährigenschutz"
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stellt Minderjährigenschutz vielmehr die Frage nach Inhalt, Ausmaß und Erfordernis eines besonderen Schutzes Jugendlicher (und Heranwachsender) innerhalb und außerhalb der Familie. Dabei sind freilich die Besonderheiten des jeweiligen Bereiches zu berücksichtigen. Insofern kann von einem Begriff des Minderjährigenschutzes i. e. S. gesprochen werden, welcher auf die Regelungen der Geschäftsfähigkeit zielt. Minderjährigenschutz im umfassenden Sinne umschließt dagegen den fainilieninternen und -externen Bereich.
Die Frage nach der zivilrechtlichen Stellung der Minderjährigen (und Heranwachsenden) bezieht sich auf den Minderjährigenschutz im umfassenden Sinne. Gefragt ist nach der Zubilligung eigener Kompetenzen. Festzustellen ist, inwieweit ein "Schutz" nicht erforderlich ist und demnach eine Beschränkung der rechtlichen Handlungsfähigkeit der Minderjährigen (und Heranwachsenden) innerhalb und außerhalb der Familie entfallen kann. § 3 Der zivilrechtliche Begriff des Heranwachsenden
A. (Altersmäßige) Abgrenzung: Minderjährige/Heranwachsende Im Titel der Arbeit wird bewußt der Begriff der "Minderjährigkeit" neben jenen des "Heranwachsenden" gestellt. Dies dient zunächst nur dazu, den Personenkreis näher zu umreißen, um dessen Rechtspositionen es hier geht. Denn die Problematik der Mündigkeitszuerkennung ist nicht auf das Alter bis zur Volljährigkeit beschränkt. So wird zu § 1612 BGB ein "Bestimmungsrecht" auch gegenüber Volljährigen diskutiertl. Zudem gibt es zahlreiche Beispiele gesetzlicher Mündigkeitsbeschränkungen auch nach Erreichen des 18. Geburtstages2 • Das Volljährigkeitsdatum stellt somit nur einen besonderen Einschnitt im Hinblick auf die Anerkennung einer rechtlichen Handlungsfähigkeit dar. Die Begriffe Minderjähriger und Heranwachsender bezeichnen zunächst unterschiedliche Kategorien, welche sich auf Altersabschnitte beziehen, die einander ergänzen. Während der Begriff der Minderjährigkeit, wie gezeigt , im Umkehrschluß aus § 2 BGB hergeleitet werden kann, ist jener des "Heranwachsenden" im deutschen Zivilrecht nicht bestimmt. Nach § 1 Abs. 2 des Jugendgerichtsgesetzes (JGGp ist Heranwachsender derjenige, "welcher ... achtzehn, aber noch nicht einundzwanzig Jahre alt ist". Entsprechend wollten bis zum Inkrafttreten des Volljährigkeitsgesetzes wohl auch Zivilrechtler für ihren Bereich definieren4 • Ob auch nach Herabsetzung des VolljährigkeitsalVgl. die Nachweise bei Moritz, RdJB 1977,264 ff. Vgl. die Zusammenstellung im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B 11. 3 Neubekanntmachung vom 11. 12. 1974, BGBI I, S. 3427. 4 Vgl. Schlagwort "Heranwachsende" im Sachregister (S. 1590) mit Verweisung bei Nipperdey in Enneccerus-Nipperdey, AT des BGB, 2. Halbb. 1
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1. Kap.: Fixierung des Personenkreises
ters, oder gerade deswegen, eine altersmäßige Zwischenstufe der Heranwachsenden im Zivilrecht anzuerkennen ist und wo diese ggf. anzusiedeln wäre, ist unklar5 • Der Terminus "Heranwachsender" ist in der Entwicklungspsychologie beheimatet6 . Sie nimmt als Begrenzung nach oben als Ende des Zustandes des Heranwachsenden heute allgemein "das Erreichen der Erwachsenenwelt" an7 , Erwachsen ist nach diesem Verständnis aber gerade nicht identisch mit Volljährigkeit i. S. d. § 2 BGB und erst recht nicht mit dem weiteren Rechtsbegriff der Geschäftsfähigkeit. Die Festlegung des Erwachsenenstatus' auf bestimmte kalendarische Zeitabschnitte wird in der Entwicklungspsychologie im Gegenteil im allgemeinen vermieden8 , Einigk,eit besteht lediglich darin, daß in diese Periode die volle biologische und soziale Tüchtigkeit, die Höhe der persönlichen Leistungsfähigkeit und schließlich die volle persönliche Reife fallen, die aus dem Dasein "eine Art geistig-seelischer Gestalt zu runden" vermag 9 • Jedoch lassen sich diese Ereignisse weder einzeln noch insgesamt generalisierend auf ein bestimmtes Datum in der Entwicklung des Menschen fixieren. So wird die Zeit des Erwachsenseins von Entwicklungspsychologen etwa vom 3., bei anderen erst vom 4. Lebensjahrzehnt an gerechnet, bis zur beginnenden Rückbildung im Alter etwa im 6. Jahrzehnt 1o . Danach können Heranwachsende bis 30jährige sein. Fraglich ist, ob für eine juristische Konkretisierung gleichfalls die Erfüllung aller Faktoren zu verlangen ist, welche die Entwicklungspsychologie nennt, um einen Menschen als erwachsen zu bezeichnen beziehungsweise um das Ende des Heranwachsendenstatus' unterstellen zu können, Unsicher erscheint, ob, gemessen an den von der Entwicklungspsychologie genannten Kriterien, überhaupt sicher ein Erwachsensein real festzustellen wäre oder ob nicht jeweils ein Unsicherheitsrest hinsichtlich der vollumfänglichen Erlangung der genannten Fertigkeiten wahrscheinlich ist. Die These vorauszusetzender Entwicklungsdefizite bildet dann auch bei allen Vorbehalten hinsichtlich der Aussagesicherheit derartiger Verfahren ll die Grundlage der verschie5 Zur Bedeutung von Lebensaltersstufen im Recht, ohne daß indes eine besondere Stufe der Heranwachsenden berücksichtigt würde, vgl. Bosch (1970), S. 51 ff.; vgl. auch meine Auflistung in RdJ 1982, Heft 4. 6 Vgl. Lersch (1956), S. 440; Remplein (1962), S. 520-548. 7 Hehlmann, Wörterbuch der Psychologie; Remplein, aaO. 8 Zur Individuation oder Selbstwertung als bis zum Lebensende andauernden Prozeß vgl. Lersch (1956), S. 440; ders. (1951). 9 H. Thomae (in: Moderne Entwicklungspsychologie) nach Dorsch, Psycholog. Wörterbuch, 8. Aufl., Hamburg/Bern 1970, S. 117. 10 Vgl. Hehlmann, Wörterbuch der Psychologie, S. 136 f. m. w. N. 11 Diese Zweifel beziehen sich auf die Problematik hinreichender Erfaßbarkeit schichtenspezifischer Ausdrucks- und Verhaltensvarianten, nicht jedoch auf die hier interessierende These prinzipieller Entwicklungsdefizite im Vergleich zu einem hypothetischen Idealbild.
I. Abschn.: Minderjährigkeit, "Minderjährigenschutz"
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denen Intelligenz- 12 sowie Persönlichkeitstests13 , wie sie in der Psychologie gebräuchlich sind. Insofern ist festzustellen, a) daß, gemessen an einem hypothetischen Idealbild, auch für die als erwachsen bezeichnete Person ein EntwicklungsdeJizit evident ist. Die von der Psychologie gelieferten Ansätze bilden somit einen nur unzureichenden Anhalt für die rechtliche Qualifizierung als erwachsen. Die erwähnten Regelungen z. B. des § 14 HöfeO oder von § 1743 BGB dokumentieren andererseits Kompetenzeinschränkungen auf bestimmten Gebieten bis zum Erreichen einer Altersgrenze (in beiden Fällen 25 Jahre), welche jenseits des Volljährigkeitsalters liegt. Diese Periode läßt sich als zivilrechtliche Ausformung des entwicklungspsychologischen Phänomens der Heranwachsendeneigenschaft begreifen. Die von Nipperdey14 befürwortete Übernahme der Altersbegrenzungen des § 1 Abs. 2 JGG für das Zivilrecht scheidet damit aus. Die erwähnten Beispiele zeigen zugleich, daß das BGB Kompetenzeinschränkungen trotz Volljährigkeit unter zwei Aspekten kennt. Zum einen (Beispiel des § 1743 BGB) erfolgen Einschränkungen entsprechend den entwicklungspsychologischen Erwägungen, d. h. das Gesetz trachtet bereichsspezifisch den Zeitpunkt zu fixieren, in dem die Persönlichkeitsbildung (dort der Adoptierenden) abgeschlossen ist15 . Zum anderen kennt es derartige Reduzierungen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten (Beispiel des § 14 HöfeO, aber etwa auch des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB). Ob allerdings entsprechend der Auffassung des BGH16 und anderer1? zu § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB wirtschaftliche Abhängigkeit die Reaktivierung früherer Strukturen unter Anerkennung der väterlichen munt bis zur Erreichung einer wirtschaftlichen Eigenständigkeit der Abkömmlinge rechtfertigt, ja, mit dem BGH18 erzieherisches Vorgehen auch gegenüber Volljährigen für möglich erachtet werden kann, bleibt zweifelhaft und wird im Rahmen dieser Abhandlung im einzelnen zu erörtern sein. Hier genügt die Feststellung, daß das BGB Kompetenzreduzierungen aus Vgl. die Nachweise bei Neel (1974), S. 495-498. Neel (1974), S. 499-501. 14 Vgl. die Nachweise in der vorstehenden Fn. 4. 15 Ebenso Lüderitz, MünchKomm, 2. Aufl., Bd. V/2, § 1743, Rn. 2. Daß die Gesichtspunkte grundsätzlicher Kinderlosigkeit der Annehmenden heute keine Bedeutung mehr hat, folgt - mit Lüderitz, aaO - schon aus der Altersbegrenzung des § 1743 sowie aus dem Wegfall einer solchen, in § 1741 a. F. noch vorgesehenen Klausel im neuen Adoptionsrecht. 16 NJW 1981, 574 ff. 17 BayObLG FamRZ 1977, 263; OLG Karlsruhe FamRZ 1976, 641; OLG Bremen FamRZ 1976,642; OLG Köln FamRZ 1977, 54; OLG Frankfurt FamRZ 1980, 820; Dölle, Familienrecht, Bd. 11, § 86 x 2; Staudinger/Gotthardt, 11. Aufl., § 1612, Rn. 24; PalandtlDiederichsen, § 1612 Anm. 2; Krumme, ZblJugR 1977, 417; Wiesner FamRZ 1977,28; a. A. LG Bremen FamRZ 76,458; Moritz RdJB 1977,264; E. Schwerdtner, NJW 1977,1268 sowie Zenz, ZRP 1977,195. 18 NJW 1981, 574, 576 r. Sp. 12 \3
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1. Kap.: Fixierung des Personenkreises
wirtschaftlichen Gründen auch jenseits der Volljährigkeitsgrenze überhaupt für möglich hält. Wird dazu in Betracht gezogen, daß zwar die oberlandesgerichtlichen Unterhaltstabellen für unterhaltsberechtigte Kinder beim 18. Lebensjahr enden, hinsichtlich des Unterhalts von Studierenden aber etwa § 25 a BAföG eine Altersgrenze von 27 Jahren einführt, welche auch Wirkungen für den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch hat (Verdoppelung des Elternfreibetrages), weist dies auf eine Anerkennung eines altersmäßigen Sonderbereiches hin, ohne daß daraus allerdings ohne weiteres schon Rückschlüsse etwa auf eine zivilrechtliche Handlungsfähigkeit gezogen werden könnten. Immerhin ist festzustellen, daß das Gesetz offensichtlich bei einem Alter von 27 Jahren von einer Verdichtung der eigenen wirtschaftlichen Einstandspflicht im Verhältnis zu den Unterhaltsverpflichteten ausgeht. Jedenfalls dann entfallen auch jedwede Bestimmungsbefugnisse im Zusammenhang mit der Unterhaltsgewährung. Es scheint deshalb gerechtfertigt, beim 27. Geburtstag einen relevanten Alterseinschnitt zu ziehen. Wird die mit dem Erreichen des Volljährigkeitsalters einsetzende Periode als die Zeit als Heranwachsender bezeichnet, wäre eine zivi/rechtliche Abgrenzung des Heranwachsendenstatus' nach oben auf die Vollendung des 27. Lebensjahres zu begrenzen. Wichtig ist allerdings festzustellen, daß Heranwachsendenstatus und Unmündigkeit einander nicht entsprechen. Ebenso bezeichnen Heranwachsendenstatus und Volljährigkeit unterschiedliche Kategorien. Volljährigkeit ihrerseits wiederum ist nicht unbedingt identisch mit einer vollumfänglichen gesetzlichen Mündigkeitszuweisung. Die obige Aussage unter "a)" läßt sich somit um folgende Formeln ergänzen: b) Zivilrechtliche Mündigkeit
'* Volljährigkeit
c) Erwachsensein (= Nicht mehr Heranwachsender)
'* Volljährigkeit und
d) Heranwachsender = andere Kategorie als Volljährigkeit; Heranwachsender = nicht notwendig Unmündigkeit, aber Erwachsensein :;:. Mündigkeit.
B. Heranwachsender I Kind, Jugendlicher I. Abgrenzung: Heranwachsender / Jugendlicher
Ebenso wenig wie eine obere Grenze kennt das Zivilrecht eine untere Grenze des Heranwachsendenstatus' . Heranwachsend meint entwicklungspsychologisch das Stadium zwischen Jugend und Erwachsensein. Auch die Grenze zwischen Jugend und Erwachsensein ist fließend.
1. Abschn.: Minderjährigkeit, ..Minderjährigenschutz"
49
Das Zivilrecht knüpft keine ausdrücklichen Rechtsfolgen an den Heranwachsendenstatus. Eine Grenzziehung nach unten ist zivilrechtlieh deshalb unerheblich. Es ist insoweit gleichgültig, ob in Anerkennung der prozessualen Persönlichkeitsentwicklung einem Jugendlichen altersabhängig Mündigkeiten zuzuerkennen sind oder gegenüber einem Heranwachsenden Mündigkeitseinschränkungen erfolgen. Da die Fixierung der unteren Altersgrenze des Heranwachsendenstatus' von keiner besonderen Bedeutung ist, erscheint insofern die Übernahme der üblichen Grenzziehung angezeigt. Als Ende des Jugendlichenstatus' gilt allgemein die Vollendung des 18. Lebensjahres 19 . Mit diesem Zeitpunkt ist danach der Wechsel vom Jugendlichen zum Heranwachsendenstatus anzunehmen; das JHG (E) erwähnt in seinem § 4 Ziff. 3 für 18-24jährige den Begriff des "jungen Menschen"2o; dieser Terminus wird allerdings in § 1 JHG (E) zugleich als allgemeiner Oberbegriff benutzt und erweist sich deshalb als wenig tauglich für eine Konkretisierung21 .
n. Die Altersgruppe der Kinder Das BGB kennt den Begriff des "Kind(es)" nur als Bezeichnung eines Verwandtschaftsverhältnisses. Eine bestimmte Fixierung des Kindesalters erfolgte in den Entwürfen eines BGB ursprünglich für das Ende des 7. Lebensjahres22 , ohne daß das Gesetz eine Legaldefinition der (zivilrechtlichen) Kindheit enthielt. Diese Grenzziehung schlug sich in § 104 Ziff. 1 BGB nieder. In späteren Kommentierungen herrscht wohl die Tendenz vor, auch Teile der darüberliegenden Altersgruppe dem Kindesalter zuzuzählen, so daß die bis-7-jährigen die Teilgruppe der "Kinder unter 7 Jahren"23 aus der Gesamtheit der Kindheitsgruppe ausmachen. Die altersmäßige Festsetzung einer Kindheitsgruppe, deren ältere Mitglieder einen Teil der Gesamtgruppe vom vollendeten 7. bis 18. Lebensjahr ausmachte, wäre nur dann von Bedeutung, wenn diese Fixierungen auch einen Niederschlag für die rechtliche Handlungsfähigkeit dieser Personengruppe hätte. Für die über-7-jährigen sind Abstufungen, wie solche in verschiedener Weise im gemeinen Recht, im ALR (1,1 § 25), dem badischen LR (S. 1124a) oder nach österreichischem Recht (ABGB, § 21) zu finden waren, im BGB nicht ausdrücklich als feste Zwischenstufungen genannt. In einer Auflistung 19 ygl. § 111 JGG; § 4 JHG (Entwurf: BT-DrS 8/4010, S. 7); § 211 JugArbSchG; § 1 III JOSchG sowie § 1 IV GjS. 20 Siehe BT-DrS 8/4010, S. 7. 21 Zur insoweit mißglückten Terminologie zutreffend schon Bosch FamRZ 1980, 854. 22 Vgl. Motive (1888), Bd. 1, § 25, Rn. 2. 23 EnnecceruslNipperdey (1959), Bd. 2, S. 928.
4 Moritz
50
1. Kap.: Fixierung des Personenkreises
der gesetzlichen (Teil-)Mündigkeitszuweisungen24 läßt sich eine Häufung im Bereich der Altersgruppen 14 bis 16 feststellen. Dabei fallen für das vollendete 14. Lebensjahr vor allem die zivilrechtlichen Regelungen der §§ 1726 I, 1729 I 2; §§ 1740 c, 1746 I 3 BGB sowie §§ 50 b 11,55 c, 59 und 63 FGG auf. Hinsichtlich der altersmäßigen Abgrenzung läßt sich somit sagen, daß entsprechend der in anderen Rechtsbereichen 25 üblichen Grenzziehung heute auch für das Zivilrecht das Kindesalter auf den Zeitraum von der Beendigung des Geburtsvorganges an bis zur Vollendung des 14. Lebensjahres festzusetzen ist, mit der besonderen Gruppe der "Kinder unter 7 Jahren" (infantiae proximi); die 14-18-jährigen machen die Gruppe der Jugendlichen aus.
2. Abschnitt
Weitere Begriffsklärungen § 1 Die (zivil)rechtUche Zweidimensionalität des Begriffes "Kind"
Der Begriff des Kindes wird vom Gesetz in zahlreichen Zusammenhängen verwendet, jedoch nicht definiert. Es sind zwei inhaltliche Ausformungen zu unterscheiden: In den vorangehenden Erörterungen wurde der Begriff des Kindes lediglich inzident und dort allein in bezug auf seine altersmäßige Abgrenzung behandelt. Dieser Teilaspekt zielt auf den allgemeinen Begriff der Mündigkeit sowie auf die rechtstechnische Konkretisierung in der allgemeinen und rechtlichen Handlungsfähigkeit. Den Zusammenhang von Alter und Handlungsfähigkeit (bzw. deren Beschränkung) drückt das Gesetz etwa durch die attributive Ergänzung "minderjährig" aus (vgl. z. B. § 11 S. 1, aber auch § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB). Neben dieser Bedeutung hat der Begriff des Kindes rechtlich noch eine weitere, nämlich eine zuordnende Dimension, entsprechend dem Terminus "Abkömmling" (vgl. im nachfolgenden § 2). § 2 Kind / Abkömmling
Kind in seiner zuordnenden Dimension bezieht sich auf ein bestimmtes verwandtschaftliches Verhältnis. Diese Zielrichtung des Gesetzes kommt vor allem in den Attributen "ehelich" bzw. "nicht ehelich" zum Ausdruck (vgl. etwa § 1591 I BGB). "Kind" bezieht sich dort auf die Abstammung; es besteht insoweit eine Überschneidung mit dem Begriff des "Abkömmlings". 24 25
Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B 11. § 2 Abs. 1 JugArbSchG; § 1 Abs. 3 JÖSchG; § 1 Abs. 4 GjS.
2. Abschn.: Weitere Begriffserklärungen
51
Nach allgemeinem Sprachgebrauch wird als "Abkömmling" der in gerader, absteigender Linie blutsmäßig Verwandte verstanden ("abkommen" = "herstammen")!. Schon aus den Motiven des BGB läßt sich indes der Wille der Gesetzesautoren entnehmen, zumindest im Falle der Annahme Minderjähriger an Kindes Statt, diesen im Bereich des Familien- und Erbrechts die rechtliche Stellung von "Blutsverwandten" in absteigender Linie zu gewähren2 • "Abkömmlinge" können danach sowohl natürliche als auch rechtliche Verwandte absteigender Linie sein. Entsprechendes gilt für den Begriff des Kindes 3 . Dabei ist "Abkömmling", wie sich aus den Differenzierungen des § 1609 Abs. 1 BGB ergibt, der weitere Begriff. Kinder sind (lediglich) Abkömmlinge ersten Grades 4 • Entsprechend seiner Aufgabe, der terminologischen Präzisierung einer bestimmten Art der Verwandtschaft, hat der Begriff des "Abkömmlings" vor allem Bedeutung im Erbrecht5 und Erbschaftsteuerrecht6 • Ebenso dienen seine Verwendungen im 4. Buch des BGB (vgl. etwa §§ 1371 IV, 1483 ff., 1487,1490 f., 1495, 1517, 1606 Abs. 1 und 2,1609,1722) der Konkretisierung von Rechtsfolgen, die der Abstammung beigemessen werden; vor allem werden auch unterhaltsrechtliche Konsequenzen bestimmt (§§ 1606, 1609 BGB). In der zuordnenden Dimension des Begriffs des Abkömmlings sind Kinder lediglich Abkömmlinge ersten Grades. Prinzipiell sind deshalb auf Kinder die objektiven - z. B. unterhaltsrechtlichen - Kategorien anzuwenden; allerdings sind dabei die speziellen Regelungen zu beachten, welche der besonderen materiellen Abhängigkeit Minderjähriger Rechnung tragen (etwa §§ 1603111, 1611 11 BGB). Wie etwa der Fall des unterhaltspflichtigen nichtehelichen Vaters zeigt (§§ 1615 a ff., 1705 ff. BGB), ist insbesondere die elterliche Sorge nicht bereits mit der verwandtschaftlichen ElternsteIlung gegeben7 • Dies bedeutet die Reduzierung des VaterlKind-Verhältnisses auf die verwandtschaftlich/zuordnende Dimension des Kindbegriffes. Dort hinzu kann noch die weitere, die personale Dimension des Kindbegriffs (beim nichtehelichen Vater etwa über § 1711 BGB) treten. Gleichwohl bleiben es zwei unterschiedliche, voneinander zu unterscheidende Ausformungen desselben Begriffs. ! Siehe im einzelnen die Herleitung und Nachweise bei Bausch FamRZ 1980, 413 (unter ,,1"). 2 So: Motive zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Band I, 1888, § 30, Rn. 3. 3 Zur rechtlichen Gleichwertigkeit der natürlichen und sozialen Kindschaft vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 2. 4 Vgl. statt aller PalandtlDiederichsen, Überbl. vor § 1589, Anm. 3. 5 Vgl. §§ 1924 ff., 2057 a, 2069, 2070, 2107, 2303, 2309, 2316, 2338 a, 2349, 2350 BGB. 6 § 15 I ErbStG. 7 Entspr. Holzhauer. FamRZ 1982, 109, 111.
4*
52
I. Kap.: Fixierung des Personenkreises
§ 3 Mündigkeit sowie allgemeine und rechtliche Handlungsfähigkeit
A. Mündigkeit
Mündigkeit hat ihren Ursprung im althochdeutschen "munt" (= Schutz, Schirm)!. Im germanischen Recht wurde mit "munt" ein familienrechtliches Vertretungs- und Schutzverhältnis bezeichnet, in welchem dem Familienoberhaupt als Muntwalt u. a. ein Herrschaftsrecht über alle Hausangehörigen zustand2. Dieses Verständnis als Herrschaftsrecht des Hausvaters führte im früheren Recht zu einer Klassifizierung der Minderjährigen insofern, als ursprünglich eine Volljährigkeitserklärung nur von unter Vormundschaft stehenden Minderjährigen, nicht jedoch von solchen möglich war, welche unter der "väterlichen Gewalt" standen3 . Diese Sichtweise übernahm auch das BGB, indem es in § 4 11 (a. F.) die Volljährigkeitserklärung von der "Einwilligung des Gewalthabers" abhängig machte 4 • Mündigkeit dient im Ursprung damit der Verdeutlichung eher einer Versagung als der Zuerkennung von Rechten. Im heute gebräuchlichen und hier verwendeten Sinne wird demgegenüber damit gerade die Beendigung fremder muntwalt bezeichnet, entsprechend dem althochdeutschen Ausdruck muntbars. Gemeint ist damit der Zustand fehlender, fremder Bevormundung sowie das Vermögen, sich selbst zu vertreten. Abgestellt wird indes nicht auf eine "natürliche Mündigkeit" im Sinne realer Kompetenz. An die Stelle des individuellen Tatbestandes der Eigenvertretungskompetenz tritt in der Rechtsordnung eine abstrakte Zubilligung von Mündigkeiten6 . Dabei sind diese Zubilligungen nach der hier vertretenen Auffassung nicht frei, sondern haben Ergebnis einer Wertung zu sein, deren Prämissen festzulegen Gegenstand dieser Untersuchung ist. B. Rechtsfähigkeit sowie Begrift' und Inhalt der aUgemeinen Handlungsfähigkeit; insbesondere die Geschäftsfähigkeit
Rechts- und Geschäftsfähigkeit sind, ohne daß eine Legaldefinition erfolgte, im BGB erwähnt (§ 1: Rechtsfähigkeit; 1. Buch, 2. Abschnitt, 1. Titel: Geschäftsfähigkeit). Vgl. Lexer (1970), Sp. 2234, unter "munt". Siehe Meyer's Enzyklopädisches Lexikon, unter "munt". 3 Vgl. die Nachweise zum preuß. ALR, dem bayerischen LR, dem sächsischen und österreichischen Gesetzbuch und in den Motiven eines BGB (1888), Bd. 1, S. 53. 4 Vgl. das BGB i. d. F. vom 18. 8. 1896; s. im einzelnen auch Dernburg (1902), Bd. 1, S. 154. 5 Lexer (1970), Spalte 2234. 6 Zur Problematik des Auseinanderklaffens von realer Kompetenz und der rechtlichen Zubilligung von Mündigkeiten vgl. im einzelnen im 3. bis 5. Kapitel. 1
2
2. Abschn.: Weitere Begriffserklärungen
53
Unter Rechtsfähigkeit wird allgemein die Fähigkeit verstanden, Träger von Rechten und Pflichten sein zu können 7 . Geschäftsfähigkeit bildet dagegen neben der Delikts- und Verschuldensfähigkeit eine der Varianten des im BGB nicht genannten Begriffs der "allgemeinen Handlungsfähigkeit"8. Rechtliche Handlungsfähigkeit ist zu definieren als Möglichkeit, durch eigenes verantwortliches Handeln Rechtswirkungen hervorzurufen, d. h. vor allem Rechte zu erwerben, Verpflichtungen zu begründen sowie Rechtsgestaltungen vorzunehmen9 • Nach dieser Festlegung ist der Zusammenhang von rechtlicher Handlungsfähigkeit und der vorerwähnten Mündigkeit (im Sinne einer Zubilligung rechtlicher Kompetenzen) evident 1o . Die Erzielung von Rechtswirkungen aufgrund verantwortlichen Handeins ist indes nicht auf die rechtsgeschäftliehe Teilhabe am Rechtsverkehr beschränkt. Neben den in der Delikts- und Verschuldensfähigkeit berücksichtigten Tatbestands-Varianten ist diese etwa auch gegeben im Rahmen der "Mitwirkungs- und Anhörungsrechte" (§ 1626 II BGB) sowie Beistandspflichten (§ 1618 a BGB)ll; ebenso zählen dazu sog. a-typische Einwilligungen (etwa beim Heileingriff1 2). Denn auch in diesen genannten Fällen ergeben sich aus den Handlungen des Minderjährigen Rechtswirkungen (beim Heileingriff = Rechtfertigungsgrund für die Körperverletzung13 ; bei den Anhörungs- und Mitwirkungsvorbehalten = Legitimation elterlichen Handelns). Voraussetzung des Entstehens dieser Minderjährigenbefugnisse ist die Einsichtsfähigkeit (vgl. den Wortlaut des § 1626 II BGB). Mit Larenz 14 ist auf den nur beschränkten Wert von nur abstrakten Begriffsbildungen hinzuweisen. Begriffe gewinnen erst Bedeutung, wenn ihr Sinninhalt mitreflektiert wirdis. Wird als Grundlage zivilistischen Denkens das Konzept der Privatautonomie akzeptiert 16 , so ist, in Anwendung dieses Gedankens, die Teilnahme am Rechtsverkehr zugleich ein Mittel zur Persönlichkeitsentfaltung17 . Dies bezieht sich grundsätzlich nicht nur auf die 7 Zum Begriff der Rechtsfähigkeit, dessen Einführung ins deutsche Recht im 19. Jahrhundert sowie zu dessen Grundlagen im Römischen Recht vgl. Jörs/Kunkel (1949), S. 62; vgl. auch E. Wolf in WolfINaujoks (1955), S. 53-56. 8 Vgl. Creifelds Rechtswörterbuch unter "Handlungsfähigkeit". 9 Entspr. Creifelds, aaO. 10 Ebenso schon Planitz (1925), S 22. 11 Zur rechtlichen Qualifizierung dieser Befugnisse vgl. im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschn., § 3 B 11 2.4. 12 Vgl. BGHZ 29, 33, 34, mit kritischer Anmerkung von Bosch in FamRZ 59,200 f. Zur Problematik der rechtlichen Konstruktion derartiger "a-typischer Einwilligungen" vgl. StaudingerlDonau, BGB, 11. Aufl., § 1626, Rn. 76 ff. 13 BGHZ 29,36 f. m. w. N. 14 Methodenlehre, 4. Aufl., 1979, S. 438. 15 Ebenso E. Wolf in WolfINaujoks (1955), S. 74 f. m. w. N. 16 Vgl. vor allem Flume (1960), S. 135 ff.; ders. in AcP 161 (1961), S. 52, jeweils mit weiteren Nachweisen.
1. Kap.: Fixierung des Personenkreises
54
rechtsgeschäftliche Ebene, sondern trifft für die gesamte rechtliche Handlungsfähigkeit zu 18. Wenn aber die Teilnahme am Rechtsverkehr zugleich Ausdruck der Persönlichkeitsentfaltung ist, so gilt - jedenfalls für den Fall, daß eine Handlungskompetenz auch real besteht -, daß die Versagung der rechtlichen Handlungsfähigkeit zugleich eine Beschränkung der Persönlichkeitsentfaltung bedeutet. Die Frage nach Zulässigkeit und Umfang der Zubilligung einer rechtlichen Handlungsfähigkeit kann somit nicht Ergebnis bloßer formaler Erwägungen sein, sondern hat aufgrund inhaltlicher Wertungen zu erfolgen.
17
18
Ebenso Larenz, aaO. Einschränkend wohl Larenz, aaO.
2. Kap i tel
Verfassungsrechtliche Bewertung 1. Abschnitt
Problematik und das eigene Konzept ihrer Erörterung Das Problem der rechtlichen Stellung der Jugendlichen und der Heranwachsenden wurde von einigen Autoren schon immer vor allem im Verfassungsrecht angesiedelt. Es wird erörtert als Konflikt zwischen einerseits dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG sowie andererseits den Grundrechten des Kindes aus Art. 1 Abs. 1 S. 1 und Art. 2 Abs. 1 GGl. Dieser Ansatz trägt dem Umstand Rechnung, daß sich jede legislatorische oder judikatorische Bestimmung der Rechtsstellung Nichtvolljähriger zwischen den Polen Elternrecht und Grundrechte des Kindes bewegt. Die nachfolgenden verfassungsrechtlichen Erörterungen dienen der Grundlegung für die späteren zivilrechtlichen Ausführungen. Sowohl bezüglich der Frage, wie die Verfassungswertungen zum Eltern/Kind-Verhältnis für das Zivilrecht wirken, als auch hinsichtlich der inhaltlichen Bewertung des Verhältnisses von Kindes- und Elternpositionen existiert ein breites Meinungsspektrum; dabei wird zwischen der Drittwirkungsfrage und jener nach der Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger nicht immer streng unterschieden2 • Beim Fehlen einer solchen Differenzierung würde eine gleichwohl erfolgende Zuordnung dieser Stellungnahmen zu den Problemkreisen Drittwirkung, Kollision von Eltern- und Kindesrechten sowie Grundrechtsmündigkeit die Literatur- und Rechtsprechungsäußerungen verfälschen. Ohne sie auf bestimmte Teilaspekte zuzuschneiden, werden deshalb im 2. Abschnitt die wichtigsten Stellungnahmen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrecht wiedergegeben; auf die Einzelaspekte der in dieser Gesamtschau dargestellten Ansätze wird bei der Abhandlung der jeweiligen Einzelgesichtspunkte eingegangen. Bei einer Untersuchung, bei welcher die verfassungsrechtlichen Erörterungen zur Grundlegung der Wertungen auf einfachgesetzlicher Ebene dienen, 1 So vor allem H. Krüger in FamRZ 1956, 330; entsprechend auch Perschel, RdJB 1963,33 f. sowie Woltereck, AuR 1965, 194. 2 Vgl. die Nachweise im nachfolgenden 2. Abschnitt; S. 57ff., S. 69f.
56
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
stellt sich als Vorfrage jene nach der Wirkung der Verfassungsentscheidungen für den partikulären Bereich (3. Abschnitt). Das Verhältnis von Eltern- und Kindesrecht korreliert mit dem (verfassungs-)rechtlichen Familienbild. Am Anfang der Ausführungen zur inhaltlichen Bestimmung des Eltern/Kind-Verhältnisses steht deshalb ein Rückgriff auf die verfassungsrechtliche Institution der ,Familie' (4. Abschnitt). Diese Darstellung hat Bedeutung im Hinblick auf die Korrelation (vor allem) der Abs. 1 und 2 des Art. 6 GG; zugleich erfolgt damit die verfassungsrechtliche Grundlegung des Rechtsbegriffs der Familie, der in der weiteren Untersuchung von besonderer Bedeutung ist. - Ausgehend von der Bezeichnung als ,verfassungsrechtliche Institution', interessiert zunächst der Begriff der Institution. Die anschließende Erörterung eines verfassungsrechtlichen Familienbildes hat vor allem zu klären, durch welches Element sich Familie konstituiert. Von der Beantwortung dieser Frage hängen der Umfang des staatlichen Schutzes sowie seine personelle Erstreckung ab. ,Familie' ist ein im Ursprung soziales Phänomen, welches historisch geprägt ist. Dies wirft die Frage nach dem Verhältnis von gesellschaftlichen Gegebenheiten und einer rechtlichen Sollensordnung auf sowie danach, wie sich dieser Konflikt auf die richterliche Entscheidungsfindung niederschlägt. Nach einer Skizzierung der vertretenen Auffassungen zur Konkretisierung des Begriffs der ,Familie' wird deshalb auf einige grundlegende rechtstheoretische Fragen eingegangen; im Vordergrund steht dabei das Problem, wie die Berücksichtigung sozialen Wandels rechtstheoretisch zu verorten ist. Es schließen sich eine Konkretisierung der Strukturelemente der Institution ,Familie' und die Darstellung der Rückwirkungen dieser Fixierungen auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 GG an. Der folgende Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Bewertung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrechten (5. Abschnitt) setzt beim Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG an. In einem kurzen begrifflich-deskriptiven Teil wird vor allem auf den Terminus "natürliches Recht" eingegangen und werden Konsequenzen aufgezeigt, die sich aus dem Familienbegriff für den Kreis der Rechtsinhaber des Art. 6 Abs. 2 GG ergeben. Art. 6 Abs. 2 GG gibt den Eltern ein Recht zur "Erziehung" ihrer Kinder und definiert diese Befugnis zugleich als "die (den Eltern) zuvörderst obliegende Pflicht". Etwaige Grenzen der Ausübung ergeben sich aus der Pflichtseite des Elternrechts. Die inhaltliche Konkretisierung des Elternrechts und die Fixierung seiner Grenzen erfordern somit, das Verhältnis von Elternrecht und Elternpflicht zu definieren. Hierbei ist auf die besondere Konstellation des Art. 6 Abs. 2 GG einzugehen. Von zentraler Bedeutung für die inhaltliche Bestimmung des Elternrechts ist die Frage, wer die Erziehungsziele, Erziehungsinhalte und Erziehungsmittel bestimmt. Von der Beantwortung dieser Frage hängen die Definition der "Grundrechtsmündigkeit" Nicht-
2. Abschn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesrecht
57
volljähriger sowie die Bedeutung des Elternrechts für den familieninternen und familienexternen Bereich ab.
2. Abschnitt
Die wichtigsten Stellungnahmen zur vedassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrecht § 1 Die Entwicklung des Meinungsspektrums in Rechtsprechung und Literatur sowie die heute vorherrschende Auffassung
Noch in den ersten Jahren nach dem zweiten Weltkrieg wurde einheitlich von einer absoluten Dominanz des Elternrechts ausgegangen; eigene Kindespositionen wurden weitgehend geleugnet!. Später entwickelte sich in Teilen der Lehre und Rechtsprechung eine von der früheren Einstellung abweichende Gegenposition. Diese hielt zwar weiterhin an der grundsätzlichen Vorherrschaft des Elternrechts fest; sie installierte jedoch eine Umkehr der Beweislast in der Weise, daß die elterliche Entscheidung nur dann ausschlaggebend sein sollte, wenn sie sich auf "triftige und sachliche Gründe" stützte2 . Eine noch weitergehende Auffassung ging schon Ende der 50er Jahre von einer entwicklungs abhängigen eigenen Grundrechtsmündigkeit 3 der Kinder ohne Ansehen ihrer einfachgesetzlich bestimmten Volljährigkeit aus4 . Der Ausgleich von widerstreitendem Kindes- und Elterninteresse sollte sich nach dieser Ansicht unmittelbar auf der Verfassungsebene vollziehen5 . Sofern in diesem Zusammenhang überhaupt von einer h. M. zu sprechen war6 , so erkannte diese eine mögliche Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger an und hielt einen Widerstreit zwischen Kindesrechten und elterlicher Gewalt für möglich; sie ging davon aus, daß sich die Konfliktlösung aus dem Privatrecht ergäbe, wohingegen die Grundrechte allenfalls mittelbar über die Generalklausel wirkten7 . So etwa noch LG Hannover NJW 1949, 625. OLG Koblenz FamRZ 1958, 137 ff., 139, mit Anm. von Bosch; s. auch schon LG Koblenz FamRZ 1957, 325. 3 Zum Begriff der Grundrechtsmündigkeit vgl. grundlegend H. Krüger, FamRZ 1956, 329. 4 So vor allem H. Krüger aaO; entsprechend auch Perschel (1962), S. 86; ders. RdJB 1963,33 ff. 5 H. Krüger aaO. 6 Zweifelnd auch Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 17. 7 Hampel, FamRZ 1963, S. 540; Kuhn (1966), S. 65 ff.; Peters (1972), S. 395; vgl. im übrigen Dürig in MDHS Art. 19 I1I, Rn. 18 m. w. N. sowie Jayme (1971), S. 161 m.w.N. 1
2
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
58
Die Diskussion wurde seit dem Beginn der 70er Jahre anläßlich der Beratungen zu den verschiedenen Gesetzen, welche Jugendfragen betreffen8, neu entfacht. Nach Abklingen der oft polemischen Auseinandersetzungen9 läßt sich eine vorherrschende Auffassung feststellen, welche nach wie vor daran festhält, daß das BGB - in der Interpretation der Rechtsanwender - eine sachgerechte und ausgewogene Kollisionsnorm für die Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrechten darstelle lO • Dabei wird elterliche Dominanz nicht ohne weiteres auf die Periode bis zur Volljährigkeit beschränkt ll . Im übrigen sei es nicht zu beanstanden, daß der Minderjährige bis zum Erreichen der Geschäftsfähigkeit/Grundrechtsfähigkeit zur Grundrechtsausübung überhaupt nicht befugt sei1 2 bzw. dazu die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter benötige 13 . Für die richtige Ausübung der "elterlichen Gewalt" (jetzt: "elterliche Sorge"14) spreche im übrigen eine "natürliche Vermutung"15. Die Betätigung der elterlichen Sorge werde durch Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG ausdrücklich der Wacht der staatlichen Gemeinschaft unterworfen. Die einfachgesetzliche Ausformung dieser Schranke bilde die Mißbrauchsgrenze des § 1666 BGB16. Das Bundesverfassungsgericht hat das ElterniKind-Verhältnis nur grob skizziert. Das Elternrecht sei ein Grundrecht im klassischen Sinne, welches den Staat sowie die Gerichte als unmittelbar geltendes Recht binde 17 • Andererseits erkennt das Gericht eigene Grundrechte des Kindes aus Art. 1 Abs. 1,2 Abs. 1 GG an 18 . Die Handlungsfreiheit des Kindes unterliege allerdings der in Art. 6 genannten Eingrenzung 19 , wie andererseits das Elternrecht Vgl. in der "Einführung", S. 35f. Vgl. die Zitate bei Beitzke, FamRZ 1979, 8 f. sowie Quambusch, RdJB 1978, 202 ff., 204. Um eine detaillierte Darlegung der gegensätzlichen Standpunkte und die Rückführung der Argumentation auf eine sachbezogene Ebene bemühte sich hinsichtlich der Neuordnung des elterlichen Sorgerechts Knöpfei, FamRZ 1977,600 ff., 601 ff. 10 Baer, ZblJugR 1977, 516 ff.; Franz, ZblJugR 1978, 149 ff.; Gastiger/Oswald (1978), S. 137 f.; Knöpfei, FamRZ 1977, 600 ff.; differenzierend Beitzke, FamRZ 1979,8 ff., 10 f. sowie Evan-v.Krbek, ZblJugR 1976, 45 ff., 52. 11 Vgl. die Diskussion zum "Bestimmungsrecht" der Eltern gegenüber volljährigen Unterhaltsberechtigten nach § 1612 Abs. 2 BGB; s. die Nachweise bei Moritz, RdJ 1977,264 ff., 265. 12 Oppermann (1976), S. C, 100 f. 13 Hesse (1978), S. 122; Stein (1978), S. 259. 14 Vgl. schon den Titel des Gesetzes vom 18. Juli 1979 (BGBI I, S. 1061): "Gesetz zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge". 15 Bruns, FamRZ 1979, 279 ff., 280; Ossenbühl, FamRZ 1977, 533 f., 534 = DöV 1977,381,384; entspr. auch Oppermann (1976), S. C 100 f. 16 Vgl. Hinz (1976), S. 45 ff.; Staudinger/Göppinger, 10./11. Aufl., Bd. 4, Vorbem. vor § 1666, Rn. 34. 17 BVerfGE 4,57; 24,138. 18 BVerfGE 24,144; 55,179; 57, 352. 19 BVerfGE 53, 203; 59, 382. 8 9
2. Abschn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesrecht
59
seine Rechtfertigung darin finde, dem Kind Schutz und Hilfe zu gewähren, damit sich dieses zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft entwickelte, wie es dem Menschenbild des Grundgesetzes entspreche20 . Das Verhältnis des Elternrechts zu dem Kindesrecht werde durch die besondere Struktur des Elternrechts geprägt. Dieses sei ein "fiduziarisches Recht", "eine im echten Sinne anvertraute treuhänderische Freiheit"2l. In der Beziehung zum Kind müsse das Kindeswohl die oberste Richtschnur der elterlichen Pflege und Erziehung sein22 . Abgestufte partielle Mündigkeitsregelungen, die an der zunehmenden Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes orientiert und sachlich begründet sind, stellen nach dem Bundesverfassungsgericht keine Eingriffe in das Elternrecht dar23 • Für die Ausübung des Wächteramtes des Staates bilde das "Wohl des Kindes" den Richtpunkt24 . § 1666 BGB stelle die einfachgesetzliche Ausformung dieser Schranke dar25 . Dabei setzt das Bundesverfassungsgericht zum Entscheidungsmaßstab die "objektive Verletzung des Wohls des Kindes ... , unabhängig von einem Verschulden der Eltern"26. Nicht eine objektive elterliche Pflichtwidrigkeit27 , sondern das Kindeswohl bildet somit nach der Wertung des Bundesverfassungsgerichts den zentralen Auslegungsmaßstab für § 1666 BGB28. § 2 Die wichtigsten Einzelansätze zur Abgrenzung von EIternund Kindesgrundrechten in der zivilrechtlichen Literatur
A. Die Güterabwägungsthese bei H. Krüger
Als Basisdoktrin gilt bei H. Krüger die Vorstellung einer Abwägung des Kindesgrundrechts mit dem Elternrechtl. Diese Ansicht beruht auf der Generalisierung aus Einzelfeststellungen, indem H. Krüger eine Reihe unterverfassungsrechtlicher Vorschriften aufzählt, welche für Teilbereiche eine Mündigkeit vor Erreichen der Volljährigkeitsgrenze anerkennen - insbesondere die Religionsmündigkeit gemäß § 5 RKEG2 _3. Diese unterverfassungsrechtlichen BVerfGE 24,144; 56, 384. BVerfGE 59,376 f. 22 BVerfGE 59,376; 60, 88. 23 BVerfGE 59,382,387 f. 24 BVerfGE 24,144; 37, 252; 51, 398. 25 BVerfGE FamRZ 1982, 567 ff. = ZblJugR 1982, 314 ff. 26 BVerfGE 10, 84. 27 So aber Gemhuber, FamRZ 1973, 229 ff.; Mnookin, FamRZ 1975,1 ff. 28 Ebenso Münder, BGB-AK, § 1666, Rn. 3 f. m. w. N. 1 H. Krüger, FamRZ 1956, 328 ff., 331, 335. 2 RKEG = Gesetz über die religiöse Kindererziehung vom 15. Juli 1921 (RGBI, S. 939, 1263). 3 H. Krüger, aaO, S. 330 f., dies. (1958) Einleitung, Anm. 283 f. 20 21
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
60
Festlegungen seien durch den Gesetzgeber konkretisierte Ergebnisse der Güterabwägung zwischen Kindesgrundrechten und Elternrecht, da sie mindestens auf Art. 2 Abs. 1 GG bezogen wären 4 • Daraus schließt H. Krüger auf die grundsätzliche Existenz von Kindesgrundrechten und die - jedenfalls partielle - Grundrechtsmündigkeit Jugendlicher, mit der Folge des Erfordernisses einer Abwägung zwischen Elternrecht und Kindesgrundrechten für den jeweiligen Einzelfal15. Dabei sollen außerfamiliäre Pflichtverhältnisse - u. a. auch die Schulpflicht - gänzlich außerhalb der elterlichen Gewalt liegen 6 . B. Die Güterabwägungsthese bei Perschel
Perschel verneint die Ausweitung kindlicher Emanzipation durch den Eintritt in außerfamiliäre Pflichtenkreise; im Gegenteil sei die Grundrechtsgeltung in diesen "besonderen Gewaltverhältnissen" eher abgeschwächt 7 • Wie H. Krüger geht er vom Ausgleich des Widerstreits zwischen Elternrecht und anzuerkennenden Kindesgrundrechten unmittelbar auf der Verfassungsebene aus. Eine Konfliktlösung durch unterverfassungsrechtliche Normen sowie die Vorstellung fester Mündigkeitsstufen lehnt er ab 8 . Als einzige Lösungsmöglichkeit erkennt Perschel "eine Interessenabwägung zwischen Elternrecht und den Grundrechten des Jugendlichen" für jeden einzelnen Konfliktfall an9 • Dabei müsse bei Anerkennung grundsätzlicher Gleichrangigkeit von Elternrecht und Kindesgrundrechten lO nach den Folgen der Grundrechtsausübung differenziert werden. So sei dem Jugendlichen Selbständigkeit zuzubilligen, wenn und soweit er ein Grundrecht selbständig ausüben könnell. Das Elternrecht rechtfertige und fordere hingegen Beschränkungen, wenn die Betätigung des Grundrechtes dem Kinde Schaden zu bringen drohe 12 • Wie später Leuschner 13 , erkennt Perschel unter dem Aspekt der Erfassung und Berücksichtigung der "wesensmäßigen Funktion" der gegeneinander abzuwägenden Grundrechte eine faktische Dominanz des Elternrechts 14 inso(1958) Einleitung, Anm. 284. FamRZ 1956, 333 ff. 6 FamRZ 1956, 332. Kritisch hierzu schon Reuter (1968), S. 20, Fn. 10, welcher m. E. zutreffend die Ursache der Einschränkung des Elternrechts für diesen Bereich nicht in der Grundrechtsmündigkeit des Jugendlichen, sondern in der verfassungsrechtlich legitimierten Zwecksetzung staatlichen Schulrechts sieht; zum Verhältnis von Elternrecht und Schulrecht vgl. statt vieler: Geiger, FamRZ 1979, 457 ff. 7 Perschei, RdJB 1963, 33 ff., 34. 8 Perschel (1962), S. 86. 9 RdJB 1963,36; ders. (1962), S. 86. 10 (1962), S. 86. 11 RdJB 1963, 37. 12 (1962), S. 87. 13 (1966), S. 77. 14 So auch Gernhuber (1980), S. 61 über den Ansatz Perscheis. 4
5
2. Abschn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesrecht
61
fern an, als er aus diesem Gesichtspunkt die Kernfrage ableitet: Es sei festzustellen, "welche Beschränkungen der Grundrechte des Jugendlichen unumgänglich sind, um das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG in wesensgemäßer Funktion zu erhalten"15.
c. Die Harmonisierungsthese16 Gemhubers Gernhuber wendet sich gegen die Vorstellung einer Kollision von Elternrecht und Kindesgrundrechten 17 . Er begreift das Elternrecht als rechtliche Institution, die dem Gedanken der Fürsorge unterstehe 18 . In diesem Sinne dominiere das Elternrecht nicht gegenüber den Kindesgrundrechten, sondern ergänze diese. Art. 2 Abs. 1 GG garantiere die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch für den Jugendlichen. Dieses Recht werde vom elterlichen Pflege- und Erziehungsrecht als ein Mittel aufgenommen, das dem Kind und dem Jugendlichen die sinnvolle Entfaltung der Persönlichkeit in Lebensphasen sichere, die Selbstverwirklichung in der Selbstbestimmung noch nicht zulassen, und das seinem Zweck voll gerecht geworden ist, wenn es dem mündig Gewordenen die Fähigkeit gegeben habe, als selbstverantwortliche Persönlichkeit zu bestehen 19 . Fürsorgendes Elternrecht bilde insofern einen Ausgleich für das Unvermögen, Mündigkeitsphasen in der Kindesentwicklung zu standardisieren20 . Unter diesen Gesichtspunkten hält Gernhuber die Anerkennung einer einheitlichen Mündigkeitsgrenze entsprechend der Volljährigkeitsgrenze für gerechtfertigt21 . Das Elternrecht sei indes als von einem "partiellen Gestaltwandel" erlaßt anzusehen, so daß es in Bereichen, in denen die Rechtssicherheit keine Standardisierung fordere, mit wachsender Reife des Kindes an Intensität verliere 22 ; andererseits seien jedoch auch Fernwirkungen des Elternrechts über die allgemeine Mündigkeitsgrenze hinweg vorstellbar23 . Perschel (1962), S. 86 unter "I". Die Begriffsschöpfung geht auf Reuter - (1986) S. 23 - zurück und kennzeichnet treffend den theoretischen Ansatz Gernhubers, wenn er mit Hilfe einer institutionellen Sichtweise das Elternrecht als ein von seinen Trägern gelöstes, Idealvorstellungen puristisch entsprechendes funktionales Gebilde betrachtet. 17 FamRZ 1962, 89 ff., 91; ders. (1971), S. 52 f. 18 (1971), S. 53. 19 FamRZ 1962, 89 ff., r. Sp. 20 FamRZ 1962, 93. 21 aaO, S. 93. 22 aaO, S. 95; ebenso StaudingerlDonau, 11. Aufl., § 1626 BGB, Rn. 81 sowie Schwab, JZ 1970, 746. Zustimmend auch Diederichsen - FamRZ 1978, 461 ff., 462 f. -, welcher es als staatlichem Eingreifen gemäß Art. 6 Abs. 2 GG, ggf. in der Form vormundschaftlicher Maßnahmen nach § 1666 BGB, vorbehalten ansieht, dem Kindesinteresse Geltung zu verschaffen. Er geht insofern von der "Notwendigkeit einer Vermittlung des ,Kindesrechts' durch den Staat" aus. 23 aaO, S. 93. 15
16
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
62
D. Die Differenzierungsthese von Reuter
Den Versuch einer näheren Substantiierung der Diskussion unternimmt Reuter24 . Er sucht die Grundrechte nach ihrer personalen Wirkungsweise zu kategorisieren. Er differenziert zwischen "personalen" und "funktionalen" Grundrechten25 . Bei ersteren werde die Freiheit um ihrer selbst willen als Selbstzweck geschützt. Bei "funktionalen Grundrechten" sei sie als Mittel zur Befriedigung eines anderen Interesses gedacht, das nicht unmittelbar die persönliche Freiheit des Betroffenen berührt26 . Als derart funktionale Grundrechte bezeichnet Reuter27 etwa jene der Art. 101 Abs. 1, S. 2; 103 Abs. 1; 2 Abs. 2, S. 1; 3; 10; 13 sowie Art. 14 GG; bei diesen könne das grundrechtlich geschützte Interesse des Minderjährigen problemlos auch durch die gesetzlichen Vertreter wahrgenommen werden. Dagegen zähle Art. 2 Abs. 2 GG zu den "personalen Grundrechten". Eine Aufspaltung zwischen "Haben" und "Ausüben" sei schlechterdings nicht denbkbar; "Handlungsfreiheit mittels Bevormundung gewährleisten zu wollen, (sei) ... in sich widersprüchlich"28. Das heiße dann aber, daß die Bevormundung aufgrund der Mündigkeitsvorschriften des BGB gerade den spezifischen Grundrechtsgehalt des Art. 2 Abs. 1 GG verhindern könne29 . Das Phänomen der entwicklungsabhängigen Zunahme der Einsichtsfähigkeit sucht Reuter folgendermaßen zu erfassen: "Nur solange die Fürsorge die natürliche Unterlegenheit des Unmündigen gegenüber dem geistig normal entwickelten Erwachsenen ausgleicht, verdient sie den Vorzug vor der Freiheit"3o. Daraus folge, "daß die Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen nach dem Grundgesetz zwar nicht wie die Mündigkeit des einfachen Gesetzes von einem fixen Lebensalter abhängt, wohl aber von seiner Fähigkeit, wie ein normaler Erwachsener das eigene Verhalten vernünftig wertend zu bestimmen"31. Daraus ergibt sich für Reuter32 , daß bis zu einer "verfassungsgemäßen Regelung" durch den Gesetzgeber sämtliche Rechte des Minderjährigen, einschließlich seines Grundrechts, von den Eltern ausgeübt werden. Eine Ausnahme greife für gewissens- und lebensgestaltende Entscheidungen ein: "Dort kommt es auf die individuell-konkrete Einsichts- und Urteilsfähigkeit des noch nicht volljährigen Rechtsträgers an; eine konkurrierende oder gar verdrängende Zuständigkeit der Eltern scheidet aus" . 24 Kindesgrundrechte und elterliche Gewalt, Berlin 1968. 25 26 27 28 29 30
31 32
aaO, S. 63 f. aaO, S. 136. aaO, S. 53 f. Reuter aaO, S. 54; ders., FamRZ 1969, 622 ff., 623. aaO, S. 54 f. aaO, S. 62. aaO, S. 62. aaO, S. 185.
2. Abschn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesrecht
63
E. Die Verdrängungstheorie bei E. Schwerdtner Für E. Schwerdtner findet eine vertretungsweise Wahrnehmung der Grundrechte durch die gesetzlichen Vertreter von dem Augenblick an nicht statt, in dem "die Kritik- und Urteilsfähigkeit des Minderjährigen soweit entwickelt und verselbständigt ist, daß sie ausreicht, die das soziale Lebensgefüge berührenden und mit dieser Maßgabe persönlichkeitsbezogenen Handlung in ihrer Gesamtheit zu erfassen und abzuwägen"33. Eine verfassungsrechtliche Eingriffsermächtigung derart, daß einem selbstbestimmungsfähigen Jugendlichen die individuelle Selbstgestaltung verwehrt werden dürfe, enthalte Art. 6 Abs. 2 GG gerade nicht. Vielmehr entspreche es dem verfassungsrechtlichen Prinzip der Autonomie des Bürgers, daß das Kind zur "Ausübung des Grundrechts auf freie Entfaltung der Persönlichkeit" von dem Augenblick an befugt sei, von dem an es über die für die Wahrnehmung dieses Grundrechts erforderliche geistige Reife, Einsichtsfähigkeit und Entschlußkraft verfüge. In diesem Augenblick finde das Erziehungsrecht seine zeitliche und sachliche Grenze 34 . Der Zeitpunkt der Reife könne nur individuell bestimmt werden. Die Fixierung fester Altersgrenzen lehnt E. Schwerdtner deshalb ab 35 . Insbesondere bildeten die zivilrechtlichen Volljährigkeits- bzw. Geschäftsfähigkeitsgrenzen keine maßgeblichen Anhaltspunkte. Diese wichen zudem von den strafrechtlichen Mündigkeitsbeurteilungen ab. Auch das Postulat der Einheit der Rechtsordnung gebiete deshalb eine Orientierung an den einheitlichen Maßstab der individuellen Grundrechtsmündigkeit36 . Für die Übergangsphase nur beschränkter Einsichtsfähigkeit schwebt E. Schwerdtner die Konstruktion einer grundsätzlichen Entscheidungskompetenz des Minderjährigen vor, mit dem Erfordernis der Zustimmung durch die gesetzlichen Vertreter für die Einzelentscheidung. Die Verweigerung der Zustimmung soll dabei der Mißbrauchsprüfung nach § 1666 BGB unterliegen37 • F. Stöckers Theorie der "beschränkten Mündigkeit" Stöcker38 unterscheidet auch bei der Beurteilung des Normenkonfliktes zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG zwischen Innen- und Außenverhältnis39 . Entsprechend dem im Zivilrecht für den Außenbereich gebräuch33 E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 227 f., 245; entsprechend auch Zenz, AcP 173 (1973), S. 173 ff. 34 aaO, S. 242; entsprechend Münder, RdJB 1977, 358 ff., 368. 35 aaO, S. 243 ff. 36 E. Schwerdtner, aaO, S. 244. 37 aaO, S. 247. 38 ZRP 1974, 211-214. 39 aaO, § 212, Fn. 17; S. 213,214.
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
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lichen Begriff der "beschränkten Geschäftsfähigkeit" führt Stöcker zur Bezeichnung der kindlichen Kompetenzdefizite im Verhältnis zu seinen Eltern den Begriff der "beschränkten Mündigkeit" ein40 • Beschränkte Mündigkeit anerkenne indes noch immer einen Rest Elternrecht. Dies führe dazu, daß sich die Freiheit eines beschränkt Mündigen "gegen den elterlichen Willen nicht außerhalb der Familie entfalten" könne 41 . Die Anerkennung einer beschränkten Mündigkeit bleibe deshalb ohne Auswirkungen auf die Sicherheit des Rechtsverkehrs. Dem Gesetzgeber bleibe indes unbenommen, Teilmündigkeiten mit der Folge partieller Geschäftsfähigkeiten zu installieren42 . Die Basis für die Mündigkeitsskala von Stöcker bildet der Leitgedanke der Verfassung des in freier Selbstverantwortung handelnden Bürgers. Aus diesem Ansatz folgert er, entsprechend E. Schwerdtner, eine unmittelbare Reziprozität zwischen Zunahme der Einsichtsfähigkeit und Erweiterung der Grundrechtsmündigkeit. "In dem Maße, in dem ein junger Mensch in das Grundrecht des Art. 2 Abs. 1 GG hineinwächst, verlier(e) er die Eigenschaft eines ,Kindes' im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG"43. Nur für jene, die als Heranwachsende zu bezeichnen seien, komme Art. 2 Abs. 1 GG überhaupt ins Spiel44 •
§ 3 Neuere SteUungnahmen zum Verhältnis von Eltern- und Kindesgrundrechten in der staatsrechtlichen Literatur
A. Das ModeU der Gmndrechtstreuhand der Eltern bei Anerkennung ihres Interpretationsmonopols Das Modell der Grundrechtstreuhand der Eltern bei Anerkennung eines Monopols der Eltern, die Erziehungsinhalte zu bestimmen, wird in der neueren staatsrechtlichen Diskussion vor allem von Oppermann1, OssenbühI2 und neuestens von Schmitt-Kammler3 vertreten. Diese Auffassung geht davon aus, daß prinzipiell eine Grundrechtsmündigkeit des Kindes existiert. Aus dem Elternrecht wird jedoch die Befugnis zur treuhänderischen Wahrnehmung der Kindesrechte gefolgert, und zwar (jedenfalls) bis das Kind die Geschäftsfähigkeit, die mit der Grundrechtsfähigkeit zeitlich gleich gesetzt wird, erlangt aaO, S. 212. aaO, S. 213. 42 aaO, S. 214. 43 Stöcker, aaO, S. 212. 44 aaO, S. 213. 1 (1976), S. C 100 f. 2 DöV 1977, 381 ff., 384 3 (1983), S. 20 ff. 40
41
= FamRZ 1977, 33 f.; ders. (1981), S.
52 f., 58 ff.
2. Absehn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesreeht
65
habe 4 . Das Elternrecht wird zugleich als "genuin-elterlich" bezeichnet5 . Daraus wird auf die Berechtigung der Eltern geschlossen, die Art und Weise der Erziehung inhaltlich zu definieren6 • (Nur) im Verhältnis zum Kind sei das Kindeswohl die herrschende Maxime der Erziehung und des Handelns7 . Die Kindeswohlgemäßheit garantiere die "Norm der Natur"8, weshalb den Eltern auch das Interpretationsmonopol für das Kindeswohl überlassen sei9 • Es herrsche der Grundsatz des "in dubio pro libertate im Sinne des Primates der elterlichen Vorstellungen"lO. Der Staat habe sich bis zur Grenze des Mißbrauchs "aus dem Erziehungsgeschäft herauszuhalten"ll. B. Schmitt Glaeser
Auch Schmitt Glaeser leitet aus Art. 6 Abs. 1 und 2 GG ein Erziehungsmonopol der Eltern her, dem Kindesrechte allenfalls als "innere Grenze" entgegenstünden 12 • Dieses Ergebnis begründet er zusätzlich aus der verfassungsrechtlichen Konkordanz von Freiheit und Gleichheit sowie aus der Menschenwürde (der Eltern)13. Dem Staat komme die Rolle des Wächters darüber zu, ob sich die Eltern in den Grenzen ihrer Elternverantwortung hielten; dies aber berechtige nicht zur Verordnung von Erziehungszielen, -mitteln und -methoden 14 , und zwar auch nicht innerhalb jenes "Minimalkonsenses" , der darin bestehen soll, das Kind in angemessener Zeit zu einem selbständigen und handlungsfähigen Menschen zu erziehen15 • Das Elternrecht bestehe "keineswegs ausschließlich" im Interesse des Kindes; es decke jedes Handeln der Eltern, welches noch als Pflege und Erziehung bewertet werden könne. Nur im Falle der Vernachlässigung des Kindes sei der Staat zum Eingriff berechtigt, da es sich dann nicht mehr um Erziehung handle, sondern um das Gegenteil davon 16 •
4 Oppermann (1976), S. C 100; Ossenbühl FamRZ 1977, 543; Sehmitt-Kammler (1983), S. 20. Entspr. schon Groß, RdJ 1965, 149, 150; vgl. auch Reuter (1968), S. 185. 5 Oppermann, aaO, S. C 100; Ossenbühl (1981), S. 52 f. 6 Oppermann (1976), S. C 100 f. 70ssenbühl, FamRZ 1977, 534. 80ssenbühl, FamRZ 1977, 534. 90ssenbühl, FamRZ 1977, 534. 10 Oppermann (1976), S. C 101. 11 Ossenbühl, FamRZ 1977, 534. 12 Schmitt Glaeser (1980), S. 35 ff., 48 ff. 13 aaO, S. 39 ff. 14 aaO, S. 50. 15 aaO, S. 50 f. 16 aaO, S. 55 f.
5 Moritz
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
66
C. Die Mittelmeinung von Dürig Dürig geht wie die "h. M." von einer mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte aus 17 . Dabei weist er auf das besondere Dreiecksverhältnis "StaatEltern-Kind" bei Art. 6 Abs. 2 GG hin 18 . Grundrechtliche Positionen des Kindes im Sinne einer Grundrechtsfähigkeit wie auch einer Grundrechtsmündigkeit erkennt er prinzipiell an 19 . Die Zulässigkeit des Elterneingriffes will Dürig am Einzelfall orientieren2o . Er trifft jedoch zwei wichtige Einschränkungen: Erstens sollen die Eltern nur solange und soviel für ihre und anstelle ihrer Kinder entscheiden dürfen, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind, also eine "Erziehungsbedürftigkeit" besteht21 ; zweitens soll das verfassungsrechtliche Erziehungsrecht der Eltern inhaltlich auf die der Erziehung förderlichen Mittel beschränkt sein22 . In diesem Sinne sei § 1666 BGB, so stellt Dürig in Übereinstimmung mit dem Bundesverfassungsgericht fest 23 , Ausfluß der Grundrechte des Kindes24 . Entgegen seiner Kommentierung aus dem Jahre 1977 bezweifelt Dürig heute für den Eltern-Kind-Bereich sowie für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen die Brauchbarkeit des BGB als Kollisionsnorm25 . Prinzipiell erblickt er für den familieninternen Bereich sowie für die Außenvertretung ein "allen Fällen gemeinsam zugrundeliegendes Muster"26. Bei Fällen mit Beziehung zum Rechtsverkehr mache das Interesse des Rechtsverkehrs, den Zustimmungsberechtigten klar zu erkennen, "eine gesetzliche Regelung notwendig"27. Durch Interpretation der zivilrechtlichen Generalklausel der §§ 1626 BGB hält Dürig hier die Konstruktion von "Zustimmungspflichten oder Eingriffe(n) des Vormundschaftsgerichtes" für möglich28 . Das Elternrecht als subjektives Recht der Eltern behalte im Zwischenbereich sein Gewicht, "wo klare Entscheidungen mangels hinreichend gesichertem Wissen nicht möglich sind oder wo das Recht Typisierungen fordert"29.
Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 18 und 20. aaO 19 aaO, S Rn. 16 f. 20 aaO, Rn. 26. 21 Dürig, aaO, Art. 1 Abs. 3, Rn. 26. 22 Dürig, aaO, Rn. 22. 23 BVerfG FamRZ 1982, 567 ff. = ZfJ 1982, 314 ff. 24 Dürig, aaO, Rn. 22, mit Hinz (1976), S. 22 ff., 45. 25 Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 24. 26 Dürig, aaO, Rn. 19. 27 Dürig, aaO, Rn. 27; ähnlich Klein in Schmidt-Bleibtreu/Klein, 6. Aufl., 1983, Art. 6, Rn. 8. 28 Dürig, aaO, Rn. 27. 29 Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 26, mit Danzig (1974), S. 131-154 und gegen Kittner, AuR 1971, 280, 284 f. 17
18
2. Abschn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesrecht
67
D. Böckenförde
Auch Böckenförde wendet sich gegen eine Betrachtung, welche Elternrecht und Kindesgrundrechte als konkurrierende und kollidierende Freiheits- und Interessensphären einander entgegensetzt30 • Die Sicherung von Kindespositionen sucht er durch Konkretisierung der Pflicht bindung und Treuhandposition der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 GG zu gewinnen. Treuhänderisches Handeln sei nur so lange gerechtfertigt, wie eine Selbstbestimmungsfähigkeit des Kindes nicht existiere. Als Recht, das um des Kindes und seiner Persönlichkeitsentfaltung willen bestehe, habe das Elternrecht aus sich heraus die Tendenz, in dem Maße überflüssig und gegenstandslos zu werden, in dem das Kind in die Mündigkeit hineinwachse 31 . Das Elternrecht enthalte ein subjektives Recht der Eltern im Verhältnis zum Staat und zugleich deren Pflicht, das Erziehungsrecht für das Kind und bezogen auf sein Recht und Wohl auszuüben 32 • Die rechtlichen Bindungen des Elternrechts sind nach Böckenförde nicht vom Kind selbst einforderbar33 • Zur Gewährleistung sei hier der Staat aufgefordert. Das staatliche Wächteramt stelle ebenfalls eine (akzessorische) Erziehungstreuhand dar34 • Das Wächteramt habe subsidiären Charakter35 ; gleichwohl enthalte es nicht nur eine ohnehin bestehende Mißbrauchsabwehr , sondern auch ein Moment von Aufsicht, es greife über normative Festlegungen und Verletzungsabwehr hinaus und enthalte auch Information, Beobachtung, Hilfe, Unterstützung, vorbeugende Abwehr drohender Gefahren - und insofern auch Kontrolle 36 • Der Vorrang der elterlichen Erziehung rechtfertige staatliches Eingreifen jedoch nur, soweit eine objektive Gefahr für die Kindesentwicklung und für das Kindeswohl drohe; zur Fixierung des Gefahrbegriffs könne auf wissenschaftliche Erkenntnisse zurückgegriffen werden, soweit sie als sicheres Gedankengut in der allgemeinen Überzeugung Anerkennung gefunden hätten 37 •
E. Roell Roell geht von der These aus: "Wenn die Grundrechte eine Positivierung der Menschenwürde darstellen und die Menschenwürde auch Unmündigen zukommt, dann müssen auch die Grundrechte für Minderjährige und für 30 31 32
33 34
35 36 37
5'
Böckenförde (1980), S. 62. Böckenförde, aaO, S. 67, m. w. N. in der dort. Fn. 60. Böckenförde, aaO, S. 68 f. aaO, S. 71. aaO, S. 75. aaO, S. 76. Böckenförde, aaO, S. 73. Böckenförde, aaO, S. 77. f.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Erwachsene gelten .... Die Realisierung der Menschenwürde läßt sich nicht allein dadurch erreichen, daß der Staat ihre Grundrechte achten muß (Grundrechtsfähigkeit). Solange ihnen Ausübung und gerichtliche Durchsetzung ihrer Rechte verwehrt werden, ist ihre menschenwürdige Existenz nicht ausreichend gesichert"38. Ausgehend von dieser These billigt Roell auch Minderjährigen eine prinzipielle Grundrechtsmündigkeit und Grundrechtsfähigkeit ZU39 . Eine Ausübung der Kindesgrundrechte der Eltern versteht sie rechtsdogmatisch als Ausübung des Elternrechts40 • Eine solche ersatzweise Ausübung komme nur in Betracht, wenn dies das Schutzbedürfnis des Minderjährigen erfordere; dies sei Folge der Kindeswohlbindung des Elternrechts41 . Als Auslegungsmaßstab für das Kindeswohl dient Roell der "wirkliche Wille des Minderjährigen"42. Die Ausübung des Elternrechts habe nur dann Vorrang vor der Grundrechtsausübung durch den Minderjährigen, wenn im Einzelfall die konkrete Vermutung bestehe, daß der Minderjährige die Vor- und Nachteile seines Handeins nicht übersehe. Den Eltern wird eine Nachweispflicht darüber auferlegt, warum im Einzelfall ihr Eingreifen geboten war. Es entstehe insofern eine "Umkehr der Beweislast"43, die bewirke, daß das Selbstbestimmungsrecht des Minderjährigen grundsätzlich die Ausübung des Elternrechts verdränge, es sei denn, daß zum Schutze des Minderjährigen ein Handeln der Eltern geboten wäre44 • Nach Roell ist es jedoch Aufgabe des Gesetzgebers, diese Interessenkonflikte im Bereich des Privatrechts zum Ausgleich zu bringen45 . Die Grenze der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit liege dort, wo die Eltern über die zum Schutz des Minderjährigen erforderlichen Erziehungsmaßnahmen hinaus zu Eingriffen in die Selbstbestimmung des Minderjährigen ermächtigt würden46 • Roell stellt abschließend fest, daß auch die neueren Entwicklungen im Familienrecht dem von der Verfassung gebildeten Rahmen aus der Sicht des Kindes nicht im ausreichenden Maße gerecht würden47 .
38 39 40 41 42 43 44
45 46 47
Roell (1984), S. 33 f. aaO, S. 48 ff., 50. aaO, S. 5I. aaO, S. 50, 5I. aaO, S. 51 f. Roell, aaO, S. 52, m. w. N. in der dort. Fn. 16. Roell, aaO, S.52. Roe11, aaO, S. 52,53. Roell (1984), S. 53. Roe11, aaO, S. 55.
2. Abschn.: Stellungnahmen zum Eltem- und Kindesrecht
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§ 4 Resümee und Konsequenzen für die weitere Vorgehensweise
Bei einer Sichtung der Beiträge zur verfassungsrechtlichen Bewertung des Eltern-Kind-Verhältnisses fällt zunächst der große Anteil von Autoren auf, welche das Zivilrecht vertreten. Das darin zum Ausdruck kommende Bedürfnis, die verfassungsrechtlichen Grundlagen der einfachgesetzlichen Regelungen zu überprüfen, weist auf eine bestehende Wertungsunsicherheit hin. Die in der "Einführung" aufgestellte These, daß Bewertungsmaßstäbe für die Beurteilung des Eltern-Kind-Verhältnisses erst noch zu konkretisieren seien, findet damit eine Bestätigung. Der breite Kanon von Stellungnahmen durch ZivilrechtIer bestätigt auch die hier geWählte Vorgehensweise, welche sich zunächst um die verfassungsrechtliche Fundierung der Problematik bemüht, um sich so dann den konkreten einfachgesetzlichen Regelungen zuzuwenden. Die Nachzeichnung der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Art. 6 GG zeigt eine Entwicklung des Diskussionsstandes von der anfänglichen Dominanz des Elternrechts über die allmähliche Verstärkung der grundrechtlichen Position des Kindes bis zur neue ren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, in der das Gericht besonders in der Schülerberaterentscheidung von 19821 das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG als "treuhänderische Freiheit" interpretiert und als Leitlinie und als Legitimation des Elternrechts das Kindeswohl angibt. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hatte insofern Auswirkungen auf den Meinungsstand in der Literatur, indem wohl inzwischen als anerkannt gelten kann, daß die Rechte des Kindes nicht Ergebnis einer Abwägung sein können, welche Eltern- und Kindesgrundrechte als konkurrierend betrachtet. Abgesehen von diesem Konsens bleiben jedoch Einzelfragen weiterhin offen oder werden unterschiedlich beantwortet. Dies gilt insbesondere für die Definition des Kindeswohls und für die inzident damit verbundenen Fragen nach der Vorgabe von Erziehungszielen und nach der Auswirkung der verfassungsrechtlichen Wertordnung auf die Erziehungsinhalte. Weitgehend unreflektiert bleibt ebenfalls das Verhältnis der Abs. 1 und 2 des Art. 6 GG. Eltern und Familie werden als vorgegeben betrachtet. An dieser Betrachtung ist richtig, daß sie von der grundsätzlichen Eigenbedeutung jedes Absatzes des Art. 6 GG ausgeht2 • Diese prinzipielle Eigenständigkeit jedes der Absätze des Art. 6 GG bedeutet jedoch nicht, daß nicht zugleich gegenseitige Beeinflussungen zwischen den Absätzen bestünden3 • So ist zu beachten, daß Art. 6 Abs. 1 GG schon vieles von dem vorwegnimmt, was in Art. 6 Abs. 2 GG im einzelnen geregelt ist. Entsprechend ist Abs. 2 im
1 2 3
BVerfG FamRZ 1982, 567 ff. = ZfJ 1982,314 ff. Vgl. dazu Maunz in MDHS, Art. 6, Rn.!. Maunz, aaO; Scheuner, in Essener Gespräche, 1980, S. 99.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Zusammenhang mit dem Begriff der ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG zu sehen 4 • In seiner Pflegeelternentscheidung hat das BVerfG festgestellt, daß inhaltliche und nicht formale Kriterien maßgebend für die Definition als "Familie" i. S. d. Art. 6 GG sein könnten5 . Vor einer allgemeinen Erörterung der Auswirkungen der verfassungsrechtlichen Wertordnung auf die Erziehungsinhalte ist somit zu klären, ob und welche Wirkungen von Art. 6 Abs. 1 GG und von neuen Definitionen des verfassungsrechtlichen Familienbegriffs auf die inhaltliche Konkretisierung des Art. 6 Abs. 2 GG ausgehen. Da die gesamte verfassungsrechtliche Erörterung den Boden bereitet für die späteren Wertungen auf einfachgesetzlicher Ebene, ist zuvor kurz auf die Bedeutung der Drittwirkungsproblematik für das Eltern-Kind-Verhältnis einzugehen.
3. Abschnitt
Die allgemeine Drittwirkungsproblematik sowie deren Bedeutung für das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern Die Grundrechte sind in erster Linie Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat!. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in ständiger Rechtsprechung klargestellt, daß die Grundrechte auch ein Wertsystem statuieren, das als verfassungsrechtliche Grundentscheidung für alle Bereiche des Rechts Geltung beansprucht2 • Es ist umstritten, wie Grundrechtsnormen auf das Bürgerliche Recht einwirken. Das Meinungsspektrum reicht von der Auffassung, die aber als inzwischen überholt gelten kann3 , daß die Grundrechte auf ihre Funktion als Abwehrrechte gegenüber dem Staat zu beschränken seien4 , über die Ansicht einer mittelbaren Geltung (vor allem über die Generalklauseln)5, bis hin zur Auffassung unmittelbarer Geltung6 . Das Bundesverfassungsgericht hat (jedenfalls) die Generalklauseln als "Einbruchsstellen" der Grundrechte in das Bürgerliche Recht anerkannt7 . Spätestens mit der Anerkennung eines eigenen Persönlichkeitsrechtes des Kindes aus Art. 2 Abs. 1 GG und der damit einhergehenden Problematik, in 4 5
1 2 3 4
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6 7
Scheuner, in Essener Gespräche, 1980, S. 99. Vgl. BVerfG NJW 1985, 423 f.; s. auch schon BVerfGE 60,79,94. BVerfGE 7, 204 f. Vgl. schon BVerfGE 5, 207 ff.; 6, 40 f., 72; 7, 204 f. HamannILenz (1970), S. 122. Schmidt-Rimpler u. a., AÖR 1950151, 169; Ule DV 1949, 333. Dürig in MDHS, Art. 1, Rn. 127 m. w. N.; Coing, JZ 1958, 558, 560. BAGE 1, 185, 191; Nipperdey (1961), S. 15. BVerfGE 7,198 ff., 206.
3. Absehn.: Allgemeine Drittwirkungsproblematik
71
welchem Verhältnis dies zu dem in Art. 6 Abs. 2 garantierten Elternrecht steht, ergab sich auch für den Eltern/Kind-Bereich die Frage nach der Bedeutung und Wirkung des Verfassungsrechts für die unterverfassungsrechtliche Ausgestaltung des Eltern/Kind-Verhältnisses. Entsprechend der allgemeinen Drittwirkungsdiskussion lassen sich auch hier Verfechter einer unmittelbaren8 wie auch einer mittelbaren9 Drittwirkung der Grundrechte ausmachen; andere beschränken die Bedeutung der Grundrechte auf das Verhältnis Bürger/ Staat lO • Das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG sowie das in Betracht kommende Kindesgrundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG unterscheiden sich in ihrer Wirkungsrichtung: Art. 2 Abs. 1 GG ist konzipiert als klassisches Grundrecht i. S. eines Abwehrrechtes gegenüber dem Staat. Dies könnte darauf hinweisen, daß auch insoweit das Problem der Drittwirkung unverändert besteht. Entgegen Art. 2 Abs. 1 GG gilt jedoch für Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG, worauf Dürig ll zutreffend hingewiesen hat, etwas anderes. Betroffen ist nach dem Gesetzesinhalt nicht nur die Beziehung Bürger-Staat, sondern das Dreiecksverhältnis Staat-Eltern-Kind. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantiert den Vorrang der Eltern bei der Verantwortung für das Kind, welches des Schutzes und der Hilfe bedarf12 . Insofern enthält der als Elternrecht gekennzeichnete Bereich ein echtes Grundrecht, also ein subjektiv-öffentliches Verfassungsrecht der Eltern 13. Dieses gewährt den Eltern ein Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe, soweit solche Maßnahmen nicht durch das Wächteramt (nach Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) gedeckt sind 14 . Die Besonderheit des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG besteht aber darin, daß die Norm neben dem Grundrecht zugleich eine Grundpflicht statuiert. Deshalb wurde das Elternrecht als ein "fiduziarisches Recht, ein dienendes Grundrecht, eine im echten Sinne anvertraute treuhänderische Freiheit" bezeichnet 15 • Diese Konstellation führt dazu, daß jedes 8 So wohl Anders, FamRZ 1960, S. 476 ff.; H. Krüger, FamRZ 1956, S. 329; Persehel, RdJ 1963, S. 33 ff., 37; Quambuseh (1973), S. 43 ff. 9 Hampel, FamRZ 1963, 540; Kuhn (1966), S. 65 ff., welcher ebenso wie Lange - in SoergeUSiebertlLange, 11. Aufl., § 1631 Anm. 25 - § 1666 BGB als Einbruehsstelle grundgesetzlicher Wertentscheidungen in das BGB begreift; Peters (1972), S. 369 ff., 395. 10 Gernhuber (1980), S. 62; E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 238; ders. - mit der Tendenz einer unmittelbaren Drittwirkung - in NJW 1977, 1268 ff., 1269, Fn. 16; Stein (1967), S. 28 f.; Strätz, FamRZ 1975, 541 ff. Zur Bindungswirkung des Art. 1 Abs. 3 GG, um die in den Grundrechten getroffenen Wertentscheidungen zu verwirklichen, vgl. grundlegend die Ausführungen in BVerfGE 7,198 ff., 205. 11 In MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 18. 12 BVerfGE 33,238, mit BVerfGE 24,138. 13 Vgl. BVerfGE 34, 165, 183; 47, 46,69 f.; s. im übrigen (statt aller) Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 22, sowie zur älteren Literatur Baumgarte (1966), S. 23, mit zahlr. w. N. in der dortigen Rn. 4. 14 BVerfGE 24,138; 31, 204 f.; 47, 69 f.
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
72
Berufen auf das Grundrecht des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eine Drittbetroffenheit, nämlich jene der Kinder, einschließt. Da das Kindesinteresse nach der Konstellation des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nur in Form der "Drittbetroffenheit" berücksichtigt ist, scheidet die Annahme eines subjektiv-öffentlichen Verfassungsrechts des Kindes aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG aus l6 • Dies aber bedeutet, daß die Problematik der "Drittbetroffenheit" nicht identisch ist mit jener der Drittwirkung der Grundrechte. Denn während bei letzterer die Frage der Wirkung der Grundrechte in partikulären Rechtsordnungen problematisiert wird, behält die Diskussion der "Drittbetroffenheit" die verfassungsrechtliche Ebene bei.
Die Grundrechte der Kinder und der Eltern beziehen sich je für sich auf das Verhältnis Bürger/Staat. Ihnen kommt im Wege mittelbarer Drittwirkung als Orientierungs- und Überprüfungsmaßstab in der richterlichen Wertung für das Verhältnis der Bürger untereinander Bedeutung zu. Auf das Eltern/ Kind-Verhältnis läßt sich die Lehre von der Drittwirkung dagegen nicht problemlos anwenden, da Art. 6 Abs. 2 GG, indem er das Elternrecht gegenüber dem Staat schützt, selbst die Drittbetroffenheit des Kindes schafft. Das Verhältnis des Elternrechts (Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) zu den Kindesrechten (auf ungehinderte Selbstentfaltung gemäß Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG) wird also durch die besondere Struktur des Elternrechts geprägt. Die Eltern-Kind-Beziehung ist unmittelbarer Regelungsgegenstand des Verfassungsrechts. Die Inhalte ergeben sich somit aus den Verfassungswertungen selbst l ?; zum anderen bleiben aber die Eltern/Kind-Beziehungen für ihre Ausgestaltung im einzelnen auf das Zivilrecht angewiesen l8 .
4. Abschnitt
Medium ,Familie'; der Wertungsüberbau gern. Art. 6 Abs. 1 GG § 1 Die Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 GG für die (verfassungs-
rechtliche ) Bewertung des Eltern/Kind-Verhältnisses
Auf einen inneren Zusammenhang zwischen dem grundrechtlichen Schutz von Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG und der grundgesetzlichen Berücksichtigung des ElternlKind-Verhältnisses in den Absätzen 2 und 3 des Art. 6 GG weist schon die räumliche Nähe der Regelungen hin. Eine Verknüpfung von Elternrecht und Familie bejahen dann etwa auch Scheffler l und 15 16
17 18
BVerfGE 59, 377, m. w. N. BayObLG NJW 1969, 429; Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 32. Vgl. die nachfolgenden Abschnitte dieses Kapitels; S. 72ff., 126ff. Siehe im 3. bis 7. Kapitel.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
73
Peters2 • Letzterer erkennt den Konnex in dem nach seiner Auffassung beiden Einrichtungen eigenen naturrechtlichen Ursprung3 . Von anderen wird eher ein Zusammenhang zwischen Art. 6 Abs. 2 und Art. 7 GG gesehen4 • Seine grundsätzliche Anerkennung findet der wechselweise Bezug von Eltern- bzw. Kindesrecht und ,Familie' im Grundgesetz selbst, nämlich in Art. 6 Abs. 3. Die Vorschrift setzt als Regelaufenthalt des Kindes die ,Familie' voraus. Konsequent definiert das BundesverfassungsgerichtS Art. 6 Abs. 2 GG als spezielle Bestimmung der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in der Familie. Das Bundesverwaltungsgericht6 macht die grundsätzliche Verknüpfung von Familie und den Befugnissen aus Art. 6 Abs. 2 GG mit der Formulierung deutlich, daß "der Mensch (gemeint sind die Eltern) sich als Person auch in der Familie verwirklicht und zu dieser Verwirklichung Recht und Pflicht zur Pflege der Kinder zählen". Das "Umgangsrecht" des nicht sorgeberechtigten Elternteils nach Auflösung des Familienverbandes ist Ausfluß dieses Rechts aus Art. 6 Abs. 2 GG7. Andererseits ist es vorstellbar, daß auf Dauer bestehende persönliche Beziehungen zwischen Kind und Pflegeeltern innerhalb einer Pflegefamilie zur Suspendierung des Elternrechts führen, welches sich lediglich in biologischen Beziehungen begründet8 • Die Familie, wie sie in Art. 6 Abs. 1 GG ausdrücklich geschützt wird, bildet somit den institutionellen Rahmen für die Rechtsbeziehungen der Eltern und Kinder. Jene Autoren, welche das Verhältnis von Eltern- und Kindesrecht als bloßes Abwägungsproblem zwischen den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 GG begreifen9 , verkürzen deshalb die Problematik. Die Familie ist als institutioneller Rahmen und als sozialer Ort dieser Beziehungen in die Erörterung stets mit einzubeziehen. Die Definition des verfassungsrechtlichen Elternrechts ist damit nicht mehr nur Ergebnis einer zweidimensionalen Betrachtung. Die Familie ist vielmehr insofern mitzudenken, als Art. 6 Abs. 1 GG einerseits schon einiges von dem anspricht, was in den Abs. 2 und 3 näher ausgeführt wird, sowie andererseits die institutionelle Basis legt für die Abs. 2 und 3. (1972), S. 245 ff. Peters (1972), S. 372 ff., 375. 3 Peters, aaO. 4 Vgl. die Nachweise bei Peters (1972), S. 371, insbesondere Fn. 6 und 7; s. auch ModellMül1er (1972), S. 86. Zu der in neuerer Zeit im Zusammenhang mit sogenannten "Schulexperimenten" aktualisierten Auseinandersetzung zum Verhältnis von Schulhoheit und Elternrecht vgl. beispielsweise Geiger, FamRZ 1979, S. 457 m. w. N. 5 BVerfGE 24, 135. 6 BVerwGE 20, 192 f . . 7 BVerfGE 31, 206. 8 Bejahend OLG Karslruhe NJW 1979, 930, 931. Die Dominanz der sozialen Elternschaft deutet als mögliche Lösung auch das BVerfG an, vgl. BVerfG NJW 1985, 423 f. Zur Problematik vgl. auch Gleißl/Suttner, FamRZ 1982, 124. 9 Vgl. vor al1em Krüger und Perschel (Nachweise im 2. Abschnitt, § 2 A und B). 1
2
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
74
Somit ist der (verfassungsrechtliche) Familienbegriff zu erörtern. Dabei ist zunächst auf den Begriff der Institution einzugehen, da Änderungen des Familienbegriffs, wie sie durch eine mögliche Anerkennung einer Pflegefamilie als Familie i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG vom BVerfG angedeutet wurden 10 , auszuscheiden hätten, wenn die Definition der Familie als Institution bedeutete, daß der Regelungskomplex der Familie dem ändernden Zugriff (des Gesetzgebers) entzogen wäre. § 2 ,Familie' als verfassungsrechtliche Institution
Im Anschluß an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (im 6. Band, S. 55 ff.) gelten nach der herrschenden Meinung, in Anwendung der Theorie vom Doppelcharakter (jedenfalls einiger) Grundrechte!, Ehe und Familie als die klassischen Beispiele einer verfassungsrechtlichen Institutsbzw. Einrichtungsgarantie2 - nach Abel: Rechtsinstitutsgarantie3 -. Begründer der Lehre von den "institutionellen Garantien" ist earl Schmitt4 • Unter Institut verstand er einen "inhaltlich bestimmten Normenkomplex"5. Diese zur Zeit der Weimarer Reichsverfassung entwickelte Lehre hatte einen systemstabilisierenden, aber auch konservierenden Effekt, indem der als verfassungsrechtliches Institut definierte Normenkomplex dem Zugriff des Gesetzgebers entzogen wurde. Abel6 definiert Institutsgarantien entsprechend, indem er darunter versteht: "Verfassungsrechtliche Gewährleistungen der von dem Verfassungsgeber vorgefundenen Komplexe privatrechtlicher Vorschriften mit der Wirkung, daß das garantierte Institut nur im Wege der Verfassungsänderung (Art. 79 GG) durch den Gesetzgeber abgeschafft oder in seinem Wesenskern angetastet werden darf". Rüthers weist auf den Stabilisierungseffekt von Rechtsinstituten gerade im Hinblick auf den gesellschaftlichen Wandel hin7 • Dazu nimmt Willke Stellungs. Er sieht die Gefahr, daß mit Hilfe der Theorie von den "Rechtsinstitutsgarantien" das Grundgesetz umgangen werden könnte. Nach Willke ist "die Bestimmung der ,WesensVgl. in der vorstehenden Fn. 8. Vgl. C. Schmitt (1931, 1958, S. 140 ff.), sowie aus heutiger Sicht: Häberle (1983), S. 70 ff., 332 ff.; HamannlLenz, Art. 6, Rn. 8; Mösser (1977), S. 28; v. Münch, Art. 6, Anm. III 3. 2 Vgl. insbesondere Abel- (1964), S. 40,89 f. - sowie statt vieler Maunz, in MDHS, Art. 6, und v. Münch, Art. 6, Rn. 5. 3 Abel (1964), S. 71. 4 Carl Schmitt: Freiheitsrechte und institutionelle Garantien der Reichsverfassung; in: C. Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, Berlin 1958, S. 140 ff.; vgl. ders. HdBDStR (1932), S. 595 f. 5 aaO, S. 164. 6 (1964), S. 90. 7 Rüthers (1970). 8 Willke (1975), S. 123. 10 I
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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merkmale' des Institutsbegriffs ... so offen wie die Bestimmung des Wesensgehalts der Grundrechte. Nur besteht durch diesen Umweg die Gefahr, in den Institutsbegriff das hineinzulegen, was als Wesensgehalt herauskommen soll ... Wenn diese Lehre heute dazu benutzt wird, ... bestimmte privatrechtliche Institute mit Ewigkeitsflor zu schmücken, dann liegt in dieser Überziehung einer dogmatischen Entwicklung nichts anderes als eine Umgehung des Grundgesetzes, eine Überspielung der Grundrechte durch ihren einfachrechtlichen Überbau"9. Es ist jedenfalls festzustellen, daß ein verfassungsrechtliches Institut eine Sicherungsfunktion entsprechend jener zur Zeit der Weimarer Republik heute nicht mehr zu erfüllen braucht. Denn es ist auf die positiv-rechtliche Regelung der Art. 19 Abs. 2 und 79 Abs. 3 GG hinzuweisen, welche kraft verfassungsrechtlicher Festlegung garantiert, was die Institutsgarantie für die Weimarer Reichsverfassung sichern sollte lO • Die Ausführungen von Willke veranschaulichen zudem die Gefahren der institutionellen Betrachtung. Fraglich ist, ob sich daraus die Konsequenz rechtfertigt, Rechtsinstitute überhaupt zu verneinen ll sowie die Lehre vom Doppelcharakter der Grundrechte abzulehnen. Davon wäre für die Familie auszugehen, wenn sich der Wesensgehalt des Art. 6 Abs. 1 GG mit seiner subjektiv-rechtlichen Seite erschöpfte. Dies nimmt indes auch Willke nicht an. Er wendet sich gegen einen Institutsbegriff, welcher analytisch abhebbar ist vom zugeordneten sozialen Substrat 12 und deshalb überkommene oder in das Institut hineingelegte Werte als nicht hinterfragbar dem sozialen System "überstülpten"13. Ein solcher Begriff widerspräche "den evolution ären Bedürfnissen der Gesellschaft". Entfalle aber die gesellschaftliche Funktion der Institution, so stellt Willke zutreffend fest, dann sei "eine rechtliche Garantie dieser Institution nur beschriebenes Papier"14. Da jede Norm einen Ausschnitt aus der Gesellschaftswirklichkeit gestaltet, ist der Vorstellung einer wechselseitigen Beeinflussung von Norminhalt und gesellschaftlichem Handlungsumfeld grundsätzlich zuzustimmen. In hochkomplexen Gesellschaften liegt Stabilität nur mehr im Wandel, dem sich auch das geschriebene Recht nicht verschließen kann. Insofern ist Willke beizupflichten, wenn er Rüthers 15 entgegenhält, daß soziale Dynamik durchaus nicht konträr zur Stabilisierungsfunktion stehe 16 . Anzuerkennen wäre danach neben der subjektiv-individualrechtlichen Betrachtung eine institutionelle, Willke (1975), S. 123. Ebenso Dürig, in MDHS, Art. 1 Abs. 3, Rn. 98, m. w. N., und Sasse, AöR 85 (1960), S. 423 ff., 439. 11 So Willke, aaO, S. 124. 12 Willke, aaO, S. 124. 13 Willke, aaO, S. 126. 14 Willke, aaO, S. 126. 15 Rüthers (1970), S. 46 f. 16 Willke, aaO, S. 130 f. 9
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
welche die Rückkoppelung zum sozialen Umfeld ermöglicht. Dem entspricht der Ansatz von Häberle, welcher die Grundrechte als subjektive Reche immer im Zusammenhang mit dem durch sie geschützten Lebensbereich sieht 17 . Dieses mitgeschützte gesellschaftliche Umfeld fließe in die Verfassung ein als Institutsgarantie. Die individual rechtliche und die institutionelle Seite bildeten zusammen das Grundrecht; beide Seiten korrelierten miteinander, wobei sie zueinander im Verhältnis der Gleichrangigkeit stünden 18 . Somit ist ,Familie' als eine verfassungsrechtliche Institution zu begreifen. Dies stellt jedoch nur einen Teil der Gesamtbetrachtung des Grundrechtes neben der subjektiv-individuellen Seite dar. Die objektiv-institutionelle Seite ist nicht statisch zu verstehen, sondern muß sozialen Wandel berücksichtigen können. Die Heranziehung der Lehre vom Doppelcharakter der Grundrechte bedeutet nicht eine Festschreibung auf überkommene Wertungen. Die Abhängigkeit der strukturellen Gegebenheiten der Institution ,Familie' von der Gesellschaftswirklichkeit verwehrt vielmehr eine Reduzierung der Definition des verfassungsrechtlichen Begriffs der Familie auf überkommene Ausgestaltungen als privatrechliches Institut 19 . Denn gesellschaftsabhängige Institutionen haben in ihrer Ausgestaltung teil am gesellschaftlichen Wandel. Es sei denn, der Gesetzgeber - hier der Verfassungsgeber - habe von seiner politischen Entscheidungskompetenz in ganz bestimmter, etwa auch in bewußt den gesellschaftlichen Istzustand steuernder oder gegensteuernder Weise ausdrücklich und eindeutig Gebrauch gemacht. Dafür gibt es hier keine Anhaltspunkte. Ebenso müßte eine starr am Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes orientierte Inhaltsdefinition notwendig gesellschaftlichen Wandel ignorieren 20 • Die rechtliche Garantie einer so bestimmten Institution wäre, wie Willke schreibt 21 , nur beschriebenes Papier. Dies bedeutet indes nicht die völlige Unbeachtlichkeit überkommener Vorstellungen. Der normative Anspruch des Grundrechtes aus Art. 6 Abs. 1 GG geht dahin, die Institutionen Ehe und Familie als beeinflußt von Vorgegebenem 22 und zugleich als mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten korrespondierend23 zu begreifen. Es ist Häberle (1983), S. 96 ff., 99, 333. Häberle (1983), S. 72. 19 Anders Klein, in v. Mangoldt/Klein, Vorbem. A II 4 e. 20 So aber wohl Scheffler - (1972), S. 245 ff., 257/258 -. Nach dem sich das ganze der Lebensordnung erschließe "aus der gesellschaftlichen und geistigen Entwicklung, die zur Entstehungszeit des Grundgesetzes erreicht gewesen sei." 21 Willke (1975), S. 126. 22 Zur Bedeutung geschichtlicher Abläufe vgl. im folgenden. 23 Zur Abhängigkeit der strukturellen Gegebenheiten des Instituts Familie von gesellschaftlichen Gegebenheiten vgl. auch Beitzke (1980), § 3 I 1; Huhn (1977), S. 38 ff.; Pirson, Bonner Kommentar, Art. 6, Rn. 26 ff. sowie mehrfach in Simitisl Zenz (1975), etwa S. 64 ff., 95 ff. Anders dagegen Larenz - JZ 1968, S. 96 f. -, welcher entsprechnd seinem methodologischen Ansatz von einer legislativ abschließend und eindeutig definierten zivilrechtlichen Institution ausgeht. Die kurzen Ausführungen von Larenz richten sich gegen die Anschauung von Wolf (JZ 1967, 659 ff). Sie unter17
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4. Abschn.: Medium ,Familie'
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deshalb jener Auffassung zuzustimmen, welche eine Institution als "Typus" begreift24 . Mit dieser Bezeichnung wird verdeutlicht, daß die Inhalte und Grenzen der Institution fließend sind25 . Die Merkmale eines "Typus" bilden ein "elatisches Merkmalsgefüge"26. Ein Institutionenwandel erscheint letztlich bis zum Begriffskern hin möglich27 . Ein "Typus" kann demgemäß im strengen Sinne nicht definiert, sondern nur umschrieben werden; man subsumiert nicht unter ihn, sondern ordnet ihm bestimmte Erscheinungen ZU28 . Zusammenfassend ist damit festzustellen: 1. Das Grundrecht des Art. 6 Abs. 1 GG hat eine subjektiv-individuelle und eine objektiv-institutionelle Seite. 2. Die institutionelle Seite ist nicht statisch zu verstehen. Die strukturellen Gegebenheiten der Funktion ,Familie' sind beeinflußt von Vorgegebenem und korrespondieren zugleich mit den gesellschaftlichen Gegebenheiten.
3. Die strukturellen Gegebenheiten der Institution ,Familie' sind vorstellbar als ein Merkmalsgeflecht, welches die Familie prägt, ohne daß damit Familie als soziales Phänomen in den jeweiligen unterschiedlichen rechtlichen Regelungszusammenhängen vollumfänglich beschrieben wäre. Dem und der prinzipiellen Wandelbarkeit der Begriffsinhalte trägt die Bezeichnung der Institution ,Familie' als "Typus" Rechnung. Für die nachfolgende Konkretisierung des (verfassungs-)rechtlichen Familienbildes ergibt sich aus diesen Feststellungen, daß es nicht darum gehen kann, Familie zu definieren. Möglich erscheinen allenfalls eine Umschreibung des Familienbegriffs und eine Benennung der wesentlichen Elemente, durch welche sich ,Familie' begründet. Geleistet werden kann auf diese Weise, den Weg der Begriffsumschreibung aufzuzeigen und sozialen Wandel zu berücksichtigen. Die Konkretisierung erlaubt auch, zu der umstrittenen Frage des persönlichen Geltungsbereichs des Art. 6 Abs. 1 GG Stellung zu nehmen. Im übrigen sind Schutzumfang und Schutzrichtung des Art. 6 Abs. 1 GG in bezug auf den jeweiligen Regelungszusammenhang zu bestimmen, wobei auch insoweit die Konkretisierungen eine Orientierungshilfe bieten können29 . scheiden sich von jenen Darlegungen vor allem darin, daß Larenz den kommunikativreflexiven Prozeß zwischen Gesellschaftswirklichkeit und Norminhalt in der richterlichen Entscheidungsfindung ignoriert. Allerdings bleiben auch die Darlegungen von Wolf - aaO - zu allgemein, als daß sie in ihrer Ablehnung jedes institutionellen Denkens überzeugen könnten. 24 Vgl. Dreier (1965), S. 89; zustimmend Reuter (1968), S. 98. 25 Vgl. Dreier (1965), S. 55; allgemein zur Lehre vom "Typus" vgl. statt aller Leenen (1971). 26 Leenen (1971), S. 34. 27 Weniger weitgehend Reuter (1968), S. 98. 28 Hülsen, JZ 1967, 629, 630; s. auch Larenz, Methodenlehre, 3./4. Aufl., S. 202. 29 Zur Überprüfung der Anwendbarkeit des für das Verfassungsrecht konkretisierten Familienbegriffs auf das Zivilrecht vgl. im 3. Kapitel, 2. Abschnitt.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
§ 3 Die konstitutiven Elemente der Institution ,Familie'
A. Die vertretenen und nach den getroffenen FeststeUungen noch relevanten Ansätze für eine inhaltliche Konkretisiemng des Familienbegriffs In der verfassungsrechtlichen Literatur finden sich beim Versuch einer inhaltlichen Konkretisierung des Familienbegriffs naturrechtlichei, his torische2 oder historisch/funktionale bzw. funktionale Ansätze 3 sowie der Versuch einer kulturanthropologischen Anknüpfung4 • Zum Teil wird auch dem einfachen Gesetzgeber die inhaltliche Ausgestaltung überantwortetS . Die inhaltliche Ausgestaltung der verfassungsrechtlichen Institution dem einfachen Gesetzgeber zu überlassen ist schon deshalb abzulehnen, weil, soll die Verfassung eine eigene Gewährleistungsfunktion behalten, verfassungsrechtliche Wertungen nicht durch bloße unterverfassungsrechtliche Rechtsetzung ersetzt werden können6 • Die naturrechtliche Auffassung knüpft an die Formulierung des Art. 6 Abs. 2 GG an, in dem das Erziehungsrecht als "natürliches" Recht der Eltern bezeichnet wird. ,Familie' wird danach als eine Institution mit "vorstaatlichem Kern" verstanden7 . Diese Auffassung ist allenfalls dann mit dem im vorstehenden § 2 nachgezeichneten Institutionsbegriff vereinbar, wenn nicht aus der Feststellung vorverfassungsrechtlichen Ursprungs auf die Garantie der Familie in historisch vorgegebenen Erscheinungsformen geschlossen wird. Dies behauptet aber auch etwa Maunz nicht; vielmehr stellt er fest, daß Naturgegebenheit mit "Unantastbarkeit im verfassungsrechtlichen Sinne nichts zu tun" habe 8. Im Ergebnis nähern sich die Vertreter des naturrechtlichen Verständnisses damit der historischen bzw. historisch/funktionalen Lehre. Der historische Ansatz reduziert den verfassungsrechtlichen Begriff der Familie auf die privatrechtliche Ausgestaltung der Institution, wie sie der Verfassungsgeber vorgefunden hat9 • Der historisch/funktionale Ansatz schließt 1 So: v. MangoldtlKlein, Vorb. A 11 4e; Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 2 u. 22. Dagegen: Gernhuber (1980), § 5 I 2 und IV 2; v. Münch, Art 6, Rn. 1; Pirson im BK, Art. 6, Rn. 21 ff. 2 v. MangoldtlKlein, aaO; Maunz, in MDHS, aaO. 3 Siehe insbesondere Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 6, Rn. 6; vgl. auch Dölle (1964), Bd. 1, § 211; Gernhuber (1980), § 1 I; Gastiger/Oswald (1978), S. 23 f. 4 Häberle (1984); vgl. auch die dortigen weiteren Nachweise eines anthropologischen Ansatzes, Häberle (1984), S. 1, Fn. 1. 5 ModellMüller, Art. 6, Anm. 2. 6 Insoweit zutreffend Lecheier, FamRZ 1979,1 ff., 2. 7 Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 2 und 22. 8 In MDHS, Art. 6, Rn. 2. 9 So vor allem v. MangoldtlKlein, aaO.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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von bestimmten historischen Familienfunktionen axiomatisch auf einen normativen Familienbegrifflo• Eine (nur) funktionale Deutung versucht dagegen, in Ergänzung zu einern historisch/funktionalistischen Vorgehen, den gesellschaftlichen Istzustand in die Wertung mit einzubeziehen. Sowohl die historische Vorgabe als auch den gesellschaftlichen Istzustand in die Wertungen mit einzubeziehen, ist auch Anliegen des kulturanthropologischen Ansatzes. Auch nach dieser Lehre ist Familie dem Verfassungsstaat vorgegeben, jedoch weniger naturrechtlich als vielmehr kulturell-historisch ll . ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG ist danach fundiert in den kulturanthropologischen Vorgaben, der Persönlichkeitsentfaltung und der Menschenwürde 12 • Kultur wird jedoch nicht als ein in der Vergangenheit abgeschlossener und allenfalls aus dieser in die Gegenwart hineinwirkender Zustand verstanden. Das Ziel des kulturwissenschaftlichen Ansatzes besteht gerade darin, zu einer Neufassung des Verhältnisses von Verfassungsrecht und Wirklichkeit zu gelangen 13 • Verfassungslehre als Kulturwissenschaft begreift sich zudem als "Integrationswissenschaft" , welche die einzelnen Geistes- und Sozial-, die Norm- und die Wirklichkeitswissenschaften in die verfassungsrechtliche Diskussion integriert, soweit deren Argumente "die Sache Verfassung" betreffen 14 • Fraglich ist, ob sich aus diesen Einzelansätzen auf ein noch heute gültiges konstitutives Element der Institutionen schließen läßt. Die Anerkennung von historischem, historisch/funktionalem oder funktionalem Ansatz sowie der kulturanthropologischen Deutung hängt somit von der Beantwortung der Frage ab, inwieweit das Verständnis einer Norm ein für allemal auf ihren Entstehungszeitpunkt festgelegt ist bzw. inwieweit sie für Veränderungen im Normsubstrat oder in den Wertungsgesichtspunkten offen bleiben muß und inwieweit die jeweilige Lehre diesem Bedürfnis Rechnung trägt. Angesprochen ist damit die Problematik des Verhältnisses von historischer Betrachtung und sozialem Wandel sowie die Bedeutung sozialen Wandels für die Rechtsgewinnung und Entscheidungsfindung.
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V gl. im einzelnen die Nachweise nachfolgend unter "C". Häberle (1984), S. 2. Häberle (1984), S. 30. Häberle (1982), S. 54. Häberle (1982), S. 53.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
B. (Historische) Normvorgaben und sozialer Wandel I. Die Funktion historischer Betrachtung und die Berücksichtigung sozialen Wandels
Jl/lrgensen l5 sieht es als Aufgabe der Rechtsgeschichte an, die "Gesellschaftsentwicklung aus der Entwicklung der gesellschaftlichen Institutionen" zu erklären. Dem entspricht die Äußerung von Wesener l6 , wonach die "deutsehe (Privat-)Rechtsgeschichte der Neuzeit ... die Entwicklung privatrechtlicher Dogmen und privatrechtlicher Institutionen im deutschen Rechtsleben vorzutragen und die geistigen und sozialen Hintergründe dieser Erscheinungen zu erklären" hat. Ähnlich formulieren auch Mitteis/Lieberich 17 mit den Worten: ,,(Die Rechtsgeschichte) zeigt, daß das Recht allezeit dem Menschen geholfen hat, sich von der blinden Naturkausalität zu befreien; ... Sie (ist) eine Freirechtslehre" . Demgegenüber hat nach Wieacker 18 die Rechtsgeschichte "die Wirkung des rechtswissenschaftlichen Bewußtseins auf die soziale Wirklichkeit" zu untersuchen. Wieacker ordnet sich selbst allerdings den anderen Literaturstimmen zu, wenn er seinen selbstbewußten Äußerungen an anderer Stelle die These der "Objektivationen des sozialen Lebens gerade in Rechtsordnungen"19 hinzufügt. Rechtsgeschichte in diesem Sinne ist damit vorrangig eine Dogmen- und Institutionenkunde2o . Eine solche Rechtsgeschichte beschränkt sich auf Vergangenes. Sie befaßt sich mit einer vergangenen rechtlichen Sollensordnung21 . Diese Form von Rechtsgeschichte hat "selbst die Frage Max Webers22 noch vor sich", warum es so und nicht anders geworden ist23 . "Sie erklärt nicht, sondern beschreibt und vollzieht nach, sie begründet nicht, sondern berichtet und versteht. Die Krise des Historismus ist an ihr vorübergegangen"24. Von historischen Betrachtungen ist somit zu erwarten, daß sie den Bogen von der Vergangenheit in die Gegenwart zu schlagen vermögen. Zutreffend sieht deshalb Grimm die Bedeutung von Rechtsgeschichte in ihrem Beitrag zur Lösung des Problems von Recht und Zeit25 . Rechtsnormen entstehen in Rechtstheorie 1978, S. 63,71. WesenberglWesener (1976), S. 7. 17 (1974), S. 1. 18 (1976), S. 8. 19 Wie acker (1960), S. 6 f.; ders. in seiner Schrift "Industriegesellschaft und Privatrechtsordnung" , insbesondere S. 9 ff. 20 So zutreffend die Wertung von Bark KJ 1973, 164. 21 So die Definition von Rechtsgeschichte durch Köbler (1978), S. 1. 22 (1904), 1972). 23 So schon Bark, in KJ 1973,159 ff., 165. 24 Nachweise zur Methodendiskussion in der Geschichtswissenschaft vgl. bei Bark, in KJ 1973, 165, insbes. dort. Fn. 23 ff. 25 Grimm, ARSP (Beiheft 13) 1979, S. 13. 15
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der Regel als politische Antworten auf soziale Probleme; sie werden auf eine ganz bestimmte Vorstellung von sozialer Wirklichkeit hin formuliert 26 . Der Wandel des sozialen Kontextes einer Norm kommt bei dieser als Funktionswandel zum Ausdruck, was schwere Zielabweichungen oder Disharmonien bewirken kann27 • Ein Festhalten am historischen Sinn einer Norm bedeutete unter diesen Umständen einen Verrat des Normziels zugunsten des Normtextes28 • Somit besteht die Aufgabe von Rechtsgeschichte nicht darin, den Normsinn einer Regelung zu erkunden, um an diesem historischen Sinn bei der aktuellen Entscheidung unter allen Umständen festzuhalten. Rechtsgeschichte bietet vielmehr eine Hilfe bei der Erforschung der Entstehungsbedingungen des geltenden Rechts. Sie leistet eine Grundlage für den weiteren Vorgehensschritt in der Rechtsanwendung, nämlich für die Feststellung, ob sich der soziale Kontext inzwischen geändert hat. Insofern kann KroeschelI29 zugestimmt werden, daß "Rechtsgeschichte ... als ein Sich-Verhalten zur Vergangenheit Symptom eines ganz bestimmten Verständnisses vom Recht der Gegenwart" ist. Historische Erklärungen können allenfalls dazu dienen, die Entscheidungskriterien zu erhellen, nicht jedoch können und dürfen sie an die Stelle einer eigenen Reflexion des Entscheidenden treten. Denn eine solche Haltung ignorierte die Tatsache, daß Gesellschaft und - in ihr - die Einzelverhältnisse stetem Wandel unterworfen sind. Mit anderen Worten: Der Rückblick in die Vergangenheit hat in dem Bewußtsein zu erfolgen, daß Gegenwart nur Übergang zwischen Vergangenheit und Zukunft ist, ohne daß der Istzustand identisch wäre mit dem Vorherigen oder Künftigen. Das Substrat der Vergangenheitsanalyse ist damit nicht Selbstwert, sondern es ist zu messen an Gegenwart und Zukunft. In diesem Sinne bildet die historische Analyse eine Vergleichsebene; grundsätzlich determiniert sie jedoch nicht die gegenwärtig konkret zu treffende Entscheidung. 11. Recbtsgewinnung, Entlicbeidungsfmdung und die Berücksicbtigung sozialen Wandels
I. Ansatzpunkt rechts theoretischer Überlegungen
Zum Institutionsbegriff wurde ausgeführt, daß er so gestaltet sein muß, daß er die Berücksichtigung sozialen Wandels ermöglicht; er muß also die normative Erfassung der im historischen Ablauf bedingten "Sozialdifferenzierung" der Familie - im Gegensatz zur 2. Variante sozialen Wandels, der exogenen 26 27
28 29
Grimm, aaO. Grimm, aaO, S. 20. Grimm, aaO, S. 20. (1972), S. 10; ähnlich Seiffert (1975), S. 47, 181.
6 Moritz
82
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Veränderung des gesamtgesellschaftlichen Wertsystems30 - zulassen. Die Bedeutung von Rechtsgeschichte wurde vor allem darin gesehen, daß sie Hilfe für die Feststellung leisten kann, ob sich der soziale Kontext einer Norm geändert hat. Wie sich Veränderungen im Normsubstrat bzw. in den Wertungsgesichtspunkten im einzelnen niederschlagen, blieb bisher noch unerörtert. Dabei geht es hier nicht um eine abstrakte rechtstheoretische Abhandlung. Die vorliegende Untersuchung will konkrete Einzelkonflikte im Eltern/KindBereich lösen. Zur Entscheidung berufen ist letztlich der Richter. Den Ansatzpunkt einer rechtstheoretischen Überlegung bildet demnach die Frage nach der Bedeutung der Grundrechtspositionen und der einfachgesetzlichen Normen in der Wertung des Richters 31 , d. h. desjenigen, welcher im anhängigen Verfahren zur Entscheidung berufen ist, aber auch dessen, welcher noch vor Anhängigkeit eines konkreten Konfliktes später zur Entscheidung dieser Auseinandersetzung berufen sein könnte. Neben der normativen Ebene bzw. Sollensebene interessiert die Seinsebene bzw. Entscheidungsfindungsebene. Wegen des inneren Zusammenhangs beider Bereiche bei der richterlichen Tätigkeit sollen schon hier die notwendigen rechtstheoretischen Erläuterungen zu dem Gesamtkomplex erfolgen. Dabei kann und soll dies keine umfangreiche Methodendiskussion sein. Schwerpunktmäßig geht es darum, die Berücksichtigung sozialen Wandels rechtstheoretisch zu verorten. Im übrigen erfolgt lediglich eine Darstellung des eigenen Standpunktes im Diskussionsspektrum rechtstheoretischer Erörterungen. 2. Die Bedeutung der Grundrechtspositionen und der einfachgesetzlichen Normen sowie die Berücksichtigung sozialen Wandels in rechtstheoretischer Sicht Wird von der richterlichen Tätigkeit ausgegangen, so ist festzustellen, daß eine solche stets innerhalb eines abstrakten Wertsystems geschieht. Dieses Wertsystem ist als normativ Gesolltes zu begreifen32 . Ist das Recht schriftlich fixiert, so gilt schon für die Vorschriften des Grundgesetzes, daß diese zwar keine Änderung ihres Wesensgehaltes vertragen (Art. 19 Abs. 2 GG), daß sie im übrigen aber, was die Rechtsprechung dokumentiert, der Interpretation bedürfen33 • Ebenso erfahren die unterverfassungsrechtlichen Normen bei ihrer allbezogenen Anwendung eine konkrete Ausgestaltung; erst hier ereig30 Zu den unterschiedlichen Typen des Strukturwandels vgl. Parsons (1971), S. 35ff., 47,47ff. 31 Zu dieser Sichtweise vgl. schon: Biedenkopf (1970), S. 24; M. Stumpf (190611970), S. 30 f., m. w. N. in der dort. Fn. 1; P. Schwerdtner (1977), S. 14. 32 Geiger (1964), S. 68 ff., 227; F. Müller (1966), S. 151. Zum entspr. Ans. für die Sozialwissenschaften vgl. Albert (1965), S. 181 ff., 209. 33 Zur richterautonomen "Verfassungskonkretion" im Individualarbeitsrecht vgl. P. Schwerdtner (1980), S. 116.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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net sich der tatsächliche Sozialbezug der abstrakten normativen Wertung. Herzog 34 beschreibt diesen Vorgang zutreffend als einen, "bei dem nicht nur der Inhalt des Rechtssatzes die richterliche Beweiserhebung, sondern umgekehrt auch deren Ergebnisse bzw. Zwischenergebnisse die Ermittlung des Obersatzes nachdrücklich beeinflussen", wobei "die rechtsprechende Gewalt ... bei der Ermittlung des Obersatzes, d. h. der auf den konkreten Sachverhalt anzuwendenden Rechtsnorm, gestaltend, ja rechtsschöpfend wirkt". Bei dieser Gewinnung des Obersatzes scheiden positivistische Ansätze 35 sowie die Vorstellung einer verbindlichen Entscheidung des Einzelfalles durch Subsumtion unter Vorgegebenes im Sinne einer Zuordnung nach mathematisch-naturwissenschaftlichem Muster aus36 • Eindeutige Entscheidungen aufgrund kognitiver Tätigkeit des Rechtsanwenders bilden die Ausnahme. Schon die Sachverhaltskonstruktion hat dezisionistische Elemente. Nur im Idealfall scheiden dabei volitive Aspekte aus. Der Streitgegenstand ist Ergebnis kommunikativen Austauschs zwischen Parteien und Richter, unter Einbeziehung dessen, wie diese die ins Auge gefaßten Bezugsnormen verstehen 37 • Der herangezogene Gesetzestext ist daher als solcher für die Entscheidung in der Regel nicht eine eindeutig schriftlich fixierte Norm, sondern ein aufgrund kommunikativen Aktes der Beteiligten bereits zur Subnorm modifizierter Rechtssatz. Diese Umformung setzt sich in der fol34 35
MDHS, Art. 92, Rn. 26. Zu deren Varianten vgl. Adomeit, ZRP 1970, 176; vgl. auch P. Schwerdter (1977),
S.13.
36 Anders aber Dohna (ARSP 33), S. 65 ff.; Emge (1925), S. 82; Klug (1966), und Sauer (1944), S. 8 und 11 ff., welche unter dem Begriff "juristische(r) Logik" Gedanken der Begriffsjurisprudenz und positivistische Ideen zu aktualisieren suchen. Kisza(1975), insbesondere S. 100 ff. - hält schließlich eine Rechtfindung nach kybernetischem Modell für möglich. Diesen Auffassungen widerspricht zu Recht Simitis. Er definiert Logik als die Wissenschaft von den Gesetzen (jedes) richtigen Denkens - Simitis (1960), S. 53; ebenso Otte (1971), S. 8 -. "Juristische Logik" hat unter dem Begriff der "Sachlogik" Dimensionen nur der "allgemeinen Logik" - vgl. Esser (1972), S. 73, 109; s. auch schon Ehrlich (1925, 1966), S. 287 f. sowie Simitis (1960), S. 63-. Endgültig formalisieren kybernetische Modelle das Rechtsfindungsverfahren. Derart technische Rechtsfindung setzt das Bestehen eines unabänderlichen Gebäudes rechtlicher Begriffe voraus. Ein solches Gebilde wäre aber niemals in der Lage, auch nur annähernd der sich unablässig wandelnden gesellschaftlichen Situation, ihren neuartigen Fragestellungen und Problemen gerecht zu werden - Simitis (1966), S. 9 -. Ebenso haben Rechtsnormen - gleichviel ob als Gesetzes- oder Entscheidungsinhalt - niemals eine voraussehbare endliche Zahl von Fällen zum Gegenstand, sondern stets eine nach Gestalt und Bedeutung von der gesellschaftlichen Entwicklung abhängige AnzahlSimitis (1966), S. 10 -. Kisza - (1975), S. 109 - sieht sich dann auch genötigt, "zahlreiche soziologische Beobachtungen" auszuklammern. Kybernetische Systeme können sicherlich als empirische Zulieferer fruchtbare Arbeit leisten, nicht geeignet sind sie indes als den Richter ersetzende Entscheidungsfinder - ähnlich Zippelius (1974), S. 118-. 37 Diesen Aspekt klammert Adomeit (ZRP 1970, S. 176 ff., 178) bei seinem ,,12Operationen-Modell der Rechtsfindung" aus.
6*
84
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
genden Entscheidungsfindungsperiode in unterschiedlicher Stärke fort 38 , je nachdem, ob die gefundene Subnorm eine (anscheinend eindeutig) anwendbare TextsteIle bietet oder ob sie interpretationsbedürftig ist; den Extremfall bildet die Feststellung der Nichtregelung39 • Wenn richterliches Umgehen mit Normen per se nicht nur Ableitung, sondern Interpretation ist, so ist zu fragen, wie sich dies mit der Vorstellung von einer normativen Sollensordnung verträgt. Dabei wird hier auf eine detaillierte Methodendiskussion verzichtet40 • Für eine Verortung der Berücksichtigung sozialen Wandels genügt es, die von der normativen Sollensordnung gegebenen Grenzen zu fixieren sowie aufzuzeigen, wo sich in einem rechtstheoretischen System der Wandel des sozialen Kontextes einer Norm umsetzt. Der damit angesprochenen Frage nach der Reichweite der geschriebenen Norm wurde in zahlreichen Beiträgen nachgegangen. Ansatzpunkt ist dabei die Differenzierung der Normstruktur. So unterscheidet Canaris41 zwischen "Bedeutungskern" und ,,-Hof", wobei er den "möglichen Wortsinn" der gesetzlichen Regelung als äußerste Interpretationsgrenze versteht. Von Huber42 u. a. 43 wird für das Verfassungsrecht zwischen einerseits dem "Wortund Satzgebilde" sowie andererseits dem "Sinngebilde objektiven Geistes" unterschieden, wobei Auslegung allgemein als "Ergänzung des Geschriebenen" qualifiziert wird. Lerche macht anhand der (oftmals lehrformelhaften) Normtexte der Grundrechtsnormen deutlich, daß es zur Erfassung des normativen Bereiches einer Vorschrift nicht genügt, die begrifflichen Elemente des Normtextes in Kategorien zu gliedern; es komme auf die Strukturen des Materials an, welches vom Rechtssatz erfaßt werde44 . Diesen Gedanken greift F. Müller auf, indem er eine Rechtsnorm nach Normbereich und den normativen Leitgedanken des Normprogramms differenziert45 • Normbereich ist dabei definiert als ein "realmöglich formulierter Komplex aus der Realität gewonnener Strukturelemente, die in aller Regel schon rechtlich geformt oder mitgeformt erscheinen"46. Normbereich und Normzweck sieht Müller im Normtext angedeutet47 • Der Normtext wird damit erster Ansatz und Richtpunkt der Konkretisierung48 • Entsprechend Canaris49 sieht auch Müller den Normtext 38 P. Schwerdtner (1977), S. 26, spricht zutreffend vom "normvollendenden" Charakter der Gesetzesauslegung. 39 Entsprechend Adomeit, aaO, S. 178 unter ,,1". 40 Vgl. aber schon die Ansätze bei Moritz (1974), S. 29 ff. 41 (1964), S. 19 ff., 22, m. w. N. in der dort. Fn. 15. 42 (1955), S. 95 ff., 107. 43 Vgl. die Nachweise bei F. Müller (1966), S. 149, Fn. 461. 44 Lerche (1961), S. 326,335 ff. 45 F. Müller (1966), S. 150. 46 F. Müller (1966), S. 152, 187. 47 aaO, S. 156. 48 F. Müller (1966), S. 156. 49 (1964), S. 22.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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als äußerste Grenze irgendmöglicher Sinndeutung5o . Dabei sei jedoch die Positivität des Rechts nicht identisch mit jener der Normtexte 51 , da etwa eine Diskrepanz zwischen Normtext und dem Willen der Normautoren möglich ist, so daß die konkretisierende Rechtsfortbildung (nur) nicht im nachweisbaren Gegensatz zu den Verständnismöglichkeiten des Normtextes stehen dürfe 52 . Die Konstruktion von F. Müller stellt zugegeben nur einen Rahmen dar für eine Anzahl von Detailfragen (etwa nach dem Verhältnis von subjektiver und objektiver Auslegung oder jene nach Verhältnis und Reichweite des Savigny'sehen Auslegungskanons ). Indem Müller von einer engen Verbindung von Normtext und normativen Leitgedanken ausgeht und indem er sogar eine Rückwirkung der Normbereichsanalyse auf das Normprogramm in der Weise für möglich hält, daß die normativen Leitgedanken (zumindest fallbezogen) zu variieren seien53 , relativiert er selbst die von ihm beschworene stabilisierende Funktion des Normwortlauts im demokratischen Rechtsstaat 54 . Diese relative Offenheit entspricht aber gerade der oben aus der historischen Sicht begründeten Feststellung, daß es, um ein Obsoletwerden von Rechtsnormen zu vermeiden, geboten sein kann, bei der aktuellen Entscheidung nicht an dem historischen Normsinn festzuhalten. Insofern berücksichtigt dieser Ansatz die normative Seite, "indem er Norm als Gesolltes, den Normbereich gedanklich antizipierendes, ihn konturierendes und normativ überformendes Ordnungsmodell qualifiziert"55; zugleich vermag er durch die Differenzierung in Normprogramm und Normbereich über letztere das Problem von (historischem) Normsinn und dem sich ändernden gesellschaftlichen Kontext gedanklich zu lösen. Der Ansatz wird deshalb hier übernommen. Lerche56 war bei seinen Überlegungen vom Normtext der Grundrechtsnormen ausgegangen. Bei Verfassungsnormen sind Normbereich und Normtext nicht ähnlich konkret abgebildet wie bei Spezialvorschriften. So ist der Normbereich bei ,Familie' in Art. 6 Abs. 1 GG im Normtext allein durch ein Stichwort evoziert57 . Dies rechtfertigt jedoch nicht, das Grundrecht nur als abstrakte Richtlinie zu begreifen58 . Die Grundrechte sind Basisdoktrinen59 . Zugleich (wert-)ordnen sie das Rechtsleben; das Beispiel ,Familie' zeigt ihre Konkretisierungsbedürftigkeit60 • Insofern ist der Bewertung von H. Huber61 50 51
52 53 54
55 56 57 58
59 60
(1966), S. 151,158,160. F. Müller (1966), S. 159. F. Müller (1966), S. 160, m. w. N. in der dort. Fn. 495. F. Müller (1966), S. 185. aaO, S. 155. F. Müller (1966), S. 152. (1961), S. 326 ff. F. Müller (1966), S. 156, 160. Vgl. aber z. B. v. Hippel (1965), S. 15 f. m. w. N. Garrn (1973), S. 33; Häberle - (1983), S. 4 - spricht von "Höchstwerten". Allgemein zum Erfordernis der Grundrechtsausgestaltung vgl. Hamel (1971).
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
zuzustimmen, daß die Verfassungs- und Grundrechtsauslegung die Struktur der Normativität und die Verschiedenheit der Mischungsverhältnisse von Leitgedanken und Normbereich im Normtext nur besonders deutlich machten, so daß sie sich zwar graduell, nicht aber grundsätzlich von der Konstruktion außerverfassungsrechtlicher Vorschriften unterscheiden. So gewährleisten nur die Grundrechte den besonderen staatlichen Schutz und haben an der Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG teil. Insoweit handelt es sich um nicht politisierbare Normbereiche 62 . Es sind sachlich spezifische und in ihrer sachlichen Besonderheit verfassungsrechtlich anerkannte Bereiche, die jedoch bei ,Ehe' und ,Familie' einer rechtlichen "Ausgestaltung nicht nur an ihren Grenzen, sondern auch in (den) inhaltlichen Grundzügen zugänglich sind"63. Jedenfalls für die Grundrechte des Art. 6 GG ist damit die Normstruktur im Normprogramm und Normbereich gegeben; dabei umfaßt der Normbereich der konkreten Verfassungsvorschrift allerdings nur Grundstrukturen 64 • Für die Partikulärordnung gilt die Verfassung als Maßstab und zu respektierende Wertordnung65 . So darf sich konkretisierende Rechtsfortbildung nicht nachweisbar im Gegensatz zu den Verständnismöglichkeiten des Verfassungstextes setzen66 • Die Verfassung trifft die erste Begrenzung für die Bestimmung des normativ Gesollten. Im übrigen gilt die skizzierte Differenzierung nach Normprogramm und Normbereich. Der Normbereich als realmöglich formulierter Komplex aus der Realität gewonnener Strukturelemente bezieht sich auf einen Ausschnitt der tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten, für den die Norm und der auch für die Norm bestimmend ist67 . Damit stellt sich der Normbereich als Einfallstor für sozialen Wandel in die Rechtsnorm dar. Die Berücksichtigung von sozialem Wandel unter Beachtung der normativen Zielvorstellungen erhöht die Geltungssubstanz der Vorschrift. Auch wenn im Einzelfall sozialer Wandel über die Umgestaltung des Normbereichs zu SinnVariationen der normativen Leitgedanken des Normprogramms führt 68 , unterwandert dies nicht Normativität, sondern befestigt diese wegen des wieder hergestellten sozialen Kontextes69 . Eine Besonderheit bilden Generalklausein und unbestimmte Rechtsbegriffe. Sie bestehen nur aus Normprogrammen70 und enthalten zugleich einen Auftrag an die Richter, die Norm (1955), S. 108 f.; zustimmend F. Müller (1966), S. 166. F. Müller (1966), S. 220 ff. m. w. N.; vgl. auch Häberle (1981), S. 52 m. w. N. in dort. Fn. 109. 63 F. Müller (1966), S. 221. 64 Vgl. H. Huber (1955), S. 108 f.; F. Müller (1966), S. 160,166. 65 Vgl. schon im 3. Abschnitt dieses Kapitels. 66 F. Müller (1966), S. 160 rn. w. N. in dort. Fn. 495. 67 F. Müller 81966), S. 163, 171. 68 F. Müller (1966), S. 185. 69 F. Müller (1966), S. 185; vgl. auch Grimm ARSP (Beiheft 13),179, S. 20. 70 F. Müller (1966), S. 166,202. 61
62
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durch Fixierung des Normbereichs zu konkretisieren71 • Dieser latente Konkretisierungsauftrag bedingt eine jeweils neue Rückbeziehung zum geregelten Gesellschaftsausschnitt, auch und gerade wenn den Vorschriften im Laufe längerer Rechtstradition durch Lehre und Rechtsprechung typisierte Normenbereiche und Normbereichskomplexe "anwachsen"72. Wegen der vom Gesetzgeber gewollten Auslegungsoffenheit findet eine relative Verfestigung allenfalls in den Grundstrukturen des Normbereichs statt - z. B. nach Maßgabe normativer Gesichtspunkte zu berücksichtigende psychologische Grundbedingungen des ,Kindeswohls' . Der soziale Kontext bildet eine ständige Bezugsebene des Konkretisierungsauftrages, so daß die Berücksichtigung sozialen Wandels zur Daueraufgabe wird. Es ist dem Richter überlassen, die konkrete Norm zum betroffenen Gesellschaftsausschnitt in Bezug zu setzen. Der Richter ist zudem interaktionistisch eingebunden in den Meinungsstreit der Parteien. Dabei ist heute unbestritten, daß die Komplexität des Rechts dazu führt, "nicht nur die Rechtsetzung, sondern auch die Rechtsanwendung als einen mehrdimensionalen, pluralistischen Vorgang zu verstehen", der letztlich "die Autonomie der Rechtswissenschaft sprengt und sie an andere Disziplinen verweist"73. Für den Richter bedeutet dies, daß er zu prüfen hat, ob der zu beurteilende Lebenssachverhalt eindeutig normativ geregelt ist oder ob es sich, wie bei der ,Familie', um einen (als Typus) vom gesellschaftlichen Wandel beeinflußten Gegenstand handelt, welcher der Konkretisierung bedarf. Im letzten Fall hat sich der Richter die Sachgesetzlichkeiten des normativ geregelten Gesellschaftsausschnittes im Rahmen einer normrationalen Strukturanalyse mit Hilfe der Nachbarwissenschaften zu erschließen; für den Eltern/Kind-Bezug geschieht dies mit Hilfe vor allem von Psychologie, Soziologie und Pädagogik. Entsprechendes gilt für das Verhältnis Richter-Parteien. Richtiges Verstehen der Parteiäußerungen setzt voraus, daß die Besonderheiten der Kommunikation im Verhältnis RichterPartei berücksichtigt werden, wie etwa die Wirkungen der "Zwangskommunikation", Verständigungsprobleme aufgrund der unterschiedlichen Schichtzugehörigkeit etc. 74. 111. Konsequenzen für die Frage der Berücksichtigung sozialen Wandels
Für die Ausgangsfrage nach der Berücksichtigung sozialen Wandels ergibt sich, daß die Norm, auch die Verfassungsnorm, grundsätzlich nicht auf den historisch vorgefundenen gesellschaftlichen Zustand festgeschrieben ist. Der Teubner (1971), S. 43 f., 118. F. Müller (1966), S. 166. 73 Vgl. Grimm ARSP (Beiheft 13), 1979, S. 18 f.; Huber (1955), S. 107; F. Müller (1960), S. 190,202 ff. 74 Zur Problematik vgl. die Untersuchungen von Badura (1971); Cicourel (1975); Garfinkel (1967); Lautmann (1971); ders. (1972), sowie Luhmann (1969). 71
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
von einer Rechtsnorm geregelte Ausschnitt sozialer Wirklichkeit ("Normbereich") ist vielmehr Normbestandteil, so daß ein Wandel im Normbereich für die Sinndeutung der Norm unmittelbar relevant werden kann. Daraus resultiert keine Schwächung des Rechts, sondern im Gegenteil eine Stärkung, da die Wirkungskraft der Norm auch unter gewandelten Verhältnissen erhalten bleibt. Voraussetzung dafür ist freilich, daß am Normziel als der interpretatorisch unverfügbaren Konstante festgehalten wird. Für den Begriff der Familie ergeben die rechtstheoretischen Überlegungen: Der normative Leitgedanke des Art. 6 Abs. 1 GG besteht in dem besonderen staatlichen Schutz der Institution ,Familie'. Fraglich ist, ob Art. 6 Abs. 1 GG darüber hinaus eine bestimmte seinsmäßige Ordnung schützen wollte. Im Grundgesetz selbst oder in den Materialien ist der Begriff der Familie nicht definiert75 • Art. 6 GG knüpft zwar an vorstaatliche, naturgegebene Ordnungen an, der Begriff der ,Familie' selbst weist aber auf das positive Recht hin76 . Möglich wäre somit, daß das Grundgesetz ,Familie' in der Ausprägung schützen wollte, wie diese zu Zeiten der Arbeiten am Grundgesetz bestand. Da die tragende Funktion des Grundgesetzes in der Gewährleistung von Stabilität liegt (Art. 79 GG), kann von einer Festschreibung der vorgefundenen Ausprägung der Institution allerdings nur ausgegangen werden, wenn eine solche Festschreibung ihrerseits mit dem Stabilitätsziel vereinbar wäre. Eine Orientierung an dem vorgefundenen historischen Familienbegriff favorisieren der historische sowie der historisch-funktionale Ansatz, die im folgenden zunächst erörtert werden:
c. Historischer und historisch-funktionalistischer Ansatz I. Anknüpfung an den historisch vorgefundenen Familienbegriff?77
Das Wort ,Familie' ist um 1700 als ein Fremdwort ins Deutsche aufgenommen worden 78 . Entsprechend dem lateinischen ,familia' bezieht es sich im Ursprung auf das Haus und bezeichnet die Gemeinschaft der zum Hause Gehörigen 79 . Zuordnungssubjekt ist im lateinischen der "pater familias"80. Dem entspricht der Hausvater nach älterem deutschen RechtS1 • Vollbürger ist 75 Vgl. die Materialien. Siehe auch die gleiche Einschätzung durch Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 14. 76 Ebenso Maunz, aaO. 77 Gegenstand der Arbeit ist vor allem das (zivil-)rechtliche Verhältnis von Eltern und Kindern. Bei der historischen Betrachtung gebührt deshalb schon hier der Periode der Vorarbeiten zum BGB besondere Aufmerksamkeit. 78 Günther (1951), S. 13. 79 Reichelt in: Zeitschrift für vergleichende Sozialforschung, Bd. 46 (1914), S. 344 ff. 80 Günther (1951), S. 14.
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nur der Familienvater, d. h. der freie landbesitzende Familienvater82 . Zutreffend kann deshalb von einem im Ursprung patriarchalischen Familienbild gesprochen werden und, daraus folgend, in Ansehung der Familie als Keimzelle der sozialen Gemeinschaft, gleichfalls von einer väterbestimmten Gesellschaftsstruktur . Schon seit der Mitte des 18. Jahrhunderts ist die Entwicklung zur modernen Kernfamilie (= Vater und Mutter mit ihren "unmündigen" Kindern83 - wobei die Problematik in der Definition der Mündigkeit liegt; diese war nach bürgerlichem Verständnis grundsätzlich erst mit dem legitimierten Verlassen des Elternhauses gegeben84) hin festzustellen. In dieser blieb die patriarchalische Struktur jedoch zunächst noch erhalten85 • Erst mit dem industriellen Zeitalter wurden die patriarchalischen Strukturen in weiten Kreisen der Bevölkerung als Folge der ökonomischen Verhältnisse erschüttert. Das Gesinde entzog sich in Konsequenz der Binnenwanderung von Ostdeutschland ins Ruhrgebiet 86 dem Patriarchat des Großgrundbesitzers. Das Erfordernis der Kinder- und Frauenarbeit zur Sicherung der Akkumulation des Kapitals sowie des Lebensnotwendigsten für die neu entstandenen Arbeiterfamilien87 beenden für diesen Teil der Bevölkerung das Patriarchat auch im Rahmen der Kleinfamilie. Denn Patriarchat ist im Ursprung Haus-Herrschaft und als solche verbunden mit der Wahrnehmung der Sorgeverpflichtung. Beide Voraussetzungen waren bei der "Arbeiter"-Familie nicht mehr erfüllt. Im Mittelstand bildete dagegen der patriarchalische Hausstand noch längere Zeit die Norm 88 . Das große Gesetzeswerk der Zeit, das BGB, widerspiegelt gerade in seinem familienrechtlichen Teil die im Bürgertum des 19. Jahrhunderts noch existenten Verhältnisse89 . Dies mag mit den am Gesetzge81 Kluge's Etymologisches Wörterbuch, hrsg. von A. Götze, 1934, S. 242 unter "Heirat". Zur "munt" des Hausherrn nach altgermanischem Recht vgl. im einzelnen Planitz (1925), S. 114 ff. 82 Vgl. schon Gierke (1968), Bd. 1, S. 90; s. im einzelnen bei Günther (1951), S. 13 ff., 16. 83 G. P. Murdoc (1949), S. l. 84 Vgl. etwa die Ausführungen in den Motiven zu dem Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. VI, Berlin und Leipzig 1888; dort wird auf S. 704 wie selbstverständlich vom Fortbestehen der Hausgemeinschaft ausgegangen mit den volljährigen noch nicht verheirateten Kindern, wie Töchtern, denen "nach den Verhältnissen des Standes die Ergreifung eines eigenen Erwerbszweiges nicht zugemutet werden kann", Gebrechlichen und schließlich Kindern, die vermöge der besonderen Art ihres Berufes zum Zeitpunkt der Volljährigkeit die Fähigkeit, sich selbst zu unterhalten, noch nicht erlangt haben. 85 Schwägler (1970), S. 15-17. 86 Sombart (1903), S. 395,422. 87 Zur sozialen Lage der Arbeiterfamilie in den einzelnen Perioden der industriellen Entwicklung vgl. die zusammenfassende Darstellung bei Halisch (1959), S. 11 sowie S. 12, Fn. 62-68. 88 König, KZfSS 1966, S. 5 ff.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
bungsverfahren Beteiligten zu tun haben. Zu ihnen gehörten in beiden Kommissionen keine Vertreter der Arbeiterschaft90 • Festzustellen bleibt jedenfalls, daß das BGB in seinem Familienbild Sozialstrukturen wiedergab, welche nur noch auf Teile der Bevölkerung zutrafen und deren weitere Zurückdrängung absehbar war. Insoweit ist den Wertungen zuzustimmen, daß das Bürgerliche Gesetzbuch schon veraltet gewesen sei, als es verkündet wurde9l , daß es ein Werk "wissenschaftlicher Spätreife"92, ein "Kind des 19. Jahrhunderts" sei93, welches "keinen Beginn, sondern den Abschluß einer bestimmten Phase unseres Rechtslebens (darstellt)"94. Seine Bedeutung liegt in seiner ursprünglichen Fassung im Anstoß zur Rechtsvereinheitlichung wie in der technischen Leistung95 . In seiner Anwendung bedurfte es hingegen von Anbeginn der interpretativen Aktualisierung96 , welche insbesondere die ignorierten realen gesellschaftlichen Gegebenheiten nachzuarbeiten hatte. Für die historische Betrachtung im Rahmen der Frage nach dem verfassungsrechtlichen Familienbild ergibt sich daraus, daß auf ein solches jedenfalls nicht aus dem BGB geschlossen werden kann, welches der Verfassungsgeber bei der Verabschiedung des Grundgesetzes vorfand. Denn die Normen des Bürgerlichen Gesetzbuches entsprachen im Jahre 1949 weitgehend jenen der Erstfassung. Die Erstfassung hatte jedoch schon zu Zeiten ihres Inkrafttretens nur noch partiell im sozialen Kontext gestanden. 11. Historisch-funktionalistisc:her Ansatz
Im Gegensatz zum historischen Ansatz bilden beim historisch-funktionalistischen Ansatz nicht die Gesamtheit des vorgefundenen Familienbildes, sondern die diesem Bild beigegebenen Funktionen die Anknüpfungspunkte. Auch unter Juristen gilt heute die Feststellung als unbestritten, daß Familie primär ein soziales Phänomen sei97 . Der von Art. 6 Abs. 1 GG vorausgesetzte Rechtsbegriff der Familie98 - und entsprechend jener des BGB99 - wird im 89 Vgl. z. B. die Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. IV, Berlin und Leipzig 1888, S. 704 f. 90 Vgl. dazu die heftige Kritik des SPD-Abgeordneten Stadthagen vor dem Deutschen Reichstag (sten. Bericht des Deutschen Reichstages über die 1. Lesung, 164-167) sowie des Abgeordneten Bebel (sten. Bericht über die 2. Lesung, S. 687 f.). 91 Wesenberg/Wesener (1976), S. 191 f.; A. Wolf, ZRP 1978, 251; ähnlich auch Schwark, JZ 1980, 742. 92 Wesenberg/Wesener (1976), S. 191; Wieacker (1953), S. 16. 93 Boehmer (1965), S. 83. 94 Dahm (1963), S. 490; vgl. zu allem Bark, KJ 1973, 158 ff., 162. 95 Wesenberg/Wesener (1976), S. 192. 96 Wesenberg/Wesener (1976), S. 191 f.; A. Wolf, ZRP 1978, 251; vgl. auch Schwark, JZ 1980, 742. ~ Vgl. etwa Beitzke, Familienrechtslehrbuch, § 3 I; Gernhuber (1980), § 1 11; v. Münch, Art. 6, Rn. 1.
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engen Zusammenhang mit dem in der Wirklichkeit vorgefundenen Sozialgebilde und dem von Sozialwissenschaften und Politik geprägten Begriff gesehen 1OO • Es wird festgestellt, daß die Familienpolitik den Rechtsbegriff der Familie mit ihren Zielsetzungen auflädt 101 , und es wird anerkannt, daß sozialwissenschaftliche Erkenntnisse auch für die rechtliche Beurteilung Bedeutung haben 102 • Bei den in Bezug genommenen Sozialwissenschaften bedient sich die juristische Literatur vor allem historisch/funktionalistischer Ansätze; dabei wird aus bestimmten historischen Familienfunktionen axiomatisch auf einen normativen Familienbegriff geschlossen. So wird als historisch gewachsen und für die heutige Betrachtung axiomatisch die "Kleinfamilie" empfunden, welche aus den durch Ehe verbundenen Eltern 103 mit ihren (in der Regel unmündigen 104 und grundsätzlich leiblichen 105 ) Kindern bestehe. Auf die Problematik, aus geschichtlichen Abläufen den Seinszustand verbindlich und bestandskräftig zu definieren, wurde in den rechtstheoretischen Ausführungen 106 hingewiesen. Gleichermaßen unbefriedigend bleibt eine funktionalistische Behandlung des Begriffs ,Familie', da auch diese deterministisch ist. Funktionalistisches Vorgehen setzt ,Familie', und zwar die ,KernFamilie'l07, als Axiom voraus; dem entsprechen weitgehend die juristischen Stellungnahmen, indem diese die Begriffe "Kern-" und "Kleinfamilie" als identisch verwenden 108 •
Schwab (1984), S. 1; vgl. auch Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 14. Vgl. Schwab, aaO, S. 2. 100 So die maßgebende Literatur zum Familien- und Verfassungsrecht; vgl. ausdrücklich etwa: Beitzke, Familienrechtslehrbuch, § 3 I; Dölle (1964), Bd. 1, § 211; Gernhuber (1980), § 111; v. Münch, Art. 6, Rn. 1; Pirson im BK, Art. 6, Rn. 20 ff., 27; Stein (1978), S. 232; Schwab (1984), S. 2; tendenziell auch BVerfGE 36, 132 ff. 101 Ausdrücklich Schwab, aaO, S. 2. 102 Wie Fn. 100. 103 So als Grundsatz: Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 16; HamannlLenz, Art. 6, Anm. B 1; v. Münch, Art. 6, Rn. 4; BVerwGE 14, 30; ModellMüller, Art. 6, Anm. 2; Klein in v. MangoldtIKlein, Art. 6, Anm. 11 5. 104 Volljährigkeit soll indes nach h. M. die Klassifizierung als ,Familie' nicht beenden; so: Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 16; HamannlLenz, Art. 6, Anm. B 1. 105 Vgl. Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 16. 106 In diesem Paragraphen unter "B I". 107 Neidhardt - (1970), S. 7 - bezeichnet die ,Kernfamilie' als Zentralbegriff der (funktionalistischen) Familiensoziologie. Durchaus nicht nur hypothetisch ist die funktionalistische Vorstellung, daß die ,Kernfamilie' als (gesättigte) soziale Einheit aus Vater, Mutter, Sohn und Tochter bestehe - vgl. Neidhardt (1970), S. 9 f. 108 Kritisch zur identischen Benutzung von "Kern-" und "Kleinfamilie": König (1976), S. 54 f. Um Verwirrung zu vermeiden, kann hier dem funktionalistischen Definitionsversuch der Kernfamilie als "Gruppe von Mann und Frau mit ihren unverheirateten und unmündigen Kindern" (König (1976), S. 55) gefolgt werden. Kleinfamilie wäre im Gegensatz dazu zu begreifen als "Zusammenschluß eines Erwachsenen mit einem Kind oder mehreren Kindern". 98 99
92
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Dem Ausgangsphänomen werden sodann empirisch feststellbare Wirkungen zugeordnet, aus welchen auf die Funktionen des Bezugsobjektes geschlossen wird. Das Denkschema läßt sich wie folgt skizzieren 109 :
i
Grundphänomen
I
FAMILIE
FunktionllO) (Wirkung)
~
FORTPFLANZUNG
~
ERZIEHUNG
I
Integration..
(H"k~~
Industrielle Gesellschaft
OBJEKTE (Zeugungsfamilie )
Das Schema verdeutlicht die Zuordnung bestimmter Funktionen zur Familie; diese Zuordnung und Familie als solche werden im historisch/funktionalistischen Ansatz nicht mehr hinterfragt; die Funktion der Familie als natürliches Integrationsorgan der Gesellschaft wird dabei unterstellt. Es liegt auf der Hand, daß eine Theorie, welche das ,strittige' Phänomen als tatsächlich existent genügen läßt, ungeeignet ist, eine Erklärung der Erscheinung zu erbringen. Erst recht können Abweichungen nicht mehr erklärt werden. Dies führt dazu, daß Varianten, sofern sie dem vorausgesetzten Modell nicht entsprechen, also abweichen, als dysfunktional disqualifiziert werden. Entsprechend dieser Abstufung wird - weil (rest-)funktional- als ,Familie' im Sinne des Art. 6 Abs. 1 GG jede Art der ,Rest-Familie' angesehen; so etwa Kinder mit einem Elternteil nach Tod, Scheidung oder Trennung des anderen Ehepartners lll . Zweifel über die Qualifizierung als ,Familie' bestehen im herrschenden funktionalistischen Verständnis bei sogenannten "von vornherein ,unvollständigen Familien'" (uneheliche Mutter mit Kind 112 ; unehelicher Vater mit Kind 113). 109 Zum funktionalistischen Ansatz' in der Familiensoziologie vg!. grundlegend: Goode (1967), insbesondere S. 13 ff., 76 ff. 110 Im einzelnen zählt Goode - aaO, S. 19, unter ,,7" - die Funktionen auf a) Reproduktion, b) Statuszuweisung, c) Sozialisierung und soziale Kontrolle, d) biologische Erhaltung des Individuum und e) emotionale und wirtschaftliche Erhaltung des Individuums. 111 So Maunz in MDHS, Art. 6, Anm. 16; Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 6, Rn. 6 mit BayObLG NJW 1969, S. 1767; v. Mangoldt/Klein, Art. 6, Anm. III 5; Wemicke in BK, Er!. II 1 a zu Art. 6. 112 Bejahend: Krüger (1972), S. 341; Maunz aaO; HamannlLenz mit BVerwGE 15, 28; v. Münch, Art. 6, Rn. 4; Pirson in BK, Art. 6, Rn. 24; Scheffler (1972), S. 252. Wohl a. A.: BVerwGE 14, 30; v. MangoldtiKlein, Art. 6, Anm. III 5. 113 So KnöpfeI, FamRZ 67,581; Maunz aaO; v. Münch aaO; Pirson aaO.
4.
Abschn.: Medium ,Familie'
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Unter historisch/funktionalen Gesichtspunkten kann schließlich überhaupt nicht mehr verbindlich beantwortet werden, wie sonstiges Zusammenleben von Erwachsenen mit Kindern zu beurteilen ist (ob etwa im selben Haushalt zusammenwohnende Enkel und Großeltern unter den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG fallen 114 oder gar eine auf Dauer angelegte nichteheliche Gemeinschaft von Erwachsenen 115). Ob schließlich bei einer Integration des Kindes in eine Pflegefamilie auch diesem Zusammenschluß der Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG zukommen soll und wie das Verhältnis von natürlicher Familie und Pflegefamilie ist, kann im bisherigen funktionalistischen Ansatz nur dann (nämlich zu Lasten der Pflegefamilie) beantwortet werden, wenn die der Familie zugewiesenen Funktionen eine blutsmäßige Verbindung von Eltern und Kindern bedingen. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nicht der Fa1l 116 • Das Gericht befürwortet einen prinzipiellen Vorrang der natürlichen Elternschaft l17 ; die Einbeziehung der Pflegefamilie in den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG hält das Gericht jedoch grundsätzlich für möglich 118 • Diese Entscheidungen zeigen, daß Art. 6 GG an naturgegebene Ordnungen anknüpft. Auch das Bundesverfassungsgericht geht jedoch nicht davon aus, daß Art. 6 GG eine Seinsordnung der Familie schützen wollte, welche die Blutsverwandtschaft als unverzichtbares Merkmal voraussetzt. Andererseits liefert der historisch/funktionalistische Ansatz für eine Reihe von Fällen keine eindeutige Antwort auf die Frage, ob der konkrete Zusammenschluß am Grundrechtsschutz des Art. 6 GG teilhaben soll oder nicht. Somit ist festzustellen: Das Normziel des Art. 6 Abs. 1 GG besteht in dem besonderen staatlichen Schutz des als Familie zu bezeichnenden Zusammenschlusses. Familie knüpft an vorstaatliche, natürliche Ordnungen an. Die Blutsverwandtschaft zwischen den Familienmitgliedern bildet nach der Rechtsprechung des BVerfG jedoch kein unverzichtbares Merkmal der Institution ,Familie'. Naturrechtlicher, historischer sowie funktionalistischer Ansatz, einschließlich ihrer Mischformen, liefern keine eindeutigen Entscheidungskriterien; sie vermögen gesellschaftlichen Wandel, jedenfalls aber dessen Genese, nicht oder nur unvollständig zu berücksichtigen. Dies führt zu Wertungsunsicherheiten, welche ihrerseits dem Normziel der Sicherung staatlicher Ordnung widersprechen. Diese Frage hat das BVerfG in BVerfGE 39,326 offen gelassen. Ablehnend für eine bloße Geschlechtsgemeinschaft das BVerfG in seiner Entscheidung vom 14. 11. 1973, BVerfGE 36,146/147. 116 BVerfG NJW 1985, 423. 117 BVerfG, aaO. 118 BVerfG NJW 1985, 423, 425; vgl. auch schon die Stellungnahme in gleicher Richtung in BVerfGE 60, 79,94. 114 115
2. Kap.: VerfassungsrechtJiche Bewertung
94
Erforderlich ist somit eine Theorie, welche gesellschaftlichen Wandel nicht diskriminiert, sondern diesen im Denkansatz akzeptiert und in seiner Genese registriert, die andererseits aber die von der Rechsordnung geforderten normativen Gesichtspunkte der Verbindlichkeit und Vorhersehbarkeit berücksichtigt. Die Akzeptierung von Vorgegebenem unter gleichzeitiger Berücksichtigung der erfahrbaren Wirklichkeit ist Zielsetzung des kulturanthropologischen Ansatzes. D. Der kulturanthropologische Ansatz I. Die Unterscheidung zwischen Erscheinungsform und Originärität
Der kulturanthropologische Deutungsversuch knüpft an die menschheitsgeschichtlichen Vorgaben an. Zugleich wird die soziale Wirklichkeit, in einem tieferen Sinne, nämlich als kulturelle Wirklichkeit 119 , in die Deutung mit einbezogen. Im ganzen sei "der Begriff der Familie ,i. S. des GG' durch eine Vielfalt von Erscheinungsformen der Familie als kultureller Gestalt gekennzeichnet"12o. Die Bezugnahme auf eine Vielfalt von Erscheinungsformen der Familie kann allenfalls zweiter Schritt bei der Konkretisierung des Begriffs der Familie sein, denn ,Familie' wird bei der Registrierung ihrer Erscheinungsformen prinzipiell schon vorausgesetzt. Ebenso sind die der ,Familie' (im Sinne des Grundgesetzes) beigegebenen Schutzrichtungen l21 nicht Voraussetzung, sondern Folge ihrer Definition als Institution des Art. 6 GG122. Die Frage nach den Grundstrukturen der Institution ,Familie' ist danach noch immer unbeantwortet. Als Lösungsweg bietet der kulturanthropologische Ansatz die Rückbesinnung auf die menschheitsgeschichtlichen Grundlagen, bezogen auf den konkreten Kulturkreis, an. Gesucht sind jene Grundstrukturen, welche das unverwechselbare Moment der ,Familie' bilden und die menschheitsgeschichtlich zu belegen und zugleich noch in der Gegenwart - als kulturelle Wirklichkeit - nachweisbar sind. Gefragt ist also nicht nach den Funktionen, welche der Familie (erst später) zugewiesen wurden. Zu finden sind jene Kriterien, welche spezifisch für die als ,Kleinfamilie' zu bezeichnende Gemeinschaft ist und ohne welche diese Verbindung zugleich nicht denkbar ist. Denn diesen Mindeststandard hätte auch der Verfassungsgeber vorgefunden. Da auch die Verfassungsnormen die Wirklichkeit abbilden, wäre davon auszugehen, daß die konkrete Verfassungsvorschrift des Art. 6 GG diese Grundstrukturen als normativ einverleibte Wirklichkeit enthält 123. 119 120 121 122
Zu dieser Stufung: Häberle (1982), S. 52. Häberle (1984), S. 26. Vgl. BVerfGE 6, 55. So richtig Häberle (1984), S. 30.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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11. ,Familie' als Verbindung von Erwachsenen mit Kindern, als Recbtsbegriff beute in der Form der ,Kleinfamilie'
Als menschheitsgeschichtliches Grunddatum der Familie kann die Verbindung von Erwachsenen mit Kindern gelten. Dabei hat die kulturelle Wirklichkeit diese Prämisse verkürzt auf die ,Kleinfamilie'l24. Schon historisch bildete die Verbindung zweier Elternteile mit zwei Kindern, wie ,Kleinfamilie' von Neidhardt definiert wird l25 , nur einen Idealfall. Zu denken ist an die häufigen Fälle von Kindbettfieber, welches in der Konsequenz ein Elternteil mit einem Kind oder mehreren Kindern zurückließ, wobei diese Verbindung ggf. im Laufe der Zeit durch einen weiteren Erwachsenen ergänzt wurde. Insoweit ist aus kulturanthropologischer Sicht die h. M. zu bestätigen und zugleich zu begründen, daß der Rechtsbegriff der ,Familie' heute nicht mehr mit der ,Großfamilie' gleichgesetzt werden kann, sondern auf die ,Kleinfamilie' zie1tl 26 , wobei diese im Grundfall zu definieren ist als Verbindung von Eltern und mindestens einem Kind bzw. auch von einem Elternteil und mindestens einem Kind l27 . Eltern sind dabei zunächst die natürlichen Eltern. Der kulturanthropologische Ansatz setzt jedoch ,Familie' weniger als naturrechtlieh konstituiert als vielmehr kulturell-historisch vorgegeben an l28 , wobei der kulturwissenschaftliche Ansatz zugleich eine Brücke zur gesellschaftlichen Wirklichkeit schlagen will 129 • Wie das Beispiel vom Kindbettfieber zeigt, war auch schon früher der Fall durchaus nicht selten, daß das Kind in einer Gemeinschaft mit Erwachsenen lebte, ohne daß immer eine blutsmäßige Verbindung zu den Erwachsenen bestand. Ebenso sind Fälle historisch belegt, in denen Kinder verstoßen, von "ledigen Müttern" (aufgrund der gesellschaftlichen Gegebenheiten) ausgesetzt wurden etc. und die Kinder dann in einer anderen Gruppe aufwuchsen. Ob und wann diese neue Gemeinschaft als Familie zu betrachten wäre bzw. ob der blutsmäßigen Verbindung (etwa) zur leiblichen Mutter ein Vorrang vor jener in der neuen Gemeinschaft einzuräumen wäre, ist auch menschheitsgeschichtlich nicht ohne weiteres zu beantworten. Eine Antwort ergibt sich, wird die eher formale Dimension, welche die Zahl und Art der Beteiligten in der Gemeinschaft registriert, ergänzt durch eine inhaltliche Dimension.
m. Der materieU-wirtscbaftlicbe und der immaterieU-persöulicbe Bereicb als möglicbe Grundstrukturen der ,Familie'
Das Bundesverfassungsgericht deutet Grundstrukturen der ,Familie' an, wenn es von den "durch Art. 6 Abs. 1 GG geWährleisteten Strukturprinzi123 124 125 126 127 128 129
Zum rechtstheoretischen Muster vgl. F. Müller (1966), S. 187. Häberle (1984), S. 26. Neidhardt (1970), S. 7. Siehe etwa bei Belchhaus (1984), S, 17f. Im Ergebnis ebenso Häberle (1984), S. 26. Häberle (1984), S. 2. Häberle (1982), S. 53f.
2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
96
pien" spricht 130 und zu diesen nicht nur den "immateriell-persönlichen, sondern auch den materiell-wirtschaftlichen Bereich der Familie" zählt 131 • Auch bei dieser Stellungnahme wird jedoch nicht deutlich, ob das Gericht diese beiden Bereiche als Strukturelemente der ,Familie' (i. S. d. Art. 6 GG) betrachtet. Gegen die Klassifikation (jedenfalls) des materiell-wirtschaftlichen Bereichs durch das BVerfG als Wesensmerkmal der ,Familie' spricht, daß das Gericht in einer neueren Entscheidung die Ausdehnung des Schutzes des Art. 6 GG auch auf die Pflegefamilie für möglich hält 132 , obgleich nach völlig einhelliger Auffassung etwa Unterhaltsansprüche zwischen Pflegekind und Pflegeeltern aus dem Pflegerechtsverhältnis heraus nicht existieren 133 , so daß nach dieser Stellungnahme die materiell-wirtschaftliche Seite sowie ebenfalls die blutsmäßige Verbindung, die bei einem Pflegeverhältnis zwischen Pflegekind und Pflegeeltern ebenfalls nicht unbedingt vorliegt, doch nicht als unverzichtbare Merkmale des verfassungsrechtlichen Familienbegriffs zu gelten hätten. Für eine Einbeziehung des materiell-wirtschaftlichen Bereichs in den Familienbegriff in dem Sinne, daß ,Familie' sich unter anderem dadurch definiert, daß die Personen dieser Verbindung einander wirtschaftlich beistehen, könnte aber die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 10. 11. 1981 sprechen 134 • In dieser wurde das umstrittene 135 Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. 3. 1977136 für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt, in dem das BVerwG das Enkelkind mit seinen Großeltern, bei denen das Kind von seiner Geburt an in Pflege lebte, als ,Familie' (jedenfalls) i. S. d. § 1 Abs. 3 JWG definiert und deshalb einen Pflegekindergeldanspruch nach dem JWG versagt hatte. Somit bleibt noch zu klären, ob es sich bei dem materiell-wirtschaftlichen und/oder dem immateriell-persönlichen Bereich um die Strukturelemente des verfassungsrechtlichen Familienbegriffs handelt. IV. Die Bedeutung der materieU-wirtschaftlichen Komponente
1. Die historische Situation sowie der heutige Meinungsstand
,Familie' war im Ursprung eine soziale Versorgungseinheit, eine vor allem auch wirtschaftliche Schutzgemeinschaft137 • Dabei bestand schon bei dem Zusammenschluß von Mann und Frau eine bestimmte Aufgabenverteilung, die dem Ziel diente, die materiell-wirtschaftliche Existenz der Gruppenmit130 131
132 133
134 135
136 137
BVerfGE 53, 224, 245. BVerfGE 28, 104, 112. BVerfG NJW 1985, 423ff. Vgl. den nach dem JWG deshalb eröffneten Anspruch auf Pflegekindergeld. BVerfG FamRZ 1982, 244 = DAVorm 1982, Sp. 179. Vgl. den Nachweis des Streitstandes bei Giese, FamRZ 1983, 239ff., Fn. Zf. BVerwGE 52, 214. Vgl. die zahlreichen Nachweise bei Herrmann / Renftle / Roth (1980), S. 193ff.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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glieder zu sichern, unter gleichzeitiger Anerkennung persönlicher Konsequenzen für die Beteiligten138 • Wird vom Regelfall der ,Kleinfamilie' ausgegangen, welche sich mit der Geburt des ersten Kindes konstituiert, so begründet auch das Kind bestimmte Grundbedürfnisse, welche zu decken zunächst der Gruppe zufällt, in welche das Kind hineingeboren wurde. Diese Mindestbedürfnisse können mit Nahrung und Zuwendung bezeichnet werden. Somit bilden entsprechend dem Bundesverfassungsgericht auch aus kulturanthropologischer Sicht die materiell-wirtschaftliche und die immateriell-persönliche Komponente jene Bereiche, welche nicht nur als tragende Elemente für den Zusammenschluß zwischen Mann und Frau in der Ehe gelten können, sondern die auch für die Gemeinschaft aus Eltern und Kindern feststellbar sind. Entsprechend diesen Feststellungen wird von einigen die Existenzsicherung der Familienmitglieder als historische Dimension der ,Familie' verstanden 139 . Anknüpfend an die sozialen Gegebenheiten, wie sie bis tief in die Neuzeit hinein bestanden, wird ,Familie' auch heute zum Teil noch als soziale Versorgungseinheit definiert, welcher prinzipiell als selbstverständlicher Inhalt die Unterhaltsgewährung, die Unterstützung in Krankheits- und Notfällen und die Sorge für die Ausbildung zu einer Erwerbstätigkeit zugewiesen werden 140 . Zur Kennzeichnung der Unterhaltsverpflichtungen zwischen den Familienmitgliedern findet auch der Begriff der "Unterhaltsfamilie" Verwendung 141 . Im Vordringen ist demgegenüber jene Auffassung, welche Konsequenzen aus der sozialen Rechtsentwicklung und den zu verzeichnenden tatsächlichen gesellschaftlichen Änderungen zieht. Berücksichtigt wird dabei die eingetretene soziale Entlastung der Familie, mit der Konsequenz, daß die ,Familie' nicht mehr per se als Versorgungseinheit betrachtet wird, sondern daß die ,Familie' nur noch "in der Regel"142 auch als (mehr oder weniger beschränkte) "Wirtschaftseinheit" gilt 143 . Den Befürwortern einer unverzichtbaren materiell-rechtlichen Komponente der ,Familie' wird das Resümee des Funktionsverlustes der Familie auch im materiell-wirtschaftlichen Bereich entgegengestellt l44 sowie der Tatbestand, daß, abgesehen von Einzelfällen im landwirt138 V gl. die sehr ausführliche Darstellung der historischen Grundlagen des Eherechts bei Ramm (1984), S. 45ff., 119ff., m.w.N. 139 Siehe Goode (1967), S. 19; Kiefer (1975), S. 161; Koenig (1974), S. 69; Neidhardt (1970), S. 10; Ogburn-Nierenhoff (1955); Schelsky (1953, 1967), S. 23ff.; Wurzbacher (1958). 140 So vor allem Neidhardt (1970), S. 68f.; Pieper / Pieper (1975), S. 19, m.w.N. in der dort. Fn. 16. Vgl. dazu die Herleitung der Kritik schon bei Ramm (1984), S. 28ff., 30, 33. 141 Vgl. bei Ramm (1984), S. 2,20. 142 So wörtlich schon Mayntz (1955), S. 6f. 143 Vgl. Mayntz, aaO, sowie im einzelnen die Dokumentation der XV. Interationalen Familienkonferenz, München, 1964, S. 12f.
7 Moritz
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
schaftlichen Bereich145, die materiell-wirtschaftliche Komponente auch der ,Familie' vor allem in den Unterhaltspflichten gesehen wird l46 , welche zudem, "entgegen den Buchstaben des Gesetzes", oftmals nicht erfüllt würden 147 • Das Familienrecht berücksichtigt ebenfalls den materiell-wirtschaftlichen sowie den ideell-persönlichen Bereich, indem es für das Verhältnis der Ehegatten zueinander zwischen Ehepersonen- und Ehevermögensrecht sowie im Kindschaftsrecht zwischen Personen- und Vermögenssorge unterscheidet. Ein Familienvermögen als solches ist im Gesetz nicht erwähnt. Der Gedanke einer Wirtschafts- und Produktionseinheit der ,Familie' klingt an in der Dienstleistungspflicht des § 1619 BGB. In den Vorschriften über die "Wirkungen der Ehe im allgemeinen" ist in den §§ 1360 ff. BGB der Beitrag der Eheleute zum "Familienunterhalt" geregelt, wobei als "Familienunterhalt" die Kosten des Haushalts sowie die Bedürfnisse der Ehegatten und der Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder verstanden wird (§ 1360 a Abs. 1 BGB). 2. Stellungnahme Die materielle Sicherung der Gruppenmitglieder stellt nach vorstehenden Feststellungen eine ursprüngliche menschheitsgeschichtliche Aufgabe der Gemeinschaft als Eltern und Kindern dar. Die kulturanthropologische Anerkennung eines Phänomens setzt jedoch den Fortbestand der festgestellten Strukturen voraus. Es erscheint jedoch als fraglich, ob sich auch heute noch die ,Familie', d. h. insbesondere die ,Kleinfamilie', durch diese Pflichten konstituieren oder ob diese Verpflichtungen gerade nicht exklusiv die Familienmitglieder, sondern lediglich diese ebenso treffen wie andere Personen. In letzterem Falle schiede eine Qualifikation der materiell-wirtschaftlichen Komponente als unverwechselbares, speziell den Zusammenschluß von Eltern und Kindern auszeichnendes Moment aus. Die Änderung der wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten im ausgehenden 19. Jahrhundert insbesondere in den Arbeiterfamilien wurde bereits angesprochen 148 • Mit dem Stichwort der "sozialen Entlastung der Familie" wird die Funktionsreduzierung der ,Familie' als "soziale Versorgungseinheit" gekennzeichnet 149 • Dies bedeutet, daß das staatliche soziale Sicherungssystem 144 Vgl. die Zusammenfassung und weiteren Nachweise bei Neuhaus FamRZ 1982,1, 2f.; siehe auch Ramm (1984), S. 30ff. 145 Neuhaus, aaO. 146 Schwab (1984), Rn. 5. 147 Neuhaus FamRZ 1982, S. 2 r. Sp., unter ,,6". 148 Vgl. in diesem Paragraphen unter"C I". 149 Vgl. im einzelnen Ramm (1984), S. 33f.; siehe auch Neuhaus (1979); ders. FamRZ 1982, 1, 2f; Schwab (1984), Rn. 5.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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die materiell-wirtschaftlichen Leistungen garantiert, welche über die Unterhaltsansprüche hinausgehen 150. Die "Notgemeinschaft Familie" hat im Sozialstaat dadurch vor allem eine ideell-persönliche Bedeutung l51 • Ebenso existiert ,Familie' als Produktionsgemeinschaft allenfalls noch in der Landwirtschaft l52 , wobei auch insoweit ein gesetzlicher Ausschluß für den Einsatz von Kindern unter 13 Jahren existiert und im übrigen Beschäftigungsbeschränkungen bestehen (vgl. § 5 Abs. 3 JugArbSchG). Die gesetzliche Mitarbeitspflicht des § 1619 BGB ist nach der Rechtsprechung des BGH bei Minderjährigen ab 14 Jahren auf in der Regel 7 Stunden in der Woche beschränkt 153 und hat damit eher symbolischen Charakter. Verblieben sind - auch nach Fortfall der Regelung des § 1356 Abs. 2 BGB a. F. - rechtsalltäglich anerkannte 154 Mitarbeitspflichten der Ehegatten im Rahmen der aus § 1353 BGB gefolgerten Beistandspflicht der Eheleute untereinander155 • Insofern kommt aber nicht der ,Familie', sondern es kommt der ,Ehe' Bedeutung als Produktionseinheit zu 156 • Entsprechendes gilt für die §§ 1360 ff. BGB, welche zwar einen "Familienunterhalt" statuieren, Ansprüche - auch auf den Kindesunterhalt - jedoch auf das Verhältnis der Ehegatten untereinander beschränken, während ein entsprechender (deckungsgleicher) Kindesunterhaltsanspruch des Kindes allein aus den §§ 1601 ff. BGB herzuleiten ist 156a • Aus allem aber folgt, daß ein materiell-wirtschaftlicher Bereich der ,Familie' anzuerkennen ist. Dieser ist jedoch auf rechtliche Unterhaltspflichten reduziert. Unterhaltspflichten sind aber nicht spezifisch für den personell als ,Kleinfamilie'zu bezeichnenden Zusammenschluß. Im Gegenteil fallen die gesetzlichen Unterhaltsregelungen und ,Kleinfamilie' gerade nicht zusammen. So ist die ursprünglich in § 1480 BGB-E I vorgesehene Unterhaltsverpflichtung der Geschwister untereinander nicht Gesetz geworden 157 • Andererseits erstreckt sich infolge der Regelung des § 1601 BGB die Unterhaltspflicht auch auf die Enkel und Großeltern. Somit ist festzustellen, daß die gesetzlichen Unterhaltspflichten nach wie vor an der Großfamilie orientiert sind; sie gestalten zugleich den materiell-rechtlichen Bereich der (personell) als Kleinfamilie definierten Gemeinschaft. Damit ist aber nicht ,Familie' maßgebend für diese 150 Siehe im einzelnen Ramm (1984), S. 28 - 34; vgl. auch schon Moritz I Meier ZfS 1979, 195ff. 151 Neuhaus - FamRZ 1982, 2 - erkennt die Gefahr des Zusammenbruchs der "Intimgemeinschaft Familie" wegen Überforderung. 152 Neuhaus FamRZ 1982, 2, r. Sp.; Schwab (1984), Rn. 5. 153 BGH FamRZ 1973, 536. 154 Diederichsen NJW 1977, 220. 155 Vgl. Palandt I Diederichsen, § 1356 Anm. 4, mit zahlreichen weiteren Nachweisen. 156 Entsprechend Ramm (1984), S. 29. 156. Vgl. etwa Schwab (1984), S. 69. 157 Vgl. Mugdan IV, 947.
7*
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
materiellen Beziehungen; vielmehr richten sich die Unterhalts- oder auch die gesetzlichen Erbansprüche nach den Verwandtschaftsbeziehungen (vgl. § 1601: "Verwandte"; § 1924 BGB: "Abkömmlinge"); auch im Erbrecht bildet die Sicherung des "Familienvermögens" allenfalls einen nachrangigen Gesichtspunkt, was sich daraus ergibt, daß prinzipiell jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung verlangen kann (§ 2042 Abs. 1 BGB; im Falle des § 2044 vgl. § 2044 Abs. 2 S. 1 BGB). Die materiell-rechtliche Komponente bildet damit nicht eines der gesuchten konstitutiven Elemente der, Familie' (i. S. d. Art. 6 GG). Dieses Ergebnis steht auch nicht im Widerspruch zu den als Ausgang der Überlegungen herangezogenen Entscheidungen von BVerwG und BVerfG zu § 1 Abs. 3 JWG158 oder zu der Pflegeelternentscheidung des BVerfG vom 17. 10. 1984159 ; insoweit gilt vielmehr: Das JWG bietet Hilfen als Subsidiärleistungen in den Fällen an, in denen die Eltern ihrer Verpflichtung zur "Erziehung" der Kinder (aus welchen Gründen auch immer) nicht nachkommen. Die Hilfeleistungen beziehen sich somit auf die Vernachlässigung der Pflichten aus §§ 1626 ff. BGB durch die Sorgeberechtigten, also im Regelfall die Eltern innerhalb der Kleinfamilie. Das JWG bezieht sich allein auf den Grundfall, denn eine vom Gesetz abweichende Sorgerechtsverteilung setzte ein schon vorheriges Eingreifen des Jugendamtes bzw. des Vormundschaftsgerichtes voraus, so daß, kommt es auch in dieser Beziehung zu Fehlleistungen des Sorge berechtigten , nicht die staatliche Subsidiärleistung, sondern die Änderung der vorherigen Sorgerechtsentscheidung gefragt ist. Entsprechend ist auch bei § 1 Abs. 3 JWG die ,Kleinfamilie' gemeint, was nunmehr durch § 8 SGB-AT klargestellt ist l60 . Erziehungsleistungen der Großeltern sind danach grundsätzlich nicht solche des § 1 Abs. 3 JWG. Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht aus der Heranziehung des § 1601 BGB. Da nach den vorstehenden Überlegungen zwischen dem materiell-wirtschaftlichen und dem ideell-persönlichen Bereich zu unterscheiden ist, ersterer jedoch nicht zu den Grundelementen der ,Kleinfamilie' zählt, ist entgegen dem BVerwG und dem BVerfG aus § 1601 BGB weder auf eine besondere Erziehungsverantwortung der Großeltern rückzuschließen noch auf ihre Eingliederung in die (Klein)Familie i. S. d. § 1 III JWG. Auch die "Erziehung" durch BVerwGE 52, 214; BVerfG FamRZ 1982, 284 = DAVorm 1982, Sp. 179. BVerfG NJW 1985, 423f. 160 Im Ergebnis ebenso Zöller FamRZ 1977,4, 5; VerwG Arnsberg DAVorm 1982, Sp. 465, 467f. A.A. BVerwGE 52, 214; Schellhorn in Burdensky / v. Maydell / Schellhorn, Komm.-SGB I, § 8 Rdn 33; Giese FamRZ 1983, 239, 242. - Die den Familienbegriff ausweitende Auffassung macht vor allem geltend, daß § 8 SGB-AT nicht herangezogen werden dürfe, da die sozialen Rechte des SGB-AT keine eigenen Ansprüche begründeten sowie § 8 SGB-AT auf das nicht in Kraft getretene JHG zugeschnitten sei. Dem ist entgegenzuhalten, daß die Bedeutung der sozialen Rechte des SGB-AT gerade in ihrer Funktion als Auslegungshilfen liegt und sie vom Gesetzgeber auch so verstanden wurden (vgl. im einzelnen bei Moritz, Jura 1980, 347ff., 399f.).Zudem hat die Bewertung der den Familienbegriff ausweitenden Ansicht ihre Grundlage eingebüßt, wenn entsprechend der Entscheidung des BVerfG vom 17.10.1984 ,Kern-' und ,Kleinfamilie' nicht gleichgesetzt werden und auch der Verbindung aus Großeltern und Enkelkind die Qualität als ,(Klein)Familie' zuerkannt wird. 158 159
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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die Großeltern als Pflegeeltern ist damit prinzipiell eine Ersatzleistung außerhalb der Familienerziehung i. S. d. §§ 1 III und 6 JWG, so daß ein Anspruch auf Pflegekindergeld grundsätzlich zu bejahen ist l61 • Dies entspricht auch der Intention des § 91 Abs. 1 BSHG, der gemäß § 82 JWG auch für die Jugendhilfe gilt und der bestimmt, daß die im zweiten oder ferneren Grade Verwandten gerade nicht mit den im ersten Grade verwandten Personen gleichgestellt werden sollen l62 • Nach der Entscheidung des BVerfG vom 17. 10. 1984163 ist die Prüfung mit diesen Überlegungen jedoch noch nicht beendet. Da das Gericht grundsätzlich auch die Pflegefamilie als mögliche ('Klein')Familie i. S. d. Art. 6 GG anerkennt, wäre auch die Verbindung der Großeltern mit ihrem Enkelkind ggf. als ,Familie' zu qualifizieren, mit der Folge, daß in diesem Fall die "Erziehung" durch die Großeltern als "Erziehungsleistungen" "der ,Familie'" auch i. S. d. § 1 III JWG anzusehen wäre und damit Ersatzleistungen des Jugendamtes nach § 6 Abs. 2 JWG entfielen. Als sicher kann nach den voranstehenden Überlegungen nur gelten, daß jedenfalls die materiell-wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Großeltern und Enkelkind (nach § 1601 BGB) nicht die Anerkennung dieser Gemeinschaft als ,Familie' bewirken. Grundelemente der ,Familie', welche ggf. auch die Verbindung von Großeltern und Enkelkind als ,(Klein)Familie' anerkennen, bestehen ggf. im ideell-persönlichen Bereich. In den Überlegungen dazu ist auch zu berücksichtigen, ob, wie Zöller meint, eine Definition der Gemeinschaft von Großeltern und Enkelkind als ,Familie' schon deshalb auszuscheiden hat, weil Großeltern aufgrund ihres Alters und der anderen Lebenseinstellung weitestgehend erziehungsunfähig seien l64 • Der Anerkennung als ,Familie' und dem daraus resultierenden Verlust des Anspruchs auf Pflegekindergeld stände jedenfalls die Teilhabe an dem besonderen grundgesetzlichen Schutz aus Art. 6 GG gegenüber. V. Der persönlich-immaterieUe Bereich als Grundelement der ,(K1ein)Familie'
1. Überlegungsansatz
Die immateriell-persönliche Komponente der Beziehungen in der Gemeinschaft aus Eltern und Kindern ist menschheitsgeschichtlich nachzuweisen. Oben wurde das Erfordernis einer "inhaltlichen Dimension" erwähnt 165 • Der Zusammenhang zwischen der Hinwendung zum Kind und Familie wird im germanischen Recht deutlich, indem für das Kind ,Familie' dadurch begründet wird, daß der Vater bestimmte "Pflegehandlungen" vornimmt l66 • Damit wurde zugleich die Übernahme eines bestimmten Schutzes für das Kind deutlich gemacht 167 • Während jedoch in alten Rechten die persönlich-immaterielle 161 Ebenso Zöller FamRZ 1977, 4ff.; ders. DAVorm 1982, Sp. 403ff. A.A.: Giese FamRZ 1983, 239, 242ff.; BVerwGE 52, 214ff. 162 Für eine Versagung des Pflegegeldes, auch wenn die Unterhaltspflicht nur dem Grunde nach besteht: Giese FamRZ 1983, 244. 163 NJW 1985, 423f. 164 Zöller FamRZ 1978, 4, 8f. 165 V gl. vorstehend unter ,,11. " . 166 Planitz (1925), S. 17.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Komponente der Beziehungen eher überdeckt ist, wird diese heute eindeutig benannt (vgl. schon Art. 11911, 120 WV; siehe jetzt Art. 6 Abs. 2 GG; § 1626 Abs. 2 BGB, § 1 JWG, § 8 SGB-I)168. Auch von den Sozialwissenschaften wird die immateriell-persönliche Grundlage der Beziehungen zwischen Eltern und Kindern anerkannt; jene Ansätze, welche den "Funktionsverlust der ,Familie"" beklagen 169 , stellen als einzige der ,Familie' verbliebene Aufgabe die "Erziehungsfunktion" fest und begründen diese aus dem engen, intimen Charakter der ,Kernfamilie'17o. Die "emotionale Spannungs bewältigung" in der Sozialisierung des Menschen könne "durch keine andere soziale Institution adäquat geleistet werden"171. Das BVerfG erblickt, wie erwähnt, im immateriell-persönlichen Bereich "eines der durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Strukturprinzipien"172. Neuere familienrechtliche Literatur warnt zugleich vor der Gefahr einer Überbetonung des immateriell-persönlichen Bereichs173 sowie vor einer Flucht ins Private und vor der mit einem Zuwachs an Intensität und Intimität der Beziehungen einhergehenden Ersetzung des rechtlich definierten Rollenverständnisses der Familienmitglieder durch primär außerrechtliche und subjektive Verbindungen 174 . Aus allem ergibt sich, daß die Beziehungen in der nach den personellen Gegebenheiten als ,Kleinfamilie' zu bezeichnenden Gemeinschaft wesentlich durch immateriell-persönliche Bindungen geprägt sind. Die Frage nach dem Grundelement der ,Familie' ist damit allerdings noch nicht beantwortet. Denn der "enge, intime Charakter"175 oder die Privatheit und Intensität der Beziehung 176 bilden ebenso wenig konkrete Aussagen wie jene, daß die ,Kleinfamilie' durch immateriell-persönliche Beziehungen geprägt sei. Erforderlich ist somit eine Konkretisierung dessen, was als persönlich-immaterieller Bereich zu verstehen ist. Der kulturanthropologische Ansatz verlangt dabei, daß diese Konkretisierungen nicht nur eine menschheitsgeschichtliche Basis haben, sonPlanitz (1925), S. 17, 131ff. Siehe im einzelnen im folgenden 5. Abschnitt. 169 Eine der frühesten Darstellungen der These vom "Funktionsverlust" findet sich bei Ogburn (1960). Zur Relativierung des Begriffs siehe jetzt etwa bei Koenigs (1974), S. 69f. Geiger - in FamRZ 1979, 457ff., 462 - spricht im gleichen Zusammenhang davon, daß Eltern "ihrer Verantwortung für das Kind nicht gewachsen sind oder nicht gerecht werden wollen". - In der juristischen Literatur vgl. etwa Gernhuber (1980), S. 3ff. sowie Neuhaus FamRZ 1982, 1ff., 2f. 170 Vgl. König (1974), S. 70; Neidhardt (1970), S. 8f.; siehe auch Claessens (1972), S.I72. 171 König (1974), S. 70; Claessens (1972), S. 172. 172 BVerfGE 28,104,112, mit BVerfGE 17,1,38 und BVerfGE 53, 245. 173 Neuhaus FamRZ 1982, 1,2 r. Sp. 174 Vgl. Gernhuber FamRZ 1981,721,727; Schwab (1984), Rn. 6. 175 Neidhardt (1970), S. Sf. 176 Vgl. Fn. 174. 167
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dern, daß diese auch noch in der Gegenwart - als kultureller Wirklichkeit nachweisbar sind. Zur Analyse sowohl der menschheitsgeschichtlichen als auch der gegenwärtigen Erscheinungsformen eines Sozialgebildes bedarf auch die Kulturwissenschaft der Mithilfe der Fachwissenschaften. Kulturwissenschaft versteht sich deshalb als "Integrationswissenschaft"177. Dies bedeutet hier, daß die Nachbarwissenschaften "als Erklärungshilfen" in die verfassungsrechtliche Diskussion mit einzubeziehen sind178 .
2. Die ergänzende interaktionistische Deutung des "persönlich-immateriellen Bereichs" der ,Familie'
2.1. Die Brauchbarkeit des interaktionistischen Ansatzes Familie ist soziologisch eine "Gruppe", und zwar eine "Klein-Gruppe"179. Das prägende Merkmal der sozialen Gruppe, also auch der Familie, ist die Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern 180 . Die Familiensoziologie, welche im Gegensatz zu funktionalistischen Ansätzen 181 nicht die einer Gemeinschaft auferlegten Funktionen in den Vordergrund stellt, sondern welche primär aus dem Verhalten zwischen den Gruppenmitgliedern, also aus deren Interaktionen, auf die Strukturen der Gemeinschaft rückschließt, wird als interaktionistische Familiensoziologie bezeichnet 182 . Die Nachbarwissenschaften sollen hier Aufschlüsse über die überlieferten und in der Gruppe generalisierbar fortbestehenden Grundstrukturen der "sozialen Gruppe ,Familie"" geben. Es erscheint dafür ein Ansatz als besonders geeignet, welcher davon ausgeht, daß die Übermittlung bzw. die Bestimmung von Werten in der Weise geschieht, daß im Rahmen der Interaktionen zwischen den Gruppenmitgliedern Symbole akzeptiert, neu- oder umbestimmt werden 183 . Dabei zeigt die frühe interaktionistische Familiensoziologie, daß das Merkmal interaktionistischen Austauschs allein nicht genügt, das soziale Phänomen ,Familie' eindeutig und unverwechselbar zu bestimmen. So ist die von E. W. Burgess 184 vorgenommene Beschreibung der ,Familie' als "unity of interacting persons", welche ihre Existenz ableite "not in any legal conception, nor in any formal contract, but in the interaction of its members", ohne weiteres überHäberle (1984), S. 53. Zum rechtstheoretischen Ansatz vgl. schon oben, § 3 B dieses (4.) Abschnitts. 179 Vgl. Fuchs u. a., Bd. 1 (1975) unter "Gruppe". 180 Vgl. Homans (1961). 181 Vgl. in diesem Paragraphen unter "C II". 182 Siehe E. W. Burgess (1973). 183 Zur Theorie des symbolischen Interaktionismus vgl. im einzelnen die ausführliche Darstellung in MoritzlMeier (1982), S. 125 ff. 184 E. W. Burgess (1973), S. 84. 177
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
tragbar auf jede andere Gemeinschaft (soziologisch: "Gruppe")185. Ebenso mag das von Burgess 186 genannte Beendigungsmerkmal " ... as interaction ... ceases" soziologisch genügen; für eine juristische Konkretisierung bleibt es indes zu unbestimmt. Somit kann entsprechend überliefertem Verständnis und nach allen familiensoziologischen Ansätzen ,(Klein)Familie' als eine Gemeinschaft von Erwachsenen und Kindern konkretisiert werden. Als weiteres Merkmal läßt sich eine Interaktion innerhalb der Primärgruppe mit einem gesellschaftsreflexiven Bezug feststellen. Den an eine Konkretisierung zu stellenden Bestimmtheitserfordernissen ist indes nur genügt, wenn das "Warum" der Interaktion mitgedacht wird 187 . Denn das Motiv des Austauschs zwischen den Beteiligten ist, und das übersieht Burgess, konstitutives Merkmal der Interaktion selbst 188 . Es ist somit zunächst entsprechend funktionalistischem Vorgehen zu fragen, welche Elemente die Grundlage des interpersonalen Austauschs in der nach der personellen Zusammensetzung als ,Familie' zu bezeichnenden Gruppe ausmachen. Im Gegensatz zum funktionalistischen Verständnis können im interaktionistischen Ansatz die Erwartungen indes nicht als vorgegeben gelten. Ihre Definition erfolgt vielmehr erst durch die Gruppenmitglieder, ggf. unter bloßer Beibehaltung internalisierter Werte l89 . Ein interaktionistisches Erklärungsmuster 190 zeichnet sich gegenüber einem funktionalistischen dadurch aus, daß nicht ein bestimmtes Ziel vorgegeben wird, auf welches die Strukturen der Institution auszurichten wären. Zwar akzeptiert auch Interaktion Zielsetzungen - z. B. Sozialisation der Kinder als "Aufgabe" der Familie 191 -, jedoch sind diese Funktionen nicht inhaltlich vorbestimmt, sondern werden aus einem Rückschluß aus dem feststellbaren Verhalten "abgelesen". Der interaktionistische Ansatz eröffnet damit die Möglichkeit, die soziale Realität der Familie zu erfassen; zugleich wird es auch möglich, die Wirkungen des geltenden Familienrechts auf die als ,Familie' zu bezeichnende Gruppe festzustellen. An eindeutige Vorgaben der Rechtsnormen sind die Familienmitglieder gebunden. Im übrigen gilt: Mit der empirisch - mit Hilfe 185 Zum Zusammenhang von "sozialer Gruppe" und "Gemeinschaft" vgl. in Fuchs u. a., Bd. 1 (1975) unter "Gruppe". 186 aaO, S. 84. 187 Zum Vorwurf fehlender inhaltlicher Diskussion in den bejahenden Theorieansätzen vgl. besonders auch Tjaden - (1971), S. 13 ff. -. Entsprechend Tjaden ist hier die Frage nach dem Warum dann auch nicht in seinem Sinn ideologisch bestimmt, sondern dient der Überprüfung des intersubjektiven Seinszustandes. 188 Vgl. Mead (1975), S. 237 ff., 266 ff.; Stryker (1976), S. 257 ff., 263. 189 Vgl. die Nachweise der vorstehenden Fußnote. 190 Vgl. die Gesamtdarstellung des Ansatzes durch G. Meier, in MoritzlMeier (1982), S. 125-155. 191 Mead (1975), S. 275; Wygotski (1979).
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der Fachwissenschaften - feststellbaren Wertungsübernahme (i. d. Regel menschheitsgeschichtlich begründeter Werte) durch die Gruppenmitglieder in der quantitativen Mehrheit der Familien wird der Wert selbst zum konstitutiven Merkmal der als Familie bezeichneten Gruppe. Das Verfahren der Wertfindung, die Akzeptierung im interaktionistischen Mehrheits-Konsens, gewährleistet die Generalisierbarkeit des gefundenen Einzelphänomens. Dies stellt damit das gesuchte strukturelle Moment der Institution ,Familie' bei einer Definition im gesellschaftsreflexiven Bezug dar. Das Abstellen der Theorie auf internalisierte Werte gewährleistet, daß sozialer Wandel aktuell erfaßbar ist. Der Übernahme als Merkmal des Rechtsbegriffs der ,Familie' könnten nur entgegengesetzte gesetzliche Wertungen entgegenstehen. An solchen aber fehlt es bei Art. 6 GG. Somit kann der interaktionistische Ansatz als eine mögliche Vorgehensweise zur Ermittlung der kulturellen Wirklichkeit angesehen werden. Gesucht sind die mehrheitskonsensual akzeptierten Grundstrukturen der ,Familie'. Dabei sind im Rahmen dieser Arbeit eigene empirische Erhebungen nicht möglich. Es genügte jedoch auch die Nutzung entsprechender anderweitiger empirischer Untersuchungen 192 • Fehlen, wie hier, auch diese, so muß auch vorliegend als ausreichend erachtet werden, was inzwischen für das Verhältnis von Jurisprudenz und Nachbarwissenschaften als anerkannt gelten kann, nämlich daß Erkenntnisse letzterer in der juristischen Wertung heranziehbar sind, wenn entsprechende eindeutige gesetzliche Vorgaben fehlen und die Erkenntnisse der Nachbardisziplinen eine solche Tradition haben, daß sie als allgemein anerkannt gelten können 193 • Dies bedeutete für die Beweisführung im Rahmen des symbolischen Interaktionismus, daß von einer Akzeptierung im Mehrheitskonsens auch dann auszugehen wäre, wenn nach den Wertungen der einschlägigen Fachdisziplinen als anerkannt gelten könnte, daß ein bestimmtes Phänomen generalisierbar von den Gruppenmitgliedern als konstitutiv betrachtet wird. 2.2. Das konstitutive Phänomen der Emotionalität Bisher wurden als Konkretisierungen des personell-immateriellen Bereichs der ,Familie' Intimität, Intensität sowie die Privatheit des Verhältnisses der Beteiligten erwähnt 194 • Angesprochen ist damit die sozial-psychologische Seite der Beziehungen. In der Fachterminologie wird Intimität zwischen den Bezugspersonen mit "Emotionalität" bezeichnet, wobei dieser Begriff zugleich kennzeichnet, daß die zugrundeliegende Beziehung nicht als EinVgl. Däub1er (1974). Genügend ist eine "gewisse Tragweite, Dauer und Evidenz"; vgl. Rebe in Kühn/ Torneau (1978), S. 17 ff., 28 f., mit Rechtspr. Nachw. in dort. Fn. 25 ff. 194 Vgl. vorstehend unter "V.2". 192 193
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
bahnstraße vorzustellen ist, sondern daß sie ein psycho-soziales Austauschverhältnis darstellt 195. Die prägende Bedeutung der Emotionalität (jedenfalls) für die Primärsozialisation ist von allen theoretischen Ansätzen anerkannt, welche diese Problematik thematisieren, also sowohl von soziologischen l96 als auch psychologischen Lehrmeinungen l97 . Ebenso wird die Bedeutung der Emotionalität als Basis für "positive" Eltern/Kind-Beziehungen auch von Juristen im Grundsatz nicht bestritten l98 • Bei einer Arbeit aus jüngerer Zeit, von Huhn l99 , bleibt allerdings unklar, ob mit dem Hinweis auf Untersuchungen der Kibbuz-Erziehungssysteme generell Emotionalität als zentraler Faktor in der (Primär)Sozialisation angezweifelt werden soll oder ob Huhn sich speziell gegen die These von der Unverzichtbarkeit und fehlenden Austauschbarkeit der natürlichen Mutter als Sozialisationspartnerin des Kindes wendet. Dazu ist festzustellen, daß es heute als allgemein anerkannt gelten kann, daß das Kind für seine Entwicklung insbesondere in den ersten Lebensjahren (mindestens) eine feste Bezugsperson braucht. Dabei ist die Stabilität dieser Beziehung ausschlaggebend; entscheidend ist dagegen nicht, ob die Bezugsperson die leibliche Mutter, der Vater oder irgendein Dritter ist2°O. Auch Kibbuzim-Erziehung Vgl. insbesondere Claessens (1962, 1972), S. 68; Wygotski (1979), S. 354. A. Funktionalistische Ansätze: Tyrell (1978), S. 621 f., welcher sich dazu versteigt, das Element der Emotionalität spekulativ mit jenem der Blutsverwandtschaft zu verbinden, um hieraus auf eine "Exklusivität" der Institution ,Familie' zu schließen. B. Interaktionistischer Ansatz: L. S. Wygotski (1969), S. 101,353 ff. C. Materialistische Theorie: Huch (1972), S. 60 ff., 81 ff., m. w. N.; Lorenzer (1977). D. Übergreifende Ansätze: Vgl. die zahlreichen Nachweise bei AusubellSullivan (1974), S. 453 ff. sowie bei Hans Moritz (1965), S. 114,295. 197 Bittner (1969), S. 27 ff., m. zahlr. w. N.; Dshidarjan (1976), S. 122 ff., 128, m. zahlr. w. N.; Flitner (1963); GoldsteinlFreudiSolnit (1973, 1979), S. 31 ff.; KlemannJ Massing (1976), S. 56 f., welche für die Zukunft indes eine Ent-Emotionalisierung der Familie für möglich, jedoch nicht als wahrscheinlich erachten; Richter (1976), S. 16, der das emotionale Moment im Eltern-Kind-Verhältnis als affektives "Erziehungsklima" bezeichnet - aaD, S. 16,45 ff., m. w. N. -; SchenkIDanzinger (1970), S. 29 ff. 198 Vgl. statt vieler Finger (1979), S. 251; Giesen, FamRZ 1977, 598. Siehe auch die Beweisführung zu einem "Gesetz der Zuwendung" bei Bruns in FamRZ 1979, 279, 280 f. 199 (1977), S. 37. 200 Flitner (1963); Steffen, ZbUugR 1979, 139 f.; ebenso auch Finger (1979), S. 251, m. w. N. in der dort. Anm. 23. Entsprechend stellt Spitz - (1975) - fest, daß das Kind selbst erst nach etwa 6 Monaten überhaupt Menschen seiner Umgebung identifizieren könne. Ebenso führt Adrian - ZBl JugR 1981, 206 - aus, das Kind habe keine angeborene Kenntnis davon, wer seine leiblichen Eltern seien; es binde sich (im frühen Alter) an den Menschen, der es betreut und für es sorgt. Wobei nur diese Sorge in einer bestimmten Weise erfolgen muß, um (psychische) Schäden beim Kind zu vermeiden - vgl. Spitz, aaD -. Grundsätzlich ähnlich werten auch Fürstenau (1967); Huhn (1977), S. 40 sowie Goode (1967), S. 37. - A. A. dagegen König (1974), S. 72, m. w. N. in der dort. Anm. 123, welcher 195
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macht hiervon keine Ausnahme. Sie denkt in viel weiterem Maße die unmittelbare soziale Großgruppe201 mit, als dies innerhalb einer Kernfamilie geschehen kann. Hospitalismus-Schäden202 werden aber auch dort durch Emotionalität vermieden, wobei allerdings die Bedeutung der Eltern hinter jener von bestellten Erziehern zurücktritt203 • Gerade das Beispiel der Kibbuzim legt deshalb ebenfalls Zeugnis dafür ab, daß Emotionalität im Verhältnis zwischen erwachsenen Bezugspersonen und dem Kind nicht notwendig auf eine biologische Verwandtschaft beschränkt ist. Die weiteren von Huhn204 referierten gesamtgesellschaftlichen sozialen Faktoren sind ebensowenig geeignet, die Bedeutung der Emotionalität in dieser Eltern-Kind-Intimgruppe in Frage zu stellen, wenngleich diese Elemente auf die Qualität der Einzelbeziehungen ohne Zweifel Auswirkungen haben. Jedoch ist festzustellen, daß auch in materialistischen Ansätzen, auf deren Wesensmerkmale Huhn anspielt, das Phänomen der Emotionalität insoweit ebenfalls entscheidende Bedeutung hat205 • Es kann damit behauptet werden, daß mit der Emotionalität ein Schlüsselbegriff für die Definition der Institution ,Familie' gefunden ist. Das Definitionsmerkmal der "Emotionalisierung" erfährt eine weitere Konkretisierung aus dem Zusammenhang, in welchen die berücksichtigten Wissenschaftsrichtungen es gestellt haben, d. h. aus der Sozialisation. Zwar bestehen Meinungsunterschiede über den konkreten Zeitraum emotional bestimmter Sozialisation; als vorherrschend kann wohl die Auffassung gelten, nach welcher sich Emotionalität vor allem auf die Primärsozialisation bezieht 206 • Festzustellen ist ein Konsens dahingehend, daß es sich bei der emotional bestimmten Sozialisation um eine auf Dauer angelegte Phase handelt, deren zeitliche Erstreckung nach den einzelnen Theorien allerdings unterschiedlich beurteilt wird. Festgestellt ist damit als Hauptort emotional bestimmter Sozialisation der Privatbereich. Emotionalität bezeichnet dabei das Verhältnis zwischen Intimpersonen. Also läßt sich Dominanz der Emotionalität im Sozialisationsverhältnis auch kennzeichnen als private Sozialisation. Diese insoweit konsequent die Rolle von Frau und Mutter entsprechend überkommenem Verständnis definiert. In der modernen sozialpsychologischen Literatur steht "Mutter" in Übereinstimmung mit der hier vertretenen Auffassung als Kürzel für "primäres Beziehungsobjekt" - so wörtlich Lorenzer (1973), S. 156 - bzw. (besser, da die Verwendung des ObjektBegriffes seinerseits problematisch ist) - für "Hauptbezugsperson" (vgl. Eil in ZbUugR 1982,76 f., m. w. N.) 201 Zum Begriff der "Gruppe" vgl. unter diesem Stichwort bei Fuchs u. a. (1973, 1975) sowie bei Bellebaum (1974), S. 32 ff. 202 Vgl. Spitz (1945), S. 53 sowie ders. (1946), S. 113. 203 Zur Kibbuzim-Erziehung s. im einzelnen Spiro (1960), S. 64 ff. 204 (1977), S. 39 ff. 205 Vgl. etwa Huch (1972), S. 60 ff., m. w. N. 206 Kohli (1976), S. 313.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
steht im Gegensatz zur außerprivaten (= Schule, Kindergarten, aber auch Nachbarn etc.). Entsprechend können die Sozialisationspartner als private oder außerprivate Bezugspersonen bezeichnet werden. Private und außerprivate Sozialisation sind dabei nicht identisch mit den Phasen primärer und sekundärer Sozialisation, wie diese in bezug auf die sozio-kulturelle Heranbildung von Kindern unterschieden werden207 . Denn die als Intimverhältnis bezeichneten Beziehungen differieren zwar im Laufe der Entwicklungsphasen in ihrer Intensität; die Annahme ihrer faktischen Bedeutungslosigkeit mit Ende der ersten Entwicklungsjahre oder gar der sogenannten "Soziabilisierung"208 erscheint jedoch als realitätsfern. Wird Sozialisation interaktionistisch definiert "als Prozeß der relativ überdauernden Änderung von Verhaltens- bzw. Handlungsdispositionen unter dem Einfluß sozialer Interaktion"209, so entspricht es dieser prozessual-interaktionistischen Vorstellung allein, daß die auf dem sozio/psychologischen Moment der Emotionalität basierende Sozialisation nicht auf den Abschnitt der Primärsozialisation beschränkt bleibt. Die Bedeutung der Emotionalität bleibt vielmehr auch während der Sekundärsozialisation im Verhältnis der privaten Bezugsperson zum Kind unter Umständen bis in das Erwachsenenalter hinein bestehen21o , wobei sie sich in ihrer Intensität ggf. reduziert. Das Kind seinerseits wirkt von Anbeginn sozialisierend etwa auf die Geschwister sowie auf die private, erwachsene Bezugsperson211 . Mit der Emotionalität ist damit eines der Strukturelemente der ,Familie' gefunden. Bevor daraus Schlußfolgerungen gezogen werden, ist noch auf weitere mögliche Inhalte des Familienbegriffs einzugehen, nämlich darauf, ob ,Familie' die eheliche Verbindung der Eltern voraussetzt sowie welche Bedeutung der verwandtschaftlichen Verbindung zukommt. 3. Die Voraussetzung ehelicher Verbindung Die Anerkennung der Verbindung von Eltern und Kindern als ,Familie' setzt nach h. M. die eheliche Verbindung der Eltern voraus212 , wobei ebenfalls die nachträglich oder von vornherein "unvollständige Familie" als ,Familie' anerkannt wird213 und nach der Streichung des § 1589 Abs. 2 BGB durch das 207 Zu Begriff und Bedeutung von primärer und sekundärer Sozialisierung vgl. bei Ruegg (1969), S. 95. 208 Zum Begriff: Claessens (1972), S. 79. 209 Kohli (1976), S. 313. 210 In diesem Sinne ist Kinder-EItern-Haß (in allen seinen Abstufungen) nichts anderes als negierte Emotionalität; entsprechend schon Neidhardt (1970), S. 9. 211 Die Wechselseitigkeit ist notwendige Folge interaktionistischen Verständnisses. Ihre Anerkennung bleibt indes nicht auf diesen Ansatz beschränkt; vgl. etwa Lorenzer (1977), m. w. N. 212 BVerfGE 36,146,165; Maunz, in MDHS, Art. 6.
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Nichtehelichengesetz auch die Verbindung des nichtehelichen Vaters mit seinem Kind 214 . Entsprechend werden auch Adoptiveltern mit ihren Kindern als ,Familie' anerkannt sowie Stiefeltern mit Kindern, letztere jedoch nur, wenn eine aufgrund bestehender Ehe zwischen den Eltern "legitimierte" Stiefeltern- bzw. Stiefkindschaft besteht215 . Andere sehen die eheliche Verbindung der Eltern lediglich als Regelfall an216 , wobei die Anerkennung als ,Familie' auch aufgrund einer bloßen "Sozialverwandtschaft" für möglich gehalten wird217 . Die Erstreckung des Familienbegriffs auf andere als vollständige Familien zeigt, daß die eheliche Verbindung zweier Menschen nicht generell konstitutiv für den Begriff der ,Familie' sein kann. Demgegenüber hat das Merkmal der Emotionalbindung generelle Bedeutung. Die Anerkennung der Gemeinschaft aus Eltern und Kindern als ,Familie' von der ehelichen Verbindung der Eltern abhängig zu machen, könnte unvereinbar mit dem Strukturelement der Emotionalbindung i. V. m. den Regelungen des Art. 6 Abs. 5 GG sein. Eine dauerhafte Emotionalbindung zwischen Eltern und Kind ist unabhängig davon vorstellbar, ob die Eltern durch Ehe verbunden sind oder nicht. Maunz konstruiert im Falle eines gemeinsamen Kindes von Eltern, die in einer nichtehelichen Gemeinschaft leben, zwei (Teil-)Familien i. S. d. Art. 6 GG aus Vater plus Kind bzw. Mutter plus Kind218 . Er selbst bezweifelt die Vereinbarkeit dieser Konstruktion mit Art. 6 Abs. 5 GG219. Eva v. Münch empfindet diese "Lösung" als "grotesk"22o. Die Konstruktion von Maunz entspricht konsequent der Rechtsprechung seit dem Gleichberechtigungsgesetz. Sie stößt jedoch auf Probleme auf einfachgesetzlicher Ebene. § 1711 BGB geht bei nichtehelichen Kindern vom prinzipiellen Vorrang der Mutter aus. Der Norm liegt jedoch das Modell des bei der Mutter lebenden Kindes zugrunde, während der Vater abwesend ist. Bei Anerkennung eines gleichgewichtigen Elternrechts wäre § 1711 BGB analog auch auf den Vater anzuwenden, wenn das Kind in der nichtehelichen Gemeinschaft der Eltern lebt. Das Bundesverfassungsgericht erkennt für diesen Fall ein Recht des Vaters aus Art. 6 Abs. 2 GG an, weist im übrigen jedoch der Mutter ein Vorrecht bei der Zuteilung des Sorgerechts ZU22t . Diese Vgl. Maunz, aaO, m. w. N. in den dort. Fn. 2 und 3. BVerfGE 45,104,123. 215 VerwGH München FamRZ 1971, 449. 216 E. v. Münch in I. v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rn. 4 f.; Pirson in BK, Art. 6, Rn. 21 f.; Richter, AK-GG, Art. 6, Rn. 15 a. 217 E. v. Münch (1978), S. 141 f.; Richter, AK-GG, Art. 6, Rn. 15 a. 218 Maunz, aaO, Rn. 16 a. 219 Maunz, aaO, Rn. 16 a. 220 E. v. Münch im GG-Komm., Art. 6, Rn. 4 a. 221 BVerfG NJW 1981,1202. 2!3
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
pauschale Bevorzugung der Mutter wird mit dem körperlich und seelisch engen Beziehungsverhältnis zwischen Kleinkind und Mutter gerechtfertigt. Das Gerichtbringt damit zutreffend das Strukturelement der Emotionalbindung in die Diskussion. Es übersieht aber, daß diese Bindung im Einzelfall ebenso vorrangig im Verhältnis zwischen Vater und Kind bestehen kann. In diesem Falle liefe das grundsätzlich anerkannte Elternrecht des Vaters leer222 . Daraus folgt, daß pauschale Zuweisungen an eines der Elternteile unvereinbar mit den Daten der Emotionalbindung ist. Eine Lösung verspräche allein' die Anerkennung auch des Zusammenschlusses von nichtehelich verbundenen Eltern mit ihren Kindern als ,Familie'223. Eine solche Handhabung stände im Einklang mit der Rechtsprechung des BVerfG, wonach die Verbindung von nichtehelichem Vater plus Kind sowie von nichtehelicher Mutter plus Kind je für sich als ,Familie' qualifiziert werden. Mit dieser Wertung ist es jedoch unvereinbar, eine Verbesserung der sozialen Struktur mit der faktischen Versagung des Elternrechts des Vaters zu beantworten. Die Anerkennung des Zusammenschlusses der nichtehelichen Eltern mit Kind als ,Familie' entspricht dem bislang als einzig maßgebendes Strukturelement festgestellten Merkmal der Emotionalbindung; eine andere Lösung widerspräche schließlich dem Gebot des Art. 6 Abs. 5 GG224. Es ist damit jener Auffassung zuzustimmen, welche die eheliche Verbindung der Eltern zwar als Regelfall, nicht jedoch als unabdingbare Voraussetzung für die Anerkennung einer Gemeinschaft aus Eltern und Kindern als ,Familie' ansieht. 4. Die Voraussetzung (bluts-)verwandtschaftlicher Bindungen
Ein weiteres strukturelles Moment der ,Familie' bildet nach h. M. die von der Rechtsordnung anerkannte natürliche oder gesetzliche Verwandtschaft225 . Überwiegend wird dabei auf die Verwandtschaft 1. Grades abgestellt226 . Lediglich die Adoption als eine von der Rechtsordnung anerkannte Form der gesetzlichen Verwandtschaft wird von dieser Auffassung als mit der Blutsverwandtschaft gleichgestellt erachtet227 . Teilweise wird der Begriff der ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG auch auf andere Verwandtschaftsgrade ausgedehnt, sofern das Zusammenleben die Struktur der Kleinfamilie erfüllt228 (= ein oder zwei Ebenso E. v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rn. 21 a. Ebenso E. v. Münch, aaO, Art. 6, Rn. 4 a, 21 a; dies. (1978), S. 141 ff.; Richter, AK-GG, Art. 6, Rn. 15 a. 224 Ebenso E. v. Münch, aaO, Art. 6, Rn. 4 a, 21 a; Richter, AK-GG, Art. 6, Rn. 15 a. 225 Maunz in MDHS, Art. 6, Rn. 16 a; s. auch Lecheier, FamRZ 1979, 1 ff.; E. v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rn. 4 f.; Pirson, BK, Art. 6, Rn. 21 ff. 226 Vgl. noch BVerfGE 39, 326; ebenso Maunz, aaO, Rn. 16. 227 H. M.; vgl. statt aller Maunz, aaO, Rn. 16. 222 223
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Erwachsene mit Kindern; im Gegensatz zur Kemfamilie, welche die leiblichen Eltern und deren Kinder umfaßt229 ). Schließlich wird die "Sozialverwandtschaft" als konstitutives Merkmal der ,Familie' anerkannt230 ; abgestellt wird dabei auf die soziale Lebensform, die jedoch nur dann zur Anerkennung als ,Familie' führen soll, wenn zugleich verwandtschaftliche Beziehungen, welcher Art auch immer, bestehen231 • Nicht die Blutsverwandtschaft, sondern die (rechtliche) Anerkennung der Zugehörigkeit war auch schon menschheitsgeschichtlich das maßgebende Moment für die Integration des Kindes in die Gemeinschaft und ggf. für die Entstehung der (Klein-)Familie. Zur Zeit der Volksrechte bestand dieser Akt im Aufheben des Kindes durch den Vater232 • Die Anerkennung der Verbindung von Adoptiveltern und Kind bzw. von Stiefeltern und Kind als ,Familie' zeigt, daß auch heute nach h. M. die Blutsverwandtschaft nicht als unentbehrliche Voraussetzung für die Anerkennung als ,Familie' gilt. Die obigen Ausführungen zum Strukturelement der Emotionalität haben gezeigt, daß die Emotionalbindung unabhängig von der blutsmäßigen Verwandtschaft ist. Das Beispiel der Kibbuzim-Erziehung zeigt vielmehr, daß die für die psychisch gesunde Entwicklung des Kindes unverzichtbar erforderliche Emotionalbindung zu einer Primärbezugsperson sogar unabhängig von verwandtschaftlichen Beziehungen existieren kann. Die Verwandtschaft zwischen den Mitgliedern der Gemeinschaft ist damit kein (unverzichtbares) Strukturelement der ,Familie'. Natürliche oder gesetzliche Verwandtschaft kann danach allenfalls unter ordnungspolitischen Gesichtspunkten als Voraussetzung der ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG gelten. In diesem Sinne argumentieren auch jene Autoren, nach welchen u. a. die "Sozialverwandtschaft" die ,Familie' begründen kann und die als "Sozialverwandtschaft" den personellen Zusammenschluß von Erwachsenen und Kindern bei existenten verwandtschaftlichen Bindungen definieren233 • Die Qualifizierung der Verwandtschaft als unabdingbares Element der ,Familie' erscheint jedoch zumindest als vorschnell. Denn nach den getroffenen Feststellungen besteht als einziges unverzichtbares Strukturelement der ,Familie' die Emotionalbindung. Erst wenn dieses Moment für sich keine verläßlichen Wertungen gestattet, bedarf es anderweitiger Konkretisierungshilfen wie etwa jener der Verwandtschaft. Die Emotionalität ist ein entwicklungspsychologischer Begriff. Seine Anwendbarkeit im gegebenen rechtlichen 228 Vgl. KrügerlBreetzkelNowak, Gleichberechtigungsgesetz, 1958, Einl., Rn. 211; E. v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rn. 4 a, 21 a. 229 Zu den Begriffen vgl. König (1976), S. 54 f. 230 Pirson, aaO, Rn. 32; Richter, AK-GG, Art. 6, Rn. 15 a. 231 So vor allem Richter, aaO. 232 Vgl. Planitz (1925), S. 17. 233 Vgl. Richter, AK-GG, Art. 6, Rn. 15 a.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Zusammenhang folgt aus der Zielsetzung, um die es bei der ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG geht, nämlich vor allem die Sicherung der "Aufzucht" der Kinder. Emotionalität im Rahmen der Primärsozialisation aber bedeutet234 : 1. Die Emotionalbeziehung muß zu (mindestens) einer Primärbezugsperson bestehen; 2. Sie muß dauerhaft sein, um psychische Fehlentwicklungen zu vermeiden; 3. Vorausgesetzt sind private Beziehungen sowie 4. Es bestehen wechselseitige Beziehungen zwischen Primärbezugsperson und Kind. Von der Erfüllung dieser Voraussetzungen ist beim Zusammenleben von Eltern und Kindern auszugehen, so daß insoweit im Regelfall die Blutsverwandtschaft ,Familie' impliziert. Lebt das Kind von Anbeginn bei den Großeltern, wie in den Fällen von BVerfGE 39, 326; BVerwGE 52, 214 (BVerfG FamRZ 1982, 284) sowie BVerfG NJW 1985, 423 f., so sind die Voraussetzungen der Emotionalbindung im Regelfall gleichermaßen erfüllt. Entsprechendes könnte indes auch gelten, wenn etwa ein Kind von Anbeginn bei Pflegeeltern lebt und keinen oder nur einen sehr sporadischen Kontakt zu den leiblichen Eltern bzw. zu einem der leiblichen Elternteile hat. Fraglich ist, ob auch diese Verbindungen als ,Familie' anzusehen sind. Für den Fall der Großeltern hat das BVerfG dies bejaht; in der Entscheidungsbegründung werden die verwandtschaftlichen Beziehungen (zwischen Kind und Großeltern) jedoch nicht besonders hervorgehoben, das Gericht spricht vielmehr allgemein von "Pflegeeltern"235), es bejaht den Schutz des Art. 6 GG zugunsten der Pflegefamilie nicht aufgrund formaler, sondern aufgrund inhaltlicher Kriterien236 • Die Pflegefamilie dürfte der einzige denkbare Fall sein, in dem die oben genannten Konkretisierungen der Emotionalbindung erfüllt sind und zugleich eine Verwandtschaft nicht notwendig besteht. Schon von daher ergibt sich eine Eingrenzung der denkbaren Fälle. Auf eine andere Eingrenzung macht das Bundesverfassungsgericht aufmerksam, wenn es auf die Gesetzesmaterialien zu § 1632 Abs. 4 BGB hinweist, nach denen dem vorgebeugt werden sollte, daß die Eltern mit der Weggabe des Kindes in nahezu jedem Fall mit dem Verbleib des Kindes in derPflegefamilie rechnen müßten237 . Daraus folgt, daß nicht schon jede Dauerpflegschaft als ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG anzuerkennen ist. Zu fordern ist der objektiv erkennbare Übergang der Familienfunktion von der Ursprungsfamilie auf die Pflegefamilie. Dies setzt voraus, daß die Pflegefamilie zwar nicht auf Ewigkeit eingerichtet ist, daß sie nach den äußeren Umständen jedoch auf Dauer eingerichtet ist, und zwar für wesentliche Phasen der Primärsozialisation, und daß zugleich die oben genannten Konkretisierungen der Emotionalbindung erfüllt sind. Der Beginn der Dauerpflegschaft und das Alter des Kindes zu diesem Zeitpunkt sowie die Existenz von 234 Vg1. die vorstehenden Ausführungen zur Emotionalität sowie im einzelnen auch die entwicklungspsychologischen Nachweise im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, §§ 1 und 2. 235 BVerfG NJW 1985, 424 r. Sp. 236 Zustimmend insbesondere Salgo, NJW 1985, 413, 415. 237 BVerfG NJW 1985, 4241. Sp., m. w. N.
4. Abschn.: Medium ,Familie'
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Emotionalbindungen und die psycho-soziale Heimat des Kindes sind objektivierbare Kriterien. Das (zusätzliche) Merkmal der Verwandtschaft ist deshalb als Abgrenzungskriterium entbehrlich. Daraus folgt, daß Blutsverwandtschaft ,Familie' im Falle des Zusammenlebens von natürlichen Eltern und Kindern impliziert. Entsprechendes gilt für die rechtliche Verwandtschaft im Falle der Adoption. ,Familie' wird aber ebenfalls durch die "Sozialverwandtschaft" begründet, also durch die Erfüllung der genannten Emotionalvoraussetzungen bei bestehender Verwandtschaft zwischen einem oder beiden Erwachsenen mit dem Kind. Verwandtschaft bildet jedoch kein (unverzichtbares) konstitutives Element der ,Familie'; sie ist als ordnungspolitischer Faktor dann entbehrlich, wenn anderweitig eine verläßliche Abgrenzung zwischen ,Familie' und anderen Zusammenschlüssen möglich ist; dies ist bei der Pflegefamilie der Fall, welche die genannten Emotionalbedingungen erfüllt und zugleich (von vornherein oder nachträglich) erkennbar auf Dauer angelegt ist oder wurde. Verwandtschaft bildet bei der Konkretisierung des Familienbegriffs somit kein unverzichtbares konstitutives Moment; sie hat insoweit aber eine starke ordnungspolitische Bedeutung. Das maßgebende Strukturelement der ,Familie' bildet die Emotionalbindung. 5. Zwischen-Ergebnis: Emotionalität und die daraus folgende Konkretisierung des Familienbegriffs
Emotionalität bildet einen Schlüsselbegriff für die Konkretisierung der Institution ,Familie'. Emotionalität ist nicht auf die Beziehungen in der personell als ,Kleinfamilie' zu bezeichnenden Gemeinschaft beschränkt. Sie hat aber in dieser Gemeinschaft - anders also als der materiell-wirtschaftliche Bereich der Unterhaltsbeziehung - ein exclusives Erscheinungsbild, nämlich im Rahmen der Primärsozialisation. Die Untersuchungen von Spitz haben dies deutlich gemacht und zudem gezeigt, daß die Primärbindung zwischen dem Kind und einer Bezugsperson notwendig für die Entwicklung des Kindes ist und damit als menschheitsgeschichtliche Prämisse mit aktueller Bedeutung gelten kann. Anders als die materiall-wirtschaftliche Beziehung kann die personell-immaterielle Beziehung zwischen Kind und Primärbezugsperson (zumindest in den ersten Lebensjahren des Kindes) nicht bzw. zumindest nicht ohne (psychische) Schäden für das Kind und den späteren ErWachsenen unterbrochen werden. Emotionalität bildet damit für die ,Familie' ein generalisierbares Phänomen. Alle einschlägigen theoretischen Ansätze messen der Emotionalität Bedeutung für die Familienbeziehungen bei238 ; von Spitz wird die 238 Die interaktionistische Begründung einer Zuordnung der in allen Lehrmeinungen wiederzufindenden Emotionalität zum Begriff der Familie ist in der feststellbaren, gesellschaftlich bedingten Verdrängung der Emotionalität ins Private zu sehen; vgl.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Emotionalität deshalb zutreffend als fundamental bezeichnet239 • Bei einer so eindeutigen gesellschaftlichen Vorgabe haben juristische Normen, vermittelt über den Normbereich, an diesen Vorgaben der Nachbardisziplinen teil. Dies wird heute im Ergebnis auch nicht mehr bestritten240 • Werden die festgestellten Definitionskomponenten addiert von 1. Emotionalität, 2. Dauerhaftigkeit, 3. Privatheit, 4. Wechselseitige Bezüglichkeit von Menschen, wobei zwar als Grundfall eine blutsmäßige Verbindung besteht, diese jedoch nicht bestehen muß, sowie 5. (als Zugeständnis an das Gebot der Rechtssicherheit) die Forderung, daß objektivierbar zu erkennen sein muß, daß der Zusammenschluß auf Dauer angelegt ist, so läßt sich ,Familie' umschreiben als:
Erkennbar auf Dauer angelegte, wechselseitig emotional bestimmte Primärbindung zwischen einer oder mehreren erwachsenen Bezugsperson(en) Sozialisator(en) - und einem oder mehreren privat oder die außerprivate Sozialisation begleitend zu Sozialisierende(n) - Kinder, Jugendliche und/oder Heranwachsende -, wobei im Grundfall eine blutsmäßige Beziehung zwischen dem Sozialisator und dem zu Sozialisierenden besteht. Zu klären ist, inwieweit diese Konkretisierung in den Normbereich des Art. 6 Abs. 1 GG einfließt. Der Verfassungsgeber hat keinen Gebrauch von seiner politischen Entscheidungskompetenz gemacht, den Begriff der ,Familie' eindeutig zu definieren241 • Daß der einfachgesetzliche Familienbegriff von der Verfassung übernommen worden wäre, läßt sich nicht nachweisen; gegen eine solche Übernahme spricht, daß etwa das BGB berücksichtigten Sozialbeziehungen zwischen Eltern und Kindern den realen gesellschaftlichen Gegebenheiten des Jahres 1949 nicht entsprachen242 . Auch für Art. 6 Abs. 1 GG ist die Normstruktur von Normprogramm und Normbereich gegeben243 • Für den Verfassungsnormbereich des Art. 6 Abs. 1 GG gilt deshalb die prinzipielle Rückbeziehung zu dem Ausschnitt der tatsächlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten, für den die Norm bestimmend ist244 • Der Normbereich der konkreten Verfassungsvorschrift umfaßt dabei allerdings nur Grundstrukturen245 • Die obige Konkretisierung des Familienbegriffs wäre danach als Umschreibung der ,Familie' auch im verfassungsrechtlichen Sinne zu bewerten, wenn sie den in Bezug genommenen Gesellschaftsausschnitt verbindlich beschreibt etwa die Untersuchungen zu "Randgruppen" (Nachweise bei MoritzlMeier, ZfS 1979, 225 ff., Fn. 2). 239 Hospitalism.,. Bände 1 und 2 (1945, 1946). 240 Vgl. die Nachweise in den voranstehenden Fußnoten 111 ff. 241 Vgl. in diesem (4.) Abschnitt, §§ 2/3. 242 Vgl. in diesem (4.) Abschnitt, § 3 CI. 243 Vgl. in diesem (4.) Abschnitt, § 3 B 11 2. 244 F. Müller (1966), S. 160 ff., 163, 171. 245 Huber (1955), S. 108 f.; F. Müller (1966), S. 160,166.
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und sich zugleich auf die Strukturelemente beschränkt sowie im Einklang mit den normativen Zielvorstellungen des Art. 6 GG steht. Die getroffene Konkretisierung knüpft an die sich aus Art: 6 Abs. 1 und 3 ergebende Schlußfolgerung an, wonach ,Familie' die Beziehungen von Eltern und Kindern umfaßt246 . Die Emotionalität wurde als Strukturelement der Sozialisationsbeziehungen zwischen den Erwachsenen und dem Kind in der personell als· ,Kleinfamilie' zu bezeichnenden Gruppe menschheitsgeschichtlich nachgewiesen; ebenso wird nach allen Auffassungen davon ausgegangen, daß Emotionalität auch in der Gegenwart die Beziehungen in der personell als ,Kleinfamilie' zu bezeichnenden Gemeinschaft prägt. Das Moment der Emotionalität bildet damit im kulturanthropologischen Sinn ein Grundelement der ,Familie'. Der oben formulierte Familienbegriff konkretisiert diese Mindestbedingung unter Berücksichtigung des in Art. 6 Abs. 2 erwähnten Zwecks der Betätigung der Eltern in der Familie, der "Aufzucht" der Kinder. Die kulturanthropologische Grundlegung sowie die daraus und unter Beachtung des aus Art. 6 GG gefolgerten personellen Aufbaus entwickelte Konkretisierung beachtet die Maßstabsfunktion der Grundrechte für die Wirklichkeit. Die kulturanthropologische Wirklichkeit dient als Maßstab auch für die vom Grundgesetz geschützte Wirklichkeit. Allerdings gilt dies nur, so lange die Grundrechtsnormen keine andere Wertsetzung ausdrücklich vorsehen. Daran aber fehlt es bei Art. 6 Abs. 1 GG. Als Mindestbedingungen beschränken sich die Komponenten zugleich auf die (unverzichtbaren) Strukturelemente. Sie schaffen keine neuen Inhalte, sondern konkretisieren den kulturanthropologischen Grundgehalt der Norm; der Ansatz beachtet damit den Unterschied zwischen Voraussetzung und Folge des Begriffs der ,Familie'247 und erfüllt so die Anforderungen für eine Konkretisierung des Familienbegriffs i. S. d. Art. 6 GG. Zugleich wird durch die getroffene Umschreibung die Bedeutung des Art. 6 Abs. 1 GG als Institutsgarantie und als Grundrecht im klassischen Sinne gewahrt. Es wird die strukturell-normative Ebene beibehalten. Die Verbindung von Menschheitsgeschichte und kultureller Wirklichkeit im kulturanthropologischen Ansatz ermöglicht es zugleich, sozialen Wandel normativ zu vermitteln. Dies aber steht wiederum nicht im Gegensatz zu den Grundrechtswertungen, sondern trägt zur Stabilisierung der Rechtsordnung bei248 . Die getroffene Umschreibung erlaubt schon eine Abgrenzung zu anderen Gemeinschaften. Rechtsdogmatische Gesichtspunkte sowie die Frage der Auswirkung der gefundenen Konkretisierung für die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 GG sind im einzelnen jedoch (nachfolgend) erst zu erörtern.
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Zur Herleitung vgl. in diesem (4.) Abschnitt, §§ 1/2. Siehe bei Häberle (1984), S. 30. Vgl. schon oben, in diesem Paragraphen, unter "B IIIIII".
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung VI. Abgrenzung zu anderen Gemeinschaften
1. Bloße Geschlechtsgemeinschaft
Nicht als ,Familie' ist eine bloße Geschlechtsgemeinschaft zu qualifizieren249 • Dort fehlt es schon an der personellen Voraussetzung "Kinder". Hat einer der erwachsenen Beteiligten Kinder, die im selben Haushalt leben, so besteht allenfalls zwischen ihm und den Kindern eine ,Familie', da es im übrigen an der wechselseitig emotional akzeptierten und auf Dauer angelegten Beziehung fehlt. 2. Wohngemeinschaften
Im Gegensatz zum funktionalistischen Ansatz ermöglicht der hier gefundene Familienbegriff auch eine Abgrenzung zu bloßen Wohngemeinschaften. Denn die Funktionen25o a) Ermöglichen von Sexualität, b) ökonomische Sicherung, c) Fortpflanzung und d) Erziehung können grundsätzlich auch von den als Wohngemeinschaften zu bezeichnenden Zusammenschlüssen erfüllt werden und werden in der Realität von diesen auch oftmals wahrgenommen251 . Wohngemeinschaften zeichnen sich indes durch ein Phänomen aus, welches Dominanz nur in sogenannten "pathologischen Familien" hat; sie begünstigen eine Subgruppenbildung und sind auf diese angelegt252 • Eine umfassende wechselseitige und auf Dauer angelegte emotional bestimmte Primärbindung zwischen den Angehörigen der Wohngemeinschaft ist damit nicht gegeben; dieser kommt nach der hier vertretenen Fixierung deshalb keine Familien-Qualität zu.
Ebenso BVerfGE 36, 146, 167. Zu diesen "Basisfunktionen der Familie" im funktionalistischen Ansatz vgl. insbesondere Neidhardt (1970), S. 10. 251 Vgl. etwa die Untersuchungen von Cyprian (1978), S. 40 ff. 252 Cyprian (1978), S. 13. 249
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§ 4 Die Rückwirkungen der gefundenen Konkretisiemng
des Begriffs ,Familie' auf die verfassungsrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 GG A. Rechtsdogmatische Gesichtspunkte
I. Die gnJndsätzUche Anwendbarkeit des psycho-soziaIen Familienbegriffs auf das Vedassungsrecht
Daß auch von Juristen anerkannt ist, daß es sich bei der Familie um ein gesellschaftliches und soziales Phänomen handelt, wurde schon dargelegtl. Die vorstehenden Ausführungen entsprechen insofern der üblichen juristischen Praxis, als auch jene ihre inhaltlichen Begründungen mit Argumenten abzusichern sucht, die von der Soziologie zur Verfügung gestellt werden2 • Da die Verfassung einen definitorischen Freiraum läßt, begegnet die Anwendung des psycho-sozialen Familienbegriffs auf das Verfassungsrecht keinen grundsätzlichen Bedenken3 . Im Unterschied zur herkömmlichen Praxis werden hier nicht unreflektiert Ergebnisse funktionalistischer Wertung übernommen. Es erfolgt eine - wie gezeigt - erforderliche Hinterfragung des soziologischen Resultats. Die dadurch erreichte bessere Absicherung der nachbardisziplinären Ergebnisse erhöht den Wert der getroffenen Aussagen. 11. Generalisierung kontra kasuistische Normierung
Es ist anerkannt, daß Art. 6 Abs. 1 GG lediglich die "Strukturprinzipien" (= den "Typus") der Familie bestimmen will4 • Der damit angesprochenen Forderung nach Generalisierbarkeit entspricht die gefundene Familien-Definition. Die Begriffe der Erkennbarkeit, Emotionalität, Dauerhaftigkeit, Privatheit sowie wechselseitigen Bezüglichkeit sind generelle Phänomene und im Einzelfall objektivierbar. Dabei mag es im Konfliktfall der Hinzuziehung von Sachverständigen bedürfen5 • Ebenso, wenngleich Sozialisation - richtig verstanden - ein wechselseitiger Prozeß ist, kann generell auch der Sozialisator In diesem Abschnitt unter § 3 A. Siehe die obigen Nachweise (in diesem Abschnitt unter § 3 AlC) 3 Anders allerdings Lecheier (FamRZ 1979, 1 ff., 3). Wenn er die Herleitung aus "außerrechtlichen Vorstellungen" - in entsprechender Anwendung einer Aussage in v. MangoldtiKlein, GG-Komm., Bd. 1, 1966, Anm. V/3 - als eine "unkontrollierbare ,Wesensschau'" charakterisiert und statt dessen eine induktive Interpretation aus dem vorhandenen Normenbestand (des BGB i. d.F. von 1949; - Lecheier , aaO -) vorschlägt und dieses Vorgehen nicht nur auf die Ermittlung des Begriffskerns beschränkt, sondern auf diese Weise ausdrücklich zur Klärung des Familienbegriffs gelangen will, so läßt er den notwendigen reflexiven Bezug von Gesellschaftswirklichkeit und Recht, einschließlich dessen kodifizierten Teils, unberücksichtigt. 4 Vgl. in diesem Abschnitt unter § 2. 5 Zum entsprechenden Ansatz vgl. OLG Karlsruhe NJW 1979, S. 930 f. 1
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
ennittelt werden und damit das Vorhandensein der vorausgesetzten "erwachsenen Bezugsperson" sowie - als "Gegenpart" - des (bzw. der) zu Sozialisierenden. 111. Einheit des Rechtssystems
Es ist von der grundsätzlichen Einheit des Rechtssystems auszugehen6 . Innerhalb dessen ist jedoch den Sonderanforderungen der Einzelbereiche Rechnung zu tragen. Dies bedeutet für das hier vor allem interessierende Verhältnis der Verfassung zu den Regelungen des bürgerlichen Rechts, daß infolge der Wertordnungsdeterminierung durch die Verfassung deren Begriffe auch für die Partikulärordnung von Bedeutung sind. Daraus folgt jedoch nicht, daß die Begriffe in der Verfassung und in der Partikulärordnung identisch zu sein hätten7 • Die separaten Festlegungen des bürgerlichen Rechts sind vielmehr an Art. 6 Abs. 1 GG als der vorrangigen Nonn, die selbst die Grundprinzipien i. S. einer Basiswertung enthält, zu messen8 (nicht umgekehrt!). Oben wurde darauf hingewiesen, daß das BGB keine Begriffsbestimmung der Familie enthält. Es gebraucht die Bezeichnung der ,Familie' innerhalb der Beschreibung von Rechten und Pflichten der Einzelpersonen unterschiedlich9 • Im einzelnen wird darauf in den nachfolgenden Kapiteln einzugehen sein. Hier genügt die Feststellung, daß die getroffene Konkretisierung des Fami6 Vgl. dazu grundlegend Engisch (1935). Siehe auch: Meyer NJW 1972, S. 1846 m. w. N. in den dortigen Fn. 21 und 22; E. Schwerdtner, AcP 173 (S. 246 m. w. N. in dort. Fn. 78). Der gegenteiligen Auffassung von Schenke - (1965), S. 5 f. -, welcher den Satz vom "Postulat der Einheit der Rechtsordnung als Konkretion der Gerechtigkeit" für ein "Rudiment aus früheren Zeiten" hält, setzt Köhler - NJW 1971, 118 zutreffend die Regelung des Art. 95 Abs. 3 GG entgegen, aus dem zu schließen ist, daß auch das Grundgesetz von diesem Grundsatz ausgeht. 7 Zum Begriff der Familie i. S. d. § 1 JWG vgl. BVerwGFamRZ 1977, S. 541 ff., 544; entsprechend der vom OLG Karlsruhe in NJW 1979, S. 930 - wiedergegebenen Entscheidung zu Art. 6 Abs. 1 GG stellt das BVerwG - aaO - fest, daß als Familie i. S. d. § 1 JWG "ein die Großeltern einschließender Verband" verstanden werden kann, "wird das bei den Großeltern lebende Kind von diesen in Erfüllung der bürgerlichrechtlichen Unterhaltspflicht auch unterhalten ... ". Wie das JWG enthält auch § 7 BSHG keine Inhaltsbestimmung des dort verwendeten Begriffs der Familie. Einer unter rechtspolitischen Gesichtspunkten bisher wünschenswert erscheinenden extensiven Auslegung des Beghriffs bedarf es nach Änderung des § 91 BSHG nicht mehr, welcher eine Heranziehung Unterhaltsverpflichteter im 2. oder weiteren Grad untersagt. Die h. A., wonach Familie i. S. d. § 7 BSHG neben den Eltern alle in der geraden oder Seitenlinie Verwandten und Verschwägerten umfaßt "':'vgl. etwa Jehle, § 7 BSHG, Anm. 46 -, erscheint deshalb zu weitgehend und auch nicht mit der Intention des § 7 BSHG der "Festigung des Familienzusammenhalts" erklärbar. Auch hinsichtlich des § 7 BSHG würde m. E. eine Begriffsbestimmung der hier gefundenen Art weiter helfen und der gesetzlichen Zielsetzung eher entsprechen. 8 Insoweit entspr. BVerfGE 36, 146, 162. - Zum Zusammenhang der verfassungsrechtlichen mit der zivilrechtlichen Definition der Familie vgl. im einzelnen im 3. Kapitel, 2. Abschnitt. 9 Vgl. im folgenden; S. 160ff.
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lien begriffs sowohl den engen Begriff der "Ehegatten plus Kinder" der §§ 1355, 1616 BGB umfaßt als auch weitergehende Bestimmungen zuläßt. Andererseits ist es unschädlich, wenn sich nicht die Gesamtheit der im 4. Buch des BGB unter dem Titel "Familienrecht" zusammengefaßten Vorschriften unter die gefundene Definition subsumieren lassen. Denn diese Überschrift ist nicht als Substantiierung, sondern als hinweisende und gegenüber den übrigen Büchern des BGB schlagwortartig abgrenzende Kategorisierung gemeint lO • Anzumerken bleibt jedoch, daß, wenn überhaupt, so der hier gefundene, soziologisch begründete weite Begriff geeignet ist, den im 4. Buch des BGB behandelten Bereich in einen logischen Zusammenhang zu stellen ll , und nicht eine Definition, welche Familie als "durch Ehe verbundene Eltern mit ihren unmündigen Kindern" begreift. B. Folgen der gefundenen Familiendefmition für die personale Erstreckung des Art. 6 GG I. Die herrschende Meinung
Den Hauptkritikpunkt an der herrschenden funktionalistischen Auslegung bildete der Umstand, daß sie Familie inhaltlich mit der "Kernfamilie" gleichsetzt. Diese Kritik wird bestätigt, wenn einige funktionalistische Ansätze selbst den grundgesetzlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG auch für Verbindungen von Erwachsenen mit Kindern anerkennen, welche strukturell oder nach den biologischen Voraussetzungen der Kernfamilie nicht entsprechen. Im biologisch-funktionalistischen Ansatz fehlt dafür eine befriedigende Begründung. Vielmehr muten diese Erweiterungen zum Teil als willkürlich an 12 • So wird von einigen Autoren die Auffassung vertreten, daß der unehelichen Mutter mit ihrem Kind das Elternrecht zu versagen wäre 13 • Bis zur entgegengesetzten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts14 sprach sich auch eine Mehrheit 10 Zum Ursprung der Eingliederung des Familienrechts hinter Schuld- und Sachenrecht in der Pandektenwissenschaft und zu der gegenüber anderen Gesetzbüchern fremden Trennung des Familienrechts vom allgemeinen Personenrecht vg1. Beitzke (1980), S. 2. 11 So auch Beitzke (1980), S. 2, unter ,,11". 12 Zur entsprechenden Kritik an funktionalistischen Ansätzen und Wertungen vg1. zutreffend Hahnzog - FamRZ 1971, 3371. Sp. -, wenn er unter Hinweis auf BVerfGE 24, 119 die fehlende Begründung bei der getroffenen Entscheidung rügt; vg1. bei dems., aaO, S. 338 f., auch die Nachweise der widersprüchlichen Literaturwertungen zur "Vorgabe" des Elternrechts in den dortigen Fn. 68 ff. 13 Vg1. BVerwGE 40, 30; v. MangoldtiKlein, Art. 6 Anm. 11 5; a. A. Krüger (1972), S. 314; Maunz in MDHS, Art. 6 Anm. 16; Hamann/Lenz mit BVerwGE 15, 28; v. Münch, Art. 6, Rn. 4; Pirson in BK, Art. 6, Rn. 24; Scheffler (1972), S. 252. 14 BVerfGE 24, 119, 150.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
in der Literatur gegen ein Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG für Adoptiveltern aus 15 . Dem letztlich aus rechtsstaatlichen Erwägungen resultierenden Bedürfnis nach Rationalisierung der Grundrechtsanwendung vermag die hier gefundene Definition der Familie jedenfalls insofern eher zu entsprechen, als sie gesellschaftlichen Wandel zu berücksichtigen in der Lage ist und mit den Begriffen von Emotionalität, Dauerhaftigkeit, Privatheit sowie wechselseitiger Bezüglichkeit erstmals im Einzelfall objektivierbare Kriterien von gleichzeitig generalisierbarer Bedeutung einführt. Der Abschied vom Primat der klassischen Kernfamilie sollte dabei auch von jenen Verfassungsrechtlern begrüßt werden, die funktionalistischen Vorstellungen verhaftet sind. Denn auch sie sind nunmehr der Peinlichkeit einer Disqualifizierung jener Verbindungen enthoben, welche dem "Idealbild" der Kernfamilie nicht entsprechen. Welche Lösung folgt nun für die personale Erstreckung des Art. 6 Abs. 1 GG in den in der Vergangenheit aufgetretenen Zweifelsfällen aus der hier vertretenen Konkretisierung des Familienbegriffs? 11. Eigener Ansatz
1. Grundsätzliche Gleichwertigkeit der natürlichen und der ("nur") sozialen Kindschaft Da der hier verwendete Familienbegriff ein sozio-/psychologischer ist, folgt daraus, daß maßgebend für die Beurteilung der Gruppenmitglieder deren soziale Beziehungen werden. Es ist damit eine Begründung für die auch von der h. M. vertretene Auffassung gefunden, daß nicht nur "natürliche" (= "eheliche") Kinder den Tatbestand der Familie "bewirken"16 - entsprechendes muß dann auch für den sozialen Gegenpart, die Eltern, gelten. Das hier eingeführte Kriterium der "sozialen Kindschaft" kennzeichnet m. E. besser die wechselseitigen Beziehungen, als dies der Terminus der "rechtlichen Kindschaft" tut 17 • Er vermeidet darüber hinaus die unterverfassungsrechtliche Bestimmung verfassungsrechtlicher Normen. Andererseits ist durch den Aspekt der Dauerhaftigkeit eine uferlose Ausweitung des Begriffs der "sozialen Kindschaft" vermieden; die Begriffe Emotionalität, Dauerhaftigkeit, Privatheit sowie wechselseitige Bezüglichkeit liefern zugleich die für eine rechtliche Handhabung erforderlichen rechtlich relevanten Tatbestände.
Vgl. die detaillierten Nachweise bei Hahnzog FamRZ 1971, 334, dort. Fn. 9. HamannlLenz, Art. 6, Anm. B 1; MDHS, Art. 6, Anm. 16; v. Münch, Art. 6, Rn. 4; Schmidt-BleibtreuiKlein, Art. 6, Rn. 6. 17 Vgl. auch BVerfGE 36, 132 ff., wonach nicht die zivilrechtliche Verwandtschaft ausschlaggebend ist; maßgebend seien vielmehr die "tatsächlichen Beziehungen" zustimmend Pirson, BK, Art. 6, Rn. 25. 15
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2. "Kernfamilie" Auch nach der hier getroffenen Definition entsprechen Gruppierungen mit dem strukturellen Aufbau einer Kernfamilie (= Eltern mit einem oder mehreren volljährigen und/oder minderjährigen Kind(ern)) dem in Art. 6 Abs. 1 GG verwendeten Begriff der Familie; sie haben damit an dem Grundrechtsschutz des Art. 6 Abs. 1 GG teil. Verkannt wird ebenso nicht die ordnende Komponente des Art. 6 Abs. 1 GG18. Denn diese wird auch von Anhängern funktionalistischer Vorstellungen nicht dahin interpretiert, daß Art. 6 Abs. 1 GG ausschließlich Gruppierungen mit dem Aufbau einer Kernfamilie schütze 19 . Insofern hat die Kernfamilie die Vermutung einer Familie i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG für sich. Diese Vermutung ist allerdings widerlegbar und widerlegungsbedürftig, etwa im Falle der Konkurrenz von Kernfamilie und Pflegefamilie. Das Auslegungskriterium bildet für diesen Fall die gefundene Familiendefinition. 3. "Restfamilie" Im Gegensatz zur h. M. genießen Kinder mit einem Elternteil nach Tod, Scheidung oder Trennung des anderen Ehepartners den Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG nicht aus Gründen einer zweifelhaften Rest-Fuktionalität der vormaligen "vollständigen" Familie. Vielmehr resultiert der Grundrechtsschutz aus der Eigenwertigkeit auch dieser Gruppierung als Sozialisator . 4. "Unvollständige Familie" Entsprechendes wie für die "Restfamilie" gilt für die von vornherein "unvollständige Familie". Dabei macht es keinen Unterschied, ob es sich um ein Zusammenleben des unehelichen Vaters mit seinem Kind oder jenes der unehelichen Mutter mit ihrem Kind handelt. Maßgebend ist lediglich das Vorliegen der nicht nur vorübergehenden Sozialisations-Partnerschaft. Zweifelhaft könnte die Qualifizierung sein, wenn sich die "Rest-" oder "unvollständige Familie" um ein weiteres erwachsenes oder gar kindliches Mitglied z. B. bei einer (erneuten) nichtehelichen Schwangerschaft der Mutter - erweitert. Ob dieser "Zuwachs" als Teil der Familie zu betrachten ist, richtet sich nach den gleichen Kriterien, wie diese für die Beurteilung insgesamt gelten. Wenn etwa eine (objektiv erkennbar) auf Dauer angelegte Sozialisations-Partnerschaft gegeben ist - eine solche ist nicht identisch mit einer bloßen Geschlechtsgemeinschaft, für welche das Bundesverfassungsgericht20 auch aus der hier vertretenen Sicht zutreffend die Qualifizierung als Familie abgelehnt 18 19 20
Vgl. BVerfGE 36, 146, 167. Siehe etwa Lecheier, FamRZ 1979, S. 1,3. BVerfGE 36, 146, 167.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
hat -, so wäre dieser Zusammenschluß unabhängig vom formalen Akt etwa eines Eheschlusses21 - wenngleich dieser im Regelfall das objektive Beurteilungskriterium liefert - als Familie i. S. d. Art. 6 Abs. 1 GG zu bewerten. 5. Pflegefamilie Für die Gesamtheit möglicher Varianten der Pflegefamilie läßt sich keine einheitliche Antwort auf die Frage geben, ob Pflegefamilien unter dem Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG stehen. Das Kriterium der emotionalen Bindung wird zumindest nach längerer Dauer der Beziehung erfüllt sein. Schwab22 weist zutreffend auf die Korrelation von Abbau der inneren Beziehungen zu den natürlichen Eltern und Aufbau neuer existentieller Bindungen zu den Pflegeeltern als den typischen Konsequenzbereich nicht persönlich ausgeübter Elternsorge hin. Schwab meint jedoch, daß die Eltern durch noch so lange Sorgeabstinenz ihr Recht keineswegs verlören oder verwirken würden23 • Konsequenzen ergeben sich für ihn allgemein für die Ausübung des staatlichen Wächteramtes 24 • Dieses Ergebnis von Schwab ist wohl eher aus seinem Bemühen zu verstehen, sich nicht in eine Auseinandersetzung der "faktischen" gegen die "genetische" Elternschaft hineinziehen zu lassen, und damit den fruchtlosen Streit um das Attribut "natürlich" des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG wiederzubeleben. Das Bundesverfassungsgericht geht weiter als Schwab. Es erkennt an, daß als Folge eines länger andauernden Pflegeverhältnisses eine gewachsene Bindung entstanden sein kann, mit der Konsequenz, daß auch diese aus dem Kind und den Pflegeeltern bestehende Pflegefamilie durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt ist25 • Ob die natürlichen Eltern in der Konsequenz ihre Rechte aus Art. 6 GG verlieren oder ob von einem doppelten Schutz auszugehen ist, einmal jenem der Pflegefamilie, zum anderen jenem der natürlichen Eltern, bleibt ungeklärt. Das Gericht verweist auf die Pflichtseite des Elternrechts, welche einen wesensbestimmenden Bestandteil des Elternrechts darstelle. Aus dieser Pflichtseite wird zutreffend die Verfassungsmäßigkeit des § 1632 Abs. 4 BGB begründet und zugleich die Auffassung gerechtfertigt, daß Kindeswohlgesichtspunkte auch in der verfassungsrechtlichen Beurteilung die Entscheidung des Vormundschaftsgerichts legitimieren könnten, bei gewachsenen Bindungen zu den Pflegeeltern einen längerdauernden Verbleib des Kindes bei den Pflegeeltern auch gegen den Willen der "leiblichen" Eltern anzuordnen 26 • Insoweit geht das Gericht von der Existenz des Elternrechts der Enger der VerwGH München - FamRZ 1971, 449. Schwab, Gutachten für den 54. Deutschen Juristentag, Bd. 1, Teil A, München 1982, S. A 114. 25 BVerfG NJW 1985, 423 r. Sp., am Ende. 26 BVerfG NJW 1985, 4241. Sp. 21
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4. Abschn.: Medium ,Familie'
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natürlichen Eltern aus, aus dessen Pflichtseite sich die Respektierung des Kindeswohls unter gleichzeitiger Rückdrängung der Elternrechte ergibt. Im Schluß absatz der Entscheidung sowie unter der dortigen Ziffer ,,1.2." erkennt das Gericht einen eigenen Schutz der Pflegefamilie gegenüber den natürlichen Eltern an. Wenn ,Familie' nach h. M. einen Zusammenschluß von Eltern und Kindern darstellt, wäre das Kind nach dieser Konstruktion möglicherweise Mitglied und Entstehungsfaktor zugleich von zwei Familien, wobei unklar bliebe, welche der Familien vorrangig nach Art. 6 GG zu schützen wäre. Bewertungskriterium müßte hier das Kindeswohl sein. Dies führte dazu, daß der Vormundschaftsrichter, welcher vorrangige und unter Kindeswohlgesichtspunkten schützenswerte Bindungen zu den Pflegeeltern feststellte, zugleich über die Zuordnung verfassungsrechtlicher Positionen (der Pflegeeltern aus Art. 6 GG) entschiede. Diese Dispositionsmöglichkeit des Vormundschaftsrichters über Grundrechtspositionen entfällt bei dem hier vertretenen Ansatz. Danach macht nicht irgendeine "Natürlichkeit", sondern die verläßlich auf Dauer emotional akzeptierte Sozialisationspartnerschaft überhaupt erst das konstitutive Moment (auch) des verfassungsrechtlichen Familienbegriffs aus. Bei diesem Tatbestand ist entgegen Schwab27 nicht mehr möglich, die Frage, welche verfassungsrechtlichen Konsequenzen sich aus der Installation eines Pflegefamilienverhältnisses ergeben, dahinstehen zu lassen. Zugleich aber obliegt es bei diesem Ansatz nicht mehr dem Vormundschaftsgericht, Verfassungspositionen zuzuweisen. Vielmehr hat dieses weiterhin nur darüber zu befinden, ob und wie lange auch unter Berücksichtigung der vorhandenen Bindungen ein Pflegekind bei den Pflegeeltern bleibt; prinzipiell geschieht dies im Rahmung der Pflichtbindung des Elternrechts, mit dem Ziel der Rückführung des Kindes in die natürliche Familie. Anders dagegen verhält es sich, wenn etwa das Kind von Anbeginn in der Pflegefamilie lebte und die Eltern keinen oder nur einen sporadischen Kontakt zu dem Kind hatten. Auch in diesem Fall besteht zunächst das Elternrecht der natürlichen Eltern und demgegenüber eine verfassungsrechtlich nicht geschützte Position der Pflegeeltern. Dauert das Pflegeverhältnis aber an, so ist das Entstehen einer verläßlich emotional akzeptierten Sozialisationspartnerschaft in diesem auf unbestimmte Zeit, als von vornherein nicht nur vorübergehend eingegangenen Pflegeverhältnis konstitutiv für den Grundrechtsschutz der Pflegefamilie aus Art. 6 Abs. 1 GG, unter (spätestens) gleichzeitiger Beendigung dieses Schutzes für das Verhältnis des Kindes zu seinen leiblichen Eltern28 • Die Feststellung der konstitutiven Familienkriterien in der Pflegefamilie unterläge dem Vormundschaftsgericht; dieses fungiert jedoch nicht im Sinne einer verfassungsrechtlichen Inrechtstellung der Pflegefamilie; seine Aufgabe besteht allein in der Überprüfung des 27
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Schwab, aaO. Im Ergebnis ebenso OLG Karlsruhe NJW 1979, 930 f.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Vorliegens der konstitutiven Familienelemente; der verfassungsrechtliche Schutz ergibt sich dagegen originär aus dem Grundgesetz29 • Der Anerkennung als Familie steht insbesondere eine von Zöller30 behauptete "Erziehungsunfähigkeit" von Großeltern nicht entgegen, wird die Pflegefamilie aus den Großeltern mit ihrem Enkelkind gebildet. Die "Erziehungsfähigkeit" ist zu berücksichtigen im Rahmen der Pflichtbindung der Eltern bzw. bei der Konkretisierung des Kindeswohls. Insoweit ist auch der ansonsten zu kritisierenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz der Familiengemeinschaft von geistig behinderten Eltern mit ihrem Kind zuzustimmen3l . Die Emotionalbindung sowie die weiteren genannten Kriterien sind maßgebend für die Definition eines Zusammenschlusses als ,Familie', nicht dagegen die "Erziehungsfähigkeit" der beteiligten Erwachsenen. Zu dem Argument von Zöller ist im übrigen zu bemerken, daß unterschiedliche Lebenseinstellungen von Kindern und Erziehern nicht auf das Verhältnis von Kindern zu ihren Großeltern beschränkt ist. Somit kann bei Erfüllung der weiteren familienkonstituierenden Voraussetzungen die aus Großeltern und ihrem Enkelkind gebildete Pflegefamilie eine ,Familie' im Sinne des Art. 6 GG sein. Auch dieser Zusammenschluß unterliegt aber insbesondere der Wacht durch die staatliche Gemeinschaft nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG. Eine andere Bewertung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, daß der Staat die Pflegefamilie in Form des Pflegekindergeldes materiell unterstützt. Denn zwar ist der wirtschaftliche Beistand der Familienmitglieder untereinander auch heute noch als moralische, in der Regel sogar gesetzlich normierte Pflicht zu begreifen. Die weitgehende Ergänzung der Individualhaftung durch eine sozialstaatlich begründete Gemeinschaftshaftung rechtfertigt jedoch die Beurteilung des wirtschaftlichen Aspektes lediglich als Folgekriterium der Familie, nicht jedoch als eines ihrer konstitutiven Momente32 • HI. Die Frage nach Beginn und Beendigung der Familienqualität
Die Frage des Beginns der Familienqualität läßt sich allgemein auf den Zeitpunkt beziehen, zu dem die genannten Definitionskomponenten insgesamt erfüllt sind. In der Regel ist dies mit der Beendigung des Geburtsvorganges Entsprechend ist die Konstellation im Falle der Adoption. FamRZ 1978, 4, 8 f., m. w. N. 31 BVerfGE 60, 79, 94. 32 Vgl. im einzelnen vorstehend unter,,§ 3 D IV" dieses (4.) Abschnitts. Dem widerspricht nicht die Auffassung des BVerfG (E 28,113, mit 13, 347, entspr. BVerfGE 40, 132), won ach Art. 6 Abs. 1 GG "auch den wirtschaftlichen Zusammenhalt der Familie fördern" wolle. Diese Bedeutung der Familie wird auch hier nicht geleugnet. 29
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4. Abschn.: Medium ,Familie'
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bei der Geburt des 1. Kindes der Eltern gegeben. Im Falle der privaten Ersatzfamilien trifft dies mit der erfolgten Adoption bzw. der richterlichen Feststellung der Erfüllung der Familienkomponenten durch die Pflegefamilie zu. Entsprechendes gilt für die Beendigung. Müßte bei definitorisch sauberer Argumentation von Anhängern der Auffassung eines grundgesetzlichen Schutzes der "Kernfamilie" die Gewährleistung spätestens mit Volljährigkeit des jüngsten der im Haushalt lebenden Kinder versagt werden33 , so ermöglicht eine auf die soziale Beziehung abstellende Definition eine Abstützung der wohl als herrschend zu bezeichnenden Ansicht 34, welche den grundgesetzlichen Schutz auch über die Volljährigkeit der Kinder hinaus bestehen lassen will. Als Beendigungstatbestand ist die Auflösung der erkennbar auf Dauer angelegten, wechselseitig emotional bestimmten Primärbindung anzusehen, welche zwar in der Regel, nicht aber notwendig durch eine räumliche Trennung dokumentiert wird35 • C. Wirkungen für Art. 6 Abs. 2 GG Die Bestimmung der Träger des subjektiv-öffentlichen Rechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG ist unmittelbar abhängig von der Definition des Begriffs der Familie36 • Insofern läßt sich aus den vorstehenden Ausführungen auf die möglichen Berechtigten aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG rückschließen. Die Strukturelemente der ,Familie' bilden im übrigen zugleich Teilstrukturen des Normenbereichs des Art. 6 Abs. 2 GG. Denn ,Familie' hat als Sozialisator, welcher seinerseits wieder im politisch/sozialen Wechselprozeß steht, zumindest einen mittelbaren Einfluß auf die auch rechtliche Ausgestaltung des Eltern/KindVerhältnisses.
33 So wohl Gastiger/Oswald (1978), S. 23 f. i. V. m. 134 ff.; unklar bei Leibhol:zJ Rinck, Art. 6, Anm. 1 f.; v. Münch, Art. 6, Rn. 4; Rebmann, MünchKomm. Bd. 5, Ein!. Rn. 24. 34 Ausdrücklich HamannlLenz, Art. 6, Anm. B 1, Klein in v. MangoldtiKlein, Art. 6, Anm. III 7, und MDHS, Art. 6, Anm. 16. 35 Gemeinsame Haushaltsführung wertet auch das BVerfG (E 36, 132 ff.) lediglich als "Indiz" für das Bestehen einer Familie. Selbst bei Heirat des Kindes erkennt das BVerfG (FamRZ 1970, 480) noch die Möglichkeit von Schutzwirkungen aus der Altfamilie an. 36 Entsprechend Peters (1972), S. 375; s. besonders auch Röbbelen (1966), S. 137 m. w. N. in dortiger Fn. 3.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
5. Abschnitt
Die inhaltliche Konkretisierung der verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern· und Kindesrecht § 1 "Echte·" und "unechte Grundrechtsmündigkeit" sowie der Grundsatz einer prinzipieU existenten GrundrechtsmÜDdigkeit
Die Verneinung einer unmittelbaren Drittwirkung1 der Grundrechte führt dazu, daß sich nicht das Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG und das Persönlichkeitsrecht sowie sonstige Grundrechte des Kindes unmittelbar gegenüberstehen. Die konträren Grundrechte sind vielmehr je für sich staatsgerichtet und haben für die rechtliche Beurteilung des Eltern/Kind-Verhältnisses nur als grundsätzliche Wertentscheidungen der Verfassung Bedeutung. Diese Wertordnung muß der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der zivilrechtlichen Verhältnisse und der Richter im Rahmen der gesetzesinterpretierenden Tätigkeit berücksichtigen. Das Problem des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrechten wurde von H. Krüger und anderen2 unter dem Schlagwort der "Grundrechtsmündigkeit" behandelP. Der Begriff der "Grundrechtsmündigkeit" findet sich nach E. Schwerdtner4 erstmalig bei v. MangoldtIKlein. Geläufig wurden die Bezeichnungen "Grundrechtsfähigkeit" und "Grundrechtsmündigkeit" für die nach zivilrechtlichem Modell getroffene Unterscheidung zwischen "Innehabung" und "Ausübung" eines Rechts5 jedoch erst aufgrund der Ausführungen von H. Krügerli. Dürig weist darauf hin, daß das Eltern-Kind-Verhältnis nur einen Aspekt aus dem Fragenkreis der "Grundrechtsmündigkeit" ausmacht; er hält es darüber hinaus für verwirrend, die Diskussion zum Eltern-Kind-Verhältnis unter dem Etikett der "Grundrechtsmündigkeit" zu führen 7 • Tatsächlich ist die Frage der "Grundrechtsmündigkeit" für das Eltern-Kind-Verhältnis von einem anderen Problemkreis überdeckt, nämlich der Abgrenzung der Befugnisse der Eltern von dem Selbstbestimmungsrecht der Kinder8 . So betrifft Vgl. im 3. Abschnitt dieses (2.) Kapitels. Vgl. die Darstellungen im 2. Abschnitt, unter ,,§ 2 AlB" (Krüger, Perschel, Leuschner) sowie "D" (Reuter). 3 Ablehnend vor allem Diederichsen, FamRZ 1978, 461 ff., 463; Gemhuber (1980), S. 61 f. 4 AcP 173 (1973), S. 232, Fn. 16. 5 Vgl. die Herleitung dieses Dualismus' bei Reuter (1968), S. 52 ff. 6 FamRZ 1956, 330. 7 Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 18. S Dürig, aaO, Rn. 18. 1
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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selbst der von Dürig gebildete verfassungsrechtliche Fall, in dem ein Polizist einen Minderjährigen festnimmt, nicht die "Grundrechtsmündigkeit" schlechthin. Es geht darum, ob sich der Minderjährige selbst auf Art. 104 GG berufen kann oder es dazu der Hinzuziehung der Eltern bedarf. Zu unterscheiden sind demnach die Fälle "echter -" und "unechter Grundrechtsmündigkeit" . Ersterer betrifft die Frage nach der Ausübungskompetenz im Verhältnis Privater ~ öffentliche Gewalt; dagegen geht es bei letzterer um die Wirkung der Grundrechte zwischen Privaten als Wertungsrest der Verfassung, was im obigen 3. Abschnitt mit "Drittbetroffenheit" bezeichnet wurde. Für beide Varianten bildet die Abgrenzung der Befugnisse der "Eltern" und der Selbstbestimmungsrechte des Kindes in gleicher Weise eine Vorfrage. Es ist somit jenen Stimmen beizupflichten, welche insoweit den Begriff der "Grundrechtsmündigkeit" als Problemtitulierung ablehnen. Die festgestellte Einbettung der Frage der "Grundrechtsmündigkeit" Minderjähriger in das Elternrecht ist freilich nicht so zu verstehen, daß originäre Ausübungskompetenzen der Kinder nicht beständen. Wenn Dürig von einer "Abgrenzung der Befugnisse der Eltern von dem Selbstbestimmungsrecht der Kinder" spricht9 , so setzt dies voraus, daß grundsätzlich Ausübungskompetenzen für möglich gehalten werden. Dies entspricht auch der überwiegenden Auffassung der im obigen 2. Abschnitt aufgeführten neueren Stellungnahmen in der zivilrechtlichen und staatsrechtlichen LiteraturlO • Entsprechend heißt es auch im Gesetzentwurf zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, daß das Kind nach heutigem Rechtsbewußtsein anzusehen sei "als Grundrechtsträger , der mit zunehmendem Alter grundrechtsmündig" werde ll . Das Bundesverfassungsgericht deutet eine entsprechende Auffassung an, wenn es formuliert: "Der Jugendliche ist mit zunehmendem Alter in immer stärkerem Maße eine eigene durch Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG geschützte Persönlichkeit" 12. Zutreffend weist Roell in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die menschenwürdige Existenz aber nicht nur die Zubilligung einer Trägerschaft von Rechten erfordert, sondern prinzipiell auch die Möglichkeit einer Ausübung und gerichtlichen Durchsetzung erfordert 13 . Somit ist davon auszugehen, daß auch den Minderjährigen grundsätzlich nicht nur die Grundrechtsfähigkeit, sondern auch eine Grundrechtsmündigkeit zusteht 14 . Dieser Grundsatz ist im Rahmen des "fiduziarischen Grundrechts" des Art. 6 Abs. 2 GG15 zu beachten 16 . Dabei geht es entgegen H. Krüger und Düng, aaO. 2. Kapitel, 2. Abschnitt, §§ 2 und 3. - Zum entsprechenden Resümee vgl. auch BGH NJW 1974, 1947, 1949 f. 11 BRats-DrS 690/73. 12 BVerfGE 47, 46, 74. 13 Roell (1984), S. 33 f.; vgl. auch im obigen 2. Abschnitt, § 3 E. 14 Vgl. schon Roell, aaO, S. 48 ff. 15 BVerfGE 59, 377; BVerfG FamRZ 1982,567 ff. 9
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
anderen'? nicht um die Konkurrenz von Eltern- und Kindesgrundrechten. Das angesprochene Beziehungsdreieck aus Eltern, Kind und Staat wird vielmehr von Art. 6 Abs. 2 GG selbst hergestellt. Das Problem, inwieweit grundrechtliehe Positionen des Kindes zu beachten sind, ist für den Eltern-Kind-Bereich damit eingebunden in die Frage von Inhalt und Reichweite des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG. § 2 Der Begriff des Elternrechts
Den ersten Anhalt für die inhaltliche Bestimmung des Elternrechts und seine Bedeutung im Verhältnis von Eltern- und Kindesrechten bietet seine begrifflich-deskriptive Abgrenzung.
A. Dogmatische Qualifizierung Art. 6 Abs. 2 GG erhebt bestimmte Rechte und Pflichten der Eltern in bezug auf Pflege und Erziehung der Kinder in den Rang von Verfassungsrecht. Es ist heute anerkannt, daß dieser als ,Elternrecht' gekennzeichnete Rechte-Pflichten-Kreis ein echtes Grundrecht, also ein subjektiv-öffentliches Verfassungsrecht enthält'. Zugleich ist die Vorschrift Auslegungsrichtlinie2 • Schließlich stellt das Grundrecht des Art. 6 Abs. 2 GG mit der h. M.3 eine "Einrichtungsgarantie" dar; dabei bestehen entsprechend den Ausführungen zur Institution Familie Unterschiede hinsichtlich der Definition des Begriffs der ,Institution'4. In Übereinstimmung mit den zur ,Familie' getroffenen Überlegungen 5 ist auch hier ,Institution' als "Typus" zu begreifen6 ; daraus folgt, daß das verfassungsrechtlich garantierte "Elternrecht" grundsätzlich auslegungsoffen ist? Vgl. im einzelnen im nachfolgenden § 3 C. 2. Abschnitt, unter § 2 A, Bund D. 1 Vgl. statt aller Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 22. Siehe zur älteren Literatur auch schon Baumgarte (1966), S. 23, mit zahlreichen weiteren Nachweisen in der dort. Fn.4. 2 BVerfGE 4, 52; 6, 55 ff. - Vgl. auch die obigen Darlegungen im 3. Abschnitt dieses (2.) Kapitels. 3 Vgl. schon BVerfGE 4, 57; entsprechend insoweit auch HamannlLenz, Art. 6, Anm. 5, welche sich m. w. N. lediglich gegen die Qualifizierung des Art. 6 Abs. 2 als "bloße institutionelle Garantie" als Gegensatz zur Anerkennung eigener Grundrechtsqualität wenden. 4·5 Siehe die ausführliche Aufarbeitung der Problematik im obigen 4. Abschnitt dieses Kapitels; S. 78f., 80ff. 6 Vgl. Dreier (1965), S. 55,89. 7 Zur rechtstheoretischen Problematik vgl. im 4. Abschnitt, § 3 B II. Zur Inhaltsabhängigkeit des ,Elternrechts' von der jweiligen geschichtlichen Situation, d. h. den in ihr herrschenden Ideal- und Realfaktoren und vor allem von den nach Ursprung, Glie16
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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B. "Natürliches Recht" und "Naturrecht"8
Als Definitionsansatz für eine inhaltliche Konkretisierung des Elternrechts wird insbesondere die Formulierung des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG gewählt. Dieser bezeichnet das elterliche Pflege- und Erziehungsrecht als "natürliches Recht". Der Terminus war Anlaß für Spekulationen über die Qualifizierung dieses Rechts. Dabei wurde vor allem vermerkt, daß der Verfassungsgeber die Formulierung an keiner anderen Stelle des Grundgesetzes verwendet hat9 . Zutreffend weist Gernhuber lO darauf hin, daß es entgegen Peters ll nicht müßig ist, sich der Frage zu stellen, ob Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG lediglich Naturrecht positiviere 12 , weil eine Bejahung dieser Frage zur Folge hätte, daß der Inhalt dieser Norm auch einer Verfassungsänderung nicht zugänglich wäre. Peters 13 erhebt die Entscheidung darüber, ob hier eine naturrechtliche Regelung lediglich schriftlich fixiert sei oder nicht, zur Glaubensfrage. Dies kennzeichnet aber nur sein Unbehagen an seiner aus der naturrechtlichen Betrachtung gefolgerten Aussage, daß Träger des Elternrechts ausschließlich die natürlichen Eltern seien, wohl letztlich unabhängig davon, ob sie die psycho-soziale Kompetenz besitzen, das Elternrecht auszufüllen. Dieses Beispiel veranschaulicht die Gefahren einer Überdehnung des Naturrechts. Denn werden nicht nur jene überpositiven Werte als legislatorisch weder begründ- noch vernichtbar verstanden, die als "Kultur" bezeichnet werden können, sondern läßt man daran ebenso die daraus abgeleiteten Werteaktualisierungen teilhaben, so wird die Berufung auf ein Naturrecht ebenso zum Vehikel der Verschleierung volitiver Rechtssetzung wie dies entsprechend bei einer Theorie der Rechtsinstitutsgarantien festzustellen war, welche Institut als vorgegeben und nicht hinterfragbar begreift 14 • Zu differenzieren ist demnach zwischen "Kultur" (als verfassungsrechtliche "Basis-Basis-Doktrin") und post-kultureller Werteaktualisierung; dabei kommt allein ersterer überpositive Geltung zu. derung, Funktion und Zweck zu unterscheidenden Gebilden Familie und Staat betont - im Anschluß an E. Stein (1958), S. 18 - besonders auch Röbbelen (1966), S. 137. 8 Zur Unterscheidung zwischen "ius civile" und "lex naturalis" sowie den aus dem Mittelalter herrührenden Auffassungen der Wirkungsweise "natürlichen Rechts im objektiven Sinne" vgl. bei O. v. Gierke (1880), S. 266 ff., 272 ff. Zur Deutung und Bedeutung von Naturrecht in der modemen Rechtsordnung vgl. im übrigen Evan-vonKrbek, ZblJugR 1976, S. 45 ff., 48 ff. 9 So ausdrücklich Baumgarte (1966), S.3; Becker, FamRZ 1961, S. 104; Fleig (1953), S. 13; Giese/Schunck, Art. 6 Anm. 11 2. 10 (1971), S. 35 = (1980), S. 43. 11 (1972), S. 373, Fn. 15. 12 Bejahend Hansmann, FamRZ 1962, 453; wohl auch MDHS, Art. 6, Rn. 22; Gastiger/Oswald (1978), S. 135; H. Mayer, DVBl. 1955, 581; Rüfner, FamRZ 1963, 153; BayVerfGH FamRZ 1954, 74. 13 (1972), S. 375 unter ,,11 1 b". 14 Zur Kritik an der Theorie von den "Rechtsinstitutsgarantien" vgl. in diesem Kapitel, 4. Abschnitt, § 2 sowie besonders auch Willke (1975), S. 123 ff. 9 Moritz
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Im 4. Abschnitt (dieses Kapitels) wurde innerhalb der Untersuchung zur ,Institution' Familie bestätigt, daß kindliche Entwicklung die Existenz einer festen Bezugsperson voraussetzt; die Bezugsperson braucht jedoch nicht im biologischen Sinne verwandt zu sein. In Zeiten der Praktizierung künstlicher Befruchtung auch beim Menschen sowie erst recht durch die über die künstliche Insemination hinausgehenden Fälle körperexterner Befruchtung 15 wird schon rein tatsächlich die Feststellung ad absurdum geführt, daß "Zeugung und Erziehung ... naturnotwendig zusammen ... " gehörten l6 . Es erscheint damit möglich, die Formulierung "natürliches Recht" des Art. 6 Abs. 2 GG dahin zu interpretieren, daß das Elternrecht mit seinem Kern dem Naturrecht zugehört - ohne daß sich daraus, wegen der Feststellung, daß eine Kongruenz von biologischer Verwandtschaft und Elternschaft nicht erforderlich ist, praktische Konsequenzen ergeben -, daß es im übrigen jedoch Bestandteil des positiven Verfassungsrechts istI? Nachdem sich aus den Materialien zum Grundgesetz eine Begründung für die getroffene Formulierung nicht ergibt l8 , erscheint andererseits die von Klein gefundene Erklärung möglich, wonach der Ausdruck "natürliches Recht" als "Charakterisierung der Unnatürlichkeit des staatlichen Erziehungsanspruchs"19 zu begreifen ist und die Wortwahl "natürliches Recht" als eine Unterstreichung der Befugnisse aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG als Abwehrrechte gegenüber dem Staat entsprechend klassischer Grundrechtsauslegung. Welcher der beiden Auslegungen zu folgen ist, kann dahingestellt bleiben, weil die unterschiedlichen Ansätze für sich die hier interessierende Frage der inhaltlichen Gestaltung des Elternrechts nicht beantworten. Wichtig ist lediglich die Feststellung, daß die Wortwahl "natürliches Recht" in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG nicht gleichzusetzen ist mit Naturrecht20 •
15 Zur ethischen und rechtlichen Problematik künstlicher Insemination sowie von "Retorten-Babies" vg!. Becker, ZBI JugR 1979, 238 ff., mit zahlreichen Nachweisen. Die rechtliche Zuordnung des Kindes zu dem Ehepaar, bei dem beide betroffenen Ehepartner vor dem medizinischen Eingriff die Zustimmung zur Vornahme der Befruchtung erklärt haben, entspricht rechtspolitischen Ordnungsvorstellungen; eine biologische Verbindung läßt sich daraus jedoch nicht konstruieren. 16 So aber Baumgarte (1966), S. 5, 15 ff.; entsprechend: Hansmann, FamRZ 1962, 453; H. Mayer, DVBl 1955, S. 581; Peters (1972), S. 375; differenzierter MDHS, Art. 6, Rn. 22. 17 So Gernhuber (1980), S. 43 mit Horstmann (1967), S. 30 und Staudinger/Göppinger, 11. Aufl., Anm. 7 vor § 1666; entsprechend v. Münch, Art. 6, Rn. 20, mit BVerfGE 24,150; Quambusch (1973), S. 41 f.; wohl auch Dölle, Bd. 2, (1965), S. 154. 18 Vg!. im einzelnen bei Doemming-Füsslein-Matz, Entstehungsgeschichte der Art. des GG, JÖR n. F., Bd. 1, Er!. zu Art. 6 GG. 19 Klein in v. MangoldtiKlein, Das Bonner Grundgesetz, 2. Auflage, 1966, S. 273; entsprechend auch Erichsen (1978), S. 14; Giese/Schunck, Art. 6, Anm. 11 2; Hamann/ Lenz, Art. 6, Anm. 5; Hesse (1978), S. 187. 20 So im Ergebnis auch BVerfGE 24, 119, 150.
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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C. Der Kreis der Rechtsinhaber I. Ableitung aus dem Familienbegrift' des Art. 6 Abs. 1 GG
Wenn das Elternrecht durch Verneinung naturrechtlicher Determiniertheit der Überstaatlichkeit und Vorgegebenheit entkleidet wurde, ist damit gleichsam der Definitions- und Begründungszwang wiederhergestellt, dem sich die Stimmen, welche "natürliches Recht" und "Naturrecht" gleichsetzen, eben durch diese Anerkennung zu entziehen suchten. Abgesehen von wenigen Autoren 21 wird heute anerkannt, daß das Elternrecht nicht notwendig identisch ist mit der biologischen Elternschaft22 • Es ist heute ein innerer Zusammenhang von Elternrecht und ,Familie' anerkannt 23 • Wird an den oben gefundenen Familienbegriff angeknüpft, so ergibt sich bei Beachtung des Wechselbezugs von Familie und Elternrecht, daß unter Berücksichtigung der Primäraufgabe der ,Familie', der Sozialisation Inhaber des Elternrechts des Art. 6 Abs. 2 GG jene Erwachsenen sind, welche in der Definition der ,Familie' als "Sqzialisatoren" bezeichnet wurden. Bei Erfüllung der im 4. Abschnitt als familienkonstituierend bezeichneten Voraussetzungen24 können somit Inhaber des Elternrechts, abgesehen von den natürlichen Eltern in der Familie, sein: Nichteheliche Mutter25 , nichtehelicher Vater26 , Adoptiveltern 27 und Pflegeeltern28 • Älteren erwachsenen Geschwistern kommt das Elternrecht nur zu, wenn sie den Status von Pflegeeltern haben; denn bei erwachsenen Geschwistern fehlt es an dem erkennbar und auf Dauer begründeten Zusammenschluß mit den jüngeren Kindern. Kein Elternrecht haben dagegen Vormund und Pfleger, da bei ihnen die sozio-psychologische Prämisse der emotionalen Dauerbindung fehlt 29 • Zum Inhaber des 21 Baumgarte (1966), S.5, 15 ff.; Hansmann, FamRZ 1962, 452, 454 f.; Peters (1972), S. 374 ff. sowie Rüfner, FamRZ 1963, 153, 156 f.; wohl auch ModelJMüller, Art. 6 Anm. 4; Gastiger/Oswald (1978), S. 135. 22 So: Anders FamRZ 1960,477 f.; Dölle (1965), S. 137; Gernhuber (1971), S. 37; HamanniLenz, Art. 6 Anm. 4; Horstmann (1967), S. 29 f.; v. Mangoldt/Klein, Art. 6 Anm. IV 2 b; v. Münch, Art. 6, Rn. 20; Staudinger/Göppinger, 11. Aufl., Anm. 10 u. 12 f. vor § 1666; auch MDHS, Art. 6, Rn. 25. 23 Vgl. schon im 4. Abschnitt dieses (2.) Kapitels, § 1. 24 S. 101 ff. 25 BVerfGE 24, 119, 135. 26 Vgl. statt vieler v. Münch, Art. 6, Rn. 21; a. A. Peters (1972), S. 375. 27 BVerfGE 24, 150; a. A. Peters (1972), S. 375. 28 OLG Karlsruhe NJW 1979, 930; BVerfG NJW 1985, 423. - A. A. E. v. Münch, in v. Münch, GG-Komm., Art. 6, Rn. 21. 29 Rauschert, RdJB 1960,372; Schüler-Springmann, FamRZ 1961, 299. - A. A. LG Bremen FamRZ 1977, 403 sowie Hahnzog FamRZ 1971, 334, 337 ff. Hahnzog stützt seine Auffassung auf die bei Eltern und Vormund in gleicher Weise bestehende Schutzpflicht; er ignoriert dabei das konstitutive Moment der emotionalen Bindung, ohne welche psychisch gesunde Kinder schlechterdings undenkbar sind. Auf die fehlende "rechts- oder sozialpolitische Beweisführung" für diese Auffassung weist zutreffend schon Sternel- (1964), S. 159 - hin.
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2. Kap.: VerfassungsrechtIiche Bewertung
Elternrechts i. S. d. Art. 6 Abs. 2 wird ebenso, wer familienerweiternd (im obigen Sinne!) in die Zweierbeziehung Erwachsener-Kind eintritt; für den Fall einer Wiederheirat wirkt das Elternrecht für den familienexternen leiblichen Elternteil lediglich in der Form eines Umgangs- bzw. Auskunftsrechtes fort, wie dies für den Nichtsorgeberechtigten schon seit der Scheidung der Fall war30 • 11. ,Eltern' und ,Erziehungsberechtigte'
Gegen die Erstreckung des Grundrechtes aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG über die leiblichen Eltern hinaus wird eingewendet, daß das Grundgesetz selbst zwischen Eltern und Erziehungsberechtigten unterscheide; nur erstere seien aber Träger des Grundrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1, letztere hätten dagegen weitgehend die Position von "Ersatzeltern" , jedoch könnten sie niemals innerhalb wie außerhalb jenes bevorzugten Grundrechtsschutzes "vollgültige Eltern" werden31 . Tatsächlich wird in Art. 6 Abs. 3 GG der weitere Begriff der "Erziehungsberechtigten" verwendet. Bei ihrem Versagen soll eine Trennung der Kinder von der Familie nach entsprechenden gesetzlichen Regelungen möglich sein. Anders als in Art. 7 Abs. 2 GG, bei dem es sich um Regelungen im familienexternen Verhältnis handelt und demnach die Person des "Erziehungsberechtigten" ein Familienangehöriger sein kann oder auch nicht (Vormund32), scheint die Formulierung des Art. 6 Abs. 3 GG auf Beziehungen Erziehungsberechtigter-Kind im Familieninternum abzustellen. Denn es wäre nur sehr schwer zu erklären, weshalb das "Versagen" eines außenstehenden Erziehungsberechtigten (Vormund) zur Herauslösung des Kindes aus dem Familienverband führen sollte, wo doch ein solcher Erziehungsberechtigter jederzeit durch einen anderen Familienexternen ersetzt werden könnte. Auf den ersten Blick erscheint deshalb die Erklärung plausibel, aus grammatikalisch-sachlogischen Erwägungen den Begriff der Eltern i. S. d. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG auf leibliche Eltern zu beschränken sowie den Terminus der "Erziehungsberechtigten" durch leibliche plus rechtliche Eltern zu erklären. Auch diese Auslegung, die der naturrechtlichen Betrachtungsweise nahe kommt, kann indes nicht befriedigen. Denn naturrechtlich wäre Familie zu deuten als Elternpaar mit seinen natürlichen Kindern. Wenn nun von einem einheitlichen Begriff der Familie in Art. 6 Abs. 1 und Abs. 3 ausgegangen wird, so würde Art. 6 Abs. 3 GG keinen Sinn ergeben, wenn "Erziehungsberechtigter" in der obigen Weise definiert wird. Eine naturrechtliche Betrachtung sähe Vgl. im einzelnen im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 B. Vgl. Peters (1972), S. 375 f. 32 Zur Externität des Vormundes gegenüber der Familie und der daraus folgenden Konsequenz, daß der Vormund nicht zu den Trägern des Elternrechts gern. Art. 6 Abs. 2 GG zählt, vgl. BVerfGE 10, 302 ff. 30
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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sich also vor die Notwendigkeit gestellt, zwei Begriffe des Erziehungsberechtigten zu verwenden. In Art. 6 Abs. 3 wäre ,Erziehungsberechtigter' mit ,Eltern' gleichzusetzen, während in Art. 7 Abs. 2 der weitere Begriff heranzuziehen wäre 33 . Daß diese doppeldeutige Verwendung ein und desselben Begriffes in zwei aufeinander folgenden Artikeln derselben Kodifikation nicht befriedigt, liegt auf der Hand. Ebensowenig überzeugt, wenn Maunz34 scheinbar zwei Definitionen des ,Erziehungsberechtigten' einführen will, indem er jenen in Art. 6 Abs. 3, 1. Halbs. GG gleichsetzt mit ,Eltern', während Art. 6 Abs. 3, 2. Halbs. GG wohl eine Anwendung im weiteren Sinne enthalten soll. Einer solchen Zweideutigkeit entgeht jene Lehre, welche dem familienexternen Vormund einen Grundrechtsschutz gemäß Art. 6 Abs. 2 GG zubilligt35 . Freilich führt dieser Ansatz zur identischen Verwendung der Begriffe ,Eltern' und ,Erziehungsberechtigter', was wiederum die Frage der Sinnhaftigkeit unterschiedlicher Benennung derselben Inhalte aufwirft. Somit ist festzustellen, daß keinem der Erklärungsversuche eine befriedigende Deutung des Zusammenhangs von ,Eltern' und ,Erziehungsberechtigten' i. S. d. Art. 6 GG gelingt. Als ein der systemimmanenten Auslegung am ehesten dienlich erscheint m. E. noch der Ansatz von Maunz 36 . Während jener jedoch wegen seiner Unentschiedenheit hinsichtlich der Anerkennung einer naturrechtlichen Determiniertheit des "Elternrechts"37 Schwierigkeiten mit der Definition eines einheitlichen Begriffs des ,Erziehungsberechtigten' hat, ist dieses Problem bei der hier vertretenen Auffassung ausgeräumt. In Übereinstimmung mit der einheitlich vertretenen Ansicht ist ein innerer Zusammenhang (jedenfalls) der Abs. 1-3 des Art. 6 GG anzuerkennen 38 ; dabei enthalten die Absätze ihrerseits jeder für sich Wertentscheidungen und Anspruchsbegründungen unterschiedlicher Art und Intensität39 . Die institutionelle Klammer der Einzelbefugnisse bildet die ,Familie'. Entsprechend besteht eine Identität des Begriffs der ,Familie' in Abs. 1 und Abs. 3 des Art. 6 GG40. Andererseits dient Abs. 3 der "zusätzlichen Sicherung des Elternrechts (gern. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) gegen den Staat"41. Die Berücksichtigung dieses Zusammenhangs und die gleichzeitige Beachtung des oben als maßgebend erkannten erweiterten Familienbegriffs führt zur problemlosen Anerkennung der Definition der So wohl auch Peters, aaO. In MDHS, Art. 6, Rn. 36. 35 Lindacher FamRZ 1964,116 ff., 119 ff.; v. MangoldtiKlein, Art. 6 Anm. IV 2 b. 36 In MDHS Art. 6, Rn. 36. 37 Vgl. aaO, Art. 6, Rn. 2 und 22. 38 BVerfGE 24,119 ff., 135 ff. 39 Vgl. statt aller Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. l. 40 Vgl. statt aller Maunz, aaO, Art. 6, Rn. 36. 41 v. Münch, Art. 6, Rn. 28; entsprechend MDHS, Art. 6, Rn. 35 sowie SchmidtBleibtreu/Klein, Art. 6, Rn. 9. 33
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
,Erziehungsberechtigten' als Eltern (bzw. Elternteil) plus gesetzliche, familienexterne Berechtigte. Diese Begriffsbestimmung läßt sich sowohl im Rahmen des Art. 7 Abs. 2 GG als auch des Art. 6 Abs. 3 GG anwenden. Dabei wird im Regelfall die Person des ,Erziehungsberechtigten' i. S. d. Art. 6 Abs. 3, 1. Halbs. GG identisch sein mit dem Inhaber des Elternrechts gern. Art. 6 Abs. 2 GG. Daß das "Versagen" eines externen Erziehungsberechtigten i. S. d. Art. 6 Abs. 3, 2. Halbs. GG auch in der hier gefundenen Definition zur Herauslösung des Kindes aus der Familie führen können soll, ist dann nicht mehr widersprüchlich, wenn "Versagen" nicht gleichgesetzt wird mit "Ursächlichkeit". Diese Deutung entspräche durchaus empirisch-verifizierbaren Tatbeständen. Denn Anordnung der Pfleg- bzw. Vormundschaft, bei zunächst familieninternem Verbleib des Kindes, hat ihren Grund in der gesetzlichen - Vermutung (vgl. §§ 1706, 1773 BGB i. V. m. §§ 80 ff. JWG) sozio-psychologischer Defizite in der Kindesfamilie. Das "Versagen" des familienexternen Erziehungsberechtigten bedeutet danach lediglich, daß ihm ein Ausgleich dieser Defizite nicht gelang; nicht notwendig muß ihm dieser Mißerfolg vorwerfbar sein oder muß der Vormund ursächlich dafür gewesen sein; auch braucht sich kein günstigeres Ergebnis aus dem Einsatz eines anderen Vormundes oder Pflegers prognostizieren zu lassen, was im Falle der Amtspflegschaft oder Amtsvormundschaft ohnehin entfällt. Die gefundene Definition kann damit für sich in Anspruch nehmen, sich systemimmanent und widerspruchsfrei in den verfassungsrechtlichen Gesamtzusammenhang einzufügen. Gleichzeitig erfolgt damit eine mittelbare Bestätigung der hier gefundenen Definitionen von ,Familie' sowie ,Eltern' i. S. d. Art. 6 GG42.
42 Dahinstehen kann hier, ob den genannten familienexternen Erziehungsberechtigten ein eigenes subjektives Verfassungsrecht zuzuerkennen ist. Da eine Grundrechtsfähigkeit ohnehin nur für natürliche Personen anzuerkennen ist, käme eine Anerkennung nur für Vormünder und Pfleger als Einzelpersonen in Betracht. Die hier getroffene Differenzierung zwischen ,Eltern' und ,Erziehungsberechtigter' schlösse entgegen Lindacher (FamRZ 1964), S. 116 ff., 120) eine Erstreckung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG auf familienexterne Erziehungsberechtigte aus. Andererseits ist Lindacher (aaO) zuzustimmen, wenn er Art. 2 Abs. 1 GG als Auffanggrundrecht hier nicht für einschlägig hält. Sachgerecht erscheint es, mit Gernhuber - (1980), S. 45 - Art. 6 Abs. 3 GG als Norm zu verstehen, die den Erziehungsberechtigten, die nicht Träger des Elternrechts sind, ein eigenes Grundrecht verleiht, welches indessen funktionsabhängig gegenüber dem Elternrecht stark eingeschränkt ist; zu denken ist an einen Schutz der familien- und kindesfördernden Bestätigung, welche der Sicherung der in Art. 6 Abs. 1 kodifizierten Wertvorstellungen dienen.
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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§ 3 Die inhaltliche Konkretisierung des
"Elternrechts" sowie seiner Grenzen
A. Das Verhältnis von Elternrecht und Elternpflicht sowie die Frage nach dem Pflichtbezogenen
Art. 6 Abs. 2 GG garantiert den Eltern ein subjektiv-öffentliches Verfassungsrecht zur Erziehung ihrer Kinder und definiert diese Befugnis zugleich als "die (den Eltern) zuvörderst obliegende Pflicht". Mit der Pflichtseite nennt das Grundgesetz selbst Grenzen des Elternrechts. Die Elternpflicht kann verschiedene Inhalte haben; denkbar sind: 1. Bloß nicht gar nichts tun, 2. Freie erzieherische Tätigkeit in den Grenzen des Art. 6 Abs. 3 sowie 3. Bindung der Eltern an bestimmte Erziehungsziele. Die Nennung einer Pflicht wirft zugleich die Frage nach dem Pflichtbezogenen auf. Es gibt mehrere Grundrechte, denen eine Pflichtseite in Form von (immanenten) Schranken beigegeben ist; so z. B. Art. 14 Abs. 2, Art. 5 Abs. 3, Art. 16 GGl. Einzig bei Art. 6 Abs. 2 GG ist diese Pflichtseite als "Wesensbestandteil" des Grundrechtes ausgestaltet2 . Hierin und nicht in der Beschreibung des Elternrechts als "natürliches Recht" liegt, wie ausgeführt 3 , die Besonderheit des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Das BVerfG bezeichnete deshalb das Elternrecht (insgesamt) als ein "fiduziarisches Recht, ein dienendes Grundrecht, eine im echten Sinne anvertraute treuhänderische Freiheit"4; das Elternrecht gewähre "keine Freiheit i. S. einer Selbstbestimmung der Eltern, sondern zum Schutze des Kindes"5. Somit statuiert Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zugleich ein Grundrecht und eine Grundpflicht6 . Die Strukturierung als "Freiheit ... zum Schutze des Kindes" offenbart aber, daß die Pflichtbindung den wesensbestimmenden Bestandteil dieses Grundrechtes ausmacht7 . Da die Pflichtseite Wesens- und wesensbestimmender Bestandteil ist, bedeutet eine Definition von der Pflichtseite her auch keinen Rückschluß vom Besonderen auf das Allgemeine. Vielmehr ist die definitorische Dominanz der Pflichtseite in der aufgezeigten inhaltlichen Struktur der Norm angelegt. Die Definition der Pflichtseite als "wesensbestimmender Bestandteil" läßt jedoch Raum, auch einen verfassungsrechtlichen Schutz von Eigeninteressen der Eltern aus dem Eltern/Kind-Verhältnis anzuerkennen - z. B. SelbstverVgl. im einzelnen Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 25. BVerfGE 24, 119, 143; 59, 364, 377. 3 Zur Bedeutung der Umschreibung "natürliches Recht" vgl. im vorstehenden § 2 B. 4 BVerfGE 59, 364, 377. 5 BVerfGE 59, 376; anders noch VerwGE 20, 192, und dazu zustimmend Hamannl Lenz, Art. 6, Anm. 5. 6 BVerfGE 59, 376. 7 Entsprechend Schmidt-Bleibtreu/Klein, Art. 6, Rn. 8; vgl. auch Rauschert, Zbl JugR 1962, 160; Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 22ff. 1
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
wirklichung durch Erziehungs. Die Wesensbestimmung des Art. 6 Abs. 2 durch die Pflichtseite führt aber dazu, daß sich auch diese Elterninteressen an den "Pflichten" messen lassen müssen9 . Im übrigen sind die rechtlichen Konsequenzen der Pflichten dominanz von der rechtlichen Definition der Pflichtseite abhängig; also insbesondere davon, ob sich aus der Pflicht ihrerseits ein (gegen die Eltern wirkendes) subjektives öffentliches Recht ergibt. Dagegen sprechen schon die Staatsgerichtetheit der Grundrechte und das durch Art. 6 Abs. 2 GG hergestellte Beziehungsdreieck Eltern-Kind-Staat lO • Das Elternrecht ist zwar wegen seines wesens bestimmenden Bestandteils der Pflichtseite vorrangig im Interesse des Kindes statuiert ll . Insofern sind Pflichtbezogene i. S. d. Art. 6 Abs. 2 GG die Kinder. Andererseits enthält Art. 6 Abs. 2 GG ein subjektives Verfassungsrecht der Eltern, welches ihnen den Vorrang als Erziehungsträger und damit die grundsätzliche Privatheit des Sozialisationsraums ,Familie' in den Grenzen des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, auch um der Kinder willen, garantiert12 . Gerade in Zweifelsfällen - z. B. über bestehende Kompetenzen des Kindes - sind deshalb den Eltern Entscheidungsspielräume gegeben 13 • Dies schließt ein subjektives öffentliches Recht des Kindes gegen die Eltern aus. Der andere theoretisch denkbare "Anspruchsberechtigte" aus Art. 6 Abs. 1 S. 1 GG, der Staat, scheidet als derart Berechtigter schon deshalb aus, weil seine Befugnisse in Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG bestimmt sind 14 • Andererseits ist der Staat durch das "Wächteramt" ausdrücklich in das Dreiecksverhältnis des Art. 6 Abs. 2 GG einbezogen. Insofern kann man die elterliche Pflichtbindung mit Maunz 15 (auch) als Verantwortung der Eltern vor dem Staat ansehen, sich entsprechend Art. 6 Abs. 2 GG zu verhalten. Die genannten, dem Staat im Interesse des Kindes eingeräumten Befugnisse werden dadurch jedoch nicht erweitert. Somit ist das Elternrecht wesensbestimmt von seiner Pflichtseite. Garant des Elternrechts sowie der Berücksichtigung der Kindesinteressen ist der Staat. Pflichtbezogene sind die Kinder. Dies aber bedeutet, daß das Elternrecht primär an den "Erziehungs"-Bedürfnissen der Kinder zu orientieren ist 16 • Falsch wäre es allerdings, daraus zu schließen, daß Zu den ,stillen' Sinn-Interessen der Eltern vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11. Vgl. Dürig, in MDHS, Art. 19 Abschn. 3, Rn. 22 mit zahlreichen w. N. 10 Vgl. in § 1 dieses (5.) Abschnitts. 11 Dürig, in MDHS, Art. 19, Rn. 22. 12 LeibholzlRinck, Art. 6, Anm. 6, S. 278; vgl. auch Schmidt-BleibtreuiKlein, 6. Aufl., Art. 6, Rn. 8. 13 So richtig Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 26. 14 Davon zu unterscheiden ist die ganz andere Frage, die noch später zu erörtern sein wird, daß Familienerziehung natürlich auch im Interesse des Staatsganzen erfolgt: vgl. Häberle (1981), S. 57 f. m. w. N. in dort. Fn. 125; s. auch Coester-Waltjen, ZRP 1977, 179 sowie Willoweit, JuS 1977, 292 ff., 297. 15 In MDHS, Art. 6, Rn. 25 j. 16 Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 26. 8
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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überhaupt nur jenes "Erziehung" i. S. d. Art. 6 Abs. 2 GG ist, was u. a. die Prämisse der Orientierung an den Kindesbedürfnissen erfüllt. Denn eine solche Eingrenzung machte Art. 6 Abs. 2 S. 3 und Abs. 3 GG überflüssig. Die Formulierung bei Dürig, daß die "Vernachlässigung der Verantwortung zugleich das Recht der Eltern hinfällig werden läßt"1?, ist deshalb zumindest mißverständlich. Die Ausrichtung nach den Kindesbedürfnissen ist aber sicher ein Abgrenzungskriterium von "gutem" und "schlechtem" Erziehungsverhalten, ohne daß damit schon endgültig über die Frage staatlicher Sanktionen entschieden wäre. Denn das Elternrecht ist zugleich als subjektives Recht der Eltern ausgestaltet. Dies garantiert u. a. einen Vorrang elterlicher "Erziehung"18. Damit ist nicht jede Abweichung von einer abstrakt als "gut" zu bezeichnenden "Erziehung" sanktionsbedroht. Den Eltern ist vielmehr verfassungsrechtlich garantiert, über die Erziehungsbedürftigkeit und über sinnvolle Erziehungsformen grundsätzlich frei zu entscheiden 19 . Insofern ist die vorstehend (am Anfang dieses Punktes "A" dieses 3. Paragraphen) genannte zweite Verhaltensvariante als von der Verfassung gedeckt anzusehen. Werden die Grenzen des Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG mitgedacht, trifft dies grundsätzlich auch für die (aaO) genannte 1. Alternative zu. Inwieweit "gute" Erziehung durch verfassungsrechtlich anerkannte Erziehungsziele konkretisiert wird und damit die oben erwähnten Alternativen 1 und 2 elterlichen Erziehungsverhaltens zur Variante 3 hin zu variieren sind, bedarf noch der weiteren Erörterung. Dies trifft auch für die damit im Zusammenhang stehende Frage nach der lustiziabilität elterlicher Erziehungsmaßnahmen zu. B. Begrenzung des Ausübungsvorbehalts durch verfassungsrechtliche Erziehungsziele I. Die MögUchkeit einer Stmkturiemng des Elternrechts durch vorgegebene Erziehungsziele
Das Grundgesetz enthält sich jeder erläuternden Aussage zu elterlichen Erziehungszielen20 . Daraus wird von Teilen der Literatur gefolgert, daß es dem Staat verwehrt sei, elterliche Erziehungsziele, -methoden und -mittel zu normieren; die einzige Beschränkung stelle die Mißbrauchsgrenze des Art. 6 Abs.2 S. 2 GG dar21 . §§ 1626 Abs. 2 und 1631 a BGB wurden deswegen 17 Dürig, aaO, Rn. 22; das in Bezug genommene BVerfG (E 24,119,143 f.) formuliert klarer und stellt insbesondere die Konsequenz des Art. 6 Abs. 2 S. 2 deutlich heraus. 18 BVerfGE 24,119,135 ff., 138. 19 Leibholz/Rinck, Art. 6, Anm. 6; einschränkend Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 22,26. 20 Anders einige Landesverfassungen; vgl. die Nachweise bei Häberle (1981), S. 50 f.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
besonders von Schmitt Glaeser für verfassungswidrig gehalten22 . Andere sehen die elterliche Bestimmung der Ziele und Methoden der Erziehung durch die "immanenten Schranken" des Art. 6 Abs. 2 GG sowie durch den Begriff der Erziehung begrenzt; danach müsse überhaupt nur etwas stattfinden, was (irgendwie) als Erziehung qualifiziert werden kann23 . Besonders die zivilrechtliche Literatur unterscheidet zwischen "formalen" und "materialen" Erziehungszielen24 . Dabei seien die Erziehungsinhalte, also die "materialen Erziehungsziele" , in das freie elterliche Ermessen gestellt, welches nur in "Extremfällen" einschränkbar sei25 . Das BVerfG stellt in seiner Entscheidung vom 29. 7. 1968 einen Bedingungszusammenhang her zwischen dem Elternrecht und dem Bedürfnis des Kindes nach Schutz und Hilfe, "um sich zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu entwickeln, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht"26. In seiner Entscheidung vom 17. 2. 1982 fordert das Bundesverfassungsgericht die "Erziehungsfähigkeit der Eltern"27; das Kindeswohl bilde im Verhältnis zum Kind bei der "Erziehung" die "oberste Richtschnur"28; bezüglich konkreter Erziehungsziele stellt das Gericht - jedenfalls für kleine Kinder (das betroffene Kind war zur Zeit der Entscheidung 6 Jahre alt) - die Fertigkeiten in den Kulturtechniken (= schulische und berufliche Lerninhalte) hinter die emotional vermittelten Inhalte 29 . Ob die Verletzung von Zielvorgaben eine trennungsindizierende Kindesgefährdung darstelle, sei einzelfallbezogen zu entscheiden; ein Eingriff müsse verhältnismäßig sein, was insbesondere bedeute, daß der Charakter der Trennung als ultima ratio zu beachten sepo. Das Bundesverfassungsgericht deutet damit die Möglichkeit einer Strukturierung des Elternrechts durch vorgegebene Erziehungsziele an. Entsprechend hält auch Häberle31 erzieherische Zielvorgaben grundsätzlich für möglich. Er beruft sich dabei ausdrücklich auf die Entscheidung des Bundesverfas21 Vgl. insbesondere Schmitt Glaeser (1980), S. 50 f., 58 f.; entspr. Geiger (1980), S. 24 f. und Klein (1980), S. 37 f.; - siehe schon bei Häberle, aaO, S. 54, Fn. 111. 22 Schmitt Glaeser, aaO, S. 58 f. A. A. Häberle (1981), S. 57, unter Hinweis auf Böckenförde, Erichsen und Simon, Essener Gespräche 14 (1980), S. 156 f., 139, 162 f. 23 Vgl. Böckenförde (1980), S. 66; StaudingerlDonau, 11. Aufl., § 1631, Rn. 11. 24 Beitzke, FamRZ 1979, 8, 10; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 263, 274; Ermanl Ronke, 7. Aufl., § 1631, Rn. 7; Simon, JuS 1979, 753. 25 Staudinger/Donau, aaO. 26 BVerfGE 24, 119, 144, mit BVerfGE 7, 198, 205 sowie unter Hinweis auf die Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1959, in Yearbook of the United Nations, 1959, S. 198. 27 BVerfGE 60, 79, 91 ff. 28 aaO, S. 94. 29 aaO, S. 94. 30 BVerfG, aaO, S. 90,91. 31 (1981), S. 54 ff.
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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sungsgerichts vom 29. 7. 1968. Ähnlich wie Böckenförde32 meint auch Häberle, daß "Erziehung" ein Element enthält, welches auf die "Fähigkeit zum sozialen Miteinander verweist"33. Unbewußt identifiziert Häberle dabei Erziehung mit Sozialisation34 . Wird Erziehung von Sozialisation dadurch abgegrenzt, daß erstere durch eine Subjekt-Objekt-Blickrichtung geprägt ist, wogegen letztere von einem kommunikativen Konzept ausgeht, welches die gesellschaftliche Umwelt mit einbezieht, so entspricht wohl eher der Begriff der Sozialisation dem verfassungsrechtlichen Bild vom Verhältnis der Bürger zueinander. Es wäre deshalb denkbar zu analysieren, ob und wie die Verfassung menschliches Miteinander definiert, um daran die weitere Frage zu schließen, ob dies Rückwirkungen für die Strukturierung elterlicher Erziehung haben kann. Allein aus dem (unterlegten) Begriff der Sozialisation lassen sich derartige Folgerungen jedoch nicht begründen. Beizutreten ist aber einem anderen Gedanken von Häberle. Er argumentiert: "Es ist nicht ersichtlich, weshalb zwar ein Entzug der elterlichen Sorge bei einem Mißbrauch als ultima ratio erlaubt, eine in jenem Sinne begrenzte erzieherische Zielvorgabe für die Eltern gerade zur Vermeidung von Mißbräuchen aber verfassungswidrig sein soll"35. Dem entspricht der Gedanke, daß die Festsetzung einer Mißbrauchsgrenze, die von Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG vorausgesetzt ist 36 , der wertenden Betrachtung des "umgrenzten Raumes" bedarf. Die Feststellung elterlichen Fehlverhaltens wirft zugleich die Frage auf, wie dieses Verhalten richtig gewesen wäre. Wenn also die Verfassung von einer Mißbrauchsgrenze ausgeht, bedingt dies notwendig eine Strukturierung des Gegenteils der ",guten' Erziehung". Dies bedeutet freilich nicht, daß damit eine bestmögliche Erziehung automatisch zum Verfassungsgebot erhoben würde. Denn es ist eine ganz andere Überlegung, welche Konsequenzen die Nichtbeachtung von verfassungsrechtlichen Erziehungszielen hat37 . Somit ist die Ausgangsfrage, ob das Elternrecht durch (verfassungsrechtliche ) Erziehungsvorgaben strukturiert werden kann, zu bejahen. Art, Inhalt und Wirkung dieser Angaben sind jedoch (noch) offen.
(1980), S. 66. Häberle (1981), S. 54. 34 Zur Abgrenzung vgl. im 3. Kapitel, 3. Abschnitt, § l. 35 Häberle (1981), S. 56. 36 Erichsen (1978), S. 13; Maunz, in MDHS, Bd. 6, Rn. 27 ff.; Ossenbühl, DÖV 1977,801,806. 37 Vgl. dazu im folgenden; S. 140ff. 32 33
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2. Kap.: VerfassungsrechtIiche Bewertung 11. Art und Inhalt verfassungsrechtlicher Erziehungsvorgaben elterlicher "Erziehung"
1. Zulässigkeitseingrenzung Art. 6 Abs. 2 GG garantiert den Eltern den Vorrang als Erziehungsträger sowie die grundsätzliche Privatheit des Sozialisationsraumes ,Familie'38. Schon daraus ergibt sich, daß die Nennung von Erziehungszielen restriktiv zu erfolgen hat39 . Ansatzpunkt für die Konkretisierung derartiger Vorgaben ist die Verfassung40 • Das Gebot politischer Neutralität untersagt Analogien von der schulischen zur elterlichen Erziehung41 • Eine Einschränkung möglicher Erziehungsvorgaben ergibt sich zudem aus dem erzieherischen Trägerpluralismus des Grundgesetzes. Danach ist eine "Gleichschaltung" elterlicher Erziehung unzulässig, welche den Eltern jeden Entscheidungsspielraum nimmt; dies gilt auch, wenn diese Vorgaben aus den Grundsätzen der Verfassung gefolgert werden 42 . Dies schränkt die sich aus dem Charakter des Normenbereichs von Verfassungsnormen ergebende grobe Strukturierung noch weiter ein. Danach ist die Vorgabe von verfassungsrechtlichen Erziehungszielen nur in der Form von Leitideen möglich 43 . 2. Verfassungsrechtliche Leitideen elterlicher "Erziehung" Das Bundesverfassungsgericht hat in der zitierten Entscheidung vom 29.7. 1968 angedeutet, zu welchem Resultat "Erziehung" führen soll, nämlich zur "eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft"44. Die Formel von der "eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft" orientiert sich am Menschenbild des Grundgesetzes45 . Denn als ideengeschichtliche Grundlage der traditionellen und nach wie vor primären Schutzwirkung der Grundrechte, des status negativus46 , ist der Individualismus zu verstehen 47 • Danach zählen die Selbstbestimmung, Selbstgestaltung und Selbstverantwortlichkeit in eigenen Angelegenheiten im Rahmen der Gesetze, also eine personale Autonomie des Bürgers, quasi zur 38 LeibholziRinck, Art. 6, S. 278; vgl. auch Schmidt-BleibtreuiKlein, 6. Aufl., Art. 6, Rn. 8; Schmitt Glaeser (1980), S. 54 f. 39 Ebenso Fehnemann, ZfJ 1984, 160; Häberle (1981), S. 56 f., 74. 40 Ebenso Häberle (1981), S. 55. 41 Erichsen (1978), S. 12 f.; Häberle(1981), S. 51. 42 Ebenso Häberle (1981), S. 51,74 f.; vgl. auch Erichsen (1978), S. 15 f. 43 Entspr. Häberle (1981), S. 57 ff.; vgl. auch Fehnemann, ZfJ 1984, S. 157,160. 44 BVerfGE 24,119,144. 45 Zur Menschenbild-Formel vgl. K. Hesse (1982), S. 116; H. Peters (1969), S. 237 ff.; Smend (1968), S. 316 ff.; s. auch BVerfGE 4,7,15 f.; 12, 45, 51. 46 Vgl. grundlegend Jellinek (1905), S. 85 ff., 94 ff. 47 Vgl. statt vieler: Breuer, Jura 1979, S. 401 m. w. N. in dortiger Fn. 2.
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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Basis-Basis-Doktrin des Rechtsstaates im Sinne des Grundgesetzes48 . Andererseits sollen die Bürger nicht nur in ihren Angelegenheiten frei und selbstverantwortlich sein, vielmehr wird auch ihre Gemeinschaftsgebundenheit und Gemeinschaftsbezogenheit vorausgesetzt49 . Dieses Menschenbild fixiert den Status des Bürgers, wie er durch die Grundrechte normiert wird50 . Dabei handelt es sich nicht um ein empirisch verifiziertes Seinsbild, sondern um eine Zielprojektion51 auf der Grundlage der Grundrechtsnormen. Um eine solche Zielprojektion geht es jedoch auch bei der Benennung von Erziehungszielen. Grundrechtsnormen und somit das sich daraus ergebende Menschenbild sind nicht bloße Absichtserklärungen, vielmehr statuieren sie die Grundordnung des Staates51 •. Insofern kann das Menschenbild des Grundgesetzes von der "eigenverantwortlichen Persönlichkeit innerhalb der sozialen Gemeinschaft" als verfassungsrechtlich vorgegebenes Erziehungsziel bezeichnet werden 52 • Während hinsichtlich der Anerkennung des Menschenbildes des Grundgesetzes als verfassungsrechtliches Erziehungsziel nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes (E 24, 119 ff.) weitgehend Einigkeit besteht53 , ist die Frage nach den sich daraus ergebenden Konsequenzen äußerst umstritten. Erwähnt wurde die Unterscheidung nach "formalen" und "materialen" Erziehungszielen 54 . In diesem Sinne wird das Menschenbild des Grundgesetzes als "formales" Erziehungsziel eingestuft, aus welchem sich materielle Konsequenzen nur jenseits der Mißbrauchsgrenze ergäben55 . Schmitt Glaeser56 hat darauf hingewiesen, daß es eine wertfreie Erziehung nicht gibt und daß ein Konnex zwischen Erziehungsziel und Erziehungsmittel besteht. Zutreffend hat er deshalb die Differenzierung nach angeblich wertfreien "formalen" und wertenden "materialen" Erziehungsinhalten abgelehnt57 . Richtig sieht Schmitt Glaeser auch einen Zusammenhang zwischen dem Erziehungsverhalten der Eltern und dem späteren Verhaltensmuster der "Erzogenen"58. Die Anerkennung eines Erziehungsziels trifft somit zugleich eine Auswahl unter den denkbaren Erziehungsmitteln. Deshalb ist die Argumentation von Entspr. Breuer, Jura 1979, 402; vgl. auch Peters (1969), S. 240. Vgl. Häberle (1983), S. 5 m. w. N. in dort. Fn. 7; K. Hesse (1982), S. 316; H. Peters (1969), S. 241 sowie schon Smend (1968), S. 316. 50 K. Hesse (1982), S. 116; s. auch Häberle (1983), S. 4 ff. 51 Evers - (1979), S. 66 - spricht von "Idealbürger". 51. Stern (1984), S. 85 f.; H. Peters (1969), S. 237 ff. 52 Erichsen (1978), S. 13, m. w. N. in dort. Fn. 30; Eyers (1979), S. 66 ff.; Häberle (1981), S. 58; Schmitt Glaeser (1980), S. 41; a. A. Böckenförde (1980), S. 111. 53 Vgl. in der vorstehenden Fn. 54 Vgl. vorstehend unter ,,1". 55 Vgl. vorstehend unter ,,1". 56 (1980), S. 8 f., 51. 57 Schmitt Glaeser, aaO. 58 Schmitt Glaeser (1980), S. 9. 48
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Schmitt Glaeser nicht einsichtig, wenn er einerseits das Menschenbild des Grundgesetzes als Erziehungsziel akzeptiert, jedoch andererseits die Familie zum nahezu absoluten Freiraum erklärt, für den Erziehungsmittel vorzugeben untersagt sei59 . Böckenförde sieht in der Festlegung des elterlichen Erziehungsrechts auf das Menschenbild des Grundgesetzes die Gefahr, dieses Menschenbild durch Gerichtsurteil entscheiden und somit letztlich durch den Staat interpretieren und handhaben zu lassen60 ; andererseits bejaht Böckenförde ein "formelles" Erziehungsziel der "Fähigkeit des Kindes zur Selbstentscheidung und Selbstverantwortung" , also das Ziel der "mündigen Persönlichkeit"61. Die Ausführungen von Schmitt Glaeser und Böckenförde sind in gleichem Maße von der Befürchtung geprägt, durch Anerkennung von verbindlichen Erziehungszielen die in Art. 6 GG getroffene Entscheidung gegen eine Allstaatlichkeit62 aufzuweichen. Jedoch gehen diese Überlegungen von falschen Prämissen aus. So kann der Gefahr des Abbaus des Elternrechts nicht durch pauschale Leugnung verfassungsrechtlicher Vorgaben wirksam begegnet werden, sondern nur durch ihre sachgerechte Eingrenzung63 . Zudem bedingen die Nennung verbindlicher verfassungsrechtlicher Erziehungsvorgaben und Allstaatlichkeit einander auch inhaltlich nicht. Dieser Bezugsetzung liegt die irrige Auffassung zugrunde, daß die Anerkennung des Erziehungsziels "Menschenbild des Grundgesetzes" den Eltern keinen Freiraum mehr lasse. Eine solche Determination elterlichen Erziehungsverhaltens wäre allein gegeben, wenn nach Art einer naturwissenschaftlichen Gleichung nur ein exakt bestimmbares Erziehungsverhalten zu dem gewünschten Persönlichkeitsbild führte. Daß es diese Art der Garantie gelungener "Erziehung" nicht geben kann, ist in den Erziehungs- und Sozialwissenschaften jedoch völlig unbestritten64 . Andererseits gibt es aber durchaus sozialwissenschaftlich zu belegende Mindestvoraussetzungen für einen bestimmten Erziehungserfolg65 ,66. Wenn als Zulässigkeitseingrenzung verfassungsrechtlicher Erziehungsvorgaben das Gebot einer restriktiven Limitierung genannt wurde 66., so ergibt sich schon daraus, daß es allein um Vorgaben nach Art von Leitideen gehen kann, welche den Eltern jedoch einen eigenen Entscheidungspielraum lassen. Das Schmitt Glaeser (1980), S. 50 f., 58 f. Böckenförde (1980, Diskuss.), S. 111. 61 aaO, S. 65. 62 Schmitt Glaeser (1980), S. 37 f. 63 So richtig Häberle (1981), S. 58. 64 Vgl. im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschnitt § 1 B. 65 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 CI. 66 Die Erfüllung der Mindestvoraussetzungen bedeutet auch dort nicht die Garantie des Erziehungserfolgs. Jedoch besteht andererseits eine Wahrscheinlichkeit des Mißerfolgs, fehlt es an den Mindestvoraussetzungen. 66. Vgl. unter"B II 1" dieses Paragraphen. 59 60
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
143
Elternrecht wird somit durch das Erziehungsziel der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" insofern beschränkt, als ein Erziehungsverhalten unzulässig ist, welches nicht mehr die Mindestvoraussetzungen für die Erreichung des verfassungsrechtlichen Erziehungsziels gewährleistet. Diese Mindestvoraussetzungen werden verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG fixiert. Auch das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht der Entfaltung seiner Persönlichkeit 67 • Den Eltern steht ein Erziehungsrecht nicht deshalb zu, weil sie Interesse an der Beherrschung anderer Menschen haben68 , sondern weil das Kind des Schutzes und der Hilfe bedarf69 . Art. 1 Abs. 1 GG formuliert somit das Prinzip, von dem Art. 6 Abs. 2 GG nur eine Ausnahme bildet; deshalb gilt auch der Umkehrschluß, daß Eltern grundsätzlich nur solange und soviel für und anstelle ihrer Kinder entscheiden dürfen, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind7o • Daraus folgt für die unter "A" formulierten Inhalts-Varianten der Elternpflicht, daß neben 1. und 2. auch die 3. genannte Alternative in Betracht kommt. Eine endgültige Entscheidung hängt von der Beantwortung der weiteren Frage ab, welche Wirkung die genannten verfassungsrechtlichen Erziehungsziele auf das Elternrecht haben. UI. Wirkung der vedassungsrechtlichen Erziehungsziele auf das Elternrecht
Die Anerkennung verfassungsrechtlicher Erziehungsvorgaben sagt noch nichts darüber aus, wann der Staat zum Eingreifen berechtigt ist71 • Die Zulässigkeit von verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben wurde damit begründet, daß eine Strukturierung auch schon im Vorbereich der Mißbrauchsgrenze möglich sein muß, um Mißbräuche gerade zu vermeiden72 • Somit ist zwar die Schwelle zu Eingriffen des Staates durch die Mißbrauchsgrenze verfassungsrechtlich fixiert 73 ; werden die Leitbilder "guter" elterlicher Erziehung verfehlt, so führt jedoch nicht schon dies zu staatlichen Sanktionen, dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn die Verfehlung so eklatant ist, daß sie den "Mindestanforderungen elementarer Sozialverträglichkeit nicht mehr entVgl. BVerfGE 24,144. Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 22. 69 BVerfGE 24, 144. 70 Dürig, aaO; vgl. auch Becker, RdJB 1970,304; Breuer, Jura 1979, 401; Reuter/ Säcker NJW 1965, 2038 f.; Roell (1984), S. 48 ff.; Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 230 f., 239; Stöcker, ZRP 1974, 212; Zenz, AcP 173 (1973), S. 173 ff. n So richtig Häberle (1981), S. 56. 72 V gl. unter "B I". 73 Entspr. Böckenförde (1980), S. 66; Häberle (1981), S. 56; Peters (1960), S. 371 ff. 67
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
spricht"74. Unter dem Blickwinkel staatlicher Zugriffsmöglichkeiten kann somit in Anlehnung an eine Differenzierung von Coester75 in "Eingriffsbereich" und "Entscheidungsbereich" unterteilt werden. In ersterem geht es um die unabdingbaren Voraussetzungen für die (körperliche, geistige und seelische) Entwicklung des Kindes; Ansatzpunkt der Überlegungen ist also die Frage, ob das Elternverhalten eine Trennung des Kindes von den Eltern indiziert. §§ 1666 f. BGB bilden dafür die unterverfassungsrechtliche Konkretisierung76 . Im "Entscheidungsbereich" geht es demgegenüber nicht um die Trennungsindizierung, sondern insbesondere um die Frage der Beachtung der verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben. Diese Erziehungsvorgaben konkretisieren, wie ausgeführt, die Pflichtseite des Elternrechts. Auch die Eltern sind an die verfassungsmäßige Ordnung gebunden. Ein "rechtsfreies Innenverhältnis der Familie" , in dem die Eltern nach eigenem Gutdünken und nur an eigene Überzeugungen gebunden mit den Kindern umgehen, gibt es demnach nicht77 . Andererseits ist das Elternrecht als subjektives Recht ausgestaltet und hat den Eltern trotz und wegen des Pflichtcharakters Entscheidungsspielräume gegeben. Den Eltern verbleibt ein Bestimmungsrecht über die konkreten Erziehungsziele, Erziehungsmittel und Erziehungsmethoden. Diese Entscheidungsbefugnis behält insbesondere dort Bedeutung, wo das reale Vorhandensein einer Entscheidungskompetenz des Kindes zweifelhaft bzw. wo gesichertes Wissen nicht gegeben ist oder auch dort, wo das Recht Typisierungen fordert und solche nicht vorhanden sind78 . Die verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben spielen vor allem im "Entscheidungsbereich" eine Rolle. So wird der Richter bei der Sorgerechtsentscheidung u. a. zu beachten haben, welcher der Ehepartner die größere Gewähr dafür bietet, daß die verfassungsrechtlichen Wertungen beachtet werden. Die grundgesetzlichen Erziehungsvorgaben bilden also für den (schon) zur Entscheidung berufenen Richter Bewertungsgrundlagen; sie haben Bedeutung als Maßstab bei der Feststellung der für das Wohl des Kindes am besten geeigneten Maßnahme. Im übrigen ist der Staat auf sein Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) beschränkt. Dies bedeutet mehr als eine bloße Verhinderung von Mißbräuchen. Denn ein Mißbrauch wäre eine unzulässige Rechtsausübung, die nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen zur Unwirksamkeit führte, so daß ein auf die Verhütung von Mißbräuchen reduziertes Wächteramt nicht in Art. 6 Abs. 2 GG hätte besonders geregelt werden müssen79 . Die Böckenförde, aaO. (1983), S. 134 ff. 76 Vgl. BVerfGE 60, 79 ff. 77 So auch Gemhuber (1980), S. 62; E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 238; ders. NJW 1977, 1269 Fn. 16; Strätz, FamRZ 1975, 541, 547 ff. Vgl. auch BVerfGE 7, 198 ff., 205. A. A. Bruns, FamRZ 1979,279,297 ff., 280; Müller-Freienfels (1962), S. 39 f.; Reimers (1958), S. 15 - kritisch dazu schon Reuter (1968), S. 189 f. 78 Entspr. Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 26, m. w. N. in dort. Fn. 4. 79 Vgl. Maunz, in MDHS, Art. 6, Rn. 26 d. 74
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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staatlichen Institutionen (Jugendamt, Vormundschaftsgericht) haben danach Hinweisen nachzugehen, welche auf Mißbräuche des Elternrechts hindeuten. Wegen der Definition des Entzugs der elterlichen Sorge als ultima ratio sowie im Hinblick darauf, daß das Wächteramt über die bloße Mißbrauchsverhinderung hinausgeht, ist darüber hinaus eine Intervention der staatlichen Institutionen in Form eines Angebots von Erziehungs- und Konflikthilfen gefordert. Eine Inanspruchnahme dieser Hilfen ist jedoch prinzipiell freiwillig. Eine staatliche Sanktion ist erst begründet, wenn die Mißbrauchsgrenze erreicht ist 8o . Somit obliegt (grundsätzlich) den Eltern die Bestimmung der für das Kind besten "Erziehung"; ihnen untersteht insofern ein eigener Ermessensbereich, bei dem staatliche Sanktionen nur in Mißbrauchsfälien vorgesehen sind. Die Ermessensausübung ist jedoch nicht frei, sondern gebunden; sie hat insbesondere die verfassungsrechtliche Erziehungsvorgabe der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" zu beachten; es müssen wenigstens die Mindestvoraussetzungen für die Erreichung späterer Selbstbestimmung und Selbstverantwortung in Gemeinschaftsbindung gewährleistet sein. Eine Akkumulation von Verletzungen bzw. die erkennbare Ignorierung der verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben kann den Schluß des Mißbrauchs und damit eine staatliche Sanktion rechtfertigen. Im übrigen formen die grundgesetzlichen Erziehungsvorgaben Leitbilder "guter" elterlicher Erziehung; als solche dienen sie dem Richter als Orientierungsmaßstab für die Bewertung unterschiedlichen Verhaltens der Elternteile sowie für seine eigene Urteilsfindung bei der Ausfüllung des unbestimmten Rechtsbegriffs des "Kindeswohls". Das zentrale verfassungsrechtliche Erziehungsziel bildet jenes des "autonomen Bürgers in Gemeinschaftsbindung" .
c. Konsequenzen für die Kindesposition I. Die Grenzziebung für anzuerkennende Selbstbestimmungsbefugnisse
In § 1 dieses (5.) Abschnitts wurde schon auf die Problematik des Begriffs der "Grundrechtsmündigkeit" für den vorliegenden Zusammenhang eingegangen. Zunächst geht es um die Wirkung der Grundrechte als Ordnungsmaßstab im Verhältnis Privater. Zudem aber handelt es sich nicht in gleicher Weise wie sonst um eine Grundrechtsabwägung. In der Konstellation des Art. 6 Abs. 2 GG ist der Minderjährige in Form der "Drittbetroffenheit" berücksichtigt. Insofern geht es um die Bestimmung einer Grenze, bis zu der die Erziehungsbefugnisse der Eltern reichen81 • Zutreffend weist Dürig82 darauf hin, daß das Problem von Elternrecht und Kindesselbstbestimmung etwas 80 81 82
Entspr. Häberle (1981), S. 56 f. Vgl. schon Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 22. aaO.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
anders gelagert ist als jenes der besonderen Grundrechtsabsicherungen und Grundrechtsgewichtungen gegenüber dem Staat. Deshalb ist überall die Erziehungsbedürftigkeit des Kindes seiner Selbstbestimmungsfähigkeit gegenüberzusetzen, wobei nicht feststeht, daß das Kind gerade dort selbst entscheiden kann und soll, wo besonders starker grundrechtlicher Schutz gegenüber Staatseingriffen gewährt wird 83 . Die Frage der Selbstbestimmungsfähigkeit ist somit grundsätzlich einzelfallbezogen zu entscheiden; dabei bleibt die abgesicherte gesetzliche Festsetzung von Kompetenzstufen aber möglich 84 • Aus dem Menschenbild des Grundgesetzes auf "personale Autonomie in Gemeinschaftsbindung" folgt der prinzipielle Anspruch jedes einzelnen Menschen auf Selbstbestimmung85 . Da auch die Eltern infolge ihrer Pflichtbindung an diesen Grundsatz als verfassungsrechtliches Erziehungsleitbild gebunden sind, dürfen sie grundsätzlich nur so lange und so viel für und an Stelle ihrer Kinder entscheiden, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind86 • Aus der Pflichtbindung folgt zudem eine inhaltliche Beschränkung des "Erziehungsrechtes" auf die zur "Erziehung" förderlichen MitteI8? Im Familieninternum führt dies zu der Konsequenz, daß das Elternrecht überhaupt nur so lange legitimiert ist, wie es Selbstbestimmungskompetenz nicht untergräbt, sondern fördert. Nur in jenem Fall, in dem hinsichtlich einer konkreten Frage ein Selbstbestimmungsvermögen tatsächlich nicht gegeben ist, dessen Vorliegen zumindest aber zweifelhaft erscheint, kommt eine ersatzweise Entscheidung durch die Eltern in Betracht. Daraus folgt, daß die Unterscheidung von Reuter zwischen "personalen" und "funktionalen" Grundrechten88 insofern nicht weiterhilft, als auch funktionale Grundrechte durch die Autonomieverpflichtung personale Auswirkungen haben. Somit besteht seitens der Eltern die verfassungsrechtliche Pflicht, den Minderjährigen Selbstentscheidung und Selbstbestimmung soweit zuzubilligen, wie eine Selbstbestimmungsfähigkeit konkret gegeben ist. Ein eigener durchsetzbarer Rechtsanspruch der Kinder gegen die Eltern besteht darauf jedoch nicht. Sachwalter und Kindesinteressen ist in Konfliktfällen der Staat in der Ausübung seines Wächteramtes im Rahmen der vorstehend unter "B III" fixierten Grenzen. Dürig, aaO. Dies ist, soweit ersichtlich, unbestritten; vgl. BVerfGE 18, 160 u. 35,247. 85 Vgl. auch: Becker, RdJB 1970, S. 304; Breuer, Jura 1979 S. 401 m. w. N. in dort. Fn. 2; Reuter/Säcker, NJW 1965, 2038 f.; Roell (1984), S. 48 ff.; E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 230 f., 239; Stöcker, ZRP 1974,212; Zenz, AcP 173 (1973), S. 173 ff. 86 Dürig, aaO, mit Danzig (1974), S. 132, 145ff.; Kittner, AuR 1971, 290 f.; Perschel, RdJB 1963, 36; Roell (1984). 87 Dürig, aaO, unter Hinweis auf Münder, JuS 1976,74,77 sowie OLG Karlsruhe FamRZ 1974, 661. 88 Reuter (1986), S. 63 f.; vgl. die Darstellung des Ansatzes im obigen 2. Abschnitt, § 2D. 83
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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11. Außen- und Innenverhältnis der Familie
Das Elternrecht bezieht sich auf die Betätigung des Kindes innerhalb und außerhalb der Familie. Es räumt den Eltern einen prinzipiellen Vorrang als "Erzieher" ein; deshalb hat es auch Wirkung gegenüber Dritten. Die Elternpflicht, den Minderjährigen Selbstentscheidung und Selbstbestimmung soweit zuzubilligen, wie eine Selbstbestimmungsfähigkeit konkret gegeben ist, bezieht sich auf die Gesamtheit der (rechtlichen) Betätigungen der Kinder. Ein Unterschied zwischen Familieninternum und Familienexternum besteht jedoch insofern, als bei letzterem noch zusätzlich Gemeinschaftsinteressen zu beachten sind. Das hier relevante Gemeinschaftsinteresse ist fixiert in dem Grundsatz der Rechtssicherheit. Schon bei abstrakter verfassungsrechtlicher Betrachtung ist es aber verfehlt, die Gemeinschaftsinteressen in ihrer verfassungsrechtlichen Ausformung der Rechtssicherheit als statische Größe zu betrachten und deshalb Mündigkeiten Nichtvolljähriger auf das Familieninternum zu beschränken89 . Das Prinzip der Rechtssicherheit entspricht gesamtstaatlichen Ordnungsinteressen, zugleich aber auch dem Interesse der einzelnen, konkret betroffenen Bürger. Andererseits dient die Gewährung maximaler Entscheidungsfreiheit auch für Nichtvolljährige ggf. dem Einzelnen, aber auch dem Zukunftsinteresse der Gemeinschaft; denn allein die Zubilligung von Selbstentscheidung an die zur Selbstbestimmung fähigen Minderjährigen führt zur Entscheidungsfähigkeit und zu Selbstbewußtsein90 und damit zu Persönlichkeitsstrukturen, wie sie vom Menschenbild des Grundgesetzes vorausgesetzt sind. Im Kontext der Verfassungsnormen ausgedrückt: Art. 2 Abs. 1 GG garantiert auch dem einzelnen Jugendlichen bzw. Heranwachsenen die allgemeine Entfaltungsfreiheit91 • Diese findet ihre Grenze u. a. in der "verfassungsmäßigen Ordnung", als deren elementarer Grundsatz die Rechtsstaatlichkeit gilt92 , und mithin in dem Prinzip der Rechtssicherheit, welches aus dem Rechtsstaatsgrundsatz abgeleitet wird93 • Dabei gilt, nicht zuletzt um einer Interpretationswillkür vorzubeugen, daß ein die Freiheit des Art. 2 Abs. 1 GG beschränkender Grundsatz ein durch die Wertsetzungen des Grundgesetzes gedecktes (soziales) Ziel mit vertretbaren, d. h. nicht augenscheinlich ungeeigneten Mitteln verfolgen muß, um vor der Freiheitsgarantie bestehen zu können94 • Insofern resultieren 89 So aber Stöcker in ZRP 1974, 211 f.; in der Konsequenz ebenso Roe\l- (1984), S. 52 f. -, wenn sie die Respektierung der Minderjährigenrechte von zuvor zu erfolgenden einfachgesetzlichen Regelungen abhängig macht. 90 Zu diesen Zusammenhängen vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt. 91 BVerfGE 24, 144. 92 BVerfGE 6, 41. 93 BVerfGE 2,380,403; 3, 224, 237; 7, 89, 92; 7,194,196; 13, 261, 271. 94 Schwab, JZ 1970,1 ff., 5.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Schranken-Schranken schon aus Art. 2 Abs. 1 GG selbst. Das Prinzip der Rechtssicherheit erfährt vorliegend zudem zusätzliche Vorbehalte, als es das erwähnte Zukunftsinteresse der Gemeinschaft an selbstbestimmungsfähigen Bürgern (von morgen) zu beachten hat. Das Prinzip der Rechtssicherheit untersagt somit nicht die rechtliche Betätigung Minderjähriger außerhalb der Familie. Das Grundgesetz nennt auch keine Altersgrenzen für die eigenkompetente Rechtsausübung. Andererseits ist das Elternrecht nicht als Garant der Rechtssicherheit konzipiert, jedoch gilt es auch bei Betätigungen des Kindes außerhalb der Familie. Aus dem Grundgesetz läßt sich somit im Hinblick auf die Pflichtbindung des Elternrechts eine prinzipiell extensive Wertung hinsichtlich der Selbstbestimmungskompetenz der Kinder im Verhältnis Kind/ Eltern ablesen. Dies gilt grundsätzlich im gleichen Maße für die familieninterne wie für die familienexterne Betätigung der Minderjährigen. Im familienexternen Bereich tritt jedoch als dritte Dimension jene der Gemeinschaftsinteressen hinzu. Die Handlungsfreiheit ist schon allgemein an einem die Einzelinteressen respektierenden, aber ggf. auch beschränkenden Gemeinschaftsinteresse der Rechtssicherheit gebunden. Aus diesem Gemeinschaftsinteresse folgt hier das Erfordernis, daß entweder eine Selbstbestimmungskompetenz der Autonomieberechtigten verläßlich existiert95 , zumindest aber, und auch in diesem Fall ist dem Gemeinschaftsinteresse hinreichend Rechnung getragen96 , daß die Zuerkennung einer Selbstentfaltung bei fraglicher Ausübungskompetenz nicht als unverhältnismäßig gegenüber dem Gesamtinteresse erscheint96 • Auch insoweit gilt die besondere Bedeutung des Elternrechts in Zweifelsfällen, als eben dann die elterliche Bestimmung den Ausschlag gibt97 • (Jedenfalls) in Zweifelsfällen ist somit die Gültigkeit einer Willenserklärung des Kindes von der Zustimmung der Eltern abhängig bzw. bleibt dann bei schlichten Rechtshandlungen die Mitwirkung der Eltern erforderlich98 • 95 So im Ergebnis auch Knöpfel - FamRZ 1977, S. 600 ff., 604 f. -, weIcher in diesem Zusammenhang die unzureichende Differenzierung nach Altersstufen hinsichtlich der Kompetenzen Minderjähriger in dem (damaligen) Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge kritisiert. 96 Dies übersehen KnöpfeI, aaO, und Roell, aaO. 97 Insofern mag die Verkehrssicherheit im Regelfall in Fällen mit Außenbeziehung die gesetzliche Regelung notwendig machen. Entgegen Dürig - in MDHS, Art. 19 Abs. 3 Rn. 27 - ist jedoch auch der Fall denkbar, daß Kompetenzstufen verläßlich feststellbar sind, ohne daß diese einen formal-gesetzlichen Niederschlag gefunden hätten. Hier ließe sich eine Unsicherheit für den Rechtsverkehr allenfalls aus den verifizierbaren Einstellungen als Folge einer Verhaltenstradition feststellen, Mündigkeiten erst mit ihrer formal-gesetzlichen Fixierung anzuerkennen. Wenn davon ausgegangen wird, daß Mündigkeitsgrenzen unterhalb real bestehender Kompetenzen die Heranbildung einer Persönlichkeit hindern, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht, so ist ein Konflikt zu konstatieren zwischen einerseits dem Gemeinschaftsinteresse an der Heranbildung von Bürgern, die dem Menschenbild des Grundgesetzes entsprechen, sowie andererseits dem Gemeinschaftsinteresse der Rechtssicherheit, weIches im konkreten Konflikt jedoch seine Begründung aus Vorurteilen speiste. Bei dieser Konstellation ist der Gesetzgeber aufgefordert, einen Beitrag zum Rechtsfrieden zu leisten,
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
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§ 4 Ergebnisse und Perspektiven für die weitere Untersuchung
Von den im zweiten Abschnitt referierten Stellungnahmen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrecht lassen sich relativ einfach die beiden Extremauffassungen ausscheiden. So ist der als herrschend zu bezeichnenden Meinung, welche das BGB als Kollisionsnorm der verfassungsrechtlichen Positionen begreift, zu entgegnen, das Stufenverhältnis zwischen Verfassungsentscheidung und partikulärer Ordnung nicht hinreichend beachtet zu haben l . Gleiches gilt in entgegengesetzter Richtung für die Einlassung E. Schwerdtners - entsprechend auch H. Krüger2 , Leuschner3, Perschel4 sowie Zenz5 -, wenn er die alltägliche Einzelentscheidung unmittelbar aus der Verfassungswertung fällen zu können glaubt 6 . Gernhubers idealtypisierende, institutionelle Betrachtungsweise leidet an jenen Mängeln, welche institutionellem Denken eigen sind7 . So vertritt er einen Elternbegriff, welcher restaurativ und weitgehend realitätsfremd ist; Gernhuber scheidet deshalb jede Dialektik von Eltern- und Kindesinteressen aus 8 • Auch eine Verfassungsinterpretation hat jedoch sozialen Wandel zu berücksichtigen9 . Demgegenüber ist Stöcker lO zuzubilligen, erkannt zu haben, daß sich die Problematik der Abgrenzung zwischen kindesbezogenen Befugnissen der Eltern und Selbstbestimmungsrechten der Kinder nicht auf die Abwägung zwischen Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 GG reduzieren läßt. Zutreffend wird von ihm auch die Abgrenzung zwischen Eltern- und Kindesbefugnissen als Beurteilung des "Innenverhältnisses" klassifiziert ll . Daraus zieht er jedoch den m. E. unzutreffenden Schluß, daß die Frage nach Selbstbestimmungsbefugnissen der Abkömmlinge ausschließlich das Innenverhältnis zu Eltern bzw. Vormund betreffe 12. Für diese Reduzierung bietet das Grundgesetz keinen Ansatz. indem er die gesetzlich festgelegten Mündigkeitsstufen den faktisch bestehenden Kompetenzen annähert, ggf. durch Einführung neuer Zwischenstufen. 98 Siehe im einzelnen im 5. Kapitel; S. 354ff. 1 Vgl. im 4. Abschnitt, § 3 B WIll, sowie zur Drittwirkungsproblematik im 3. Abschnitt. 2 FamRZ 1956, S. 329 ff. 3 (1966). 4 RdJB 1963, S. 33 ff. 5 AcP 173 (1973), S. 173 ff. 6 E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 227 ff.; ders. NJW 1977, S. 1268 ff. 7 Vgl. die Kritik im 4. Abschnitt, §§ 2/3. 8 Vgl. Gernhuber (1980), S. 59 ff. Kritisch dazu auch Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 22, Fn. 2; s. auch Geiger, FamRZ 1979, 457. 9 Vgl. im 4. Abschnitt, § 3 B WIll. 10 ZRP 1974, 211 ff., 212. 11 Stöcker, aaO.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Richtig ist nur, daß es zunächst den Sorgeverpflichteten obliegt, über das Vorliegen der Entscheidungskompetenz des Minderjährigen im konkreten Fall zu entscheiden 13 • Die Zubilligung von eigenen Entscheidungsbefugnissen ist sodann für das Familieninternum und für das Familienexternum sicherlich unterschiedlich. So gewinnt etwa der Auslegungsmaßstab des "wirklichen Willens", den Roell erwähnt l 4, vornehmlich Bedeutung für den familieninternen Bereich. Das Grundgesetz bezieht sich prinzipiell aber auf die Betätigung des Kindes sowohl innerhalb als auch außerhalb der Familie. Drittkontakte unterscheiden sich von der Bewertung allein des Eltern-Kind-Bereichs dadurch, daß sie zunächst ebenfalls unter dem Aspekt der verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Eltern-Kind-Beziehungen zu sehen sind; zusätzlich sind sie jedoch unter dem Gesichtspunkt des Verhältnisses zu den Gemeinschaftsinteressen zu beurteilen 15. Insgesamt läßt sich feststellen, daß den Ansätzen jeweils in einzelnen Beurteilungen zuzustimmen war, in anderen Bereichen dagegen nicht. Der eigene Standpunkt ist stark an jenen von Dürigs Kommentierung zu Art. 19 Abs. 3 GG16 angenähert sowie an die Definition des Eltern-Kind-Verhältnisses durch Häberle l7 . Auch in der verfassungsrechtlichen Literatur werden vor allem zwei Bereiche für die "Erziehung" unterschieden, nämlich "Erziehung" in der Familie sowie außerhalb, vor allem in der Schule l8 . Beim Eltern/Kind-Verhältnis geht es vom Ansatz her zunächst um den ersten Bereich. Die Familie bildet die soziologische Gruppe, in welcher das Kind sozialisiert wird. Es war deshalb von Interesse zu erörtern, wie ,Familie' verfassungsrechtlich gestaltet ist. Zudem besteht auch eine innere Beziehung zwischen den Absätzen des Art. 6, da sie insgesamt Ausprägungen des Gedankens sind, die familiale Privatsphäre zu schützen l9 . - Es wurde gezeigt, daß die Verfassung keinen vorgegebenen festen Begriff der Familie übernommen hat. Vielmehr ist die verfassungsrechtliche Institution ,Familie' einer Ausgestaltung zugänglich, die sozialen Wandel berücksichtigt. Umfang und Richtung des Schutzes aus Art. 6 Abs. 1 GG sind im Hinblick auf den jeweiligen Regelungszusammenhang zu Stöcker, aaO, S. 214. Vgl. auch Roell (1984), S. 51 f. 14 (1984), S. 51 f. 15 Vor allem und zuerst hier sind entsprechend Roell - (1984) S. 52 f. - dezidierte einfachgesetzliche Regelungen erforderlich, während im übrigen das Elternrecht Detailregelungen durch den Gesetzgeber ggf. gerade entgegensteht. 16 In MDHS. 17 Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, Freiburg/München, 1981. 18 Vgl. Art. 6 Abs. 2 sowie Art. 7 GG; aus dem Schrifttum s. z. B. Erichsen (1978), Evers (1979), Essener Gespräche, Heft 14, 1980. 19 BVerfGE 24,135; 51, 398. 12
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5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von EItem- u. Kindesrecht
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bestimmen. Dies hindert jedoch nicht, Grundstrukturen der Institution allgemein festzustellen. Diese Konkretisierung erleichtert vielmehr die Einzelfallentscheidung. Familie im verfassungsrechtlichen Sinne läßt sich nach den ausgemachten Grundstrukturen umschreiben als: Erkennbar auf Dauer angelegte, wechselseitig emotional bestimmte Primär-Bindung zwischen einer oder mehreren erwachsenen Bezugsperson(en) - Sozialisator(en) - und einem oder mehreren privat oder die außerprivate Sozialisation begleitend zu Sozialisierenden - Kind(er), Jugendliche(r) und/oder Heranwachsende(r) -, wobei im Grundfall eine blutsmäßige Beziehung zwischen dem Sozialisator und dem zu Sozialisierenden besteht.
Die Bedeutung der Konkretisierung des Familienbegriffs besteht für Art. 6 Abs. 2 GG vor allem darin, daß sich daraus auf die möglichen Berechtigten aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG rückschließen läßt. Die Strukturelemente der ,Familie' bilden im übrigen zugleich Teilstrukturen des Normbereichs des Art. 6 Abs. 2 GG und umgekehrt. Schon daraus folgt eine Interdependenz zwischen den Abs. 1 und 2/3 des Art. 6 GG. So hat, was jüngst das Bundesverfassungsgericht herausstellte20 , die Emotionalität als konstitutives Element der Eltern/Kind-Beziehung besondere Bedeutung; zugleich kommt damit aber auch der Gruppe ein besonderer verfassungsrechtlicher Schutz zu, welche diese Emotionalität ermöglicht, also der Familie. Die im Zentrum der Erörterung stehende Frage nach einer Abgrenzung der Elternbefugnisse von Selbstbestimmungsrechten des Kindes berücksichtigt und erfordert eine verfassungsrechtliche Erörterung unter dem Gesichtspunkt der Wirkung der Grundrechte als Ordnungsrnaßstab im Verhältnis Privater. Es wird von einer mittelbaren Drittwirkung ausgegangen. In deren Rahmen handelt es sich beim Eltern/Kind-Verhältnis jedoch nicht in gleicher Weise wie sonst um eine Abwägung zwischen (Eltern- und Kindes)Grundrechten. In der Konstellation des Art. 6 Abs. 2 GG ist der Minderjährige im Dreieck ElternKind-Staat in Form der "Drittbetroffenheit" berücksichtigt. Insofern geht es um die Bestimmung einer Grenze, bis zu der die Erziehungsbefugnisse reichen. Das "Elternrecht" des Art. 6 Abs. 2 GG gibt den Eltern ein subjektives Verfassungsrecht. Dieses garantiert den Eltern insbesondere ihren Vorrang als "Erzieher". Es berücksichtigt auch Eigeninteressen der Eltern - z. B. auf Selbstverwirklichung durch Erziehung. Das wesensbestimmende Merkmal des "Elternrechts" bildet jedoch dessen Pflichtseite. Deshalb müssen sich auch die Elterninteressen an den Pflichten messen lassen. Die Pflicht ist vorrangig im Interesse der Kinder statuiert, ohne daß diesen ihrerseits ein Rechtsanspruch aus Art. 6 Abs. 2 GG erwüchse. Sachwalter der Kindesinteressen ist der Staat in Ausübung seines Wächteramtes in den Grenzen des Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG. 20
BVerfGE 60, 79, 94 f.
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2. Kap.: Verfassungsrechtliche Bewertung
Die Pflichtseite des Elternrechts wird durch verfassungsrechtliche Erziehungsvorgaben konkretisiert. Dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht das Erziehungsziel der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" . Es obliegt jedoch grundsätzlich den Eltern, die für das Kind beste ,Erziehung' zu bestimmen sowie Erziehungsziele, Erziehungsmiuel und Erziehungsinhalte festzulegen. Den Eltern untersteht insoweit ein eigener Ermessensbereich, bei dem staatliche Sanktionen nur in Mißbrauchsfällen vorgesehen sind. Das verfassungsrechtliche Erziehungsziel der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" entspricht einem verfassungsrechtlichen Idealbild; es ist Leitbild "guter" elterlicher Erziehung. Deshalb rechtfertigt nicht schon jede Verletzung staatliche Sanktionen. Das Erziehungsziel der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" beschränkt die elterliche Bestimmung nur insoweit, als wenigstens die Mindestvoraussetzung für die Erreichung der späteren "personalen Autonomie" gewährleistet sein müssen. Diese Mindestvoraussetzungen werden verfassungsrechtlich durch Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG fixiert. Daraus ergibt sich, daß die Eltern grundsätzlich nur so lange und so viel für und anstelle ihrer Kinder entscheiden dürfen, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind. Die elterliche Entscheidungsbefugnis behält aber insbesondere dort Bedeutung, wo das reale Vorhandensein einer Entscheidungskompetenz des Kindes zweifelhaft erscheint bzw. wo gesichertes Wissen über reale Kompetenzen nicht gegeben ist und auch nicht beschafft werden kann, aber auch dort, wo das Recht Typisierungen - etwa in Form von Altersstufen - unverzichtbar fordert und solche nicht verläßlich existieren. Erst eine Akkumulation von Verletzungen bzw. die erkennbare Ignorierung der verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben kann den Schluß eines Mißbrauchs und damit staatliche Sanktionen rechfertigen. Im Vorfeld kommen staatliche Interventionen in Form eines Angebots von Erziehungs- und Konflikthilfen in Betracht. Im übrigen haben die verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben Bedeutung für die richterliche Entscheidungsfindung in Sorgerechtsangelegenheiten. Es gilt auch insoweit das elterliche Ermessen für die Bestimmung der Erziehungsziele, Erziehungsmittel und Erziehungsinhalte. Dies hilft jedoch nicht weiter etwa bei der Sorgerechtsverteilung nach §§ 1671 f. BGB oder in (anderen) Fällen unterschiedlichen Elternverhaltens. Im übrigen erfordert auch die Bestätigung einer Ermessensentscheidung die vorherige Feststellung, daß kein Ermessensnichtgebrauch oder Ermessensmißbrauch gegeben ist. Mit anderen Worten: Die richterliche Tätigkeit endet nicht mit der Feststellung, daß die Eltern eine Entscheidung getroffen haben. Die richterliche Wertung hat den Vorrang der Eltern als "Erzieher" zu berücksichtigen. Schon die verfassungsrechtliche Ebene kennt jedoch eine intervenierende oder sanktionierende Geltendmachung der Kindesinteressen. Der Mißbrauch des Elternrechts stellt (nur) eine besonders eklatante Mißachtung der verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben dar. Elterliches Erziehungsverhalten bewegt sich in
5. Abschn.: Inhaltliche Konkretisierung von Eltem- u. Kindesrecht
153
verfassungsrechtlicher Sicht somit immer zwischen den Polen von verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgaben und Elternbestimmung, wobei der Vorrang elterlicher Erziehung dahin wirkt, daß sich, von der Mißbrauchsgrenze her gesehen, das elterliche Bestimmungsrecht in seiner Wirkung verstärkt. Für die Frage der Selbstbestimmung der Jugendlichen und Heranwachsenden nach der Zivilrechtsordnung folgt aus diesen Feststellungen: Die einfachgesetzlichen Normen und ihre Auslegung sind an dem verfassungsrechtlichen Erziehungsziel des "autonomen Bürgers in Gemeinschaftsbindung" zu orientieren; dabei ist jedoch der Vorrang elterlicher Erziehung und das sich daraus ergebende abgestufte elterliche Bestimmungsrecht zu beachten. Der Schwerpunkt der nachfolgenden Untersuchung liegt bei der Konkretisierung dieses Spannungsverhältnisses im partikulären Bereich unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Wertvorstellung; von besonderer Bedeutung ist dabei die Fixierung der unverzichtbaren "Mindestbedingungen" für die Entwicklung einer Persönlichkeit, wie sie dem Menschenbild des Grundgesetzes entspricht.
3. Kap i tel
Die zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung' sowie die Beurteilung des Verhältnisses von familieninterner und familienextemer Wertung unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen WertvorsteUungen 1. Abschnitt
Die verfassungsrechtlichen Vorgaben und ihre Operationalisierung bei der zivilrechtlichen Bestimmung des Verhältnisses von Eltern- und Kindesrechten sowie der Rechte Dritter Die komplexe Fragestellung nach der (zivil-) rechtlichen Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden läßt es angeraten erscheinen, übergreifende Gesichtspunkte in diesem 3. Kapitel vorab zu behandeln. Zunächst geht es darum, die verfassungsrechtliche Vorgabe eines Gebots "personaler Autonomie in Gemeinschaftsbindung" in seiner Abhängigkeit von dem sich von der Mißbrauchsgrenze her gesehen verstärkenden elterlichen Bestimmungsrecht für die weitere Untersuchung zu operationalisieren. Gefragt ist, wie und wo sich diese verfassungsrechtliche Wertung in der zivilrechtlichen Entscheidung umsetzt. Der rechtstheoretische Zusammenhang von Verfassungswertung und partikulärrechtlicher Entscheidung wurde bereits dargestellt1. Inhaltlich ergibt sich aus der verfassungsrechtlichen Vorgabe zunächst eine bestimmte Vorgehensweise für den gesetzlichen Interessenausgleich und für die folgende Gesetzesanwendung: Das erwähnte Gebot der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" , bei Beachtung bestimmter elterlicher Befugnisse, bezieht sich grundsätzlich auf die gesamte zivilrechtliche Stellung der Kinder und Jugendlichen. Das elterliche "Bestimmungsrecht" ist jedoch seinerseits nicht ungebunden. Es steht vielmehr unter der Prämisse, nur so lange und so viel anstelle der Kinder zu entscheiden, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind 2 • 1
VgL im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B.
1. Abschn.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
155
Danach gilt auch für Kinder und Jugendliche, daß ihnen grundsätzlich und prinzipiell unabhängig vom Alter sowie von einer persönlichen und/oder wirtschaftlichen Abhängigkeit Selbstbestimmung nicht nur als Zukunftspostulat, sondern jeweils aktuell zuzuerkennen ist, so lange dem nicht zu akzeptierende Rechte anderer und/oder ein Unvermögen in der Ausübungskompetenz bei dem Nichtvolljährigen entgegenstehen. Insofern ist die bei mehreren Autoren so oder sinngemäß zu findende Aussage über die Zuerkennung von Selbstbestimmungskompetenzen für Nichtvolljährige in ihrer abstrakten Form zu bejahen, die lautet: "So viel Freiheit wie möglich, jedoch so viel Gemeinschaftsbindung3 wie nötig"4. Es steht noch aus, Konsequenzen aus dieser Einsicht zu ziehen 5 • Das Elternrecht ist verfassungsrechtlich nicht als vor- oder übergeordnetes Recht konzipiert6 . Ebenso ist das Bedürfnis eines Schutzes von Kindern im Rechtsverkehr nicht naturgegeben, sondern Ergebnis sekundärer Wertung7 . Auch Kindesrechte unterliegen damit nicht dem Vorrang von Drittrechten, ja prinzipiell nicht einmal dem Vorbehalt widersprechender Drittrechte. Anzuerkennen wäre - wie allgemein - ein Vorbehalt zu akzeptierender Rechte anderer. Dabei besteht eine Sonderheit insofern, als eine etwaige altersbedingte Ausübungsinkompetenz oder Zweifel an der Kompetenz des Kindes das elterliche Bestimmungsrecht zur Geltung bringen sowie den Vorrang von Drittrechten (z. B. des Rechtsverkehrs) bedingen können. Das Gebot personaler Autonomie führt somit zur Konsequenz (zumindest gedanklicher) prinzipieller Rechtssubjektivität8 . Nachdem Rechtssubjektivität aber an die Stelle einer "naturgegeben" beschränkten Rechtssubjektivität getreten ist, verbleibt bei Feststellung unterschiedlicher Interessen (hier: Kindes-, Eltern- und Verkehrsinteresse) nur noch die Möglichkeit einer (ehrlichen) Interessenabwägung. Die gebotene Interessenabwägung aber erfordert eine Abstraktion der Beteiligteninteressen. Dem widerspricht schon vom Ansatz her, wenn für den innerfamiliären Bereich bis zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge die Frage des Vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 5. Abschnitt. Wörtlich: Stöcker, ZRP 1974, 212. 4 Stöcker, ZRP 1974, 212; entsprechend auch Schwab, JZ 1970, 745 ff.; E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 227 ff. sowie Zenz, ZRP 1977,196. 5 Als Beispiele argumentativer Hilflosigkeit, welche letztlich zur Reaktivierung überkommener und von den Autoren an sich abgelehnter Vorstellungen führt, können die Darlegungen von Stöcker, aaO, aber auch die Ausführungen von E. Schwerdtner, aaO, geiten. 6 Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt; s. ebenfalls BVerfGE 24, 144. 7 Vgl. schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 eil; deutlich auch Klußmann, FamRZ 1982, 118, 119 r. Sp. 8 So vor allem auch: Klußmann, FamRZ 1982, 119 f.; Simitis, in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 96. 2
3
156
3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
Ausübenkönnens von Rechten überhaupt nicht als Problem empfunden wurde und auch nach der Neuregelung - bis auf eine vorübergehende Verunsicherung - keine prinzipiell neue Bewußtseinslage erreicht ist. So wurde und wird entweder ein Anspruchsdenken aus dem Eltern/Kind-Bereich unter der Klausel vom "rechtsfreien Innenraum" der Familie eliminiert9 oder, was zum selben Ergebnis letztlich uneingeschränkter Fremdabhängigkeit Nichtvolljähriger sowie wirtschaftlich abhängiger Volljähriger führt, den Eltern wird unter dem Aspekt ihrer Freiheit zur Bestimmung der Erziehungsinhalte im Rahmen elterlicher Sorge ein Leitungs- und Führungsrecht entsprechend elterlichem Gutdünken und elterlichen Bedürfnissen zuerkannt lO ; lediglich bei schweren Mißbrauchsfällen, die zudem erst aktenkundig gemacht werden müssen, soll dieses in einer restriktiven Handhabung des § 1666 BGB einschränkbar seinIl. Im Gesetz auffindbare Ansätze eigener Ansprüche der Kinder im Eltern/ Kind-Verhältnis werden von Vertretern dieser Auffassung überwunden, indem die entsprechenden Normen als "leges imperfectae" interpretiert werden 12 • (Zumindest) tendenziell enthält diese Sichtweise anstelle eines fiduziarischen Ansatzes Gedankenmuster elterlicher - bzw. väterlicher Vorherrschaft 13 • Derartige Ansätze schließen eine unvoreingenommene Interessenabwägung aus. Denn stetes Mitdenken elterlicher Vorabbestimmung verwehrt es, Kindesinteressen überhaupt zu erkennen; es handelt sich stets um von anderen als Kindesinteressen definierte Gegebenheiten und nicht um das Kindesinteresse selbst. 9
Bruns, FamRZ 1979, 279 f.; Geiger, FamRZ 1979, 462; Lecheier, FamRZ 1979,
1 ff., 4.
A. A. Bleuel, in Gerber (1975), S. 20,25; Danzig (1974), S. 41 ff.; Liebl-Bittersdorf, in Juristinnenbund (1977), S. 129 ff., 134; Schöffel, in Gerber (1975), S. 80 ff., 86 f. Differenzierend: Bosch, FamRZ 1973, 489, 505 ff., ders., FamRZ 1974, 1 ff.; Brüggemann, in Jugendhilfe vor neuen Strukturen, S. 21 ff.; Becker (1976), S. 37 ff., Coester-Waltjen, in Juristinnenbund (1977), S. 678 ff., 76 f.; Zenz, in Kühnfforneau (1978), S. 169 ff.; dies. in StAZ 1973, 257 ff., 267; Schmitz-Elsen, in Gerber (1975), S. 70 ff., 77 unten. 10 Ossenbühl, DVBI 1978, 101, unter ,,11"; Schmitt Glaeser, DÖV 1978, 632/633; wohl auch G. Schultz, MDR 1980, 20; tendenziell ebenso: Fromm, FAZ vom 16.4. 1977, S. 1; Giesen, FamRZ 1977, 594 ff. 11 Zur Auslegung des § 1666 BGB vgl. im einzelnen im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 3. 12 Vor vor allem Holtgrave, JZ 1979, 666 f. Tendenziell befürwortet diese Bewertung auch Schultz (MDR 1980,20 f.), welcher einen Anspruch des Kindes zwar "hindurchschimmern" sieht, allerdings eine so interpretierte Norm als an der "Grenze des Zulässigen" stehend erachtet. Für eine Auslegung des Gesetzes, die eigene Rechtsansprüche des Kindes anerkennt: Diederichsen, NJW 1980, 2; Lempp, Zbl JugR 1977, 508; Simitis u. a. (1979), S. 49; Simon, JuS 1979, 752. Ebenso auch Bosch, FamRZ 1980, 748, der diesen Gesetzesinhalt jedoch für verfassungswidrig hält. 13 Entsprechend vor allem Stöcker, ZRP 1974, 211 ff., m. w. N.
1. Abschn.: Verfassungsrechtliche Vorgaben
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Dem Gebot einer Interessenabwägung widerspricht es, die rechtsdogmatische Differenzierung zwischen Trägerschaft und Ausübenkönnen von Rechten generell im Sinne einer Reduzierung Nichtvolljähriger auf die Rechtsträgerschaft zu interpretieren. Dies gebietet auch nicht die im römischen Recht beheimatete!4 und dem geltenden Recht zugrundeliegende Unterscheidung zwischen Innehabung und Ausübenkönnen von Rechten. Aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz personaler Autonomie folgt vielmehr ein RegelAusnahme-Verhältnis dahingehend, daß für natürliche Personen im Regelfall Innehabung und Ausübenkönnen zusammenfallen und nur in besonderen Ausnahmefällen (z. B. bei der Gesamthand) eine Innehabung von Rechten ohne Ausübungsbefugnis existiert. Insofern ergibt die verfassungsrechtliche Wertung, daß auf der partikulären Ebene zu prüfen ist, wie eine Regelung unter angemessener Berücksichtigung aller Beteiligteninteressen, ::llso jener der Minderjährigen, der Eltern und des Rechtsverkehrs, auszusehen hätte. Insoweit gilt es, das Verständnis von einer "beschränkten Geschäftsfähigkeit" zu hinterfragen, welches die Versagung oder Erklärung der Genehmigung eines nach § 108 Abs. 1 BGB schwebend unwirksamen Geschäfts in das Gutdünken der gesetzlichen Vertreter stellt!5. Als Alternative kommt in Betracht, unter bestimmten Voraussetzungen von einer Genehmigungspflicht der gesetzlichen Vertreter auszugehen!6. Denkbar wäre auch der Weg, generalisierbare und erzwingbare Teilgeschäftsfähigkeiten für Nichtvolljährige anzuerkennen!7. Als Mittelweg könnte ein angemessener Interessenausgleich darin zu erblicken sein, daß seit der Neuregelung der elterlichen Sorge nach § 1666 Abs.2 BGB in bestimmten Fällen Erklärungen der Eltern durch das Vormundschaftsgericht ersetzt werden können l8 . Das Gebot der Beachtung des Grundsatzes personaler Autonomie bietet insbesondere auch dort Konfliktstoff, wo eine solche Gewährleistung (wirt14 Siehe schon die Nachweise sowie die Darstellung der zwischenzeitlich im älteren deutschen sowie kanonischen Recht abweichenden Entwicklung bei O. v. Gierke (1985), S. 356 f. 15 So aber etwa OLG Kiel OLGE 22, 126; Palandt/Heinrichs, § 108, Anm. 2; SoergellHefermehl, § 108 Rn. 4; Staudinger/Coing, § 108 Rn. 2; Schilken, FamRZ 1978, 642 ff., 646. Kritisch: Gitter, MünchKomm., § 108 Rn. 13; § 107 Rn. 29. 16 So Gitter, MünchKomm., § 107 Rn. 29; a. A., ders. in MünchKomm., 2. Aufl., § 107 Rn. 23. Zum etwaigen Anspruch auf Einwilligung zur Verlobung zur Wahrung der Ersatzansprüche aus den §§ 1298 ff. BGB: vgl. Gernhuber (1980), S. 72. Zum "Vertretungsnotstand" bei sogenannten existenznotwendigen Geschäften: vgl. Scherner, FamRZ 1976, 673,677 f. 17 Als wünschenswert erachten Teilgeschäftsfähigkeiten auch, ohne solche indes als aus der Rechtsordnung zwingend vorgegeben anzusehen: Bosch, FamRZ 1973, 489; ders., FamRZ 1974, 1; ders. in FS für Schiedermair, 1970, S. 51 ff.; W. Becker (1976), S. 37; sehr allgemein Raum (S. 174 ff.) und Pfürtner (S. 432 ff.) in E. Kühn u. a. (1978). 18 Siehe Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 107 Rn. 23, m. w. N. in der dort. Fn. 46.
158
3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
schaftlich) ggf. auf Kosten anderer erfolgt. Die im Regelfall existente Beschränkung der Ressourcen macht auch hier eine alle Beteiligtenbedürfnisse berücksichtigende Interessenabwägung erforderlich 19. Dabei darf eine solche Diskussion nicht die vom Sozialstaat zur Verfügung gestellten Hilfen ignorieren2o ; ebenso sind Begriffe wie jener der "Notgemeinschaft"21 ihres Unwägbarkeitsgehaltes zu entkleiden.
Zusammenfassend läßt sich somit feststellen: Die partikuläre Folge des Verfassungspostulats nach personaler Autonomie besteht vor allem darin, daß eine offene Interessenabwägung stattzufinden hat, welche eigene Kindesinteressen akzeptiert und welche die Kindesinteressen gegenüber den Gemeinschaftsinteressen, den elterlichen Eigeninteressen sowie dem pflichtgebundenen Bestimmungsrecht der Eltern abwägt. Neben der Wirkung der verfassungsrechtlichen Wertungen als Erörterungsstrategie für den partikulären Bereich sind Auswirkungen auch auf den zivilrechtlichen Familienbegriff sowie insbesondere auf Begriff und Inhalt von Erziehung im Sinne des Zivilrechts denkbar; fraglich ist schließlich auch das Verhältnis von familieninterner und familienexterner Wertung.
2. Abschnitt
Familie i. S. d. Zivilrechts § 1 Verfassungsrechtlicher und zivilrechtlicher
Familienbegriff und das Erfordernis einer zivilrechtlichen Dermition der ,Familie'
"Familie" wurde im 2. Kapitel als Schlüsselbegriff für die verfassungsrechtlichen Wertungen im Rahmen des Art. 6 GG bewertet. Schon dort wurde indes auf die Unterschiede zwischen dem verfassungsrechtlichen Institut der Familie und seiner zivilrechtlichen Ausgestaltung hingewiesen 1. Verfassungsrechtlicher Schutz bedeutet unter anderem, daß auch die partikuläre Ordnung keine Regelungen treffen kann, die diesem Schutzzweck entgegenstehen. Verfassungsrechtlich geschützt sind - jedenfalls für den hier interessierenden Bereich - keine bestimmten Begriffe, sondern Inhalte. Was nach der für das Verfassungsrecht geltenden Definition als Familie zu qualifizieren ist, unterliegt dem verfassungsrechtlichen besonderen Schutz des Art. 6 GG, den auch der einfache Gesetzgeber zu beachten hat. Dies bedeutet So insbesondere auch Diederichsen in PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 4 a cc. Vgl. dazu schon Moritz, RdJB 1977, 264 ff., 274 f.; ders. JZ 1980,16-21. 21 Kritisch auch Gemhuber (1980), S. 625. 1 Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 4. 19
20
2. Abschn.: Familie i. S. d. Zivilrechts
159
jedoch nicht, daß ,Familie' im partikulären Recht genauso zu definieren ist wie in der Verfassung. Insofern trifft die Aussage zu, daß, soll die Verfassung eine eigene Gewährleistungsfunktion behalten, jenes, was ,Familie' i. S. d. Art. 6 GG bedeutet, nicht aus dem jeweils geltenden einfachen Gesetz abgelesen werden kann2 • Diese Feststellung trifft indes nur einen Teil der Problematik. Sie ist zu ergänzen durch die Aussage, daß auch jenes, was partikulärrechtlich als ,Familie' definiert wird, nicht notwendig identisch ist mit dem verfassungsrechtlichen Familienbegriff; auch soweit eine Verbindung zwar verfassungsrechtlich, nicht jedoch partikulärrechtlich als Familie zu bezeichnen ist, unterliegt diese Verbindung jedoch dem auch einfachgesetzlich zu beachtenden verfassungsrechtlichen Schutz des Art. 6 Abs. 1 GG. Eine zivilrechtliehe Definition der Familie ermöglicht somit den Vergleich mit dem verfassungsrechtlichen Familienbegriff. Damit kann zugleich festgestellt werden, inwieweit die zivilrechtlich als Familie definierte Gemeinschaft ebenfalls verfassungsrechtlich geschützt ist. Nicht zu verkennen ist auch die stabilisierende Wirkung für Rechtsfrieden und Rechtssicherheit, welche von einer Familiendefinition ausgehen können 3 . Dies träfe besonders für eine einheitliche Familiendefinition zu; ist eine solche nicht möglich, können jedoch auch von einer Fixierung von Inhalt und Geltungsbereich unterschiedlicher Familienbegriffe stabilisierende Wirkungen ausgehen, sofern der Geltungsrahmen konkret fixiert ist. Hätte etwa der für das Verfassungsrecht festgestellte sozio-/psychologische Familienbegriff Geltung für den Bereich des Mietrechts, wäre eine Entscheidungsbegründung wie jene des OLG Hamm vom 14. 12. 19764 ausgeschlossen, wonach eine Kündigung des Mietverhältnisses seitens des Vermieters aus sittlich-moralischen Gründen gerechtfertigt sein soll, wenn der Mieter eine eheähnliche Gemeinschaft begründet. Vielmehr wäre für den Fall, daß von ,Familie' auch schon bei Erwachsenen ohne Kinder zu sprechen wäre oder daß Kinder in diese Verbindung einbezogen wären, weiter zu prüfen, ob das Zusammenleben erkennbar auf Dauer und emotional begründet erfolgte. Die Anwendung dieser Definition könnte schließlich auch die von Gernhuber5 erwähnte Einbeziehung von Pflegekindern in die Kategorie "Familie und Angehörige" nach § 8 Abs. 2 g des 11. Wohnungsbaugesetzes fundieren und weiteres mehr. Es ist somit zu erörtern, wie ,Familie' zivilrechtlich zu begreifen ist. 2 Vg1. schon im 2. Kapitel, 2. Abschnitt, §§ 2/3. - Insoweit zutreffend auch Lecheler, FamRZ 1979,1 ff., 2, m. w. N. in der dort. Fn. 19. 3 Ebenso Gernhuber, FamRZ 1981, 7271. Sp. 4 In VersR 1977,531. Zur Kritik der Entscheidung vg1. schon Scheepers, ZRP 1978, 13f. 5 Gernhuber, FamRZ 1981, 727 r. Sp.
160
3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
§ 2 Der zivilrechtliche Familienbegriff
A. Die (zivil-)gesetzliche Fixierung der Familie Eine Begriffsbestimmung der Familie enthält das BGB nicht. Es verwendet diesen Terminus in zahlreichen Vorschriften, teils für sich allein (z. B. §§ 6 Abs. 1 Ziff. 2 und 3 - ökonomische Sicherung -; § 1772 - Familie des Adoptierenden -; §§ 1360, 1360 a, 1360 b - Unterhalt der Familie -; § 2047 Abs. 2 - Familie des Erblassers -), teils in Wortzusammensetzungen (§§ 569 a, 1969 - Familienangehörige -; §§ 1355, 1617, 1618, 1757 - Familienname -; § 1773 Abs. 2 - Familienstand -; § 194 Abs. 2 - familienrechtliches Verhältnis sowie vor allem §§ 1297-1921, Viertes Buch des BGB, Familienrecht). Die Überschrift des IV. Buches des BGB enthält den weitesten Familienbegriff. Danach gehören zur Familie die Verwandten i. S. d. § 1589 BGB. Dabei sind die Verwandten in gerader Linie (§ 1589 Abs. 1 S. 1 BGB) einander unterhaltspflichtig (§ 1601 BGB), weshalb insoweit in Anknüpfung an § 40 Satz 1 ABGB von 1811 (Familie sind "die Stammeltern mit allen ihren Nachkommen") auch von der "Unterhaltsfamilie" gesprochen wird!. Zur Familie i. S. d. IV. Buches gehören aber auch: Eltern und ihre adoptierten Kinder, Verschwägerte, diejenigen, zwischen denen ein behördlich begründetes Eltern-Kind-Verhältnis besonderer Art (Vormundschaftsverhältnis) oder eine Pflegschaft besteht, die Ehegatten sowie die Verlobten. Ebenso kann davon ausgegangen werden, daß die §§ 2047 Abs. 2,2373 S. 2 BGB einen über die Kleinfamilie hinausgehenden Begriff meinen2 . Einen engeren Familienbegriffverwendet §1360 a BGB, wonach als Familie die Ehegatten und die gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder verstanden werden. Hinsichtlich der personalen Zusammensetzung entspricht dies dem soziologischen Begriff der Kleinfamilie i. S. d. Ursprungsfamilie. Ähnlich § 205 a RVO will wohl § 1705 BGB auch die nichteheliche Mutter mit ihren Kindern als Familie anerkennen. §§ 1355 Abs. 1 und 1360 BGB bezeichnen auch die Ehegatten allein als Familie. Bei dem in § 6 Abs. 1 Ziff. 2 BGB verwendeten Familienbegriff bleibt nicht nur die personelle Reichweite unklar, sondern ebenso die Qualität der (rechtlichen) Verbindung zwischen den Beteiligten. Die Norm bezweckt die Wahrung der ökonomischen Interessen des "Verschwenders" sowie der diesem gegenüber Unterhaltsberechtigten3 • Zum Kreis letzterer können sowohl der Siehe auch Ramm (1984), S. 2, 20. So schon OLG Dresden OLGE 16, 252, 253; vgl. auch Prot. 2. Lesung (2, S. 114) zu § 2373. 3 Vgl. statt aller Gitter, MünchKomm., Bd. 1,2. Aufl., § 6 unter "A". 1
2
2. Abschn.: Familie i. S. d. Zivilrechts
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allein unterhaltsberechtigte Ehegatte als auch woanders lebende nichteheliche Kinder etc. zählen. ,Familie' i. S. d. Vorschrift kann danach sowohl eine durch Ehe verbundene Gemeinschaft von Erwachsenen meinen als andererseits sämtliche Verwandten in gerader Linie, unabhängig von einer real existenten Lebensgemeinschaft4 • Schließlich bleibt auch die ökonomische Komponente des Familienbegriffs verschwommen. §§ 1360 aJb BGB erwähnen einen Beitrag der Ehegatten zum Familienunterhalts. Der Begriff der Haushaltsgemeinschaft (vgl. § 16 BSHG) ist dagegen im BGB nicht zu finden.
Insgesamt läßt sich somit feststellen, daß das BGB keinen einheitlichen Familienbegriff enthält. Inhalt und Reichweite sowie die personale Zusammensetzung bleiben verschwommen. Insbesondere bietet auch die Liste der im W. Buch des BGB angesprochenen Themen keinen Anhalt für eine zivilrechtliche Definition der Fami/ie6. Die Zusammenstellung des W. Buches kann allenfalls als Aufzählung jener Bereiche qualifiziert werden, die in irgendeiner Weise mit der Familie im thematischen Zusammenhang stehen, ohne daß es sich dabei um eine erschöpfende Berücksichtigung handelte 7 • B. Stellungnahmen in der LiteraturB Die familienrechtliche Literatur stellt zunächst den Tatbestand der uneinheitlichen Verwendung des Begriffs der Familie im BGB fest. Das Familienrecht normiere einen bestimmten Kreis individueller Rechtsbeziehungen. Als Rechtsbegriff werde Familie von Art. 6 Abs. 1 GG vorausgesetzt. Insgesamt weise der Begriff Familie auf einen dreifachen Zusammenhang hin: - auf ein bestimmtes, in der Wirklichkeit gegebenes soziales Gebilde, - auf den Begriff, den sich Sozialwissenschaften und Politik von dieser Realität machen sowie - auf einen Komplex von Rechtsnormen (Familienrecht) und einen Rechtsbegriff der Familie9 • Gitter, aaO, § 6 Rn. 26 ff. Vgl. schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV 2. 6 Entsprechend auch Gemhuber, FamRZ 1981, 725 f. Zu weiteren Einzelwertungen vgl. die Beispiele bei Gemhuber, aaO, sowie die Zusammenfassung bei Kumme, ZbIJugR 1978, 360 ff. Zur Divergenz von Familiendefinition und Zuständigkeit der Familiengerichte s. bei Gemhuber, aaO, Fn. 62. 7 Zutreffend weist Gemhuber , aaO, darauf hin, daß, wenngleich heute noch nicht im BGB geregelt, z. B. die privatrechtliche Regelung des Pflegekindverhältnisses der Eingliederullg in das Familienrecht bedarf wie ebenso die eheähnliche Lebensgemeinschaften thematisch sinnvoll nur dem Familienrecht zugeordnet werden können. S Vgl. schon die obige Darstellung im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 C IVN. 9 Siehe Schwab (1975); ders. (1984), S. 1 f.; vgl. auch Huhn (1977), S. 31 ff. und Ramm (1984), S. 30 ff. 4
S
11 Moritz
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
Die drei Ebenen ständen in einem engen Bezug zueinanderlO . Schwierigkeiten ergäben sich vor allem aus der Ungleichzeitigkeit von traditionellen Vorstellungs bildern und bereits veränderter familiärer VerhaltensweiseIl. Als Grundfall des zivilrechtlichen Familienbegriffs wird die Kleinfamilie angesehen 12 . Zumindest insoweit bildet die vollständige Ursprungsfamilie einen Überlegungsansatz 13 • Leitbild der Familie sei mehr und mehr die von der Gesellschaft als eigenständige Größe abgesetzte "institutionalisierte Privatsphäre"14. In diesen Bereich dürfe auch das Recht nicht ohne weiteres eingreifen 15 . Entsprechend wird Familie von einigen als rechtsfreier (Innen-) Raum bezeichnet16 . Andere schließen gerade aus der grundgesetzlichen Zuweisung von Erziehungsverantwortung an die Eltern auf die Existenz eines Rechtsverhältnisses mit Eltern- und Kindesrechten 17 , wobei jedoch eine Anordnungsmacht staatlicher Organe nur beim Versagen des familiären Selbstentscheids bestehe 18 . Familie wird somit vor allem gekennzeichnet durch die Privatheit der Beziehung; prägend seien die Faktoren von Intensität und Intimität der Beziehung 19 . Gerade dadurch erfülle die Kleinfamilie ebenfalls wichtige gesellschaftliche Aufgaben, wie etwa die Erziehung der Kinder und Betreuung Alter und Kranker, was schwerlich ohne Qualitätsverlust auf staatliche oder gesellschaftliche Einrichtungen übertragen werden könne20 . Insbesondere Gernhuber verweist darauf, daß neben die Faktoren von Intensität und Intimität als weiteres Merkmal der Familie die unterhaltsrechtliche Beziehung trete, und dort vor allem der Grundsatz des Naturalunterhalts 21 . Die Produktionseinheit der Familie sei weitgehend aufgehoben22 . Die Schwab (1984), S. 2. Herrmann (1972), S. 68. 12 Vgl. statt aller: Beitzke, FamilienrechtsIehrbuch, S. 2; Gernhuber, FamRZ 1981, 721,725 f. Siehe auch den internationalen Sprachgebrauch: Art. 16 der UN-Menschenrechtserklärung von 1948. 13 Vgl. Beitzke, aaO; Gernhuber (1980), S. 2 ff.; Dälle (1964), § 211; Schwab, aaO; Schlüter, Lehrbuch, § 1; Ramm (1984), S. 2,20 ff.; Reuter (1984), S. 13 f. Entsprechend werden aber auch alle von der Kleinfamilie (als unvollständig etc.) abgeleiteten Verbindungen als Familie angesehen; vgl. die gegebenen Nachweise; siehe auch schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 C 11. 14 Herrmann (1972), S. 68. 15 Schwab (1984), S. 3. 16 Bruns, FamRZ 1979, 279 f.; vgl. auchOppermann (1976) C 100 f. und Ossenbühl, FamRZ 1977, 533 f. 17 Kirchhof (1978), S. 171,173; Schwab (1984), S. 3, Rn. 6. 18 Kirchhof (1978), S. 171,173; s. auch Reuter (1980), S. 14 ff. 19 Herrmann (1972), S. 68 f.; Schwab (1984), S. 3, Rn. 6. 20 Vgl. Reuter (1980), S. 13 f. 21 Gernhuber, FamRZ 1981, 721, 727. 10 11
2. Abschn.: Familie i. S. d. Zivilrechts
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Welt von Arbeit und Beruf seien heute typischerweise familienextern 23 ; ihre Verknüpfung mit den familiären Beziehungen erfolge nur noch indirekt, nämlich über die Unterhaltspflicht24 • Es sei eine weitgehende Entlastung der Familie als Versorgungseinheit eingetreten25 • Bestehende Unterhaltsverpflichtungen würden zudem oftmals nicht erfüllt26 • Der Begriff des Familienunterhalts wird vor allem auf das Verhältnis der Ehegatten bezogen, und zwar als Kennzeichnung der sich aus der ehelichen Lebensgemeinschaft ergebenden Einschränkung der Individualität der Ehegatten 27 . Gernhuber zieht aus der unklaren Gesetzeslage das Resümee, daß Familie heute kein einheitlicher Begriff sei, sondern in den einzelnen Normen und Normkomplexen völlig unterschiedliche Inhalte habe 2s .
c. Eigene SteUungnahme Die zivilgesetzlichen Regelungen enthalten keinen einheitlichen Familienbegriff. Von den Einschätzungen in der Literatur läßt sich jedenfalls die Auffassung widerlegen, welche Familie als rechtsfreien Innenraum begreift. Das Gleichberechtigungsgesetz und die Reform des Ehe- und Familienrechts haben einseitige Befugnisse und Letztentscheidungsrechte des Ehemannes im Verhältnis der Eheleute durch ein partnerschaftliches Modell ersetzt. In bezug auf die Kinder begrenzen die §§ 1626 Abs. 2,1631 ff. und 1666 BGB sowie der allgemeine Kindeswohlvorbehalt (§ 1627 Satz 1 BGB) und etwa § 50 b FGG (Anhörungsrechte der Kinder) die elterliche Handlungsfreiheit. Insofern ist der Auffassung beizupflichten, daß gerade die Zuweisung elterlicher Erziehungsaufgaben auf Eltern- und Kindesrechte in der Familie hinweist. Fraglich ist und bleibt allein die Durchsetzung der prinzipiell gegebenen Kindesrechte. Im übrigen ist nach den Erörterungen im 2. Kapitel (4. Abschnitt) der soziologische Tatbestand der Privatheit und Intimität der Familienbeziehungen zu bestätigen, wird von der Kleinfamilie ausgegangen. Unklar bleibt indes auch nach den Literaturäußerungen, welchen Niederschlag diese Feststellungen der Privatheit, Intensität und Intimität für den Vgl. Ramm, aaO; s. auch Schlüter, Lehrbuch, § 1, m. w. N. Schwab (1984), S. 2. 24 Schwab (1984), S. 2; vgl. auch Neuhaus, FamRZ 1982, 1,2 f. und Ramm (1984), S. 30 ff. 25 Vgl. vor allem Ramm, aaO, und Schlüter, Lehrbuch, § 1. 26 Neuhaus, FamRZ 1982, 2; vgl. auch schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt § 3 D IV. 27 Vgl. Müller-Freienfels (1978), S. 128 f., m. w. N. in den dort. Fn. 24-26. 28 Gernhuber, FamRZ 1981, 721, 726 f. 22 23
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3. Kap.: ZivilrechtIiche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
zivilrechtlichen Begriff der Familie haben und wie bei diesem die Anteile des persönlich-immateriellen und materiell-wirtschaftlichen Bereichs zu gewichten sind. Die eigene Stellungnahme knüpft an die jüngste Analyse Gernhubers 29 an: Er führt aus, daß jenes, was " ... Soziologen insbesondere unter Ehe und Familie verstehen, ... vielfältig bedeutsam sein (mag); für die Begriffe des Rechts bedeutet(e) es nichts". "Charakteristisch für den Fachbegriff" , so Gernhuber30 , sei "sein Standort in einem bestimmten Bezugssystem3l , in welchem er seine Leistungsfähigkeit zu erweisen" habe. Die Begriffe der Jurisprudenz seien "Träger von Qualitäten, die ihnen von jenen Kräften korporiert (würden), die das Recht in dieser oder jener Form zu gestalten vermögen, von der Legislative zumal, jedoch von ihr gewiß nicht allein"32. Gernhuber befürwortet somit die These einer jurisprudenzautonomenJbereichsspezifischen Begriffsbildung. Dem ist insoweit zuzustimmen, als die vorstehenden Überlegungen von einer Bereichsspezifität ausgehen, welche eine automatische Übernahme des verfassungsrechtlichen Familienbegriffs für das Familienrecht ausschließt. Eine Bereichsspezifität ist insbesondere aber in noch anderer Art anzuerkennen, als, wie Gernhuber selbst mit Beispielen belegt33 , Familie je nach dem Regelungsbereich weiter oder enger gefaßt werden kann 34 . Entgegen Gernhuber bedeutet dies indes nicht, daß der - hier für das Verfassungsrecht favorisierte ~5 psycho/soziale Familienbegriff für das Recht überhaupt, wie speziell für das Zivilrecht, ohne Bedeutung bliebe. Der jeweiligen Norm oder Kodifikation ist es vorbehalten, die Ziele festzulegen, welche mit ihr verfolgt werden, wobei diese ggf. auch erst interpretativ zu ermitteln sind. Daran, welche "Qualitäten" den Begriffen der Jurisprudenz nun aber des weiteren "korporiert werden", haben im Rahmen der Entscheidungsfindung die von Gernhuber ausgeklammerten Nachbardisziplinen - bei Beachtung der unterschiedlichen Bezugssysteme durch den Rechtsanwender zumindest hilfeleistenden AnteiP6. Dabei ist der Einfluß der Nachbardisziplinen desto stärker, je offener der jeweilige Begriff ist37 . Dies tritt dann auch bei den Ausführungen von Gernhuber klar hervor. So deutet er richtig "Ehe" als formal-rechtlichen Begriff38 • Demzufolge bereitet Gernhuber, FamRZ 1981, 721 ff. = ZfSR 1981. aaO. 31 Entsprechend auch Lecheier, FamRZ 1979,1 ff., 2. 32 Gernhuber, aaO, S. 721 r. Sp. 33 FamRZ 1981, 721 ff., 726 f. 34 Vgl. schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, §§ 3/4. 35 Siehe im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, §§ 3/4. 36 Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B/C. 37 Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B. 38 Gernhuber, aaO, S. 722. - Vgl. auch Köbler (1978), S. 24 und Sohm (1880), S. 19 ff. 29
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2. Abschn.: Familie i. S. d. Zivilrechts
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ihm eine Konkretisierung insofern kaum Schwierigkeiten. Anders hingegen verhält es sich bei dem Versuch, eine zivilrechtliche Definition der Familie zu finden. Da Gernhuber entsprechend seinem Ansatz eine Definition mit Hilfe der Nachbardisziplinen ablehnt, muß er es bei der Feststellung bewenden lassen, daß der Begriff der Familie in den einzelnen Normen und Normkomplexen völlig unterschiedlich benutzt wird39 • Die Rettung sieht er in einem erst von der Legislative noch zu konzipierenden gegliederten Familienbegriff40 . Aktuell gelingt es Gernhuber nicht, Familie - ob einheitlich oder gegliedert zu definieren oder auch nur zu typisieren, da er zwar den Einfluß des jeweiligen gesellschaftlichen Verständnisses auf die Normauslegung in Übereinstimmung mit anderen 41 zutreffend erkennt42 , gleichwohl aber soziales Phänomen und rechtliche Einzelfixierung als unverbundene separate Erscheinungen betrachtet. Ist somit Familie zivilrechtlich überhaupt nicht verbindlich zu fassen oder nur in einer so weiten Definition, daß der Aussagewert fraglich erscheint? Dies ist zu verneinen! Gernhuber weist zutreffend auf den Umstand unterschiedlicher Zielsetzungen der einzelnen Normen und Normkomplexe hin43 • Als Ursache dafür nennt er beispielhaft fiskalische Interessen - etwa bei der restriktiven Eingrenzung des Personenkreises nach § 8 Abs. 2 des 11. WoBauG -. Dabei übersieht Gernhuber, daß in dem Fall, in dem der Kreis der Berechtigten bzw. Betroffenen sowie der Anspruchsinhalt genau fixiert sind (also auch bei § 8 Abs. 2 des 11. WoBauG), die Frage der Definition der Familie dahinstehen kann, da in diesem Fall eigene rechtliche Wirkungen von der getroffenen Definition nicht ausgingen. Diese Sekundärbedeutung der Definition als Familie könnte auch für die hier interessierende Rechtsstellung der Minderjährigen und Heranwachsenden bestehen, wäre Familie zivilrechtlich nur formal (Eltern bzw. Elternteil mit Kindern) und nicht inhaltlich zu bestimmen. Dafür könnte sprechen, daß das BGB "Familie" nur als abstrakten Begriff benutzt und es bei der Konkretisierung der Rechtsverhältnisse die funktionalen Begriffe des Sorgeverpflichteten oder etwa des Unterhaltsverpflichteten/-berechtigten bereithält. Die rechts inhaltliche Konkretisierung der wechselseitigen Beziehungen erfolgt zudem über den unbestimmten Rechtsbegriff vor allem des Kindeswohls. Daß indes Sorgeverpflichtung und Kindeswohl Familie nicht inhaltlich bestimmen, sondern der Familie darüber hinaus ein eigener inhaltlicher Wert zukommt, ergibt sich daraus, daß etwa auch für den Vormund eine den Eltern entsprechende Sorgeverpflichtung existiert, die das Kindeswohl zu beachten hat (vgl. 39 40
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Gernhuber, aaO, S. 726 f. aaO, S. 727. Vgl. die Nachweise in Fn. 6 dieses Paragraphen. Gernhuber, aaO, S. 727. Gernhuber, aaO, S. 727.
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
einerseits § 1626 BGB sowie andererseits § 1793 BGB). Niemand wird indes die im Hinblick etwa auf die individuelle Entwicklung existenten Unterschiede zwischen den Beziehungen Kind/Vormund und den familiaren Eltern/KindBeziehungen, mit ihren auch rechtsrelevanten Wirkungen (Autonomiefähigkeit), leugnen. Daraus aber folgt, daß Familie auch in ihrer zivilrechtlichen Definition nicht nur formal, sondern zugleich inhaltlich zu fassen ist. Form und Inhalt sind ihrerseits abhängig vom Normbereich der konkreten gesetzlichen Regelung44 •
Somit ergibt sich, daß der zivilrechtliehe Familienbegriff nicht einheitlich, sondern mehrgliedrig ist, abhängig vom jeweiligen Regelungsbereich 45. Es handelt sich nicht nur um eine formale, sondern um eine inhaltliche Definition, wobei diese ihrerseits wandelbar ist und deshalb einen typisierenden Charakter hat. Familie im Sinne der Sorgerechtsbeziehungen, mit ihren Wirkungen innerhalb und außerhalb dieser soziologischen Gruppen, ist die Kleinfamilie (vollständig oder "unvollständig"). Auch der Familienbegriff i. S. d. zivilrechtlichen Normen, welche sich auf die Sozialisation des Kindes innerhalb der und durch die "Kleinfamilie" beziehen, hat mit den §§ 1616 ff., 1626 ff. BGB, familienbezogen aber auch mit den §§ 106ff. BGB eine persönlich-immaterielle Seite. Zugleich besteht mit den §§ 106 ff., 1601 ff. BGB eine materiell-wirtschaftliche Komponente. Ob die materiell-wirtschaftliche Seite dem Familienbegriff inkorporiert wird oder nur die immateriell-persönliche Seite als Konstitutivum der ,Familie' anzuerkennen ist, hängt damit zusammen, ob ,Familie' als Gemeinschaft im Rechtssinne betrachtet wird oder eine individualistische Betrachtungsweise Platz greift. Nach Ramm46 neigt das deutsche Recht "grundsätzlich stärker zur individualistischen Position". In der weiteren Literatur wird die gemeinschaftsrechtliche Auffassung vor allem in älteren Stellungnahmen vertreten 47 • Neuere Literatur erkennt dem Gemeinschaftsgedanken dagegen nur eine zusätzliche, den vorgegebenen Familienbegriff einschränkende Funktion ZU 48 , bzw. 44 Ebenso Gernhuber, aaO, sowie Rebmann, MünchKomm., Einleitung, Bd. V, 1. Auf!., Rn. 2. 45 Gernhuber, aaO; Rebmann, aaO; SoergellLange, Einleitung, Rn. 1; Staudinger/ Dietz, Familienrecht, Einleitung, Rn. 5. 46 (1984), S. 14. 47 Siehe zum früheren Recht O. v .Gierke (1889); vg!. auch den entsprechenden Hinweis bei Nipperdey (1959), Bd. I,S. 771 sowie die Nachweise bei V. Simon, in Posser/ Wassermann (1981), S. 145 u. bei Klippei, FamRZ 1985, 445, 447, 451 f. Zu den Regelungen des BGB vertreten eine gemeinschaftliche Position: Bosch (1954), S. 67 f.; Schrade, FamRZ 1957, 347. Unklar: Beitzke, Lehrb.,§ 111; Rebmann, MünchKomm., Ein!., Bd. V, 1. Auf!., Rn. 2,24 ff. 48 So ausdrücklich Ramm (1984), S. 12; ebenso Heckel (1981), S. 89; Herrmann (1971), S. 69 f. - Entsprechend auch Boehmer (1943); Dölle (1964), Bd. 1, S. 40 ff., 447 f.; Gastiger/Oswald (1978), S. 23 f.; Münder (1980), S. 153; Schlüter, Lehrbuch,
2. Abschn.: Familie i. S. d. Zivilrechts
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bezieht sie den Familienunterhalt vorwiegend auf das Verhältnis der Ehegatten 49 , während die Familiengemeinschaft im übrigen vor allem als durch sonstige Beistandspflichten geprägt angesehen wird 50 • Schon im 2. Kapitel wurde nicht nur auf das soziologische Phänomen der Reduzierung der Bedeutung der Familie als Versorgungseinheit hingewiesen51 . Darüber hinaus wurde festgestellt, daß auch nach den zivilrechtlichen Regelungen nicht der ,Familie', sondern allenfalls der ,Ehe' noch eine Bedeutung als "Produktionseinheit" zukommt, sofern eine solche Klassifizierung überhaupt vorgenommen werden kann52 . Die Mitarbeitspflicht des § 1619 BGB wurde als eher symbolisch charakterisiert53 • Es wurde darauf verwiesen, daß Unterhaltspflichten nicht spezifisch für den personell als "Kleinfamilie" zu bezeichnenden Zusammenschluß sind und daß insbesondere direkte Unterhaltspflichten zwischen den Geschwistern nicht existieren54 • Grundtatbestand der Unterhaltsansprüche auch des Kindes ist damit nicht ein Gemeinschaftsverhältnis, sondern die individuelle Bedürftigkeit (vgl. insbesondere § 1602 Abs. 1 und 2 BGB). Zutreffend haben deshalb nach neue ren Tendenzen im Unterhaltsrecht junge Menschen nicht mehr unbedingt durch entsprechende Unterhaltszahlungen am Lebensstandard der gut gestellten Eltern teil55 • Unterhaltsansprüche bilden sich aus den Faktoren: Verwandtschaft in gerader Linie, Bedürftigkeit des Berechtigten sowie Leistungsfähigkeit des Verpflichteten. Aus der besonderen Bedürftigkeit resultiert dann auch der Vorrang Minderjähriger gemäß § 1609 Abs. 1 BGB. Zuzustimmen ist deshalb einer individualistischen Deutung, nach welcher der ,Familie' primär die Aufgabe der Sozialisation des Kindes zukommt und bei der sich Unterhaltsansprüche vom Verwandtschaftsverhältnis her begründen und nicht aus einer Gemeinschaft der "Kleinfamilie"56. Dies alles spricht nicht gegen die Anerkennung einer tatsächlichen Konsumgemeinschaft. Rechtliche Konsequenzen ergeben sich daraus aber nur insofern, als die Bedürftigkeit des Berechtigten sich u. a. nach den konkreten Lebensumständen bestimmt. Dadurch ist einerseits der beim Minderjährigen bestehende konkrete Sozialisationsraum einbezogen, also auch die Konsumgemeinschaft mit den anderen Familienangehörigen, wie andererseits die Leistungsfähigkeit des Verpflichteten zu berücksichtigen ist. § 1 I; Schwab (1984), S. 3, Rn. 7, S. 69 , Rn. 134 f.; wohl auch Müller-Freienfels (1978), S. 200 f. 49 Vgl. Schwab (1984), S. 69, Rn. 134; PalandtlDiederichsen, § 1360, Anm. 2; Derleder, BGB-AK, § 1360, Rn. 1 und § 1361, Rn. 1. 50 Mayntz (1958), S. 89 ff.; Reuter (1980), S. 14; SoergellLange (1981), § 1356, Rn. 18; Wacke, MünchKomm., Bd. V, § 1356, Rn. 15. 5! Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV. 52 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV 2. 53 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV 2. 54 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV 2. 55 Vgl. auch bei FieselerlHerborth (1984), S. 81. 56 Vgl. schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 DIll-V.
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
Kindesunterhalt realisiert sich somit im Regelfall im Rahmen der tatsächlichen Konsumgemeinschaft aus Eltern und Kindern, so daß Naturalunterhalt und immateriell-persönlich bestimmte ,Familie' im Regelfall zusammenfallen, ohne daß allerdings der Naturalunterhalt als Konstitutivum der ,Familie' anzuerkennen wäre 57 • Die Verneinung eines (auch) wirtschaftlich begründeten rechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses schließt ebenfalls nicht die Anerkennung von Beistands- und Rücksichtnahmepflichten zwischen den Mitgliedern der "Kleinfamilie" aus 58 • Diese Pflichten resultieren aus der individuell-persönlichen Komponente der ,Familie', wobei sich daraus ggf. wirtschaftliche Folgen ergeben (etwa der Pflegeaufwand für ein krankes Familienmitglied; vgl. aber § 69 BSHG!). Daraus aber folgt, daß, bei Anerkennung eines Ermessens des Gesetzgebers in Einzelfragen, für den im Rahmen dieser Untersuchung behandelten zivilrechtlichen Bereich der im 2. Kapitel (4. Abschnitt, § 3 D) entwickelte Familienbegriff Bedeutung hat. ,Familie' ist auch insoweit immateriell-persönlich begründet, wobei wirtschaftlich-materielle Positionen diesen vorgegebenen Familienbegriff einschränken können. Der im 2. Kapitel geprägte Familienbegriff gilt hier allerdings mit der Einschränkung, daß die formelle Rechtsträgerschaft der Sozialisationsautoren von der formell-rechtlichen gesetzlichen Zuerkennung (Status als Sorgeverpflichteter) abhängt59 , 60. Anders wohl Gernhuber, FamRZ 1981, 727. Vg!. die entsprechenden Stellungnahmen in der vorstehenden Fn. 50. 59 Daß Familie indes nicht zu begreifen ist i. S. einer Familiengemeinschaft mit Binnenstruktur und durch Familienorgane hergestellte Außenkontakte (dagegen auch Beitzke, Familienrecht, § 1 II 1; Gernhuber, FamRZ 1981, 725; Henrich (1980), S. 1; Rebmann, MünchKomm., Bd. V, Ein!., Rn. 3; StaudingerlDietz, Familienrecht, Ein!., Rn. 1; E. Wolf, FamRZ 1968, 497; a. A. noch Dölle, FamR, Bd. 1, § 4 IV) folgt schon aus obigen verfassungsrechtIichen Darlegungen, wonach Familie Individualität fördern und nicht unterdrücken sol!. Der Familie ist somit inkorporiert das Gegenüber von Privatrechtssubjekten, die sich auf rechtlich gleicher Ebene gegenüberstehen (ebenso: Gernhuber, FamRZ 1981, S. 725, 722 m. w. N. in dortiger Fn. 3; Rebmann MünchKomm., Bd. V, 1. Aufl., Ein!., Rn. 5). 60 Diese Differenzierung zwischen Sozialisationsraum und formell-rechtlichem Status als Sorgeverpflichteter ist dem BGB durchaus nicht fremd, sondern entspricht etwa der Konstellation des § 1630 III BGB. Daß das BGB auch schon in der Vergangenheit indirekte Ansatzpunkte kannte, die sozialen Beziehungen der Minderjährigen zu seinem SozialisationsfeId und den Bezugspersonen zu beachten, legt Münder, ZbIJugR 81,231, 237 mit dem Hinweis auf den Ausschlußtatbestand des § 1678 I, letzter Halbs. BGB und den entsprechend konzipierten Neufassungen in § 1680 I 2; II 1, letzter Halbs. BGB bzw. § 1681 12, letzter Halbs. BGB dar. Die obige Familiendefinition ermöglicht auch eine argumentative Einbeziehung der "sozialen Elternschaft" (zu Begriff und Inhalt vg!. Münder ZbIJugR 1981, 236 f.) entsprechend deren sozio/psychologischen Bedeutung für die kindliche Entwicklung; inwieweit diese in des zu rechtlich anerkannten Positionen führt, ist keine Frage des zivilrechtlichen Familienbegriffs, sondern jene der rechtlichen Qualifizierung des Personensorgerechts. Zu den gemeinrechtlichen Vorbildern vg!. die Nachweise bei HaidIen (1897), Bd. III, S. 452. 57
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3. Abschn.: Zivilrechtlicher Begriff der Erziehung
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Vom Begriff der ,Familie' ist auch die Definition von "Erziehung" abhängig. 3. Abschnitt
Der zivilrechtliehe Begriff der Erziehung und seine Inhalte § 1 "Erziehung" und/oder Sozialisation
Nach wie vor nennt § 1631 BGB (entsprechend für nichteheliche Kinder: § 1705 BGB) als Teil der Personensorge die "Erziehung" des Kindes; § 1610
Abs. 2 BGB zählt zum angemessenen Unterhalt u. a. auch die "Kosten der Erziehung"; eine "Erziehung" des Mündels ist in den §§ 1801 Abs. 1, 1838, 1850 BGB angesprochen. Diese Terminologie entspricht jener des Art. 6 Abs. 2, Satz 3 und Abs. 3 GG. Ebenso wie die Formulierung des Grundgesetzes früheren Regelungen nachgebildet ist (vgl. Art. 120 WRV), hat auch die Verwendung des Begriffs der Erziehung im BGB einen Vorläufer. Dieser besteht in der ursprünglichen Gesetzesfassung des § 1631 Abs. 1 BGB i. d. F. vom 18. August 18961. Fortgefallen ist inzwischen lediglich die ausdrückliche Nennung von "Zuchtmitteln" , wie diese vom Gesetzgeber des ausgehenden 19. Jahrhunderts dem Begriff der Erziehung in § 1631 Abs. 2 BGB a. F. (terminologisch folgerichtig 2) zugeordnet wurden. Die Züchtigung ist im Gesetz somit nicht mehr ausdrücklich genannt. Im übrigen wurde bisher "Erziehung" definiert als "Sorge für die körperliche, geistige und seelische Entwicklung des Kindes" unter "planmäßige(m) Einwirken auf die Bildung seiner (des Kindes) noch unfertigen, in der Entwicklung begriffenen Persönlichkeit"3. Einwirken aber setzt ein Einflußnehmen, das Bringen zu etwas durch den Einflußnehmenden, nämlich zu einem bestimmten vom Einflußnehmenden vorgezeichneten und akzeptierten Verhaltensund Persönlichkeitsbild voraus. Auch diese Auffassung geht deshalb entsprechend dem § 1631 a. F. nach wie vor von einem direktiven und nicht von einem reflexiven Erziehungsmodell aus4 • Der Verfassung, an welcher sich auch das einfache Gesetz zu orientieren hat, liegt die Vorstellung von einer selbstbestimmten Persönlichkeit
RGB I, S. 195. Entsprechend verbindet Scheffler (RGRK, 11. Aufl., § 1631, Anm. 3) mit dem Begriff der Erziehung die Befugnis der Beeinflussung auch durch "physische Mittel". 3 StaudingerlDonau, 11. Aufl., § 1631, Rn. 10; Scheffler, aaO, § 1631, Anm. 3; Schmitt Glaeser (1980), S. 7, m. w. N. in der dort. Fn. 2. 4 Zu den unterschiedlichen Erziehungsmodellen vgl. im folgenden sowie schon G. Meier in Moritz/Meier (1982), S. 47 ff. 1
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
zugrunde 5 . Der Erreichung dieses Ziels steht jedoch ein direktives Erziehungsmodell entgegen. Denn das Erziehungsverhalten der " Eltern " ist in der Regel identisch mit dem späteren Verhalten des Erzogenen6 . Dirigismus und Selbstbestimmung bilden indes Gegenpositionen, so daß ein dirigistisches Erziehungsverhalten keine Gewähr für das Erreichen einer späteren selbstbestimmten Persönlichkeit bieten kann. Das direktive Erziehungsmodell erscheint deshalb als nicht (mehr) zeitgemäß. Es ist fraglich, ob der Begriff der "Erziehung" überhaupt noch für die den Sorgeverpflichteten überwiesene Aufgabe paßt. Die Initiatoren eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge, durch welches mit Wirkung vom 1. 1. 1980 auch § 1631 BGB neu gefaßt wurde 7 , zeichneten sich durch ihr Bestreben aus, die rechtliche Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden zeitgemäß zu reformieren8 . Während jedoch in der Begründung zu dem im inhaltlichen Zusammenhang stehenden Entwurf eines Jugendhilfegesetzes detaillierte, wenngleich in sich widersprüchliche 9 Erörterungen des Begriffs der Erziehung zu finden sind lO , fehlen derartige Überlegungen in den Gesetzesmaterialien zur Sorgerechtsneuregelung. Dort wird vielmehr, ohne wiederum die benutzte Terminologie zu hinterfragen, auf den Wortlaut des Art. 6 Abs. 2 GG verwiesen ll . Die von Diederichsen beklagten Entwicklungsdefizite einer juristischen Definitionslehre 12 müssen sich aber dort eklatant bemerkbar machen, wo der Gesetzgeber, wie hier, überkommene Begriffe unreflektiert übernimmt und diese in einen neuen rechtlichen Rahmen stellt. Ein solches Verfahren ist um so schwerwiegender, wenn es sich um einen Begriff handelt, welcher anderen Wissenschaftsdisziplinen entlehnt ist, dort jedoch über die Bedeutungsinhalte gestritten wird 13 . In diesem Fall scheidet ein "schlichter Rückgriff"14 auf die Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 B IIIIII. Zum Identifikationsphänomen vgl. schon Freud (1920-24/1955), Bd. XIII, S. 155 ff. - Die "Vererbung" des Erziehungsstils zeigt neuere Literatur vor allem am Beispiel körperlicher Züchtigung auf (etwa: Diederichsen, NJW 1980, 1,3; Finger, JA 1981,541,643; Gerber (1975), S. 3, m. w. N. sowie LudwiglLudwig (1974), S. 44 f.) Es ist darauf hinzuweisen, daß es sich dabei nur um eine besonders augenfällige Verhaltensweise handelt (vgl. die weiteren Beispiele bei LudwiglLudwig (1974), S. 43 ff.; Lempp (1972), S. 116 ff.) Eine Reduzierung des Phänomens auf das "Züchtigungsrecht" verkürzte die Problematik. 7 Vgl. Art. 1 Ziff. 6 des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge vom 18. 7. 1979, BGBI I, S. 1061,1062. 8 Vgl. BT-DrS 7/2060, S. 1, wonach eine Anpassung an den "heutigen Bewußtseinsstand" angestrebt war. In der BT-DrS 8/111, S. 1 heißt es entsprechend: "Anpassung an die heutigen tatsächlichen Gegebenheiten". In dieser Neuformulierung kommt indes keine Änderung der Zielsetzung des Gesetzgebers zum Ausdruck; so richtig Giesen, FamRZ 1977, 595, Fn. 6. 9 Siehe im einzelnen bei MoritzlMeier (1982), S. 20 ff., 31 ff., 45 ff. iO BT-DrS 8/2571, S. 53 f. 11 Vgl. BT-DrS 7/2060, S. 2l. \2 Diederichsen (1978), S. 298. 5
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3. Abschn.: Zivilrechtlicher Begriff der Erziehung
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Nachbardisziplinen aus. Eine Lösung stellt es indes auch nicht dar, wie Schmitt Glaeser dies praktiziertl 5, die begriffsprägenden Nachbardisziplinen zu ignorieren und an deren Stelle eine semantische Auslegung zu setzen. Wer so vorgeht, ignoriert die - hier von den Gesetzesautoren explizit erklärte 16 und insoweit vom Gesetzgeber als übernommen zu erachtende 17 - Novationsabsicht. Ein solcher Ansatz hat die Reaktivierung früherer Inhalte zur notwendigen Folge, wie dies die von Schmitt Glaeser 18 mit semantischen Mitteln begründete ObjektsteIlung des Kindes deutlich macht. Eine Legaldifinition der "Erziehung" existiert nicht. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, daß ein Erziehungsbegriff, wie dieser grammatikalisch/ semantisch von Schmitt Glaeser hergeleitet wurde, nicht der Gesetzesintention entspricht. Eine Begriffsbildung hat sich am juristischen Bezugssystem zu orientieren 19 . Schon wegen der Sogwirkung der im Falle des Erziehungsbegriffs begriffsprägenden Nachbardisziplin kann dabei indes auch die juristische Begriffsbildung die nachbardisziplinäre Bedeutung nicht ignorieren2o . Dabei erscheint es zu weitgehend, weil kaum verifizierbar, den wissenschaftlichen Kernbereich nachbardisziplinärer Erkenntnisse erst dann obligat zu berücksichtigen, "soweit er als sicheres Gedankengut der Gegenwart allgemein anerkannt ist"21. Als gesichert und anerkannt kann entsprechend den von Rebe 22 unter Bezugnahme auf die BGH-Rechtsprechung23 entwickelten Kriterien schon ein Anschauungswandel gelten, der von einer gewissen Tragweite, Dauer und Evidenz ist. Dieser Konsens hat sich vorliegend in dem formulierten Gesetzesziel einer zeitgemäßen Reformation der rechtlichen Stellung der Minderjährigen und Heranwachsenden i. V. m. dem verfassungsrechtlichen Leitsatz personaler Autonomie in Gemeinschaftsbindung sowie den diese auskleidenden Kenntnissen u. a. der Sozialpsychologie (hier: das Identifikations13 Vgl. im einzelnen die Nachweise bei G. Meier in MoritziMeier (1982), S. 47 f., 48 ff. 14 Gernhuber, FamRZ 1981, 721. 15 Schmitt Glaeser (1980), S. 7 ff. 16 Die Vorschriften über das elterliche Sorgerecht stellen "keinen bloßen Programmsatz dar, sondern ... ein gesetzliches Leitbild"; so ausdrücklich BT-DrS 7/2060, S. 16, i. V. m. BT-DrS 8/111, S. 13. 17 Vgl. besonders den Bericht des Rechtsausschusses, BT-DrS 8/2788, S. 30 ff. - Zur Zurechnung von Gremienäußerungen für den Gesetzgeber s. schon Moritz (1974), S. 32, m. w. N. 18 aaO. 19 Gernhuber, FamRZ 1981, 721. 20 A. A. Gernhuber, aaO; ders. differenzierend in FamRZ 1973, 233. Wie hier: Conradi, in luristinnenbund (1977), S. 179 ff.; Rebe, in KühnITorneau (1978), S. 17 ff., Münder, in Horntrietz (1977), S. 100. 21 Conradi, in luristinnenbund (1977), S. 179 ff., 205, m. w. N. in der dort. Fn. 100. 22 In KühnITorneau (1978), S. 17 ff., 28 f. 23 Vgl. die Nachweise von Rebe, in KühnlTorneau (1978), S. 17 ff., Fn. 25 ff.
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
phänomen24 ) manifestiert. Die Aufgabe der Nachbardisziplinen besteht darin, ggf. bei der Konkretisierung der vorformulierten Gesetzesziele Hilfe zu leisten und so die Verbindung zum bezogenen Gesellschaftsausschnitt herzustellen. Zum sozialwissenschaftlichen Erziehungsbegriff können zwei Grundrichtungen unterschieden werden 25 • Dies ist erstens ein autoritärer Ansatz. Dieser geht davon aus, daß auf den zu Erziehenden in einer Weise eingewirkt werden dürfe, daß er sich später funktional verhält26 . Kritische Positionen der Sozialpädagogik sehen dagegen das Leitziel der Erziehung in der Emanzipation; nicht Anpassung an Autorität, sondern Auffinden des eigenen Ich und Erkennen der eigenen Identität stehen dabei im Vordergrund 27 • Wie Bietz28 diese Idee, mit Eckert29 , zutreffend charakterisiert, wird dort Kommunikation "zum wesentlichen Element der Erziehungsarbeit" . Während der Erziehungsbegriff im ersten Sinne dem oben als überholt charakterisierten Ansatz früherer juristischer Literatur entspricht, scheint jener im zweiten Sinne eben der zu sein, welcher genau die im 2. Kapitel im einzelnen begründeten und hergeleiteten verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen akzeptiert, indem er (auf dem ersten Blick) dem Grundsatz personaler Autonomie maximal Rechnung zu tragen scheint. Wenn Bietz allerdings die Vorstellung referiert, daß Kommunikation bei dem zweiten Erziehungsmodell "dem zu Erziehenden jenen Halt ersetzen (könne), den er anderswo aus der normativen Anlehnung nimmt"30, so stellt dies klar, daß auch der Erziehungsbegriff im zweiten Sinne nicht vom Grundsatz prinzipieller Anerkennung der personalen Autonomie des anderen beherrscht ist. Kommunikation wird dort lediglich als anderes Mittel des Einwirkens (zur Manipulation des Geistes) verstanden. Auch der Erziehungsbegriff im zweiten Sinne setzt somit an die Stelle der verfassungsrechtlich geforderten Hilfe zur Entwicklung ein Beherrschen und Manipulieren des anderen. Beiden sozi al wisse nschaftlichen Erziehungsbegriffen kann damit bescheinigt werden, die schon von Rousseau 31 formulierten Erkenntnisse noch nicht verarbeitet oder - in einer Art negativer Beeinflussung der (Erziehungs )wissenschaft durch die Zeitgeschichte - wieder vergessen zu haben; jedenfalls aber 24 Siehe obige Fn. 6; zum Zusammenhang von Kindespersönlichkeit und Sozialisationsfeld vgi. Steffen, ZbIJugR 1979,129 ff., 140. 25 Vgi. im einzelnen die Nachweise von G. Meier in MoritzlMeier (1982), S. 47 ff. G. Meier (aaO) unterscheidet zwischen einem weiten (= "funktionalen") sowie einem engen (= "intentionalen") Erziehungsbegriff. Im Ergebnis ebenso Bietz, ZRP 1981, 212 ff., 213 m. w. N. 26 Vgi. etwa Scheuch/Kutsch (1975), S. 138 u. Spranger (1968), S. 35. 27 Zu einem weiten Erziehungsbegriff vgi. insbesondere Geißler (1970), S. 779. 28 aaO, S. 213; ebenso Jung, ZRP 1981, S. 36,39. 29 (1978), S. 209; zum Zentralbegriff der Kommunikation vgi. auch Mollenhauer (1970), S. 67 ff. sowie dazu kritisch schon G. Meier in MoritzlMeier (1982), 51 f. m.w.N. 30 Bietz, ZRP 1981, 2131. Sp., mit Eckert (1978), S. 209. 31 Vgi. im 1. Buch des Emile ou de l'education, Paris 1762.
3. Abschn.: Zivilrechtlicher Begriff der Erziehung
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erweisen sich die referierten sozialpädagogischen Definitionen als ungeeignet für die Jurisprudenz32 , da sie im Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben stehen. Angesichts der Untauglichkeit der nachbardisziplinären Erziehungsbegriffe könnte an die Entwicklung eines speziellen juristischen Erziehungsbegriffs gedacht werden. Solange ein solcher jedoch nicht verbindlich gesetzlich fixiert ist, stände er wegen der abweichenden nachbardisziplinären Definition in der Gefahr, fehlgedeutet zu werden. Dies zeigen die in sich widersprüchlichen Ausführungen etwa zum JHG-Entwurf nur zu deutlich33 • Die Materialien zum Jugendhilfegesetz34 weisen jedoch auf einen anderen sozialwissenschaftlichen Begriff hin, welcher die Interaktionen mit und zum Kind während seiner Entwicklung umschreibt. Dies ist der Begriff der Sozialisation. Dabei ist allerdings zu beachten, daß von einigen Autoren Sozialisation gesagt, jedoch Erziehung gemeint wird; d. h. der obige weite ("funktionale") Erziehungsbegriff wird - entsprechend der unscharfen Begriffsbildung von Bietz35 - schon mit Sozialisation bezeichnet36 • Sozialisation und Erziehung unterscheiden sich aber gerade darin, daß nur let~terer in allen Ansätzen die einseitige SubjektObjekt-Blickrichtung eigen ist. Erziehung berücksichtigt darüber hinaus Umwelt allein im Sinne der präsenten Lebenswelt. Der Erziehungsbegriff gehört also auch von daher der Vorstellungswelt separierter, rechtsfreier Bereiche an. Wird Familie dagegen, wie hier, zwar als separierter-, aber nicht als rechtsfreier Raum verstanden, so kommt zur umfassenden Bezeichnung der Beziehungen Minderjähriger während ihrer Entwicklung nur ein solcher Begriff in Betracht, welcher Umwelt im weiteren Sinne, nämlich als Gesellschaft, mitdenkt. Denn der juristische Normbegriff setzt eine Generalisierbarkeit in den und aufgrund der Gegebenheiten voraus, die den Bereich des Kleinraumes Lebenswelt überschreiten; er ist ein gesellschaftlicher. Die Einbeziehung der gesellschaftlichen Umwelt leistet eben der erwähnte Begriff der Sozialisation. Denn Sozialisation ist, in Anlehnung an Geulen 37 , theorieübergreifend als Prozeß der Persönlichkeitsgenese zu verstehen, die von der historisch-gesellschaftlich unmittelbaren Umwelt abhängt. Die Prämisse der Gemeinschaftsbindung, wie sie vom Menschenbild der Verfassung vorausgesetzt ist, liegt auch dem Begriff der Sozialisation zugrunde. Abhängig 32 Dies liegt entgegen Gemhuber (FamRZ 1981, S. 721) indes nicht an einer Art Sphärenautonomie der Einzelwissenschaften. Die Einbringung der Erkenntnisse der Nachbardisziplinen erfolgt reflektiv zu den juristischen Vorgaben. 33 BT-DrS 8/2571, S. 53 f. Siehe dazu schon die kritische Würdigung in MoritzlMeier (1982), S. 20 ff., 45 ff. 34 BT-DrS 8/2571, S. 53 f. 35 ZRP 1981, 213. 36 Vgl. im einzelnen die Nachweise bei G. Meier in Moritz/Meier (1982), S. 45 f.,
47 ff. 37
(1973), S. 87.
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
von Menschenbild und Gesellschaftsverständnis variieren indes die dem Sozialisationsbegriff unterlegten Inhalte. Als Hauptrichtungen können mit G. Meier unterschieden werden 38 : a) Sozialisation, vom Individuum her definiert, b) die Gesellschaft als Ziel- und Richtungsfaktor der Sozialisation sowie c) Sozialisation als Wechselwirkung zwischen den Komponenten Gesellschaft und Individuum. Das weitere Verfassungsgebot der personalen Autonomie läßt dabei die Theorierichtung unter "b" für die juristische Anwendung ausscheiden. Das im verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsbild angelegte Moment der Gemeinschaftsbindung verweist auf die Theorierichtung unter "c", unter der Prämisse einer besonderen Respektierung der personalen Autonomie. Diese ist von dem Ansatz jedoch durchaus umfaßt 39 . Während somit Erziehung von einem Subjekt-Objekt-Ansatz ausgeht, berücksichtigt Sozialisation als ihr konstitutives Merkmal die wechselweise Bezüglichkeit der Beteiligten. Danach ist jedoch die in Art. 6 Abs. 2 GG sowie in den oben zitierten zivilrechtlichen Einzelnormen als "Erziehung" bezeichnete Aufgabe im sozialwissenschaftlichen Sinn Sozialisation. Die Begriffsklarheit gebietet, eine - jedenfalls40 - klassifikatorische Richtigstellung auch im Bereich der Jurisprudenz vorzunehmen, indem der Begriff der Erziehung gegen jenen der Sozialisation ausgetauscht wird. Auch wenn das Gesetz den Begriff der Erziehung benutzt, bedeutet dies, wie ausgeführt, inhaltlich Sozialisation. Solange der Gesetzeswortlaut nicht geändert ist, ist deshalb schon heute in der juristischen Alltagspraxis der Begriff der Sozialisation anstelle dessen der Erziehung zu denken; damit ist auch begrifflich die Unzulässigkeit einer Subjekt-ObjektBetrachtung klargestellt. Der Gesetzgeber bleibt aufgefordert, eine redaktionelle Umgestaltung der Gesetzesterminologie vorzunehmen. § 2 Die abstrakten zivilrechtlichen Sozialisations-Inhalte
Die angesprochene Teil-Inhaltlichkeit des für anwendbar erklärten Sozialisationsbegriffs leitet über zu der Frage nach einem zivilrechtlichen Sozialisationsziel und dessen inhaltliche Folgen. Ein konkretes Sozialisationsziel ist im Zivilrecht nicht genannt!. Deshalb wird die Herleitung aus allgemeinen Grundsätzen versucht. So führt Donau2 In MoritzlMeier (1982), S. 53. Siehe im einzelnen G. Meier in MoritzlMeier (1982), S. 61 ff. Besonders hervorzuheben ist die dabei von G. Meier (aaO, S. 66) sozialwissenschaftlich unterlegte Feststellung der Subjekt-Qualität des Menschen von Anbeginn, d. h. spätestens ab der Geburt. Zur sozialethischen Herleitung des gleichen Ergebnisses s. bei Bydlinski (1969). 40 Darüber hinaus wäre sehr wohl auch eine inhaltliche, der Jurisprudenz adäquate definitorische Eingrenzung mit Hilfe der Nachbarwissenschaften möglich; etwa als interaktionistischer Sozialbegriff. Dies würde indes das Problem erneuter Begriffsunklarheit heraufbeschwören, da diese soziologische Spezifikation von Juristen nur schwer nachzuvollziehen wäre. 1 Schultz, in MDR 1980, 20, r. Sp.; StaudingerlDonau, 11. Auf!., § 1631, Rn. 9. 38 39
3. Abschn.: Zivilrechtlicher Begriff der Erziehung
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das "Wesen des Menschen" als Orientierung an. Schultz formuliert in Anlehnung an Art. 120 WRV und in Übereinstimmung mit § 1 JWG auch für das Zivilrecht eine allgemeine Zielsetzung der "leibliche(n), seelische( n) und gesellschaftliche(n)" Tüchtigkeit3 . Ein Konsens kann dahin festgestellt werden, daß sich die zivilrechtlichen Sozialisationsziele nur abstrakt fassen lassen und nicht zivilrechtsintern zu gewinnen sind, sondern auf der Grundlage bzw. unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Wertsetzungen 4 • Die eigentliche Bedeutung der Frage nach den Sozialisationszielen liegt bei der Überlegung, wie sich diese konkret umsetzen. Hier nun bedient sich die Literatur eines Kunstgriffes, indem sie zwischen Erziehungsziel und Erziehungsmittel trennt 5 bzw. formale und materiale Erziehungsziele unterscheidet6 • Die Wahl jeweils letzterer wird dabei in das prinzipiell freie elterliche Ermessen gestellt, das nur in Extremfällen einschränkbar sei - Staudinger/Donau verlangen lediglich ein "Mindestmaß an Erziehungstätigkeit"7 -. Die Ursache für diese Differenzierung liegt darin, daß die Autoren bei Vorgabe materialer Erziehungsziele eine Kollision mit dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG befürchten. Dies führt dazu, daß den abstrakten Erziehungszielen kaum praktische Bedeutung zukommt bzw. kaum zu manifestierende Begriffe wie jener der "vernünftige(n)" ErziehungS als Träger volitiver Entscheidungen herhalten müssen. Schmitt Glaeser ist zuzustimmen, wenn er darauf hinweist, daß Methode und Ziel der "Erziehung" einander bedingen9 • Ebenso sind formale und materiale Erziehungsziele allenfalls theoretisch eindeutig gegeneinander abzugrenzen. Denn wenn eine erfolgversprechende pädagogische Betätigung die bedingte Identifikation des Sozialisanden mit dem Sozialisator voraussetzt lO , wobei die Positionen bedingt austauschbar sind, liegen Verfahren und Inhalt nahe beieinander. Jede das Sozialisationsverhalten betreffende Vorgabe hat damit notwendig eine beschränkende Wirkung. Würde somit das verfassungsrechtliche Elternrecht als nahezu schrankenlose Befugnis verstanden, stände jeder das Eltern/Kind-Verhältnis betreffende staatliche Eingriff (bzw. die entsprechende legislativliche Vorgabe) in der Gefahr, als mit Art. 6 Abs. 2 S. 1 StaudingerlDonau, aaO, Rn. 9/10. Schultz, MDR 1980, 20. Diese abstrakte Zielsetzung des § 1 JWG (= Art. 120 WRV) klingt noch in § 1 Abs. 2 BRat-Entwurf eines JRG an; in den übrigen Entwürfen wird ein allgemeines Ziel der "Entfaltung der Persönlichkeit" formuliert, welches durch ein Recht des jungen Menschen auf "Erziehung" gewährleistet sein soll (vgl. im einzelnen die Nachweise und Kritik bei MoritzlMeier (1982), S. 18 ff.) 4 Vgl. die Nachweise der vorstehenden Fn. 5 Vgl. Schultz, aaO; wohl auch Donau, aaO. 6 Beitzke, FamRZ 1979, 8,10; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 263,274; ErmanlRonke, 7. Aufl., § 1631, Rn. 7; Simon, JuS 1979,753. 7 StaudingerlDonau, 11. Aufl., § 1631, Rn. 11. 8 Simon, JuS 1979, 753. 9 Schmitt Glaeser (1980), S. 8 f. 10 Vgl. die Nachweise in § 1 dieses Abschnitts, Fn. 25 ff. 2
3
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
GG unvereinbar qualifiziert zu werden. Daß das Erziehungsrecht nicht schrankenlos gewährt ist, folgt jedoch aus Art. 6 Abs.2 S. 2 und Abs. 3 GG. Andererseits trägt jede Art staatlicher Erziehungsvorgaben die Gefahr in sich, die Erziehungsvielfalt zu beseitigen sowie damit übermäßig in das den Eltern in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG garantierte subjektive Verfassungsrecht einzugreifen. Die Frage der Zulässigkeit von Erziehungsvorgaben stellt sich damit primär als verfassungsrechtliches Problem dar. Es ist insoweit auf die Erörterungen im 2. Kapitel zu verweisen ll . Erziehungsvorgaben, auch solche auf einfachgesetzlicher Ebene, sind damit nicht per se verfassungswidrig. Sie müssen jedoch so gestaltet sein, daß den Eltern in den Grenzen des Art. 6 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 GG eine - pflichtgebundene (vgl. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG) - Entscheidung verbleibt 12 . Insofern sind die §§ 1626 Abs. 2 und 1631 a BGB verfassungsmäßig 13 • Mit der h. M.14 bestimmen die Sorgeverpflichteten die konkreten "Ziele und Methoden der Erziehung" (Sozialisation). Die freie Entscheidung etwa über eine "autoritäre oder antiautoritäre Erziehung" ist entgegen Schultz15 aber z. B. dort nicht mehr gegeben, wo "autoritäre Erziehung" i. S. bewußten Unterwerfens unter einen fremden Willen von den Sorgeverpflichteten zum Maßstab ihres Verhaltens erhoben wird. Somit ist anzuerkennen, daß die Sorgeverpflichteten zwar in der Wahl der konkreten Ziele und Methoden als "Erziehende" prinzipiell frei sind. Die konkreten Entscheidungen haben aber nach Ziel und Methode den abstrakt vorgegebenen verfassungsrechtlichen Sozialisationszielen zu entsprechen, also dem Gebot der personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung, als ständig aktueller und zu aktualisierender Maßstab.
Vgl. im dortigen 5. Abschnitt, § 3 B. Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 B. \3 Ebenso Böckenförde, Erichsen und Simon in Essener Gespräche 14 (1980), S. 156 f., 139, 162 f.; s. auch Häberle (1981), S. 57. A. A. vor allem Schmitt Glaeser (1980), S. 58 f. 14 Vgl. etwa Beitzke, FamRZ 1979, 8, 10; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 263, 274; Erman/Ronke, 7. Aufl., § 1631, Rn. 7; Simon, JuS 1979,753. 15 MDR 1980, 20. 11
12
4. Abschn.: Familieninternes und familienexternes Handeln
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4. Abschnitt
Zum Verhältnis von familienintemem und familien externem Handeln Minderjähriger § 1 Gesetzliche Vorgaben, Meinungs-
stand und eigene Wertung
Bei der zivilrechtlichen Stellung Minderjähriger und Heranwachsender sind nach der Systematik des BGB das Eltern/Kind-Verhältnis der §§ 1616 ff.1, 1626-1698 b sowie der Bereich der Teilnahme am allgemeinen Rechtsverkehr (insbesondere §§ 106 ff. BGB) zu unterscheiden. Ergänzt werden diese Vorschriften durch jene Anspruchsnormen, welche - allerdings, ohne auf den Personenkreis der Kinder beschränkt zu sein - die materielle Absicherung der Unterhaltsbedürftigen zum Gegenstand haben (§§ 1601-1615 0 BGB)2. Das Grundgesetz kennt derartige Bereichsdifferenzierungen nur in der allgemeinen Form der Abwägung zwischen Individual- und Verkehrsinteresse sowie zwischen Eltern- und Kindesinteresse 3 . Gleichwohl untersagt es Bereichsdifferenzierungen auch für das partikuläre Recht nicht.
In der Literatur lassen sich zur Frage von Inhalt und Verhältnis von familienexternem und familieninternem Handeln Minderjähriger drei Auffassungen unterscheiden: Eine Mehrheit bilden jene Autoren, welche nach wie vor von einer Zuordnung des Kindes zu seinen Eltern ausgehen; es werden allenfalls im Verhältnis Eltern-Kind bestimmte Kindesbedürfnisse anerkannt, ohne daß daraus jedoch eigene Rechtsansprüche der Kinder gefolgert würden4 . Dieser Ansatz stellt Nichtvolljährige im Außen- sowie Innenbereich gleichermaßen rechtlos. Schon die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters wird als verfehlt erachtet, jedenfalls aber werden Teilmündigkeiten abgelehnt5 . Autonomes, rechtswirksames rechtsgeschäftliches Handeln Minderjähriger bleibt auf die lediglich rechtlich vorteilhaften zweiseitigen Rechtsgeschäfte beschränkt. Stöcker u. a. 6 gehen dagegen von einer familieninternen unbeschränkten Mündigkeit der Kinder aus, welche als Ausfluß des staatlichen Wächteramtes 1 Diese Normen läßt Münder - (1980), S. 85 - bei seiner Aufzählung unverständlicherweise unberücksichtigt. 2 Zum Zusammenhang von Unterhaltsrecht und Familienbeziehungen vgl. im vorstehenden 2. Abschnitt dieses Kapitels; vor allem S. 167f. 3 Vgl. im 2. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 C. 4 Vgl. im vorstehenden 2. Abschnitt, § 2, B. 5 So Bosch, FamRZ 1959,202; ders. etwa in FamRZ 1986,90 r. Sp., in einer ablehnenden Kommentierung der Entscheidung des VGH Baden-Württemberg vom 20. 5. 1985; ähnlich auch schon Enneccerus/Nipperdey (1959/60), S. 1315.
12 Moritz
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
aus Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG eine rechtliche Überprüfung elterlicher Einzelmaßnahmen kennt7 , im Ergebnis jedoch eine elternbestimmte Familienautonomie akzeptiert8 • Die Grundlage sowohl der ersten als auch der zweiten Auffassung bildet die im Resultat strenge Trennung von Familieninternum und Familienexternum. Rechtsdogmatisch wird ein eigenes Handeln der Kinder auch nach außen ab der Vollendung des 7. Lebensjahres zwar zugelassen (vgl. §§ 106 ff. BGB). Die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte hängt nach den zitierten Auffassungen, mit Ausnahme der lediglich rechtlich vorteilhaften Geschäfte, von der grundsätzlich freien Entscheidung der gesetzlichen Vertreter über ihre Zustimmung ab. Selbst soweit bei persönlichkeitsbezogenen Geschäften eine "Einwilligung" des einsichtsfähigen Minderjährigen anerkannt wird, bleibt nach dieser Ansicht gleichwohl die Erklärung der Eltern für die rechtsgeschäftliche Wirksamkeit maßgebend9 , so daß die Einwilligung des Minderjährigen im Ergebnis faktisch bedeutungslos bleibt lO • Trotz der von einigen beschworenen familieninternen Mündigkeit der Kinder bleiben die Minderjährigen bei diesen Anschauungen damit auf ein Handeln in umfassender Abhängigkeit von den Eltern angewiesen. Graphisch läßt sich diese Bewertung von Kindeshandeln etwa folgendermaßen skizzieren:
+ Eltern
IJ!.I
Rechtsgemeinschaft
Eine dritte Ansicht relativiert dagegen die standardisierten Altersvorschriften der §§ 104 ff. BGBll. Einen Ansatzpunkt dieser Auffassung bilden die Ausführungen von Böckenförde12 sowie vor allem die Rechtsprechung des 6 Stöcker, ZRP 1974, 212 ff., vgl. auch Coester-Waltjen, ZRP 1977,177 f.; Münder, RdJB 1977,358 ff., ders. (1980), S. 89 ff.; E. Schwerdtner, AcP 173 (1973), S. 227 ff. 7 Stöcker, ZRP 1974, 213; wohl auch Coester-Waltjen, ZRP 1977,180. S Stöcker, aaO. 9 Vgl. Bosch, FamRZ 1959, 203; ders. (1963), S. 43; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., von § 104, Rn. 89. Siehe auch LG München I NJW 1980, 646. 10 Vgl. dazu schon im einzelnen meine Urteilsanmerkung zur vorgenannten Entscheidung des LG München I in JA 1981, 186-188. 11 Vgl. Eberbach, FamRZ 1982, 450 ff.; Eser/Hirsch (1978), S. 173, 176; Finger (1979), S. 299 f.; Giesen (1981), S. 69; Kohte, AcP 185 (1985), S. 148 ff.; Lenckner, ZStW 1972, 446, 455. 12 (1980), S. 54 ff.
4. Abschn.: Familienintemes und familienextemes Handeln
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Bundesverfassungsgerichts 13 zum Verhältnis von Eltern- und Kindesrecht und die dort vertretene These vom Zurückweichen elterlicher Befugnisse entsprechend der zunehmenden Entscheidungsfähigkeit des Jugendlichen 14 • Diese Einschätzung wird als Anlaß für eine Rechtsfortbildung verstanden, welche die §§ 104 ff. BGB dahingehend relativiert, daß im Spannungsfeld von Schutzbedürftigkeit der Minderjährigen, Elternrecht und Verkehrsschutz anhand von Fallgruppen überprüft wird, ob Teilmündigkeiten anzuerkennen seien 15 . Der methodische Ansatz besteht darin, von der grundsätzlichen Struktur von Selbstbestimmungsrecht und fremdnützigem Elternrecht einerseits sowie konkreten Teilmündigkeiten andererseits die Teilmündigkeiten behutsam zu erweitern 16 . Teilmündigkeiten kommen nach dieser Ansicht vor allem dort in Betracht, wo ein genereller Verkehrsschutz nicht erforderlich ist 17 . Abgesehen von dieser Bewertung bestehen jedoch unterschiedliche Auffassungen über den Inhalt und die Reichweite anzuerkennender Teilmündigkeiten. Als normativer Ansatz für Teilmündigkeiten Minderjähriger wird vor allem § 36 SGB-I angesehen 18 . Aus der Norm werden Teilmündigkeiten für die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen, einschließlich der Handlungsfähigkeit von Minderjährigen ab 15 Jahre bei Einwilligungen zu Eingriffen in ihre körperliche Integrität gefolgert 19 • Darüber hinaus wird eine analoge Anwendung des § 36 SGB-I auch auf andere Bereiche diskutiert ZO ; andererseits wird aus dem Gesichtspunkt der Verkehrs interessen eine gesetzliche Fixierung von Teilmündigkeiten verlangtZ1 • Die in § 36 Abs. 1 Satz 2 SGB-I vorgesehene Unterrichtung der gesetzlichen Vertreter durch den Leistungsträger wird zum Teil als lediglich "zweckmäßig" erachtetZz • Andere folgern aus dem Umstand, daß die gesetzlichen Vertreter nach dem Gesetzeswortlaut lediglich unterrichtet werden "sollen", daß jedenfalls dann, wenn eine Benachrichtigung zur Beinträchtigung des Kindeswohls führen könne, keine Information an den Leistungsträger stattfindez3 . Konsequent muß diese Ansicht auch eine rechtsgeschäftliehe Verpflichtungsmöglichkeit des Minderjährigen vorsehen. Demgegenüber plädieren andere für eine obligate BenachBVerfG NJW 1982,1375 ff.; NJW 1983, 101; NJW 1985, 423 f. Vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 2. Abschnitt, § 3 D sowie 5. Abschnitt, § 3. 15 Eberbach, FamRZ 1982, 450 ff.; Giesen (1981), S. 69; Zenz, StAZ 1973, 257 f., dies. in Kühnffourneau (1978), S. 171 ff. 16 Kohte, AcP 185 (1985), S. 105 ff., 147. 17 Vgl. Eberbach, FamRZ 1982, 450, 452; Lenckner, ZStW 1972, 446, 455 ff.; s. auch Gernhuber, FamRZ 1962, 89, 94. 18 Coester, FamRZ 1985, 982, 985 f.; Finger (1979), S. 299 f.; Kohte, AcP 185 (1985), S. 148 ff.; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 263,276 f. 19 Coester, aaO; Kohte, aaO; Schellhorn, aaO. - A. A. Schmitt, aaO. 20 Vgl. besonders Zenz, StAZ 1973, 257 f.; dies. in Kühnffourneau (1978), S. 171 ff.; vgl. auch Coester, FamRZ 1985, 985. 21 So vor allem Kohte, AcP 185 (1985), S. 151. 22 Schellhorn, aaO, § 36, Rn. 13. 23 Kohte, AcP 185 (1985), S. 149. 13
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3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
richtigung der gesetzlichen Vertreter sowie für die strenge Trennung, jedenfalls beim Heileingriff, zwischen Einwilligung zum Heileingriff und dem Abschluß des Behandlungsvertrages24 • Einigkeit besteht wiederum dahingehend, daß eine Beschränkung des Elternrechts zum Zwecke der Selbstbestimmung des Minderjährigen zu beachten hat, daß das Selbstbestimmungsrecht von Jugendlichen nicht nur gegenüber den Eltern, sondern vor allem auch gegenüber Dritten insofern gesichert werden muß, daß eine Fremdbestimmung des Kindes gegenüber den Eltern durch "überlegene Machtgruppen" ausscheidet25 • Bei unterschiedlicher Beurteilung von Einzelfragen erkennt die dritte Auffassung somit prinzipiell das Erfordernis der Installierung von Teilmündigkeiten Minderjähriger auch im außerfamiliären Bereich an. Den Ansatzpunkt für diese Überlegungen bildet die geänderte Beurteilung des rechtlichen Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern. Für die Beantwortung der Frage nach dem Zusammenhang zwischen familieninterner und familienexterner Wertung ergibt sich somit aus diesem Ansatz, daß bei Anerkennung spezieller Eigenheiten beider Bereiche (z. B. das Hinzutreten des Gesichtspunktes der Verkehrssicherheit außerhalb der Familie) gleichwohl ein innerer Zusammenhang zwischen der Beurteilung des Eltern/Kind-Verhältnisses und der rechtlichen Stellung Minderjähriger im außerfamiliären Bereich besteht. Dieser Auffassung ist zuzustimmen. Denn das aus dem Verfassungsrecht hergeleitete Gebot einer prinzipiellen Rechtssubjektivität26 bedeutet, daß auch die rechtliche Teilhabe als dem Kind zugeordnet angelegt ist; es gewinnt diese (jedenfalls dem Ansatz nach) nicht erst durch seine Personensorgeverpflichteten. Daraus aber folgt, daß auch für das Kindeshandeln das prinzipielle Begriffspaar IndividuumlRechtsgemeinschaft gilt 27 • Entsprechend sind Willenserklärungen von Kindern ab 7 Jahren nicht nichtig, sondern bei fehlender Zustimmung durch die gesetzlichen Vertreter (jedenfalls prinzipiell) schwebend unwirksam. (Auch) rechtlich sind Kinder somit nicht als den Eltern zugeordnet zu begreifen, wie dies auch umgekehrt nicht der Fall ist. Das aus dem Elternrecht gefolgerte elterliche Bestimmungsrecht hat nach den verfassungsrechtlichen Überlegungen vor allem in Zweifelsfällen Bedeutung28 • Diese zu definieren Vgl. etwa ausdrücklich Coester, FamRZ 1985, 986, m. w. N. Kohte, AcP 185 (1985), S. 149 f.; ähnlich auch Zenz, StAZ 1973, 257 f.; dies. in Kühnffoumeau (1978), S. 171 ff. 26 Vgl. schon im 1. Abschnitt dieses (3.) Kapitels sowie vor allem auch Klußmann, FamRZ 1982, 119 f. und Simitis in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 96. 27 Im Ansatz ebenso, wobei die Konsequenzen in bezug auf etwaige Rechte des Kindes offen bleiben: Willoweit, JuS 1977, 292, 297 sowie Coester-Waltjen, ZRP 1977, 179. 28 Vgl. schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 B/C; s. vor allem auch Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 22, 26. 24
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4. Abschn.: Farnilienintemes und farnilienextemes Handeln
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obliegt allerdings den Eltern. Aus dem Gebot, nicht mehr als erforderlich einzugreifen, folgt jedoch eine Reduzierung - diese kann in der Gestalt des Gebotes der Rechtssicherheit gerade auch von "außen" bedingt sein - der Personensorgeverpflichteten auf eine "Hilfsfunktion" bei der dem Rechtsverkehr gemäßen Realisierung der kindbezogenen Rechtshandlungen. Eben dem entspricht die Funktionsbeschreibung zu § 1626 Abs. 1 S. 1 BGB als Pflichtrecht29 • Schon in Verbindung mit dem Begriff des Minderjährigenschutzes wurde der inhaltliche Zusammenhang der gesetzlichen Regelungen über die familieninternen Handlungskompetenzen und der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit nachgewiesen. Abgesehen von der verfassungsrechtlichen Erziehungsvorgabe der "personalen Autonomie in Gemeinschaftsbindung" , welche zumindest die Separierung des Kindes von der Gemeinschaft untersagt30 , folgte im übrigen schon aus dem von der Legislative und der Exekutive wohl favorisierten "Lernbegriff" (als einen der Inhalte von Sozialisation)31, welcher auf die "Einübung von Verhaltensweisen" abzielt, daß Eltern/Kind-Handeln vor allem Handeln im Wirkungsbereich Kind/Rechtsgemeinschaft sein muß. Denn "Einüben" in einem separierten Bereich ohne Praxisbezug oder in determinierter Weise wird (jedenfalls) von älteren Kindern sehr schnell als nicht ernstnehmbar abgelehnt32 • Wegen dieses zu prognostizierenden Mißerfolgs würde somit eine Reduzierung von eigenverantwortetem Kindeshandeln auf das Familieninternum geradezu im Widerstreit zur Pflichtseite des § 1626 Abs. 1 BGB sowie des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG stehen33 . Die Frage des Verhältnisses von familien externem und familieninternem Kindeshandeln läßt sich somit dahin beantworten, daß es keine Betätigungen in separierten Rechtsbereichen sind. Auch Kindeshandeln erfolgt im SpanBT-DrS 7/2060, S. 15, unter Ziff. 4 Zum Gesichtspunkt des Gemeinschaftsbezugs vgl. auch Coester-Waltjen, ZRP 1977,179 sowie Willoweit, JuS 1977, 292 ff., 297. 31 Vgl. BT-Drucks. 8/2571, S. 53, unter Bezugnahme auf den 2. Familienbericht, BT-Drucks. 7/3502, S. 13. - Siehe zu allem in Moritz/Meier (1982), S. 18 ff. 32 Vgl. im einzelnen meine Beispiele aus dem Berufs- und Schulalltag in Moritz (1974), S. 13 ff., insbesondere dortige Fn. 89 und 95. 33 Schon daraus folgt, daß Mündigkeiten Nichtvolljähriger nicht deshalb auf das Familieninternum zu beschränken wären, weil mit den Neuregelungen zum Sorgerecht keine Änderung des Wortlauts der §§ 106 ff. BGB einherging. Der Wille des Gesetzgebers, die Polarität von Individuum und Rechtsgemeinschaft für das Kindeshandeln in dieser Weise zu durchbrechen, läßt sich aus diesem Unterlassen nicht entnehmen. Es entspricht vielmehr schon klassischen Auslegungsmethoden (systematische Interpretation), daß kodifiziertes Recht Anteil hat an den Neubewertungen des Normenumfeldes. Daraus folgt, daß die offensichtlich beabsichtigten Kompetenzerweiterungen für Nichtvolljährige nicht (notwendig) auf das Familieninternum beschränkt bleiben. Gefordert ist vielmehr, auch die §§ 106 ff. BGB daraufhin zu untersuchen, inwieweit sie im Lichte der Neubewertungen der §§ 1616 ff., 1626 ff. BGB gleichfalls neu zu interpretieren wären, also Kompetenzerweiterungen für Nichtvolljährige zuzugestehen sind. 29
30
182
3. Kap.: Zivilrechtliche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
nungsverhältnis Individuum/Rechtsgemeinschaft, variiert durch den bei Volljährigen in dieser Weise nicht vorhandenen Sozialisationsaspekt34 • Den Personensorgeberechtigten können dabei Hilfsfunktionen eingeräumt sein. Eine abstrakte Mündigkeitsbeschränkung Minderjähriger auf das Familieninternum widerspräche jedoch dem Grundsatz prinzipiellen Zusammentreffens von Rechtsträgerschaft und Rechtsausübungskompetenz. Derartige Grenzziehungen können vielmehr erst Ergebnis der verfassungsrechtlich gebotenen Interessenabwägung zwischen den Beteiligteninteressen sein. Dabei hat es durchaus wertungsmäßige praktische Relevanz, daß diese Sichtweise ausschließt, Minderjährige - extrem ausgedrückt - als bloßes Zuordnungsobjekt elterlichen Willens zu betrachten. Unter verfassungsrechtlichen Aspekten und Effizienzgesichtspunkten ergibt sich vielmehr und ist geboten, daß der Minderjährige nicht nur Träger von Rechten ist, sondern daß ihm prinzipiell auch eigene Realisierungsansprüche zustehen, welche er eigenkompetent, mit Hilfe der Personensorgeberechtigten oder - in besonderen Fällen - mit Hilfe Dritter (ggf. bzw. gerade auch gegen die Eltern) durchzusetzen befugt ist. Eine Darstellung des hier erarbeiteten Ansatzes für Kindeshandeln in der Zivilrechtsordnung müßte die Skizze zur h. M. über die rechtlichen Beziehungen zwischen Eltern, Kindern und Rechtsgemeinschaft etwa durch die folgende Graphik ersetzen:
IKind +- - ---. Eltern i
I
,
Rechtsgemeinschaft I
- [ illgern. Roch"vk Behörden sonst. spez. RVerk. (Gerichte, ArbVerh)
§ 2 Stufung anstelle von Grenzziehung
Für eine separierende Betrachtung von Familieninternum und -externum wird und wurde vor allem die besondere Art der rechtlichen Beziehungen in der Familie ins Feld geführt!; Anspruchsdenken in der Kind~Eltern/Bezie hung scheide aus 2 • Es kann und soll nicht geleugnet werden, daß den Bezugspersonen eines Kindes aus ihrer Stellung als Sozialisatoren3 eine besondere 34 1 2 3
So zutreffend Willoweit, JuS 1977,297. Bruns, FamRZ 1979, 279 f.; Geiger, FamRZ 1979, 462; Lecheier, FamRZ 1979, 4. Holtgrave, JZ 1979, 666. Vgl. dazu im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D V.
4. Abschn.: Familienintemes und familienextemes Handeln
183
Bedeutung zukommt, welche gerade auch ihren Niederschlag im kodifizierten Recht und dessen Strukturen zu finden hat. Im Familienalltag ergeben sich dabei gerade im Sozialisationsbezug zahlreiche Situationen, welche zwar rechtlich bewertet werden können - ihrer Erfassung dient der unbestimmte Rechtsbegriff insbesondere des Kindeswohls -, die jedoch rechtsgeschäftlichem Anspruchsdenken im einzelnen nur sehr schwer zugänglich sind. So ist der Versuch einer rechtlichen Erfassung des Kindeswunsches auf ein weiteres Gummibärchen geradezu lächerlich; die zur gleichen Kategorie "Sozialisationsbezug mit vermögensrechtlichen Wirkungen" zu zählende Frage nach der Zubilligung eines Anspruchs auf Taschengeld ist dagegen sehr wohl juristischem Anspruchsdenken zugänglich. Eine rechtliche Erfaßbarkeit, besonders aber eine Vollstreckbarkeit, ist dagegen faktisch ausgeschlossen bei dem folgenschweren Verhalten des (bewußten oder unbewußten) Einsatzes von Liebesentzug als "Erziehungsmittel"; entsprechendes gälte umgekehrt für die theoretisch denkbare Konstruktion eines Anspruches der Personensorgeberechtigten auf Mitarbeit der Kinder bei Erziehungsrnaßnahmen etc. Mit anderen Worten: Abzulehnen ist die Theorie vom rechtsfreien Innenraum der Familie4 . Denn diese Konstruktion eröffnet die Möglichkeit der Willensunterwerfung Schwacher unter Verletzung des verfassungsrechtlichen Leitsatzes personaler Autonomie. Andererseits folgt aus der innerfamiliären Sozialisationssituation, daß nicht jeder Einzelakt nach zivilrechtlichem Anspruchsdenken erfaßbar ist. Insbesondere reines Sozialisationsverhalten im Eltern/KindBezug (obige "Erziehungs"-Beispiele) ist weitgehend nur in einer Verhaltensgesamtschau rechtlich erfaß- und sanktionierbar. Dies ist die Konsequenz des im 2. Kapitel 5 festgestellten Umstandes, daß Familie primär ein soziologisches Phänomen ist. Entsprechend sind auch hinsichtlich der Beteiligung Minderjähriger und Heranwachsender am allgemeinen Rechtsverkehr aus der Sozialisationssituation herrührende graduelle Unterschiede festzustellen. So ist eine gesetzliche Beschränkung der rechtlichen Handlungsfähigkeit dort nicht einzusehen, wo ein "Schutz" durch einen elterlichen Zustimmungsvorbehalt objektivierbar nicht erforderlich ist. Zumindest theoretisch denkbar sind insoweit allgemeine Teilmündigkeiten auch unterhalb der Volljährigkeitsgrenze. Des weiteren sind jedoch die konkreten Fallgruppen zu unterscheiden. So macht es einen Unterschied, ob sich ein Jugendlicher im freien Rechtsverkehr betätigt oder ob ein Handeln in separierten Bereichen z. B. jugendamtlicher oder gerichtlicher Zuständigkeit vorliegt. Die Diskussion um die Einwilligung bei Heilbehandlungen6 macht 4 Anders vor allem: Bruns, FamRZ 1979, 279 f.; Geiger, FamRZ 1979, 462 und Lecheier, FamRZ 1979, 4. 5 Vgl. die Nachweise im dortigen 4. Abschnitt, § 3 CID. 6 Vgl. im vorstehenden § 1, ab dort. Fn. 11.
184
3. Kap.: ZivilrechtIiche Definition von ,Familie' und ,Erziehung'
deutlich, daß für die Frage der Zubilligung von Handlungskompetenzen an Minderjährige nicht nur die Vermutung altersabhängiger Erweiterung der Einsichtskompetenz zu beachen ist, sondern nach Rechtsgeschäftstyp und Lebenszusammenhang noch weiter differenziert werden muß. Somit ist festzustellen, daß die Anwendung rechtsgeschäftlicher Kategorien und damit die Frage nach einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit zwar schwerpunktmäßig im außerfamiliären Bereich angesiedelt ist, daß sie jedoch nicht auf diesen beschränkt sein muß. Die Besonderheit rechtserheblichen Handeins Nichtvolljähriger im Vergleich mit solchem Erwachsener besteht darin, daß eine Bewertung der Handlungen reflexiv unter dogmatisch/rechtlichen und Sozialisationsprämissen zu erfolgen hat. Auch diese Sichtweise ist nicht auf ein Familieninternum beschränkt, sondern bezieht sich ebenso auf den außerfamiliären Bereich, wenngleich aus Gründen der Gemeinschaftsbindung die Bedeutung der Sozialisationsprämissen in der Wertung zurückgedrängt wird. In einer Kategorisierung kindlichen Handeins, welche die Grenzziehung zwischen Familieninternum und Familienexternum - notwendig, da Sozialisation nicht an der Wohnungstür endet - überschreitet, läßt sich somit folgende Stufung erstellen, welche absteigend zugleich eine abnehmende wertende Einbeziehung von Sozialisationsgesichtspunkten bedeutet und umgekehrt: I. 1. Eltern/Kind - Sozialisationsbezug -
2. Eltern/Kind - Sozialisationsbezug mit Drittwirkung (Drittbeteiligung) 3. Eltern/Kind - Sozialisationsbezug mit vermögensrechtlichen Wirkungen -
11. 4.
5.
6. III. 7;
- Handlungen vor Behörden und/oder Gerichten in jugendrechtlichen Angelegenheiten - Handlungen in besonderen Interaktionsbeziehungen (z. B. Berufsausbildungsverhältnis, gegenüber Gewerkschaften) - Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr - Vermögenssorge - Verhältnis
Eine unmittelbare rechtliche Umsetzung dieser Skala ist freilich nicht möglich. Sie kann und soll einen Interessenausgleich nicht ersetzen. Ebenso ist die Sozialisationsbedeutung innerhalb der Einzelstufen zusätzlich altersabhängig unterschiedlich. So liegt der Wert der Skala darin, daß sie einen Maßstab (im wörtlichen Sinne, als ordinales Instrument) zur Verfügung stellt zur Beantwortung der Frage, welche Bedeutung Sozialisationsgesichtspunkte bei der Zubilligung von rechtlichen Handlungsmöglichkeiten an Minderjährige haben. Zur Fixierung des Niveaus, auf dem von einer Selbstbestimmungsfähigkeit auszugehen ist und somit die Elternpflicht darin bestände, ein entspre-
4. Abschn.: Familienintemes und familienextemes Handeln
185
chendes Handeln der Minderjährigen zu ermöglichen bzw. bei dem andererseits davon auszugehen wäre, daß auch Drittinteressen dieser Zubilligung rechtlicher Handlungskompetenzen nicht entgegenständen, bedarf es noch einer näheren Fixierung der Variablen einer möglichen rechtlichen Handlungsfähigkeit Nichtvolljähriger. Die Kindespositionen werden angesprochen in den gesetzlichen Termini des Kindeswohls und Kindesinteresses. Deren Konkretisierung wiederum wird von den Variablen Entwicklungsstand und Lebensalter des Kindes beeinflußt sowie insbesondere davon, wie der Begriff des Kindeswillens gedeutet und welche Bedeutung ihm beigemessen wird. Kindeswohl, Kindeswille und Kindesinteresse bilden zusammen somit den Kristallisationspunkt für die Diskussion um die Fixierung einer rechtlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Spannungsfeld von Kindespositionen, Elternrecht und Interessen des Rechtsverkehrs. Die Begriffe von Kindeswohl, Kindeswille und Kindesinteresse sind deshalb als nächstes zu konkretisieren und in Bezug zu setzen zu Elternrecht und Drittpositionen7 •
7 Zum prinzipiellen wertungsmäßigen Vorrang der Kindesposition (jedenfalls) im Eltern/Kind-Bereich vgl. BVerfGE 37, 217, 252 sowie BVerfG NJW 1981, 1201 f.; s. auch Simitis in Goldstein u. a. (1973), 1979, S.95, 101 ff., m. w. N.; BayObLG FamRZ 1981, 999,1001, OLG FftIM. FamRZ 1981, 308, 309. Wohl anders OLG Dssdf FamRZ 1979, 631; unklar Strätz, FamRZ 1975, 541, 547.
4. Kap i tel
Kindeswohl, Kindeswille und Kindesinteresse im Spannungsfeld von Kindespositionen, Elternrecht und Interessen des Rechtsverkehrs 1. Abschnitt
Der Begriff des Kindeswohls § 1 Rechtsdogmatische Bestimmung
Kindeswohl ist rechtsdogmatisch als unbestimmter Rechtsbegriff zu qualifizieren!. Dies bedeutet eine weitgehende Auslegungsoffenheit, die jedoch nicht gleichbedeutend mit Ermessen ist2 . Dem Richter ist durch den unbestimmten Rechtsbegriff ein latenter Konkretisierungsauftrag erteilt, der eine jeweils neue Rückbeziehung auf den geregelten Gesellschaftsausschnitt bedingP. Die Idee derartiger Freiräume besteht darin, eine größtmögliche Einzelfallgerechtigkeit zu erreichen. Die Rückbeziehung zum konkreten Gesellschaftsausschnitt erfolgt mit Hilfe einer unterstützenden Heranziehung von "außerrechtlichen Wertungen"4. Nipperdey5 weist in diesem Zusammenhang auf den möglichen Widerstreit zwischen der Einzelfallwertung und dem Gemeinschaftsinteresse, der Rechtssicherheit, hin. Einen Weg zur Harmonisierung erblickt er in der Herausarbeitung einer Typologie der Tatbestände durch Wissenschaft und Rechtsprechung. Einige Autoren halten eine nähere Umschreibung des Begriffs Kindeswohl durch das Attribut "materiell" für erforderlich. So bemühte sich eine Tagung von Familien- und Vormundschaftsrichtern um die "Auslegung des materiellen Begriffs ,Kindeswohl'''6. Nach Fieseler7 ist das Wohl des Kindes ein "materiell rechtlicher Schlüsselbegriff" . Die Hinzufügung des Attributes materiell Vgl. statt aller Hinz, MünchKomm., 1666, Rn. 19, m. w. N. EnnecceruslNipperdey, BGB-AT, § 50 II 1. 3 Vgl. im einzelnen schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B 11. 4 EnnecceruslNipperdey, aaO, § 50111; F. Müller (1966), S. 166 f.; Teubner (1971), S. 43 f, 118, m. w. N. 5 aaO, § 50 I 2 e; vgl. auch die Nachweise im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B II 2. 6 ZbIJugR 1980, 35 (Nachweis zu Tagung 15 a). 7 AK-BGB, vor § 1741 ff., Rn. 7. 1
2
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
187
wird im Privatrecht benutzt zur Abgrenzung des auf ein Tun oder Unterlassen gerichteten allgemeinen zivilrechtlichen Anspruchs (§ 194 Abs. 1 BGB) gegen den verfahrensrechtlichen der ZP08. In der Gesetzgebungslehre wird zwischen formellem und materiellem Gesetz unterschieden, um zu kennzeichnen, ob für eine Rechtsnorm die unmittelbare (=formelles Gesetz) oder nur die mittelbare Urheberschaft der Legislative gegeben ist9 • Eine entsprechende Abgrenzung kann bei der attributiven Ergänzung des Kindeswohls nicht gemeint sein. Aber auch die Verwendung des Attributs materiell zur Abgrenzung zwischen dem allgemeinen zivilrechtlichen Anspruch von einem verfassungsrechtlichen gäbe beim Begriff des Kindeswohls keinen Sinn. Die zusätzliche Benutzung des Attributs materiell erweist sich deshalb als überflüssig. Es drängt sich der Verdacht auf, daß dieser Zusatz mehr aus Gründen der juristischen Gewichtung benutzt wird; d. h., um zu verdeutlichen, daß es sich um einen Rechtsbegriff und nicht (nur) um einen solchen der Soziologie oder Psychologie handelt. Jedoch läge eine "Klarstellung" neben der Sache. Das Gesetzesrecht bedarf in der richterlichen Praxis vielerorts der nachbardisziplinären Verdeutlichung und Ausfüllung; dies ist insbesondere, wie ausgeführt, auch bei der Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe der Fall. Gleichwohl behalten diese Normen den Charakter von Rechtsnormen, die Gesetzestermini sind Rechtsbegriffe, wie auch der Richter als Richter handelt lO • Eine nähere Umschreibung des Begriffs Kindeswohl durch das Attribut materiell ist deshalb entbehrlich. § 2 Die Verwendung im Gesetz und die
Deutung nach den Gesetzesmaterialien
Der Begriff Kindeswohl wird im Gesetz für das Zivilrecht beschränkt auf kindsbezogene Regelungen des Familienrechts benutztl. Dort ist er jedoch in unterschiedlichen Zusammenhängen anzutreffen. In Anlehnung an eine grobe Kategorisierung durch Münder2 sind zunächst zu unterscheiden die Verwendungen - als Leitlinie vormundschaftsgerichtlichen Handeins bei bestehenden Eltern! Kind-Verhältnissen (§ 1628 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 1631 b Satz 3 sowie Vgl. im einzelnen bei EnnecceruslNipperdey, aaO, § 222III. Forsthoff (1973), S. 125, m. w. N. in den dort. Fn. 2 und 4. 10 Säcker, MünchKomm., Bd. 1, Einleitung, Rn. 60 ff. 1 Zur Bedeutung des Kindeswohls in der öffentlichen Jugendhilfe vgl. § 3 I 2 JWG i. d. F. vom 25. 4. 1977. Die Vorschrift bildet die auf Art. 6 Abs. 2 GG fußende öffentlich-rechtliche Entsprechung zu § 1666 BGB. Dabei setzt § 3 I 2 JWG kein vorheriges Tätigwerden des Vormundschaftsgerichtes voraus, sondern ist von den in der Jugendhilfe Tätigen unabhängig für jeden Einzelfall zu beachten. 2 RdJB 1981, 82 f. 8 9
188
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
vor allem § 1666 Abs. 1 BGB) in Verbindung mit § 50 a FGG sowie § 1696 Abs. 2 BGB (entsprechend für nichteheliche Kinder über § 1705 BGB); - als Leitlinie familiengerichtlichen Handeins bei Scheidung oder Getrenntleben der Eltern (§§ 1671 Abs. 2, 3, 5; 1672 Satz 1 u. 2) bzw. beim persönlichen Umgang als "Folgesache" (§ 1634 Abs. 2 bis 4) oder bei nichtehelichen Kindern (§ 1711 Abs. 2) sowie - als Leitlinie vormundschaftsgerichtlichen Handeins bei rechtlichen Statusänderungen Minderjähriger, besonders bei der Annahme als Kind (§ 1741 Abs. 1, 1757 Abs. 2 Satz 1) bzw. für den Ausnahmefall deren Aufhebung (§ 1761 Abs. 2,1763 Abs. 1 und 3 a, § 1764 Abs. 4), wie auch bei der Ehelicherklärung (§§ 1723,1740 a Abs. 1). Darüber hinaus ist der Begriff Kindeswohl zu finden - als Leitlinie vormundschaftsgerichtlicher Entscheidung der Sorgerechtszuweisung in Fällen, daß nur eine (natürliche) Bezugsperson als Sorgeberechtigter in Betracht kommt (§ 1678 Abs. 2, letzter Halbsatz; § 1680 Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 2 Satz 1; § 1681 Abs. 1 Satz 2 u. Abs. 2 Satz 1) sowie - als Leitlinie vormundschaftsgerichtlicher Tätigkeit bei Bestellung oder Entlassung eines Vormundes (§§ 1778, 1887 Abs. 1, 1889 Abs. 2 Satz 1; vgl. auch § 1800) sowie bezüglich der Einsetzung eines Pflegers gegen den Willen der nichtehelichen Mutter (§ 1707 Satz 2 und 3). Schließlich - als allgemeine Handlungsanweisung mit Leitbildfunktion3 für kindbezogenes Handeln der Sorgeberechtigten4 (§ 1627 Satz 1 bzw. § 1705 BGB i. V. m. § 1627 Satz 1 BGB). Die Aussagen der Gesetzesmaterialien zum Begriff Kindeswohl bleiben sporadisch. Die Umschreibung des Kindeswohls nach § 1666 Abs. 1 BGB ist in der Fassung vom 18. 7. 1979 durch das Attriut "seelisch" erweitert worden. Entgegen den Gesetzesinitiatoren zur Sorgerechtsneuregelung5 wurde damit in der Endfassung nicht auf eine attributive Konkretisierung verzichtet6 . Dies dürfte entgegen Hinz? weniger als Anpassung an das Jugendhilferecht zu verstehen sein; denn ein evtl. künftiges JHG übernimmt, soweit abzusehen, die jetzige Fassung des § 1 JWG nicht8 . Der Zusatz ist als Hinweis des GesetzBVerfGE 10, 59, 79. Zur Funktion der §§ 1626, 1627 BGB als "Leit-" bzw. "Grundnorm" auch nach der Sorgerechtsneuregelung vgl. lans/Happe (1980), S. 45. 4 Zur umfassenden Geltung des § 1627 Satz 1 BGB vgl. vor allem: Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., § 1627, Rn. 3, mit SoergellLange, § 1627, Rn. 2. Siehe auch lans/ Happe (1980), S. 45. 5 Vgl. BT-DrS 7/2060, S. 28 unter Ziff. 4; BT-DrS 8/111, S. 13 unter B 2 a. 6 Die Begründung vgl. in BT-DrS 8/2788, S. 58. 7 MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 20. 3
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
189
gebers an die Gerichte und Jugendämter zu werten, entgegen der bisherigen Praxis9 der psychischen Situation des Kindes bei der Entscheidungsfindung größere Aufmerksamkeit zuzuwenden lO • Im Sinne der zweiten Alternative ist entsprechend dem Gesetzeswortlaut des § 1666 BGB auch die während des Gesetzgebungsverfahrens strittige Frage entschieden, ob die Gefährdung des persönlichen Wohls des Kindes die einzige Eingriffsvoraussetzung nach § 1666 BGB sein soll oder zusätzlich eine mindestens objektive Pflichtwidrigkeit der bzw. des Sorgeberechtigten zu verlangen ist l1 . Im übrigen wurde die Entwurfsbegründung übernommen, welche als Schutzobjekt des § 1666 Abs. 1 BGB das persönliche Wohl des Kindes betrachtet und die davon den Schutz der Vermögensinteressen trennt und den zu regeln entsprechend bisherigem Recht besonderen Vorschriften überlassen bleibt l2 . Ob diese Trennung genereller Natur ist oder, worauf der Wortlaut des § 1671 Abs. 4 (E)13 = § 1671 Abs. 5 i. d. F. vom 18. 7. 1979 14 hinzuweisen scheint, außerhalb des § 1666 BGB oder doch bei § 1671 BGB Personen- und Vermögenssorge gleichermaßen vom Kindeswohl begrenzt werden, ist unklar l5 . Zu § 1627 Satz 1 BGB, in dem bis auf die Ersetzung der "elterlichen Gewalt" durch "elterliche Sorge" nichts geändert wurde, wird vom Regierungsentwurf in einem Nebensatz die "Leitsatz- und Grenzfunktion" des Kindeswohls für das elterliche Handeln angesprochen l6 •
In der Begründung des Rechtsausschusses zu § 1671 Abs. 2/Abs. 4 BGB findet sich eine Konkretisierung des Kindeswohlbegriffes für den Fall der Ehescheidung durch den "Kontinuitätsgrundsatz"17. Im übrigen beruft sich die Begründung auf die Fallbezogenheit des Kindeswohls, weshalb eine weitere Konkretisierung unterbleibe'. Bei einem näheren Studium sowohl der Entwurfsbegründung als auch der Stellungnahme des Rechtsausschusses entsteht der Eindruck, als sei die pauschale Formulierung "Wohl des Kindes" auch für die am Gesetzgebungsverfahren Beteiligten ein willkommenes Vehikel, die genauere Fixierung der kindbezogenen rechtlichen Beziehungen (letztlich an 8 Vgl. zuletzt BT-DrS 8/4010, S. 5: § 1 I JHG-E; anders allerdings noch der BRatEntwurf, BT-DrS 8/3108, S. 7, § 111 JHG-BRatE. 9 Vgl. die Nachweise bei Simitis u. a. (1979), S. 31,34,35 f., 37. 10 Insoweit zutreffend Hinz, aaO. 11 Vgl. BT-DrS 8/2788, S. 58, sowie die unterschiedlichen Vorschläge für einen neuen § 1666 auf S. 9 der Drucksache. 12 BT-DrS 7/2060, S. 28 unter Ziff. 4. 13 Vgl. BT-DrS 7/2060 = BT-DrS 8/111, S. 6. 14 BGBI I vom 24. 7. 1979, S. 1063. 15 Die Entwurfsbegründungen gehen darauf nicht (BT-DrS 8/111, S. 13/14) oder nur zweideutig ein (- bezüglich des späteren § 1671 Abs. 5 Satz 2 BGB werden in BT-DrS 7/2060, S. 34, unter Ziff. 14, Interesse und Kindeswohl verbunden; entsprechend in der Begründung des Rechtsausschusses, BT-DrS 8/2788, S. 63 f. -). 16 BT-DrS 6/2060, S. 15. 17 BT-DrS 8/2788, S. 61,63.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
die Judikative) zu delegieren l8 • Insofern gilt weiterhin die Feststellung von Simitis l9 , daß sich in der Forderung, sich strikt an das Kindeswohl zu halten, "allenfalls die Unfähigkeit des Gesetzgebers dokumentiert, bindende Handlungsanweisungen zu erteilen". § 3 Konkretisierungansätze in Literatur und Rechtsprechung
A. Allgemeine Einschätzung
Die Äußerungen zum Begriff des Kindeswohls in Literatur und Rechtsprechung sind kaum noch zu übersehen l . Dies war die zu erwartende Folge, nachdem der Gesetzgeber, was schon während des Gesetzgebungsverfahrens Gegenstand heftiger Kritik war2 , den Begriff weitgehend offen gelassen hat. Die Diskussion zur inhaltlichen Konkretisierung des Kindeswohls wird äußerst kontrovers geführt. So verwirrt die Vielzahl der Äußerungen eher, als daß eine Klärung herbeigeführt worden wäre. Vor dem Inkrafttreten der Sorgerechtsneuregelung bestand Einigkeit darüber, daß es sich bei der terminologischen Entwicklung vom "Wohl des Kindes" i. d. F. des § 1666 BGB vom 18. 8. 1986 und des § 81 EheG 1938, über die "Wohlverstandenen Interessen des Kindes" nach § 74 Abs. 2 Satz 1 EheG 1946 sowie § 48 Abs. 3 EheG, hin zum "Wohl des Kindes" in § 1671 BGB des Jahres 1957 allein um eine Auswechslung von Worten handelte, wobei der Regelungsinhalt gleich blieb3 •
18 In diesem Sinne deutlich z. B. die Begründung zu § 1696 (E), BT-DrS 7/2060, S. 39 "zu Nummer 33". Die Verantwortung und Entscheidungsbefugnis der Gerichte betont der Rechtsausschuß an verschiedenen Stellen; vgl. etwa BT-DrS 8/2788, S. 58, 62 f. 19 In Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 95 ff., 100. 1 Zu Konkretisierungsansätzen, die über den Einzelzusammenhang hinausgehen, vgl. etwa: BVerfGE 37, 217, 252; BVerfG NJW 81, 1201 f.; Bay ObLG FamRZ 81, 999, 1001; OLG Frankfurt FamRZ 1981, 303, 309 u. w. m. - In der Literatur vgl. bei Beitzke, FamRZ 1979, 8, 10; Beres, ZbIJugR 1982, 1 ff.; Bosch, FamRZ 1973, 507, Abschnitt 7; Coester (1983), S. 176 ff.; Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 316 f.; Diederichsen, FamRZ 78,461 ff., 469; Erichsen (1978); Dürr (1977), S. 10 f.; Eil, ZbIJugR 1980,19,21 ff.; Gemhuber, FamRZ 1973, 229, 231 ff.; Gerber (Hrsg.) 1975; Giesen, FamRZ 77, 594 ff., 599 f., Goldstein u. a. (1973, 1979); Kühnffoumeau (Hrsg.) (1978); Lempp, ZbIJugR 77,507,514; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 294 ff.; Münder, RdJB 77, S. 358 ff.; ders. RdJB 81, 82 ff.; Simitis u. a. (1979); ders. in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 95 ff.; Steffen, ZbIJugR 79, 129, 139; Strätz, FamRZ 75,541 ff., 548; sowie im übrigen die Kommentarliteratur zu §§ 1666, 1671 BGB. 2 Vgl. etwa: Diekmann, AcP 178 (1978), S. 316 f.; Diederichsen, FamRZ 1978, 461, 468; Gernhuber (1977), S. 52, 90 ff.; Giesen, FamRZ 1977, 594, 595; Luther, RdJB 1972,161,164; Zenz, AcP 173 (1973), S. 527,540 f. 3 Gernhuber, FamRZ 1973, 230 (mit v. Godin, EheG, 2. Aufl., 1950, Anm. 7 zu § 74 EheG: StaudingerlSchwoerer, 11. Aufl., § 1671, Anm. 88.
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
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Gernhuber wies im Jahre 1973 auf die dem früheren Recht nicht unbedingt eigene, durchgängige Differenzierung von Vermögens- und Persönlichkeitsbereich hin. Er ging deshalb schon damals von einer nur noch partiell möglichen weiteren Benutzung des Begriffs des Kindeswohls im bis dahin gebäuchlichen Sinne aus4 . Die Fortschreibung des historischen Begriffs in die jetzt vorliegende gesetzliche Neufassung wird heute noch jenen Autoren möglich sein, welche Kindeswohl als Leerformel akzeptieren und den Begriff auf die Funktion als Einfalltor (letztlich) begriffsunabhängiger Inhalte reduzieren 5 • Eine Neudefinition ist auch für jene entbehrlich, welche Kindeswohl als abstrakten Normalmaßstab begreifen, wobei den Eltern ein auf ein naturrechtlich vorgegebenes Erziehungsrecht beruhendes unbeschränktes Interpretationsmonopol zugestanden wird6 • Wird Kindeswohl hingegen, wie von nahezu allen Autoren, in irgendeiner Weise auf den gesellschaftlichen oder individuellen Istzustand bezogen, fehlt es an der Möglichkeit, nicht nur den Begriff als solchen, sondern auch dessen Inhalte fortzuschreiben. Unter diesen Prämissen ist der Feststellung zuzustimmen, daß die (bloße) Aufnahme des Attributs "seelisch" in den Gesetzeswortlaut des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB mit Wirkung vom 1. 1. 19807 keine Änderung der Rechtslage bewirkt hat 8 . Diese Aussage trifft deshalb zu, weil sie auf den konkreten Teilbereich des § 1666 BGB beschränkt bleibt und eine partielle inhaltliche Neudefinition oder gar eine generelle Inhaltsbestimmung des Kindeswohlbegriffs damit nicht verbindet9 . B. Bedeutung und Reichweite des Kindeswohlbegriffs I. Das Meinungsspektrum in Literatur und Rechtsprechung
Auf die Einschätzung nur mäßiger Relevanz des Kindeswohls könnte die Tatsache hinweisen, daß einige Lehrbücher und Kommentare den Begriff in ihren Stichwortverzeichnissen überhaupt unterschlagen lO bzw. im Text nur sehr sporadisch behandeln ll . Entsprechend messen zahlreiche Autoren dem Gernhuber, aaO, S. 230. So wohl Cuny, Juristinnenbund (1977), S. 171 f., PalandtlDiederichsen, § 1666, Anm.3. 6 Etwa bei Schmitt Glaeser (1980), dessen Ausführung letztlich die Prämisse eines vorverfassungsrechtlichen elterlichen Erziehungsrechts zugrundeliegt. 7 Art. 1 Ziff. 16 des Sorgerechtsgesetzes v. 24. 7. 1979, BGBI I S. 1016 ff. S Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Anm. 20, m. w. N. 9 Entsprechend Hinz, aaO, m. w. N. 10 Gernhuber, Lehrbuch des Familienrechts, 3. Auflage, München 1980 (s. dazu schon meine Besprechung in JA 1981, S. II ff., 111); Schlüter, BGB-Familienrecht (1979), S. 183 ff.; Gastiger/Oswald (1978), S. 197 ff.; Erman, Handkommentar zum BGB, 7. Auf. 1981. 11 Gernhuber (1980) etwa handelt das Kindeswohl bei § 1666 unter . dem Aspekt "Schutz des Kindes" ab (aaO, § 49 VIII) und würdigt es zu § 1671 "als Korrektiv und 4
5
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Wohl des Kindes rechtsalltäglich allenfalls die Bedeutung eines Negativstandards bei!2. Andere rügen eine "grenzenlose Offenheit" des Begriffs, woraus eine Degradierung zur "Leerformel mit totalem Deutungsspielraum" folge 13 . Besonders Simitis weist auf den Widerstreit einer solchen Wertungspraxis zu den Postulaten hin, wie diese in der Gesetzgebung, der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie in der Rechtswissenschaft formuliert wurden!4. Das Bundesverfassungsgericht stellt fest, daß bei Entscheidungen des Gesetzgebers im Bereich des Art. 6 Abs. 2 GG das Wohl des Kindes immer den Richtpunkt bildet. Folglich komme bei Interessenkollisionen zwischen Kind und Vater oder Kind und Mutter dem Kind der Vorrang ZU!5. Entsprechend definieren das BayObLG!6 sowie das OLG Frankfurt!7 Kindeswohl als innere Grenze des Elternrechts für die unterverfassungsrechtliche Wertung!8. Hinsichtlich der Frage, wie eine Definition des Begriffes Kindeswohl auszusehen hätte, können drei Hauptrichtungen unterschieden werden. Die Mehrheit der Autoren und Gerichte unternehmen nicht den Versuch einer abstrakten Definition der Art, eine Allgemeinverbindlichkeit bezüglich generalisierbarer Mindeststandards herzustellen. Kindeswohl wird vielmehr als ein durch die rechtliche Ordnung vorgegebener abstrakter Normalmaßstab verstanden, welcher einer weiteren abstrakten definitorischen Umschreibung nicht bedarf19 •
Entscheidungsmaxime" über nur 1 1/2 Seiten (aaO, § 56 V). Er selbst formuliert dagegen an anderer Stelle, daß Eltern und Staat das Wohl des Kindes als Maßstab gesetzt sei (Gernhuber, FamRZ 73,229,231). 12 Kühn in Kühnffourneau (1978), S. 4; Lempp, ZbIJugR 1977, 507, 514; Tourneau in KühnlTourneau (1978), S. 7 ff., 10 ff. 13 Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 316-318; entspr. Eil, ZbIJugR 1980, 319, 321; differenzierter Simitis (1979), S. 49. 14 (1979), S. 34. 15 BVerfG NJW 1981, 1201, 1202, mit BVerfGE 37, 217, 252; zustimmend BGH NJW 1982, 381, 382. 16 FamRZ 1981, 999, 1001. 17 FamRZ 1981, 308, 309. 18 Entsprechend schon Gernhuber, FamRZ 1973, 229, 231; Scheffler in RGRK, 11. Aufl., § 1627, Anm. 2. - Differenzierend: Strätz, FamRZ 1975, 541, 548; Beitzke, FamRZ 1979, 8, 10 ff. A. A.: Steffen, ZbIJugR 1979, 129, 140 f. sowie Giesen, FamRZ 1977, 594, 600, welcher das Kindeswohl zwar als "überragende Wertentscheidung des Grundgesetzes" bezeichnet, seine Funktion aber im Schutz der elterlich bestimmten Familienautonomie sieht. 19 BVerfG NJW 1981,1201 f. sowie Beitzke, FamRZ 79,8,10 ff.; Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 316 f.; Gernhuber, FamRZ 73,229,230 ff.; Giesen, FamRZ 77,594 ff., 598 ff.; Harbauer in Gerber (1975), S. 42 ff.; Lüdemann in Gerber (1975), S. 63 ff.; Rolland in Gerber (1975), S. 50 ff.; Scheffler, RGRK, 11. Aufl., § 1627, Anm. 2.; Schmitt Glae'ser, DÖV 78,629,631.
1. Absehn.: Der Begriff des Kindeswohls
193
Mit dieser Ansicht überschneidet sich zum Teil jene Auffassung, welche Kindeswohl als streng situationsspezifisch erachtet. Dabei sind wiederum jene zu unterscheiden, welche zumindest bezogen auf die gesetzlich berücksichtigten Einzelsituationen fallkasuistische Kategorisierungen zum Kindeswohl fordern2o , wogegen andere derartige Situationsspezifitäten zwar nicht leugnen, jedoch die Erstellung eines Kategorienschemas (jedenfalls) nicht für unverzichtbar halten21 ; die Wertung erfolgt dort unmittelbar aus dem "Obersatz" des abstrakten Normalmaßstabes. Schließlich gibt es die Meinung, welche es als notwendig erachtet, jede der gesetzlich berücksichtigten Situationen getrennt rechtlich zu würdigen; gleichzeitig wird jedoch auf das Erfordernis steter Mit-Reflexion der Gesamtzusammenhänge hingewiesen, welche es verbieten, "die sich überall wiederholenden und für die weitere Entwicklung des Kindes ausschlaggebenden Konflikte streng isoliert zu betrachten"22. Diese Richtung bekennt sich zu einem umfassenden Kindeswohlbegriff, welcher zugleich eine Einzelfallkonkretisierung zuläßt23 . D. Die Deutung von Coester
Eine einehende Analyse des Kindeswohlbegriffs wurde von Coester vorgenommen24 . Er unterscheidet eine Doppelfunktion des Kindeswohls, nämlich Kindeswohl als Eingriffslegitimation (des Staates) sowie Kindeswohl als Entscheidungsmaßstab25 . Prinzipiell sei die Definition des Kindeswohls den Eltern vorbehalten26 , wobei im Verhältnis von Eltern- und Kindesinteressen sowie grundsätzlich auch gegenüber Drittinteressen ein primat des Kindeswohls anzuerkennen sei27 . 20 Beres, ZbIJugR 1982, 1 ff.; Goldstein, ZbIJugR 1982, 1 ff.; GoldsteinlFreud/Solnit (1973,1979); Göppinger (1967), S. 19 ff., 33 ff., 59 ff.; Harbauer in Gerber (1975), S. 42 ff., 43 f.; StaudingerlSehwoerer, 11. Aufl., § 1666, Rn. 38, § 1671, Rn. 88; unklar: Lüdemann in Gerber (1975), S. 63 ff. 2! Bay ObLG FamRZ 81, 999, 1001; OLG Fft FamRZ 81, 308 f.; Gernhuber, FamRZ 73, 229, 231; Rolland in Gerber (1975), S. 50 ff.; Sehmitt Glaeser, DÖV 78, 629,631; ders. (1980), S. 48 ff., 64 ff.; Strätz, FamRZ 75,541 ff.; Streng einzelfallbezogen, unter Begrüßung der abstrakten Generalklausel, aber aueh: Juny in Juristinnenbund (1977), S. 171 f. 22 So Simitis in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 98. 23 Coester (1983), S. 175 ff.; Kühn in Kühnffourneau (1978), S. 4 f.; Lempp, ZbIJugR 1977, 507, 514 m. w. N.; Münder, RdJB 81, 82 ff. m. w. N.; Simitis, aaO; Steffen, ZbIJugR 79, 129, 140 ff. sowie Toumeau in Kühnffourneau (1978), S. 10 f., 12 ff. 24 Martin Coester, Das Kindeswohl als Reehtsbegriff, FrankfurtlM., 1983. 25 Coester (1983), S. 134 ff. 26 Coester, aaO, S. 206 ff., 319 ff., ders. FamRZ 1985, 982, 986. 27 Coester, aaO, S. 214 ff., 236 ff., 252 f.
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Moritz
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Zum Kindeswillen vertritt Coester die Auffassung, daß dieser grundsätzlich beachtlich sei und zwar als Indiz für die innere Bindung des Kindes wie auch in seiner Funktion als Ausdruck personeller Selbstbestimmung. Dies bedeute jedoch nicht, daß dem Kind die formelle Entscheidungskompetenz zu übertragen seil8 . In Konfliktfällen habe der Richter im Rahmen der "materiellen Kindeswohl-Abwägung" über die Entscheidungskompetenz des Kindes zu befinden; der Anerkennung von Teilmündigkeiten bedürfe es nicht29 . Maßstäbe des Kindeswohls bilden nach Coester die Kontinuität und Stabilität von Erziehungsverhältnissen, die inneren Bindungen des Kindes sowie die positiven Beziehungen zu beiden Eltern bzw. das Elternverhalten30 , aber auch die Beachtung der aus dem Menschenbild des Grundgesetzes sich ergebenden Erziehungsvorgaben31 . C. Versuche einer inhaltlichen Fixierung des Kindeswohls I. Abstrakte positive oder negative Bestimmung
Gernhuber meint, eine exakte (juristische) Definition dessen, was das Wohl des Kindes bedeutet, und welche eine Rechtsanwendung in Syllogismen gestattet, sei nicht möglich32 . Es läßt sich ein allgemeiner Konsens, für den die Darlegungen Gernhubers aus dem Jahre 1973 wegbereitend gewesen sein dürften, dahingehend feststellen, daß sich der unbestimmte Rechtsbegriff "Kindeswohl" nicht abstrakt definitorisch, sondern allein durch seine einzelnen Aspekte erfassen läßt 33 . Strittig ist jedoch, wie eine solche Eingrenzung erfolgen soll, ob positiv oder ausgehend von Negativstandards. Lempp bezeichnet eine positive Definition des Begriffs des Kindeswohls als "schwer"34. Demgegenüber kann nach Lempp "das ,Wohl des Kindes' in negativer Hinsicht sehr wohl definiert werden"35. Entsprechend hat die Rechtsprechung vor allem zu den §§ 1671, 1696 eine Negativeingrenzung des Kindeswohls unternommen 36 . Dieses Verfahren besteht darin, daß die der Kindesentwicklung abträglichen Umstände fixiert werden und die Entscheidung über die Verteilung der elterlichen Sorge daran orientiert wird, ob zu prognostizieren ist, daß die Negativstandards vermieden würden37 . Auch diese Coester (1983), S. 273 ff. Coester, aaü, S. 277 ff., 282. 30 Coester, aaü, S. 176 ff., 202. 31 Coester, aaü, S. 192 ff. 32 Gernhuber, FamRZ 1973, 229 ff., 231. 33 SoergeVLange, 11. Aufl., § 1666, Rn. 33. 34 Lempp, ZbIJugR 1977, 507, 514. 35 Lempp, ZbIJugR 1977, 514. 36 Zur Geltung des Kontinuitätsgrundsatzes etwa im Rahmen des § 1634 BGB vgl. aber z. B. Dürr (1977), S. 8. 28
29
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
195
Vorgehensweise führt nicht zu der einen Syllogismus erlaubenden Definition; sie erlaubt eine (nicht umfassende) induktive negative Umschreibung des Begriffs nach der Devise: "Was in jedem konkreten Einzelfall diesem entgegensteht, was das Kindeswohl gefährdet, läßt sich sehr viel leichter und in der Regel recht konkret feststellen"38. Diese Fixierung des Kindeswohls vom Negativen her, d. h. mit der Feststellung im Einzelfall, was dem Kindeswohl nicht gemäß ist, entspricht der allgemeinen Handhabung in der Rechtsprechung 39 und Literatur40. Die Rechtspraxis charakterisiert deshalb Kühn damit, daß das Kindeswohl als tragender Maßstab im Kindschaftsrecht (rechtsalltäglich) die Rolle eines "Negativstandards" spiele41 . So wählen eben einen solchen Ansatz auch die beiden Versuche einer umschreibenden Konkretisierung des Kindeswohls durch Göppinger und Münder. Göppinger formuliert, allerdings bezogen auf § 1666 BGB42: Es komme darauf an, "ob die Handlung, Maßnahme oder Verhaltensweise des Sorgeberechtigten objektiv nach dem Sittengesetz, nach den in der Rechtsgemeinschaft herrschenden sittlichen Anschauungen und Wertungen, unter Berücksichtigung der Anschauungen und Gewohnheiten vernünftig und besonnen denkender und handelnder Eltern als ungewöhnlich und nicht mehr vertretbar beurteilt ... werden muß". Münder43 führt aus, wobei er zirkelschlußartig den zu bestimmenden Gegenstand, das Kindeswohl- mit der attributiven Präzisierung "persönlich" -, in die Umschreibung mit einbezieht: "Wohl des Kindes (lasse sich) ... folgendermaßen präzisieren: Eine Gefährdung liegt vor, wenn durch die psychosoziale Sozialisationssituation, in der sich der Minderjährige gegenwärtig befindet, konkret benennbare Schädigungsfolgen wahrscheinlich eintreten werden, so daß dies bei Nichtveränderung der Situation eine Gefahr für das persönliche Wohl des Kindes bedeutet". Zum Ansatz einer Konkretisierung von der positiven Seite her gelangen GoldsteinlFreud/Solnit44 durch Umformulierung des Kindeswohls in die Aus37 Zur Anwendungstechnik vgl. etwa die bei Simitis/Zenz - (1979), S. 150 ff. - wiedergegebenen Entscheidungen. 38 Lempp, ZbIJugR 1977, 507, 514. 39 Vgl. etwa BGH 82, 381 ff. mit zahlreichen weiteren Nachweisen; s. im übrigen die Zitate etwa bei Göppinger (1976), S. 25 ff., 39 ff., von Münder in RdJB 1981, S. 85 ff. sowie bei Simitis/Zenz (1979), S. 249 ff. 40 Finger (1979), S. 305 f.; Gemhuber, FamRZ 73, 230, 232; Münder, RdJB 1981, 82, 84 f.; PalandtlDiederichsen, § 1666, Anm. 3; Schmitt Glaeser (1980) S. 65; Staudinger / Göppinger, 11. Aufl., § 1666 Rn. 38 ff; § 1671 Rn. 88. 41 Kühn in Kühnffoumeau (1978), S. 4. 42 Staudinger/Göppinger, 11. Aufl., § 1666, Rn. 38. 43 RdJB 1981,82,85. 44 (1973,1979), S. 49 ff.; Dies. (1979, 1982), S. 17.
13*
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
gangsfrage nach der für die Kindesentwicklung "am wenigsten schädlichen Alternative"45. Den Versuch einer positiven Eingrenzung unternimmt auch Becker46. Er zählt zahlreiche, das Kindeswohl positiv bestimmende Faktoren auf47 , welche er selbst wohl nur als "erstrebenswertes Ideal" empfindet. Als Leitlinie für die Praxis ergänzt er daraus die Formel von der "am wenigsten schädlichen Alternative"48 durch die zusätzliche Forderung, die unter den (Fall-)Umständen "am günstigsten erscheinende Lösung für das Kind" zu finden49 . Ebenso gibt es auch in der Rechtsprechung Fälle, in denen der Versuch einer eingehenden positiven Entwicklungsprognose unternommen wird 50 . Festzustellen sind Gemeinsamkeiten der positiven und der negativen Vorgehensweise. So kommen beide Ansätze bei bestehen bleibenden Problemen in Detailfragen zur übereinstimmenden Anerkennung bestimmter inhaltlicher Entscheidungsleitlinien. Dies sind der Kontinuitätsgrundsatz, das Förderungsprinzip sowie der Maßstab der "Erziehungsfähigkeit" der Sorgeberechtigten. 11. Kontinuitätsgrundsatz, Fördemngsprinzip und der Maßstab der "Erziehungsfähigkeit"
Als Beurteilungsmaßstäbe zur Fixierung des Kindeswohls sind bisher die folgenden Prinzipien anerkannt: Der "Kontinuitätsgrundsatz"51. Dieser zielt auf die "Wahrung der Stetigkeit der Entwicklung und Erziehung eines Kindes". Danach sollen der "Wechsel der Bezugsperson und des sozialen Umfeldes" möglichst vermieden werden, weil sie zur Verunsicherung und Beunruhigung des Kindes führen könnten52 . Es wird insoweit auf die besonderen Bindungen des Kindes abgestellt 52a , 45 Kritisch zu dieser Formel, da sie eine Lösung der Sachfragen nicht näher bringe, vor allem: Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 316,318. Dagegen zustimmend: Finger (1979), S. 307; Kühn in Kühnffourneau (1978), S. 4; Münder (1980), S. 103; Simitis in Goldstein u. a. (1973, 1979 , S. 106 f. 46 ZblJugR 1978, 300 ff. 47 Becker, ZblJugR 1978, 302. 48 GoldsteinlFreudiSolnit, aaO. 49 Becker, aaO; zustimmend SoergellLange, 11. Aufl.,§ 1666, Rn. 33. 50 Vgl. etwa OLG Hamburg, FamRZ 1982, 532 ff. 51 Vgl. BT -DrS 8/2788, S. 61; BGH FamRZ 1976, 446 ff.; OLG Düsseldorf FamRZ 1979,631 u. FamRZ 1982, 534; OLG FrankfurtlM. FamRZ 1978, 829 u. FamRZ 1982, 531 f.; OLG Karlsruhe NJW 1979, 930; KG FamRZ 1978, 829; OLG Stuttgart FamRZ 1978,828 sowie Amtzen (1980), S. 18 ff.; Münder AK-BGB, § 1671, Rn. 18; Schwab (1980), Rn. 491. 52 Vgl. Amtzen (1980), S. 18 ff.; Fthenakis, FamRZ 1985, 662, m. zahlreichen w. N. in der dort. Fn. 9; Münder, aaO; Schwab, aaO. 52. So vor allem Lempp, FamRZ 1984, 741 ff., m. w. N. und Fthenakis FamRZ 1985,662, m. w. N. in der dort. Fn. 1, und S. 672.
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
197
wobei diese als durch psychische und emotionale Faktoren geprägt erachtet werden 52b . Eine Ausformung dieses Prinzips für die Scheidungsfolgenentscheidungen bildet § 1671 Abs. 2, 2. Halbs. BGB, in der Fassung vom 18. 7. 197953 . Die Frage der zu prognostizierenden Entwicklungschancen versucht das (ebenfalls zum Scheidungsfolgenrecht entwickelte54) Förderungsprinzip 55 einzufangen. Danach behält derjenige Elternteil die elterliche Sorge, "von dem für das Kind für den Aufbau dessen Persönlichkeit die meiste Unterstützung erwartet werden kann"56. Abgestellt wird danach auf die Eignung und Bereitschaft der Eltern zur Übernahme der für das Kindeswohl maßgeblichen "Erziehungs-" und Betreuungsaufgaben. Relevant sind also die Persönlichkeit des Erwachsenen und dessen innere Einstellung zum Kind57 . Im Rahmen der Scheidungsfolgenentscheidung wird damit die Prüfung der "Erziehungs-" bzw. Sozialisatorfähigkeit anerkannt58 . Diese wiederum wird im Zusammenhang, zum Teil allerdings lediglich als nachrangiger Gesichtspunkt59 , zum Willen bzw. genauer - zur Respektierung der Willensfähigkeit des Kindes gesehen 60 • III. Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohlbegriffs
Es kann heute als anerkannt gelten, daß das Kindeswohl persönlichkeitsbezogen ist 61 . Das bisher akzeptierte, bis zur Kindesschutzgrenze weitgehend unbeschränkte elterliche Konkretisierungsmonopol62 führte dazu, daß eine umfassende Diskussion einer Persönlichkeit der Nichtvolljährigen in der juristischen Erörterung entbehrlich erschien63 . Zur Neuregelung werden die Fragen nach Existenz und Entwicklung einer Persönlichkeit des Kindes dagegen So ausdrücklich Fthenakis, FamRZ 1985, 662. So richtig Münder, AK-BGB, § 1671, Rn . 18. 54 Vgl. OLG Düsseldorf FamRZ 1979, 631; Beres, ZblJugR 1982,1. 55 Siehe z. B. KG FamRZ 1978, 829. OLG Stuttgart FamRZ 1978, 827; OLG Düsseldorf FamRZ 1979, 631; OLG Hamm FamRZ 1980, 487; BayObLG FamRZ 1980, 428; OLG Hamburg FamRZ 1982, 532, 533. 56 BastianiRoth-Stielow/Schmeiduch (1978), § 1671, Rz 10; Beres, ZblJugR 1982, 1; Schwab (1977), Rz 200. 57 OLG Hamburg FamRZ 1982, 5331. Sp.; BayObLG FamRZ 68,267; OLG Stuttgart FamRZ 76, 282; OLG Dssdf FamRZ 79, 631; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., § 1671, Rn. 34. 58 Beres, ZblJugR 1982, 1. 59 OLG Dssdf FamRZ 1979, 631. 60 Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1671, Rn. 113; Münder, AK § 1671, Rn. 23/24; Schwoerer, NJW 1964, 5, 7. Vgl. auch nachfolgend unter "IV". 61 Vgl. zuvor unter "C I"; s. insbesondere die dort wiedergegebenen Definitionsversuche von Göppinger und Münder. 62 Ebenso Coester (1983), S. 204. 63 Vgl. schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt. 52b 53
198
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
erörtert. Jedoch geschieht dies im Zusammenhang mit dem Begriff des Kindeswohls eher mittelbar. Entworfen werden einige Facetten eines Persönlichkeitsbildes der Minderjährigen64 • Im Vordergrund steht die Fixierung der Sozialisationsbedingungen, wie sie mit "Kontinuitätsgrundsatz" und "Förderungsprinzip" umschrieben sind65 . Als Eingriffsmaßstab wird Kindeswohl in Anlehnung an den Wortlaut des
§ 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB spezifiziert mit den Kategorien "körperlich, geistig
und seelisch"66. Als Orientierung bzw. formelles Erziehungsziel67 wird von einigen auch eine attributive Ergänzung des Kindeswohls durch die Zielvorstellungen des JWG, der "leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit" vorgenommen68 oder auch durch die Umschreibung "leiblich, seelisch und sittlich"69 bzw. durch das Ziel der "körperlichen, seelischen und sozialen Gesundheit"7o. Beres71 formuliert, im Gegensatz zu anderen 72 und ohne dies auf die Fälle des § 1671 BGB zu beschränken: Die gerichtliche Regelung sei daran zu orientieren, "was dem Interesse des Kindes dient und dieses fördert". Er anerkennt als Bemessungsgrundlagen das "Förderungsprinzip"73 sowie "Bindungen des Kindes"74 und die Erziehungsfähigkeit der Sorgeberechtigten. Im übrigen sei es von Fall zu Fall verschieden, wie das Wohl des Kindes im einzelnen bestimmt werden könne. IV. Die Bedeutung des Kindeswillens sowie des Lebensalters des Kindes
Es ist umstritten, welche Bedeutung der Kindeswille im Rahmen des Kindeswohls hat. Nach der hier vertretenen Auffassung kommt dem Kindeswillen eine zentrale Funktion zu; der Meinungsstand wird deshalb später nochmals eingehend dargestellt15.
Vgl. auch Coester (1983), S. 205. V gl. zuvor unter" C 11" . 66 So Henrich (1980), S. 148 f.; Münder, AK-BGB, § 1666, Rn. 18; Soergel/Lange (1981), § 1666, Rn. 22. 67 Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 24. 68 PalandtlDiederichsen, § 1671, Anm. 3; Gemhuber, FamRZ 1973, 229, 230; Eil, ZbIJugR 1980, 319, 321; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 22; Jansl Happe (1980), S. 69; Lempp, ZbIJugR 1977, 507, 514. 69 Uffelmann (1977), S. 50 ff., m. w. N. 70 Lempp, ZbIJugR 1977, 507,514. 71 ZbIJugR 1982, 1 ff. 72 Vgl. etwa Schwab (1980), Rn. 491. 73 Siehe auch OLG Düsse1dorf FamRZ 1979, 631. 74 Zum Kontinuitätsgrundsatz vgl. auch BT-DrS 8/2788, S. 61; Schwab (1980), Rn. 491; Münder, AK-BGB, § 1671, Rn. 18, m. w. N. 75 Vgl. im 3. Abschnitt dieses (4.) Kapitels. 64
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1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
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Welche Bedeutung dem Kindeswillen von der Rechtsprechung bzw. Literatur beigemessen wird, hängt davon ab, wie jeweils das Verhältnis von Elternund Kindesrechten gedeutet wird. Bei Zugrundelegung der Thesen vom prinzipiellen Vorrang des Kindeswohls76 und vom Kindeswohl als innere Grenze des Elternrechts77 ergibt sich ein grundsätzlicher Vorrang der Bedürfnisse des Kindes78 . Als Indiz für diese Bedürfnisse verstehen einige Autoren vor allem den Kindeswillen 79 . Demgegenüber mißt etwa das OLG Düsseldorf dem Kindeswillen für die gerichtliche Entscheidung nur eine sekundäre Bedeutung bei80 ; es räumt der Entscheidung und dem Interesse der Eltern auch für den Fall eine Dominanz ein, in dem an der Willensbildungskompetenz des Kindes keine Zweifel bestehen81 . Mit dem Problem der Beachtlichkeit des Kindeswillens ist die Frage nach der Willensbildungsfähigkeit und damit auch jene nach der Bedeutung des Lebensalters des Kindes verknüpft. Diejenigen, welche den Kindeswillen nicht für beachtlich halten, messen auch dem Lebensalter des Kindes keine rechtliche Bedeutung für das Eltern/Kind-Verhältnis bei82 . Die herrschende Meinung erkennt dagegen eine Verpflichtung der Eltern an, den Minderjährigen entsprechend der Regelung des § 1626 Abs. 2 BGB zunehmende Entscheidungskompetenzen zuzubilligen83 . Die formelle Entscheidungsbefugnis verbleibt jedoch auch nach dieser Meinung bei den Sorgeverpflichteten84 . In Sonderbereichen, z. B. im Zusammenhang mit der Sozialrechtsmündigkeit85 oder mit Verfahren nach dem FGG86, werden von einigen eigene Teilmündigkeiten der Minderjährigen in Abhängigkeit von deren Lebensalter erwogen.
Siehe BVerfG NJW 1981, 1201 f.; BVerfG NJW 1982, 381 f. BayObLG FamRZ 1981, 999,1001; OLG Frankfurt FamRZ 1981, 308 f. 78 Vgl. die Urteilsbegründung des BayObLG FamRZ 1981, 1001; s. auch die Nachweise im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2, Fn. 7. 79 Münder, AK-BGB, § 1671, Rn. 23 f.; entsprechend auch Schwoerer NJW 1964, 5,7. 80 OLG Düsseldorf FamRZ 1979, 631; ebenso Hinz, MünchKomm., 1. Aufl., § 1671, Rn. 38; anders. ders., MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1671, Rn. 43. 81 Zur Auffangfunktion des unbestimmten Rechtsbegriffs des Kindeswohls für den "rechtlich nicht anerkannten ,Willen' des Kindes" vgl. Münder/Kühn (1977), S. 99 f. Zur nur relativen Bedeutung des Kindeswillens bei Coester - (1983) - s. vorstehend unter "B 11". 82 Vgl. insbesondere OLG Düsseldorf FamRZ 1979, 631. 83 Zum Meinungsstand vgl. schon die Nachweise im 3. Kapitel, 1. Abschnitt 84 Beitzke, FamRZ 1979,12; OLG Bamberg FamRZ 1979, 858 f.; BGH NJW 1981, 454 f.; Coester (1983), S. 273 ff., 277 ff., m. w. N.; Schwab (1982), S. A 83; Stöcker, ZRP 1974, 214. Differenzierend E. Kühn in Kühn u. a. (1978), S. 407; Dürr (1977), S. 10; Eil, ZblJugR 1980, 322 f. 85 Vgl. die Nachweise im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 1. 86 Fehmel, DAmtsVorm 1981,169 ff., m. w. N. 76 77
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
§ 4 Die eigene Deutung
A. Der Regelungsbereich des Kindeswohls Wie gezeigt, wird (jedenfalls) zum neuen Recht von der Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohls ausgegangen. Der bloße Begriff der Persönlichkeitsbezogenheit konkretisiert den Anwendungsbereich indes nur anscheinend. Denn in den herrschenden Gesellschaftsstrukturen ist die Teilhabe an sowie die Beherrschung des Umgangs mit materiellen Gütern infolge der damit verbundenen Anerkennungsmechanismen, aber auch deshalb, weil von der Teilhabe an oder der Vorenthaltung von Ressourcen weitgehend der Grad einer möglichen Fremdeinwirkung auf die persönlichen Verhältnisse, bis hin zur Fremdbestimmung abhängt, von erheblicher Persönlichkeitsrelevanz87 • Die Frage, ob sich das Kindeswohl auf nichtvermögensrechtliche Beziehungen beschränkt oder sich auch auf den Vermögensbereich erstreckt oder doch jedenfalls auf den Umgang mit Geldmitteln etc., bedarf deshalb noch weiterer Erörterung; d. h. der Begriff der Persönlichkeitsbezogenheit ist näher zu konkretisieren. Aus den Verwendungen des Begriffes im Gesetzeswortlaut88 ergibt sich seine Ausrichtung auf primärsozialisations-bezogene Verhältnisse89 • Im Zusammenhang mit Außen beziehungen nennt das Gesetz die Richtschnur Kindeswohl ausdrücklich nur bei dem Umgangs- und Auskunftsrecht des nichtsorgeberechtigten Elternteils (§ 1634 Abs. 11 bis IV bzw. § 1711 BGB). Über die Interdependenz von Familieninternum und den Außenbeziehungen hat der Gesetzgeber offensichtlich nicht reflektiert; etwaige Fernwirkungen des Kindeswohls für das Außenverhältnis konnten deshalb im Gesetzeswortlaut keinen Niederschlag finden. Jedoch erscheint es im Hinblick auf die dargelegte Bedeutung der Primärsozialisationsbeziehungen90 allein als sinnvoll, die Verwendung des Terminus Kindeswohl in § 1634 bzw. § 1711 BGB als Ausdruck der Sozialisationsbedeutung auch des nichtsorgeberechtigten Elternteils anzusehen91 • Demgegenüber nennt schon § 1632 BGB, welcher die Schwelle zum Außenbereich markiert, selbst nicht die Richtlinie Kindeswohl, 87 Vgl. im einzelnen schon in RdJB 1977,264,270 ff. und VersR 1981, 1101, 1103 f. sowie mein Interview in WDR I am 24. 8. 1981,17.05 h zum Thema "Taschengeld als Mittel der Selbstverwirklichung?" 88 Siehe die obigen Nachweise in § 2 dieses Abschnitts. 89 Zum Begriff der Primärsozialisation vgl. bei Ruegg (1969), S. 95 sowie Kohli (1976), S. 313. Zum Zusammenhang von Primärsozialisation und Emotionalität und wiederum deren Zuordnung zum Privatbereich vgl. im obigen 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D V.2.2. 90 Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D. 91 Dazu, daß die Beibehaltung des Kontaktes (zumindest) "auch im Interesse des Kindes" liegt, vgl. die Begründung des Rechtsausschusses zum Sorgerechtsentwurf, BT-DrS 8/2788, S. 53.
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
201
weshalb dessen Einbeziehung allenfalls über § 1627 Satz 1 BGB oder § 1666 in Betracht kommt92 . Dies aber rechtfertigt den Schluß, den Maßstab Kindeswohl nicht nur innerfamiliär, sondern auch für die Beziehungen mit außerfamiliärer Berührung als Bewertungsbasis grundsätzlich allein für das Verhältnis zwischen dem Sozialisator (Sorgeberechtigter sowie nicht (mehr) sorgeberechtigter Elternteil; ggf. Pflege- oder Adoptiveltern) und dem Kind anzuerkennen93 . Neben der Reduzierung auf die Primärsozialisation läßt sich aus dem bloßen Gesetzestext der Regelungsgegenstand noch weiter umschreiben, indem, jedenfalls soweit die in § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB vorgenommene attributive Eingrenzung ("körperliches, geistiges oder seelisches Wohl") berücksichtigt wird, als weitere Prämisse des Begriffs eine Persönlichkeitsrelevanz festzustellen ist. Diese Festsetzung erführe indes eine Relativierung, wenn sich der Maßstab Kindeswohl auch auf den Bereich der Vermögenssorge bezöge. Eine solche Bezugsetzung könnte in der Formulierung des § 1671 Abs. 5 BGB liegen, welcher in seinem Satz 1 einen möglichen Zusammenhang von Kindeswohl und Vermögenssorge anzudeuten scheint sowie in seinem Satz 2 Unterhaltsansprüche und Wohl des Kindes verbindet. Die materielle Absicherung gehört, wie ausgeführt, zu den Fragen von essentieller Bedeutung. Gleichwohl, wie nicht zuletzt aus der im übrigen im Gesetz vorgenommenen scharfen Trennung von Vermögens- und Personensorge folgt (vgl. §§ 1626 Abs. 1,1666 Abs. 1 und 3 sowie vor allem einerseits §§ 1631 ff. und andererseits §§ 1628 ff. BGB) sind die Vermögensinteressen des Kindes (jedenfalls) nicht unmittelbar als Inhalt des "körperlichen, geistigen oder seelischen Wohls" i. S. des § 1666 Abs. 1 Satz 1 BGB zu begreifen. Daraus könnte zu folgern sein, daß Kindeswohl in § 1666 anders zu definieren wäre als in § 1671 BGB94. Eine Lösung ergibt sich, werden die Zielsetzung 92 Einigkeit besteht dahingehend, daß ein Dritter nicht wirksam Einwendungen aus dem Kindeswohl gegen das Herausgabeverlangen erheben kann (vgl. die Nachweise bei Hinz, MünchKomm, 2. Aufl., Bd. V/2, § 1632, Rn. 8 ff.). Bei Streit der Eltern untereinander (§ 163211) gewinnt das Kindeswohl indes Bedeutung über § 1627, S. 1 bzw. § 1666 (ebenso PalandtlDiederichsen, § 1632, Anm. 2 m. w. N.). § 1666 I bildet die unterverfassungsrechtliche Konkretiesierung des Wächteramtes der staatlichen Gemeinschaft nach Art. 6112 GG (ebenso Hinzu, aaO, § 1666, Rn. 1) und ist deshalb von den Gerichten generell zu beachten. Die Herausgabeentscheidung (§ 1632 11 und I) enthält inhaltlich zugleich eine Verneinung der Kindeswohlgefährdung (Münder in AK, § 1632, Rn. 3; PalandtlDiederichsen, § 1632, Anm. 2 a cc), so daß im Rahmen des § 1632 über § 1666 BGB die Beachtlichkeit des Kindeswohl allgemein gewährleistet ist. 93 Dies entspricht der in der vorstehenden Fußnote gefundenen Begründung zur Fernwirkung des § 1666. Bezüglich des Streites Eltern/Pflegeeltern ausdrücklich jetzt auch § 1632 IV i. V. mit § 1666 I 1 BGB. 94 Wenig erhellend insoweit die bloße Zitierung der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses bei Belchaus (1980), S. 156 f., Rn. 25.
202
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
und der Gesetzeszusammenhang des § 1671 BGB in Erinnerung gerufen. § 1671 betrifft die kindbezogenen Trennungsfolgen bei der Ehescheidung. In dieser äußeren Situation, der Trennungsphase der Sorgeberechtigten, liegt die Sonderheit des § 1671 Abs.5 Satz 1 gegenüber dem § 1666 BGB. § 1671 Abs. 5 Satz 1 bezieht sich also auf den Fall, daß die Elternteile, jeder für sich allein, eine angemessene Sorge für das Kind nicht bewerkstelligen können95 • Abgesehen von dieser Situationsspezifität handelt es sich entgegen Belchaus96 inhaltlich um einen Unterfall zu § 166697 • Die Erwähnung von Vermögensund Personensorge in § 1671 Abs. 5 Satz 1 BGB findet ihre Entsprechung in § 1666 Abs. 1 bzw. Abs. 3 BGB. Dies bedeutet aber gerade keine Bezugsetzung von Kindeswohl und Vermögenssorge. Vielmehr stellt der sprachlich besser gelungene § 1666 BGB klar, daß das Kindeswohl den persönlichen Zustand des Betroffenen meint; daneben besteht ein Zusammenhang von Vermögenssorge und sonstigen Kindesinteressen (vgl. § 1666 a BGB). Etwas anderes folgt schließlich auch nicht aus dem neu geschaffenen § 1671 Abs. 5 Satz 2 BGB. Die Beschreibung des Normzieles ist nur unvollkommen, wenn die Möglichkeit der Unterhaltspflegschaft nach § 1671 Abs. 5 Satz 2 BGB damit begründet wird, den sorgeberechtigten Elternteil dem Interessenkonflikt zu entheben, möglicherweise nebeneinander eigene Unterhaltsansprüche und solche des Kindes gegen den anderen Elternteil durchsetzen zu müssen98 • Denn, wie Gernhuber zutreffend anmerkt99 , für Fälle dieser Art ständen ohnehin die §§ 1629 Abs. 2, 1796 BGB zur Verfügung. Zu denken wäre aber vor allem an die wohl sinnvollere Möglichkeit100 der Bestellung eines Beistandes nach § 1690 BGB - die allerdings einen Antrag beim Vormundschaftsgericht erforderte -. Somit kann die Zielsetzung des § 1671 Abs. 5 Satz 2 BGB nicht in der bloßen Einrichtung einer Unterhaltspflegschaft zur Wahrung der Unterhaltsansprüche des Beteiligten liegen. Die Sonderheit der Norm gegenüber den genannten weiteren Vorschriften besteht darin, daß ihr eigentlicher Regelungsgegenstand nicht in der Durchsetzung von Vermögensinteressen liegt. Er ist vielmehr darin zu sehen, Folgewirkungen aus Unterhaltsstreitigkeiten mit den Unterhaltsverpflichteten zu vermeiden, die in einer negativen Beeinflussung des persönlichen Verhältnisses zwischen dem Kind und dem einzelnen Elternteil bestehen könnten 101 • Dies aber bedeutet, daß auch § 1671 BT-DrS 8/2788, S. 63; Gernhuber (1980), S. 860. (1980), S. 156 f. 97 Ebenso Gernhuber (1980), S. 860; Münder, AK-BGB, § 1671, Rn. 30. 98 So aber Belchaus (1980), S. 157, Rn. 26. 99 (1980), S. 861. 100 So zutreffend auch Münder, AK-BGB, § 1671, Rn. 31. 101 Münder (aaO, § 1671, Rn. 31) ist zuzugeben, daß die Herleitung derartiger Folgewirkungen rechtsalltäglich auf Schwierigkeiten stoßen wird. Die Unterhaltspflegschaft muß zum "Wohle des Kindes erforderlich" sein (§ 1671 Abs. 5 Satz 2, letzt. Halbs. BGB). Fehlt es an dieser Voraussetzung, scheidet die Einsetzung eines Pflegers nach dieser Vorschrift aus. Hätte der Gesetzgeber die von Münder (aaO) behaupteten 95 %
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
203
Abs. 5 Satz 2 BGB keine Ausnahme von der Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohls enthält. Kindeswohl ist persönlichkeitsbezogen; es ist ausgerichtet auf die personale Dimension des zivi/rechtlichen "Kind"-Begriffes 102 • Somit läßt sich der gesetzliche Regelungsbereich, auf den sich der unbestimmte Rechtsbegriff Kindeswohl bezieht, wie folgt konkretisieren: (1) Kindeswohl umschreibt einen persönlichen Zustand der Betroffenen; es bezieht sich auf die personale Dimension des Begriffes "Kind". (2) Für die Fälle, in denen das Gesetz den Begriff ausdrücklich nennt, bildet Kindeswohl einen Bewertungsmaßstab im Verhältnis Sozialisator (Sorgeberechtigter sowie nicht (mehr) sorgeberechtigter Elternteil; ggf. Pflegeoder Adoptiveltern)~Kind. Das heißt: (3) Der Begriff wird im Gesetzeswortlaut ausschließlich primärsozialisationsbezogen benutzt. (4) Die Vermögenssorge und Unterhalts beziehungen berühren das Kindeswohl allenfalls mittelbar. (5) Seine gesetzestextliche Verwendung ausschließlich in bezug auf beimmte Regelungszusammenhänge (Primärsozialisationsverhältnisse) weist auf eine nur regionale Bedeutung des Begriffes (Familieninternum), mit allenfalls mittelbarer Wirkung im Verhältnis zu Dritten hin. Textanalyse und teleologisch/historische Herleitung lassen jedoch die konkrete Reichweite des Kindeswohls im Drittbezug sowie die Art der und das Verhältnis zu Ersatzkategorien offen. Die Reichweite des Kindeswohls im Drittbezug wird im nachfolgenden Abschnitt zum Verhältnis von Kindeswohl und Kindesinteresse nochmals angesprochen. Nach der im übrigen erfolgten Konkretisierung des Regelungsbereichs des Kindeswohls ist nunmehr die Frage nach dem Inhalt des Kindeswohlbegriffs zu stellen. Angesprochen ist damit zunächst das Verfahren einer solchen inhaltlichen Ausfüllung, also ob eine eingliedrige oder mehrgliedrige Definition bzw. eine negative und/oder positive Eingrenzung zu wählen ist. Nachdem Klarheit über die Vorgehensweise besteht, wird so dann eine inhaltliche Konkretisierung möglich.
fiskalischen Gründe (Vermeidung staatlicher Leistungen) verfolgt, wäre er wohl gut beraten gewesen, den Eingriff nicht von der schwer zu erfüllenden Bedingung abhängig zu machen, daß er zum "Wohle des Kindes erforderlich" ist. 102 Vgl. im 1. Kapitel, 2. Abschnitt, § 1.
204
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
B. Eingliedrige oder mehrgliedrige Definition, negative und/oder positive Bestimmung?
Die herrschende Meinung unterläßt eine Definition des Kindeswohlbegriffs und favorisiert statt dessen eine Konkretisierung im Einzelfall, auf der Grundlage der generalisierenden Maßstäbe von Kontinuitätsgrundsatz, Förderungsprinzip sowie ggf. der "Erziehungsfähigkeit" der Sorgeverpflichteten103. Die Einzelfallbezogenheit entspricht schon der rechtsdogmatischen Funktion unbestimmter Rechtsbegriffe lO4 • Einer solchen Funktionalität liefe es andererseits zuwider, sich mit fall- oder komplex bezogenen Kindeswohlbegriffen zu begnügen und im Zweifel mehrere Definitionen zu akzeptieren. Das Prinzip nur eines Kindeswohlbegriffs steht zum anderen aber durchaus auch im Einklang mit dem Rechtsalltag. So berührt die Absicht des Vaters, das Kind, welches sehr am Elternhaus hängt, aus Gründen der "Abhärtung" in ein Internat zu schicken, die psycho/soziale Situation des Kindes. Dies ist in gleicher Weise auch bei der Scheidung und fortdauernden Trennung der Eltern der Fall, die rechtlichen Regelungsbereiche beider Fälle sind jedoch unterschiedlich; angesprochen ist einerseits jener des § 1627 BGB sowie andererseits der des § 1671 BGB. Somit ist zwar die Entscheidung dessen, was dem Kindeswohl dient bzw. diesem zuwiderläuft, eine Frage des Einzelfalls. All' diese fallspezifischen Feststellungen bedeuten indes nur additive Konkretisierungen zu einem akzeptierten Grundrnaßstab dessen, was der Persönlichkeit des Kindes gemäß und deshalb unverzichtbar zu respektieren ist. Unter rechtsterminologisch/dogmatischen Gesichtspunkten, aber ebenso aus rechtsalltäglichen Gründen sind deshalb jene Auffassungen abzulehnen, welche eine Erfassung des Kindeswohls durch seine einzelnen Aspekte genügen lassen und nicht zugleich eine übergreifende Fixierung des Begriffsmusters im Auge behalten. Mit anderen Worten: Es genügt nicht, allein den Gerichtsalltag zu analysieren, um den Begriff des Kindeswohls zu erfassen. Das Resultat eines solchen Vorgehens zeigen deutlich die "Definitionsversuche" von Göppinger und Münder, welche Kindeswohl nur noch mittelbar erfassen und statt dessen den Begriff der "Gefährdung" definierenlOS. Unreflektiert bleibt dabei, wie die Leitentscheidung des § 1627 Satz 1 BGB in diese Präzisierungen paßt. So beziehen sich die von Münder106 referierten und zahlenmäßig belegten Fälle der §§ 1666, 1671 und 1741 BGB sowie auch jene der Jugendförderung nach Vgl. vorstehend unter "C 11" sowie SoergellLange, 11. Aufl., § 1666, Rn. 33. Vgl. in diesem Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 sowie die dortigen weiteren Nachweise. 105 Siehe Göppinger in Staudinger/Göppinger, 11. Aufl., § 1666, Rn. 38, sowie Münder in RdJB 1981,82,85; vgl. auch die obige Wiedergabe der Definitionsversuche - § 3 C I dieses Abschnitts. 106 RdJB 1981,83. 103 104
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
205
dem JWG (JHG) - partiell auszunehmen sind Maßnahmen der freiwilligen Erziehungshilfe 107 - auf Situationen, in denen die Sozialisationsfähigkeit der ursprünglichen Familie weitgehend zerstört ist und es dem Gericht aufgegeben ist, über Alternativlösungen zu befinden. Entsprechend verwundert auch nicht der von Simitis u. a. 108 getroffene Befund, daß sich die Gerichte in ihren Wertungen weitgehend auf die physisch/materiellen Leensbedingungen der Kinder beschränken, wogegen das geistige Wohl des Kindes in den Hintergrund trete. Denn in den genannten Fällen, welche auch allein Gegenstand der Untersuchungen der Forschergruppe GoldsteinlFreud/Solnit waren 109, handelt es sich wegen der Zerstörung oder zu prognostizierenden Irreparabilität der Herkunftsfamilie um Negativbeispiele von essentieller Art. Dies führt dazu, daß in diesen besonderen familialen Situationen die Garantie von Mindeststandards (körperliches Wohl) schon einen Erfolg darstellt. Wegen der unterschiedlichen Schichtenzugehörigkeit von Klient sowie andererseits von Richter und Sozialarbeiter wird es den zur Beurteilung Berufenen oftmals unmöglich, das psychische Wohl zu prognostizieren 11o • In realistischer Einschätzung ihrer Leistungsgrenzen richten die Gerichte ihr primäres Augenmerk deshalb auf das "körperliche Wohl"111. Die Tatsache bestehender institutioneller Defizite sowie die schwerpunktmäßige Ausrichtung des Gesetzes auf die Nachsorge ll2 - d. h., wenn das Kind sozusagen schon in den Brunnen gefallen istll3 - rechtfertigen indes nicht, den Begriff des Kindeswohls von vornherein entsprechend diesen rechtsalltäglichen Minimalleistungen zu reduzieren. Denn eine solche Praxis implizierte, daß die geforderte Berücksichtigung der Kindesinteressen im Rahmen einer ("ehrlichen") Interessenabwägung 114 unterbliebe. Indem festgestellt ist, daß die schwerpunktmäßig von den Gerichten berücksichtigten Fälle nur einen Teilbereich des Gesamtkomplexes "Kindeswohl" ausmachen, erweist sich die an den Gerichtsalltag anknüpfende alleinige Negativumschreibung des Kindeswohls als problematisch. Unreflektiert bleibt bei dieser Praxis, daß eine solche Negativfixierung zu einer Konkretisierung des Kindeswohls aus zweiter Hand führt. Denn genau genommen umschreiben die Negativstandards nicht das Kindeswohl, sondern die Fehlverhalten der Personensorgeberechtigten, welche rechtstechnisch den Tatbestand 107 Zum Ansatz dieser Institution, die existente Familie zu stabilisieren, vgl. im einzelnen MoritziMeier (1982), S. 14 ff., 219, 228, 229. 108 (1979), S. 31,34; vgl. auch Kühn in Kühnfrourneau (1978), S. 4. 109 (1973,1979), S. 13 ff., 33 ff.; vgl. aber dies. (1979, 1982). 110 Zu diesem allgemeinen Problem der Familienhilfe vgl. im einzelnen Moritz/Meier (1982), S. 213 f. 111 Vgl. MoritzlMeier (1982), S. 210 ff.; GoldsteinIFreud/Solnit (1973,1979). 112 Zu den Anwendungsbereichen vgl. in diesem Abschnitt, § 2. 113 Kühn in Kühnfrourneau (1978). 114 Vgl. im 3. Kapitel, 1. Abschnitt.
206
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
der "Gefahr" oder "Gefährdung" (i. S. etwa der §§ 1666 Abs. 1 Satz 1; 1971 Abs. 5 Satz 1 BGB, aber auch des § 3 Abs. 1 Satz 1 JWG - § 2 Abs. 2 Satz 2 eines künftigen JHG115 -) bzw. des " Erfordernisses " für das Wohl des Minderjährigen erfüllt116 . Zu begrüßen ist deshalb die Formel von der "am wenigsten schädlichen Alternative zum Schutze ... des Kindes" nach Goldstein u. a. 117 • Die technische Folge der Formel, den Wandel von einer negativen Eingrenzung zum Erfordernis einer positiven Bestimmung (dessen, was am wenigsten schädlich ist), übersehen deren Kritiker118 . Anzumerken bleibt indes der nur beschränkte Anwendbarkeitsbereich der Formulierung. Denn sie bezieht sich vor allem auf Unterbringungs- und Aufenthaltsbestimmungsentscheidungen 119 . Dagegen taugt sie angesichts des in ihr verborgenen Pessimismusgehaltes kaum als allgemeiner Bewertunsmaßstab für die Sozialisationsbeziehungen zwischen den Personensorgeberechtigten und Kindern 120 • Dies gilt umgekehrt im gleichen Maße für den von Becker121 aufgestellten Optimalkatalog zum Kindeswohl. Dessen Festlegungen beziehen sich auf einen Idealzustand, der wohl auch von Becker nur als eine Zukunftsvision gemeint ist, welche es im Sinne einer Zielprojektion im Auge zu behalten gilt, ohne daß jedoch eine umfängliche Realisierungschance für wahrscheinlich gehalten wird. Als Ergebnis der vorstehenden Überlegungen kann festgestellt werden, daß von einem einheitlichen Grundgehalt des Kindeswohls auszugehen ist, dessen Inhalt im einzelnen situationsspezifisch konkretisiert wird. Die unternommenen Versuche einer positiven oder negativen Eingrenzung genügen den Anforderungen nicht. Sie führen im schlimmsten Fall zu einer konkret fallbezogenen Entscheidung, welche nicht zu verifizieren ist. Oder die Entscheidung erfolgt anhand von Kategorien, die auf einen speziellen Bereich zugeschnitten und aus diesem entwickelt sind; die dogmatische, abstrakt-definitorische 115 Vgl. BT-DrS 8/2571, S. 8; BT-DrS 8/4010, S. 6. Zum Zusammenhang der Termini einerseits der Kindeswohlgefährdung sowie andererseits der "Entwicklungsstörung" oder ,,-gefährdung", welche Jugendförderungsmaßnahmen des JHG ermöglicht, vgl. im einzelnen MoritzlMeier (1982). 116 Entsprechend definieren auch Münder (RdJB 1981, 82, 85) und Göppinger (in Staudinger, 11. Aufl., § 1666, Rn. 38) im eigentlichen nicht den Begriff des Kindeswohl, sondern jenen der Gefährdung. 117 (1973, 1979), S. 49; dies. (1979, 1982), S. 16 ff. 118 Vgl. vor allem Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 317. 119 So auch Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 19; Kühn in Kühn/ Tourneau (1978), S. 4; Finger (1979), S. 307. 120 Die Formulierung setzt gleichsam voraus, daß irreparabel ein Minus gegenüber optimalen Verhältnissen besteht. Auch bei kritischer Einschätzung der Sozialisationskompetenz der Sorgeberechtigten dürfte aber ein Wertungsprinzip irreparablen Unvermögens zu weit gehen. Zum Axiom der Reparabilität etwa im JWG/JHG vgl. bei MoritzlMeier (1982), S. 1 f. In Richtung dieses Ansatzes geht dann auch die 2. Untersuchung von Goldstein u. a. (1979, 1982); dies bringt schon der für diese gewählte Titel "Before the Best Interests of the Child" zum Ausdruck. 121 ZblJuR 1978, 300, 302.
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswoh1s
207
Ebene bleibt hierbei ausgeklammert. Ein Schema für die Konkretisierung des Kindeswohls hat zu beachten, daß die Einzelfallentscheidung im Spannungsfeld zwischen einem abstrakt/übergreifenden Grundgehalt des Kindeswohls, den bereichsspezifischen Auslegungskategorien zum Kindeswohl sowie den individuellen und sonstigen speziellen Umständen des konkreten Falls erfolgt. Der Wertungszusammenhang, welcher diese drei Ebenen berücksichtigt, läßt sich etwa wie folgt darstellen:
r----I I I
a) erste Stufe:
(dogmatische), abstrakt-definitorische Ebene
b) zweite Stufe: A
Tatbestands- und Analyseebene (Individual- und Problembereich)
c) dritte Stufe:
Einzelbereichskategorien - und Wertungsebene
L _______ _
c. Konkretisierung auf erster Stufe = Der abstrakt-definitorische Grundgehalt des Kindeswohls I. Rechtstatsächliche Kategorisiemng
1. Die Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohls
Das Konkretisierungs-Unterfangen auf der "ersten Stufe" vorstehenden Schemas beabsichtigt, den übergreifenden Gehalt des Kindeswohls abstraktdefinitorisch zu erfassen. Dieser Grundgehalt ist zugleich Kern des Begriffes wie Klammer für dessen Erscheinungs-Varianten. Den Ausgangspunkt für eine Konkretisierung bildet der Gesetzestext. Aus den (seltenen) Konkretisierungen im Gesetz ergibt sich: Es sind zu berücksichtigen "die wachsende Fähigkeit und das wachsende Bedürfnis des Kindes zu selbständigem verantwortungsbewußtem Handeln" (§ 1626 Abs. 2 Satz 1 BGB; "entwürdigende Erziehungsrnaßnahmen sind unzulässig" (§ 1631 Abs. 2 BGB); bei der Berufswahl sind "auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht" zu nehmen (§ 1631 a) etc.; "die Trennung des Kindes von der elterlichen Familie" ist dem Staat nur unter besonderen Umständen möglich (§ 1666 a); "die Bindungen des Kindes, insbesondere an seine Eltern und Geschwister, (sind) zu berücksichtigen" (§ 1671 Abs. 2 BGB). In § 1666 Abs. 1 BGB werden schließlich eine "körperliche, geistige und seelische" Komponente des Kindeswohls unterschieden. Insgesamt können diese Gesichtspunkte nicht anders als mehr oder weniger zufällige Hinweise auf einige Aspekte des Kindeswohls verstanden werden. Betrachten wir die Gesetzes-Auszüge näher, offenbart sich immerhin aber
208
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
eine für alle Beteiligten in gleicher Weise geltende Zielrichtung des Gesetzes: Betroffen ist der Schutz der körperlichen, geistigen und/oder seelischen Komponenten der Persönlichkeit im Verlaufe des Reifungsprozesses. Enthält das Gesetz somit zwar weder eine Definition noch eine auch nur ansatzweise abschließende Umschreibung des Kindeswohls, so kann aus der Gesamtheit der die elterliche Sorge betreffenden Vorschriften auf Grundkategorien des Kindeswohls rückgeschlossen werden. Zu bestätigen ist danach die Literaturmeinung 122 von der - Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohls; mit der weiteren Konkretisierung: - des Schutzes der Persönlichkeit im Verlaufe des Reifungsprozesses sowie - der Aufspaltung in körperliche, geistige und/oder seelische Komponenten der Persönlichkeit. 2. Das Prinzip des Vorbehalts bzw. absoluten Vorranges In der Mehrzahl der Fälle bindet das Gesetz das Kindeswohl in einen konditionalen Zusammenhang ein, macht das Eintreten von Ereignissen also davon abhängig, daß das Wohl des Kindes dem nicht entgegensteht (§§ 1628 Abs. 1 Satz 1, 1631 b Satz 3, 1634 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1, 1671 Abs. 1 und 5, § 1672 Satz 2, 1678 Abs. 2, 1680 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1, 1681 Abs. 1 Satz 2, 1996 Abs. 2, 1707 Satz 2 und Satz 3, 1723, 1740 a Abs. 1 Satz 1, 1741 Abs. 1, 1757 Abs.2 Satz 1, 1671 Abs.2, 1763 Abs. 1 und Abs. 3 a, 1764 Abs. 4 BGB). Das Gesetz stellt insoweit eine bestimmte Entscheidung unter den Vorbehalt des Kindeswohls. Demgegenüber wird bei § 1666 BGB ein bestimmtes Verhalten sanktioniert, da es das Kindeswohl gefährdet; gefordert ist insoweit (irgend-)ein anderes Verhalten, welches nicht mit dem gleichen Gefährdungs-Makel behaftet ist. Ebenso grundSätzlich verschiedene Handlungsalternativen eröffnen die §§ 1627 Satz 1 und 1671 Abs. 2 BGB, welche Kindeswohl (bei § 1627 Satz 1: allgemein) als Handlungsziel vorgeben. Es ist die Variante zu wählen, die dem Kindeswohl "am besten entspricht" (§ 1671 Abs. 2) bzw. die "zum Wohle des Kindes" ist (§ 1627 Satz 1 BGB). Somit ist festzustellen, daß kindbezogenes Handeln im Primärsozialisationsraum (vgl. vorstehend unter "A") bzw. in der diesen betreffenden richterlichen Ersatzwertung, bezogen auf die gesetzlich vorgesehenen Einzelwertungen, unter dem Vorbehalt des Kindeswohls stehen; bei existenten Handlungsalternativen ergibt sich ein absoluter Vorrang des Kindeswohls.
122
Vgl. in diesem Abschnitt, § 3 C III.
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
209
3. Die Wertungsrichtung "vom Kind her" Aus dem vorstehenden Grundsatz der Persönlichkeitsbezogenheit sowie dem Prinzip des Vorbehalts bzw. absoluten Vorranges folgt eine bestimmte Wertungsrichtung. Ansatzpunkt und Entscheidungskriterium hat zu sein, was dem Kind bzw. seiner Persönlichkeit in der konkreten Entwicklungssituation gemäß ist 123. Es ergibt sich somit für den angesprochenen Bereich die Wertungsrichtung "vom Kind her". Dabei werden diese Feststellungen allerdings selbst jene akzeptieren, welche von vorgegebenen Erziehungsbildern und Persönlichkeitsmustern ausgehen, nach denen das Kind zu "formen" sei. Die Aussage über die Wertungsrichtung bildet deshalb nur einen abstrakten Orientierungspunkt (entsprechend der Definitionsebene, auf welcher wir uns nach obigem 3-Stufen-Schema hier noch befinden). Der Wertungsinhalt ist dagegen davon abhängig, welcher Begriff der Persönlichkeit und welche Art der Persönlichkeitsentwicklung anerkannt werden l24 . 11. Rechtsdogmatische Überprüfung
1. Die Bedeutung einer rechtsdogmatischen Absicherung Für die Frage der abstrakt-definitorischen Erfassung des Kindeswohls bilden die Feststellungen seiner Persönlichkeitsbezogenheit und Vorrangigkeit schon erste Eingrenzungen. Für den Rechtsanwender bleibt "Persönlichkeitsbezogenheit" (auch auf der hier bewußt beibehaltenen abstrakten Ebene) ebenso wenig faßbar, wie der Begriff des Kindeswohls. Etwas anderes hätte erst zu gelten, wäre diese Kategorie in das existente dogmatische System zu integrieren. Denn eine der Aufgaben, die der Dogmatik verblieben sind, besteht darin, Orientierungshilfe für die Arbeit des Juristen zu leisten. Dies geschieht, indem sie Chiffren für bestimmte Regelungsinhalte zur Verfügung ~. U~l
123 So ausdrücklich insbesondere auch Jans/Happe (1980), S. 69 m. w. N. Die dort angesprochee Gefahr der unreflektierten subjektiven Wertung aus der Sicht des Urteilenden ist indes nicht die einzige Hürde, welche einer kindgemäßen Entscheidung entgegenstehen könnte. Die gleiche Gefahr geht von einer "objektiven Wertung" aus, welche nicht die subjektive Lage des Kindes und dessen subjektiven Bedürfnisse als einzig maßgebendes Entscheidungskriterium für den vorliegenden Zusammenhang anerkennt. 124 Siehe dazu schon die Ausführungen zum Persönlichkeitsbild des Grundgesetzes und dessen Wirkungen für die zivilrechtliche Wertung (3. Kapitel, 1. Abschnitt, vgl. vor allem aber die Ausführungen zum Streitpunkt "Erziehung" und/oder "Sozialisation" (3. Kapitel, 3. Abschnitt) sowie zu den "abstrakten zivilrechtlichen Sozialisationsinhalten"; S. 169, 174ff. Eine Konkretisierung wird indes erst mit Hilfe der Nachbarwissenschaften möglich sein (vgl. im nachfolgenden 3. Abschnitt).
14 Moritz
210
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
stellt 125, die als Knotenpunkte in einem expandierenden und sich ständig reformierenden dreidimensionalen Netzwerk verstanden werden können, die allerdings ihrerseits interpretationsbedürftig sind; sie fließen also allenfalls als ein Wertungsfaktor in die Fallentscheidung ein und ersetzen nicht eine Wertung (!)126. Die angestrebte und bisher nicht geleistete übergreifende Absicherung des Kindeswohls auf der hier vorliegenden abstrakt-definitorischen Ebene des obigen 3-Stufen-Schemas führt somit zu der Frage, ob das Kindeswohl, mit seinen (bislang) festgestellten abstrakten Inhalten, eine Entsprechung in den dogmatischen Kategorien findet bzw. mit diesen im Einklang steht. Die Persönlichkeitsbezogenheit des Kindeswohls, der Schutzgedanke sowie die körperlichen, geistigen und seelischen Komponenten des geschützten Rechtsgutes verweisen dabei auf Inhalte, wie sie von der Rechtsfigur des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts her bekannt sind. Fraglich ist, ob diese Rechtsfigur auch Auslegungshilfen im Rahmen des durch § 1627 BGB vorgeprägten (Innen)Verhältnisses zwischen Eltern und Kindern bieten kann. 2. Kindeswohl und zivi/rechtliches Persänlichkeitsrecht 2.1. Die Rechtsfigur des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts Der Durchbruch zu einer umfassenden Erweiterung, aber auch zu einer dogmatischen Neugestaltung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes erfolgte durch Entwicklung der Rechtsfigur eines allgemeinen Persönlichkeitsrechts l27 . Das Recht des einzelnen auf Achtung seiner Persönlichkeit durch Anerkennung eines den absoluten Rechten entsprechendes "sonstiges Recht" des "allgemeinen Persönlichkeitsrechts" wird heute allgemein anerkannt1 28 • Das zivilrechtlich'e Persönlichkeitsrecht soll für den Bereich des Privatrechts jenen Persönlichkeitsschutz gewährleisten, wie er durch Art. 1 und 2 Abs. 1 GG (primär) für das Verhältnis Bürger/Staat garantiert ist. Die Bedeutung der Verfassungsnormen liegt dabei darin, daß aus diesen das Gebot zu entnehmen ist, ein System des Persönlichkeitsschutzes bereitzustellen l29 • Innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen hat das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht als privatrechtliche Rechtsfigur eine auf diesen Rechtsbereich zugeschnittene Larenz (1975), 1979), S. 206. Zum Wertungserfordemis vgl. Larenz, aaO, mit zahlreichen weiteren Nachweisen und (insoweit) zutreffender Stellungnahme zu Esser, AcP 172 (1972), S. 98,101 ff. 127 Vgl. die grund1egendeEntscheidung in BGHZ 13, 334 und des weiteren etwa BGHZ 24, 72 ff.; BGHZ 27, 284. Zur historischen Entwicklung siehe bei Schlechtriem DRiZ 1975, 65 ff. 128 Vgl. statt aller BGHZ 24,72,76; BGHZ 27,284. 129 So zutreffend P. Schwerdtner, JuS 1978,289,291, m. w. N. 125
126
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
211
Eigenständigkeit. Insbesondere genießt das zivil rechtliche Persönlichkeitsrecht also keinen Verfassungsrang 130 • Der verfassungsrechtliche Persönlichkeitsschutz ist zwar auch Grundlage des zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes, eine Identität zwischen beiden besteht aber gerade nicht. Neben dem Schutz der in § 823 Abs. 1 genannten Rechtsgüter sowie dem Ehrenschutz über § 823 Abs. 2 BGB wird dem einzelnen über das allgemeine Persönlichkeitsrecht die Möglichkeit eingeräumt, Einbrüche in seinen Privatoder Intimbereich zu verbieten und bei Zuwiderhandlung ggf. Schadensersatz zu fordern l31 . Geschützt sind zivilrechtliche Rechtspositionen. Nicht etwa die Persönlichkeit des Menschen (!), sondern allein die persönlichkeitsbezogenen Rechtspositionen können deshalb in Gruppen aufgeteilt werden 132 • Üblicherweise wird differenziert nach 4 Fallgruppen unterscheidbarer Ausprägungen des Persönlichkeitsschutzes, nämlich nach Ansehen, Privatsphäre, Selbstbestimmung über Persönlichkeitsdetails sowie Selbstentfaltung132a ; in anderer Unterteilung nach Individual-, Privat- und Intimsphäre sowie speziellen gesetzlichen Regelungen 133 • Vergröbert 134 sind dabei mit Ansehen und Selbstentfaltung bzw. Individualsphäre die persönliche Eigenart des Menschen in seinen Beziehungen zur Umwelt gemeint; Privatsphäre kennzeichnet den Schutz eines privaten Freiraums, insbesondere die Gesamtheit privater Beziehungen sowie das Leben im häuslichen Bereich oder Familienkreis; Intimsphäre bzw. Selbstbestimmung über Persönlichkeitsdetails betrifft den Schutz der inneren Gedanken- und Gefühlswelt in ihren verdinglichen Erscheinungen wie Briefe, Tagebücher, Fotografien, Gesundheits- und Krankenpapiere, Beurteilungen etc. Die Entscheidung über die Auswertung verdinglichter Persönlichkeitsdetails soll dabei "regelmäßig allein dem Träger des Persönlichkeitsrechts" zustehen 135 •
P. Schwerdtner, aaO. P. Schwerdtner, aaO, S. 290. \32 Unklar insoweit diejenigen, weiche nach "geschützten Persönlichkeitsphären" unterteilen; vgl. etwa Palandtrrhomas, § 823, Anm. 15 B. \32a Schlechtriem DRIZ 1975, 66. \33 Palandtrrhomas, § 823, Anm. 15 B. Zur herkömmlichen Betrachtung der speziellen Persönlichkeitsrechte als Ausfluß des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vgl. indes P. Schwerdtner, aaO, m. w. N. in dortiger Fn. 16. 134 Zur Umreißung der Einzelbereiche vgl. ergänzend die Nachweise etwa bei Schlechtriem, aaO, und Schwerdtner (1977) sowie in der Kommentarliteratur zu § 823 BGB unter "Persönlichkeitsrecht" . 135 Schlechtriem, DRiZ 1975, 66, m. w. N. in den dort. Fn. 15 und 25. 130 13l
14*
212
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
2.2. Die Bedeutung des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts im vorliegenden Zusammenhang 2.2.1. Vergleichbarkeit der Problemfelder Das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht hat zunächst den allgemeinen Inhalt, die Persönlichkeit vor Beeinträchtigungen durch andere zu schützen 136 . Eingriffe sind prinzipiell nicht gerechtfertigt 137 • Vergegenwärtigen wir uns obige Feststellungen (1.) der Persönlichkeitsbezogenheit (unter ,,§ 4 C I 1") sowie (2.) der Vorrangigkeit des Kindeswohls (unter,,§ 4 C I 2"), folgt schon daraus die Kongruenz beider Regelungsgegenstände. Wird zudem der vorstehende Katalog der Rechtspositionen herangezogen, welche vom zivilrechtlichen Persönlichkeitsrecht umfaßt sind, so ergeben sich verschiedene Problembereiche, die im Zuammenhang mit der Konkretisierung der Kindesbefugnisse im Eltern/Kind-Bezug von Interesse sind. Fragen des Umgangs mit dem eigenen Körper (Gesundheitspflege, ärztliche Behandlung, Drogengebrauch, Geschlechtlichkeit) wären nach persönlichkeitsrechtlichen Kategorien zu schützen; die Fragestellungen des Brief-, Tagebuch- und Schreibtischgeheimnisses zählten zur Fallgruppe Selbstbestimmung/Intimsphäre; die Probleme des eigenen Hausrechts im Kinderzimmer sowie der Umgangsverbote beträfen die Fallgruppe Privatsphäre; das Verbot entwürdigender Erziehungsrnaßnahmen (§ 1631 Abs. 2 BGB) schließlich entspräche schon früherem Persönlichkeitsschutz über § 823 Abs. 2 BGB. Ebenso betreffen etwa die Fragen aus dem Nichtehelichenrecht der §§ 1720, 1617 Abs. 2 BGB oder etwa das Recht auf Feststellung der eigenen Abstammung 138 Problembereiche, wie sie vom zivilrechtlichen Persönlichkeitsrecht berücksichtigt sind. Schließlich aber betreffen auch die Fragen der Sorgerechtsverteilung nach der Scheidung, der Annahme als Kind sowie der Begründung einer Dauerpflegschaft unter persönlichkeitsrechtlichen Gesichtspunkten aus dem Blickwinkel des Kindes nichts anderes als die Garantie des persönlichkeitsadäquaten139 privaten Freiraums. Somit ist festzustellen, daß die mit dem Kindeswohl bezweckten Mindestgarantien ihre inhaltliche Entsprechung in den durch die Rechtsfigur des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts geschützten Rechtsgütern haben.
P. Schwerdtner, MünchKomm., Bd. 1, § 12, Rn. 206, m. w. N. P. Schwerdtner, JuS 1978, 290, m. w. N. in der dort. Fn. 20. Differenzierend Schlechtriem, DRiZ 1975, S. 66 f. 138 Vgl. BGH ZbIJugR 1982, 168. 139 Zum Begriff der Adäquanz in diesem Zusammenhang sowie insbesondere zu der damit verknüpften Problematik der Willensbildung und Willensartikulation bei Kindern vgl. im nachfolgenden 3. Abschnitt, § 2, dieses (3.) Kapitels. 136 137
1. Abschn.: Der Begriff des Kindeswohls
213
2.2.2. Ähnlichkeit oder Entsprechung sowie Identität oder Bereichsspezifität der Rechtsfolge?
Das allgemeine Persönlichkeitsrecht will, wie ausgeführt, Lücken im Persönlichkeitsschutz schließen. Garantiert wird dieser Schutz im wesentlichen durch die Androhung von Schadensersatzsanktionen. Es wird ein persönlichkeitsrechtlicher Freiraum nicht in Form eines Anspruches auf ein bestimmtes Tun gewährt, sondern mittelbar, durch Zubilligung von Abwehransprüchen. Daß auch beschränkt Geschäftsfähige Träger dieses Rechts sein können, darüber besteht kein ZweifeP40. Vorliegend geht es allerdings nicht um jenen Regelfall des deliktischen Abwehranspruches, sondern um die Frage des Schutzes persönlichkeitsrechtlicher Positionen im familiaren Bereich durch Garantie eines Freiraumes. Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern innerhalb dieses Freiraumes sind in den §§ 1626 f. BGB erwähnt. Die Berücksichtigung von Kindespositionen ist den Eltern bei ihrer Sorgerechtsausübung "in eigener Verantwortung" (§ 1627 BGB) gemäß § 1626 Abs. 2 BGB ausdrücklich aufgegeben. Die Betonung der Eigenverantwortlichkeit in § 1627 BGB ist nicht in dem Sinne zu verstehen, daß die Berücksichtigung persönlichkeitsrechtlicher Positionen des Kindes in das freie Ermessen der Eltern gestellt wäre. Eine solche Auslegung widerspräche den Feststellungen im 2. Kapitel, wonach das Elternrecht seine Legitimation gerade darin findet, persönlichkeitsrechtliche Positionen des Kindes zu achten und zu fördern 141 . Die einfachgesetzliche Regelung hat diese verfassungsrechtlichen Leitlinien zu beachten 142 ; entsprechendes gilt für die Gesetzesauslegungl43 . Im übrigen ist der Anspruch auf Achtung persönlichkeitsrechtlicher Positionen auch in familienrechtlichen Verhältnissen zumindest für die Beziehungen der Eheleute zueinander anerkannt 144 . Im vorliegenden Zusammenhang wird nicht zur Begründung von Schadensersatzansprüchen auf das Persönlichkeitsrecht rekurriert, sondern um das Schutzgut zu konkretisieren und um zu belegen, daß die Rechtsordnung das Erfordernis, die bezeichneten Rechtsgüter zu schützen, grundsätzlich anerkennt. Für die Fragen der Durchsetzung des Schutzes sowie der Sanktionierung von Verstößen ist zuvor die weitere Frage der Verträglichkeit mit dem Regelungsraum (hier: Familie) zu klären. Die beschriebenen Eigenarten der Familie als Sozialisationsraum 145 gebieten dabei nicht notwendig, das Hubmann (1967), S. 333; P. Schwerdtner (1977), S. 101. Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt; insbes. S. 135 ff. Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B 112. Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B 112. Siehe schon RGZ 108, 230 sowie Warn 27, 138. Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3, S. 101 ff. und im 3. Kapitel, 2. Abschnitt, § 2, S. 160 ff. 140
141 142 143 144 145
214
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Anspruchsdenken aus diesem Bereich überhaupt zu eliminieren146 . Gleichwohl ist Familienrecht, jedenfalls in seinem sozialisationsbezogenen Bereich, nicht auf bestimmte strukturierte Rechte im subjektiven Sinne zu reduzieren 147 , 148. Anzuerkennende subjektive Rechte der Familienmitglieder unter einander sind somit zugleich stets auch unter der Prämisse zu prüfen, ob sie mit der Aufgabe der Familie als Sozialisationsraum vereinbar sind. Die Heranziehung schuldrechtlicher Kategorien wie das "Verschulden" paßt nicht für die rechtliche Bewertung von Sozialisationsbeziehungen. Daraus folgt, daß in dieses Schema auch nicht Verschulden und Rechtsfolgen passen, wie diese bei der Rechtsfigur des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts vorgesehen sind. Es tritt deshalb Verantwortenkönnen (bzw. im Umkehrschluß: Nichtverantwortlichkeit i. S. objektiver Pflichtwidrigkeit) an die Stelle von subjektiver Vorwerfbarkeit (d. h. von Verschulden)149. Daraus ergibt sich, daß die Struktur der angesprochenen persönlichkeitsrechtlichen Positionen jener des Allgemeinen Persönlichkeitsrechts entspricht; die Rechtsfolgen sind jedoch unterschiedlich. Es handelt sich um einen Fall regelungstatbestandlicher Entsprechung 150 , bei welchem die Rechtsfolge indes bereichsspezifisch ist151 . Die Rechtsfolgen für Fälle objektiver Pflichtwidrigkeit im sozialisationsbezogenen Bereich sind in § 1666 BGB genannt 152 , bis hin zur ultima ratio des § 1666 a BGB. III. Die sich ergebende übergreifende, abstraktdefinitorische Konkretisienmg des Kindeswohls
Aus den bisherigen Feststellungen dieses Abschnitts ergibt sich somit auf der abstrakt-definitorischen Ebene des entwickelten 3-Stufen-Schemasl.'i3 eine Konkretisierung des Kindeswohls durch die Kategorien:
Siehe schon im 3. Kapitel, 1. Abschnitt; vgl. die Nachweise in der dort. Fn. 12. Gernhuber (1980), S. 8. 148 Gleichwohl steht andererseits das Familienrecht nicht völlig unverbunden neben den anderen Teilen des BGB; vgl. schon Dölle (1964), S. 12, so richtig auch Gernhuber (1980), S. 8. 149 Konsequent insofern die Neufassung des § 1666 BGB; vgl. die weiteren Nachweise bei JanslHappe (1980), S. 139 f. 150 Es liegt keine atypische Analogie vor, bei welcher ähnliche Sachverhalte gegeben wären mit indes unterschiedlichen Rechtsfolgen - was sollte ein solches Modell auch?-. 151 Die Konstruktion, die positiv normierte Rechtsfolge in Abhängigkeit vom konkreten Anwendungsbereich wertend zu variieren, findet sich auch woanders; vgl. etwa die Rechtsprechung zum Mangelfolgeschadenrecht nach Kauf- und Werkvertrag (BGHZ 46,238; BGHZ 60,9 ff.; BGH NJW 1978, 2241, m. w. N.). 152 Vgl. die Einzelwertungen im 6. und 7. Kapitel. 153 Siehe in diesem Paragraphen unter "B". 146 147
2. Abschn.: Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes
215
(a) Persänlichkeitsbezogenheit, (b) Reduzierung auf das Familieninternum, mit allenfalls mittelbarer Außenwirkung, (c) Prinzip des Vorbehalts bzw. des absoluten Vorranges sowie (d) Wertungsansatz "vom Kind her". Dabei umfaßt das Kindeswohl im Sinne einer Mindestgarantie die durch das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht geschützten Positionen, beschränkt auf den Sozialisator/Kind-Bereich für die Phase bis zur Volljährigkeit des Sozialisanden; an die Stelle deliktsrechtlicher Sanktionen treten insoweit familienrechtsspezifische, nämlich jene der §§ 1666, 1666 a BGB. Vor der noch ausstehenden inhaltlichen Konkretisierung des Kindeswohls ist der Begriff zuvor gegenüber dem Kindesinteresse abzugrenzen und ist auf die Bedeutung der ebenfalls im Zusammenhang mit dem Eltern/Kind-Verhältnis verwendeten Begriffe von Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes einzugehen.
2. Abschnitt
Begriff und Abgrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse sowie Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes § 1 Der Begriff des Kindesinteresses
A. Die Verwendung im Gesetz sowie die Deutungen von·Literatur und Rechtsprechung
Die Schwierigkeiten bei dem angestrebten und verfassungsrechtlich gebotenen Interessenausgleich liegen vorwiegend darin, daß die Rechtspositionen des Kindes nicht eindeutig fixiert sind. Dies kommt schon in der Gesetzesterminologie zum Ausdruck. So werden neben dem erwähnten zentralen Begriff des Kindeswohls verschiedentlich Interessen des Kindes genannt (§ 1671 Abs. 4, 1683 Abs. 3, 1693, 1696, 1796 Abs. 2, 1803 Abs. 2, 1846, 1857, 1765 Abs. 2 Satz 1, 1887 Abs. 2 Satz 2,1745 sowie etwa § 1795 BGB). Neben dem unerweiterten Begriff des Kindesinteresses findet sich im Gesetz noch seine Verwendung mit attributiven Erweiterungen. So erwähnen die §§ 1765 Abs. 2 Satz 1 und 1887 Abs. 2 Satz 1 BGB ein "berechtigtes Interesse". §§ 1745 und 1969 BGB verlangen ein "überwiegendes Interesse". Der Terminus des Kindesinteresses wird zudem im Gesetz in unterschiedlichen Zusammenhängen verwendet. §§ 1671 Abs. 4 u. 1683 Abs. 3 - in einer Negativklausel auch § 1745 Satz 2 BGB sowie § 1803 Abs. 2 BGB hinsichtlich der Tätigkeit des Vormundes bei Erbschaft oder Schenkung - betreffen Ver-
216
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
mögensinteressen. Bezogen auf den Gesamtbereich der elterlichen Sorge findet der Begriff des Kindesinteresses in den §§ 1693, 1696 BGB Berücksichtigung; eine entsprechende Regelung enthalten für den Vormund §§ 1796 Abs. 2, 1857 BGB und, bezogen auf die Zeit vor Bestellung eines Vormundes, § 1846 BGB. Die Fälle des "berechtigten Interesses" beziehen sich auf Ausnahmesituationen; so auf die Betreibung der Aufhebung der Vormundschaft durch Dritte (§ 1887 Abs. 2 Satz 2) bzw. auf die Beibehaltung des Adoptionsnamens nach Aufhebung der Kindesannahme (§ 1765 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Situation divergierender Kindesinteressen ("überwiegendes Interesse") berücksichtigen §§ 1745, 1796 BGB, bezogen auf die Gesamtlebenssituation der Kinder des Annehmenden bei beabsichtigter Adoption. Interessengegensätze bei der gesetzlichen Vertretung betreffen als allgemeine Kollisionsnormen schließlich § 1629 Abs. 2 und Abs. 3 und - für den Vormund - § 1795 BGB sowie §§ 1638, 1639 ff., 1667, 1670 BGB bezüglich des Vertretungsrechts bei der Vermögenssorge für unentgeltliche Zuwendungen. Die Respektierung von Interessen des Kindes wird auch in der Literatur vor allem unter dem Aspekt der Interessenkollision mit den gesetzlichen Tatbeständen der §§ 1629, 1795, 181 behandelt l • Finger2 benutzt Kindeswohl und Kindesinteresse synonym. Im übrigen findet der Terminus - mehr oder weniger zufällig - Verwendung als allgemeiner Oberbegriff3 zur Beschreibung der rechtlichen Kindespositionen oder auch nur der Wertungslage bei kindbezogenen Entscheidungen4 • Die Verwendung des Begriffs des Kindesinteresses ist somit unterschiedlich. Festzustellen ist, daß er in den Gesetzesmaterialien sowie in der rechtlichen Diskussion besonders in bezug auf vermögensrechtliche Positionen sowie im Unterhaltsrecht gebräuchlich ist, wobei der Begriff jedoch nicht ausschließlich in diesem Bezug Verwendung findet. B. Eigene Deutung: Kindesinteresse und seine Abgrenzung zum Begriff des Kindeswohls
Interesse kann in Anlehnung an seinen lateinischen Wort-Ursprung als Dazwischensein i. S. von Involviertsein verstanden werden 5 • Im psychologischen Verständnis hat Interesse einen instinktiv/emotionalen Kern; soziologisch wird es als zweckgerichtetes Streben von einzelnen oder kollektiven SubI Vgl. etwa Beitzke, Lehrbuch, S. 207; Gernhuber (1980), § 51 III und IV, § 65114; Henrich (1980), § 19 I 2, § 23 IV 5. 2 (1979), S. 304, unter "a". 3 So vor allem Simitis, in Simitis u. a. (1979), S. 49 sowie in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 100. 4 So Strätz, FamRZ 1975, 541, 547 und Tourneau in Kühnffourneau (1978), S. 9. 5 So die allgemeine Deutung nach Brockhaus oder Duden.
2. Abschn.: Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes
217
jekten verstanden 6 • Alltagssprachlich schließlich gibt es eine fast unübersehbare Bedeutungsverknüpfung7 • Im Recht wird Interesse mit ganz unterschiedlichen attributiven Ergänzungen gebraucht. So das "negative -" und "positive Interesse" sowie das "subjektive -" und "objektive Interesse" im Schadensrecht, das "rechtlich geschützte Interesse" als Umschreibung eines subjektiven Rechts, das "rechtliche Interesse" zum Beispiel nach § 256 ZPO, das "Interesse der Allgemeinheit" i. S. des "ordre public" u. w. mß. Der Bundesgerichtshof meint deshalb, daß es "nicht möglich (sei), den Begriff ... für alle gesetzlichen Bestimmungen in gleicher Weise ... festzulegen". Er müsse vielmehr "für jede Bestimmung unter Berücksichtigung der Interessenlage aller betroffenen Personen besonders bestimmt werden"9. Nicht gefolgt ist der BGH damit der Auffassung, welches Interesse als Gesetzesbegriff umfassend umschrieben sieht durch die zwei möglichen Inhalte des "inneren -" sowie des "äußeren Interesses"; "inneres Interesse" bezeichnet dabei die "Beziehung zwischen dem Bedürfnis einer Person und der Möglichkeit zur Befriedigung des Bedürfnisses", "äußeres Interesse" meint "eine durch äußere Tatsachen geschaffene unmittelbare Beziehung der Person zu einer anderen Person, einer Sache oder einem Vorgang"lO. Die oben angeführte Verwendung des Interesse-Begriffes etwa im "ordre public" zeigt die Schwierigkeit der Unterscheidung zwischen "äußerem -" und "innerem Interesse". Zu den Beispielen zum "äußeren Interesse" meint der Urheber dieser Differenzierung zudem selbst, daß diese Beziehungen nur selten Interesse genannt würden ll . Im Ergebnis ist deshalb dem BGH und der diesem zustimmenden Auffassung beizupflichten, daß der Begriff des Interesses als Gesetzesbegriff sehr unterschiedliche, spezielle Zusammenhänge betrifft 12 . Im BGB steht "Interesse" vorwiegend als Bezeichnung des Umfanges des Schadensersatzes 13 • Obige Beispiele zeigen jedoch, daß der Begriff aber auch im BGB nicht allein in dieser Variante Verwendung findet. Interesse und auch "Kindesinteresse" umschreiben zunächst einfach die Bedürfnisse und Vorteile, ja die allgemeine Lage einer Person oder Personengruppe. Diese unspezifische Anwendung begreift Interesse als allgemeinen OberbeHabermas (1968); Neuendorff (1973). Vgl. die Beispiele bei Wieser (1965), Fn. der S. 18 f. 8 Zum grundlegenden Rückbezug des Rechts auf Interessen vgl. schon v. Ihering (Geist des römischen Rechts, 5. Aufl., Leipzig 1906), Teil 3, Fn. 448; ders. (1884). 9 BGHZ 4, 323, 325. Zustimmend etwa: Schwab (1985), S. 6; Wieser (1965), S. 18 ff. 10 Zu den Begriffen und ihren Konkretisierungen vgl. Spohr (1930), S. 9 ff. 11 Spohr, aaO. 12 BGHZ 4,323,325; Schwab (1985), S. 6, m. w. N. 13 Vgl. etwa Schwab, aaO, S. 6,316. 6 7
218
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
griff. Danach wären auch die individuellen Kindeswohlpositionen als Inhalte eines Kindesinteresses zu definieren. Dies entspricht etwa der von Finger und Simitis praktizierten Anwendung des Begriffs des Kindesinteresses 14 • Neben dieser Verwendung als allgemeiner Oberbegriff für die Bezeichnung der Kindespositionen hat das Kindesinteresse jedoch zusätzlich eine eigene Bedeutung: Von der Benutzung als allgemeiner Oberbegriff ist der Begriff des Kindesinteresses im eigentlichen, engeren Sinne abzugrenzen 15 . Dies erscheint nicht nur deshalb als sinnvoll, um einer ungenauen Begrifflichkeit zu begegnen 16 • Vielmehr wurde aufgrund der getroffenen Definition und Konkretisierung des Kindeswohls festgestellt, daß der Begriff des Kindeswohls nicht identisch ist mit allen möglichen Kindesinteressen. Wenn dies aber so ist, bedarf es einer Differenzierung zwischen Kindeswohl und dem Restbereich möglicher Kindespositionen, also einem Kindesinteresse im engeren Sinne. Aus der getroffenen Abgrenzung zum Kindeswohl ergibt sich schon die erste Konkretisierung des Kindesinteresses i. e. S. Es betrifft jene Kindespositionen, welche nicht zum Kindeswohlbereich zählen. Eine weitere Konkretisierung schafft das verfassungsrechtlich begründete Gebot einer echten Interessenabwägung 17 • Es schließt prinzipiell eine nicht hinterfragbare Bestimmung des Kindesinteresses (i. e. S.) durch die Sorgeberechtigten aus; entsprechend wird vom BGB auch ein eigenes vermögensrechtliches Interesse des Kindes anerkannt und eine etwaige Entziehung der Vermögenssorge für möglich gehalten (vgl. §§ 1667 ff. BGB). Kindesinteresse i. e. S. bezieht sich somit auf den Bereich der Kindespositionen, welche nicht zum Kindeswohl zählen. Auch das Kindesinteresse als Gesetzesbegriff fordert wie der sonstige Interessebegriff eine Abwägung zwischen den Betroffenen- und Drittpositionen. Kindesinteresse i. e. S. ist nicht eindimensional zu begreifen, sondern zweidimensional als wechselseitige Bezugsetzung unterschiedlicher Positionen des Kindes und sonstiger Personen. Kindesinteresse ist also nicht (auch nicht abstrakt/dogmatisch) vorgegeben. Vielmehr setzt es die Ergründung der Seins- und Wollenslagen und deren Gegenüberstellung voraus. Diese Interpretationen erfolgen vom Subjekt her aufgrund konkreter Äußerungen und/oder der Analyse der subjektivierten Situationsdaten. Entsprechend erfolgt auch ein Interessenausgleich nicht linear, sondern aus der wechselseitigen wertenden Bezugsetzung (mindestens) zweier Zustandsdifferenzen. Hieraus wird aber zugleich auch der Unterschied zwischen den Begriffen des Kindeswohls und des Kindesinteresses i. e. S. deutlich. Denn KindesinterSiehe die Nachweise in den vorstehenen Fn. 2 und 3. Kritisch zu einem solchen allgemeinen Interesse-Begriff aber schon Posen er (1909), S. 815. 16 Vgl. Posener (1909), S. 815. 17 Siehe schon im 3. Kapitel, 1. Abschnitt. 14 15
2. Abschn.: Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes
219
esse als Gesetzesbegriff bezieht sich auf das Ergebnis einer unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben grundsätzlich freien Abwägung zwischen unterschiedlichen Positionen. Demgegenüber ist das Kindeswohl, wie festgestellt 18 , abstrakt-definitorisch vorherbestimmt, um so dann einzelfallbezogen, unter Berücksichtigung der bereichsspezifischen Auslegungskategorien sowie der individuellen und sonstigen speziellen Umstände des konkreten Falles konkretisiert zu werden. Eine Abwägung mit den Belangen Dritter - etwa ein Ausgleich von Elterninteressen und Kindeswohl - findet im Kindeswohlbereich aufgrund des Prinzips des Vorbehaltes bzw. des absoluten Vorranges des Kindeswohls nicht statt 19 • Somit ist festzustellen: Kindesinteresse umfaßt als Oberbegriff das Kindeswohl sowie das Kindesinteresse i. e. S. Kindeswohl und Kindesinteresse i. e. S. betreffen ihrerseits verschiedene Bereiche. Zum Bereich des Kindeswohls zählen die persänlichkeitsbezogenen Belange. Dort gelten vor allem das Prinzip des Vorbehalts bzw. des absoluten Vorranges der Kindesposition sowie der Wertungsansatz "vom Kind her". (Nur) im Kindesinteressebereich gibt es dagegen zur Definition anzuerkennender rechtlicher Ansprüche des Kindes auch eine Abwägung widerstreitender Interessen verschiedener Rechtssubjekte. Die Rechtsfindung findet in der Weise statt, daß bei allen Betroffenen je für sich eine Analyse der subjektivierten Situationsdaten vorgenommen wird und sodann die festgestellten individuellen Interessen gegen konkurrierende Interessen der anderen Rechtssubjekte (also der Eltern sowie ggf. sonstiger Dritter) abgewogen werden.
c. Die abstrakt-definitorische Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse und das Stufenschema kindlichen Handeins
Nach den aus der Gesetzesanalyse abgeleiteten abstrakt-definitorischen Beziehungen von Kindeswohl und Kindesinteresse ist die am Ende des 4. Abschnitts des 3. Kapitels, S. 184, aufgestellte Stufenskala hinsichtlich der dortigen Wertungsstufen zu bestätigen. Die begriffliche Konkretisierung von Kindeswohl und Kindesinteresse ermöglichen nunmehr, in Erfüllung des rechtlichen Wertungsgebotes20 den Gesichtspunkt ggf. widerstreitender Positionen (zunächst) operational zu erfassen. Die begriffliche Trennung von Kindeswohl und Kindesinteresse kennzeichnet zugleich die Bedeutung von Drittpositionen für die kindbezogene rechtliche Wertung. Wegen des Vorbehaltes bzw. Vorranges des Kindeswohls21 scheidet für diesen Bereich eine Abwägung zwischen Kindes- und Drittpositionen aus. Die Drittpositionen sind am Kindes18 19
20 21
Vgl. in diesem 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C III. Tendenziell ebenso Limbach NJW 1982, 1721, 1727. Vgl. grundlegend v. Ihering (1906); ders. (1884). 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C I.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
wohl zu messen und erlangen allenfalls über dieses Ausdruck (z. B. Entsprechung von Sozialisationsbedeutung des nichtsorgeberechtigten Elternteils für das Kind und Besuchsrecht des Nichtsorgeberechtigten22 ). Dabei ist die Leitnorm 23 des § 1627 Satz 1 BGB zu beachten, welche sich, wie ausgeführt24, auf den Gesamtbereich der elterlichen Personensorge bezieht, weshalb Vorrang bzw. Vorbehalt des Kindeswohls das gesamte Personensorgerechtsverhältnis betreffen. Zu diesem Kindeswohl-Bereich zählen die Stufen 1/1 u. 1/2 des Schemas25 . Im Gegensatz zum Kindeswohl hat bei den Kindesinteressen definitionsgemäß26 eine Interessenabwägung stattzufinden. Dabei kennzeichnet Stufe 1/3 des Schemas27 eine Übergangssphäre, bei welcher im einzelnen zu prüfen ist, ob noch der Kindeswohlbereich gegeben ist (z. B. Gewährung von Taschengeld) oder Fragen der Persönlichkeitsentwicklung nur sekundär und dagegen (z. B.) ökonomische Interessen im Vordergrund stehen, also der InteressenBereich dominiert (etwa Unterhaltszahlungen). Denkbar wäre auch die Erstreckung über beide Bereiche (z. B. Finanzierung einer Ausbildung), wobei entsprechend dem gesetzlichen Vorbild (§ 1610 Abs. 2 - § 1631 a Abs. 2 BGB) eine getrennte Würdigung zu erfolgen hätte und die Lösung nicht etwa in einer Suspendierung des Kindeswohls zu sehen wäre. Allenfalls kann der Kindeswohlvorbehalt dazu führen, daß die Interessenwertung entsprechend beeinflußt wird, also eine nach Kindeswohlgesichtspunkten angemessene Ausbildung auch finanziert werden muß. Interessenbereiche besonderer Art betreffen die Stufen von 11/4 bis 11/6 des Schemas28 . Die Dominanz der Rechtssicherheit wurde schon verfassungsrechtlich hergeleitet29 . Eingedenk dieses Vorranges ist die wertungsmäßige Bedeutung des Kindesinteresses reziprok dem Abstraktionsgrad der betroffenen Rechtsbeziehung. Je mehr also der Typus des Rechtsgeschäftes die Individualität der Beteiligten (jedenfalls) auch umschließt (deutlich etwa beim Auskunfts- und Beratungsanspruch gegenüber dem Jugendamt; entsprechend die Beziehungen Jugendlicher-Arbeitgeber; strittig in den Fällen medizinischer Betreuung), desto größere Bedeutung gewinnt das Kindesinteresse; je abstrakter die Personenbeziehungen werden (z. B. gewöhnliche Rechtsgeschäfte), desto größere wertungsmäßige Bedeutung gewinnt das Allgemeininteresse in der Form der Sicherheit des Rechtsverkehrs; das Kindesinteresse Vgl. im einzelnen Moritz, ZbIJugR 1982, 768, 772 ff. So JanslHappe (1980), S. 45; siehe auch Hinz, MünchKomm., Bd. V/2, § 1627, Rn. 3. Vgl. auch BVerfGE 10, 59, 79 sowie BT-DIS 7/2060, S. 15. 24 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C. 25 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2; S. 184. 26 Vgl. vorstehend unter "A" und "B". 27 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2; S. 184. 28 aaO. 29 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 C II; vgl. auch im 3. Kapitel, 4. Abschnitt. 22 23
2. Abschn.: Wille, Fähigkeit und Bedürfnis des Kindes
221
schlägt sich insoweit lediglich darin nieder, daß die Verkehrssicherheit30 unter dem inzidenten Vorbehalt der Erforderlichkeit steht. Eine Besonderheit stellt schließlich die Stufe III/7 des entworfenen Schemas3! dar, als hier (vor allem) die wirtschaftlichen Belange der Beteiligten betroffen sind. Somit findet eine Interessenabwägung im eigentlichen Sinne statt. Hinsichtlich der Haftung gilt allerdings das Prinzip der diligentia quam in suis (§ 1664 BGB); der Tatsache der quasi natürlichen Vertretungsbefugnis in Vermögensangelegenheiten wird durch die Eingriffsmöglichkeiten des § 1667 BGB sowie der besonderen Vorbehalte der §§ 1638 ff. BGB Rechnung getragen. § 2 Wille, Bedürfnis und Fähigkeit des Kindes
Zwischen Wille, Bedürfnis und Fähigkeit (des Kindes) besteht der folgende allgemeine begriffliche Zusammenhang: Bedürfnis bezeichnet einen vorhandenen oder geweckten Seinszustand mit Veränderungsbegehren. Der Wille dient (u. a.) der Artikulation dieses Änderungsbegehrens. Die Fähigkeit bezieht sich auf ein Können der Umsetzung; dies betrifft intern die Artikulations- und Willensbildungsfähigkeit (ggf. in Richtung auf eine rechtliche Handlungsfähigkeit) sowie extern die Frage der Teilhabe an Macht (mit der Folge ggf. zugebilligter Kompetenzen) und Ressourcen.
Wille, Bedürfnis und Fähigkeit des Kindes stellen begriffliche Unterkategorien zum Kindeswohl bzw. Kindesinteresse dar!. Zwischen einerseits Wille und/oder Bedürfnis und/oder Fähigkeit des Kindes sowie andererseits Kindeswohl bzw. Kindesinteresse besteht ein Bedingungszusammenhang. So verknüpft das Gesetz in seinem § 1626 Abs. 2 S. 1 BGB selbst (wachsende) Fähigkeit und Bedürfnis mit einer speziellen Art der Willensbetätigung, dem verantwortungsbewußten Handeln, welches seine (logische) Vorstufe, die Willensbildungsfähigkeit, umfaßt. Die Ignorierung dieser Willensbildung und Willensbetätigungsfähigkeit bedeutete einen Eingriff in das KindeswohF und hätte in den übrigen Rechtsbeziehungen bei der Bestimmung der Kindesposition als Voraussetzung und im Rahmen der Interessenabwägung in die Wertung einzufließen3 . 30 Zum Zusammenhang zwischen Rechtssicherheit und Verkehrssicherheit vgl. im nachfolgenden 3. Abschnitt. 3! 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2, S. 184. 1 Entsprechend für den Kindeswillen insbesondere Dürr (1977), S. 10; Eil, ZbIJugR 1980,322; Giesen, NJW 1972, 288; Lempp, NJW 1963,1661; Röcker - bei Dürr (1977), S. 559 -; Zenz (1975), Bd. 2, S. 177. 2 Vgl. die Bezugsetzung in BT-DrS 7/2060, S. 33, unter Ziff. 11. 3 Zum Zusammenhang von Kindeswillen und Vermögensinteresse vgl. etwa BT-DrS 7/2060, S. 16, Ziff. 12.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Nach der abstrakt-definitorischen Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse sowie der Umschreibung von Wille, Bedürfnis und Fähigkeit des Kindes ist es nunmehr möglich, das Kindeswohl und Kindesinteresse (i. e. S.) inhaltlich weiter zu konkretisieren. Dies geschieht durch Präzisierung der Wertungskategorien der Persönlichkeitsbezogenheit, als zentraler Maßstab des Kindeswohls, sowie der Willensfähigkeit, als Bezugspunkt sowohl für das Kindeswohl als auch für das Kindesinteresse, und einer Bezugsetzung der Kindespositionen zu den Elternbefugnissen sowie einer Einbindung der Kindesinteressen in ein den zivilrechtlichen Interessenausgleich, wiederum unter besonderer Berücksichtigung der Elternbefugnisse.
3. Abschnitt
Die inhaltliche Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse und ihre Einbindung in einen zivilrechtlichen Interessenausgleich, unter besonderer Berücksichtigung der Eltembefugnisse § 1 Die aUgemeinen SoziaIisationsvoraussetzungen
der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung A. Persönlichkeitsentwicklung sowie Kindeswohl und Kindesinteresse
Kindeswohl bezieht sich, wie gezeigt wurde und anerkannt ist 1, auf die Persönlichkeitspositionen des Kindes. Den zentralen Gegenstand des Kindeswohls bildet deshalb die inhaltliche Fixierung eines allgemeinen Persönlichkeitsrechtes in der besonderen Konstellation des Persönlichkeitsschutzes während der Sozialisation im primären sowie sekundären Sozialisationsbezug2 . Die dabei zu erörternde Frage der Willensfähigkeit macht auch den zentralen Gesichtspunkt des Problembereichs der Bestimmung und rechtlichen Handhabung von Kindesinteressen aus, mit einem zusätzlichen Gewicht bei der Komponente der Artikulationsfähigkeit. Danach ist zunächst der Persönlichkeitsbegriff zu konkretisieren und sind einige zentrale Komponenten der Persönlichkeitsentwicklung herauszuarbeiten. Dabei kann es nicht darum gehen, einen Normalmaßstab der Persönlichkeit zu entwickeln. Angestrebt ist auch keine Vereinheitlichung der Kindeserziehung. Den zur Herstellung des Gesellschaftsbezugs und zur Analyse des Vgl. in diesem (4.) Kapitel, 1. Abschnitt, § 3 C III und § 4. Zum Zusammenhang von Kindeswohl und allgemeinem Persönlichkeitsrecht vgl. schon im obigen 1. Abschnitt dieses (4.) Kapitels, § 4 C 11 2. 1
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3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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Gesellschaftsausschnitts heranzuziehenden Nachbardisziplinen3 ist zum Beispiel die Abweichungs- und Schichtenproblematik durchaus bekannt4 • Sie untermauern deshalb argumentativ eine differenzierende Betrachtung und widersprechen damit dem von manchen Juristen vorgebrachten Einwand der "Gleichmacherei"5. Primär für das Kindeswohl, grundsätzlich aber auch für eine nähere Konkretisierung des Kindesinteresses ist es somit erforderlich, den Begriff der Persönlichkeit inhaltlich auszufüllen. B. Konkretisierung des Begriffs der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung im Gesetz und in der Fachdiskussion
Das Grundgesetz enthält die Zielprojektion einer kompetenten Persönlichkeit; es definiert diese gerade nicht6 . Entsprechend verhält es sich mit den partikulärrechtlichen Ausgestaltungen. Die Konkretisierung der Umstände und Voraussetzungen einer Persönlichkeit der Nichtvolljährigen hat der Gesetzgeber, wie gezeigt, mit Hilfe des unbestimmten Rechtsbegriffs des Kindeswohls der Wertung der Gesetzesanwendung überantwortet7 • Persönlichkeitsbezogen sind die schon erwähnten, von Rechtsprechung und Literatur insbesondere im Scheidungsfolgenrecht gebrauchten Maßstäbe des "Kontinuitätsgrundsatzes" , des "Förderungsprinzips" und der "Erziehungsfähigkeit"8. Diese Beurteilungsmaßstäbe konkretisieren jedoch kein Persönlichkeitsbild, welches die Rechtsanwender von den Nichtvolljährigen hätten. Diese Prinzipien stellen vielmehr ihrerseits schon Schlußfolgerungen aus unterstellten Persönlichkeits- und Entwicklungsstrukturen dar. Welcher Art diese sind, bleibt freilich offen. Ebenso bleibt das Verfahren zur Erschließung der Zusammenhänge ungeklärt. Das OLG Hamburg9 deutet die Entscheidungsrelevanz der "neueren Erkenntnisse auf dem Gebiet der Kinderpsychologie und -psychiatrie" an; es seien das "Alter", die "bisherige Entwicklung" (des Kindes) sowie das " Verhältnis zu den bisherigen und künftigen Bezugspersonen zu berücksichtigen "10. Die konzeptionelle Orientierungslosigkeit wird jedoch offenbar, wenn dasselbe Gericht im nämlichen Zusammenhang Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B. Siehe schon bei MoritzlMeier (1982), S. 171 ff. 5 Von "Gleichmacherei" spricht etwa Schmitt Glaeser, DÖV 1978, 632 f. 6 Zum Menschenbild des Grundgesetzes vgl. im 2. Kapitel sowie im einzelnen auch in MoritzlMeier (1982), S. 1 ff. 7 Siehe im vorstehenden 1. Abschnitt dieses (4.) Kapitels. 8 Siehe schon die Darstellung und Stellungnahme im 1. Abschnitt, § 3 ClIund § 4 B dieses (4.) Kapitels. 9 FamRZ 1982, 532, 533 I. Sp. 10 OLG Hamburg, aaO, mit zahlreichen Nachweisen psycho- und soziologischer Stellungnahmen. 3
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
von einem "an die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse anknüpfenden Kontinuitätsgrundsatz" spricht ll . Übersehen werden hierbei die Bedeutung der Hauptbezugsperson bzw. die psychosoziale Konzeption, welche dem Begriff zugrundeliegt. Als Hauptbezugsperson gilt jener Mensch, mit dem die primären emotionalen Beziehungen des Kindes bestehen l2 • Schon Bowlby13 schloß in seiner Monographie aus dem Jahre 1951 lediglich für das Vorschulkind aus, daß es mit einer Bezugsperson in deren Abwesenheit in Beziehung bleiben könne. Daß bei einer bestehenden personellen Bindung diese für das Kind nicht mit der Trennung von der Bezugsperson endet, wird heute auch für kleinere Kinder anerkannt1 4 • Ob Gefühlsbindungen auch in Abwesenheit der Bezugsperson zwischen dieser und dem Kind aufrechtzuerhalten sind, hängt danach von den Umweltfaktoren sowie eher nachrangig vom Lebensalter des Kindes abis. Daraus aber folgt: Die tatsächlichen Betreuungsverhältnisse, also das tatsächliche Zusammenleben, auch für ggf. längere Zeit, vermag somit nicht unbedingt Auskunft über die emotionalen Bindungen des Kindes zu geben. Ein an diese tatsächlichen Verhältnisse anknüpfender Kontinuitätsgrundsatz würde wegen der Manifestierung der Trennung des Kindes von der Bezugsperson ggf. eine psychische Schädigung erst bewirken. Ebenso ein Fall juristischer Fehlentscheidung aus Unkenntnis oder Ignoranz nachbardisziplinärer Forschungsergebnisse liegt der noch immer nicht ausgeräumten Gleichsetzung von Mutterschaft und emotionaler Bezugsperson zugrunde l6 . Als völlig ungeklärt erscheint auch die Frage der inhaltlichen Fixierung des Kontinuitätsgrundsatzes und des diesem zugrundeliegenden Persönlichkeitsbildes, wie ebenfalls das Verhältnis von Elternwunsch und Kontinuitätsgrundsatz unklar ist, wenn der Elternwunsch gerade dahin geht, den bisherigen Lebensraum des Kindes zu verändern 17 • Im Ergebnis können Kontinuitätsgrundsatz, Förderungsprinzip und die Frage der Anerkennung eines Kindeswillens sowie jene nach der Respektierung der Willensfähigkeit des Kindes als punktuelle Ausprägungen eines Persönlichkeitsbildes über die Nichtvolljährigen gelten können. Diese Grundsätze werden von der Rechtsprechung und Literatur überhaupt nur in bezug OLG Hamburg, aaO, S. 532. Rutter (1978), S. 26. 13 (1951; 9. Aufl., 1952). 14 Rutter (1978), S. 26 f. 15 Rutter (1978), S. 26. 16 So noch StaudingerlSchwoerer, 10/11. Aufl., § 1671, Rn. 92; KG FamRZ 1978, 827 und 830. - Fthenakis stellt dagegen treffend fest, daß für die Bindungen des Kindes die Unterstellung einer Mutterpräferenz "keine wissenschaftliche Grundlage mehr hat" (Fthenakis, FamRZ 1985,662, m. w. N. in der dort. Fn. 7; - a. A. Lempp, FamRZ 1984,741 ff.; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1671, Rn. 37; ders. allerdings neutraler, aaO, § 1671, Rn. 34 ff.) 17 Für eine über den Wortlaut des § 1671 Abs. 3 S. 1 BGB hinausgehende extensive Auslegung wohl OLG Hamburg FamRZ 1982, 533, m. zahlreichen Rechtsprechungsnachweisen zur früheren Rechtslage. 11
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3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
225
auf spezielle gesetzliche Tatbestände benutzt (vor allem §§ 1631 ff. BGB). Schon hieraus ergeben sich Bedenken gegen eine umfassendere Verwendung18 . Zudem lassen sich aus den genannten Grundsätzen nicht hinreichend sicher die unterlegten Persönlichkeits- und Entwicklungsstrukturen konkretisieren. Die nachgewiesenen Fehlwertungen bestätigen den Ansatz dieser Untersuchung, welche ihre Aufgabe u. a. darin sieht, durch Einbeziehung der Begründungszusammenhänge Bruchstellen bei der als erforderlich erachteten interdisziplinären Wertung zu vermeiden. Erforderlich ist somit ein Blick zu den Nachbardisziplinen, in der Hoffnung auf Aufschluß über die Zusammenhänge der Persönlichkeitsentwicklung in den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen. C. Die nachbardisziplinären Erklärungen der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung I. Die geisteswissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen PersöolichkeitsbegritTe
1. Die Einzelansätze Die von Quambusch 19 zitierten geisteswissenschaftlichen Persönlichkeitsbegriffe der "Summe aus Kraft, Schönheit, Temperament, moralischem Charakter und Intelligenz"20 bzw. als ein (von den Variablen Liebe und Entwicklung beeinflußtes) "höchstes Glück der Erdenkinder"21 sind in ihrer Abstraktion bzw. der Unbestimmtheit ihrer Einzelmerkmale unbrauchbar als Wertungsbasis. Anders schon der (wohl umfassendste22 sozialwissenschaftliehe Persönlichkeitsbegriff nach Allport23 ). Dieser definiert Persönlichkeit als "die dynamische Organisation jener psychophysischen Systeme innerhalb des Individuums, die seine einzigartige Anpassung an die Umgebung bestimmen". Wenngleich auch diese Begriffsbildung natürlich nicht Grundlage einer stringenten juristischen Subsumtion sein kann, bietet sie im Gegensatz zu den Siehe schon oben: 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 Ble. (1973), S. 3. 20 Schopenhauer, Aphorismen, S. 7. Quambusch - (1973), S. 3 - hält diese "Definition" unter Bezugnahme auf Bühler (1962), S. 235 - bzw. auf die Theorie von Eysenck auch noch heute als maßgebend. 21 Goethe, West-östlicher Divan, Buch Suleika. Goethe wertet die Identifikation von Persönlichkeit und "Höchstem Glück der Erdenkinder" als Einschätzung durch" Volk und Knecht und Überwinder" . Dem stellt er die Erringung des Erdenglücks durch die Liebe gegenüber. 22 Hurlock (1942, 1972), S. 608. 23 (1961). 18 19
15 Moritz
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
geisteswissenschaftlichen Erklärungsversuchen einen Einblick in die inhaltlich/prozessualen Abläufe und Zusammenhänge der Persönlichkeitsgenese. 2. Persönlichkeitsentwicklung als prozessualer Ablauf; Voraussetzung der psychischen Gesundheit sowie der Mensch als geselliges Wesen Der Ansatz von Allport kann für sich in Anspruch nehmen, zumindest konkreter als die geisteswissenschaftlichen Ansätze zu sein. Dies wird offenkundig bei einer näheren Analyse der Einzelfaktoren der Definition von Allport24 . So bedeutet "Organisation", daß Persönlichkeit nicht als Addition verschiedener Merkmale strukturiert ist, sondern daß die Einzelphänomene in einer Beziehung zueinander stehen. Diese Beziehungen zueinander verändern sich, wobei einige Züge stärker hervortreten und andere weniger, wenn Veränderungen in der Einzelperson25 oder in seiner Umgebung stattfinden. Die "psychophysischen Systeme" sind die Gewohnheiten, Einstellungen, Werte, Annahmen, Affektzustände, Gefühle und Motive psychisch/sozialer26 Natur. Sie haben eine physische Grundlage insofern, als sie zwar nicht Produkt der Vererbung sind 27 , jedoch bilden die körperlichlbiologischen Funktionen eine Voraussetzung für das Lernen im interaktiven Austausch28 • Schon hieraus folgt, daß die Persönlichkeitsentwicklung als prozessualer Ablauf zu begreifen ist; dies wird zusätzlich durch die Bezeichnung "dynamisch" in der obigen Definition verdeutlicht. Lernen und Persönlichkeitsentwicklung durch und in Abhängigkeit vom interaktiven Austausch offenbart noch eine weitere Grundstruktur des Menschen und seiner Persönlichkeit, nämlich seine Existenzabhängigkeit als Mensch von der Gemeinschaft; der Mensch ist somit ein Gemeinschaftswesen 29 • 3. Anlage/Umwelt und die Bedeutung des "Bösen" Die Nachbardisziplinen liefern somit keine Definition der Persönlichkeit, deren Einzelkomponenten zugleich als Merkmale zivilrechtlieh geschützter Persönlichkeitskomponenten des Kindes gelten könnten. Davon sind wir weit Vgl. im einzelnen die Zusammenstellung bei Hurlock (1970, 1972), S. 608 r. Sp. Hurlock, aaO, verwendet hier den Begriff "Kind". Da die Persönlichkeitsbildung jedoch einen lebenslangen Prozeß darstellt, erscheint der Begriff Einzelperson, welcher nicht altersmäßig fixiert ist, angemessen. 26 Soziologisch, denn was anderes als Gesellschaft kann Gegenstand der von Hurlock, aaO, erwähnten "Umgebung" sein. 27 So ausdrücklich und zutreffend Hurlock, aaO, S. 608/609 m. w. N. 28 Zur interaktionstheoretischen Erklärung der Gruppenbeziehungen vgl. im einzelnen MoritzlMeier (1982), S. 165 ff. 29 Vgl. statt aller Remplein (1971), S. 464 ff. 24 25
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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entfernt. Die nachbardisziplinäre Definition i. V. m. den zugehörigen Deutungen deckt indes Grundzusammenhänge auf, deren Kenntnis für das Verständnis der Persönlichkeit des Menschen und ihrer Entwicklung unverzichtbar ist. Eine Bestimmung von Gegenstand und Reichweite eines zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutzes Nichtvolljähriger sowie die Fixierung von Kindesinteressen unter Ignorierung dieser Einsichten erfüllte gerade nicht die aus der Verfassung abgeleitete Bedingung30 einer unvoreingenommenen Interessenabwägung. Das zentrale Moment der nachbardisziplinären Deutung bildet die Feststellung, daß die menschliche Persönlichkeit nicht statisch, sondern als prozessualer Ablauf zu betrachten ist. Persönlichkeit stellt insofern einen Grundtatbestand dar. Ihr Kern besteht in ihrer Prozessualität, sie ist deshalb prinzipiell altersunabhängig. Die Persönlichkeit und ihre Facetten sind dabei personenimmanent. Sie ist nicht aus, sondern allenfalls anhand der Umwelt zu erklären. Die Umwelt (= Gesellschaft, Familie) bildet somit den Erklärungsrahmen. Allerdings hat sie entscheidende Bedeutung für die Entwicklung und das spätere Schicksal des Menschen. Persönlichkeit ist auch nicht Produkt körperlich/biologischer Vorgänge und damit erbgenetisch zu erklären. Die körperlich/biologische Funktionalität (konkreter: die physische Funktionalität des Gehirns) bildet lediglich die - einzig' konkrete - Voraussetzung - auch nicht für die Existenz3!; sondern - für die Entwicklung der Persönlichkeit. Mancher Leser wird zu den vorstehenden Ausführungen fragen, ob diese Sichtweise nicht zu idealistisch ist. Das Argument der "verderbten Produkte antiautoritärer Erziehung"32 liegt nahe. Indes bilden "autoritäre" und "antiautoritäre ,Erziehung'" nur die Randzonen einer Skala möglicher Umgangsvarianten im Verhältnis der Eltern zu ihren Kindern. Dazwischen besteht eine Vielzahl möglicher Verhaltensdifferenzierungen. Hier wird deshalb auch bei dem Gesichtspunkt der "Respektierung des (begründeten) Kindeswillens" angesetzt. Diese Diskussion wie auch der Ruf nach "autoritärer ,Erziehung'" bedingen im gleichen Maße die Erörterung der Frage um das "Böse" im Menschen, also - banal ausgedrückt - ob der Mensch von Grund auf böse oder gut sei33 . Dies ist auch für die juristische Fragestellung durchaus nicht so abwegig, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn ist der Mensch von Grund her gut, hätte dies zugleich qualitative Folgen für die Umsetzung des aus der Verfassung hergeleiteten Ansatzes "so viel Freiheit wie möglich, so viel Vgl. im 3. Kapitel, 1. Abschnitt. Somit ist auch einern Geistesschwachen die Persönlichkeit sowie ein persönlichkeitsrechtlicher Schutz nicht abzuerkennen; es fehlt, bzw. es ist eingeschränkt (lediglich) - das prozessuale Moment der Entwicklung. 32 Zur Problematik und dem "Ende der antiautoritären Bewegung" vgl. Beer (1975), S. 122 ff. m. w. N. sowie vor allem die Synonyme im Schema von Beer, aaÜ, S. 128. 33 Vgl. die Nachweise bei G. Meier in MoritzlMeier (1982), S. 54,55 ff. 30
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Gemeinschaftsbindung wie nötig"34. Denn in diesem Fall' wäre die Funktion der Primärbezugsperson auf Hilfeleistung anstelle eines Einwirkens zu beschränken. Rechtsfolgen aus Fehlleistungen der Kinder im Eltern/KindVerhältnis, welche auf frühere "Erziehungsfehler" der Eltern zurückzuführen wären 35 sowie überhaupt Kindeshandeln in diesen Beziehungen wären unter dem Gesichtspunkt eines venire contra factum proprium zu beurteilen - z. B. wenn die Eltern unter Hinweis auf ihre wirtschaftlichen Interessen die Kürzung von Unterhaltsleistungen damit begründen, das Kind könne mit Geld nicht umgehen. Die sozialwissenschaftlichen Annahmen über das "Wesen des Menschen" reichen zurück auf die Arbeiten von Hobbes und Rousseau 36 . Hobbes vertritt die These vom "naturgegebenen Bösen" des Menschen37 . Demgegenüber meint Rousseau, daß der Mensch seine Negativeigenschaften erst (im Laufe seiner Sozialisation) erworben habe 38 . Der Lebenszeitraum des Menschen vor und von der Geburt an ist in neuester Zeit zunehmend Gegenstand entwicklungspsychologischer Untersuchungen gewesen 39 . Auch diese liefern keine naturwissenschaftlich/empirisch belegte Antwort auf die Frage nach der Natur des Menschen. Jedoch läßt sich bei den beurteilenden Wissenschaftlern ein Wandel der Sichtweisen insofern feststellen, als die Qualifizierung des Neugeborenen als "egozentrisch, unangepaßt und asozial"40 zunehmend von der Einsicht abgelöst wird, daß das neugeborene Kind absolut kein Tier oder Halbtier sei, welches erst in der Folgezeit zu einem Menschen wird, sondern daß es von Anbeginn ein Mensch ist, welcher aber erst seinen Lebensweg beginnt41 . Die Qualifizierung des Neugeborenen als gut oder böse läßt sich auch daraus nicht stringent ableiten. Das Thema der guten oder bösen Natur des Menschen kann jedoch über zwei andere Thesen aus dem Bereich der PsychologielPsychoanalyse nicht hinweggehen. So wird im Anschluß an die grundlegenden Arbeiten von Freud in der Psychoanalyse die 'These vertreten, daß der Mensch von zwei Trieben 3. Kapitel, 1. Abschnitt. Hierzu zählen vor allem Liebesentzug, Vernachlässigung, übermäßige körperliche Strafen. Dabei muß es sich um ein erhebliches Fehlverhalten handeln, da andernfalls wegen der zu berücksichtigenden Sekundärsozialisation eine Entsprechung von elterlichem Fehlverhalten und späteren Fehlleistungen des Kindes kaum noch nachzuweisen ist. 36 Vgl. die Einzelnachweise und Begründungen bei G. Meier in MoritzlMeier (1982), S. 54 ff. 37 Der Leviathan, Nachdruck 1976, S. 94 ff. 38 (1975), S. LX ff. 39 Vgl. die Nachweise und Würdigung bei G. Meier, aaO, S. 58 ff., insbesondere S. 59 f., 60-66. 40 Vgl. die Nachweise bei G. Meier, aaO, S. 58 f., Fn. 33-36. 41 G. Meier, aaO, mit Bruschlinski (1976), S. 79. 34 35
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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bestimmt werde, dem Sexual- und dem Aggressionstrieb42 • Von den Trieben wird angenommen, daß sie die Psyche mit Energie versorgen und zu Tätigkeit antreiben. Die Triebe seien im Menschen angelegt. Dabei ist der Aggressionstrieb jedoch nicht identisch mit dem, was gewöhnlich mit Aggression bezeichnet wird43 • Aggressionstrieb meint eine in der Psyche angelegte Destruktion, die ihrerseits jedoch nicht eine entsprechende motorische Tätigkeit (Beißen, Schlagen) umschließt44 • Aggressionstrieb impliziert damit kein "böses" Verhalten, insbesondere aber kein "böses" Verhalten gegenüber anderen 45 • Dem Aggressionstrieb zugerechnet wird vielmehr auch das schon "bei kleinen Kindern zu beobachtende explorative Verhalten und (die) positive Zuwendung zu neuen Reizen"46. Zu bemerken ist, daß zudem das Beweismaterial für eine somatische Begründung eines Aggressionstriebes keineswegs eindeutig ist 47 . Wird gleichwohl von der Richtigkeit einer Triebtheorie ausgegangen, läßt diese jedenfalls aber keinen Schluß auf ein Angelegtsein des Menschen als "böse" zu48 • Die zweite These betrifft jene der "negativen Phase". Angesprochen sind damit zu beobachtende negativistische Verhaltensweisen und eine zeitweise Affektlabilität. Die Mehrzahl der Autoren fixiert diese Phase auf die Pubertät49 • Andere gehen davon aus, daß diese Auffälligkeiten immer wieder einmal auftauchen und nicht in einer eng umgrenzten Zeit vorherrschen 50 • Jedenfalls werden diese Eigenarten aber als mit der Entwicklung zusammenhängend beurteilt51 . Gekennzeichnet sind damit Verhaltensabweichungen der Kinder und Jugendlichen von ihrem sonstigen Normalverhalten. Dies schließt jedoch einen Rückschluß auf einen "Regelfall des Böseseins" aus. Somit läßt auch eine These der Negation oder die des Aggressionstriebs keine Qualifizierung der Neugeborenen als gut oder böse zu. Einsichten in das Verhältnis Anlage/ Umwelt eröffnen sich insoweit jedoch, wird berücksichtigt, welche Verhaltensweisen zu den als "böse" qualifizierten gehören und ob diese tatsächlich als von der Natur vorgegeben oder nicht ihrerseits wiederum von der Umgebung provoziert sind. Lutz52 zählt zu den Gefühlen, welche das "Böse" im 42 Freud, Formulierungen über zwei Prinzipien des psychischen Geschehens, Bd. VIII der gesammelten Werke, 1955. 43 Brenner (1967), S. 31. 44 Brenner (1967), S. 27 f. 45 Brenner, aaO, S. 40 f. Daß der Aggressionstrieb vor allem auch eigengerichtet ist, folgt aus der Definition des "Todestriebs" als vom Aggressionstrieb initiiert - vgl. Oerter (1974), S. 97 -. 46 Oerter (1974), S. 97. 47 Brenner, aaO, S. 33. 48 Oerter (1974), S. 97. 49 Hetzer (1926); Schenck-Danzinger (1970) unter VII 7.1. 50 Oerter (1974), S. 60. 51 Vgl. die vorstehenden Fn. 52 (1980), S. 13.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Kind ausmachen 53 : "Haß, Neid, Eifersucht und Wut". Einige Seiten weiter nennt Lutz selbst als Motiv derartiger Reaktionen die Angst - etwa vor Liebesverlust etc. -34. Die Herstellung dieses Ursachenzusammenhanges läßt jedoch nur den einen Schluß zu, daß es sich bei den genannten, gesellschaftlich (!) mit Negativvorzeichen versehenen Verhaltensweisen55 gerade nicht um solche handelt, die als "böse Seite" im Kind angelegt wären. Angst bezeichnet eine tatsächliche oder vermeintliche Situation des Ausgeliefertseins, der Hilflosigkeit. Die "böse Seite" stellt sich somit als reaktiv dar. Angelegt sind insofern allenfalls Abwehrmechanismen, wobei auch deren Artikulation, wie Studien mit Neugeborenen zeigen56 , erst erlernt werden. Wenn die "böse Seite" reaktiv ist - wobei nicht umgekehrt gilt, daß alles Reaktive negativ zu bewerten wäre -, so bleibt nur der Schluß, daß das Aktive, also das "Selbst"57 des Menschen im Ansatz positiv ist. 4. Zusammenfassung: Die konstitutiven Merkmale der Persönlichkeit und ihre Bedeutung für die rechtliche Wertung Somit ergeben sich aus der nachbardisziplinären Deutung die folgenden konstitutiven Merkmale der Persönlichkeit, welche Bedeutung auch für die juristische Wertung beanspruchen können (da sich eine rechtliche Erfassung der mitmenschlichen Beziehungen am existenten Menschen in der bestehenden Gesellschaft zu orientieren hat): (1) Die menschliche Persönlichkeit ist prozessual und ihre Anerkennung vom Lebensalter unabhängig; Entwicklung ist damit persönlichkeitsimmanent. (2) Die physische Funktionalität des Gehirns bildet die Grundbedingung für eine prozessual verstandene Persönlichkeit58 . (3) Der Mensch ist ein Gemeinschaftswesen.
(4) Die Natur des Menschen ist (grundsätzlich) positiv.
Der Titel des Buches von Lutz lautet: "Kinder und das Böse". Lutz (1980), S. 20. 55 Zum synonymen Gebrauh von a-sozial und böse vgl. besonders auch Plack (1967, 1970), S. 266. 56 Vgl. G. E. Gardner (1970, 1971), S. 16; Pongratz (1964), S. 118 ff., unter Bezugnahme auf die grundlegenden Untersuchungen von Bowlby (1952 und 1953) sowie Spitz (1957 und 1965). 57 Dieser von W. James- (1980) -eingeführte und insbesondere von G. H. Mead (als "self") übernommene Begriff bezeichnet das Selbstverständnis, welches das Individuum im Verlaufe seiner sozialen Erfahrungen gewinnt; er bezieht sich also auf den Zusammenhang von sozialer Struktur und Selbstverständnis des Individuum, wie er auch (insbesondere) der (verfassungs-)rechtlichen Struktur der Persönlichkeit zugrundeliegt. 58 Zur (anzuerkennenden) Persönlichkeit Geistesschwacher vgl. Fn. 31. 53
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3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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Für die rechtliche Wertung bildet die physisch/biologische Funktionalität des Gehirns der betroffenen Nichtvolljährigen bzw. Heranwachsenden die Geltungsvoraussetzung der Aussagen über die weiteren konstitutiven Merkmale und Entwicklungsbedingungen der Persönlichkeit59 sowie der ihr zuzubilligenden Handlungskompetenzen. Im übrigen ergeben sich aus den konstitutiven Merkmalen der Persönlichkeit nur allgemeine Maßstäbe für den Kindeswohl- als auch im "Kindesinteressebereich" . Die Feststellung der Prozessualität der Persönlichkeit konkretisiert das verfassungsrechtliche Autonomiegebot, indem nunmehr entwicklungspsychologisch begründet ist, daß an Stelle von Einwirken und "Bringen zu etwas" Sozialisation unter dem Leitmotiv bloßen Unterstützens der kindinitiierten Verhaltensäußerungen zu stehen hat; die Wertvermittlung hat über das gelebte Vorbild zu erfolgen60 • Die Einschätzung der "Natur des Menschen" als positiv führt zu dem Schluß, daß, soweit die vorausgesetzte physische Funktionalität des Gehirns gegeben ist, bezogen auf die Persönlichkeit des Kindes, ein "Schutz vor sich selbst" prinzipiell nicht erforderlich ist. Für den KindeswohlBereich der Stufe lIdes entwickelten Stufenschemas (Eltern/Kind-Sozialisationsbezug)61 bedeutet dies, daß die Formel "so viel Freiheit wie möglich" zu garantieren, letztlich schrankenlos gilt. Die Sozialisatoren (in der Regel die Eltern) hätten sich für die Zeit, in welcher sie nahezu ausschließlich als Sozialisationspartner fungieren, also Drittkontakten (z. B. in Schule und Kindergarten) keine essentielle Bedeutung zukommt, auf ihre Hilfsfunktion zu beschränken. Auf den Stufen I 2 und - bedingt - 13 ergibt sich eine Umkehr der Beweislast insofern, als vom Prinzip der Handlungsfähigkeit auszugehen ist und erst in der Persönlichkeit des Kindes liegende Gründe (z. B. beim Taschengeld fehlende Rechenfertigkeiten; beim Umgangsrecht das zu prognostizierende Schadennehmen; bezüglich des vom Kind gewählten Berufes die objektiv feststellbare Untauglichkeit des Minderjährigen etc.) darzustellen sind und aus diesen die Einschränkung des zu garantierenden Freiraumes der (auch) rechtlichen Handlungsfähigkeit zu begründen ist. Entsprechendes gilt für fremdinitiierte Verhaltensäußerungen (etwa im Rahmen der Sekundärsozialisation). 59 Dabei ist zwischen angelegten physischlbiologischen Mängeln und bloßen physischen Folgen psychischer Mängel zu unterscheiden. Letztere sind in der Regel erst die Konsequenzen des Fehlens einiger oder mehrerer der Entwicklungsbedingungen der Persönlichkeit (vgl. im einzelnen die Darstellungen bei Lempp, Eine Pathologie der psychischen Entwicklung, 2. Auf!. 1972). Für den Richter bedeutet dies, daß eine Entwicklungsgefährdung zu konstatieren ist, also eine Herausnahme aus der momentanen Umgebung erforderlich und die Herstellung der Entwicklungsbedingungen der Persönlichkeit (nachfolgend unter ,,11. ") - i. d. R. über § 1666 BGB - anzustreben ist. Die Anwendbarkeit der im folgenden getroffenen Aussagen über die Handlungsfähigkeit etc. sind für diesen Umstellungszeitraum relativiert. 60 Zur begrifflichen Folge dieser Erkenntnis, der Erziehung durch Sozialisation vgl. im 3. Kapitel, 3. Abschnitt. 61 Vgl. das Schema am Ende des 4. Abschnitts im 3. Kapitel; S. 184.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
In dem Kindesinteressebereich, also auf den Stufen 11 4 - 6, 111 7, sowie überwiegend I 3, finden die konstitutiven Merkmale der Persönlichkeit innerhalb der Position Kindesinteresse Berücksichtigung, welche mit den Drittinteressen jedoch erst in eine wertende Beziehung zu setzen ist. Hierfür sind die Kenntnisse der Grundbedingungen der Persönlichkeit (nachfolgend unter ,,11. ") sowie von Wille, Fähigkeit und Bedürfnis der Nichtvolljährigen (nachfolgend unter "IIIIII") erforderlich. 11. Das Vitalbedürfnis des "Geborgenseins" und die daran anknüpfenden sozio-/psychologischen Grundbedingungen
1. "Geborgensein" als körperlich/psychisches Grundbedürfnis 1.1. Die Existenzbedingung "Geborgensein" Nachdem die konstitutiven Merkmale der Persönlichkeit festgestellt sind, stellt sich die weitere Frage nach den Existenzbedingungen, d. h. jene nach den unverzichtbaren vitalen Bedürfnissen des Kindes. Die entwicklungspsychologische- und Sozialisations-Literatur dazu ist kaum noch zu überschauen; dies gilt schon für den nationalen Bereich und erst recht, wird die supranationale Forschung mit einbezogen62 • Bei aller Vielschichtigkeit der Äußerungen sind indes über die theoretischen Einzelansätze hinaus Grunddaten der Persönlichkeitsentwicklung erkennbar, welche als auf breiter Basis akzeptiert gelten können. Zentrales Moment der Persönlichkeitsentwicklung ist in diesem Sinne das "Geborgensein"63. Dieses umfaßt ein körperlich wie psychisch vitales Grundbedürfnis 64 • Wichtig hierbei ist erneut das Denkmuster der notwendigen wechselseitigen Ergänzung beider Merkmale. Für die Entwicklung einer gesunden Persönlichkeit65 genügt entsprechend meiner obigen Kritik66 zur Auslegung des "Kontinuitätsgrundsatzes" durch das OLG Hamburg67 eben nicht ein objektives gutes Versorgtsein. Tritt dort hinzu nicht die psychische Komponente, so führt dies nachweislich zur "seelischen Verkümmerung", 62 Vgl. die Nachweise und Würdigung der unterschiedlichen theoretischen Ansätze im einzelnen bei G. Meier in MoritzlMeier (1982), S. 54 ff., 71 ff., sowie insbesondere S. 165 ff.; siehe auch die Nachweise bei Kaufmann (1980), S. 93 ff. 63 Busemann (1965),S. 146; Clausen (1976), S. 61 ff; Hetzer (1970), S. 59 f., 83, 169; Lempp (1967,1972), S. 114 ff.; MussenlCongerlKagan (1976), S. 203; Plattner (1963), Stichwortverzeichnis S. 403,407; Schenk-Danzinger (1970), S. 256. 64 Lempp (1967, 1972), S. 144. 65 Gesund im wörtlichen, physischen Sinne. Denn, wie Lempp - (1967,1972), S. 122 - zutreffend ausführt, "wir dürfen nicht vergessen, daß der Säugling, aber auch das kleine Kind ... nur eine Möglichkeit der Reaktion auf psychische Noxen haben können, nämlich die Möglichkeit mit einer Organstörung zu antworten". 66 Unter "AlB" dieses Paragraphen. 67 FamRZ 1982, 532.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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zum - nach Spitz68 - mit Hospitalismus bezeichneten Krankheitsbild verschiedener Stadien und des weiteren zum Fehlen von "Frustationstoleranz"69. Das Geborgenheitsgefühl ergibt sich aus der "Sicht des Kindes" durch die bei Gelegenheit der guten Pflege, ausreichenden Wärme und Nahrung emotional deutlich gemachten bedingungslosen Annahme durch die Bezugsperson(en)7°. Das Kind seinerseits beantwortet diese Zuwendung entsprechend seiner anlagebedingten positiven Umweltbeziehung71 ; es entsteht eine wechselseitige positive emotionale Bindung71a . Grundbedingung für das Geborgensein ist dabei, daß diese Beziehung von Dauer ist. Dauerbeziehung ist aber nicht identisch mit physischer Präsenz (!); ist die Bindung wirksam begründet, so hängt es vom Lebensalter des Kindes und von der Trennungsdauer ab, ob und in welcher Intensität das Bezugsverhältnis Erwachsener-Kind trotz der psychischen Abwesenheit des Erwachsenen noch besteht72 • 1.2. Komponenten des Beurteilungsmaßstabes "Geborgensein" Aus der vorstehenden sozialpsychologischen Umschreibung des Geborgenseins ergeben sich als dessen Komponenten a) der wechselbezüglich körperlich plus psychische Inhalt, b) Emotionalität, c) Sicht aus der Richtung des Kindes, d) Bezugspersonenerfordernis, e) positive Einstellungswechselseitigkeit sowie f) emotional bestimmte Dauerhaftigkeit. 2. "Geborgensein" als (grundsätzlich) lebenslange Existenzbedingung der Persönlichkeit Die Definition des Geborgensein als körperlich/psychisches Grundbedürfnis ist bezogen auf die Säuglings- und Kleinkindphase wohl einsichtig. Fraglich ist jedoch, ob dieses Bedürfnis für die weiteren Lebensabschnitte von gleich vitaler Bedeutung ist, so daß der Begriff als genereller Beurteilungsmaßstab taugt, wie er für die rechtliche Wertung erforderlich ist. Denn zumindest theoretisch denkbar wäre die Konstruktion eines Geborgenseins in sich selbst; (Bd. I, 1945; Bd. 11, 1946). Lempp (1967,1972), S. 118; RuHer (1978), S. 71 m. w. N. 70 Zur möglichen Mehrheit von Bezugspersonen, solange nur mit jeder von ihnen eine stabile psychische Beziehung zum Kind besteht, vgl. Rutter (1978). S. 61 m. w. N. 71 Vgl vorstehend unter "C I 3". 71. Diese Wechselseitigkeit wird m. E. bei Fthenakis (FamRZ 1985, 662 ff.) vernachlässigt. Bindung hat bei ihm deshalb einen etwas starren Charakter. Die Stärke der Bindung ist sicherlich nicht eindeutig naturwissenschaftlich meßbar (Fthenakis, aaO). Der Richter kann jedoch, ggf. mit Unterstützung von Sachverständigen (zum Verfahren vgl. SternbecklDäther, FamRZ 1986, 21 ff.), ein "Geborgensein" im genannten Sinne sehr wohl feststellen. 72 Rutter (1978), S. 61 ff., m. w. N. 68 69
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
d. h., das Geborgensein in der Säuglings- und Kleinkindphase, mit den Folgen ungestörter Kommunikation sowie bestehender Frustationstoleranz73 , könnte - zumindest in der theoretischen Konstruktion - zu einer psychischen Stabilität für die Restzeit des Lebens führen, so daß ein Geborgensein zu und bei anderen nicht mehr erforderlich sein könnte. In diesem Fall taugte der Begriff des Geborgensein nicht als generelle Bedingung der Persönlichkeit und ihrer Entwicklung. Geborgensein fungierte unter diesen Umständen für die Säuglings- und Kleinkindphase als positiver Maßstab, bezogen auf die weiteren Entwicklungsstufen erfolgte seine Anwendung unter dem Vorzeichen einer besonderen Art der Autonomie, die als psychische Autarkie bezeichnet werden könnte. Autonomie, verstanden als Geborgenheit in sich selbst, pervertierte den Autonomiebegriff. Denn Autonomie als erworbene Eigenschaft des Individuums zur Selbstbestimmung ist stets gesellschaftsbezogen74 , wie das "Selbst" des Menschen gerade die Wechselbeziehung und Abhängigkeit zwischen dem einzelnen und der Gesellschaft zum Ausdruck bringt1s. Infolgedessen ist die Möglichkeit interaktiver Kommunikation und Frustationstoleranz als Folgen des Geborgenseins in der Säuglings- und Kleinkindphase ihrerseits gesellschaftsbezogen. Ein Geborgensein in sich selbst als Ziel des Kleinkindgeborgenseins scheidet damit aus. Interaktive Kommunikation und Frustationstoleranz sind damit nur Ausdruck einer anderen Qualität des Geborgenseins in den späteren Kindheitsphasen (z. B. das vertrauensvolle, sanktionsfreie Diskutieren von Problemen), die Bedeutung des Geborgenseins als vitales Grundbedürfnis auch der späteren Entwicklungsphasen ist damit aber nicht in Frage gestellt. Das Geborgensein stellt folglich die (grundsätzlich lebenslange) zentrale Existenzbedingung der Persönlichkeit dar; das Lebensalter ist allerdings bei Fehlen des Geborgenseins insofern von Bedeutung, als die Wahrscheinlichkeit psychischer Dauerschäden umgekehrt proportional zur Zunahme des Lebensalters ist.
3. "Geborgensein" und Schicht Wertungsunsicherheiten treten (u. a,76) für den Juristen dann auf, wenn er bei seinen Klienten auf soziale Andersartigkeit trifft. Es handelt sich dabei um eine Variante der Schichtenproblematik77 • D. h., daß die Rechtsnormen sowie die Sozialnormen des Richters (entsprechend seiner regelmäßigen soziaLempp (1967,1972), S. 118. Entsprechend Johler (1977), S. 147. 75 James (1980). 76 Für die Sozialarbeitertätigkeit vgl. die Nachweise bei MoritzJMeier (1982), S. 213 ff. 77 Zum Schichtbegriff und dessen Ungenauigkeit vgl. MoritzJMeier (1982), S. 207 f. 73
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3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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len Herkunft78) mittelständisch sind; etwaige andersartige Sozialnormen von Unterschichtangehörigen treffen bei dem zur Beurteilung berufenen Richter wegen dieser Herkunftsdifferenz oftmals auf Unverständnis79 • "Geborgensein" ist, nach der getroffenen Fixierung, orientiert am emotionalen Wechselbezug zwischen Primärbezugsperson und Kind; zudem setzt es die Blickrichtung "vom Kind her" voraus. Die Wertungsbasis für das "Geborgensein" bilden somit die lebensalltäglich betroffenen Personen einschließlich der von ihnen praktizierten Sozialnormen. Bringt der Richter in diese Beziehung den Maßstab seiner (andersartigen) Sozialnormen ein, so verläßt er in der Regel gerade den kindorientierten Wertungsmaßstab "Geborgensein". "Geborgensein" fordert für die jugendamtliche und/oder richterliche Wertung somit, daß die Klienten.Sozialnormen als Wertungsmaßstab dienen 80 . Allerdings können hierbei natürlich nicht vorrangige, eindeutige (insbesondere) Legislativentscheidungen ignoriert werden. Diese höherrangigen Gemeinschaftsnormen bilden die straf- und ordnungsrechtlichen (u. a. jene über die Schulpflicht etc.) Vorschriften. Der Wertungsmaßstab des "Geborgenseins" ist danach nur dann nicht anzuwenden, wenn die Primärbezugsperson objektivierbar in der Gefahr steht, im Rahmen seiner Sozialisationsaufgabe entweder selbst in nicht nur unerheblicher Weise gegen straf- bzw. ordnungsrechtliche Vorschriften zu verstoßen und/oder das Kind zu derartigen Verstößen anzuleiten. Sonstige Erwägungen, insbesondere Schicht(vor-) urteile sind, da sie gerade keine Aussage über die psychische Qualität der Interaktionen treffen, als Beurteilungsmaßstab ausgeschlossen. Diese Orientierung an dem schichtbezogenen Geborgensein bildet auch die von Münder81 schuldig gebliebene Begründung für seine zutreffende Auffassung, daß "christliche Vorstellungen der Konfessionen", weltanschaulich-politische Auffassungen oder ähnliches nicht Entscheidungsmaßstab im Kindeswohlbereich sein dürfen82 , auch nicht im Rahmen des § 1666 BGB; es sei denn, daß eben diese Themen die Emotionalbeziehungen zwischen Eltern(teil) und Kind zerstörten.
78 Dazu W. Richter (1973), S. 19 f., m. w. statistischen und Literaturnachweisen in den dortigen Fn. 8-14. 79 Wenn nicht gar auf Schlimmeres; vgl. die Beispiele bei Lautmann (1972), S. 142. 80 Vgl. dazu im einzelnen die Begründungen und Herleitungen bei MoritzlMeier (1982), S. 224 f., 226 f., insbesondere S. 228 f. m. w. N. 81 Münder, AK-BGB, § 1666, Rn. 14, m. Nachweisen gegenteiliger Auffassungen. 82 Im Ergebis ebenso (für den Bereich des § 1671): PalandtlDiederichsen, § 1671, Anm. 3; Münder, BGB-AK, § 1671, Rn. 21 m. w. N.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
4. Der Beurteilungsmaßstab "Geborgensein", der Begriff der Familie sowie Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip 4.1. "Geborgensein" und der psycho-soziale Familienbegriff Die dem Geborgensein beigemessenen Inhalte der wechselseitigen emotionalen Bindung und die Dauerhaftigkeit sowie die Voraussetzung einer oder mehrerer Primärbezugspersonen entsprechen den Komponenten des oben entwickelten verfassungsrechtlichen Familienbegriffs83 sowie dem zivilrechtlichen Begriff insoweit, wie letzterer sich auf Sozialisationstatbestände bezieht84 • Dies verwundert nicht, da ja der Familienbegriff von der verfassungsrechtlich bzw. einfachgesetzlich belegten Sozialisationsaufgabe her entwickelt wurde. Die nunmehr aus dem Begriff des Geborgenseins erfolgte nachbardisziplinäre Konkretisierung bestätigt die obigen Wertungen. Geborgensein umfaßt allerdings ein psychisches und körperliches Grundbedürfnis. Dagegen stellen die geprägten Familienbegriffe auf das psychische Moment der Emotionalität ab. Dies ist nur anscheinend ein Widerspruch. Denn, wie ausgeführt, die Emotionalbindung manifestiert sich beim Kleinkind gerade im Zusammenhang mit der Fürsorge für das körperliche Wohlbefinden 85 • Insofern umfaßt die Emotionalbindung in der Richtung Sozialisator-? Kind zugleich auch die Sorge für das körperliche Wohlbefinden. Allerdings, wie die getroffene Differenzierung zwischen Kindeswohlbereich und Kindesinteressenbereich86 gezeigt hat und wie etwa auch die gesetzliche Unterscheidung zwischen Personen- und Vermögens sorge sowie etwa in unterhalts rechtliche Wertungen deutlich macht, sind einerseits - insbesondere in späteren Entwicklungsstadien des Kindes - die Grenzen zwischen der psychischen und körperlich/materiellen Situation fließend, wie andererseits das psychische und materiell/körperliche Verhältnis (entsprechend der Differenzierung zwischen Kindesinteressen- und Kindeswohl-Bereich) unter völlig unterschiedlichen Wertungsprämissen erfolgen kann. Schließlich aber trägt die Aussparung einer ausdrücklichen Berücksichtigung materieller Ziele in obigen Familienbegriffen der Tatsache Rechnung, daß die materielle Absicherung der Familienmitglieder heute zunehmend nicht mehr durch und über die Familie erfolgt87 • Denn während die Existenz der Familienmitglieder histoVgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3; insbesondere S. 113ff. Siehe im 3. Kapitel, 2. Abschnitt. 85 Vgl. auch Lempp (1967,1972), S. 114 ff. 86 4. Kapitel, 2. Abschnitt, § 1; S. 216ff. 87 So folgen insbesondere die Sozialgesetze dem Prinzip der Individualansprüche. Familie taucht in der Regel allenfalls als Zu- oder Abschlagsgrund auf (§§ 7,79 BSHG; §§ 8 ff. WohnGG; eine Ausnahme bildet insoweit das BKGG). Die Steuertabellen berücksichtigen die Kinderzahl kaum noch spürbar. Schließlich bekennt sich auch das BGB, soweit Kinder über ein eigenes Vermögen verfügen, zum Individualisierungsgrundsatz (§§ 1619 ff. - Zur Auslegung der §§ 1649, Abs. 1 S. 2, 113 BGB in diesem 83
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3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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risch am väterlichen Erbe und Vermögen orientiert war (Familit;: = ökonomisch bestimmter partriarchisch geführter Personenverband), besteht heute auch eine ökonomische Individualisie"rung der Familienmitglieder, indem entsprechend den Anforderungen der Industriegesellschaft Ausbildung und individuelle Fertigkeiten als individuelle materielle Existenzvoraussetzungen an die Stelle elterlichen Vermögens treten88 • 4.2. "Geborgensein" in Abgrenzung zu und anstelle von Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip Der Beurteilungsmaßstab des Geborgenseins bedeutet nicht, daß Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip lediglich anders benannt würden. Wie der Kontinuitätsgrundsatz bezieht sich das Geborgensein auf eine (oder mehrere - wobei die Akzeptierung mehrerer Bezugspersonen bei den Anhängern des Kontinuitätsgrundsatzes nicht immer eindeutig ist89 - Bezugsperson(en). Mit dem Förderungsprinzip besteht Übereinstimmung im Prinzip des Unterstützens und Helfens sowie hinsichtlich der Grundbedingung der Bereitschaft der Bezugsperson, dem Kind diesen Beistand zu leisten. Abgestellt wird jedoch nicht auf eine kaum zu leistende89• quantitative Messung bestehender Bindungen.
Im Gegensatz zu Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip umschließt der Beurteilungsmaßstab "Geborgensein" in seinen Komponenten a) wechselbezüglicher körperlich plus psychischer Inhalt, b) Emotionalität, c) Sicht aus der Richtung des Kindes, d) Erfordernis einer Primärbezugsperson, e) positive Einstellungs-Wechselseitigkeit sowie f) emotional bestimmter Dauerhaftigkei(JO zugleich die Grundbedingungen der Persönlichkeitsentwicklung. Er ist damit konkreter. Der Begriff taugt als sowohl positiver wie negativer Maßstab sowie als Verhaltensanweisung in einer existenten Familie wie auch als Entscheidungsgrundlage bei gestörten Familienverhältnissen. Freilich sind die Überlegungsansätze unterschiedlich. Bei gestörten Familienverhältnissen bzw. im Falle des Auseinanderbrechens der Familie bilden die Komponenten des Geborgenseins den Beurteilungsmaßstab dafür, ob und ggf. wem die Personensorge überlassen (§ 1671) bzw. belassen (§ 1666) werden soll oder ob und wie ein Umgangsrecht zu gestalten wäre (§ 1634)91. Als positiver Anhalt dient Zusammenhang, bezüglich des Erwerbseinkommens Minderjähriger, vgl. im 6. Kapitel, S. 482 ff. -). 88 Vgl. auch Lempp (1967,1972), S. 144 ff. 89 Vgl. etwa OLG Hamm FamRZ 1980, 487. 89. Insoweit richtig Fthenakis, FamRZ 1985, 662, 666. 90 Vgl. vorstehenden Punkt ,,2". 91 Bei all diesen Fragen kommt es unter Bezugsetzung zum nachfolgend behandelten Gesichtspunkt des Lebensalters bzw. der Entwicklungsphase noch darauf an, ob die
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
das Geborgensein bei der Begründung von Pflegerechtsverhältnissen oder der Befürwortung einer Adoption, sofern diesen Maßnahmen Sozialisationskontakte zwischen den Beteiligten vorausgbgangen sind92 . Bei einer existenten Familie ist das Geborgensein insbesondere von Bedeutung für die Beurteilung des Bedürfnisses von Drittkontakten sowie als allgemeiner Maßstab der Verpflichtung zur Garantie der körperlich/physischen Mindestbedingungen. Als Mindestbedingung für die Persönlichkeitsentwicklung ist das Geborgensein in seinen Wirkungen deshalb prinzipiell nur insofern auf das Verhältnis Sorgeberechtigter/Kind beschränkt, als Primärbezugsperson und Sorgeberechtigter identisch sind bzw. (etwa bei der Frage des "Zuschlags" der Personensorge) die Herstellung einer solchen Kongruenz angestrebt wird; ist ein Dritter Primärbezugsperson, so kann Geborgensein auch hier Auslegungsmaßstab sein (etwa für die Bestimmung und Finanzierung des Umgangs nach § 1634 BGB etc. 93 . Geborgensein ist bezogen auf den Kindeswohl- wie auf den Kindesinteressenbereich (der Stufe 11117). Denn die physische Komponente des Geborgenseins gibt auf, die objektiven Mindesterfordernisse für die körperliche Existenz zu garantieren (z. B. auch Unterhaltsgewähr). Dies umschließt auch den Gesichtspunkt, die Bedeutung dieser materiellen Bedingung in der gesellschaftlichen Existenz und Wertung zu berücksichtigen, und damit die Wechselseitigkeit der materiellen und psychischen Seite der Persönlichkeit zu beachten (z. B. Taschengeldgewährung). Konkreter als Förderungsprinzip und Kontinuitätsgrundsatz bezeichnen die Einzelkomponenten des Geborgenseins den Untersuchungsgegenstand in der jugendamtlichen und/oder richterlichen Wertung der Sozialisationsbeziehung; "Geborgensein" tritt als konkreter Auslegungsmaßstab deshalb an die Stelle von Kontinuitätsgrundsatz und Förderungsprinzip. Der Tatbestand des Geborgenseins allein ist als rechtliche Wertungsgrundlage jedoch so lange uninteressant, bis nicht zugleich Verfahren genannt sind, wie dieses Geborgensein im konkreten Fall feststellbar ist. Anhaltspunkt für die Existenz eines Geborgenseins könnte ein entsprechender (artikulierter oder sonst feststellbarer) Wille des Kindes sein.
Beziehung, um welche es konkret geht, als positiv, negativ oder neutral einzustufen ist. (Vgl. dazu schon Moritz, ZbIJugR 1982, 772 f.). Bei neutralen Verhältnissen spricht, sofern nicht positive Sozialisationsbeziehungen zu Dritten bestehen, der Gesichtspunkt des "Geborgenseins" in der Regel nicht gegen eine Belassung (§§ 1666, 1771) oder Übertragung (§ 1671) der Personensorge bzw. gegen ein - allerdings in diesem Fall zeitlich zu beschränkendes - Umgangsrecht. 92 Zur Beurteilung des Instituts der Adoptionspflege nach § 8 AdVermG vgl. im 7. Kapitel, 3. Abschnitt; S. 508ff. 93 Vgl. im einzelnen Moritz, ZbIJugR 1982, 772 ff.; dergl. JA 1982, 503.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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§ 2 (Kindes-)Wille, Willensmacht, Willensfähigkeit und rechtUche
Handlungsfähigkeit sowie die Bedeutung des Lebensalters A. Der Kindeswille I. Der Kindeswille in der bisherigen rechtlichen Diskussion
1. Abgrenzung: (Kindes-) Wille, Willensmacht, Willensfähigkeit und rechtliche Handlungsfähigkeit Der Wille wird in der Ausprägung des Gemeinschaftswillens als "Ursprung des Rechts" bezeichnetl. In der Individualsphäre dient der Wille in der rechtstheoretischen Diskussion einerseits, unter dem Terminus "Willensmacht" , zur Fixierung des dem einzelnen zugeordneten Bestandes an Rechtspositionen 2 , andererseits, im Zuammenhang mit dem Begriff "Willensfähigkeit" , als Zuerkennung, Rechtswirkungen zu erzeugen3 . Wille in letzterem Sinne entspricht dabei der im 1. Kapitel erwähnten und abgegrenzten rechtlichen Handlungsfähigkeit 4 . Wenn hier die Frage nach dem Kindeswillen bzw. jene nach der Willensfähigkeit gestellt wird, so reicht dies thematisch über die getroffene rechtstheoretische Fixierung hinaus. Denn die Erörterung des Kindeswillens und der Willensfähigkeit erfolgt in bezug auf die Persönlichkeitsbelange des Kindes. Es ist also zunächst die Frage der entwicklungspsychologischen Willensfähigkeit zu beantworten. Erst im Zusammenhang mit dem Handlungsumfeld stellt sich sodann als Folgethema das Problem der Zuerkennung einer rechtstechnischen Willensfähigkeit im Sinne einer Mündigkeit bzw. rechtlichen Handlungsfähigkeit. 2. Kindeswille und rechtliche Entscheidungspraxis Der Kindeswille fand in der Sorgerechtsdiskussion ausdrücklich Erwähnung. So heißt es im Gesetzentwurf zu § 1671 BGB, nachdem auf die "beschränkte Mündigkeit der Heranwachsenden" hingewiesen wurde, daß die "Berücksichtigung des Willens eines jüngeren Kindes nicht ausgeschlossen werden" so1l5. Entsprechendes findet sich in der Begründung zu § 1634 (E)6. Siehe Enneccerus/Nipperdey, BGB-AT, § 32 Abs. 2. JeIlinek (1905), S. 42: " ... das durch Anerkennung menschlicher Willensmacht geschützte Gut oder Interesse"; vgl. dieses Zitat und weitere Nachweise bei Enneccerus/Nipperdey, aaO, § 137, Abs. 4, S. 1. 3 V gl. Enneccerus/Nipperdey, aaO, § 137, Abs. 4, Satz 1. 4 1. Kapitel, 2. Abschnitt, § 3 B. 5 BT-DrS 7/2060, S. 33. 6 BT-DrS 7/2060, S. 34, Ziff. 12. 1
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Dagegen spielt der Kindeswille in der Entscheidungspraxis nur eine untergeordnete Rolle. Im Scheidungsfolgenrecht fand und findet der Kindeswille nach herrschender Auffassung allenfalls als Regulativ für den Fall Beachtung, daß ein Konsens der Eltern nicht zu erzielen war7. Bei der Umgangsregelung sowie vor allem bei der Frage nach der Finanzierung dieser KontakteS führt eine Auslegung des § 1634 BGB, die den Kindeswillen vernachlässigt und einen (dem "Umgangsrecht") entgegenstehenden Willen ggf. zu brechen sucht9 , zu einem formalen Rechtsfrieden auf Kosten des Kindes. Die Ausblendung eines eigenen Kindeswillens bildete schließlich die Voraussetzung für die Definition des Eltern/Kind-Verhältnisses als "Erziehungsverhältnis" , in dem das Pflichtrecht der Personensorge allenfalls an den physischen Kindesbedürfnissen, im übrigen jedoch an elterlich vorentschiedenen Werten orientiert ist lO • Damit korreliert die rechtliche Bewertung des Kindes in diesem Verhältnis als Teilpersönlichkeit, woraus sich die Konsequenz der nicht umfänglichen Zubilligung von Persönlichkeitsrechten ergibt (so bei den Fragen: Briefgeheimnis, Hausrecht im Kinderzimmer, Umgangsbestimmung, Wahl von Schule und Schulzweig sowie Beruf, Namensrecht etc. ll ), Rechtspositionen (vor allem auch die Beteiligungs- und Mitwirkungsbefugnisse gemäß § 1626 Abs. 2 BGB, die Pflichten der §§ 1618 a, 1619 BGBl2, aber etwa auch die Frage eines Taschengeldanspruches 13 ) als nur leges imperfectae definiert werden sowie ein "Züchtigungsrecht" diskutabel wird l4 . Die Bedeutung des Kindeswillens wurde bei über-14jährigen für die Adoption vom BGB selbst herausgestellt (§ 1746 Abs. 1, Sätze 1 und 3, Abs. 2 Satz 1) und zugleich für unter-14jährige relativiert. Zur Neuregelung des Pflegekindverhältnisse ignorieren einige die Kindessphäre überhaupt als eigene Wertungsprämisse l5 ; andere halten "meist" ab 14 Jahre eine Zustimmung des Kindes zur Wirksamkeit des Pflegeverhältnisses für erforderlich l6 , ohne daß damit die Zubilligung eines selbständigen Entscheidungsrechtes des Kindes einhergeht l7 . All diese 7 So vor allem OLG Düsseldorf FamRZ 1979, 631; vgl. insbesondere auch Hinz, MünchKomm., Bd. 5, § 1671, Rn. 38. 8 Dazu OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 531; vgl. meine detaillierte Stellungnahme und die weiteren Nachweise in ZbIJugR 1982, 768 ff. 9 Vgl. die Nachweise bei Siniitis/Zenz (1979), S. 274. 10 Vgl. die obigen Nachweise zum Diskussionspunkt ,,,Erziehung' und/oder Sozialisation" bzw. zur Theorie einer Differenzierung zwischen formalen und materialen Erziehungszielen im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 B sowie im 3. Kapitel, 3. Abschnitt. 11 Siehe im einzelnen im nachfolgenden 7. Kapitel; S. 414ff. 12 Zur Problematik vgl. Diederichsen, NJW 1980, 1,2 f. m. w. N. 13 Siehe schon Moritz, DB 1979, 1165 ff. 14 So etwa Staudinger/Donau, 10./11. Aufl., § 1631, Rz. 31 ff.; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1631, Rz. 20 ff. 15 Vgl. z. B. Holzhauer, ZRP 1982, 222, insbesondere S. 224 f., sowie die dort wiedergegebene Entscheidung des OLG Oldenburg FamRZ 1981, 606 f. 16 Schwab (1982), Fn. 44. 17 Schwab (1982), S. A 83.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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Einschätzungen ignorieren die psycho/soziale Bedeutung des Kindeswillens bzw. räumen äußeren Gegebenheiten den Vorrang vor inneren Bindungen ein l8 , ohne zu bedenken, daß die Grundbedingung des Geborgenseins von den Emotionalbeziehungen abhängt, weIche sich gerade in entsprechenden Willensäußerungen ausdrücken können. Die Hintanstellung des Kindeswillens mag aber gerade auch aus der aufgezeigten Rechtstradition rühren, bei welcher Wille und rechtliche Handlungsfähigkeit korrelieren und wo mit der Handlungsfähigkeit die Artikulationsfähigkeit gedanklich verbunden wird. Entsprechend nimmt die Praxis zu, anstelle des Willens von Einstellung oder Neigung des Minderjährigen zu sprechen 19 bzw. eine Willensartikulation erst für ältere Minderjährige anzuerkennen20 • Ist entgegen dieser Wertung eine Willensbildungskompetenz indes schon sehr früh möglich 21 , wäre nicht auszuschließen, daß die Gerichtspraxis bezüglich jüngerer Kinder gesetzwidrig handelt, soweit im Einzelfall die Mißachtung des Kindeswillens gleichzusetzen wäre mit einem Eingriff in das psychische Wohl des Kindes. Für den Kindesinteresse-Bereich22 wird die Frage des Kindeswillens im Rahmen der Mündigkeitsdiskussion bzw. unter dem Schlagwort der Zuerkennung von Teilmündigkeiten geführt23 . Äußerlich knüpfen diese Überlegungen an die Frage nach der Bedeutung von Lebenaltersstufen an24 • Lebensalter steht dort als Synonym für die entwicklungspsychologische Willensfähigkeit; insofern laufen in dieser Diskussion die inhaltlichen Momente der entwicklungspsychologischen Willensfähigkeit und der rechtlichen Handlungsfähigkeit zusammen. Im Kindesinteresse-Bereich des allgemeinen Geschäftsverkehrs ist festzustellen, daß die Rechtspraxis eher mit der Dauererscheinung schwebend unwirksamer Rechtsgeschäfte lebt (z. B. Kleidungskäufe durch Jugendliche, die nicht ohne weiteres mehr Taschengeldniveau haben) und die Rückabwicklung dieser Geschäfte bei späterem Nichtgefallen mit dem Hilfsargument der Minderjährigkeit des Käufers akzeptiert, als daß sie sich um verläßliche Daten einer Willenskonsistenz bei Minderjährigen bemüht und Überlegungen zu einer systemimmanenten Installation von weiteren Kompetenzstufen anstellt. Dieses Unterlassen führt dann auch zu so widersprüchlichen So vor allem KG FamRZ 1980, 93 f. und OLG Dssdf FamRZ 1979, 631. Vgl. Dürr (1977), S. 10; Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 87; Vollertsen, ZblJugR 1977,233 ff.; OLG Hamm FamRZ 1965, 38 f.; LG München I FamRZ 1971, 311; KG FamRZ 1979, 448. 20 Beitzke, FamRZ 1979, 12; OLG Bamberg FamRZ 1979, 858 f.; BGH NIW 1981, 454 f.; abgeschwächt aber auch E. Kühn in Kühn u. a. (1978), S. 407. 21 So vor allem Dürr (1977), S. 10 und differenzierend Eil, ZblJugR 1980, 322 f. 22 Zur Unterscheidung zwischen Kindeswohl- und Kindesinteressebereich vgl. im vorstehenden 2. Abschnitt, § 1. 23 Vgl. Baer, ZblJugR 1977, 520 f.; Bosch (1970), S. 51 ff.; luristinnenbund (1977), S. 13 ff.; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 275; Stöcker, ZRP 1974, 214. 24 Siehe vor allem Bosch (1970), S. 51 ff.; ders. FamRZ 1973, 498 ff.; ders., FamRZ 1974,2 f. 18
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Wertungen, indem nach herrschender Meinung Kreditgeschäfte Minderjähriger, wurden die Ratenzahlungen aus zur freien Verfügung überlassenen Mitteln geleistet, mit der Zahlung der letzten Rate wirksam sein sollen, wogegen einem Minderjährigen die Kompetenz abgesprochen wird, wirksam eine Urlaubsreise zu buchen, auch wenn er diese bar bezahlen kann etwa aus seinem Taschengeld, das er zuvor zusammengespart hat25 • Die mangelnde Reflexion über den Kindeswillen und die Willenskonsistenz geben den Entscheidungen zum Unterhaltsrecht sowie zum Kindeswohlbereich mit vermögensrechtlichen Auswirkungen einen eher spekulativen Charakter. So fehlt es an verläßlichen Daten zum Taschengeldumfang26 • Gleiches gilt für die Frage der Dauer und Höhe von Unterhaltsverpflichtungen gegenüber Auszubildenden27 , dies insbesondere auch bei gut verdienenden, getrennt lebenden Elternteilen28 etc. Die Unsicherheiten über den Kindeswillen bzw. über die Willensbildungs- und Entscheidungskompetenz sind schließlich ursächlich für die feststellbaren Wertungsschwierigkeiten der Gerichte bei der Frage, ob und wann eine (insbesondere nochmalige) Ladung des Kindes bei den kindbezogenen Scheidungsfolgesachen erforderlich ist29 , ob und wie gestaltet Jugendlichen eine rechtliche Handlungsfähigkeit vor den Behörden und Gerichten zuzugestehen ist30 bzw. in welchem Verhältnis die Organinteressen sowie ggf. widerstreitende Interessen des Kindes zueinander stehen31 . Die Jurisprudenz ist aus sich heraus zu einer angemessenen Bewertung offensichtlich nicht in der Lage. Es ist deshalb zu sehen, inwieweit die Nachbarwissenschaften eine Fixierung von Kindeswille und Willensfähigkeit ermöglichen und welche Bedeutung dem für die rechtliche Wertung beizumessen ist.
25 Zur Problematik vgl. die Kommentierung des Reisevertragsrechts durch P. Schwerdtner in Staudinger/Schwerdtner, 12. Aufl., § 651 a, Rn. 50. 26 Siehe schon Moritz, DB 1979, 1165 ff. 27 Zur Problematik: Moritz, JZ 1980, 16-21. 28 Aus der Fülle der kontroversen Rechtsprechung: BGH JR 1981,68; OLG Karlsruhe FamRZ 81, 1195 = NJW 82, 834; OLG Dssdf FamRZ 81, 298 = NJW 81, 2584; OLG Fft NJW 82, 833; KG FamRZ 82, 516. 29 Statt vieler BayObLG FamRZ 81, 999. KG FamRZ 1980,1156; Fehmel DAmtsV 1981,169 ff. m. w. N. 30 Vgl. Fehmel DAmtsV 1981, 169 ff. Hierzu zählt auch das Problem des Verhältnisses von Herausgabevollstreckung des § 1632 BGB bei entgegenstehendem Willen des Kindes; vgl. BGHZ 64,19,29 m. w. N. 31 Vgl. die Fälle KG FamRZ 1982, 954 und KG FamRZ 1982, 955, wobei das KG die hier angesprochene Problematik allerdings ausgespart hat.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
243
11. Die nachbardisziplinäre Fixierung von Kindeswille und Willensfähigkeit
1. Wille und Persönlichkeit Der Wille wird in einer umfassenden Umschreibung als "handlungsleitendes Streben" bezeichnet32 • Diese Kennzeichnung verdeutlicht den Kern des Willens bzw. dessen konkreten Vollzug, das Wollen 33 . Einigkeit besteht dabei darüber, daß das Wollen nicht allen rational motiviert ist 34 . Die Persönlichkeitsrelevanz des Wollens wird deutlich, wenn als verbindliches Kennzeichen für jegliches Wollen angesehen wird die "unverkennbar starke Mitbeteiligung des individuellen Selbstseins, das meistens als das ,Ich' der Persönlichkeit beschrieben wird"35. Wille bzw. Wollen sind nach der psychologischen Einschätzung somit Ausdruck und Bestandteil der individuellen Persönlichkeit. Es ist Vorausetzung für das Erkennen des Andersseins und dadurch des eigenen Ichs36 . Dies aber bedeutet, daß fehlender Wille oder Unterdrückung des Willens der Selbstwerdung, d. h. dem Entstehen einer individuellen Persönlichkeit, entgegensteht. 37, 38 Wenn der Wille als Voraussetzung des Icherlebens konstruiert ist und zugleich seine Manifestation in diesem erfährt, so ist mit dem Icherleben zugleich der Entwicklungszeitpunkt genannt, von dem ab von einem Willen des Menschen spätestens ausgegangen werden kann. Dies kann schon für die ersten Lebenswochen angenommen werden39 . Auch bei denjenigen, welche die Individualität schon des Säuglings40 verkennen und deshalb - in unzulässiger Einschränkung - Wollen nur in bezug auf vorgegebene Werte akzeptieren, liegt der Zeitpunkt vor der Vollendung des 1. Lebensjahres41 .
Vgl. Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Bd. 25, 1979, S. 376 Vgl. die Nachweise bei Fischel (1971), S. 10 f. 34 Schon Augustinus - "de libero arbitrio"; Nachdruck 1972 - sah den Willen als eigenständiges, der Vernunft selbständig gegenüber stehendes, wenngleich nicht irrationales, Vermögen zur Bestimmung menschlichen Lebens und Handeins an. 35 Fischel (1971), S. 184. 36 Fischel (1971), S. 184 f. m. w. N. 37 Entspr. Schenk-Danzinger (1970), S. 98. 38 Vermeidung der Willensunterdrückung ist nicht gleichbedeutend mit einer Dominanz des Kindeswillens. Denn Dissenz ist in jedem Fall der Unterdrückung vorzuziehen. Im Regelfall existiert der - freilich oftmals mühsame - Weg des argumentativ und! oder emotional begründeten Konsenses. 39 Herzka (1973), S. 66 sowie vor allem Petzeit (1965), S. 36. 40 Petzeit (1965), S. 36. 41 Siehe bei Busemann (1965), S. 164, mit Gottschaldt (1933). 32 33
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
2. Kindeswille und entwicklungspsychologische Willensfähigkeit Es ging bislang nicht um ein Entscheidenkönnen oder um die Zubilligung einer Ausübungskompetenz. Es sollte lediglich festgestellt werden, von welchem Zeitpunkt ab eigene Kindespositionen berücksichtigt werden müssen, und welche Folgen deren Ignorierung hat. Auch hier gilt freilich, daß Haben und Ausübenkönnen prinzipiell zusammenfallen. Nur handelt es sich dabei um eine, entsprechend dem Entwicklungszeitpunkt, differierende Art der Willensbestätigung. Die psychologische Fachliteratur unterscheidet zwischen einem emotionalen und einem rationalen Willen42 . Auch bei ersterem handelt es sich nicht etwa um ein triebbestimmtes Verhalten, sondern um ein zwar nicht rational, sondern emotional geleitetes Wollen43 . Wie das Beispiel von Lempp44 zeigt, weiß das - auch kleine - Kind sehr wohl zu unterscheiden etwa zwischen ",bedingungslosem Angenommensein' oder der zweckgerichteten oder neurotisch bedingten Verwöhnungshaltung" . Ebenso vermag das Kind Vorlieben für bestimmte Dinge zu äußern etc. 45. Dies bedeutet, daß das Kind einen (emotionalen) Willen hat und auch artikuliert. Die Artikulationsweise unterscheidet sich beim "emotionalen Willen" vom "rationalen Willen" aber insofern, als das Kind nur letzteren, in der Regel ca. ab dem Beginn des 11. Lebensjahres 46 , verbalisieren kann47 . Festzustellen ist für diese Phase allerdings noch eine nur relative Konsistenz der Entscheidung48 . Dies liegt entgegen E1l49 indes nicht an einer affektiven Hinterlagerung; denn diese ist vor allem Ausdruck des individuellen Temperaments50 . Vielmehr ist für die mangelnde Konsistenz, wird die psychische Entwicklung prozessual verstanden51 , eher der Zeitfaktor ursächlich. Es bedarf somit erst einer gewissen Dauer rational/verbaler Artikulation, bis diese Art der Äußerung verläßlich als Verhaltensmöglichkeit gelten kann 52 .
42 EIl, ZbIJugR 1980, 319, 322; Lempp, NJW 1963, 1969, 1661; ders. (1976), S. 18, 21; - zustimmend Giesen, NJW 72,288; Zenz, (Bd. 2; 1975), S. 177. 43 Auch Erwachsenenhandeln ist nicht allein, oftmals nicht einmal überwiegend rational bestimmt (!). 44 NJW 1963, 1661. 45 Herzka (1973), S. 73 f. 46 EIl, ZblJugR 1980, 323. 47 Lempp, NJW 1963, 1662; Piaget (1972), S. 140 f.; Schenk-Danziger (1971), S.155. 48 EIl, aaO, S. 323. 49 aaO, S. 323. 50 Dazu Chess (1967). 51 Vgl. vorstehenden § 1, CI 2. 52 Völkl u. a. - (1980), S. 52 - weisen dabei zutreffend auf die Relativität einer qualitativen Bewertung dieser Fertigkeit hin.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
245
III. Auswirkungen der nachbardisziplinären Deutungen von Kindeswille und Willensfähigkeit für die rechtliche Wertung
1. Der "begründete" Kindeswille als oberster Maßstab tür die Erkenntnis des Kindeswohls Die Aufdeckung der Zusammenhänge von Willensbildung und Willensartikulation haben deutlich gemacht, daß die entwicklungspsychologische Willensbildungsfähigkeit nicht notwendig identisch ist mit einer Fähigkeit zu verantwortlichem Handeln (als Basis für eine rechtliche Handlungsfähigkeit). Damit ist zugleich gesagt, daß allein die entwicklungspsychologische Willensbildungsfähigkeit nicht zum generellen Maßstab rechtlicher Mündigkeitszuweisungen taugt. Die Frage der Kompetenz einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit, auch wenn nur die Kindessphäre berücksichtigt wird, ist deshalb in diesem Stand der Untersuchung nicht verbindlich zu beantworten. Andererseits offenbaren die entwicklungspsychologischen Untersuchungen, daß für den Kindeswohlbereich die Bedeutung des Kindeswillens zeitlich weit vorverschoben ist und daß jene Auffassung fehl geht und ggf. zu verhängnisvollen Fehlwertungen führt, welche Willen und Willensartikulationsfähigkeit nur älteren Kindern zubilligt53 . Die Differenzierung zwischen emotionalem und rationalem Willen ist eine notwendige Ergänzung des Bewertungsmaßstabes "Geborgensein"; denn dem Richter wird damit die Möglichkeit eröffnet, auch unterhalb der verbalen Stufe zu erkennen, welche Emotionalbindung das Kind positiv akzeptiert und ob ein Geborgensein gegeben ist. Die Unterscheidung zwischen emotionalem und rationalem Willen ermöglicht zudem, nicht einen bloßen Kindeswillen genügen zu lassen, dessen absolute Favorisierung gegenüber dem Elternwillen zugleich die Gefahr eines Ausgeliefertseins der Eltern gegenüber kindlicher Willkür bedeuten könnte, sondern auf einen "begründeten" Kindeswillen abzustellen. Denn mit der Unterscheidung zwischen emotionalem und rationalem Willen ist nicht nur die grundsätzliche Willensbildungsfähigkeit begründet, sondern zugleich eine besondere Qualität der Willensbildungsfähigkeit, nämlich die entwicklungsbezogene Zurechenbarkeit, deren Grad ihrerseits bereits in der Unterscheidung zwischen emotionalem und rationalem Willen bestimmt ist. Ein emotional bzw. rational gebildeter Willen, welcher unter Projektion auf die entwicklungspsychologische Situation des Kindes als willkürlich erscheint (= unbegründeter Wille), ist für die Eltern nicht verbindlich. Der "begründete" Kindeswille bildet somit den obersten Maßstab für die Erkenntnis des Kindeswohls. Von entscheidender Bedeutung ist insoweit, 53 Ebenso: Cuny in Juristinnenbund (1977), S. 171; Dürr (1977), S. 10; Eil, ZbIJugR 1980,319,322; Lempp, NJW 1963,1659 f.; entspr. auch Coester (1983), S. 273 ff. Kritisch: Coester-Waitjen (Jurb. 1977), S. 77 f.; Liebl-Bittersdorf in Juristinnenbund (1977), S. 171; Zenz in Simitis/Zenz (Bd. 2,1975), S. 173.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
wem die Definitionskompetenz für die Begründetheit des Kindeswillens zusteht. 2. Definitionskompetenz für die Begründetheit des Kindeswillens Die Anerkennung des "begründeten" Kindeswillens als oberster Maßstab für die Erkenntnis des Kindeswohls bedeutet, daß der Persönlichkeit des Kindes stärkere Geltung verschafft wird bzw. bei der Einzelfallwertung zu verschaffen ist. Einem solchen Ansatz, welcher dem Kindeswillen eine entscheidende Bedeutung für die Bestimmung des Kindeswohls beimißt, ist immer wieder entgegengehalten worden, daß dabei die Gefahr von Beeinflussungsmöglichkeiten durch Dritte vernachlässigt werde54 • Auch diejenigen, welche dem Kindeswillen eine prinzipielle Relevanz für die Kindeswohlentscheidung beimessen55 , relativieren deshalb eher die Bedeutung des Kindeswillens für die konkrete rechtliche Entscheidung56 • Den kritischen Stellungnahmen ist zuzugeben, daß die Beeinflussungsmöglichkeiten des Kindes und seiner Willens bildung ein ständiges Problem darstellt. Damit ist jedoch nicht gerechtfertigt, den Kindeswillen überhaupt zu ignorieren bzw. seine Berücksichtigung als Ausnahmetatbestand zu behandeln. Denn dies stände im Gegensatz zu der letztlich verfassungsrechtlichen Vorgabe, nach der das einfache Gesetz und seine Auslegung im vorliegenden Bereich am Ziel der selbstbestimmten Persönlichkeit von morgen zu orientieren ist57 • Die Lösung kann kein schwarz-weiß Denken erbringen, welches entweder den Kindeswillen gar nicht beachtet oder ihn, ohne Ansehen seines Zustandekommens, als alleinigen Entscheidungsmaßstab anerkennt. Gefordert ist vielmehr eine differenzierende Betrachtung, welche die Bildung der Persönlichkeit des Kindes so weit wie möglich fördert und zugleich Fremdeinflüsse zurückdrängt. Insofern ist Co ester beizupflichten, wonach der Kindeswille grundsätzlich zu beachten ist, dem Kind jedoch keine formelle Entscheidungskompetenz zukommt58 . Erst der Richter hat ggf. über die Entscheidungskompetenz des Kindes zu entscheiden59 •
Vgl. vor allem Zenz, aaO. Zum Meinungsstand vgl. die Nachweise vorstehend unter"A 1/11". 56 Siehe Coester-Waltjen, in Juristinnenbund (1977), S. 77 f.; Liebl-Bittersdorf, in Juristinnenbund (1977), S. 171 sowie Zenz in Simis/Zenz (Bd. 2, 1975), S. 173. 57 Vgl. schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt. 58 Coester (1983), S. 273 ff. 59 Coester (1983), S. 277 ff. 54 55
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
247
Coester ignoriert bei seinen Überlegungen jedoch die hier gefundene Differenzierung zwischen emotionalem und rationalem Kindeswillen. Insofern stimmt sein Ansatz nicht, welcher die formelle Entscheidungskompetenz des Kindes letztlich deshalb verneint, weil die Kompetenz der rationalen Entscheidung beim Kind bezweifelt wird. Zutreffend geht andererseits jedoch auch Coester davon aus, daß der geäußerte Wille nicht unbedingt mit dem tatsächlich vom Kind Gewollten identisch zu sein braucht, daß aber das tatsächlich Gewollte im Regelfall feststellbar ist60 • Dies entspricht der hier getroffenen Differenzierung zwischen Kindeswillen und "begründetem" Kindeswillen. Erst letzterer ist maßgebend für die Kindeswohlentscheidung. Zur Feststellung der Begründetheit des Kindeswillens kommt es nicht auf die Fähigkeit des Kindes an, Begründungen zu artikulieren. Dies gewährleistet die getroffene Differenzierung zwischen emotionalem und rationalem Willen, wonach die Übermittlung des Gewollten auch durch Gesten etc. erfolgen kann und aufgrund dieser Äußerungen vom "Betrachter" (Richter, Sachverständiger) feststellbar ist. Gewährleistet ist damit eine schichtenspezifische Neutralität.
Im Alltag des Umgangs der Eltern mit ihren Kindern steht die Definitionskompetenz der Begründetheit des Kindeswillens entsprechend dem Vorrang der Sozialisation durch die Eltern grundsätzlich den Eltern zu. Urheber des Willens sind und bleiben jedoch die Kinder. Fehldeutungen des geäußerten Willens der Kinder durch die Eltern bleiben so lange unsanktioniert, wie nicht das Familieninternum von außen aufgrund des Wächteramtes (Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG, § 1666 BGB) durch staatliche Institutionen oder im übrigen durch Mitglieder der Familie (etwa im Scheidungsverfahren, aber ggf. auch durch Inanspruchnahme von Familienhilfen nach dem JWG61) eröffnet wird. In Konfliktfällen hat zunächst ggf. das Jugendamt zu entscheiden; letztlich hat jedoch der Richter über die Entscheidungskompetenz des Kindes zu befinden62 , also darüber, ob ein Kindeswille als begründet anzusehen ist und als solcher das Kindeswohl konkretisiert. Im einzelnen gelten für die Feststellung des "begründeten" Kindeswillens die folgenden Grundsätze:
60
Coester, aaO.
61 Vgl. im einzelnen im 6. Kapitel. 62 Ebenso Coester (1983), S. 277 ff., 282.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
3. Vorgehensweise für die Feststellung des "begründeten" Kindeswillens
3.1. Handlungsanweisungen für Richter und Jugendamt 3.1.1. Grundsatz Ein Kindeswille existiert als zunächst emotionaler, später als rationaler Wille quasi von Anfang an. Bei den Fragen des Aufenthalts und Umgangs (§§ 1671, 1634; bedingt § 1632), der Herausnahme aus dem Elternhaus bzw. der Entscheidung über die Wiederintegration nach § 1666 Abs. 1 BGB, der Aufnahme und Beendigung des Pflegekindschaftsverhältnisses und den dabei anzuerkennenden Elternbefugnissen, der Einwilligung und des Widerrufs bei einer Kindesadoption ist der Kindeswille Hinweis auf die Sozialisationsbeziehung, bei welcher ein Geborgensein existiert. Der begründete Kindeswille ist insoweit kongruent dem Kindeswohl. 3.1.2. Vorgehensweise a) Der Richter (bzw. das Jugendamt) hat in den genannten Fragestellungen den Kindeswillen festzustellen. Dabei ist die Unterscheidung zwischen emotionalem und rationalem Willen zu beachten. Der Richter muß also sein Instrumentarium darauf einrichten, ggf. das emotional begründete Wollen (evtl. mit gutachtlicher Unterstützung63 ) zu erfassen, bzw., liegt ein entsprechender Entwicklungsstand des Kindes vor, auf ein verbalisiertes Wollen des Kindes zu vertrauen. Die Maßgeblichkeit des Kindeswillens gilt unabhängig von der im Gesetz noch in § 1671 Abs. 3 BGB genannten Altersgrenze 64 und auch von der Tatsache, daß eine entsprechende Altersnennung in § 1634 Abs. 1 Satz 2 (E)65 nicht Gesetz geworden ist66 • Denn die Regelung des § 1671 Abs. 3 BGB kann als Anerkennung der Entscheidungskonsistenz der ab14jährigen67 durch den Gesetzgeber gewertet werden. Die Vermeidung einer am Willen der 14jährigen anknüpfenden Anschlußregelung in § 1634 Abs. 1 63 Für diese Frage sowie für die Beurteilung der Gesamtheit der kindlichen Sozialbeziehungen sind vornehmlich Erkenntnisse der Nachbardisziplinen maßgeblich, wenn sie nach dem gegenwärtigen Stand wissenschaftlicher Methoden und Erkenntnisse abgesichert sind; vgl. Münder, BGB-AK, S. 713 m. w. N. 64 Lernpp, NJW 1972, 317. 65 Vgl. BT-DrS 7/2060 sowie BT-DrS 8/111, Ziff. 10. 66 Für eine generelle Bedeutung des Kindeswillens beim "Umgangsrecht" die ganz herrschende Meinung auch schon vor der gesetzlichen Neuregelung; vgl. etwa LG München I FamRZ 1971, 311; KG FamRZ 1979, 448; OLG Düsseldorf FamRZ 1979, 857; OLG Bamberg FamRZ 1979, 858; BGH NJW 1980, 454 in einern Beschluß vorn 24. 10. 1979; vgl. eingehend auch Vollertsen, ZbIJugR 1977, 233 ff. m. w. N. 67 Vgl. die vorstehenden Ausführungen unter ,,11.2. ".
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
249
Satz 2 BGB stellt ebenfalls nicht diese Entscheidungskompetenz in Frage, sondern will eine Erhöhung des Konfliktpotentials vermeiden, welche durch den fortlaufenden Versuch des sorgeberechtigten Elternteils erzeugt werden könnte, den Kindeswillen gegen den anderen Elternteil und dessen "Umgangsrecht" zu manipulieren 68 • b) Den Kindeswillen zu respektieren bedeutet auch hier nicht Unterwerfung unter den Kindeswillen. Diese Respektierung ermöglicht und gebietet eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Kind. Daraus resultiert aber auch für die Kindesseite ein Begründungszwang. D. h., daß nur ein - bei einer beim Kind ansetzenden Bewertung - als begründet anzusehender Kindeswille den Richter bindet. Der Richter wird also zu unterscheiden haben, ob etwa bei der Sorgerechtsentscheidung die Äußerung des Kindes für oder gegen eines der Elternteile nur eine Spontanreaktion aufgrund einer momentanen Sondersituation (z. B. kurz vorheriges Versprechen eines Vorteils) darstellt oder ob die Äußerung zwar spontan, aber gleichwohl willensmäßig begründet ist (Abwenden vom Elternteil als Ausdruck einer auch aufgrund anderer Hinweise festzustellenden Ablehnung) oder ob z. B. das Verhalten äußerlich divergent zum Willen erscheint (fehlende Trauer über Abwesenheit der Primärbezugsperson als Ausdruck des beim Kind bestehenden Vertrauens, d. h. Geborgenfühlens in dieser Person). c) Die Kongruenz von Kindeswohl und Kindeswille setzt des weiteren voraus, daß etwa Zukunftsgegebenheiten (z. B. Zusammenleben mit einer Stiefmutter) in einen rationalen Willen des Kindes oder (z. B. bei schon zuvor bestehenden Kontakten) auch in einen emotionalen Willen haben einfließen können. Bei allen Regelungen hat der Richter zudem auch die außerhalb des Zivilrechts getroffenen und fixierten einschlägigen Vorgaben in Gesetzen bzw. Verordnungen zu beachten. So ist vor allem bei den §§ 1632, 1634 BGB der Wille des Kindes dann nicht ausschlaggebend, wenn der Erwachsene, um dessen Rechtsbeziehungen zum Kind es im konkreten Fall geht, objektivierbar in der Gefahr steht, im Rahmen der Beziehung zwischen dem Erwachsenen und dem Kind entweder selbst in nicht nur unerheblicher Weise gegen straf- oder ordnungsrechtliche Vorschriften zu verstoßen und/oder das Kind zu derartigen Verstößen anzuleiten 69 • d) Die Kongruenz von Kindeswohl und Kindeswille gilt im Prinzip schließlich auch bei der Entscheidung über die Herausnahme des Kindes aus der bzw. über die Wiedereingliederung in die Familie nach § 1666 Abs. 1 BGB. Dies ist Folge der Vorrangigkeit des "Geborgenseins" . Denn grundSätzlich bedeutet 68 69
Vgl. BT-DrS 8/2788, S. 541. Sp. Vgl. in diesem 3. Abschnitt, § 1 eIl 3.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
es für das Kind keine Hilfe, selbst wenn eine körperliche oder geistige Vernachlässigung vorliegt, entgegen seinem erklärten rationalen oder emotionalen Willen, die empfundene und erklärte Emotionalbindung zu zerstören. Unterbände das Gericht gleichwohl die Emotionalbeziehung, so fügte es damit der bestehenden körperlichen oder geistigen Vernachlässigung des Kindes Voraussetzungen für eine seelische Schädigung noch hinzu. Der Kindeswille ist somit auch bei § 1666 BGB zu beachten. Die aufgezeigte Möglichkeit einer seelischen Schädigung, bleibt der Kindeswille unbeachtet, sowie die dargelegte Kongruenz von Kindeswohl und Kindeswille ergeben schließlich, daß nur eine solche Auslegung des § 1666 BGB als sinnvoll erscheint, welche das Kindeswohl und dessen Gefährdung und nicht eine angeblich "objektive elterliche Pflichtwidrigkeit" als den relevanten Entscheidungsmaßstab für § 1666 BGB erachtet; denn nur dieser Ansatz vermag das Gesetzesziel zu erreichen, Hilfe für das Kind zu leisten7o • Die Grenze der Maßgeblichkeit des Kindeswillens bildet indes auch insoweit der Vorbehalt, daß straf- oder ordnungsrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Gegen die Beachtlichkeit des Kindeswillens spricht insbesondere nicht das von Zenz71 referierte Beispiel, bei dem sich die 2-jährige Tochter für einen Verbleib in der Familie geäußert hat, sie aber später, nach einem Heimaufenthalt, nicht in das Elternhaus zurückkehren wollte. Gezeigt ist damit lediglich, daß in diesem konkreten Fall offensichtlich kein besonderes konsistentes Emotionalverhältnis zwischen den Sorgeberechtigten und dem Kind existierte, so daß das Kind Ersatzbeziehungen zu Dritten aufbaute. Begründetheit des Kindeswillens, bei den Eltern bleiben zu wollen, bedeutete in der richterlichen Wertung somit, daß (i. d. R. mit Unterstützung von Sachverständigen) festzustellen wäre, ob das Kind nur deshalb bei den Eltern bleiben will, weil es andere Alternativen nicht kennt oder diese nicht einschätzen kann, oder ob eine Emotionalbeziehung i. S. eines Geborgenfühlens für die kindliche Willensäußerung maßgebend ist. In den Fällen des § 1666 Abs. 1 BGB ist somit der Frage der Begründetheit (des Kindeswillens) besonders hohe Sorgfalt zuzuwenden. Die Begründetheitsuntersuchung setzt auch dort beim Kind an (!) und darf nicht als Vehikel fremdgesetzter Werte dienen. Dies bedeutet vor allem, daß die Sozialnormen des Handlungsumfeldes des Kindes (z. B. Lebens- und Handlungseinstellungen im Unterschichtmilieu) den Bewertungsmaßstab bilden72 • Ein schichtbedingter rauher Umgangston oder der Fall, daß etwa ein Elternteil oder beide Bezugspersonen dem Alkohol zusprechen, begründen für sich noch nicht unbedingt eine Gefährdung des Kindes i. S. d. § 1666, auch wenn ein solches Verhalten Mittelstandsnormen nicht entsprechen sollte. Es kommt 70 Im Ergebnis ebenso vor allem Zenz (1979), S. 320 ff.; Münder, AK-BGB, S. 708, Rn. 3; Hirsch (1965), S. 46 ff. A. A. Gemhuber, FamRZ 1979, 229 ff.; Lüderitz, FamRZ 1975, 605 ff. 71 (1979), S. 137 ff. 72 Zur Schichtenproblematik vgl. schon im vorstehenden § 1, S. 234f., m. w. N.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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primär darauf an, ob dieses Elternverhalten zu einer psychischen Vernachlässigung des Kindes führt, also ein Geborgensein fehlt, oder der Tatbestand der Gesundheitsgefährdung gegeben ist oder straf- bzw. ordnungswidrigkeitsrechtliche Vorschriften nicht entgegenstehen. Einen "Schutz vor sich selbst", d. h. die Ignorierung des Kindeswillens, ist somit auch bei § 1666 Abs. 1 BGB auf den unter "c" genannten Fall beschränkt sowie auf die Fälle der Gesundheitsgefährdung und der fehlenden emotionalen Bindung. Schon dadurch sind u. a. die Tatbestände körperlicher oder seelischer Mißhandlung (= einmaliges übermäßiges oder mehrmaliges bzw. fortlaufendes Einwirken in die Persönlichkeits- und/oder Körperintegrität durch ein Tun oder Unterlassen73 ) umfaßt, selbst wenn der Minderjährige trotz dieser Situation für einen Verbleib bei seinen Peinigern plädiert; der Vorbehalt der straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Unbedenklichkeit umfaßt etwa den Fall des Schulschwänzens etc. 3.2. ElternlKind-Verhältnis 3.2.1. Grundsatz Kindeswohl und Kindeswille sind für das übrige ElternlKind-Verhältnis nicht deckungsgleich. Anzuerkennen ist jedoch eine Kongruenz von Kindeswohl und Respektierung des Kindeswillens. Denn es kann heute als anerkannt gelten, daß bei den Eltern eine Tendenz besteht, eigene Kindheitserfahrungen an die Kinder weiterzugeben, sowohl solche positiver als auch solche negativer Art74 • Dies schließt Einstellungsänderungen nicht völlig aus. Doch ist es psychisch angelegt, daß z. B. derjenige, welcher sich in seiner Kindheit unterlegen fühlte, bestrebt ist, an seinen Kindern zu "rächen", was er durch seine Erziehung erlitten hat75 • Um dieser Fortwälzung Einhalt zu gebieten sowie um der Aufgabe der Personensorgeberechtigten willen, die Entwicklung der Kinder zu autonomen Persönlichkeiten in Gemeinschaftsbindung zu fördern, haben die Personensorgeberechtigten aus ihrer Sozialisationsaufgabe heraus den Kindeswillen zu respektieren76 • Die Respektierung des Kindeswillens ist als einer der Inhalte des Kindeswohlvorbehaltes (der Leitnorm des § 1627 S. 1 BGB) zu erachten.
73 Aus diesem Definitionsvorschlag ergibt sich die Unangemessenheit des gerügten Tuns oder Unterlassens; die Einführung eines zusätzlichen Merkmals der Unangemessenheit, wie dies beim strafrechtlichen Begriff der "Mißhandlung" - vgl. die Kommentierungen zu §§ 223 und 223 b StGB - üblich ist, kann hier deshalb entfallen. 74 Zum Identitätsphänomen vgl. schon Freud (1920-24/1955), Bd. XIII, S. 155 f. 75 Quambusch (1973), S. 8, m. w. N. in der dort. Fn. 37. 76 Zur verfassungsrechtlichen Grundlegung dieser Pflicht vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
3.2.2. Folgerungen 3.2.2.1. Verbot körperlicher Züchtigung Der Grundsatz der Respektierung des Kindeswillens läßt Rückschlüsse auf das Verfahren im Eltern/Kind-Umgang zu. Indem ein Kindeswille als quasi von Anfang an existent festgestellt wurde, ist auch die Verpflichtung zur Respektierung dieses Kindeswillens von Anbeginn der Existenz des Kindes gegeben. Respektierung bedeutet dabei nicht Unterwerfung unter den Kindeswillen. Respektierung des Kindeswillens schließt zugleich aber auch die Unterwerfung des Kindes (als konträre Verhaltensform) aus. Schon daraus folgt, daß den Eltern das Mittel einer (wie auch immer gearteten) physischen Unterwerfung, also ein "Züchtigungsrecht", nicht zur Verfügung steht17 • Es kommt also insbesondere nicht auf die Frage an, ob die körperliche Züchtigung als "entwürdigende Erziehungsmaßnahme" i. S. des § 1631 Abs. 2 BGB zu bewerten ist18, was eine Bezugsetzung zum konkreten "Erziehungszweck" ermöglichte79 und damit den Schutzwert weitgehend relativierte. Wenngleich aus rechtspolitischen Gründen eine eindeutige Stellungnahme des Gesetzgebers wünschenswert gewesen wäre8o , führt dessen Schweigen nicht zu dem Schluß, daß ein Züchtigungsrecht gewohnheitsrechtlich81 begründet ist; entgegen Hinz und anderen 82 ergibt sich ein "Züchtigungsrecht" auch nicht aufgrund historischer Interpretation. Eine entsprechende Stellungnahme des Gesetzgebers, welche die Züchtigung ausdrücklich untersagt, war nicht erforderlich. Daß ein "Züchtigungsrecht" entfällt, ergibt sich schon aus dem als Teil des Kindeswohls enthaltenen Vorbehalt der Respektierung des Kindeswillens. Rechtstechnisch ergibt sich dies aus der Leitnorm des § 1627 Satz 1 BGB83, welche § 1631 Abs. 1 BGB insoweit unter den allgemeinen Kindeswohlvorbehalt stellt. 77 Ebenso: Huhn (1977), S. 67; Petri, ZRP 1976,64 f.; Quambusch, ZbIJugR 1974, 146. A. A.: Gernhuber (1980), S. 730 f.; StaudingerlDonau, 10./11. Aufl., § 1631, Rz. 31 ff.; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1631, Rz. 20 ff.; ders. 2. Lfg, § 1631, Rn. 15 f. 78 So aber Hinz, aaO, § 1631, Rn. 20; Gernhuber (1980), S. 730 f. 79 Hinz, aaO, übersieht, daß sein Austausch von Anlaß und Erziehungszweck nur dann sinnvoll wäre, wenn er von einem nicht von den Eltern gesetzten Erziehungszweck ausginge. 80 Diederichsen, FamRZ 1978, 472; Petri, ZRP 1976, 64 f. 81 Ablehnend auch die h. M., vgl. BGH NJW 76, 1949 ff.; JugSchöffGer Braunschweig ZbIJugR 1977, 217 ff.; Hinz, aaO, § 1631, Rn. 120. 82 Ohnehin mutet der Rückschluß aus der ersatzlosen Streichung des § 1631, Abs. 2 Satz 1 i. d. F. vor dem GleichberG, wonach der Vater körperliche Zuchtmittel gegen das Kind anwenden konnte, auf einen Gesetzgeberwillen, das Züchtigungsrecht fortgelten zu lassen (StaudingerlDonau, 10./11. Aufl., § 1631, Rz. 1; Hinz, aaO; Höhne (1974), 277) akrobatisch an. Zumindest Hinz hätte in seiner neuen Kommentierung erörtern müssen, ob nicht generell ein Einstellungswandel festzustellen ist, welcher der Fortschreibung früherer Gedanken entgegensteht.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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Ein "Züchtigungsrecht" ist somit schon aus dem psychologischen Argument einer bestehenden Korrelation von (negativen) Kindheitserfahrungen und entsprechendem Verhalten des späteren Erwachsenen zu verneinen 84 . Zusätzlich ergibt sich das Verbot einer Züchtigung (auch) durch die Eltern aus der Argumentationskette: Kindeswohl = Kindeswille = (Persönlichkeitsrecht der) Respektierung des Kindeswillens im Kindeswohlbereich....;. Verbot der (u. a. physischen) Unterwerfung des Kindes. Entsprechend diesen Überlegungen scheidet auch die "erlösende" Ohrfeige aus, etwa wenn das Kind sich in eine Aggressionshaltung "verrannt" hat. Es gibt auch insofern alternative Verhaltensweisen für die Sorgeberechtigten (z. B. Streichen von Vergünstigungen besonderer Art, wie etwa ein Kino-, Zirkusbesuch etc.); auch Erwachsene pflegen untereinander eine " erlösende " Ohrfeige nicht zu praktizieren. Entgegen Donau85 scheidet ebenfalls die Anerkennung einer Züchtigung von Zeit zu Zeit aus. Züchtigung als "Erziehungsmittel" von Zeit zu Zeit potenziert ohne Zweifel die subjektiv abschreckende Wirkung für das Kind. Zugleich aber führt eine solche Maßnahme zu einem Vertrauensschock für das Kind. Züchtigung bedeutet auch in dieser Variante eine Kontraindikation zum Geborgensein und damit zum Kindeswohl86 . Eine Züchtigung durch die Personensorgeberechtigten widerspricht damit in jedem Fall dem Kindeswohl und enthält zugleich einen Verstoß gegen die zivilrechtlichen Elternpflichten. Das Fehlen eines "Züchtigungsrechtes" schließt endlich auch die Übertragung eines solchen "Rechtes" oder die Konstruktion eines abgeleiteten "Züchtigungsrechtes" aus87 • Da ein "Züchtigungsrecht" nicht existiert, unterliegt auch die körperliche Züchtigung des Kindes durch die Eltern der allgemeinen strafrechtlichen Bewertung. D. h., diese Züchtigung ist Körperverletzung bzw. Mißhandlung i. S. d. §§ 223 ff. StGB. Abgesehen davon, daß es sich bei § 223 StGB um ein Antragsdelikt handelt, spielt vor allem der Umstand eine Rolle, daß die Tat ggf. im Familieninternum begangen wurde. D. h., das Familieninternum muß staatlichem Zugriff erst eröffnet werden. Hierfür gelten für die zivilrechtlichen Beziehungen bzw. im FGG-Verfahren die im 6. Kapitel (2. und 3. Abschnitt) entwickelten Grundsätze. Diese haben entsprechende Gültigkeit auch für die strafrechtliche Seite. Die Prüfung eines "besonderen öffentlichen Interesses" i. S. d. § 232 StGB Zur Kategorisierung vgl. lanslHappe (1980), S. 45. Gerber (1975), S. 3 f.; Giesen (1979), S. 48 f.; luristinnenbund (1977), S. 31; Quambusch (1973), S. 8 ff. m. w. N.; Zenz (1979), S. 229 ff. 85 Staudinger/Donau, 10./1l. Aufl., § 1631, Rn. 31 ff.; befürwortend auch Hambüehen, ZRP 1976, 200. 86 Zutreffend ist deshalb in der Stellungnahme des luristinnenbundes - (1977), S. 31 - formuliert: "Wird ein geprügeltes Kind zu einem positiv zu beurteilenden Erwachsenen, so wird es dies trotz, nicht wegen der Züchtigung". 87 I. E. ebenso die h. M., vgl. die Zitate und Nachweise zur früheren Rechtslage bei SoergellLange (1981), § 1631, Rn. 11-14. 83
84
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
setzt zunächst voraus, daß die Strafverfolgungsbehörde überhaupt Kenntnis von der Straftat erlangt. Darüber hinaus zielt dieser Ermessensvorbehalt darauf ab, daß die Strafverfolgung bei §§ 223, 230 StGB die Ausnahme bleibt88 . Ist der Verletzte ein Angehöriger des Täters (also hier das Kind), so wird ein öffentliches Interesse im allgemeinen verneint89 • Die Strafverfolgung setzt eine bestimmte Intensität der Tathandlung voraus. Der "Klaps" oder die "Ohrfeige" genügen dem nicht; etwas anderes gilt hingegen ggf. bei der zivilrechtlichen Wertung im Rahmen des § 1666 BGB, da es dort nicht auf eine objektive Wertung ankommt, sondern vor allem auf die subjektive Betroffenheit des Kindes 90 • 3.2.2.2. Konsensualprinzip Das Gebot der wechselseitigen Respektierung des Willens setzt an die Stelle eines Einwirkens auf den anderen das argumentative Eingehen. Denn der psychische Kontakt zwischen zwei Menschen muß, wegen der Negativfolgen von Zwangsmaßnahmen, auf Freiwilligkeit aufgebaut sein91 • Bei einem entgegenstehenden Willen der Personensorgeberechtigten ist verbal-argumentativ ein Konsens anzustreben. Dabei sind die Personensorgeberechtigten infolge des prinzipiellen Vorranges des Kindeswohls an einen begründeten Kindeswillen letztlich gebunden. Dies schließt gerade nicht aus, daß der Personensorgeberechtigte weiterhin die Leitlinien der "Erziehung" bestimmt. Begründetheit des Kindeswillens bedeutet, daß auch der Kindeswille (aus der Sphäre des Kindes von diesem) zu rechtfertigen ist bzw. als gerechtfertigt erscheinen muß. Dies führt dazu, daß das Kind (natürlich) keinen Anspruch darauf hat, z. B. Fernsehsendungen zu sehen, welche es noch nicht begreifen kann oder seiner (psychischen) Entwicklung nicht zuträglich sind. Wenn das Kind lieber einen Film sieht oder Fußball spielt etc. statt seine Hausaufgaben zu machen, ist auch diese Willensäußerung nicht als begründet anzusehen. Denn das Kind hat dabei offensichtlich die Zukunftsperspektive (Schulabschluß als Voraussetzung für Berufschancen etc.) nicht berücksichtigt. Die Eltern können also das Kind auffordern, seine Hausaufgaben anzufertigen und das Freizeitvergnügen untersagen. Wichtig hierbei ist, daß diese Entscheidung ihrerseits nicht willkürlich ist, sondern aufgrund einer Abwägung und unter Berücksichtigung (hier z. B. der Zukunftsperspektive) erfolgt. D. h. etwa auch, daß, kann das Kind intellektuell bestimmte Schulleistungen nicht erbringen, die Verweigerung der Anfertigung der Hausaufgaben "begründet" ist. Die Grenzen des Kindeswillens bilden objektive physische Gefahren für das Kind, bei denen, wird ihnen nicht begegnet, irreparable Schäden für das Kind Schönke/Schröder/Stree, StGb-Kommentar, § 232, Rn. 6, m. w. N. Schönke/Schröder/Stree, § 232, Rn. 5, m. w. N. 90 Vgl. im 6. Kapitel, 1. Abschnitt, S. 387ft., sowie im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, insbes. S. 472ft. 91 Lempp, NJW 1972, 317. 88 89
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zu befürchten sind. Verweigert z. B. das Kind dauerhaft die Essensaufnahme - hier fehlt es in der Regel schon am begründeten Kindeswillen -, darf und muß dieser Wille - möglichst mit Hilfe eines Arztes, der Familienhilfe etc. überwunden werden. Ebenso ist der Wille des Kindes unbeachtlich und nicht begründet, stehen ihm allgemeine gesetzliche Verbote entgegen (einschließlich dem, daß etwa ein Umgang mit Dritten objektivierbar die Gefahr späteren gesetzwidrigen Handeins des Kindes mit sich bringt). Das Konsensualprinzip mit seinen Einschränkungen bildet somit den Bewertungsgrundsatz für den Kindeswohlbereich in den Fällen, in denen Kindeswohl und Kindeswille nicht kongruent sind und das Kindeswohl somit erst nach dem Maßstab der "Respektierung des (begründeten) Kindeswillens" festzustellen ist (also etwa in den Problembereichen: Hausrecht im Kinderzimmer, Briefgeheimnis, Drittkontakte, Umgang mit dem eigenen Körper sowie Schul- und Berufswahl- ausschließlich deren Finanzierung - etc.).
3.2.2.3. Prävention und ultima ratio der Beeinflussungsmittel in der Grenze aus § 1631 Abs. 2 BGB, der Verletzung des Selbstwertgefühls des Kindes Die aufgezeigten möglichen Konfliktsituationen weisen darauf hin, daß ggf. ein Konsens nicht zu erzielen ist und den Personensorgeberechtigten (nur!) in den genannten Fällen Beeinflussungsmittel zuzugestehen sind. Diese Mittel (Verbot, Taschengeldkürzung) sind nur sinnvoll als Präventivmaßnahmen und unterliegen zudem dem ultima-ratio-Grundsatz. Für diese Mittel gilt nicht das Gebot der Respektierung des Kindeswillens. Jedoch unterliegen sie, wie auch das wichtigste elterliche Erziehungsmittel, die psychische Beeinflussung, dem Vorbehalt des § 1631 Abs. 2 BGB. Die grundsätzliche Orientierung "vom Kind her"92 führt zu der Wertung, daß eine "Erziehungsmaßnahme" dann als "entwürdigend" i. S. d. § 1631 Abs. 2 BGB zu bewerten ist, wenn sie zur Verletzung des kindlichen Selbstwertgefühls geeignet war. Dies entspricht der inzwischen weit überwiegenden Meinung93 .
3.2.2.4. Die Respektierung des Kindeswillens als Konkretisierung des zivilrechtlichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes Das Selbstwertgefühl des Kindes, bei welchem die Definition der "entwürdigenden Erziehungsmaßnahme" ansetzt, ebenso wie das Gebot der Respektierung des Kindeswillens stellen zugleich Konkretisierungen des zivilrecht92 93
Vgl. im vorstehenden 1. Abschnitt, § 4 CI 3. Im Ergebnis ebenso Hinz, aaü, § 1631, Rn. 20.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
lichen allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Kindes dar. Eine Persönlichkeitsrechtsverletzung im ElterniKind-Verhältnis kann nur zu familienrechtsadäquaten Sanktionen führen, also im Extremfall zu jenen des § 1666 BGB. Die jugendamtliche Interventionspflicht ergibt sich insoweit aus den
§§ 62 ff. JWG. In der Regel ergeben sich jedoch praktische Schwierigkeiten,
das Jugendamt zu informieren und sein Eingreifen zu bewirken. Wenn es stimmt, was Quambusch94 ausführt, nämlich daß die Eltern in der Tradition verharren, "die Kinder in erster Linie den Ansprüchen der Erwachsenen unterzuordnen", so ließe dies eine Vielzahl von Verletzungen der Persönlichkeitsrechte der Kinder vermuten. In Anbetracht der geschilderten Ineffizienz der Jugendämter95 wäre eine Lösung dieses Zustandes wohl kaum durch einen Abbau elterlicher Befugnisse96 , sondern durch eine Installierung von Rechten zu erreichen, genauer: der Zuerkennung von Rechtsausübungskompetenzen. Eine Eröffnung des Familieninternums durch den Minderjährigen setzte jedoch dessen Fähigkeit voraus, die Bedeutung seines Handeins zu begreifen und unter Abwägung der Beteiligteninteressen verantwortlich zu handeln. Denn andernfalls würde möglicherweise entgegen Art. 6 Abs. 1 GG Dritten eine Bestimmung der Familie durch Manipulation des Minderjährigen ermöglicht. Wann von einer solchen Entscheidungskompetenz auszugehen ist, haben die bisherigen Erörterungen zur entwicklungspsychologischen Willensbildungsfähigkeit noch nicht verbindlich festgestellt. Dazu ist eine Erörterung der Variablen Lebensalter erforderlich; ergeben diese Ausführungen verläßliche Daten über real bestehende Entscheidungskompetenzen der Minderjährigen, könnte dies auch Auswirkungen für die Frage der Zubilligung einer rechtlichen Handlungsfähigkeit haben. B. Die Bedeutung des Lebensalters I. Nacbbardisziplinäre Beurteilung
1. Reifungstheoretischer und lerntheoretischer Ansatz 97
Ältere Stellungnahmen verstehen - entsprechend traditionellem Vorbild98 Entwicklung noch immer als Aufeinanderfolge bestimmter Entwicklungsstufen, welche der Mensch im Laufe seines Lebens - eine nach der anderen Quambusch (1973), S. 10, unter Bezugnahme auf Goethe. Vgl. auch MoritzlMeier (1982), S. 192 ff., 199 ff., 207-219. 96 So aber Quambusch (1973), S. 48. 97 Die für sich allein weniger bedeutende Feldtheorie wird hier vernachlässigt; vgl. dazu bei Stone/Church (1978, Bd. 1), S. 267 ff. 98 Vgl. Hetzer - (1969), S. 9 - mit den Hinweisen auf die Ansätze bei Plato und Solon. 94
95
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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erreicht und wieder verläßt99 . Diese Vorstellung bezieht sich auf die biologische, psychische und soziale Entwicklung, unter Annahme einer (relativen 1OO) Synchronie der physischen und psychischen Entwicklung 101 • Stillschweigend setzt diese Ansicht voraus, daß zwischen dem Lebensalter und dem erreichten Entwicklungsstand eine eindeutige Korrelation besteht und daß Entwicklung sich in jedem Fall in der gesetzmäßigen Aufeinanderfolge bestimmter Stufen vollziehtI 02 • Wäre dem zu folgen, bildete das Lebensalter eine verläßliche Orientierung für den physischen, aber vor allem psychischen und sozialen Entwicklungsstand; damit wären Kompetenzzuweisungen allein von der Variable Lebensalter abhängig. Die Dependenz der Entwicklung vom Lebensalter leugnen auch neuere sozialwissenschaftliche Arbeiten nicht 103 • Die Korrelation von physischer und psychischer Reifung wird jedoch relativiert, und der Begriff der Entwicklung erfährt insofern eine Qualifizierung, als er in Beziehung gesetzt wird zum sozialen Umfeld 104 • Wird diese Auffassung zugrundegelegt, läßt sich ein bestimmter Lebenszeitpunkt für die vermutbare Existenz von Ausübungskompetenzen wesentlich schwerer fixieren. 2. Pubertät und Adoleszenz Der Zusammenhang von Entwicklung und Kompetenz an der Schwelle zur Selbständigkeit schlägt sich in dem übergreifenden Begriffspaar von Pubertät und Adoleszenz nieder. Pubertät entstammt dem lateinischen pubertas (Geschlechtsreife, Mannbarkeit). Die Bezeichnung bezieht sich also auf die biologische, genauer, auf die sexuelle Reifung. D. h. auf den Zeitpunkt, bei dem sich beim Mädchen die Brüste zu bilden beginnen und die Menarche einsetzt und beim Knaben pigmentierte Schamhaare wachsen 105 . Diese Reifung der Sexualorgane steht im Zusammenhang mit einem allgemeinen Wachs99 Busemann (1965), S. 26 ff., 288 ff.; Bühler (1930); Hetzer (1969), S. 35-200; Piaget (1947); ders. (1935, deutsch 1969); Remplein (1971); W. Stern (1974, 1969). 100 Siehe bei Undeutsch (1965), S. 73 f. 101 Vgl. vor allem ZellerlThomas (1964); Gesell (1962), S. 283 ff. 102 Hetzer (1969), S. 51. 103 Allport (1970), S. 270,460; Erikson (1971), S. 59,150 f., 214 f.; FriedrichIMüller (1980), S. 108 ff.; MusseniCongerlKagan (1976), S. 373-661. 104 Allport (1970), S. 271 ff., 402; Baacke (1979), S. 54 ff.; Dienelt (1974), S. 76; Erikson (1971), S. 64, 193 f.; Hurlick (1970, 1972), S.625; Herzka (1972), 111 ff. m. w. N.; MusseniCongerlKagan (1976), S. 375 ff.; Schenk-Danzinger (1970), S. 1727; - ausufernd Eysenck (1976), S. 148, mit seiner Korrelationsbehauptung von sozialer Herkunft und Intelligenz; zur Gegenposition vgl. in FriedrichIMüller (1980), S. 109 sowie MusseniConger/Kagan (1976), S. 354; vgl. meine Stellungnahme und die weiteren Nachweise im nachfolgenden Punkt ,,3." Folgerungen für die altermäßige Fixierung von Ausübungskompetenzen. 105 Pine (1966), S. 138 ff.
17 Moritz
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
tumsschub 106 . Dabei sind die absoluten Zahlen häufig zu aktualisieren; etwa ist eine fortlaufende Zunahme des durchschnittlichen Längenwachstums festzustellen 107 • Der Beginn der gesamten Entwicklungssequenz unterliegt individuell starken Schwankungen 108 • Bei einer amerikanischen Untersuchung aus dem Jahre 1970 wurden als spätester Zeitpunkt des Beginns dieser Entwicklung für Mädchen das 13. Lebensjahr und bei Knaben die Mitte des 14. Lebensjahres festgestellt 109 • Neuere Schiften verlegen den Beginn der Entwicklung dabei eher vor, etwa um den 11. Geburtstag llO ; dies entspricht den empirisch belegten Durchschnittswerten 111 . Zwischen Beginn und Höhepunkt und sodann (relativen) Abschluß der Entwicklung liegt eine Sequenz von durchschnittlich 2 bis 3 Jahren 1l2 . Diesen Zeitraum umfaßt die Adoleszenz 113 , wobei einige Autoren die gesetzlichen Vorgaben mitdenken und deshalb die Adoleszenz erst mit dem (jeweiligen) gesetzlichen Volljährigkeitsalter auslaufen lassen 1l4 • Übereinstimmend wird davon ausgegangen, daß mit physischen Änderungen psychische Wandlungen einhergehen 115 • Nach Erikson 1l6 erfolgt in der Adoleszenz ein spezieller Zuwachs der Persönlichkeitsreife, die persönliche Identität. Kognitive Fertigkeiten werden dagegen durchweg schon für die Zeit um den Beginn der Pubertät zugebilligt 117 ; diese Fähigkeiten, insbesondere die Gedächtnisleistungen nehmen nach empirischen Untersuchungen in der Folgezeit eher ab als zu 118 . Adoleszenz kann somit als Reifungsphase bezeichnet werden. Dies wiederum ist mit Allport 1l9 insofern zu relativieren, als ein Elfjähriger mehr Zeichen der Reife haben mag als viele egozentrische und neurotische Erwachsene. Andererseits wird darauf hingewiesen, daß gerade am Ende der körperlich/psychischen Entwicklung eine spezielle Phase der vom Lösungsstreben bestimmten sozialen Auseinandersetzung liege 120 • Mussen/Conger/Kagan (1976), S. 561 m. w. N., S. 564, Abb. 12.2. Vgl. bei FriedrichIMüller (1980), S. 72 sowie Lenz/Kellner (1965), S. 13 ff. lOB Mussen/Conger/Kagan, aaO, S. 563. 109 Mussen/Conger/Kagan, aaO, S. 568 f. m. w. N. 110 Siehe etwa Eil, ZblJugR 1980, 232; aber zur Tendenz auch schon Lenz/Kellner (1965), S. 41. 111 Mussen/Conger/Kagan, aaO, S. 564, mit Marshallffanner (1970). 112 Mussen/Conger/Kagan, aaO, S. 564, mit Marshallffanner (1970). 113 Fuchs u. a. (Bd. 1,1975), S. 17. 114 So etwa Gardner (1971), S. 161 ff. (21 Jahre); Baacke (1979) -18 Jahre. Dagegen Fuchs u. a. (Bd. 1,1975), S. 17 - Orientierung am Eintritt in das Arbeitsleben -. 115 Vgl. vorstehend unter ,,1". 116 (1971), S. 123 ff. 117 Schenk-Danzinger (1970), S. 145, mit Piaget (1941). 11B Schenk-Danzinger, aaO, S. 147 ff. m. w. N. Entsprechend weisen auch Mussen u. a. - (1976), S. 563 - darauf hin, daß das Gehirn zu Beginn der Adoleszenz bereits 95 % seines Endgewichtes erreicht hat. 119 (deutsch 1970), S. 269 f. 120 Älteres Schrifttum bringt die Mißbilligung dieses sozial unangepaßten Verhaltens durch die Bezeichnung als "Jugendkrise" zum Ausdruck; vgl. besonders Busemann 106 107
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3. Folgerungen für die altersmäßige Fixierung von Ausübungskompetenzen Einsichtig und am ehesten feststellbar ist nach den referierten Erkenntnissen somit allenfalls ein Regelzusammenhang von Lebensalter und biologischer Entwicklung, wobei auch dort Schwankungsbreiten zu beachten sind. Eine Korrelation der körperlichen und der psychischen Entwicklung ist dagegen zweifelhaft. So ist mit der Körperhöhenzunahme keine entsprechende Zunahme der Intelligenzentwicklung verbunden 121 • Mehlhorn 122 weist in Erwiderung auf Eysenck's Bezugsetzung von sozialer Herkunft und Intelligenz 123 zudem zutreffend auf den bei diesem Ansatz übersehenen weiteren Zusammenhang von sozialer Herkunft und Reaktion der Institutionen (vor allem der Schule als Förderer geistiger Potenzen) hin. Daraus folgt, daß Intelligenz sowie daran anknüpfende Zubilligungen von Selbstbestimmungskompetenzen nicht gleichzusetzen sind mit dem Nachweis von Fertigkeiten, die in der Schule favorisiert werden 124 • Denn andernfalls wäre ggf. vielen Erwachsenen eine Selbstbestimmungskompetenz abzusprechen. Demnach kann nur auf die kognitiven Fertigkeiten rekurriert werden. Diese sind bei normaler Entwicklung, für welche insoweit auch schon die körperliche Reifung ein Indiz darstellt 125 , etwa im 12. Lebensjahr ausgebildet. Dies fällt zusammen mit dem Zeitpunkt, welcher oben als für die Bildung eines rationalen Willens angegeben wurde 126 • Festzustellen ist damit, daß, abgestellt auf die kognitiven Fähigkeiten, etwa schon mit dem 12. Lebensjahr von einer Selbstbestimmungskompetenz gesprochen werden kann. Um eine Beherrschung der Anwendungs- und Umsetzungstechniken sicher voraussetzen zu können, ist angezeigt, zu dem genannten Lebensalter einen angemessenen Zeitzuschlag einzukalkulieren. Der Mensch ist jedoch nicht nur ein physisch! rationales Wesen. Unwägbarkeiten für die Praxis resultieren deshalb aus den psychischen Spannungen, die einerseits mit der körperlichen Reifung sowie zum anderen mit der sozialen Eingliederung zusammenhängen. Bei dem Unsicherheitsfaktor aus der körperlichen Reifung kann nach den referierten Erkenntnissen im Regelfall von einem Abklingen bis spätestens zum 15. Ge(1965 a), ders. (1965), S. 375 ff.; s. auch Erikson (1970). Dagegen zutreffend A. Petzelt - (1965), S. 238 ff. -, wenn er die Gleichsetzung von Infragestellung der Tradition und Entwicklungsweise ablehnt und deshalb darauf hinweist, daß Pubertät keine Krankheit, keine Krise ist, sondern (lediglich) eine besondere Fragestellung; zustimmend: Dienelt (1974), S. 37. 121 Lenz/Kellner (1965), S. 39. 122 In Friedrich/Müller (1980), S. 104 ff., 108 ff. 123 Eysenck (1976), S. 148. 124 Vgl. auch schon MoritzlMeier (1982), S. 211. 125 Lenz/Kellner (1965), S. 41. 126 In diesem Paragraphen unter "A". 17*
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
burtstag ausgegangen werden. Ein Abklingen der Unsicherheit aus der sozialen Eingliederung ist dagegen kaum verläßlich zu prognostizieren, weshalb die Schemata der Lebenszyklen weder in ihrer inhaltlichen -, noch in ihrer Zeitdimension wörtlich zu nehmen sind 127 • Aus der Art dieses psycho/sozialen Problems folgt jedoch, daß ein Spannungsabbau gerade nicht durch die Versagung von Selbstbestimmungskompetenzen (die nach der kognitiven Entwicklung vorhanden sind) zu erreichen ist, sondern durch Respektierung des vorhandenen Selbst, indem der Jugendliche ohne Infragestellung seiner Persönlichkeit in diese Welt entlassen wird 128 . Dies bedeutet Anerkennung dieser psychischen Labilitäten als Teil der jungen Menschen und gerade nicht als pauschalierte Rechtfertigung eines Minus zum Erwachsenen. So werden etwa auch als Regeltatbestand feststellbare Eigenarten älterer Menschen durchaus nicht als Begründung für eine generelle Kompetenzbeschneidung benutzt. Wenn die rechtliche Grenze dieser Kompetenzzubilligungen dort liegen muß, wo eine Selbstgefährdung bzw. eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung der Interessen anderer zu erwarten ist, so hat der hier interessierende erste Punkt der möglichen Selbstgefährdung eben einzukalkulieren, daß die kognitiven Fähigkeiten als existent vorauszusetzen sind. Als Fälle der den Juristen vor allem interessierenden materiellen Selbstgefährdung ist zu denken an übermäßiges Geldausgeben, um sich Freunde und Anerkennung zu erkaufen. Dies ist bei einer interpretativen rechtlichen Wertung zu berücksichtigen. So ist es in dieser Übergangsphase Jugendlichen nicht zu gestatten, Kredite wirksam aufzunehmen. Ebenso werden Vermögensverfügungen nicht unbeschränkt zugelassen werden können. Jedoch ist es im Hinblick auf die aufgezeigten psychischen Zusammenhänge der Persönlichkeitsentwicklung aus der Blickrichtung des Kindes (jedenfalls) psychologisch geboten, nicht weiterhin Rechtsgeschäfte für diesen Personenkreis generell unter den Vorbehalt der schwebenden Unwirksamkeit zu stellen 129 • Somit ist die Behauptung E. Schwerdtner'sl30 von der nur begrenzten Tauglichkeit der Nachbardisziplinen, verläßliche Entscheidungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen, nur insoweit bestätigt, als auch diese Wissenschaften keine festen Altersmarkierungen für die Zubilligung einer umfänglichen Selbstbestimmungskompetenz liefern. Die vom Juristen angestrebten verläßlichen Werte sind noch nicht fixiert. Jedoch erleichtert es die getroffene Bestimmung des Zeitpunktes, zu dem die kognitiven Fähigkeiten bestehen, und die Offenlegung der Abläufe der Persönlichkeitsentwicklung sowie ihrer (psychischen) Folgen, wenn dem Jugendlichen die Ausübung der objektiv bestehen127 So richtig Baacke - (1979), S. 113 ff. - in Relativierung des Stufenschemas von Erikson - (1966/1971), S. 150 f. -. 128 Entsprechend Stone/Church (Bd. 2, 1978), S. 233. 129 Vgl. im einzelnen schon im nachfolgenden § 3 A III, S. 276ff., sowie im 6. Kapitel; S. 387 ff. 130 AcP 173 (1973), S. 241.
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den Kompetenzen versagt wird, die anderenorts vorgegebenen Altersstufungen zu bewerten sowie eine Interessenfixierung beim gebotenen Interessenausgleich vorzunehmen. Zu den zu berücksichtigenden Altersstufungen an anderer Stelle zählen zum einen die gesetzestextlichen Vorgaben, zum anderen die allgemeine gesellschaftliche Realität. ß. Gesetzestextliche Wertung
1. Die unterschiedenen Lebensaltersstufen und ihre Rechtsfalgen Ein Blick in die Gesetzestexte offenbart, daß auch diese durchaus nicht nur die am Lebensalter orientierten Fixierungen des Beginns und Endes der Rechtsfähigkeit sowie der Volljährigkeit unterscheiden. Vielmehr gibt es eine Vielzahllebensaltersbezogener Rechtsfolgen. Unklar ist, ob sich hieraus ein System der Kompetenzstufungen ablesen läßt. Die gesetzestextlich hervorgehobenen Lebensaltersstufen und ihre Rechtsfolgen sind im einzelnen l3l : Lebensalter (= vollendetes Lebensalter) nasciturus
Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
Fiktion der erbrechtlichen Rechtsfähigkeit (§ 1923 Il BGB) Mögliche Stellung als Pflegebefohlener für nicht in § 1706 BGB berücksichtigte Fälle (§ 1912 I BGB)
Beginn des Geburtsvorganges
Strafrechtliche Menschheitsqualität (§§ 217 1,211 ffStGB)
Vollendung der Geburt
Beginn der Rechtsfähigkeit (§ I BGB) Stufe I der RegelUnterhVO (nehel. Kinder) sowie der OLG-Unterhaltstabellen (ehel. Kinder) Steuerschuldner (nach EStG, VermStG) Zählkind für Einkommens- und Lohnsteuerberechnung (§ 15 AO;
§ 33 a EStG; § 17u. § 15 ErbStG)
Entstehen der kinderbezogenen bzw. auf die Familiengröße abstellenden Sozialleistungen (Kindergeld nach BKGG, Wohngeld nach WoGG, Hilfen nach dem BSHG, Waisenrente, Rentenzuschläge Absolutes Verbot der Kinderarbeit (§§ 5 1,6 I JugArbSchG) 131 Vgl. schon die - allerdings teilweise überholten - Zusammenstellungen bei Clausen - (1976), S. 16-18 - sowie von Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. 2, § 2, Rn. 6. Zur nachfolgenden Tabelle vgl. meine vollständige Zusammenstellung in RdJB 1982, S. 315-320.
262 Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
Einsetzen einer vor der Geburt angeordneten Pflegschaft für Angelegenheiten nach § 1706 BGB (§ 1708 BGB) 8 Wochen
Mindestalter f. d. Annahme als Kind (§ 1747 IIll BGB)
3 Jahre
Möglichkeit der behördlichen Ausnahmebewilligung vom Verbot der Kinderarbeit f. Film, Fernsehen etc. (§ 61 Ziff. 2 alugArbSchG)
5 Jahre
Entscheidungsbefugnis des nichtehel. Kindes über Erstreckung der Änderung des Mutternamens auf das Kind (§ 1617 III BGB i. V. m. § 129 BGB, 49 I Ziff. 4 JWG)
6 Jahre
Beginn der Schulpflicht Stufe 11 der RegelUnterhVO (nichtehe!. Ki.) u. OLG Unterh. Tabellen (eheliche Kinder) Filmmündigkeit I (Filmkennzeichnung I; § 61V lÖSchG) Möglichkeit behördlicher Ausnahmebewilligung vom Verbot der Kinderarbeit f. Theaterveranstalt., Film, Fernsehen etc. - 3 Stunden (§ 6 I Ziff. 1 und 2 b lugArbSchG)
7 Jahre
Beschränkte Geschäftsfähigkeit (§ 106 BGB) Haftung für Vertragsverletzungen und unerlaubte Handlungen bei vorhandener Einsichtsfähigkeit (§§ 276 12,828 BGB)
10 Jahre
Religionsmündigkeit I: ein Kind ist bei Änderung des religiösen Bekenntnisses unter bestimmten Voraussetzungen zu hören (§ 2 III Re/KErzG); bei Bestimmung des religiösen Bekenntnisses durch Vormund oder Pfleger ist es stets zu hören (§ 3 Il Re/KErzG) Kinderausweise sind mit Lichtbild zu versehen (§ 2 Ziff. 2 DVPaßG)
12 Jahre
Religionsmündigkeit 11: Das religiöse Bekenntnis kann nicht gegen den Willen des Kindes geändert werden (§ 5 S. 2 Re/KErzG) Filmmündigkeit 11 (Filmkennzeichnung 2; § 61V lÖSchG) Erteilung des Fischereischeines ist möglich (§ 3 DVO zum Fischereischein G) Stufe III der RegelUnterhVO (nehe!. Kinder) und OLG-Tabellen für die Unterhaltsberechnung (ehe!. Kinder)
13 Jahre
Sportmündigkeit I (Erwerbbarkeit des deutschen Jugendsportabzeichens in Bronze) Eingeschränkte Erlaubnis der Kinderarbeit in der Landwirtschaft (§ 5 I1I lugArbSchG)
14 Jahre
Religionsmündigkeit 111: Uneingeschränkte Bekenntnisfähigkeit (§ 5 S. 1 Re/KErzG)
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
263
Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
Strafmündigkeit I: Strafrechtliche Verantwortlichkeit bei vorhandener Einsichtsfähigkeit (§§ 1 II, 3 S. 1 JGG) Vorschlagsrecht bezüglich der Verteilung der elterlichen Sorge nach Scheidung (§ 1671 III BGB) Eigene Erklärungsbefugnis des nichtehelichen Kindes über Erstrekkung der Änderung des Mutternamens auf das Kind (§ 1671 II 2 BGB i. V. m. § 129BGB, § 49 IZi!f. 4JWG) Erklärungsbefugnis über Einwilligung zur Einbenennung (§ 1618 IIII BGB) Rechtliche Qualifizierung als Jugendlicher (§ 1 II JGG; § 2 II JugArbSchG) Erfordernis der Einwilligung (mit Zustimmung des ges. Vertreters des Minderjährigen zu seiner Ehelicherklärung oder Annahme als Kind (§§ 1726 1,1729 12; §§ 1740 c S. 2,1746 i 3 BGB) Beachtlichkeit der Einwilligung des Minderjährigen zur Annahme als Kind, mit der Folge des Entfalls der Aufhebung der vom Kind selbst erteilten Einwilligung (§ 1760 II a BGB) Antragsrecht auf Aufhebung der Annahme als Kind ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§ 1762 I BGB) Eigenes Antragsrecht auf Ehelicherklärung mit Zustimmung des gesetzlichen Vertreters (§ 1760 c S. 2 BGB), selbständiges Widerrufsrecht der Einwilligung zur Annahme als Kind ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter (§ 1746 II BGB) Persönliches Anhörungsrecht des Kindes oder Mündels im Sorgerechtsverfahren sowie im Verfahren der Ehelicherklärung oder der Annahme als Kind (§§ 50 b II, 55 c FGG) Autonomes Beschwerderecht des Kindes oder Mündels vor Vormundschafts- oder Familiengericht in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten nach dem FGG; eigener Anspruch auf Bekanntmachung der Entscheidung über die Beschwerde bzw. weitere Beschwerde (§§ 59, 63 FGG) 15 Jahre
Ende der 9jährigen Schulpflicht (3 Jahre Berufsschulpflicht schließen sich an) Sportmündigkeit 11 (Erwerbbarkeit des deutschen Jugendsportabzeichens in Bronze mit Silberkranz) Arbeitsmündigkeit I: Beschäftigung innerhalb und außerhalb eines Berufsausbildungsverhältnisses, Führen von Kraftfahrzeugen, die nicht zu den Klassen 1-5 zählen (§7 I Zifj. 5 StVZO) Vergütungsanspruch aus Berufsausbildungsverhältnis (§ 10 BBiG)
264 Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
Geltung des Jugendarbeitsschutzes (§§ 7 ff. JugArbSchG) Aktives und passives Wahlrecht zur Jugendvertretung (§ 61 BetrVG; § 58 BPersVG) Handlungsfähigkeit im Sozialrecht: Anträge auf Sozialleistungen können selbständig gestellt, verfolgt sowie Sozialleistungen entgegengenommen werden (SGB-AT§ 36) Prozeßfähigkeit des Minderjährigen im sozialgerichtlichen Bereich (§ 71 I1 SGG); gleiches muß nach § 62 I Ziff. 2 VwGO i. V. m. § 36 SGB-AT auch für die anderen Bereiche des Sozialrechts gelten, für welche prozessual der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten gegeben ist Eigener Anspruch auf Ausbildungsförderung (§§ 1, 12 BAföG) für Real- und Gymnasialschüler 16 Jahre
Ehemündigkeit I: Das Vormundschaftsgericht kann auf Antrag von Erfordernis der Volljährigkeit bei der Eheschließung befreien, sofern der künftige Ehegatte volljährig ist (§ 1 I1 EheG) Ende des Betreuungszuschlages nach § 23 Abs. 2 BSHG Eidesmündigkeit: Eine Vereidigung des Minderjährigen ist möglich (§§ 393, 455 I1 ZPO; §§ 60 Nr. 1,61 Nr. 1 StPO) Testierfähigkeit für notarielles Testament (§§ 2229 1,2233,2247 BGB) Eigener Anspruch auf Ausbildungsförderung (§§ 1, 12 BAföG) f. Haupt-, Berufsfach- u. Fachoberschüler Möglichkeit der Erteilung des Jugendjagdscheins (§ 16 BJagdG) Jugendarbeitsschutz 11: Reduzierung des Urlaubsanspruchs (§ 1 I1 JugArbSchG); Ausnahmen bei Erntearbeiten sowie bezüglich der Nachtruhe in Schicht-, Gaststätten- u. ä. Betrieben (§§ 8 IIl, 14JugArbSchG) Erwerb des Führerscheins der Klassen 4 und 5 (§ 7 StVZO) Anhörungsrecht vor dem Vormundschaftsgericht bei beantragter Namensänderung (§ 2 I1 NamÄndG) Selbständiger Gaststättenbesuch, Besuch von Tanzveranstaltungen, Biergenuß und Rauchen in der Öffentlichkeit sind gestattet (§§ 21; 3 I1 Ziff. 2; §§ 4 und 9 JÖschG) Filmmündigkeit III (Filmkennzeichnung 3; § 6 IV JÖschG) Personalausweispflicht (§ 1 PersAuswG) Mögliche Anrechnung von Ausbildung als Ausfallzeit (§ 1259 I Ziff. 4 RVO = § 361 Ziff. 4 AVG)
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
265
Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
17 Jahre
Jugendarbeitsschutz 111; Reduzierung des Jahresurlaubs auf 25 Werktage (§ 191 Ziff. 3 JugArbSchG) Sportmündigkeit 111: Erwerbbarkeit des deutschen Jugendsportabzeichens in Silber Entfallen der Anordnung von freiwilliger Erziehungshilfe und Fürsorgeerziehung (§§ 62 f, 64 ff. JWG) Entfallen des Paßersatzes für Kinder durch Lichtbildausweis (§ 21 Ziff. 2 DVPaßG) Mögliche Anrechnung von Dienstzeiten (§ 6 I Ziff. 1 BeamtVG) oder Ausbildungszeiten (§ 12 BeamtVG) auf die Beamtenversorgung
18 Jahre
Beginn der Volljährigkeit (§ 2 BGB) Unbeschränkte Geschäfts- und Prozeßfähigkeit (§§ 104 ff. BGB, 52 ZPO); Testier- und Erbvertragsfähigkeit (§§ 2247, 2275 BGB); Möglichkeit des Erb- oder Pflichtteilverzichtsvertrages (§§ 2346, 2347 BGB) Reduzierung auf den höferechtlichen Ausgleichsanspruch (§ 12 HöfeO) Ende der elterlichen Sorge sowie der Erziehungshilfen nach dem JWG Unbeschränkte zivilrechtliche Deliktsfähigkeit (§ 828 BGB) Arbeitsmündigkeit 11: Unbeschränkte Erwerbstätigkeit im Rahmen der Gesetze Ehemündigkeit 11: volle Ehefähigkeit (§ 1 EheG) Allgemeine Wahlmündigkeit (Art. 38 II GG) Beginn der Wehrpflicht für Männer (§ 1 WPflG) Strafmündigkeit 11: Möglichkeit der Anwendung von allgemeinem Strafrecht oder Jugendstrafrecht, je nach Entwicklung (§§ 1, 105 und 106JGG) Strafantragsrecht (§ 77 III 2 StGB) Aktives und passives Wahlrecht zum Betriebs- bzw. Personalrat (§§ 7 f, BetrVG, 12 BPersVG); passives Wahlrecht als Vertrauensmann für Schwerbehinderte (§ 21 III SchwbG) Erhöhung der zulässigen Gesamtarbeitszeit für nicht im Haushalt oder der Landwirtschaft beschäftigte werdende Mütter von täglich 8 auf 81/2 Stunden (§ 8 II MuSchG) Ende des Jugendarbeitsschutzes und Jugendschutzes Unterhaltsberechnung für eheliche und nichteheliche Kinder nach allgemeinen Vorschriften; Ende der Geltung von RegelUnthVO und den Unterhaltstabellen der OLG
266 Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
Erwerb des Führerscheins der Klassen 1 und 3 (§ 7 StVZO) Einwilligung der Mutter zur Ehelichkeitserklärung nicht mehr erforderlich (§ 1726 I BGB) Möglichkeiten der Ernennung zum Testamentsvollstrecker (§§ 2201 BGB) Bestellbarkeit als Vormund oder Pfleger (§ 1781 Ziff. 1, 1915 BGB) Zeugenfähigkeit bei der Beurkundung (§ 26 II 2 BeurkG) Erwerb von Jagd- und Fischereischein möglich (§ 17 BJagdG; § 4 DVO zum FischereischeinG) Filmmündigkeit IV: alle Filme (§ 6 W JÖSchG) Regelmäßiges Ende des Anspruches auf Kindergeld (§ 2 II BKGG) Regelmäßiges Ende des Anspruches auf Waisenrente (§ 1267 I 1 RVO = § 44 11 AVG), der Kinderzulage für Schwerverletzte (§ 583 I RVO) sowie der Waisenversorgung (§ 61 I Ziff. 3 BeamtVG) Erhöhung des Prozentsatzes vom Jahresarbeitsverdienst bei Berechnung einer Berufsunfallrente (§ 575 I RVO) 19 Jahre
Sportmündigkeit IV: Erwerbbarkeit des deutschen Jugendsportabzeichens in Gold Fahrerlaubnis für Krankenwagen (§ 15 eI Ziff. 2 StVZO)
21 Jahre
Strafmündigkeit III: Ende des Heranwachsendenstatus' (§ I II JGG) Erwerb des Führerscheins Klasse 2 (§ 7 StVZO) Annahme eines nichtehelichen Kindes oder des Kindes vom Ehegatten möglich (§ 1743 III BGB) Fahrerlaubnis für Kraftdroschken oder Mietwagen (§ 15 eI Ziff. 2 StVZO) Anspruch auf vorzeitigen Erbausgleich (§§ 1934 die BGB)
23 Jahre
Ende des Anspruches auf Kindergeld für erwerbslose Kinder ohne Anspruch auf Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe (§2WaBKGG) Allgemeine Fahrerlaubnis für Fahrgastbeförderung (§ 15 eI Ziff. 2 StVZO) Entfall der Anrechnung des Elterneinkommens auf Ausbildungsförderung bei vorangegangener 5jähriger, den Lebensbedarf deckender Erwerbstätigkeit nach dem 18. Lebensjahr (§ 11 III Ziff. 3 BAföG)
24 Jahre
Ende des passiven Wahlrechts zur betrieblichen Jugendvertretung (§ 61 II BetrVG)
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
267
Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
25 Jahre
Ende des Rechts auf Jugendbildungsurlaub (in Berlin und Hessen ohne Altersgrenze in Bremen, Hamburg und Niedersachsen -) Alterserfordernis für den oder einen der Annehmenden bei der Annahme als Kind (§ 1743 I, II BGB) Ende der Verwaltung und Nutznießung des überlebenden Ehegatten an dem vom Abkömmling geerbten Hof (§ 14 HöfeG) Möglichkeit der Todeserklärung unter bestimmten Voraussetzungen (§ 3 II VerschG) Möglichkeit der Berufung zum ehrenamtlichen Richter am Arbeitsoder Sozialgericht (§ 21 ArbGG; § 161 SGG) sowie zum Schöffen (§ 33 Ziff. 1 GVG) Möglichkeit der Zulassung zum Heilpraktiker (§ 2 I ader 1. DVO z. HeilprG) Regelmäßiges Ende des Anspruches auf Waisenrente (§ 1267 I 2 RVO = § 44 12 AVG) sowie der Kinderzulage für Schwerverletzte (§ 583 III RVO) für Kinder, die sich in Schul- oder Berufsausbildung befinden Ende der Möglichkeit, zur Errechnung der Unfallrente den Jahresarbeitsverdienst auf ein gegenüber dem natürlichen Alter höheres Lebensalter zu beziehen (§§ 573 II, 576 RVO)
26 Jahre
Ende des passiven Wahlrechts zur Jugendvertretung nach dem Personalvertretungsgesetz (§ 58 II BPersVG)
27 Jahre
Regelmäßiges Ende des Anspruches auf Kindergeld für Auszubildende und Studenten (§ 2 III BKGG) Möglichkeit der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit (§§ 6 BRRG, 9 I BBG) Reduzierung der Anrechenbarkeit des Elterneinkommens bei Beginn des Ausbildungsabschnittes nach dem 27. Lebensjahr (§ 25 a I BAföG)
30 Jahre
Berufung zum ehrenamtlichen Richter am Landesarbeits- und Landessozialgericht sowie zum Verwaltungsgericht möglich (§ 37 I ArbGG; § 35 SGG; § 20 VwGO) Möglichkeit der Berufung zum ehrenamtlichen Handelsrichter (§ 1091 GVG) Entfall des Erstanspruchs auf Ausbildungsförderung für einen Ausbildungsabschnitt, dem nicht unmittelbar die zugangsberechtigende Vorausbildung vorangeht (§ 10 III BAföG) Entfall der Anrechnung des Elterneinkommens bei Erstbeginn einer - trotz § 10 III BAföG - noch förderungsfähigen Ausbildung nach Vollendung des 30. Lebensjahres (§ 11 III Ziff. 2 BAföG)
268
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Lebensalter (= vollendetes Lebensalter)
Rechtsfolgen in der Bundesrepublik Deutschland
Erste Stufe für die Verlängerung der Urlaubsdauer im öffentlichen Dienst (§ 5 ErholUrLVO, § 48/ BAT) sowie nach den meisten gewerblichen Tarifverträgen 35 Jahre
Berufung zum Bundesrichter möglich (§§ 12511 GVG; 311 VwGO; 4211 ArbGG; 38 11 SGG; 14 11 FGO) Berufung zum ehrenamtlichen Richter am Bundesarbeits- oder Bundessozialgericht möglich (§§ 4311 ArbGG; 47 SGG)
40 Jahre
Wählbarkeit zum Bundespräsidenten (Art. 54/ GG) Mindestalter für Richter am Bundesverfassungsgericht (§ 3/ BVerfGG) 2. Stufe für die Verlängerung der Urlaubsdauer nach den meisten gewerblichen Tarifverträgen sowie im öffentlichen Dienst (§§ 5 ErhoLUrLVO, 48/ BAT)
2. Rückschlüsse auf ein gesetzlich vorgegebenes System des Kompetenzzuwachses? Die zahlreichen lebensalterfixierten gesetzlichen Kompetenzzuweisungen dürften verdeutlicht haben, daß auch der Gesetzgeber nicht davon ausgeht, daß eine rechtliche Handlungsfähigkeit hinreichend mit dem gesetzlichen Volljährigkeitsdatum fixiert ist. Fraglich ist allerdings, ob aus den angeführten Einzelregelungen auf ein rationales System des Kompetenzzuwachses zu schließen ist. Rein numerisch ergeben sich Zuweisungs-Ballungen in den Altersstufen 14 und 16. Ein Anstieg, wenngleich mit geringerem Niveau, ist bei einer gedachten Kurve nochmals für die Lebensalter 15 und 25 Jahre zu registrieren. Das höchste Niveau wird, wie zu erwarten war, zweifellos bei der Volljährigkeitstufe erreicht. Quantität ermöglicht dabei indes keinerlei Rückschlüsse auf die Qualität. Denn die aufgeführten Rechte sind von unterschiedlichem Gewicht. In Abwandlung einer Aussage von Decker132 kann zudem gesagt werden, daß es sich der Gesetzgeber bei seinen Altersstufungen wahrhaft "einfach" gemacht hat. Mit Recht spricht deshalb Clausen 133 von einer "Ratlosigkeit unserer Rechtsbräuche" . Seine weitere Feststellung, daß die Tatsache gar nicht schlecht wiedergegeben werde, "daß die Grenze der Jugend zum Später ... sozial aufmerksamer gezogen wird als zum Früher ... "134, relativiert sich dagegen bei näherem Hinsehen. Denn gerade auch in 132
133
(1979), S. 12. (1976), S. 18.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
269
der Altersstufe 14 Jahre ist eine Zuweisungs-Ballung festzustellen. Festzustellen bleibt jedoch, daß die gesetzlichen Kompetenzeinräumungen inhaltlich widersprüchlich sind und deshalb von einem gesetzlich vorgegebenen, rational begründeten System des Kompetenzzuwachses nicht zu sprechen ist. So ist es nach wie vor nicht einsichtig, daß jemand mit 18 Jahren zwar Mitglied der Legislative sein kann (vgl. Art. 38 Abs. 2, 2. Alt. GG, i. V. m. § 2 BGB), ohne jedoch strafrechtlich voll verantwortlich sein zu müssen (§§ 1 Abs. 1,105 JGG)135. Ebenso weist schon Bosch zutreffend auf den Widerspruch aus der Divergenz zwischen Volljährigkeitsalter (18 Jahre) und Erbausgleichsalter des nichtehelichen Kindes nach §§ 1934 dIe BGB (21 Jahre) hin, wobei andererseits dem 18jährigen der wirksame Abschluß eines Erb- oder Pflichtteilsverzichtvertrages für sich und seine Angehörigen zugestanden werde (§§ 2346 ff. BGB)136. Dubios erscheint ferner die Versagung der Eigenbewirtschaftungskompetenz bis zum 25. Lebensjahr (und darüber) gern. § 14 Abs. 1 Höfe0 137 . Ebenso widersprüchlich ist etwa die Zubilligung einerseits der sozialrechtlichen Handlungsfähigkeit mit 15 Jahren (§ 36 SGB-I, § 71 Abs. 2 SGG), wogegen andererseits das JWG Antragsrechte allein den Personensorgeberechtigten zuerkennt 138 . Die gesetzlichen Regelungen erscheinen bei einer Gesamtschau somit nicht eindeutig und widerspruchsfrei. Die Gesetzestexte weisen auf ein System von Kompetenzstufungen hin, welches die Volljährigkeit als lediglich besonders prägnante rechtsrelevante Stufung umfaßt. Es bedarf somit der Überprüfung durch Literatur und Rechtsprechung - und dies ist einer der Anlässe dieser Untersuchung -, ob, wann und wie Minderjährigen subjektive Rechte - zumindest im Familieninternum - zugebilligt werden können und die Ausübung dieser Befugnisse gestattet sein SOIl139. III. (lndustrie-)GeseUschaftliche Vorgabe
Weder die Nachbardisziplinen noch die gesetzestextliche Wertung stellt somit ein rationales System der Kompetenzstufungen zur Verfügung. Andererseits ist deutlich geworden, daß im Jugendalter die kognitiven Fähigkeiten zur Selbstbestimmung vorhanden sind sowie die psycholsoziale Entwicklungssituation des Jugendlichen die Anerkennung von Selbstbestimmungskompetenzen auch der Art fordert, daß ihm eine rechtliche Handlungsfähigkeit zuerClausen (1976), S. 18. Vgl. schon Bosch (1970), S. 58. 136 (1970), S. 58 ff. m. w. N. 137 Bosch, aaO, S. 61. 138 Siehe im einzelnen Moritz, Jura 1984, S. 123 ff., unter "B", und die dortige Fallbesprechung. 139 Zum Streit subj. Recht oder lex imperfecta im ElternlKind-Verhältnis vgl. Diederichsen - NJW 1980, S. 2 m. w. N. - sowie im einzelnen meine Darlegungen im nachfolgenden § 3, unter "B II 2.4.". 134 135
270
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
kannt wird. Denn bei der Selbstbestimmung kann die rechtliche Anerkennung der Verselbständigung nicht ausgespart werden. Dazu gehört die Zuerkennung von Rechten im Sozialisationsbezug und, daß Verfahren zur Verfügung gestellt werden, diese Rechte durchzusetzen; auszusparen davon ist grundsätzlich auch nicht der allgemeine Rechtsverkehr. Aus den nachbardisziplinären Erklärungen ergab sich dabei, daß externe rechtliche Kompetenzzuerkennungen noch nicht mit der Vollendung des 12. Lebensjahres in Betracht kommen. Denn in diesem Lebensalter sind (in aller Regel) zwar die kognitiven Fähigkeiten ausgebildet, eine Festigung dieser Möglichkeiten ist jedoch noch nicht ohne weiteres vorauszusetzen. Die Fixierung des Zeitpunktes, zu dem die Beherrschung der gegebenen Fähigkeiten sowie der Anwendungs- und Umsetzungstechniken zu erwarten wäre, treffen die Nachbardisziplinen nicht, da, wie festgestellt, den Stufen- und Zyklenschemata kein Absolutheitsanspruch zukommt. Andererseits läßt es die psycho-/ soziale Entwicklungssituation der Jugendlichen nicht zu, daß es mangels eindeutiger gesetzestextlicher oder nachbardisziplinärer Vorgaben eben bei dem Volljährigkeitsdatum i. d. S. bleibt, daß eine eigenständige rechtliche Handlungsfähigkeit für die davor liegende Lebenszeit verneint wird. Denn Selbstbestimmung setzt die Respektierung des vorhandenen Selbst bei existenten kognitiven Fähigkeiten voraus l40 • Eine Lösung des Zwiespaltes zwischen Ausübenkönnen und Versagenwollen erfolgt m. E. durch die gesellschaftsalltäglichen Fixierungen. In industriell entwickelten Gesellschaften, also u. a. auch in der Bundesrepublik, stellt einen wesentlichen Lebenseinschnitt der Eintritt in das Arbeitsleben dar141 • Bei einer Regelschulzeit von 9 Jahren erfolgt dieser Wechsel im Lebensalter von 15 Jahren 142 • Möglich ist der Abschluß eines normalen Arbeitsvertrages oder das Eingehen eines Anlernverhältnisses. Der Regelfall des Berufsausbildungsverhältnisses ist zwar aus seiner Zwecksetzung der Kenntnisvermittlung durch besondere Fürsorge- und Betreuungsverpflichtungen des Ausbildenden 143 sowie korrespondierenden Pflichten des Auszubildenden l44 gekennzeichnet. Auf das Ausbildungsverhältnis sind grundsätzlich die für den Arbeitsvertrag geltenden Rechtsvorschriften und Rechts140 Ebenso Stone/Church (Bd. 2, 1978), S. 233; vgl. auch die Ausführungen in diesem Paragraphen unter "B I". 141 Fuchs u. a. (Bd. 1,1975), S. 17. 142 Zwar ergibt sich diese Regelschulzeit aus den Landesschulgesetzen. Diese Gesetze modifizieren allenfalls die Schulzeitspanne. Der Lebenseinschnitt des Wechsels in das Arbeitsleben wird indes nicht von diesen Gesetzen bestimmt, sondern ist von den gesellschaftlichen Bedingungen der Industriegesellschaft vorgegeben. Insofern stellt diese Wertung keine inzidente Rückbeziehung auf die unter ,,11." als nicht rational apostrophierten gesetzlichen Lebensaltersstufen dar. Maßstab sind die gesellschaftlichen Vorgaben. 143 § 6 BBiG; s. dazu die Entscheidungszusammenstellung bei Fredebeul (Bd. 1, 1981), S. 38 ff. sowie Etzel (1971), S. 354 f. 144 § 9 BBiG; s. dazu bei Fredebeul, aaO, S. 75 ff., sowie Etzel (1971), S. 355 f.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
271
grundsätze anzuwenden (§ 2 Abs. 2 BBiG)145. Vertragspartner des obligatorischen Ausbildungsvertrages (§ 3 Abs. 1 BBiG) sind der Ausbilder und der Auszubildende (§ 3 Abs. 1 BBiG). Es ist eine angemessene Ausbildungsvergütung zu gewähren (§ 10 Abs. 1 BBiG). Diese ist entsprechend dem Lebensalter zu bemessen und erhöht sich mindestens jährlich (§ 10 Abs. 1 BBiG). Außer als Ausbildungsbeihilfe ist die Vergütung auch als arbeitsrechtliche Entlohnung zu betrachten l46 . Auch das Berufsausbildungsverhältnis führt damit zu einer bedingten materiellen Sicherung des Auszubildenden. Entsprechendes galt bislang für Schüler weiterführender Schulen ab Klasse 10 (§§ 1, 12 BAföG) bzw. gilt für Jugendliche, die an Berufsförderungsmaßnahmen teilnehmen (§ 40 AFG). Der Gesetzgeber hat insoweit der (industrie-)gesellschaftlich vorgegebenen Realität Rechnung getragen und zugleich diese Vorgaben verallgemeinert, indem schon ab-15jährigen die materielle Sicherung zugesichert war (gemäß §§ 1,36 Abs. 1 BAföG hatte vom 15. Lebensjahr an der Schüler, nicht die Personensorgeberechtigten (!) einen Anspruch). Die Streichung der Ausbildungsförderung nach dem BAföG für Schüler ändert an dieser Bewertung grundsätzlich nichts. Denn erstens tritt an die Stelle dieser Förderung in einigen Bundesländern eine Beihilfe durch das Land bzw. es erfolgt im übrigen oftmals eine alternative Zahlung nach dem BSHG (dort allerdings an den Haushaltungsvorstand)147. Die Streichung der Zahlungen aus konjunkturellen Gründen hat im übrigen nur eine Verlagerung zur Folge, wie dies das Beispiel des BSHG verdeutlicht. Ein Wille des Gesetzgebers zur Abkehr vom Grundsatz einer eigenen materiellen Sicherung der Jugendlichen folgt daraus nicht. Wird dem Rechnung getragen, so ergibt sich, daß der 15. Geburtstag den generalisierbaren Zeitpunkt darstellt, welcher die Minderjährigkeitsphase insoweit unterbricht, als zu diesem Zeitpunkt, bei einer Wertung aus der Sphäre des Minderjährigen, ein Schutz des Nichtvolljährigen nicht mehr erforderlich ist, da von einer Selbstbestimmungskompetenz (= Haben der kognitiven Fähigkeiten und Beherrschen der Anwendungs- und Umsetzungstechniken) auszugehen ist 148 .
145 Insbesondere handelt es sich nicht um ein berufliches Erziehungsverhältnis früheren Verständnisses (!). 146 Haase/RichardlWagner, BBiG, S. 106. Vgl. insbesondere aber § 10 BBiG, welcher den Geldanspruch des Auszubildenden gegen den Ausbilder als "Verfügung" bezeichnet und nicht länger als Beihilfe oder Unterstützung - s. dazu auch Sander (1975), S. 7-. 147 Vgl. zum BSHG-"Ersatzanspruch" J. Müller in ZblJugR 1983, 124 sowie zu den Förderungsleistungen der Länder die Nachweise in ZaS v. 20. 2. 1983, S. 4. 148 Dafür, daß der 15. Geburtstag als besondere Entwicklungsstufe zu betrachten ist, ohne daß indes im einzelnen daraus Konsequenzen für eine rechtliche Handlungsfähigkeit gezogen würden, auch: Limbach NJW 1982, 1727.
272
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
C. Fazit Der entwicklungspsychologische Kindeswille hat sich als der maßgebende Entscheidungsgesichtspunkt für die rechtliche Bewertung der Eltern/ KindSozialisationsbeziehungen herausgestellt. Maßgebend für .diesen Stellenwert des Kindeswillens war die Differenzierung zwischen einem rationalen und emotionalen Willen. Der Kindeswille wird damit zum Entscheidungskriterium von Anfang an. Das Gebot der Respektierung des Kindeswillens ist Ansatz für die zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechte des Kindes. Dabei ist der begründete Kindeswille bei der Frage des Aufenthalts und Umgangs für den Richter prinzipiell bindend; denn der begründete Kindeswille impliziert insoweit zugleich die Bewertung des "Geborgenseins" durch das Kind. Die Begründetheit des Kindeswillens bildet einen objektiven Maßstab. Die Definitionskompetenz steht im "ungeöf!neten" Familieninternum aufgrund des Elternrechts den Eltern zu. Im übrigen hat letztlich der Richter, ggf. mit Unterstützung durch Sachverständige, über die rationale und/oder emotionale Entscheidungs kompetenz des Kindes zu befinden. Das Recht des Kindes auf Respektierung seiner Persönlichkeit untersagt eine körperliche Züchtigung. Das Gebot der Respektierung des Kindeswillens führt im Eltern/Kind-Bereich zum Konsensualprinzip. Die Personensorgeberechtigten sind an einen begründeten Kindeswillen gebunden. Die Grenze bilden objektive physische Gefahren für das Kind sowie die allgemeinen gesetzlichen Verbote 149 • Eine Differenzierung ergibt sich auch hier in Abhängigkeit vom Lebensalter. Das Attribut "begründet" ist Ausdruck der entwicklungsbezogenen Zurechenbarkeit. Dies bedeutet, daß das Kind entsprechend seinem persönlichen Entwicklungsstand das Wollen emotional oder rational artikuliert sowie die Begründetheit anhand dieser persönlichen Entwicklung aus der Kindessphäre heraus zu beurteilen ist. Eine Änderung tritt mit Vollendung des 15. Lebensjahres hinsichtlich des Verfahrens der Wahrung des Persönlichkeitsrechtes des Kindes auf Respektierung des Kindeswillens ein. Dies verläuft parallel zu einer Neubewertung der rechtlichen Handlungsfähigkeit. Hinsichtlich einer rechtlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger ist festzustellen, daß die Gesellschaftswirklichkeit die Vollendung des 15. Lebensjahres als den Fixpunkt markiert, von welchem an eine Neudefinition der Stellung des Jugendlichen vorzunehmen ist. In diesem Alter kann auch davon ausgegangen werden, daß sich die Handhabung der kognitiven Fähigkeiten stabilisiert hat und damit von der Bildung, Artikulation und verantwortlichen Umsetzung eines rationalen Willens verläßlich auszugehen ist. Der 15. 149 Viel zu pauschal demgegenüber Stöcker (ZRP 1974, 211 ff.) sowohl einerseits hinsichtlich der strikten Trennung zwischen Familieninternum und Familienextemum sowie andererseits, indem für das Familieninternum von einer beschränkten Handlungskompetenz ausgegangen wird.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
273
Geburtstag ist damit jener Fixpunkt, zu welchem in Anerkennung des verfassungsrechtlichen Autonomiegebots und seiner sozio-/psychologischen Konkretisierung die einfachgesetzliche Wertung von der prinzipiellen Selbstbestimmungskompetenz der Jugendlichen ausgehen kann. Für den Kindeswohlbereich bedeutet dies, daß dem Jugendlichen um seiner psychischen Entwicklung willen auch die Möglichkeit eingeräumt sein muß, begründete Positionen gegenüber den Eltern durchzusetzen. Dem Jugendlichen ist in diesem Alter somit aufgegeben, seinen Willen zu begründen. Den Eltern steht auch insoweit die prinzipielle Definitionskompetenz hinsichtlich der Begründetheit des Kindeswillens zu. Bei einer Wertung aus der Kindessphäre ergibt sich jedoch, daß dem Minderjährigen seinerseits die Möglichkeit zuzuerkennen ist, Entscheidungen der Eltern überprüfen zu lassen und zu erreichen, ggf. auch mit Hilfe autorisierter Dritter (Jugendamt, Vormundschafts- sowie ggf. Familiengericht), daß die Eltern sich mit den vom Kind angeführten Argumenten auseinandersetzen und diese angemessen berücksichtigen. Im Kindesinteressebereich ist dem Kind ebenfalls ein Handlungsspielraum zuzubilligen 150. Mit dem 15. Geburtstag ist somit der Termin genannt, von dem an von einer prinzipiellen Selbstbestimmungsfähigkeit des Jugendlichen auszugehen ist. Bei Zugrundelegung des Grundsatzes "so viel Freiheit wie möglich, so viel (Gemeinschafts-)Bindung wie nötig", bedeutet dies, daß bei einer Wertung aus der Position des Kindes Schutzvorschriften nicht mehr erforderlich wären und wegen der Korrelation von Zubilligung von Freiheit im Kindesalter und späterer Selbstbestimmung der Abbau von bestehenden Schutznormen auch geboten wäre. Zu beachten ist aber, daß bislang lediglich eine Wertung aus der Kindesposition vorgenommen wurde. Weitere Einschränkungen können sich deshalb vor allem im Kindesinteressebereich ergeben aus zu berücksichtigenden Drittinteressen, also den Interessen der Personensorgeberechtigten sowie den Gemeinschaftsinteressen und dabei vor allem aus den Grundsätzen der Rechts- bzw. der Verkehrssicherheit. Mit einzubeziehen in diese Überlegungen ist dabei insgesamt auch, was in der Rechtsprechung und Literatur bislang allenfalls in Ansätzen erfolgte, inwieweit Aspekte etwa der psycho/sozialen Nutznießung am anderen (Zufriedenheitsgefühl; Kind als Lebenswert) oder der ökonomischen und/oder sozialen (Zukunfts-)Sicherung in die rechtliche Interessenabwägung mit einfließen.
150 Zur rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit vgJ. im einzelnen im nachfolgenden 5. Kapitel; zum sonstigen Kindesinteressebereich vgJ. im 6. Kapitel sowie im 7. Kapitel, 2. und 4. Abschnitt.
18 Moritz
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
§ 3 Die fuhaltIiche Begrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse durch die Interessen, Bedürfnisse und Rechte anderer
A. Verkehrssicherheit (und Rechtssicherheit) I. Die vorstehenden Wertungen
Die Verkehrssicherheit fand in den bisherigen Überlegungen einen Niederschlag in operationalen Handlungsanweisungen. Den Überlegungsansatz bildete dabei die Prämisse, daß die Handlungskompetenzen des Kindes nicht mehr als notwendig eingeschränkt werden dürften!. Die Notwendigkeit bestimmte sich nach dem Maßstab der Verkehrssicherheit. Der verfassungsrechtlich begründete sowie entwicklungspsychologisch konkretisierte Ansatz "vom Kind her"2 führte zu dem operationalen Gesichtspunkt, daß die Rechtssicherheit unter dem inzidenten Vorbehalt ihrer Erforderlichkeit steht3 . Aus dem Vorrang der Rechtssicherheit wurde auf eine Reziprozität der wertungsmäßigen Bedeutung des Kindesinteresses zu dem Abstraktionsgrad der betroffenen Rechtsbeziehung geschlossen (je mehr also der Typus des Rechtsgeschäftes die Individualität der Beteiligten auch umschließt, desto größere Bedeutung sollte das Kindesinteresse gewinnen; je abstrakter die Personenbeziehungen werden, desto größere wertungsmäßige Bedeutung sollte das Allgemeininteresse in Form der Verkehrssicherheit haben)4. Im Mischbereich zwischen Kindeswohl- und Kindesinteresse (z. B. Taschengeldgewährung, Ausbildungsfinanzierung; auch die Frage des Schwangerschaftsabbruches), wo eine getrennte, aber reflexive Würdigung zwischen Kindesinteresse- und Kindeswohl-Fragestellungen stattfindet5 , wurde der Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit auf den Kindesinteresse-Bereich bezogen. Beim non-liquet besteht ein Vorrang der Kindesposition, der sich aus der Wertungsrichtung "vom Kind her" ergibt. Dieser prinzipiell gegebene Vorrang der Kindesposition besteht jedoch nur für den Kindeswohl-Bereich sowie für jene Fälle im Kindesinteresse-Bereich, bei denen die Verkehrssicherheit keine Bedeutung hat. Die Auswirkung der Verkehrssicherheit auf die Rechtspositionen des Kindes mit familienexterner Berührung bleibt noch zu klären.
1 Zu diesem Zeitpunkt vgl. im 3. Kapitel, 1. Abschnitt sowie im 2. Kapitel, 5. Abschnitt. 2 Siehe die Ausführungen im 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C I 3. 3 3. Kapitel, 1. Abschnitt. 4 Siehe im 4. Kapitel, 3. Abschnitt; S. 256 ff., 269 ff. 5 Siehe schon im 3. Kapitel, 4. Abschnitt.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
275
11. Der Begriff der Verkehrssicherheit
Zur fehlenden Kongruenz von Rechtssicherheit und Verkehrssicherheit wurde bereits Stellung genommen6 . Verkehrssicherheit kann als die zivilrechtliche Ausformung der Rechtssicherheit bezeichnet werden. Wie die Rechtssicherheit will auch die Verkehrssicherheit die gleiche rechtliche Beurteilung gleicher Sachverhalte garantieren7 und damit den "Rechtsgenossen das Gefühl der Rechtssicherheit vermitteln"8. Beiden Prinzipien obliegt eine Sicherheitsund Stabilisierungsfunktion. Die Verkehrssicherheit steht im Gemeinschaftsinteresse9 . Zwingende Normen des Privatrechts greifen ein, wo das allgemeine Wohl, namentlich auch die Rücksicht auf die Verkehrssicherheit dies erfordert lO • Verkehrssicherheit bildet somit einen zwingenden Grundsatz des Privatrechts; sie zielt auf einen Vertrauensschutz ll , besser: auf die Fundierung des Vertrauens, mit dem Ziel der Stabilisierung des Rechtssystems und des Rechtsverkehrs. Bei allem ist die Verkehrssicherheit jedoch nur ein "technisches" Richtigkeitsprinzip12. Dies bedeutet, daß die Rechtssicherheit zu Resultaten führen kann, welche sachlichen Prinzipien zuwiderlaufen 13 ; daraus folgt aber auch, daß sie zu den sachlich/inhaltlichen Ausgestaltungen der Rechtsbeziehungen so lange keine Aussagen trifft, wie eben nicht die Zielsetzungen der Verkehrssicherheit, also die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der Rechtsfolge, gefährdet sind. 111. Folgerungen
1. Die Einschätzung in der rechtlichen Erörterung Verkehrssicherheit bezieht sich auf den Rechtsgeschäftsverkehr14 . Die Verkehrssicherheit und die daraus resultierende Garantie des reibungslosen Rechtsverkehrs bilden das Hauptargument für die praktizierten MündigkeitsVgl. im 3. Kapitel, 1. Abschnitt; s. dazu Böhret (1970), S. 19 ff., 43 ff. Siehe einerseits, zur Rechtssicherheit, Troller (1975), S. 71 sowie andererseits, zur Verkehrssicherheit, Canaris (1971), S. 2. 8 Creifels (1981), S. 949; Canaris (1971), S. 2,246. 9 Bydlinski (1967), S. 64. 10 EnnecceruslNipperdey, BGB-AT, § 49, IV 1. 11 Bydlinski (1967), S. 122; zustimmend Larenz (1979), S. 208. 12 So richtig Bydlinski (1967), S. 64, 66. 13 Bydlinski, aaO, S. 66. 14 Vgl. statt aller Canaris (1971), S. 414 f. Dem entspricht gerade auch die Differenzierung von Stöcker (ZRP 1974, 211, 214). Er differenziert zwischen der rechtlichen Handlungsfähigkeit innerhalb und außerhalb der Familie und anerkennt, entgegen anderen, eine quasi unbeschränkte Handlungsfähigkeit im Familienintemum. 6
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
beschränkungen l5 • Es wird auf das Verkehrsbedürfnis der Nennung verläßlicher Mündigkeitsdaten hingewiesen. Als in diesem Sinne verläßlich gilt, trotz einiger Kritik l6 , das Volljährigkeitsdatum; Mündigkeitszuerkennungen außerhalb der im Gesetz ausdrücklich genannten Abweichungen werden deshalb als nicht möglich erachtet l7 • 2. Eigene Stellungnahme
Vorstehende Ansichten scheinen konträr zu dem unter "I." referierten bisherigen Wertungen aus der Kindessphäre. Denn der Ansatz "vom Kind her" zielt auf eine prinzipielle Ausweitung der Mündigkeitszuerkennungen; nach Einbeziehung der Überlegungen zum Lebensalter ist eine Kompetenzzubilligung jedenfalls ab dem 15. Geburtstag gefordert l8 • Diese Fixierung war sachlich begründet mit der bei diesem Lebensalter zu unterstellenden tatsächlichen Kompetenz. Verkehrssicherheit als sachliches Prinzip müßte somit die Mündigkeitszuerkennung mit dem 15. Geburtstag zulassen. Verkehrssicherheit ist aber, wie ausgeführt, ein "technisches" Prinzip. Dies bedeutet, daß es auf die Sachargumentation nicht oder nur in zweiter Linie ankommt, wogegen die praktische. Handhabbarkeit und der Vertrauensschutzl9 die primären Kriterien bilden. In strenger Anwendung dieses Grundsatzes wäre die Ansicht der zitierten Äußerungen der Fachdiskussion zu bestätigen. Danach müßten Mündigkeitszuerkennungen außerhalb der im Gesetz ausdrücklich genannten Ausnahmen ausscheiden. Die Kindesinteressen wären allenfalls de lege ferenda anzumelden. Schon Bydlinski20 äußerte jedoch Bedenken gegen eine solche bedingungslose Favorisierung des "technischen" Richtigkeitsprinzips der Verkehrssicherheit. Dies muß vorliegend umso mehr gelten, als die solchermaßen strenge Handhabung des Prinzips die Verkehrssicherheit zur Formalie degradiert. Denn ein Blick in den Rechtsalltag zeigt, daß Jugendlichen oftmals ein Budget zur Verfügung steht, welches nur noch mit Mühe als Taschengeld qualifiziert werden kann. Es ist schon längst üblich geworden, daß Jugendliche sich ohne Begleitung Erwachsener selbst einkleiden und zahlreiche Rechtsgeschäfte täti15
Vgl. etwa OLG Kiel OLGE 22, 216; Bosch, FamRZ 1973, 489; PalandtIHeinrichs,
§ 108, Anm. 2; Staudinger/Coing, 10./11. Aufl., § 108, Rn. 2; L. R. Reuter (1975),
S. 102; Schilken, FamRZ 1978, 642, 646. 16 Vor allem Bosch, FamRZ 1973; 489; ders. FamRZ 1974, 1; ders. in Festschrift für Schiedermair (1970), S. 51 ff.; vgl. auch W. Becker (1976), S. 37; sehr allgemein Raum (S. 174 ff.) und Pfürtner (S. 432 ff.) in E. Kühn u. a. (1978). 17 Vgl. Stöcker, ZRP 1974, 211, 214 sowie die Zitate der vorstehenden Fußnote. Kritisch Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. 1, § 108, Rn. 13. 18 V gl. im vorstehenden § 2 unter" C" . 19 Bydlinski (1967), S. 62 ff., 132 ff. 20 (1967), S. 66; zustimmend Larenz (1979), S. 208 m. w. N.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
277
gen. Nach Beitzke ist empirisch die zunehmende Tendenz festzustellen, dem Minderjährigen seinen Arbeitsverdienst zu belassen21 . Bei einem solchen pauschalen Überlassen ist auszuschließen, daß die Vertretungsberechtigten Interesse daran haben, welche Einzelgeschäfte von den Geldern bestritten werden. Die Nachbardisziplinen belegen die Verselbständigung der Jugendlichen bzw. ihre oftmals erfolgte psychische und materielle Auskoppelung aus dem Familienverband22 . So sind schon die tatsächlichen Voraussetzungen des § 110 BGB "zur freien Verfügung ... überlassen" in der Auslegung strittig sowohl im Hinblick auf die elterlichen Pflichten als auch im Hinblick auf eine Vorhersehbarkeit und Einschätzbarkeit durch den Rechtsverkehr23 . In der Praxis führt dies dazu, daß die angesprochenen Geschäfte der Minderjährigen infolge der formalisierten Verkehrssicherheit schwebend unwirksam und damit aufheb bar sind; mit Hilfe von Rechtsinstituten wie jenem des Generalkonsens'24 oder mittels einer Überdehnung des § 110 BGB25 wird als Korrektiv zum Teil eine Rechtswirksamkeit manipuliert. Im Ergebnis bedeutet dies aber nichts anderes, als daß die extensive Anwendung der Verkehrssicherheit als "technisches Prinzip" einer Sicherheit des Rechtsverkehrs im eigentlichen Sinne tatsächlich entgegenwirkt. Wenn sich aber das Prinzip solchermaßen selbst in Frage stellt, bedeutet dies, daß es als "technisches Prinzip" erst dann wieder taugt, wenn die Prämissen der Bezugsebene stimmen. Hier sind unter dem Gesichtspunkt (allein) der Verkehrssicherheit verschiedene Lösungen möglich. Etwa jene einer starren Grenze bei der Volljährigkeit oder die einer Formalisierung der elterlichen Zustimmung, schließlich jene einer systemimmanenten Installierung konkreter Teilmündigkeiten. Dabei hat die letzte Alternative den Vorteil, nicht nur den Geboten der Verkehrssicherheit zu entsprechen, sondern bei entsprechender Ausgestaltung trüge sie darüber hinaus dem Anliegen von Kindesinteresse und Elternpflicht Rechnung, den Kindern so viel Freiheit wie möglich und so viel Beschränkungen wie nötig zu gewähren. Danach ist festzustellen, daß auch der Gesichtspunkt der Verkehrssicherheit nicht die herrschende Auffassung stützt, wonach eine rechtsgeschäftliche 21 Beitzke, AcP 172 (1972), S. 240, 249; s. auch Schwab, AcP 172 (1972), S. 266, 267 f. 22 Vgl. die (soziologische) Diskussion zur Disfunktionalität und den Desintegrationserscheinungen der Familie; s. die Stellungnahmen insbesondere bei König (1976), S. 54 f., aber auch von Dölle (Bd. 1,1964), § 211 m. w. N., Gernhuber (1980), S. 4 f. sowie Schwab (1980, 1983), Rn. 5 ff. 23 Zur rechtsalltäglichen Problematik sowie der Wertung in der Rechtsprechung und Literatur vgl. die im 5. Kapitel (1. Abschnitt, § 1) aufgeführten Nachweise. 24 Anerkannt heute in der Variante der "beschränkten Generaleinwilligung - vgl. schon Duvernell (1937), S. 17 ff. sowie Enneccerus/Nipperdey, BGB-AT, Bd. 2, S. 937; ErmanIWestermann, 7. AufI., § 107, Rn. 7; Ruppel (1965), S. 74; Scheerer, BB 1971,981 f.; BGHZ47, 359. 25 Zur Problematik vgl. schon Moritz, DB 1979, 1165, 1167.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Handlungsfähigkeit unterhalb des Volljährigkeitsalters allein in den bislang ausdrücklich in den Gesetzen angesprochenen Ausnahmen vorgezogener Mündigkeit anzuerkennen ist. Die Anwendung der Verkehrssicherheit als "technisches Prinzip" setzt vielmehr voraus, daß die in Bezug genommenen Gesetze dem abstrahierten, realen Sicherheitsanliegen, also einer Verkehrssicherheit im eigentlichen Sinne, tatsächlich entsprechen. Zumindest denkbar sind danach auch Mündigkeitsstufen vor der Vollendung des 18. Lebensjahres. Vor deren Fixierung sind jedoch die Interessen und Befugnisse der Eltern und sonstiger Dritter zu konkretisieren. Wie eine systemimmanente Installierung etwa einer Mündigkeitsstufe ,,15. Geburtstag" in die Geschäftsfähigkeitsnormen auszusehen hätte, bleibt sodann im darauf folgenden 5. Kapitel erst noch im einzelnen zu prüfen. B. Die Interessen und Befugnisse der Eltern und sonstiger Dritter I. Mögliche Eltern- und Drittpositionen
1. Die gesetzestextlich berücksichtigten Eltern- und Drittinteressen
Als Recht (und Pflicht) der Eltern ist in § 1626 Abs. 1 BGB ausdrücklich das Sorgerecht fixiert. In Ausfüllung dieser Leitnorm 26 nennen konkrete Rechte der Sorgeberechtigten § 1631 Abs. 1 (Recht - und Pflicht -, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und den Aufenthalt zu bestimmen) und Abs. 2 (auf Unterstützung durch das Vormundschaftsgericht), § 1632 Abs. 1 ("Herausgabe") und Abs. 2 (Umgangsbestimmungsrecht) sowie § 1629 (Außenvertretung) und § 1631 b BGB (Initiativrecht für die Unterbringung des Kindes). Ein Vorschlagsrecht (über die Verteilung der elterlichen Sorge) sieht § 1671 Abs. 2 BGB vor. Antragsrechte nennen § 1672 (Sorgerechtsverteilung bei dauerndem Getrenntleben), § 1630 Abs. 3 Satz 1 (partielle oder umfängliche Sorgerechtsübertragung auf eine Pflegeperson, mit der Folge deren In-Recht-Stellung nach § 1630 Abs. 3 Satz 2) und § 1685 Abs. 1 (Bestellung eines Beistandes für einen Alleinsorgenden) bzw. § 1690 (Übertragung der Vermögenssorge oder von Geltendmachung der Unterhalts ansprüche auf einen Beistand). In Verbindung mit der Vermögenssorge sehen Rechte der Sorgeberechtigten vor § 1641 Satz 2 (Schenkung in Vertretung des Kindes aus sittlicher Pflicht oder Anstand), § 1644 (- argumentum e contrario -; Veräußerung VOn Gegenständen außerhalb des § 1643), § 1648 (Anspruch auf Aufwendungsersatz) sowie § 1649 Abs. 2 BGB (Eigenunterhalt aus Kindesvermögen).
26
Jans/Happe (1980), S. 45.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
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Ein Recht des nichtsorgeberechtigten Elternteils zum persönlichen Umgang ist, unter dem Vorbehalt des § 1634 Abs. 2, in § 1634 Abs. 1 vorgesehen (ergänzt durch einen Auskunftsanspruch gegen den früheren Ehegatten nach § 1634 Abs. 3 Satz 1 BGB); entsprechendes gilt nach §§ 1711, 1634 für den nichtehelichen Vater. Ein Zustimmungsrecht der nichtehelichen Mutter sehen § 1617 Abs. 2 Satz 2 (zur Erklärung des mindestens 14jährigen Kindes auf Anschluß zur Namensänderung der nichtehelichen Mutter) und § 1692 BGB (Aufhebung der Beistandschaft) vor; eine Einwilligung der nichtehelichen Mutter ist nach § 1618 Abs. 1 Satz 2 BGB erforderlich. Ein Antragsrecht der nichtehelichen Mutter formuliert des weiteren § 1707 (auf Aufhebung oder Beschränkung der Pflegschaft) und für den Vater § 1723 BGB (auf Ehelicherklärung). Eine Einwilligung nennt schließlich § 1740 b BGB (in Ehelicherklärung nach dem Tode eines der Elternteile durch den überlebenden Elternteil). Für die Adoption formulieren § 1741 ff. ein Annahmerecht; ein Antragsrecht des Annehmenden ergibt sich aus § 1752 Abs. 1 BGB; Einwilligungsbefugnisse nennen § 1747 (der natürlichen Eltern - aber § 1748! -) und § 1749 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 BGB (des Ehegatten des Annehmenden - aber § 1749 Abs. 1 Satz 3 und 1762 BGB -). Im Unterhaltsrecht sind schließlich Unterhaltsansprüche der Eltern im Eltern/Kind-Bezug - neben §§ 1648 f. - gern. §§ 1601 f., 1606 BGB möglich. In § 1612 a BGB ist ein Anspruch (als Verpflichteter wie ggf. auch als Berechtigter) auf Unterhaltsanpassung vorgesehen. § 1612 BGB formuliert schließlich ein "Bestimmungsrecht" der Unterhaltsverpflichteten über Art und Vorauszahlungszeit der Unterhaltsleistung. 2. Die allgemein-sozio-/psychologischen Eltern- und Drittinteressen
Neben den Interessen und Bedürfnissen, welche sich in Form der vorgenannten Rechtspositionen konkret im Gesetzestext niedergeschlagen haben, gibt es eine Vielzahl von Interessen, Bedürfnissen und Tendenzen, deren Vorhandensein bei den Betroffenen empirisch nachzuweisen ist. Die Relevanz dieser Daten für die rechtliche Wertung wurde bisher jedoch allenfalls punktuell und in Einzelfällen offenbart. Einen konkreten Fall der Entscheidungsfindung über nachbardisziplinär belegte Interessen lieferte der BGH zu § 1634 BGB27. Danach geht der Zweck des § 1634 BGB dahin, "dem Verkehrsberechtigten zu ermöglichen, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitiger Aussprache fortlaufend zu überzeugen, 27
206.
BGHZ 42, 364, 371 sowie BGHZ 51, 219, 222; zustimmend BVerfGE 31, 194,
280
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
die verwandtschaftlichen Beziehungen zu dem Kind aufrechtzuerhalten und einer Entfremdung vorzubeugen, aber auch, dem Liebesbedürfnis beider Teile Rechnung zu tragen". Simon28 verkürzt dies auf die Feststellung, daß die Gewährung des Umgangsrechts eine Anerkennung der Sinnerfüllung (bedeute), die die Eltern in ihren Kindern finden können29 • Lüderitz30 und, diesem zustimmend, Dieckmann31 verallgemeinerten diese Feststellungen des BGH, indem sie als zu generalisierende Eltern-Motivationen, Kinder zu bekommen, ansahen, "ein Objekt der Zuwendung zu besitzen, eine Persönlichkeit wachsen zu sehen, sie zu pflegen und zu schützen". Ein so interpretiertes Pflege- und Erziehungsrecht stellt nach Lüderitz die allgemeine schützenswerte Elternposition dar, welche dem Kindeswohl wertend gleichzustellen sei32 • Der von Lüderitz unterstellte psychische Kern für den Kinderwunsch wird bestätigt von einer durch das Bayerische Staatsministerium initiierten Untersuchung 33 • Als Motivation wurden in abfallender Priorität genannt - Mehrfachnennungen waren möglich 34 -: I. Freude an Kindern (76 %); 11. Erfüllung von Sozialnormen35 ; "Kinder gehören (zur Ehe) einfach dazu" (35 %); III. Dem Leben (durch Kinder) Inhalt geben (32 %); IV. (Durch Kinder) jung bleiben (25 %); V. Im Alter nicht allein' sein (13 %); VI. In Kindern weiterleben (11 %). Eine beim Kind ansetzende Motivation (z. B., um einem vorhandenen Kind Geschwister zu geben) findet sich lediglich bei 17 % der weiblichen und 10 % der männlichen Befragten36 • Tendenziell gleich scheinen die Einstellungen zu sein, welche zur Adoption führen; so stellten Simitis u. a. 37 bei 50 % der Befragten (bei allerdings nur einer Fallzahl von 76) nach der Jugendamtseinschätzung "Kinderlosigkeit" der Adoptierenden fest 38 .
Als Motivation für den Kinderwunsch und damit als für die Fixierung der Elterninteressen ohne Bedeutung bezeichnete schon Lüderitz den Gesichtspunkt materieller Vorteile 39 . So verbürgen Kinder in der Industriegesellschaft Diss. 1978, S. 130. Kritisch dazu Metzger, ZbIJugR 1972, 43; vgl. auch Moritz, ZbIJugR 1982, Heft 12 S. 768ff. 30 AcP 178 (1978), S. 267. 31 AcP 178 (1978), S. 300 f.; vgl. im Ansatz auch schon Gemhuber, FamRZ 1973, 377 f. 32 aaO, S. 268,294 f. 33 Toman u. a. (1977). 34 aaO, S. 19 ff., 78. 35 Entspr. JürgenslPohl (1975). 36 Toman u. a. (1977), S. 19. 37 (1979), S. 182 ff. 38 Vgl. auch die Untersuchung von Barth (ZbIJugR 1978, 259), welche leider von sehr unscharfen Kategorien ausgeht. 39 Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 267. 28 29
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
281
eher materielle Einschränkungen, spätere Unterhaltspflichten der Kinder würden selten relevant und auch der Gesichtspunkt des Kindes als Vermögensnachfolger dürfte kaum zur Elternschaft motivieren40 • Entsprechend wertet auch Dieckmann41 ; er kommt jedoch zu dem (interessanten) Schluß, daß es im materiellen Interesse der Eltern liege, um ihrer Unterhaltspflicht zu entgehen und ggf. eine eigene Zukunftssicherung zu erreichen, "den Kindern zu einem Beruf zu verhelfen, der (wenn nicht gar ein gesichertes Einkommen, so doch zumindest) in regelmäßigen Abständen ein Arbeitslosengeld und nicht Arbeitslosenhilfe verschafft"42. Nach der Untersuchung von Toman u. a. würden höhere finanzielle staatliche Hilfen die Realisierung des Kindeswunsches erleichtern; auch machen sich die Eltern heute mehr Sorgen um die Zukunft der Kinder als früher; im übrigen wird jedoch die Einschätzung von Lüderitz über die Irrelevanz der von ihm genannten weiteren materiellen Aspekte bestätigt43 . Im allgemeinen rechtspolitischen Bereich ist schließlich die Zunahme der Forderung nach (deutschen) Kinern zur zahlenmäßigen Erhaltung des Volkes zu beobachten44 • Diese nicht allein politisch abwegige Äußerung45 stellt jedenfalls kein ernst zu nehmendes generalisiertes Interesse dar und ist deshalb für die hier vorzunehmende rechtliche Wertung unbeachtlich. 11. Das Verhältnis der Eltem- und Drittpositionen zu Kindeswohl und Kindesinteresse
1. Die aufgeführten sozio-/psychologischen Interessen und Bedürfnisse in der rechtlichen Wertung sowie die Bedeutung der elterlichen Vermögensinteressen 1.1. Das elterliche Sinn-Interesse am Kind
Die empirischen Untersuchungen von Toman u. a. 46 haben die von Lüderitz47 angenommene Motivation für den Kindeswunsch bestätigt. Daraus ergibt sich aber nicht ohne weiteres, daß dieses Elterninteresse zugleich als rechtlich zu schützendes Interesse zu qualifizieren ist; des weiteren wäre das Verhältnis zu Kindeswohl und Kindesinteresse nach wie vor offen. 40 41
42 43
44 45 46
47
Lüderitz, aaO. Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 301 ff. Dieckmann, aaO, S. 303. Toman u. a. (1977), S. 77 f. Vgl. "Heidelberger Manifest" vom 17. 6. 81, in "Die Zeit" vom 5. 2. 82. Vgl. Kühnert, in "Die Zeit" vom 5. 2. 82. aaO. aaO.
282
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Ein Herrschaftsrecht über andere Menschen, bei dem der solcherart Rechtsunterworfene keinerlei Einfluß auf Uedenfalls) die Begründung dieses Verhältnisses hat, also ein gewillkürtes Zwangsverhältnis besteht, ist dem Privatrecht fremd 48 • Insofern ergäben sich Bedenken gegen die rechtliche Qualifizierung der personalen Interessen der Eltern am Kind als (subjektives) Pflege- und Erziehungsrecht, würden diese Positionen der Eltern als Herrschaftsrechte der Sorgeberechtigten interpretiert. Zu unterscheiden ist demnach ein abzulehnender subjektiv-rechtlicher Inhalt der familienrechtlichen Beziehungen im Sinne eines Herrschaftsrechts der Eltern über die Kinder; andererseits ein subjektiv-rechtlicher Sinn der familienrechtlichen Beziehungen sonstiger, insbesondere immateriell-persönlicher Art. Dem entspricht die Definition der elterlichen Sorge als Ptlichtrecht49 • Diesen Grad zwischen Herrschaftsrecht und Ptlichtrecht hat auch die rechtliche Berücksichtigung der genannten elterlichen Interessen am Kind zu beachten. So offenbart eine nähere Analyse der psychischen Zusammenhänge des Ablaufs der Primärsozialisation, daß die Bejahung eines "Rechts am Kind" zur Sicherung der elterlichen "Sinnerfüllung" unter Umständen mit der Gefährdung der psycho/sozialen Entwicklung des Kindes erkauft würde. Etwa stehen (mindestens) die referierten Motive III-VI in der Gefahr, zu einem "Erziehungs"-Verhalten zu führen, welches auf die langfristige Sicherung des Elterneinflusses abzielt. Es würde von Anbeginn eine liebevolle und gutgemeinte Sabotage der Kindesautonomie zur "Erziehungs"-Strategie5o . Diese kann sich später dahin ausweiten, daß den Kindern die Funktion zugewiesen wird, der psychischen Stabilisierung der Eltern zu dienen51 ; etwa versuchen die Eltern ggf. die Kinder auf mannigfaltige Weise psychisch zu binden (von der liebevollen Zuwendung bis zur Drohung des völligen Liebesentzugs52 , von der Hintertreibung von Partnerbeziehungen bis hin zur Unterdrückung von Sexualität53 ) • Dies aber erhöht die latent vorhandene Gefahr54 , elterliche Ziele mit Zwang durchzusetzen, um auf diesem Wege eine eigene psychische Stabilität (der Eltern) zu erreichen55 . 48 Vgl. Flume (1960), S. 135 ff.; ders., AcP 161, 52; s. auch EnnecceruslNipperdey, BGB-AT, § 49 IV I; H. Westermann (1957), S. 14 f. 49 Vgl. schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3. 50 Vgl. Stone/Church (Bd. 2, 1978), S. 233 ff.; LudwigiLudwig (1974), S. 98 f. 51 Baacke (1979), S. 150; LudwigILudwig (1974), S. 98 ff. 52 LudwigILudwig, aaO, S. 98. 53 LudwigiLudwig, aaO, S. 99. 54 Vgl. Quambusch (1973), S. 10. 55 Zum Zusammenhang vgl. LudwigILudwig, aaO; Richter (1972), S. 112 und Quambusch (1973), S. 7. Allgemein zur Ableitung elterlichen Unwohlseins über die Kinder: Baacke (1979), S. 150; Coester-Waltjen in Juristinnenbund (1977), S. 77; Giesen (1979), S. 47; Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 22, 25; Metzger, ZblJugR 1972, 43; Stone/Church (Bd. 2, 1978), S. 233 ff.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
283
Die Interessenabwägung hat das Verfassungspostulat der autonomen Persönlichkeit zu beachten. Da Autonomie des späteren Erwachsenen die Respektierung der Persönlichkeit des Kindes voraussetzt56 , schließt dies die Formulierung von Rechtspositionen aus, welche nach psychologischen Erkenntnissen die Verletzung des Verfassungspostulates der persönlichen Freiheit bedingen. Ein elterliches Sinn-Interesse am Kind ist somit nur dann zu akzeptieren, wenn seine Anerkennung nicht zugleich die mangelnde Bereitschaft, das Kind erwachsen werden zu lassen, einschließt oder gar aktiviert. Das elterliche "Sinn-Interesse" am Kind ist somit im Prinzip anzuerkennen. Es handelt sich dabei jedoch um ein "stilles Sinn-Interesse". Dieses erschöpft sich in der kindorientierten Zuwendung und den sich aus der Existenz und der Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes ergebenden, zwangsfreien intersubjektiven Beziehungen. Unter der Prämisse, daß Liebe sich nur in Freiheit entfalten kann 57 , garantiert diese Definition als "stilles Sinn-Interesse" zugleich die größte Befriedigung des Liebesbedürfnisses im Sinne der referierten Rechtsprechungs- und Literaturwertung58 . Unangetastet bleiben damit auch hintergründige Seins- und Selbstwertbestätigungen der Eltern, wie diese noch immer Zeugung und Geburt anhaften (Bestätigung der männlichen Potenz; Erfüllung der weiblichen Rolle)59. Die allgemeinen sozio/psychologischen Interessen der Eltern am Kind fließen somit ein in ein "stilles Sinn-Interesse", welches Inhalt des Pflege- und Erziehungsrechts ist. Für das Kindeswohl ergeben sich aus den Elterninteressen insoweit keine Wertungsänderungen. Mit Lüderitz u. a. 60 obliegt ebenfalls dem Minderjährigen, die freie Entfaltung der Persönlichkeit auch der anderen Mitglieder der Familie zu respektieren. Dies folgt jedoch aus dem Postulat der vom Kind her zu definierenden Begründetheit des "begründeten Kindeswillens"61, nicht aus einem elterlichen Sinninteresse am Kind. 1.2. Die elterlichen Vermögensinteressen Vermögensrechtliche Überlegungen haben nach den getroffenen Analysen für den Kindeswunsch weitgehend keine Bedeutung; das Vermögensinteresse wird deshalb allgemein nicht als übergreifendes Sinn-Interesse angesehen, welches Inhalt des Elternrechts wäre 62 . Davon zu unterscheiden ist jene 56 Gerber (1975), S. 3 f.; Giesen (1979), S. 48 f.; Juristinnenbund (1977), S. 31; Lempp, NJW 1972, 317; Quambusch (1973), S. 8 ff. m. w. N.; Zenz (1979), S. 229 ff. 57 Lempp, NJW 1972, 317; Dürr (1977), S. 11. 58 V gl. vorstehend unter ,,11.1.". 59 Vgl. Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 22. 60 Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 194 f.; Juristinnenbund (1977), S. 30. 61 Vgl. vorstehend, § 2 A IH.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Ansicht, welche an dem rechtstraditionellen Leitgedanken der Korrelation von Vermögen und Macht63 anknüpft und daraus die Dominanz des Elterninteresses, mit Wirkung auch für den Kindeswohlbereich, ableitet. Mit dem Argument, daß der elterlichen Vermögensaufwendung (in der Form des Unterhalts für das Kind) bzw. dem "Erziehungsaufwand" keine gleichwertige Leistung des Kindes entspreche, wird ein elterliches Kontrollbedürfnis über den sachgemäßen Einsatz der Aufwendungen begründet, aus dem in Recht zur umfassenden Kontrolle und Entscheidungsdominanz auch über die persönlichen Belange des Kindes gefolgert wird64 • Auf dieser Argumentationsebene wäre die Frage der "inhaltlichen Begrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse durch die Interessen und Bedürfnisse anderer" entschieden, als nämlich dort, wo es sich nicht um den reinen Kindeswohlbereich der Stufe 1/1 handelte, eine Interessenabwägung tendenziell zu Lasten des Kindes stattzufinden hätte. Fraglich ist allerdings, ob die Korrelation von Vermögen und Macht ohne weiteres in den Kindeswohlbereich zu übernehmen ist. Des weiteren entstehen Zweifel, ob überhaupt die Prämisse der fehlenden Gegenleistung des Kindes für den elterlichen Unterhalts- und Erziehungsaufwand zutrifft. Die strenge Trennung zwischen einer rechtsgeschäftlichen sowie einer familiären Handlungsebene hat sich als nicht sachgerecht erwiesen65 • Bei der Differenzierung zwischen Kindeswohl- und Kindesinteressebereich wurde ein Mischbereich, welcher sowohl Kindeswohl- als auch Kindesinteressemomente enthält, anerkannt 66 • All dies trägt der Tatsache der Interdependenz zwischen Rechtshandlungen und dem psycho/sozialen Sein des Handelnden Rechnung. Dies ist jedoch nicht gleichbedeutend mit der Anerkennung einer Korrelation von Vermögen und Macht für die familienrechtlichen Beziehungen. Im Gegenteil, es wurde auch für das Zivilrecht der psycho/soziale Familienbegriff als maßgebend anerkannt67 • Dieser psycho/soziale Bezug umfaßt ein - auch materielles - Beistehen. Dagegen ist ein materielles Abgelten für psychische Leistungen mit einer solchen Begrifflichkeit unvereinbar. Dies bedeutet, daß die Hingabe von Geld (etwa in Form des Unterhalts) subjektive Rechte im Kindeswohlbereich nicht begründen können. Eine Abwägung hat vielmehr auf der Vermögensebene zu bleiben, wobei der Leistungszweck (z. B. Unterhaltsanspruch aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen) mitreflektiert Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 300 ff.; Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 267 ff. Vgl. die umfängliche Unterstellung des "Hauskindes" unter die väterliche munt nach den Landesrechten - vgl. bei O. v. Gierke (1985), S. 382. 64 Vgl. meine Rechtsprechungsnachweise zu § 1612 BOB in RdJB 1977,265, Fn. 18. Zur Korrelation von finanzieller Belastung und psychischem Ertrag bei §§ 1634, 1711 BOB vgl. Simon (1978), S. 130. 65 1. Kapitel,!. Abschnitt, § 2 B; 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 C II; 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2. 66 4. Kapitel, 2. Abschnitt. 67 3. Kapitel, 2. Abschnitt, § 2 C. 62 63
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werden kann. Unzutreffend sind deshalb schon aus diesem Grund jene Stellungnahmen, welche zu § 1612 einer "Erziehungs"-befugnis aus der Hingabe von Geld herleiten68 • Richtig dagegen ist etwa die Wertung von Diederichsen zu § 1610, wenn er dem Unterhaltsanspruchsberechtigten in der Ausprägung eines "Gegenseitigkeitsprinzips" die Rücksichtnahme auf die Vermögensinteressen des Unterhaltspflichtigen aufgibt69 • Schließlich folgt daraus entsprechend Dieckmann70 , daß die Eltern natürlich ein Interesse daran haben, daß ihre Kinder einen "ertragreichen" Beruf wählen. Einen Anspruch auf eine solche Wahl haben die Eltern jedoch wegen der Wertungsdifferenz zwischen einerseits der Vermögensebene sowie andererseits der Persönlichkeitsebene nicht. Allenfalls ergibt sich ein Anspruch darauf (für die Fälle, in denen etwa eine staatliche Ausbildungsförderung nicht mehr in Betracht kommt), daß die Kinder auf die elterliche materielle Leistungsfähigkeit Rücksicht nehmen. Somit scheidet eine Übernahme der Wertung "Vermögen = Macht" in den Kindeswohlbereich aus. Der Auffassung, welche gleichwohl eine Dominanz der Elterninteressen mit dem Argument der fehlenden Gegenleistung des Kindes für den elterlichen Unterhalts- und Erziehungsaufwand vertritt, ist des weiteren entgegenzuhalten, daß auch diese Prämisse nicht zutrifft. Denn, wie die Umfrage von Toman u. a. bestätigt, werden Kinder nicht um ihrer selbst willen geboren. Sie verdanken ihre Existenz überwiegend konkreten "Anspruchs- und Erwartungshaltungen"71. Schon die bloße Existenz des Kindes bedeutet damit eine elterliche Sinnerfüllung und ist in diesem Sinne fremdnützig. Hinzu treten die Liebesbeweise des Kindes, wie sie bei einem uneigennützigen Sozialisationsverhalten der Eltern zwangsläufig sind72 ; andernfalls - zynisch, aber durchaus realitätsnah ausgedrückt - besteht die Leistung des Kindes darin, sich gegen eine repressive Haltung der Eltern psychisch gesund zu entwickeln bzw. mit psychischen Deformierungen zu bezahlen73 . 68 Vgl. BGH NJW 1981, 574, 576, mit BayObLG FamRZ 1977, 263, 264; OLG Karlsruhe FamRZ 1976, 641; OLG Bremen FamRZ 1976, 642, 644 u. 702; OLG Köln NJW 1977, 202; OLG Frankfurt FamRZ 1980, 820; KG JW 1935, 1438, 1439; Dölle (Bd. 2, 1965), § 86 X 2; Staudinger/Gotthardt, 10./11. Aufl., § 1621, Rn. 24; Palandtl Diederichsen, § 1612, Anm. 2. Das Erziehungsmoment wird vom BGH (NJW 1981, 576) gegenüber Volljährigen damit gerechtfertigt, daß es den Volljährigen aufgrund der verwandtschaftlichen Beziehungen obliege, auf die Eltern Rücksicht zu nehmen. Der BGH-Wertung ausdrücklich zustimmend Hampel: FamRZ 1982, 658, gegen Göppinger (1981), Rz. 380. 69 Diederichsen in PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 4 a; s. meine zustimmende Stellungnahme auch schon in JZ 1980, 20. 70 AcP 178 (1978), S. 303. 71 Toman (1977), S. 18; vgl. auch die Deutung der Elternmotivation bei Geiger, FamRZ 1979, 457. 72 Vgl. (in diesem) 4. Kapitel, 3. Abschnitt; S. 232ff. 73 Zu allem vgl. Geiger, FamRZ 1979, 457, 460; Giesen (1979), S. 46; Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 25 f.; Richter (1972), S. 112.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Damit ergibt sich auch aus vermögensrechtlichen Aspekten keine Änderung der getroffenen Wertungen zum Kindeswohl. Im "Kindesinteresse-Bereich" schlagen sich die elterlichen Vermögensinteressen insofern nieder, als nach Maßgabe eines "Gegenseitigkeitsprinzips" bezüglich Höhe und Dauer sowie ggf. Art der Leistung auf das Leistungsvermögen der Verpflichteten Rücksicht zu nehmen ist74 . 2. Würdigung der gesetzestextlichen Vorgaben
2.1. Die "Leitnormen" der §§ 1626 Abs. 1,1627 Satz 1 BGB Aus den gesetzestextlich genannten Einzelbefugnissen der Sorgeberechtigten folgt keine Änderung der "aus der Sicht des Kindes" vorgenommenen Wertungen. §§ 1626 Abs. 1, 1627 Satz 1 BGB bilden die Leitnormen des Eltern/Kind-Bezuges75 . Die nachfolgenden Regelungen kennzeichnen die Bestandteile der elterlichen Sorge (tatsächliche Personensorge und Vertretung sowie tatsächliche Vermögenssorge und Vertretung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten76 ). Die - unter "B I 1" - aufgeführten speziellen Einzelbefugnisse stellen lediglich eine Konkretisierung der Handhabung dar. Die Ausstattung als subjektive Rechtsposition im Eltern/Kind-Bezug erfolgt dagegen durch die anzuerkennenden "stillen Sinn-Interessen", wie sie vorstehend beschrieben wurden. Die in § 1626 Abs. 1 Satz 1, 1. Halbs. BGB zugleich bestimmte Pflichtbindung kennzeichnet das Sorgerecht als "fürsorgendes Recht"77. Dieser fürsorgerische Charakter wird durch den Kindeswohlvorbehalt des § 1627 Satz 1 BGB, der - in den entwickelten Auslegungen 78 - für die gesamte elterliche Sorge gilt, konkretisiert. Zusätzlich nennt das Gesetz an verschiedenen Stellen spezielle Einschränkungen der Sorgerechtsbefugnisse (§§ 1629 Abs. 2, 1795 i. V. m. § 118 BGB; § 1641; § 1630 i. V. m. §§ 1795 f., § 1909; §§ 1643 ff. und 1683; §§ 1642, 1638 f.; insbesondere §§ 1630 Abs. 3, 1632 Abs. 4, 1640, 1666 ff.; 1671 f., 1678 Abs. 2 BGB).
74 Vgl. im einzelnen im 6. Kapitel, insbesondere S. 523ft., sowie schon Moritz, JZ 1979, 16, 19 f.; und - zur Wahl der Leistungsart - in RdJB 1977,264 ft. m. w. N. 7, Jans/Happe (1980), S. 45; für § 1627: Soergel/Lange (1981), § 1627, Rn. 2. 76 Siehe im einzelnen bei Soergel/Lange (1981), § 1626, Rn. 9. 77 Entspr. Mertens, MünchKomm., § 823, Rn. 136. 78 3. Kapitel, 3. Abschnitt.
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2.2. Die Bedeutung der Ausstattung der Entscheidungen von VormundschaftsgerichtlFamiliengericht zu § 1632 (§ 1634) BGB mit Drittwirkung Der vorgenommenen restriktiven Bewertung der Elternbefugnisse im Eltern/Kind-Bezug scheint die Tatsache zu widersprechen, daß die Entscheidung des VormundschaftsgerichtsIFamiliengerichts79 zu §§ 1632 (1634) Drittwirkung hat. D. h., die Sorgeberechtigten (ggf. auch ein Elternteil gegen den nichtsorgeberechtigten anderen Elternteil) können die "Herausgabe" des Kindes bzw. die Einstellung des Umgangs mit dem Minderjährigen durch Dritte in einem gegen den Dritten gerichteten Verfahren gerichtlich durchsetzen und haben so dann die Möglichkeit, aus dem Titel gegen den Dritten - (ausschließlich) nach § 33 FGGso - zu vollstrecken. Entsprechend ist auch nach Inkrafttreten der Sorgerechtsneuregelung die Beibehaltung des persönlichen Kontaktes zwischen dem Kind und dem Elternteil, welchem nach Scheidung (§ 1671 BGB) oder einstweilen schon für die Zeit des Getrenntlebens der Eltern (nach § 1672 i. V. m. § 1671 BGB) die elterliche Sorge entzogen wurde, gesetzestextlich allein in der Form einer dem nichtsorgeberechtigten Elternteil zustehenden Befugnis zum "Umgang" mit dem Kind in § 1634 Abs. 1 und 2 BGB erwähnt. 2.2.1. § 1632 BGB Die durch § 1632 Abs. 1 u. 2 BGB eröffnete Möglichkeit des Verfügens über den Minderjährigen scheint auf eine Konstruktion des Elternrechts als absolutes, elternorientiertes Recht der Personensorgeberechtigten hinzuweisen. Dem entsprechen ältere Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur, welche ein unbegründetes Umgangsverbot zuließen81 oder eine Prüfung 79 Zur Zuständigkeitsverteilung vgl. Kropp, DRiZ 1979, 85 ffi. w. N.; Schüler, ZblJugR 1981,173 ff. 80 Vgl. insoweit die Darstellung des Meinungsstandes sowie die zutreffende Stellungnahme von Schüler, ZblJugR 1981, 173, 175 ff.; insbesondere leitet sich die ausschließliche Anwendung des § 33 FGG von der größeren Sachnähe des Prozeßgerichtes ab, welches für die dem Kind angemessene Durchsetzung des Herausgabeanspruches als FGG-Gericht zu sorgen hat: dies alles entfiele bei einer Vollstreckung nach § 883 ZPO (vgl. Schüler, aaO, S. 176). Für die ausschließliche Regelungszuständigkeit des § 33 FGG auch das OLG Karlsruhe (MDR 1982, 678), welches konsequent die Herausgabeerzwingung nach § 888 Abs. 1 ZPO ablehnt. Die Spezialität des § 33 FGG, welcher das Erzwingungsmittel der Zwangshaft in Anbetracht des Regelungsraumes der Sozialisationsbeziehungen nicht vorsieht, führt dazu, daß § 888 Abs. 1 ZPO auch nicht entsprechend anzuwenden ist; es hätte demnach gar nicht der vom OLG Karlsruhe herangezogenen Begründung aus Art. 104 Abs. 1 GG bedurft (vgl. aber OLG Karlsr., aaO, S. 678). 81 Bosch, FamRZ 1958, 140; Dölle (1965), S. 152 ff.; StaudingerlDonau, 10./11. Auf!. , § 1626, Rn. 6; auch noch PalandtlDiederichsen, 40. Auf!. 1981, § 1632, Anm. 4 a.
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4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
der konkreten Sozialisationssituation sowie eine Wollensäußerung des Kindes für die "Herausgabe"-Entscheidung nicht für erforderlich hielten82 . Nach anderer Auffassung ist dagegen auch § 1632 BGB unter dem Vorbehalt des Kindeswohls zu bewerten83 . Schon der Gesetzestext läßt nicht erkennen, weshalb die Leitnorm des
§ 1627 Satz 1 BGB und damit der Kindeswohlvorbehalt für § 1632 BGB nicht
gelten sollte. Die inzidenten Beschränkungen der Begründetheit des Kindeswillens sowie der Schutz vor deliktischen und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Gefährdungen durch Dritte84 begründen auch hier einen hinreichenden Schutz des Minderjährigen. Ihre Berechtigung erfahren die den Eltern nach § 1632 BGB gegebenen Möglichkeiten allein in der Realisierung des Kindeswohls. Die gesetzliche Konstruktion des Anspruchs gegen den Dritten erklärt sich eben daraus, daß Fälle der Unbegründetheit des Kindeswillens bzw. strafrechtliche oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Gefährdungen des Kindes denkbar sind. Insofern trägt die gesetzliche Konstruktion lediglich den Bedürfnissen in besonderen Situationen Rechnung. Die Drittwirkung bedeutet eine spezielle Ausprägung der fürsorgenden Funktion der elterlichen Sorge. Ein widerrechtliches Vorenthalten liegt vor, wenn das Kindeswohl dem Herausgabeverlangen nicht entgegensteht. Auch das Recht auf Herausgabe und das Umgangbestimmungsrecht stehen damit, entgegen der früheren Einschätzung in Literatur und Rechtsprechung85 , unter dem Vorbehalt des Kindeswohls. 2.2.2. § 1634 BGB 2.2.2.1. Der Meinungsstand
Der BGH86 interpretierte in der Vergangenheit § 1634 Abs. 1 BGB als ein "Recht (des "Verkehrsberechtigten"), das Kind zu sehen und mit ihm zu spreehen". § 1634 Abs. 1 Satz 1 BGB i. d. F. vom 18. Juli 1979 formuliert nach wie vor eine Befugnis des Nichtsorgeberechtigten zum "persönlichen Umgang mit dem Kind", anstelle des früheren - nach § 75 EheG sowie § 1634 BGB i. d. F. der Art. 1 Ziff. 20 des GleichberG - "Verkehrs" mit dem Kind. Entsprechend wird die vom BGH gefundene Zwecksetzung des § 1634 BGB von den unteren Gerichten weiterhin als maßgebend erachtet87 . Teile der Recht82 BayObLG FamRZ 1977, 473 ff.; BayObLG 1978, 135; tendenziell auch OLG Frankfurt OLGZ 1978, 394 ff. 83 SoergeIlLange (1981), § 1632, Rn. 14; Münder, AK-BGB, § 1632, Anm. 3 und
10.
84 85 86
4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III 3. Vgl. in den vorstehenden Fn. 81 und 82. BGHZ 42,364,371; 51, 219, 222.
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sprechung erkennen den Maßstab des "begründeten Kindeswillens" z. B. beim Umgangsrecht im Falle einer Verweigerung des Kontaktes durch das Kind aus beachtlichen oder verständlichen Gründen an; vorausgesetzt wird, daß das Kind eine gewisse Altersstufe erreicht hat, welche es zu einer selbständigen Beurteilung befähigt88 • Insbesondere das Kammergericht stellte das Recht des Nichtsorgeberechtigten schon in der bisherigen Fassung des § 1634 unter den Vorbehalt des Kindeswohls 89 . Bezüglich der Sorgerechtsneuregelung liegt nach den Feststellungen des Rechtsausschusses die Beibehaltung des persönlichen Kontaktes zwischen dem Kind und dem Nichtsorgeberechtigten "in der Regel zugleich auch im Interesse des Kindes"90; die Kindessphäre wird (mit) angesprochen von der "Wohlverhaltensklausel" des § 1634 Abs. 1 Satz 2 BGB; § 1634 Abs. 2 Satz 2 BGB formuliert ausdrücklich eine Orientierung am Kindeswohl. Auch nach der Sorgerechtsneuregelung ist die Qualifizierung der rechtlichen Stellung des Kindes im Rahmen des § 1634 BGB jedoch nicht eindeutig. So gibt es zu dessen Neufassung sowohl Stimmen, welche von der generellen Geltung des Kindeswohlvorbehaltes ausgehen91 und die Beachtung des Kindeswillens im Rahmen des Kindeswohls berücksichtigen92 • Vor allem das OLG Zweibrücken betont demgegenüber den Vorrang der Entscheidung durch die geschiedenen bzw. getrennt lebenden Elternteile93 • 2.2.2.2. Subjektives Elternrecht und/oder Recht des Kindes? Die vom OLG Zweibrücken94 vertretene Auffassung reaktiviert die bisherige Kategorisierung des "Umgangsrechtes" als ein dem Nichtsorgeberechtigten zustehendes subjektives Recht, welches Verfügungsrnacht über einen anderen - nämlich über das Kind - verleiht. Zu diesem Ergebnis ist es aufgrund einer abstrakt/grammatikalischen Interpretation des Gesetzestextes gekommen. Es hat damit die von Gernhuber95 zutreffend beschworene Gefahr 87 Vgl. OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 531; zur Rechtsprechung vor der Sorgerechtsneuregelung vgl. KG FamRZ 1979, 70; FamRZ 1979, 448 sowie FamRZ 1979, 965; OLG Dssdf FamRZ 1979, 857 und FamRZ 1979, 859. 88 KG FamRZ 1979, 448; Bamberg FamRZ 1979, 858; OLG Düsseldorf FamRZ 1979,857. 89 KG FamRZ 1979, 70; FamRZ 1979, 448. 90 BT-DrS 8/1788, S. 53; s. auch schon BT-DrS 7/2060, S. 23 unter "Ziff. 10". 91 SoergellLange (1981), § 1634, Rn. 35; Münder, AK-BGB, § 1634, Anm. 7, 13; Steffen, ZbIJugR 79, 138, 147. 92 OLG Stuttgart NJW 1981, 404, 405; Moritz, ZbIJugR 1982, Heft 11; Münder, aaO, nicht ganz eindeutig Dickmeis, ZbIJugR 1982, 271, 278. 93 OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 53!. 94 aaO. 95 (1980), S. 828; zur Assoziation aus der Gesetzesterminologie vgl. auch Lempp, ZbIJugR 1979, 517.
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veranschaulicht, welche daraus resultiert, wenn eine Deutung des "Umgangsrechtes" unterbleibt bzw. wenn eine Auslegung unter Abstraktion von der Sinnfrage erfolgt. Das "Umgangsrecht" wird heute als Ausfluß des "natürlichen Elternrechts"96 oder als Restbestandteil der Personensorge verstanden 97 ; nach einer wenig konkreten Umschreibung von Simon98 ist die Grundlage des Umgangsrechts in der persönlichen Verbundenheit zwischen Eltern und Kind zu erblikken. Zutreffend weist Lange 99 darauf hin, daß die Herleitung als solche keine große praktische Bedeutung hat; dies trifft jedenfalls dann zu, wenn die Kennzeichnung "Ausfluß des ,natürlichen Elternrechts'" als Hinweis darauf verstanden wird, daß die Ausfüllung des verfassungsrechtlichen Elternrechts unter Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben partikulär zu erfolgen hatl()(). Die Elternbefugnisse sind in der partikulären Ebene des Zivilrechts jedoch als "elterliche Sorge" berücksichtigt. Aus dieser Systematik heraus ist jener Auffassung zuzustimmen, welche das "Umgangsrecht" als (den dem Nichtsorgeberechtigten verbleibenden) Rest des Personensorgerechts qualifiziert101 . Ist dies so, so fließt jedoch in diese Fixierung der Gesamtinhalt des Personensorgerechts in seiner Restfunktionalität ein. Das "Umgangsrecht" hat damit prinzipiell teil an der allgemeinen rechtlichen Bewertung der Eltern! Kind-Beziehungen, jedenfalls soweit, wie nicht Gegensätzliches ausdrücklich in der konkreten Norm bestimmt ist. Eine solche Ausnahme formuliert nicht die "Wohlverhaltensklausel" des
§ 1634 Abs. 1 Satz 2 BGB und ergibt sich ebenfalls nicht aus § 1634 Abs. 2
S. 2 BGB. Oben wurde die in den Gesetzesmaterialien zu findende Auffassung referiert, wonach die Umgangsbefugnis des Nichtsorgeberechtigten in der Regel zugleich auch im Interesse des Kindes liegt. Gleichwohl wurde, was theoretisch denkbar gewesen wäre, ein Besuchsrecht des Kindes in das Gesetz nicht aufgenommen. Folgt daraus die - bewußte oder unbewußte - Kategorisierung der Kindesinteressen am Kontakt mit dem nichtsorgeberechtigten Elternteil als bloßer Annex zum Umgangsrecht des abwesenden Erwachse%
Beitzke, FamRZ 1958, 10; Dölle (Bd. 2, 1965), S. 319; ErmaniRonke (1981),
§ 1634, Rn. 4; SoergellLange (1981), § 1634, Rn. 3; Staudinger/Schwoerer, 10./11. Aufl., § 1634, Rz. 4; wohl auch BGHZ 42,370; 51, 221.
97 Becker, FamRZ 1971, 589; ders. RdJB 1975, 344 f.; Gernhuber (1980), S. 828, Fn. 2; Giesen NJW 1972, 225, 227; Staudinger/Göppinger, 10./11. Aufl., vor § 1666, Rn. 37; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., § 1634, Rn. 3; Strätz, FamRZ 1975, 545 f. sowie schon RGZ 153, 242. 98 FamRZ 1972, 485, 488. 99 In SoergellLange (1981), § 1634, Rn. 3. 100 Zur dahinter stehenden methodologischen Problematik vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B 11. 101 Vgl. die Nachweise bei Gernhuber (1980), S. 828, dortige Fn. 2; s. auch die Begründung und zahlreiche Zitate bei Hinz, MünchKomm., Bd. 5, § 1634, Rn. 2, mit der dortigen Fn. 8.
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nen, mit der Konsequenz, daß daraus eigene Rechtsfolgen nicht herzuleiten wären 102 ? Der Gesetzgeber hat, soweit ersichtlich, darüber nicht reflektiert. Es verstieße indes gegen die Grundsätze der Logik, aus der fehlenden Reflexion auf eine bewußte Entscheidung des Gesetzgebers rückzuschließen, rechtserhebliche Eigeninteressen des Kindes nicht anerkennen zu wollen. Dies gilt um so mehr, als vorliegend eine ausdrückliche rechtliche Ausgestaltung eines eigenen Besuchsrechtes des Kindes entbehrlich war. Denn definieren wir die Umgangsbefugnis als "Rest des Personensorgerechts" , so ist damit eine Definition der Umgangsbefugnis als Recht zum "Wohl des Nichtsorgeberechtigten"103 unvereinbar. Vielmehr wird durch dieses Verständnis die für das Personensorgerecht allgemein in § 1627 Satz 1 BGB formulierte "Leitsatz- und Grenzfunktion" des Kindeswohls 104 auch wirksam für den Restbestand des Personensorgerechts, der Umgangsbefugnis. Somit ist die Umgangsbefugnis nicht nur für den Bezug Sorgeberechtigter-Nichtsorgeberechtigter im Rahmen des § 1634 unter den Vorbehalt des Kindeswohls gestellt. Vielmehr wirkt zudem noch die allgemeine Leitsatz- und Grenzfunktion des Kindeswohls unmittelbar zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind für deren Kontakte. Die Leitsatzfunktion des Kindeswohls beschränkt dieses dabei nicht nur auf eine negativ-abgrenzende Wirkung, sondern verleiht zugleich den Charakter einer Verhaltensanweisung für den einzelnen Bezogenen 105 . Dies bedeutet für die inhaltliche Konkretisierung der Umgangsbefugnis, daß die Interessen des Nichtsorgeberechtigten (dessen Liebesbedürfnis sowie Gefühle der Selbstverwirklichung im Kinde sowie das allgemeine Interesse, sich von dem körperlichen und geistigen Befinden des Kindes und seiner Entwicklung zu überzeugen 106) nur eine von zwei Bewertungspositionen ausmachen. Die aus dem Personensorgerecht fortwirkende Pflichtbindung führt zugleich zu einem Vorrang der zu akzeptierenden Positionen des Kindes, d. h. vor allem zur Respektierung des begründeten Kindeswillens sowie zur Beachtung des "Geborgenseins" und der daran anknüpfenden psycho/sozialen Grundbedingungen 107.
102 Zur rechtstheoretischen Konstruktion derartiger Annexregelungen im Verhältnis zur Grundnorm vgl. BVerwGE 16, 301. 103 Siehe Steffen, ZbIJugR 1979, 136 ff. 104 BT-DrS 7/2060, S. 15; JanslHappe (1980), S. 45. 105 Im Sinne des den Minderjährigen erwachsenen Rechts auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge; dazu Gernhuber (1980), S. 708; Hinz, MünchKomm., 2. Auft., Bd. V/2, § 1626, Rn. 5 f.; Münder, AK-BGB, S. 669. 106 BGHZ 42,364,371; 51, 219, 222. 107 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, §§ 1 und 2.
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2.2.3. Ergebnis Somit ergibt sich, daß die Drittwirkung der Entscheidung von VormundschaftsgerichtlFamiliengericht zu § 1632 BGB der fürsorgenden Funktion der elterlichen Sorge in besonderen Situationen Rechnung trägt. Daß dem Nichtsorgeberechtigten ein "Umgangsrecht" zugebilligt ist, enthebt diesen nicht der elterlichen Pflichtbindung. Die Umgangsbefugnis untersteht als Restbestandteil des Personensorgerechts der restfunktionalen Pflichtbindung dieses Rechts. Der Schutz im Verhältnis zu Dritten bedeutet eine Sicherung der Rechtsposition des Nichtsorgeberechtigten gegen diese; der Umfang des Umgangsrechts ergibt sich dagegen aus der Beurteilung im Bezug Nichtsorgeberechtigter-Kind. Die Ausstattung der Entscheidungen von Vormundschaftsgericht bzw. Familiengericht zu §§ 1632, 1634 BGB mit Drittwirkung begründen somit nicht eine Konstruktion der zivilrechtlichen Elternstellung als absolutes (Herrschafts-)Recht über das Kind 108 • 2.3. Elterliche Sorge und § 823 Abs. 1, § 1004 analog BGB Es ist anerkannt, daß die elterliche Sorge als "sonstiges Recht" durch § 823 Abs. 1 BGB geschützt ist sowie ein Unterlassungs- und Beseitigungsanspruch analog § 1004 BGB in Betracht kommt H19 • Strittig bleibt allerdings, ob innerhalb der Entscheidung nach § 823 Abs. 1 BGB auch geprüft wird, ob die Elternentscheidung sachgerecht war 110 • Als "sonstiges Recht" geschützt sein kann allein die den Sorgeberechtigten als absolutes Recht zustehende Rechtsrnachtlli. Insoweit kommt es auf die vom OLG Frankfurtll2 aufgeführte und abgelehnte Überprüfung des elterlichen Ermessens gar nicht an. Festzustellen ist lediglich die Reichweite der Rechtsrnacht. Mertens ll3 umschreibt diese mit der "Abschirmung des kindlichen Lebensbereichs" . Da, wie nachgewiesen wurde, die Kindessozialisation gerade auch "Außenkontakte" fordert, erscheint die Definition von Mertens als zu pauschal. Der fürsorgende Charakter des Elternrechts und seine - anhand des § 1632 BGB - dargestellte prinzipielle Kindesorientierung hat Auswirkungen auch für den Schutz dieses Rechtes nach § 823 Abs. 1 BGB. Denn daraus ist 108 Zu den Folgen dieses Ergebnisses für die Rechtsanwendung vgl. im 6. Kapitel, 2. Abschnitt; S. 393 ff. 109 Beitzke (1980), § 26 Abs. 2; Dölle (Bd. 2, 1965), S. 137; Staudinger/Donau, 10./ 11. Aufl., § 1626, Rn. 2 u. 5; Gernhuber (1980), § 49 IV 6. 110 Verneinend OLG Fft NJW 1979, 2052, gegen Hinz, MünchKomm., 1. Aufl., Bd. V, § 1631, Rn. 18 m. w. N. 111 Mertens, MünchKomm., § 823, Rn. 136. 112 NJW 1979, 2052. 113 aaO, § 823, Rn. 136.
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zugleich auf die Reichweite der den Sorgeberechtigten zustehenden Rechtsrnacht zu schließen. Geschützt sind die Sorgeberechtigten vor den Eingriffen Dritter in ihre "stillen Sinn-Interessen" am Kind sowie in ihre fürsorgende Tätigkeit für das Kind. Im Sinne von Mertens 114 zählt dazu auch der Schutz der am Kindeswohl orientierten Entfaltung der Emotionalbeziehungen. Die Rechtsrnacht ist jedoch begrenzt durch den begründeten Kindeswillen und entfällt dort, wo ein "Schutz vor sich selbst", vor physischen Gefahren bzw. vor Straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Verstößen nicht erforderlich ist. Konsequent kann es hier auch keinen Schutz vor einem Eingriff Dritter geben. Ebenso stellt auch eine unerlaubte Handlung gegen das Kind nicht notwendig zugleich einen nach § 823 Abs. 1 BGB geschützten Eingriff in die Rechtsrnacht der Sorgeberechtigten dar115 • 2.4. Die Qualifizierung von § 1618 a und § 1626 Abs. 2 BGB 2.4.1. Der Meinungsstand §§ 1618 a und 1626 Abs. 2 BGB ist der programmatische Inhalt für die Ausgestaltung der Beziehungen zwischen den Inhabern der elterlichen Sorge und den Sorgerechtsbetroffenen gemeinsam 116 • Zu beiden Vorschriften ist strittig, ob sie sich in diesem programmatischen Inhalt erschöpfen oder ob daraus durchsetzbare Verhaltens- und Beteiligungsansprüche resultieren. Die Beantwortung dieser Frage liefert zugleich einen Beitrag zu der Abgrenzungsproblematik zwischen Kindes- und Elternposition.
Holtgrave ll7 verweist darauf, daß die §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB nicht mit eigenen Sanktionen versehen sind. Daraus ergebe sich ihre Qualifizierung als leges imperfectae. Entsprechend hieß es auch schon in den insoweit gleichlautenden Begründungen zu den §§ 1618 a (E), 1626 Abs. 2 (E): "Die Vorschrift ist nicht mit einer eigenen Sanktion bewehrt; sie ist bewußt so gefaßt, daß sie nur Leitlinien aufzeigt, an einen Verstoß jedoch keine unmittelbaren Rechtsfolgen knüpft (lex imperfecta)"1l8. Diese Sanktionslosigkeit wird ebenfalls von Simon 119 nicht bestritten, gleichwohl erblickt er in den §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB echte Rechtspflichten. Schultz 120 sieht eigene Ansprüche des Kindes nur "hindurchschimmern"; er erachtet allerdings eine so interpretierte Norm als aaO. So richtig Mertens, aaO, m. w. N. in dortiger Fn. 207. 116 Be1chaus, ZbIJugR 1979, 330 ff.; PalandtIDiederichsen, § 1626, Anm. 5; Gross (1979), S. 26 f.; JanslHappe (1980), S. 42, 55 f.; Holtgrave, JZ 1979, 666; Münder, AK-BGB, S. 650,671 f.; Simon, JuS 1979,752 f. 117 JZ 1979, 665, 666; entspr. Münder, BGB-AK, S. 650,671 f. 118 BT-DrS 8/2788, S. 43, 45. 119 JuS 1979, 253. 120 MDR 1980, 20 f. 114 115
294
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
an der "Grenze des Zulässigen" stehend. Diederichsen 121 sieht schließlich in der Anweisung des § 1626 Abs. 2 BGB an die Eltern, die wachsenden Fähigkeiten des Kindes zu berücksichtigen und mit diesem die Fragen der elterlichen Sorge zu besprechen, eine Reproduktion des Zeitgeistes; er hält den Wortlaut der Vorschrift für "verfassungsrechtlich nicht ganz bedenkenfrei " . Zur Rechtsnatur der Normen meint Diederichsen l22 , daß die Bestimmungen echte familienrechtliche Verpflichtungen enthielten. Der in § 1618 a BGB gewählte Ausdruck, daß Eltern und Kinder einander Beistand und Rücksicht "schuldig" seien, schließt nach der Auffassung von Diederichsen die Annahme wirklicher Ansprüche nicht aus 123 . Im übrigen seien unserer Rechtsordnung rein deskriptive Bestimmungen fremd, so daß es viel näher liege, ,,§ 1626 Abs. 2 BGB als Muß-Vorschrift zu verstehen"; der "Anspruch des Gesetzgebers, ... nur eine ,lex imperfecta' geschaffen zu haben, (werde daran scheitern), daß etwa im Rahmen der Sorgerechtsneuregelung nach den §§ 1671,1672 BGB sehr wohl derjenige Elternteil leichter den Anforderungen des Kindeswohls entsprechen wird, der sich im Gegensatz zu dem anderen Elternteil bei der bisherigen Erziehung an § 1626 Abs. 2 BGB gehalten hat; ebenso wie nicht auszuschließen (sei), daß ein Familiengericht Besuche des nichtsorgeberechtigten Elternteils gern. § 1634 Abs. 2 Satz 2 BGB mit Rücksicht darauf, daß dieser Elternteil nicht genügend auf das Kind eingeht, einschränkt oder ausschließt" 124 . 2.4.2. Eigene Stellungnahme und Ergebnis
Die zitierten Einlassungen können als Musterbeispiele dafür angesehen werden, im Wege grammatikalischer Interpretation ein persönlich favorisiertes Ergebnis zu "begründen". So setzt Holtgrave, anders als der Rechtsausschuß 125 , die Rechtsausschußäußerung der fehlenden "eigenen Sanktion" des § 1626 Abs. 2 BGB unmittelbar mit der Qualifizierung als "lex imperfecta"126 gleich. Andererseits begründet Diederichsen seinen Vorwurf der Fehleinschätzung der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB durch den Rechtsausschuß als 121 PalandtlDiederichsen, § 1626, Anm. 5 a; ders. NJW 1980, 3; zustimmend Bosch, FamRZ 1980, 748 r. Sp. 122 NJW 1980, 1,2; bezüglich § 1626 Abs. 2 BGB zustimmend Bosch, aaO. 123 Diederichsen NJW 1980, 2 unter ,,1 b". 124 Diederichsen, aaO, unter ,,2 a", mit Bezug auf Simon, JuS 1979, 753. Zustimmend Bosch, aaO, welcher die Klippe der gegensätzlichen Auffassung der Rechtsausschußmehrheit mit der für Bosch bemerkenswerten Feststellung zu umschiffen sucht, daß "Gesetzesmaterialien völlig unverbindlich" seien. Der "Gefahr", daß sich aus dieser Argumentation eigene Rechte der Kinder ergeben könnten, die zu respektieren den Eltern aufgegeben ist, begegnet Bosch mit dem Hinweis auf die Schrift von Schmitt Glaeser (1980), nach welcher § 1626 Abs. 2 BGB als lex imperfecta verfassungswidrig ist. 125 BT-DrS 8/2788, S. 45. 126 Holtgrave, JZ 1979, 666 r. Sp.
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
295
leges imperfectae mit dem Hinweis auf mögliche Folgen bei den Wertungen im Rahmen der §§ 1671 f. oder 1634 Abs. 2 Satz 2 BGBI27. Derartige "mittelbare Folgen" wurden indes auch in den Gesetzesmaterialien nicht ausgeschlossen; verneint wurden dort lediglich "unmittelbare Rechtsfolgen"128. Zu fragen ist allerdings, entsprechend Diederichsen, ob der Klammervermerk als "lex imperfecta" terminologisch noch zutrifft für Normen, welche zwar "nicht mit einer eigenen Sanktion bewehrt" sind, welche Sanktionen im übrigen aber nicht verneinen, und die "an einen Verstoß keine unmittelbaren Rechtsfolgen" knüpfen, aber - z. B. - mittelbare Rechtsfolgen nicht ausschließen. Entsprechend wertete auch die Ausschußminderheit, daß § 1626 Abs. 2 (E) (= § 1626 Abs. 2 BGB i. d. F. vom 18. 7. 1979129) "zwingendes Recht" sei "und ein Verstoß dagegen rechtliche Folgen haben" könne; auch "wenn in Abs. 2 selbst eine Sanktion nicht vorgesehen sei, so könne eine Nichtbefolgung dieser Rechtspflichten als ein Fall von § 1666 BGB zu betrachten sein"130. Die von der Ausschußminderheit vorgeschlagene Textänderung wurde nicht realisiert. Somit ist zu konstatieren, daß die Umschreibung der Norminhalte der
§§ 1618a, 1626 Abs. 2 (E) (= §§ 1618a, 1626 Abs. 2 i. d. F. vom 18. 7. 1979)
durch die Mehrheit des Rechtsausschusses die Heranziehung anderenorts vorgegebener Sanktionen als mittelbare Rechtsfolgen nicht ausschließt. Daß trotz der Hinweise der Ausschußminderheit eine Änderung des Gesetzestextes unterblieb, läßt sich nur so interpretieren, daß die aufgezeigte Integration der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB in den Gesamtkontext der Bestimmungen über die elterliche Sorge nicht revidiert werden sollte. Insofern ist die Auseinandersetzung um die Bezeichnung der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB als leges imperfectae, als Programms ätze oder als unmittelbar verpflichtende Normen m. E. nur ein Scheingefecht. Denn die gefundene integrative Stellung der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB beschreibt zugleich eine Minimalfunktion der Vorschriften, welche auch bei einer Betonung des programmatischen Charakters l3l zu akzeptieren wäre, da die Realisierungsabsicht für eine Programmatik Sinninhalt ist. Die Auslegung der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB durch Diederichsen 132 als "echte Verpflichtung" entspricht mit den von ihm aufgezeigten Rechtsfolgen der integrativen Bezugsetzung. Holtgrave's133 Qualifizierung der §§ 1618 a, 127 128 129 130 131
753.
132 133
Diederichsen, NJW 1980, 2. Vgl. in der Beschlußempfehlung des Rechtsausschusses, aaO. BGBI I S. 1061. Vgl. die Wiedergabe dieser Minderheitswertung in BT-DrS 8/2788, S. 45. Vgl. Münder, AK-BGB, S. 672, mit Gross (1979), S. 26 f. und Simon, JuS 1979, aaO. aaO.
296
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
1626 Abs. 2 BGB als leges imperfectae zielt schließlich ebenfalls nicht auf eine Separierung dieser Vorschriften; beabsichtigt ist, eine "Öffnung" des Familieninternum und damit ein Hineinregieren in die Familie zu verhindern. Dies ist jedoch - jedenfalls bei der hier gefundenen Auslegung - kein Problem der Interpretation der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB; inwieweit das Familieninternum zu "öffnen" ist, hängt, wie gezeigt, letztlich von der Qualifizierung des Kindeswohls ab und davon, inwieweit Selbstbestimmungskompetenzen verbindlich abstrakt fixiert werden können 134 • Somit ergibt sich, daß die Qualifizierung der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB als leges imperfectae abzulehnen ist, da diese Bezeichnung die Funktion und Stellung der Vorschriften im Recht der elterlichen Sorge nicht hinreichend genau beschreibt. Ebenso gewähren §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB aber auch keine unmittelbar durchsetzbaren Rechtsansprüche im Verhältnis zwischen den Sorgeberechtigten und den Kindern. Aus den Bestimmungen ergeben sich jedoch mittelbare Folgen i. S. von Maßstäben im Rahmen der Kindeswohlwertung. Insofern kann für die aufgeworfene Ausgangsfrage nach der "inhaltlichen Begrenzung von Kindeswohl und Kindesinteresse durch die Interessen, Bedürfnisse und Rechte anderer" gesagt werden, daß eine solche Einschränkung durch die §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB nicht erfolgt. Damit bleibt es bei der Geltung des Kindeswohlvorbehaltes für die Ausübung der elterlichen Sorge 135 • Wenn die §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 jedoch nur zu mittelbaren Sanktionen im Rahmen der Kindeswohlwertung führen, bleiben sie im Rahmen zulässiger Erziehungsvorgaben; es scheiden verfassungsrechtliche Bedenken wegen einer "staatlichen Reglementierung der Eltern" aus 136 • Aus der integrativen Funktion der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB folgt jedoch auch, daß sich aus ihnen gleichfalls keine unmittelbaren Rechtsansprüche der Minderjährigen ergeben. Da die §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB ohne Einfluß auf die Fortgeltung des Kindeswohlvorbehaltes sind, gelten im Verhältnis Kind~Sorgeverpflichtete sowohl die Auslegungsleitlinien der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB als auch die Kindeswohlkonkretisierungen. Analog dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali ersetzen dabei die Kindeswohlkonkretisierungen im Einzelfall faktisch die generellen Leitlinien der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB (z. B. Beachtung des Kindeswillens). Die Minderjährigen sind aufgrund des Kindeswohlvorbehaltes gegenüber den Sorgeverpflichteten Inhaber eines Rechtes auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge 137 . Die Pflichtgemäßheit der Ausübung orientiert sich Vgl. im einzelnen im 3. Kapitel, 3. Abschnitt. Zur Begründung dieses Vorbehaltes vgl. (in diesem) 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4; s. auch die dortigen weiteren Nachweise. 136 Ebenso Münder, AK-BGB, § 1626, Rn. 12 mit Gross (1979), S. 26 f. und Simon, JuS 1979, 753. A. A. vor allem Schmitt Glaeser (1980), S. 63 f. - Vgl. im einzelnen schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 B. 134 135
3. Abschn.: Bestimmung von Kindeswohl und Kindesinteresse
297
wiederum am Kindeswohl. Das Kindeswohl aber wird erfaßt durch die getroffenen Kindeswohlkonkretisierungen, welche inhaltlich zugleich Spezialisierungen zu den Leitlinien der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB sind. Für die Wertungsrelevanz der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB folgt daraus, daß diese Normen im Verhältnis Kind~Sorgeverpflichtete nur eine Bedeutung haben durch und im Zusammenhang mit der Kindeswohlentscheidung. Dies gilt sowohl hinsichtlich der Anwendung als Auslegungsleitlinie wie, entsprechend Diederichsen 138 , vor allem für die daraus resultierenden Sanktionen. Die Benennung eines Anspruches könnte somit etwa lauten: §§ - 1666 Abs. Iod. 1631 a - 1626 Abs. 1, 1627 i. V. m. § 1618 a und/oder § 1626 Abs. 2 BGB; dabei sind die schon angesprochenen 139 und noch zu konkretisierenden Grundsätze über die Durchsetzung der Rechte im Eltern/Kind-Verhältnis zu beachten. C. Fazit und Folgerungen für die Einzelbereichswertungen der Kapitel 5 bis 7
Eine Beschränkung der Kindesbefugnisse ergibt sich aus dem Prinzip der Verkehrssicherheit. Der Rechtsalltag entspricht zur Zeit nicht den Bedürfnissen nach einem Vertrauensschutz in die Rechtsgültigkeit der mit Minderjährigen geschlossenen Geschäfte. Deshalb muß schon ein wohlverstandenes Interesse des Rechtsverkehrs dahin gehen, die bestehende starre Grenze des Volljährigkeitsalters durch konkrete Teilmündigkeitsgrenzen zu ersetzen. Zugleich ergibt sich aus der Sicht des Kindes das Bedürfnis, seine Handlungskompetenzen nicht mehr als notwendig einzuschränken. Das Elterninteresse schließlich geht dahin, Teilmündigkeiten nicht zu den materiellen Lasten der Eltern zu installieren. Als Knotenpunkt, zu dem diese Interessen zur Deckung gebracht werden könnten, hat sich der 15. Geburtstag herausgestellt. Ob und wie eine solche Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag in das bestehende Normensystem integriert werden kann, wird bezüglich einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit im 5. Kapitel untersucht, bevor im 6. Kapitel auf die Frage der Handlungsfähigkeit Minderjähriger vor Behörden und Gerichten in jugendrechtlichen Angelegenheiten eingegangen wird. Die ideellen Interessen der Eltern am Kind führen zur Anerkennung eines "stillen Sinn-Interesses". Dieses konkretisiert die Elternrechte auf Pflege und Erziehung des Kindes. Darüber hinaus hat auch das Kind die Persönlichkeitsrechte der Eltern zu achten sowie den Eltern - ggf. auch materiell- beizustehen. Diese familieninternen Rechte der Eltern beseitigen jedoch nicht den 137 Münder, aaO, S. 669, mit Gernhuber (1980), § 49, S. 708; ders. FamRZ 1962, 89 f. und FamRZ 1973, 229 ff.; Hinz (1976), S. 23. 138 NJW 1980, S. 2. 139 Vgl. im vorstehenden § 2 unter "C".
298
4. Kap.: Kindeswohl. Kindeswille und Kindesinteresse
Kindeswohlvorbehalt (des § 1627 Satz 1 BGB). Dieser sowie die gefundenen Konkretisierungen des Kindeswohls bilden deshalb die maßgebende Wertungsgrundlage der Einzelproblemdarstellungen des 7. Kapitels (1. und 3. Abschnitt) zum Kindeswohl-Bereich. Eine Zurückdrängung der Kindesposition ist dagegen möglich im Kindesinteressebereich. Auch insofern tritt jedoch an die Stelle einer Interessenabwägung allein unter ökonomischen Prämissen eine solche unter ökonomischen und familienrechtlichen Aspekten. So nennt für die Vermögenssorge (unten: 7. Kapitel, 2. Abschnitt) etwa § 1649 Abs. 2 BGB ausdrücklich den Grundsatz der Billigkeitskorrektur. Im Unterhaltsrechtsverhältnis (vgl. unten: 7. Kapitel, 4. Abschnitt) haben etwa die Anspruchsberechtigten im Hinblick auf die Art (vgl. § 1612 BGB) sowie bezüglich der Dauer und Höhe der Inanspruchnahme nach Maßgabe eines "Gegenseitigkeitsprinzips" auf die Vermögensinteressen der Unterhaltsverpflichteten Rücksicht zu nehmen. Diese Grundsätze sind hinsichtlich der Interessenlage und des Ausgleichs der widerstreitenden Interessen zu konkretisieren.
5. Kapitel
Stufen ,,11 5-6"1; Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr sowie in besonderen Interaktionsbeziehungen 1. Abschnitt
Das Bedüdnis einer (neuen) rechtssystematischen Fixierung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger Am Ende des 4. Kapitels wurde zusammenfassend festgestellt, daß die momentan praktizierte Handhabung einer Zubilligung rechtsgeschäftlicher Handlungskompetenzen an Minderjährige weder deren Bedürfnissen entspricht noch den Interessen des Rechtsverkehrs Rechnung trägt. So wird eine Teilmündigkeitsstufe beim 15. Geburtstag nicht berücksichtigtl. Für den Rechtsverkehr fehlt es an einem Vertrauenkönnen in die Rechtsgültigkeit geschlossener Verträge mit Minderjährigen, selbst wenn etwa bei älteren Jugendlichen die Entscheidungskompetenz real gegeben ist. Teil- oder Zwischen-Kompetenzstufen wurden bisher nicht fixiert, welche bezogen auf das Alter und/oder die Geschäftsart sowie auf den Geschäftsumfang eine verläßliche Orientierung erlauben. Es wird dagegen ständig praktiziert und ist zu beobachten, daß Minderjährige zum Beispiel Kleidungsstücke, Schallplatten etc. ohne Begleitung Erwachsener kaufen. Ein ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter durch den Minderjährigen geschlossener Vertrag ist im Regelfall schwebend unwirksam. Von der Wirksamkeit wird unter anderem jedoch dann ausgegangen, hat der Minderjährige seine Zahlungspflicht gemäß § 110 BGB aus Mitteln erfüllt, welche ihm zu diesem Zweck oder zur freien Verfügung überlassen worden waren. Unzulässig ist nach herrschender Meinung auch bei § 110 BGB eine Generaleinwilligung2 • Bei den von Minderjährigen rechtsalltäglich real getätigten Ge~häften (etwa beim Platten- oder Cassettenkauf, aber auch sonst) kann jedo,ch nicht ohne weiteres davon ausgegangen werden, daß ein vom Minderj ährigen zwar bar bezahlter, aber ohne Wissen der Vertretungs befugten gekaufter ~genstand alsbald zur Kenntnis der Eltern gelangt. Sind 1 2
Zu den Handlungsstufen vgl. im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2; S. 184. Siehe im einzelnen im nachfolgenden 2. Abschnitt, § 1; S. 30Zf.
300
5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
somit die Voraussetzungen der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter zum konkreten Geschäft durch ausdrückliche Erklärung der Zustimmung oder durch Überlassung der Geldmittel zu diesem Geschäft nicht gegeben, bleibt unklar, ob und wann das schwebend unwirksame Geschäft rechtliche Gültigkeit erlangt. Nunmehr könnte damit argumentiert werden, daß der auf Massenumsatz abzielende Geschäftsverkehr schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte problemlos hinnehme. Gleichwohl verbleibt ein Unbehagen. Eine wissenschaftliche Untersuchung wäre auch schon dann gerechtfertigt, wenn es nur darum ginge, eine ständig geübte Praxis auf tragfähige Grundlagen zu stellen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich aber schließlich, daß das Argument der problemlosen Hinnahme durch den Rechtsverkehr rechtlich nicht stichhaltig ist. Bei dem Hinweis auf den in der Praxis problemlosen Umgang mit schwebend unwirksamen Geschäften ist neben den Verträgen mit Minderjährigen etwa an die von den Warenhäusern gewährten Umtausch- und Rückgabemöglichkeiten oder auch an die nach dem Abzahlungsgesetz ausdrücklich vorgesehenen Widerrufsmöglichkeiten bei Haustürgeschäften zu denken. Die eingeräumten Umtausch- und Rückgabemöglichkeiten sind jedoch mit dem Minderjährigenrecht schon deshalb nicht vergleichbar, weil es sich dabei um eine Kulanz der Kaufhäuser handelt, ohne daß daraus den Käufern Rechtsansprüche entständen. Bei den Widerrufsmöglichkeiten von Haustürgeschäften3 aber ist ein Sondertatbestand geschaffen, welcher berücksichtigt, daß die Rechtsgeschäfte unter besonderen Bedingungen zustande gekommen sind. Eben diese Regelungen des Abzahlungsgesetzes belegen vielmehr, daß schwebend unwirksame Rechtsgeschäfte einen Ausnahmetatbestand darstellen. Sie bedürfen damit einer besonderen Begründung. Allein der Umstand, daß sich der Geschäftsverkehr auf eine bestimmte rechtliche Vorgabe eingestellt hat, könnte jedenfalls eine rechtlich zweifelhafte Vorgabe nicht legitimieren. Inwieweit aber Jugend allein eine prinzipiell schwebende Unwirksamkeit der Rechtsgeschäfte rechtfertigt, ist dann fraglich, kann schon vor Erreichen der Volljährigkeit von einer Entscheidungskompetenz der Jugendlichen verläßlich ausgegangen werden und wird auch die Gewährleistung der rechtsgeschäftlichen Betätigung als Bestandteil verfassungsrechtlich geschützter Positionen angesehen. Inwieweit Jugendlichen die Beteiligung am Rechtsverkehr ermöglicht wird, dafür steht ohne Zweifel dem Gesetzgeber ein Ermessensspielraum zu. Die Grenze des Ermessens bilden jedoch die verfassungsrechtlichen Entscheidungen, wie ebenso die tatsächlichen und rechtssystematischen Vorgaben zu beachten sind. Nach den verfassungsrechtlichen Wertungen ist infolge der Pflichtseite des Elternrechts die elterliche Bestimmung primär an der Erzie3
Vgl. §§ 1 a ff. AbzG, dort vor allem § 1 b Abs. 1.
2. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Teilkompetenzen Minderjähriger
301
hungsbedürfigkeit des Kindes zu orientieren4 • Im 4. Kapitel wurde mehrmals auf den Zusammenhang zwischen der Zubilligung eigener Kompetenzen und der Persönlichkeitsentwicklung eingegangen; als Datum einer real existierenden Kompetenz auch für eine rechtsgeschäftliche Betätigung wurde der 15. Geburtstag fixiert 5 . Unter diesen Umständen erscheint es fraglich, ob die Versagung von Teilmündigkeitsstufen den Verfassungswertungen entspricht. Auch deshalb ist der Frage einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger nachzugehen. Dabei dürfen die Interessen von Rechtsverkehr und Eltern sowie die rechtsdogmatischen und rechtssystematischen Vorgaben allerdings nicht außer acht gelassen werden.
2. Abschnitt
Die Beurteilung rechtsgeschäftlicher Teilkompetenzen Minderjähriger durch Gesetz, Literatur und Rechtsprechung § 1 Die gesetzliche Regelung der §§ 107 tT. BGB
A. Teilmündigkeit vom 15. Geburtstag an und die §§ 107 ff. BGB Der Wortlaut der §§ 107,108 Abs. 1 BGB ist klar. Es handelt sich im Sinne der von AdomeitI vorgenommenen Stufung um "eindeutig interpretierbare TextsteIlen" . Danach bedürfen Minderjährige zur Wirksamkeit einer Willenserklärung der Einwilligung ihrer gesetzlichen Vertreter (§ 107 BGB). Fehlt die Einwilligung, so führt dies für einseitige Rechtsgeschäfte zur Unwirksamkeit (§ 111 BGB), im übrigen sind die Geschäfte grundsätzlich schwebend unwirksam (§ 108 Abs. 1 BGB). Eine Ausnahme bilden nach der herrschenden ausweitenden Interpretation des § 107, 2. Halbs. BGB solche Geschäfte, welche nicht (jedenfalls) auch einen rechtlichen Nachteil bringen 2 • Altersspezifische Teilmündigkeitsstufen formulieren die §§ 107 ff. BGB nicht. Fälle einer erweiterten Geschäftsfähigkeit sieht das Gesetz in den §§ 112 f. BGB in bezug auf bestimmte Tätigkeitsbereiche vor. Strittig ist die rechtsdogmatische Charakterisierung des § 110 BGB; (zumindest) der Wortlaut des § 110 BGB enthält keinen Hinweis auf feste Mündigkeitstermine3 . Für die vorrangig betroffene Gruppe der Minderjährigen von der Vollendung 4 Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3, sowie vor allem Dürig in MDHS, Art. 19, Abs. 3, Rn. 26. 5 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, §§ 2 und 3; insbes. S. 256 ff., 281 ff. I ZRP 1970,176, 178. 2 Vgl. BgH NJW 1981, 111; s. die zustimmende Stellungnahme und weiteren Nachweise bei Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 107, Rn. 9. 3 Vgl. aber den Ansatz bei Nierwetberg, Jura 1984, 129 ff.
302
5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
des 15. Lebensjahres an bedeutet dies, daß auch diese Jugendlichen nach dem Gesetzeswortlaut grundsätzlich dem Zustimmungserfordernis der §§ 107 f., 182 ff. BGB unterstehen und Teilmündigkeitsstufen für sie im Gesetz nicht formuliert sind. B. Generalkonsens und beschränkte Generaleinwilligung
Mit dem Hinweis auf ein Bedürfnis des Rechtsverkehrs wird eine Ausnahme vom Grundsatz der Einzeleinwilligung anerkannt, der dem Minderjährigen eine rechtsgeschäftliche Betätigung bei einer Ausbildung am fremden Ort oder auf Reisen ermöglicht4 • Unterschieden werden die Varianten des Generalkonsens' und der beschränkten Generaleinwilligung: Jedenfalls im Grundsatz beizupflichten ist der heute kaum noch widersprochenen Auffassung, welche die Zulässigkeit eines durch die gesetzlichen Vertreter ausgesprochenen Generalkonsenses für alle Geschäfte des Minderjährigen ablehnt5 . Diese Ablehnung ist nicht damit zu begründen, daß die Eltern mit einer solchen generalisierenden Genehmigung ihre Beaufsichtigungspflichten verletzen. Denn eine zeitgemäße Interpretation versteht als Ziel der §§ 107 ff. BGB nicht mehr nur die Beaufsichtigung6 , sondern vor allem, wie sich aus dem nachgewiesenen Wechselbezug zu den §§ 1626 ff. BGB ergibt, den Beistand7 . Die Beistandspflicht aber steht einer unkontrollierten generellen Einwilligung entgegen. Da sich die Teilmündigkeit ab-15jähriger nur auf spezielle Geschäftsarten bezieht, scheidet das Institut der Generaleinwilligung insoweit ohnehin aus. Daß auch beim Minderjährigen eine dem Vollgeschäftsfähigen entsprechende persönliche und geistige Reife vorliegen kann, wird hingegen von Literatur und Rechtsprechung nicht geleugnet. Sie tragen dem durch Anerkennung einer "beschränkten Generaleinwilligung" Rechnungs. Die Idee dieses Instituts besteht darin, daß die gesetzlichen Vertreter nach sorgfältiger Abwägung zu dem Ergebnis gekommen wären, daß eine rechtsgeschäftliehe Handlungskompetenz beim Minderjährigen real gegeben ist. Das Institut bezieht Vgl. Gitter, MünchKomm., Bd. 1,2. Aufl., § 107, Rn. 24 ff. m. w. N. Duvemell (1937), S. 17 ff.; EnneccerusfNipperdey, BGB-AT 11,15. Aufl., S. 937; ErmanIWestermann, 6. Aufl., § 107, Rn. 7; ErmanIBrox, 7. Aufl., § 107, Rn. 10; Gitter, aaO, § 107, Rn. 24 ff.; PalandtllHeinrichs, § 107, Anm. 3; Ruppel (1965), S. 74; Scheerer, BB 1971, 981 f.; Staudinger/Coing, 10./11. Aufl., § 107, Rn. 3; Staudinger/ DiIcher, 12. Aufl., § 107, Rn. 3; Schemer, FamRZ 1976, 674; s. auch BGHZ 47,359. 6 So aber StaudingerlDiIcher, aaO, Rn. 3, mit Schemer, FamRZ 1976, 674; wohl auch EnneccerusfNipperdey, aaO, § 152 I 4. 7 Zum Wechselbezug zwischen Personensorge und den §§ 107 ff. BGB vgl. insbesondere auch LG Göttingen NJW 1962, 639 sowie Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 104, Rn. 3; mißverständlich benutzt Gitter jedoch den unklaren Begriff der "Erziehung" neben jenem der Personensorge. 8 Vgl. die in Fn. 5 Zitierten; a. A. Schulz, DB 1963,407. 4
5
2. Abschn.: Rechtsgeschäftliehe Teilkompetenzen Minderjähriger
303
sich auf das Innenverhältnis der gesetzlichen Vertreter zum Minderjährigen; es verhaftet bei dem Individualisierungsgrundsatz. Für den Rechtsverkehr bleibt es dagegen weiterhin bei den gesetzlich fIXierten Altersgrenzen und der Beweispflicht für das Vorliegen einer elterlichen Zustimmung. Somit knüpft zwar die "beschränkte Generaleinwilligung" bei den gleichen Überlegungen an, die der Forderung nach Anerkennung einer Teilmündigkeit ab-15jähriger zugrundeliegt, nämlich daß die Existenz einer eigenverantwortlichen Willensbildung und Ausübung bei den Minderjährigen auch zur Anerkennung rechtlicher Kompetenzen führen muß. Der Unterschied besteht jedoch darin, daß diese Anerkennung bei der "beschränkten Generaleinwilligung" nicht als verläßliche Kompetenzstufe installiert ist.
c. § 110BGB Als Einbruchsstelle der Minderjährigeninteressen wird weitgehend der
§ 110 BGB angesehen9 • Die h. M. qualifiziert § 110 BGB als eine spezielle Ausformung der §§ 107 f. BGBI0. Die Einwilligung i. S. d. § 107 BGB wird bei § 110 BGB als durch das Überlassen von bestimmten Mitteln konkludent
erteilt erachtetll . Dabei wird die Zustimmung allerdings insoweit als inhaltlich beschränkt verstanden, daß der Vertrag entsprechend dem Gesetzeswortlaut erst mit der Erfüllung durch den Minderjährigen wirksam wird l2 • Nach anderer Auffassung, aber in der Sache ähnlich 13 , besteht keine beschränkte, sondern überhaupt nur eine Einwilligung der gesetzlichen Vertreter in solche Geschäfte, welche der Minderjährige sogleich bar mit den ihm überlassenen Mitteln erfüllt14. Nach einer Mindermeinung zu § 110 BGB besteht demgegenüber die Wirksamkeit eines vom Minderjährigen mit überlassenen Mitteln erfüllten Vertrages nicht auf einer Zustimmung, sondern wird angesehen als gesetzliche Folge der Erfüllung mit den überlassenen Mitteln l5 . Die Erfüllung im Rahmen des Verfügungsgeschäftes macht hier zugleich das zunächst schwebend unwirksame Verpflichtungsgeschäft wirksam l6 . 9 Vgl. Duvernell (1937); Lindacher (1976), S. 533 ff.; Safferling, RPfl1972, 124 ff.; Weimar, MDR 1962, 273; Wieser, FamRZ 1973, 434. 10 Entsprechend schon RGZ 74, 235; zum früheren Streitstand vgl. die detaillierten Darlegungen bei Lindacher (1976), S. 533 ff. sowie bei Wieser, FamRZ 1973, 434. Zu den Vertretern der referierten Auffassung vgl. die Nachweise bei Gitter, MünchKomm., § 110, Rn. 2, Fn. 4. 11 StaudingerlDilcher, § 110, Rn. 2; Gitter, MünchKomm., § 110, Rn. 3; Lindacher (1976), S. 542. 12 PalandtIHeinrichs, § 110, Anm. 1; SoergellHefermehl, 11. Aufl., § 110, Rn. 1. \3 So richtig Nierwetberg, Jura 1984, 128. 14 Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 107, Rn. 3; Flume (1979), S. 199. 15 Safferling, RPfl 1972, 125; Nierwetberg, Jura 1984, 128 f.; v. Tuhr (1914/1957), S.352.
304
5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Der Gesetzgeber hat mit § 110 BGB der "Sitte Rechnung (getragen), daß ... Minderjährigen gewisse Geldbeträge ... von dem gesetzlichen Vertreter überwiesen werden"1?, um den Nichtvolljährigen damit bestimmte Handlungsfreiräume zu gewähren 18 . Der Gesetzgeber wollte und mußte aber zugleich dafür Sorge tragen, daß sich der Minderjährige nicht übermäßig verschulden konnte und die Gläubiger soweit als möglich geschützt sind. Im Mittelpunkt der Überlegungen stand dabei die Problematik von Kreditgeschäften, wenn also der Minderjährige in einem Geschäft oder in mehreren Einzelgeschäften höhere Verbindlichkeiten eingeht, als er mit dem überwiesenen Betrag erfüllen kann 19 . Würde von der Gültigkeit des Verpflichtungsgeschäftes ausgegangen, hätte der Gläubiger die Möglichkeit, mangels Erfüllung in das gesamte Vermögen des Minderjährigen zu vollstrecken. Die getroffene Regelung mußte dem Umstand Rechnung tragen, daß Verpflichtung und Erfüllung beim Kreditgeschäft auseinanderfallen. Der Gesetzgeber suchte dies durch die Klausel des "Bewirkens" zu erreichen, so daß "ausschließlich diejenigen obligatorischen Rechtsgeschäfte für wirksam erklärt werden, welche der Minderjährige seinerseits mit dem ihm zur Verfügung gestellten Vermögen erfüllt"20. Die rechtsdogmatische Konstruktion des § 110 BGB bleibt gleichwohl unvollkommen. Aus den Motiven ergibt sich, daß dann, wenn der obligatorische Vertrag nach Maßgabe des § 110 BGB durch den Minderjährigen erfüllt wird, diese Erfüllung so wirkt wie die Genehmigung durch die gesetzlichen Vertreter21 . Daraus folgt zunächst, daß die Wirksamkeit des Verfügungsgeschäftes allein nach den §§ 107 ff. BGB zu beurteilen ist und nicht nach § 110 BGB22. Die Überlassung der Mittel enthält zugleich die Einwilligung in die mit den Mitteln getätigten Verfügungsgeschäfte. Die Wirksamkeit des zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäftes richtet sich nach § 110 BGB. Ob § 110 BGB seinerseits als Sonderfall der§§ 107 ff. zu sehen ist oder als eine von den §§ 107 ff. unabhängige gesetzliche Folge, ist damit noch nicht beantwortet. Zutreffend weist Nierwetberg darauf hin, daß die letztgenannte Variante in Richtung eines Handlungsfreiraumes für Minderjährige weist 2J; diese Lösung entspricht damit tendenziell der Forderung einer Einräumung von Freiräumen für Minderjährige 24 .Fraglich bleibt allerdings, ob diese Konstruktion tatsächlich entsprechend Nierwetberg als die "vom Gesetzgeber" vorgenommene 16 17
18 19
20 21 22 23
24
Nierwetberg, aaO, S. 132 f. Motive 1(1988), S. 147. Motive, aaO. Motive, aaO, S. 148. Motive, aaO, S. 148. Motive, aaO, S. 148. So richtig Nierwetberg in Jura 1984, 131, m. w. N. in dort. Fn. 12. Nierwetberg, aaO, S. 128. Vgl. im 2. und 4. Kapitel; insbes. S. 126ff., 222ff.
2. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Teilkompetenzen Minderjähriger
305
Lösung anzusprechen ist 25 . Nierwetberg beruft sich zur Begründung· seiner Einschätzung auf den "eindeutigen Wortlaut" des § 110 BGB; dort heißt es "ohne Zustimmung des gesetzlichen Vertreters"; daraus folgert Nierwetberg, daß Wirksamkeitsgrund des § 110 BGB nicht eine Zustimmung des gesetzlichen Vertreters sein könne, also weder eine direkte noch eine konkludente Einwilligung der Genehmigung26 . Richtig daran ist, daß § 110 BGB zwischen "Zustimmung" und der "Überlassung von Mitteln" unterscheidet und die Wirksamkeit des obligatorischen Vertrages als Rechtsfolge des Bewirkens benennt. Andererseits heißt es in den Gesetzesmaterialien: "Der obligatorische Vertrag steht voll und ganz unter der für die Verträge der Minderjährigen geltenden Regel"27. Insbesondere aber muß auch Nierwetberg bei Dauerschuldverhältnissen einräumen, daß jedenfalls dort eine Zustimmung der gesetzlichen Vertreter auch zum obligatorischen Vertrag erforderlich ist, um Rechtsnachteile vom Minderjährigen abzuwenden (z. B. die Kündigung des Mietvertrages vor Zahlung des Mietzinses der nächsten Zahlungsperiode mangels der durch Erfüllung gewährleisteten Wirksamkeit)28. Hier unter Berufung auf den Minderjährigenschutz eine Ausnahme von dem sonst verneinten Zustimmungserfordernis vorzusehen, beschwört gerade die Gefahren für die Rechtssicherheit herauf, die zu vermeiden die Motivation für die Auslegung des § 110 BGB als gesetzlichen Wirksamkeitsgrund bildete. Somit ist § 110 BGB mit der h. M. als eine spezielle Ausformung der §§ 107 F. BGB zu qualifizieren29 . Danach wird die Zustimmung zum obligato-
rischen Vertrag durch Überlassung der Mittel aufschiebend bedingt erteilt, mit der Maßgabe, daß der Vertrag erst mit der Erfüllung wirksam wird.
Safferling30 wies auf die Unverträglichkeiten dieser Konstruktion mit der Rechtssicherheit für den Fall hin, daß der Minderjährige mit dem betreffenden Vertragsschluß dem mutmaßlichen und womöglich niemals ausdrücklich geäußerten Willen der gesetzlichen Vertreter zuwiderhandelt. Denn die Folgen dieses Handeins sind, daß im Falle einer ablehnenden Erklärung der Vertreter vom Fehlen einer Zustimmung auszugehen ist und ein Anspruch des Minderjährigen gegen den Verkäufer aus § 812 Abs. 1 S. 1,1. Alt. BGB entsteht. Gegen Safferling ist freilich einzuwenden, daß der Rechtsverkehr auch nach der Konstruktion der Mindermeinung nicht in jedem Fall auf die Gültigkeit eines mit dem Minderjährigen geschlossenen Vertrages vertrauen kann, etwa, wenn das Geld nicht überlassen, sondern gestohlen war. Andererseits sehen Teile der h. M. in der Überlassung von freien Mitteln einen durch die 25
26 27
28
• 29 30
Nierwetberg, Jura 1984, 130 ff. Nierwetberg, aaO, S. 131,132. Motive I (1988), S. 148. Nierwetberg, Jura 1984, 132 . Vgl. obige Fn. 9-11. RPfi 1972, 124; vgl. auch das Beispiel bei Nierwetberg in Jura 1984, 128 f.
20 Moritz
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Betragshöhe beschränkten und deshalb zulässigen "Generalkonsens"31. Diese Konstruktion entspricht zum einen der grundsätzlichen Konstruktion der §§ 107 ff. BGB und vermeidet andererseits zusätzliche Risiken für den Rechtsverkehr.
Somit ist die Frage nach der Gewährung von Handlungsfreiräumen für Minderjährige durch § 110 BGB dahin zu beantworten, daß die Norm den Vertretungsberechtigten die Möglichkeit gibt, den Minderjährigen durch Überlassung von Mitteln einen rechtsgeschäftlichen Handlungsfreiraum zu eröffnen. Die Vorschrift betrifft allein die dogmatisch-konstruktive Folge der Mittelüberlassung; im übrigen setzt § 110 BGB das Überlassen bzw. die gebilligte Zuwendung voraus; eine gesetzliche Teilmündigkeitsstufe ergibt sich aus § 110 BGB nicht. Die Interpretation des § 110 BGB i. S. einer Teilmündigkeitsstufe wäre aber dann denkbar, wenn den gesetzlichen Vertretern die Entscheidung darüber, ob sie den Kindern Gelder überlassen wollen, aus der Hand genommen wäre. In der rechtlichen Diskussion klingt dieser Gedanke in der - abgelehnten - Vision des "totalen Taschengeldes" an 32 . Unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Taschengeld anzuerk'1nnen ist oder nicht, ist jedenfalls diese Frage zu trennen von jener der Zustimmung oder Ersetzung einer Zustimmung zur Vornahme von Rechtsgeschäften. Die Zustimmung ist eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung33 . "Willenserklärung" bedeutet das "Ins-Werk-setzen eines Willens zur Erzielung einer von diesem Willen abhängigen Rechtsfolge"34. Die "konkludente" Erklärung weicht von diesem Muster nicht grundlegend ab; bei dieser tritt ein entsprechendes tatsächliches oder zugeordnetes Verhalten an die Stelle der ausdrücklichen Erklärung35 . Alles, was darüber hinausgeht, ist keine Willenserklärung mehr36 . So ist auch die Erfüllung einer (etwaigen) Rechtspflicht zur Gewährung von Taschengeld nicht gleichbedeutend mit der Willenserklärung der Zustimmung zu Rechtsgeschäften des Minderjährigen. Diese Zustimmung erfordert eine eigene Willensbetätigung. Da das (bloße) Überlassen in Erfüllung einer Rechtspflicht nicht die Folge einer Mündigkeitseinräumung nach § 110 BGB auslöst, andererseits aber das "Ob" des Überlassens von Mitteln nach allen Auslegungen von § 110 BGB nicht angesprochen ist, scheidet § 110 BGB in seiner bestehenden Fassung als Grundlage einer festen Teilmündigkeitsgrenze aus.
31 32 33 34 35 36
Vgl. in diesem Paragraphen unter "B". Vgl. Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 110, Rn. 18. Anton (1969), S. 24 f., 105 f.; Thiele (1966), S. 106 f., 258 ff. Traub (1971), S. 10, m. w. N. in der dort. Fn. 9. Manigk (1907), S. 217 ff., 220. So richtig Manigk (1907), S. 220.
2. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Teilkompetenzen Minderjähriger
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D. §§ 112 f. BGB
Echte Teilgeschäftsfähigkeiten können dem Minderjährigen durch die Vertretungsberechtigten für das Dienst- bzw. Arbeitsverhältnis und deren Folgegeschäfte sowie durch die Vertretungsberechtigten mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes für den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes eingeräumt werden37 • Die mögliche Ermächtigung ist kraft Gesetzes auf den Bereich des Dienst- oder Arbeitsvertrages bzw. des Betreibens eines Erwerbsgeschäftes beschränkt. Gegen eine erweiternde oder analoge Anwendung spricht schon der Gesetzesaufbau, welcher die §§ 112 f. BGB als limitierte Ausnahmen zum Regelfall der §§ 107 f. BGB ausweist38 . E. Ergebnis
Nach dem Gesetzeswortlaut der §§ 107 ff. BGB sowie nach den Gesetzesmaterialien sind nach Alter und/oder einer Betragshöhe fixierte feste Teilmündigkeitstufen einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger nicht vorgesehen. § 2 Die Beurteilung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger durch Literatur und Rechtsprechung
A. Konßiktrelevanz und die Bedeutung des Lebensalters nach der Fachliteratur
Die Stellungnahmen der Literatur zur rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger messen dem Lebensalter der Betroffenen keine besondere Bedeutung zu. Allerdings berücksichtigen Beispielsfälle der Ausbildungsliteratur vorwiegend Minderjährige an der Grenze zur Volljährigkeitl. Es wird damit das inzidente Problem der Divergenz von Erscheinungsbild und der rechtlichen Kompetenzzubilligung angesprochen, ohne daß dies indes weiter problematisiert würde. Bei dem Vorschlag von Schwab zur Reform des Minderjährigenrechts aus dem Jahre 1970 fand das Lebensalter insofern Berücksichtigung, als "spätestens mit Erreichen des 16. Lebensjahres der Minderjährige zu Rechtsgeschäften der gesetzlichen Vertreter über wichtige, die persönliche Lebensführung betreffende Angelegenheiten (ein) Zustimmung"-srecht haben sollte 2 • Zu Einzelproblemen vgl. im 4. Abschnitt dieses Kapitels. Vgl. auch Gefaeller (1968), S. 14 f. 1 Ebel, JA 1982, 526 ff. - Flugreisefall: 17jähriger; Kaiser, Jura 1982, 77 -17jähriger Fahrrad-Interessent, Erbe und Vermieter-; Spieß, JuS 1981,283 ff. -17jähriger MofaKäufer -; Joch, JuS 1982, 236 - zum Fall von Spieß. 2 Schwab, JZ 1970, 745, 753. 37
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Ohne auf die Fragen der dogmatisch/rechtssystematischen Installierung und der konkreten Reichweite einzugehen, anerkennt Weimar partielle rechtsgeschäftliche Handlungskompetenzen Minderjähriger, ggf. auch gegen den Willen der gesetzlichen Vertreter3 . Wie schon zu § 110 BGB ausgeführt wurde 4 , plädiert vor allem Safferling für die Anerkennung einer rechtsgeschäftlichen Handlungskompetenz Minderjähriger, vergleichbar den §§ 112,113 BGB; der Umfang dieser bedingten Geschäftsfähigkeit bestimmt sich nach dem Wert der nach § 110 BGB überlassenen Mittels. Weder Safferling noch Weimar differenzieren nach dem Lebensalter. Die weitere Literatur zum Minderjährigenrecht betont den rechtstraditionell begründeten Vorrang des Minderjährigenschutzes6 . Entsprechend dieser Tradition sind die Inhalte des Minderjährigenschutzes bestimmt in der Zielrichtung des Schutzes des reibungslosen Ablaufes des Rechtsverkehrs sowie in einem abstrakten Schutz des Minderjährigen und seiner gesetzlichen Vertreter vor Vermögenseinbußen7 . Ob und wie Interessen berücksichtigt werden, entscheidet sich anhand dieser abstrakten Vorgaben; eine Herausarbeitung personaler Interessen der Beteiligten unterbleibt. Entsprechend wird der Meinungsstreit darüber, ob sich Minderjährige wirksam verloben können, auf der Ebene der rechtsdogmatischen Qualifizierung des Verlobungsaktes ausgefochten; danach führt die Einschätzung der Verlobung als familienrechtlicher Vertrag sui generis zur Rechtswirksamkeit der vom "einsichtigen" Minderjährigen autonom geschlossenen Verlobung8 ; dagegen setzt die herrschende Vertragstheorie Geschäftsfähigkeit bzw. die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter voraus 9 • Strittig ist die Beurteilung der Erfüllungsannahme durch den Minderjährigen lO ; die h. M. qualifiziert diese nicht als lediglich rechtlich vorteilhaft und billigt deshalb dem Leistenden hinsichtlich der vom Minderjährigen empfangenen Leistung einen Bereicherungsanspruch zu, bei welchem § 818 Abs. 3 BGB unbeschränkt gilt und bei welcher für das Eintreten der verschärften Haftung nach § 819 BGB nicht auf die Kenntnis des Minderjährigen, sondern auf jene der gesetzlichen Vertreter abgestellt wird ll . Dieser Ansatz wurde von anderen als Überdehnung des Minderjährigenschutzes 12 bzw. als petitio principii gerügt 13 • Diese Einwände bewirkten indes keine Änderung der beschriebenen Wertungen 14 • Weimar, MDR 1962, 273. Vgl. im vorstehenden § 1. 5 Safferling, RpflI972, 124, 125 f.; vgl. auch Nierwetberg, Jura 1984,127 ff. 6 Vgl. etwa Wacke, JuS 1978,80, m. w. N. 7 Vgl. Duvernell (1936), S. 36 f.; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 110, Rn. 1 sowie vor § 104, Rn. 4; Hoffmann (1971), S. 151 m. w. N. in der dort. Fn. 25. 8 So Boehmer, JZ 1961,267; Flume (1979), § 13, 10; Schnitzerling, ZbIJugR 1960, 291; vgl. auch RGZ 98, 13, 15. 9 Insofern unscharf Münder (AK-BGB, § 1297, Rn. 3 f.), wenn er ein jeweils gleiches Wertungsergebnis unterstellt, unabhängig davon, welcher Theorie gefolgt wird. 10 Vgl. Wacke, JuS 1978, 80 ff., mit detaillierten Einzelnachweisen sowie Harder, JuS 1978, 84 m. w. N. in den dort. Fn. 1 und 4. 3
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2. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Teilkompetenzen Minderjähriger
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Insgesamt befürwortet die Literatur damit eine restriktive Handhabung der gesetzlichen Wirksamkeitsvoraussetzungen. Kompetenzzubilligungen für Minderjährige werden von der Literatur allenfalls im Rahmen des § 110 BGB bei Bargeschäften und (bar) bezahlten Ratenverträgen für möglich gehalten l5 . Dabei gehen Teile der Literatur im Anschluß an ältere Rechtsprechungsäußerungen davon aus, daß bei einer Überlassung zur freien Verfügung grundsätzlich einschränkungslos jedes Rechtsgeschäft bis zur Höhe des überlassenen Betrages gedeckt ist l6 , es sei denn, dem Dritten wäre der entgegenstehende Wille der gesetzlichen Vertreter bekannt l7 . Demgegenüber vertreten andere die Auffassung, daß im Falle eines Überlassens ohne Zweckbindung, aber bei entgegenstehendem Willen für ein konkretes Geschäft, das Rechtsgeschäft unwirksam ist; diese Konsequenz trete unabhängig davon ein, ob dem Dritten der entgegenstehende Wille der gesetzlichen Vertreter bekannt war oder nicht l8 . Begründet wird diese Auffassung mit einem "Erziehungszweck des Minderjährigenrechts" , dem es widerspreche, "dem gesetzlichen Vertreter nur die Wahl zwischen zweckgebundenen Mitteln und einem ,totalen Taschengeld' zuzubilligen, mit dem er alles und jedes gutheißt, was der Minderjährige unternimmt"19. Die Literaturmeinung zu den §§ 107 ff. BGB läßt sich somit unterscheiden in eine Richtung, welche den Einfluß der Vertretungsberechtigten extensiv berücksichtigt, wogegen eine andere Richtung eine relative Handlungsfreiheit der Minderjährigen anerkennt. Beide Auffassungen erkennen jedoch den Individualisierungsgrundsatz an, also den prinzipiellen Vorrang der Einzelzustimmung bzw. der Zustimmungsversagung durch die gesetzlichen Vertreter20 • Dieser grundsätzliche Entscheidungsvorbehalt bezieht sich nach der h. M. auf alle rechtsgeschäftlichen Handlungen des Minderjährigen, einschließlich der Haftung aus einer culpa in contrahendo21 , der Geschäftsführung ohne AufSchwab (1976), Rn. 658. Harder, JuS 1977,149,150. 13 Vgl. die Nachweise der Fn. 10; s. insbesondere Harder, JuS 1978,85. 14 Harder, JuS 1978, 85. 15 ErmanIBrox (1981), § 110, Rn. 1 und 5; Gitter, aaO, § 110, Rn. 8; Wieser, FamRZ 1973, 435. 16 Larenz (1980), BGB-AT, § 6 III 3; Enneccerus/Nipperdey, BGB-AT, § 152, Fn. 14; Oertmann, BGB-AT, 2. Aufl., Anm. 4 b; R. Schmidt, BGB-AT, 2. Aufl., § 30 III 2 b; Safferling, RpflI972, 124, 125; v. Tuhr (Bd. IIIl, 1957), S. 352; Weimar, MDR 1962,273; RGZ 74, 234, 235 f.; OLG Hamm VersR 1954,218,219; - unklar Staudinger/Dilcher, 12. Aufl., § 110, Rn. 2. 17 RGZ 74, 234, 235 f.; OLG Hamm VersR 1954, 218, 219. 18 ErmanIBrox (1981), § 110, Rn. 3; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 110, Rn. 18, 20; Lindacher (1976), S. 542 m. w. N.; Soergel/Hefermehl, 11. Aufl., § 110, Rn. 4; Wieser, FamRZ 1973, 434, Fn. 1. 19 Gitter, aaO, § 110, Rn. 18. 20 Vgl. die vorstehenden Ausführungen. 11
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
trag22 sowie hinsichtlich der Anwendung des § 819 BGB bei der Leistungskondiktion23 und - nach einigen Stimmen - auch bei der Eingriffskondiktion24 . Eine bedingte Handlungskompetenz soll es nach der Literatur - abgesehen von Safferling, Weimar und Nierwetberg - für Minderjährige nur bei bestimmten rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen geben, so z. B. für die Einwilligung in eine Operation oder in die mögliche Verletzung durch einen fahruntüchtigen Fahrer25 • Im übrigen soll es auch insoweit analog § 107 BGB darauf ankommen, ob der Minderjährige "lediglich einen rechtlichen Vorteil erlangt"26. Nicht einen rechtsgeschäftlichen, sondern einen (nur) tatsächlichen Willen erfordert nach h. M. die Sachherrschaft; deshalb ist nach dieser Auffassung ein Sach-Herrschaftswille für beschränkt Geschäftsfähige möglich 27 •
Zusammenfassend ist damit festzustellen: Nach der herrschenden Literaturmeinung wird eine Autonomie des Minderjährigen in Form eines (natürlichen) Sachherrschaftswillens anerkannt. Teilmündigkeiten bestehen für die rechtsgeschäftliehe Betätigung allein im Rahmen der §§ 112, 113 BGB; dabei herrscht zu § 113 BGB Uneinigkeit hinsichtlich der Reichweite "der sich aus einem solchen Verhältnis ergebenden Verpflichtungen"28. Einen Sonderfall stellen Ratengeschäfte dar, welche aus "zur freien Verfügung überlassenen Mitteln" bezahlt werden29 • Eine Korrelation zwischen Konfliktrelevanz und Lebensalter wird in der Literatur insofern anerkannt, als die Ausbildungsliteratur jeweils auf ältere Minderjährige abstellt3o . Ansätze einer (bedingten) rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit Minderjähriger finden sich bei Weimar3!, Safferling32 und Nierwetberg33 . Die Installierung einer relativen Freiheit erfolgt bei diesen über § 110 BGB. Auch nach 21 Köbler, JuS 1979, 793 m. w. N. in der dort. Fn. 55; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., vor § 104, Rn. 21 m. w. N. 22 Köbler, aaO, vgl. vor allem auch die dort. Fn. 57. 23 Vgl. die Nachweise bei Ebel, JA 1982, 526, Fn. 5 und 6. 24 Ebel, JA 1982, 526, 528 m. w. N. 25 Vgl. die Nachweise bei Köbler, JuS 1979,793, Fn. 44 und 45. 26 Köbler, aaO, S. 793 unter,,1 b". 27 Vgl. OLG Hamburg OLGE 43,225; KG OLGE 15, 356; PalandtlBassenge, § 935, Anm. 4 a m. w. N.; ErmanlWestermann, § 935, Rn. 4 und vor § 104, Rn. 7 m. w. N. A. A. Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., vor § 104, Rn. 63 f. m. w. N. in der dort. Fn.104. 28 Siehe im vorstehenden § 1, unter "D". 29 Vgl. die Nachweise bei Spieß, JuS 1981, 293 ff., sowie dazu die Kritik von Joch in JuS 1982, 236. 30 Vgl. etwa Harder, JuS 1977, 149 ff., und JuS 1978,48 ff.; Kaiser, Jura 1982, 77 ff.; Köbler, JuS 1979, 789 ff., Nierwetberg, Jura 1984, 127 ff.; Spieß, JuS 1981, 283 ff. (dazu Joch, JuS 1982, 236); Wacke, JuS 1978, 80 ff. 31 MDR 1962, 273. 32 RPfl1972, 124 ff. 33 Jura 1984, 127 ff.
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dieser Auffassung bestimmen die gesetzlichen Vertreter - nach eigenem Ermessen?! - den Umfang der "Bewegungsfreiheit"34 des Minderjährigen durch die- individuelle - Überlassung von Mitteln. Es erfolgt somit weder eine altersmäßig noch eine betragsmäßig verläßliche Fixierung des Kompetenzrahmens, die über den Einzelfall hinaus Geltung hätte. B. Die Korrelation von Lebensalter und KonOiktträchtigkeit einer Versagung rechtsgeschäftlicher Handlungskompetenzen sowie die Differenzierung nach Rechtsgeschäftstypen in der Wertung der Rechtsprechung I. Zentrale Entscheidungen
Die Tatbestände der Entscheidungen des Bundesfinanzhofes zum Nießbrauch35 , des OLG Celle zum GmbH-Beitritt36 sowie des BGH zur Schenkung von Wohnungs- 37 bzw. von Grundeigentum38 enthalten keine näheren Angaben über das Alter der beteiligten minderjährigen Kinder. Dies verwundert nicht, da die Beteiligung der Minderjährigen in den Entscheidungen lediglich eine nominelle ist. Im Ergebnis geht es nicht um die Zubilligung von Befugnissen an die Minderjährigen; vielmehr geht es um die Frage, ob und wie den Eltern zu gestatten ist, daß sie ihre Rechtsposition als gesetzliche Vertreter dazu nutzen, für sich Steuervorteile zu erlangen39 bzw. wie Zuwendungen durch die Vertretungsberechtigten bzw. an diesen vorbei zu Lebzeiten schenkungsweise möglich sind40 • Ebenso ist nicht die Handlungskompetenz Minderjähriger, sondern die Reichweite der Vertretungsbefugnis Dritter der Kern bei den Entscheidungen zur Gesellschaftsbeteiligung Minderjähriger. Denn die Minderjährigen fungieren insofern als Zurechenfaktor fremdgetroffener Entscheidungen. Es kommt gerade nicht auf ihre individuellen Fähigkeiten an. Entsprechend konnten die zur Gesellschaftsbeteiligung unter-18jähriger ergangenen Entscheidungen auf die Angabe des konkreten Lebensalters der Minderjährigen verzichten41 . Ebenso ist nur die formale Rechtsposition bei So ausdrücklich Weimar, MDR 1962, 273. BFH NJW 1981, 141; NJW 1981,142. 36 OLG Celle NJW 1980, 1842. 37 BGHZ 78,28; vgl. auch OLG Celle NJW 1976, 2214 f. 38 BGH NJW 1975, 1885. 39 Vgl. insbesondere den Sachverhalt bei den Entscheidungen des OLG Celle NJW 1976,2214 sowie des BFH NJW 1981, 141 und NJW 1981, 142. 40 Siehe die Grundstücksschenkung durch die Großeltern in der Entscheidung BFH NJW 75,1855 ff. Entspr. auch OLG Hamm FamRZ 78,439. 41 Vgl. BGHZ 65,93 ff. = FamRZ 75,686; BGH WM 72,1368; BFHE 118, 181 ff.; zur Gesamtproblematik des § 181 BGB in diesem Zusammenhang vgl. die Darstellung und w. N. bei Fastrich (1976). 34
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dem Problem betroffen, ob eine Ersatzzustellung an den "minderjährigen Hausgenossen" möglich ist42 • Unergiebig für die Frage der Korrelation von Lebensalter und Konfliktträchtigkeit sind heute schließlich auch die Entscheidungen von BGH43 und etwa des OLG Celle44 zur Autorniete. Denn sie beziehen sich auf die rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit von 18-20jährigen. Da ein Erwerb des Führerscheins der Klasse 3 erst mit Vollendung des 18. Lebensjahres möglich ist (§ 7 StVZO), hat sich die Problematik nach der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters auf 18 Jahre seit dem 1. 1. 197545 insoweit erledigt. Entsprechende Konflikte wären jetzt vor allem denkbar für die Miete oder den Kauf eines Kleinkraftrades (Klassen 4 und 5, 16 Jahre; im übrigen 15 Jahre 46 ; vgl. § 7 StVZO), entsprechend den zum früheren Recht ergangenen Entscheidungen zur Miete eines Motorrades47 . Die rechtliche Handlungsfähigkeit in familienrechtlichen Angelegenheiten, nämlich bei der Frage der Gültigkeit eines Verlöbnisses der fast-18jährigen Tochter ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter, verneint eine Entscheidung des OLG Bremen48 ; die betroffene Minderjährige ist 16 Jahre bei der Entscheidung des Amtsgerichts Wuppertal, in welcher die Herleitung eines "beschränkten Generalkonsenses" aus der Einwilligung zur Heirat abgelehnt wird49 . Das Landgericht Berlin verneint (zum alten Recht) bei einem 20jährigen, daß dieser seine Vaterschaft und die Verpflichtung zur Unterhaltszahlung an ein Kind selbständig anerkennen kann 5o . Bei den Urteilen des BGH zur Haftung des Minderjährigen aus § 819 BGB waren - im "Flugreise-Fall"51 ein fast 18jähriger sowie - bei der Entscheidung vom 15. 11. 197652 zur Rechtslage vor der Volljährigkeitsänderung - ein 18jähriger beteiligt; in beiden Fällen wird (in der Variante Leistungskondiktion) bei § 819 auf die "Kenntnis" der Eltern abgestellt. Die Entscheidung des Landgerichts Münster zur Reichweite der Arbeitsmündigkeit betraf einen über-15jährigen; die "Arbeitsmündigkeit" erstreckt sich danach auch auf die Abgabe einer eidesVgl. BGH FamRZ 1973,1791; BGH NJW 1977, 622. BGH NJW 1973, 138. 44 NJW 1970, 1850. 45 BGBI. Iv. 31. 7. 74, S. 1713. 46 Zu den Abgrenzungsproblemen zwischen Ziff. 4 und 5 des § 7 I StVZO vgl. Dvorak, DAR 1980, 67 ff. m. w. N. 47 Vgl. BGHVersR 1954, 218; LG Braunschweig VersR 1961, 1131; s. dazu auch StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 110, Rn. 2 sowie ErmanIWestermann, 7. Aufl., § 110, Rn. 1. 48 IU 37/77 v. 28.9.1977 = FamRZ 1977, 555. 49 AmtsGer Wuppertal FamRZ 1973, 380 = MDR 1973, 317. 50 LG Berlin FamRZ 1970, 144. 51 BGHZ 55,128,137 = FamRZ 1971, 247, 250 = FrverkrEntsch 6, 424. 52 BGH FamRZ 1977, 537. 42 43
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stattlichen Versicherung zu einer Forderung aus dem Arbeitsverhältnis53 • In der vom OLG Stuttgart wegen der rechtlichen Nachteiligkeit und des § 1641 BGB abgelehnten Schenkung durch den Minderjährigen, war dieser 19 Jahre alt54 • Bei den entschiedenen Heileingriffsfällen handelte es sich um 15-55 bzw. 16jährige Patienten56 . Das Landgericht München I hielt die Einwilligung einer Minderjährigen prinzipiell für möglich, die den Arzt aus seiner Haftung aus § 823 BGB entläßt; daß eine 16 Jahre alte Minderjährige den Behandlungsvertrag zum Schwangerschaftsabbruch rechtsgültig ohne Beteiligung der Eltern schließen kann, wurde verneint 57 . Die zum Recht vor der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters ergangene Entscheidung des Amtsgerichts Siegburg, wonach ein Pauschalreisevertrag unwirksam ist, obgleich er aus zur freien Verfügung überlassenen Mitteln finanziert wurde, betraf eine 18jährige58 . Die Frage der Geltung des § 110 BGB im Rahmen der GBO wurde bezüglich einer über 16 Jahre alten Betroffenen durch das Landgericht Aschaffenburg entschieden 59 • Das Gericht verneinte einen "beschränkten Generalkonsens" aus der Einwilligung zur Heirat zu entnehmen und befürwortete eine individuelle Auslegung des § 110 BGB als Spezialfall des § 107 BGB60; entsprechend auch das Amtsgericht Wuppertal61 . Der BGH versagte ein rechtsgeschäftliches Einwilligungs- und Widerspruchsrecht für eine 16jährige, deren Nacktfoto von den Eltern zur Veröffentlichung freigegeben wurde; ein Einwilligungserfordernis sei nicht hinsichtlich des zu zahlenden Entgelts, sondern allenfalls aus Persönlichkeitsrechten der Minderjährigen (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) erforderlich62 . 11. Auswertung der Gerichtsentscheidungen
Während von der Fachliteratur allein die Ausbildungsliteratur dem Lebensalter der betroffenen Jugendlichen überhaupt Bedeutung beimißt, ist in der Gerichtspraxis die Relevanz des Lebensalters nach Rechtsgeschäftstypen unterschiedlich. Bei den Entscheidungen, welche sich auf die abstrakte Auslegung des Begriffs "lediglich rechtlich vorteilhaft" sowie die Handhabung des § 181 53 LG Münster FamRZ 1974, 467 = DGVZ 1974, 41; vgl. dazu Schüler, DGVZ 1974,97 ff. 54 OLG Stuttgart FamRZ 1969, 39. 55 BGH FamRZ 1970, 36. 56 BGH FamRZ 1972, 89; LG München I NJW 1980, 646. 57 LG München I, aaO; vgl. dazu schon Moritz, JA 1981, 186 ff. m. w. N. 58 AmtsGer Siegburg Frverkr. Entsch. 6, 270. 59 LG Aschaffenburg RPfl1972, 134. 60 LG Aschaffenburg, aaO. 61 FamRZ 1973, 380. 62 BGH FamRZ 1974, 595 ff.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
BGB beschränken63 , geht es um eine abstrakt rechtsdogmatische Zurechenbarkeit mit ökonomischem Hintergrund64 . Auf das Alter des Minderjährigen kommt es insoweit nicht an, da er nach der Gesetzeskonstruktion und dem Typ der Rechtsgeschäfte lediglich als passiv Beteiligter berücksichtigt ist (Schenkung an den Minderjährigen 65 , Nießbrauchfälle66 , Vertretung minderjähriger Gesellschafter67 etc.). Wegen der Art des Geschäfts war die Frage nach der Zubilligung von Handlungskompetenzen um der Persönlichkeit des Minderjährigen willen nicht thematisiert und nicht zu thematisieren 68 • Vgl. BGHZ 78,28 sowie BFH NJW 1981,141; NJW 1981,142. Für eine Favorisierung einer wirtschaftlichen Betrachtung dagegen wohl Jerschke (DNotZ 1982,459), wenn er die Vermieterpflichten aus einem vermieteten Grundstück öffentlich-rechtlichen Lasten (welche nach h. M. der rechtlichen Vorteilhaftigkeit eines dem Minderjährigen geschenkten Grundstückes nicht entgegenstehen - kritisch: Flume (1979), § 13,7 b; StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 107, Rn. 15 -) oder dinglichen Belastungen (die h. M. sieht auch hierin keinen rechtlichen Nachteil- vgl. StaudingerlDiIeher, aaO, Rn. 16; PalandtlHeinrichs, § 107, Anm. 2 -, was in Übertreibung der dogmatischen Betrachtung selbst dann gelten soll, wenn die Belastung größer ist als der Grundstückswert - BayObLGZ 79, 49; PalandtlHeinrichs, § 107, Anm. 2 -) gleich erachtet. 65 BGHZ 78, 28; BGH NJW 1975, 1885; OLG Hamm FamRZ 1978, 439; vgl. dazu Jerschke, DNotz 82, 459; Gitter-Schmitt, Jus 1982, 253 ff.; und vor allem Jauernig, JuS 1982,576. 66 BFH NJW 1981, 141; 1981, 142. 67 BGHZ 65,93 = FamRZ 1975, 686. 68 Geldschenkungen oder etwa die schenkweise Einräumung der Rückzahlungsforderung eines nicht gegebenen Darlehens sind lediglich rechtlich vorteilhaft (zu letzterem: OLG Hamm, FamRZ 1978, 439); gleiches gilt nach h. M. für unbelastete und allein dinglich belastete Grundstücke (vgl. BayObLGZ 79,49 sowie die Nachweise bei Jerschke, DNotZ 1982, 455). Im übrigen berücksichtigt die Funktion des Minderjährigen als rechtlicher Zurechenfaktor bei den erwähnten Nießbrauchfällen (BFH NJW 1981,142; NJW 1981, 141) bzw. der Schenkung unbeweglicher Sachen durch die Eltern (vgl. BGHZ 78,28 m. w. N.) intersubjektive Momente nur insoweit, als die stellvertretende Wahrnehmung der Minderjährigeninteressen entweder durch die Vertretungsberechtigten der §§ 1626 I 1, 1629 I BGB oder durch einen nach §§ 1629 11, 1909 I i. V. m. §§ 179511, 181 BGB zu bestellenden Pfleger wahrgenommen werden. - Das Abstraktionsprinzip gilt auch dort. Dies bedeutet, daß das schuldrechtliche Schenkungsversprechen prinzipiell als rechtlich vorteilhaft rechtsgültig ist (allgemeine Meinung; vgl. BGHZ 78,30 f.). Entgegen BGHZ 15, 168, wonach dem gesetzlichen Vertreter ein lnsichgeschäft gestattet wurde, mit der Folge einer obligatorisch und dinglich rechtswirksamen Schenkung unbeweglicher Sachen (Ebenso: StaudingerlDiIcher, 12. Aufl., § 107, Rn. 18; SoergellLeptien (1978), § 181, Rn. 42; Krüger-Nieland in RGRK, 12. Aufl., § 107, Rn. 33. A. A.: Flume (1979), § 13,7 b zu Fn. 15; H. Lange, NJW 1955, 1339; H. Westermann, JZ 1955,244 f.) favorisiert der BGH nunmehr eine "Gesamtbetrachtung" , bei weIcher allerdings unklar bleibt, ob die Nachteiligkeit des dinglichen Geschäfts rückwirkend zur Nachteiligkeit des Schenkungsversprechens führt oder nur das dingliche Geschäft aus Überlegungen eines "Minderjährigenschutzes" heraus allein unter Hinzuziehung eines Pflegers soll Gültigkeit erlangen können (vg1. BGHZ 78, 28; zum Widerspruch in der Begründung des BGH s. insbesondere auch die überzeugende Darstellung bei Jauernig, JuS 1982, 5771. Sp.). Zutreffend hat Jauernig (JuS 1982, 576, 577) dargelegt, daß eine "Gesamtbetrachtung" entbehrlich ist. Eine rechtsdogmatisch saubere Lösung anerkennt die Wirksamkeit des obligatorischen Geschäfts (= lediglich rechtlich vorteilhaftes Schenkungsversprechen). Ist das Erfül63
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2. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Teilkompetenzen Minderjähriger
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Hinsichtlich der übrigen Entscheidungen ist festzustellen, daß die gerichtlich ausgetragenen Konflikte nahezu ausschließlich die "Betroffenen"-Altersgruppe der über-15jährigen berücksichtigten. Dabei ist bezüglich der Gruppe der Entscheidungen zu den Automietverträgen Minderjähriger jener Auffassung beizupflichten, welche der Herabsetzung des Volljährigkeitsalters - dort allerdings aus der hier nicht geteilten Einschätzung, daß die "Reform" eher zu weit gehe 69 - eine abschließende Konfliktbereinigung beimißt. Im übrigen trifft diese Beurteilung hingegen nicht zu. Denn auch insoweit zur früheren Rechtslage die rechtsgeschäftliehe oder rechtsgeschäftsähnliche 70 (z. B.: Einwilligung in den Heileingriff) Handlungskompetenz über 18jähriger als Minderjährige Gegenstand der konkreten Entscheidung war, ist nach der heutigen Rechtslage die gleiche tatbestandliehe Konstellation, bezogen etwa auf 16oder 17jährige, durchaus denkbar. Ohne, wegen der Dunkelziffern, repräsentative Aussagen treffen zu können, kann gesagt werden, daß die Gerichtspraxis auf eine Konzentration des Konfliktpotentials im Bereich des fortgeschrittenen Minderjährigenalters hinweist. Wegen der geringen Fallzahlen kann allein daraus sicherlich nicht begründet gefordert werden, - etwa - Teilmündigkeitsstufen zu installieren. Zumindest können die Feststellungen jedoch als Indiz für einen Spannungsstau aus der Divergenz zwischen Kompetenzanspruch und Kompetenzzubilligung im fortgeschrittenen Minderjährigenalter gelten, dessen Abbau bei einer Erweiterung der Befugnisse im Falle realer Ausübungskompetenz als wahrscheinlich zu prognostizieren ist.
lungsgeschäft nachteilig i. S. d. § 107 BGB (jede Verbindung mit einer privatrechtlichen Verpflichtung - a. A. Jerschke, DNotZ 1982, 459 -; aber auch dingliche und/oder öffentlich-rechtliche Belastungen, die größer sind als der Grundstückswert - a. A. PalandtlHeinrichs, § 107, Anm. 2; BayObLGZ 79, 49 -, soweit daraus persönliche Leistungspflichten des Minderjährigen resultieren können - z. B. sind die öffentlich-rechtlichen Lasten nicht an § 1147 BGB gebunden -, da in diesem Fall kein verminderter Wert, sondern ein Minuswert zugwewendet wurde), so muß ein Pfleger bestellt werden. Geschieht dies nicht oder verweigert dieser die Zustimmung, wird der Schenker gern. § 275 BGB von seiner Verpflichtung aus dem Schenkungsversprechen frei (Jauernig, aaO, mit Emmerich, MünchKomm., § 275, Rn. 28 und 32). Der Nachrang subjektiver Momente gilt auch bei der Gesellschaftsbeteiligung Minderjähriger unterhalb der Stufe des § 112 BGB (zur Interessenkonstellation und dem prinzipiellen Vorrang der gemeinschaftlichen Belange in einer Personengesellschaft vgl. BGHZ 65,93,98 ff.) da im Umkehrschluß aus § 112 BGB folgt, daß ein autonomes rechtsgeschäftliches Gerieren des Minderjährigen ohne Vorliegen einer wirksamen Ermächtigung nach § 112 BGB ausscheidet. 69 Vgl. vor allem Löwisch, NJW 1975,15,16 f.; Schneider, DB 1975, 388 sowie Gitter, MünchKomm., Bd. 1,1. u. 2. Aufl., § 2, Rn. 1 m. w. N. in der dort. Fn. 1. 70 Zur Differenzierung vgl. etwa Köbler, JuS 1979,789,793 m. w. N.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
c. Schlußfolgemngen für die weitere Untersuchung Rechtsalltäglich wird älteren Minderjährigen eine rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit für bestimmte Geschäfte faktisch zuerkannt71 • Soweit sich diese Praxis auf die Gruppe der Minderjährigen ab Vollendung des 15. Lebensjahres bezieht, entspricht sie den nachbardisziplinären Erkenntnissen; nach diesen besteht spätestens ab Vollendung des 15. Lebensjahres eine Entscheidungskompetenz für die angesprochenen Geschäfte des täglichen Lebens; wegen der bestehenden Korrelation von Kompetenzzubilligung im Jugendalter und Selbstbehauptung als junger Erwachsener72 ist nach den Nachbardisziplinen zudem eine Zubilligung selbstbestimmten rechtlichen Handeins gefordert7 3 . Insgesamt unterstützen die Ergebnisse der durchgeführten Analyse der Literatur- und Rechtsprechungsäußerungen die praktischen und nachbardisziplinären Erkenntnisse. Denn die Rechtsprechungsauswertung ergab, daß ein Zusammenhang von Lebensalter und Konfliktrelevanz der Versagung von rechtsgeschäftlichen Handlungskompetenzen für ältere Minderjährige besteht7 4 • Der Konflikt, welcher sich aus der Versagung rechtlicher Kompetenzen bei realer Fähigkeit zur Ausübung derartiger Befugnisse ergibt, wurde durch die Herabsetzung des Volljährigkeitsalters gemildert, er ist dadurch jedoch nicht beseitigt75 (Fälle: Moped- bzw. Mofakauf, Heileingriffe). Die Berücksichtigung der gesellschaftlichen Gegebenheiten erfolgt in der Rechtsanwendung, fehlen entsprechend aktualisierte Gesetze, durch die Rückbeziehung der konkreten Norm auf den betroffenen Gesellschaftsausschnitt76 . Dies setzt jedoch voraus, daß die Norm auslegungsoffen ist. Bei den §§ 107 ff. BGB handelt es sich, wie festgestellt7 7 , um "eindeutig interpretierbare TextsteIlen" . Nach den Gesetzesmaterialien und der Einschätzung von Literatur und Rechtsprechung bietet allenfalls § 110 BGB Ansätze für die Zubilligung von Teilmündigkeitsstufen für Minderjährige im allgemeinen Geschäftsverkehr78 • Da die Vorschrift jedoch das "Ob" des Überlassens von Mitteln nicht anspricht sowie andererseits das Überlassen in Erfüllung einer Rechtspflicht nicht identisch ist mit einer (konkludenten) Zustimmung, ent71 Vgl. in diesem (5.) Kapitel, 1. Abschnitt, S. 299f., sowie die Angaben über die finanzielle Austattung Jugendlicher im nachfolgenden 4. Abschnitt, insbes. S. 322 ff. 72 Vgl. dazu die eingehende Untersuchung von LauberlNarzi/Rathgeber (1980), S. 12 ff., 201 ff., 208 ff. 73 Vgl. im 4. Kapitel, vor allem im dortigen 3. Abschnitt. 74 Vgl. vorstehend unter Punkt B. dieses Paragraphen. 75 LauberlNarzi/Rathgeber, aaO; - a. A. Bosch (1970), S. 51 ff., 53. 76 Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B. 77 Vgl. in diesem (5.) Kapitel, 2. Abschnitt, § 1 sowie § 2. 78 Vgl. im 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels. §§ 1 und 2.
3. Abschn.: Nichtberücksichtigung fester Teilmündigkeitsstufen
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fällt auch § 110 BGB als Grundlage für die Einräumung rechtsgeschäftlicher Teilmündigkeiten79. Der Ausschluß von Teilmündigkeiten für ältere Minderjährige könnte jedoch verfassungswidrig sein. Selbst wenn die Frage der Verfassunsmäßigkeit zu bejahen wäre, bliebe eine Divergenz zwischen Rechtsalltag bzw. dem sich darin offenbarenden sozialen Wandel und dem Normbefehl bestehen; im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung verbliebe deshalb als weiterer Weg jener des Vorschlags einer Gesetzesänderung.
3. Abschnitt
Die Vedassungsmäßigkeit der Nichtberücksichtigung fester Teilmündigkeitsstufen durch die §§ 107 ff. BGB Die verfassungsrechtliche Untersuchung des 2. Kapitels zum Verhältnis von Eltern- und Kindesrecht ergab, daß die Eltern nur so lange und so viel für und an Stelle ihrer Kinder entscheiden dürfen, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind!. Diese Feststellung bezieht sich grundsätzlich auf die Betätigung der Kinder innerhalb und außerhalb der Familie; dabei kommen im Außenverhältnis die Interessen des Rechtsverkehrs zusätzlich ins Spiel, welche ihrerseits wiederum Rückwirkungen auf das Innenverhältnis der Eltern und Kinder zueinander haben 2 • Gesetzliche Regelungen, welche den grundgesetzlichen Wertungen nicht entsprechen, sind verfassungswidrig. Die nachbardisziplinären Erörterungen ergaben eine reale Mündigkeit für eine rechtsgeschäftliche Betätigung für das Alter ab 15 Jahre3 • Die §§ 107 ff. BGB sehen Teilmündigkeiten unterhalb des Volljährigkeitsalters nicht vor. Sie eröffnen auch nicht die Möglichkeit einer entsprechenden verfassungsgemäßen Interpretation 4 • Auch für Art. 6 GG gilt die Normstruktur von Normbereich und Normprogramm 5 • Art. 6 Abs. 2 GG gebietet nicht selbst die Errichtung von Teilmündigkeitsstufen. Ist jedoch das Gebot, daß die Eltern nur so viel und an Stelle ihrer Kinder tun dürfen, als diese nicht zur Selbstbestimmung in der Lage sind, im Außenbereich allein mit Hilfe von Teilmündigkeitsstufen zu erreichen, wäre eine gesetzliche Regelung, welche derartige Teilmündigkeitsstufen ausschließt, verfassungswidrig. 79 1
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Siehe im einzelnen im vorstehenden Abschnitt unter C. Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt; siehe die Zusammenfassung im dortigen § 4. Wie Fn. 1; vgl. insbesondere auch Dürig, in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 27. Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, §§ 2 und 3. Vgl. in diesem (5.) Kapitel, 2. Abschnitt, § 1. Siehe im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Mit der Frage nach der verfassungsmäßigen Beurteilung der Reichweite der elterlichen Vertretungsmacht für ihre minderjährigen Kinder hatte sich jüngst das BVerfG zu beschäftigen6 • Das Gericht stellte fest, daß, soweit § 1629 BGB den gesetzlichen Vertretern eine unbegrenzte Vertretungsmacht einräumt, dies nicht mit den Grundrechten der Minderjährigen aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar ist. Im konkreten Fall ging es um die Frage, ob die vertretungsberechtigte Mutter ihre minderjährigen Kinder sollte wirksam bis zur Grenze des von den Kindern geerbten Vermögens gegenüber Dritten verpflichten können. Das Gericht erkannte einen Überschuldungsschutz zugunsten der Minderjährigen an. Die Jugendlichen seien davor zu schützen, daß sie mit Eintritt der Volljährigkeit unverschuldet nur mehr eine scheinbare Freiheit erlangten, in welcher der Umfang ihrer Verbindlichkeiten ihren tatsächlichen Bewegungsspielraum völlig zunichte machen würde. Die Vertretungsbefugnis der Eltern erfahre eine entsprechende Einschränkung7 • Das BVerfG bestätigt mit der Entscheidung, daß auch im privaten Bereich Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung wesentlich von der Eröffnung einer Teilnahme am Wirtschaftsleben abhängen. Karsten Schmidt8 stellte als erster fest, daß die Konsequenzen der Entscheidung weit über den entschiedenen Einzelfall hinausreichen. Die Besonderheit des Beschlusses erblickte er darin, daß der gesetzlichen Vertretung Minderjähriger nunmehr auch quantitative Grenzen gesetzt seien. Hertwig9 konkretisierte diese Grenzen folgendermaßen: - Der Minderjährige sei nur so weit zu schützen, wie er seine Handlung nicht selbst verantworten könne. Umgekehrt träfen ihn die Rechtsfolgen seines HandeIns, so weit seine Einsichtsfähigkeit reiche. - Es bestehe ein Überschuldungsschutz. Der Gesetzgeber habe zu verhindern, daß Jugendliche mit erheblichen Schulden in die Volljährigkeit ,entlassen' würden lO • - Die Zurechnung des Vertreterverschuldens an das Kind sei zu beschränken. Die Konsequenzen der Entscheidung des BVerfG für die §§ 107 ff. BGB bleiben jedoch bei allem unklar. Das BVerfGll stellt diesbezüglich fest, daß, soweit sich "Fremdbestimmung der Kinder durch ihre Eltern ... als Minderjährigenschutz (erweise), dies dem Kindeswohl" entspreche. Hertwig12 sieht Vgl. BVerfG NJW 1986, 1859 ff. = BB 1986, 1238 ff. = FamRZ 1986, 769 ff. BVerfG, aaO. 8 K. Schmidt, BB 1986, 1238, 1242 ff.; zustimmend Hertwig, FamRZ 1987, 124, 126 ff. 9 Hertwig, FamRZ 1987, 126. \0 Siehe auch BVerfG, aaO; ebenso: K. Schmidt, BB 1986, 1244 und P. Schwerdtner, JK-BGB, § 1629/2. 11 BVerfG NJW 1986, 1859, 1860. 12 FamRZ 1987,126 r. Sp. 6
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3. Abschn.: NichtbeTÜcksichtigung fester Teilmündigkeitsstufen
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im Gegensatz zu seiner These von der Gewährleistung eines weiten Handlungsraums für die Minderjährigen in den §§ 107 ff. BGB die Maximen einer quantitativen Begrenzung des Vertretungsrechts der Eltern verwirklicht. Er erachtet es als ausreichend, daß die §§ 107 ff. BGB es den Eltern ermöglichen, "die Jugendlichen entsprechend ihrem ,Reifegrad' zu eigenverantwortlichem rechtsgeschäftlichen Handeln zu ermächtigen". Dieses Resümee verwundert, stellt das BVerfG in seiner Entscheidung doch selbst fest, daß nicht ausgeschlosen werden könne, "daß Eltern nicht fähig und nicht bereit sind, den Anforderungen des Elternrechts zu entsprechen"13. Die Frage der Verfassungsmäßigkeit der §§ 107 ff. BGB kann daher m. E. nicht aus einem bloßen Vertrauen darauf beantwortet werden, daß die Eltern im Zweifel ihr Vertretungsrecht schon im Sinne der Verwirklichung der Persönlichkeitsrechte der Minderjährigen ausüben werden. Eine Antwort ergibt sich nach meiner Auffassung jedoch aus der Abwägung von Minderjährigenrecht, Elternrecht und Verkehrsinteresse: Die Hauptfunktion des Elternrechts besteht hinsichtlich an sich existenter Selbstbestimmungskompetenzen darin, daß den Eltern eine Intervention in Zweifelsfällen eröffnet ist. Bei der Mündigkeitstufe 15. Geburtstag sind Fälle denkbar, bei denen eine Mündigkeit real nicht besteht. Da somit Zweifelsfälle nicht auszuschließen sind, ist auch eine gesetzliche Regelung nicht als verfassungswidrig anzusehen, welche im Hinblick auf diese Unwägbarkeiten auf die Installierung von Teilmündigkeitsstufen verzichtet und es den Eltern überläßt, im Einzelfall darüber zu befinden, ob den Kindern eine bestimmte rechtsgeschäftliche Betätigung gestattet sein soll oder nicht. Unberücksichtigt bleibt dabei jedoch, daß es derartige Sonderfälle einer real nicht bestehenden Selbstbestimmungskompetenz auch bei Volljährigen gibt. Der Gesetzgeber hat diesen Tatbestand für Volljährige berücksichtigt und zu Lasten der Geschäftspartner geregelt (§ 105 BGB). Für Minderjährige fehlt es dagegen an einer Norm, welche einen ausnahmsweise bestehenden entwicklungsbedingten Rückstand eines über 15 Jahre alten Jugendlichen berücksichtigt, da insoweit ja ohnehin eine umfängliche Zustimmungsbedürftigkeit vorgesehen ist (§§ 107 ff. BGB). Somit rechtfertigt sich das System der §§ 107 ff. BGB und die Versagung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag dadurch, daß sich § 105 BGB nach seinem Wortlaut und Inhalt nicht auf Minderjährige bezieht, die abweichend vom Regelfall in ihrer Entwicklung zurückgeblieben sind. Eine analoge Anwendung des § 105 BGB aber scheitert daran, daß es an einer Vergleichbarkeit der Tatbestände fehlt; denn anders als bei Volljährigen ist für Minderjährige im Gesetz eine (auch nur auf bestimmte Geschäfte beschränkte) allgemeine Geschäftsfähigkeit nicht berücksichtigt. Überspitzt formuliert: Erst eine analoge Anwendung des § 105 BGB auf Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres führte zur Verfassungswidrigkeit der §§ 107 ff. BGB für diesen Personen13
BVerfG NJW 1986, 1860 r. Sp.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
kreis, da es in diesem Fall einer zusätzlichen Intervention der Eltern in Zweifelsfällen nicht mehr bedürfte. Eine analoge Anwendung des § 105 BGB scheitert jedoch daran, daß eine Teilmündigkeitstufe 15. Geburtstag im Gesetz nicht vorgesehen ist. Eine analoge Anwendung mit dem Ziel, andere Normen verfassungswidrig zu machen, gibt es jedoch nicht. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, fürentwicklungsbedingte Rückstände ähnlich wie in § 105 BGB eine auf den Einzelfall abstellende Beschränkung der Geschäftsfähigkeit und darüber hinaus eine an einer bestimmten Altersstufe festgemachte generelle Beschränkung vorzusehen. Ebenso allerdings kann er auch den Eltern eine durch deren Pflichtbindung allerdings eingeschränkte, weil grundsätzlich überprüfbare l4 , Entscheidungsbefugnis zubilligen. Dem Gesetzgeber steht insoweit prinzipiell ein Ermessen zu. Durch die Überprüfbarkeit der Elternentscheidung ist auch den Kindespositionen auf Respektierung der Persönlichkeit grundsätzlich Rechnung getragen, wenngleich der Gesetzgeber aufgefordert bleibt, aus Gründen der Reibungslosigkeit des Rechtsverkehrs und der Respektierung der Persönlichkeitsrechte der Jugendlichen eine Regelung zu schaffen, welche einerseits den real gegebenen Kompetenzen der ab 15 Jahre alten Jugendlichen Rechnung trägt sowie andererseits dem Elternrecht sowie den Interessen des Rechtsverkehrs und schließlich auch den rechtssystematischen und rechtsdogmatischen Vorgaben entspricht. Hier ist festzustellen, daß die in den §§ 107 ff. BGB vorgesehene Abhängigkeit der rechtsgeschäftlichen Betätigung Minderjähriger von der Zustimmung der Eltern wegen möglicher Fälle, bei denen eine Selbstbestimmungskompetenz der Minderjährigen zweifelhaft ist, als nicht verfassungswidrig erscheint. Erst vor diesem Hintergrund trifft auch das Argument zu, daß für die Anerkennung von Mündigkeitsstufen unterhalb des Volljährigkeitsalters eine gesetzliche Regelung erforderlich ist 15. Es ist jedoch deutlich hervorzuheben, daß die bestehende Regelung einseitig zu Lasten der real existenten Selbstbestimmungskompetenzen der Minderjährigen ab Vollendung des 15. Lebensjahres geht und damit zu Lasten ihrer Persönlichkeitsentfaltung durch eigen bestimmte Teilnahme am Rechtsverkehr. Denn die Einzelfallentscheidung durch die Eltern widerspricht grundsätzlich den Bedpürfnissen des Rechtsverkehrs. Andererseits besteht in Rechtsprechung und Literatur Uneinigkeit hinsichtlich der Überprüfbarkeit elterlicher Entscheidungen l6 . Aus Gründen der Persönlichkeitsrechte des Kin14 Zur verfassungsrechtlichen Problematik vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, insbes. S. 13S ff.; zu den Verfahrensfragen s. im nachfolgenden 6. Kapitel; S.387ff. 15 Dürig in MDHS, Art. 19 Abs. 3, Rn. 27; vgl. aber schon die Stellungnahme im 2. Kapitel, S. Abschnitt, § 3 C, Fn. 97. 16 Siehe dazu im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3 B; 3. Kapitel, 3. Abschnitt sowie auch im nachfolgenden 6. Kapitel.
4. Abschn.: Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
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des sowie unter dem Aspekt von Rechtsfrieden (auch innerhalb der Familie) und Rechtssicherheit ist es deshalb nicht nur zulässig, sondern geboten, daß der Gesetzgeber eine entsprechende Teilmündigkeitsstufe im Gesetz vorsieht. Wie diese im Schnittpunkt von Verkehrs-, Minderjährigen- und Elterninteresse im einzelnen auszusehen hätte, ist im (folgenden) noch zu konkretisieren. 4. Abschnitt
Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda § 1 Voraussetzungen für eine TellmÜDdigkeitstufe 15. Geburtstag
Für die Installierung von Teilmündigkeitsstufen bildet die Prognose von realen Selbstbestimmungskompetenzen nur eine der Voraussetzungen. Teilmündigkeitsstufen erfordern darüber hinaus, daß sie die Verkehrs-, Elternund Minderj ährigeninteressen angemessen berücksichtigen. Das Verkehrsinteresse fordert eindeutige und verbindliche Daten!. Eine solche Konkretisierung stellte der 15. Geburtstag sicherlich dar. Für eine Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag spricht bei den nachgewiesenen realen Kompetenzen der Minderjährigen dieses Alters2 auch die im 4. Kapitel getroffene Konkretisierung der Aufgaben der Personensorgeberechtigten, denen es in Erfüllung des Kindeswohlvorbehalts sowie im Rahmen der Auslegungsleitlinie des § 1626 Abs. 2 BGB3 obliegt, den Kindern bei bestehenden Fähigkeiten entsprechende Kompetenzen zuzubilligen. Dem steht - als weitere Dimension - andererseits, insbesondere solange der Gesetzgeber von seinem Ermessen kein Gebrauch gemacht hat, die Verpflichtung der Personensorgeberechtigten gegenüber, Selbstgefährdungen des Kindes - insbesondere auch vermögensrechtlicher Art - vorzubeugen (§§ 1638 ff., 1667 BGB). Die Installierung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag wäre also des weiteren davon abhängig, daß das Anliegen, welches der Gesetzgeber mit den Mündigkeitsbeschränkungen der §§ 107 ff. BGB verfolgte, nämlich eine unverhältnismäßige vermögensrechtliche Selbstgefährdung der Minderjährigen auszuschließen4, beachtet ist. Eine Zubilligung von Teilmündigkeiten wäre somit denkbar aus dem Zusammenspiel von realer Selbstbestimmungskompetenz der Minderjährigen, der Elternpflicht auf Respektierung bestehender Kompetenzen sowie der Bell;chtung der Grenze einer unzulässigen wirtschaftlichen Überbelastung der Siehe im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3. Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2; insbes. S. 256ff. 3 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11. 4 Motive 1 (1888), S. 147 f.; vgl. auch im vorstehenden 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels, § 1 C. 1
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2! Moritz
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Minderjährigen und ihrer Eltern sowie dem Interesse des Rechtsverkehrs an eindeutigen und überschau baren Grenzen. § 2 Betragsmäßige Fixierung einer Teil-
mündigkeitsstufe 15. Geburtstag A. Ansatz
Die gesetzlichen Regelungen der §§ 106 ff. BGB dienen, wird zunächst nur die Position der Minderjährigen berücksichtigt, dem "Schutz" der Minderjährigen vor nachteiligen rechtlichen Folgen von Willenserklärungen, deren Wirkung sie infolge mangelnden Alters nicht zu übersehen vermögen!. Im Vordergrund steht der "Schutz" vor wirtschaftlichen Nachteilen2 . Ein "Schutz" ist so lange erforderlich, wie die Selbstgefährdung nicht auszuschließen ist3 . Schon die Autoren der späteren §§ 106 ff. BGB gingen davon aus, daß die Überlassung von Geldmitteln an Minderjährige üblich wäre und daß der Minderjährige zu denjenigen Rechtsgeschäften, durch welche er das überwiesene Vermögen veräußert, einer besonderen Einwilligung der gesetzlichen Vertreter nicht mehr bedurfte4 . Unabhängig von der - noch zu leistenden - dogmatischen Absicherung ist entsprechend diesen Überlegungen davon auszugehen, daß eine vermögensrechtliche Selbstgefährdung der Minderjährigen dann auszuschließen ist, wenn eine Haftung der Minderjährigen auf den Betrag beschränkt bleibt, den die Minderjährigen bei bestehender Sicherung ihrer Primärbedürfnisse tatsächlich zur (freien) Verfügung haben. Man könnte einen solchen Betrag als "Mindest-Verfügungs betrag" bezeichnen. Eindeutige Angaben darüber, welche Geldbeträge den Minderjährigen tatsächlich zur Verfügung stehen, sind wegen der sozialen und wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den gesellschaftlichen Schichten und in den einzelnen Familien nicht möglich. Feststellbar sind jedoch Durchschnittswerte und Beträge, welche den Minderjährigen mindestens zurechenbar sind. Das Ziel der Vermeidung einer wirtschaftlichen Selbstgefährdung ist jedoch auch dann erfüllt, ist ein Betrag zurechenbarer Ansprüche feststellbar und wird zugleich geWährleistet, daß es den Minderjährigen unmöglich ist, größere Verpflichtungen wirksam einzugehen, als ihnen an Geldern tatsächlich zur Verfügung steht. 1 Vgl. Motive I (1888), S. 139 ff.; s. statt vieler etwa auch Gitter, MünchKomm., 2. Auf!. , vor § 104, Rn. 1. 2 Siehe schon im vorstehenden 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels. 3 Siehe schon im vorstehenden 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels; insbes. S. 311 ff. 4 Motive I (1888), S. 147.
4. Abschn.: Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
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B. Überlassene Mittel und "Mindest-Verfügungsbetrag" Die ökonomischen Bedingungen der Minderjährigen spiegeln sich vor allem in den Mitteln, die diesem Personenkreis zur freien Verfügung überlassen sind. 5 Erhebungen darüber offenbaren, daß Jugendliche im Durchschnitt über erhebliche Summen verfügen (1976 wurden für 15-19jährige Jungen monatlich im Durchschnitt DM 145,- und für Mädchen gleichen Alters DM 135,- ermittelt 6 ; eine Untersuchung aus dem Jahre 1980 stellte bei 1/3 der 14-17jährigen einen Betrag von mehr als DM 100,- sowie bei den ab-16jährigen nur für 5 v. H. weniger als DM 100,- als freies Geld festF. Diese Erhebungen liefern einen Beleg dafür, daß Jugendliche ein solventes Käuferpotential darstellen. Nochmals bestätigt ist damit die These, die von einem Erfordernis ausgeht, die bisherige Praxis einer restriktiven, individualisierenden Handhabung der §§ 107 ff. BGB zu hinterfragen. Generalisierbare Schlußfolgerungen in bezug auf Teilmündigkeitsstufen Minderjähriger bzw. auf konkrete Beträge, die den Minderjährigen zur Verfügung ständen, lassen sich aus diesen Angaben aber nicht ziehen. Dies folgt schon daraus, daß in den Erhebungen jeweils mehrere Altersgruppen zusammengefaßt sind, so daß der angegebene Betrag auf keines der einzelnen Lebensalter konkret zutrifft, da der Verfügungsbetrag mit zunehmendem Alter ansteigt. Zudem differiert, worauf Frackmann u. a. ausdrücklich hinweisen, die Höhe des Monatsbudgets wesentlich in Abhängigkeit von der Schichtzugehörigkeit8 .
c. "Mindest-Anspruchswert" als Anknüpfungspunkt für die Konkretisierung eines "Mindest-Verfügungsbetrages" sowie für die Installierung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag Nachdem die Durchschnittswerte der den Minderjährigen überlassenen Mittel keinen haltbaren Anknüpfungspunkt für eine rechtsgeschäftliche Teilmündigkeit bietet, ist zu fragen, ob ein Rückschluß aus zuzuordnenden Ansprüchen in Betracht kommt. Wie sich zeigen wird, existieren für Jugendliche ab 15 Jahren zurechenbare Ansprüche eines bestimmten Mindestbetrages, der als "Mindest-Anspruchswert" bezeichnet werden kann. I. Die gesetzlichen bzw. quasi-gesetzlichen (Geld-)Ansprüche der Minderjährigen
Nicht auf die real zur Verfügung stehenden Mittel, aber auf Durchschnittswerte der den Minderjährigen zustehenden Ansprüche kann aus den gesetzli5 6 7
8
Motive I (1888), S. 147 f. Vgl. die Nachweise bei Decker (1979), S. 77. Jugend-Media-Analyse 1980, S. 185. Frackmann/KuhlslLühn (1981), S. 87.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
chen bzw. quasi-gesetzlichen (= Tarifverträge) Einzelregelungen geschlossen werden. So ergibt sich (Stand: 1. 8. 1982) für die anerkannten Ausbildungsberufe der Anlage Azur Handwerksordnung aufgrund einer von der Handwerkskammer Bielefeld aufgestellten Liste9 , bleiben die Höchstverdiener (Betonstein- und Terrazzohersteller: DM 680,- im ersten Lehrjahr) und die Niedrigstverdiener (Bürsten-, Pinsel- und Korbmacher: DM 70,-; Wäscheschneider, Stricker: DM 90,-) sowie die Zuverdiener (Friseur: DM 245,-plus "Trinkgeld") unberücksichtigt, ein monatlicher Durchschnittsverdienst eines 15jährigen von brutto DM 391,- bzw. netto von ungefähr DM 290,-. Die Angestellten-Berufe liegen im Durchschnitt darüber, so der verbreitete Beruf des Einzelhandelskaufmanns bei DM 537,- brutto bzw. ungefähr DM 430,netto 10; nach dem Ausbildungsvergütungs-Tarifvertrag zum BAT ergibt sich (Stand: 1. 3. 1982) eine Ausbildungsvergütung im ersten Ausbildungsjahr von DM 518,_11 brutto bzw. ungefähr DM 410,- netto. Zusätzlich zu diesen Summen sind zu berücksichtigen Weihnachtszuwendungen sowie Urlaubsgelder und schließlich die bei diesen Verdiensten regelmäßig anfallenden Steuerrückzahlungen. Schon der Umfang der Vergütungen kennzeichnet, daß diese nicht mehr den Zuschußcharakter früherer Lehrvergütungen haben, sondern neben der ausbildungsrechtlichen Begründung auch als arbeitsrechtliche Entlohnung zu betrachten sindl2 . Auch die Ausbildungsvergütungen dienen damit der Lebensbedarfsdeckung der Auszubildenden, wobei einerseits arbeitsrechtlich zu berücksichtigen ist, daß der Auszubildende einen Mehrwert in der Regel noch nicht schafft sowie, daß er andererseits in der Regel nicht Ernährer, sondern sonstiges Mitglied einer Familie ist. Die schon oben 13 angesprochene materielle Entsprechung von Ausbildungsvergütung und etwa den Förderungen nach BAföG bzw. AFG (Anspruchsberechtigter ist stets der betroffene Jugendliche (!» bestätigt sich auch in der Anspruchshöhe. Diese beträgt für die hier in Betracht gezogene Personengruppe der 15jährigen nach dem BAföG DM 275,- (im Falle des Wohnens bei den Eltern) bzw. DM 490,- (bei auswärtiger Unterbringung)14. Bei der beruflichen Erstausbildung nach dem AFG beträgt der Förderungssatz für die angesprochene Altersgruppe im Falle des Wohnens bei den Eltern DM 375,- sowie bei Heimunterbringung auf eigene Kosten DM 485,- und bei externer Unterbringung DM 585,_15. Vgl. die Anlage 1 dieser Untersuchung. Einzelhandel NRW ab 1. 8. 1982, TA 5-2325. 11 Ausbildungsvergütungs-Tarifvertrag Nr. 8 für Auszubildende bei Bund und Ländern vom 17. 5. 1982. 12 Haase/Richard/Wagner, BBiG, S. 106. 13 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B III. 14 Vgl. § 12 Abs. 1 BAföG i. d. F. des Art. 1 Nr. 7 i. V. m. Art. 7 Abs. 4 des 7. BAföG ÄndG vom 13. 7. 1981 (BGBI. I, S. 625). 9
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Eine ausdrückliche Ausbildungsfinanzierung nach dem BSHG gibt es mit Wirkung vom 1. 1. 1982 nicht mehr l6 . Für 15jährige, die zum Haushalt eines Sozialhilfeempfängers zählen, wird, neben dem Erhöhungsbetrag nach § 23 Abs. 2 BSHG, ein Betrag von 90 v. H. des Regelsatzes gewährt17 , das sind z. Zt. - nach Ländern leicht differierend - ca. DM 310,_18. Als Einzelanspruch (die Sozialrechtsmündigkeit liegt bei 15 Jahren (!), vgl. § 36 SGB-AT) ergäbe sich als Satz für die persönlichen Bedürfnisse (Kleidung, Körperpflege, Nahrung) der Betrag - wiederum nach Ländern leicht differierend - von ca. DM 330,-. Schließlich ist auf die zivilrechtlichen Unterhaltsregelungen zu verweisen. Dem nichtehelichen 15jährigen Kind (als Anspruchsberechtigter i. S. d. §§ 1602 ff., 1615 flg BGB) steht zur Deckung der Bedürfnisse bei einfacher Lebenshaltung (§ 1615 f. Abs. 1 S. 2 BGB) ein Anspruch von z. Zt. DM 327,- ZU I9 . Einen entsprechenden Mindestbetrag berücksichtigen die (neuen) Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte2o . 11. Die Konkretisiemng eines "Mindest-Anspmchswertes"
Die vorgenannten Ansprüche weisen eine erstaunliche Annäherung auf. So liegt der Schwerpunkt der Nettoansprüche bei ca. DM 300,- (BSHG-Teilanspruch) bzw. DM 275,- (BAföG) der öffentlich-rechtlichen Zuschußleistungen21 , über DM 327,- des privatrechtlichen Mindestunterhaltsbetrages, bis zu 15 § 11 der Anordnung des Verwaltungsrates der Bundesanstalt für die Arbeit über die individuelle Förderung der beruflichen Arbeit vom 31. 10. 1969, i. d. F. vom 7. Mai 1981. 16 Vgl. Art. 21 des 2. HStruktG vom 22. 12. 1981 (BGBI. I, S. 1533), wonach u. a. § 31 BSHG fortgefallen ist. 17 § 2 III Ziff. 4 der Regelsatzverordnung vom 20. 7. 1962, i. d. F. vom 10. 5. 1971 (BGBI. I, S. 451). 18 In Nordrhein-Westfalen beträgt der Satz z. Zt. DM 311,- nach Vollendung des 15. Lebensjahres. - Zur Bedeutung und Berechnung der Regelsätze vgl. Moritz, Jura 1984, S. 113 ff. 19 § 1 Ziff. 3 f. der Regel-Unterhalts-Verordnung vom 27. 6. 1970 i. d. F. vom 26. 7. 1984 (BGBI. I, S. 1035). 20 Vgl. die Unterhaltstabellen in NJW 1984, 2330 ff. Die ab 1. 1. 1989 gültigen neuen Beträge erhöhen den Mindestanspruchswert. Der Modus seiner Berechnung bleibt dadurch unbeeinflußt. 21 Nach Fortfall des Schüler-BAföGs ergibt sich keine grundsätzliche Änderung. Denn, wie in der Anhörung vom 22. 11. 1982 (vgl. st. Protok. über die Sachverständigen-Anhörung in der 38. Sitzung d. Aussch. f. Bildung u. Wissenseh., insbesondere S.24, 32 ff., 46, 103 f., 115 f., 124 f., 173, 183, 201) zutreffend deutlich gemacht wurde, tritt an die Stelle des öffentlich-rechtlichen Anspruches zunächst der privatrechtliche gegen die Unterhaltsverpflichteten. Im Falle fehlender Mittel der Unterhaltsverpflichteten wäre der frühere BAföG-Anspruch nunmehr als BSHG-Anspruch zu realisieren; J. Müller, ZblJugR 83,124. Vgl. im übrigen aber die von den Ländern initiierten Ersatzleistungen; in Niedersachsen 60 Mill. DM für Ausbildungsbeihilfen, in Rheinland-Pfalz Leistungen nach einer "Schwerstbegabten- und Armenförderung" Quelle: ZaS v. 20. 2. 1983, S. 4-.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Ansprüchen für Auszubildende von DM 290,- (handwerkliche Ausbildungsberufe) bzw. DM 300,- (AFG-Förderung) und ca. DM 410,- (bei ausgewählten Angestelltentätigkeiten). Die Annäherung wird noch deutlicher, wird bedacht, daß die Sätze nach BSHG, BAföG und der Regelunterhaltsverordnung von einer einfachen Lebenshaltung ausgehen, so daß Sonderansprüche der Jugendlichen auf eigenen Wohnraum dabei nicht berücksichtigt sind. Andererseits sehen beide Sozialgesetze Zuschläge vor (BAföG: für Bücher, Fahrgeld; BSHG: Bücher, Zeitungen etc.). Werden diese Daten berücksichtigt, so kann unter heutigen Verhältnissen von einem durchschnittlichen mindesten Anspruchswert von ca. DM 300,- ausgegangen werden 22 • Da es sich bei den öffentlich-rechtlichen Leistungen um subsidiäre Ansprüche handelt (vgl. § 2 Abs. 1 BSHG; § 1, letzter Halbs. BAföG), bedeutet dies, daß der vorrangige zivilrechtliche (U nterhalts-) Anspruch mindestens in gleicher Höhe zu beziffern wäre wie die öffentlich-rechtliche Subsidiärleistung. Daraus folgt, daß Minderjährigen dieser Altersgrupe generell ein geldwerter rechnerischer "Mindest-Anspruch" in Höhe von z. Zt. DM 300,- zuzurechnen ist. Dabei weisen "geldwert" und "rechnerisch" sowie die Apostrophierung des Begriffs "Mindest-Anspruchswert" darauf hin, daß der genannte Betrag nur ein Volumen beziffert, ohne daß im Verhältnis Eltern-Kind in voller Höhe eine Geldrente gefordert werden könnte; d. h. der "MindestAnspruchswert" sagt über Art und Umfang eines konkreten Zahlbetrages im Verhältnis Eltern-Kind noch nichts aus. D. "Mindest-Anspruchswert" , "Mindest-Verfügungs-Betrag" und rechtsgeschäftliche Teil-Mündigkeit ab-lSjähriger I. Keine gesetzliche GleichsteUung des "MindestAnspruchswertes" mit einem realen Verfügungsbetrag
Aus dem "Mindest-Anspruchswert" könnte dann auf eine Bezifferung der rechtsgeschäftlichen Kompetenz geschlossen werden, wenn das Gesetz eine solche Korrelation herstellte. Bis auf den Teilregelsatz des § 2 Abs. 3 der RegelsatzVO zu § 22 BSHG stehen die vorgenannten geldwerten Ansprüche dem Minderjährigen zu. Daraus (allein) ergibt sich jedoch keine Identität von "Mindest-Anspruchswert" und realem Verfügungsbetrag des Minderjährigen. Denn nach vorherrschender Auffassung unterliegt das Einkommen des Minderjährigen, mit Ausnahme der Folgegeschäfte zu § 113 BGB23, der elterlichen Verwaltung24 • Dies wird aus § 1626 BGB gefolgert25 • 22 23
Vgl. schon Schwab, AcP 172 (1972), S. 266,276 f. Vgl. im 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels; S. 307.
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Ebenso formuliert das BGB keine Teilmündigkeiten wie jene des § 151 ABGB, wonach der Minderjährige über das durch seinen Fleiß Erworbene frei verfügen kann26 • Nach Beitzke ist zwar empirisch die zunehmende Tendenz festzustellen, dem Minderjährigen seinen Arbeitsverdienst zu belassen 27 • Der Schluß auf eine Identität des "Mindest-Anspruchswertes" mit den überlassenen Mitteln rechtfertigt sich aus bloßen Tendenzen jedoch nicht28 • Es kommt somit nur eine Bezugsetzung auf anderem Wege in Betracht. 11. Familienrechtliche Begründung einer Pflicht der Eltern auf Zuerkennung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit von der Vollendung des 15. Lebensjahres an
Den Ansatzpunkt der weiteren Überlegungen bildet die Frage, ob sich aus der Sorgerechtsneuregelung eine Fixierung von Mündigkeitsstufen ableiten läßt. Dabei sind die hier erzielten Ergebnisse vorläufig; denn sie müssen noch an den weiteren Minderjährigen-, Eltern- und Drittinteressen gemessen werden. Die Ableitung rechtsgeschäftlicher Teilmündigkeiten aus den Sorgerechtsregelungen setzte voraus, daß eine generalisierbare Verpflichtung der jeweiligen Sorgeberechtigten festzustellen ist, ihren Kindern eine rechtsgeschäftliche Betätigung eines zu konkretisierenden Umfangs zu erlauben. Dabei sind grundsätzlich die Elternpflicht zur Einräumung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit und ein etwaiger Anspruch auf Zurverfügungstellung von Mitteln zu unterscheiden. Ein ggf. bestehender Anspruch auf Zurverfügungstellung von Mitteln sagt grundsätzlich noch nichts über die Gestattung einer rechtsgeschäftlichen Betätigung aus. Die Zustimmung erfordert eine eigene Willensbetätigung; insoweit gelten die Überlegungen, wie sie im 2. Abschnitt zur Wirkung des § 110 BGB als "Ermächtigungsnorm" angestellt wurden 29 • Nach der Systematik der §§ 107 ff. BGB ist auch ein unbeschränkter Generalkonsens ausgeschlossen30 ; auf diesen aber zielte die Konstruktion einer Elternpflicht auf Einräumung einer Handlungsfähigkeit ab, die eine Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag bewirkte. Eine verläßliche Orientierung für alle Beteiligten und zugleich eine rechtliche Absicherung der realen Gegebenheiten durch Installierung einer Teilmün24 Vgl. die Nachweise bei StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 16. Differenzierend: Safferling, Rpfl. 1972, 124, 125 f.; Weimar, MDR 1962, 273 f. 25 Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. 18. 26 Vgl. schon Schwab, AcP 172 (1972), S. 266, 276 f. 27 Vgl. Beitzke, AcP 172 (1972), S.240, 249; s. auch Schwab, AcP 172 (1982), S. 266, 276 f. 28 Ebenso Gitter, aaO, § 113, Rn. 18 f., gegen Schatter, RdA 1951,445,447 und Gefaeller (1986), S. 91 ff. 29 Vgl. im 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels, § 1 C. 30 Vgl. im 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels, § 1 B.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
digkeitsstufe setzt somit eine gesetzliche Regelung voraus. Der Vorschlag de lege ferenda einer Ersetzung der elterlichen Zustimmung durch eine Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag hat sich im übrigen an den bestehenden gesetzlichen Regelungen zu orientieren. Das bedeutet nicht nur, daß der Vorschlag in die §§ 105, 107 ff. BGB einzupassen ist; einen Ansatzpunkt bilden vor allem auch die familienrechtlichen Normen und die Frage, wie eine (zu schaffende) gesetzliche Lösung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag auszusehen hätte, welche im Einklang mit den §§ 1626 ff. BGB steht. Die Sorgerechtsregelungen bilden somit auch hier den Ausgangspunkt. Aus diesen folgt die Verpflichtung der Eltern, die größtmögliche Freiheit bei geringstmöglichen Eingriffen zu gewähren. Eine erste Konkretisierung dieser Pflicht erfolgt durch die festgestellte generalisierbare Selbstbestimmungskompetenz mit 15 Jahren. Die Elternpflicht besteht grundsätzlich jedoch nicht nur darin, eine rechtsgeschäftliche Betätigung der Minderjährigen zu gestatten, sondern muß diese auch ermöglichen. Fraglich ist, ob sich die Elternpflicht dahin verdichtet, daß die Eltern den ab-15jährigen einen "Mindest-Verfügungsbetrag" überlassen müssen, an weIchen eine gesetzliche Zustimmungsersetzung orientiert werden könnte. Bis zur Schaffung einer gesetzlichen Lösung hätten die Eltern einer so verdichteten Elternpflicht individuell durch Einräumung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit im Rahmen der §§ 1626 f., 110 BGB Rechnung zu tragen; bei Fehlen der realen Kompetenz des Minderjährigen versagten die Sorgeberechtigten die Überlassung von Mitteln. Die gesetzliche Einführung einer Teilmündigkeit wäre dann geboten, wenn eine Verdichtung der EIternpflichten zu begründen wäre und wenn es gelänge, Ausnahmefälle, bei denen Zweifel an der real bestehenden Kompetenz existieren, in Übereinstimmung mit den Minderjährigen-, Eltern- und Verkehrsinteressen zu berücksichtigen. Das Einkommen unterliegt nach § 1626 BGB der elterlichen Verwaltung. Die Ausübung der elterlichen Sorge steht jedoch unter dem Vorbehalt des Kindeswohls31 bzw. hat sie dem Recht des Minderjährigen auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge zu entsprechen32 • Die Pflichtgemäßheit aber bedeutet: Respektierung bestehender Kompetenzen und Gewährung größtmöglichen Freiraums, da nur die Zubilligung von Selbstbestimmung zur Mündigkeit führt bzw. diese festigt3 3 • Andererseits sind die Personensorgeberechtigten verpflichtet, dort bewahrend einzugreifen, wo ein Schutz erforderlich ist. Die pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge bewegt sich somit zwischen den Polen der Garantie maximaler Selbstbestimmung sowie der Verhinderung übermäßiger Selbstgefährdung. Die Grenze der KompetenzzubilliVgl. im 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C. Siehe schon im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 2.4.2.; entspr. auch Gemhuber (1980), S. 7081; Hinz, MünchKomm., § 1626, Rn. 5; Münder, AK-BGB, S. 669. 33 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A 11.1., m. w. N. 31
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gung ist dort erreicht, wo eine übermäßige Selbstgefährdung droht. Indem bei ab-15jährigen von einer Selbstbestimmungskompetenz ausgegangen werden kann, ist diese Grenze sehr weit hinausgeschoben. Sie ist dort zu ziehen, wo eine Gefährdung der physischen Existenz des Minderjährigen möglich erscheint und er seine materielle Existenz übermäßig gefährdet. Da von einer realen Selbstbestimmungskompetenz grundsätzlich auszugehen ist, genügt es für den als selten zu qualifizierenden Fall, daß eine solche Fähigkeit ausnahmsweise fehlt, den Eltern ein Interventionsrecht 'entsprechend §§ 105, 1626 BGB vorzubeh'alten 34 • Zur Bestimmung der Grenze "Gefährdung der physischen Existenz" ist der Punkt festzustellen, bei dem unter Berücksichtigung der Einbindung in die Familie das Existenzminimum nicht mehr gesichert ist bzw. wo eine Gefährdung des Minderjährigen- und/oder des Elternvermögens besteht. Daraus folgt: Aus dem Kindeswohlvorbehalt der §§ 1626 ff. BGB ergibt sich die Verpflichtung der Eltern, den Kindern ab Vollendung des 15. Lebensjahres einen Freiraum rechtsgeschäftlicher Betätigung einzuräumen. Dieser Freiraum beginnt jenseits der Grenze der garantierten Mindestexistenzbedürfnisse und setzt voraus, daß keine Gefährdung für das Minderjährigen- und/oder Elternvermögen existiert. Diese Verpflichtung der Eltern auf Gewährleistung einer rechtsgeschäftlichen Betätigung der Minderjährigen besteht nach der gegenwärtigen Rechtslage individuell, wenn dem nicht die real bestehende Selbstbestimmungskompetenz des Minderjährigen entgegensteht. Eine erst zu schaffende gesetzliche Berücksichtigung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag hätte ein Interventionsrecht der Eltern entsprechend §§ 105,1626 BGB vorzusehen. 111. Konkretisierung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsrahigkeit ab-15jähriger
1. Abstrakte Fixierung der Betragshöhe einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ab-15jähriger Als äußerste Grenze einer einzuräumenden rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeit ab-15jähriger wurde die Garantie des Existenzminimums und das Fehlen der Gefährdung des Kindes- und Elternvermögens genannt. Als Existenzminimum ist der Mindestbetrag gemeint, welcher für die Erhaltung der physischen Existenz unter den gegenwärtigen gesellschaftlichen Bedingungen als unbedingt notwendig anerkannt ist. Dieser fixiert das Niveau, welches auch nicht um der Garantie einer Selbstbestimmung und des autonomen Bürgers von morgen willen unterschritten werden darf.
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Vgl. im einzelnen im nachfolgenden § 3.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Der Ansatz beim Existenzminimum ist nur dann sinnvoll, wenn den Minderjährigen überhaupt Mittel zuzurechnen sind. Ob dies der Fall ist, erscheint zweifelhaft. Denn § 1612 Abs. 2 BGB bestimmt, daß die Unterhaltsverpflichteten u. a. über die Art des Unterhalts "bestimmen" können. Dies könnte bedeuten, daß der Minderjährige keinen Anspruch auf Barmittel hat und, jedenfalls bei einer angespannten Wirtschaftslage der Familie, dem Minderjährigen ohnehin nur das Existenzminimum garantiert ist, und dies ggf. als Naturalleistung. Hier nun ist in Erinnerung zu rufen, worum es bei den vorliegenden Überlegungen geht. Angestrebt ist die Fixierung eines rechtlichen Dürfens bei realer Kompetenz. Die vorstehenden Ausführungen lassen bezweifeln, ob bei Einräumung eines rechtlichen Dürfens (rechtsgeschäftliehe Teilmündigkeit) auch in jedem Fall ein reales wirtschaftliches Können gegeben ist. Dies kann jedoch der Gewährung einer Teilmündigkeit nicht ernsthaft entgegengehalten werden. Denn es entspricht dem das Zivilrecht beherrschenden Grundsatz der Privatautonomie, auch bei Anerkennung eines Ausübenkönnens von Rechten dem Rechtsinhaber die Entscheidung darüber zu belassen, ob er das Recht ausüben will bzw. ob eine solche Ausübung opportun ist35 • Es kommt zur Bestimmung eines rechtlichen Dürfens somit nicht darauf an, ob den betroffenen Minderjährigen ein bestimmter Geldbetrag auch real zur Verfügung steht. Vielmehr genügt die Zurechenbarkeit eines solchen Betrages. Daß es insoweit nicht auf das reale Haben von Geld ankommt, folgt auch daraus, daß das reale Budget der Minderjährigen schichtabhängig variiert 36 ; so verfügen Kinder von Sozialhilfeempfängern regelmäßig über weniger Bargeld als andere Kinder. Niemand aber will wohl heute noch ernsthaft behaupten, daß die psychischen Fähigkeiten zur Selbstbestimmung bei "Unterschichtlern" im Alter von 15 Jahren geringer wären als bei Gleichaltrigen der "Mittel-" oder "Oberschicht". Real muß dagegen das Minimum für die physische Existenz garantiert sein. Erforderlich ist nicht ein Geldanspruch. Vielmehr genügt auch insoweit, daß dem Minderjährigen eine entsprechende Garantie der Deckung seiner Mindestbedürfnisse gegeben ist, ggf. durch einen Anspruch auf Naturalleistungen. Ergänzend ist der Gesichtspunkt der Vermögensgefährdung zu berücksichtigen (vgl. nachfolgenden § 3). Daraus folgt: Die betragsmäßige Fixierung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ab-15jähriger richtet sich nach dem "rechnerischen Mindest-Verfügungsbetrag".37 Der "Mindest-Verfügungsbetrag" ist der Betrag, welcher Flume (1979), S. 16 f.; Larenz, BGB-AT, 5. Aufl., 1980, S. 72 f. FrackmanniKuhlslLühn (1981), S. 87. 37 "Rechnerisch" berücksichtigt, daß sich aus familienrechtlichen Rücksichten (Gegenseitigkeitsprinzip, Rücksichtnahme auf eine enge Finanzdecke) eine Reduzierung des realen Zahlungsbetrages auf eine Summe unterhalb des "Mindest-Verfügungsbetrages" ergeben kann. 35
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dem Minderjährigen nach Abzug der Aufwendungen für seine Primärbedürfnisse real zur Verfügung steht. Die zuzurechnende generalisierbare materielle Ausstattung des Minderjährigen ist bereits mit dem "Mindest-Anspruchswert" bestimmt. Der davon abzuziehende Betrag für die Garantie des Existenzminimums bleibt dagegen noch zu konkretisieren.
2. Die für die Garantie des Existenzminimums anzusetzende Summe Die unverzichtbaren materiellen Existenzvoraussetzungen unter unseren gesellschaftlichen Bedingungen bilden Wohnen und Nahrung. Dabei ist freilich zu sehen, daß etwa die reinen Wohnkosten kaum zu reduzieren sind. So lassen sich die Aufwendungen der Eltern für den Jugendlichen zum Beispiel für Essen kürzen und jene z. B. für Unterhaltung oder Genußmittel lassen sich einsparen; die Partizipation am Wohnraum bleibt dagegen gleich. Hier ist allerdings zu berücksichtigen, daß auch die zur Konkretisierung des "MindestAnspruchswerts" herangezogenen Ansprüche des Minderjährigen die gesamten Lebenshaltungskosten bei einfacher Lebenshaltung decken sollen38 • Dabei wird vorausgesetzt, daß der Berechtigte keinen eigenen Hausstand hat, sondern in einer Familie integriert ist. Bei dem niedrigen Niveau der "einfachen Lebenshaltung" ist davon auszugehen, daß Aufwendungen für zusätzlichen Wohnraum nicht berücksichtigt sind39 • Dies aber bedeutet, wird von der untersten materiellen Stufe des BSHG-Niveaus ausgegangen und werden dementsprechend Zuschüsse für Wohnraum, Heizkosten etc. separat berücksichtigt, daß auch hier bei der Ermittlung der für das Existenzminimum des Minderjährigen anzusetzenden Summe Ausgaben für Wohnraum, Strom etc. vernachlässigt werden können. Zu berücksichtigen ist somit allein der Aufwand für Nahrung. Zur Berechnung des Existenzminimums unter diesen Prämissen eröffnen sich zwei Wege: Wenn wir von den gebräuchlichen statistischen Grunddaten ausgehen40 , so werden beim Haushaltstyp 1 (2 Personen mit geringem Einkommen) 25,5 % der Gesamteinnahmen für Nahrungsmittel ausgegeben; nach Abzug der Ansätze für Wohnung und Energie (22,4 %; 8,8 %), welche für den zu Hause wohnenden Jugendlichen nicht separat anfallen, ergäbe sich ein Verhältnis von Gesamtsumme (100-22, 4-8, 8) und Nahrungsanteil (25,5 %) von 68,8: 25,5. Bei dem Haushaltstyp 2 (4 Personen mit mittlerem Einkommen) lauteten die entsprechenden Zahlen: Gesamtsumme Vgl. vorstehend unter"C I". V gl. die durchweg in den Sozialgesetzen vorgenommene Differenzierung zwischen Wohnen bei den Eltern und externer Unterbringung. Siehe aber etwa auch die von einem höheren Niveau ausgehende BAT-Regelung, in der nach § 3 11 VergütungsTV bei einenm Bruttobetrag von DM 518,- eine Kürzung bei Unterbringung durch den Dienstherrn von nur DM 41,57 vorgesehen ist, für Verpflegung um weitere DM 120,37. 40 Vgl. die statistischen Angaben in: "Gesellschaftliche Daten 1982", herausgegeben vom Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, Stand Januar 1982, S. 189. 38 39
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
(100-16, 4-6, 5) und Nahrungsanteil (20,1) zu einem Verhältnis 77,1 : 20,1. Übertragen auf das Budget der Jugendlichen kämen wir somit zu dem Ergebnis, daß ca. 1/3 ihrer Einnahmen als Beitrag zum Familienhaushalt zu veranschlagen wäre, der Restbetrag verbliebe für die gesamte persönliche Ausstattung (= alle Bedürfnisse außer Wohnung und Essen). Auf der Grundlage der obigen "Mindest-Anspruchssumme" von ca. DM 300,- käme man somit zu einem rechnerischen monatlichen "Mindest-Verfügungsbetrag" der J ugendlichen von DM 200,-. Diese Summe entspräche, bei Berücksichtigung des Anstiegs des Lebenshaltungsindexes von 1976 auf 1982 um ca. 32 %41, mit einer Abweichung von nur zwischen 10 v. H. und 4 v. H. den von Decker42 für das Jahr 1976 angegebenen monatlichen Verfügungsbeträgen Jugendlicher. Gegen die Heranziehung der bei Decker wiedergegebenen Zahlen sprach jedoch, daß die Altersgruppe 15 bis 19 Jahre zu weit gefaßt war4 3 . Bei diesen statistischen Angaben bleibt unsicher, ob die Aussagen auf Einzelpersonen übertragbar sind. Diese Schwierigkeiten bestehen nicht bei den Daten zum Bundessozialhilfegesetz. Das BSHG wird charakterisiert als "unterstes soziales Netz"; insgesamt will es zwar mehr als die Gewährleistung des Existenzminimums (vgl. § 1 11 BSHG), es kennt jedoch das Niveau des "unerläßlichen Lebensunterhaltes (§ 25 Abs. 2 BSHG); Aufwendungen für Heizung und Wohnen werden separat berücksichtigt (§ 3 RegelsatzV044); die Leistungen werden für jedes Familienmitglied einzeln festgelegt (vgl. die RegelsatzV045). § 25 Abs. 2 BSHG bezieht sich somit auf die materiellen Existenzvoraussetzungen bei einfachsten Lebensbedingungen (bei Vernachlässigung des Wohnanteils). Um diese geht es auch hier. Die Sätze zum BSHG können deshalb insoweit entsprechend herangezogen werden. Nach Vollendung des 15. Lebensjahres werden nach der RegelsatzVO vom Regelsatz (DM 345,-) 90 % gewährt (= DM 311,-). Nach einem Ansatz des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge 46 , der als maßgebender Anhalt für die Entscheidungen der Sozialämter dient47 , entfallen vom Regelsatz (Haushaltungsvorstand: DM 345,-; über-15jähriger: DM 311,-) auf Nahrungsmittel (für den HV) DM 191,- bzw. (nach Vollendung des 15. Lebensjahres) DM 246,-; diese Summen werden im Falle des § 25 Abs. 2 BSHG ("Einschränkung der Hilfe") auf 80 % gekürzt48 . Demnach wäre für die Gruppe "nach Vollendung 41 Vgl. den Nachweis der Angaben des statistischen Bundesamtes in NJW 1982, Heft 47, S. X. 42 Decker (1979), S. 77; danach verfügten 1976 "Jungen ... monatlich frei über DM 145,- und Mädchen über DM 135,-". 43 Vgl. schon vorstehend, § 1 dieses (4.) Abschnitts. 44 Vom 20. 7. 1962, i. d. F. vom 10. 5. 1971 (BGBI. I S. 451). 45 Vom 20. 7. 1962, i. d. F. vom 10. 5. 1971 (BGBI. I S. 451). 46 "Warenkorb" des Deutschen Vereins für öffentliche und private Fürsorge, FrankfurtIM. 47 Auskunft Sozialamt Bielefeld, Auskunft Sozialamt Rheda-Wiedenbrück; vgl. auch die Richtlinien der Kreisverbände.
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des 15. Lebensjahres" aus dem Regelsatz von DM 311,- ein Betrag von DM 196,- für Nahrungsmittel anzusetzen, also 63 v. H. bzw. ca. 2/3. Übertragen auf das Budget der Jugendlichen wären danach 2/3 des ihnen zuzurechnenden Betrags als Beitrag zum Familienhaushalt zu veranschlagen. Somit ist festzustellen: Die für die Garantie des Existenzminimums anzusetzende Summe schwankt, je nach Berechnungsgrundlage, zwischen 1/3 und 2/3 des "Mindest-Anspruchswertes". Da es um die Garantie der unverzichtbaren Existenzvoraussetzungen geht, ist jene Betragsalternative zu wählen, bei der die Wahrscheinlichkeit am geringsten ist, daß das Existenzminimum zu niedrig angegeben wird. Dies ist jene mit dem höchsten prozentualen Nahrungsanteil bei dem niedrigsten möglichen Einkommen, also der nachdem BSHG. Die für die Garantie des Existenzminimums anzusetzende Summe liegt somit bei 2/3 des "Mindest-Anspruchswertes". 3. Ergebnis: Die Relation von "Mindest-Anspruchswert" und rechnerischem "Mindest-Verfügungsbetrag" sowie die betragsmäßige Fixierung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ab-15jähriger
Eine rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit Jugendlicher läßt sich betragsmäßig fixieren nach der Formel: "Mindest-Anspruchswert" ;/. materielles Existenzminimum = "rechnerischer ,Mindest-Verfügungsbetrag'" . Die Betragshöhe einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit wird somit durch den "rechnerischen ,Mindest-Verfügungsbetrag'" bestimmt. "Rechnerisch" meint dabei, daß aus familienrechtlichen Gründen (Gegenseitigkeitsprinzip; Rücksichtnahme auf eine enge Finanzdecke der Familie) eine Reduzierung des Betrages, der dem Minderjährigen real zur Verfügung steht, auch auf Werte unterhalb des "rechnerischen ,Mindest-Verfügungsbetrages'" erfolgen kann. Dies ist jedoch für die Zuerkennung einer rechtlichen Handlungskompetenz ohne Bedeutung. Denn die psychische Fähigkeit bleibt davon unbeeinflußt. Um eine Überschuldung des Jugendlichen zu verhindern, genügt es, entsprechend der bestehenden Auslegungspraxis zu § 110 BGB, die rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit von einem baren Bewirken abhängig zu machen. Gegenüber § 110 BGB hat der hier vorgeschlagene Weg den Vorteil, daß eine nachträgliche Annullierung mit der Begründung entfällt, die Gelder seien dem Minderjährigen nicht zu diesem Zweck überlassen worden. Dies bedeutet, daß der Jugendliche darauf vertrauen kann, bei einem Kauf, der mit Taschengeld oder sonst überlassenem Geld "erfüllt" wurde, bei dem aber etwa der Kaufgegenstand (z. B. bei Bekleidungs-, Bücher-, Schallplattenkauf 48
Auskunft Sozial amt Rheda-Wiedenbrück, Herr Kaltwasser.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
etc.) nicht dem Geschmack der Eltern entspricht, gleichwohl die Sache nicht zurückgeben zu müssen und im Regelfall nicht zu können. Insofern wird dem Jugendlichen ein Stück echter Entscheidungsfreiheit eröffnet. Andererseits könnte auch der Rechtsverkehr auf die Wirksamkeit der geschlossenen Verträge vertrauen. Der "Mindest-Anspruchswert" bezieht sich auf den dem Minderjährigen monatlich zur Verfügung stehenden Betrag. Diese Anknüpfung ergibt sich daraus, daß auch die entsprechenden Geldansprüche des Jugendlichen (aus Ausbildungsvergütung, BAföG, BSHG-Leistungen oder auch Unterhaltsansprüche ) auf den Monat bezogen sind. Diesen auf den Zeitraum eines Monats abstellenden Betrag gleichwohl als Höchstbetrag für ein als wirksam anzusehendes autonom geschlossenes Einzelgeschäft heranzuziehen, erscheint deshalb als unproblematisch, da die Wirksamkeit vom (baren) Bewirken abhängig gemacht wird, das Monatsbudget aber im Regelfall nur zum einmaligen Bewirken reicht. Das Abstellen auf den Monatsbetrag ist auch unter "erzieherischen" Gesichtspunkten angezeigt, da der Jugendliche so praktisch erfährt, daß er, gibt er den Betrag sofort aus, für die Restzeit des Monats kein Geld mehr hat; der Jugendliche lernt auf diesem Wege, das Geld einzuteilen und auf größere Anschaffungen hin zuzusparen. Da der "Mindest-Anspruchswert" sich an gegebenen Regelsätzen orientiert, z. B. an der Regelunterhaltsverordnung, die periodisch den jeweiligen wirtschaftlichen Gegebenheiten angepaßt werden und deren gesetzliche Fixierung jedermann leicht zugänglich sind, bestehen auch insofern keine Praktikabilitätsbedenken. Somit läßt sich eine rechtsgeschäftliehe Handlungsfähigkeit bei Minderjährigen ab 15 Jahren betragsmäßig bei 1/3 des "Mindestanspruchswertes" fixieren, also bei zur Zeit DM 100,- bis DM 110,-483. Die betragsmäßige Fixierung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit ist jedoch nur ein - wenngleich ein wesentlicher - Schritt in Richtung auf die Installierung einer rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeit ab-15jähriger. Denn es bleibt zu überprüfen, ob eine solche Teilmündigkeit vereinbar wäre mit den Kindes-, Eltern- und Verkehrsinteressen; dabei ist insbesondere die Frage der Lösung von Konfliktfällen zu beachten, also etwa die Überschreitung der Kompetenz oder der Fall einer real nicht existenten Kompetenz. Da es die alltagspraktische Relevanz der hiesigen Erörterungen zweifellos steigerte, wenn davon auszugehen wäre, daß dem "rechnerischen ,Mindest-Verfügungsbetrag"" in der Regel ein realer "Mindest-Verfügungsbetrag" entspricht, ist das Verhältnis beider Positionen als Annex zu den bisherigen und als Vorfrage zu den weiteren Überlegungen zu klären. 480 Ab 1. 1. 1989 entspr. den neuen Sätzen der Regelunterhaltsverordnung - BGBI. I 1988, S. 1082 - etc. - vgl. die neue Düssd. Tabelle in NJW 1988, 2352ff. -: V3 von 360,- DM = Mindestanspruchswert von 120,- DM.
4. Abschn.: Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
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IV. Das Verhältnis von "rechnerischem ,Mindest-Verfügungsbetrag'" und realem "Mindest-Verfügungsbetrag" sowie die Durchsetzung des Anspruches auf Überlassung von Mitteln
1. Familienrechtlicher ,,Anspruch" auf Zurverfügungstellung des "Mindest-Verfügungsbetrages" Der "rechnerische ,Mindest-Verfügungsbetrag'''' auf Zurverfügungstellung des "Mindest-Verfügungsbetrages" fixiert nach den vorstehenden Überlegungen einen Rahmen, innerhalb dessen die Eltern dem Kind eine eigenständige rechtsgeschäftliche Betätigung grundsätzlich zubilligen müssen. Dem liegt die Überlegung zugrunde, daß in einer konsumorientierten Gesellschaft - man mag dies begrüßen oder nicht - "Selbstverwirklichung" wesentlich auch in der Teilnahme am Geschäftsverkehr und dem Kauf von Waren erfolgt. Voraussetzung dafür ist aber, daß den Minderjährigen Beträge nicht nur rechnerisch zugewiesen sind, sondern daß diese ihnen auch real zur Verfügung gestellt werden. Auch insoweit ist zwischen den Ansprüchen der Minderjährigen zur Deckung der Lebenshaltungskosten (z. B. aus den Sozialgesetzen, aus Arbeitsverdienst etc.) und dem "Anspruch" auf Überlassung von Barmitteln zu differenzieren. Ab-15jährigen stehen (- im Gegensatz zu unter-15jährigen - nach Mindestbeträgen genau zu fixierende, oftmals elternunabhängige). Ansprüche zu, welche ihre gesamten Lebenshaltungskosten abdecken. Die Verwaltung des Gelds obliegt den Personensorgeberechtigten (nach § 1626 BGB). Diese steht jedoch unter dem Vorbehalt des Kindeswohls, also u. a. auch unter dem Vorbehalt, dem Kind einen größtmöglichen Freiraum einzuräumen. Dem ab-15jährigen steht somit ein familienrechtlicher Anspruch auf Überlassung von Bargeld zu, dessen Höhe prinzipiell mindestens dem "rechnerischen ,Mindest-Verfügungs betrag'" entspricht. 2. Höhe und Durchsetzung des ,,Anspruchs" Die Qualifizierung als familienrechtlicher Anspruch bedeutet jedoch auch, daß eine Bewertung unter familienrechtlichen Prämissen erfolgt. Somit ist der Vorrang des Kindeswohls zu beachten und damit der grundsätzliche Anspruch des Minderjährigen auf Erhalt des "Mindest-Verfügungsbetrages" . Jedoch hat auch der Minderjährige die Belange der Familie zu beachten (Auslegungsnormen der §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB). Auch bei kurzer Finanzdecke der Familie ist der "Mindest-Anspruchswert" des Minderjährigen - im Extremfall nach dem BSHG - gesichert; verzögert sich jedoch die Auszahlung der Sozialhilfeleistung, kann der Minderjährige nicht die Zahlung des "Mindest-Verfügungsbetrages" verlangen. In der Regel wird der Minderjährige auch über die Ernährung hinausgehende Leistungen der Familie in Anspruch nehmen. Bei einer engen Finanzdecke können diese Leistungen vom "Mindest-Verfügungs-
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
betrag" abgezogen werden; dabei ist es den Eltern nicht zumutbar, Buch zu führen; der Abzug erfolgt in einer Pauschalsumme. Der Anspruch auf Zurverfügungstellung des "Mindest-Verfügungsbetrages" ist sorgerechtlich begründet. Die davon zu trennenden Unterhaltsansprüche (ggf. subsidiäre sozialrechtliche Ansprüche) gewährleisten die materielle Basis für den familienrechtlichen Anspruch. Auch Kinder aus gut situierten Verhältnissen haben grundsätzlich keinen über den genannten Betrag hinausgehenden Baranspruch. Die Aufrechnung von Naturalleistungen bedarf in diesem Fall jedoch der besonderen Begründung, also zum Beispiel, daß der Minderjährige gedankenlos mit dem Geld umgeht etc. Da es sich nicht um einen Unterhaltsanspruch handelt, ist kein Fall des
§ 621 Abs. 1 Ziff. 4 ZPO gegeben. Werden dem Minderjährigen bare Mittel
vorenthalten, so ist ihm zunächst der Weg zum Jugendamt eröffnet und grundsätzlich 49 zum Vormundschaftsgericht, da es sich um einen familienrechtlichen Streit im Eltern/Kind-Verhältnis handelt, welcher auf Einzelrnaßnahmen zielt, die nur auf § 1666 BGB gestützt werden können50 (zum Rechtsweg vgl. im einzelnen im 6. Kapitel). Wird bei Anrufung des Vormundschaftsgerichts ein Verfahren eröffnet, so hat das Vormundschaftsgericht entsprechend den vorgenannten Argumenten eine Interessenabwägung vorzunehmen und zu versuchen, daß für die Zukunft eine interessengerechte Handhabung erfolgt. Es stehen dem Vormundschaftsgericht Maßnahmen i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB zur Verfügung, also insbesondere Hinweise, Ermahnungen, aber auch die Anweisung, dem Minderjährigen Bargeld zu überlassen. Daneben kommen Maßnahmen nach den §§ 48 a, 55 ff., 62 ff. JWG in Betracht. Kommen die Personensorgeberechtigten den Anregungen des Vormundschaftsgerichtes bzw. des Jugendamtes nicht nach, kann die Anordnung der Geldzahlung allerdings nicht unmittelbar durchgesetzt werden, da gemäß § 33 Abs. 1 FGG als Vollstreckungsmaßnahme nur Zwangsgeld möglich ist. Für die weitergehende Anordnung des Sorgerechtsentzugs genügt die Verweigerung von Barzahlungen an den Minderjährigen nicht. Der Sorgerechtsentzug stellte in aller Regel einen noch größeren Nachteil dar als die Nichtzahlung und wäre deshalb als unverhältnismäßig zu qualifizieren. Anders wäre die Bewertung allerdings, träten noch andere Pflichtverletzungen neben jene der unbegründeten Verweigerung von Geldzuweisungen an den Minderjährigen. Insgesamt steht die fehlende Vollstreckbarkeit des familienrechtlichen "Anspruchs" des Minderjährigen auf Zurverfügungstellung des "MindestVerfügungsbetrages" der Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag jedoch nicht entgegen, wenn die Wirksamkeit des jeweiligen Rechtsgeschäftes abhängig ist vom baren Bewirken (vgl. die folgenden § 3/4). 49 Zum Ausnahmefall des aus § 1671 oder 1696 BGB vorbefaßten Familiengerichts vgl. OLG Hamburg FamRZ 1982, 943. 50 Vgl. BGH FamRZ 1980, 1108; OLG Zweibrücken DAVorm 1981, 308.
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Schwierigkeiten könnten allenfalls entstehen, bewirkt der Minderjährige Geschäfte mit Geldern fremder Herkunft (vgl. im folgenden § 3 C). Hier fehlte es an der Möglichkeit des Ausgleichs der Schulden aus den MindestVerfügungsbeträgen der Folgemonate, wenn die Eltern dem Minderjährigen keine Barmittel überlassen. Beharren die Eltern gleichwohl auf ihrer Weigerung, wäre in diesem Fall die Maßnahme des Sorgerechtsentzugs denkbar. Dies gäbe allerdings dem Minderjährigen das Mittel in die Hand, über den Weg der mit Fremdmitteln bewirkten Geschäfte die Eltern dazu zu bewegen, ihm Gelder zu überlassen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß dem Minderjährigen grundsätzlich ohnehin ein familienrechtlicher Anspruch auf den "MindestVerfügungsbetrag" zusteht. Sein Verhalten war also nur deshalb möglich, weil zuvor die Personensorgeberechtigten ihre familienrechtlichen Pflichten nicht erfüllt haben. Die Gefahr einer "Erpressung" durch den Minderjährigen ist deshalb kein anzuerkennendes Argument gegen die Verdichtung der Elternpflichten, dem Minderjährigen einen Bargeldbetrag zur Verfügung zu stellen. Somit stehen auch diese Überlegungen der Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag nicht entgegen. 3. Begründung privatrechtlicher Rechtsfolgen unter Bezugnahme u. a. auf öffentlich-rechtliche Normen sowie das Verhältnis von "Mindest-Verfügungs betrag " zum "Bestimmungsrecht" des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB Bei der Fixierung des "Mindest-Verfügungsbetrages" wurde u. a. auf die öffentlich-rechtlichen Regelungen des Sozialrechts Bezug genommen. Das BVerwG51 und, diesem folgend, der BGH52 betonen die Unterschiedlichkeit der Prinzipien staatlicher (z. B.) Ausbildungsförderung und privaten Unterhaltsrechts. Diederichsen53 interpretiert den BGH dahingehend, daß diese Maßstäbe der staatlichen Ausbildungsförderung nicht dieselben wie jene des privaten Unterhaltsrechts zu sein brauchten und daß die öffentliche Bildungsplanung nicht die Unterhaltspflichten der Eltern gegenüber ihren Kindern modifiziert. Zumindest die Absolutheit dieser Aussage erscheint indes fraglich, angesichts dessen, daß sich der BGH in seiner Entscheidung zu dem besonderen Fall des privaten Unterhaltsanspruches auf Finanzierung einer Zweitausbildung äußerte; ironischerweise entspricht § 7 BAföG54 inzwischen der vom BGH zum privaten Unterhaltsanspruch praktizierten restriktiven Handhabung. BVerwGE 18, 355. BGHZ 69,190. 53 Diederichsen, NJW 1977,1776,1777. 54 In der Fassung des 7. BAföG-ÄndG vom 13. 7. 1981 (BGB1 I, S. 625) und des 2. Gesetzes zur Verbesserung der Haushaltstruktur. 51
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Moritz
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Hinsichtlich des "Mindest-Verfügungsbetrages" diente die Bezugnahme auf die öffentlich-rechtlichen Regelungen zudem nur der Abrundung des Bildes und der Vervollständigung der empirischen Daten. Schon deshalb scheidet ein Verstoß gegen ein Verbot der Begründung privatrechtlicher Rechtsfolgen unter Bezugnahme auf u. a. öffentlich-rechtliche Normen, sofern dieses überhaupt anzuerkennen ist 55 , insoweit aus. Die Teilmündigkeit ab-15jähriger fußt auf dem aus dem "MindestAnspruchswert" abgeleiteten "Mindest-Verfügungsbetrag" i. V. m. dem Gedanken des Anspruches des Minderjährigen auf eine den (insoweit abstrahierten) Bedürfnissen des Kindes entsprechende Wahrnehmung der elterlichen Sorge. Nur kurz erwähnt wurde bei diesen Überlegungen das ggf. konkurrierende "Bestimmungsrecht" der Eltern gern. § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB. Danach ist es den Unterhaltsverpflichteten gestattet, nach ihrer Wahl ggf. Naturalunterhalt statt einer Geldrente zu leisten. Es ist der Zweck dieser Vorschrift, dem Pflichtigen ggf. die Unterhaltspflicht zu erleichtern56 ; er besteht aber auch darin, den unterhaltspflichtigen Eltern einen weitergehenden Einfluß auf die Lebensführung des Kindes zu verschaffen 57 . In seiner Entscheidung aus dem Jahre 1980 betonte der BGH ausdrücklich, daß die (übliche) Handlungsweise verständiger Eltern (freies Geld zur Anschaffung des Lebensbedarfs in eigener Entscheidung zu überlassen) nicht "bedeutet .. , daß der Unterhaltsanspruch des Kindes sich dadurch zunehmend in einen Anspruch auf Zahlung einer Geldrente verwandelt"58. Gegen eine Ignorierung der Wertungen der §§ 1626 ff. im Rahmen des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB bestehen grundsätzliche inhaltliche wie dogmatische
Bedenken59 . Auf die entsprechenden kritischen Stellungnahmen im Schrifttum 60 ist der BGH in seiner Entscheidung nicht eingegangen. Im einzelnen 55 Zweifel bestehen zumindest an einem absoluten Kumulierungsverbot. Denn, gehen wir von einer Gesamtrechtsordnung aus, bedeutet dies, daß grundsätzlich die Gesamtheit der den Regelungsbereich betreffenden Normen zu berücksichtigen ist. Erforderlich ist aber natürlich, die Spezialitäten der einzelnen Rechtssphären zu beachten. Insofern ist ein Automatismus der Regelungsübernahme ausgeschlossen. Andererseits sind die Regelungen des Nachbarbereiches aber, unter Beachtung der ggf. unterschiedlichen Zielvorstellungen, bei der Auslegung sehr wohl wertend mit einzubeziehen. 56 Vgl. die Begründung zur Abänderung des § 491 Abs. 5 des 1. Entwurfs eines BGB in die Form des § 1507 Abs. 2 des 2. Entwurfs eines BGB, die dem heutigen § 1612 Abs. 2 BGB entspricht. - Protokoll Nr. 301 der "Protokolle der Kommission für die zweite Lesung des Entwurfs des Bürgerlichen Gesetzbuches", Bd. IV, Berlin 1897. -. Siehe auch Motive zum Entwurf eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Bd. IV. Berlin und Leipzig 1888, S. 704. 57 BGH NJW 1981, 574, 576, mit zahlreichen Nachweisen. 58 BGH NJW 1981, 576, r. Sp. 59 Schon das KG (JW 1935, 1438) und letztlich auch der BGH (aaO; indem er die Einwirkungsmöglichkeit auf das Kind betont) gehen von einer Korrespondenz mit Sorgerechtserwägungen aus. Dann aber kann ein neues Verständnis der Elternpflicht nach §§ 1626 ff. BGB nicht ohne Wirkung für § 1612 BGB bleiben.
4. Abschn.: Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
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wird dies in den Darstellungen des Unterhaltsrechtes im 7. Kapitel, 4. Abschnitt zu würdigen sein. Für die dogmatische Überprüfung der festgestellten rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeit ab-15jähriger sind die BGH-Wertungen hingegen ohne Bedeutung. Die Prüfung des BGH bezog sich nicht auf den realen Verfügungsbetrag der Minderjährigen und stellte damit nicht die empirisch/statistischen Ergebnisse in Frage. Gegenstand der Entscheidung war vielmehr, festzustellen, ob ein Anspruch der Minderjährigen auf eine Geldrente zu bejahen war, welcher dann gern. § 37 BAföG vom Amt für Ausbildungsförderung auf sich übergeleitet werden konnte. Auch in diesem Rechtsstreit hatte der "Mindest-Verfügungsbetrag" dem auszubildenden danach real zur Verfügung gestanden61 . Aber selbst für den Fall, daß mit dem BGH ein Anspruch selbst auf eine Teilunterhaltsrente zu verneinen wäre 62 , ist dies für die hier getroffenen Wertungen ohne Bedeutung, wenn die Wirksamkeit der Rechtsgeschäfte von der baren Bewirkung abhängt (vgl. nachf. §§ 3 u. 4). Diese Basierung der Teilmündigkeit auf der familienrechtlichen Komponente einer sich verdichtenden Elternpflicht, welcher durch Einräumung einer rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit im Rahmen der §§ 1626 f., 110 BGB Rechnung zu tragen ist bzw. welche sich in einer entsprechenden gesetzlichen Teilmündigkeitsgrenze niederschlüge, sowie der Realkomponente des Bewirkens, welche von § 110 BGB in der herrschenden Auslegung berücksichtigt ist und welche entsprechend von einer gesetzlichen Regelung vorzusehen wäre, läßt Raum auch für eine restriktive Handhabung des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB. § 1612 BGB steht einer Teilmündigkeitszuerkennung somit nicht entgegen. § 3 Rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Schnittpunkt von Verkehrs-, Minderjährigen- und EIterninteresse
A. Die Minderjährigenposition
Für Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres ist entsprechend den vorstehenden Ausführungen (unter "B") davon auszugehen, daß eine Handlungskompetenz im Rahmen des "Mindest-Verfügungsbetrages" in der Regel real besteht. Dem haben die Sorgeberechtigten in Erfüllung der "pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge" zu entsprechen. Sie müssen den Minderjährigen den "Mindest-Verfügungsbetrag" , der diesen in der Höhe aus ihren materiellen Ansprüchen garantiert ist, in der Regel (vgl. vorstehen60 Vgl. Zenz, ZRP 1977, 195. Wawrzyniak, ZbIJugR 1979, 383; E. Schwerdtner, NJW 1977,1269; Moritz, RdJB 1977,264; Fehnemann, ZbIJugR 1980, 605, 610 ff. 61 Zu der praktischen Handhabung der Konflikte nach § 1612 unter Einschaltung sozialer Dienste vgl. im übrigen die Nachweise bei Wawrzyniak, ZbIJugR 1979, 383, 385 f. 62 BGH NJW 1981, 576.
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den § 2, unter "C IV") auch tatsächlich zur Verfügung stellen. Anzustreben ist die Überlassung in einer Summe. Die rechtsgeschäftliche Handlungskompetenz bzw. die Verpflichtung der Sorgeberechtigten zur Anerkennung dieser Kompetenz durch Gewährung von Mitteln setzt aber des weiteren voraus, daß eine unverhältnismäßige vermögensrechtliche, aber auch eine inadäquate physisch/psychische Selbstgefährdung der Minderjährigen ausgeschlossen ist. Diese Einschränkung ergibt sich ebenfalls aus dem Gebot der "pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge". Die Garantie der materiellen Primärbedürfnisse Wohnen und Nahrung steht nach der getroffenen Definition außerhalb des "Mindest-Verfügungsbetrages" . Allein die fehlende Befriedigung dieser Mindestbedürfnisse könnte jedoch existenzgefährdend sein. Wo eine solche Gefährdung ausscheidet, fehlt es an der Berechtigung elterlichen Einwirkens. Insbesondere bedeutet dies, auch Extremverhalten (z. B. Verspielen des "Mindest-Verfügungsbetrages" am Flipper-Automaten) tolerieren zu müssen, so lange sich das Kindesverhalten im Rahmen der straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Vorschriften hält. Die Aufgabe der Eltern besteht also darin, in der Zeit vor dem 15. Geburtstag des Kindes das Erlernen des Umgangs mit Geld zu ermöglichen. Bei den vorauszusetzenden kognitiven und verfahrensmäßigen Fähigkeiten des Jugendlichen l bildet die Anerkennung der rechtsgeschäftlichen Handlungskompetenz im Rahmen des "Mindest-Verfügungsbetrages" den für die psychische Entwicklung gerade notwendigen Vertrauensbeweis2 . Zum Gesichtspunkt der möglichen psychischen Gefährdung ist auf die obigen Ausführungen zur psychischen Entwicklung hinzuweisen3 • Danach kann eine existente Emotionalbindung als sicherstes Mittel gegen eine psychische Gefährdung gelten4 • Wo zwangsweises Einwirken ausscheidet, weil schon tatsächlich eine durchgängige Überwachung unmöglich ist, bildet die positive, partnerschaftliehe emotionale Bindung die einzige reale Möglichkeit der (argumentativen) Beeinflussung. Wo dieser Weg nicht (mehr) gegeben ist, wird dem Erfordernis der Vorbeugung psychischer und sonstiger Gefährdungen durch Anerkennung der Grenze der straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Vorschriften (insbesondere das JÖSchG, §§ 145, 180, 182, 242 ff., aber etwa auch §§ 303, 317 StGB u. a.) Rechnung getragen. Dies bedeutet zunächst, daß die Sorgeberechtigten im Rahmen ihrer Befugnisse nach § 1631 BGB dem Jugendlichen Betätigungen untersagen, welche Gefährdungen der genannten Art mit sich bringen. Nur wenn der "Mindest-Verfügungsbetrag" 1
4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B III und C.
Zu diesen Zusammenhängen vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11. 1.1., m.w.N. 3 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 C 11 sowie § 2 A 11. 4 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III 3.2.2.2. 2
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zur Finanzierung straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlich sanktionierter Aktivitäten benutzt wird oder auch, wenn eine Verwahrlosung droht, liefert der Jugendliche damit einen Beweis seiner Inkompetenz. Neben den allgemeinen sorgerechtlichen Maßnahmen kommt in diesen Fällen die Sanktion der Entziehung des "Mindest-Verfügungsbetrages" für die Zukunft in Betracht. Auch dagegen könnte sich der Jugendliche an das Jugendamt oder Vormundschaftsgericht wenden; deren Aufgabe läge in diesem Fall darin, die Eltern zu unterstützen und zu versuchen, dem Jugendlichen sein Fehlverhalten einsichtig zu machen. Zur Vermeidung einer Gefährdung des Vermögens des Kindes genügt die Reduzierung der Kompetenz auf bar bewirkte Geschäfte, entsprechend den von Literatur und Rechtsprechung zu § 110 BGB angeführten Argumenten5 sowie auf den Rahmen des "Mindest-Verfügungsbetrages" . Hat der Minderjährige somit in der Vergangenheit seine Inkompetenz durch entsprechendes Verhalten nachgewiesen und ist ihm daraufhin (begründet) der "Mindest-Verfügungsbetrag" teilweise oder (in Extremfällen) gänzlich entzogen worden, entfiele wegen Fehlens von Barmitteln damit zugleich das Wirksamkeitserfordernis barer Abwicklung für etwa dennoch getätigte Geschäfte. Entsprechendes gilt, wenn dem Minderjährigen aus familienrechtlichen Gründen ausnahmsweise der "Mindest-Verfügungsbetrag" nicht ausgezahlt wird; tätigt er dennoch Geschäfte, so fehlt es an der baren Abwicklung und damit, zu Lasten des Geschäftspartners, an der Rechtswirksamkeit des Geschäfts. Nicht unwirksam aufgrund des fehlenden baren Bewirkens sind dagegen Geschäfte, welche der Minderjährige zum Beispiel aus nicht abgelieferten Mitteln oder aus gespartem Geld finanziert. Das Beispiel des unterschlagenen oder gestohlenen Geldes macht die sorgerechtliche Verknüpfung des "Mindest-Verfügungsbetrages" besonders deutlich. Denn es besteht kein Anlaß, von der Wirksamkeit der geschlossenen Geschäfte abzuweichen und den Minderjährigen insoweit gegenüber gleich handelnden Erwachsenen zu privilegieren. Es obläge den Eltern, auf dieses Vorkommnis so zu reagieren, daß sie die Zahlung eines "Mindest-Verfügungsbetrages" für die Zukunft zunächst einstellen sowie die Beköstigung des Minderjährigen tatsächlich an den als Existenzminimum ausgewiesenen Werten zu orientieren, bis der Schaden bezahlt ist. Entsprechendes gilt für den Verbrauch von Spargeldern. Als einzige Problemfälle verbleiben jene der real nicht existenten Kompetenz (= übermäßiges Zurückbleiben der psychischen Entwicklung). Wie sich aus den Erörterungen zur psychischen Entwicklung ergibt, handelt es sich bei derartigen Entwicklungsdefiziten um Ausnahmen. Eine solche Abweichung zwischen realem Können und Erscheinungsbild ist dem Gesetz indes nicht 5 StaudingerlDi1cher, 12. Aufl., § 110, Rn. 1; Lindacher (1976), S. 537,540; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 110, Rn. 7 f.; Medicus (1979), S. 75.
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fremd; eine entsprechende Konstellation liegt den §§ 104 ff. BGB zugrunde. Beim ab-15jährigen gelten im (als selten zu prognostizierenden) Fall fehlender Kompetenz die §§ 106 ff. BGB; im Falle des § 104 Ziff. 2 BGB gelten die §§ 104 f. BGB. Die Beweislastverteilung regelt sich entsprechend den zu den §§ 104 f. BGB vertretenen Grundsätzen6 ; d. h., die Eltern, welche in der Regel die fehlende reale Kompetenz ihrer Kinder behaupten werden, haben diese gegenüber dem Geschäftspartner in Vertretung des Kindes zu beweisen. Aus der Sicht der Jugendlichen ist somit die Anerkennung einer rechtsgeschäftlichen Handlungskompetenz ab-15jähriger im Rahmen des "MindestVerfügungsbetrages" geboten. Die Betragsbeschränkung garantiert zugleich die Wahrung des unverzichtbaren psychischen und vermögensrechtlichen Mindestschutzes; andererseits trägt die Gewährung der Teilmündigkeit den psychischen Entwicklungsmomenten Rechnung. Den insoweit erforderlichen Mindestschutz garantiert die Beachtung der straf- und ordnungswidrigkeitsrechtlichen Grenzen sowie die Befugnis der Personensorgeberechtigten, (nur) in Extremfällen den "Mindest-Verfügungsbetrag" in Ausübung der Personensorge zurückzuhalten. B. Die Bedeutung der Elteminteressen
Die sozio-/psychologischen Interessen der Eltern sind, wie ausgeführt7 , als "stilles Sinn-Interesse" berücksichtigt. Dieses hat in bezug auf die Frage der rechtsgeschäftlichen Betätigung Minderjähriger keine Bedeutung. In Betracht käme insoweit allenfalls das Interesse der Eltern, nicht zu einem Verhalten genötigt zu sein, welches mit den zivilrechtlichen Grundsätzen (der §§ 1626 ff. BGB) oder gar mit strafrechtlichen (§ 170 d StGB) Normen kollidierte bzw. nach sonstigen öffentlich-rechtlichen Normen (§§ 1 III, 55 1,62,64 JWG) als Verletzung der elterlichen Pflichten zu qualifizieren wäre. Schließlich haben die Eltern ein Interesse daran, materiell nicht übermäßig belastet zu werden. Die familienrechtlichen Regelungen der §§ 1626 ff. BGB stehen unter dem Vorbehalt des Kindeswohls. Dieses wird durch Gewährung der rechtsgeschäftlichen Handlungskompetenz unter Sicherung vor einer Gefährdung der materiellen und psychischen Existenz, wie dies vorstehend unter "A I" im einzelnen entwickelt wurde, gerade konkretisiert. Die auf diese Weise definierte "maximale Freiheit", unter Vermeidung der Existenzgefährdung, stellt nach der hier vertretenen Ansicht gerade die vom Gesetz geforderte Interpretation dar. Diese Übereinstimmung mit den §§ 1626 ff. BGB schließt zugleich eine Pflichtverletzung i. S. d. JWG aus und erfüllt schließlich nicht den subjektiven und objektiven Tatbestand des § 170 d StGB. 6 7
Vgl. BGH LM Nr. 2 zu § 104 BGB sowie OLG Saarbrücken NJW 1973, S. 2065. 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B II 1.1.
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Einwände gegen die Gewährung von Teilmündigkeiten für die Minderjährigen können somit allenfalls im Hinblick auf die vermögensrechtlichen Interessen der Eltern in Betracht kommen. Durchschlagen könnte hier die Kindespflicht, auf die Vermögensinteressen der Eltern Rücksicht zu nehmen 8 • Es stellt sich also die Frage, ob bei den zugrunde gelegten beengten finanziellen Verhältnissen der Familie tatsächlich ein Anspruch des Minderjährigen auf den "Mindest-Verfügungsbetrag" anzuerkennen ist, den dieser ggf. - entsprechend dem angeführten Beispiel - am Flipperautomat verspielt. Den Interessen der Eltern wird nach Maßgabe der unter § 2 C IV dieses Abschnitts zur Begründung des "Anspruchs" auf den "Mindest-Verfügungsbetrag" genannten Gesichtspunkten Rechnung getragen. Allein ein von den Eltern nicht gebilligtes Verbrauchen des Geldes genügt nicht zur Kürzung oder Streichung des Betrags. Auch das Gegenseitigkeitsprinzip taugt in diesem Fall als Argument gegen die Anerkennung eines "Anspruchs" auf den "Mindest-Verfügungsbetrag" sowie eine entsprechende rechtsgeschäftliehe Handlungsfähigkeit nur dann, wenn die Vorstellung von einem Familienbudget zuträfe und die "sinnlose" Ausgabe des "Mindest-Verfügungsbetrages" somit die materiellen Mittel der Familie direkt schmälerte oder indirekt, indem bei einem "Verschleudern" der Gelder ein entsprechender Unterhalts anspruch erneut auflebte. All' diese Voraussetzungen sind indes nicht gegeben. Zunächst resultiert der "Mindest-Verfügungsbetrag" aus Individualansprüchen des Minderjährigen. Im Hinblick auf die geringe Betragshöhe scheidet auch eine Unterhaltsverpflichtung des Minderjährigen auf der Basis dieses Betrages aus. Soweit der "Mindest-Verfügungsbetrag" aus einem Unterhaltsanspruch des Minderjährigen resultiert, besteht auch dieser nur, soweit für die Unterhaltsverpflichteten die materielle Grundausstattung garantiert ist9 ; andernfalls entsteht zugunsten des Minderjährigen der Subsidiäranspruch nach dem BSHG. Die Beschränkung auf die geringe Betragshöhe des "Mindest-Verfügungsbetrages" schließt somit nicht zu akzeptierende nachteilige Wirkungen auf die materielle Ausstattung der anderen Familienmitglieder aus. Unterhalts- und die sonstigen gesetzlichen bzw. quasi-gesetzlichen Ansprüche entstehen zudem nur einmal. Ein "sinnloses" Ausgeben des "Mindest-Verfügungsbetrages" läßt den Anspruch nicht erneut entstehen. Wegen der Möglichkeit, den "Mindest-Verfügungsbetrag" im Falle drohender Verwahrlosung (also bei oftmaligem, fortlaufendem "Verschleudern" des Geldes) zurückzubehalten lO , entfällt auch eine Zweitleistung wegen eines akuten Notfalles (i. S. d. § 1611 Abs.2BGB).
8 Zur Herleitung dieser Verpflichtung vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 1.2. m.w. N. 9 Zum Sonderfall des § 1612 BGB; vgl. vorstehend, § 2 DIll, 3. 10 Vgl. die vorstehenden Ausführungen unter "A.".
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Die Reduzierung auf bar erfüllte Geschäfte schließt endlich die Überschuldung des Minderjährigen aus. Somit ist festzustellen, daß anzuerkennende Elterninteressen der Zuerkennung rechtsgeschäftlicher Teilmündigkeiten ab-15jähriger für Bargeschäfte im Rahmen des "Mindest-Verfügungsbetrages" nicht entgegenstehen. C. Verkehrsinteresse
Das Interesse der am Rechtsverkehr mit Minderjährigen beteiligten Dritten geht dahin, die Rechtsfolgen der abgeschlossenen Geschäfte beurteilen und auf dieses Resultat vertrauen zu können ll . Eine Sicherheit besteht in der herrschenden Auslegung z. Zt. nur insofern, als die Geschäfte, denen nicht ausdrücklich zugestimmt wurde, im Zweifel unwirksam sind 12 . Die Konzentration des Konfliktpotentials im Bereich des fortgeschrittenen Minderjährigenalters 13 weist dabei darauf hin, daß in bezug auf diese Altersgruppe die Verkehrsunsicherheit besonders spürbar ist. Die Verkehrssicherheit erfordert verläßliche, überschaubare und praktikable Daten 14 . Dem Verkehrsinteresse ist am besten gedient, wenn, entsprechend der Volljährigkeit, ab einem bestimmten Alter von der vollen Handlungsfähigkeit ausgegangen werden kann. Die Kombination ,,15. Geburtstag! Mindestverfügungsbetrag" nötigt zur Beachtung von zwei Daten an Stelle (nur) des Geburtsdatums bei der vollen Geschäftsfähigkeit. Auch die Beachtung von zwei Komponenten dürfte indes kaum zu Schwierigkeiten führen. Die Definition des "Mindest-Verfügungsbetrages" mit 1/3 des "MindestAnspruchswertes" gewährleistet zudem eine stete Aktualisierung. So werden die Mindest-Unterhaltssätze für nichteheliche Kinder durch die Regelunterhaltsverordnung sowie für eheliche Kinder durch die (harmonisierten) OLGTabellen alle zwei Jahre überprüft. Diese Daten und folglich die Feststellung des 1/3-Wertes sind damit ohne weiteres zugänglich. Die Beschränkung auf bar erfüllte Geschäfte entspricht der bisherigen Praxis zu § 110 BGB15. Mit der 1/3-Wertgrenze ist dem Bedürfnis nach Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit entsprochen. Dem Prinzip der Praktikabilität widerspräche es indes, die 1/3Wertgrenze auf das monatliche Geschäftsvolumen und nicht auf das Einzelgeschäft zu beziehen, denn für den Geschäftspartner ist nur das Einzelgeschäft überschaubar. Die Wertgrenze des "Mindest-Verfügungsbetrages" auf das Vgl. im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 A. Vgl. in § 2 Ades 2. Abschnitts dieses (5.) Kapitels. 13 Vgl. in § 2 B des 2. Abschnitts dieses (5.) Kapitels. 14 Zum Problem der materiellen Richtigkeit vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 A III 2. 15 StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 110, Rn. 1; Lindacher (1976), S. 540 f.; Medicus (1979), S. 75; Schilken, FamRZ 1978,642. 11
12
4. Abschn.: Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag de lege ferenda
345
jeweilige Einzelgeschäft zu beziehen, begegnet jedoch keinen Bedenken. Denn die Beschränkung auf bar erfüllte Geschäfte gewährleistet, daß der Minderjährige im Rahmen seines wirtschaftlichen Könnens handelt. Bei reichlichen Barmitteln ist ihm der Abschluß von zum Beispiel mehreren Einzelgeschäften bis zu jeweils DM 100,- möglich. Die Beschränkung auf die bare Bewirkung der Geschäfte verhindert, daß sich der Minderjährige über seine wirtschaftlichen Möglichkeiten hinaus engagiert 16 • So fehlt es etwa bei der Kreditaufnahme am baren Bewirken; sie wäre auch nicht nach den sonstigen Regelungen der §§ 107 ff. BGB gedeckt, so daß eine wirksame Verschuldung ausscheidet. Bei einer deliktischen Beschaffung der Geldmittel wäre ein mit diesen bewirkter Vertrag rechtmäßig. Gleichwohl ist ein Fall der unverhältnismäßigen vermögensrechtlichen Selbstgefährdung nicht gegeben. Denn das Geschäftsvolumen ist auf den "Mindest-Verfügungsbetrag" beschränkt, also auf die Summe, welche dem Minderjährigen allmonatlich erneut zur Verfügung steht. Selbst in dem Fall, daß der Minderjährige mehrere Geschäfte im Umfang des "Mindest-Verfügungsbetrags" tätigt, führte dies im Extremfall lediglich zu der nicht einschneidenderen Konsequenz, als daß der Minderjährige ggf. über Monate den ihm zustehenden "Mindest-Verfügungsbetrag" zur Schulden begleichung verwenden müßte. Am Ende stellt diese Konsequenz eine sogar wünschenswerte erzieherische Maßnahme dar. Und auch der Rechtsverkehr ist hinreichend gesichert, indem er auf die Gültigkeit der Verträge vertrauen kann. Bringt sich der Minderjährige mehrmals in die Lage der Überschuldung mit Hilfe entwendeter Gelder o. ä., so bildete dieser Umstand einen Hinweis auf seine fehlende reale Kompetenz. Diesen Umstand hätten die Eltern, in Vertretung des Kindes, erst gegenüber dem Geschäftspartner zu beweisen 17 ; dazu wären die konkreten Einzelumstände darzulegen, aus denen sich, ggf. mit Hilfe eines sachverständigen Gutachtens, die real noch fehlende Verantwortlichkeit und Einsichtsfähigkeit ergibt. Ein gelungener Nachweis widerlegte die Vermutung der Kompetenz und machte das Rechtsgeschäft ungültig. Die Konstellation entspricht inhaltlich und verfahrensmäßig dem zu § 104 BGB vorgesehenen Weg. Von einer Unzumutbarkeit für den Rechtsverkehr kann deshalb nicht ausgegangen werden. Andererseits entspricht es aber dem erzieherischen Risiko, daß die Eltern dafür Sorge tragen, daß das Kind zu derartigen Diebstählen größeren Ausmaßes (über DM 100,- !) keine, und erst recht nicht des öfteren Gelegenheit hat. Da der "Mindest-Verfügungsbetrag" die Geldsumme bezeichnet, welche dem Minderjährigen unter Sicherung seiner Grundbedürfnisse real zur Verfügung steht, der ihm jedenfalls aber zuzurechnen ist, fehlt es an einer Vergleichbarkeit der in den Motiven zu den §§ 107 ff. BGB geschilderten Gefahr der übermäßigen Vermögensgefährdung 18 . Denn der "Mindest-Verfügungsbetrag" begrenzt die Selbstverschul16
17
18
Entsprechend zu § 110 BGB: Gitter, aaO, § 110 Rn. 1 und 3. Vgl. schon vorstehend unter "A". Motive I (1888), S. 148.
346
5. Kap.: Handlungen im alIgemeinen Rechtsverkehr
dung. Die Einzelzustimmung durch die Vertretungsberechtigten sollte nach den Motiven dagegen verhindern, daß sich der Minderjährige übermäßig verschuldet 19 • Aus der Sicht des Rechtsverkehrs stellt es eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Wertung dar, wenn systemgerecht nach dem hier vertretenen Ansatz auch Ratenverträge autonom nur mit einer monatlichen Belastung in Höhe des "Mindest-Verfügungsbetrages" abgeschlossen werden können - und wie bisher Gültigkeit erst mit vollkommener Bezahlung erlangen -. Daß die 1I3-Wertgrenze auch bei der Ratenhöhe beachtet werden muß, ist nur konsequent und entspricht damit den Bedürfnissen des Rechtsverkehrs nach Überschaubarkeit und Verläßlichkeit. Auch die Beschränkung der Teilmündigkeiten auf bar erfüllte Geschäfte, mit der Ausklammerung anderer als Geldgeschäfte, trägt zur Konkretisierung und damit zur Überschaubarkeit bei. Die Beachtung der besonderen Schutzvorschriften des Jugend- und Strafrechts (z. B. Verkaufsverbote bestimmter Waren) ist schließlich Teil der zu erwartenden allgemeinen Rechts- und Gesetzestreue; Bedenken gegen die Installierung einer rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeit vom 15. Geburtstag an ergeben sich daraus nicht. Somit spricht auch das Verkehrsinteresse für die Anerkennung einer rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeit mit 15 Jahren für bar bewirkte vermögensrechtliche Geschäfte bis zur Grenze des "Mindest-Verfügungsbetrages". D. Ergebnis und Vorschlag für die gesetzestextliehe Installierung einer TeihnÜDdigkeitsstufe 15. Geburtstag
Nach allem ist es gerechtfertigt und geboten, eine Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag anzuerkennen. Dies wirkt sich in der bestehenden Rechtslage dahin aus, besteht nicht der Sonderfall einer ausnahmsweise fehlenden realen Kompetenz des Minderjährigen, daß sich die Elternpflicht dahin verdichtet, dem Minderjährigen ab Vollendung des 15. Lebensjahres den "Mindest-Verfügungsbetrag" real zur Verfügung zu stellen und im Sinne des § 110 BGB zu überlassen. Eine nach außen wirkende generalisierbare Mündigkeitsstufe ergibt sich daraus jedoch nicht. Die Anerkennung einer verbindlichen Teilmündigkeitsstufe setzt eine entsprechende gesetzliche Regelung voraus. Diese könnte etwa erfolgen in einem Abs. 2 zu § 110 BGB folgenden Inhalts: "Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres gelten für solche Verträge als voll geschäftsfähig, welche den Betrag von 1/3 der Regelsätze für den Kindesunterhalt nicht übersteigen und bei denen der Minderjährige die vertragsmäßige Leistung bar bewirkt. Abweichend gelten auch insoweit die Vorschriften für Minderjährige 19
Vgl. Motive I (1888), S. 134 ff., 147 f.
5. Abschn.: Rechtsgeschäftliehe Betätigung unter-15jähriger
347
nach Vollendung des 7. Lebensjahres, wenn der Minderjährige bei Abschluß des Vertrages oder bei Bewirkung der vertragsmäßigen Leistung nicht die zur Erkenntnis der Erklärungsbedeutung nötige Einsicht hat; das Fehlen der Einsichtsfähigkeit ist vom Minderjährigen nachzuweisen."
5. Abschnitt
Rechtsgeschäftliche Betätigung unter-15jähriger; insbesondere die Bedeutung eines Anspruches auf Taschengeld und seine Wirkung für die Auslegung der §§ 107 ff. BGB § 1 ÜberiegungsBDsatz
Die Anwendung der vorstehenden Überlegungen auf Kinder bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres scheidet aus. Es fehlt schon an der entsprechenden, als verläßlich zu prognostizierenden Kompetenz, wie diese bei den Jugendlichen ab 15 Jahren vorauszusetzen war. Ein Generalkonsens kommt nicht in Betracht. Eine Generaleinwilligung schließlich bezieht sich nach ihrer Konzeption auf ältere Minderjährige!, 2. Neben der individuellen Genehmigung konkreter Geschäfte nach §§ 107 f. BGB kommt für unter 15 Jahre alte Minderjährige eine bedingte rechtsgeschäftliche Betätigung nach Maßgabe des § 110 BGB in Betracht. Eine - wegen der Unterscheidung zwischen einem "Anspruch" auf Zurverfügungstellung und der (konkludenten) Zustimmung nach § 110 BGB - (nur) relative rechtsgeschäftliehe Teilmündigkeit könnte sich für Minderjährige unter 15 Jahren dann ergeben, wenn von einem Anspruch der Kinder auf Taschengeld auszugehen wäre und somit die Entscheidung der gesetzlichen Vertreter darüber nicht mehr in ihrem freien Ermessen läge, ob Mittel zur Verfügung gestellt werden und welcher Betrag den Kindern i. S. d. § 110 BGB zu "überlassen" ist.
*2 Dogmatik des § 110 BGB Die Wirksamkeit eines Vertrages im Rahmen des § 110 BGB hängt davon ab, daß dem Minderjährigen die "Mittel ... von dem Vertreter oder mit dessen Zustimmung von einem Dritten überlassen worden sind". Die Freiwilligkeit des Überlassens i. S. eines unabhängigen autonomen Entschlusses kommt in dieser Formulierung des § 110 BGB nicht zum Ausdruck. Durch den inhaltlich/systematischen Zusammenhang mit den Regelungen zur Perso1 2
Siehe im obigen 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels, § 1 B. Vgl. BGH NJW 1977, 622.
348
5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
nensorge 1 scheidet eine Entscheidung am Kindeswohl vorbei und ohne Reflexion über die Kindesinteressen jedoch aus. Sollte somit unter Kindeswohlgesichtspunkten die Überlassung von Taschengeld und das Erfordernis des freien Umganges mit diesen Mitteln gefordert sein, so wären auch die Mittel, welche die gesetzlichen Vertreter dem Jugendlichen in Erfüllung der solchermaßen fixierten Verpflichtungen aushändigten bzw., wozu einzuwilligen sie bei Übergabe durch Dritte verpflichtet wären, "überlassen" i. S. d. § 110 BGB. Insofern wäre es denkbar, über § 110 BGB zu einer (jedenfalls) faktischen Teilmündigkeit für Minderjährige unter 15 Jahren zu gelangen, sofern ein Anspruch auf Taschengeld anzuerkennen und dieser zugleich betragsmäßig festzulegen wäre. § 3 Der Anspruch auf Taschengeld
A. Meinungsstand § 110 BGB bezieht sich nicht nur auf "Taschengeld" im eigentlichen Sinne!, aber auch auf Taschengeldzahlungen2 . Taschengeld wird in der juristischen Literatur als Nebenaspekt bei der Bezifferung des Unterhaltsanspruchs behandelt, ohne daß die Frage eines Rechtsanspruchs auf Taschengeld im einzelnen erörtert würde 3 . In der pädagogischen Literatur wird von einem Anspruch des Kindes auf Taschengeld ausgegangen4, wobei einige ausdrücklich einen "Rechtsanspruch" des Kindes gegen seine Eltern auf Überlassung von Taschengeld zubilligen5 • Offen bleibt jedoch die rechtsdogmatische Konstruktion eines solchen "Anspruchs".
B. Dermition und entwicklungspsychologische Funktion von Taschengeld
Homann 6 spricht 1970 von einer "Tradition" der "Zuteilung eines wöchentlichen Taschengeldes". Auf dieser Grundlage ließe sich allenfalls ein gewohnheitsrechtlicher Anspruch konstruieren, bei dem die Bestimmung des Leistungsumfanges den gesetzlichen Vertretern obläge. Unabhängig von der Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., vor § 104, Rn. 3. H. M.; vgl. statt aller: Staudinger/DiIcher, 12. Aufl., § 110, Rn. 9 und 10 m. w. N.; Safferling, Rpfl1972, 124. 2 StaudingerlDilcher, aaO; Gitter, aaO, § 110, Rn. 11. 3 Vgl. Beitzke, Lehrb., § 25 IV 7; Henrich (1980), § 10 I 3; Schwab (1984), Rn. 523. 4 Vgl. in der nachfolgenden Fn. sowie Schlisske (1962), S. 7 und Schmidt-Rogge (1969), S. 398 f. 5 HoferlHartmann (1973), S. 351; Müller/Küppers (1972), S. 249; Ullstein (1969), S.276. 6 (1970), S. 38; ähnlich Diekmann (1975), S. 45. 1 1
5. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Betätigung unter-15jähriger
349
Frage nach der rechtstechnischen Ausgestaltung ist bei Entwicklungspsychologen und Pädagogen das Erfordernis eines eigenen Taschengeldes unbestritten. Auf die Gefahren für die kindliche Psyche bei Nichtzahlung von Taschengeld weist Schlisske7 hin. Danach fühlt sich das Kind ohne Taschengeld benachteiligt gegenüber den Kameraden mit Taschengeld. Gerade jene Kinder, welche angeblich nur das Notwendigste bekommen, erhielten (über Zahlungen für Bleistifte, Hefte etc.) viel zu viel Geld. Das Vorenthalten von Geld erziehe dazu, jede verfügbare Geldsumme sofort auszugeben. In einer konsumorientierten GesellschaftS ist das Erlernen des Umganges mit Geld jedoch eine wichtige "Erziehungsaufgabe" . Die Mehrzahl der Autoren in der pädagogischen Literatur spricht sich deshalb dafür aus, den Kindern frühestens ab Schuleintritt9 , spätestens von ca. der 2. Klasse, also vom 7. Jahr an lO , Taschengeld zu geben. Taschengeld hat zunächst Orientierungsfunktion. Die Kinder müssen die Möglichkeit haben, das Verhältnis von Angebot und Nachfrage sowie die Möglichkeit und Grenzen des Kaufens zu erfahren. Übereinstimmung besteht darüber, daß Taschengeld ohne "Auflagen" zu erteilen ist u . Die Regulierung habe zu erfolgen über die Bemessung der Höhe. Entsprechend der kognitiven Entwicklung dient die Anfangszeit dem Erlernen des Umgangs mit Geld. Begreifbar gemacht werden soll die Funktion des Geldes; dem steht in dieser Phase nach einhelliger Ansicht die Überlassung von Taschengeld als Spargeld entgegen 12 . Das Kind kann noch nicht auf bestimmte Ziele hin planen; auf ein Konto gezahlte Gelder "sind für das Kind weg". Erst im 8., spätestens um das 10. Jahr herum, ist Zielsparen möglich 13 • In dieser Periode ist das Taschengeld daher so reichlich zu bemessen, daß die Erfüllung persönlicher Wünsche sowie grundsätzlich auch Sparen möglich sind. Zunehmend wird jetzt auch der Etat erhöht und werden aus diesem der Kauf von Schulmaterialien sowie die Entrichtung von Vereinsbeiträgen, Fahrgeld etc. bestritten 14 • Etwa mit 12 Jahren ist die kognitive Entwicklung abgeschlossen 15 • Von der Sinnhaftigkeit der Überlassung von Taschengeld unter entwicklungspsychologischen Gründen ist somit auszugehen, das Vorenthalten von (1962), S. 8; s. auch Schmidt-Rogge (1969), S. 398 f. Vgl. schon Moritz (1974), S. 14 f.; s. auch die Einschätzung der Jugend ,77 bei Mehnert (1978), S. 130, mit H. Dohm in FAZ vom 10. 3. 1977. 9 HoferlHartmann (1973), S. 351 f.; Schönfeld (1971), S. 270; Ullstein (1969), S.276. 10 So ausdrücklich Schlisske (1962), S. 7; ähnlich Homann (1970), S. 38; Wiedner (1968). 11 Vgl. die Zitate der vorstehenden zwei Fußnoten. 12 Dieckmann (1975), S. 45; HoferlHartmann (1973), S. 352; Schlisske (1962), S. 29 f.; Schönfeld (1971), S. 270; Schmidt-Rogge (1969), S. 398 f. 13 Müller/Küppers (1972), S. 249; Schlisske (1962), S. 30; Schönfeld (1971), S. 270. 14 Homann (1970), S. 38; HoferlHartmann (1973), S. 352; Müller/Küppers (1972), S. 249; Schlisske (1962), S. 12 f.; Schönfeld (1971), S. 270. 15 Vgl. schon im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B. 7
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Taschengeld hat grundsätzlich entwicklungshemmende Wirkungen. Unklar ist jedoch, welche rechtlichen Konsequenzen sich aus diesen Feststellungen ergeben. C. Rechtliche Beurteilung eines "Anspruchs" des Kindes auf Taschengeld
Angesichts der "Erziehungswirksamkeit" des Taschengeldes wäre dessen Ansiedlung im Bereich der §§ 1626 ff. BGB denkbar. Auch die Neufassung des Rechts der elterlichen Sorge hält jedoch an der Unterscheidung zwischen einerseits den von den Kindesbedürfnissen inhaltlich absolut bestimmten Schutzrechten der Eltern gemäß §§ 1626 ff. BGB sowie andererseits den einer Neuregelung nicht unterworfenen vermögensrechtlichen Ansprüchen der Verwandten gemäß §§ 1601 ff. BGB fest 16 • Einfallstür der Vorschriften des fünften Titels in die vermögensrechtlichen Regelungen des dritten Titels ist § 1610 BGB. Nach den vorstehenden Ausführungen hat Taschengeld eine lehrende Funktion. Insofern könnten Taschengeldzahlungen als "Kosten der Erziehung" i. S. d. § 1610 Abs. 2, letzter Halbsatz BGB aufgefaßt werden. Den Kindern stände als subjektives vermögenswirksames Recht ein Taschengeldanspruch gegen ihre Unterhaltsverpflichteten zu, welcher sich nicht aus den §§ 1626 ff. BGB, sondern aus den §§ 1601,1610 Abs. 2 BGB begründete. Richtig ist an diesem Ansatz, daß Taschengeld keine Schenkung oder ähnliches darstellt, sondern einen Teil des Unterhalts bildet 17 • Es gehört zu jenen Teilen, welche über den notwendigen Unterhalt hinausgehen. Entsprechend ist Taschengeld als in den Sätzen der Unterhaltstabellen eingearbeitet anzusehen. Denn die Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte umfassen (bei Berücksichtigung des Naturalunterhalts durch den Sorgeberechtigten) den gesamten Lebensbedarf, also auch die Bedürfnisse des Unterhaltsberechtigten, die über den notwendigen Unterhalt hinausgehen 18 . Aus dieser Einschätzung aber folgt, daß Taschengeld als integrierter Unterhaltsbestandteil nicht separat unterhaltsrechtlich geltend gemacht werden kann; einer solchen separaten Geltendmachung und ggf. gerichtlichen Durchsetzung ist der Sonder- und Zusatzbedarf vorenthalten 19 • Entsprechend den obigen Ausführungen zum "Mindest-Verfügungsbetrag"20 ist auch hier zudem zwischen der unterhaltsrechtlichen Basis und dem 16 Vgl. BT-Drucks. 7/2060 sowie die Neuvorlage des "Entwurf(es) eines Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge" in BT-Drucks. 8/111. 17 Ebenso Beitzke, Lehrbuch, § 25 IV 7. 18 Vgl. PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 1; SchleswSchlHA 1979, 222. 19 Vgl. im einzelnen auch im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 2 A III m. w. N.
5. Abschn.: Rechtsgeschäftliche Betätigung unter-15jähriger
351
im Personensorgebereich angelegten Gesichtspunkt eines "Anspruchs" auf Zurverfügungstellung von Geldmitteln zu unterscheiden. Die Zurverfügungstellung von Taschengeld ist entwicklungspsychologisch sowie pädagogisch gefordert. Die Frage der Zurverfügungstellung von Taschengeld betrifft somit den Anspruch des Minderjährigen gegen die Sorgeberechtigten auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge21 • Aus diesem Anspruch resultiert der familienrechtliche "Anspruch" des Kindes gegen seine Personensorgeberechtigten auf Zurverfügungstellung eines angemessenen Taschengeldes. Dabei besteht für die Festlegung der Angemessenheit ein Interpretationsvorrang der Eltern, welche sich ihrerseits jedoch wegen der gegebenen Kindeswohlbindung nicht unbegründet über als anerkannt geltende Leitlinien hinwegsetzen können. Somit ist festzusteHen, daß ein Anspruch des Kindes auf Taschengeld grundsätzlich anzuerkennen ist. Die Zahlungen erfolgen als Teil der Unterhaltsleistungen 22 • Der Minderjährige hat auf die Zurverfügungstellung des Taschengeldes lediglich einen familienrechtlichen "Anspruch" im Rahmen eines "Anspruchs" gegen die Sorge berechtigten auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge. Bei der Erbringung der Leistungen steht den Sorgeberechtigten ein breites Ermessen zu. So obliegt ihnen die Bestimmung, ob sie das Kind mit dem PKW zur Schule fahren wollen oder ihm das Fahrgeld zur Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel aushändigen; ebenso ist ihnen nicht verwehrt, dem Kind Sachmittel auszuhändigen. Grundsätzlich darf jedoch Bargeld nicht vorenthalten werden, um die Lernfunktion aus dem Umgang mit Geld nicht ernsthaft zu beeinträchtigen. Andererseits hat der Minderjährige auch insoweit auf die Leistungsfähigkeit der Sorgeberechtigten als Unterhaltsschuldner Rücksicht zu nehmen. Die Klassifizierung des "Anspruchs" auf Zurverfügungstellung von Taschengeld als "familienrechtlicher ,Anspruch'" hat zur Konsequenz, daß der Minderjährige insoweit einen konkreten Zahlungsanspruch nicht durchzusetzen vermag. Es kommen allein Maßnahmen - in der Regel- des Vormundschaftsgerichtes23 im Rahmen des § 1666 BGB in Betracht, wobei die Wirksamkeit dieses "Instrumentariums" zusätzlich davon beeinfIußt wird, inwieweit Minderjährigen unter 14 Jahren eigene Anregungsrechte zum Jugendamt und Gericht zuzubilligen sind (vgl. dazu im 6. Kapitel).
Vgl. im 4. Abschnitt dieses (5.) Kapitels. Zu letzterem vgl. Gernhuber (1980), S. 708; Hinz (1966), S. 23; Münder, AKBGB, § 1626, Rn. 2. 22 Ggf. über § 12 Abs. 2 BSHG. 23 Zum Rechtsweg vgl. schon im 4. Abschnitt, § 2 D IV 2 dieses (5.) Kapitels. 20 21
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
D. Grundsätze über die Höhe des Taschengeld-"Anspruchs" und Wirkungen rur die Anwendung des § 110 BGB
Der Umfang des Taschengeldanspruchs richtet sich nach den altersabhängigen Bedürfnissen des Kindes. Orientierungen können hierbei die Vorschläge in der pädagogischen Literatur sein. Ein Bestimmungsrecht der Eltern existiert insofern, als grundsätzlich ihnen die pflichtgebundene Feststellung darüber obliegt, zu welchem Zeitpunkt die geschilderten kognitiven Phasen erreicht sind. Die wirtschaftlichen Interessen der Eltern finden in dem durch § 1612 Abs. 2 BGB gesetzten Rahmen Berücksichtigung, wobei in der Regel zumindest ein kleines Taschengeld zu gewähren ist, um die Lernfunktion von Taschengeld zu gewährleisten. Fraglich ist, ob der festgestellte familienrechtliche "Anspruch" der Minderjährigen entsprechende Folgen im Rahmen des § 110 BGB hat, wie dies hinsichtlich des "Mindest-Überlassungsbetrags" für Jugendliche angenommen wurde. Unabhängig von der dogmatischen Konstruktion wäre Voraussetzung für die Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe auch für Minderjährige unter 15 Jahren, daß der familienrechtliche "Anspruch" auf Zurverfügungstellung von Taschengeld in seiner Höhe konkret zu beziffern wäre und daß Kompetenzstufen verläßlich zu benennen sind. Es ist schon mehrmals der Versuch unternommen worden, feste Taschengeldsätze, nach Lebensaltern gestaffelt, festzusetzen 24 • Jahre mit Inflationsraten um 5 % haben gezeigt, daß die Angaben fester Beträge nur kurzlebig sind. Wichtiger aber ist, daß die genannten Beträge, jedenfalls für die Stufen bis zum 12. Geburtstag, nur eine geringe Höhe aufweisen. Der Übungscharakter 24 Vgl. die Tabelle bei Hofer-Hartmann, aaO, S. 351 f., nach einem Vorschlag des Stadtjugendamtes München:
ab 7 8 9 10 11 12
Schuleintritt Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre Jahre
wöchentlich wöchentlich wöchentlich wöchentlich monatlich monatlich monatlich
-,50 DM -,60 DM -,80 DM 1,-DM 5,-DM 6,-DM 7,-DM
Demgegenüber empfehlen Diekmann (1975), S. 45 und Diekmeyer (1976, 1981), S.45: 6 7 8 9
Jahre Jahre Jahre Jahre
wöchentlich wöchentlich wöchentlich wöchentlich
1,-DM 1,40 DM 1,90 DM 2,50 DM
und sodann soviel, daß das Kind etwas für größere Anschaffungen zurücklegen kann.
5. Abschn.: Rechtsgeschäftliehe Betätigung unter-15jähriger
353
der Geldüberlassung kommt schon dadurch zum Ausdruck. Somit ist festzustellen, daß ein familienrechtlicher "Anspruch" der Kinder auf Überlassung von Taschengeld existiert. Dieser ist so zu bemessen, daß jedenfalls bei ab8jährigen Kindern - diese sind zu planerischem Denken und z. B. zum Zielsparen i. d. R. fähig 25 -, eine Entscheidung über Ausgabealternativen oder etwa ein Zusparen auf größere Objekte möglich ist. Für den Rechtsverkehr weisen der Lebenssachverhalt und die Tatsache des Anspruches des Kindes auf Taschengeld darauf hin, daß bei Bargeschäften mit geringerem Wert eine konkludente Zustimmung nach § 110 BGB gegeben ist. Wegen der Unbestimmtheit der Taschengeldhöhe trägt aber, entgegen meiner früheren Ansicht26 , der Rechtsverkehr die - wegen der geringen Betragshöhe freilich kaum relevante - Gefahr einer ggf. fehlenden Zustimmung. Aus der Elternpflicht auf Überlassung von Taschengeld ergibt sich jedoch eine Neubewertung des § 110 BGB, indem, soweit sich der Geschäftsumfang im Rahmen der anzuerkennenden Taschengeldbeträge hält, eine Umkehr der Beweislast entsteht. Die gesetzlichen Vertreter haben in Vertretung des Kindes nachzuweisen, daß im Einzelfall eine konkludente Zustimmung nicht vorlag bzw. ggf. auch die Entwicklung des Kindes die Überlassung bestimmter Beträge noch nicht zuließ. Entsprechendes gilt für die Phase nach Vollendung des 12. Lebensjahres. Nur handelt es sich in dieser Vorphase der mit dem 15. Geburtstag eintretenden Teilmündigkeit um höhere Beträge als bei Kindern unter 12 Jahren. Der spätestens mit 12 Jahren eintretende Abschluß der kognitiven Entwicklung ermöglicht Zielsparen über längere Zeiträume27 • Spätestens in diesem Alter kann vom Rechtsverkehr jedes den persönlichen Bedarf des Minderjährigen deckende Geschäft als rechtswirksam betrachtet werden (also der Kauf von Fahrscheinen und Fahrkarten im Nahverkehr, allgemeiner Billet- sowie vor allem Schulbücherkauf, der Erwerb von im Preis durchschnittlichen Kleidungsstücken und von gewöhnlichem Sport- und Freizeitzubehör etc.)
25 Vgl. insoweit: Piaget (1981), Piaget / Inhelder (1941) sowie entsprechend auch Binet und Simon, nach Federn / Meng (1952), S. 196,197. Auf das wesentliche zusätzliche Moment der sozialen Umwelt habe ich schon in DB 1979, 1167 hingewiesen; vgl. im einzelnen auch Moritz / Meier (1982), S. 52ff, 210ff., 227ff. 26 DB 1979, 11691. Sp. 27 Vgl. schon Moritz DB 1979, 1165ff.
23 Moritz
354
5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
E. Ergebnis Für Kinder unter 15 Jahren scheiden Teilmündigkeiten entsprechend denen für Minderjährige über 15 Jahren aus. Maßstab für die Beurteilung bleiben insoweit die §§ 107 ff. BGB. Für den Rechtsverkehr weisen der Lebenssachverhalt und die Tatsache des familienrechtlichen "Anspruchs" des Kindes auf Taschengeld darauf hin, daß bei Bargeschäften mit Taschengeldniveau entsprechend dem Lebensalter eine konkludente Zustimmung der gesetzlichen Vertreter entsprechend § 110 BGB gegeben ist. Einen Einschnitt stellt der 12. Geburtstag insofern dar, als nunmehr jedes dem gewöhnlichen persönlichen Bedarf des Minderjährigen deckende Bargeschäf~ als rechtswirksam betrachtet werden kann. Dazu zählen Fahrschein- und allgemeine Billetkäufe sowie insbesondere der Erwerb von Schulbüchern und Unterhaltungsliteratur, von im Preis durchschnittlichen Kleidungsstücken normaler Ausstattung sowie der Kauf von entsprechend dem Lebensalter des Kindes angemessenem gewöhnlichen Sport- und Freizeitzubehör. Die Elternpflicht auf Überlassung von Taschengeld führt zu einer Neubewertung des § 110 BGB, indem im Rahmen der anzuerkennenden Taschengeldbeträge eine Umkehr der Beweislast besteht, nach welcher die gesetzlichen Vertreter in Vertretung des Kindes nachzuweisen haben, daß entgegen dem Anschein eine konkludente Zustimmung (nach § 110 BGB) nicht vorlag.
6. Abschnitt
Konsequenzen des rechtspolitischen Lösungsvorschlags der Einführung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag und ein Vergleich mit dem geltenden Recht § 1 SteUenwert der eigenen Wertungen für die aktueUe Konßiktlösung sowie die zu unterscheidenen Arten der Rechtsverhältnisse
Unabhängig von der (im 4. Abschnitt) vorgeschlagenen Ergänzung des
§ 110 BGB durch die Legislative besteht auch schon heute eine sich aus dem
Kindeswohlvorbehalt ergebende Verpflichtung der Eltern, dem Kind eine rechtsgeschäftliche Handlungsfreiheit in den beschriebenen Grenzen von "Vollendung des 15. Lebensjahres/,Mindest-Verfügungsbetrag'" zu gewähren, soweit dem individuell nicht eine real dem Minderjährigen fehlende Kompetenz entgegensteht. Die real beim Minderjährigen existierende Selbstbestimmungskompetenz hat in der momentanen Rechtslage die Konsequenz der Schrumpfung des Elternermessens auf Null. Wirkungen ergeben sich dar-
6. Abschn.: Einführung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag
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aus grundsätzlich jedoch nur auf der Ebene zwischen den Eltern und ihren Kindern. Im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge sind die Sorgeberechtigten gegenüber ihren Kindern grundsätzlich verpflichtet, diesen eine rechtsgeschäftliche Betätigung zu ermöglichen. Eine Verletzung dieser Elternpflicht führt allein zu sorgerechtlichen Konsequenzen nach den im 5. Kapitel im einzelnen zu erörternden Grundsätzen. Im Verhältnis gegenüber Dritten bleibt es dagegen bei dem grundsätzlichen Zustimmungsvorbehalt der gesetzlichen Vertreter zu Rechtsgeschäften der Minderjährigen. Die Zustimmung erfolgt unmittelbar nach § 107 (§§ 182 ff.) BGB oder im Rahmen des § 110 BGB. Den Eltern steht aber insbesondere in Zweifelsfällen ein Ermessen darüber zu, ob und inwieweit sie den Minderjährigen eine rechtsgeschäftliehe Betätigung gestatten. Die - gg{; auch konkludente - Zustimmung nach § 107 BGB oder über § 110 BGB kann nicht einfach unterstellt werden. Die Verhaltenspflichten der §§ 1626 Abs. 2,1627 BGB machen die Erklärung einer Zustimmung nach den §§ 107 ff., 182 ff. BGB nicht entbehrlich. Insofern besteht nach dem momentanen Rechtszustand keine für den Rechtsverkehr verläßliche Teilmündigkeitsstufe. Konsequenzen ergeben sich aus den Feststellungen einer im Regelfall real existierenden Selbstbestimmungskompetenz jedoch insofern, als die These von der Beachtlichkeit auch innerer Vorbehalte der Vertretungsberechtigten gegen konkrete Geschäfte der Minderjährigen nicht aufrecht zu erhalten ist. Werden den Jugendlichen Gelder zur freien Verfügung überlassen, so kann der Vertragspartner bei Nichtvolljährigen nach Vollendung des 15. Lebensjahres bei einem Geschäftsvolumen bis zur Höhe des Mindestverfügungsbetrages grundsätzlich auf die Gültigkeit des Rechtsgeschäftes vertrauen, wurde die Leistung durch den Minderjährigen bar erbracht. Die gesetzlichen Vertreter hätten in Vertretung des Kindes nachzuweisen, daß entgegen dem Anschein eine konkludente Zustimmung (nach § 110 BGB) nicht vorlag, also keine Überlassung zur freien Verfügung erfolgte. Die folgenden Einzelfallentscheidungen sollen vor allem aufzeigen, welche Konsequenzen sich im konkreten Fall bei Anerkennung der prinzipiellen Geltung der §§ 107 ff. BGB und des Entscheidungsvorbehaltes der Vertretungsberechtigten für die rechtsgeschäftliche Betätigung Minderjähriger aus den besonderen Verhaltenspflichten ergeben, welche die Sorgeberechtigten gegenüber ihren über 15 Jahre alten Kindern haben. Dabei ergeben sich Unterschiede in Abhängigkeit von der Art des konkreten Rechtsgeschäfts. Zusätzlich ist darauf einzugehen, welche Folgen eine gesetzliche Anerkennung der Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag hätte. Ihre Bedeutung läge vor allem im Bereich der Bargeschäfte. Hinsichtlich der Art der Rechtsverhältnisse im Rahmen einer rechtsgeschäftlichen Betätigung Minderjähriger hebt das Gesetz den selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäftes (§ 112 BGB) und den Dienst- und Arbeits23*
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
vertrag (§ 113 BGB) besonders hervor. Zu unterscheiden sind darüber hinaus die allgemeine rechtsgeschäftliche Betätigung (im Rahmen der allgemeinen Lebensführung) sowie die besonderen Konstellationen in familienrechtlichen Angelegenheiten (Verlöbnis, Eheschluß, Namensrecht), im Sachenrecht (Kenntnis zu §§ 993,990 BGB; Willensfähigkeit für die Sachherrschaft), nach §§ 812 ff. BGB, bei §§ 823 ff. BGB, im Vertretungsrecht - einschließlich der Geschäftsführung ohne Auftrag - sowie bei rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen (z. B. Einwilligung in Heileingriffe)l. § 2 Einzelbereiche
A. Rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit Minderjähriger bei Bargeschäften und Ratenverträgen
Die entwickelte Lösung einer rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeit ab15jähriger für (bar) erfüllte Geschäfte bis zur Höhe des "Mindest-Verfügungsbetrages" beendete die Unwägbarkeiten und inhaltlichen Widersprüche von Rechtsprechung und Literatur. Die h. M. benutzt Zustimmung und Leistungsbewirkung als zwei Möglichkeiten des Wirksamwerdens nebeneinander1• Dabei wird einerseits eine enge Kontrolle durch das Erfordernis der Zustimmung jedes Einzelgeschäfts favorisiert, andererseits wird aber das Tätigwerden des Minderjährigen weitgehend der Überwachung entzogen, indem z. B. erfüllte Ratenverträge für gültig erachtet werden, wohl unabhängig von der Ratenhöhe und dem Gesamtgeschäftswert2 • Lebensalter und "Mindest-Verfügungsbetrag" sowie die Leistungsbewirkung nach der hier entwickelten Lösung nennen dagegen konkrete Bezugsdaten, bei deren Vorliegen auf die Wirksamkeit der vom Minderjährigen abgegebenen Willenserklärung vertraut werden könnte. Die Begrenzung auf den "Mindest-Verfügungsbetrag" weicht zum anderen von den Wertungen durch Safferling3 ab. Im Gegensatz zu diesem garantiert die Kombination von Alter und "Mindest-Verfügungsbetrag" zudem, daß einerseits der Handlungsfähigkeit stets eine reale Ausübungskompetenz zugrundeliegt sowie andererseits für den Rechtsverkehr verläßliche Orientierungsdaten existieren. Bei einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag schiede eine Bindung der überlassenen Beträge durch die Eltern aus. Es fehlte im Gegensatz zur Konstruktion des § 110 BGB (a. F.) nicht an einer Zustimmung bei Vertrags1 Zur entsprechenden Aufgliederung der Rechtsgeschäftstypen vgl. Köbler Jus 1979, 789ff. 1 Siehe die Nachweise in diesem 5. Kapitel, 2. Abschnitt, § 1 C. 2 Vgl. im einzelnen im 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels, §§ 1 u. 2. 3 RPfl. 1972, 124ff.
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schluß; diese läge vor, allerdings unter der aufschiebenden Bedingung der tatsächlichen baren Bewirkung des Rechtsgeschäftes durch den Minderjährigen. Daraus folgt, daß die Frage der Widerrufsmöglichkeit nach § 109 BGB bei ab15jährigen nur für solche Geschäfte relevant wäre, bei denen Vertragsschluß und Bewirken nicht zusammenfallen. Es bestände dann ein Widerrufsrecht des Geschäftspartners nach § 109 Abs. 1 BGB. Die Vorschrift fände bei Anerkeimung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag eine entsprechende Anwendung bei § 110 BGB für Rechtsgeschäfte unter-15jähriger, wie sie in der aktuellen Rechtslage generell bei § 110 BGB entsprechend gilt, da die Interessenlage bei § 110 BGB vor der Bewirkung grundsätzlich jener bei § 107 BGB vor der Genehmigung entspricht4 • Der zur Geltung des § 109 BGB bei § 110 BGB bestehende Meinungsstreit5 verlöre allerdings an praktischer Relevanz, werden bei Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag die 15-17jährigen partiell rechtlich handlungsfähig. Zweifel an der Zulässigkeit einer restriktiven Mündigkeitszuerkennung bei bar bezahlten Reiseverträgen, wie diese das AmtsGer Siegburg6 befürwortet, wurden schon geäußert und begründet? Die fixierte Teilmündigkeit bezieht sich auf rechtlich zulässige Bargeschäfte innerhalb des "Mindest-Verfügungsbetrages", also auch auf einen Reisevertrag. Bei Anerkennung einer Teilmündigkeit wäre der bar bezahlte Reisevertrag grundsätzlich wirksam; Interventionen der Eltern unter Sorgerechtsaspekten schieden grundsätzlich aus. Nach der geltenden Rechtslage setzt die Gültigkeit des Vertrages grundsätzlich die ausdrückliche oder konkludente Zustimmung der Vertretungsberechtigten voraus. Die Überlassung des Verdienstes ohne Vorbehalt, wie dies in der Entscheidung des AmtsGer Siegburg der Fall war, ist aber auch nach der geltenden Rechtslage so zu bewerten, daß die Vertretungsberechtigten dem Minderjährigen im Rahmen des § 110 BGB eine rechtsgeschäftliche Handlungsfreiheit einräumen. Die pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge gebietet auch in diesem Fall, die Entscheidung des Kindes über die Verwendung des Geldes zu tolerieren, es sei denn, der Gebrauch offenbart, daß die Entscheidungskompetenz bei dem Minderjährigen real nicht vorhanden ist. Der Reisevertrag stellt keinen so außergewöhnlichen Typus dar, daß die Anwendung des § 110 BGB entfällt. Wenn es sich somit um eine dem Minderjährigen gemäße Reise handelt, kann auch der Vertragspartner nach der Bezahlung des Reisepreises durch den Minderjährigen sowohl nach der besteSo richtig Gitter, MünchKomm, 2. Aufl., § 110 Rn. 5. Für eine Anwendung des § 109 BGB: Gitter, aaO, § 110 Rn. 5, mit Weimar JR 1969,220; Palandt / Heinrichs, § 110 Anm. 4. - Dagegen: Soergel / Hefermehl (1978), § 110 Rn. 7. 6 FrverkrEntsch 6, 270. 7 Vgl. im 2. Abschnitt dieses (5.) Kapitels, § 2 B. 4
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
henden Rechtslage als auch bei Installierung einer Teilmündigkeitsstufe auf die Gültigkeit des Vertrages vertrauen. Nur hätte der Vertragspartner nach einer Gesetzesänderung bei einem Reisepreis bis zu DM 110,- die zusätzliche Sicherheit aus der bestehenden Teilmündigkeit des/der Minderjährigen. Eine Intervention der Eltern betrifft bei der Überlassung von Geldern an Jugendliche zur freien Verfügung bzw. nach Anerkennung einer Teilmündigkeitstufe 15. Geburtstag somit grundsätzlich nur die Sorgerechtsebene. Die bei einer berechtigten elterlichen Intervention ggf. entstehenden Stornierungsgebühren sind als Tribut an die Anerkennung der von der Entwicklung des Kindes geforderten Akzeptierung seiner rechtsgeschäftlichen Kompetenzen anzusehen. Ein Schadensersatzanspruch des Kindes ist gegenüber den Eltern in dem Fall anzuerkennen, in dem die Sorgeberechtigten den Rücktritt des Kindes von der Reise erkennbar in mißbräuchlicher AusübungS der elterlichen Sorge erzwungen haben. B. Rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit bei unbaren und nichtvermögensrechtlichen Geschäften sowie im Bankverkehr I. Grundsatz
Eine rechtsgeschäftliehe Teilmündigkeit ab-15jähriger fußte auf der Kombination LebensalterlMindest-Verfügungsbetrag. Die Bezifferung des Höchstbetrages bildete den wesentlichen Orientierungspunkt für den Rechtsverkehr. Andererseits ist durch die Differenzierung zwischen "Mindest-Anspruchswert" und "Mindest-Verfügungsbetrag" auch in dem Falle, daß die vermutbare Kompetenz real nicht voll ausgebildet ist, durch Garantie der Mindestlebensbedürfnisse (Wohnen und Nahrung) eine Existenzgefährdung ausgeschlossen. Zudem ist gesichert, daß eine Vermögensgefährdung begrenzt bliebe und sich in einem zumutbaren Verhältnis zu dem Wert befände, der darin besteht, durch Zubilligung von Kompetenzen Autonomie zu erlangen. Bei nichtvermögensrechtlichen Geschäften fehlt es an einer Sicherungsmöglichkeit durch bare Erfüllung. Deshalb könnten für diese Teilmündigkeiten zu versagen sein. Das führte zu dem wenig befriedigenden Ergebnis, daß bei Geschäften, welche die Persönlichkeitsartikulation unmittelbar betreffen (z. B. Verlobung9), eine unbeschränkte Selbstbestimmung des Minderjährigen zu verneinen wäre, wogegen bei Bargeschäften eine Teilmündigkeit anerkannt würde. Die Zuerkennung rechtsgeschäftlicher Teilmündigkeiten muß jedoch ausscheiden, wenn nur die Gefahr einer unverhältsmäßigen Selbstgefährdung besteht. 8 9
Zum Mißbrauchstatbestand vgl. im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 3. Vgl. im 2. Abschnitt, § 2 A, Fn. 8 - 10.
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Auch bei Nichtvermögensgeschäften besteht die Pflicht der Eltern zur pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge. Gleichwohl gilt auch in bezug auf unbare und nichtvermögensrechtliche Geschäfte die Vermutung der prinzipiell bestehenden Kompetenz (jedenfalls) ab-15jähriger. Wo es sich jedoch nicht um Rechtshandlungen des täglichen Lebens handelt, fehlt aber ggf. - mangels praktischer Relevanz für die früheren Altersstufen - die für die Zeitspanne 12 (Abschluß der kognitiven Phase) bis 15 angesetzte Erlernung der technischen Handhabung. Da der reale Entwicklungsstand, d. h. die Beherrschung der Umgangstechniken, weitgehend von den konkreten Sozialisationsbedingungen abhängig ist 10, eine verallgemeinerungsfähige Absicherung (wie beim "Mindest-Verfügungsbetrag") jedoch ausscheidet, muß die individuelle Begutachtung der realen Kompetenz erhalten bleiben. Das bedeutet, daß auch bei Nichtvermögensgeschäften von der Existenz einer realen Kompetenz auszugehen ist. Jedoch ist wegen des Fehlens entsprechender Sicherungen der Weg ihrer Berücksichtigung unterschiedlich gegenüber baren Geschäften; d. h., die erforderliche Einzelfallbewertung obliegt den Eltern im Rahmen ihrer Sorgerechtsausübung. Durch den Kindeswohlvorbehalt ergibt sich die Verpflichtung, den begründeten Kindeswillen zu respektieren. Ein "begründeter" Kindeswille, also ein solcher, welcher bei einer Wertung aus der Kindessphäre den psychischen Bedürfnissen des Kindes entspricht und keine objektiven (insbesondere) physischen Gefahren für das Kind mit sich brächte ll , bedeutete dies, daß die Vertretungsberechtigten das dem Kindeswillen entsprechende Geschäft genehmigen müssen. Die erklärte Genehmigung bleibt für unbare Geschäfte aber weiterhin Wirksamkeitsvoraussetzung, unabhängig von der Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe. 11. Betätigung Minderjähriger im Bankverkehr
1. Sparkonten Im Bankverkehr treffen - ggf. im selben Geschäftsablauf - bare und unbare Geschäfte sowie Verträge sui generis zuammen. Im Sparverkehr folgen dem Vertrag sui generis auf Errichtung eines Sparvertrags (Konto-Eröffnungsvertrag)12 die Bargeschäfte der Einzahlung auf das Sparkonto (Darlehensvertrag) und der Abhebung vom Sparkonto (Rückzahlung aus Darlehen mit der Folge des Erlöschens in Höhe der Rückzahlungssumme ) sowie wiederum das einseitige Rechtsgeschäft der Kündigung des Sparkontos (Erklärung i. S. d. § 111 10 Vgl. schon Moritz DB 1979, 1167, m. w. N. in der dort. Fn. 44, siehe auch Moritz / Meier (1982), S. 54ff. 11 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III. 12 Zutreffend wird der Vertrag, da er seinen Sinn darin hat, daß ein Verfügen über die Spareinlage möglich wird (vgl. § 22 KWG), als nicht lediglich rechtlich vorteilhaft qualifiziert - vgl. Szagunn / Neumann (1961), § 21 Rn. 26-.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
BGB)!3. Diese Geschäfte gehen über § 110 BGB hinaus und sind deshalb nach der bestehenden Rechtslage sowie nach einer Gesetzesänderung für Minderjährige unter 15 Jahren nicht autonom zu realisieren. Hinsichtlich der Einzahlungen und Abhebungen von Taschengeldbeträgen besteht die Vermutung einer konkludenten Genehmigung nach § 110 BGB, deren Fehlen in einer Umkehr der Beweislast von den gesetzlichen Vertretern in Vertretung des Kindes nachzuweisen wäre!4. Dem Minderjährigen sind die Spareinlagen zuzurechnen; zum Umgang mit diesen bedarf er jedoch der Genehmigung der Vertretungsberechtigten, fehlt diese, so gehen Schäden zu Lasten der Bank. Anderes gilt bei Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe für Minderjährige ab 15. Der Umgang mit Sparkonten gehört zu den Verkehrsgepflogenheiten. In Höhe des "Mindest-Verfügungsbetrages"/pro Monat ist den Jugendlichen deshalb die autonome Einzahlung und Abhebung von Spargeldern gestattet. Gleiches gilt auch für die Eröffnung des Kontos als Voraussetzung des autonomen Umgangs mit den Spargeldern. Die gesetzliche Zustimmungsersetzung (§ 110 Abs. 2 n. F.) bezieht sich auf §§ 107f., 110 BGB. § 111 BGB bleibt davon unberührt; so wäre die Kündigung des Kontos durch den Minderjährigen auch nach einer Gesetzesänderung ohne Zustimmung der gesetzlichen Vertreter nicht möglich. 2. Wechsel- und Scheckrecht Nicht die Ausstellung, sondern erst die Begebung von Wechsel und Scheck begründet eine Verpflichtung aus dem Papier!5. Die Begebung von Scheck und Wechsel sind somit unbare Rechtsgeschäfte mit einer erheblichen vermögensrechtlichen Relevanz. Eine autonome rechtsgeschäftliche Handlungsfähigkeit Minderjähriger im Wechsel- und Scheckrecht scheidet nach der bestehenden!6 wie auch nach einer Gesetzesänderung der vorgeschlagenen Art durch Ergänzung des § 110 BGB aus. Ausgeschlossen ist damit die wirksame Verpflichtung des und Begebung zu Lasten des Minderjährigen!7. Auch die gesetzlichen Vertreter bedürfen der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§§ 1643 Abs. 1,1822 NT. 9 BGB). Die passive Wechsel- und Scheckgeschäftsfähigkeit richtet sich nach den allgemeinen Grundsätzen. So ist ein Vg!. im einzelnen schon Moritz DB 1979, 1165 m. w. N. Vg!. schon in diesem Kapitel, 4. Abschn., § 3. 15 RG JW 1927,1357. 16 Kunz, MDR 1980, 465, mit Baumbach I Hefermehl, Wechsel- und Scheckgesetz, 12. Aufl., 1978, Ein!. 25. -Für eine Anwendung des § 110 BGB: Staub I Stranz, WechseIgesetz, 13. Aufl., 1934, Art. 7 und 11. 17 Dies schließt die (allerdings dogmatisch bedenkliche) Konstruktion der Fiktion eines gültigen Begebungsvertrages zugunsten des Erwerbers nicht aus (vg!. BGH WM 71,744 sowie Kunz MDR 1980, 466 m. w. N. in der dort. Fn. 24), so lange daraus keine Ansprüche gegen den Minderjährigen erwachsen. 13 14
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unentgeltlicher Erwerb (bei Indossament auf den Minderjährigen) als rechtlich vorteilhaft nach § 107,2. Halbs. BGB möglich. III. Persönlichkeitsrelevante Geschäfte und rechtsgeschäftsähnliche Handlungen
1. Typisierung Zu den persönlichkeitsrelevanten Geschäften zählen vor allem die familienrechtlichen Geschäfte, aber auch die Begründung des Wohnsitzes 1?a, die Namensänderung sowie die "rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen". Letztere werden definiert als "Gestattung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Betroffenen eingreifen"18; z. B. bei der Zustimmung zum Eingriff in die körperliche Integrität (Heileingriff19) oder in die Ehre (Nacktaufnahmen20), aber auch bei der rechtfertigenden Einwilligung (etwa in die Gefährdung durch einen fahruntüchtigen Fahrer21 ), der Anerkennung der Vaterschaft (§ 1718 BGB)22 sowie der Verzeihung (§§ 532, 2337, 2343 BGB)23. 2. Persönlichkeitsrelevante Geschäfte Als nichtvermögensrechtliche Geschäfte unterliegen die persönlichkeitsbezogenen Geschäfte (entsprechend den unter "B I" entwickelten Grundsätzen) der individuellen Begutachtung durch die Eltern im Rahmen ihrer pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge. 2.1. Familienrechtliche Geschäfte Die Anwendung der rechtsgeschäftlichen Grundsätze auf familienrechtliche Geschäfte bedeutet, daß bezüglich der Verlobung der herrschenden Vertragstheorie gefolgt wird24 . Danach ist zur Gültigkeit der Verlobung die Zustimmung der gesetzlichen Vertreter erforderlich. Diese dürfen die Zustimmungin einer Umkehr der Beweislast - jedoch nur versagen, wenn ein als begründet anzusehender Kindeswille nicht vorhanden ist. Erforderlich sind konkrete 17. Zur zutreffenden Klassifizierung als geschäftsähnliche Handlungen vgl. BGHZ 7, 104,109, sowie Gitter, MünchKomm, 2. Aufl., § 7 Rn 19, m. w. N. der unterschiedlichen Auffassungen. 18 Vgl. BGHZ 29,33,36, mit Larenz, SchuldR, 2. Aufl., § 66 e 1. 19 BGHZ 29, 33ff. 20 Vgl. z.B. OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742. 21 BGHZ 34,354, 360ff. 22 Köhler JuS 1979, 793; v. Tuhr, BGB II 1, S. 363. 23 Vgl.: Gitter, MünchKomm, 2. Aufl., vor § 104 Rn. 85; v. Thur, BGB II 1, S. 363. 24 Vgl. die Nachweise im 2. Abschnitt, § 2 A, Fn. 8 - 10.
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Anhaltspunkte - so z. B., daß die Bedeutung der Verlobung nicht erkannt wird, oder etwa, bei nicht nur unbedeutenden strafrechtlichen Aktivitäten, daß auch entsprechende künftige Handlungen des Partners oder des Minderjährigen selbst wahrscheinlich sind-. Besonderes zur Willensabgabe beim Eheschluß ergibt sich aus § 3 Abs. 1 EheG. Danach bedarf der Minderjährige zur Eingehung der Ehe der Einwilligung der gesetzlichen Vertreter. Ebenso normiert das EheG (vgl. § 3 Abs. 3) das Prinzip der Umkehr der Beweislast, indem eine Einwilligung nur im Falle "triftiger Gründe" verweigert werden darf. Andernfalls kann das Vormundschaftsgericht die Einwilligung ersetzen; dem minderjährigen Verlobten steht insoweit ein eigenes Antragsrecht zu (§ 3 Abs. 3 EheG). Der Eheschluß hat viel weitgehendere rechtliche Konsequenzen als die Verlobung (vgl. einerseits §§ 1297 ff. BGB sowie andererseits §§ 1353 ff. BGB). Entsprechend sind die Voraussetzungen für eine bedingte personale Autonomie zu verschärfen. D. h., daß über die zur Verlobung genannten Gründe hinaus eine positive Zukunftsprognose erforderlich ist bzw. ist das Fehlen einer solchen als "triftiger Grund" zur Verweigerung der Einwilligung anzusehen. Dazu zählen insbesondere der persönliche und wirtschaftliche Einstandswille der Verlobten füreinander; die reale wirtschaftliche Lage ist entgegen Diederichsen25 für die anstehende Prüfung der persönlichen Voraussetzungen allenfalls insoweit von Relevanz, als konkrete Vorstellungen der Verlobten darüber bestehen müssen, wie sie sich die wirtschaftliche Sicherung denken; dabei sind durchaus auch Quellen nach den Sozialgesetzen in die Überlegungen mit einzubeziehen. Nicht erforderlich ist, daß dringende Gründe für die Einwilligung beständen. Ebenso setzt die Ersetzung der Einwilligung durch das Vormundschaftsgericht nicht voraus, daß die Einwilligungsberechtigten mit der Zustimmungsverweigerung ihr Sorgerecht mißbrauchen26 • Dies ergibt sich aus der aus dem Gesetz zu folgernden Umkehr der Beweislast zu Lasten der Einwilligungsberechtigten . 2.2. Wohnsitz Der Wohnsitz des Minderjährigen ist grundsätzlich jener des Personensorgeberechtigten (§ 11 Satz 1 BGB). Von dem Grundsatz fehlender autonomer Begründung oder Aufhebung des Wohnsitzes (§ 8 Abs. 1 BGB) gelten Ausnahmen für Minderjährige, die verheiratet sind oder waren (§ 8 Abs. 2 BGB); § 11 S. 3 BGB bezieht sich auf die Fälle fehlender Vertretung und stellt deshalb keine Ausnahme zum Grundsatz der Vertreterabhängigkeit dar.
25 26
Palandt / Diederichsen, § 3 EheG Anm. 5. So richtig BayObLG FamRZ 1983, 66.
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2.3. Namensänderung Die Beachtlichkeit des Kindeswillens ab-5jähriger (vgl. § 1617 Abs. 2 S. 1 BGB) sowie generell ab-14jähriger bei der Namensänderung machen §§ 1617 f. BGB sowie §§ 1757, 1617 BGB deutlich; bei Zustimmung der gesetzlichen Vertreter ist wiederum die Pflichtgemäßheit der Sorgerechtsausübung zu beachten27 • § 4 NamÄndG bestimmt die automatische Erstreckung einer Namensänderung der Sorgeberechtigten auf die Kinder. § 1720 BGB betrifft nur einen familienrechtlichen Sonderfall (der "Legitimation nichtehelicher Kinder") und hat insbesondere den Wortlaut des § 4 NamÄndG unberührt gelassen28 . Gleichwohl gilt auch bei § 4 NamÄndG der Erklärungsvorbehalt ab-14jähriger29 • Für die Behörde begründet Heinrich 30 die Beachtlichkeit des Erklärungsvorbehaltes aus der "Einheit der Rechtsordnung", welche die anderenorts erfolgte Stärkung des Persönlichkeitsrechts der Kinder zu beachten habe. Dies ist jedoch nur die eine Seite. Den Erklärungsvorbehalt ab-14jähriger zu beachten, folgt für die Eltern aus der Sorgerechtsverpflichtung. In Erfüllung des Grundsatzes der Rechtmäßigkeit der Verwaltung hat die Behörde nun ihrerseits in Ausfüllung des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG die gesetzliche Neudefinition der Stellung der Minderjährigen zu berücksichtigen und die Vorlage einer Einverständniserklärung des Minderjährigen zu verlangen.
3. Rechtsgeschäftsähnliche Handlungen
3.1. Meinungsstand und eigene Stellungnahme (Jedenfalls) seit der Entscheidung des Bundesgerichtshofes vom 5. Dezember 195831 wird in der Rechtsprechung prinzipiell anerkannt, daß für "rechtsgeschäftsähnliche Handlungen" eine Mündigkeit Minderjähriger möglich und im Einzelfall zu prüfen ist32 • Damit sollte dem Umstand Rechnung getragen werden, daß das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen gebietet, diesem mit zunehmender Reife in persönlichen Fragen eine eigene Entscheidung zu über27 Dies bedeutet, daß dem Antrag (der Sorgeberechtigten) nur entsprochen werden darf, wenn ein "wichtiger Grund" die Änderung rechtfertigt (BVerwG, Vrt. v. 1. 10. 1980 - 7 C 112.78 -; zust. OVG Hamburg FamRZ 1982, 187, 188, und OVG Bremen FamRZ 1982, 190, 191). Der "wichtige Grund" orientiert sich am Kindeswohl und, in diesem, vor allem am rationalen bzw. emotionalen Kindeswillen. 28 Ebenso Soergel / Heinrich (1978), § 12 Rn. 96; vgl. auch BT-Drs 7/3119, S. 6. 29 Ebenso Soergel / Heinrich, aaO; wohl auch Diederichsen NJW 1976,1169,1174. 30 AaO. 31 BGHZ 29, 33ff.; vgl. auch die Nachweise - aaO, S. 35f. - des früheren Meinungsstandes. 32 Vgl. BGHZ 29, 33, 36; BGH FamRZ 1972, 89f. = NJW 1972, 335, 337; BGH FamRZ 1974, 595 = NJW 1974, 1947.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
lassen 33 . Besonders Bosch34 hielt es von Anbeginn für "nicht überzeugend, bei der Gestattung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen ... die Schutzbedürftigkeit des Minderjährigen ... grundsätzlich zu verneinen und ... auf die konkrete Einsichtsfähigkeit ... abzuheben. Gegenstand seiner Kritik war vor allem das Erfordernis der Einzelfallprüfung bzw. das Fehlen konkreter Mündigkeitsdaten, wobei er eine von den §§ 107 ff. BGB abweichende Staffelung ursprünglich für durchaus möglich hielt35 . Schon Bosch36 deutete an, was jüngst P. Schwerdtner37 erneut anmerkte, daß die Erweiterung der Kompetenzen Minderjähriger für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen durch den BGH ihren Ausgangspunkt bei einem Tatbestand hatte, bei dem die gesetzlichen Vertreter nicht erreichbar waren 38 . Auch bei dieser Fallkonstellation war aber natürlich die Möglichkeit der Bestellung eines Pflegers gegeben. Die Kompetenzerweiterung kann somit nicht darauf zurückgeführt und reduziert werden, daß einem tatbestandlichen Sonderfall Rechnung zu tragen war. Vielmehr erkennt der Bundesgerichtshof in der Entscheidung eine Korrelation zwischen persönlicher Reife und der Zubilligung einer Entscheidungskompetenz an. Strittig ist nach wie vor a) die insbesondere altersmäßige Fixierung dieser Kompetenz. Dies steht im Zusammenhang mit der weiteren Frage b) nach möglichen Auswirkungen bzw. dem Verhältnis einer Entscheidungskompetenz bei rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen zur Handlungskompetenz für Rechtsgeschäfte, welche mit der Realisierung der persönlichen Belange im engen Zusammenhang stehen (z. B.: Einwilligung zur Operation und Dienstvertrag über die Durchführung der Operation). a) Auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen sind heute nach einhelliger Auffassung die §§ 107 ff. BGB nicht unmittelbar anwendbar39 . Der BGH klassifiziert die "Gestattung der Ermächtigung zur Vornahme tatsächlicher Handlungen, die in den Rechtskreis des Gestattenden eingreifen" als exculpierende oder schadenverteilende "Einwilligung"40, mit der Folge, daß in Vgl. (zuletzt) OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742, 743 I. Sp. Anm. in FamRZ 1959, 202f. zur obigen BGH-Entscheidung; vgl. auch jüngstens ders., Anm. in FamRZ 1983, 744 zur Entscheidung des OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742ff. 35 Bosch FamRZ 1959, 203; anders wohl ders. in FamRZ 1983, 744. 36 FamRZ 1959, 203. 37 Jura 1983, Jura-Kartei zu § 12 BGB; Besprechung der Entscheidung OLG Karlsruhe, Vrt. v. 31. 3.1983 - 4 V 179/81-. 38 Vgl. BGHZ 29,33, 34f; die Eltern des Kindes lebten in der "sowjetisch besetzten Zone" und man befürchtete, daß eine Anfrage aus der Bundesrepublik zu Repressalien für die Eltern führen könnte. 39 Vgl. BGHZ 29,33,36 sowie LG Münschen I in NJW 1980, 646 m. w. N. Zur Entwicklung des Meinungsstandes in der Rechtsprechung vgl. Gitter, MünchKomm, 2. Auft., vor § 104 Rn 88ff.; siehe auch schon die Nachweise im obigen 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 1. 40 BGHZ 29, 34, m. w. N.; ablehnend:Staudinger / Donau, 11. Auft., § 1626 Rn. 76ff.; Erman / Ronke, 7. Auft., § 1626 Anm. 16. 33 34
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Anwendung des Gedankens des § 828 Abs. 2 BGB auf die tatsächliche Einsichtsfähigkeit abzustellen sei41 . Das Recht auf Selbstbestimmung bei existenter Einsichts- und Willensfähigkeit wird auf dem Umweg über § 828 Abs. 2 BGB gewährt. Die Durchbrechung des sonst streng gehandhabten Minderjährigenschutzes erstaunt. Die Entwicklung der Rechtsprechung zum "Handeln auf eigene Gefahr"42 zeigt zudem die Mühe, die es dem BGH bereitet hat, ein rechtspolitisch favorisiertes Ergebnis rechtsdogmatisch zu begründen. Die Schaffung einer a-typischen Einwilligung ist aber streng genommen eine Konstruktion außerhalb des Systems und widerspricht zudem der sonstigen Handhabung des Minderjährigenschutzes. Das Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen und die daraus resultierende Befugnis zur a-typischen Einwilligung fungieren hier allein als Vehikel zur Entlastung Dritter; bei der Einwilligung zur Operation etwa zur Freistellung des Arztes (rechtstechnisch wäre die a-typische Einwilligung Rechtfertigungsgrund43 i. S. d. §§ 223 ff. StGB bzw. des § 823 BGB44). Als altersmäßige Abgrenzung schlägt Bosch45 eine Lösung de lege ferenda in Anlehnung an das Datum der Religionsmündigkeit (14 Jahre) vor. Köhler46 vertritt die Auffassung, daß für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen die für Willenserklärungen bestimmten Regeln analog gelten. Neue Literatur beruft sich auf § 36 SGB-I und folgert, daß Minderjährige vom 15. Lebensjahr an solche rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen wirksam vornehmen könnten, welche mit dem sozialrechtlichen Bereich im inhaltlichen Zusammenhan~ stehen47 , z. B. auch die Einwilligung zur Operation48 • Eine analoge Anwendung des § 36 SGB-I für andere nichtvermögensrechtliche Geschäfte wird für möglich gehalten49 . Die Herleitung einer weitergehenden rechtsgeschäftlichen Teil-Mündigkeit aus § 36 SGB-I wird dagegen im Ergebnis verneint 50 . Es bleibt also bei der Trennung zwischen rechtsgeschäftlicher und rechtsgeschäftsähnlicher bzw. persönlichkeitsbezogener Betätigung. Dies aber zeigt, daß auch § 36 SGB-I es erfordert, sich über die rechtliche Qualität rechtsgeschäftsähnlicher Handlungen Gedanken zu machen. Insbesondere aber löst § 36 SGB-I nicht die Problematik, die sich aus der Divergenz zwischen real bestehender Kompetenz und der Versagung von Mündigkeiten ergibt.
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BGHZ 29, 34; 34, 355, 360ff. Vgl. die Nachweise bei Gitter, MünchKomm, 2. Aufl., vor § 104 Rn. 82ff, 86ff. BGHZ 29, 36f., m. w. N. Vgl. schon Moritz JA 1981, 187. FamRZ 1959, 203. JuS 1979,793. Vgl. die Nachweise im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 1 Fn. 18. Vgl. die Nachweise im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 1 Fn. 19. Vgl. die Nachweise im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 1 Fn. 20. Siehe insbesondere: Coester FamRZ 1985, 985; Kohte AcP 185 (1985), S. 151.
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Daß es sich bei den angesprochenen rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen um vergleichbare Tatbestände wie bei rechtsgeschäftlichem Gerieren handelt, kann nicht ernsthaft bestritten werden. Der Vergleichbarkeit stand in der Vergangenheit allenfalls entgegen, daß für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen auf die konkrete Reife abgestellt wurde, wogegen nach herrschendem Verständnis für das rechtsgeschäftliche Handeln Minderjähriger abstrakte Prämissen maßgebend sein sollten, welche dem Gesichtspunkt der individuellen Mündigkeit grundsätzlich nicht Rechnung trugen. Daß spätestens seit den Reformen durch das VOlljährigkeitsgesetz i. V. m. der Sorgerechtsneuregelung eine Beurteilung angezeigt ist, welche weitgehend auch bei der rechtsgeschäftlichen Betätigung Minderjähriger die individuelle reale Kompetenz zu berücksichtigen hat, wurde in den vorstehenden Erörterungen dieses Kapitels ausgeführt. Nur in diesem Sinne ist Bosch51 beizupflichten, wenn er jetzt eine unterschiedliche Bewertung der rechtsgeschäftlichen und der rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen Minderjähriger verneint. Es ist vielmehr dem Vorschlag Köhlers einer analogen Anwendung der §§ 107 ff. BGB auf rechtsgeschäftsähnliche Handlungen zu folgen, da diese sich als dogmatisch sauberer und interessengerechter erweist. Dabei ergibt sich aus § 36 SGB-I jedoch eine Teilmündigkeit für den Gesamtbereich der im SGB enthaltenen bzw. als besondere Teile des SGB geltenden Gebiete. Auch darüber hinaus schließt jedoch die analoge Anwendung der §§ 107 ff. BGB Kategorisierungen nach Rechtsgeschäftstypen sowie die Fixierung von Altersstufen nicht aus, von denen an die Eltern ihre Einwilligung so lange nicht verweigern können, wie im Einzelfall nicht Umstände gegeben sind, die von den Erfahrungswerten abweichen. b) Die Frage nach dem Verhältnis zwischen der Entscheidungskompetenz bei rechtsgeschäftlichen Handlungen und bei der Betätigung in den rechtsgeschäftlichen Folgegeschäften ist in den vorangehenden Ausführungen schon mitbehandelt. Auch die Befürworter einer möglichen Kompetenz für rechtsgeschäftsähnliche Handlungen treten bei den rechtsgeschäftlichen Folgegeschäften für eine streng restriktive Handhabung der §§ 107 ff. BGB ein; grundsätzlich gefordert wird eine explizit erklärte Zustimmung52 • Daß dies die zuvor so großzügig anerkannte Selbstbestimmung bei den rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen weitgehend aufhebt, wird dabei in Kauf genommen oder ist sogar beabsichtigt53 • Auch diejenigen, welche die Problematik der Divergenz aus realer Kompetenz und Mündigkeitszuerkennung erkennen, sehen sich aus
Anm. zu OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 744. Vgl. Medicus (1982), S. 80 sowie Schwerdtner, aaO. - Inwieweit die von Bosch (FamRZ 1983, 744) favorisierte, rechtsdogmatisch fragwürdige "Generaleinwilligung auch das rechtgeschäftliche Handeln umfassen soll, bleibt offen. 53 Vgl. insbesondere die nachstehend behandelten Fälle des LG München I (NJW 1980,646) sowie des OLG Karlsruhe (FamRZ 1983, 742ff.). 51
52
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Gründen der Verkehrssicherheit an einer weitergehenden Mündigkeitszubilligung gehindert54 • Somit eröffnen auch insofern die hier getroffenen Vorschläge zur Anerkennung einer Teil-Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag eine neue Perspektive. Denn es stellt sich heraus, daß die schwierigere Frage jene nach der Kompetenz einer verläßlichen Beurteilung der persönlichen Belange ist; dort kann die zu frühe Zubilligung einer Selbstbestimmung ggf. irreparable Schäden bewirken. Dagegen wäre durch Einführung des Gesichtspunktes "Mindestverfügungsbetrag/Lebensalter" bei der vermögensrechtlichen Betätigung ein "Schutz" der Minderjährigen weitgehend garantiert. Dies führt dazu, daß der herkömmliche Ansatz, nach dem Selbstbestimmung bei rechtsgeschäftlichem Handeln verneint sowie bei rechtsgeschäftsähnlichem Betätigen bejaht wird, auf den Kopf zu stellen ist und statt dessen gilt: Wenn die persönlichkeitsrechtliche Beurteilungsfähigkeit zu bejahen ist, so muß dies (im Rahmen der Beurteilungsprämissen "MindestverfügungsbetraglLebensalter") für die rechts geschäftlichen Folgegeschäfte erst recht gelten. Dies bestätigt die referierte Auffassung, daß auch ohne gesetzliche Fixierung einer Teil-Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag die Sorge berechtigten im Verhältnis zum Kind unter dem Gesichtspunkt des "Anspruchs" des Kindes auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge im Regelfall, also wenn keine begründeten Zweifel an der Existenz einer realen Kompetenz des Kindes bestehen, verpflichtet sind, dem von dem Jugendlichen beabsichtigten oder getätigten Rechtsgeschäft zuzustimmen. Die Frage der Handlungsfähigkeit Minderjähriger bei persönlichkeitsbezogenen Geschäften und das Problem der Unterscheidung zwischen rechtsgeschäftsähnlichem und rechtsgeschäftlichem Handeln wurde jüngst vor allem bezüglich des Schwangerschaftsabbruchs bei Minderjährigen sowie der Herstellung von "Nacktfotos" relevant. 3.2. Umsetzung des eigenen Ansatzes Fall55 :
3.2.1. Beispiel: Schwangerschaftsabbruch
Die 16jährige Betroffene, eines von drei Kindern der Eheleute Z., ist in der 10. Woche schwanger. Aus religiösen Gründen haben die Eltern ihre Zustimmung zu einem Schwangerschaftsabbruch wegen sozialer Notlage verweigert. Sie haben sich bereit erklärt, das Kind zu adoptieren oder einen finanziellen Beitrag zur selbständigen Lebensführung der Betroffenen mit ihrem Kind zu leisten. Die Betroffene beantragte, ihren Eltern im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Gewalt insoweit einzuschränken, als sie die Zustimmung zur Abtreibung betrifft, und sie auf das Stadt jugendamt als Pfleger zu übertragen. 54 55
Vgl. die Nachweise in der vorstehenden Fn. 50. Nach LG München I, Beschluß vom 24. 7. 1978 -13 T 8767/78 - =NJW 1980, 646.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
Der Antrag und die gegen dessen Zurückweisung eingelegte Beschwerde der Betroffenen hatten keinen Erfolg.
Die tragenden Gesichtspunkte der ablehnenden Entscheidung durch das Landgericht München I bestehen darin, daß das Gericht zwischen rechtsgeschäftlichem und rechtsgeschäftsähnlichem Handeln unterscheidet; trotz Anerkennung geistiger Reife der Minderjährigen für den rechtsgeschäftlichen Teil verneint das Gericht gleichwohl eine Pflicht der Eltern aus ihrem Sorgerecht, den Behandlungsvertrag zu genehmigen. Werden die vorstehend entwickelten und begründeten Maßstäbe herange~ zogen, so ergibt sich, daß zur Beurteilung des Falles zunächst auf die rechtsgeschäftsähnliche Seite die §§ 107 ff. analog anzuwenden sind, unter Beachtung der Teil-Mündigkeitsgrenze aus § 36 SGB-I für den sozialrechtlichen Bereich sowie im übrigen der Teil-Mündigkeitsgrenze 15. Geburtstag, mit der Folge eines familienrechtlichen "Anspruchs" der Minderjährigen gegen ihre Sorgeverpflichteten auf Erklärung der Zustimmung. Arzt- und Krankenhausleistungen gehören zum originären Bereich des Sozialversicherungsrechts. Insofern gilt auch dort die Teil-Mündigkeit des § 36 SGB-I "Vollendung des 15. Lebensjahres"56. Insofern ist jene Ansicht im unteren Bereich zu korrigieren, welche eine Handlungs- und Einsichtsfähigkeit schon bei 14-18jährigen annahm57 . Im Rahmen des § 36 SGB-I ist eine zusätzliche Befragung der Eltern nicht mehr erforderlich58 . Zu beachten ist jedoch die Tragweite eines ärztlichen Eingriffs. Deshalb ist entsprechend den Richtlinien zur Blutgruppenbestimmung und Bluttransfusion59 nur ein aus der Interessensphäre des Minderjährigen her medizinisch indizierter Eingriff zulässig. Entsprechend der h. M. ist zusätzliche Voraussetzung für die Legitimierung der Körperverletzung durch Einwilligung seitens des Minderjährigen eine angemessene Aufklärung. Die Angemessenheit ist wieder entwicklungsabhängig; sie hat demnach individuell zu erfolgen. Daraus folgt, daß eine Beschränkung auf standardisierte Aufklärung, wie diese zunehmend gebräuchlich wird, bei Minderjährigen ausscheidet 60 • Somit ergibt sich: Für die rechtsgeschäftsähnliche Seite ärztlicher Behandlung ergibt sich aus § 36 SGB-I eine prinzipielle Teil-Mündigkeit ab Vollendung des 15. Lebensjahres. Legitimiert sind jedoch nur medizinisch indizierte Eingriffe. Die Rechtfertigung setzt des weiteren eine angemessene Aufklä56 57
739.
Ebenso Coester, aaO; Kohte, aaO. Für diese Grenzziehung: Tempel NJW 1980, 609, 614; Kern FamRZ 1981, 738,
Wohl ebenso Coester, aaO; Kohte, aaO. - A. A. BGH NJW 1972, 335. V gl. dortigen Punkt ,,3.4.1.1."; siehe in Bundesärztekammer , Wissenschaftliche Schriftenreihe, Bd. 3, Köln 1980, S. 30f. 60 Zur Krankenhauspraxis und Problematik standardisierter Aufklärung vgl. Jacob, Jura 1982, 529, 530ff. 58
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rung voraus; diese hat individuell zu erfolgen, standardisierte Aufklärungen scheiden aus. Bei nicht medizinisch indizierten Eingriffen ist die Einsichtsfähigkeit nach Vollendung des 15. Lebensjahres zu vermuten; erforderlich ist jedoch die Zustimmung der Eltern. Hat somit der Arzt dem Alter des Jugendlichen entsprechend aufgeklärt, so sind die Eltern dem Abkömmling gegenüber zur Zustimmung zu der vom Jugendlichen erklärten Einwilligung in die ärztliche Behandlung verpflichtet. Beim Schwangerschaftsabbruch handelt es sich, sofern keine besonderen Umstände vorliegen, nicht um eine medizinisch indizierte Behandlung. Insofern war die Zustimmung seitens der Sorgeberechtigten erforderlich. Im Ausgangsfall bestand bei der 16 Jahre alten Jugendlichen keine Abweichung in der Entwicklung. Wie in mehreren anderen Entscheidungen bei 16jährigen von einer Einsichtsfähigkeit ausgegangen wurde 61 , so stellte das LG München I auch im Ausgangsfall die bestehende Einsichtsfähigkeit fest 62 • Entgegen der Ansicht des Gerichts war damit nicht von einer wirksamen Einwilligung in den Eingriff durch die Minderjährige auszugehen; diese konnte jedoch die Zustimmung der Eltern zu der erklärten Einwilligung der Minderjährigen verlangen; ggf. war die Zustimmung durch das Vormundschaftsgericht zu ersetzen oder es konnte das Jugendamt zum Pfleger bestellen, so daß die Zustimmung an Stelle der Eltern vom Jugendamt erklärt werden könnte. Von der persönlichkeitsbezogenen Einwilligung ist die erforderliche rechtsgeschäftliehe Erklärung zum Abschluß des Behandlungsvertrages zu unterscheiden. Insoweit hilft § 36 SGB-I nicht weiter. Es könnten jedoch auch insoweit die gleichen Grundsätze wie zum rechtsgeschäftsähnlichen Handeln gelten. Die ethische Bewertung des verfolgten Ziels des Schwangerschaftsabbruchs ist auch für den Behandlungsvertrag nicht unterschiedlich. Die Aufklärung über die persönlichen Konsequenzen eines Schwangerschaftsabbruchs sowie über die Verantwortlichkeit gegenüber sich selbst und in bezug auf die Leibesfrucht ist Strafaufhebungsvoraussetzung nach §§ 218 a ff. StGB. Wird also die schwangere Minderjährige für reif befunden, diese Umstände zu erfassen und verantwortlich zu bewerten, ist insoweit für ein weiteres "erzieherisches" Einwirken der Personensorgeberechtigten im Rahmen der §§ 1626, 1631 BGB (entgegen dem Landgericht München 163 ) kein Raum mehr. In Betracht kommen allenfalls, und hier liegt der Unterschied zwischen ärztlichem Eingriff und Behandlungsvertrag, die vermögensrechtlichen Auswirkungen. Bei Bejahung einer Einsichts- und Willensfähigkeit für die Einwilligung zum ärztlichen Eingriff scheidet eine Berufung der Eltern im Rahmen des § 1626 BGB auf 61 62
63
BGH NJW 1972, 337; zustimmend Tempel NJW 1980, 614 f., m. w. N. LG München I NJW 1980, 646. LG München I NJW 1980, 646.
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"Erziehungserwägungen" per se aus, soweit diese keine vermögensrechtlichen Grundlagen haben64 . Die Anerkennung einer Teil-Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag könnte nicht zur Wirksamkeit des Behandlungsvertrages führen, da das Honorar den "Mindest-Verfügungsbetrag" übersteigen dürfte. Möglich wäre jedoch ein Verzicht des Arztes auf sein Honorar. Diese Schenkung könnte der Minderjährige als vermögensrechtlich lediglich rechtlich vorteilhaft annehmen. Im übrigen ist jedoch auch unter vermögensrechtlichen Gesichtspunkten eine Zustimmungsverweigerung durch die Sorgeberechtigten zum Behandlungsvertrag nicht gerechtfertigt. Verfügt das Kind entsprechend § 1638 BGB über eigenes Vermögen, wäre eine etwa erforderliche eigene Begleichung des Arzthonorars sachgerecht, da die Vermögensreduzierung zur Gewährleistung des Persönlichkeitsrechts des Minderjährigen erfolgte; es handelte sich insoweit um eine erforderliche Aufwendung. Fehlt ein eigenes Kindesvermögen, so wären die erforderlichen Aufwendungen von den Unterhaltsverpflichteten nach §§ 1602, 1610 Abs. 2 BGB zu leisten; insbesondere fehlte es an einem Verweigerungsrecht nach § 1611 Abs. 1, 1. Halbs. BGB wegen "sittlichen Verschuldens" des Bedürftigen. Auch die Heranziehung eines "Gegenseitigkeitsprinzips"65 führte nicht zur Befugnis der Eltern, vorliegend eine Zustimmung zum ärztlichen Behandlungsvertrag aus vermögens- bzw. unterhaltsrechtlichen Gründen zu verweigern. .JI Bei Bejahung der Einslchts- und Willensfähigkeit im Rahmen der "Einwilligung" zum Schwangerschaftsabbruch fehlt deshalb i. d. R. die sorgerechtliche Befugnis der Eltern, ihre Zustimmung zum ärztlichen Behandlungsvertrag zu versagen. Entsprechend waren auch im Ausgangsfall die Eltern zur Zustimmung zum ärztlichen Behandlungsvertrag verpflichtet. Die Verweigerung der Zustimmung stellt eine Gefährdung des Kindeswohls in der Variante der Verletzung des Persönlichkeitsrechtes des Kindes durch (zumindest) "unverschuldetes Versagen der Eltern" dar66. Die Zustimmung wäre somit durch das Vormundschaftsgericht zu ersetzen bzw. könnte das Vormundschaftsgericht entsprechend die Personen- bzw. die Vermögenssorge insoweit entziehen und das Stadtjugendamt zum Pfleger bestellen; ein Antrag lag im Fall des LG München I vor. •• 64 Schon aus diesem Grunde liegen die vom Landgericht München I angeführten Uberlegungen neben der Sache; zudem muß als zweifelhaft erscheinen, ob den Eltern nicht nach § 1666 I BGB die Personensorge abzusprechen wäre, wenn sie das Enkelkind lediglich als Druckmittel dazu zu benutzen trachten, die Tochter bzw. die künftige Kindesmutter zu einem den elterlichen Vorstellungen entsprechenden Verhalten zu nötigen. 65 Vgl. Moritz, JZ 1979,19 m. w. N. in der dortigen Fn. 49. 66 Vgl. im einzelnen Moritz, JA 1981, 186, 187 f.
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3.2.2. Beispiel: "Einwilligung" zur Ablichtung und Verbreitung von Nacktfotos67 Fall68 : Die fast 17jährige Klägerin, Schülerin der Klasse 11 eines Gynasiums, ließ sich während eines Ferienaufenthaltes, dem die Eltern zugestimmt hatten, u. a. mit freiem Oberkörper fotografieren. Dem Fotografen erklärte sie schriftlich, daß sie die Veröffentlichungs- und Verbreitungsrechte an den Aufnahmen dem Auftraggeber des Fotografen, einem Reiseveranstalter, übertrage; sie sei mit einer uneingeschränkten Reproduktion in allen Werbebereichen einverstanden. Ein Entgelt erhielt die Kl. nicht und dies wurde auch nicht vereinbart. Für den Sommerkatalog 1981 verwendete der Reiseveranstalter, die Beklagte, eine Reihe von Bildern, auf denen die Kl., teilweise mit nacktem Oberkörper, abgebildet war. Die Kl. hat vorgetragen, sie habe als knapp 17-jährige noch nicht die geistige und sittliche Reife besessen, um die Bedeutung und Tragweite ihrer Einwilligung zu den Aufnahmen und deren Verwendung zu erfassen. Sie beantragt deshalb u. a., 1. der Bekl. die Verbreitung des Katalogs zu untersagen, 2. festzustellen, daß die Bekl. verpflichtet sei, der Kl. allen Schaden zu ersetzen, der aus einer dennoch unternommenen Verbreitung resultiert sowie 3. die Bekl. zu verurteilen, an die Kl. ein angemessenes .... Schmerzensgeld zu bezahlen. Die Kl. ergänzt in der Berufung ihr erstinstanzliches Vorbringen dahingehend, daß sie 4. einen Bereicherungsanspruch geltend macht, sofern von einer schuldhaften Verletzung der Sphäre der Kl. nicht ausgegangen werden könne; sie macht geltend, daß die Bekl. bei Bemühung eines professionellen Modells mindestens DM 5.000,- hätte aufwenden müssen.
Das OLG Karlsruhe69 beurteilte im vorstehenden Fall die "Einwilligung" zur Aufnahme unter dem Gesichtspunkt der Einsichtsfähigkeit der Minderjährigen; die Einwilligung zur Verbreitung sah es wegen der fehlenden Genehmigung der Eltern als unwirksam an. Zur Gestattung der Aufnahme bejahte das Gericht die erforderliche geistige und sittliche Reife der zur Zeit der Aufnahme 17jährigen Klägerin und verneinte deshalb einen unzulässigen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte sowie Schadensersatz und Schmerzensgeldanspruch. Auf dieser Grundlage verneinte es ebenso einen Bereicherungsanspruch. Das Gericht meint, ein Nebeneinander von Schmerzensgeldanspruch, welcher eine Versagung der Einwilligung voraussetze, und materiellem (Honorar-)Anspruch, welcher eine Einwilligung voraussetze, sei widersprüch67 Weitere Beispiele sowie die Beurteilung des Verhältnisses von Persönlichkeitsrecht des Kindes und Elternbefugnis im Eltern/Kind-Bezug vgl. im nachfolgenden 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 C - E. 68 Nach OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742 ff. 69 aaO, S. 743 f.
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lich und komme deshalb nicht in Betracht; was für den (Honorar-)Anspruch gelte, habe entsprechende Bedeutung für den Bereicherungsanspruch, wenn eine Zustimmung unter keinen Umständen erteilt worden wäre 70 • Die Entscheidung des OLG Karlsruhe macht deutlich, daß die Anwendung unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe für die Mündigkeitszuerkennung bei rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen und den daraus resultierenden rechts geschäftlichen Folgehandlungen zu höchst unbefriedigenden Ergebnissen führt. Denn aus dem Zusammentreffen einer Zubilligung der Entscheidungskompetenz in den persönlichen Angelegenheiten sowie der Zurechnung unterstellten fremden Handeins (Verweigerung der Eltern, die Publizierung zu genehmigen) resultiert, daß die Beklagte ein (sonst übliches) Honorar erspart. Schon aus Gründen der Leistungsgerechtigkeit ist deshalb geboten, für die rechtsgeschäftsähnlichen Handlungen und für die daraus resultierenden rechtsgeschäftlichen Folgehandlungen gleiche Beurteilungsprämissen anzuwenden. Dazu taugt nicht, wie im 2. Abschnitt, § 1 ausgeführt wurde und wie auch das OLG Karlsruhe entgegen der Vorinstanz zutreffend entschied71 , § 110 BGB im Sinne einer pauschalen Zustimmung zu interpretieren. Abzulehnen ist ebenfalls (vgl. die Begründung im 2. Abschnitt, § 1 B) die von Bosch in Erwägung gezogene "Generaleinwilligung der Eltern"72. Wie der zuvor behandelte Beispielsfall zum Schwangerschaftsabbruch zeigt, ist wegen der Gefahr einer irreparablen Beeinträchtigung der Persönlichkeitsrechte des Kindes aber ebensowenig jenen Autoren zu folgen, welche eine Selbstbestimmung pauschal erst von der Volljährigkeit an zuerkennen wollen und zuvor eine der autonomen elterlichen Entscheidung vorbehaltene Zustimmung sowohl für die rechtsgeschäftsähnliche als auch für die rechtsgeschäftliche Handlung Minderjähriger befürworten73 • Der Auffassung ist insoweit beizupflichten, als sie davon ausgeht, daß sowohl für die rechtsgeschäftsähnliche Handlung - analog §§ 107 ff. BGB - als auch für das rechtsgeschäftliehe Handeln - nach §§ 107 ff. BGB - die Zustimmung der Eltern erforderlich ist. Dabei ist das "Ob" der Zustimmungserteilung jedoch nicht der elterlichen Autonomie überlassen. Vielmehr kann sich die Elternpflicht dahin verdichten, dem Kind eine Zustimmung zu erteilen sowohl hinsichtlich der rechtsgeschäftsähnlichen als auch der rechtsgeschäftlichen Handlung. Sowohl bei der Ablichtung als auch bei der Frage der Nutzung des Fotos handelt es sich nicht um (reine) Bar70 OLG Karisruhe, aaO, mit BGHZ 30,7, 17. - Zur Erstreckung dieser Argumentation auf bereicherungsrechtliche Ansprüche vgl. OLG Stuttgart JZ 1983, 71 r. Sp. Die vom OLG Stuttgart in bezug genommene Entscheidung des BGH in AfP 1979, 345, 347 f. nimmt zum Nebeneinander von Bereicherungsrecht und Schmerzensgeldanspruch keine Stellung! 71 aaO, S. 744 I. Sp. 72 FamRZ 1983, 744 r. Sp. 73 Vgl. Bosch, aaO; Medicus (1979), S. 80-wohl auch Schwerdtner, Jura 1983, JuraKartei zu § 12 BGB.
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geschäfte; im Vordergrund steht die Persönlichkeitsbezogenheit. Auch eine Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag änderte deshalb nichts an der Bewertung. Für die Fallbeurteilung bedeutet dies, daß es sehr wohl auf die individuelle Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen ankommt. Ist diese zu bejahen, bedarf es gleichwohl der Genehmigung durch die Vertretungsberechtigten. Erst wenn zwischen den Vertretungsberechtigten und dem Kind kein Konsens besteht, ist zu prüfen, ob das Übergehen des Kindeswillens zu einem irreparablen Schaden führt. Dies war etwa in der obigen Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch der Fall, weshalb nach der hier vertretenen Auffassung sowohl hinsichtlich des Schwangerschaftsabbruchs als auch bezüglich des zur Umsetzung erforderlichen Werkvertrages letztlich auf den Kindeswillen abzustellen war. Eine derartige irreparable Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts aus einer Verweigerung der Genehmigung zur Nacktaufnahme war hingegen in der Entscheidung des OLG Karlsruhe nicht zu befürchten. Schon die Gestattung zur Aufnahme hätte deshalb analog §§ 107ff. BGB der Genehmigung durch die Eltern bedurft; diese hätte ggf. vom Minderjährigen klageweise herbeigeführt werden müssen. Da es nicht um Geldansprüche, sondern um einen Einzelfall, die Ausübung der Personensorge betreffend, ginge, wäre das Vormundschaftsgericht zuständig. Wegen des Fehlens der Genehmigung lag beim Ausgangsfall ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Minderjährigen vor. Entgegen der Entscheidung des OLG Karlsruhe waren deshalb Schadensersatz- und Schmerzensgeld anspruch prinzipiell zu bejahen; die "Einwilligung" durch die Minderjährige könnte allenfalls Bedeutung haben für die Schwere des Eingriffs. Nicht kumulativ, insoweit ist der zitierten Rechtsprechung zu folgen, aber alternativ käme darüber hinaus ein Bereicherungsanspruch wegen eines rechtswidrigen Eingriffs in Betracht. Liegt somit eine schuldhafte und rechtswidrige Verletzung der Persönlichkeitsrechte vor, so können Schadensersatzund Schmerzensgeldansprüche gegeben sein. Geht es dagegen um den Ausgleich einer rechtsgrundlosen Nutzung, kommt ein bereicherungsrechtlicher Anspruch aus einer Eingriffskondiktion in Betracht. Zuständig für die Durchsetzung der Ansprüche sind insoweit die ordentlichen Gerichte; es klagen die Eltern in Vertretung des Kindes, soweit dieses nicht inzwischen volljährig geworden ist. IV. Leistungsannahme, Scbenkung
Bei der Leistungsannahme und Schenkung bestehen keine Ausnahmen von den §§ 107 ff. BGB. Die Gültigkeit der Geschäfte ist bei fehlender Zustimmung von der Beurteilung abhängig, ob das Geschäft lediglich rechtlich vorteilhaft ist.
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Unterschiede gegenüber der bestehenden Rechtslage ergäben sich bei Anerkennung einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag hinsichtlich der Folgegeschäfte. Verspielt z. B. der Minderjährige geschenktes Geld, welches er als lediglich rechtlich vorteilhaft wirksam erworben hat, so ist der Vertrag nach der bestehenden Rechtslage unwirksam, da das Geld nicht i. S. d. § 110 BGB überlassen worden war. Nach einer Gesetzesänderung wäre der Vertrag, wurde er durch bare Bewirkung mit dem geschenkten Geld erfüllt, bei Minderjährigen über 14 Jahre wirksam. V. Einzelne Rechtsverhältnisse
1. §§ 812 ff. BGB Bei der Anwendung der §§ 812 ff. BGB auf Minderjährige bilden vor allem die Frage des Wegfalls der Bereicherung und die Entscheidung Probleme, auf wessen Kenntnis es bei § 819 BGB ankommen soll, auf jene der gesetzlichen Vertreter oder die des Minderjährigen; vertreten wird in diesem Zusammenhang auch die Lösung über die §§ 827 ff. BGB74. Auswirkungen einer Teilmündigkeitsstufe 15. Geburtstag ergäben sich für die §§ 812 ff. BGB nur insofern, als mehr Geschäfte als rechtsgültig anzuerkennen wären und deshalb einige Fälle der Leistungskondiktion entfielen. Bei § 818 Abs. 2 BGB haftete im Falle des Wertersatzes der Minderjährige (an Stelle der gesetzlichen Vertreter); dabei wären die Pfändungsgrenzen und Pfändung8beschränkungen der §§ 850 ff. ZPO zu beachten. Zur aktuellen Gesetzeslage wird zu § 819 BGB herkömmlich zwischen Ul:r Leistungskondiktion (erforderlich: die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter) und der Eingriffskondiktion (Voraussetzungen der §§ 828 f. BGB müssen beim Minderjährigen gegeben sein) unterschieden75 . Demgegenüber gibt es Stimmen, welche die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter stets für maßgeblich halten 76 . Diese Auffassung wird damit begründet, daß die Heranziehung des § 828 BGB im Rahmen des § 819 Abs. 1 BGB eine unzulässige Gleichsetzung von,Delikts- und Bereicherungsrecht bedeute77 • Für die Meinung, welche die entsprechende Heranziehung des § 828 BGB ablehnt, läßt sich auf die Funktion der §§ 812 ff. BGB verweisen; diese liegt im Ausgleich von Ungleichlagen. Dies gilt grundsätzlich auch für § 819 Abs. 1 BGB. Es sind zwar kaum 74 Vgl. den Flugreisefall, BGHZ 55, 128, bei welchem der Minderjährige im Anschluß an eine rechtsgültige Reise ohne Flugschein weiterflog. - Zur Kritik der Entscheidung, mit Nachweisen weiterführender Literatur, vgl. Köbler, JuS 1979, 974 sowie Ebel, JA 1982, 526 ff. 75 Vgl. die Nachweise bei Lieb, MünchKomm., 2. Aufl., § 819, Fn. 15, s. auch BGH NJW 1971, 609. 76 Lieb, aaÜ, § 819, Rn. 7, m. w. N. in der dort. Fn. 16. 77 Vgl. schon Canaris (1964), S. 563 und RG JW 1917, 465.
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Fälle der Eingriffskondiktion denkbar, bei denen der Eingriff nicht widerrechtlich ist. Das Motiv der §§ 812 ff. BGB bildet jedoch nicht eine Sanktion der Widerrechtlichkeit, sondern die Wiederherstellung der vor der Handlung bestehenden (vermögensrechtlichen) Lage. Grund für die verschärfte Haftung ist auch bei § 819 nicht ein deliktisches Handeln, sondern die Zurechenbarkeit unter Billigkeitsgesichtspunkten78 . Zutreffend eliminiert die h. M. deshalb den Begriff der Widerrechtlichkeit aus dem Bereicherungsrecht79 • Rechtsgrundlos ist damit nicht gleichbedeutend mit widerrechtlich. Wesentlich ist, daß dem Bereicherungsschuldner das Erlangte nicht gebührt bzw. das Behalten des Erlangten dem Zuweisungsgehalt eines absoluten Rechts widerspricht80 . Selbst in dem Fall, in dem das rechtsgrundlose Erlangen einen Deliktstatbestand erfüllt, ist damit abweichend von der Entscheidung im "Flugreisefall"81 im Rahmen des § 819 BGB für eine Anwendung des § 828 BGB kein Raum82 . Es verbleibt die Möglichkeit, für § 819 BGB auf die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter abzustellen. Dies ist entgegen einer verbreiteten Literaturansicht aber nicht mit einer analogen Anwendung des § 166 BGB zu begründen83 . Ebel weist in diesem Zusammenhang zutreffend auf § 832 BGB sowie auf die andererseits bestehende Pflichtbindung der Eltern hin, zum Wohle des Kindes zu handeln. Aus dieser Ausrichtung des Elternrechts folgert er zutreffend den Ausnahmecharakter des § 832 BGB. Eine Analogie des § 166 BGB scheitert somit daran, daß der Fall, in dem die Sorgerechtsausübung zugunsten (konkreter) Dritter zu erfolgen hat, als in § 832 BGB abschließend geregelt anzusehen ist84 • Als Zwischenergebnis folgt daraus, daß bei der Leistungskondiktion für
§ 819 BGB grundsätzlich die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter erforderlich ist. Wurde der zugrundeliegende Vertrag genehmigt oder ist er nach § 110
BGB, einschließlich seiner hier vorgeschlagenen Ergänzung durch einen Abs. 2, als genehmigt anzusehen, ist die Einsichtsfähigkeit des Minderjährigen zu prüfen; insoweit begründen die Prämissen "Mindest-Verfügungsbetragl Alter über 15 Jahre" eine widerlegbare Vermutung einer bestehenden Einsichtsfähigkeit. Für die Eingriffskondiktion besteht jedoch grundsätzlich die gleiche sorgerechtliche Konstellation zwischen Eltern und Kind wie bei der Leistungskondiktion. Die Lösung der Frage, auf wessen Kenntnis im Rahmen des § 819 BGB abzustellen ist, ergibt sich somit, da ein deliktsrechtlicher
Vgl. BGH NJW 1972, 36, 38 f. Ebel, JA 1982, 527. 80 Ebel, aaO; Larenz, Schuldrecht II (1981), S. 532, ffi. w. N. 81 BGHZ 55, 128, 136. 82 Canaris, JZ 1971, 560; Ebel, JA 1982, 527 ffi. w. N.; Lieb, aaO, § 819, Rn. 7, ffi.W. N. 83 So aber ausdrücklich etwa Lieb, MünchKoffiffi., 2. Aufl., § 819, Rn. 7, ffi. w. N. in Fn. 16. 84 Vgl. grundlegend Ebel, JA 1982, 527 r. Sp. 78 79
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Bezug sowie § 166 BGB ausscheiden, aus dem sorgerechtlichen Hintergrund. Eine konkludente Genehmigung durch Überlassen von Geldern kommt hier nicht in Betracht. Genügend und erforderlich für eine bereicherungsrechtliche Haftung ist danach nicht allein die Kenntnis, sondern die Genehmigung des Eingriffs des Minderjährigen durch die Eltern. Es entspricht dabei dem Minderjährigeninteresse auf Reduktion der Einschränkung unter Wahrung des erforderlichen Schutzes, mit Ebel85 den Rechtsgedanken der §§ 682, 687 Abs. 2 BGB heranzuziehen. Der mildere Maßstab des § 682 BGB entfällt dort, wo die Vertreter der Übernahme der GoA zugestimmt haben. Für das Bereicherungsrecht bedeutet dies, daß die Vertreter lediglich den Eingriff zu kennen brauchen, um später die bereicherungsrechtlichen Konsequenzen auszulösen. Da sich die Kenntnis nur auf die Handlung zu beziehen braucht, fällt entgegen Ebel86 eine Anfechtung durch die gesetzlichen Vertreter fort, war ihnen nicht klar oder stellen sie später fest, daß ein Rechtsgrund fehlte. Somit eröffnet bei Leistungs- und Eingriffskondiktion erst die Kenntnis der gesetzlichen Vertreter von der entsprechenden Rechtshandlung des Minderjährigen die verschärfte Haftung nach § 819 Abs. 1 BGB; bei genehmigten Rechtsgeschäften ist die Einsichtsfähigkeit der Minderjährigen zu prüfen, wobei die Prämissen "Mindest-VerfügungsbetraglAlter über 15 Jahre" eine widerlegbare Vermutung bestehender Einsichtsfähigkeit begründen.
2. Geschäftsführung ohne Auftrag Das Verhältnis minderjähriger Geschäftsführer ohne Auftrag ist in § 682 BGB besonders geregelt. Wie erwähnt, gilt § 682 BGB bei Zustimmung der gesetzlichen Vertreter nicht. Die Zustimmung muß sich nur auf die Übernahme beziehen. Der Zweck des § 682 BGB besteht darin, die Herausgabe- und Schadensersatzpflichten einzuschränken87 • Im Minderjährigeninteresse werden die übrigen Rechte und Pflichten des Geschäftsführers - zum Beispiel Aufwendungsersatz - nicht betroffen88 . 3. §§ 823 ff. BGB Die Schuldfähigkeit des Minderjährigen richtet sich nach § 828 Abs. 2 BGB. Schließt jemand bei einem genehmigungspflichtigen Rechtsgeschäft aaO, S. 528. aaO, S. 528. 87 H. M.; vgl. Seiter, MünchKomm., 2. Aufl., § 682, Rn. 1. 88 Flume (1979), S. 217; Errnan/Hauß, 7. Aufl., § 682, Rn. 2; Soergel/Heferrnehl, 11. Aufl., § 104, Rn. 1; Köbler, JuS 1979, 793, m. w. N.; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., vor § 104, Rn. 1; P. Schwerdtner, Jura 1982, 593, 599, m. w. N. in der dort. Fn.58. 85
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einen Vertrag mit dem Minderjährigen, so kann nach Meinung des BGH89 darin ein Mitverschulden i. S. d. § 254 BGB des Vertragspartners liegen, welches im Falle eines vom Minderjährigen verursachten Schadens dem Vertragspartner entgegengehalten werden könne. Der BGH90 erkennt ein solches Mitverschulden nicht allein aufgrund fehlender Volljährigkeit an; hinzutreten muß eine besondere Unerfahrenheit des Minderjährigen. Auch wenn diese vorliegt, will der BGH § 254 BGB jedoch nur dann anwenden, wenn es sich um "schwerwiegende vermögensrechtliche Entscheidungen" handelt, für welche dieser besondere Schutz erforderlich scheint91 . Auch wenn Teilmündigkeiten i. S. des de lege ferenda unterbreiteten Vorschlags nicht anerkannt werden, sicherte jedoch die Beachtung der Grenzen "Mindest-Verfügungsbetrag/15. Geburtstag" auch in der bestehenden Rechtslage i. V. m. der Rechtsprechung des BGH92 den Geschäftspartner vor einer Einstandspflicht aus Mitverschulden, indem der Vertragspartner sich auf die nachbardisziplinären Erkenntnisse berufen könnte, nach denen bei dieser Konstellation von einer Einsichtsfähigkeit und somit vom Fehlen einer besonderen Unerfahrenheit auszugehen ist. Gleiches hätte erst recht nach Einführung einer Mündigkeitsstufe 15. Geburtstag zu gelten. 4. Eigentümer/ Besitzer-Verhältnis
Auch ein Minderjähriger, sogar ein Geschäftsunfähiger, kann Besitz erlangen93 . Nach einer Auffassung ist dafür ein natürlicher - nicht rechtsgeschäftlicher94 - Wille erforderlich; nach anderer Meinung ist die Einfügung der Sache in den Organisationsbereich des Erwerbers notwendig 95 . Ist der Minderj ährige unrechtmäßiger Besitzer, so entsteht (wiederum) die Frage, ob es bei der Beurteilung der Bösgläubigkeit i. S. des § 990 BGB auf die Kenntnis des Minderjährigen oder auf jene der gesetzlichen Vertreter ankommen soll. Überwiegend wird auf die Kenntnis des Minderjährigen abgestellt; bei diesem sei die Einsichtsfähigkeit entsprechend § 828 Abs. 2 BGB zu prüfen 96 • Es ist darauf hinzuweisen, daß sich die Diskussion vor allem am Fall der rechtsungültigen Miete eines Kfz entwickelte. Für die h. M. spricht, daß es bei BGH NJW 1973,1970,1792. BGH, aaO, S. 1792. 91 BGH NJW 1973, 1792. 92 BGH NJW 1973, 1790 ff. 93 Baur (1981), S. 52. 94 F1ume (1979), S. 213 f. 95 Vgl. einerseits WolfflRaiser (1957), § 10 II, Anm. 1, m. w. N.; andererseits H. Westermann (1973), S. 68 f., m. w. N. 96 Baur (1981), S. 83, m. w. N.; PalandtIBassenge, § 990, Anm. 1 a; Köbler, JuS 1979,794, m. w. N. in dort. Fn. 65 - a. A. v. Thur, BGB-AT 1112, S. 355. 89
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
§ 990 BGB nicht um die rechtlichen Folgen von Willenserklärungen geht97 • § 819 BGB bezieht sich demgegenüber - (jedenfalls) auch - auf die Leistungskondiktion 98 . Die Überlegungen zu § 819 BGB greifen hier deshalb nicht99 .
Wie § 819 BGB dient auch § 828 Abs. 2 BGB der Haftungsbeschränkung. Seine pauschale entsprechende Anwendung bei § 990 BGB stößt aber auf Bedenken, da § 990 BGB sowohl deliktsähnliche als auch nichtdeliktische Tatbestände umfaßt lOO • Andererseits wäre es nicht gerechtfertigt, bei einer Anwendung des § 990 BGB auf einen nichtdeliktischen Tatbestand den Minderjährigen bei der Abwicklung des unwirksamen Vertragsverhältnisses so einstehen zu lassen, als sei der Vertrag wirksam. Diese Konsequenz wird vermieden, wenn bei §§ 828 Abs. 2,990 BGB auf die Kenntnis des Minderjährigen abgestellt wird. Für den Haftungsumfang ist bei den nichtdeliktischen Tatbeständen der rechtsgrundlose Erwerb nicht dem unentgeltlichen Erwerb gleichzusetzen; daraus folgt, daß die §§ 987, 988 BGB nicht zur Anwendung kommen 101 • (Das Fahrzeug - Mofa - ist unmittelbar nach ... §§ 812 ff. BGB herauszugeben). Bei deliktischen Tatbeständen steht dagegen der entsprechenden Anwendung des § 828 Abs. 2 BGB nichts entgegen, so daß die Haftung von der individuell zu prüfenden Verantwortlichkeit abhängt lO2 •
7. Abschnitt
Die Handlungskompetenz in besonderen Interaktionsbeziehungen: Die "Arbeitsmündigkeit" Der Begriff der "Arbeitsmündigkeit" wird herkömmlich mit § 113 BGB verbunden l . Die h. M. beschränkt § 113 BGB auf Arbeitsverhältnisse, welche nicht der Berufsausbildung dienen2 • Mehr als zwei Drittel der Haupt- und Realschüler gehen nach ihrer Schulentlassung ein Berufsausbildungsverhältnis ein oder nehmen an einer berufspraktischen Fortbildung teiP. Wird zusätzlich Koether-Ruchartz, NJW 1973, 1444, 1446. Vgl. Lieb, MünchKomm., 2. Aufl., § 819, Rn. 1,6 ff. 99 A. A. für den Fall eines fehlgeschlagenen Vertrages: Koether-Ruchartz NJW 1973,1446; Köbler, JuS 1979,794. 100 Ebenso Koether-Ruchartz, NJW 1973, 1446. 101 Entsprechend Köbler, JuS 1979,794, m. w. N. in der dort. Fn. 67. 102 Insoweit entsprechend der herrschenden Meinung. 1 Zur Begriffsentwicklung vgl. die Nachweise bei Gefaeller (1968), S. 86, Fn. 35. 2 Zur Einschätzung vor Inkrafttreten des Berufsbildungsgesetzes vgl. die Nachweise bei Staudinger/Coing, 11. Aufl., § 113, Rz. 4; für eine Einbeziehung der Lehrverträge aber RAG 3,221. - Zur Ausklammerung von Berufsbildungsverhältnissen in der neueren Wertung vgl. statt aller PalandtlHeinrichs, § 113, Anm. 3 m. w. N.; ErmanlBrox, 7. Aufl., § 113, Rn. 5. 3 Vgl. die Nachweise in "Berufsberatung 1979/80" der Bundesanstalt für Arbeit, Nürnberg, im Okt. 1981, S. 26 ff. sowie die Schulentlassenentabellen auf S. 131. 97
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7. Abschn.: Die "Arbeitsmündigkeit"
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die Quote jugendlicher Arbeitsloser berücksichtigt, ergibt sich schon nach der Betroffenenzahl, daß entgegen Gitter4 die praktische Relevanz des § 113 BGB in seiner Reduzierung auf reguläre Arbeitsverhältnisse relativ gering ist. Es fragt sich, ob ein solches faktisches Leerlaufen des § 113 BGB den Beteiligteninteressen sowie den Gesetzesintentionen entspricht. Es erscheint angezeigt, die herrschende Auslegung des § 113 BGB zu überprüfen sowie den Begriff der Arbeitsmündigkeit neu zu definieren. Er ist in Beziehung zu setzen zu den regulären Arbeitsverhältnissen Minderjähriger, aber auch zu den Berufsausbildungsverhältnissen und Gelegenheitstätigkeiten; fraglich ist schließlich die Einordnung des minderjährigen Arbeitgebers. § 1 Auslegungsprobleme zu § 113 BGB § 113 BGB räumt dem Minderjährigen nach erfolgter "Ermächtigung" eine Teilgeschäftsfähigkeit eins. Problematisch sind heute allein noch die Fragen der Verfügungsbefugnis über das Arbeitsentgelt, insbesondere mittels Überweisung aus dem Gehaltskonto6 . Des weiteren ist strittig, ob eine Einschränkung oder Rücknahme der "Ermächtigung" auch allein gegenüber dem Arbeitgeber erklärt werden kann7 . Schließlich besteht Streit, ob die Einschränkungen der Ermächtigung im freien Ermessen der gesetzlichen Vertreter liegen oder auch hier - insbesondere - die §§ 1626 ff. BGB Anwendung finden s.
Die Frage der Verfügungsbefugnis ist durch die Feststellung der realen Selbstbestimmungskompetenz der Minderjährigen ab 15 Jahren und der sich daraus ergebenden Pflichten verdichtung der Eltern vorgeklärt. Die Minderjährigen, auf welche sich die "Ermächtigung" des § 113 BGB beziehen kann, gehören der Gruppe der ab-15jährigen an. § 113 BGB beseitigt nicht die Elternposition der §§ 1626 ff. BGB. Insofern bleibt es unter rechtssystematischen Gesichtspunkten bei der elterlichen Verwaltung des Arbeitsentgelts der Kinder nach § 1626 Abs. 1 S.2 BGB. Der Kindeswohlvorbehalt gebietet andererseits die Überlassung wenigstens des "Mindest-Verfügungsbetrages" an die Minderjährigen. Somit ergibt sich eine Zweistufung. Nach § 113 BGB MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. l. Vgl. Motive I 144; zu den geschichtlichen Vorläufern der Vorschrift und ihrer schließlichen Ausgestaltung vgl. Gefaeller (1968), S. 16 ff. 6 Ablehnend Capeller, BB 1961, 453, 455; StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 16. 7 Verneinend: PalandtlHeinrichs, § 113, Anm. 3. Bejahend: LAG Dortmund ARS 34,63; ArbG Bremen DB 59, 863; Feiler, FamRZ 61, 420; Hohn, BB 1960, Beilage 24. 8 Für ein freies Ermessen die h. M., vgl. etwa ErmanIBrox, 7. Aufl., § 113, Rn. 18; EnnecceruslNipperdey, BGB-AT, Bd. 2, S. 935 m. w. N. in dort. Fn. 21 -. Für die Beachtung der Schranken der elterlichen Sorge: Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. 25, m. w. N. in den dort. Fn. 61 f. 4
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
sind die Minderjährigen, bestehen zulässige Beschränkungen der Ermächtigung nicht, zu allen Geschäften autorisiert, welche mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang stehen9 . Darüber hinaus ergibt sich aus § 1626 BGB die Überlassung des "Mindest-Verfügungsbetrages" , mit der Konsequenz, daß bar bewirkte Geschäfte nach § 110 - nach einer Gesetzesänderung nach § 110 Abs. 2 (n. F.) - Gültigkeit erlangen. Der bargeldlose Zahlungsverkehr stellt für Gehalts- und sonstige wiederkehrende Zahlungsverpflichtungen den gewöhnlichen Weg der Geldbewegung dar. Dieser Änderung der Verfahrenspraktiken ist Rechnung zu tragen. Abzulehnen ist danach die Auffassung, nach welcher zwar die Eröffnung eines Bankkontos zur Überweisung des Arbeitsentgelts sowie das Abheben von diesem Konto, nicht jedoch Überweisungen aus dem Konto möglich sein sollen. Denn wenn der Minderjährige aus § 113 BGB zur baren Begleichung aller sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Verpflichtungen befugt ist, muß dies in gleicher Weise für die Begleichung per Dauerauftrag gelten lO • Im übrigen ist der Minderjährige zur Barabhebung des verbleibenden Betrages bis zum Umfang des Lohngegenwertes befugt; denn der Minderjährige ist im Verhältnis zum Arbeitgeber der Anspruchsberechtigte und wird auf dem Umweg über das Girokonto nicht anders gestellt als bei einer Barauszahlung durch den Arbeitgeberll . Sofern das Arbeitsentgelt über dem Mindestverfügungsbetrag liegt, können die gesetzlichen Vertreter die Differenz herausverlangen, wobei sie ihrerseits das Geld unter Beachtung der §§ 1626, 1642 ff. BGB zu verwalten haben. Die "Ermächtigung" des § 113 BGB ist gegenüber dem Minderjährigen zu erklären (§ 113 Abs. 1, 1. Halbs. BGB). Für die Einschränkung oder Rücknahme, jeweils als actus contrarius zur Ermächtigung, ist der gleiche Erklärungsempfänger gegeben, also der Minderjährige J2 • Das Gesetz erkennt mit § 113 BGB selbst die mit dem Eintritt in das Arbeitsleben prinzipiell einhergehende Kompetenzverdichtung an 13 • Eben dieser entspricht es, daß die Erklärung der Einschränkung der Kompetenzen dem zugehen muß, um dessen Status es geht, also dem Minderjährigen. Er kann zwar keine Ersetzung der elterlichen Entscheidung durch das Vormundschaftsgericht erreichen (argu-
9 Ebenso die h. M.; vgl. die Nachweise bei StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 11 ff., 17 ff.; einschränkend für den Wohnraummietvertrag Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. 17, m. w. N. \0 A. A. aber Dilcher, aaO, Rn. 16, mit Capeller, BB 1961,455. 11 H. M.; vgl. statt aller Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. 16. 12 So überzeugend schon Gitter, aaO, § 113, Rn. 24. 13 A. A. Feiler (FamRZ 1961, 422). Sein Hinweis auf die Fortgeltung der Sorgerechtsvorschriften spricht - jedenfalls heute - für die hier getroffene Wertung. Denn es entspricht bei ab-15jährigen in der Regel eben gerade der richtig verstandenen elterlichen Pflicht, Teilmündigkeiten zuzugestehen.
7. Abschn.: Die "Arbeitsmündigkeit"
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mentum e contrario zu § 113 Abs. 2 BGB14); eröffnet ist jedoch der Weg für eine Mißbrauchsüberprüfung entsprechend §§ 1666 f. BGB. Aus der nachgewiesenen Korrelation der kindschaftsrechtlichen Vorschriften der §§ 1626 ff. BGB mit jenen der §§ 107 ff. BGB ist zugleich die Frage der Ermessensfreiheit der gesetzlichen Vertreter dahingehend beantwortet, daß diese bei ihren Entscheidungen die personensorgerechtlichen Grundlagen zu beachten haben und erst nach dieser ersten Stufe eine zusätzliche Interessenabwägung in Betracht kommt!5. § 2 Arbeitsmündigkeit und BerufsausbildungsverhäItnis
A. Meinungsstand und Problemstellung Nach herrschender Meinung ist eine Arbeitsmündigkeit entsprechend § 113 BGB mit dem Wesen und Zweck des Lehrverhältnisses unvereinbar!. Es wird deshalb eine "Arbeitsmündigkeit" - und daraus abgeleitet ein Streikrecht2 für Auszubildende (sowie für Praktikanten und Volontäre 3) verneint4. Gitter5 verweist zusätzlich auf § 1822 Nr. 6 und 7 BGB, wo ebenfalls zwischen einerseits Lehr- sowie andererseits Dienst- und Arbeitsverträgen unterschieden werde. Auszubildende benötigen nach dieser Ansicht auch zu solchen Geschäften einer Zustimmung gern. §§ 107 f. BGB, welche im Zusammenhang mit dem Berufsausbildungsverhältnis stehen6 . Die entwicklungspsychologische Situation der über-15jährigen dürfte indes nicht variieren, ob sie nun in ihrer beruflichen Tätigkeit in einem Berufsausbildungsverhältnis oder in einem regulären Arbeitsverhältnis stehen? Die Kommentare zeichnen sich dahin aus, daß stereotyp die Behauptung der Andersar14 Ebenso Staudinger/Dilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 23; SoergeUHefermehl, 11. Aufl., § 113, Rn. 9. 15 Zu den vertretenen Wertungen vgl. die Nachweise in der vorstehenden Fn. 8. I LAG Düsseldorf AP Nr. 21 zu § 21 HandwO, mit zustimmender Anmerkung von G. Hueck; LAG Stuttgart BB 1965, 925. - Unter Wiederholung der früheren Argumentation vor allem auch SoergeUHefermehl, 11. Aufl., § 113, Rn. 2; Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. 7; Staudinger/Dilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 5. 2 Ablehnend vor allem ArbG Düsseldorf DB 1973,674; Nipperdey, ArbR, S. 961; Hromadka, DB 1972, 874; Demme, RdA 1973, 369. - A. A. Blanke (1972); Sander (1972), S. 16 f. m. w. N. aufS. 17, Fn. 1. 3 Staudinger/Dilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 5. 4 Vgl. die in Fn. 1 Zitierten. 5 MünchKomm., 2. Aufl., § 113, Rn. 7; vgl. auch Natzel (1974), S. 24. 6 Sander - (1975), S. 19 ff. - übersieht, daß sich die Wirkung des § 113 BGB nicht in der Lösung und dem Neuabschluß des Vertragsverhältnisses erschöpft, sondern wesentliche Konsequenzen auch für die rechtsgeschäftiiche Teilkompetenz aus dem existenten Vertrag hat. 7 So richtig schon Griesheimer (1971), S. 108.
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
tigkeit des Ausbildungsverhältnisses wiederholt wird 8 . Da § 113 BGB von "Dienst oder Arbeit" spricht, schließt eine bloße Andersartigkeit des Ausbildungsverhältnisses eine Anwendung des § 113 BGB indes so lange nicht aus, wie Gegenstand der Beziehung - zumindest auch - eine Dienst- oder Arbeitsleistung ist. Ob und ggf. in welchem Umfang eine Arbeitsmündigkeit auch für Auszubildende anzuerkennen wäre, ist entgegen diesen Ansichten damit noch nicht abschließend beantwortet. Scheidet eine direkte Anwendung des § 113 BGB aus, wäre aber zumindest die Frage nach einer analogen Anwendung zu erörtern. B. Die Anwendbarkeit des § 113 BGB auf Berufsausbildungsverhältnisse
Das Berufsausbildungsverhältnis wird heute übereinstimmend als Arbeitsverhältnis sui generis qualifiziert9 • Das auch dieser Beziehung innewohnende Austauschverhältnis von Arbeitsleistung und Vergütung kommt in der Formulierung des § 10 Abs. 1 BBiG zum Ausdruck. Es ergibt sich ebenfalls daraus, daß der Ausschuß für Arbeits- und Sozialordnung die Rechtfertigung der Ausbildungsvergütung im "arbeitsrechtlichen Gesichtspunkt der Entlohnung" sah lO • Zudem entspricht auch die sozialversicherungsrechtliche Stellung der Auszubildenden jener sonstiger Arbeitnehmer (vgl. §§ 165, 165 a Ziff. 2,539 Ziff. 1, 1227 Abs. 1 Ziff. 1 RVO). Danach könnte § 113 BGB anwendbar sein. Aber auch, wenn mit der h. M. im Berufsausbildungsverhältnis zugleich Elemente eines "Erziehungsverhältnisses" zu erblicken wären ll , schlösse dies eine Anwendung des § 113 BGB nicht aus. Denn diese Qualifizierung könnte als Verhaltensanweisung an den Ausbildenden zu verstehen sein (vgl. §§ 6 Abs. 2, 7, 9 Ziff. 1 und 3; 14 Abs. 3; 20; 22 BBiG), ohne daß eine TeilRechtsgeschäftsfähigkeit des Jugendlichen damit unvereinbar sein müßte. Dem § 113 BGB entspricht deshalb eher der Ansatz von Sander 12 , welcher von der Frage ausgeht, ob nicht den gesetzlichen Vertretern untersagt sei, Auszubildenden eine Teilmündigkeit nach § 113 einzuräumen. Da die psycho/ soziale Eltern/Kind-Situation des Jugendlichen grundsätzlich gleich ist, unabhängig davon, ob er in einem Ausbildungsverhältnis oder in einem anderen Arbeitsverhältnis steht, reicht der pauschale Hinweis auf § 1626 Abs. 2 BGB, Vgl. die Nachweise der vorstehenden Fn. 1-6. Vgl. Knopp/Kraegeloh (1978), S. 17; Natzel (1974, S. 22 ff., m. w. N.), welcher allerdings das Moment des Leistungsaustauschs ignoriert und deshalb Auszubildende als Arbeitsschüler bezeichnet - aaO, S. 25 -; Sander (1975), S. 6, m. w. N. i. d. Fn. 2. 10 BT-DrS V/4260 zu § 10 BBiG. 11 Grundlegend Nikisch (1961), S. 870; s. auch Knopp/Kraegeloh, § 3, Rn. 2; Natzel (1974), S. 22; RohlfingiKiskalt/Wolff (1961), S. 391; Siebert, BB 1951, 195; Soergel/ Hefermehl, 11. Aufl., § 113, Rn. 2, m. w. N. 12 (1975), S. 20 f. 8
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7. Abschn.: Die "Arbeitsmündigkeit"
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entgegen Sanders 13 , indes nicht aus, eine Unanwendbarkeit des § 113 BGB auf Berufsausbildungsverhältnisse zu begründen. Im Gegenteil kann sich bei einer entsprechenden Kompetenz des Minderjährigen gerade die Pflicht der Eltern ergeben, ihrem Kind auch im Außen bereich die größtmögliche Freiheit einzuräumen. Die Nichtgeltung des § 113 BGB ergibt sich aus dem Berufsbildungsgesetz. Denn nach § 4 Abs. 2 BBiG ist eine Niederschrift des Berufsausbildungsvertrages zu fertigen; diese müssen neben den Vertragsparteien auch die gesetzlichen Vertreter des Auszubildenden unterzeichnen. Aus § 3 Abs. 3 BBiG ist zu schließen, daß der Minderjährige zum Abschluß (jedes) Ausbildungsvertrages der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter bedarf. Den Eltern ist damit die Möglichkeit gegeben, die Ausbildungsbedingungen zu überprüfen, da es sich entgegen dem Arbeitsverhältnis beim Berufsausbildungsverhältnis nicht allein um eine entgeltliche Arbeitstätigkeit handelt. Wegen der Bedeutung der Berufsausbildung in der Industriegesellschaft kommt der Güte der Ausbildung und des Ausbilders besondere Aufmerksamkeit zu. Bei der Beurteilung der wahrscheinlichen Ausbildungsqualität soll der Jugendliche nicht auf sich allein gestellt sein. §§ 4 Abs. 2, 3 Abs. 3 BBiG entsprechen der Verfassungswertung, daß den Eltern in Zweifelsfällen ein Letztentscheidungsrecht zukommt l4 . Der Jugendliche bedarf deshalb zur Eingehung eines Berufsausbildungsverhältnisses der Zustimmung der Vertretungsberechtigten. Ihre Unterzeichnung gemäß § 4 Abs. 2 BBiG hat konstitutive Wirkung l5 . Dies aber durchbricht die Konstruktion des § 113 BGB, welcher von der Ermächtigung zu allen gleichartigen Verträgen ausgeht l6 • Somit folgt aus § 3 Abs. 3 BBiG die Unanwendbarkeit des § 113 BGB auf Berufsausbildungsverträge. C. § 113 BGB analog I. Berufsausbildungsverhältnis und Arbeitsverhältnis
Die Vergleichbarkeit des Berufsausbildungsverhältnisses und eines regulären Arbeitsverhältnisses wird von der h. M. vor allem mit dem Hinweis auf die "Eriehungsmomente" des Berufsausbildungsverhältnisses verneint l7 . Wenn jedoch schon für die Eltern-Kind-Beziehungen "Erziehung" durch Sozialisation abgelöst und das Einwirken durch ein Konsensualprinzip ersetzt wurde l8 , so widerspricht dem, ein berufliches Erziehungsverhältnis anzuerkennen. Jede 13 14 15
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aaO, S. 20. Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt; insbes. S. 145 ff. Für ein Genehmigungserfordernis auch Knopp/Kraegeloh, § 3, Rn. 2. Vgl. statt aller StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 113, Rn. 10, m. w. N. Vgl. die vorstehende Fn. 11. 3. Kapitel, 3. Abschnitt; 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A 111.
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5. Kap.: Handlungen im alIgemeinen Rechtsverkehr
Ausbildungssituation begründet eine spezielle Art der Abhängigkeit und damit der Einflußnahme des Ausbilders. So sind die besonderen Anforderungen der §§ 22 ff. BBiG an die Ausbildungsstätte sowie an die Ausbildungsperson zu verstehen. Die wechselseitigen besonderen Fürsorge- und Verhaltenspflichten (vor allem der §§ 6 und 9 BBiG) erklären sich aus der Ausbildungssituation. Ein Einwirken auf die Person des anderen ist dadurch jedoch nicht gerechtfertigt. Bei Streitigkeiten bleibt dem Ausbilder der Weg zum Jugendlichen und dessen Eltern sowie, im Extremfall, jener der fristlosen Kündigung (§ 15 Abs. 2 Ziff. 1 BBiG). Für den Auszubildenden sind die entsprechenden Wege eröffnet sowie die Möglichkeit der Einschaltung von Jugendvertretung und - über diese 19 - ggf. des Betriebsrates. Zur Entsprechung der sozialversicherungsrechtlichen und der Vergütungssituation wurde bereits Stellung genommen. Andererseits gilt für den Jugendlichen eine Berufsschulpflicht, unabhängig von der Art des Beschäftigungsverhältnisses. Ebenso entsprechen sich die psycho/soziale Situation Gleichaltriger weitgehend. Somit ist Sander20 zuzustimmen, wenn er feststellt, daß der Unterschied zwischen einem Ausbildungsverhältnis und dem regulären Arbeitsverhältnis Jugendlicher allein darin besteht, daß dem Auszubildenden nicht gestattet ist, autonom das Ausbildungsverhältnis zu beenden und ein anderes einzugehen. Dies ist die Konsequenz der Einbeziehung der gesetzlichen Vertreter in das Ausbildungsverhältnis einerseits durch das Erfordernis der Genehmigung nach § 3 (i. V. m. § 4 Abs. 2) BBiG sowie andererseits des § 1631 a Abs. 1 S. 1 BGB. 11. Anwendung und Wirkung des § 113 BGB analog rur das Berufsausbildungsverhältnis
Die sich aus der Bindungswirkung des § 3 Abs. 3 BBiG ergebende fehlende Selbstbestimmung des Auszubildenden bei Kündigung bzw. Neuabschluß eines Ausbildungsverhältnisses schließt eine unmittelbare Anwendung des § 113 BGB auf Berufsausbildungsverhältnisse aus. Einer analogen Anwendung der Vorschrift steht dies nicht entgegen. Denn die analoge Anwendung setzt eine Gleichartigkeit und eben nicht die Identität zweier Sachverhalte voraus. Dies bedeutet aber auch, daß ggf. die Rechtsfolge der analog anwendbaren Vorschrift den veränderten Ausgangsprämissen anzupassen ist21 •
In der Genehmigung des konkreten Berufsausbildungsvertrages ist somit zugleich die konkludente Ermächtigung des Auszubildenden nach § 113 BGB 19 Vgl. BAG, Urteil vom 20. 11. 1973 -1 AZR 331/73 - = EzA 1 zu § 65 BetrVerfG 1972; - zur Problematik einer restriktiven Handhabung vgl. schon Moritz (1974), S. 35 ff., 94 ff. 20 (1975), S. 18 f. 21 Dies ist letztlich Konsequenz des bei der Analogie erforderlichen "wertorientierten, teleologischen Denkens" (vgl. Larenz (1979), S. 337).
7. Abschn.: Die "Arbeitsmündigkeit"
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analog zu sehen zu allen Geschäften, welche der "Erfüllung" des Berufsausbildungsverhältnisses dienen22 ; ausgeschlossen sind lediglich die selbständige Kündigung des Ausbildungsverhältnisses sowie der Neuabschluß eines entsprechenden Vertrages. § 3 ArbeitsmÜDdigkeit und Aushilfstätigkeit
Auch für eine Aushilfs- oder Nebentätigkeit gibt es die Möglichkeit der Ermächtigung nach § 113 BGBl. Geht der Minderjährige einer solchen Beschäftigung ohne Wissen der gesetzlichen Vertreter nach, so kommt weder § 113 BGB noch § 107 BGB direkt oder analog zur Anwendung. Da § 110 BGB nur einen Sonderfall zu § 107 BGB darstellt2 , kommt bei einem Nichtwissen der Vertreter von der Berufstätigkeit des Minderjährigen § 110 BGB nicht in der Variante zur Anwendung, daß die Arbeitskraft als Mittel i. S. d. § 110 BGB anzusehen wäre3 • Ein Entgeltanspruch für geleistete Arbeit ergibt sich insoweit aus den Grundsätzen des faktischen Arbeitsverhältnisses4 • Dies bedeutet, daß die Rechte- und Pflichtenseite des geschlossenen Vertrages für die Zeit der Arbeitsleistung auflebt, als bestände ein rechtswirksamer Vertrags. Der Argumentation von P. Schwerdtner6, daß das Auseinanderdividieren der Rechteund Pflichtenseite des vollzogenen Arbeitsverhältnisses unzulässig sei, ist hinzuzufügen, daß bei ab-15jährigen die Vermutung bestehender Einsichtskompetenz eine solche Konstruktion auch nicht als vom "Minderjährigenschutz" gefordert erscheinen läßt. Wegen § 2 III JugArbSchG kommt auch ein faktisches Arbeitsverhältnis mit unter-15jährigen jedoch nicht in Betracht. Im übrigen gewährleistet § 276 Abs. 1 S. 3 BGB einen hinreichenden Schutz7 • 22 Dies bedeutet insbesondere auch das Recht zum Gewerkschaftsbeitritt. Entsprechend, allerdings unter Begründung aus Art. 9 III GG, Griesheimer (1971), S. 109. Die Möglichkeit der kollektiven Arbeitnehmer- bzw. Arbeitgeberorganisationen, die Ausbildungsvergütungen tarifvertraglieh festzulegen sowie der Entgeltcharakter der Ausbildungsvergütung führen dazu, daß die Arbeitskampfgrundsätze prinzipiell auch auf Lehrlinge anwendbar sind. 1 Ebenso: Gitter, MünchKomm., 2. Aufl., § 110, Rn. 13 ff. 2 H. M.; vgl. statt aller StaudingerlDilcher, 12. Aufl., § 110, Rn. 1, m. w. N. 3 Larenz, BGB-AT (1980), S. 98. 4 Vgl. BAG NJW 1976,1958; BrilI, BB 1975,284 f.; P. Schwerdtner (1976), S. 37 f. - Wird der Meinung gefolgt, daß der Minderjährigenschutz der Konstruktion eines faktischen Vertragsverhältnisses widerspreche, so ergäbe sich ein Lohnanspruch gegen den Arbeitgeber für die Vergangenheit unter dem Gesichtspunkt eines venire contra factum proprium (vgl. BAG DB 74, 2062). 5 So richtig P. Schwerdtner (aaO, S. 37), entgegen der h. M. (vgl. die Nachweise bei P. Schwerdtner, aaO, Fn. 161). 6 aaO. 7 So zutreffend P. Schwerdtner (1976), S. 38 m. w. N. in der Fn. 162 f.
25 Moritz
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5. Kap.: Handlungen im allgemeinen Rechtsverkehr
§ 4 Der minderjährige Arbeitgeber
Die gesetzlichen Vertreter können den Minderjährigen mit Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes zum selbständigen Betrieb eines Erwerbsgeschäfts ermächtigen (§ 112 Abs. 1 BGB). In diesem Fall gilt der Minderjährige für diesen Bereich als unbeschränkt geschäftsfähig. Er kann erforderlichenfalls auch Arbeitnehmer selbständig einstellen oder entlassen l . Hat das Vormundschaftsgericht nicht genehmigt, fehlt eine wirksame Ermächtigung i. S. d. § 112 BGB. Hat der Minderjährige gleichwohl Arbeitskräfte eingestellt, könnte bei bestehender Zustimmung der Eltern zum Betreiben des Erwerbsgeschäfts die Anstellung der Arbeitskräfte nach § 107 f. BGB wirksam sein. Davon ist jedoch dann nicht auszugehen, so lange nicht der Mehrwert der Arbeitsleistung dem Betrag der Lohnansprüche wenigstens entspricht. § 110 BGB ist auf Dauerschuldverhältnisse nicht anwendbar, da bei diesen ein (endgültiges) Bewirken nicht gegeben ist. Auch eine Ertragsüberlassung führt deshalb nicht zur Gültigkeit des Arbeitsvertrages zwischen dem minderjährigen Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer2.
Die Anwendung der Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses zugunsten der Arbeitnehmer führte zur Umgehung des Minderjährigenschutzes; diese scheidet deshalb aus. Anzuerkennen ist für diesen Sonderfall lediglich ein Herausgabeanspruch der Arbeitnehmer gemäß §§ 812 ff. BGB (auf Wertersatzp.
1 2 3
Henking (1969), S. 19 ff. Ebenso Faltermeier (1978), S. 112. Vgl. auch Flume (1979), § 13/7 e, ee.
6. Kap i tel
Stufe ,,11 4"1; Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten in jugendrechtlichen Angelegenheiten 1. Abschnitt
Problematik und die gesetzliche Berücksichtigung einer verfahrensmäßigen Handlungsfähigkeit Minderjähriger in jugendrechtlichen Angelegenheiten gegenüber dem Jugendamt sowie vor Vormundschafts- und Familiengericht Den Sorgeberechtigten ist die elterliche Sorge grundsätzlich in eigener Verantwortung überlassen. Die Betätigung der Eltern unterliegt der "Wacht (durch) die staatliche Gemeinschaft" (Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG). § 1666 BGB bildet insoweit die einfachgesetzliche Eingriffslegitimation2 . Das Elternrecht sowie die Ausübung der elterlichen Sorge sind zugleich pflichtbezogen3 . Diese Pflichtbezogenheit begründet einen "Anspruch" der Kinder gegenüber ihren Eltern auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge4 . Insbesondere am Beispiel elterlicher Berufswahlentscheidung für die Kinder, aber auch für die Gesamtheit der Eltern/Kind-Sozialisation ist nachgewiesen worden, daß die Fähigkeit der Eltern, eine dem Kind angemessene Entscheidung zu treffen, begrenzt istS ; weitgehend ist von bestehenden "Erziehungs"-Defiziten auszugehen6 • Daraus resultiert die Frage, inwieweit und auf welche Weise Fehlleistungen der Sorgeberechtigten7 auch unterhalb eines Zu den Handlungsstufen vgl. im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2; S. 184. Siehe im folgenden sowie schon Coester (1983), S. 135 ff. 3 Vgl. BVerfGE 24, 119, 143; 59, 364, 377 sowie die Gesetzesmaterialien zur Sorgerechtsneuregelung. 4 So insbesondere Gemhuber (1980), S. 708; Hinz (1966), S. 23; Münder, AK-BGB, § 1626, Rn. 2. 5 Vgl. vor allem Becker (1976), S.37, 49; Frommann (1977), S. 14 ff.; Hirsch (1965), S. 5; Jaide (1966), S. 95; 102, 105 sowie Münder, ZbIJugR 1975, 286 ff.; im Ergebnis auch Zenz, StAZ 1973, 263. 6 Münder, in Kühn u. a. (1978), S. 182 ff. m. w. N.; Lempp, ZbIJugR 1972, 135; Quambusch (1973), S. 10, m. w. N. Vgl. im einzelnen auch schon im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2; insbesondere S. 245 ff. 1
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6. Kap.: Handlungsfahigkeit vor Behörden und Gerichten
direkten Eingreifens des Staates8 vorgebeugt oder begegnet werden kann. Wird zudem anerkannt, daß das Kind Träger eigener Rechte ist9 , entsteht die Frage, inwieweit das Kind die Möglichkeit hat, seine Rechtspositionen auch durchzusetzen. Das Haben von Rechtspositionen ohne die Möglichkeit ihrer Durchsetzung entleert die Rechte. Dies gilt natürlich sowohl für die Kinder als auch für die Eltern. Die familienrechtlichen Positionen sind jeweils im Wechselbezug zu sehen. Bezüglich der Handlungsfähigkeit im FGG-Verfahren sieht das Gesetz in einigen Fällen ausdrücklich vor, daß Meinungsverschiedenheiten zwischen Eltern und Kindern vor dem Vormundschaftsgericht ausgetragen werden können. Nach § 3 Abs. 3 EheG kann der Minderjährige, der heiraten will und dem die gesetzlichen Vertreter die Einwilligung verweigern, das Vormundschaftsgericht anrufen. Nach § 1671 Abs. 3 S. 2 BGB kann der Minderjährige im Verfahren über die Sorgerechtsverteilung nach Scheidung einen eigenen, vom Elternvorschlag abweichenden Vorschlag machen. Fraglich und umstritten ist dagegen, inwieweit dem Minderjährigen weitere verfahrensrechtliche Befugnisse zur Durchsetzung seiner Positionen erwachsen 10 • Eine gesetzliche Berücksichtigung einer verfahrensmäßigen Handlungsfähigkeit Minderjähriger in jugendrechtlichen Anelegenheiten besteht wie folgt: Die gesetzliche Grundlage für etwaige Ansprüche Minderjähriger gegenüber dem Jugendamt bildet das Jugendwohlfahrtsgesetz ll . Da das JWG Teil des Sozialrechts ist 12 , gilt die Teilmündigkeitsgrenze des § 36 SGB-I; eine eigene Handlungsfähigkeit besteht somit von der Vollendung des 15. Lebensjahres an. Umstritten ist, inwieweit diese sozialrechtliche Handlungsfähigkeit den Minderjährigen ein autonomes Handeln im Verhältnis MinderjährigerJugendamt ohne Hinzuziehung der gesetzlichen Vertreter gewährt13 • In § 50 b FGG ist eine Anhörung des Kindes im Sorgerechtsverfahren vorgesehen. Eine zwingende Anhörung gilt für Minderjährige ab Vollendung des 14. Lebensjahres bezüglich der Personensorge, soweit nicht schwerwiegende 7 Dies kann gleichermaßen zwar auch im umgekehrten Verhältnis gelten (vgl. Coester-Waltjen, in Juristinnenbund (1977), S. 84 f.), nur sind die Eltern wegen der bei ihnen fortgeschrittenen psychischen Entwicklung in der Regel nicht so schutzbedürftig wie ihre Kinder. 8 Zur verfassungsrechtlichen Grundlegung dieses Ansatzes vgl. vor allem Häberle (1981), S. 50 ff.; s. auch schon im obigen 2. Kapitel, 5. Abschnitt. 9 Vgl. vorstehende Fn. 4 sowie vor allem Roell, Die Geltung der Grundrechte für Minderjährige, Berlin 1984, und Fehnemann, Die Zurechnung und Wahrnehmung von Grundrechten im Kindesalter, 1983. 10 Zum Meinungsstand vgl. im nachfolgenden 2. Abschnitt sowie bei den Einzelproblemen im 3. und 4. Abschnitt. 11 In der Fassung der Bekanntmachung vom 25. 4. 1977, BGBI. I S. 633, ber. S. 795. 12 Vgl. §§ 8,27 SGB-At sowie grundlegend schon BVerfGE 22,180 ff. 13 Siehe schon Moritz, Jura 1984, 126; im einzelnen vgl. im nachfolgenden 2. Abschnitt dieses (6. Kapitels), § 3 BIll.
1. Abschn.: Problematik einer verfahrensmäßigen Handlungsfähigkeit
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Gründe dagegen sprechen (§ 50 b Abs. 3 S. 1 FGG); für jüngere Kinder allgemein sowie für Jugendliche in vermögensrechtlichen Angelegenheiten "soll" eine Anhörung stattfinden (§ 50 b Abs. 1 und 2; vgl. aber auch den sortigen Abs. 3!)14. § 50 b Abs. 2 S. 3 FGG gewährt den Minderjährigen ab Vollendung des 14. Lebensjahres ein eigenständiges Recht auf rechtliches GehÖr l5 . Der 14 Jahre alte Minderjährige kann in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten sowie in sonstigen Angelegenheiten, in denen der Jugendliche vor einer Entscheidung des Vormundschaftsgerichts gehört werden soll, selbst ein Beschwerdeverfahren durchführen. Dazu ist die Entscheidung, gegen welche die Beschwerde in Betracht kommt, dem Minderjährigen bekannt zu geben. Eine solche Bekanntgabe enfällt allerdings mit der Folge der (faktischen!) Einschränkung der Beschwerdebefugnis, wenn Nachteile für die Entwicklung der "Erziehung" oder den Gesundheitszustand des Jugendlichen zu befürchten sind (vgl. § 59 Abs. 2 S. 2 FGG n. F.16). Die gesetzliche Berücksichtigung einer Verfahrensbeteiligung Minderjähriger vor dem Vormundschafts- oder Familiengericht ist somit eher sporadisch. Viele Detailfragen bleiben im verfahrensrechtlichen Bereich offen. Aus den gesetzlichen Regelungen läßt sich nicht entnehmen, ob und inwieweit Minderjährigen eigene Anregungs- und/oder Antragsrechte zustehen und welcher Zusammenhang mit einem Bescheidungsrecht besteht. Hinsichtlich der Anhörung sind die Fragen nach der Häufigkeit der Anhörung sowie nach der Wiederholbarkeit in der Beschwerdeinstanz zu beantworten. Noch immer nicht restlos geklärt sind Form, Art und Ort der Anhörung sowie, ob ein "Anwalt des Kindes!' erforderlich und/oder zulässig ist. Im einzelnen sind bezüglich der verfahrensmäßigen Handlungsfähigkeit Minderjähriger in jugendrechtlichen Angelegenheiten folgende Problem komplexe zu unterscheiden: 1. die Frage nach einer Verfahrensfähigkeit Minderjähriger vor Familien- und Vormundschaftsgericht sowie ihre Befugnisse gegenüber dem Jugendamt, 2. die Frage der Anhörungsrechte sowie 3. die sonstige verfahrensrechtliche Stellung Minderjähriger (z. B. als Zeuge).
14 Zur Problematik: W. Becker, die Eigenständigkeit des jungen Menschen, in FS Bosch, 1976, S. 37; Bosch, FamRZ 1973, 489; 1974,1; Kühn u. a., Selbstbestimmungsrecht des Jugendlichen, 1978; U. Fehnemann (1983). 15 Vgl. BumillerlWinkler, FGG, 3. Auf!. 1980, § 50 b, Anm. 3. 16 In der Fassung des UÄndG vom 20. 2. 1986, BGBI I S. 301 ff.; - zur davor bestehenden Auslegungspraxis vgl. Sedemund-Treiber, FamRZ 1986, 209, 215, m. w. N. in der dort. Fn. 41.
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6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
2. Abschnitt
Die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger vor Familien- und Vormundschaftsgericht sowie ihre Befugnisse gegenüber dem Jugendamt § 1 Meinungsstand
Ob und wie Minderjährigen zu ermöglichen ist, Divergenzen mit den Sorgeverpflichteten aus dem Familieninternum hinauszuheben, ist nach der Sorgerechtsneuregelung erneut zum Konfliktstoff geworden. Dem geschilderten Minderjährigeninteresse wird der Grundsatz der Familienautonomie entgegengehalten, welcher ein Hineinregieren des Staates in die Familie über das Kind entgegenstehe l . Es werden unterschiedliche Ansichten vertreten, wie der Konflikt zwischen Familienautonomie und Kindesinteresse in bezug auf eine Verfahrensfähigkeit Minderjähriger zu lösen ist. Vor allem vor Inkrafttreten der Sorgerechtsneuregelung wurden den (über 14 Jahre alten) Minderjährigen eigene Antragsrechte zum Vormundschaftsgericht zugesprochen2 . Diese Auffassung wird neuestens reaktiviert durch den Gedanken, daß aus der Beschwerdebefugnis des § 59 FGG auf eine erstinstanzliche Verfahrensfähigkeit rückzuschließen seP. In den Gesetzesmaterialien ist dagegen ein eigenes Antragsrecht des Minderjährigen beim Vormundschaftsgericht bei Eltern/ Kind-Konflikten über Sozialisationsfragen ausdrücklich verneint4 • Dem stimmt die Fachdiskussion heute überwiegend zu5 • Unterschiedliche Ansichten bestehen dagegen bezüglich der weiteren Frage nach den möglichen ~treitgegen ständen. So stellen einige generell auf die Mißbrauchsgrenze des § 1666 BGB 1 Vgl. BT-DrS 7/2060, S. 15 u. 18; Boxdorfer, RdJB 1974, 261; Coester-Waltjen, aaO, S. 85 m. w, N. in dort. Fn. 55. 2 Vor allem Coester-Waltjen in Juristinnenbund (1977), S. 84; vgl. auch Bosch, FamRZ 1973, 489, 499; Franz, ZbIJugR 1978,149,159; Peschel-Gutzeit, in Juristinnenbund (1977), S. tOl ff.; Schwab, AcP 172 (1972), S. 266,288. 3 Vgl. vor allem OLG München FamRZ 1978, 614, 617. Einen solchen Rückschluß aus § 59 FGG verneinen dagegen: Jansen, § 59, Rn. 12; Keidel u. a., § 59, Rn. 2 a m. w. N. in dort. Fn. 5. Andererseits vertritt Friedrichs (ZbIJugR 1981, 318) die Auffassung, daß dem Jugendlichen zwar ein Anregungsrecht zustehe, im Falle der Ablehnung des Eingriffs ihm jedoch keine Beschwerdemöglichkeit nach § 59 FGG gegeben sei; a. A. wohl BayObLG FamrZ 1982, 634 ff. 4 Vgl. BT-DrS 7/2060, S. 16 Nr. 8 und tO, S. 20 Nr. 6; BT-DrS 8/2788, S. 37. Dagegen Abg. Lepsius, steno Bericht V1I/129. Sitzg. vom 8. 11. 1974 unter Nr. 8735. Eine Entwurfsänderung hatte die Diskussion nicht zur Folge. Auch zur Neufassung des § 59 Abs. 2 und 3 FGG wurden Antragsrechte des Minderjährigen nicht diskutiert (vgl. BT-DrS 10/2880 und BT-DrS 10/4514); vgl. aber den Ausnahmetatbestand des § 3 Abs. 3 EheG. 5 Vgl. Coester-Waltjen, aaO, S.84; Frommann (1977), S. 20 ff.; Hinz, MünchKomm-ErgB, § 1631 a, Rn. 18,28; Münder, BGB-AK, § 1666, Rn. 43; Schlüter (1986), S. 182 f.; SoergellLange, 11. Aufl., § 1631 a, Rn. 13.
2. Abschn.: Die Verfahrensfahigkeit Minderjähriger
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ab 6 • Andere anerkennen ein Anregungsrecht des Minderjährigen zum Vormundschaftsgericht im Rahmen des § 1666 BGB sowie daneben aus § 1631 a BGB7. Schließlich gibt es Befürworter eines allgemeinen Anregungsrechtes zum Vormundschaftsgericht in allen die Person des Minderjährigen betreffenden Angelegenheiten8 , ggf. unter der Bedingung einer vorherigen ergebnislosen Einschaltung der Erziehungsberatung9 . Insbesondere auch das UÄndG vom 20. 2. 198610 hat insoweit keine Klarheit geschaffen. Dies verwundert deshalb nicht, da der Schwerpunkt der gesetzlichen Neuregelung bei materiellrechtlichen Regelungen des nachehelichen Unterhalts lag, einschließlich der davon tangierten verfahrensrechtlichen VorschriftenlI. Der neu eingeführte § 59 Abs. 2 S. 2 FGG, nach dem den Minderjährigen die Sorgerechtsentscheidung ggf. ohne Begründung mitgeteilt werden kann, trifft insofern nur eine punktuelle Regelung. Aufgegriffen wurden damit Vorschläge der Rechtsprechung12 bzw. der Literatur 13 . Eine Mitteilungspflicht entfällt, mit der Folge der faktischen Einschränkung des Beschwerderechts des Minderjährigen nach § 57 FGG, wenn Nachteile für die Entwicklung oder "Erziehung" oder den Gesundheitszustand des Minderjährigen zu befürchten sind. Die Konsequenz der Vorschrift besteht darin, daß für den labilen, mindestens 14 Jahre alten Minderjährigen (§ 59 Abs. 3 FGG n. F.) zunächst einmal Ruhe geschaffen werden soll. Eine rechtliche Beschränkung des Beschwerderechts enthält die Neufassung aber auch für diese Jugendlichen nicht. Ungeklärt bleibt des weiteren, inwieweit den Minderjährigen ansonsten Befugnisse vor dem Jugendamt sowie Vormundschaftsund Familiengericht zuzuerkennen sind. § 2 Würdigung der bestehenden Wertungslage
Die Darstellungen von Gesetzeslage und des Meinungsstandes machen deutlich, daß für Minderjährige keine Sicherheit besteht, ob und wie sie ggf. rechtliche Positionen gegenüber dem Jugendamt sowie vor Vormundschaftsoder Familiengericht geltend machen können. 6 Frommann (1977), S. 20 ff.; Münder, aaO? § 1666, Rn. 11 ff.; Schlüter (1986), S. 181 ff. 7 Beitzke, Lehrb., § 2711 2; Friedrichs, ZblJugR 1980, 313, 318; Holtgrave, lZ 1979, 665,667; Schwab, FamR-Lehrb. (1984), S. 229, Rn. 463. 8 Coester-Waltjen, in lurstinnenbund (1977), S. 86 f.; Hinz, Kindesschutz als Rechtsschutz und elterliches Sorgerecht, Berlin 1976, S. 41 ff., 64 f.; Henrich, FamRLehrb. (1980), S. 131 f. 9 Coester-Waltjen, aaO; dazu kritisch schon Lüderitz, FamRZ 1978, 475, 476. 10 Gesetz zur Änderung unterhaltsrechtlicher , verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften vom 20. 2. 1986, BGBI I S. 301. 11 Vgl. die Begründung in BT-DrS 10/2888, S. 11. 12 OLG München FamRZ 1978, 614, 616. 13 Vgl. KeideUKuntzelWinkler, FGG, 11. Aufl., § 64 a, Rn. 123.
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6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
Neben den unterschiedlichen Auffassungen sind einige Äußerungen zudem in sich widersprüchlich. Diese Widersprüche resultieren daraus, daß sich einige Stellungnahmen auf den Gesetzentwurf zur Sorgerechtsneuregelung beziehen, ohne daß sie später der gegenüber dem Entwurf restriktiven Endfassung des Gesetzes zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge angepaßt wurden. Deutlich wird dies etwa bei der Kommentierung von Münder, wenn er zu § 1631 BGBI das "Erziehungsrecht" nur durch Teilmündigkeiten der Minderjährigen für einschränkbar hält, ab Verweisungsort, wo derartige Teilmündigkeiten aufgelistet sein sollten, dann jedoch eine derartige Aufzählung fehlt; offenbar, weil § 1626 Abs. 2 BGB nach der Endfassung restriktiver zu handhaben war, als dies noch zum Entwurf vorauszusehen war. Auch bei den Ausführungen von Coester-Waltjen2 , welche für ein (neben §§ 1631 a, 1666 BGB) allgemeines Anregungsrecht der Minderjährigen zum Vormundschaftsgericht plädiert, ist fraglich, ob die Autorin nach der Neufassung des Entwurfs zur Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorge durch den 6. Ausschuß3 (mit den folgenden Änderungen: Fortfall des § 1626 a (E); Neufassung des § 1628 Abs. 1 (E); Einfügung der §§ 1631 a und 1631 b; Fortfall der Altersnennung in § 1634 Abs. 1 Satz 2 (E) etc.) an dem Gedanken eines allgemeinen Anregungsrechtes weiterhin festgehalten hätte. Bei der Diskussion um die Zuerkennung eines Anregungs- oder eines eigenen Antragsrechtes werden des weiteren die Eigenarten des FGG-Verfahrens ignoriert. Denn - jedenfalls - für § 1631 a und § 1666 BGB gilt das Amtsverfahren 4 • In diesem Verfahren kommt aber einem Antrag nur die Bedeutung einer Anregung zu 5 • Für einen Antrag im eigentlichen Sinne bestände somit kein Bedürfnis. Würde Friedrichs6 gefolgt, welcher eine Bescheidung von der Antragsbefugnis abhängig machen will, bedeutete dies, daß ein Anspruch auf Bescheidung im Amtsverfahren entfiele7 . Es besteht somit kein Konsens über die verfahrensrechtliche Stellung Minderjähriger vor dem Vormundschafts-lFamiliengericht und Jugendamt. Die Argumente, daß eine unmittelbare Entscheidung des FGG-Gerichtes auf Anregung des Minderjährigen mit der Familienautonomie unverträglich sei8 , wird entgegengehalten, daß es dem Vormundschaftsgericht auch nach § 1628 Münder, BGB-AK, § 1631, Rn. 4. In Juristinnenbund (1977), S. 84 ff. 3 BT-DrS 8/2788. 4 Ebenso Diederichsen, NJW 1980, 1, 5; Hinz, MünchKomm., Ergb., § 1631 a, Rz. 19; PalandtlDiederichsen, § 1631 a, Anm. 3 a; insoweit auch Friedrichs, ZbIJugR 1980,316; Münder, AK-BGB, § 1666, Rn. 43. 5 KeideUKuntzelWinkler, 11. Aufl., § 12, Rn. 2 b; BassengelHerbst (3. Aufl., 1981), S. 1. 6 ZbIJugR 1980, 318. 7 A. A. wohl BayObLG FamRZ 1982, 634 ff. sowie OLG München FamRZ 1978, 614,617. 8 CoesterlWaltjen, in Juristinnenbund (1977), S. 87. 1
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2. Abschn.: Die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger
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Abs. 1 BGB (allerdings auf Antrag eines Elternteils!) möglich wäre, einem Elternteil die Sachentscheidung zu entziehen sowie den Entscheidungsinhalt zu bestimmen9 . Eine unmittelbare Entscheidung wollen indes auch die Befürworter dieses Weges auf Fälle erheblicher Bedeutung beschränken lO ; vor der Gerichtsentscheidung soll zudem eine Erziehungsberatung eingeschaltet werdenll. Dem wiederum steht entgegen, daß das JWG (dort für die Fälle der §§ 1631 Abs. 3!, § 1634 Abs. 2 u. 4 sowie § 1711 Abs. 2 S. 1 u. 2 BGB) eine Aufgabenzuweisung an das Jugendamt durch das Vormundschaftsgericht vorsieht (§ 48 c JWG), also ein vorheriges Einschalten des Vormundschaftsgerichtes vom Gesetz selbst vorausgesetzt wird. In der Praxis fehlt es zudem in den Jugendämtern an entsprechenden personellen Kapazitäten 12 . Schließlich wird von den Kritikern eigener verfahrensrechtlicher Kompetenzen Minderjähriger gerade im Hinblick auf die Einschaltung von Behörden die Befürchtung geäußert, daß die Behördenangehörigen "einem bestimmten Erziehungsideal huldigen" könnten und somit eine Gefahr einer zu weitgehenden Einflußnahme auf die Eltern und der Aushöhlung des elterlichen Erziehungsrechtes bestehe 13 . Diese Gefahr ist jedenfalls dann nicht von der Hand zu weisen, wenn etwa Peschel-Gutzeit14 (jedenfalls) im Rahmen des § 1631 a "Abwehrrechte" der Minderjährigen vom 12. Lebensjahr an installieren will. § 3 Eigene Lösung
A. §§ 1631 a, 1666 BGB als ausschließliche Konfliktsund Transformationsnormen bei Spannungen im bestehenden Eltern/Kind-Verhältnis Coester-Waltjen 1 ist zuzustimmen, wenn sie auf die Notwendigkeit hinweist, Mitspracherechte der Jugendlichen auch verfahrensmäßig zu berücksichtigen. Derartige Befugnisse müssen das Elternrecht respektieren. Elterliche Letztentscheidung in Zweifelsfällen2 bedeutet aber, insbesondere wenn Coester-Waltjen, aaO, S. 86. Bosch, FamRZ 1973, 489, 499; Coester-Waltjen, aaO, S. 84; Franz, JbIJugR 1978, 149,159 f.; Peschel-Gutzeit, in Juristinnenbund (1977), S. 101 ff. 11 Coester-Waltjen, aaO. 12 Vgl. MoritzlMeier (1982), S. 195 ff. 13 Vgl. die Nachweise bei Franz, ZbIJugR 1978, 160: Zentralkommittee der deutschen Katholiken im Jugendwohl 1977, 253, 254; dies. FamRZ 1977, 610; Giesen, FamRZ 1977, 594, 595; Strätz, FamRZ 1975, 541, 543 u. 549; Will-Field, Die neue Ordnung 1975, 361, 368. 14 In Juristinnenbund (1977), S. 89, 102 ff.; vgl. dagegen Coester-Waltjen (aaO, S. 78 f., 81 f.), welche bezüglich der ärztlichen Behandlung sowie bei Ausbildungs- und Berufsfragen eine 14-Jahresgrenze anerkennen will. 1 Juristinnenbund (1977), S. 84, mit Zenz, StAZ 73,263, und Stöcker, RuG 74, 70. 2 Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, §§ 3 und 4; insbes. S. 143ff., 149ff. 9
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6. Kap.: Handlungsfahigkeit vor Behörden und Gerichten
Kompetenzzweifel nicht begründet sind, daß die Artikulation und das Austragen der Meinungsunterschiede grundsätzlich möglich sein müssen. Wenn den Eltern die Pflicht zur Respektierung des (begründeten) Kindeswillens auferlegt wird, die Betroffenen jedoch Pflichtverletzungen ausgeliefert wären, ohne die Möglichkeit zu haben, eine Abhilfe zu bewirken, förderte dies eine - dem Menschenbild des Grundgesetzes sicher nicht entsprechende - Passivhaltung. Das Gebot der Zubilligung von Kompetenzen, als notwendige Voraussetzung des Verfassungspostulates der personalen Autonomie, bezieht sich deshalb auch auf die Verfahrensebene 3 • Erforderlich ist jedoch auch insoweit, daß die Beteiligteninteressen angemessen berücksichtigt sind. Der von Coester-Waltjen4 eingeschlagene Weg eines allgemeinen Anregungsrechts, wohl aus § 1626 Abs. 2 BGB, neben den §§ 1631 a, 1666 BGB, scheidet aus. Denn die §§ 1618 a, 1626 Abs. 2 BGB begründen keine eigenen, unmittelbaren Anspruches. § 1631 a BGB wird richtig als Spezialnorm gegenüber § 1666 BGB in Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufs angesehen, mit eigenen Eingriffsvoraussetzungen6 • Als Konflikts- und Transformationsnorm bei Spannungen im Sozialisationsbezug im bestehenden Eltern! Kind-Verhältnis stellt das BGB im übrigen allein § 1666 zur Verfügung7 . Zutreffend haben diejenigen, welche ein allgemeines Anregungsrecht neben den §§ 1631 a, 1666 BGB befürworten, erkannt, daß den Minderjährigen um des Verfassungspostulats personaler Autonomie willen eine verfahrensrechtliche Position einzuräumen ist, welche ihnen die Artikulation und ggf. die Durchsetzung ihrer Position ermöglicht. Die Herleitung eines solchen Anspruches aus § 1626 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 1627 BGB setzte jedoch voraus, daß der Gesetzgeber diesem verfassungsrechtlichen Gebot und nachbardisziplinär begründeten Bedürfnis nicht anderenorts Rechnung trägt. Indem jedoch § 1666 Abs. 1 BGB ein Eingreifen des Vormundschaftsgerichtes von Amts wegen auch auf Anregung des Minderjährigen8 schon für den Fall eines "unverschuldeten Vers agens der Eltern" vorsieht, ist damit den verfahrensrechtlichen Bedürfnissen der Minderjährigen Rechnung getragen. Aus dem dargestellten Zusammenhang der Auslegung des § 1666 Abs. 1 BGB und 3 Zum Zusammenhang vgl. im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, sowie im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A. 4 aaO. 5 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 2.4. 6 Vgl. statt aller BayObLG FamRZ 1982, 636, m. w. N.; - a. A. wohl Schlüter (1986), S. 182 f. und Frommann (1977), S. 20 ff. 7 Davon zu unterscheiden sind die Sonderleistungen an das Vormundschaftsgericht etwa nach §§ 1628 Abs. 1 S. 2 und Abs. 2, 1629 Abs. 1 und 2, 1630 Abs. 2 und 3, 1631 Abs. 3, 1631 b, 1632 Abs. 3 und 4, 1634 Abs. 3 S. 2 sowie 1671 ff. BGB. 8 Für ein Anregungsrecht, wenn nicht gar ein Antragsrecht, auch OLG München FamRZ 1978, 616; BayObLG FamRZ 1982, 634 ff. - wie hier auch Belchaus (1980), S. 136; Münder, BGB-AK, § 1666, Rn. 43; Soergel/Lange, 11. Aufl., § 1666, Rn. 55; Henrich (1980), S. 147.
2. Abschn.: Die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger
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der Sicherung der verfahrensrechtlichen Position der Minderjährigen folgt zugleich, daß das "unverschuldete Versagen der Eltern" des § 1666 Abs. 1 BGB extensiv auszulegen ist. Denn eine restriktive Auslegung bewirkte eine Regelungslücke zu Lasten der Minderjährigen. Danach rechtfertigt die fehlende Respektierung des begründeten Kindeswillens Maßnahmen nach § 1666 BGB. In Betracht kommen Angebote jugendamtlicher Hilfen (Erziehungsbeistandschaft, Familienberatung und -Hilfe) sowie Anregungen und Auflagen durch das Vormundschaftsgericht, mit dem Ziel, den Dialog zwischen Eltern und Kindern zu fördern; die Maßnahmen reichen unter Beachtung des am Kindeswohl orientierten Verhältnismäßigkeitsprinzips9 je nach Schweregrad bis hin zum Sorgerechtsentzug und der Trennung des Kindes von der Familie lO • Infolge der festgestellten Kongruenz von "Kindeswohl" und der "Respektierung des (begründeten) Kindeswillens"ll sticht auch das Argument nicht mehr, daß wegen der Unbestimmtheit des Kindeswohlbegriffs dieser nicht als Maßstab für die Bestimmung des "unverschuldeten Versagens" dienen könne 12 . Dem Kindeswohl, in den gefundenen Konkretisierungen 13 , ist somit die Funktion als zentrale Auslegungsrichtlinie zugewiesen 14 •
B. Initiativrechte vor Vormundschafts-/ Familiengericht und Jugendamt I. Anregungs· und/oder Antragsrecht
Als materielle Regelungsgrundlage bei Spannungen im bestehenden Eltern! Kind-Verhältnis wurden die §§ 1631 a, 1666 BGB benannt. Die Spezialität des FGG-Verfahrens besteht darin, daO die materielle Norm zugleich das Verfahren bestimmt. Nach ganz h. M. ist für die Gegenstände der §§ 1631 a, 1666 BGB das Amtsverfahren gegeben. Dies bedeutet, daß das Gericht bei entsprechenden Anregungen von Amts wegen handelt. Das Tätigwerden allein genügt jedoch den Minderjährigeninteressen solange nicht, wie nicht das Tätigwerden zugleich mit einer für den Betroffenen erkennbaren Reaktion verbunden ist. Denn erst diese vermittelt dem Minderjährigen 9 Zur Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes vgl. BVerfG NJW 1982,1379 = FamRZ 1982, 567 = ZbIJugR 1982, 314 = JZ 1982, 416. - Siehe im einzelnen auch im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 3. \0 Zu den möglichen Maßnahmen vgl. die Darstellung bei Münder, BGB-AK, §§ 1666-1666 a, Rn. 34 f. sowie Anh. zu § 1666 a. Für eine Auslegung des "unverschuldeten Versagens" als extensiven A\lffangtatbestand auch Münder, BGB-AK, aaO, Rn. 17; Firsching (1979), S. 336; vgl. auch BTDrS 7/2060, S. 28. - A. A. PalandtlDiederichsen, § 1666, Anm. 4 a cc. 11 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III. 12 So aber PalandtlDiederichsen, § 1666, Rn. 4 a cc. \3 4. Kapitel, 3. Abschnitt; vgl. insbesondere in dem dortigen § 2. 14 Ebenso: Münder, BGB-AK, § 1666, Rn. 17 ff.
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6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
die für seine persönliche Entwicklung erforderliche Gewißheit, nicht ausgeliefert zu sein, indem er die Möglickeit einer Devolution des Eltern/Kind-Konfliktes in die Gerichtssphäre hat. Hier nun gewinnt die Diskussion um ein eigenes Antragsrecht der Minderjährigen erneut Bedeutung. Denn käme auch im Amtsverfahren allein dem Inhaber einer Antragsbefugnis ein Bescheidungsanspruch zu, mit der weiteren Folge einer möglichen Beschwerdebefugnis l5 , wäre die für den Minderjährigen erfahrbare Reaktion von der Antragsbefugnis abhängig. Es ist festzustellen, daß für die in Betracht kommenden Verfahren nach
§§ 1631 a, 1666 BGB das Amtsverfahren gilt. Auch ein Antrag hätte insoweit
für das Gericht nur die Bedeutung einer Anregung l6 . Fraglich ist jedoch, ob darüber hinaus ein Antragsrecht als Grundlage für einen Bescheidungsanspruch zu konzipieren ist. 11. Anregungs- und Bescheidungsrecbte Minderjäbriger im Verfahren der freiwilligen Gericbtsbarkeit
1. Bescheidung auch unabhängig von einem Antrag Die Konzeption eines Antragsrechts zur Begründung eines späteren Anspruchs auf Bescheidung ist dem FGG fremd. Andererseits billigt § 57 FGG Beschwerdebefugnisse (z. B. gegen die Anordnung der Vormundschaft) zu, unabhängig davon, ob vom Beschwerdeführer eine Anregung zum Tätigwerden des Gerichtes ausging 17 ; dies gilt auch noch nach Ergänzung des § 64 k Abs. 3 FGG durch einen weiteren Satz 418 . Aus der Beschwerdeberechtigung folgt jedoch, daß die Anordnung, gegen welche die Beschwerde zulässig ist, zuvor auch dem Beschwerdeberechtigten bekannt gemacht wird 19 , ggf. ohne oder mit eingeschränkter Begründung (vgl. § 59 Abs. 2 S. 2 FGG n. F.20). Entgegen Friedrichs21 setzt eine Bescheidung somit keine vorherige AntragsteIlung voraus 22 . So Friedrichs, ZbIJugR 1980, 318. KeidellKuntzelWinkler, FGG, 11. Auf!., § 12, Rn. 2 b; BassengelHerbst, FGG, 3. Auf!. 1981, S. 1. 17 Vgl. Jansen, FGG, § 57, Rn. 3. 18 Gesetz vom 20. 2. 1986, BGBI I S. 301,305. 19 KeideIlKunthelWink1er, FGG, 11. Auf!., § 12, Rn. 2 b. 20 Nach dem Gesetz zur Änderung unterhaltsberechtlicher, verfahrensrechtlicher und anderer Vorschriften (AÄndG) vom 20. 2. 1986, BGB! I S. 305. 21 ZbIJugR 1980, 318. 22 Ob selbst die "privatrechtsgestaltende Wirkung" von der AntragsteIlung der Betroffenen abhängig ist (so: Schmidt (1974), S.26 f., vgl. insbesondere in dort. Fn. 34) oder dazu nicht der "hoheitliche Wille" i. V. m. der Beachtung - insbesondere - der Anhörungs- und Beteiligungsrechte genügt, ist zu bezweifeln. Dies gilt jedenfalls für jene privaten Rechte, welche, wie die elterliche Sorge, fremdnützig sind. 15
16
2. Abschn.: Die Verfahrensfahigkeit Minderjähriger
397
2. Kein Antragserfordernis für eine einstweilige Anordnung Ein Antrag ist auch nicht erforderlich als Voraussetzung für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes. Das Bedürfnis nach einstweiligem Rechtsschutz kann allgemein bei den
§§ 1666 f. BGB bestehen, um akute Gefahren von dem Kind abzuwenden 23
oder z. B. einem unzulässigen (Heil-)Eingriff vorzubeugen24 • Ebenso kann bei § 1631 a BGB ein sofortiges Eingreifen erforderlich sein 25 • Das FGG kennt jedoch kein allgemeines Institut der einstweiligen Anordnung. Es ist heute aber unbestritten, daß derartige vorläufige Anordnungen auch über die im Gesetz geregelten Einzelfälle hinaus generell anzuerkennen sind 26 • Für die einstweilige Anordnung im Verfahren nach der ZPO gilt prinzipiell ein Antragserfordernis. Davon wird indes abgewichen, wenn auch der Hauptrechtsstreit von Amts wegen eingeleitet wird (etwa bei § 623 Abs. 3 i. V. m. § 620 a Abs. 2 Satz 2 ZP027). Wird dieser Gedanke auf die Anregungsrechte Minderjähriger im FGG-Amtsverfahren übertragen, so bedeutet dies, daß das Gericht von Amts wegen zu prüfen hat, ob der Gegenstand, auf welchen die Anregung zielt, vorläufig durch einstweilige Anordnung zu regeln ist. Der Institutionalisierung eines Antragsrechtes für den Minderjährigen bedarf es dazu nicht. 3. Konsequenzen für die verfahrensrechtliche Stellung Minderjähriger vor Vormundschafts- und Familiengericht Aus den bisherigen Erörterungen ergeben sich die folgenden gesetzlichen Beurteilungsprämissen für die verfahrensrechtliche Stellung Minderjähriger: (1) Die Bewertungsnormen bilden die §§ 1631 a, 1666 BGB. (2) Für das maßgebende Amtsverfahren bedarf es lediglich einer Anregung. (3) Einstweiligen Rechtsschutz ordnet das Gericht im Amtsverfahren von Amts wegen an. (4) Der Anspruch auf Bescheidung ist nicht auf die Inhaber eines Antragsrechtes beschränkt, Anhaltspunkt dafür ist u. a. auch die Beschwerdebefugnis.
23 So richtig Habscheid (1977), S. 119, mit dem Beispiel aus OLG Hamm OLGZ 1972,382. 24 Vgl. etwa Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 278 f., welcher allerdings von einem "Vetorecht" des Minderjährigen ausgeht. 25 Vgl. etwa BayOblG FamRZ 1982, 634 ff. 26 Vgl. grundlegend H. Müller, JR 1954, 52. 27 Siehe bei RosenbergiSchwab, 13. Aufl., 1981, S. 1052.
398
6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
Das Gesetz selbst stellt mit diesen Prämissen Maßstäbe auf, welche, wie zu zeigen ist, auch zu einer sachgerechten Lösung führen. So trägt die Korrelation von Beschwerdebefugnis und Bescheidungsrecht dem Minderjährigeninteresse auf Durchsetzbarkeit seiner Positionen systemimmanent Rechnung, als eben ein Bescheidungsrecht immer dann anzuerkennen ist, wenn sich daran auch weitere verfahrensrechtliche Konsequenzen (Beschwerde) knüpfen 28 • Da der Bescheidungsanspruch von der Beschwerdebefugnis und nicht von einem Antragsrecht abhängig ist, wird die Diskussion um ein eigenes Antragsrecht Minderjähriger gegenstandslos; zugleich entfallen zweifelhafte Praktikabilitätsüberlegungen zum Für und Wider eines Antragsrechtes29 • Da auch ein einstweiliger Rechtsschutz von Amts wegen eingeleitet wird, ist ebenfalls insofern die Konzipierung eines Antragsrechtes nicht erforderlich. Zweifel könnten sich unter dem Aspekt der Familienautonomie jedoch ergeben, als das FGG eine Altersbeschränkung für die Anregenden im Amtsverfahren nicht kennt30 . Das Lebensalter des Anregenden berücksichtigt das Gericht im Rahmen seiner Prüfung, ob und welche Ermittlungen es aufnehmen soll bzw. ob und ggf. welche Verfügungen zu treffen sind31 • Die getroffene Verfügung, auch jene über die (formlose) Einstellung ist dem Minderjährigen, wenn er (bei Bekanntmachung der Entscheidung32) mindestens 14 Jahre alt ist, als Folge des § 59 FGG bekannt zu machen 33 • Daß in die Familie nicht übermäßig eingegriffen wird, ist dadurch geWährleistet, daß ein Bescheidungsrecht sowie die Möglichkeit, eine weitere gerichtliche Befassung zu bewirken, für den Minderjährigen von der Existenz einer Beschwerdebefugnis abhängt. Diese ist gemäß § 59 FGG erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres gegeben. Unterhalb dieses Alters wird das Gericht auch im Falle einer bestehenden Anregung durch den Minderjährigen nur in Fällen von erheblicher Bedeutung tätig. Eine restriktive Handhabung auch für über-14jährige entfällt, da die Sicherungsinstitution "Erziehungsberater" in der Praxis fehlt und somit die Zurückdrängung auch der Gerichtsbefugnisse den Minderjährigen im Ergebnis rechtlos stellte34 • Im Ergebnis ebenso: OLG München FamRZ 1978, 617. Vgl. etwa Coester-Waltjen, aaO, S. 86. 30 Jansen, FGG, § 13, Rn. 26. 31 Zur Prüfungspflicht im Amtsverfahren allgemein vgl. KeideVKuntzelWinkler, aaO, § 12, Rn. 2 b; BassengelHerbst, 3. Aufl. 1981, S. 1; unklar Jansen, FGG, § 12, Rn. 26. 32 Vgl. § 59 Abs. 3 FGG i. d. F. vom 20. 2. 1986, BGBI I S. 305. 33 KeideVKuntzelWinkler, FGG, 11. Aufl., § 12, Rn. 2 b, ziehen diese Konsequenz nur für die nach § 57 FGG Beschwerdeberechtigten; es ist jedoch kein Grund ersichtlich, dies nicht auch für den Minderjährigen über § 59 FGG in gleicher Weise gelten zu lassen. 34 Für eine Zurückdrängung der Gerichtsbefugnisse zugunsten eines Erziehungsberaters vor allem Coester-Waltjen, aaO, S. 84 ff.; vgl. auch Brüggemann (1974), S. 31 ff.; Franz, ZbIJugR 1978, 160. 28 29
2. Abschn.: Die Verfahrensfähigkeit Minderjähriger
399
Daß die verfahrensrechtlichen Befugnisse des Minderjährigen nicht erst vom 15. Geburtstag an (wie hinsichtlich der rechtsgeschäftlichen Teilmündigkeiten), sondern schon ab Vollendung des 14. Lebensjahres bestehen, ist unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten insofern zu rechtfertigen, als Offizial- und Inquisitionsmaxime die verfahrensleitende Stellung des Gerichtes besonders betonen, welches danach auch zur Berücksichtigung etwaiger Entwicklungsdefizite des anregenden Minderjährigen angehalten ist.
4. Ergebnis Somit ergibt sich für die (verfahrensrechtliche) Stellung Minderjähriger bei der gerichtlichen Behandlung von Spannungen im bestehenden ElternlKindVerhältnis: 1. Die fehlende Respektierung des begründeten Kindeswillens erfüllt den Tatbestand des "unverschuldeten Versagens der Eltern" i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB.
2. Dem Minderjährigen steht ein Anregungsrecht zum Vormundschaftsgericht in allen seine Person betreffenden Angelegenheiten zu. 3. Das Gericht entscheidet von Amts wegen, welche Verfügungen zu treffen sind, einschließlich des Erlasses einer einstweiligen Anordnung. 4. Ein Anspruch auf Bescheidung korreliert mit der Beschwerdebefugnis. Daraus folgt, daß ab-14jährigen ein Anregungsrecht, ein Anspruch auf Bescheidung sowie die Beschwerdebefugnis in allen ihre Person betreffende Angelegenheiten im FGG-Verfahren zusteht. Unter-14jährige haben lediglich ein Anregungsrecht. III. Die rechtliche SteUung Minderjähriger in bezug zum Jugendamt
Als "Schlichtungsstelle" bei Eltern/Kind-Konflikten kommt schließlich das Jugendamt in Betracht. An der Effizienz dieser Institution bestehen indes schon wegen der in der Regel mangelnden personellen und sachlichen Ausstattung35 Zweifel. Ein neues JHG wurde bislang nicht rechtsgültig36 • So bleibt es bei dem schwerpunktmäßigen Ansatz des JWG, "Erziehungshilfe" zu gewähren für Jugendliche, welche ein sozial auffälliges und abweichendes Verhalten zeigen 37 • Auch im Hinblick auf diese schwerpunktmäßige AusrichVgl. im einzelnen bei MoritzlMeier (1982), S. 195 ff. Siehe bei MoritzlMeier (1982), S. VII f., 14 ff.; vgl. auch Simitis in Goldstein u. a. (1979), S. 123 f. 37 Münder in Kühn u. a. (1978, S. 81, m. w. N.). 35
36
400
6. Kap.: Handlungsfahigkeit vor Behörden und Gerichten
tung ist zweifelhaft, ob das Jugendamt zu einer sachgerechten Lösung beiträgt, so lange nicht eine Erziehungsberatung mit entsprechenden Kapazitäten installiert ist, wie dies § 5 JWG vorsieht 38 . Aus den genannten Gründen ist somit eine restriktive Handhabung einer Einbeziehung des Jugendamtes geboten. Es ist auf die Stufe vermutbarer Kompetenzen abzustellen, so daß Initiativrechte des Minderjährigen (unter entwicklungspsychologischen Gesichtspunkten) allenfalls ab 15 Jahren in Betracht kommen. Dem entspricht § 36 Abs. 1 SGB I. Die Leistungen des JWG sind Sozialleistungen i. S. des SGB I. Eine Sozialrechtsmündigkeit besteht gern. § 36 Abs. 1 SGB I ab 15 Jahren. Spezialregelungen des JWG gehen dem SGB I jedoch vor (§ 37 SGB I). Nach § 1 Abs. 2 Satz 2 JWG ist ein Eingreifen (in das elterliche Sorgerecht) nur zulässig, wenn das Gesetz es erlaubt (z. B. §§ 64 ff. JWG). Das Jugendamt wird im übrigen kraft Amtes tätig. Die im JWG vorgesehenen Antragsrechte der Personensorgeberechtigten, nicht der Minderjährigen (1), haben lediglich deklaratorische Bedeutung39 • Daraus folgt: Ab-15jährigen Minderjährigen stehen aufgrund ihrer Sozialrechtsmündigkeit Anregungsrechte an das Jugendamt sowie die Befugnis zu, die zur Verfügung gestellten Sozialleistungen (z. B. Beratung) in Anspruch zu nehmen. Eine Beteiligung der Personensorgeberechtigten kann grundsätzlich nicht gegen deren Willen erzwungen werden. Die Verweigerung der Teilnahme (z. B. an einer Beratung) kann jedoch bei einer Wertung des Vormundschaftsgerichtes als Pflichtverletzung i. S. des § 1666 Abs. 1 BGB gelten. 40
38 In der Bundesrepublik bestanden nach einer älteren Untersuchung (vgl. Ludwig/ Ludwig (1974), S. 129) ca. 300 Erziehungsberatungsstellen. Angesichts der in der Zwischenzeit nicht voller gewordenen Kassen dürfte diese Zahl nahezu konstant geblieben sein. Der von der Unesco festgelegte Mindeststandard von einer Beratungsstelle pro 50.000 Einwohner erforderte dagegen wenigstens 1.200 Beratungsstellen. 39 Vgl. im einzelnen Moritz, Jura 1984, 113, 126. 40 Insoweit kommt auch dem Jugendamt ein Anregungsrecht zu; Beschwerderechte gegen Entscheidungen des Vormundschaftsgerichtes ergeben sich aus § 57, Abs. 1 Ziff. 9 FGG. Die Intervention des Jugendamtes rechtfertigt sich aus dem Kindeswohl. Zutreffend verlangt deshalb das KG (FamRZ 1982, 954; FamRZ 1982, 955), daß das Jugendamt das Rechtsmittel zu substantiieren hat, indem es konkret darlegt, inwieweit die Entscheidung im Einzelfall gegen das Kindeswohl bzw. auch die Interessen des Kindes verstößt; die Behauptung einer abstrakten Gesetzesverletzung genügt diesen Anforderungen nicht.
3. Abschn.: Anhörungsrechte
401
3. Abschnitt
Anhörungsrechte Mit Wirkung vom 1. 1. 1980 ist mit § 50 b FGG für Verfahren, welche die Personen- oder Vermögenssorge des Kindes betreffen, ein Recht des Minderjährigen auf persönliche Anhörung installiert. Es ist umstritten, von welchem Alter an eine Anhörung stattzufinden hat und ob diese in der Beschwerdeinstanz wiederholt werden muß, wer die Anhörung durchführt (auch ersuchter oder beauftragter Richter?), wie sowie an welchem Ort dies geschieht und schließlich, ob ein Anwesenheitsrecht der Sorgeberechtigten bei der Kindesanhörung anzuerkennen ist. § 1 Die Bedeutung des Lebensalters
und die Häufigkeit der Anhörung A. Der Meinungsstand
Das Gesetz differenziert nach dem Lebensalter. Minderjährige ab 14 sind in einem Verfahren, das die Personensorge betrifft, "stets persönlich" anzuhören (§ 50 b Abs. 2 S. 1 FGG). Bei jüngeren Kindern hört das Gericht das Kind nur an, "wenn die Neigungen, Bindungen oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind ... " (§ 50 b Abs. 1 FGG). Mit dem Argument des bei jüngeren Kindern (im konkreten Fall: 3 und 6 Jahre) sei der Wille noch ungefestigt, verneinte das BayObLG in einem Verfahren über das Aufenthaltsbestimmungsrecht ein Erfordernis der Anhörung l . Entsprechend verneint Luthin ein Anhörungsrecht (jedenfalls) für Kleinkinder, da diese die Neigungen, Bindungen und ihren Willen nicht artikulieren könnten2. Durch Relativierung des Begriffs "von Bedeutung" kamen der Arbeitskreis II 3 des Familiengerichtstages 19793 sowie der Arbeitskreis XII des Familiengerichtstages 19804 zu dem Ergebnis, daß bei Minderjährigen unter 14 Jahren von einer Anhörung (ausnahmsweise) abgesehen werden könne, wenn sich - etwa bei übereinstimmendem Elternvorschlag im Rahmen des § 1671 BGB - auch nach dem Bericht des Jugendamtes keine Bedenken unter dem Gesichtspunkt des Kindeswohls ergäben5 . 1 BayObLG FamRZ 1981, 814, 815 sowie FamRZ 1981, 999, 1001; zuvor schon in FamRZ 1980, 1064, 1065; entspr. OLG Hamm FamRZ 1980, 488 f. für die Beschwerdeinstanz. 2 Luthin, FamRZ 1979, 986, 989; relativierend in FamRZ 1981,111,113. 3 Vgl. FamRZ 1979, 90I. 4 FamRZ 1980, 1173; vgl. dazu Luthin FamRZ 1981, 111, 113. 5 Entspr. AmtsG Kamen FRES 1980, 368.
26 Moritz
402
6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
Demgegenüber wertete das OLG Köln die Nichtanhörung von 2 1/2 und 4 Jahre alten Kindern durch das AmtsG in einer Entscheidung zu § 1672 BGB als Verfahrensfehler6. Entsprechend urteilte das Kammergericht bei einem 7 1/2 Jahre alten Mädchen 7. Das Bundesverfassungsgericht definierte die Relation der Einzelkomponenten, indem es bei Sorgerechtsentscheidungen von der Anhörung des Kindes ausgeht und eine Ausnahme nur für den Fall akzeptiert, daß die Anhörung mit dem Kindeswohl im konkreten Fall unvereinbar ist8. Nicht ganz so konkret ist die Literatur. Einige differenzieren entsprechend den gesetzlichen Vorlagen nach dem Lebensalter und erkennen ein Anhörungsrecht für Kinder unter 14 Jahre nur "mit Vorbehalt" an9 • Andere fordern die Durchführung der Kindesanhörung auch für jüngere Kinder "grundsätzlich immer" 10 , "praktisch immer"ll bzw. "in aller Regel zwingend"12 oder empfinden diese auch nur als "unbedingt zu begrüßen"13 bzw. als "in der Regel notwendig"14. Im Grundsatz wird das Anhörungsrecht des Kindes nach § 50 b FGG auch für die Beschwerdeinstanz bejaht15 . Streitig ist jedoch, welche Ausnahmen von diesem Prinzip anzuerkennen sind. Übereinstimmung besteht dahingehend, daß eine nochmalige Anhörung zu unterbleiben hat, wenn dieser das Kindeswohl entgegensteht16. FehmeP7 nennt hier den Fall, daß die Kinder bei der Anhörung in 1. Instanz eine ausgesprochene Angst oder eine solche Aversion gegen einen Elternteil gezeigt haben, daß ihnen die Aufregung einer nochmaligen Anhörung erspart werden sollte. Die Rechtsprechung hält darüber hinausgehend eine nochmalige Anhörung in der Beschwerdeinstanz dann für verzichtbar , wenn - pauschal ausgedrückt - die erneute Anhörung neue Erkenntnisse nicht zu erbringen vermag 18 ; unter dieser Prämisse wird eine nochmalige Anhörung für verOLG Köln FamRZ 1980, 1153. KG 18 VF 1832/82 v. 24. 5. 1982 (nach Fehmel ZbIJugR 1982, 655, Fn. 9); eine Anhörungspflicht bejahen bei einem 10jährigen Kind das OLG Düsseldorf (FamRZ 1979,856) sowie bei 12 Jahren das OLG Bamberg (FamRZ 1979, 858). 8 BVerfG FamRZ 1981,124 = NJW 1981, 217 = ZbIJugR 1981, 61 ff., 64. 9 Gernhuber (1980), S. 642; ähnlich Schwab (1984), S. 216. 10 Fehmel, ZbIJugR 1982, 655, 657 - mit der altersmäßigen Beschränkung der Anhörung "von 3 Jahren an" -. Ohne diese altersmäßige Einschränkung dagegen Beres, ZbIJugR 1982, 1,5 f. und Dickmeis, ZbIJugR 1982, 271, 281. 11 Klußmann (1981), S. 92. 12 Diederichsen, NJW 1980,1,10. 13 Beer, VJ 1981, 304, 312. 14 Baer, FamRZ 1982, 221, 232. 15 Fehmel (ZbIJugR 1982, 661) mit: OLG Ramm FamRZ 1981, 821; BayObLG DAVorm 1982, 107 - beide zu § 64 a FGG - sowie Luthin, FamRZ 1981,1149,1150. 16 Vgl. Fehmel ZbIJugR 1982, 660 f. m. w. N.; ders., DAVorm 1981, 169 ff. Weitergehend (?) Baer, FamRZ 1982, 233. 17 ZbIJugR 1982, 654, 660. 6 7
3. Abschn.: Anhörungsrechte
403
zichtbar gehalten, wenn die Niederschrift der 1. Instanz und der sonstige Akteninhalt erkennen lassen, welchen persönlichen Eindruck die Beteiligten hinterlassen haben 19 , wenn im Beschwerdeverfahren neue, entscheidungserhebliche Tatsachen nicht vorgetragen wurden und noch keine allzulange Zeit seit der Anhörung in erster Instanz verstrichen ist2o . B. Eigene Stellungnahme I. Die Auslegung des § 50 b FGG § 50 b FGG trifft in seinen Absätzen 1 und 2 ausdrücklich eine altersmäßige Differenzierung. Dies spricht für eine Auslegung, wie sie etwa Gernhuber getroffen hat, indem er von den unter-14jährigen als Kinder mit einem "minderen Status" spricht21 sowie die über-14jährigen verfahrensrechtlich "in einer Ebene mit (den) sorgeberechtigten Elternteilen" sieht22 . Andererseits kommt es zur Fixierung des Kindeswohls maßgebend auf den ,,(begründeten) Kindeswillen" an23 . Es ist gerade Voraussetzung einer sachgerechten Entscheidung, daß das Gericht den Kindeswillen ergründet24 . Insofern trifft die Kritik von Fehme125 an den Entscheidungen des BayOblG26 zu, daß dieses den gesetzlichen Tatbestand verkannt habe. Denn die Gesetzesformulierung, daß "sich das Gericht von einem Kind einen unmittelbaren Eindruck" verschafft, ist dahin auszulegen, daß sich das Gericht zur Ergründung des Kindeswohls diesen persönlichen Eindruck stets zu verschaffen hat. 27 • Fehme128 verkennt dabei, daß zwischen emotionalem und rationalem Willen zu differenzieren ist 29 . Insofern ist Beres30 zuzustimmen, wenn er für die Anhörung eine altersmäßige Begrenzung nach unten ablehnt. Denn eine Willensergründung ist auch bei Kleinstkindern grundSätzlich möglich, nur differieren die VerfahVgl. die Einzelnachweise bei Fehmel, aaO, S. 661. Vgl. vor allem BayObLG FamRZ 1982, 634 ff.; entspr. OLG Hamburg FamRZ 1980, 943, 944 und OLG Hamm FamRZ 1981, 820, 821. 20 BayObLG FamRZ 1981, 999; FamRZ 1982, 634 ff. Entspr. (nach Fehmel, aaO) KG 18 UF 4767/81 v. 10. 2. 1982. Ebenso auch Luthin, Farn RZ 1981,1149,1150; für eine Anhörung in jedem Fall Baer, FamRZ 1982,233/234 sowie - mit der Ausnahme, daß das Kindeswohl der Anhörung entgegenstehe - Fehmel, ZbIJugR 1982, 661. 21 Gemhuber (1980), S. 642. 22 aaO, S. 643. 23 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2; insbes. S. 245 ff. 24 Wie vorstehende Fn. 25 ZbIJugR 1982, 654. 26 FamRZ 1981, 815; FamRZ 1981,1001. 27 Entsprechend Diederichsen, NJW 1980, 10; Fehmel, ZbIJugR 1982, 654. 28 aaO. 29 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III. 30 ZbIJugR 1982, 1, 5; entspr. Dickmeis, ZbIJugR 1982, 271, 281. 18 19
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6. Ka:p.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
ren 3!. Der Richter wird ggf. auf die Sachverständigenbeurteilung angewiesen sein32 ; diese enthebt ihn jedoch nicht der Pflicht der eigenen richterlichen Beurteilung. Schließlich führt auch nicht der vom BVerfG33 anerkannte Vorbehalt des Kindeswohls dazu, daß eine Anhörung überhaupt zu unterbleiben hat. Denn auch der von FehmeP4 - für die 2. Instanz - geschilderte Tatbestand der Heraufbeschwörung einer psychischen Belastung des Kindes aus der Befragung durch den Richter bedarf erst der richterlichen Feststellung. Bei Anzeichen für .eine solche Belastung des Kindes hat der Richter ggf. die Anhörung abzubrechen und zunächst zu überlegen, ob evtl. Kommunikationsalternativen verfahrensmäßiger oder personeller Art möglich sind; die richterlich festzustellende Undurchführbarkeit einer Anhörung bildet eine ultima ratio. Daraus ergibt sich: 1. Eine Anhörung des betroffenen Kindes ist zur Personensorge in der ersten Instanz stets durchzuführen, unabhängig vom Lebensalter des Kindes.
2. Die Differenzierung der Abs. I und 2 des § 50 b FGG markiert lediglich die Vorgehensweise. D. h., das über-I4jährige Kind ist stets anzuhören. Bei dem unter-I4jährigen Kind steht die gerichtliche Erforschung des (emotionalen bzw. rationalen) Kindeswillens im Vordergrund. Der Vorbehalt des § 50 b Abs. 3 Satz I FGG setzt voraus, daß das Gericht in persönlicher Anhörung feststellt, daß eine Fortführung der Anhörung mit dem Kindeswohl nicht vereinbar wäre. 3. Eine Anhörung in vermögensrechtlichen Angelegenheiten findet nur statt, wenn dies zur Sachaufklärung erforderlich ist; dies wird bei unter-14jährigen Kindern in der Regel nur der Fall sein, wenn zugleich der personensorgerechtliche Status berührt ist. 11. Anhörung in der Bescbwerdeinstanz
Die von den Gerichten praktizierte Handhabung der Kindesanhörung in der Beschwerdeinstanz folgt der Zielsetzung, das Kind nicht mehr als unvermeidbar zu belasten35 . Andererseits verwirklicht die Anhörung das Recht auf rechtliches Gehör des Art. 103 Abs. 1 GG36. Insbesondere aber bildet die persönliche Äußerung des Kindes, und nur diese (!), den wesentlichen Anhaltspunkt für den Kindeswillen und den Hinweis auf dessen Bedürfnisse. Diese 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III. Vgl. den Nachweis in der vorstehenden Fn. sowie: Arntzen (1980); Lempp, ZbIJugR 1977, 507 ff.; Wegener, ZbIJugR 1982, 493 ff. 33 FamRZ 1981,124 = ZbIJugR 1981, 61 ff. 34 ZbIJugR 1982, 660. 35 Fehmel, ZbIJugR 1982, 660, mit KG FamRZ 1981, 204. 36 Diederichsen, NJW 1980, 10. 31
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3. Abschn.: Anhörungsrechte
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wiederum markieren das Kindeswohl, welche die Entscheidungsprämisse für den Richter darstellt. Wird reflektiert, daß die Signaldeutung im Kommunikationsprozeß vom Absender und Empfänger abhängt 37 , weist schon dies auf die Deutungsvarianten in Abhängigkeit von den Interaktionspartnern hin. Dies gilt um so mehr, wird die von vielen eingeräumte nur relative nachbardisziplinäre Sachkompetenz der Familien- und Vormundschaftsrichter38 in die Überlegung mit einbezogen. Unter diesen Aspekten bedeutet die Anhörung in der Beschwerdeinstanz zugleich die Möglichkeit einer Korrektur in Richtung auf das Kindeswohl. Daraus folgt, daß die Feststellungen und Wertungen der ersten Instanz Unsicherheiten enthalten, die wegen des starken nachbardisziplinären Einschlags über das Maß hinausgehen, wie es sonst zwischen den Instanzen der Fall ist. Daraus aber folgt, daß die Frage, ob eine erneute Anhörung neue Erkenntnisse zu erbringen vermag, grundsätzlich nicht zu verneinen ist. Somit erscheinen die von der Rechtsprechung genannten Kriterien als spekulativ, nach denen eine erneute Anhörung entbehrlich sein soll. Vielmehr ist auch in 2. Instanz eine Anhörung durchzuführen. Es gelten hierbei die gleichen Grundsätze wie in der 1. Instanz. § 2 Die Durchführung der Anhörung
A. Form, Art und Ort § 50 b Abs. 1 und 2 FGG schreibt die "persönliche Anhörung" vor. Es gilt, den emotionalen bzw. rationalen Willen zu ergründen; dieser äußert sich anhand verbaler oder emotionaler Artikulation. Die persönliche Anhörung bildet danach das allein zulässige Verfahren!. Von der förmlichen Anhörung ist die Maßnahme des Freibeweises zu unterscheiden (z. B. im Sonderfall des Auslandsaufenthaltes des Kindes)2. Da es auf den persönlichen und unmittelbaren Eindruck ankommt, scheidet ebenfalls die Anhörung durch den beauftragten Richter aus; die Anhörung hat (auch) in der Beschwerdeinstanz durch das gesamte Gericht zu erfolgen3 . Vgl. Arbeitsgruppe Bielefelder Soziologen (Bd. 2, 1976), S. 270 ff. m. w. N. Vgl. etwa: Franz, ZbIJugR 1978, 149, 159 f., m. w. N.; Gernhuber (1980), S. 643; Klußmann, UJ 1981,308 f.; Kühn, in Kühn u. a. (1978), S. 406; Niemann, ZbIJugR 1980, 74, 76; Simitis in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 122 ff.; Wegener, ZbIJugR 1982, 493, 500 ff.; WestermannJAderhold, FamRZ 1978, 863; Simitis u. a. (1979), S. 341 ff. 1 Ebenso Fehmel, ZbIJugR 1982, 654, 660; Gernhuber (1980), S. 643; Luthin, FamRZ 1981, 111, 113. 2 So zutreffend Fehmel, aaO, S. 658. 3 Ebenso Fehmel, aaO, S. 662 f. m. w. N. 37
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6. Kap.: Handlungsfahigkeit vor Behörden und Gerichten
Als Ort der Anhörung werden vor allem vorgeschlagen das Gericht, die Wohnung, in der das Kind regelmäßig lebt, sowie Schule und Kindergarten4 . Für jede dieser Lösungen gibt es Argumente dafür und dagegen5 . Im Einzelfall wird das Gericht zu entscheiden haben, in welcher Weise sich der wirkliche Kindeswille am besten ergründen läßt. Bei Kleinkindern bietet sich der Hausbesuch an, da sich die Emotionalbindung dort vor allem im spielerischen Beisammensein sowie der Nahrungsaufnahme artikuliert. Im übrigen kommt es, entsprechend Arntzen6 , mehr auf das kindgemäße Verhalten des Richters an (z. B. Verzicht auf Amtskleidung und auf die Nüchternheit der Amtsstube; kindgemäße Sprache und Verbindlichkeit des Auftretens) als auf den Ort der Anhörung. B. Anwalt des Kindes Um die Berücksichtigung der Interessen des Kindes im Verfahren vor dem Vormundschafts- oder Familiengericht zu sichern, wird vielfach eine eigene anwaltliche Vertretung des Kindes verlangt7. Es wurde sogar ein "Verband Anwalt des Kindes e. V." gegründet, u. a., um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen8 . Andere erkennen die Gefahr, daß die Kindesinteressen im Gerichtsverfahren übergangen werden könnten, bezweifeln aber, ob eine Institutionalisierung eines Anwalts des Kindes im Sorgerechtsverfahren eine Stärkung der Kindesposition bewirkte9 . Als Zwischenlösung wird auch die Hinzuziehung des zuständigen Sozialarbeiters des Jugendamtes bei der Kindes anhörung vorgeschlagen 1o . Schließlich wird die Auffassung vertreten, daß jedenfalls dann, wenn die Interessen des Kindes im gerichtlichen Verfahren nicht durch die Eltern und auch nicht durch das Jugendamt wahrgenommen werden könnten, eine Beiordnung eines Anwalts des Kindes erforderlich sei l l . Neben dieser Meinungsvielfalt bezüglich der Zweckmäßigkeit eines eigenen Anwalts des Kindes besteht Uneinigkeit auch hinsichtlich der Frage, ob die Diskussion über die Berufung eines Anwalts des Kindes lediglich rechtspolitischer Natur sei 12 oder schon nach geltendem Recht die Zulassung eines eigenen Anwalt des Kindes möglich wäre 13 • Vgl. die Nachweise bei Klußmann (1981), S. 84 ff. Siehe bei Klußmann (1981), S. 34 ff.; vgl. auch bei Fehmel, ZbIJugR 1982, 659. 6 (1980), S. 54; auch Klußmann (1981), S. 85 f., dessen Favorisierung der jugendamtlichen Befragung hier allerdings aus den nachfolgend vorgetragenen Gründen nicht geteilt wird. 7 Vgl. die Nachweise bei Fehmel, aaO, S. 660, Fn. 70. S Siehe die entsprechende Publikation des Vereins "Anwalt des Kindes e. V.", Eigenverlag, Bielefeld 1983. 9 Simitis in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 122. 10 Ebenso Simitis in Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 123 f.; Zenz (1979), S. 400. 11 Simitis u. a. (1979), S. 140 ff. 12 So vor allem Kuntze, FamRZ 1985, 532, 533. 4
S
3. Abschn.: Anbörungsrechte
407
Auch Minderjährigen steht das Verfassungsrecht auf rechtliches Gehör des Art. 103 Abs. 1 GG ZU 14 • Zutreffend führt Kuntze aus, daß der Richter an das Gesetz gebunden ist, soweit rechtliches Gehör durch ein einfaches Verfahrensgesetz ausreichend geregelt wird 15 • Berücksichtigt ist das rechtliche Gehör Minderjähriger im Verfahren vor Vormundschafts- bzw. Familiengericht in § 50 b FGG. Zumindest für Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres hält das Amtsgericht Mönchengladbach-Rheydt 16 die Rechte der Minderjährigen jedoch für noch nicht ausreichend konkretisiert. Das Gericht hat dabei offensichtlich die unterschiedlichen Regelungen in den Abs. 1 und 2 des § 50 b FGG im Auge. Diese Beurteilung überzeugt jedoch nicht. Denn die vom Gericht M'Gladbach-Rheydt beschworene unterschiedliche Bewertung des Anhörungsrechts von Minderjährigen unter und über 14 Jahren wird so vom FGG nicht vorgenommen. Gemäß § 50 b Abs. 3 FGG darf das Gericht sowohl in den Fällen des Abs. 1 als auch in denen des Abs. 2 "von der Anhörung nur aus schwerwiegenden Gründen absehen". Auch vor der Vollendung des 14. Lebensjahres steht dem Kind somit ein Anhörungsrecht grundsätzlich zu. Die Feststellung des AmtsG Mönchengladbach-Rheydt kann danach allenfalls noch so gedeutet werden, daß das Gericht eine Beiordnung eines Anwalts des Kindes als erforderlich ansieht, damit dieser statt des Kindes die Kindesinteressen vortragen kann, während beim Jugendlichen davon ausgegangen wird, daß dieser seine Interessen selbst artikulieren kann. Die Frage, ob insofern eine Regelungslücke im einfachen Gesetz besteht, die unter Beachtung des Art. 103 GG auszufüllen wäre, ist nicht allein aus § 50 b FGG heraus zu beantworten. Zu berücksichtigen sind vielmehr die konkrete Verfahrensart sowie deren Maximen und die weiteren zu § 50 b FGG festgestellten Grundsätze hinsichtlich Form, Art und Ort der persönlichen Anhörung: In der freiwiligen Gerichtsbarkeit gilt gemäß § 12 FGG der Amtsermittlungsgrundsatz. Dies trifft nicht nur in Amtssachen zu, sondern auch in Antragssachen, in Streitsachen und in Familiensachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit 17 • Es gilt zudem der Grundsatz der freien Beweiswürdigung18 . Dem Richter ist es danach aufgegeben, das Kind grundSätzlich anzuhören (§ 50 b Abs. 3 FGG), und er hat dabei von Amts wegen, ggf. mit Hilfe von Sachverständigen, die Sachlage sowie insbesondere den emotionalen und/oder rationalen Willen des anzuhörenden Kindes zu erforschen. Form, Art und Ort
So AmtsG Mönchengladbach-Rheydt FamRZ 1986, 390. Zur Grundrechtsmündigkeit Minderjähriger vgl. BVerfG FamRZ 1968, 578 ff. sowie im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 1 m. w. N. 15 Kuntze, FamRZ 1985, 532, 533; zustimmend AmtsG M.Gladbach-Rheydt FamRZ 1986, 390 I. Sp. 16 aaO. 17 Zimmermann (1986), S. 10. 18 Zimmermann, aaO. 13
14
408
6. Kap.: Handlungsfahigkeit vor Behörden und Gerichten
der Anhörung werden dabei, wie ausgeführt 19 , von der Aufgabe des Richters bestimmt, den wahren Willen des Kindes zu erforschen; sie sind also auf das Kind, insbesondere auf dessen Alter abzustimmen. Bei diesen Vorgaben der Anhörung kann jedoch von einer Unbestimmtheit des § 50 b FGG nicht ausgegangen werden. Die Institutionalisierung eines Anwalts des Kindes diente unter diesen Voraussetzungen nicht dem Schutze des Kindes, sondern hätte den Effekt einer Arbeitserleichterung für den Richter, ohne daß die Gewähr bestände, daß der Anwalt tatsächlich das am Kindeswillen orientierte Kindesinteresse vermittelte. Dies aber stände der Zielsetzung des Art. 103 GG, den eigenen Willen dem Gericht zu Gehör zu bringen, gerade entgegen. Im Ergebnis ist somit festzustellen, daß weder § 50 b FGG noch eine Auslegung des § 50 b FGG im Lichte des Art. 103 GG die Installierung eines Anwalts des Kindes (zwingend) gebietet. Im Gegenteil ist mit Simitis20 zu Recht zu bezweifeln, ob die Institutionalisierung eines Anwaltes für das Kind im Sorgerechtsverfahren eine Stärkung der Kindesposition bewirkte. Gleiches gilt für die administrativen Instanzen21 . Schon heute ist die Determination des Gerichtes über die Jugendamtsakten nachzuweisen22 . Verfahrenspolitisch ist somit eine Stärkung der Richterposition insbesondere in dem Sinne anzustreben, daß er im Hinblick auf seine nachbardisziplinären Kenntnisse und nach dem Arbeitsanfall in die Lage versetzt wird, die beteiligten Positionen überhaupt zu erkennen. Im übrigen verbleibt nur ein Vertrauen in die Unabhängigkeit des Gerichtes23 . Jugendamt und Minderjähriger sollten dagegen auf ihre Anregungs-, Anhörungs- und ggf. Bescheidungs- und Beschwerderechte verwiesen bleiben. Ein Beistand für das Kind bei der Kindesanhörung ist im Gesetz nicht vorgesehen und sollte aus den genannten Gründen auch nicht installiert werden 24. C. Anwesenheit der Sorgeberechtigten Das BVerfG25 formulierte, daß es "den Familiengerichten überlassen bleiben" müsse, "die Kinder ... in An- oder Abwesenheit der Eltern und deren Prozeßbevollmächtigten persönlich an(zu)hören". Daraus ist zumindest zu entnehmen, daß das BVerG ein Recht der Eltern auf Anwesenheit bei der Kindesanhörung nicht zuerkannt hat26 . Andererseits hat das BVerfG eine V gl. vorstehend unter "A". In Goldstein u. a. (1973, 1979), S. 122. 21 Ebenso Simitis, aaO, S. 123 f., Zenz (1979), S. 400. 22 Simitis u. a (1979), S. 140 ff. 23 Vgl. auch BVerfG ZbIJugR 1981, 61, 64 r. Sp., mit Arntzen (1980), S. 51 ff. 24 A . A. Fehmel ZbIJugR 1982, 660, m. w. N. in dort. Fn. 70. Für einen Anwalt des Kindes auch AmtsG Mönchengladbach-Rheydt FamRZ 1986, 389, 39.0 f. 25 ZbIJugR 1981 , 61 , 65. 19
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3. Abschn.: Anhörungsrechte
409
Anwesenheit der Eltern bei der Kindesanhörung damit auch nicht ausdrücklich ausgeschlossen 27 . Ein solches Anwesenheitsrecht wurde schon zu § 1695 Abs. 2 BGB, welchen der § 50 b FGG abgelöst hat, im Regelfall abgelehnt28 • In einer eingehenden Stellungnahme erachteten dagegen Westermann/Aderhold29 einen generellen "Ausschluß der Eltern von der Kindesanhörung als Beeinrächtigung des Elternrechts ... , die durch Interessen des Kindes nicht gefordert" werde. Es gelte der Grundsatz der "förmlichen Beteiligtenvernehmung" auch für das FGG-Verfahren30 • Die Verfasser benennen jedoch selbst das Gegenargument, welches freilich nach ihrer Auffassung nicht greift, nämlich, daß ihre "Überlegungen ... zu sehr aus dem kontradiktorischen Teil des zivilprozessualen Erkenntnisverfahrens entwickelt" wurden 3l . Denn, wie auch WestermanniAderhold anerkennen 32 , geht das Kindeswohl Verfahrensprinzipien grundsätzlich vor. Es trifft aber gerade nicht zu, daß eine Zurückdrängung der Elternposition durch die Kindesinteressen nicht gefordert sei. Materiellrechtlich ist vielmehr durch das Gesetz zur Neuregelung der elterlichen Sorge schon eine prinzipielle Neudefinition des ElterniKind-Verhältnisses im Sinne einer größeren Berücksichtigung der Kindesposition vorgenommen worden. Dem dient u. a. auch das jetzt durch § 50 b FGG installierte Anhörungsrecht. Erforscht werden soll in diesem Verfahren der Kindeswille. Dies setzt voraus, daß Manipulationsmechanismen nach Möglichkeit auszuschließen sind. Die bloße Anwesenheit eines der Elternteile kann aber zur psychischen Beeinflussung des Kindes führen und somit das Ziel des Verfahrens, die Ergründung des Kindeswillens, in Frage stellen. Es bleibt somit kein Spielraum. Die Kindesanhörung hat deshalb mit der h. M. in Abwesenheit der Eltern und sonstiger Dritter stattzufinden 33 . Dem Anspruch der Eltern auf rechtliches Gehör (nach § 103 Abs. 1 GG) wird hinreichend damit Rechnung getragen, wenn sie im Nachhinein über das Ergebnis der Kindesanhörung unterrichtet werden 34 •
26 Ebenso Fehmel, ZblJugR 1982, 658; dieser zutreffend gegen die Interpretation des BVerfG, daß Dritte in jedem Fall ausgeschlossen sein sollten, durch Klußmann (UJ 1981,304 ff.) und Hinz (MünchKomm., 2. Lfg., § 50 b FGG, Rn. 10). 27 Wie die vorstehende Fn. 28 Vgl. die Nachweise bei WestermannJAderhold, FamRZ 1978, 863, Fn. 4. 29 FamRZ 1978, 863, 864 f. 30 Westermann/Aderhold, aaO, S. 866. 31 aaO, S. 867. 32 aaO, S867, m. w. N. in dort. Fn. 54. 33 Ebenso Arntzen (1980), S. 54; bezüglich des Ausschlusses der Eltern zustimmend: Beres, ZblJugR 1982, 1,4; Fehmel, aaO, S. 658 m. w. N.; Hinz, MünchKomm., 2. Auft., § 50 b FGG, Rn. 10; Klußmann (1981), S.83; KG DAmtsV 1981, 216 = FamRZ 1980. 34 Vgl. auch Fehmel, ZblJugR 1982, 658 sowie KG DAmtsV 1981, 216 = FamRZ 1980,1156.
410
6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
4. Abschnitt
Die vedahrensrechtliche Stellung Minderjähriger im Rechtsstreit mit Dritten § 1 Allgemeine Grundsätze
Die zivilprozessuale Stellung des Minderjährigen ist abhängig von der materiellrechtlichen Stellung (§ 52 ZPO). Eine beschränkte Prozeßfähigkeit entsprechend der beschränkten Geschäftsfähigkeit gibt es allerdings nicht, da das Prozeßrecht Schwebezuständen feindlich ist!. Die Ermächtigung der §§ 112, 113 BGB führt auch zur unbeschränkten Prozeßfähigkeit in diesem Bereich. Eine volle Prozeßfähigkeit besteht in besonderen Ehe-, Familienstands- und Entmündigungssachen (§§ 607 Abs. 1,640 b S. 1,664 Abs. 2,684 Abs. 1 und 685 ZPO)2. § 2 §§ 1629 BGB, 51 ZPO § 1629 BGB regelt auch die prozessuale Vertretung gegenüber Dritten. Die (im ersten Abschnitt) begründeten Teilgeschäftsfähigkeiten entsprechen gerade nicht den Ermächtigungen der §§ 112 f. BGB. Es bleibt somit bei der prinzipiellen prozessualen Vertretung der Minderjährigen durch die Vertretungsberechtigten.
Einen Sonderfall stellt § 1629 Abs. 2 und 3 BGB für die Geltendmachung des Kindesunterhalts während des anhängigen Scheidungsverfahrens dar. Verhindert werden soll, daß minderjährige Kinder im Scheidungsverfahren ihrer Eltern als Partei auftreten3 . Diesem Inhalt sowie dem Gesetzeswortlaut entspricht es, diese Prozeßstandschaft sowohl auf das Verbundverfahren wie auch für isolierte Unterhaltssachen während des Schwebens des Scheidungsverfahrens zu erstrecken 4 • § 3 ZusteUung an Minderjährige; Urteil gegen Minderjährige
Eine wirksame Zustellung an den nichtprozeßfähigen Minderjährigen ist weder bei einer ihn betreffenden Klage noch als Ersatzzustellung möglich (§§ 131 BGB, 171 ZPO; § 181 ZPO "erwachsene Person"). Sind eine Klage oder ein Mahnbescheid dennoch an den Minderjährigen zugestellt worden, Bruns (1979), S. 57. Vgl. Bruns (1979), S. 57, m. w. N. in dort. Fn. 29. 3 BastianlRoth-Stielow/Schmeiduch, 1. EheRG, § 1629 vor Nr. 1. 4 Ebenso OLG Saarbrücken (FamRZ 1982, 952 f.) mit ausführlichem Nachweis der zustimmenden Literatur- und Rechtsprechungsstimmen sowie der Gegenauffassung, die Prozeßstandschaft nur auf die Verbundsachen zu beschränken (aaO, S. 952). 1
2
4. Abschn.: Die Stellung Minderjähriger im Rechtsstreit
411
handelt es sich um eine unwirksame Zustellung; eine Mitteilungspflicht besteht entgegen Menne 5 hingegen nicht, denn die Verletzung einer Obliegenheit liegt mangels des Bestehens einer solchen Obliegenheit (§§ 171, 181 ZPO) nicht vor6 • Auch der weiteren Behauptung von Menne 7 ist nicht zuzustimmen. Danach soll bei einem Urteil gegen den Minderjährigen ohne Angabe der gesetzlichen Vertreter, welches nicht mehr mit Einspruch oder Berufung angreifbar ist, eine Nichtigkeitsklage innerhalb der Notfrist von einem Monat zu erheben sein. Menne übersieht hierbei die Regelung des § 586 Abs. 3 ZPO, wonach es auf die Zustellung an den gesetzlichen Vertreter ankommt. Das Risiko der mangelnden Kenntnis der Minderjährigkeit trägt nach dem Schutzzweck der Norm der Prozeßgegner. § 4 Zeugnisfähigkeit
Minderjährige sind grundsätzlich zeugnisfähig. Dies ergibt sich aus § 393 ZPO. Für unter-16jährige scheidet lediglich die Vereidigung aus (§ 393 ZPO). Strittig ist, ob bei Vorliegen eines Zeugnisverweigerungsrechtes (nach § 384 ZPO) der Minderjährige oder die gesetzlichen Vertreter oder alle zu belehren sind und wer über die Aussageverweigerung entscheidet. Bruns l stellt auf die Verständnisfähigkeit des Minderjährigen im Einzelfall ab. Diese Abgrenzung hielt das RG für unbeachtlich2 . Bosch3 plädiert für ein "Zeugen-Diskretionsalter" 14. Geburtstag. Die rechtsgeschäftliche Teil-Handlungsfähigkeit war Ergebnis einer Abwägung der Minderjährigeninteressen mit jenen der Eltern und sonstiger Dritter. Die Teilmündigkeit bezog sich auf Rechtsgeschäfte des täglichen Lebens und war insofern "entschärft", als eine Fixierung nach Lebensalter und Geschäftsumfang stattfand. Diese Voraussetzung der Überschaubarkeit ist beim Zeugnisverweigerungsrecht nicht gegeben. Die Frage, ob sich der Zeuge auf ein Zeugnisverweigerungsrecht beruft, setzt vielmehr eine Einzelfallbetrachtung voraus, in welcher die Gefahren abzuwägen sind, welche aus der Aussage in familiärer und vermögensrechtlicher Hinsicht drohen4 • Ob der Minderjährige diese oftmals diffizielen Zusammenhänge überblickt, läßt sich nicht abstrakt beantworten. Es geht hier insbesondere nicht um die Beherrschung bestimm(1977), S. 11. Die Formulierung der §§ 171,181 ZPO ist eindeutig. Für eine Haftungsausweitung i. S. einer prozessualen c.i.c. ist unter diesen Umständen kein Raum. 7 (1977), S. 11. 1 (1979), S. 288, Fn. 79. 2 RGSt 4, 398, 399; 12, 403, 404. 3 (1963), S. 49; dagegen Bruns (1979), S. 288, Fn. 79. 4 Bosch (1963), S. 48; Bruns (1979), S. 289. 5
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6. Kap.: Handlungsfähigkeit vor Behörden und Gerichten
ter, wiederkehrender Techniken, deren Handhabung bezüglich rechtsgeschäftlicher Teilmündigkeiten mit dem 15. Geburtstag vorausgesetzt werden konnte. Entgegen Bosch5 kann auch die Altersfixierung des § 393 ZPO nicht als Hinweis auf eine prozessuale Teilmündigkeit oder doch Zeugnisfähigkeit verstanden werden. Denn die Möglichkeit der Vereidigung enthebt den Richter nicht der Pflicht, zuvor zu prüfen, ob die Bedeutung des Eides subjektiv erkannt ist. Durch die Erklärung des gesetzlichen Vertreters, auf das Zeugnisverweigerungsrecht zu verzichten, ist der innere Konflikt des minderjährigen Zeugen nicht gelöst6 . Andererseits besteht nicht die Gewähr, daß der Minderjährige die Zusammenhänge überblickt. Entgegen Bruns u. a. 7 ist diese Situation nicht dadurch zu lösen, daß einseitig auf die Person des gesetzlichen Vertreters abgestellt wird; denn dies ignorierte die innere Konfliktlage des Minderjährigen. Zuzustimmen ist allerdings auch nicht dem BGH8, welcher die Aussageverweigerung des Minderjährigen auch dann beachten will, wenn dieser die Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechts nicht überblickt. Angemessen erscheint mir allein, bei Bestehen eines Zeugnisverweigerungsrechtes überhaupt darauf zu verzichten, den Minderjährigen als Zeuge zu laden.
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6 7
8
(1963), S. 46 ff. So richtig Bruns (1979), S. 289, mit v. Weber, MDR 1962,162. Bruns (1979), S. 289, m. w. N. in dort. Fn. 81. BGHSt (GS) 12, 235; 14, 159; zustimmend Bosch (1963), S. 49.
7. Kapitel
Stufen ,,11-3" sowie "III 7"1; Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis sowie Unterhaltsrecht Nach der Fixierung der rechtlichen Stellung Minderjähriger außerhalb der Familie sowie der Konkretisierung der verfahrensrechtlichen Stellung ist nunmehr eine Stellungnahme zum rechtlichen Status Minderjähriger und Heranwachsender innerhalb der Familie möglich. Im 4. Kapitel wurde zwischen Kindeswohlbereich (als Kennzeichnung der rechtlichen Regelungen über die "Eltern"/Kind-Sozialisationsbeziehungen) und Kindesinteressebereich (Vermögens- und Unterhaltsrechtsbeziehungen) unterschieden. Bei den rechtlich fixierten Sozialisationsbeziehungen sind die Ausgestaltung des Eltern/Kind-Verhältnisses in der intakten Familie sowie bei Trennung oder nach der Scheidung der Eltern zu unterscheiden (1. Abschnitt, §§ 1 und 2). Von besonderer Bedeutung ist schließlich die Handhabung der Konfliktnormen der §§ 1666 f. (1631 a) BGB (1. Abschnitt, § 3). Ebenfalls zum Kindeswohlbereich sind die Fragen des Pflegekindschaftsund Adoptionsrechts zu zählen. Der Wertungskonflikt zwischen Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung erhält dort aus der besonderen personellen Situation spezielle Perspektiven. Nur diese Sonderheiten sollen Gegenstand der Erörterungen im 3. Abschnitt sein, während im übrigen auf die (grundlegenden) Darlegungen im 1. Abschnitt sowie in den vorangegangenen Kapiteln hingewiesen wird. Das Vermögenssorge-Verhältnis ist nach der gesetzlichen Differenzierung Teil der elterlichen Sorge (vgl. § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB), andererseits bestehen zum Personensorgeverhältnis unterschiedliche Beurteilungsmaßstäbe. Dieser Teil des Kindesinteresse-Bereiches wird deshalb separat (im 2. Abschnitt) behandelt, bevor auf die Interessenabwägungen im Bereich des Unterhaltsrechtes eingegangen wird (4. Abschnitt).
1 Zur Unterscheidung nach einzelnen Handlungsstufen vgl. im 3. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2; S. 184.
414
7. Kap.: Sozialisations bezug, Vennögenssorgeverhältnis
1. Abschnitt
Einzelwertungen im Kindeswohlbereich § 1 Eltern/Kind-Beziehungen in der "intakten" Familie
A. Der konzeptionelle Wertungszusammenhang Die Sozialisationsbeziehungen zwischen den Eltern und Kindern in der "intakten" Familie bewegen sich im Spannungsfeld der §§ 1631-1632 BGB und §§ 1666 f. (1631 a Abs. 2) BGB, mit der zentralen Auslegungsleitlinie des "Wohls des Kindes"'. Das "Wohl des Kindes" wurde im 4. Kapitel (3. Abschnitt, § 2 A I1I) konkretisiert durch die Feststellung, daß für das Eltern/ Kind-Verhältnis eine Kongruenz von Kindeswohl und der "Respektierung des (begründeten) Kindeswillens" besteht. Die Begründetheit des Kindeswillens war subjektiv aus der Kindessphäre zu beantworten; dabei wurde der Vorrang bestimmter Existenzbedingungen des Kindes anerkannt. Einem individualisierenden Ansatz wurde von Rechtsprechung und Literatur der Versuch entgegengestellt, einen objektiven Maßstab zu benennen, anhand dessen die Zulässigkeit von Eingriffen in Persönlichkeitspositionen des Kindes bemessen werden sollte2 • Entgegen diesem Unterfangen wird hier mit dem Maßstab des ,,(begründeten) Kindeswillens" einer individualisierenden Betrachtungsweise der Vorrang gegeben 3 . Dies ist insofern problemlos, als das Kriterium des "triftigen Grundes", welches nach den Ansätzen in der Literatur und Rechtsprechung eine Objektivierung ermöglichen sollte und von welchem die Rechtmäßigkeit des Elterneingriffes insbesondere in die Umgangsrechte sowie den Briefverkehr des Kindes abhängen sollte, die gewünschte Objektivierung nicht erbrachte. Denn die von Klocke 4 wiedergegebenen Auslegungsbeispiele, in denen schon "eine nicht ganz haltlose Vermutung"5 bzw. "das verständliche Mißtrauen der Eltern"6 als "triftige Gründe" anerkannt wurden, um in Persönlichkeitspositionen des Kindes ein1 Entsprechend Münder, BGB-AK, § 1631, Rn. 5; vgl. auch schon im vorstehenden 6. Kapitel, 2. Abschnitt, § 3. 2 Vgl. schon OLG Koblenz FamRZ 1958, 137; OLG Hamburg MDR 1967, 764; Quambusch, ZbIJugR 1974, 139, 146 ff.; Klocke, JuS 1974,75,79; Peschel-Gutzeit, in Juristinnenbund (1977), S. 97, die allerdings die früheren OLG-Entscheidungen ignoriert und zugleich hinter diese Rechtsprechung zurückfällt, indem sie den Wertungsmaßstab des "triftigen Grundes" als Neuerung begreift, welche erst noch in eine gesetzliche Neuregelung zu installieren wäre. 3 Entsprechend für das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht vor allem Reuter (1968); ders. FamRZ 1969, 622, 625 und E. SC\1werdtner AcP 173 (1973), S. 241 ff. 4 JuS 1974,79. 5 Scheffler in RGRK, 10/11. Aufl., § 1631, Anm. 4. 6 SoergellLange, 10. Aufl., § 1631, Rn. 23; ebenso in der 11. Aufl., § 1632, Rn. 14.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
415
zugreifen, zeigt den nur relativen Wert dieser FormeF. Der Maßstab des ,,(begründeten) Kindeswillens" trägt dagegen der Wertungsrichtung "vom Kind her" und dem Kindeswohlvorbehalt Rechnung; er stellt zudem über die Willensvarianten (emotionaler und/oder rationaler Wille) den Bezug zur individuellen Entwicklung und damit zum Fixpunkt Lebensalter her. Die individualisierende Betrachtungsweise des ,,(begründeten) Kindeswillens" eröffnet somit zugleich die inzidente Einbeziehung von altersgruppenspezifischen Erfahrungssätzen. Für die hier beabsichtigte Einzelwertung für spezielle Fallgruppen bedeutet dies, daß die besonderen Umstände des Einzelfalls natürlich ausgespart bleiben. Die im konkreten Fall bestehende individuelle Problemgestaltung zu eruieren und in der Rechtssanwendung zu würdigen, bleibt dem Richter vorbehalten. Möglich ist jedoch eine abstrakte, fallkategorielle Beurteilung, welcher ggf. konkrete Fallbeispiele zur Illustration vorangestellt und an deren Beispiel die Lösungen demonstriert werden. Als Problemgruppen, deren Falllösung das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen in der Familie definieren, können im einzelnen unterschieden werden: Umgangsbefugnisse, Aufenthaltsbestimmung sowie Unterbringung; die Respektierung der Individualsphäre und verdinglichter Persönlichkeitsdetails sowie der Umgang mit dem eigenen Körper; der Eingriff in die Körperintegrität (= Verbot entwürdigender Erziehungsrnaßnahmen); schließlich Fragen der Ausbildungsund Berufswahl. B. Bestimmung von Aufenthalt und Unterbringung sowie des Umgangs I. Aufenthaltsbestimmung, § 1631 BGB
1. Ausgangsfälle Fa1l1 S : Die 16jährige T lernt den 22jährigen F kennen. Nach drei Monaten möchte die T zu F in dessen Wohnung ziehen. Die Eltern der T verweigern dies. Es kommt zu exzessiven Auseinandersetzungen. Schließlich gestatten die Eltern, daß T zu F zieht. Dies führt dazu, daß sich das Verhältnis der T zu ihren Eltern entspannt. T erscheint 3-4 mal wöchentlich bei ihren Eltern. Sie geht ihrer Arbeit regelmäßig nach, schon, um die Lebenshaltungskosten mit ihrem Freund zusammen zu finanzieren. Die Eltern der T fürchten ein Eingreifen des Jugendamtes.
7 A. A. Klocke, JuS 1974, 79 f.; Peschel-Gutzeit, in Juristinnenbund (1977), S. 97; Quambusch, ZbIJugR 1974, 138, 146 ff. S Praktischer Fall, aus NDR 11 vom 28. 10. 1982, 21.05 h.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Der lljährige S, das älteste von fünf Kindern der geschiedenen M, wohnt, nach einem Heimaufenthalt, jetzt bei seiner Großmutter; S fühlt sich dort sehr wohl, er besucht die Mittelschule am Ort der G. Die M, bei weicher die vier Geschwister des S leben, möchte zu ihrem Freund F umziehen, um mit diesem und den Kindern als "Familie" zusammen zu leben. S soll ebenfalls zur M übersiedeln. Er müßte dazu die Schule wechseln. Er möchte bei der Großmutter bleiben, womit diese einverstanden wäre, und vor allem scheut er einen Schulwechsel. Die M besteht darauf, daß S zu ihr übersiedelt. Fall 310 : Die 16jährige Auszubildende A bucht eine 14tägige Jugendreise nach Skandinavien und bezahlt diese (DM 190,- für Übernachtung und Verpflegung im Zeltlager). Die Eltern der A untersagen dieser, an der Reise teilzunehmen.
2. Aufenthaltsbestimmung in der Wertung von Literatur und Rechtsprechung Nach § 1631 Abs. 1 BGB haben die Personensorgeberechtigten "insbesondere das Recht", ... "den Aufenthalt (des Kindes) zu bestimmen". Diese Befugnis zur Bestimmung des tatsächlichen Wohnortes des Kindes (zu unterscheiden vom Kindeswohnsitz, der sich aus § 11 BGB ergibt) war in der Vergangenheit kaum Gegenstand richterlicher EntscheidunglI. Dies folgt daraus, daß Eltern- und Kindeswohnort i. d. R. identisch sind; im Scheidungsfalle entspricht das Aufenthaltsbestimmungsrecht in der Regel der Sorgerechtsverteilung; Probleme bilden im übrigen die Fälle der Unterbringung, welche heute in § 1631 b BGB speziell geregelt ist. Die Pflichtbindung der Aufenthaltsbestimmung stellte das Landgericht Darmstadt schon zu Beginn des 1. Weltkrieges fest 12 • Die Kindeswohlgebundenheit auch des Aufenthaltsbestimmungsrechtes ist heute - soweit ersichtlich - unbestritten 13 •
Praktischer Fall, aus NDR 11 vom 28. 10. 1982, 21.05 h. Nachbereiteter Fall entsprechend der Entscheidung des AG Siegburg Frverkr.Entsch. 6, 270. 11 Vgl. die Nachweise etwa bei Soergel/Lange, 11. Aufl., § 1631, Rn. 17. 12 ZblFG 1914/15, 256 (nach Soergel/Lange, aaO). 13 § 1631 BGB zählt nur den wesentlichen Inhalt des Personensorgerechts des § 1626 12, 1. Halbs. BGB auf (vgl. etwa Hinz, MünchKomm., 2. Erglfg., § 1631, Rn. 1). Dieses aber steht (schon nach rechtssystematischer Auslegung) unter der Pflichtbindung des § 1627 BGB. 9
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1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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3. Aufenthaltsbestimmung und die Bedeutung des ,,(begründeten) Kindeswillens" anhand der Ausgangsfälle 3.1. Generelle Wertungs grundlagen Da der Kindeswohlvorbehalt auch für die Aufenthaltsbestimmung gilt, finden die zum Kindeswohl entwickelten Grundsätze Anwendung14 • Danach ist auch hier der zentrale Gesichtspunkt des Geborgenseins von entscheidender Bedeutung. Insbesondere für jüngere Kinder hat der entscheidende Maßstab für die Aufenthaltsbestimmung der Gesichtspunkt der Garantie der Emotionalbeziehungen (vor allem) zur Primärbezugsperson zu sein. Die Nichtberücksichtigung dieses Gesichtspunktes machte die Entscheidung in der Terminologie des Landgerichts Darmstadt 15 "willkürlich" bzw. ist sie nach dem jetzigen Gesetzeswortlaut unvereinbar mit dem Kindeswohl. Probleme der Aufenthaltsbestimmung sind zu erwarten, wenn eine Unterbringung die Emotionalbindung ignoriert. Die Emotionalbindung hat solange Vorrang, wie nicht strafrechtliche Aspekte der Beziehung entgegenstehen 16 . Eine Wertungsumkehr kann sich insbesondere in der Abtrennungsphase der Jugendlichen ergeben. Die Entwicklung des Kindes kann dort ggf. eine räumliche Distanz zu den Bezugspersonen erfordern. Die Grenze bilden auch insoweit objektive physische Gefahren für das Kind sowie allgemeine gesetzliche Verbote. 3.2. Lösung der Ausgangsfälle Fall 1: Die zu beachtende strafrechtliche Norm ist jene des § 180 Abs. 1 Ziff. 2 StGB. Es fehlt an einem "Gewähren" sowie an der Altersgrenze "unter 16". Daraus folgt eine rein zivilrechtliehe Bewertung. Der Kindeswille ist vorliegend eindeutig. Dieser ist auch "begründet", da er aus der Sicht des Kindes dessen psychischem Bedürfnis entspricht und das weitere Verhalten der T das verantwortliche Tragen der sich aus der Entscheidung ergebenden Konsequenzen dokumentiert. Das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Eltern reduziert sich in diesem Fall auf Kontakte zur Überprüfung des Aufenthaltes und Wohlergehens; d. h., solange die Eltern Kontakt zum Kind haben und sich von seinem Wohlergehen überzeugen können sowie seinen tatsächlichen Aufent4. Kapitel, 2. und 3. Abschnitt. ZblFG 1914/15, 256. 16 D. h., die Tolerierung der Beziehung darf nicht strafrechtliche Aktivitäten zwischen der Bezugsperson und dem Kind begünstigen und auch nicht in der Gefahr stehen, daß das Kind zu strafrechtlichen oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Aktivitäten angehalten wird (vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III). 14
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
halt kennen, genügen sie damit ihren Elternpflichten; insbesondere scheidet ein Eingreifen des Jugendamtes (nach §§ 5 ff. JWG) aus. Allerdings hätte die T ihr Umzugsbegehren nicht durchsetzen können, da vor ihrem Auszug das später gezeigte verantwortliche Verhalten noch nicht sicher zu prognostizieren war. Nachdem die Eltern nun den Umzug gestattet haben, sind sie wegen des Kindeswohlvorbehaltes so lange an diese Entscheidung gebunden, wie das gezeigte Verhalten der T anhält. Fall 2: Im Fall des S besteht die Konstellation: Kindeswille = contra M, Schulkarriere = contra M. Der Kindeswille ist auch begründet. Denn es besteht eine primäre Emotionalbindung zu G. Diese hat die Qualität eines Geborgenseins. Die Emotionalbindung wird von der Gerwidert; Sund G versuchen gerade, die für die Entwicklung des S erforderliche Dauerhaftigkeit der existenten Emotionalbindung zu sichern. Die Aufenthalts- und Bildungsvorstellungen wären darüber hinaus objektiv realisierbar. Die Haltung der M widerspricht damit dem Kindeswohl. Als lljähriger hat S jedoch nicht die Möglichkeit, seinen Standpunkt administrativ durchzusetzen (vgl. im 6. Kapitel). Eine Anregung beim Jugendamt und Vormundschaftsgericht bleiben ihm unbenommen 17 • Fall 3: Der Reisevertrag hätte den Anschein der Rechtsgültigkeit für sich, wurde das Geld der Minderjährigen zur freien Verfügung überlassen (vgl. im 5. Kapitel). Von der rechtsgeschäftlichen (Teil-)Handlungsfähigkeit ist die weitere Frage zu unterscheiden, ob die Inanspruchnahme der Leistung auch unter familienrechtlichen Gesichtspunkten zu akzeptieren ist. Für straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtliche Vorbehalte bestehen keine Anhaltspunkte. Ob allerdings die A auch die Konsequenzen einer solchen Reise bedacht hat und sie dazu in der Lage ist, sich entsprechend zu verhalten, wäre erst noch zu prüfen. Darüber zu befinden hätten zunächst die Personensorgeberechtigten. Diese müssen zumindest versuchen, den Konflikt mit dem Kind zu erörtern. Treffen die Eltern eine Entscheidungm ohne zuvor die konsensuale Beilegung des Konflikts versucht zu haben, stände A der Weg zum Jugendamt offen sowie die Möglichkeit der Anregungs- und Bescheidungsrechte zum Vormundschaftsgericht, um eine Überprüfung des Elternverhaltens nach Maßgabe des § 1666 BGB herbeizuführen (vgl. im 6. Kapitel, 2. Abschnitt, § 3). Das Verbot der Teilnahme an der Fahrt ins Zeltlager als solches stellt dagegen eine Ermessensentscheidung dar, bei der es ein eindeutiges Richtig oder 17 Im realen Ausgangsfall hat S selbständig den Weg zum Psychologen gefunden, welcher in der Verbindung mit der Großmutter und dem Jugendamt eine kindgerechte Lösung (= Aufenthalt bei der Großmutter) zu erreichen suchte.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Falsch und deshalb auch einen begründeten Kindeswillen nicht gibt. Die Entscheidung haben die Sorgeberechtigten zu treffen; sie ist gerichtlich nicht inhaltlich überprüfbar. 11. Unterbringung, § 1631 b BGB § 1631 b bildet ein positiv normiertes Beispiel für die Unterscheidung zwischen Kindeswillen und "begründetem Kindeswillen" . Denn die Freiheitsentziehung des § 1631 b BGB ist eine Aufenthaltsbestimmung ohne oder gegen den Willen des Minderjährigen 18 , eben, weil es an den Voraussetzungen zur Bildung eines begründeten Kindeswillens fehlt 19. Gestört ist die Beurteilungsfähigkeit, so daß ausnahmsweise das Erfordernis eines Schutzes vor sich selbst gegeben ist.
Ein großer Argumentationsaufwand wurde bislang bezüglich des Eingreifens in § 1631 b BGB betrieben. Denn das Gesetz legt fest, daß eine Unterbringung mit Freiheitsentziehung nur mit vormundschaftlicher Genehmigung statthaft ist. § 1631 b BGB differenziert nicht zwischen älteren und jüngeren Minderjährigen. Aus den Gesetzesmaterialien ergibt sich, daß eine Freiheitsentziehung nicht angenommen werden sollte, "wenn die Unterbringung nur mit Freiheitsbeschränkungen verbunden ist, die bei dem Alter des Kindes oder Mündels üblich sind"2o. Anknüpfend an diese Äußerung in den Gesetzesmaterialien wird zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung unterschieden21 , wobei nur erstere genehmigungspflichtig sein so1l22. Bei der Konkretisierung der Begriffe besteht Einigkeit dahingehend, daß der Unterschied zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung kein begrifflicher, sondern ein gradueller ist23 ; relevant sei auch die Dauer des Eingriffs24 . Im übrigen wird auf das Alter des Minderjährigen abgestellt. Wo die altermäßige Grenze genau zu ziehen ist, bleibt aber unbestimmt. In einer Äußerung der Bundesregierung heißt es: "Freiheitsentziehung liegt nicht vor ... bei Kleinkindern"25. Die Rechtsprechung hielt sich bislang mit einer Konkretisierung zurück26 . In der Literatur bestehen widersprüchliche Ansichten. Münder, BGB-AK, § 1631 b, Rn. 2. Läge dieser vor, fehlte es am Erfordernis der Freiheitsentziehung bzw. müßte der Minderjährige selbst die Freiheitsaufgabe wählen, so daß eine "Entziehung" entfiele; dies übersehen Münder, aaO, und Gernhuber (1980), § 7115. 20 Vgl. den Rechtsausschuß des Bundestages, BT-DrS 8/2788, S. 51. 21 Zur Unterscheidung vgl. auch BVerwG NJW 1982, 532. 22 Vgl. die Nachweise bei Helle, ZfJ 1986, 40 f. 23 Vgl. bei Helle, ZfJ 1986, 41, Fn. 15. 24 BGHZ 82, 261; - a. A. Lisken, NJW 1982,1268. 25 BT-DrS 9/1299, S. 12. 26 AmtsG Kamen FamRZ 1983, 299 und AmtsG Walsrode DA Vorm 1980, 428 brauchten bei ihren Entscheidungen zu § 1631 b BGB nicht auf diese Frage einzugehen; vgl. dazu auch Helle, ZfJ 1986,40. 18
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Damrau verneint für ein 4 Jahre altes Kind eine Freiheitsentziehung, nimmt diese bei einem 14 Jahre alten Jugendlichen jedoch an 27 . Helle knüpft an den Tatbestand der relativen körperlichen Bewegungsfreiheit an; diesen Sachverhalt sieht er mit dem Ende der Grundschulzeit als gegeben an, so daß für ihn das Erreichen des 10. Lebensjahres als die Grenze zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung gilt28 . Helle ist zuzugestehen, mit dem Datum der Vollendung des 10. Lebensjahres etwa den Zeitpunkt der Entwicklung des Kindes genannt zu haben, zu dem die kognitive Entwicklung schon weitgehend abgeschlossen ist29 . Fraglich ist allerdings, ob es für die Auslegung des § 1631 b BGB auf diese kognitive Entwicklung ankommt. Art. 104 GG ist nicht unmittelbar anwendbar. § 1631 b BGB konkretisiert einfachgesetzlich die Voraussetzungen, um die Freiheit der Person einzuschränken. Dabei bezieht sich § 1631 b BGB - wie ausgeführtgerade auf Fälle, bei denen eine Güterabwägung ergibt, daß aus Gründen des Schutzes vor sich selbst dem Freiheitsbedürfnis des Betroffenen nicht zu entsprechen ist. Insofern kommt es also nicht darauf an, ob das Kind ein Stadium erreicht hat, in dem ihm "weitere Bewegungsfreiheit" oder "eine größere Selbständigkeit eingeräumt wird"30. Es kommt aber auch nicht darauf an, ob ihm bei bestehener psychischer Gesundheit eine "größere Freiheit" im Vergleich zu einer davor liegenden Entwicklungsphase einzuräumen wäre. Denn entspr. § 104 GG stellt § 1631 b allein darauf ab, ob überhaupt eine Beschränkung der körperlichen Bewegungsfreiheit vorliegt 31 ; zur Abgrenzung zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung sind so dann die Qualität und ggf. die Quantität der Maßnahme zu berücksichtigen32 . Zur Erfüllung des Tatbestandes des Eingriffs in die körperliche Bewegungsfreiheit kommt es jedoch nicht allein darauf an, ob die physische Möglichkeit der Fortbewegung überhaupt für den Betroffenen aus eigener Kraft besteht. Denn auch einem Behinderten, der sich auf sich gestellt nicht selbst fortbewegen kann, wird selbstverständlich nicht das Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG abgesprochen. Maßgebend für die Freiheitsentziehung ist das Zuwiderhandeln gegen den "natürlichen" Willen des Betroffenen33 . Genügend für die Zubilligung des Schutzes nach Art. 2 Abs. 2, 104 Abs. 1 GG ist demnach die Teilhabe am Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs. 2 GG sowie das 27 Damrau, FamRZ 1983,1061. 28 Helle, ZfJ 1986, 40, 45. 29 Vgl. im einzelnen im obigen 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B. Auch wenn eine strenge Stufung der Entwicklung abgelehnt wird (so aber Piaget (1941) und Schenk-Danzinger (1970), S. 145, m. w. N.), war das Alter 10/11 Jahre als Zeitpunkt des Abschlusses der kognitiven Entwicklung anzuerkennen. 30 So aber Helle, ZfJ 1986, 45 r. Sp. 31 So für Art. 104 GG Dürig in MDHS, Art. 104, Rn. 5. 32 Vgl. BVerwG NJW 1982, 537. 33 Vgl. Dürig in MDHS, Art. 104, Rn. 10, m. w. N. in der dort. Fn. 2.
I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Vorhandensein eines natürlichen Willens, die räumliche Umgebung betreffend. Da es um die schlichte Fortbewegung geht, ist somit kein rechtsgeschäftlicher Wille erforderlich34 ; notwendig ist keine intellektuelle Begründung oder Bildung eines rationalen Willens, sondern die schlichte Kenntlichmachung des Fortbewegungswillens. Unerheblich ist dabei, daß die Fortbewegung, wie etwa beim Schwerbehinderten, überhaupt nur mit fremder Hilfe möglich ist. § 1631 b BGB übernimmt die Konstellation des Art. 104 GG insofern, als er sich nicht gegen staatliches Handeln wendet, sondern das Freiheitsrecht des Minderjährigen gegen ein bestimmtes elterliches Handeln bewahren will. Werden die zu Art. 104 GG entwickelten Grundsätze übertragen, so wäre Voraussetzung für die Erfüllung des Tatbestandes der Freiheitsbeeinträchtigung, daß beim Minderjährigen ein "natürlicher" Fortbewegungswille erkennbar werden könnte. Ein solcher Wille ist jedoch schon vor dem Krabbelalter möglich. So äußert ein Kleinkind, welchem die Primärbezugsperson entzogen wurde, sein Unbehagen durch entsprechendes Verhalten, aus dem seine Verzweiflung zu entnehmen ist und sein Begehren, wieder mit der Bezugsperson zusammen zu sein; ein längerer Entzug kann bei Hinzutreten entsprechend weiterer Bedingungen zu den von Spitz mit "Hospitalismus" bezeichneten Folgen führen 35 • Somit ergibt sich, daß schon vor den ersten Lebenswochen des Kindes an eine Äußerung des natürlichen Fortbewegungswillens möglich und damit eine Behinderung der körperlichen Bewegungsfreiheit, etwa durch eine Heimeinweisung, prinzipiell denkbar ist. § 1631 b BGB erhält nur einen Sinn, wenn nicht davon ausgegangen wird, daß der dem natürlichen Willen des Kindes entgegenstehende Wille der Sorge berechtigten den Willen des Kindes nicht substitutiert36 • Festzustellen ist somit, daß es, da der natürliche Wille des Minderjährigen maßgebend ist und dieser von frühester Kindheit an existiert, auf die Differenzierung zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung auf das Alter des Minderjährigen nicht ankommt. Maßgebend für die Unterscheidung sind Qualität und Quantität des Eingriffs 3? Etwa stellen die Krankenhauseinweisung zur Durchführung einer Operation oder auch ein Internatsaufenthalt mit sehr strengen Ausgangs- und Besuchsregelungen nur Freiheitsbeschränkungen dar38 . ledwede dauerhafte Unterbringung an fremdem Ort und unter Beschränkung auf Kontakte mit Heiminsassen, den Betreuern und gelegentlichen Besuchern ist dagegen als freiheitsentziehend zu bewerten, so daß nach § 1631 b BGB die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich ist. Dieser Auslegung steht nicht entgegen, daß die Eltern notwendige Einweisungen aus Scheu vor dem VormschG unterlassen Entspr. Dürig, aaO. Vgl. Spitz (1945/1946); s. auch schon im obigen 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3. 36 Anders aber Dürig, aaO, Art. 104, Rn. 11. 37 Entsprechend BVerwG NJW 1982, 537. 38 Vgl. die zahlreichen weiteren Beispiele für eine bloße Freiheitsbeschränkung bei Dürig, aaO, Rn. 11 f., m. w. N. 34 35
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7. Kap.: Sozialisations bezug, Vennögenssorgeverhältnis
könnten 39 • Denn hier würden wegen der Befürchtung kindeswohlwidrigen Verhaltens der Eltern Freiheitsrechte des Kindes eingeschränkt. Da die Freiheitsentziehung prinzipiell dem Ziel einer positiven Entwicklung dienen soll, ist das Gericht nach § 1631 b BGB verpflichtet,40 regelmäßig zu überprüfen, ob eine Unterbringung mit Freiheitsentziehung weiterhin aufrechterhalten bleibt, d. h. die psychische Kompetenz des "begründeten Kindeswillens" weiterhin nicht gegeben ist. Entgegen Lange41 schließt insbesondere der Umstand die routinemäßige Überprüfung nicht aus, daß die Genehmigung gern. § 64 d FGG von vornherein zu befristen ist; denn die Prognose der "Heilungschancen" , auf welche die Fristsetzung beruht (§ 64 d Abs. 2 FGG), sagt über die reale Entwicklung nichts aus. Da aber eine Freiheitsentziehung bei vorhandener Fähigkeit zu einem "begründeten Kindeswillen" dem Kindeswohl widerspräche - wie auch Art. 2 Abs. 1 GG und § 239 StGB -, ist durch regelmäßige Überprüfung dafür Sorge zu tragen, daß einer solchen Umkehr von einem Schutz zu einem nötigenden Einwirken vorgebeugt wird. Dies ist um so wichtiger, als die Möglichkeit der "Selbstbefreiung" in der besonderen Situation der geschlossenen Unterbringung reduziert ist. III. Umgangsrecht, § 1632 Abs. 2 BGB
1. Ausgangs[älle
Die Judikatur zum Umgangsrecht ist von HartwiegiRebe aufgearbeitet worden 42 . Auf diese Zusammenstellung kann insoweit verwiesen werden. Die Fall-Strukturen sind regelmäßig so gelagert, daß ein Mädchen im Alter von ab 15 Jahren bis - zur früheren Rechtslage - zu 20 Jahren sexuelle Beziehungen zu einem (erwachsenen) Mann hat und die Personensorgeberechtigten der Jugendlichen gegen den "Liebhaber" auf Unterlassung jeglichen Umgangs mit der Tochter klagen 43 • Gegenstand der Judikatur ist somit die Ablösungsproblematik im Alter ab-15jähriger auf der Wertungsgrundlage nicht gebilligter Sexualkontakte44 • Vgl. Helle, ZfJ 1986, 40. Ebenso BayObLG FamRZ 1965, 457 f.; PalandtlDiederichsen, § 1631 b, Anm. 3, § 1800, Anm. 3 k; Münder, BGB-AK, § 1631 b, Rn. 6. - A. A. SoergeULange, 11. Aufl., § 1631 b, Rn. 6, mit SoergellDamrau, 11. Aufl., § 1800, Rn. 17. Vgl. im einzelnen auch noch Moritz, ZfJ 1986,440 ff., m. w. N. 41 Soergel/Lange, 11. Aufl., § 1631 b, Rn. 6. 42 HartwiegiRebe, in Kühnffourneau (1978), S. 17,42-55. 43 HartwiegiRebe, aaO, S. 53; vgl. auch den dort zitierten "Liebhaberin-Fall", bei welchem ausnahmsweise "zugunsten" des Sohnes gegen die ältere "Geliebte" geklagt wird, also eine Umkehr der Geschlechterrolle im Vergleich zu den Tatbeständen der vergleichbaren Fälle besteht. 44 Zur entsprechenden Wertungskonstellation, allerdings mit dem Unterschied, daß nicht ein Unterlassen des Dritten verlangt wird, sondern mit dem Mittel des Unterhalts 39
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I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
423
2. Die Beurteilung in der Rechtsprechung und Literatur Vor allem frühere Stellungnahmen sehen auch die Umgangsbestimmung durch die Eltern allein als durch § 1666 BGB begrenzt an 45 . Dem entwicklungsbedingten Ablösungsprozeß wird mit einer "Verflüchtigungstheorie" Rechnung zu tragen versucht. Nach dieser soll bei über-16jährigen46 bzw. "je mehr ... (sich der Jugendliche) der Volljährigkeit nähert"47 die Mißbrauchsschwelle des § 1666 Abs. 1 BGB zu Lasten der Eltern niedriger angesetzt werden48 . Eine verstärkte Berücksichtigung einer eigenen Kindesposition strebten dagegen schon sehr früh das OLG Koblenz 49 und das OLG Hamburg50 an; sie machten für ältere Minderjährige die Ausübung einer Umgangs bestimmung vom Vorliegen "triftiger Gründe" abhängig51 . Als "triftige Gründe" wurden insbesondere die Gefahr der ernstlichen Schädigung oder der Verstoß gegen das Sittengesetz angesehen52 , wobei Teile der Literatur nicht eine tatsächliche Gefährdung, sondern lediglich ein "verständliches Mißtrauen" der Eltern genügen lassen 53 . 3. Stellungnahme Auch § 1632 BGB steht unter dem Vorbehalt des Kindeswohls 54 . Probleme ergeben sich, wie festgestellt, aus der psycho/sozialen Ablösung. Der Konflikt zu § 1632 Abs. 2 BGB entspricht deshalb jenem zur Aufenthaltsbestimmung. § 1632 Abs. 2 BGB bildet insofern jedoch einen "leichteren Fall", als die physische Anwesenheit weiterhin gegeben ist und damit die Möglichkeit realer (kommunikativer) Einflußnahme weiterhin besteht55 . ein bestimmtes Verhalten direkt vom Unterhaltsberechtigten verlangt wird, vgl. die Rechtsprechung zu § 1612, Abs. 2 BGB (s. bei Moritz, RdJB 1977,264 ff. sowie nachfolgend im 4. Abschnitt). 45 Vgl. die Nachweise bei Hartwieg/Rebe, aaO, S. 42 ff.; s. auch Staudinger/Donau, 10./11. Auf!., § 1626, Rn. 6; Dölle (Bd. 2, 1965), S. 152; Bosch, FamRZ 1958, 140. 46 Vor allem Klocke, JuS 1974, 80. 47 OLG Koblenz, Urt. v. 8. 11. 1957, Ehe und Familie 1958, 137 ff., m. Anm. von Bosch. 48 Vor allem OLG Bremen FamRZ 1977,555; OLG FrankfurtIM. NJW 1979,2052; vgl. auch die weiteren Nachweise bei Soergel/Lange (1981), § 1632, Rn. 14. 49 FamRZ 1958,137. 50 MDR 1967, 764. 51 Zur praktischen Bedeutung dieses Objektivierungsversuches und der Relativierung durch die Literatur vgl. die vorstehenden Fn. 2,5 u.6. 52 Vgl. die Nachweise bei SoergeVLange (1981), § 1632, Rn. 14. 53 Soergel/Lange (1981), § 1632, Rn. 14. 54 Siehe im einzelnen schon im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 2.2.1. 55 Oftmals werden freilich die Aufenthalts- und Umgangsbestimmungsproblematik zugleich gegeben sein.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Klocke ist zuzustimmen, wenn er den 16. Geburtstag für die Umgangsproblematik als besonders relevantes Datum ansieht56 . Dies liegt allerdings nicht daran, daß, wie Klocke meint, zu diesem Zeitpunkt der "Ablösungsprozeß zum Elternhaus" beginnt57 • Zweifelhaft ist auch, ob dieses Datum aus einer Erhebung zum Koitus-Verhalten Jugendlicher begründbar und generalisierbar ist58 . Diese Alterszäsur folgt vielmehr aus § 180 StGB. Der Tatbestand des § 180 StGB eines "durch Gewähren von Gelegenheit Vorschub leisten" dürfte zwar kaum vom Personensorgeberechtigten erfüllt werden. Aus der Vorschrift ergibt sich jedoch die Einschätzung, daß die jüngeren Minderjährigen in besonderer Weise zu schützen sind. Andererseits ist aus dieser Vorschrift zu schließen, daß das StGB nach dem 16. Geburtstag einen strengen Sexualschutz (über § 180 Abs. 2 StGB hinaus) nicht für erforderlich hält. Zusätzlich sind die entwicklungspsychologischen Besonderheiten der Ablösungsphase zu berücksichtigen. Aus §§ 176,180 StGB folgt, daß Minderjährige ab 16 Jahren selbständig über ihre Geschlechtsehre bestimmen können59 . Dies hat zur Konsequenz, daß das Ermessen der Personensorgeberechtigten bei Umgangsverboten zur Verhinderung von Sexualkontakten nicht mehr frei ist. Vielmehr müssen die Sorgeberechtigten ab dem Alter der Minderjährigen von 16 Jahren, anders motivierte Umgangsverbote vom 15. Geburtstag an, ihre Untersagung besonders begründen. Dabei gilt das Konsensualgebot generell; aus diesem folgt auch der Begründungsanspruch der Minderjährigen. Bei ab16jährigen scheidet das Argument sexueller Gefahren zur Begründung des Umgangsverbotes generell aus, es sei denn, bei der (dem) Minderjährigen wäre abweichend vom Regelfall eine Selbstbestimmungskompetenz real und objektivierbar nicht gegeben. Denn die Auswahl von Freunden und das Eingehen sonstiger personaler Bindungen stellt einen wesentlichen Teil des Selbstwerdungsprozesses dar. Auch Sexualkontakte sind dabei entscheidend für Personalisation und Identifikation des Minderjährigen; entgegen Münder60 trifft dies für den Koitus nicht generell zu, vielmehr hängt dessen psychische Bedeutung von der individuellen Entwicklung des Minderjährigen ab. Jedenfalls aber folgt daraus, daß die Unterbindung von Sexualkontakten, und diese war Gegenstand der meisten Entscheidungen zum Umgangsverbot, nicht aus sich selbst heraus ein Umgangsverbot rechtfertigt 61 . In der gerichtlichen Überprüfung erscheint ein Umgangsverbot erst dann als im Rahmen der pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge, wenn die Sorgeberechtigten, ausgehend von der Person des Minderjährigen - und nicht auf der Grundlage individueller Moralvorstellungen der Eltern - zu begründen vermögen, weshalb im 56 57 58
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Klocke, JuS 1974, 80. So aber Klocke, aaO. Vgl. aber Kühn, in Kühn u. a. (1978), S. 329 ff. OLG FrankfurtIM. NJW 1984, 806, 807. BGB-AK, § 1632, Rn. 10. So zutreffend Münder, aaO, gegen OLG Bremen FamRZ 1977, 555 f.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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konkreten Fall nicht nur eine nachteilige Entwicklung zu befürchten ist, sondern inwieweit konkrete Gefahren für die Entwicklung der (des) Minderjährigen vorliegen, weIche als nachteiliger zu bewerten sind, als die Situation, weIche sich bei Tolerierung der Kontakte ergäbe. Bestehen allerdings begründete Zweifel an der Selbstbestimmungskompetenz der Jugendlichen (z. B. sie ist sich über ihr Tun und dessen Folgen nicht im klaren), so gilt der Vorrang des Bestimmungsrechts der Eltern, bis diese Zweifel ausgeräumt sind62 • Somit ergibt sich folgende Wertung: 1. Bezogen auf Sexualkontakte vom 16. Geburtstag an, im übrigen vom 15. Geburtstag an, besteht eine Begründungspflicht der Sorgeberechtigten für Umgangsverbote. In jedem Fall gilt das Konsensualprinzip, also die Verpflichtung der Eltern, das Problem mit dem Kind zu erörtern. 2. Es gilt der Individualisierungsgrundsatz. Ein Umgangsverbot ist mit konkreten Gefahren für die physische und/oder psychische Entwicklung der (des) Minderjährigen zu begründen, welche, ausgehend vom Kind, negativer zu beurteilen sind, als die Sitution, welche bei Tolerierung der Kontakte durch die Personensorgeberechtigten bestände. 3. In Zweifelsfällen gilt das Bestimmungsrecht der Eltern, bis die Zweifel - ggf. mit vormundschaftsgerichtlicher Unterstützung - ausgeräumt sind.
c. Die Respektierung der Individualsphäre und verdinglichter Persönlichkeitsdetails sowie der Umgang mit dem eigenen Körper I. Respektierung der IndividuaI- und Privatsphäre
1. Beispiels[älle
Unterkategorien zur Umgangsbestimmung bilden die Kontrolle und der Eingriff in den brieflichen und telefonischen Verkehr des Minderjährigen. Dabei ist das Briefgeheimnis in die verfassungsrechtlichen Garantien einbezogen und zusätzlich durch § 202 StGB geschützt. Der vom Minderjährigen verfaßte Brief, ebenso wie das Tagebuch, Zeichnungen etc. stellen zudem verdinglichte Persönlichkeitsdetails dar, weIche zur Fallgruppe Selbstbestimmung/Intimsphäre des zivilrechtlichen Persönlichkeitsrechts zählen 63 . Auch der Intimbereich des Minderjährigen ist angesprochen bei den Fragen nach Anerkennung eines Schreibtischgeheimnisses sowie 62 Maßstab ist der Minderjährige und seine zu prognostizierende psychische und physische Lage, nicht jedoch etwa ein Verhalten der Eltern, welche z. B. für den Fall der Beibehaltung des Umgangs mit dem Abbruch ihrer Beziehungen zum Minderjährigen drohen und damit einen weiteren Emotionsstau beim Minderjährigen erst verursachen. 63 Vgl. im 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C 11 2.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
nach einem Hausrecht des Minderjährigen im Kinderzimmer. Fraglich ist, inwieweit die Sorge berechtigten dort Kontrollrechte haben. 2. Meinungsstand Stellungnahmen liegen vor allem zum Briefverkehr Minderjähriger vor. Diese reichen von einer vorbehaltlosen Bejahung eines Kontrollrechtes 64 über jene, welche eine Kontrolle von dem konkreten Verdacht einer Fehlentwicklung des Minderjährigen oder auch einer unzulässigen bzw. schädlichen Beeinflussung durch Dritte abhängig machen65 . Nach Lüderitz steht dem Sorgeberechtigten jedenfalls ein Anspruch darauf zu, "zu wissen, mit wem der Minderjährige brieflich verkehrt"66. Schließlich gibt es Stimmen, die jeglichen Eingriff als unzulässig erachten67 . Tagebuchaufzeichnungen und zeichnerische Darstellungen der Minderjährigen sind in gleicher Weise verdinglichte Persönlichkeitsdetails wie Briefe, so daß hierzu eine entsprechende Bewertung wie zur Briefkontrolle erfolgen kann 68 . Nicht verdinglichte Persönlichkeitsdetails, sondern allgemein die Privatsphäre betreffen dagegen die Fragen des Schreibtischgeheimnisses und des Hausrechts im Kinderzimmer. Ersteres ist nach Lüderitz, entsprechend dem Brief- und Tagebuchgeheimnis, "grundsätzlich zu wahren"69; ein Hausrecht im Kinderzimmer wird, soweit ersichtlich, in der Fachdiskussion nicht problematisiert. 3. Stellungnahme Die Problemlösung ergibt sich aus einer näheren Analyse der Konfliktlage i. V. m. den im 4. Kapitel entwickelten abstrakten Beurteilungskategorien. In der Regel ist es nicht etwa so, daß das Kind generell darauf beharrte, seinen Brief- und Telefonverkehr etc. unbehelligt von den Eltern abzuwikkeIn. Vielmehr treten Probleme in einer speziellen entwicklungspsychologischen Phase auf, nämlich jener der Ablösung vom Elternhaus. Münder kennBeitzke, Lehrbuch, § 27 V 1. Göppinger (1967), S. 28 m. w. N. früheren Schrifttums in der dortigen Fn. 22. Jedenfalls eine Begründung der Kontrollen und Untersagungen seitens der Eltern verlangt das OLG Köln FamRZ 1973, 365; entspr. auch: SoergellLange, 11. Aufl., § 1632, Rn. 13, 14; Diederichsen, NJW 1980, S. 5. 66 Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 282; ablehnend Finger (1979), S. 320, Fn. 115. 67 Danzig (1974), S. 73; Münder, BGB-AK, § 1666, Rn. 27; Peschel-Gutzeit in KühnfTourneau (1977), S. 96 f.; Quambusch, ZblJugR 1974,139 ff. 68 Peschel-Gutzeit, in Juristinnenbund (1977), S. 96 f., mit Spranger (1949), S. 41. 69 Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 282. 64
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1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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zeichnet die Problemlage deshalb zutreffend mit dem sozialen Begriff des "Autonomiekonfliktes"70. Deutlich gemacht ist damit der besondere sozialpsychologische Aspekt des Problems. D. h., daß dann, wenn sich der Minderjährige gegen eine elterliche Kontrolle in den angesprochenen Bereichen wendet, dies nicht aus einer unbegründeten Oppositionshaltung geschieht, sondern als Ausdruck des Beginns bzw. Ablaufes einer Selbstfindungsphase der Persönlichkeitsentwicklung des Kindes 71 • In diesem Sinne ist die Abwehr elterlicher Einflußnahme durch den Jugendlichen prinzipiell begründet. Die entsprechende Äußerung ist als "begründeter Kindeswille" zu akzeptieren, so weit die Abwehrhaltung nicht zugleich der Verwirklichung strafrechtlicher oder ordnungswidrigkeitsrechtlicher Tatbestände dient 72 • Die Respektierung des begründeten Kindeswillens konkretisiert das familienrechtliche allgemeine Persönlichkeitsrecht des Minderjährigen und definiert insoweit zugleich das KindswohJ73. Wenn aber die Kindesäußerung auf Respektierung des persönlichen Freiraumes einer entwicklungsbedingten Notwendigkeit entspricht und somit objektiv begründet ist, bilden, unter dem erläuterten Vorbehalt der deliktischen Unbedenklichkeit, die genannten verdinglichten Persönlichkeitsdetails sowie die Respektierung der Persönlichkeits- und Intimsphäre die Inhalte der auch familienintern zu beachtenden Persönlichkeitsrechte des Minderjährigen. Somit sind Brief-, Telefon- und Tagebuchgeheimnis sowie der Anspruch auf Respektierung sonstiger verdinglichter Persönlichkeitsdetails, aber auch ein Schreibtischgeheimnis sowie die Privatsphäre des Kinderzimmers grundsätzlich zu respektieren, wenn das Kind einen entsprechenden Willen artikuliert. Entgegen Peschel-Gutzeit74 handelt es sich dabei nicht um Zukunftspostulate, sondern um aktuelle familienrechtliche "Ansprüche" der Minderjährigen gegen ihre Eltern als Ausfluß des "Anspruchs" auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge75 . Münder, RdJB 1981,90 ff. Vgl. auch Peschel-Gutzeit, in Juristinnenbund (1977), S. 96 f. mit Spranger (1949), S. 41. 72 Vgl. dazu im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III. 73 Zur Identität der Schutzgüter, jedoch der Bereichsspezifität der Rechtsfolgen zwischen "allgemeinem zuivilrechtlichen Persönlichkeitsrecht" und dem familienrechtlichen Persönlichkeitsschutz des Kindes; vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 Asowie § 2 A III 3.2.2.4. 74 aaO. S. 97. 75 Zu letzterem vgl. schon im 3. Kapitel, 1. Abschnitt, S. 154ff., sowie im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3; insbes. S. 281 ff. Zur Anerkennung eines Anspruchs des Kindes auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge vgl. auch Gernhuber (1980), S. 708; Hinz (1976), S. 23; Münder, AKBGB, § 1626, Rn. 2. 70
71
428
7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Ein unbeschränktes Kontrollrecht entleerte den "Anspruch", ein solches entfällt damit. Auch reicht der, wenn auch konkrete Verdacht einer Fehlentwicklung des Minderjährigen oder die unzulässige bzw. schädliche Beeinflussung durch Dritte zur Einschränkung der Persönlichkeitsrechte so lange nicht aus, wie eben nicht konkrete Anhaltspunkte für strafrechtswidrige oder ordnungswidrige Aktivitäten bestehen. Andererseits ist zu bedenken, daß der Beginn des "Autonomiekonfliktes" schon etwa beim 12. Lebensjahr anzusetzen ist7 6 , d. h. in einer Phase, in welcher aufgrund der beim Kind noch möglichen Verhaltensunsicherheiten Drittkontakte negativer Art ein Gefahrenmoment für die psychische Entwicklung des Kindes darstellen können?? Jedenfalls für 12-14jährige ist deshalb mit Lüderitz?8 ein Anspruch der Eltern gegen das Kind zu bejahen, über die Beziehungen zu Dritten sowie über die Kommunikationspartner des Brief- und Telefonkontaktes informiert zu werden (dies bedeutet nicht die Berechtigung, ankommende oder abgehende Briefe des oder an den Minderjährigen zu lesen oder Telefonate des Kindes offen oder verdeckt zu belauschen?9). Verweigert das Kind die Erfüllung des Informationsanspruchs der Eltern, so rechtfertigt sich daraus eine Beschränkung seiner Freiheitsrechte durch Überwachung der Kontakte des Minderjährigen, wobei dann ggf. auch Briefe etc. kontrolliert werden können. Auch diese Konsequenz resultiert aus der Pflichtbindung der elterlichen Sorge; denn diese gebietet Präventivmaßnahmen, wenn andernfalls eine Gefährdung für das Kind nicht auszuschließen ist. Schon die familienrechtliche Sozialisationssituation führt auch dazu, ein "Hausrecht des Kindes im Kinderzimmer" i. S. eines Herrschaftsrechts, welches mit einem Vetorecht bewährt ist, zu verneinen. Denn dem Interesse des Kindes ist genügt, wenn seine Privatsphäre im Kinderzimmer respektiert wird, ohne daß eine Tabuisierung des Kinderzimmers für die Eltern erfolgte. Die Personensorgeberechtigten haben den Wunsch des Kindes nach einem Alleinsein im Kinderzimmer und - insbesondere, wenn der Minderjährige ab dem 15. Geburtstag über feste eigene Geldmittel verfügt - einen bestimmten Geschmack der Ausstattung wie auch Besuche zu respektieren. An die Stelle eines "Hausrechtes des Kindes im Kinderzimmer" tritt somit der Anspruch des Kindes auf Respektierung seiner Privatsphäre. Die Durchsetzung auch dieses Anspruches erfolgt über § 1619 BGB, welcher von einer Zugehörigkeit des 76 Münder, RdJB 1981,90; Zenz (1979), S. 88; vgl. im einzelnen auch schon im obigen 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B. 77 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 B. 78 AcP 178 (1978), S. 282. 79 Dies steht in Übereinstimmung mit den nachfolgenden (in § 2 A H.4. dieses 1. Abschnitts) Wertungen zu § 1634 BGB. Denn der dort befürwortete Vorbehalt, daß das Kind durch den Nichtsorgeberechtigten nicht "aufgewiegelt" wird, setzt voraus, daß der Sorgeberechtigte überhaupt Kenntnis von den Kontakten NichtsorgeberechtigterKind erhält.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Kindes zum Hausstand der Eltern ausgeht; auch mietrechtlich sind in der Regel allein die Eltern Inhaber des mietrechtlichen Besitzrechtes, ohne daß im Sinne eines Untermieterverhältnisses bezüglich des Kinderzimmers das Besitzrecht an das Kind delegiert würde. ß. Der Umgang mit dem eigenen Körper
1. Gesundheitspflege, ärztliche Behandlung Die rechtsdogmatische Beurteilung der rechtsgeschäftlichen Problematik des Heileingriffs entspricht jener beim Schwangerschaftsabbruch, wie sie im 5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 B III 3.2.1. dargestellt wurde. Schwierigkeiten ergeben sich aus den zu unterscheidenden zwei Wertungsebenen; neben die persönlichkeitsrechtliche Komponente (Wirkungen des Heileingriffs ) tritt eine vertragsrechtliche (Behandlungsvertrag) . Für erstere kommt es auf die individuelle Einsichtsfähigkeit an. Auf die Einwilligung in den ärztlichen Behandlungsvertrag werden die §§ 107 ff. BGB nach der hier vertretenen Auffassung analog angewendet8o . Mit der Vollendung des 15. Lebensjahres kann die Einsichtsfähigkeit entsprechend den im 4. Kapitel getroffenen Feststellungen grundsätzlich als gegeben erachtet werden. Die ärztliche Aufklärung hat, gemäß dem Lebensalter des Patienten, besonders intensiv und deutlich zu sein. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, sind die Personensorgeberechtigten zur Einwilligung in den Behandlungsvertrag grundsätzlich verpflichtet; liegen nicht besondere Umstände vor, bedeutete die Versagung der Einwilligung ein (zumindest) "unverschuldetes Versagen der Eltern" i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB81.
2. Versuche am Kind Einen speziellen Fall des Heileingriffs stellt der Versuch mit nicht erprobten Arzneimitteln dar. Dabei sind wiederum zwei Varianten zu unterscheiden: 1. Das "reine" Experiment sowie 2. Der Heilversuch. Das "reine" Experiment ist gern. § 40 Abs. 4 Ziff. 2 ArzmG bei Nichtvolljährigen unzulässig; dies gilt insbesondere auch für den Doppelblind-Versuch82 . Radioaktive Stoffe dürfen im Rahmen der Forschung gern. § 41 Abs. 1 Ziff. 8 der Strahlenschutzverordnung nicht bei "nicht-geschäftsfähigen" Per5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 B III. 3.2.l. Zur Außenwirkung der Verweigerung der Genehmigung vgl. im 5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 B III 3.2.l. 82 Weder Arzt noch Patient wissen dabei, in welchen Präparaten das neue, unerprobte Medikament enthalten ist. 80 81
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
sonen (richtig wohl: bei Nichtvolljährigen) angewendet werden. Die Unzulässigkeit der Blutspende Nichtvolljähriger wurde schon oben erwähnt83 . Eindeutig bei dieser Aufzählung ist jedoch allein das Verbot der Blutspende. Dagegen ist die Abgrenzung von "reinem" Experiment bzw. Forschung und andererseits dem erlaubten Heilversuch kaum verläßlich möglich. Konsequent prüft deshalb auch Eberbach84 die "Humanforschung an Minderjährigen" , ohne weiter zwischen Forschung und Heilversuch zu differenzieren. Fraglich ist jedoch, ob für die Fälle der Humanforschung an Minderjährigen die gleichen Kriterien anwendbar sind wie allgemein beim Heileingriff. Anders als beim (allgemeinen) Heileingriff ist beim Einsatz nicht erprobter Medikamente von einer besonderen Gefahrenlage auszugehen85 ; denn es existiert ein überdimensioniertes Eigeninteresse des zur Aufklärung verpflichteten Arztes an dem Experiment, welches zumindest Zweifel an der Objektivität der Aufklärung begründen kann. Die besondere individuelle Aufklärung ist jedoch Voraussetzung für den wirksamen Schuldausschluß für den behandelnden Arzt durch die "Genehmigung" seitens des (minderjährigen) Patienten 86 . Wegen der latenten Gefahr einer mangelhaften Aufklärung entfaltet deshalb die Altersstufenlösung des § 36 SGB-I87 keine Wirkung. Es fehlt auch eine vergleichbare Situation mit jener des Zeugnisverweigerungsrechts 88 , 89. Denn dort gebot nach der hier vertretenen Auffassung der Schutz der Jugendlichen vor einer möglichen Selbstgefährdung, die Einvernahme Nichtvolljähriger überhaupt zu unterlassen. Dagegen könnte die Nichtanwendung zwar unerprobter, aber möglicherweise zu einem Erfolg führender Medikamente gerade dem Minderjährigen irreparabel gefährden. Angezeigt ist deshalb eine individualisierende (entgegen der Altersstufenlösung) und differenzierende (Berücksichtigung von Eltern- und Kindeswille ) Regelung. Wegen der besonderen Gefahrenmomente des experimentellen Heilversuchs scheidet deshalb aus, allein auf den Kindeswillen abzustellen. Zu berücksichtigen ist aber auch, daß eine Heilbehandlung die Bereitschaft des Patienten zu dieser Maßnahme erfordert. Daraus ergibt sich, daß auch die elterliche Zustimmung allein nicht genügt. Dies bedeutet, daß zu der Zustimmung des einsichtsfähigen Minderjährigen noch jene der Personensorgebe5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 BIll 3.2.1. FamRZ 1982, 450 ff. 85 Vgl. schon Eberbach, FamRZ 1982, 450, 452. 86 Siehe im einzelnen schon im 5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 BIll 3.2.1. 87 § 36 SGB-AT gewährt eine Sozialrechtsmündigkeit ab Vollendung des 15. Lebensjahres. Für eine Altersstufe 14. Geburtstat treten ein: Bosch, FamRZ 1973, 489, 506; Diederichsen, FamRZ 1978, 461, 464 sowie Finger, JA 1981, 641, 646. 88 Vgl. im vorstehenden 6. Kapitel, 4. Abschnitt, § 4. 89 Im Ergebnis ebenso Eberbach, FamRZ 1982, 452. 83
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1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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rechtigten hinzutreten muß, um den Heileingriff zu rechtfertigen; andererseits ist ein Heileingriff allein mit Zustimmung der Eltern gegen den begründeten Willen des Kindes rechtlich nicht zulässig90 ; ein dennoch durchgeführter Heileingriff führte zu Schadensersatzansprüchen gegen den Arzt sowie zu Sanktionen nach § 1666 Abs. 1 BGB gegen die Eltern wegen der initiierenden Verletzung der Persönlichkeitsrechte (Körper, Gesundheit, Entschließungsfreiheit) des Kindes91 . III. Das Recht am eigenen Bild
1. Beispielsjälle Fall 192 : Der Beklagte fotografierte ohne Einwilligung der Eltern des Klägers aus einer Entfernung von 15 bis 20 Metern den damals 9jährigen Kläger, der auf dem Hof einer Schule mit anderen Kindern spielte .... Das Foto sollte beweisen, daß der Kläger den schlechten Zustand des die Siedlung und das Schulgebäude trennenden, heruntergetretenen Zaunes mitverursacht hatte. Der Kläger beantragte, den Beklagten zu verurteilen, an ihn das Negativ mit seinem Bild sowie etwa gefertigte Aufnahmen herauszugeben. Die Klage wurde vom LG und KG abgewiesen, da die Fotografie nur einen Eingriff in die Individualsphäre des Klägers darstelle und eine Interessenabwägung ergäbe, daß das Beweisinteresse des Beklagten dem zivilrechtlichen Persönlichkeitsschutz des Klägers vorgehe. Fall 293 : Der Beklagte fertigte von der damals 16jährigen Klägerin Nacktaufnahmen. Von der allein sorgeberechtigten Mutter der Klägerin erwarb der Beklagte gegen Zahlung eines Entgeltes die Erlaubnis zur Verbreitung und Auswertung von drei Aufnahmen. Die Klägerin teilte später dem Beklagten mit, sie lehne die Annahme des ihrer Mutter übergebenen Geldbetrages ab. Sie sei lediglich einverstanden, daß das streitige Bild auf der "photokina" ausgestellt werde, jede andere Art der Veröffentlichung behalte sie sich vor. Auch untersage sie, im Zusammenhang mit dem Bild ihren 90 Ebenso Eberbach, FamRZ 1982, 454 f., unter Bezugnahme auf die - allerdings allgemein zum Heileingriff bezogenen - Stellungnahmen von Lüderitz, AcP 178 (1978), S. 278 sowie SoergellLange, 11. Aufl., § 1629, Rn. 6 sowie § 1626, Rn. 43. 91 Dem von Lüderitz (aaO) mit Recht artikulierten Bedürfnis nach einstweiligem Rechtsschutz ist vom Vormundschaftsgericht auf Anregung des Minderjährigen oder auch des Jugendamtes oder sonstiger Anregungsberechtigter von Amts wegen zu entsprechen, indem es einstweilen anordnet, daß der experimentelle Heilversuch unterbleibt (vgl. schon im 6. Kapitel, 2. und 3. Abschnitt). Ein "Vetorecht", wie dies von Lüderitz vorgeschlagen wurde, findet dagegen keine gesetzliche Grundlage. 92 Nach KG NJW 1980, 894. 93 Nach BGH FamRZ 1974, 595 = NJW 1974, 1947 = DB 1974, 1860; Vgl. auch die obigen Ausführungen (5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 B III. 3.2.2.) zu OLG Karlsruhe FamRZ 1983, 742 ff.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Namen zu nennen. Der Beklagte vertrieb eine Schallplatte, auf deren Plattenhülle das Foto der Beklagten abgebildet war. Die Klägerin begehrt Unterlassung der Verbreitung sowie Herausgabe des durch die Verbreitung erzielten Gewinns, hilfsweise die Zahlung einer angemessenen Lizenzgebühr . Berufung und Revision wiesen die Klage im vollen Umfang ab. Der BGH hält eine Zustimmung der Minderjährigen jedenfalls insoweit nicht für notwendig, als es nur um den Schutz der vermögensrechtlichen Belange - die "kommerzielle Verwertung" - geht. Fall 394 : Die 6jährige A betätigt sich mit Zustimmung und auf Veranlassung ihrer Eltern als Modell. Es werden von ihr Aufnahmen für die Modezeitungen sowie Nacktaufnahmen für Werbezwecke gemacht. A leistet gegen diese Tätigkeit keinen erkennbaren Widerstand. Das Honorar wird für die Lebenshaltung der Familie mitverwendet.
2. Problematik und Stellungnahme Die Fälle betreffen "das Recht am eigenen Bild". Dieses ist als Inhalt des allgemeinen Persönlichkeitsrechts zu § 823 Abs. 1 BGB heute grundsätzlich anerkannt95 und wird zudem durch die §§ 22 ff. KUG geschützt. Sind diejenigen, um deren Bild es geht, minderjährig, so entsteht die Frage, ob die fotographische Aufnahme sowie der Gebrauch des Bildes neben der Gestattung des Minderjährigen auch die Zustimmung der Sorgeberechtigten erfordert. Bei der Bestimmung der Reichweite des Rechtes am eigenen Bild besteht das Problem, ob neben der allgemeinen Grenzziehung zudem noch eine Limitierung aus der Entwicklungssituation des Kindes anzuerkennen und wie diese ggf. zu realisieren ist. Von der Art des Bildes und dem tatbestandlichen Zusammenhang hängt es ab, ob die Intim- oder die Individualsphäre betroffen ist. Nur im ersten Fall besteht bei fehlender Zustimmung zur Publikation ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht zu § 823 Abs. 1 BGB96, wogegen bei einem Eingriff in die Individualsphäre eine Interessenabwägung zwischen dem Persönlichkeitsschutz und dem Zweck der Aufnahme stattzufinden hat 97 . Insofern ist der Entscheidung zu Falll im Ergebnis zuzustimmen, daß der vorliegende Eingriff in die Individualsphäre nicht zu Ansprüchen aus § 823 Abs. 1 BGB bzw. § 823 Abs. 1 i. V. m. § 1004 BGB führt. Angesichts dieses Ergebnisses konnte vom Kammergericht auch die Zustimmungsproblematik 94 V gl. die vielen Beispiele von Kinderrnodellen in Modezeitschriften und in der Werbung. Es geht dabei um die Frage der Grenze des Elternrechts, ohne daß die Limitierung durch einen entgegenstehenden Kindeswillen erfolgte. 95 Vgl. P. Schwerdtner (1977), S. 207 ff. m. w. N. 96 OLG Schleswig NJW 1980, 352. 97 KG N:TW 1980, 894.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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diese wurde allerdings nicht erkannt, denn das Gericht stellte laut Tatbestand lediglich die fehlende Zustimmung der Eltern des Klägers fest, auf die Frage der erteilten Zustimmung durch den Kläger ging das Kammergericht dagegen nicht ein - vernachlässigt werden. Einen Eingriff in die Intimsphäre stellen dagegen die Abbildungen in Fall 2 sowie (bezüglich der Nacktfotos) in Fall 3 dar. Das zivilrechtliche Persönlichkeitsrecht des Kindes realisiert sich, wie festgestellt, in der Respektierung des begründeten Kindeswillens 98 . Da die Aufnahmen keine Relevanz für die Entwicklung der Autonomie der Persönlichkeit haben, bedarf es für die Weigerung keiner Begründung, so daß die bloße Verweigerung des Kindes, sich aufnehmen zu lassen, auch als begründeter Kindeswille anzusehen ist. Die vom BGH99 offen gelassene Frage des Zustimmungserfordernisses durch den Minderjährigen ist somit dahin zu beantworten, daß bei kleineren Kindern eine Aufnahme jedenfalls nicht gegen deren Willen erfolgen darf. Ab Vollendung des 15. Lebensjahres ist die ausdrückliche Zustimmung der Minderjährigen in jedem Falle erforderlich. Zusätzlich bedarf es der Zustimmung der gesetzlichen Vertreter, da es sich bei der Aufnahme nicht um Bargeschäfte des täglichen Lebens handelt und damit die im 5. Kapitel entwickelte Ausweitung der rechtsgeschäftlichen Handlungsfähigkeit keine Anwendung findet. Entsprechendes gilt auch für den Vertrieb der Ablichtungen. Ein Verstoß gegen diese Grundsätze führt gegenüber dem Dritten zu Ansprüchen aus §§ 823 Abs. 1 BGB, 22 KUG bei Vorliegen einer Persönlichkeitsrechtsverletzung des Minderjährigen; bei einer Nutzung ohne Zustimmung der Sorgeberechtigten und der Minderjährigen besteht ein Anspruch aus Eingriffskondiktion 1°O. Im Fall 3 fehlt ein erkennbarer widerstreitender Wille der Minderjährigen. Den Personensorgeberechtigten steht im übrigen bis zur Grenze des § 1666 Abs. 1 - aber im Rahmen der geltenden Gesetze - die Entscheidung darüber zu, für welche Erziehungsinhalte sie sich entscheiden und wie sie die elterliche Sorge im einzelnen wahrnehmen. Nach § 6 Abs. 1 Ziffer 2, letzte Alternative JugArbSchG ist für die Durchführung der Aufnahmen bei bis-14jährigen die vorherige Genehmigung durch die Gewerbeaufsicht erforderlich, welche ihrerseits das Jugendamt zu hören hat und die weiteren Maßnahmen des § 6 Abs. 2 JugArbSchG beachten muß. Die elterliche Entscheidungsbefugnis ist insoweit eingeschränkt.
4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III 3.2.2.4. FamRZ 1974, 595, 597. 100 Vgl. im einzelnen auch im 5. Kapitel, 6. Abschnitt, § 2 B III. 3.2.2.
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28 Moritz
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
D. Der Eingriff in die körperliche und/oder psychische Integrität des Kindes (§ 1631 Abs. 2 BGB) Aus dem Grundsatz der Respektierung des begründeten Kindeswillens folgt das Verbot körperlicher Züchtigung (vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III.3.2.2.3.). Die Eltern/Kind-Kommunikation ist zu orientieren am Konsensualprinzip (4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III.3.2.2.2.) Die psychische Beeinflussung durch die Eltern ist nur bis zur Grenze der Verletzung des Selbstwertgefühls des Kindes zulässig (4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III.3.2.2.3.). E. Ausbildung und Berufswahl, § 1631 a BGB I. Entwicklungspsychologische Relevanz und Meinungsstand
Die persönliche Anerkennung bezieht sich in der Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland entscheidend auch auf die Stellung im Beruf101 . Die individuelle Selbstverwirklichung wird zudem ganz wesentlich auch im Beruf gesucht 102 . Deshalb kommt Fragen der Ausbildung und der Berufswahl des Kindes, quasi als Leitentscheidung der späteren gesellschaftlichen Stellung, besondere Bedeutung zu. Dem hat der Gesetzgeber insofern Rechnung getragen, als er, im Unterschied zur Heilbehandlung (vgl. § 1626 a (E», neben der Spezialregelung der "Unterbringung mit Freiheitsentziehung" des § 1631 b BGB103 auch die Ausbildungs- und Berufswahl, entsprechend den Gesetzesinitiatoren (vgl. § 1626 Abs. 2 S. 3 (E», im Gesetz besonders berücksichtigt hat (§ 1631 a BGB). § 1631 a Abs. 1 Satz 1 BGB wird unterschiedlich interpretiert. Einige sehen in ihm lediglich eine "programmatische Aussage" 104. Andere entnehmen aus dem Wortlaut seines Satzes 1 einen Hinweis auf eine "Rechtspflicht der Eltern" 105.
Die Zwischenschaltung einer Beratung (durch Lehrer oder sonstige geeignete Dritte) nach § 1631 a Abs. 1 S. 2 BGB ist in die Form einer Sollvorschrift gekleidet. Im Gegensatz zum ursprünglichen Entwurf ist nicht mehr die Einschaltung eines Berufs- und Bildungsberaters vorgesehen - vgl. § 1626 Abs. 2 101 Zu dieser Korrelation und der Bedeutung der Schulausbildung sowie den Negativfolgen fehlender "Startchancen" vgl. bei MoritzlMeier (1982), S. 181 ff., 210 ff. m.w.N. 102 So ist etwa die Gleichberechtigungsdiskussion ganz wesentlich auch von der Frage der Chancengleichheit im Beruf bestimmt. 103 Siehe vorstehend unter "B 11". 104 Beitzke (1980), § 2611 4; Münder, BGB-AK, § 1631 a, Rn. 3. 105 PalandtlDiederichsen, § 1631 a, Anm. 1; Holtgrave, JZ 1979, 667; SoergelJ Lange, 11. Aufl., § 1631 a, Rn. 7.
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S. 3 (E). Jedenfalls insoweit entspricht das Gesetz damit einer realistischen Einschätzung der fehlenden personellen und fachlichen Ausstattung der Administrative 106 • § 1631 a Abs. 2 BGB installiert eine Intervention des Vormundschaftsgerichtes; dieses kann (nach § 1631 a Abs. 2 S. 2 BGB) die elterliche Entscheidung ggf. ersetzen. Nach der inzwischen herrschenden, und hier geteilten Auffassung 107 , stellt § 1631 a BGB eine Spezialnorm gegenüber § 1666 Abs. 1 BGB für Angelegenheiten der Ausbildung und des Berufs dar. Unterschiedliche Auffassungen bestehen zu § 1631 a Abs. 2 BGB hinsichtlich der Eingriffsschwelle bzw. über die Auslegung der verwendeten Begriffe der "Eignung" sowie von "nachhaltig und schwer beeinträchtigt"lOs. Insbesondere besteht Streit darüber, und dies erlangt mit den aktuellen Änderungen zum BAföG erneut Bedeutung109 , inwieweit Berufsaussichten und Ausbildungslasten dem Ausbildungs- und Berufswunsch des Kindes entgegengestellt werden können 110 • 11. Eigene SteUungnahme unter den im 4. Kapitel entwickelten Prämissen
1. Ausgangsfälle Fall 1 aJb111: Die Sorgeberechtigten schicken das lOjährige Kind entsprechend seinen Leistungen, jedoch gegen dessen Willen auf eine weiterführende Schule. Ein anderes Kind ist auf einer weiterführenden Schule. Es erreicht das Klassenziel nicht. Frustrationsbedingt möchte das Kind abgehen oder die Schule wechseln. Die Eltern bestehen darauf, daß das Kind den Schulbesuch in der bisherigen Schule fortsetzt. Fall 2112 : Der 17jährige S besucht das Gymnasium. Seine Leistungen sind relativ schlecht. S und sein Lehrer sind indes der Auffassung, daß ein erfolgreicher Abschluß möglich 106 Siehe schon Giesen, FamRZ 1977, 594 f. sowie Peschel-Gutzeit in Juristinnenbund (1977), S. 104 f. Zum entsprechenden Problem der Erziehungsberatung als Zwischenstufe im Wertungskonflikt der §§ 1631-1666 BGB, vgl. im 6. Kapitel, 2. Abschnitt. 107 6. Kapitel, 2. Abschnitt. 108 Für eine Eingrenzung der Norm auf "krasse elterliche Fehlentscheidungen" vor allem: Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., § 1631 a, Rn. 19 f.; entspr. Beitzke (1980), § 26 11 4; Friedrichs, JbIJugR 1980, 316 f. - Zur Qualifizierung jeder Entscheidung gegen den Willen des Minderjährigen als "nachhaltige und schwere Gefährdung" dagegen besonders: Münder, BGB-AK, § 1631 a, Rn. 5. Entspr. schon OLG Karlsruhe FamRZ 74,661; dem zustimmend Gernhuber (1980), § 49 VIII 8, Fn. 30. 109 Vgl. dazu steno Ber. des Deutschen Bundestages 9/139 vom 15. 12. 1983, S. 87648779 (mit den Abstimmungsergebnissen auf S. 8779). 110 Befürwortend: SoergellLange, 11. Aufl., § 1631 a, Rn. 7; ablehnend: Münder, BGB-AK, § 1631 a, Rn. 5; differenzierend: Dieckmann, AcP 178 (1978), S. 303. 111 Nach Friedrichs, ZbIJugR 1980, 313, 316.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
ist und S deshalb den Schulbesuch fortsetzen sollte. Die Eltern des S wollen diesen von der Schule abmelden und ihn einer praktischen Ausbildung zuführen. Fall 3: Metzger M strebt an, daß sein Sohn S den familieneigenen Betrieb übernimmt. S verspürt dazu keine Lust, sondern möchte seiner Neigung entsprechend Philosophie studieren. M verweigert die Finanzierung dieser Ausbildung.
2. Lösung 2.1. Stellungnahme zu den vertretenen Auslegungen Der Tatbestand des § 1631 a BGB ist zweigliedrig. Die fehlende Rücksichtnahme der Eltern auf Eignung und Neigung des Kindes ist kausal verknüpft mit der Besorgnis einer nachhaltigen und schweren Beeinträchtigung des Kindes 113 • Zutreffend hat Gernhuber darauf hingewiesen, daß die Eignung und Neigung des Kindes von den Eltern kaum zu verifizieren ist; darüber hinaus leiste eine Handhabung des Begriffes "offensichtlich" als Qualität der Erkennbarkeit retardierenden Tendenzen Vorschub 1l4 . Die Gesetzesformulierung hat damit nicht nur "den Zugang zu einer über den § 1666 BGB hinausgehenden Neuorientierung verschüttet"115; indem § 1631 a BGB eine eindeutige Rangfolge zwischen Eltern- und Kindespositionen nicht aufstellt, sondern statt dessen den auslegungsoffenen zweigliedrigen Tatbestand enthält, leistet das Gesetz Vorschub, daß gerade in dem für das weitere Leben des Kindes wichtigen Bereich der Ausbildung sowie Schul- und Berufsbildung eine Rechts- und Eingriffsunsicherheit besteht. Deutlich werden diese Auslegungsschwierigkeiten etwa, wenn Hinz aus der Formulierung des § 1631 a Abs. 2 BGB sowohl die "Eingrenzung ... auf krasse elterliche Fehlentscheidungen" entnimmt, zugleich darin aber eine Gewährleistung der "Rechtzeitigkeit gerichtlichen Eingreifens" sieht1l6 . Denn es bleibt offen, woran die "Rechtzeitigkeit" zu orientieren ist. Ähnlich steht es mit den Ausführungen von Friedrichs. Danach schließt der Zusatz ,offensichtlich' "von vornherein Eingriffe in das Elternrecht bei Zweifelsfällen aus"117. Mit der gleichen Selbstverständlichkeit befürwortet er andererseits jedoch einen Eingriff des Vormundschaftsgerichtes wegen bestehender "Beeinträchtigung" aus der Vorstellung, "lebenslang in einem ungeliebten Beruf arbeiten zu müssen in dem Wissen, daß Alternativen vorhanden und realisierbar gewesen wären"1l8. Nach OLG Karslruhe FamRZ 1974, 661. Vgl. schon Gernhuber (1980), S. 744 sowie Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. VI 2, § 1631 a, Rn. 19 f. 114 Gernhuber, aaO. 115 Gernhuber (1980), S. 743. 116 Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1631 a, Rn. 20. 117 Friedrichs, ZbIJugR 1980, 316. 112
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2.2. Eigener Lösungsansatz
Die angeführten Beispiele offenbaren Wertungsunsicherheiten bezüglich der Rangfolge der Eltern- bzw. Kindesposition sowie hinsichtlich der Eingriffsschwelle. Die spezielle Regelung des § 1631 a BGB trägt der besonderen Relevanz der Ausbildung und Berufswahl für den Minderjährigen und seine spätere gesellschaftliche Stellung Rechnung. Daraus folgt, daß der Gesichtspunkt des Kindeswohls durch diese Regelung nicht ersetzt, sondern verstärkt werden soll. Der Gesichtspunkt des Kindeswohls und damit der prinzipielle Vorrang der Kindesposition 119 gilt auch im Bereich des § 1631 a BGB120; besonders konkretisiert durch § 1631 a BGB ist lediglich das Verfahren. Aus dem Kindeswohl und dessen Konkretisierung der "Respektierung des begründeten Kindeswillens"121 aber folgt, daß eine Ausbildungs- oder Berufswahlentscheidung, soweit es sich nicht offensichtlich um eine nur vorübergehende Laune handelt, jedenfalls nicht gegen den Willen des Minderjährigen getroffen werden kann 122. Daraus folgt auch, daß entgegen Friedrichs 123 bei unterschiedlichen Auffassungen zwischen dem Kind und seinen Eltern stets das Vormundschaftsgericht eingreifen muß. Denn ein Zuwarten bedeutete i. d. R. eine Weichenstellung entgegen dem Kindeswohl, mit ggf. den von Friedrichs selbst 124 angeführten nur schwer reparablen Folgen. Somit ist Gernhuber 125 zuzustimmen, wenn er eine "offensichtlich (fehlende) Rücksicht" schon darin erblickt, wenn es zwischen den Vorstellungen der Personensorgeberechtigten und den (geäußerten ernsthaften bzw. sonst - durch Lehrer oder Sachverständige - objektiv feststellbaren) Neigungen oder Eignungen des Minderjährigen erkennbare Differenzen gibt. Aus dem Gebot des § 1631 a BGB, "auf Eignung und Neigung des Kindes Rücksicht" zu nehmen, folgt eine Konkretisierung des Verfahrens, indem das allgemein für das Kindeswohl als maßgebend erachtete "Konsensualprinzip"126 institutionalisiert wird. Bei Ausbildungs- und Berufsfragen hat eine Kommunikation mit dem Minderjährigen stattzufinden. Unterbleibt diese, ist dies zumindest ein Indiz für eine Pflichtverletzung i. S. d. § 1631 a Abs. 2 BGB. Der Kommunikationsprozeß soll (§ 1631 a Abs. 1 S. 2 BGB) und muß unter Kindeswohlgesichtspunkten ggf. sodann auf Dritte erweitert 118 119 120 121 122 123 124 125 126
Friedrichs, aaO, S. 317. 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C I 3. Entspr. BT-Drucks. 8/2788, S. 49. 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III. Ebenso Münder, BGB-AK, § 1631 a, Rn. 5, mit Zenz (1979), S. 171 f. aaO. aaO, S. 317. (1980), S. 743 f.; ebenso Münder, BGB-AK, § 1631 a, Rn. 4. Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2 A III 3.2.2.2.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
werden, sofern zwischen den Eltern und dem Minderjährigen unterschiedliche Auffassungen in Ausbildungs- und Berufsfragen bestehen. Wird ein Einvernehmen nicht erzielt (entweder fehlt die Kommunikation oder diese erbrachte keinen Konsens), greift das Vormundschaftsgericht gern. § 1631 a Abs. 2 BGB ein. 2.3. Anwendung auf die Ausgangsfälle
Handelt es sich im Fall 1 a nicht nur um eine vorübergehende Laune des Kindes und begründet dieses seinen Widerwillen, so stände der Kindeswille einer Umschulung entgegen. Diese hat zu unterbleiben, sofern die ablehnende Haltung des Kindes nicht kommunikativ zu beheben ist bzw. das Kind den Wechsel nicht wenigstens probeweise akzeptiert. Entsprechendes gilt für Fall 1 b. Ist eine Frustration gegeben, welche befürchten läßt, daß die Fortführung des Schulbesuches zu psychischen Schädigungen führen kann, wäre dem Kindeswunsch zu entsprechen. Mit dem OLG Karlsruhe 127 scheidet im Fall 2 die Möglichkeit einer Abmeldung durch die Eltern aus. Denn der Wille des Minderjährigen, in der Schule zu bleiben, ist, da dieser auch von dem Lehrer unterstützt wird, objektiv begründet und muß deshalb von den Eltern akzeptiert werden. Insbesondere bilden finanzielle Überlegungen (weitere Unterhaltsbelastung der Eltern) keinen Grund im Rahmen des § 1631 a BGB, eine nach Kindeswohlgesichtspunkten angezeigte Ausbildung und Berufswahl zu unterbinden. Der Minderjährige hat bei einer Abwägung in der Unterhaltsebene auf die Leistungsfähigkeit der Eltern Rücksicht zu nehmen. Dies bedeutet, daß, geht der Minderjährige seiner Ausbildung nicht in der gebotenen Weise nach, sich daraus die Berechtigung der Eltern aus § 1610 Abs. 2 i. V. m. einem anzuerkennenden "Gegenseitigkeitsprinzip"128 ergeben kann, von den Unterhaltszahlungen befreit zu werden und daß das Kind sich um eine eigene Erwerbstätigkeit zu bemühen hat. Dies ist jedoch kein Problem des § 1631 a BGB129. Fragen der eigenen Zukunftssicherung der Eltern spielen für § 1631 a BGB keine Rolle. Auch dies ergibt sich aus der Kindeswohlbezogenheit. Somit braucht der Minderjährige im Fall 3 auf die Berufswünsche seiner Eltern für ihn keine Rücksicht zu nehmen. Ist S nicht offensichtlich ungeeignet für das angestrebte Studium, ergäbe sich ein Finanzierungsanspruch gegen seine Eltern aus §§ 1602 ff. BGB. FamRZ 1974, 661; zustimmend Gernhuber (1980), S. 744, Fn. 30. Zum Begriff des "Gegenseitigkeitsprinzip" vgl. PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 4 a cc; zur Gesamtproblematik vgl. im einzelnen Moritz, JZ 1980, S. 16-21, sowie im nachfolgenden 4. Abschnitt. 129 Vgl. schon im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B II 1.2. 127 128
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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§ 2 Scheidungsfolgenrecht
Der Konflikt zwischen Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung des Kindes tritt im Scheidungsfolgenrecht insbesondere beim "Umgangsrecht" des § 1634 BGB und dessen Finanzierung sowie bei der davor liegenden Entscheidung der Verteilung der elterlichen Sorge für die Zeit des Getrenntlebens (§ 1672) sowie nach der Scheidung (§ 1671) auf. Die "Herausgabe" des Kindes im Verhältnis der Eltern zueinander (§ 1632 Abs. 1 letzte Alternat., Abs. 3 letzter Halbs. BGB) bildet eine Variante zum allgemeinen elterlichen "Herausgabe-" und "Umgangsbestimmungsrecht" und braucht hier deshalb nur kurz skizziert zu werden. A. "Umgangsrecht" (und Auskunftsanspruch) des § 1634 BGB und seine Finanzierung I. § 1634 BGB im Wertungskonßikt der Interessen der Elternteile und des Kindes
Zur möglichen und hier favorisierten Auslegung des § 1634 BGB wurde im 4. Kapitel (vgl. im dortigen 3. Abschnitt, § 3 B 11.2.2.2.) Stellung genommen. Der Untersuchungsgegenstand der "Selbstverwirklichung 'oder Fremdbestimmung des Kindes" setzt sich im Rahmen des § 1634 in die Frage um, ob § 1634 BGB nur ein Umgangsrecht des Nichtsorgeberechtigten gewährt und/oder auch ein Besuchsrecht des Kindes. Von dieser Deutung sind abhängig: Die Qualifizierung der "Wohlverhaltensklausel" des § 1634 Abs. 1 S. 2 BGB, die Einschätzung des Kindeswohlvorbehaltes nach § 1634 Abs. 2 S. 2 BGB sowie die Folgeentscheidungen über Brief- und Telefonkontakte und die Frage, wer den Kindesbesuch und Ferienaufenthalt beim nichtsorgeberechtigten Elternteil zu finanzieren hat. Zur Illustration mag folgender Sachverhalt dienen!: Zwischen den Elternteilen war als Scheidungsfolgensache eine Besuchsregelung vereinbart worden, welche monatlich einen Kontakt an einem Sonntag von 13 bis 19 Uhr zwischen der nichtsorgeberechtigten Mutter und dem 8jährigen Jungen vorsah. Die Mutter befand sich anerkannt in beengten finanziellen Verhältnissen. Der sorgeberechtigte Kindesvater und das Kind zogen später in eine entferntere Stadt; das Kind kann die längere Reise zwischen dem neuen Wohnort und der Wohnung der Nichtsorgeberechtigten nicht allein' zurücklegen. Die Kindesmutter begehrt, die Kontakte mit dem Kind aus Kostengründen nunmehr abwechselnd an ihrem sowie am Wohnort des Kindes durchzuführen. Im ersteren Falle soll der Kindesvater das Kind zum Wohnort der Nichtsorgeberechtigten bringen. Der Sorgeberechtigte meint, daß seine Aufgabe in der Gestattung des Umgangs erschöpft wäre; 1
Fall nach der Entscheidung des OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 531.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
er sei nicht verpflichtet, an der Durchsetzung des Umgangsrechtes zwischen dem Kind und dem anderen Elternteil aktiv mitzuwirken.
Die Problematik der Fallgestaltung liegt auf der Hand. Eine Verneinung von Mitwirkungspflichten des Sorgeberechtigten bei der Realisierung des "Umgangsrechtes" führte vorliegend dazu, daß dieses Recht nicht ausgeübt würde. Denkbar wäre auch eine Pointierung des Sachverhaltes dahingehend, daß der Sorgeberechtigte seinen Wohnsitz verlegt, um einer Realisierung des Umgangs entgegenzuwirken. Wäre das "Umgangsrecht" ausschließlich als Rechtsposition des Nichtsorgeberechtigten zu qualifizieren, bildete den Lösungsmaßstab allein die - allerdings ihrerseits zu interpretierende - "Wohlverhaltensklausei" . Ist das "Umgangsrecht" dagegen seinerseits fremdnützig, ginge es nicht mehr um das Wechselverhältnis kindbezogener Rechte der Elternteile untereinander. Es würde vielmehr neben diese Dimension, welche durch die "Wohlverhaltensklausel" berücksichtigt ist, als zusätzlicher eigener Beurteilungsmaßstab jener des Kindeswohls treten. Dieser erschöpft sich ggf. nicht in den Unterlassenspflichten des § 1634 Abs. 1 S. 2 BGB, sondern statuiert evtl. darüber hinaus positive Mitwirkungspflichten. 11. Rechtsnatur und inhaltliche Deutung des "Umgangsrechtes"
1. Zusammenfassung der im 4. Kapitel (3. Abschnitt, § 3 B II 2.2.2.) begründeten Erkenntnisse Zur Rechtsnatur und inhaltlichen Deutung des Umgangsrechtes wurde schon im 4. Kapitel Stellung genommen 2. Aus rechtssystematischen Gründen wurde jener Auffassung gefolgt, welche entsprechend dem Reichsgericht3 das "Umgangsrecht" als Rest des Personensorgerechts qualifiziert. Diese Deutung führte dazu, daß hinsichtlich der bestehenbleibenden Restfunktionalität des Elternrechts auch der fürsorgende Charakter des Elternrechts sowie das Prinzip des Kindeswohl-Vorranges fortgilt. Aus dieser Sicht ergab sich eine zweidimensionale Wirkung des Kindeswohls. Zum einen erfolgt durch die "Wohlverhaltensklausel" des § 1634 Abs. 1 S. 2 BGB für den Bezug Sorgeberechtigter-Nichtsorgeberechtigter eine negativ abgrenzende Wirkung; die Nichtbeachtung der "Wohlverhaltensklausel" ist Indiz für eine Gefährdung des Kindeswohls, mit den möglichen Folgen des § 1634 Abs. 2 S. 2 BGB4; in Ausnahmefällen für eine Revision der Sorgerechtsentscheidungnach § 1696 BGB5. Die Restfunktionalität der Per2 Zum Meinungsstand und zur Begründung des hier eingenommenen Standpunktes vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 2.2.2. 3 RGZ 153, 242. 4 Ebenso Münder, AK-BGB, § 1634, Rn. 4. 5 Vgl. BT-DrS 8/2788, S. 41.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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sonensorge verleiht zugleich eine positive Verhaltensanweisung für den Nichtsorgeberechtigten im Verhältnis Nichtsorgeberechtigter-Kind. Der Nichtsorgeberechtigte ist aus der Restfunktionalität der Personensorge sowie der Sorgeberechtigte aus der Personensorge, jeder in dem vom Umfang der Personensorge bestimmten Rahmen, gegenüber dem Minderjährigen6 zur Beachtung des Vorbehaltes des Kindeswohls verpflichtet. 2. Die Beachtlichkeit des begründeten Kindeswillens sowie die daraus folgende Deutung: "Umgangsrecht" und/oder Besuchsrecht 2.1. Die Bedeutung des Kindeswillens für die Realisierung des "Umgangsrechtes" Einige Stellungnahmen messen dem Kindeswillen eine generelle Bedeutung für die Festlegung und Durchführung des "Umgangsrechtes" beF. Andere erkennen eine Relevanz des Kindeswillens allein bei älteren Kindern an 8 • Hinsichtlich jüngerer Kinder entspricht dies jener Auffassung, welche davon ausgeht, daß ein (dem "Umgangsrecht") entgegenstehender Wille ggf. zu brechen sei9 . Die im Gesetzentwurf zur Sorgerechtsneuregelung vorgesehene Alterszäsur ist nicht Gesetz geworden. Nach dieser sollte bei ab-14jährigen grundsätzlich eine Umgangsbefugnis nicht gegen den Willen des Kindes durchgesetzt werden können lO • Der Rechtsausschuß begründete die Streichung dieser Klausel damit, daß die "eintretende Entfremdung ... für die Entwicklung des Kindes i. d. R. ungünstiger (wäre) als der vom Kind ungewollte oder nicht vorbehaltlos bejahte Umgang" mit dem Nichtsorgeberechtigten ll . Im übrigen verwies er auf die Funktion des Nichtsorgeberechtigten als möglicher "Ersatzerzieher" nach § 1681 Abs. 1 BGB im Falle des Todes des Sorgeberechtigten 12 • Diese Argumente entkräften jedoch nicht die festgestellte prinzipielle Geltung des Kindeswohlvorbehaltes auch für § 163412a in der dargestellten dop6 Zum "Anspruch" des Minderjährigen auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge vgl. Gemhuber (1980), S. 705; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1626, Rn. 5; Münder, AK-BGB, S. 669. 7 Baer, ZbIJugR 1977, 525; Dürr (1977), S. 10 ff. m. w. N.; Giesen, NJW 1972, 228; Lempp, NJW 1963,1659; ders., NJW 1972, 315; Münder, AK-BGB § 1634, Anm. 7; Moritz, ZbIJugR 1982, 768, 770 ff.; Simon, FamRZ 1972, 489 f. 8 OLG Düsseldorf' FamRZ 1979, 857; wohl auch: Dickmeis, ZbIJugR 1982, 278; (1981), § 1634, Rn. 26; Göppinger (1977), S. 195, Rn. 629. 9 So zum "Verkehrsrecht": BayObLG 1957, 134 ff., 145; LG Mannheim NJW 1972, 950; vgl. auch die Nachweise bei Simitis/Zenz (1979), S. 274. 10 Vgl. BT-Drucks. 8/111, S. 4. 11 BT-Drucks. 8/2788, S. 54. 12 BT-Drucks. 8/2788, S. 53.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
pelten Funktion. § 1681 Abs. 1 S. 2 BGB nennt ausdrücklich nochmals den Kindeswohlvorbehalt; dem entspräche es eben gerade nicht, die elterliche Sorge einem Elternteil zu übertragen, wenn der zu Lebzeiten des bisher Sorgeberechtigten gegen einen Umgang mit dem Nichtsorgeberechtigten geäußerte ablehnende Kindeswille weiterhin fortbestände 13 • Die Nichterwähnung der Alterszäsur in § 1634 hat schließlich lediglich die Konsequenz, daß die ablehnende Haltung des Kindes nicht die rechtliche Qualität eines absoluten Hinderungsgrundes besitzt. M. a. W.: Dem Rechtsanwender wird damit ermöglicht, zwischen "begründetem" und sonstigem Kindeswillen zu differenzieren und nur an ersteren die Konsequenz des (vorübergehenden oder dauernden) Ausschlusses des Kontaktes zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind zu knüpfen. Auch ein Aufhetzen des Kindes durch den Sorgeberechtigten kann dabei im Ergebnis zu derartigen psychischen Spannungen im Kind führen (Identifikationsspannungen), daß ein - bei dieser Konstellation "vorübergehender" - Ausschluß des Umgangsrechts auszusprechen wäre 14 ; die parallel gegenüber dem Sorgeberechtigten aus § 1634 Abs. 1 S. 2 BGB zu treffenden Maßnahmen (§ 1666 Abs. 1; ggf. § 1696 BGB) sind grundsätzlich unabhängig von dieser Umgangsrechtsentscheidung 15 • Als "begründet" ist der einen Kontakt mit dem Nichtsorgeberechtigten ablehnende (emotionale und/oder rationale) Wille des Kindes bei der gebotenen, beim Kind ansetzenden Beurteilung immer dann anzusehen, wenn der Kontakt (selbst) eine psychische Belastung für das Kind darstellt. Die Spannungen aus der dualen Beziehung (Nichtsorgeberechtigter - Kind), die nicht in eine Dreierbeziehung übergehen kann 16 , liegt leider in der "Natur" der Scheidungsfolgensituation; desto wichtiger ist die Beachtung des Kindeswillens, um der situativen Belastung des Kindes aus der Dreier-Konstellation nicht noch eine weitere, die psychische Vergewaltigung, hinzuzufügen. Erforderlich für eine vorübergehende oder dauernde Versagung des Umgangsrechtes ist somit a) der ablehnende Kindeswille sowie b) die psychische Belastung. Hinzu tritt, anstelle von a) + b) der Gesichtspunkt des Schutzes vor straf- oder ordnungswidrigkeitsrechtlichen Gefährdungen.
Vgl. auch BVerfG NJW 1983, 2491 f. = ZblJugR 1983,427 ff. Zutreffend deshalb Lempp - ZblJugR 1981, 286 -, wenn er für § 1681 BGB verlangt, daß stets zu prüfen sei, ob die Sorgerechtsübertragung dem Kindeswohl auch tatsächlich entspricht. 14 Denn maßgebend ist nur, eine (weitere) psychische Schädigung des Kindes zu verhindern. Deshalb ist die Kindesebene maßgebend und nicht jene der Elternteile zueinander. - Wie hier i. E. auch Dürr (1977), S. 11 m. w. N. in den dortigen Fn. 45 f. 15 Auch im Falle einer nach §§ 1696, 1671 (ggf. § 1672) möglichen Neuverteilung der elterlichen Sorge ist Gegenstand dieser Entscheidung nicht das "Umgangsrecht" des (ggf. bisherigen) Nichtsorgeberechtigten. Das "Umgangsrecht" wird in diesem Fall gegenstandslos. 16 Lempp, ZblJugR 1981,283,286. 12. 13
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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2.2. Die Dauer des Umgangs Wegen der dem Kindeswillen zukommenden Bedeutung liegt der von Hinz 16a geschilderte Fall, daß "die Besuche für das Kind von vornherein zur Qual werden", neben der Sache!' Denn unter diesen Umständen entfällt im Regelfall ein Kontakt. Ob ein längerer Aufenthalt oder periodisch kürzere Kontakte zu favorisieren sind, läßt sich m. E., entgegen Hinz 16b und Diederichsen 16c , nicht abschließend und für alle Fälle gültig beantworten. Als Anhaltspunkte können gelten: Ist ein Kontakt aus Kindeswohlgesichtspunkten nicht auszuschließen, sprechen vom Kind nur geduldete Besuche für seltene und kurzfristige Kontakte. Ist der Kontakt sozialisationsrelevant und vom Kind gewünscht, so spricht dies, jedenfalls bei über-8jährigen Kindern, für häufigere und mehrtägige Besuche. In den dazwischenliegenen Fallvarianten kommen gleichfalls nur kürzere, seltene Kontakte in Betracht, um die Ruhe des Sozialisationsmilieus nicht zu stören l6d • 2.3. "Umgangsrecht" und/oder Besuchsrecht Aus der Restfunktionalität des Personensorgerechts ergibt sich die Verpflichtung des Nichtsorgeberechtigten, die in der Regel weiterbestehende Emotionalbindung des Kindes 17 zu ihm zu achten. Dies bedeutet: Wie sich einerseits aus dem begründeten Kindeswillen eine vorübergehende oder umfängliche Untersagung des Umgangs ergeben kann, so ist andererseits der begründete Kindeswille Ausdruck für eine Emotionalbindung, aus welcher eine Umgangspflicht des Nichtsorgeberechtigten resultiert 18 . Aus der Sphäre des Kindes stellt sich diese als "Besuchsrecht" (bei dem oder durch den Nichtsorgeberechtigten) dar. Wie im Familienrecht durchaus nicht unüblich, ist dieser Anspruch jedoch nicht vollstreckbar, sondern nur nach familienrechtlichen Prämissen sanktionier bar , also in Anwendung des Gedankens des § 1666 BGB durch eine gerichtliche Entscheidung nach § 1634 Abs. 2 S. 2 BGB19.
16.
463 f.
MünchKomm., 2. Aufl., § 1634, Rn. 1:1.; unklar insoweit Beres, ZblJugR 1982,
aaO. NJW 1980, 1,9. 16d Vgl. Arntzen (1980) S. 52 ff. 17 Becker RdJB 1975,344,348; Dürr (1977), S. 11. 18 Ebenso Becker RdJB 1975, 344, 348; Moritz ZblJugR 1982, 768, 773; wohl auch OLG Stuttgart NJW 1981, 405. - Gegen die Anerkennung einer solchen Verpflichtung: KG Recht 1914, Nr. 1698; Hinz, MünchKomm, 2. Aufl, Bd. V/2, § 1634 Rn. 12; Gernhuber (1980), § 53 III 4; Soergel / Lange (1981), § 1634 Rn. 5. 19 Für eine unmittelbare Anwendung des § 1666 BGB das OLG Stuttgart NJW 1981, 405. 16b 16c
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Wird in dem festgestellten Wechselbezug von Umgangs- und Besuchsrecht der (nicht seltene) Fall einbezogen, daß das Kind einen Kontakt mit den Nichtsorgeberechtigten wünscht, dieser sich jedoch zurückhält, so erhalten wir die folgenden Wertungsvarianten: Die Umgangsbefugnis des Nichtsorgeberechtigten kann einem aus dem Kindeswohl i. V. m. der Restpersonenverpflichtung resultierendes Besuchsrecht a) vorgehen, b) entsprechen oder c) nachgehen, je nach Bewertung der emotionalen Bedeutung des NichtsorgeberechtigtenKind-Kontaktes für den Minderjährigen.
3. Ort, Häufigkeit und Umfang Für die Beurteilung von Ort, Häufigkeit und Umfang der Umgangs kontakte gilt, wie für den gesamten § 1634 BGB, der Vorbehalt des Kindeswohls20 • Maßstab sind auch insoweit die sich im begründeten Kindeswillen äußernden emotionalen Bedürfnisse. Entgegen Lange kommt es insbesondere so lange nicht darauf an, ob es sich um die für den "Umgangsberechtigten günstigere Lösung" handelt21 , wie der "Vorteil" für den Umgangsberechtigten zu Lasten des emotionalen Ertrags des Kontaktes des Nichtsorgeberechtigten mit dem Kind ginge. Die Fragen nach Ort, Häufigkeit und Dauer der Kontakte haben die Lebensgegebenheiten des Nichtsorgeberechtigten und des Kindes zu respektieren (z. B. Wohnsituation, finanzielle Möglichkeiten, Einbindung des Nichtsorgeberechtigten in neue Partnerbeziehungen etc.) Auf dieser Grundlage ist die Durchführung des Umganges jedoch an den emotionalen Bedürfnissen des Kindes auszurichten. Die Beurteilung von Häufigkeit und Dauer korrelieren damit mit den Stufungen des Verhältnisses von "Umgangs-" und Besuchsrecht. Geht das Umgangsrecht dem Besuchsrecht "nach" (Variante "c"), spricht dies für häufige und längerfristige Besuchs- und Ferienaufenthalte; in der umgekehrten Situation (Variante "a") sind nur seltene und kurzfristige Kontake - entsprechend dem Beispielsfall - angezeigt, die zwar dem Nichtsorgeberechtigten ermöglichen, sich vom physischen und psychischen Wohlergehen des Kindes zu überzeugen, welche für das Kind aber möglichst ohne weitergehende Wirkung für dessen psychischen Lebensrhythmus sind.
20 Lempp - ZbIJuGR 1981, 287 - drückt dies zutreffend in der Feststellung aus, daß weder der sorgeberechtigte noch der nichtsorgeberechtigte Elternteil eines besonderen Schutzes bedarf, sondern nur das Kind. 21 In Soergel / Lange (1981), § 1634 Rn. 22.
I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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4. Brief- und Telefonkontakte
Als Inhalt des "Umgangsrechtes" wird nach h. M. auch die Möglichkeit brieflichen Kontaktes mit dem Minderjährigen erachtet22 • Da das "Umgangsrecht" nicht als Verfügungsbefugnis über den Minderjährigen konzipiert ist, kann seine Variante des Briefkontaktes die sinnliche Wahrnehmung des Geschriebenen oder gar eine Rückantwort nicht umfassen. Briefkontakt im Rahmen des § 1634 BGB bedeutet somit, daß der Nichtsorgeberechtigte, dem ein "Umgangsrecht" zusteht, die Befugnis hat, dem Minderjährigen Briefe zuzusenden. Die "Unterschlagung" dieser Post durch den Sorgeberechtigten bedeutete im Verhältnis der Eltern einen Verstoß gegen die "Wohlverhaltensklausel" sowie im Verhältnis zum Minderjährigen eine Verletzung des Kindeswohlvorbehaltes. Ob der Minderjährige den Brief liest und auf ihn reagiert, unterliegt allein dessen Willensentscheidung. Da der Sorgeberechtigte kein Anwesenheitsrecht beim persönlichen Umgang des Nichtsorgeberechtigten mit dem Kind hat, ist entsprechend auch ein Kontrollrecht bei den Briefkontakten nicht gegeben 23 • Auch beim persönlichen Umgang ist der Sorgeberechtigte ja darauf angewiesen, im Nachhinein aus dem Kindesverhalten auf ein etwaiges Fehlverhalten des Nichtsorgeberechtigten rückzuschließen. Bestehen Anhaltspunkte für eine Agitation gegen den Sorgeberechtigten, ist ihm der Weg zum Familiengericht eröffnet (§ 1634 Abs. 1 S. 2 BGB). Die fernmündliche Kommunikation ist (im Geltungsbereich des BGB) üblich. Im Zusammenhang mit § 1634 BGB wird sie gleichwohl - soweit ersichtlich - von Literatur und Rechtsprechung nicht ausdrücklich erwähnt. Das Telefonat ist insofern nicht kongruent dem Briefkontakt, als es in seiner emotional/mitmenschlichen Wirkung unmittelbarer und deshalb intensiver ist. Die Zuerkennung unbeschränkter telefonischer Kontakte bedeutete, daß das Kind ggf. permanent in zwei Lebensbereichen zu leben hätte, nämlich dem telefonisch aktivierten Erlebnisbereich Nichtsorgeberechtigter-Kind sowie dem Alltagslebensbereich mit dem Sorgeberechtigten24 • Die psychische Belastung und mögliche psychische Schädigung aus dieser Situation liegen auf der Hand25 • Daraus folgt, daß fernmündliche Kontakte von Seiten des Nichtsorge22 Vgi. etwa KG JFG 12, 89; KG JFG 23, 82; KG FamRZ 1868, 262f.; Palandt / Diederichsen, § 1634 Anm. 3a; Gernhuber (1980), S. 831; Hinz, MünchKomm, § 1634 Rz. 28; Münder, BGB-AK, § 1634 Rn. 14. - Einschränkend: Dälie (Bd. 2, 1965), S. 321; Erman / Ronke (1981), § 1634 Rz. 10. - Für eine Kontrollbefugnis des Sorgeberechtigten: Soergel / Lange (1981), § 1634 Rz. 13; a. A. Gernhuber, aaO. 23 I. E. ebenso Gernhuber (1980), S. 831; Münder, AK-BGB, § 1634 Rn. 14. A. A. (zum früheren Recht) KG FamRZ 1968, 263; Dälle (Bd. 2; 1965), S. 321f.; Riedei (1960), S. 88; Staudinger / Schwoerer, 10./11. Aufl., § 1634 Rn. 15; (zur Sorgerechtsneuregelung) Erman / Ronke (1981), § 1634 Anm. 10. Hinz, MünchKomm, 2. Aufl., Bd. V/2, § 1634 Rn. 39, der allerdings bei zunehmendem Alter des Kindes die Kontrolibefugnis einschränken will. 24 Zu den zwei Ebenen vgl. Lempp ZbIJugR 1981, 287.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
berechtigten nicht als Teil des "Umgangsrechtes" zu betrachten sind. Sie können allenfalls, nach vorheriger Vereinbarung, im Falle etwa der Verhinderung des Nichtsorgeberechtigten, an die Stelle persönlicher Kontakte treten. Dies gilt auch für den Fall, daß der Minderjährige (entsprechend Variante "c"; "Umgangsrecht" geht dem Besuchsrecht nach) den Anruf wünscht. Schließlich ist umgekehrt dem Minderjährigen grundsätzlich gestattet, mit dem Nichtsorgeberechtigten (unter Beachtung dessen Persönlichkeitsrechte ) fernmündlich in Kontakt zu treten. III. Die Finanzierung von Kindesbesuch und Ferienaufenthalt beim Nichtsorgeberechtigten
1. Fa/lkategorien Bei der Frage der Besuchsfinanzierung sind zu unterscheiden das Fahr- oder Reisegeld sowie Verpflegungskosten. Wer das Fahr- oder Reisegeld aufzubringen hat, wird regelmäßig nur in Fällen problematisch, in denen zwischen dem Wohnort des Kindes und jenem des Nichtsorgeberechtigten eine nicht unerhebliche räumliche Distanz liegt und damit Fahrtkosten von einigem Gewicht anfallen. Von dem Alter des Kindes bzw. von besonderen Umständen des Einzelfalls hängt es dabei ab, ob eine Reisebegleitung des Kindes erforderlich ist. Hierbei wird die Frage der Finanzierung von Hin- bzw. Rückfahrt insofern verschärft, als zu den Fahrtkosten für das Kind noch jene für den begleitenden Erwachsenen treten, wobei die Wegstrecke insgesamt viermal zurückgelegt werden muß. Zu den - im allgemeinen - nach Stunden gemessenen Regelbesuchen sind zu unterscheiden mehrtägige Wochenendaufenthalte sowie schließlich Ferienbesuche beim und Urlaubsfahrten mit dem Nichtsorgeberechtigten. Hinsichtlich der Fahrtkosten ist hier insbesondere die Frage der Finanzierung dieser Urlaubsfahrten von Interesse. Im übrigen geht es um die Verpflegungskosten sowie ggf. um Beherbergungskosten bei einer Urlaubsfahrt etc. 2. Der Meinungsstand zur Kostentragung Das OLG Zweibrücken entschied zum obigen Ausgangsfall, daß der Sorgeberechtigte nicht verpflichtet sei, das Kind dem anderen Elternteil "zum Zwecke der Besuchsausübung ... zuzuführen". Der Personensorgeberechtigte "brauche sich als solcher nicht an den finanziellen Aufwendungen (für die Ausübung) des Umgangsrechtes zu beteiligen". Ob insoweit etwas anderes aus unterhaltsrechtlicher Sicht gelte, sei im Verfahren über die Umgangs25 Entsprechend Lempp, aaO, für die gewöhnliche Realisierung des Umgangsrechtes.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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rechtsregelung nicht zu prüfen. Die Frage, wie bei einer in Ersatz oder Ergänzung der Umgangsregelung zu treffenden Ferienregelung zu werten wäre, ließ das Gericht offen26 . Eine Kostentragungspflicht des "Verkehrsberechtigten" im vollen Umfang war in älteren Stellungnahmen die ganz herrschende Auffassung27 und wurde auch in neueren Entscheidungen, etwa jener des Landgerichtes Berlin aus dem Anfang der 70er Jahre 28 , vertreten. Prinzipiell stimmen dieser Verteilung auch Teile des Schrifttums ZU29 ; nach Schwoerer3o soll in Ausnahmefällen eine Korrektur unter Billigkeitsgesichtspunkten eingreifen. Für eine differenzierende Betrachtung zwischen einer Wertung aus § 1634 sowie andererseits unter unterhaltsrechtlichen Prämissen plädierten in der Vergangenheit das BayObLG31 und Teile des Schrifttums32 . Nach dem BayObLG soll der unterhaltspflichtige Elternteil immer insbesondere die Verpflegungskosten zu tragen haben 33 . Ronke 34 meint auch in seiner neuesten Kommentierung des § 1634 BGB, daß der Umgangsberechtigte die übrigen Kosten werde zu tragen haben, wenn ihm die Auflösung der Ehe oder die Trennung der Eheleute bzw. sein nunmehriger Ausschluß von der Personen sorge zuzurechnen sei. Im Sonderfall des Ferienaufenthaltes soll nach einer neueren Entscheidung des Kammergerichtes35 bei einer mehrwöchigen Ferienreise der Sorgeberechtigte den dem Kind zustehenden Unterhalt nur zu etwa einem Drittel (für die verbleibenden regelmäßigen Aufwendungen wie Miete für den Wohnungsanteil, Kleidung etc.) beanspruchen können. Das OLG Karlsruhe 36 entschied, daß bei einem Ferienaufenthalt, \\telcher weitgehend als Ersatz von Wochenendaufenthalten dient, eine Aufrechnung ausscheidet; die Unterhaltstabellen berücksichtigten bereits, daß sich das Kind zeitweise, in Erfüllung des elterlichen "Umgangsrechtes" , beim barunterhaltspflichtigen und nichtsorgeberechtigten Elternteil befinde. Der BGH36a hebt ebenfalls insbesondere die Pauschalierung der Unterhaltsbeträge hervor; eine zeitweilige Kürzung der Unterhaltssätze komme daher nur in Betracht, wenn die Verringerung des 26 27 28 29
OLG Zweibrücken FamRZ 1982, 531. Vgl. die Nachw. bei Staudinger / Schwoerer, 10./11. Aufl., § 1634 Rn. 12. FamRZ 1972, 217. Vgl. Stau dinger / Schwoerer, 10./11. Aufl., § 1634 Rn. 11lf.; wohl auch Lempp ZblJugR 1979, 519. 30 AaO, § 1634 Rn. 12; kritisch Soergel / Lange (1981), § 1634 Rn. 30. 31 KG JFG 5, 74. 32 Erman / Ronke, 7. Aufl., § 1634 Rn. 29; wohl auch Palandt / Diederichsen, § 1634 Anm. 5. 33 Bay ObLG, aaO. 34 Erman / Ronke, 7. Aufl., § 1634 Rn. 29. 35 FamRZ 1979, 327; ebenso LG Berlin FamRZ 1972, 217; zustimmend Soergel / Lange (1981), § 1606 Rn. 10. 36 OLG Karlsruhe FamRZ 1982, 1111. 36. BGH FamRZ 1984, 470, 472f.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Unterhaltsbedarfs nach Eintritt und Höhe nicht vorhersehbar war; dies sei nicht der Fall, wenn der Nichtsorgeberechtigte die Kinder während der Ferien für einige Zeit bei sich hat und in dieser Zeit durch Naturralleistungen versorgt. 3. Stellungnahme und eigener Lösungsweg
3.1. Unterhalts- und Personensorge- bzw. restfunktionale Personensorgerechtsbeziehung 3.1.1. Die These von der Inkohärenz der Ebenen Unterhalt und Personensorge Wäre der These von der strikten Trennung der Ebenen Unterhalt und Personensorge zu folgen 37 , stände dies einer Erörterung im vorliegenden Zusammenhang mit dem Umgangsrecht, als Rest des Personensorgerechtes, entgegen. Die Inkohärenz-These kann sich jedoch allenfalls auf die dem Kind entstehenden Kosten beziehen. Etwas anderes könnte dagegen gelten hinsichtlich der zusätzlichen Eigenaufwendungen des abwesenden Elternteils für Abholung bzw. Zurückbringen des Kindes. Fraglich ist des weiteren, ob die Finanzierung des Ferienaufenthaltes allein aus unterhaltsrechtlichen Gesichtspunkten zu beurteilen ist. Denn durch den festgestellten Wechselbezug von Besuchsrecht und "Umgangsrecht" sowie wegen der sozialpsychologischen Tatsache, daß bei positiven Emotionalbeziehungen die Beibehaltung des Kontaktes zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind eine Entwicklungsvoraussetzung für das Kind darstellt38 , wären Kostenersatzansprüche des Nichtsorgeberechtigten denkbar, die - wegen Handeins auch im fremden Interesse etwa aus einer GoA - gerade nicht allein im Rahmen unterhaltsrechtlicher Erwägungen zu lösen sein könnten. Insofern sind die Fallvarianten der Fahrtkosten und Zusatzkosten bei einem dem Umgangsrecht vorgehenden, entsprechenden oder nachgehenden Besuchsrecht sowie des weiteren die Frage der Finanzierung des Ferienaufenthaltes zu unterscheiden. Diese Tatbestände sind sowohl unter dem Gesichtspunkt des Personensorgerechts als auch nach separaten unterhaltsrechtlichen Aspekten zu prüfen.
Vgl. insbesondere das OLG Zweibrücken, aaO. Arntzen (1980), S. 25 ff.; Becker, RdJB 1975, 344, 248; Dürr (1977), S. 17; Lempp, ZblJugR 1981, 287; Münder, BGB-AK, § 1634, Rn. 5. 37 38
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
449
3.1.2. Lösung der Fallkategorien des Nichtsorge berechtigten-Kind-Kontaktes 3.1.2.1. Fahrtkosten des Kindes und Zusatzkosten des Nichtsorgeberechtigten bei einem dem Umgangsrecht vorgehenden oder entsprechenden Besuchsrecht 3.1.2.1.1. Personensorgerechtsebene Das "Umgangsrecht" ist als restfunktionales Personensorgerecht des Nichtsorgeberechtigten zu verstehen. Aus dieser Restfunktionalität könnte sich die Verpflichtung des Nichtsorgeberechtigten ergeben, seine Kontakte mit dem Kind, sind diese für das Kind erforderlich und/oder zumindest günstig, auch über die Unterhaltspflicht hinaus finanziell zu unterstützen. Denn prinzipiell sind die finanziellen Aufwendungen, soweit sie als Sozialisationsaufwendungen zu kategorisieren sind, Teil der Personensorge39 • Bei Existenz einer kompletten Familie setzen sich Unterhaltsleistungen in diesem Falle unmittelbar als Finanzierung von Sozialisationsleistungen im Rahmen der Personensorge um. Bei einer getrennten Familie hat der Nichtsorgeberechtigte seinen finanziellen Verpflichtungen in Form separater Unterhaltsleistungen nachzukommen. Da diese die Gesamtheit des Lebensbedarfs mit abzudecken helfen, sind schon darin auch die finanziellen Bedürfnisse für die Sozialisation enthalten. In der Bewertung des Nichtsorgeberechtigten-Kind-Kontaktes als Sozialisationsleistung kommt deshalb eine Kostentragungspflicht des Nichtsorgeberechtigten aus einem Restbestand seiner Personensorgeverpflichtungen nicht in Betracht, da dieser seinen Anteil an der Sozialisationsfinanzierung schon durch seine Unterhaltsleistung pauschal abgedeckt hat. Dies betrifft nur die dem Kind entstehenden Kosten. Etwas anderes könnte hinsichtlich der zusätzlichen Eigenaufwendungen des abwesenden Elternteils für Abholung bzw. Zurückbringen des Kindes gelten (vgl. den Sachverhalt in der Entscheidung des OLG Zweibrücken). Jedenfalls dann, wenn das Abholen und Zurückbringen zum Zwecke des Sozialisationskontaktes zumindest auch im Interesse des Kindes ist (also nach der vorstehend getroffenen Kategorisierung bei einem Besuchsrecht des Kindes, welches der Umgangsbefugnis des Nichtsorgeberechtigten vorgeht oder doch wenigstens entspricht), wäre ein Kostenersatzanspruch des Nichtsorgeberechtigten nach §§ 677, 683 BGB entweder gegenüber dem Kind oder gegenüber dem Personensorgeberechtigten denkbar. Besteht ein Interessendualismus aus einerseits dem Umgangsinteresse des Nichtsorgeberechtigten sowie andererseits dem Besuchsinteresse des Kindes, 39 Entspr. Hinz, MünchKomm., 1. u. 2. Aufl., § 1626, Rn. 41, m. w. N. in dort. Fn.107.
29 Moritz
450
7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
so ist ein Anspruch aus einer Geschäftsführung ohne Auftrag nicht mehr mit dem Argument zu verneinen, daß der Nichtsorgeberechtigte kein fremdes, sondern ein objektiv eigenes Geschäft 40 wahrnimmt, indem er mit dem Abholen bzw. Zurückbringen zum Zwecke des Sozialisationskontaktes lediglich eine aus dem Rest des Personensorgerechts ihn treffende Pflicht erfüllt. Im Bezug Nichtsorgeberechtigter - Kind entfällt ein solcher Anspruch jedoch wegen §§ 1629 Abs. 1 S. 3,1634 BGB. Denn wenn von der Konstruktion ausgegangen wird, daß der Nichtsorgeberechtigte mit dem Abholen des Kindes auch in dessen Interesse handelt, fielen bei Annahme einer GoA nicht nur Geschäftsherr und Dritter in der Person des Minderjährigen zusammen; vielmehr machte die Zulassung der GoA in diesem Fall die PersonensorgerechtsÜbertragung auf einen Elternteil partiell wieder rückgängig, indem mit der Entscheidung des Nichtsorgeberechtigten für eine Geschäftsführung auch für den Minderjährigen die gemäß §§ 1671, 1628 f. BGB statuierte Alleinentscheidungsbefugnis des Sorgeberechtigten durchbrochen würde. Dies ist auch von § 1634 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gedeckt; die Norm sieht lediglich ein Wiederaufleben des Umgangsbestimmungsrechtes gegenüber Dritten vor. Somit verbleibt ein (im einzelnen nachfolgend unter ,,3.1.2.1.3." zu erörternder) möglicher Anspruch des Nichtsorgeberechtigten gegen den anderen Elternteil.
3.1.2.1.2. Umgangskosten als unterhaltsrechtlicher Sonder- oder Zusatzbedarf Die unterhaltsrechtlichen Beziehungen zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind bestehen vor allem in dem Unterhaltsrechtsverhältnis der §§ 1602 ff., 1610 BGB41. In der Praxis bedeutet dies eine freiwillig oder kraft gerichtlicher Festsetzung erfolgende Geldleistung auf der Grundlage der obergerichtlich aufgestellten Unterhaltstabellen42 . Mit den auf diese Weise errechneten Leistungen hat der Unterhaltsverpflichtete in der Regel seine finanzielle Verpflichtung gegenüber dem Unterhaltsberechtigten erfüllt43 - Ausnahmen bestehen ggf. bei gut verdienenden Eltern 44 -. Zusammen mit dem Naturalunterhalt des Sorgeverpflichteten ist damit der gesamte Lebensbedarf des Unterhaltsberechtigten abgedeckt, einschließlich der Bedürfnisse für eine angemes40 Zur Kategorisierung des objektiv fremden Geschäfts sowie der Abgrenzung zwischen der objektiven und subjektiven Seite des § 677 BGB in der herrschenden Lehrmeinung und Judikatur vgl. die Nachweise bei PalandtfThomas, § 677, Anm. 2 b. 41 Vgl. im einzelnen schon Moritz, JZ 1980, 16, 17 f. 42 Vgl. die ab 1. 1. 1985 gültigen Sätze in NJW 1984, 2330 ff. sowie die ab 1. 1. 1989 gültigen Sätze in NJW 1988, S. 2352 ff. - Zur Zulässigkeit der tabellarischen Bemessung des Unterhalts vgl. BGH NJW 1982,1050 f., m. w. N. 43 Vgl. schon Moritz, JZ 1980, 20. 44 Zum Problem der "Sättigungsgrenze" vgl. OLG Karslruhe FamRZ 1981, 1195, 1196 m. w. N.; s. auch im nachfolgenden 4. Abschnitt.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
451
sene Ausbildung sowie für Freizeit, Erholung, Kultur etc. 45 • Daraus folgt, daß Zuschläge allenfalls in besonderen Fällen von Sonder- oder Zusatzbedarf in Betracht kommen 46 • Als Sonderbedarf sind unregelmäßige außergewöhnliche Mehraufwendungen zu verstehen (vgl. § 1613 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Sozialisationskontakte mit dem abwesenden Elternteil bilden für die Verhältnisse der Kinder geschiedener oder dauernd getrennt lebender Eltern den Regelfall. Diese Besuchskosten müssen deshalb grundsätzlich zum Lebensbedarf des Kindes getrennt lebender Eltern gerechnet werden. Einen besonderen Umstand stellt es dar, wenn wegen der großen Entfernung zum abwesenden Elternteil Fahrtkosten des Kindes von nicht unerheblichem Umfang aufgewendet werden müssen. Der Personensorgeverpflichtete erbringt seinen Unterhalt nach allgemeiner Auffassung durch seine Pflegeund "Erziehungs"-Leistung47 - dies müßte allerdings entgegen der herrschenden Meinung48 dazu führen, daß mit Reduzierung des "Erziehungs"-Aufwandes durch Erreichen weitgehender Selbständigkeit und der Ausbildung einer fundierten eigenen Persönlichkeit des Kindes bei Eintritt in das Jugendalter eine (jedenfalls anteilige) Barunterhaltspflicht des betreuenden Elternteils anzunehmen wäre 49 -. Ein außergewöhnlicher Bedarf könnte somit allein dem abwesenden Elternteil zuzurechnen sein. Wegen der Regelmäßigkeit der anfallenden Zusatzkosten handelt es sich nicht um einen Sonderbedarf i. S. d. § 1613 Abs. 2 S. 1 BGB. Anfallende hohe Kosten für die Sozialisationskontakte mit weit entfernt wohnenden Nichtsorgeberechtigten sind aber auch für die Verhältnisse von Kindern geschiedener Eltern außergewöhnlich. So sind derartige Aufwendungen in der Regel in den pauschalierten OLG-Tabellen nicht enthalten. Dies bedeutet, daß bei solchen Sozialisationskontakten, welche auch ober überwiegend im Interesse des Kindes liegen und die mit erheblichen Fahrtkosten für das Kind verbunden sind, die regelmäßigen Fahrtkosten zum Nichtsorgeberechtigten durch eine entsprechende Erhöhung des Unterhaltssatzes (über die OLG-Tabellenwerte hinaus) zu berücksichtigen sind. Erforderlich dafür ist, daß die Besuchskontakte fest vereinbart sind und die damit verbundenen Kosten folglich verläßlich prognostiziert werden können. Die Kostenerstattungssätze werden in der Regel nicht die gesamten Fahrtkosten ausmachen. Mindernd sind entsprechend zu berücksichtigen z. B. ersparte Aufwendungen des Personensorgeberechtigten für die Verpflegung und Betreuung des Kindes während der Besuchszeiten (etwa bei Wochenendbesuchen). Befindet sich der Nichtsorgeberechtigte in einer finanziell prekären Lage, so schlägt sich dies ohnehin in den entsprechend 45 46 47 48 49
29*
Vgl. PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 1, mit SchleswSchlHA 1979, 222. Vgl. PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 1, mit SchleswSchlHA 1979, 222. BGH NJW 1980, 2306, 2307, m. w. N. = FamRZ 1980, 994. BGH, aaO. So auch OLG Nürnberg - NJW 1980,1473 - schon für 11-12jährige Kinder.
452
7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
niedrigen Unterhaltssätzen nieder. Der Erhöhungsbetrag wegen der Besuchskosten hätte in diesem Fall zu berücksichtigen, ob der Besuch (nur) "auch" oder "überwiegend" im Interesse des Kindes wäre. Denn der Personensorgeberechtigte hat sich in der Ausübung seines Personensorgerechtes am Kindeswohl zu orientieren. Personensorge umfaßt auch die Kosten für die finanziellen personensorgebezogenen Aufwendungenso. Bei einem überwiegenden Interesse des Kindes am Personenkontakt zum Nichtsorgeberechtigten ergibt sich daraus - was bei der Festsetzung des Unterhaltszuschlages wegen der Besuchskosten zu erörtern ist -, daß der Personensorgeberechtigte die kindgebundenen Finanzmittel auch für die Finanzierung des Besuches beim Nichtsorgeberechtigten einzusetzen hat. 3.1.2.1.3. Anspruch auf Erstattung der Fahrt- und Umgangskosten gegenüber dem Sorgeberechtigten Für die Position des Sorgeverpflichteten gilt bezüglich des Kontaktes Nichtsorgeberechtigter-Kind entsprechendes wie für den Nichtsorgeberechtigten. Es besteht auch insoweit eine doppelte Wirksamkeit des Kindeswohls; zum ersten über § 1634 Abs. 2 S. 2 BGB als Vorbehalt für den Bezug Sorgeberechtigter-Nichtsorgeberechtigter; zweitens als Verhaltensanweisung für das Verhältnis Kind-Sorgeverpflichteter. Ob der Sorgeberechtigte oder der Nichtsorgeberechtigte die Besuchs- und Umgangskosten zu tragen hat, hängt entgegen Ronke sl jedenfalls nicht von einem Trennungsverschulden bei der Ehescheidung ab. Nach Fortfall des Verschuldensprinzips wäre ein "Trennungsverschulden" ohnehin schwer festzumachen; die Einbeziehung dieses Gesichtspunktes ist heute systemfremd. Insbesondere aber stellen die Ehegattenbeziehungen und die Sozialisationsbeziehungen mit den Kindern unterschiedliche, wenngleich miteinander in Beziehung stehende Wertungsebenen dar. Z. B. muß deshalb ein ehewidriges Verhalten nicht notwendig zugleich eine Pflichtverletzung im Personensorgerechtsverhältnis darstellen. Auch dem weiteren Argument von Ronke s2 , daß der Nichtsorgeberechtigte die Umgangskosten zu tragen habe, wenn ihm der "Ausschluß von der Ausübung der Personen sorge zuzurechnen" ist, kann so nicht gefolgt werden. Denn der "Zuschlag" der Personensorge nach § 1671 BGB bedeutet zunächst nur, daß der andere Elternteil nach der Auffassung des Gerichts weniger gut dazu geeignet ist, für das Kind zu sorgen. Wiederum eine andere Ebene stellt es dagegen dar, abzuwägen, ob dem Umgangsinteresse ein Besuchsrecht des Kindes unter Kindeswohlgesichtspunkten vorgeht, 50 Vgl. Hinz, MünchKomm., 1. u. 2. Aufl., § 1626, Rn. 41 m. w. N. in dort. Fn.107. 51 ErmaniRonke (7. Aufl., 1981), § 1634, Rn. 29. 52
aaO.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
453
entspricht oder nachgeht. Für diese Feststellung können die vom Gericht im Rahmen der Sorgerechtsverteilung gegebenen Begründungen allenfalls Wertungshinweise geben; sie können eine nochmalige Wertung indes nicht ersetzen. Die eigenen Fahrtkosten des Kindes schlagen sich als unterhaltsrechtlicher Zusatzbedarf nieder. Bei der Festsetzung sind die Finanzlage des Nichtsorgeberechtigten sowie die Verpflichtung des Personensorgeberechtigten zu berücksichtigen, die kindbezogenen Finanzmittel dem Kindesinteresse gemäß einzusetzen, ggf. also gerade auch zur Unterstützung der Personenkontakte Kind-Nichtsorgeberechtigter. Die Frage, inwieweit ggf. auch die Fahrtkosten des Nichtsorgeberechtigten erstattungsfähig sind, blieb bisher offen. Ein Erstattungsanspruch könnte sich insoweit nach den Grundsätzen einer GoA ergeben. Die Fremdgeschäftsführung wäre unter dem Aspekt des § 1634 BGB zweifelhaft, da die Vorschrift, wie gezeigt, vor allem Rechtspflichten und Ansprüche des Nichtsorgeberechtigten enthält. Der bejahte Anspruch auf einen Naturalunterhaltszuschlag ist Indiz für ein objektiv eigenes Geschäft. Der Dualismus Besuchsrecht/"Umgangsrecht" führt aber auch insofern zu einer anderen Wertung. Bei der prinzipiellen Bejahung des Erfordernisses eines Sozialisations kontaktes Nichtsorgeberechtigter-Kind liegt dieser infolge der Kindeswohlgebundenheit des Personensorgeberechtigten zugleich in dem vom Gesetz unterstellten objektiven Interesse des Personensorgeverpflichteten. Zur Bejahung einer GoA genügt grundsätzlich aber die Mitbesorgungsabsicht53 . Indiz für diese wäre jedenfalls ein tatsächliches objektive Interesse des Kindes am Kontakt. Somit ergibt sich, daß bei bestehendem objektiven Interesse des Kindes an dem Kontakt zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind ein Erstattungsanspruch des Nichtsorgeberechtigten gegen den anderen Elternteil bezüglich der erforderlichen Eigenaufwendungen zur Besuchsrealisierung besteht. Wegen § 685 Abs. 2 BGB hat der Nichtsorgeberechtigte dem anderen Elternteil in geeigneter Weise mitzuteilen, daß er nicht beabsichtigt, die Fahrtkosten selbst zu tragen; aus Beweisgründen ist eine schriftliche Nachricht anzuraten. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß der Sorgeverpflichtete seine Unterhaltsverpflichtung gegenüber dem Kind durch seine Betreuungsleistung erbringt. Zu darüber hinausgehenden finanziellen Leistungen ist er grundsätzlich nicht verpflichtet, auch nicht auf dem Umweg über einen Erstattungsanspruch. Das gesamte Unterhaltsvolumen ist auf maximal den doppelten Unterhalts betrag beschränkt, den der Nichtsorgeberechtigte schuldet (Geldrente vom Nichtsorgeberechtigten + entsprechender Betrag in Form der Betreuungsleistung durch den anderen Elternteil). Dieser Satz soll den gesam53 BGHZ 65, 354; a. A. Schreiber, DB 1979, 1397. Die vor allem von Schreiber, aaO, S. 1398, und Wollschäger - (1976) - aufgedeckte Abwälzungsproblematik wird vorliegend durch die Beschränkung auf das Unterhaltsvolumen ausgeglichen.
454
7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
ten Lebensbedarf des Kindes abdecken. Der Erstattungsanspruch ist somit auf den Differenzbetrag zwischen dem doppelten Unterhaltsbetrag minus den zu veranschlagenden realen Lebenshaltungskosten des Kindes beschränkt; in der Praxis läuft er damit leer. 3.1.2.2. Nachrangiges Interesse des Kindes am Nichtsorgeberechtigten-Kind-Kontakt Im Falle einseitigen Interesses des Nichtsorgeberechtigten am Personenkontakt fehlt es an dem Argument der Sozialisationsfinanzierung durch die Unterhaltsleistung. In diesem Fall gehören Besuch und Besuchskosten nicht zur Sphäre des Kindes und sind mithin nicht Kosten des Lebensbedarfs. Auch fehlt es am Fremdinteresse im Sinne einer Geschäftsführung ohne Auftrag. Somit obliegt es hier dem Nichtsorgeberechtigten, für die Gesamtkosten des Umgangs aufzukommen 54 . 3.1.2.3. Wochenend- und Ferienaufenthalt sowie gemeinsamer Urlaub mit dem Nichtsorgeberechtigten 3.1.2.3.1. Aufenthalts- und Verpflegungskosten Die Frage der Finanzierung des Aufenthalts und der Verpflegung des Ferienaufenthalts beim Nichtsorgeberechtigten bietet, wie die Judikatur zeigt55 , großen Konfliktstoff. Die veröffentlichten Entscheidungen beziehen sich auf ganz unterschiedliche Tatbestände56 • So ist Grundlage der Entscheidung des Kammergerichts eine mehrwöchige Ferienreise; während dieser sollte der Sorgeberechtigte den Unterhaltsbetrag nach Auffassung des Gerichts nur zu etwa 1/3 beanspruchen können, wenn der Nichtsorgeberechtigte die Aufenthaltskosten für das Kind voll bestreitet. In der Zahlung der Aufenthaltskosten sieht das Gericht eine Art des Naturalunterhalts57 • Das OLG Karlsruhe bezieht sich auf kurzfristige Besuchsaufenthalte beim Nichtsorgeberechtigten, die nur dann nicht als von den Unterhaltstabellen berücksichtigt gelten könnten, wenn die Verringerung des Unterhaltsbedarfs nach Eintritt und Höhe nicht vorhersehbar war58 .
54 Das OLG Zweibrücken hat in seiner Entscheidung gerade nicht geprüft, ob ein Dualismus Besuchsrechtl"Umgangsrecht" im zu beurteilenden Fall vorlag. Eben wegen dieses Unterlassens kann der Entscheidung nicht gefolgt werden. 55 Vgl. die Nachweise in BGH FamRZ 1984, 470, 472 f., unter ,,11.". 56 Zum Meinungsstand vgl. schon vorstehend unter ,,111.2.". 57 KG FamRZ 1979, 327. 58 OLG Karlsruhe FamRZ 1982, 1111 f.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Nach diesen Entscheidungen kann eine Übereinstimmung dahingehend festgestellt werden, daß kurzfristige Besuche des Kindes beim Nichtsorgeberechtigten diesem nicht gestatten, die Unterhaltsbeträge zu kürzen 59 • Bei längeren Ferienaufenthalten stellt sich die Frage, ob die Entscheidung des Kammergerichts auch dann gelten soll, wenn keine gemeinsame Ferienreise, sondern ein Ferienaufenthalt beim Nichtsorgeberechtigten gegeben ist60 • Auf diese Sachverhaltsvariante bezieht sich eine Entscheidung des BGH; dort bleibt jedoch offen, ob bei einer gemeinsamen Ferienreise ein Rückbehalt für die Aufenthalts- und Verpflegungskosten möglich sein soll. Der BGB61 verneint bei einem Ferienaufenthalt die Kürzung durch den Nichtsorgeberechtigten, wenn die Verringerung des Unterhaltsbedarfs nach Eintritt und Höhe nicht vorhersehbar war; das Kriterium der "Unvorhersehbarkeit der Deckung eines Teils der Unterhaltsbedürfnisse" läßt zudem offen, auf welchen Zeitpunkt sich dieses Vorhersehen bezieht. Ebenso bleibt offen, von welchem Verhältnis an der Tatbestand als erfüllt zu erachten ist, daß die Leistung des Nichtsorgeberechtigten "gegenüber dem Umfang der laufenden Unterhaltspflicht ins Gewicht" fällt 62 . Gegen die Entscheidung des BGH sprechen deshalb schon Praktikabilitätsgründe. Die Entscheidung entspricht auch nicht dem Bedürfnis nach Rechtsfrieden und trägt insbesondere nicht zur Spannungsfreiheit in den Sozialisationsbeziehungen bei. Vielmehr werden die Divergenzen zwischen den Elternteilen noch verschärft. Denn der Nichtsorgeberechtigte, welcher es nicht einzusehen vermag, etwa bei einem vierwöchigen Ferienaufenthalt des Kindes mit oder bei ihm, die Unterhaltsleistung doppelt (in Form einer Geldrente sowie zusätzlich als Naturralleistung) zu erbringen, hätte nach der BGHRechtsprechung die Wahl, entweder auf die gemeinsamen Ferien zu verzichten und damit ggf. dem Kind zu schaden und auf seine (Umgangs-)Rechte partiell zu verzichten oder mit dem Ziel Klage zu erheben, die "Unvorhersehbarkeit" und die "Schwergewichtigkeit" der Zweitleistung feststellen zu lassen. Das vom BGH vorgesehene Verfahren impliziert somit eine Erhöhung der Spannungen (insbesondere) zwischen den Eltern des Kindes. Schon aus diesem Grunde scheint ein Verfahren angemessener, welches von festen Erstattungsbeträgen ausgeht und diese nicht einzelfallabhängig macht. Gegen das OLG Karlsruhe und den BGH spricht des weiteren, daß die Entscheidungen an der Praxis des Umgangsrechts vorbeigehen. Das OLG Karlsruhe führt aus, daß die Unterhaltstabellen schon kurzfristige Besuchsaufenthalte beim Nichtsorgeberechtigten berücksichtigen63 . In der Entscheidung des BGH FamRZ 1984, 472 f. So jedenfalls LG Berlin FamRZ 1972, 217; GöppingerlWenz, Unterhaltsrecht, 4. Aufl., Rn. 216; Palandt/Diederichsen, § 1634, Anm. 3 a aa; Soergel/Lange, 11. Aufl., § 1634, Rn. 30. 61 BGH FamRZ 1984, 472 r. Sp. 62 BGH, aaO. 59 60
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
BGH ging es um Ferienaufenthalte von jeweils ca. 6 Wochen; der BGH verneinte bei diesem Tatbestand eine Unvorhersehbarkeit der Doppelbelastung des Nichtsorgeberechtigten und die entsprechende Ersparnis für die Sorgeberechtigte sowohl im Hinblick auf den Eintritt als auch auf die Höhe, obwohl im Scheidungsvergleich vereinbart worden war, daß die Kinder nur während der Hälfte der Sommerferien beim Nichtsorgeberechtigten sein sollten64 , also die halbe der tatsächlich verbrachten Besuchszeit. Der BGH scheint damit die "Unvorhersehbarkeit" nicht am Einzelfall und insbesondere nicht am Scheidungsvergleich bemessen zu wollen. Diese generalisierende Betrachtung ist grundsätzlich zu begrüßen; jedoch setzt dies voraus, daß die Bezugsprämissen stimmen. Daß jedoch die Unterhaltstabellen schon (kurzfristige) Besuchsaufenthalte beim Nichtsorgeberechtigten berücksichtigten, trifft nicht zu und ist spekulativ. Denn der Regelfall der Besuchsvereinbarungen besteht in Stundenkontakten 65 • Entweder sind also nur diese in den Unterhaltstabellen berücksichtigt oder die Tabellen gingen von einem Tatbestand aus, der mehrheitlich nicht erfüllt ist. Die Annahme, daß die Unterhaltstabellen Aufenthalte der Unterhaltsberechtigten beim Unterhaltsverpflichteten von mehreren Tagen oder Wochen berücksichtigten, trifft somit nicht zu. Andererseits gebietet der Kindeswohlvorbehalt, das Sozialisationsklima nicht zusätzlich zu belasten. Dies betrifft die Elternteile in ihren Beziehungen zum Kind; die Leitnorm des Kindeswohls ist aber ebenfalls verbindlich für die Gesetzesauslegung. Das Umgangsrecht des § 1634 BGB sieht ebenfalls zusätzliche Aufwendungen des Unterhaltsverpflichteten nicht vor; die Verneinung eines Erstattungsanspruchs hätte jedoch die Konsequenz, das Umgangsrecht und somit die Wahrnehmung der Restfunktionen des Elternrechts durch den Nichtsorgeberechtigten zu erschweren. Dem Interesse des Sorgeberechtigten ist auf der anderen Seite genügt, wenn ein Erstattungsanspruch so bemessen wäre, daß bei Tragung der Verpflegungskosten durch Naturalleistungen die verbleibenden Regelaufwendungen (Mietanteil, Kleidungskosten etc.) gedeckt sind. Dies ist entsprechend dem Kammergericht66 durch einen Rückbehalt beim Sorgeberechtigten von 1/3 der Unterhaltsleistung gewährleistet. Somit ist davon auszugehen, daß für jeden vollen Besuchstag des Kindes beim Nichtsorgeberechtigten, vom ersten Tage an, ein 2/3-Erstattungsanspruch des Nichtsorgeberechtigten gegen das Kind, vertreten durch den Sorgeberechtigten, besteht67 • Eine weitere Voraussetzung für den Anspruch ist jedoch, daß der Nichtsorgeberechtigte zuvor äußert, daß er seine NaturalleiOLG Karlsruhe FamRZ 1982,1111 f. Vgl. die Sachverhaltsangabe in FamRZ 1984, 470. 65 Vgl. bei Göppinger (1967), S. 195 sowie Dürr (1977), mit Rechtsprechungsnachweisen auf S. 30, Fn. 102-104. 66 FamRZ 1979, 327. 67 So richtig OLG Karlsruhe, aaO; anders wohl KG, aaO; - A. A. BGH, aaO. 63
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I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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stungen nicht als unterhaltsrechtliche Zusatz1eistungen erbringen will und daß diese Verpflegungskosten noch nicht mindernd im Rahmen eines etwaigen unterhaltsrechtlichen Zusatzbedarfs berücksichtigt wurden. Der Vorbehalt des Nichtsorgeberechtigten, die Unterhaltsleistung nicht doppelt erbringen zu wollen, hinderte ebenfalls, daß der Sorgeberechtigte der Erstattung der Doppelleistung durch Deponierung eines entsprechenden Betrages auf einem Konto des Kindes wirksam begegnen kann. 3.1.2.3.2. Reisekosten des Kindes und des Nichtsorgeberechtigten Bei einem Ferienaufenthalt des Kindes beim Nichtsorgeberechtigten ergibt sich prinzipiell, daß die Kosten für das Kind aus dem Unterhalt zu bestreiten sind. Denn Urlaubsreisen des Kindes, ob zum oder mit dem Nichtsorgeberechtigten oder andernorts, sind als Teil der Lebenskosten zu betrachten. In der Regel wird der Betrag für eine Urlaubsreise im Verlaufe des Jahres angespart. Somit erschöpft die Rückgewährung von 2/3 des Unterhaltsbetrages während des Ferienaufenthaltes beim Nichtsorgeberechtigten oder mit diesem in einem gemeinsamen Urlaub nicht das Unterhaltsvolumen. Für den Fall von Ferienaufenthalten ist deshalb in Abweichung von obigen Feststellungen der Sorgeberechtigte zur Übernahme der Fahrtkosten des Kindes zum Nichtsorgeberechtigten verpflichtet, zusätzlich zu der 2/3-Rückgewähr der Unterhaltsleistungen. Die Eigenkosten des Nichtsorgeberechtigten bleiben hierbei außer Ansatz. IV. Umgangsbefugnis im Nichtehelichenrecht (§§ 1634,1711 BGB)
§ 1634 BGB gilt nach § 1711 BGB entsprechend auch für das Verhältnis zwischen dem Kindesvater und dem nichtehelichen Kind; anders als bei § 1634 ist nach § 1711 Abs. 1 S. 1 BGB jedoch dem Sorgeberechtigten die Bestimmung über den Umgang des Kindesvaters mit dem Kind zugewiesen68 .
Das BVerfG hat ausdrücklich die Geltung des Kindeswohlvorbehaltes für die Entscheidung des Sorgeberechtigten nch § 1711 Abs. 1 S. 1 BGB festgestellt69 . Daraus folgt, daß sich grundSätzlich keine anderen Wertungen als beim ehelichen Kind ergeben. Das Kümmern um das Kind von Anbeginn führt auch hier zur Wertung im Wechselbezug von Besuchsrecht/"Umgangsrecht". Bei fehlenden oder nur sporadischen Vater-Kind-Kontakten kann es, und wird es in der Regel, an der entsprechenden Emotionalbeziehung mangeln. 68 69
Die Vorschrift ist verfassungsgemäß; vgl. BVerfG NJW 1981, 1201 ff. BVerfG NJW 1981, 1201, 1203.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Der Kindesvater hat in diesem Fall darauf zu warten, bis das Kind das Bedürfnis kundtut, seinen Vater kennenzulernen. V. Der persönliche Verkehr der Großeltern mit dem Enkelkind § 1634 BGB anerkennt ein "Umgangsrecht" nur für den nichtsorgeberechtigten Elternteil. Konsequent verneint die ganz herrschende Meinung ein "Umgangsrecht" der Großeltern mit ihrem Enkelkind70 . Prinzipiell gilt hierfür somit gleiches wie bei Drittkontakten des Kindes. Den Kontakten ist stattzugeben, soweit dem nicht das Wohl des Kindes entgegensteht; das Kind hat einen Anspruch darauf, daß der Personensorgeberechtigte sein Sorgerecht entsprechend ausübt. Die Begründungslast des Sorgeberechtigten bei Untersagung der Beziehungen ist hier insofern erschwert, weil ein (etwa) deliktischer Gefährdungstatbestand in der Regel auszuschließen ist. In Betracht kommt allenfalls, daß die Eltern des Nichtsorgeberechtigten ihre Enkelkinder gegen den Sorgeberechtigten aufhetzen. Abgesehen von diesem Sonderfall liegt der persönliche Verkehr der Großeltern mit ihrem Enkelkind regelmäßig im "wohlverstandenen Interesse" des Kindes71 , so daß eine Unterbindung der Beziehung durch den Sorgeberechtigten gegen den Willen des Kindes § 1666 Abs. 1 S. 1 BGB erfüllt.
B. Kindeswille und Elternrecht bei § 1632 Abs. 1, letzte Alt.; Abs. 3, letzt. Halbs. BGB Einen Sonderfall des "Herausgaberechtes" der Personensorgeberechtigten nach § 1632 BGB stellt das Herausgabeverlangen des Sorgeberechtigten gegen den Nichtsorgeberechtigten für die Zeit des Getrenntlebens und nach der Scheidung dar. Zuständig für die Durchsetzung des Verlangens ist nach herrschender Meinung für eheliche Kinder als das sachnähere Gericht das Familiengericht72 • Eine Besonderheit besteht hier insofern, als der Nichtsorgeberechtigte sich in der Regel nicht unter Berufung auf das Kindeswohl weigern kann, das Kind "herauszugeben"73. Dies folgt daraus, daß dem Nichtsorgeberechtigten im Verhältnis zum Sorgeberechtigten keine Interpretationsbefugnis über die Begründetheit des Kindeswillens zusteht; dies ergibt sich aus § 1632 Abs. 3, letzt. Halbs. BGB. Berücksichtigt ist insoweit das besondere psychische Span70 Vgl. BT-DrS 7/2060, S. 24, und 8/2788, S. 54 f. sowie Palandt/Diederichsen, § 1634, Anm. 1 c m. w. N.
So richtig BayObLG NJW 1981,1380. Vgl. Kropp, DRiZ 1979, 84, 85 m. w. N.; Schüler, ZbIJugR 1981, 173, unter Hinweis auf § 23 b Abs. 1, Nr. 4 GVG. 73 Zur prinzipiellen Geltung des Kindeswohlvorbehaltes vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 2.2.1. 71
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1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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nungsverhältnis der Elternteile untereinander und zum Kind. Denn bei engen persönlichen Bindungen zum Nichtsorgeberechtigten oder vorherigen Konflikten mit dem Sorgeberechtigten könnte es relativ schnell zur Weigerung des Kindes kommen, nach einem Aufenthalt beim Nichtsorgeberechtigten zum Sorgeberechtigten zurückzukehren. Würde diesen Regungen stattgegeben, könnte dies letztlich zu einem andauernden Aufenthaltswechsel des Kindes zwischen den Elternteilen führen. Liegen somit verläßliche Anhaltspunkte dafür vor, daß ein Verbleiben des Kindes beim Sorgeberechtigten mit dem Kindeswohl nicht vereinbar ist oder sein könnte (etwa wenn der Sorgeberechtigte einen neuen Lebenspartner hat und das Kind tatsächlich (körperlich, geistig und/oder seelisch) vernachlässigt wird oder sich auch nur so fühlt und sich daraus eine psychische Fehlentwicklung ergeben hat oder zu ergeben droht), so bleibt der Nichtsorgeberechtigte darauf verwiesen, eine Änderung der gerichtlichen Sorgerechtsentscheidung entsprechend § 1680 Abs. 2 BGB zu bewirken; ggf. kann er zuvor den Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf eine vorläufige einstweilige Sorgerechtsübertragung beantragen74 • Im übrigen hat der Nichtsorgeberechtigte verbal auf das Kind einzuwirken, daß es nach Beendigung des Besuchs wieder zum Sorgeberechtigten zurückkehrt. Da eine gewaltsame Wegnahme (jedenfalls) bei Kindern ab 14 Jahren75 ausscheidet, wobei dies wegen der auch zuvor schon bestehenden Willensfähigkeit des Kindes grundsätzlich ebenfalls für jüngere Kinder gilt76 , kommt dem Verhalten des Nichtsorgeberechtigten insoweit eine besondere Bedeutung zu. Eine Verweigerung der "Herausgabe" oder auch nur die Bestärkung des Kindes in dessen Absicht, nicht zum Sorgeberechtigten zurückzukehren, wäre als Verstoß gegen die "Wohlverhaltensklausel" des § 1634 Abs. 1 S. 2 BGB zu bewerten77 , mit den möglichen Konsequenzen nach § 1634 Abs. 2 S. 2 BGB. In Betracht käme insbesondere der vorübergehende Ausschluß der Kontakte zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind. Dabei ist zu beachten, daß das "Umgangsrecht" für den Nichtsorgeberechtigten den Restbestandteil des ihm verbleibenden Elternrechts darstellt. Deshalb bildet die Maßnahme des Ausschlusses der Kontakte zwischen dem Nichtsorgeberechtigten und dem Kind eine ultima ratio. Zuzustimmen ist auch der Auffassung, welche eine kalendermäßige Begrenzung des Ausschlusses fordert78 ; es kommt ggf. 74 Für den Fall, daß nicht auf eine Sorgerechtsänderung erkannt wird, kann sich aus diesen Aktivitäten allerdings die Konsequenz ergeben, das Besuchsrecht ggf. für längere Zeit auszuschließen (§ 1634, Abs. 2 S. 2 BGB), um dem Kind die Möglichkeit zu geben, sich psychisch zu stabilisieren. 75 So BGHZ 64, 19,29. 76 Zur Vollstreckung ausschließlich nach § 33 FGG vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 2.2., Fn. 80 f. 77 Vgl. dazu und zum Vorbild dieser Regelung in Art. 274 I Schweizer, ZGB in BTDrS 8/2788, S. 41. 78 So zur früheren Regelung KG FamRZ 1980, 399; 1980, 1156 f.; - für die Fortgeltung dieser Grundsätze nach der gesetzlichen Neuregelung auch Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1634, Rn. 20.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
mehrmalige Anordnung der Maßnahme nacheinander in Betracht. Setzt der Nichtsorgeberechtigte nach Wiederaufnahme der Kontakte seine Indoktrinierung des Kindes fort, ohne den Weg des § 1680 Abs. 2 BGB zu beschreiten, käme auch eine sehr lang bemessene Unterbrechung des Umgangs in Betracht79 • Das Kindeswohl erfordert dabei eine Abwägung im Einzelfall, ob die Beibehaltung des Kontaktes zum Nichtsorgeberechtigten bei möglicher Aufhetzung gegen den Sorgeberechtigten oder die Unterbrechung des Kontaktes die für das Kind auf längere Sicht weniger einschneidende - und damit "erforderliche" - Maßnahme darstellt. Das Kind hat seinerseits keine Möglichkeit, eine Änderung der Sorgerechtsentscheidung zu bewirken; es ist von einem entsprechenden Antrag seitens des Nichtsorgeberechtigten gemäß § 1680 Abs. 2 BGB abhängig. C. Das "Wohl des Kindes" und die Personensorgerechtsentscheidung für die Zeiten des Getrenntlebens und nach der Scheidung (§§ 1671 f. BGB) I. Konstruktion des § 1671 BGB und ProblemsteUung
§ 1671 (§ 1672) BGB nennt für die Entscheidung über die Sorgerechtsverteilung drei Tatbestandsvarianten, nämlich gemäß § 1671 Abs. 1 das Fehlen und gemäß § 1671 Abs. 3 das Bestehen eines Elternvorschlages sowie nach § 1671 Abs. 5 BGB die Entscheidung bei Gefahr für das Wohl des Kindes. Auslegungsdifferenzen bestehen vor allem hinsichtlich der Qualifizierung, der Bedeutung und des zulässigen Inhalts des Elternvorschlages. Strittig ist auch, welche Bedeutung dem Willen des Kindes für die Entscheidung über die Sorgerechtsverteilung zukommt, insbesondere, wenn das Kind unter 14 Jahre alt ist.
Nach dem Wortlaut des § 1671 BGB ist grundsätzlich der Elternvorschlag maßgebend (§ 1671 Abs. 3 S. 1). Dies gilt dann nicht, wenn eine abweichende Entscheidung zum "Wohle des Kindes erforderlich" ist (Abs. 3 S. 1, letzter Halbsatz) oder ein über 14 Jahre altes Kind einen abweichenden Vorschlag unterbreitet (Abs. 3 S. 2), und natürlich dann, wenn ein Elternvorschlag überhaupt fehlt (Abs. 1 und 2). In den beiden letzten Varianten trifft das Gericht die dem Wohl des Kindes entsprechende Entscheidung. Offen und strittig bleibt, ob und wie sich die Kindeswohlorientierung des Abs. 2 und des Abs. 3, mit dem Adverb "erforderlich", unterscheiden. "Erforderlich" ist eine vom Elternvorschlag abweichende Entscheidung nach vorherrschender Auffassung dann, wenn eine Verwirklichung der elterlichen Vorstellungen das 79 Zur Verfassungsmäßigkeit des § 1634 Abs. 2 Satz 2 BGB vgl. BVerfG NJW 1983, 2491, m. w. N.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Kindeswohl "ernstlich beeinträchtigen würde"80 bzw. "triftige, das Wohl des Kindes nachhaltig berührende Gründe, eine ungünstige Entwicklung des Kindes besorgen lassen"81. Treitz82 fordert für eine Abweichung vom Elternvorschlag eine "Gefährdung des Kindeswohls" . Andere erkennen dem Elternvorschlag generell nur eine relative Bindungswirkung zu; eine abweichende Entscheidung ist danach immer dann auch "erforderlich", wenn das Wohl des Kindes zu einer anderen Entscheidung führte 83 . Bezüglich des zulässigen Inhaltes des Elternvorschlages sind vor allem strittig die Aufteilung nach Zeitabschnitten84 sowie die befristete Sorgerechtsentscheidung unter der auflösenden Bedingung einer späteren endgültigen Entscheidung85 . Die strittige Frage einer weiteren gemeinsamen Ausübung des Sorgerechts trotz § 1671 Abs. 4 S. 1 BGB86 ist inzwischen vom Bundesverfassungsgericht dahingehend beantwortet worden, daß ein solcher Ausschluß selbst für den Fall, daß die Eltern willens und geeignet sind, die Elternverantwortung zum Wohle des Kindes weiterhin zusammen zu tragen, wegen Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG unzulässig ist87 . Wie die Frage der Geeignetheit zu beantworten ist, hat das BVerfG jedoch offen gelassen88 . Schließlich bestehen die im 4. Kapitel (3. Abschnitt, § 1) beschriebenen Unsicherheiten bei der Präzisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs des Kindeswohls. Die Kriterien des "Kontinuitätsgrundsatzes" und des "Förderungsprinzips" bilden zwar erste Anhaltspunkte für das Kindeswohl, jedoch bleiben diese Ersatzkategorien noch zu unbestimmt, um eine angemessene Berücksichtigung der Beteiligteninteressen zu gewährleisten89 . Gernhuber (1980), S. 866. Vgl. die Rechtsprechungs- und Literaturhinweise bei Gernhuber (1980), S. 866, Fn. 1. Zustimmend auch: PalandtlDiederichsen, 43. Auflage, § 1671, Anm. 4; SoergeU Lange (1981), § 1671, Rn. 25. 82 (1974), S. 56 ff. (Zitiert bei Gernhuber, aaO, welcher zutreffend darauf hinweist, daß diese Auslegung, im Widerspruch zur Gesetzesterminologie, Abs. 3 und Abs. 5 des § 1671 BGB gleich setzt). 83 Münder, BGB-AK, § 1671, Rn. 29. 84 Zum Meinungsstand vgl. die Nachweise bei Gernhuber (1980), S. 858, Fn. 10. 85 Ablehnend BayObLG FamRZ 1976, 534; Palandt/Diederichsen, 42. Aufl., § 1671, Anm. 4; ErmaniRonke, 6. Aufl., § 1671, Rn. 17 (ebenso i. d. 7. Aufl., § 1671, Rn. 34 m. w. N.); Schwab (1977), Rn. 190. - Zustimmend: KG FamRZ 1967, 294; OLG Karlsruhe NJW 1977,1731; Gernhuber (1980), S. 859, m. w. N. in dort. Fn. 12; SoergeULange (1981), § 1671, Rn. 22; StaudingerlSchwoerer, 10./11. Aufl., § 1671, Rn. 78. 86 Zum Streitstand vor der Verfassungsgerichtsentscheidung vgl. die Nachweise bei SoergeULange (1981) § 1671 Rn. 21; siehe dazu insbesondere auch KG NJW 1980,2419 - mit Anm. Diederichsen - = RdJB 1981,319 ff. - mit Anm. Moritz-. 87 BVerfG NJW 1983, 101 ff. = FamRZ 1982, 1179 ff. 88 Zu den vom BVerfG genannten Bedingungen für eine gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung und zu den Schwierigkeiten bei der Aufstellung eines verbindlichen Katalogs vgl. Finger, DRiZ 1985, 91 ff. sowie vor allen MagnuslDietrich, FamRZ 1986, 416 ff. 80 81
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7. Kap.: Sozialisations bezug, Vennögenssorgeverhältnis 11. Stellungnahme
1. Kindeswohl, Erforderlichkeitfür das Kindeswohl (§ 1671 Abs. 3 S. 1) und Gefahr für das Wohl des Kindes (§ 1671 Abs. 5) 1.1. Begriff und Inhalt des Kindeswohls Die im 4. Kapitel unternommene inhaltliche Konkretisierung des Kindeswohls orientierte sich vor allem auch am Scheidungsfolgenrecht90 • Dies bedeutet, daß die entwickelten Maßstäbe insoweit in vollem Umfang anwendbar sind. Abgesehen von den äußeren materiellen Bedingungen91 erfolgt eine Konkretisierung des Kindeswohls somit vor allem anhand des Geborgenseins und des (emotionalen bzw. rationalen) Willen des Kindes 92 • 1.2. "Zum Wohle des Kindes erforderlich" (§ 1671 Abs. 3, S. 1 BGB) Das Adverb "erforderlich" des § 1671 Abs. 3 BGB wird von der Mehrheit der Stimmen als Hinweis darauf verstanden, daß das Kindeswohl nur in besonderen Fällen als Korrektiv der Elternentscheidung Berücksichtigung finde, der Elternvorschlag also prinzipiell die Vermutung der Kindeswohlgemäßheit für sich habe 93 • Anerkannt ist damit, daß der Vorrang des Kindeswohls auch insoweit gilt94 ; wegen der unterstellten Kindeswohlgemäßheit der Elternentscheidung hat das Kindeswohl nach diesen Stimmen jedoch nur noch eine Funktion als Korrektiv in Sonderfällen. Es ist jedoch fraglich, ob das unterstellte Vertrauen, daß die Elternentscheidung kindeswohlorientiert wäre, tatsächlich gerechtfertigt ist. Denn die Sorgerechtsregelung erfolgt im Rahmen des Verbundverfahrens (Ausnahme: § 627 ZPO). Der Sorgerechtsvorschlag ist Voraussetzung einer "einverständlichen 89 Siehe im 4. Kapitel, 3. Abschnitt. - Kritisch zu den Begriffen und zur gerichtlichen Umsetzung vor allem auch Münder/Kühn in Hornffietz (1977), S. 97,111 ff. 90 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 eIl 4.2. 91 Siehe bei Gernhuber (1980), S. 866. 92 Siehe im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, §§ 1 u. 2. Daraus folgt insbesondere auch, daß es auf den von Hinz erneut ins Spiel gebrachten Gesichtspunkt der genetischen Abstammung nicht ankommt (- a. A. Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1671, Rn. 37, m. w. N. der widerstreitenden Stellungnahmen -), denn das "Geborgensein" ist Ausdruck einer emotionalen Verbindung, die nicht notwendig genetisch unterlegt sein muß. 93 Vgl. schon BT-DrS 8/2788, S. 62 sowie SoergellLange (1981), § 1671, Rn. 15, mit BayObLG FamRZ 1976, 36, 37; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1671, Rn. 48 ff. - Kritisch Gernhuber (1980), S. 866. 94 Vgl. BT-DrS 8/2788, S. 62, wo der Absatz 2 des § 1671 als "oberster Grundsatz" der Entscheidung über die Sorgerechtsverteilung bezeichnet wird.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Scheidung" nach § 630 ZPO. Dies aber macht die Sorgerechtsvereinbarung zum Handels- und Dispositionsobjekt im Rahmen der Gesamtscheidungsvereinbarung, welche ganz unterschiedliche Interessen der Ehepartner zum Ausgleich bringen muß. Zumindest ist unter diesen Umständen nicht auszuschließen, daß der Sorgerechtsvorschlag gerade nicht am Kind orientiert war, sondern ggf. auf Überlegungen zurückzuführen ist, die mit dem Kind kaum noch etwas zu tun haben. Da ein Kindeswille auch schon vor dem 14. Geburtstag existiert, genügt aber die in § 1671 Abs. 3 S. 2 BGB vorgesehene Interventionsmöglichkeit des ab-14jährigen Kindes nicht, kindeswohldivergente Entscheidungen zu verhindern. Schließlich ist darauf hinzuweisen, daß die Änderung der Gesetzesterminologie von einem "gemeinsamen" Vorschlag zu einem "übereinstimmenden" Vorschlag einen Konsens der Eltern über die Sorgerechtsverteilung gerade nicht mehr voraussetzt95 • Eine "Übereinstimmung" ist auch dann gegeben, wenn der andere Elternteil dem Scheidungsvorschlag lediglich nicht widerspricht. Ein bloßes Nichtwidersprechen impliziert nicht notwendig einen vertraglichen Willen; es genügen zwei nicht abgesprochene, möglicherweise zufällig gleichlautende Vorschläge 96 • Daraus folgt u. a., daß der "übereinstimmende Vorschlag" - entgegen der h. M.97 - nicht mehr als Vertrag zu qualifizieren ist. Eben dieser mögliche Wortsinn spricht aber dafür, die Bindungswirkung des Elternvorschlags zugunsten des Kindeswohls zu relativieren. Bei einer nur zufälligen Übereinstimmung des Vorschlags fehlt es an der rechtstatsächlichen Grundlage, daß ein Elternvorschlag über die Sorgerechtsverteilung im Zweifel dem Kindeswohl entspricht. Auch der Hinweis von Gernhuber auf Praktikabilitätsgesichtspunkte überzeugt nicht 98 . Zuzugeben und zu berücksichtigen ist, daß dem Familienrichter natürlich Grenzen dafür gesetzt sind, inwieweit er das individuelle Wohl des Kindes tatsächlich ergründen kann. Schwierigkeiten ergeben sich auch insofern, als es im Regelfall gerade nicht dem Kindeswohl entspräche, einem Elternteil das Sorgerecht zu übertragen, obgleich seine Erklärung vorliegt, daß der andere Elternteil das Sorgerecht erhalten soll. Eine Sorgerechtsübertragung gegen den ausdrücklichen Willen des für das Sorgerecht vorgesehenen Elternteils verstieße seinerseits gegen das Kindeswohl. Handelt es sich somit bei der Erklärung, daß der andere Elternteil das Sorgerecht erhalten soll, um eine ernsthafte Erklärung und beinhaltet diese zugleich, daß der Erklärende die eigene Sorgerechtsausübung auf jeden Fall ablehne, so steht dies einer Sorgerechtsübertragung auf den Erklärenden entgegen. 95 So richtig ErmaniRonke, 7. Aufl., § 1671, Rn. 29. - A. A. wohl Palandt/Diederichsen, 42. Aufl., § 1671, Anm. 4. 96 Vgl. ErmaniRonke, aaO; ähnlich schon Waskowiak (1967), S. 53 f. 97 Vgl. BGHZ 33,54,57; BayObLG FamRZ 1967,402 f., m. w. N.; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1671, Rn. 49, m. w. N. 98 Gernhuber (1980), S. 866.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Allein das Vorliegen eines "übereinstimmenden Vorschlags" rechtfertigt jedoch nicht den Schluß, daß der Verzichtende auf jeden Fall die eigene Sorgerechtsausübung hatte ausschließen wollen. Zu berücksichtigen sind vielmehr die geschilderten Umstände, wie es ggf. zu der ursprünglichen Erklärung kam, der Gesichtspunkt der ggf. nur zufälligen Übereinstimmung des Vorschlags sowie schließlich die Bewertung des "übereinstimmenden Vorschlags" als schlichte Erklärung und nicht als Vertrag. Dies führt dazu, daß der Richter bei Unterbreitung eines "übereinstimmenden Vorschlags" die Ernsthaftigkeit der Erklärung überprüfen und die Motivation der Erklärenden berücksichtigen muß. Sähe er die günstigere Lösung in der Übertragung auf den anderen Elternteil, so hat der Richter zu eruieren, inwieweit die Bereitschaft der Sorgerechtsübernahme bei dem besser geeigneten Elternteil vorhanden ist. Dieses Vorgehen ist durch den Amtsermittlungs- und Untersuchungsgrundsatz verfahrensrechtlich gedeckt und ist materiell-rechtlich durch die Kindeswohlbindung geboten. Stellt sich allerdings heraus, daß der übereinstimmende Sorgerechtsvorschlag ernsthaft und aus der Sicht beider Elternteile endgültig ist, so ist der Richter an diesen Vorschlag faktisch gebunden. Eine (kaum wahrscheinliche) Ausnahme besteht dann, wenn das Kind nach der Überzeugung des Richters begründet und endgültig erklärt, lieber ins Heim zu wollen, als daß es zu dem Elternteil zieht, auf den das Sorgerecht übertragen werden soll. Kommt der Richter zu der Überzeugung, daß eine dennoch erfolgende "Zuweisung" des Kindes zu dem vom Kind abgelehnten Elternteil zu Entwicklungsstörungen führen würde, böte sich eine einstweilige Übertragung des Sorgerechts auf das Jugendamt an. Somit ergibt sich, daß der "übereinstimmende" Elternvorschlag nur eine relative Bindungswirkung für den Richter hat. Er rechtfertigt nicht, daß der Richter auf die Erforschung dessen verzichtet, was dem Wohl des Kindes entspräche, und daß er statt dessen auf die Kompetenz der Eltern vertraut. Somit bildet § 1671 Abs. 3 S. 1 BGB keine Ausnahme in materieller Hinsicht und im Hinblick auf das Vorgehen des Richters; es gilt der Grundsatz des Vorbehalts des Kindeswohls. D. h., daß auch ein Elternvorschlag den Richter nicht davon entbindet, (insbesondere durch Anhörung des Kindes, des Jugendamtes und ggf. der Heranziehung von Sachverständigen) das individuelle Wohl des Kindes zu ergründen. Eine vom Elternvorschlag abweichende Entscheidung ist i. d. S. immer dann auch "erforderlich", wenn das Wohl des Kindes bei Berücksichtigung der geschilderten Gesamtzusammenhänge und Abhängigkeiten zu einer anderen Entscheidung führt 99 •
99
Entsprechend Münder, BGB-AK, § 1671, Rn. 29.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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1.3. ,,,Gefahr' für das Wohl des Kindes" Eine "Gefahr" für das Wohl des Kindes i. S. d. § 1671 Abs. 5 S. 1 BGB liegt dann vor, wenn nach einer prognostischen Beurteilung derjenige, auf welchen die elterliche Sorge übertragen wird, objektiv unfähig oder ungeeignet ist, die für die Entwicklung des Kindes erforderliche Sozialisationsfunktion (Emotionalität + Interaktionspartner bei der Rolleneinübung1OO) zu erfüllen. 2. Der zulässige Inhalt des Elternvorschlags
2.1. Gemeinsame elterliche Sorge nach der Scheidung und ihre Voraussetzungen 2.1.1. Das Prinzip grundsätzlich möglicher gemeinsamer elterlicher Sorge auch nach der Scheidung 2.1.1.1. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichtes Nahezu einstimmig wurde § 1671 Abs. 4 S. 1 BGB in der Fassung vom 18. 7. 1979 als absolutes Gebot der Alleinsorge eines der Elternteile (ggf. mit Unterstützung eines Pflegers) interpretiert101 • Eine Sichtung der Gesetzesmaterialien ergab indes, daß eine restriktive Interpretation des § 1671 Abs. 4 S. 1 BGB durchaus im Einklang schon mit einer subjektiv-historischen Auslegung stand 102 • Der Ansicht, welche entgegen der h. M. das absolute Verbot gemeinsamer elterlicher Sorge nach der Scheidung (jedenfalls) als verfassungswidrig ansah 103 , stimmte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 1982 ZU 104 . Das Bundesverfassungsgericht begründete seine Entscheidung damit, daß in den Fällen, in denen beide Eltern gewillt seien, die gemeinsame Verantwortung für ihr Kind nach der Scheidung weiter zu tragen, es keiner Schlichtung widerstreitender Interessen der Eltern durch den Staat bedürfe. Liege zudem eine Erziehungsfähigkeit vor, stelle ein Ausschluß eines der Elternteile einen Eingriff in eine durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Rechtsposition der Eltern dar. 100 Vgl. im 3. Kapitel, 3. Abschnitt, sowie im 4. Kapitel, 1. und 3. Abschnitt, insbes. S.232ff. 101 Vgl. die Nachweise bei Moritz, JblJugR 1981,11, Fn. 4. 102 Vgl. meine Darlegungen in ZblJugR 1981,11 ff.; ausdrücklich zustimmend AG Groß-Gerau NJW 1981,1279,1280; ablehnend SoergelJLange (1981), § 1671, Rn. 21. 103 Vgl. KG FamRZ 1980, 821 = NJW 1980, 2419, mit zust. Anm. von Diederichsen = RdJB 1981, 319 mit i. E. zust. Anm. von Moritz; zust. auch: Fehmel, FamRZ 1980, 758; LG Bremen FamRZ 1977, 402; AG Königstein FamRZ 1980, 483; AG BergischGladbach FamRZ 1980, 1156. AG Groß-Gerau NJW 1981, 1279. 104 BVerfG NJW 1983,101 = FamRZ 1982,1179.
30 Moritz
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, VermögenssorgeverhäItnis
2.1.1.2. Stellungnahme Dem Bundesverfassungsgericht ist im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung zuzustimmen. Wegen der besonderen Umstände ist mit dem BVerfG als Voraussetzung gemeinsamer elterlicher Sorge nach der Scheidung ein entsprechender gemeinsamer Elternvorschlag anzusehen, welcher sich als Ergebnis eines Kommunikationsprozesses darstellt. Denn nur in diesem qualifizierten Fall, welcher über die Forderung des § 1671 Abs. 3 des "übereinstimmenden Elternvorschlages" hinausgeht, kann überhaupt davon ausgegangen werden, daß bei den Eltern das Bewußtsein der besonderen Verantwortung für das Kind in der prekären Situation der Scheidung und der Zeit danach vorhanden ist 105 • Darüber hinaus erscheint aber auch die verfassungsrechtliche Fundierung als zu einseitig. Denn es ist die - im Hinblick auf das Kindeswohl an anderer Stelle auch vom Bundesverfassungsgericht als vorrangig angesehene 106 Pflichtseite des Elternrechts zu wenig berücksichtigt. Maßgebend für die Entscheidung, die gemeinsame elterliche Sorge auch für den Fall der Scheidung nicht völlig auszuschließen, ist damit nicht das Elternrecht i. S. eines Herrschaftsrechts, sondern die Gesetzesauslegung unter Berücksichtigung der Pflichtseite des verfassungsrechtlich garantierten Elternrechts i. V. m. den gleichfalls in dem Elternrecht des Art. 6 Abs. 2 GG geschützten "stillen SinnInteressen" der Eltern 107 • Daraus folgt aber eine Relativierung des "Anspruchs". Denn dem "stillen Sinn-Interesse" ist grundsätzlich durch dasggf. extensiv gestaltete 108 - Umgangsrecht des Nichtsorgeberechtigten gemäß § 1634 BGB genügt. Nur wenn zu prognostizieren ist, daß die Beibehaltung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge auch nach der Scheidung die Erreichung des Verfassungsziels der Kindessozialisation zu einem physisch und psychisch integren, autonomen Bürger besser gewährleistet, als die Sorgerechtsübertragung auf nur einen Elternteil, entspräche eine gegenteilige Entscheidung nicht dem Kindeswohl und verletzte zugleich das Elternrecht des Elternteils, dem die Personensorge entzogen wurde. Somit ist der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zuzustimmen, daß der völlige Ausschluß der Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung unvereinbar mit Art. 6 Abs. 2 GG ist und ein entsprechend ausgelegter § 1671 Abs. 4 S. 1 verfassungswidrig ist; die Zulassung einer gemeinsamen elterlichen Sorge ist jedoch ausschließlich an der Pflichtseite des Elternrechts zu messen. 105 106
107 108
821.
Vgl. zum entgegengesetzten Fall vorstehend unter ,,1.2.". BVerfGE 24,119,142; 37, 217, 252. Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B I 1. Vgl. den Sachverhalt in der Entscheidung des Kammergerichts, KG FamRZ 1980,
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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2.1.2. Die unterverfassungsrechtliche Umsetzung 2.1.2.1. Die Wertungslage Die Bundesregierung sah in dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes zu
§ 1671 Abs. 4 S. 1 BGB keine Veranlassung für eine Gesetzesinitiative 109 • Als
Voraussetzung einer Belassung der gemeinsamen elterlichen Sorge wurden formuliert 110: 1. Beide Eltern sind nach der Scheidung voll erziehungsfähig. 2. Die Eltern sind gewillt, die gemeinschaftliche Elternverantwortung weiter zu tragen. 3. Es liegen keine Gründe vor, welche die Belassung des Sorgerechts bei einem Elternteil im Interesse des Kindeswohls angezeigt erscheinen lassen. 4. Der Richter erlangt die Überzeugung, daß die Eltern in der Lage sind, auch nach der Scheidung die Pflege und "Erziehung" des Kindes weiterhin gemeinschaftlich wahrzunehmen. Nach der Einschätzung der Bundesregierung wird die Fortsetzung der gemeinsamen elterlichen Sorge seltener sein als die Übertragung auf nur einen Elternteil 111 . Diese Aussagen dokumentieren ein erneutes Mal die Überantwortung der Entscheidung an den Richter. Die konkrete Entscheidung setzt auch insoweit die nachbardisziplinäre Eruierung des Entscheidungskomplexes voraus 112 . Übereinstimmend wird von Entwicklungssoziologie und -psychologie die Kleinfamilie 113 , wobei die beteiligten Erwachsenen nach einigen Ansätzen nicht notwendig ehelich verbunden zu sein brauchen 114 , als "Ideal"-Gruppe kindlicher Primärsozialisation erachtet 115 • Der Grund dieser positiven Einschätzung liegt wohl vorrangig darin, daß das konstitutive Merkmal "Emotionalität" der sozio-psychologischen Institution Familie zugleich wesentliche Sozialisationsbedingung (kindlicher) Primärsozialisation ist 116. Familie aber, 109 Vgl. die Wiedergabe entsprechender Äußerungen aus dem Bundesministerium der Justiz durch Schmidt-Räntsch in FamRZ 1983,17,18 r. Sp. 110 aaO, S. 17. 111 Vgl. die wiedergegebene Stellungnahme, aaO, S. 19. Zur gerichtlichen Praxis, in welcher die Belassung der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung nur einen Ausnahmefall darstellt, vgl.: Finger, DRiZ 1985, 91, 94 ff. und MagnuslDietrich, FamRZ 1986, 416, 417 ff. 112 Vgl. im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B/e. 113 Zum Begriff s. König, Handbuch der empirischen Sozialforschung, Bd. 7, 2. Aufl., 1976, S. 54 f. 114 Vgl. den symbolischen Interaktionismus nach G. H. Mead (1934). 115 Vgl. statt vieler Goode, Die Struktur der Familie, 3. Aufl., Köln u. a., 1967, S. 19; L. S. Wygotski, Denken und Sprechen, 1979.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
also sozusagen die psychische Entwicklungsbasis des Kindes ll7 , wird (zumindest äußerlich) durch die Scheidung gerade zerstört. Der damit beim Kind notwendig ausgelöste Vertrauensschock 118 kann längerfristig Rückwirkungen auch auf die emotionalen Bindungen zu einer oder gar zu beiden erwachsenen Bezugspersonen haben, bis hin zur andauernden negativen Umkehr der emotionalen Beziehung in Form von aggressiv ablehnendem Verhalten. Gleichwohl müssen diese Folgen nicht auftreten; im Gegenteil bleibt in der weit überwiegenden Mehrzahl der Fälle auch nach der Scheidung eine emotional positive Einstellung der Kinder zu beiden Elternteilen bestehen 119 • Das Gesetz berücksichtigt die Sozialisationsbedingung emotionaler Bindung in § 1671 Abs. 2,2. Halbs. BGB; dort allerdings insofern unter negativen Vorzeichen, als es dem Familiengericht eine Stufung der emotionalen Bindungen zu den Bezugspersonen aufgibt und eben der an der Spitze stehenden erwachsenen Bezugspersonen den "Zuschlag" erteilt. Schon bei § 1671 Abs. 2, 2. Halbs. BGB würde indes der Gesetzesauftrag mißverstanden, wenn er als Anweisung einer gerichtlichen Analyse des Ist-Zustandes der Emotionalbindungen des Kindes begriffen würde. Denn Sozialisationsbedingung (kindlicher) Primärsozialisation ist nicht die Emotionalität schlechthin, sondern eine verläßlich auf Dauer begründete Emotionalität. Allein jener Elternteil, welcher nach einer vom Gericht anzustellenden - zugegebenermaßen mit zahlreichen Unsicherheitsfaktoren versehenen - Zukunftsprognose die Bedingung der "verläßlich auf Dauer begründeten Emotionalität" zu erbringen vermag, gebührt die Übertragung der elterlichen Sorge; denn nur diese Regelung entspräche dem nach Trennung der Eltern überhaupt noch zu realisierenden relativen Kindeswohl. Im Rahmen des § 1671 Abs. 2 kommt ein Belassen der elterlichen Sorge bei beiden Elternteilen nicht in Betracht. Ein fehlender entsprechender Elternvorschlag kann hier als Indiz dafür genommen werden, daß die - aus der Sicht des Kindes - elterliche Verantwortungslosigkeit so weit geht, daß eine harmonische gemeinschaftliche Personensorge ausscheidet 119a.
116 Zu Begriff und Inhalt der "Primärsozialisation" vgl. bei Kohli, in "Sozialisation und Lebenslauf", Stuttgart 1976, S. 311 ff. 117 Dazu Spitz, Hospitalism, Bd. I und 11, 1945 und 1946. 118 Diederichsen (NJW 1980, S. 8) spricht zutreffend von einer aus dem Blickwinkel des Kindesrechts zu konstatierenden elterlichen Verantwortungslosigkeit. 119 Nach Arntzen (Elterliche Sorge und persönlicher Umgang mit Kindern, München 1980, S. 3) besteht bei mindestens 82 % der Kinder aus geschiedenen Ehen "auch weiterhin eine echte Zuneigung zu Mutter und Vater". Dies kann als weiteres Beispiel dafür genommen werden, daß Reife und Lebensalter nicht notwendig kongruent sind; die von den Kindern in den geschilderten Situationen erbrachte Toleranzleistung ist zur Nachahmung durch die "Erwachsenen" dringendst zu empfehlen. 119. Als unumgänglich sehen einen gemeinsamen Vorschlag der Eltern auch an: Magnus/Dietrich, FamRZ 1986, 419.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Unzulässig ist indes der Umkehrschluß, daß bei entsprechendem Elternvorschlag (§ 1671 Abs. 3) allein dieser zwangsläufig zu einer positiven Harmonieprognose in der richterlichen Wertung führen müßte. Elterninteresse und Kindeswohl sind nicht notwendig kongruent. Die Bedingung der "verläßlich auf Dauer begründeten Emotionalität" ist überdies eine Leistungsanforderung, deren Tragweite die Eltern bei Abgabe ihres Vorschlages nicht unbedingt bedacht haben müssen. Eindeutig ist dies - wenngleich für den Richter gerade dort Verifizierungsschwierigkeiten entstehen werden -, wird der Elternvorschlag lediglich aus dem egoistischen Motiv unterbreitet, die Scheidung so schnell wie möglich durchzuführen und konnten die Eltern einen anderen Komprorniß kurzfristig nicht erzielen. Die Elternteile mögen auch jeder für sich noch gar keine konkreten Vorstellungen über die Gestaltung ihrer künftigen getrennten Lebensbereiche haben. Derartige Unsicherheitsfaktoren können indes zukünftig Rückwirkungen auch auf die Komponenten Verläßlichkeit und Dauerhaftigkeit der Elternteil-Kind-Emotionalität haben; dies ist insbesondere dann möglich und nicht unwahrscheinlich, tritt eine andere feste Bezugsperson neu in den Lebenskreis des Elternteils ein 120 • 2.1.2.2. Fazit Aus allem ergibt sich, daß nach einem entsprechenden Antrag die Belassung der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge bei den Eltern nach der Scheidung auch unter Berücksichtigung nachbardisziplinärer Erkenntnisse nicht ausgeschlossen ist. Indes bleibt eine solche Regelung auf Ausnahmefälle beschränkt 121 • Die richterliche Prognose darf nicht nur für den Zeitpunkt der Entscheidung die Wahrscheinlichkeit einer harmonischen gemeinschaftlichen Personensorge unter gleichmäßig positiver emotionaler Bindung des Kindes zu beiden Elternteilen feststellen. Erforderlich ist, daß unter Würdigung der Umwelt und Lebensbedingungen sowie der Einzelpersönlichkeit des jeweiligen Elternteils eine "verläßlich auf Dauer begründete Emotionalität" des Kindes zu bei den Elternteilen auch für die Zukunft vorauszusagen ist. Zu berücksichtigen ist, daß die Beibehaltung der gemeinsamen elterlichen Sorge aufgrund der entwicklungspsychologischen und soziologischen Daten einen Sonderfall ausmacht. Nur unter besonderen Umständen ist von einer auch weiterhin störungsfreien Sozialisationsbindung beider Elternteile zum Kind auszugehen. Indiz dafür, daß der Gesetzgeber ähnlich wertete, ist, daß er die Installie120 Dies bedeutet nicht, daß die Elternteile schon einen festen Zukunftsplan haben müßten, von dem sie nicht mehr abweichen dürften. Zu fordern aber ist eine Planung für einen überschaubaren Zeitraum, wobei es durchaus vorteilhaft sein kann, wenn künftige Lebenspartner feststehen. 121 Für eine restriktive Handhabung auch: Diederichsen, NJW 1980, 2421; Lempp, FamRZ 1984, 741, 742 ff. m. w. N.; Moritz, RdJB 1981,322 f. u. JA 1981, 188, 190. Dagegen Finger, DRiZ 1985, 91, 94 ff.; neutral MagnuslDietrich, FamRZ 1986, 420.
470
7. Kap.: Sozialisationsbezug, Verrnögenssorgeverhältnis
rung der "Wohlverhaltensklausel" des § 1634 Abs. 1 S. 2 BGB für notwendig erachtete. Diese bezieht sich allein auf den Umgang. Die Sorgerechtsentscheidung kann vom Gericht auf Anregung eines Elternteils und/oder von Amts wegen jederzeit geändert werden (§ 1696 BGB). Dazu führt zutreffend schon Knöpfel aus 122 , daß die dadurch implizierte ständige Überwachung der elterlichen Tätigkeit durch das Gericht kaum mit dem Grundgesetz vereinbar sein dürfte. Scheidet eine solche ständige Überwachung jedoch aus, ist zweifelhaft, ob eine Sorgerechtsänderung rechtzeitig erfolgte l23 . Dies aber bedeutet nichts anderes, als daß die Anerkennung einer Entscheidungsdominanz der Eltern auch bei der Frage der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung ggf. zum Preis einer Beeinträchtigung der Bedürfnisse des Kindes nach sicheren Sozialisationsbeziehungen erfolgte. Eben dies übersehen das AmtsG Berlin-Charlottenburg124 sowie das Kammergericht 125 , wenn sie auch bezogen auf den Fall der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge nach der Scheidung dem Elternvorschlag Vorrang einräumen. Denn auch § 1671 Abs. 3 S. 1 BGB ist im Lichte des konkreten Regelungsgegenstandes zu sehen. D. h., daß für die Frage der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung aufgrund der sozio-/psychologischen Bedingungen, wie sie regelmäßig anzutreffen sind (Spannungen zwischen den Eltern; Vorschlag an Drittgesichtspunkten orientiert und nicht am Kindeswohl), eine Umkehr des Regel-Ausnahme-Schemas erfolgt. Da die Wahrscheinlichkeit einer Sicherheit der Sozialisationsbeziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen auch nach der Scheidung den Ausnahmefall darstellt, ist ein Vorschlag auf Beibehaltullg der gemeinschaftlichen elterlichen Sorge nach der Scheidung in der Beurteilung des Richters mit dem (freilich ausräumbaren und auszuräumenden) Makel behaftet, ggf. die künftige Sozialisationssituation nicht oder nicht hinreichend gewürdigt zu haben. Dies aber führt dazu, daß unabhängig von dem ohnehin bestehenden Kindeswohlvorbehalt die Bedeutung des Elternvorschlages für diesen Sonderfall noch weiter relativiert wird, indem eine "Umkehr der Beweislast" insofern erfolgt, als nur dann, wenn die Prognose der zukünftigen Sozialisationssituation positiv wäre, dem Vorschlag der Eltern zu folgen ist 126 • Im Falle eines Elternvorschlages auf Beibehaltung der gemeinschaftlichen Personensorge findet insofern eine Umkehr der Würdigung statt, als prinzipiell die Tatsache der Scheidung die Annahme einer Reduzierung der elterlichen Gemeinsamkeiten rechtfertigt, welche eine auch künftige gemeinsame Wahrnehmung der Knöpfe!, NJW 1983, 905, 907. Entspr. Knöpfel, aaO. 124 FamRZ 1983, 420 f. 125 FamRZ 1983, 648. 126 Entsprechend restriktiv: OLG Frankf./M. FamRZ 1983, 758 f. sowie Luthin, FamRZ 1983, 421. Zu den nach wie vor bestehenden Wertungsunsicherheiten der Gerichte bezüglich einer sicheren Zukunftsprognose vgl. Magnus/Dietrich, FamRZ 1986,419 f. 122
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I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
471
elterlichen Sorge wegen der inzidenten Spannungen als nicht dem Kindeswohl gemäß scheinen läßt. Machen die Eltern jedoch besondere Umstände geltend, nach denen nicht nur im Ist-Zustand wechselseitig positive emotionale Bindungen beider Elternteile zu ihrem Kind bestehen, sondern die Zukunftsplanung derartig ist, daß auch unter den geänderten Bedingungen eine Wahrscheinlichkeit für "verläßlich auf Dauer angelegte Emotionalbindungen" positiver Art des Kindes zu beiden Elternteilen bestehen 127 und die Beziehungen der Elternteile zueinander als weiterhin spannungsfrei zu prognostizieren sind, so hat das Gericht eine Entscheidung entsprechend dem Elternvorschlag zu treffen. Denn in diesem Sonderfall entspräche diese Entscheidung dem Kindeswohl und befände sich in Übereinstimmung mit der Pflichtbindung des Elternrechtes des Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. 2.2. Aufteilung nach Zeitabschnitten, befristete Zuteilung Während der Vorschlag der gemeinsamen elterlichen Sorge nach der Scheidung sorgerechtlich die Situation beizubehalten sucht, wie sie zur Zeit der Ehe bestand, sind abweichend davon unterschiedliche Vorschlagsvarianten zur Sorgerechtsverteilung denkbar und gebräuchlich, welche die prinzipielle Andersartigkeit der nachehelichen Situation grundsätzlich akzeptieren und eben dieser Rechnung tragen wollen. Strittig ist die Frage der Zulässigkeit eines Elternvorschlags auf Aufteilung der elterlichen Sorge nach Zeitabschnitten 128 • Das dagegen geltend gemachte Argument, das Gesetz sehe die Alleinsorge nach der Scheidung vor 129 , ist spätestens seit der Aufhebung des § 1671 Abs. 4 S. 1 BGB nicht mehr stichhaltig. Wegen der Möglichkeit der gemeinsamen Ausübung entfällt aber regelmäßig auch die Notwendigkeit, die Sorgerechtszuteilung zeitlich zu begrenzen, um sie sodann dem anderen Elternteil zu übertragen. Die Beibehaltung des Kontaktes zu beiden Elternteilen auch nach der Scheidung ist im Regelfall von besonderer Bedeutung für die Entwicklung des Kindes; besondere Probleme tauchen aber auf, wenn sich die Ehepartner anderweitig binden 130. Es muß deshalb möglich sein, daß die Eltern dieser Vgl. den Fall OLG Düsseldorf FamRZ 1978, 266 sowie KG FamRZ 1980, 821. Vgl. im einzelnen die Nachweise bei SoergeVLange (1981), § 1671, Rn. 22 m.w.N. 129 BGH NJW 1952, 1254; OLG Stuttgart FamRZ 1957, 27; KG FamRZ 1957,176; BayObLG FamRZ 1962, 165; OLG Frankfurt FamRZ 1962,171; OLG Hamm FamRZ 1964, 577; Dölle (Bd. 2, 1965), S. 292, 299; Hinz, MünchKomm., 2. Lfg., § 1671, Rn. 28, 42; PalandtlDiederichsen, § 1671, Anm. 3 b; Münder, BGB-AK, § 1671, Rn. 27; Erman/Ronke, 7. Aufl., § 1671, Rn. 34. - A. A. OLG Karlsruhe MDR 1977, 756; Gemhuber (1980), S. 858; SoergeVLange (1981), § 1671, Rn. 22; Treitz (1974), S. 20 ff.; Schwab (1977), Rn. 190; Staudinger/Schwoerer, 10./11. Aufl., § 1671, Rn. 51. 130 Vgl. vorstehend unter ,,2.1.2." sowie die Nachweise in Fn. 119. 127 128
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
möglichen Problematik dadurch Rechnung tragen, indem sie vereinbaren, daß für den Fall der Drittbindung des Sorge berechtigten über das Sorgerecht neu entschieden werden solll3l. Eine Variante zu dieser Vereinbarung bildet der Vorschlag der befristeten Zuteilung, unter der Absprache einer neuen Entscheidung bei Fristablauf1 32 . Fraglich ist, ob eine solche Regelung tatsächlich in besonderer Weise den Interessen zu entsprechen vermag 133 • Denn auch in Sondersituationen - z. B. der Aufnahme einer Berufsausbildung des Kindes in der Stadt des Nichtsorgeberechtigten nach Ablauf der wegen der beabsichtigten Ausbildungsaufnahme befristeten Sorgerechtsübertragung auf den Sorgeberechtigten - ist das Erfordernis einer solchen Regelung zweifelhaft. So könnte im Beispielsfall der Sorgeberechtigte die Vertretungsbefugnisse auf den Nichtsorgeberechtigten übertragen, so lange sich der Minderjährige dort aufhält. Insofern weist das Begehren einer befristeten Übertragung des Sorgerechts darauf hin, daß zwischen den Eltern nur ein relativer Konsens herrscht. Dies aber erfüllt die Voraussetzungen des § 1671 Abs. 3 S. 1, letzt. Halbs. BGB (vgl. vorstehend unter ,,1.2. "). In diesem Fall hat das Gericht an die Stelle des Elternvorschlags die eigene, am Wohl des Kindes - vor allem nach Maßgabe des "Geborgenseins" - orientierte Entscheidung zu setzen. § 3 Die Sicherung des Wohls des Kindes im Rahmen der und durch die §§ 1666 f. BGB I. Die wesentlichen Neuregelungen der §§ 1666 f. BGB
Die §§ 1666 f. BGB bildeten einen zentralen Streitgegenstand der Neuregelung des Rechts der elterlichen Sorget. Eine Änderung des Wortlautes gegenüber der früheren Fassung besteht in der Ergänzung des "Kindeswohls" durch das Attribut "seelisch"2. Als Interventionsvoraussetzung ist neben der Erfüllung des Gefährdungstatbestandes (§ 1666 Abs. 1 S. 1, 1. Halbs.) nunmehr zusätzlich erforderlich, daß die Eltern "nicht gewillt oder nicht in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden". Die Berücksichtigung der Trennung des Kin131
So BayOBLG 1976, 38; ablehnend - ohne Begründung - SoergellLange (1981),
§ 1671, Rn. 22. Das Gericht in der Erst- und späteren Neuentscheidung wird indes
dieser Vereinbarung nur dann entsprechen, wenn sie auf das Bemühen der Eltern auf eine kindgemäße Regelung zurückzuführen ist und nicht auf einem Komprorniß beruht oder Drittbindungen des Sorgeber. verhindern will. 132 Ablehnend: BayObLG FamRZ 1965, 51; dass. FamRZ 1976, 38; 1976, 534; ErmaniRonke, 7. Aufl., § 1671, Rn. 34; Schwab (1977), Rz. 190. - Befürwortend: KG FamRZ 1967, 294; Gernhuber (1980), S. 859; SoergeULange (1981), § 1671, Rn. 22. 133 So aber Gernhuber (1980), S. 859. 1 Vgl. bei Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 1 u. 6, m. w. N. 2 Zu der fehlenden inhaltlichen Relevanz dieser Ergänzung vgl. schon im 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 3 B I.
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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des von der Familie in einer eigenen Norm (§ 1666 a BGB) verdeutlicht den Chrakter der Maßnahme als ultima ratio; dem Regelfall schwächerer Maßnahmen ist in § 1666 Abs. 1 und 2 Rechnung getragen. Als umstrittenster Reformpunkt gilt die Beseitigung des in den §§ 1666 Abs. 1 a. F. hineininterpretierten "Verschuldens" der Eltern3 , insbesondere durch Einführung des neuen Tatbestandsmerkmals des "unverschuldeten Verhaltens der Eltern". 11. Die herrschende restriktive Interpretation der §§ 1666 f. BGB
1. Meinungsstand
Die §§ 1666 f. BGB werden herkömmlich als zentrale Normen der Umsetzung des staatlichen Wächteramtes (gern. Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG) verstanden4 . Sie beziehen sich (mit Ausnahme des Sonderbereichs des § 1631 a BGB) auf die Gesamtheit der ElterniKind-Sozialisationsbeziehungen. Meinungsunterschiede zur gesetzlichen Neuregelung bestehen hinsichtlich der Bestimmung der Eingriffsschwelle bzw. der Abgrenzung zwischen staatlichem Eingriff und Familienautonomie bzw. bei der Qualifizierung der Familienautonomie. Diese Auseinandersetzung ist auch mit dem Inkrafttreten der §§ 1666 f. BGB n. F. nicht beigelegt. Sie verläuft parallel der Diskussion zur Bestimmung von Begriff und Bedeutung des Kindeswillens und Kindeswohls sowie der Interdependenzen von staatlicher Gemeinschaft sowie Eltern- und Kindesposition, wie sie im 2. bis 4. Kapitel im einzelnen dargestellt wurden. Der Meinungsstand zu den § 1666 f. BGB läßt sich grob dahin skizzieren, daß einerseits der unbestimmte Rechtsbegriff der "Gefährdung des Kindeswohls" individuell aus der Kindesposition konkretisiert wird, wobei situative Kategorie-Schemata ggf. Auslegungshilfen leisten5 . Demgegenüber werden von anderen die Möglichkeiten staatlicher Intervention weitgehend beschnitten. Dies geschieht zum einen dadurch, daß einige Autoren 6 - in einem Umkehrschluß aus dem Tatbestandsmerkmal "unverschuldetes Versagen" 3 Zum früheren Meinungsstand vgl. PalandtIDiederichsen, 38. Auft., § 1666, Anm. 2, m. w. N. Zum Gesetzgebungsverfahren vgl. die Nachweise bei Hinz, aaO, § 1666, Rn. 3. 4 Diederichsen, NJW 1980,1,5; Giesen, FamRZ 1979,595; Hinz, MünchKomm., 2. Auft. Bd. V/2, § 1666, Rn. 1; Soergel/Lange (1981), §§ 1666, 1666 a, Rn. 4; Münder, BGB-AK, §§ 1666, 1666 a, Rn. 1. 5 Becker, ZblJugR 1978, 300, 302; Lempp, ZblJugR 1977, 507, 512 f.; Münder, BGB-AK, §§ 1666-1666 a, Rn. 4 f. 6 Diederichsen, FamRZ 1978,461,469 (anders aber ders. NJW 1980,1,6); Gemhuber (1980), S. 736, Fn. 5; Bekhaus (1980), § 1666, Rn. 8, der dies aber als für die Praxis bedeutungslos qualalifiziert. - A. A. Baer, ZblJugR 1977, 516, 522; Beitzke, FamRZ 1979, 8, 9; Giesen, FamRZ 1979, 594, 595; Hinz, MünchKomm., 2. Lfg., § 1666, Rn. 21; KnöpfeI, FamRZ 1977, 600, 604 f.; Soergel/Lange, §§ 1666-1666 a, Rn. 14; Schmitt Glaeser, DÖV 1977, 629, 631.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
den Verschuldensgrundsatz zu § 1666 Abs. 1 BGB n. F. wieder reaktivieren. Während diese Auffassung inzwischen jedoch eine Mindermeinung darstellt?, erfolgt eine Hinausschiebung der Eingriffsschwelle vor allem aber durch eine restriktive Interpretation des unbestimmten Rechtsbegriffs "Gefährdung des Kindeswohls" . Insofern wird das Kindeswohl als Orientierunsmaßstab prinzipiell anerkannt8 . Dieser wird jedoch relativiert durch eine Stärkung des Elternrechtes, indem in Umsetzung der Warnungen vor einem "ideologiegefärbten Druck"9 sowie vor dirigistischen staatlichen Maßnahmen 10 eine "verfassungskonforme Interpretation" der §§ 1666 f. BGBll begründet wird, die eine Intervention zugunsten des Kindeswohls vor allem als Eingriff in subjektive Rechte der Eltern betrachtet; entsprechend wird vermerkt, daß wegen Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eine solche Intervention nur in Ausnahmefällen zu akzeptieren sei. Insofern ist eine "Verhältnismäßigkeitsabwägung" installiertlI, bei welcher der Elternposition ein stillschweigender Vorrang eingeräumt wird!2. Bei dieser Betonung der elternbestimmten Familienautonomie wird staatliche Intervention gleichgesetzt mit Sanktion 13 . Dies aber wiederum bahnt den Weg dafür, daß die schließlich ergriffenen Maßnahmen, entsprechend dem dem Gesetz beigegebenen Verständnis, in repressiven Eingriffen anstelle präventiver Hilfe bestehen l4 • 2. Stellungnahme und Zusammenfassung des eigenen Ansatzes Die eigene Position zum Streitpunkt des Verhältnisses von Elternrecht und Kindesposition sowie bezüglich der Interventionsrichtung wurde anhand der eingehenden Erörterungen zum Begriff des Kindeswohls (im 4. Kapitel, l. Abschnitt) dargelegt und begründet. Gleiches gilt hinsichtlich der Interventionsanregung - zur Bedeutung des § 1666 Abs. 1 BGB als Bewertungsnorm im Amtsverfahren vgl. im 6. Kapitel, 2. Abschnitt, § 3 -. Es kann insoweit auf diese Ausführungen zurückgegriffen werden. Vgl. die Nachweise in der vorstehenden Fn. So Happe, CDU/CSU-Thesenpapier, Karlsruhe am 18. und 19. 5. 1978, S. 2; Hinz, MünchKomm., 2. Lfg., § 1666, Rn. 6. 9 SoergellLange (1981), § 1666, 1666 a, Rn. 4. 10 Siehe CDU/CSU-Thesenpapier, Berichterstatter Stark, Karlsruhe am 18. und 19. 5. 1978, S. A 4/2; Stellungnahme des Zentralkommittees Deutscher Katholiken in FamRZ 1977, 610; Bopsch, FamRZ 1973, 507; Strätz, FamRZ 1975, 549. 11 Für diese, als Korrektiv zugunsten des Elternrechts, vor allem Diederichsen, NJW 1980; 1,5 ff.; SoergellLange (1981), § 1666/1666 a, Rn. 1. 12 Abgeschwächt Diederichsen (NJW 1980, 6 r. Sp., m. w. N.), wonach die "Belange der Eltern" wenigstens noch "in irgendeiner Weise Berücksichtigung finden müssen". \3 So kritisch schon Zenz (1979), S. 325. 14 Zu dieser Bewertung des Rechtsalltags vgl. schon Münder, BGB-AK, §§ 16661666 a, Rn. 5. 7
8
1. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Im einzelnen ergeben sich folgende Konsequenzen für die Anwendung der
§§ 1666 f. BGB:
2.1. Rechtsgut "Kindeswohl" und das sich daraus ergebende Verhältnis von Elternrecht und Kindesposition Bei den §§ 1666 f. BGB geht es um Eingriffe in das Elternrecht zum Schutze des Kindes; den Maßstab bildet dabei das Kindeswohl (vgl. § 1666 Abs. 1, 1. Halbs. BGB). Entsprechend sind die dazu getroffenen Konkretisierungen im vollen Umfang anzuwenden. Hinsichtlich des Verhältnisses von Elternrecht und Kindesposition bedeutet dies insbesondere, daß der Pflichtcharakter des Elternrechtes im Vordergrund steht und die Prinzipien des "Vorbehaltes bzw. absoluten Vorranges des Kindeswohls" sowie der "Wertung vom Kind her" gelten l5 . Abzulehnen ist damit jener Ansatz, welcher bei der Abwägung von Eltern- und Kindesposition von einem "stillschweigenden Vorrang" der Elterninteressen ausgeht. Auch § 1666 BGB ist jedoch im Lichte des Elternrechts auszulegen. Dies bedeutet, daß, läßt das Kindeswohl mehrere Maßnahmen zu, diejenige zu wählen ist, welche am wenigsten in die Elternposition eingreift. 2.2. Subsidiarität des Verhältnismäßigkeitsprinzips Aus dem Wort "erforderlich" des § 1666 Abs. 1 S. 1, letzt. Halbs. BGB wird die allgemeine Geltung des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Rahmen des § 1666 hergeleitet l6 . Auch § 1666 BGB steht jedoch unter dem Kindeswohlvorbehalt. Daraus folgt, daß eine Abwägung zwischen den Elternbedürfnissen und der Kindesposition überhaupt erst stattfinden kann, wenn eine Gefährdung des Kindeswohls jedenfalls nicht aktuell gegeben ist bzw. unmittelbar bevorsteht. Somit sind auch im Rahmen des § 1666 Verhältnismäßigkeitsüberlegungen zur Abwägung der Kindes- und Elterninteressen anzustellen. Sie setzen jedoch voraus, daß eine zuvor durchzuführende Prüfung ergeben hat, daß nicht aktuell oder kurz bevorstehend der Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohls erfüllt ist oder wird. Dies ignoriert eine viel kritisierte Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts l7 . Das Gericht hatte darüber zu entscheiden, ob ein gesundes Kind, welches gleich nach der Geburt von seinen behinderten Eltern gegen deren Willen getrennt worden war, aufgrund des Vgl. im 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 3 BI. Vgl. Happe, CDU/CSU-Thesenpapier, Karlsruhe am 18./19. 5. 1978, S. 2; Hinz, NJW 1983, 377, 378. 17 BVerfG NJW 1982, 1379 - mit Anm. von Hinz in NJW 1983, 378 ff. - = ZbIJugR 1982, 314 - mit Anm. von Fehnemann in ZbIJugR (Zn) 1984, 197-161 - = FamRZ 1982,567 = JZ 1982, 416. 15
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Art. 6 Abs. 2 GG (wieder) zu den Eltern zurückzuführen sei. Im Ergebnis bejahte das Gericht eine probeweise Rückführung. Bei Anwendung der zuvor aufgezeigten Prüfungsgrundsätze zu §§ 1666 f. BGB setzte eine "probeweise Rückführung" in dem vom BVerfG entschiedenen Fall die Feststellung voraus, daß - bei einer Wertung vom Kind her keine trennungsindizierende Kindesgefährdung besteht sowie - und diesen Punkt vernachlässigt das BVerfG erstaunlicherweise in seiner Entscheidung-, daß bei einer eventuellen negativen Zweitentscheidung sich ergebende erneute Änderung der Bezugsumwelt für das Kind auszuschließen ist, daß das Kind diese Änderung ggf. nicht mehr psychisch verkraften kann. Das BVerfG verkürzte in seiner Entscheidung die Diskussion, indem er diese Besonderheit der nur versuchsweisen Zusammenführung unberücksichtigt ließ. Dem Instanzgericht oblag es zu prüfen, ob bei einem Fehlschlagen der "probeweisen Rückführung des Kindes" zu seinen Eltern irreparable Schäden in der Kindespsyche (zumindest) nicht ausgeschlossen werden konnten. Erst wenn dies zu verneinen war, kam als weiterer Prüfungsgesichtspunkt überhaupt eine Abwägung zwischen den Elterninteressen (hier: die psychischen Bindungen der Mutter zum Kind) und weiteren befürwortenden Gesichtspunkten (z. B. die Integration des Kindes in die Familie; Teilhabe an der Mutterliebe) mit den gegen die Elternposition gerichteten Überlegungen aus der Kindessphäre (Erziehungsvermögen der Eltern und die daraus resultierende Gefahr, daß die Kulturtechniken nicht oder nur unvollkommen erlernt werden; Außenseiterdasein in der Klasse etc.) und unter Berücksichtigung vermittelnder Positionen (Installierung von Erziehungshilfen) in Betracht. 2.3. Gefährdung 2.3.1. Begriff Die Begriffe der "Gefahr" oder der "Gefährdung" der §§ 1666 f. BGB werden im Gesetz nicht definiert. In der familienrechtlichen Literatur wird z. T. auf eine nähere Konkretisierung verzichtet 18 . Andere "erklären" in einem Zirkelschluß "gefährdet" durch "Gefahr"19 oder der Begriff der Gefahr wird ignoriert und Gefährdung wird durch Gefährdung "interpretiert"20. Eine Begriffsklärung ist aber insofern von Bedeutung, als eine Gefährdung des Wohls des Kindes bei festzustellender Inkompetenz oder fehlendem Willen der Eltern, die Gefahr abzuwenden, die gesetzliche Interventionsvoraussetzung der §§ 1666 f. BGB darstellt. Münder, BGB-AK, §§ 1666-1666 a, Rn. 11. Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 25. 20 PalandtlDiederichsen, § 1666, Anm. 3; Staudinger/Göppinger, 10./11. Aufl., § 1666, Rn. 241. 18
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I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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Anhaltspunkte für eine Definition ergeben ggf. an anderer Stelle im BGB zu findende Gefahrenbegriffe. Ist dies nicht der Fall, ist eine eigene Konkretisierung gefordert. Im BGB sind zwei Gefahrenbegriffe gebräuchlich. Erstens - i. S. d.
§§ 446 f. BGB - als ein Risiko für ein ungewisses zukünftiges Ereignis. Zweitens - i. S. etwa der §§ 545 Abs. 1, 618, 680 BGB; entsprechend dem straf-
rechtlichen Verständnis 21 - als Zustand, bei dem die Möglichkeit einer Beeinträchtigung naheliegt bzw. eine Beeinträchtigung droht.
Die §§ 446 f. BGB enthalten eine von dem § 1666 BGB abweichende Struktur; sie behandeln eine "Gefahr der ... ", wogegen in § 1666 BGB eine "Gefahr für" (das Wohl des Kindes) behandelt ist. Berücksichtigt ist bei § 446 eine latente Gefahr; dies schließt eine Übertragbarkeit auf den Tatbestand des § 1666 BGB aus. Nach der äußeren Struktur besteht aber eine Vergleichbarkeit mit den Normen der zweiten Kategorie; so ist etwa in § 618 die "Gefahr für" ... Leben und Gesundheit erwähnt etc. Gefahr in diesem Sinne bezeichnet den Zustand des Drohens einer Beeinträchtigung22 • Dieser Zustand des Drohens muß tatsächlich zu konkretisieren sein; eine Beeinträchtigung braucht und soll dagegen tatsächlich noch nicht eingetreten (zu) sein. Diese Definition entspricht aber gerade den Bedürfnissen des Kindeswohls, indem eine tatsächliche Beeinträchtigung die Gefahr irreparabler Schäden in sich trägt, so daß die Eingriffsschwelle zur Ermöglichung präventiven Vorgehens auf den Zeitpunkt des Drohens einer Beeinträchtigung vorzuverlegen ist. Somit entspricht der Gefahrenbegriff der §§ 1666 f. BGB nach seiner Konstruktion der genannten zweiten Kategorie der im BGB gebräuchlichen Gefahrenbegriffe sowie dem strafrechtlichen Verständnis. Gefahr i. S. d. §§ 1666 f. BGB beschreibt den Zustand des Drahens einer Beeinträchtigung. Gefährdung ist dann das (dalase ader nicht dalase) tatsächliche Ins-Werk-Setzen der Gefahr. 2.3.2. Objektiv-konkrete und individuellsoziale Dimension des Begriffs Von der Konstruktion des Begriffs ist die inhaltliche Definition zu unterscheiden. Diese weicht bei den §§ 1666 f. BGB ohne Zweifel von jener der §§ 545 Abs. 1,618,680 BGB ab. Hinsichtlich der inhaltlichen Dimension vertritt Münder die Auffassung,
§ 1666 BGB sei ausschließlich aus der sozialen Situation zu konstruieren23 • Vgl. RGSt 130, 179. Daß auch der Begriff der "Gefahr" auf einen bestimmten Zustand rekurriert, übersieht Göppinger, aaO. 21
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Dagegen vertritt die h. M. nach wie vor die Auffassung einer objektiv-konkreten Interpretation24 • Wie im einzelnen im 3. Kapitel dargelegt und begründet wurde, ist der Gefährdungstatbestand schwerpunktmäßig individuell-sozial bestimmt; jedoch hat er zudem eine objektiv-konkrete Dimension. Danach gilt: a) Eine Gefährdung ist dann zu bejahen, wenn unter Erfüllung einer oder mehrerer der in § 1666 Abs. 1 S. 1, 1. Halbs. BGB genannten Tatbestandvarianten25 ein "Geborgensein" nicht (mehr) gegeben ist bzw. der "begründete" Kindeswille unbeachtet bleibt26 • Dabei dient die Klienten-Sozialnorm als Wertungsmaßstab27 • b) Eine Gefährdung ist aber auch gegeben im Falle drohender (und erst recht bei existenten) Schäden für die Gesundheit des Kindes sowie dann, wenn objektivierbar droht, daß die Sorgeverpflichteten entweder selbst in nicht unerheblicher Weise gegen straf- oder ordnungsrechtliche Vorschriften verstoßen und/oder sie das Kind zu derartigen Verstößen (vgl. insbesondere die Schulgesetze) anleiten oder diese zumindest tolerieren28 • 2.3.3. "Verschulden" Die möglichen Argumente, welche für eine Unterteilung zwischen verschuldensunabhängigen und verschuldensabhängigen Tatbestandsmerkmalen in § 1666 Abs. 1 S. 1 BGB sprechen könnten, sind von Hinz29 sehr sorgfältig dargestellt und überzeugend entkräftet worden. Mit Belchaus30 ist zudem festzustellen, daß dieser Streit keine praktische Relevanz mehr hat, da auch bei Annahme einer Unterteilung in verschuldensabhängige - und verschuldensunabhängige Tatbestandsmerkmale alle Zweifelsfälle jedenfalls als "unverschuldetes Versagen" zu qualifizieren wären. Denn eine andere Auslegung bedeutete, daß das Gesetz selbst eine Lücke auf Kosten des Kindeswohls enthielte; dies aber widerspräche der Intention der Sorgerechtneuregelung.
Münder, BGB-AK, § 1666-1666 a, Rn. 4. Vgl. statt vieler PalandtlDiederichsen, § 1666, Anm. 3 f. m. w. N. 25 Zu ihrer inhaltlichen Relativität, wegen des Auffangcharakters des "unverschuldeten Versagens" vgl. nachfolgend unter ,,2.3.3.". 26 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 ellsowie § 2 A IIIII. 2? Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 C 11 3, m. w. N. 28 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 C 11 3, m. w. N. 29 Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1666, Rn. 2l. 30 (1980), § 1666, Rn. 8. 23
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I. Abschn.: Einzelwertungen im Kindeswohlbereich
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2.4. Interventionsstufen der §§ 1666 f. BGB sowie die Bedeutung des Vorranges kommunikativen Konsenses für die Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz
Die Trennung von der Familie nach § 1666 a BGB bildet die ultima ratio; Eingriffe in die Elternpositionen haben das sich gemäß Art. 6 Abs. 2 GG von der Maßnahme des Entzugs der elterlichen Sorge her verstärkende Elternrecht zu beachten31 . Im Rahmen dieser "Verhältnismäßigkeit mit dem Grundgesetz"32 hat auch auf der Vorstufe des § 1666 a BGB, also bei § 1666 Abs. 1 BGB, Kommunikation vor Intervention zu stehen33 . Bei den § 1666 f. BGB wird wegen eines bestimmten Verhaltens interveniert, welches das Kindeswohl gefährdet. Diese Zusammenhänge sind darzustellen. Gefordert ist insoweit (irgend-)ein künftiges Verhalten, welches nicht mit dem gleichen Gefährdungsmakel behaftet isP4. Ob die Eltern zur Abwendung der Gefahr "nicht gewillt oder nicht in der Lage" sind, zeigt ein Vergleich der Verhaltenslagen (vergangenes und gegenwärtiges bzw. künftiges Gerieren). Dieser Vorrang des kommunikativen Konsens' trägt zugleich den Belangen der Eltern Rechnung, indem wegen des Vorranges des Kindeswohls die Interessen der Eltern nicht zum Preise einer Gefährdung des Kindeswohls Berücksichtigung finden; andererseits erlangt die Elternposition gleich unterhalb der Schwelle einer drohenden Beeinträchtigung des Kindeswohls wieder volles Gewicht. 2.5. Die zweifache Interventionsfunktion
Es ist unbestritten, daß die §§ 1666 f. BGB als zentrale Normen der Umsetzung des staatlichen Wächteramtes zu verstehen sind. Nur wegen der Bedeutung des Ansatzes soll hier nochmals auf die zweifache Interventionsfunktion des § 1666 Abs. 1 BGB hingewiesen werden (vgl. im einzelnen im 6. Kapitel, 2. Abschnitt, § 3): Denn § 1666 Abs. 1 BGB bildet (abgesehen von dessen Unterfall des § 1631 a BGB) die einzige Interventionsnorm bei Eltern/Kind-Konflikten.
Ausgestaltet ist der Eingriff als vormundschaftsgerichtlicher Schutz der persönlichen Kindesentwicklung im Rahmen des Amtsverfahrens. Das Vormundschaftsgericht wird hierbei i. d. R. tätig in Ausfüllung seiner allgemeinen Überwachungsfunktion. Daneben aber ergibt sich aus den Komponenten: 1. Verfassungspostulat personaler Autonomie, 2. Psycho-soziale Forderung der 31 Siehe schon im 2. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3; vgl. auch § 1666 a, Abs. 1 sowie BVerfG NJW 1982, 1379. 32 BVerfG, aaO, Leitsatz 2. 33 Im Ergebnis ebenso Münder, BGB-AK, §§ 1666-1666 a, Rn. 8. 34 Vgl. schon im 4. Kapitel, 1. Abschnitt, § 4 C, m. w. N.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
Zubilligung von Rechten entsprechend der Ausübungskompetenz, 3. § 59 FGG mit eigenem Beschwerderecht ab-14jähriger, daß das "unverschuldete Versagen der Eltern" so zu interpretieren ist, daß die fehlende Respektierung des begründeten Kindeswillens einen Eingriff i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB ermöglicht (mit dem primären Ziel des kommunikativen Konsens'). § 1666 Abs. 1 BGB erfüllt damit zugleich die Funktion einer Konflikts- und Transformationsnorm, bei welcher dem Kind die Möglichkeit gegeben ist, das (vormundschaftsgerichtliche) Verfahren anzuregen. 2. Abschnitt
Vermögenssorgeverhältnis § 1 Probleme im Untersuchungszusammenhang
A. Abgrenzung des Bereichs der Vennögenssorge
Zutreffend weist Brüggemann 1 darauf hin, daß das Vermögen des Kindesals Inbegriff aller Geldwertobjekte, die dem Kind zuzurechnen sind - und das der Vermögenssorge unterliegende Vermögen nicht kongruent sind. Aus § 1638 Abs. 1 (argurnenturn e contrario) sowie §§ 1640, 1642 BGB folgert Brüggemann2 , daß die Vermögensverwaltung das wesentliche Konstituierungsmerkmal der Vermögenssorge ist. Die Vermögenssorge bezieht sich danach nur auf jenen Teil des Kindesvermögens, welcher der Verwaltung der Eltern weder ausdrücklich (§§ 1638 f. BGB) noch - insbesondere - unter personensorgerechtlichen Aspekten entzogen wurde. Insofern beschränken die getroffenen Begründungen zum Personensorgerecht im 5. Kapitel zugleich mittelbar den Vermögenssorgebereich. So sindmit Brüggemann3 - nicht Objekte elterlicher Vermögenssorge jene Gegenstände, welche dem Kind zum eigenverantwortlichen, persönlichen Gebrauch geschenkt oder überlassen worden sind; dazu zählt aber auch jenes, was dem Kind - unter personensorgerechtlichen Aspekten - zu überlassen ist, also nicht nur das Taschengeld, sondern wenigstens der "Mindest-Verfügungsbetrag" , unabhängig, ob dieser aus einem Arbeitsverhältnis nach § 113 BGB oder aus sonstigen Erwerbsquellen stammt (Ausbildungsvergütung, sozialrechtliche Ansprüche, zivilrechtlicher Unterhaltsanspruch)4. Den Sicherungsinteressen ZbIJugR 1980, 53, 54. aaO. 3 aaO, S. 54 ff. 4 Vgl. im einzelnen im 2. bis 7. Abschnitt des 5. Kapitels. Widersprüchlich insoweit Brüggemann (aaO, S. 54 ff.); einerseits erkennt er die Zubilligung von Eigenkompetenzen an die Minderjährigen unter personensorgerechtlichen Aspekten an, mit der 1
2
2. Abschn.: Vermögenssorgeverhältnis
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des Kindes sowie dem Wortlaut des § 1666 Abs. 3 BGB - dieser geht nicht vom "Unterhaltsanspruch" aus, sondern bezieht sich auf das Recht "des Kindes auf Gewährung des Unterhalts"5 - entspricht es, die Durchsetzung des laufenden Unterhaltsanspruches der Personensorge zuzurechnen, wogegen der nach § 1613 BGB perpetuierte oder nach § 1615 e BGB kapitalisierte Anspruch die Vermögenssorge betrifft, mit der Folge des § 1641 BGB ("wirtschaftliche Vermögensverwaltung") für die zur Auszahlung gelangende Summe6 • B. Vermögenssorge und die Frage der Zubilligung einer eigenen rechtlichen Handlungsfähigkeit für das Kind
Die Frage der Zubilligung von Ausübungskompetenzen orientiert sich nach der hier vertretenen Auffassung an dem psycho/sozialen Seinszustand der Minderjährigen, in den Grenzen der zu akzeptieren Rechte anderer. Ansatzpunkt ist damit die Persönlichkeit der Minderjährigen. Nach familienrechtlichen Kategorien ist der Bereich der Personensorge betroffen. Indem die Wirkungen aus der Personensorge in das Vermögen dem Personensorgebereich "zugeschlagen" wurden, folgt daraus, daß der Konflikt von Fremdbestimmung und Selbstverwirklichung des Kindes für den Vermögenssorgebereich keine unmittelbare Relevanz hat. Einigen Problemen der elterlichen Vermögenssorge kommt allenfalls eine marginale Bedeutung für die persönliche Stellung der Minderjährigen zu, indem und soweit die vermögenssorgerechtlichen Regelungen sich auf die finanzielle Fundierung des Sozialisationsraumes Familie beziehen. Dies trifft für § 1649 BGB zu, insbesondere hinsichtlich der Streitpunkte des Verhältnisses von Verlustauffüllung und Aufbesserung des Familienunterhalts sowie der Frage, ob die Anwendung des § 1649 BGB eine blutsmäßige Verwandtschaft der Familienmitglieder voraussetzt. Mit diesen Problemen steht die Frage der Rechnungslegung im Zusammenhang, mit ihren Einzelaspekten des Grundsatzes der wirtschaftlichen Vermögensverwaltung und der Inventarisierungspflicht sowie des Verhältnisses von § 1664 mit den §§ 1667,1663 Abs. 3 BGB. Im Wechselbezug vermögensrechtlicher Überlegungen mit der personenrechtlichen Verpflichtung der Garantie eines größtmöglichen Freiraumes steht Folge autonomen Umgangs mit dem Sparguthaben sowie der Befugnis, mit der Arbeitsvergütung aus einem Arbeitsverhältnis nach § 113 BGB frei umgehen zu können, andererseits weist er die übrigen Einkünfte der elterlichen Vennögenssorge zu, wobei unklar bleibt, ob zuvor ein Abschlag in Höhe eines Taschengeldanspruchs erfolgt oder zwischen Personen- und Vennögenssorge - im Widerspruch zu dem aus §§ 1638, Abs. 1, 1640, 1642 BGB hergeleiteten Abgrenzungsgedanken - ein Wechselbezug besteht. 5 Siehe schon Brüggemann, aaO, S. 57. 6 Ebenso Bruggemann, aaO. 31 Moritz
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
dagegen das von der familienrechtlichen Literatur vernachlässigte Problem, ob eine Verpflichtung der Sorgeberechtigten zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung für das Kind anzuerkennen ist. § 2 Einzellösungen
A. Das Prinzip der "Familieneinheit" und die Vermögensinteressen des wohlhabenden Kindes bei § 1649 BGB6. I. ProblemsteUung
§ 1649 Abs. 2 BGB gestattet unter Einhaltung eines bestimmten Billigkeitsvorbehaltes sowie unter Beachtung der in seinem Abs. 1 geregelten Voraussetzungen des Verwendungsrechtes nach Abs. 27 , Überschüsse der Vermögenseinkünfte für den eigenen Unterhalt der Eltern und den der Geschwister des Kindes zu verwenden. § 1649 BGB, i. d. F. des Gleichberechtigungsgesetzes vom 18. 6. 19578 , hat im übrigen die Nutznießung der Eltern am Kindesvermögen beseitigt. Die Detailregelungen des § 1649 Abs. 1 BGB bezwecken eine Sicherung des Vermögens des wohlhabenden Kindes. Zugleich soll den Eltern ermöglicht werden, für alle FaJpjlienmitglieder einen annähernd gleichen Lebenszuschnitt zu erreichen9 •
Es besteht jedoch ein Wertungswiderspruch zum Grundsatz gleichen Lebenszuschnittes aller Familienmitglieder, wie Beitzke zutreffend festgestellt hat lO , wenn nach § 1649 Abs. 1 S. 2 BGB Einkünfte des Kindes aus Arbeit oder Erwerbsgeschäft erst nach den Vermögensüberschüssen auf den Kindesunterhalt anrechenbar sind. Dies erkennt auch die weitere Literatur an ll ; jedoch werden daraus keine Konsequenzen gezogen bzw. beschränken sich diese in dem allgemeinen Appell einer restriktiven Auslegung12 . Ebenfalls dem Wertungskonflikt "Familieneinheit"lindividuelle Vermögensinteressen entstammt die Frage, ob von einer Stufung der Abs. 1 und 2 des § 1649 BGB auszugehen ist, derzufolge die Sicherung des Vermögenswertes (Wiederauffüllung früherer Verluste eines Erwerbsgeschäftes) absoluten Vorrang gegenüber der Aufbesserung des Familienunterhalts hat 13 . Uneinigkeit besteht des 6. Zum Zusammenhang von materiell-wirtschaftlichen Grundbedingungen und Familie vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV sowie im 3. Kapitel, 2. Abschnitt 7 Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1649, Rn. 5, mit Zöller, FamRZ 1959, 393,394. 8 BGBI I S. 609. 9 Regierungsentwurf, 11. Begründung. 10 Beitzke, Familienrechtslehrbuch, § 28113. 11 SoergellLange (1981), § 1649, Rn. 9; RGRK, 10./11. Aufl., § 1649, Anm. 4. 12 Vgl. SoergellLange, aaO.
2. Abschn.: Vennögenssorgeverhältnis
483
weiteren hinsichtlich der Bedeutung der "Blutsverwandtschaft" für die Bestimmung des begünstigten Personenkreises 14 . 11. Eigene Stellungnahme
1. Bewertungsgrundsatz Auslegungsprobleme zu § 1649 BGB ergeben sich, wie gezeigt, aus den zwei diametralen Zielsetzungen der Norm. § 1649 BGB ist durch die Sorgerechtsneuregelung in seinem Wortlaut nicht verändert worden. Jedoch hat die Verschiebung der Gewichte im Personen sorge bereich Rückwirkungen auch auf die VermögenssorgeiS. Dies bedeutet nicht eine Reaktivierung eines allgemeinen elterlichen Zugriffs in das Kindesvermögen; dem steht die insoweit eindeutige Regelung des Relativsatzes in § 1649 Abs. 2 S. 1, 2. Halbs. BGB entgegen. Bedeutung erlangen die Neuregelungen der Personensorge aber bei den von Beitzke nachgewiesenen Wertungswidersprüchen bzw. bei sonst fehlender Eindeutigkeit der gesetzlichen Regelung. Die Bedeutung der Stabilität des Sozialisationsraumes Familie und der in ihr bestehenden Sozialbeziehungen wurde im 2. und 3. Kapitel dargelegt. Es liegt jedoch auf der Hand, daß Spannungen entstehen können, wenn ein unterschiedlicher Lebensstandard zwischen den Familienmitgliedern besteht. Bezüglich der Mitglieder, die den Sozialisationsraum Familie ausmachen (anwesende und vorübergehend abwesende Familienmitglieder), existiert deshalb ein begründetes Eigeninteresse der vermögenden Minderjährigen, zur Garantie einer reibungslosen Sozialisation einen möglichst gleichen Lebensstandard der Familienmitglieder zu gewährleisten. Daraus ergibt sich die Wertungsfolge: 1. Den Eltern steht kein allgemeines Entnahmerecht zu. 2. Die Vermögenssubstanz bleibt von § 1649 BGB unberührt 16 •
\3 Bejahend: Belchaus (1980), S. 122; PalandtIDiederichsen, § 1649, Anm. 2 a; Dölle (Bd. 2, 1965), S. 236; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1649, Rn. 29 ff.; KrügerlBreetzke/Nowak, § 1649, Rn. 4; StaudingerlEngler, § 1649, Rn. 7; Paulick, FamRZ 1958, 1,6. - Differenzierend: Brüggemann, ZblJugR 1980, 69 - mit Zöllner, FamRZ 1959, 396. 14 Für dieses Kriterium: SoergeIILange (1981), § 1649, Rn. 11, unter Hinweis auf die "h. M." - Ablehnend: Belchaus (1980), S. 123; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. VI 2, § 1649, Rn. 25; KrügerlBreetzke/Nowak, § 1649, Rn. 9. 15 So richtig schon Brüggemann, ZblJugR 1980, 53. 16 Ein Eingriff in den Stamm kann sich jedoch ergeben aus einem Unterhaltsanspruch der Eltern nach §§ 1601 ff. BGB, denn insoweit fehlt eine dem § 1649 BGB vergleichbare Einschränkung. - Entspr. SoergeIILange (1981), § 1649, Rn. 12; a. A. Pauliek, FamRZ 1958, 1,6.
31*
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
3. Der Eingriff in den Überschuß orientiert sich an dem Ziel des gleichen Lebensstandards der anwesenden Familienmitglieder. Daraus folgt, daß kein Anspruch auf eine bestimmte Höhe des Lebensstandards besteht. Erhöht sich jedoch der Lebensstandard des vermögenden Kindes, folgt aus der Verpflichtung der Eltern auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge sowohl in bezug auf das vermögende Kind wie bezüglich der weiteren Kinder, daß, sofern sich nicht aus besonderen Umständen (bei höherer Begabung z. B. Klavierunterricht, Studium) etwas anderes ergibt, die Eltern für eine Angleichung des Lebensstandards aller anwesenden bzw. vorübergehend abwesenden Familienmitglieder zu sorgen haben.
2. Einzellösungen ';'1,
2.1. § 1649 Abs. 1 S. 2 BGB; Wiederauffüllung früherer Verluste Werden die entwickelten Grundsätze auf § 1649 BGB angewendet, so ergeben sich folgende Konsequenzen: Die Vermögensüberschüsse werden nach § 1649 Abs. 1 S. 1 BGB auf den Unterhaltsanspruch des Kindes gegen die Eltern angerechnet. Übersteigt jedoch die Summe aus Vermögensüberschuß + Einnahmen nach § 1649 Abs. 1 S. 2 BGB den Unterhaltsanspruch, so entfällt im Umfang des übersteigenden Betrages der Anspruch des vermögenden Kindes auf Verwendung der Vermögenseinkünfte für seinen Unterhalt. Der Betrag ist nach § 1649 Abs. 2 S. 1 BGB verteilungsfähig. Die Wahrung der Vermögenssubstanz ist prinzipiell der Verteilung nach
§ 1649 Abs. 2 BGB übergeordnet; ein Eingriff kommt insofern allein über §§ 1601 ff. BGB in Betracht. Nach dem Prinzip des gleichen Lebensstandards
kommt es lediglich darauf an, eine unbegründete Ungleichheit der Lebensbedingungen der einzelnen Familienmitglieder zu vermeiden. Dies bedeutet, daß ein Überschußverbrauch dann nicht notwendig ist, wenn eine solche Ungleichheit nicht besteht. Für die Frage der Wiederauffüllung früherer Verluste bedeutet dies: Die Wiederauffüllung zweigt den Überschuß ab; eine Ungleichheit der Lebensbedingungen der Familienmitglieder wird deshalb nicht bewirkt. Soweit dieses Prinzip jedoch nicht betroffen ist, kommt der Grundsatz des Erhalts der Vermögenssubstanz in vollem Umfang zum Tragen. Somit geht die Wiederauffüllung früherer Verluste grundsätzlich der Überschußverteilung nach § 1649 Abs. 2 BGB vor. 2.2. Die Bedeutung der "Blutsverwandtschaft" für die Begünstigung nach § 1649 Abs. 2 BGB Für die Sozialisationsbeziehungen kommt es auf die blutsmäßige Verwandtschaft nicht an l7 . Das Prinzip des gleichen Lebensstandards knüpft an die
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Sozialisationsbedeutung der Familie an. Für die Bestimmung des nach § 1649 Abs. 2 BGB begünstigten Personenkreises kommt es deshalb auf die blutsmäßige Verwandtschaft nicht an. Maßgebend ist die tatsächliche Anwesenheit oder nur vorübergehende Abwesenheit als Mitglied der Familie 18 . 2.3. Anwendbarkeit des § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB bezieht sich auf die "elterliche Sorge", also auch auf die Vermögenssorge 19 . Zu denken ist vor allem an Angelegenheiten im Mischbereich von Personen- und Vermögenssorge 20 •
Aus § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB könnte zu folgern sein, daß die Eltern auch ihre Entscheidungen im Rahmen des § 1649 Abs. 2 BGB zuvor mit dem vermögenden Kind zu besprechen haben. Die Detailregelungen des § 1649 Abs. 1 und das vorgegebene Prinzip des gleichen Lebensstandards der Familienmitglieder enthalten jedoch so genaue Handlungsanweisungen, daß für eine Erörterung i. S. d. § 1626 Abs. 2 S. 2 BGB kein Raum mehr bleibt21 . B. Rechnungslegung, Inventarisierung, das Prinzip der wirtschaftlichen Vermögensverwaltung sowie das Verhältnis des § 1664 zu den §§ 1667,1666 Abs. 3 BGB Rechnungslegung (§§ 1698, 259 ff. BGB), Inventarisierung (§ 1640 BGB) sowie das Prinzip der "wirtschaftlichen Vermögensverwaltung" (§ 1642 BGB) betreffen den Konflikt zwischen Selbstverwirklichung und Fremdbestimmung des Kindes nur insofern, als in vermögensrechtlichen Angelegenheiten, erscheint dies nach Art der Angelegenheit angezeigt, über-14jährigen ein Anhörungsrecht zusteht (§ 50 b Abs. 2 S. 2 FGG). Die Rechenschaftslegung ist vom Kind einklagbar22 • 17 Vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, §§ 3/4, m. w. N. Siehe auch die sehr pointierte Stellungnahme von Fthenakis, FamRZ 1985, 666 ff., m. zahlreichen w. N. in den dort. Fn. 6 f. 18 Entspr. KrügerlBreetzke/Nowak, § 1649, Anm. 9. Mit Zöller (FamRZ 1959, 395) und entgegen KrügerlBreetzke/Nowak (§ 1649, Anm. 12) scheidet eine Ausweitung des § 1649 Abs. 2 auf volljährige anwesende Kinder aus. Dies gilt, obgleich inzwischen das Volljährigkeitsalter auf 18 Jahre herabgesetzt wurde. Gleichwohl ist spätestens mit der Volljährigkeit von einer eigenen Lebenssphäre des Kindes auszugehen, unter Lockerung der Familienbindungen. Dies hat auch Auswirkungen für die unterhalts- und vermögensrechtliche Stellung (vgl. im einzelnen im nachfolgenden 4. Abschnitt). Dieser Betonung der Eigenverantwortiichkeit steht jedoch eine aus den Familienbindungen begründete Teilhabe an den Vermögenserträgen der Geschwister entgegen. 19 Vgl. BT-Drucks. 7/2060, S. 16. 20 Vgl. bei Brüggemann, ZbIJugR 1980, 59 f. 21 I. E. Ebenso Brüggemann, ZbIJugR 1980, 60.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Eine Konfliktnorm, entsprechend jenen der §§ 1666 f. BGB für die Personensorge, stellt für die Vermögenssorge § 1667 BGB dar. Auch insoweit ist der Minderjährige lediglich als "Zurechensubjekt" des Vermögens betroffen, ohne daß der Konflikt zwischen Selbstverwirklichung und Fremdbestimmung (unmittelbar) angesprochen wäre. Die Beteiligung des Kindes erfolgt auch hier (nur) u. U. in Form der Anhörung vor dem Vormundschaftsgericht (§ 50 b Abs. 2 FGG). Einen Sonderfall schließlich stellt § 1666 Abs. 3 BGB dar. Die Sanktion der Vermögenssorgeentziehung knüpft dort an eine Gefährdung des Kindeswohls an23 . Es gelten deshalb die zum Kindeswohl gemachten Ausführungen entsprechend, mit dem Unterschied, daß die Kindeswohlgefährdung aus einer zu prognostizierenden Unterhaltsgefährdung resultiert. Daß der Maßstab des § 1664 BGB bei § 1666 Abs. 3 BGB nicht anwendbar ist, liegt auf der Hand, denn dies bedeutete eine Umgehung des Kindeswohlvorbehaltes. Aber § 1664 gilt ebenfalls nicht zugunsten der Eltern bei § 1667 BGB. Dies folgt aus der Konstruktion des § 1667 BGB - entsprechend § 1666 BGB - als Interventionsnorm. Zutreffend verweist Brüggemann24 in diesem Zusammenhang auf den Unterschied zwischen der Gefahrenabwendung für das Kindesvermögen aus einer elterlichen Pflichtverletzung (§ 1667 BGB) und der Frage, auf welche sich § 1664 BGB bezieht inwieweit die Eltern dem Kinde haftbar sind, führt die Pflichtverletzung zu einem Schaden. § 1664 BGB beschränkt somit nicht die Haftung der §§ 1666 ff. BGB; seine Funktion ist vielmehr umgekehrt als haftungsregelnde Ergänzung der §§ 1666 ff. BGB aufzufassen, an der sich bemißt, ob und inwieweit die Sorgeberechtigten zusätzlich gegenüber den Sorgerechtsunterworfenen zu haften haben 25 •
c. Anspruch des Kindes auf Abschluß einer Haftpmchtversicherung I. Ausgangsralle Fall 126 : Ein lOjähriges Mädchen (M) ärgerte in einem Straßengraben spielende Jungen, u. a. den lljährigen Beklagten (B), indem sie sie mit Sand bewarf. Die M stellte ihr Tun auf Intervention einer Verwandten ein. Als B den Graben verließ, bewarf M diesen jedoch mit einer Hagebutte. B fing diese auf und schoß sie mit einem zufällig vorhandenen Katapult auf die M. Die M wurde an einem Auge so unglücklich getroffen, daß es später operativ entfernt werden mußte. Die M begehrt von B Ersatz des ihr entstandenen Schadens sowie Schmerzensgeld. Gernhuber (1980), S. 841, mit OLG Oldenburg ROLG 3,371. BayObLG JW 1934, 912. 24 ZblJugR 1980, 68. 25 Entspr. Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1664, Rn. 2. 26 Nach BGH VersR 1964, 385 f., vgl. auch den ähnlichen Fall BGH FamRZ 1984, 764, in dem der BGH seine früheren Wertungen zur Verantwortlichkeit Minderjähriger ausdrücklich bestätigt. - Zur Fallösung vgl. Kötz (1983), S. 145 f. 22 23
2. Abschn.: Vennögenssorgeverhältnis
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Fall 227 : Der minderjährige M fuhr mit seinem Fahrrad den 91jährigen H an, der dabei zu Fall kam und den Oberschenkelhals brach. M mußte an H für Heil- und Pflegekosten insgesamt DM 10.347,05 zahlen. M, bei dem als Kleinkind ein Cerebralschaden festgestellt worden war, begehrt Erstattung dieses Betrages sowie der eigenen Anwaltskosten von der Stadt, deren Jugendamt sein Vormund war. Er macht geltend, der Freistellungsanspruch ergebe sich, da das Jugendamt es pflichtwidrig unterlassen habe, für ihn, dem M, eine Haftpflichtversicherung abzuschließen. Fall 32S : Der 17 3/4jährige S bekam in einer Gaststätte einen Streit mit K, in dessen Verlauf S dem K mit der Faust das Brillenglas ins rechte Auge schlug. K verlor durch die Verletzung 90 % seiner Sehkraft. K nahm S wegen Körperverletzung sowie dessen Eltern wegen Verletzung der Aufsichtspflicht auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes sowie auf Schadensersatz in Anspruch. 11. Problemstellung
Ein über 7 Jahre altes Kind gilt als verschuldensfähig, es sei denn, daß es "bei der Begehung der schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht" besessen hat (vgl. § 828 Abs. 2 S. 1 BGB). Führt zudem eine "Parallelwertung in der Kindessphäre"29 auf der Basis des § 276 BGB zu dem Ergebnis, daß dem Minderjährigen tatsächlich ein Verschulden zur Last fällPo, und sind die weiteren Voraussetzungen des Deliktstatbestandes erfüllt, haftet der Minderjährige für den Schaden. Fehlt es an der Verantwortlichkeit nach § 828 Abs. 2 S. 1 BGB oder wäre das Verhalten des Unzurechnungsfähigen bei einem Zurechnungsfähigen als Vorsatz oder Fahrlässigkeit zu bewerten3!, so trifft den Minderjährigen gleichwohl eine "Billigkeitshaftung" gemäß § 829 BGB, "sofern der Ersatz nicht von einem aufsichtspflichtigen Dritten erlangt werden kann" (vgl. § 829 BGB). Zusätzlich zu der Haftung des Verschuldensfähigen schuldhaft handelnden Minderjährigen kommt eine Haftung der Aufsichtspflichtigen gern. § 832 BGB aus "vermutetem Aufsichtsverschulden"32 in Betracht. Der Minderjährige und seine Aufsichtspflichtigen haften in diesem Fall dem Geschädigten als Gesamtschuldner (§ 840 Abs. 1 BGB), wobei im Innenverhältnis bei einem Nach BGH NJW 1980, 2249 = FamRZ 1980, 874 ff. Nach BGH NJW 1980, 1044 f. 29 Entspr. Kötz (1983), S. 144; vgl. auch Waibel (1970), S. 180. 30 Zu dieser Differenzierung zwischen Verschuldensfähigkeit und Verschulden vgl. BGH FamRZ 1984, 764, m. w. N. sowie Kötz, aaO, u. Waibel, aaO; s. dazu die Darlegung der und kritische Stellungnahme zur Rechtsprechung bei Waibel (1970), S. 102 ff. 31 Zu dieser Erweiterung über den Wortlaut des § 829 BGB ("nicht verantwortlich") hinaus: vgl. BGHZ 39, 281. 32 Vgl. Kötz (1983), S. 149 ff., mit Beispielen und zahlreichen weiteren Nachweisen. 27 2S
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
schuldhaften Handeln des verschuldensfähigen Minderjährigen dieser allein' verpflichtet ist (§ 840 Abs. 2 BGB). Der Minderjährige haftet somit in den geschilderten Grenzen persönlich und mit seinem Vermögen. "Spielunfälle" , "Zerstörung von Sachgütern" durch Minderjährige sowie durch Minderjährige "verursachte Straßenverkehrsunfälle" sind relativ häufig33 • Da für rechtskräftig festgestellte Ansprüche eine 30jährige Verjährungsfrist gilt (§ 218 BGB), bedeutet dies, daß der Minderjährige für eine in seiner Jugend begangene Handlung ggf. einer lebenslangen materiellen Belastung ausgesetzt ist. Es ergibt sich somit die Frage, ob nicht eine pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge gebietet, derartige Hypotheken auf die Zukunft durch Abschluß einer Haftpflichtversicherung seitens der Sorge berechtigten zugunsten des Minderjährigen auszuschließen bzw. im Falle des Unterlassens im Innenverhältnis einen Freistellungsanspruch des Minderjährigen gegenüber den Sorgeberechtigten anzuerkennen 34 • III. Meinungsstand und eigene Stellungnahme
1. Bewertung durch Literatur und Rechtsprechung Stellungnahmen dazu, ob von einer Pflicht der Sorgeberechtigten auszugehen ist, eine Haftpflichtversicherung für die Sorgeunterworfenen abzuschließen, finden sich nur selten. Kötz35 kommt das Verdienst zu, überhaupt darauf hingewiesen zu haben, daß bei der Vielzahl der Schadensersatzklagen wegen Schäden, die von Minderjährigen verursacht wurden, im Ergebnis mehrheitlich die ökonomische Frage zur Entscheidung steht, welche Versichertengemeinschaft den Schadensausgleich zu erbringen hat. Diese Verlagerung sieht Kötz 36 als "in der Regel" gegeben an; ob eine Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung anzuerkennen ist, läßt er offen. Jayme 37 meint, es müsse die "Auflockerung der elterlichen Gewalt berücksichtigt" werden; die Aufsichtspflicht der Eltern könne nicht weiter gehen, "als ihre Berechtigung ... reiche". Der sich hierbei anbietende Gedanke, um der Gewährung eines Freiraumes willen den Abschluß einer Haftpflichtversicherung als Teil der pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge zu qualifizieren, wird von Vgl. Kötz (1983), S. 141. Daneben hat diese Frage noch eine Relevanz für den Geschädigten. Denn nach der Rechtsprechung des BGH (NJW 1958,1630; NJW 1962, 2201; -vgl. die Nachweise der Judikatur sowie der kritischen Stellungnahmen bei Kötz (1983), S. 148 -) ist bei der Bezifferung des Umfangs der Billigkeitshaftung die Tatsache einer bestehenden Haftpflichtversicherung mitzuberücksichtigen. 35 (1983), S. 143. 36 aaO. 37 (1971), S. 152; ebenso Dahlgrün (1979), S. 56 ff. und Deerberg - (1978), S. 43. 33 34
2. Abschn.: Vennögenssorgeverhältnis
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Jayme indes nicht aufgeworfen. Deerberg38 plädiert dafür, die Privathaftpflichtversicherung überhaupt der privaten Disposition zu entziehen und statt dessen eine Pflichtversicherung einzuführen; wie bis zu einem entsprechenden Tätigwerden des Gesetzgebers zu verfahren ist, läßt Deerberg dagegen ebenfalls offen. Zur Billigkeitshaftung des Minderjährigen nach § 829 BGB differenziert der BGH hinsichtlich der Einstandshöhe, ob eine Haftpflichtversicherung besteht oder nichP9. Es wird somit davon ausgegangen, daß eine Haftpflichtversicherung ggf. nicht abgeschlossen ist; das Fehlen einer Haftpflichtversicherung wird vom BGH in der Weise honoriert, als sich in diesem Fall der Haftungsumfang minimiert40 • In der Entscheidung zum obigen Ausgangsfall 2 stellt der BGH fest, daß ein Vormund "jedenfalls gegenwärtig nicht grundsätzlich verpflichtet (sei), seinen Mündel gegen gesetzliche Haftpflicht zu versichern"41. Eine Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung macht der BGH von dem Vorliegen besonderer Eigenschaften und Lebensverhältnisse des Mündels abhängig. Sie wird bejaht, wenn bei dem Mündel in besonderem Maße von der Gefahr auszugehen ist, daß sich dieser, indem er Dritte schädigt, haftpflichtig macht42 . Der Bundesgerichtshof begründet seine Auffassung im Ergebnis mit dem Hinweis, daß der Abschluß einer Haftpflichtversicherung zwar zumeist objektiv ratsam sei, jedoch nicht daran vorübergegangen werden könne, daß eine solche Maßnahme "nicht als allgemein anerkannt bezeichnet werden kann"43. Ausdrücklich betont der BGH die insoweit bestehende Entsprechung der Pflichten zur Vermögenssorge, unabhängig, ob diese von den Eltern oder von einem Vormund wahrgenommen werden 44 •
2. Stellungnahme 2.1. Relevanz der Frage nach einem Anspruch der Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung 2.1.1. Das Argument der tatsächlich bestehenden Risikoabsicherung
In den zitierten Literaturäußerungen ist das Interesse des Minderjährigen auf Vermeidung materieller Zukunftsbelastungen aus Schadensersatzver(1978), S. 149 ff. BGH NJW 1958, 1630; NJW 1962, 2201; ablehnend: Böhmer, MDR 1963, 21; Hanau, VersR 1969, 291; Kötz (1983), S. 148; Pohle, MDR 1958, 838; Zustimmend: Lehnertz (1968), S. 144 f. 40 Kritisch dazu vor allem Hanau, VersR 1969, 291 und Kötz (1983), S. 148. 41 Vgl. Leitsatz 1 der Entscheidung BGH FamRZ 1980, 874 = NJW 1980, 2249. 42 Vgl. Leitsatz 2 der BGH-Entscheidung, aaO. 43 BGH FamRZ 1980, 875 r. Sp. 44 BGH, aaO. 38 39
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
pflichtungen nur von marginaler Bedeutung. Im Vordergrund der Erörterungen stehen die Absicherung der Elternhaftung45 und damit im Zusammenhang die Interessen der Gemeinschaft auf effektive Risikoabsicherung46 . Dies ist vom Ansatz her insofern zutreffend, als eine erfolgreiche Risikoabsicherung inzident das Ziel verwirklichte, den Minderjährigen vor einer materiellen Belastung seiner Zukunft durch Schadensersatzverpflichtungen zu bewahren. Deerberg sieht eine solche Risikoabsicherung bis zur gesetzlichen Festlegung einer obligatorischen Haftpflichtversicherung nach dem Vorbild der KfzHaftpflichtversicherung aber gerade nicht als gegeben an 47 . Der von Kötz vertretenen These der "in der Regel" bestehenden Haftpflichtversicherung48 stehen Berechnungen entgegen, nach welchen etwa nur 1/3 der Haushalte privathaftpflichtversichert sind, wobei vermutet wird, daß für jene Haushalte, welche nach der Familiengröße und wegen des (geringen) Einkommens besonders vorrangig zu versichern wären, eine Privathaftpflichtversicherung gerade nicht besteht 49 . Bei der vom BGH zum (Ausgangs-)Fa1l2 getroffenen Entscheidung bestand unter dem Aspekt der Risikoabsicherung eine Sonderheit insofern, als Beklagte die Stadt war, so daß die erstrebte Freistellung im Falle des Obsiegens keinen Schwierigkeiten begegnet wäre (im Gegensatz zu sorge berechtigten Eltern scheidet eine Insolvenz der Kommune - noch - aus). Fehlt real aber eine umfängliche Absicherung des Risikos für Schäden, welche von Minderjährigen verursacht wurden, so bleiben die ausgesprochenen Probleme bestehen und bedarf die Frage des Anspruches des Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung der Beantwortung. 2.1.2. Problemlösung durch eine obligatorische Privathaftpflichtversicherung Die Erörterung eines Anspruchs des Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung wäre aber auch dann entbehrlich, wenn die Bejahung eines solchen Anspruches das Ziel der Haftungsbefreiung des Minderjährigen nicht erreichte. Wird eine Haftpflichtversicherung tatsächlich abgeschlossen, ist eine solche Haftungsbefreiung real gegeben: abgedeckt sind insbesondere auch Vorsatztaten50 sowie der Schmerzensgeld anspruch als "Personenschaden"51. Fraglich ist allerdings, was geschehen soll, wird bei Bejahung eines 45 Vgl. die Titel der Abhandlungen: Deerberg, ,,§ 832 und Versicherungsgedanke"; Dahlgriin, "Die Aufsichtspflicht der Eltern nach § 832 - Entwicklung und Problematik"-. 46 Deerberg (1978), S. 149 f. m. w. N. 47 Deerberg (1978), S. 149 ff. 48 Kötz (1983), S. 143. 49 Deerberg (1978), S. 148 m. w. N. 50 Vgl. BGH FamRZ 1980, 8761. Sp. m. w. N. 51 Unstrittige Praxis der Haftpflichtversicherer.
2. Abschn.: Vennögenssorgeverhältnis
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Anspruchs auf Haftungsbefreiung durch den Abschluß einer Versicherung eine solche (pflichtwidrig) nicht abgeschlossen. Denkbar wäre in diesem Fall ein Befreiungsanspruch sowie sonstige familienrechtliche Ansprüche im Verhältnis des Kindes zu den Sorgeberechtigten (§ 1667 BGB). Dies bewirkte jedoch weder im Verhältnis zum Geschädigten eine rechtliche noch, jedenfalls bei fehlender Solvenz der Sorge berechtigten , eine materielle Entlastung des schuldfäQigen und schuldhaft handelnden Kindes. Entsprechend erblickt Deerberg die einzig mögliche Lösung in einer obligatorischen Privathaftpflichtversicherung52 . Eine obligatorische Privathaftpflichtversicherung führte zu einer effektiven Risikoabsicherung und verwirklichte damit auch einen effektiven Schutz der Minderjährigen. Eine gesetzliche Regelung, welch eine solche obligatorische Privathaftpflichtsicherung einführte, fehlt aber bislang für den vorliegenden Bereich. Es entspricht jedoch üblicher Rechtstechnik zwischen der Innehabung eines Anspruchs und seiner Realisierung zu unterscheiden. Dies muß hier um so mehr gelten, als die Realisierung eines etwa anzuerkennenden Freistellungsanspruchs des Kindes gegen die Eltern nicht per se ausscheidet, sondern seine faktische Durchsetzbarkeit von Fall zu Fall unterschiedlich zu beurteilen wäre, abhängig von der jeweiligen materiellen Situation der Sorgeberechtigten53 . Von der Anerkennung eines Anspruchs des Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung ist aber schließlich abhängig, ob zumindest vorbeugende Maßnahmen nach § 1667 BGB möglich sind.
2.2. Der familienrechtliche Anspruch des Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung 2.2.1. Begründung und Voraussetzungen eines solchen Anspruchs Der BGH54 hält es für "nicht von vornherein ausgeschlossen, aus der umfassenden Pflicht zur Vermögenssorge eine allgemeine Verpflichtung herzuleiten, (das Kind) gegen Haftpflichtzu versichern". Der BGH verneint aber diese Verpflichtung mit dem Hinweis auf die Verkehrsanschauung, nach welcher "eine solche Maßnahme ... nicht als allgemein anerkannt bezeichnet werden kann". Eine solche Verpflichtung erkennt der BGH an bei einem aus dem "Eigenschaften und Lebensverhältnissen" des Kindes resultierenden erhöhten Risiko schädigender Handlungen, sofern ein Versicherer gefunden werden kann und Geldmittel zur Bezahlung der Versicherungsbeiträge zur Verfügung stehen55 . Deerberg (1978), S. 149 ff., allerdings bezogen auf § 1632 BGB. Kötz - (1983), S. 143 - wertet entsprechend, wenn er die Eltern nur als "nicht seIten ... zur Leistung von Schadensersatz nicht im Stande" sieht. 54 FamRZ 1980, 875. 52 53
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, VennögenssorgeverhäItnis
Bei der Würdigung der Argumente des BGH ist zu berücksichtigen, daß sich seine Entscheidung auf das Verhältnis zwischen Jugendamt (als Vormund) und Mündel bezog. Der drohende Rückgriff auf die Staatskasse mag den BGH zu einer restriktiven Handhabung veranlaßt haben. Argumentationstechnisch erreicht der BGH dieses Ziel, indem er den personenrechtlichen Gesamtzusammenhang ausblendet und an dessen Stelle das Argument der Verkehrsanschauung setzt. Der Gesichtspunkt der "Überzeugung der Verkehrsanschauung" wurde vom BGH nicht einmal ansatzweise belegt. Das Argument der Verkehrsanschauung kann jedenfalls aber anders lautende gesetzliche Wertungen nicht ignorieren56 • Entsprechend können die Sorgeberechtigten nicht die ihnen erwachsenen Pflichten mit dem Hinweis darauf beseitigen, daß nach der Verkehrsanschauung eine solche Verpflichtung nicht verbindlich existiert - etwas anderes wäre es, wenn nach der Verkehrsanschauung die Annahme einer solchen Verpflichtung rechtswidrig wäre -. In diesem Fall kann die Verkehrsanschauung allenfalls entlastend hinsichtlich der Vorwerfbarkeit im Rahmen der Rechtsfolgendiskussion bei bestehender Pflichtverletzung Berücksichtigung finden. Die elterliche Vermögenssorge ist fremdnützig 57 . Ihr obliegt, das Kindesvermögen - jedenfalls - zu erhalten (argurnenturn § 1667 Abs. 1 BGB). Die pflichtgemäße Ausübung der Personensorge gebietet, den Minderjährigen einen größtmöglichen Freiraum zu belassen58 • Zutreffend leiten Jayme u. a. aus dem sich daraus ergebenen Gebot, eine präsente Beaufsichtigung weitgehend zu unterlassen, ab, § 832 BGB entsprechend restriktiv zu handhaben59 • Eine entsprechende Haftungsbeschränkung des verschuldensfähigen und schuldhaft handelnden Minderjährigen kommt dagegen nicht in Betracht60 • Somit besteht ein möglicher Widerspruch zwischen den Geboten der Vermögens- und der Personensorge. Bei der Wertung in der Kindesebene existiert eine Divergenz zwischen einerseits dem psycho/sozialen Erfordernis möglichst freien Betätigens sowie andererseits ggf. entstehender Schadensersatzverpflichtungen. Für die Lösung des Widerspruchs sind zwei Wege denkbar. Möglich wäre eine Restriktion der Bewegungsfreiheit des Kindes; eine Alternative dazu bildete die Risikoabwälzung mit Hilfe der Haftpflichtversicherung. Dabei folgt aus dem Kindeswohl-Vorbehalt, daß beide Alternativen nicht gleichwertig sind. Vielmehr kommt der freien Betätigung des Kindes der Vorrang zu. Somit gilt: Aus der pflichtgemäßen Ausübung der elterlichen Sorge folgt die Pflicht zum Abschluß einer Haftpflichtversicherung durch die SorgeBGH FamRZ 1980, 876 I. Sp. Zur rechtstheoretischen Problematik vgl. im 2·. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B 11. 57 Vgl. statt aller Gernhuber (1980), S. 838. 58 Vgl. im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, §§ 2 und 3. 59 Jayme (1971), S. 152; Dahlgrün (1979), S. 56 ff.; Deerberg (1978), S. 43; zustimmend auch Kötz (1983), S. 143. 60 Entspr. Kötz (1983), S. 144 f. 55
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2. Abschn.: Vennögenssorgeverhältnis
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verpflichteten zugunsten des Kindes, wenn der Abschluß wirtschaftlich zumutbar ist. Wegen des Haftungsrisikos führte der Nichtabschluß einer Haftpflichtversicherung zu einer Restriktion der Bewegungsfreiheit des Kindes. Die übermäßige Einengung der persönlichen Freiheit des Minderjährigen widerspräche bei einem gesunden Kind prinzipiell dem psycho/sozialen Erfordernis freien Gerierens. Somit ist insoweit der Abschluß einer Haftpflichtversicherung geboten. Die Privathaftpflichtsätze für die ganze Familie betragen z. Zt. zwischen 5 urid 8 DM im Monat. Bei dieser Größenordnung kann von einer fehlenden wirtschaftlichen Zumutbarkeit nicht ausgegangen werden. Der auf das Kind entfallende Anteil ist Teil seines Unterhaltsanspruchs. Somit ergibt sich: Im Regelfall eines gesunden Kindes bedeutet die Tätigkeitseinschränkung für den Minderjährigen, die erforderlich ist, eine haftungsbegründende Handlung des Minderjährigen zu vermeiden, eine unzulässige Restriktion der persönlichen Freiheit des Minderjährigen; die Regelsätze der privaten Haftpflichtversicherung sind wirtschaftlich zumutbar und sind Teil des Unterhaltsanspruchs des Minderjährigen; für den Regelfall der Eltern/Kind-Beziehungen besteht damit ein Anspruch des Minderjährigen auf Abschluß einer Haftpflichtversicherung zu seinen Gunsten. 2.2.2. Rechtsfolgen im Falle des Nichtabschlusses 2.2.2.1. Haftungsrechtliche Folgen Aus Schäden, die dem Kind aus der Wahrnehmung der elterlichen Sorge erwachsen, haben die Sorgeberechtigten dem Kind grundsätzlich einzustehen (§§ 1664, 276 f. BGB). Dies gilt prinzipiell auch hinsichtlich der Einstandspflicht des Minderjährigen, die diesem aus dem Nichtabschluß einer Haftpflichtversicherung entsteht, soweit ein solcher Abschluß geboten war. Dem steht nicht § 840 Abs. 2 BGB entgegen. Denn es geht hier nicht um ein Nebeneinander der Haftung des Täters und jener des Aufsichtspflichtigen - aus eigenem vermuteten Verschulden - in bezug zum Geschädigten. Vielmehr geht es um die Ersatzhaftung aus einem Unterlassen im Innenverhältnis. Die Haftung der Sorgeverpflichteten richtet sich gemäß § 1664 Abs. 1 BGB nach den Grundsätzen der diligentia quam in suis des § 277 BGB. Dies gilt nach der Rechtsprechung jedoch dann nicht, wenn der Schaden auf eine Aufsichtspflichtverletzung gegenüber dem Kind zurückzuführen ist 61 • Allgemein ausgedrückt bedeutet dies: Eine Haftungsbeschränkung gemäß §§ 1664 Abs. 1, 277 BGB scheidet dann aus, wenn es um die Ersatzhaftung für den 61 OLG Karlsruhe VersR 1977, 232 f.; OLG Stuttgart VersR 1980, 952; Palandt/Diederichsen, § 1664, Anm. 1.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Schaden aus einer unerlaubten Handlung geht und nicht um eine unerlaubte Handlung der Sorgeverpflichteten. Muß der Minderjährige wegen Fehlens einer Haftpflichtversicherung einen von ihm verursachten Schaden selbst tragen, so entfällt im Innenverhältnis Eltern-Kind ebenfalls die Haftungsbeschränkung der §§ 1664, 277 BGB. Die Haftung der Eltern aus ihrer Pflicht zur verantwortlichen Wahrnehmung der elterlichen Sorge - nicht aus § 1664 BGB, da dieser nur Haftungsmaßstab und nicht Anspruchsgrundlage ist62 tritt ein, wenn der Nichtabschluß der Haftpflichtversicherung eine zumindest leicht fahrlässige Pflichtverletzung darstellt, durch welche das spätere Einstehenmüssen des Minderjährigen begründet wurde. Es gilt die Objektivitätstheorie; auf subjektive Umstände kommt es nicht an63 , also insbesondere nicht auf das Bewußtsein der Gefährlichkeit64 • Schadensstiftende Handlungen Minderjähriger mit sehr bedeutenden Haftungsrisiken sind jedoch, wie die Ausgangsfälle zeigen, jederzeit möglich. Der Nichtabschluß einer Haftpflichtversicherung ist deshalb als schuldhafte Pflichtverletzung zu qualifizieren. Der Abschluß einer Haftpflichtversicherung für den Minderjährigen durch die Sorgeberechtigten erfolgt somit auch im Eigeninteresse der Eltern. Mittelständische Familien sichern sich mehrheitlich durch eine Haftpflichtversicherung ab 65 • Bei jenen dagegen, welche nach Deerberg66 wegen der Familiengröße oder des Einkommens besonders vorrangig zu versichern wären, fehlt überwiegend eine Haftpflichtversicherung. Eben bei diesen Familien scheidet wegen des Fehlens von vollstreckungsfähigem Vermögen aber die Durchsetzung eines Ersatzanspruchs des Minderjährigen gegen die Eltern aus. Der Jugendliche hat damit nicht nur die allgemeinen gesellschaftlichen, schichtspezifischen Nachteile zu erleiden67 , sondern muß im Falle einer im verschuldensfähigen Zustand schuldhaft begangenen Handlung zusätzlich die Hypothek der Schadensersatzverpflichtung tragen68 •
62 So nehtig Gernhuber (1980), S. 711, Fn. 15, m. w. N. der gegenteiligen Auffassung. 63 Vgl. PalandtlHeinrichs, § 277, Rn. 2, m. w. N. 64 PalandtlHeinrichs, aaO, m. w. N. 65 Vgl. die Nachweise bei Deerberg (1978), S. 148 ff. 66 (1978), S. 148. 67 Vgl. in MoritzlMeier (1982), S. 153,158,160 f., 188 ff., 207, 225. 68 Der Familienp[lege der Jugendämter und freien Wohlfahrtsverbände kommt, da ein Tätigwerden des Gesetzgebers kaum wahrscheinlich ist, die wichtige Aufgabe zu, darauf hinzuwirken, daß in den Familien eine Privathaftp[lichtversicherung abgeschlossen wird. Es handelt sich dabei um "andere Bedürfnisse", die ggf. über die Sätze der RegelUnthVO hinaus als Notwendiger Unterhalt" gern. § 12 Abs. 1 BSHG zu gewähren sind.
2. Abschn.: Vennögenssorgeverhältnis
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2.2.2.2. Familienrechtliche Folgen Als familienrechtliche Sanktion kommt § 1667 Abs. 1 BGB in Betracht. Die Vermögensgefährdung liegt bei dem soeben konkretisierten, noch verbliebenen Klientenkreis in der Gefahr des Ansammelns eines Negativ-Vermögens. § 1667 Abs. 1 BGB taugt somit als Eingriffsnorm, um im Falle der Weigerung der Sorgeberechtigten, für den Minderjährigen eine Haftpflichtversicherung abzuschließen, die Androhung der Vermögenssorgeentziehung als Druckmittel gegenüber den Sorgeberechtigten zu benutzen. Im Falle beharrlichen Verweigerns des Abschlusses einer Haftpflichtversicherung kann ein teilweiser oder umfänglicher Entzug der Vermögenssorge in Betracht kommen; der Abschluß einer Haftpflichtversicherung obliegt in diesem Fall dem zu bestellenden Pfleger. 3. Lösung der Ausgangsfälle Fälle 1 und 3 dienten im vorliegenden Zusammenhang lediglich der Illustration der Relevanz der Ausgangsfrage 69 • 70.
Der Entscheidung des BGH zu Fall 2 kann nicht gefolgt werden. Den Vormund treffen gern. § 1793 BGB grundsätzlich die gleichen Pflichten wie die Sorgeverpflichteten. Nach den hier getroffenen Wertungen hätte der Vormund eine Haftpflichtversicherung abschließen müssen. Das Kind war laut Sachverhalt auch nicht so krank, daß es ohnehin einer ständigen BeaufSichtigung bedurfte. Flolglich war nicht aus diesem Grunde der Abschluß einer Haftpflichtversicherung entbehrlich (darüber hinaus: auch eine ständige Beaufsichtigung schließt in der Regel nicht eine Fremdschädigung aus). Der geschilderte Sachverhalt löste nach Auskunft der HUK Coburg, Abteilung Bielefeld71 , auch keine besondere Risikovereinbarung aus. So bestanden auch im Hinblick auf die wirtschaftliche Zumutbarkeit keine Bedenken. Dem Erstattungsanspruch war somit gern. §§ 1793, 1833 Abs. 1, 1626 BGB; 38, 45 JWG (bzw. ggf. diese i. V. m. § 839 Abs. 1 BGB) stattzugeben.
69 Zur Lösung zu Fall 1 sowie den daran entwickelten Differenzierungen zwischen Verschuldensfähigkeit und Verschulden sowie deren Bedeutung im Rahmen des § 254 BGB vgl. im einzelnen bei Kötz - (1983), S. 145-. 70 Gegenstand der Entscheidung zu Fall 3 war vor allem die Korrelation von Alter des Kindes und Aufsichtspflicht der Sorge berechtigten. Der BGH hat zutreffend eine Aufsichtspflichtverletzung verneint. 71 Schadensabteilung; Auskunft v. 23. 3, 1983.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
3. Abschnitt
Die Berücksichtigung von Kindes-, Eltern- und Drittinteressen im Pflegekindschafts- und Adoptionsrecht Die Überschrift kennzeichnet, daß, entsprechend dem Untersuchungsgegenstand, im folgenden nicht das gesamte Pflegekindschafts- und Adoptionsrecht zur Erörterung steht. Vielmehr sollen das Pflegekindschaftsrecht sowie das Adoptionsrecht nur insoweit erörtert werden, als sich Abweichendes gegenüber dem regelmäßigen Eltern/Kind-Bezug ergibt. In diesem Sinne problematisch sind bei dem Dreiecksverhältnis des Pflegekindschaftsrechts (Eltern-Pflegeeltern-Kind) vor allem die Berücksichtigung der sozio-/psychologischen Aspekte der Anbahnung und Auflösung des Pflegekindschaftsverhältnisses bei der Dauerpflegschaft sowie die Frage der Berücksichtigung der beteiligten Interessen bei §§ 1630 Abs. 3, 1632 Abs. 4 BGB nach Maßgabe und im Rahmen von Elternverantwortung und Kindeswohl. Angesprochen sind die Probleme der Voraussetzungen (freiwillige oder notwendige Pflegerbestellung) und Reichweite der Sorgerechtsübertragung (partielle oder umfänglich), die Bedeutung des Zeit aspektes (vgl. § 1630 Abs. 3 Satz 1; § 1632 Abs. 4, 1. Halbs. BGB), die Relevanz von Kindeswohl und Anspruch des Kindes auf pflichtgemäße Ausübung der elterlichen Sorge sowie die Frage der Zulässigkeit einer Delegation der Personensorge. Beim Adoptionsrecht geht es vor allem um die sozio-/psychologische Problematik der Anbahnungsphase und ihrer rechtlichen Umsetzung. § 1 POegekindschaftsverhältnis A. Stunden-, Tages- und KurzpOegschaften ht
Aufgabe der Familie ist es, Sozialisation zu ermöglichen. Voraussetzung und wesentliches Definitionsmerkmal waren deshalb die " ... auf Dauer angelegte, wechselseitig emotional bestimmte Primärbindung ... "1. Die sozio-/psychologische Problematik des Pflegekindschaftsverhältnisses besteht in dem Austausch der natürlichen durch eine soziale Elternschaft2 ; die Pflegefamilie erfüllt ggf. alle Konstitutiva der Familie. Stunden-, Tages- oder Kurzpflegschaften3 kommt, auch bei guten Beziehungen zwischen den Pflegepersonen Vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3; 3. Kapitel, 2. Abschnitt. Vgl. Münder, ZbUugR 1981,231,236 f. 3 Von Kurzpflegschaften ist entsprechend § 50 Abs. 2, Ziff. 3 JHG-RegE bei Pflegschaften bis zu 8 Wochen zu sprechen (vgl. aber: HanslHappe (1980), § 1630, Rn. 5; SoergellLange, § 1630, Rn. 9: 3 Monate. Zenz (1982), S. A 56: 8 - 12 Wochen). Die von Simitis - (1977) - vorgeschlagene Spanne von 6 Monaten erscheint jedenfalls als zu 1
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3. Abschn.: Interessen im Pflegekindschafts- und Adoptionsrecht
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und dem Kind, prinzipiell nicht der sozio-/psychologische Elternersatzcharakter zu. Sie haben in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht lediglich eine Ergänzungsfunktion 4 • Der nicht seltene Fall, daß Pflegeeltern einer Kurzpflegschaft bemüht sind, die leiblichen Eltern auszuschalten, um zu einer Dauerpflegschaft oder Adoption zu gelangen5 , ist in den Neuregelungen der §§ 1630 Abs. 3, 1632 Abs. 4 BGB nicht erwähnt. Eine Rückführung erfolgt hier unmittelbar aus § 1632 Abs. 1 BGB; das Herausgabebegehren widerruft zugleich die zivilrechtliche Pflegeerlaubnis. Entsprechend·der Ergänzungsfunktion der Stunden-, Tages- und Kurzpflegschaft ist eine rechtsgeschäftliehe Legitimierung nur für Routinegeschäfte erforderlich. Rechtsdogmatisch genügt im Außenverhältnis das Institut der "vermuteten Vollmacht"6. Der Vorbehalt des Kindeswohls bedeutet auch hier, daß die Bestellung der Pflegeeltern grundsätzlich nicht gegen den (emotionalen oder rationalen) "begründeten" Kindeswillen erfolgen soll. Bei der äußerlichen Notwendigkeit der stundenweisen oder ganztägigen Fremdbetreuung - z. B. Berufstätigkeit der Eltern; Unvermögen der am Tage allein zu Hause anwesenden leiblichen Mutter zur "Erziehung" ist durch das nach § 28 JWG konzessionierende Jugendamt eine Verhältnismäßigkeitsabwägung im Rahmen des Kindeswohls vorzunehmen (einerseits Erhalt der· ElternlKind-Beziehung bei stundenweiser oder ganztägiger Fremdbetreuung sowie andererseits Gefährdung des Kindes durch Nicht- oder unsachgemäße Betreuung). Die Zumutbarkeitsgrenze wird auch insoweit von § 1666 (bei der Jugendamtswertung: analog) BGB bestimmt. Es ist im Rahmen des Konsensualgebotes nach § 1666 Abs. 1 BGB nach einer Alternativlösung zu suchen (Kindergarten; andere Pflegeeltern); erst in dem Fall, in dem die angestrebte oder praktizierte Betreuung durch Pflegeeltern negativer zu beurteilen ist als mögliche Alternativlösungen, wäre dem Kindeswillen - als dann "begründete" Gegenäußerung - zu entsprechen. B. DauerpDegschaft I. Die gesetzliche Neuregelung und der Meinungsstand
Durch die Neuregelung der elterlichen Sorge wurden die erst durch den Rechtsausschuß in die Entwürfe aufgenommenen §§ 1630 Abs. 3 und 1632 Abs. 4 BGB7 für die Familienpflege, die "längere Zeit" währt(e), in das lange, da dort die Ergänzung durch die Pflegefamilie schon zum Ersatz der Ursprungsfamilie führen kann. 4 Holzhauer, ZRP 1982, 222, 224; Zenz (1982), S. A 56. 5 Vgl. Baer, FamRZ 1982, 221, 224. 6 Ebenso Schwab (1982), S. A 109; vgl. auch Holzhauer, ZRP 1982, 222, 224. 7 Vgl. BT-DrS 8/2788, S. 5 und 7. 32 Moritz
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Gesetz eingefügt. In seiner Beschlußbegründung qualifizierte der Rechtsausschuß die Regelungen selbst als ersten Schritt, welcher "einerseits den Schutz des Pflegekindes sichern" bzw. dessen "Stellung (verbessern)" sollte, andererseits "jedoch einer umfassenden Neuregelung des Pflegekindschaftsverhältnisses nicht vorgreifen" wollte8 . Die Detailregelungen des JHG zum Pflegekindschaftsrecht (§§ 44, 50 ff., 54 ff.)9 fielen jedoch der Zustimmungsverweigerung durch den Bundesrat zu dem am 23. 5. 1980 schon vom Bundestag verabschiedeten JHG zum OpferlO • Die Folge sind etwas hilflos anmutende Tätigkeitsaufforderungen an den Gesetzgeber durch die einschlägige Literaturll bis hin zur Formulierung rechtspolitischer Postulate auf dem 54. Deutschen Juristentag 12 . Ob und wann sich der Gesetzgeber dem Pflegekindschaftsrecht erneut annehmen wird, ist offen. Desto dringender erscheint es, strittige Punkte zur bestehenden Rechtslage einer interessengerechten Lösung zuzuführen. Die Rechtsprechung hat sich bislang vor allem mit der Frage beschäftigt und diese im Ergebnis bejaht, daß bei einem lang' andauernden Pflegeverhältnis, dessen Beziehungen einem Eltern/Kind-Verhältnis entsprechen, das Herausgabeverlangen des Sorgeberechtigten einen Mißbrauch der elterlichen Sorge i. S. d. § 1666 Abs. 1 BGB darstellt 13 . Die von § 1632 Abs. 4 BGB selbst genannte Grenzziehung durch § 1666 BGB offenbart die Geltung des Kindeswohlvorbehaltes bei der Rückführung des Kindes. Daß der Maßstab Kindeswohl insoweit gilt, ist auch in der Literatur unbestritten 14 . Uneinigkeit besteht hingegen, ob der Kindeswohlvorbehalt darüber hinaus das allgemeine Auslegungsleitbild für die Familienpflegschaft darstellt. Denn § 1630 Abs. 3 BGB nennt den Kindeswohlvorbehalt nicht. Die allenfalls sekundäre Bedeutung des Kindeswohls machen die Ansätze deutlich, welche die Frage der Stellung der Pflegeperson unter dem Aspekt der Begebbarkeit von Elternpflichten sowie der rechtlichen Qualifizierung des Dispositionsakt,es behandeln 15 • Gleißl/Suttner 16 BT-DrS 8/2788, S. 47 "zu Art. 1 Nr. 5, Buchstabe c" sowie S. 52 r. Sp. Vgl. BT-DrS 8/4010, nebst Erläuterung in BT-DrS 8/4080. 10 Siehe schon bei MoritzlMeier (1982), Vorwort. 11 Vgl. vor allem die Gutachten von Schwab und Zenz für den 54. Deutschen Juristentag, Sonderdruck Band I, Teil A, München 1982. Siehe auch Behn, ZbIJugR 1980, S. 1 ff.; Holzhauer, ZRP 1982, 222 ff. sowie Simon, NJW 1982, 1673 ff. Den Versuch, auf der Grundlage der bestehenden Gesetzeslage zu praktikablen und interessegemäßen Ergebnissen zu kommen, unternehmen vor allem Baer, FamRZ 1982,221 ff.; Münder, ZbIJugR 1981, 231 ff. sowie Geißl/Suttner, FamRZ 1982,122 ff. 12 Vgl. die Zusammenfassung der Beschlüsse der I. Abteilung, Familienrecht, in NJW 1982, 2545. 13 So OLG Karlsruhe NJW 1979, 930 ff.; AmtsG Frankfurt FamRZ 1982,1120 ff. 14 Baer, FamRZ 1982, 221, 223; Geißl/Suttner, FamRZ 1982, 126, 127; Holzhauer, ZRP 1982, 224 f.; SoergellLange (1981), § 1632, Rn. 23. 15 Vor allem Holzhauer, ZRP 1982,222,224; vgl. auch die Darstellung durch Schwab - (1982), S. A 75 ff. - m. w. N. 16 FamRZ 1982, 122, 123. 8
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3. Abschn.: Interessen im Pflegekindschafts- und Adoptionsrecht
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lesen nach ihren Worten zwar "den Begriff des ,Kindeswohls' in § 1630 Abs. 3 BGB hinein"; in Formulierungen wie "die Übertragung nach § 1630 Abs. 3 soll hauptsächlich erzieherischen Belangen dienen"17 oder "durch § 1630 Abs. 3 soll ... dem Willen der leiblichen Eltern Rechnung getragen und ... die Pflege des Kindes auf Dauer gesichert werden"18 offenbart sich jedoch die vorwiegend technische Blickrichtung der Autoren. Kindeswohl wird nicht individuell und vom Kind her definiert, vielmehr wird das Kind als Objekt im Streitverhältnis der beteiligten Erwachsenen (Eltern, Pflegeeltern) betrachtet 19 , dessen Wohlergehen abstrakt zu erfassen ist. Dem steht jene Auffassung gegenüber, welche den Kindeswohlvorbehalt als unbeschränkt gültig erachtet20 . Einige folgern aus dem Kindeswohlvorbehalt die Elternpflicht einer restriktiven Handhabung der Delegation der Sorgerechtsausübung21 . Andere dagegen ziehen die Konsequenz einer möglichst weitgehenden Übertragung22 . Die Bedeutung des Kindeswohls wird zudem unter dem Aspekt diskutiert, ob und ggf. von welchem Alter an (meist 14. Geburtstag) die Zustimmung des Minderjährigen als Wirksamkeitsvoraussetzung des Pflegeverhältnisses anzuerkennen ist23 . Im Zusammenhang mit der Frage nach der Bedeutung und dem Inhalt des Kindeswohls für das Dauerpflegeverhältnis stehen schließlich die Auslegung des Begriffs "längere Zeit"24, das Problem der Inpflegegabe durch das Jugendamt 25 sowie die Frage, ob die Übertragung von Angelegenheiten nach § 1630 Abs. 3 BGB durch das Vormundschaftsgericht auf Antrag der Eltern wieder rückgängig gemacht werden muß26. aaO, S. 124 r. Sp. aaO, S. 124 r. Sp. 19 Zu dieser Technik juristischer Wertung und ihren Ursachen vgl. die anschauliche Darstellung bei Klußmann (1981), S. 240 f. 20 Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1630, Rn. 19. 21 Belchaus (1980), § 1630, Rn. 8. Allgemein für eine restriktive Handhabung auch: Gross (1979), S. 90; JanslHappe (1980), § 1630, Anm. 6; SoergellLange (1981), § 1630, Rn. 9. 22 GleißUSuttner, FamRZ 1982, 122 f. - allerdings eher unter dem Eindruck der Gesetzesintention auf Ausbau der Stellung der Pflegeeltern -. Vgl. aber auch Schwab (1982), S. A 97; Münder, BGB-AK, § 1630, Rn. 4; Brüggemann, ZbIJugR 1980, 63; differenzierend Baer, FamRZ 1982, 221, 229 m. w. N. in dort. Fn. 57. 23 Vgl. Schwab (1982), S. A 83 f. m. w. N. 24 Vgl. GleißUSuttner, FamRZ 1982, S. 125 m. w. N. 25 Bejahend Münder, BGB-AK, § 1631, Rn. 4, mit Gross (1979), S. 72 f.; zweifelnd Baer (FamRZ 1982, 229) für den "zwangsweisen Abschluß eines Pflegevertrages" . 26 Für einen Rückübertragungsanspruch: Belchaus (1980), § 1630, Rn. 10; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1630, Rn. 24; SoergellLange (1981), § 1630, Rn. 9. Bejahend auch GleißUSuttner - FamRZ 1982, 124 -, mit dem (freilich selbstverständlichen) Vorbehalt, daß das Rückgabeverlangen nicht gegen § 1666 BGB verstößt. Für eine allgemeine Geltung des Kindeswohlvorbehalts dagegen Baer, FamRZ 1982, 229 (zum Parallelproblem der Aufhebung der Beistandschaft vgl. die Nachweise bei GleißUSuttner, aaO, S. 124, Fn. 19). 17
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis 11. Stellungnahme
1. Rechtliche sowie psycho/soziale Funktion der Familienpflege Die rechtliche Beurteilung von offenen Einzelfragen hängt wesentlich von der Aufgabenstellung ab, welche dem Institut der Familienpflege zugewiesen ist. Die freiwilligen ebenso wie die Eingriffsmaßnahmen der Jugendhilfe sind letztlich Ausdruck dessen, daß das Menschenbild des Grundgesetzes von einem Bürger, welcher fähig zur eigenständigen und eigenverantwortlichen Ausfüllung des ihm gegebenen Freiraums ist, mit der Realität nicht immer übereinstimmt27 • Bei der Familienpflege als staatlicher Familienhilfe sind zwei Varianten zu unterscheiden, bei denen die Eingriffsschwelle unterschiedlich ist. Zum einen wird das JugendamtNormundschaftsgericht von Amts wegen in Ausfüllung des Überwachungsauftrages des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 GG (~ nach §§ 1666,1631 a BGB; 37 ff., 67 ff. JWG) tätig28 • Bei den demgegenüber freiwilligen Maßnahmen bedarf es der Mitwirkung der Personensorgeberechtigten "nur in irgendeiner Weise" (vgl. §§ 1630 Abs. 3 Satz 1, 1685 Abs. 1 BGB; §§ 56 Abs. 1,63 Satz 1 JWG). Die Familienpflege ist nach der Gesetzeskonstruktion zivilrechtlich fundiert (§ 1630 BGB) und bedarf zusätzlich der öffentlich-rechtlichen Erlaubnis (§ 28 JWG). Die freiwilligen Vereinbarungen sowie die Eingriffsmaßnahmen haben somit ergänzenden bzw. (als ultima ratio der §§ 1666 a BGB, § 64 ff. JWG) ersetzenden Charakter in dem Umfang, wie die Personensorgeberechtigten ihrer (Sozialisations-)Aufgabe nicht gerecht werden. Aus dieser Funktion ergibt sich, daß prinzipiell eine Drittbeteiligung nur so weit gehen darf, wie eine Eigenausübung nicht möglich ist. Dies bedeutet aber zugleich, daß dort, wo eine Teilbarkeit der Aufgabe aus der Natur der Sache ausscheidet, nur die Möglichkeit einer Gesamtübertragung in Betracht kommt. Ob Sozialisation funktionell teilbar ist, ergibt sich aus dem sozio/psychologischen Inhalt der Sozialisation. Primärsozialisation ist fundiert, wie gezeigt, in der Emotionalbindung zwischen dem Kind und der Primärbezugsperson29 . Alle Ausübungskompetenzen innerhalb dieser emotionalen Primärbindung sind lediglich technischer Natur; insofern ist eine separate Übertragung prinzipiell möglich. Wo Einzelkomponenten dagegen zugleich sichernden Charakter für die Primärbindung haben, scheidet eine Einzelübertragung aus. Mit anderen Worten: Bei Tages- oder Kurzpflegschaften hat diese auf die (indiviVgl. schon MoritzlMeier (1982), S. 1 ff. G1eichwohlliegt auch insofern die Hauptaufgabe in der vorbeugenden Tätigkeit, nachdem die akute Gefahrenlage beseitigt ist; s. im einzelnen im vorstehenden 1. Abschnitt, § 3. 29 Vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, §§ 3/4; 3. Kapitel, 2. Abschnitt. 27
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3. Abschn.: Interessen im PfIegekindschafts- und Adoptionsrecht
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duell festzustellende) Primärbindung prinzipiell keine Wirkung: eine Übertragung von Sorgerechtsausübungskompetenzen auf die Pflegeeltern bezieht sich auf Einzelkomponenten zur Erledigung der Alltagsgeschäfte. Bei der - hier interessierenden - Dauerpflegschaft bildet den Maßstab der Kompetenzübertragung gleichfalls die emotionale Primärbindung. So lange eine solche zu den Pflegeeltern (noch) nicht besteht, ist der Maßstab für die Zubilligung der Ausübungskompetenzen jener der technischen Funktion der Personensorge; dabei kann unter Kindeswohlgesichtspunkten zugleich die Restriktion der Elternbefugnisse angezeigt sein. Besteht bzw. ist, in Abhängigkeit vor allem von der Variablen Lebensalter des Kindes und tatsächliche Dauer des Pflegeverhältnisses, eine emotionale Primärbindung zwischen dem Pflegekind und den Pflegeeltern (=Familie30) entstanden, führt dies zu der notwendigen Konsequenz, den Pflegeeltern die gesamte elterliche Personensorge zu übertragen31 • 2. Auslegungsmaßstab Kindeswohl 2.1. Grundsatz der Geltung des Kindeswohl-Vorbehaltes Das Familienpflegeverhältnis ist einerseits zivilrechtlich (§§ 1630 Abs. 2, 1632 Abs. 4 BGB) wie andererseits öffentlich-rechtlich (§§ 27 ff. JWG) fundiert. Der Vorbehalt des Kindeswohls gilt in beiden Regelungskomplexen. So findet nach der Leitnorm des § 1627 BGB für alle kindschaftsrechtlichen Sozialisationsregelungen der Maßstab des Kindeswohls Anwendung. Die Orientierung am Kindeswohl für das Jugendamt bei Erteilung und Widerruf der Pflegeerlaubnis ergibt sich aus § 29 JWG. Die Geltung des Kindeswohlvorbehalts bei Installierung, Durchführung und Beendigung des Familienpflegekindschaftsverhältnisses folgt allgemein aber schließlich aus dessen Funktion. Als "Hilfe zur Erziehung" im Sinne des § 6 JWG dient es dem Recht des Minderjährigen auf "Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit" i. S. des § 1 Abs. 1 JWG. Die Jugendhilfeangebote gelten entsprechend dem Grundsatz der Subsidiarität öffentlicher Jugendhilfe (vgl. § 1 Abs. 3 JWG) nur ersatzweise oder ergänzend zu den elterlichen Sorgebefugnissen. Da diese unter dem Vorbehalt des Kindeswohls stehen, muß gleiches auch für die ersatzweise eingreifenden Maßnahmen gelten.
Vgl. schon im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D 11; 3. Kapitel, 2. Abschnitt. Ähnlich Baer, FamRZ 1982, 221, 229; Diederichsen, FamRZ 1978, 461, 471 f.; Münder, ZblJugR 1981, 231, 235 ff., Schwab (1982), S. A 99; Simitis, AGJ-Mitt., Heft 2, S. 29. A. A., i. S. zumindest eines Rückübertragungsanspruchs der leiblichen Eltern: Belchaus (1980), § 1630, Rn. 10; GleißUSuttner, FamRZ 1982, 122, 124; Hinz, MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1630, Rn. 24; SoergeVLange (1981), § 1630, Rn. 9. 30
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
2.2. Grenze: Ausübungswille der Pflegeeltern Diejenigen, welche die Geltung des Kindeswohlvorbehaltes anerkennen, sehen diesen begrenzt jedenfalls durch die Bereitschaft der Pflegeeltern, die Familienpflege auszuüben bzw. beizubehalten32 . Dem ist zuzustimmen. Denn die Freiwilligkeit der Ausübung ist Voraussetzung dafür, daß ein emotionaler Sozialisationsbezug , welcher Bedingung für die Kindeswohladäquanz ist, besteht33 • Folglich ist die Stellung der Pflegeeltern nicht vergleichbar mit jener des Vormundes; eine Anwendung der §§ 1785 ff. BGB scheidet aus 34 • Des weiteren findet das Kindeswohl seinerseits eine Begrenzung in den Persönlichkeitsrechten der beteiligten anderen35 • Dies schließt die Reduzierung der beteiligten Erwachsenen auf eine ObjektsteIlung unter der Prämisse des Kindeswohls aus. Selbst den leiblichen Eltern steht eine Ausübungsverweigerung insofern zu, als sie etwa das Kind "zur Adoption freigeben" können oder indem (zumindest) ein Elternteil auf die elterliche Sorge verzichten kann (§ 1671 Abs. 3 BGB). Dann aber muß es auch den Pflegeeltern offen stehen, die Pflegeelternschaft zu verweigern oder niederzulegen. Die Aufgabe des Jugendamtes nach §§ 27 ff. JWG bzw. des Vormundschaftsgerichts nach §§ 50 a-c FGG besteht gerade darin, einer solchen Niederlegung vorzubeugen, da diese schwere nachteilige Wirkungen für die Psyche des Kindes haben kann. Die Pflegeeltern sind dadurch in ihrer Entscheidung jedoch rechtlich nicht beschränkt36 • 2.3. Die Bedeutung des Kindeswillens Der Kindeswohlvorbehalt realisiert sich gerade in der Berücksichtigung des "begründeten" Kindeswillens. Einen (z. B. emotionalen) Kindeswillen gibt es auch schon vor dem 14. Geburtstag37 • Entgegen Schwab und anderen 38 ist der 32 33
H.
GleißUSuttner, FamRZ 1982,123,124; Schwab (1982), S. A 95. Zu diesen Zusammenhängen vgl. im einzelnen im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 C
34 Mit gleicher Begründung schon Gleißl/Suttner, FamRZ 1982, 124, mit Schlechtriem, in Jauernig u. a. (1981), § 1630, Anm. 4. 35 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B. 36 Bei der Übernahme der Familienpflege aufgrund familienrechtlichlschuldrechtlichen Vertrages - (vgl. Beitzke (21. Aufl., 1980), S. 267; Gleißl/Suttner, FamRZ 1982, 124. Kritisch hinsichtlich der rechtlichen Konsequenzen Schwab (1982), S. 80 ff.) setzte, nimmt man die schuldrechtliche Komponente ernst, die vorzeitige Einstellung der Pflege die Pflegeeltern in Verzug. Andererseits widerspräche es gerade dem Sozialisationszweck des Pflegeverhältnisses, eine Betreuung ohne Zuwendung aufrecht zu erhalten. Zusätzlich zu den von Schwab - (1982), S. A 75-92 - vorgebrachten Bedenken, hätte eine schuldrechtliche Konstruktion jedenfalls, um dem Sozialisationsaspekt Rechnung zu tragen, ein Rücktrittsrecht der "Pflegeverpflichteten" - zumindest inzident - vorzusehen. 37 Vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 2; insbes. S. 245 ff.
3. Ab&chn.: Intere&&en im Pflegekind&chaft&- und Adoptionsrecht
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Kindeswille deshalb für die Entscheidung im Pflegekindschaftsrecht nicht erst von der Vollendung des 14. Lebensjahres an von Bedeutung. Im Rahmen des Kindeswohlvorbehaltes bindet Jugendamt und Vormundschaftsgericht der (emotionale bzw. rationale) "begründete" (!)39 Kindeswille auch schon vorher. Mit dem 14. Geburtstag tritt eine Qualifizierung nur durch hinzutretende Bescheidungs- und Beschwerderechte im FGG-Verfahren ein40 • Ein zusätzliches Zustimmungs- oder Vetorecht des Minderjährigen zur Wirksamkeit des Pflegeverhältnisses ist dagegen weder im BGB vorgesehen, noch ist dieses bei Anerkennung des Kindeswohlvorbehaltes und dessen verfahrensrechtlichen Konsequenzen erforderlich 41 . Die Beachtlichkeit des Kindeswillens gilt sowohl für die Dauerpflegschaft als auch bei Stunden-, Tages- oder Kurzpflegschaften, wobei jedoch der unter "A" begründete Ersatzcharakter dieser Pflegschaftsvarianten zu beachten ist.
3. Weitere Einzel/ragen 3.1. Rechtliche Möglichkeit und Umfang einer Delegation der Sorgerechtsausübung 3 .1.1. Untervertretung und gerichtliche Übertragung Für die Begründung der Familienpflege gibt es zwei Wege: 1. Die privatrechtliche Begründung durch einen grundsätzlich formfreien "Pflegevertrag"42, i. V. m. einer öffentlich-rechtlichen Genehmigung nach § 28 JWG; im Pflegevertrag werden dabei die Betreuungstätigkeit, das Entgelt etc. bestimmt; an den Pflegevertrag knüpft für das Außenverhältnis eine Vollmachtsvermutung an43 . 2. Die Übertragung nach § 1630 Abs. 3 BGB. Schwab (1982), S. A 83 m. w. N. in dort. Fn. 44 f. Zur Frage der Begründetheit vgl. das Beispiel vorstehend unter "A". Ebenso wäre auch in dem von Diederichsen (FamRZ 1978, 472 f.) zitierten Fall, in dem ein 8jähriger zu der suizid-gefährdeten Mutter zurück will, die Willensäußerung wegen des damit verbundenen physischen Risikos auch für das Kind, nicht als "begründet" anzusehen (vgl. im 4. Kapitel beim Kindeswohl: "Vorbehalt der psychischen Gefährdung", S. 245 ff.). 40 Vgl. im 6. Kapitel, 2. und 3. Abschnitt. 41 I. E. ebenso Schwab (1982), S. A 83, gegen Lüdemann und Blandow (vgl. die Nachweise bei Schwab, aaO, Fn. 44) 42 Vgl. Beitzke (21. Aufl., 1981), S. 267; Schwab (1982), S. A 75, m. w. N. in den dort. Fn. 25 f. 43 Dies folgt aus Praktikabilitätsgründen, da, unabhängig von der Ausgestaltung des Pflegevertrages, den Pflegeeltern die Erfüllung ihrer Aufgabe ermöglicht würde. Der Vertretungsumfang ergäbe sich aus der Ausgestaltung (Art der Sozialisationsbeziehungen, tatsächliches Interesse der Eltern, Dauer des Pflegeverhältnisses) des konkreten Pflegeverhältnisses. Das von Schwab (aaO, S. A 92) angeführte Willensargument sticht bei der Vertragsgrundlage des Pflegevertrages sui generis nicht. - Zum inzidenten Rücktrittsrecht der Pflegeeltern vgl. in obiger Fn. 36-. 38
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Zutreffend weist Schwab44 darauf hin, daß bei der 1. Variante einer Begründung der Familienpflege eine Delegation der Sorgerechtsausübung nicht stattfindet; es bleibt vielmehr die Zuständigkeit der Sorgeberechtigten erhalten, die Pflegeeltern nehmen lediglich die Position eines Untervertreters ein. Bei dieser Konstellation scheiden verfassungsrechtliche Bedenken aus, da eben eine Delegation des Sorgerechts nicht stattfindet. Demgegenüber findet bei der Übertragung durch das Vormundschaftsgericht eine Entäußerung der Sorgerechts ausübung auf die Pflegeeltern kraft gerichtlichen Aktes statt. Die verfassungsrechtliche Legitimation dazu ergibt sich aus der Pflichtbindung des Elternrechts45 , das Kind zu einem autonomen Bürger zu "erziehen". Soweit die Eltern nicht dazu in der Lage sind, diese Aufgabe zu erfüllen, muß es ihnen möglich sein, mit Hilfe des Gerichts das Sorgerechtsziel auf andere Weise zu erreichen 46 • Die Übertragungsschwelle bei der objektiven Gefährdung festzusetzen, nähme in Kauf, daß bis zur Übertragung eine Kindeswohlgefährdung real schon erfolgte. Die "freiwillige" Übertragung der elterlichen Sorge steht deshalb nicht unter dem Vorbehalt objektiver Kindeswohlgefährdung, sondern liegt im Ermessen der Eltern47 • 3.1.2. § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB, § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB analog sowie § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB i. Y.m. §§ 888 Abs. 1 ZPO, 1666 Abs. 1 BGB, auf Antrag der Pflegeeltern aus eigenem, kindeswohlgebundenem Recht Das Vormundschaftsgericht ist nach der Gesetzeskonstruktion bei der Sorgerechtsübertragung des § 1630 Abs. 3 BGB an den Antrag des Sorgeberechtigten gebunden; es kann danach zwar hinter dem Antrag zurückbleiben - da nicht mehr als erforderlich auf die Pflegeeltern übertragen werden kann 48 -, grundsätzlich kann es im Verfahren nach § 1630 Abs. 3 jedoch nicht über den Antrag hinausgehen 49 • Die praxisbezogene LiteraturSO weist darauf hin, daß die Eltern wegen der "Schwellenangst" gegenüber Gerichten sowie allgemein aus Desinteresse kaum geneigt sind, einen Antrag nach § 1630 Abs. 3 BGB zu stellen. Aus der Pflichtgebundenheit des Elternrechts wird gefolgert, daß die "Entäußerung" der Sorgerechte nur restriktiv erfolgen dürfe S1 • Der umgekehrte Fall, daß die aaO, S. A 90 ff. Vgl. im 2. Kapitel, 5. Abschnitt; insbes. S. 135 ff. 46 Zum Meinungsstand vgl. die Nachweise in obiger Fn. 31. 47 Entspr. auch Schwab (1982), S. A 97. 48 Vgl. in diesem Paragraphen unter "B 11 1"; s. auch Gleißl/Suttner, FamRZ 1982, 123 m. w. N. in dort. Fn. 14. 49 H. M., vgl. etwa Gleißl/Suttner, FamRZ 1982,123 r. Sp., m. w. N. 50 Vgl. Baer, FamRZ 1982, 228; Münder, BGB-AK, § 1630, Rn. 4. 44 45
3. Abschn.: Interessen im PfIegekindschafts- und Adoptionsrecht
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Pflichtbindung eine Entäußerung der Sorgerechte gebieten kann, wird dagegen seltener reflektiert; Schwab52 verweist auf eine (erst zu schaffende) künftige Regelung. Zuzustimmen ist Baer53 , wenn sie auf den dynamischen Charakter der Sozialisation (auch) in der Pflegefamilie hinweist. Daraus folgt, daß eine umfängliche Sorgerechtsübertragung von Anbeginn der Familienpflege nicht in Betracht kommt. Dies gilt auch dann, wenn sicher ist, daß die natürlichen Eltern ihr Sorgerecht auf unbegrenzte Zeit nicht ausüben können. Denn aus der sozial/psychologischen Funktion der Pflegefamilie folgt, daß die Übertragung der gesamten elterlichen Sorge mit der sozialen Elternschaft korrelieren muß. Deren Existenz setzt jedoch eine längerfristige vorherige Sozialbeziehung zwischen den Pflegeeltern und dem Kind zur Entwicklung des "Geborgenseins"54 voraus. Denn wenn in diesem Fall eine sachverständige Analyse die Existenz einer sozialen Elternschaft feststellt, so erfüllte die Verweigerung eines Antrages der Eltern auf Übertragung der elterlichen Sorge auf die Pflegeeltern (d. h. zumindest der Personensorge; wegen der möglichen Konflikte aus der Belassung der Vermögenssorge, aber auch in der Regel der gesamten elterlichen Sorge)55 den Tatbestand eines (zumindest) "unverschuldeten Versagens" des § 1666 Abs. 1 BGB. Die §§ 1666 f. BGB eröffnen jedoch für das ggf. auf Anregung der Pflegeeltern tätig werdende Vormundschaftsgericht lediglich die Möglichkeit der Sorgerechtsentziehung. Eine Sorgerechtsübertragung auf die Pflegeeltern erforderte dagegen gemäß § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB einen Antrag der Sorgeberechtigten; § 1632 Abs. 2 BGB ist ebenfalls nicht einschlägig, da dort auf den - anderen - Fall der Beendigung des Pflegeelternverhältnisses abgestellt wird. Ein Antragsrecht der Pflegeeltern ist im Gesetz nicht berücksichtigt. Ein solches ergibt sich jedoch aus den §§ 1627, 1630 Abs. 3 S. 1 BGB, § 888 Abs. 1 ZPO sowie dem Rechtsgedanken des § 57 Abs. 1 Ziff. 9 FGG56. Das Pflegeelternrecht stellt - im Rahmen seiner Übertragung - ein Ergänzungsoder Ersatzrecht für das elterliche Sorgerecht dar. Elterliches Sorgerecht und Pflegeelternrecht unterstehen gleichermaßen dem Kindeswohlvorbehalt; denn wenn das Elternrecht kindeswohlgebunden ist, muß dies entsprechend für das "Ersatzrecht" gelten. Die Beachtung des Kindeswohlvorbehaltes stellt eine eigenständige Verpflichtung dar. Damit aber ist die in § 57 Abs. 1 Ziff. 9 FGG vorausgesetzte Konstellation des Handeins zum Wohle des Kindes, jedoch im eigenen Namen und aus eigenem Recht 5? durch die Pflegeeltern GleißlISuttner, FamRZ 1982,123; SoergellLange, § 1630, Rn. 9. aaO, S. A 99 f. 53 FamRZ 1982, 229. 54 Zu den Zusammenhängen vgl. im 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 1 eil. 55 So wohl auch BTÜggemann, ZbIJugR 1980, 53, 63 f. - Ggf. ist entsprechend BTÜggemann, aaO, den Pflegeeltern ein Beistand zu bestellen. 56 Zu § 57 FGG vgl. Keidel u. a., 11. Aufl., § 12, Rn. 2b. 57 Vgl. Jansen, FGG, 2. Aufl., Berlin 1970, § 57, Rn. 27. 51
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7. Kap.: SoziaJisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
erfüll bar . Gebietet das Kindeswohl den Schutz der bestehenden Emotionalbindungen zwischen dem Kind und den Pflegeeltern, steht deshalb den Pflegeeltern aus eigenem, kindeswohlgebundenem Recht (argurnenturn a maiore ad minus zum Elternrecht) entsprechend dem Rechtsgedanken des § 57 Abs. 1 Ziff. 9 FGG ein Antragsrecht auf Übertragung der elterlichen Sorge zu, wobei der Elternantrag des § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB entsprechend § 888 Abs. 1 ZPO ersetzt wird. Für die Begründetheit ist die inzident zu prüfende Erfüllung der Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB erforderlich. Für den Fall, daß die Inpflegegabe durch den Vormund, den Pfleger oder durch das Jugendamt als Aufenthaltspfleger oder im Rahmen des § 5 f. JWG stattfindet, erfolgt nach Münder u. a. 58 eine Inpflegegabe analog § 1630 Abs. 3 BGB. Baer verneint eine solche Analogie mit dem Argument, daß einer der Erwachsenen aus dem potentiellen Pflegeelternpaar unmittelbar zum Vormund oder Pfleger bestellt werden könne, so daß damit das Bedürfnis zu einer Inpflegegabe analog § 1630 Abs. 3 BGB entfiele59 . Baer verkennt indes, daß mit der Pflegeelternschaft nicht nur eine rechtstechnische Vertretungskompetenz einhergeht, sondern die vorrangige Bedeutung in der soziol psychologischen Funktion in Ergänzung zum ElternlKind-Verhältnis steht. Dies unterscheidet die Pflegeelternschaft von jener des Vormundes oder Pflegers. Insofern besteht bei der Übertragung durch den Pfleger eine entsprechende Lage zu jener Situation der Übertragung auf Antrag der Eltern, welche nicht durch die Berufung der Pflegeperson zum Vormund oder Pfleger zu ersetzen ist. § 1630 Abs. 3 BGB ist deshalb insoweit analog anzuwenden. 3.2. "Längere Zeit" i. S. der §§ 1630 Abs. 3 S. 1, 1632 Abs. 4 S. 1 BGB Sowohl § 1630 Abs. 3 S. 1 als auch § 1632 Abs. 4 S. 1 BGB enthalten das Tatbestandsmerkmal "längere Zeit". Zutreffend weisen Gleißl/Suttnerffl darauf hin, daß trotz identischer Terminologie eine inhaltliche Kongruenz des Begriffs in beiden Normen nicht besteht, sondern eine Interpretation aus dem (jeweiligen) Regelungszusammenhang zu erfolgen hat. "Längere Zeit" des § 1630 Abs. 3 S. 1 BGB dient insofern der Qualifizierung als Dauerpflegeverhältnis. "Längere Zeit" ist technisch-praktisch bestimmt durch jenen Zeitraum, bei dem (erfahrungsgemäß) das praktische Bedürfnis besteht, Angelegenheiten der elterlichen Sorge auf die Pflegeperson zu übertragen 61 • Gross (1979), S. 72 f.; Münder, BGB-AK, § 1630, Rn. 4. Baer, FamRZ 1982, 229 f. 60 FamRZ 1982,125. 61 Auf ein darüber hinausgehendes Bedürfnis, dies auch vom Vormundschaftsgericht absichern zu lassen, kommt es demgegenüber entgegen Ronke (in Erman/Ronke, 7. Auf!., § 1630, Rn. 11) nicht an. - Zur zeitlichen Fixierung vgl. die Nachweise in obiger Fn.3. 58
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3. Abschn.: Interessen im Pflegekindschafts- und Adoptionsrecht
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§ 1632 Abs. 4 S. 1 BGB dient dagegen dem Schutz der sozio/psychologisehen Bindung zwischen der oder den Pflegeperson(en) und dem Kind 62 • "Längere Zeit" i. S. dieser Vorschrift ist damit individuelVkonkret zu prüfen anhand der Frage, ob eine Primärbindung (mindestens) zu einer der Pflegepersonen besteht63 .
3.3. Bindendes Rückgabeverlangen der Eltern? Wie bei Stunden-, Tages- oder Kurzpflegschaften stehen den Pflegeeltern auch bei der lediglich privatrechtlieh begründeten und öffentlich-rechtlich konzessionierten Familienpflege eigene Sorgerechte nicht zu. Gleichwohl ist auch bei dieser Art der Dauerpflegschaft das Entstehen von Primärbindungen des Kindes zu den Pflegeeltern möglich. § 1632 Abs. 4 BGB ist nicht auf den Fall des § 1630 Abs. 3 BGB beschränkt. Folglich kann bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 1666 Abs. 1 BGB auf Antrag der Pflegeperson vom Vormundschaftsgericht der Verbleib des Pflegekindes bei den Pflegeeltern angeordnet werden. Unterhalb dieser Schwelle liegt das Aufenthaltsbestimmungsrecht (des § 1631 Abs. 1 BGB) bei den Eltern; in den Grenzen des Kindeswohls (vgl. im 6. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 B 13) können die Eltern die Rückkehr des Kindes zu ihnen anordnen und (nach § 33 FGG) durchsetzen. Bei einer Übertragung nach § 1630 Abs. 3 BGB durch das Vormundschaftsgericht bedarf es eines Antrages der Betroffenen (entweder der Eltern oder auch des Pflegers bzw. Vormundes) auf Rückübertragung der Ausübungskompetenz. Strittig ist, ob das Vormundschaftsgericht einem solchen Antrag entsprechen muß oder dem Gericht ein am Kindeswohl orientiertes Ermessen zusteht63a • Zutreffend verneint EnglerM eine Aufhebungsautomatik unter Hinweis darauf, daß auch aus Art. 6 Abs. 2 GG eine Kindeswohlorientierung folge. Gleißl/Suttner65 favorisieren statt dessen eine entsprechende Anwendung der §§ 1909 ff. BGB; dies stellt indes keine befriedigende Lösung dar, denn das Abstellen auf den Wegfall des Anordnungsgrundes entspr. § 1919 BGB ist schon deshalb mißlich, weil die Nennung eines solchen Grundes bei § 1630 Abs. 3 BGB nicht vorgesehen ist und zudem eine solche Handhabung die Komponente ggf. neu entstandener Hinderungsgründe ausblendet. Auf die Gefahr eines andauernden Hin und Her der Eltern zwischen Anträgen auf Entspr. Baer, FamRZ 1982,223; GleißVSuttner, FamRZ 1982,125. Ebenso: GleißVSuttner, aaO; Münder, BGB-AK, § 1632, Rn. 9, m. w. N. 63. Zum Meinungsstand vgl. die Nachweise bei GleißVSuttner, FamRZ 1982,123 f., Fn. 17-19. 64 StaudingerlEngler, 10./11. Aufl., § 1692, Rn. 4; zustimmend GleißVSuttner, aaO, S. 124, m. w. N. in der dort. Fn. 19; - a. A: OLG Frankfurt FamRZ 1983, 297 (vgl. den dort. Leitsatz), 298; dieser Entscheidung zustimmend Kemper, FamRZ 1983, 62
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647 f. 65
aaO, zustimmend Baer, FamRZ 1982, 229.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Übertragung und solchen auf Rückübertragung weisen Gleißl/Suttner dann auch selbst hin 66 • Die angebotene "Lösung" der Zurückhaltung des Vormundschaftsgerichtes bei der Übertragung sowie der Reparatur nach § 1666 BGB stellte ein weiteres Mal das technische Prinzip elterlicher Bestimmung über jenes der vom Kind bestimmten psychischen Bedürfnisse. Wie (vorstehend unter ,,2. ") ausgeführt, gilt der Kindeswohlvorbehalt auch für §§ 1630 Abs. 3, 1634 Abs. 4 BGB. Dies aber schließt eine "Aufhebungsautomatik", auch eine solche, welche über § 1919 analog begründet wird, aus. Vielmehr ist das Vormundschaftsgericht an den Aufhebungsantrag nur dann gebunden, wenn die Aufhebung mit dem individuellen Kindeswohl vereinbar ist; beim non-liquet ist allerdings die Sorgerechtsübertragung aufzuheben 67 • § 2 Die Rechtspositionen des Kindes bei der Adoption
A. Die Bedeutung des Kindeswohls I. Kindeswohl als Zielprojektion
Nach der Generalklausel des § 1741 Abs. 1 BGB ist die Annahme als Kind zulässig, "wenn sie dem Wohl des Kindes dient und zu erwarten ist, daß zwischen dem Annehmenden und dem Kind ein Eltern/Kind-Verhältnis entsteht". "Adoption ist nach heutigem Verständnis in erster Linie ein Mittel der Fürsorge für elternlose und verlassene Kinder"!. Ein "Geborgensein" besteht vor Anbahnung der Adoption in der Regel gerade nicht2 • Dieses zu erreichen dient die in § 1741 Abs. 1, letzt. Halbs. BGB vorgesehene Stabilitätsprognose. Entsprechend ist auch das in § 1741 Abs. 1, 1. Halbs. BGB erwähnte aaO. Es geht also nicht um eine Konkurrenz von natürlichem Elternrecht und ,,(nur) sozialem Elternrecht". Maßstab der Entscheidung hat stets die psychische Bindung des Kindes zu sein. Insofern ist der Wertung des OLG Fft zuzustimmen (aaO), als eine Abwägung zwischen den Verbleibeorten überhaupt nur stattfindet, wenn noch psychische Bindungen an die abwesenden (leiblichen) Eltern aufrechterhalten worden sind. Allein bei Bejahung positiver Emotionalbindungen zu den leiblichen Eltern als 1. Voraussetzung (!) ist dem weiteren Prüfungsschritt zuzustimmen, nach dem als zusätzliche Voraussetzung zu prognostizieren ist, daß die Rückführung des Kindes nicht zu schweren und nachhaltigen körperlichen oder seelischen Schäden und Entwicklungsstörungen führen wird (vgl. BayObLG FamRZ 1978, 137; OLG Frankfurt FamRZ 1983, 297, 298 - die Emotionalbindung als wesentliches Beurteilungskriterium stellt zutreffend vor allem das OLG Braunschweig, ZbIJugR 1983, 311 f., heraus.) 1 Vgl. im Entwurf des Rechtsausschusses für die 3. Lesung des "Gesetzes über die Annahme als Kind", BT-DrS 7/5087, S. 1; anders nach Lüderitz NJW 1976,1866. 2 Vgl. im einzelnen bei Barth, ZbIJugR 1978, 243 ff. - Nach Barth (aaO, S. 252) sind 42,3 % der Kinder vor der Adoption in Heimen untergebracht; nach Napp/Peters (1978), S. 273 - ist dies sogar bei 90 % der Fall. 66
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"Wohl des Kindes" nicht Ausdruck einer sozio/psychologischen Seinsbeschreibung, deren Gefährdung vorgebeugt werden muß, vielmehr erscheint das Kindeswohl als Zielprojektion3 , d. h. als prognostischer Zustand, welcher z. Zt. weder vollständig nicht erreicht wäre, noch gänzlich erreicht ist. 11. Kindeswohl und Kindeswille
Die Adoption setzt an die Stelle bisheriger Sozial- und Rechtsbeziehungen neue. Im Unterschied zum Eltern/Kind-Verhältnis, insbesondere auch bei der Scheidung, fehlt für das Kind in der Anfangsphase der Adoption zunächst der Anknüpfungspunkt vergangener Emotionalkontakte mit den potentiellen Sozialisationspartnern (den Annahmewilligen). Eine verläßliche Prognose der künftigen Emotionalkontakte des Kindes mit den Adoptionsbewerbern ist von dem Kind ebenfalls nicht zu erwarten. Daraus folgt eine Relativierung des Entscheidungsgesichtspunktes des "begründeten" Kindeswillens, indem in der Anfangsphase allenfalls ein spontaner emotionaler Wille zu erwarten ist. Das Gesetz trägt dem dadurch Rechnung, daß der Adoption nach § 1744 in der Regel eine Probezeit vorangehen soll und eine Einwilligung des Kindes nach § 1726 Abs. 1 BGB erst ab Vollendung des 14. Lebensjahres an erforderlich ist. § 1746 Abs. 1 BGB verstärkt indes lediglich die Kindesposition, indem ab-14jährigen ein Vetorecht eingeräumt ist. Bleibt es dagegen etwa bei dem (zunächst spontan geäußerten) ablehnenden emotionalen Kindeswillen gegen die Adoptionsbewerber , so diente eine dennoch durchgeführte Adoption nicht dem "Wohl des Kindes" i. S. d. § 1741 Abs. 1 BGB. Somit wird auch für unter-14jährige eine Kindesannahme gegen die ernsthafte und beharrliche Weigerung des Kindes vom Gesetz nicht gebilligt. Die fehlende Retrospektive führt dazu, daß in der Anbahnungsphase die objektiven Gegebenheiten im Vordergrund stehen. Zutreffend warnt Münder4 dabei vor einer idealisierenden Betrachtung. Vielmehr müssen und sollen die objektiven Lebensbedingungen sowie die Frage identischer Sozialnormen des Kindes und der Annehmenden bzw. die Frage der nachweisbaren Toleranz der Adoptionsbewerber gegenüber abweichenden Sozialnormen des Kindes geprüft werden. Zu berücksichtigen sind des weiteren auch (egoistische) Motive für den Adoptionswunsch und die Prognose ihrer Realisierung bei Berücksichtigung insbesondere der Persönlichkeit des Kindes (vgl. § 7 Abs. 1 AdVermiG). Mit der zunehmenden Dauer der realen Beziehung zwischen den Annahmewilligen und dem Kind wird in der prognostischen Beurteilung der Gesichtspunkt der objektiven Gegebenheiten durch eine Emotionalprognose ergänzt. 3 4
BT-DrS 7/5087, S. 1. BGB-AK, vor §§ 1741 ff., Rn. 9.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
B. Die Zielsetzung der Adoption und ihre Folgen für die Bewertung der AdoptionspDegschaft im Dreieck aus den Interessen des Kindes, der Adoptionswilligen sowie der natürlichen Eltern Der Adoption soll nach § 1744 "in der Regel" eine Adoptionspflege bei den Adoptionsbewerbern für "eine angemessene Zeit" vorausgehen. Ob die Durchführung einer Adoptionspflege i. S. des § 1744 BGB vor Ausspruch der Annahme durch das Vormundschaftsgericht sinnvoll erscheint, ist umstritten 5 . Der Sinn der Adoptionspflege kann nur darin gesehen werden, festzustellen, ob es zwischen dem Annehmenden und dem Kind zu "engen familiären Bindungen" kommt6 • Andererseits ist zu sehen, welchen (erneuten) Schock es für die psychische Entwicklung des Kindes bedeutete, wenn die Adoptionspflegeeltern ihre Ablehnung dokumentieren, indem sie die Adoptionspflege abbrechen und sie von dem Adoptionsvorhaben zurücktreten. Auch Heimkinder sind keine Ware (1). Nach den entsprechend § 7 Abs. 1 AdVermiG vorgesehenen Prüfungen ist deshalb nicht einzusehen, weshalb den Adoptionswilligen eine weitere Prüfungsfrist einzuräumen wäre7 • Im Kindesinteresse ist vielmehr zu erwarten, daß die Adoptionsbewerber - nach der unverzichtbar durchzuführenden Beratung durch die jugendamtliche Adoptionsvermittlung - die Problematik der Adoption, vor allem auch im Hinblick auf die Persönlichkeit des in Betracht gezogenen Kindes, hinreichend reflektiert haben. Ist das Jugendamt zudem zu einer positiven Prognose gekommen, ist dem Interesse der Adoptionsbewerber im Verhältnis zum Kindesinteresse hinreichend Genüge getan. Wird zudem die Zielsetzung des Adoptionsrechts berücksichtigt, die Lebensbedingungen des Kindes zu verbessern, ergibt sich daraus, daß entgegen Lange8 § 1744 BGB überhaupt nur in Betracht kommt, wenn aus der psycho/sozialen Situation des Kindes eine Probezeit im Kindesinteresse als angemessen erscheint. Bei Säuglingen scheidet danach eine Adoptionspflege aus9 • Im übrigen muß dafür Sorge getragen werden, daß bei Einleitung der Adoptionspflege die Anträge sowie Einwilligungen - bzw. deren Ersetzung (vgl. § 1748 BGB) - zur Kindesannahme vorliegen. Das Ruhen der elterlichen Sorge bzw. der Verlust der Umgangsbefugnis der leiblichen Eltern ergibt sich für diesen Fall aus § 1751 BGB10. Die Adoptionsbewerber sind als Folge der 5 Ablehnend: Leber/ReiserlSimonsohn, Neue Praxis 1975, S. 128 ff.; Goldsteinl Freud/Solnit (1974), 1979), S. 36. Bejahend: Lüderitz, MünchKomm., § 1744, Rn. 2; Münder, BGB-AK, § 1744, Rn. 1 m. w. N.; Simitis u. a. (1979), S. 233. 6 Baer/Gross (1976), S. 43. 7 Entsprechend Danzig, in KühnfTourneau (1978), S. 193,202. 8 SoergellLange (1981), § 1744, Rn. 2. 9 Im Ergebnis ebenso Simitis u. a. (1979), S. 233. 10 Vgl. im einzelnen Münder, BGB-AK, § 1751, Rn. 1 f., m. w. N.
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
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Zielrichtung des Adoptionsrechts, die Lebensbedingungen des Kindes zu verbessern, an ihren Antrag gebunden. Die Dauer der Adoptionspflege korreliert mit dem Lebensalter des Kindes. Da es allein auf die Eingewöhnung des Kindes ankommt, ist eine Beschränkung auf unter 1 Jahr anzustreben ll . Die Verweigerung der Überleitung der Adoptionspflege zur Kindesannahme kann grundsätzlich nur aufgrund des entgegenstehenden Willens des Kindes (nach § 1741 Abs. 1 BGB, § 50 b FGG bzw. nach § 1746 Abs. 2 BGB) erfolgen. 4. Abschnitt
Unterhaltsrecht Die Frage nach der Zuerkennung eigener rechtlicher Handlungskompetenzen des Kindes wird im Rahmen des Unterhaltsrechts vor allem bei dem Problem berührt, inwieweit Unterhaltsleistungen als direktes oder indirektes Mittel elterlicher Einflußnahme auf ihre Kinder bzw. zur Verwirklichung persönlich favorisierter "Erziehungs"ziele der Eltern eingesetzt werden können. Hinsichtlich der Zahlung von Taschengeld sowie des Problems der Berufswahlsteuerung wurde diese Frage bereits beantwortetl. In der Rechtsprechung und Literatur kristallisiert sich die Problematik vor allem um die Auslegung des § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB. Von übergreifender, über § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB hinausgehender Bedeutung für die Frage elterlicher Einflußnahme durch Unterhaltsleistungen ist aber, ob sich der Inhalt und die Dauer des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruches des Kindes fixieren lassen. Denn eine solche Festlegung hätte die Prinzipien des Unterhaltsrechtsverhältnisses zwischen Eltern und Kind zu berücksichtigen und zugleich den Interessen der Unterhaltsverpflichteten Rechnung zu tragen; sie bestimmte damit zugleich die Autonomie- bzw. Interventionsgrenze. Da - abgesehen von den Sonderfällen der §§ 1611 und 1615 sowie des allgemeinen Grundsatzes nach § 1602 Abs. 1 BGB - eine gesetzliche Limitierung der Dauer des Unterhaltsanspruchs fehlt, kommt den Prinzipien des Unterhaltsrechtsverhältnisses in diesem Zusammenhang eine besondere Bedeutung zu. Art und Maß des Anspruches sind dagegen im BGB fixiert. Das Maß des Unterhalts ist nach § 1610 Abs. 1 BGB abhängig von der "Lebensstellung des Bedürftigen". Fraglich ist allerdings, wonach sich diese bei einem Kind bemißt oder ob es Auswirkungen hat, ob das Kind bei den 11 Nach der - allerdings nicht repräsentativen - Untersuchung von Simitis u. a. (1979, S. 232) lagen 38 % der Fälle über der Marge von 12 Monaten. Für eine restriktive zeitliche Handhabung der Adoptionspflegschaft auch Münder, ZblJugR 1981, 231, 239. 1 Zum Anspruch auf Taschengeld vgl. im 5. Kapitel, 5. Abschnitt, § 3. Zur Ausbildungs- und Berufswahl vgl. (dieses) 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 E.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Eltern lebt oder extern bzw. ob die Eltern zusammen oder getrennt leben. In diesem Zusammenhang ist auf die Frage der Bedeutung des Lebensalters des Unterhaltsberechtigten sowie auf das Verhältnis von Natural- und Geldunter-. halt einzugehen. Anzusprechen sind die Fragen nach der Bedeutung und den Grenzen der Unterhaltstabellen, insbesondere auch in bezug auf besonders wohlhabende Eltern. Problematisiert wurde in neuerer Zeit schließlich das Verhältnis der Unterhaltsansprüche mehrerer Kinder zu- und nebeneinander, mit der speziellen Variante des Verhältnisses minderjähriger und volljähriger Unterhaltsberechtigter. Von nur marginaler Bedeutung zur Ausgangsfragestellung ist das abschließend kurz zu erörternde Problem - in einer assoziativen Umkehr des Konflikts "Erziehung durch Unterhalt" - des "Unterhalts durch Erziehung". § 1 Das "Bestimmungsrecht" der Eltern gemäß § 16U Abs. 2 S. 1 BGB
A. ProblemsteUung und Meinungsstand § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB lautet: "Haben Eltern einem unverheirateten Kinde Unterhalt zu gewähren, so können sie bestimmen, in welcher Art und für welche Zeit im voraus der Unterhalt gewährt werden soll".
Der Wortlaut ist jener der Fassung von 1896. Insbesondere hat er, entgegen entsprechenden Forderungen in der Literatur2 , keine Änderung im Rahmen der Reform des elterlichen Sorgerechts erfahren. § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB stellt fest: "Aus besonderen Gründen kann das Vormundschaftsgericht auf Antrag des Kindes die Bestimmung der Eltern ändern".
Als "besondere Gründe" i. S. d. § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB werden solche Umstände verstanden, die im Einzelfall schwerer wiegen als jene Gründe, derentwegen den Eltern das "Bestimmungsrecht" gemäß § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB eingeräumt ist3 . Der Reichsgesetzgeber begründete das "Bestimmungsrecht" damit, dem Unterhaltsleistenden "für diese Zeit (der Unterhaltsgewährung des zum Hausstand gehörenden Unterhaltsberechtigten) einen angemessenen Einfluß auf die Handlungs- und Lebensweise des Kindes zu sichern, damit dasselbe nicht, Vgl. Zenz, ZRP 1977, 195. Entspr. KG FamRZ 1969, 610; LG Bremen NJW 1976, 1751; E. Schwerdtner, NJW 1977, 1268; BrühllGöppingerlMutschler, 3. Aufl., S. 118; Wawrzyniak, ZbIJugR 1979,384. 2
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4. Abschn.: Unterhaltsrecht
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seine Selbständigkeit und die Unterhaltspflicht der Eltern mißbrauchend, auf deren Kosten die Zeit der eigenen Erwerbsfähigkeit willkürlich hinausschiebt, und die den Eltern obliegende Last des Unterhalts durch die Art seiner Handlungs- und Lebensweise ungebührlich erschwert"4. Es kann davon ausgegangen werden, daß Unterhaltsberechtigte generell ein Interesse daran haben, so wenig wie möglich belastet zu werden. Insofern gilt die in den Motiven zum Ausdruck kommende Wertung fort. Fraglich ist jedoch, ob aus der Neugestaltung der Eltern/Kind-Beziehungen nicht Wirkungen auf das "Bestimmungsrecht" ausgehen, etwa in der Weise, daß dem Kind eine freie Gestaltung seiner persönlichen Verhältnisse im Rahmen bestimmter materieller Grenzen zu gestatten ist. Zweifel bestehen vor allem aber, ob ein "Bestimmungsrecht" auch gegenüber Volljährigen anzuerkennen ist oder ein solches nicht mit der Volljährigkeit unvereinbar ist. Wohl angeregt durch die Reformbestrebungen zum Kindschaftsrecht5 wurden Mitte der 70er Jahre Tendenzen in der Rechtsprechung sichtbar, das "Bestimmungsrecht" der Eltern restriktiv zu handhaben und ein erzieherisches Einwirken zu begrenzen6 • Während BrühF § 1612 Abs. 2 überhaupt als überholt ansah, sollte nach einer verbreiteten Auffassung jedenfalls mit dem Eintritt der Volljährigkeit die Möglichkeit entfallen, über die Art der Unterhaltsgewährung erzieherische Zwecke zu verfolgenB. Dem widersprachen in der Folge mehrheitlich die Obergerichte9 ; dabei wurde eine Begrenzung des Bestimmungsrechts für bestimmte Fälle von Ablösungskonflikten anerkannt. Die Obergerichte versuchten, die Ablösungsproblematik justiziabel zu machen, indem im Falle einer "schicksalhaften" Zerrüttung der familiären Verhältnisse 1o , zum Teil schon beim non liquet l1 , nach anderer Auffassung jedenfalls für den Fall, daß die Zerrüttung überwiegend auf die Eltern zurückzuführen war, ein" besonderer Umstand" i. S. d. § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB und damit der Anspruch des Kindes auf Unterhaltsgewährung in Form einer Geldrente angenommen wurde 12 • Vgl. Motive, Bd. IV, Berlin und Leipzig 1888, S. 704. Vgl. die Nachweise in der "Einführung" dieser Untersuchung, dort. Fn. 3 f. 6 Vor allem LG Bremen NJW 1976, 1750 ff. = FamRZ 1976, 458 ff. Zur früheren Wertungslage vgl. die Nachweise bei Moritz, RdJB 1977,265 f. 7 FamRZ 1966, 542. 8 LG Bremen NJW 1976,17511. Sp. m. zahlr. w. N. 9 OLG Bremen NJW 1976, 2265; OLG Bremen FamRZ 1976; 702; OLG Köln NJW 1977,202; OLG Karlsruhe NJW 1977, 681; BayObLG NJW 1979,1712. 10 OLG Frankfurt NJW 1977, 1297. 11 KG NJW 1969, 2241; OLG Köln NJW 1977, 202, 203. 12 OLG Köln FamRZ 1977, 263; OLG Frankfurt NJW 1977, 1297; BayObLG FamRZ 1977,263; vgl. statt vieler Schlüter (1979), S. 133. A. A. Göppinger (1981), Rz. 380, welcher aus dem Schutzgedanken der §§ 160311, 1611 11 BGB (für Minderjährige) sowie § 1611 11 S. 2 BGB (für Volljährige) einen Verlust des Unterhaltsanspruches nur ausnahmsweise, und zwar dann anerkennt, wenn die 4
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33 Moritz
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
In der Folge kam es zu einer lebhaften Diskussion der Frage in der Literatur. Dabei wurde der Rechtsprechung der OLGs zum Teil beigepflichtet13 . Andere hielten ein "erzieherisches Einwirken" über § 1612 Abs. 2 BGB zumindest gegenüber Volljährigen für unzulässig. Diesen sollte eine Rücksichtnahme auf das häusliche und familiäre Zusammenleben sowie die finanziellen Elterninteressen obliegen l 4, im übrigen wurde ihnen generelP5, nach anderer Auffassung bis zum Rahmen generalisierbarer Bedarfssätze l6 , ein Anspruch auf Zahlung einer Geldrente zugestanden. Zum Teil wurden diese Überlegungen auch auf die Unterhaltsansprüche Jugendlicher erstreckt l7 . In seinem Urteil vom 3. 12. 1980, bei dem über die Auslegung des § 1612 Abs. 2 BGB allerdings nur inzidenter im Rahmen einer Entscheidung zur Überleitung nach § 37 BAföG zu befinden war, stellte der BGH fest, daß § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB fortgilt, "auch soweit ... (er) die Unterhaltspflicht gegenüber einem volljährigen Kind regelt"18. Den Grund für das "Bestimmungsrecht" gegenüber dem Kind - minderjährig oder volljährig, so lange es nicht verheiratet ist 19 - erblickt der BGH nicht nur in den engen verwandtschaftlichen Beziehungen und der Wahrung des Familienzusammenhalts, worauf Rücksicht zu nehmen den Kindern geboten sei, sondern auch in dem Zweck, den Eltern "einen weitergehenden Einfluß auf die Lebensführung des Kindes zu verschaffen, als dies bei einer Unterhaltsgewährung in Geld möglich ist"20. Eine Unwirksamkeit der elterlichen Bestimmung komme nur im Falle rechtlicher oder tatsächlicher Undurchführbarkeit in Betracht, ggf. aber auch, wenn die elterliche Bestimmung offensichtlich aus sachfremden Erwägungen oder zu sachfremden Zwecken getroffen worden ist21 . Die Rechtssicherheit gebietet es nach Meinung des BGH, daß die von den Eltern getroffene Bestimmung grundsätzlich verbindlich bleibt, so lange das Vormundschaftsgericht sie nicht geändert hat22 . Zu den inhaltlichen Voraussetzungen führt der BGH aus, daß "verständige Eltern" dem Kind einen desto größeren Spielraum einräumen, je älter es wird. Dies bedeute "indessen nicht, daß der Unterhaltsanspruch des Kindes sich dadurch zunehmend in einen Anspruch Inanspruchnahme des Verpflichteten unter Berücksichtigung aller Umstände grob unbillig wäre. - Dagegen Hampel, FamRZ 1982, 658 -. 13 Kumme, ZbIJugR 1977, 417; Wawrzyniak, ZbIJugR 1979, 383, 384. 14 Gernhuber (1980), S. 633; Schlüter (1979), S. 133. 15 Fehnemann, ZbIJugR 1980, 605, 614, 619; E. Schwerdtner, NJW 1977, 1268 ff.; Zenz, ZRP 1977,195 ff. Unklar Wiesner, FamRZ 1977, 28, 30. 16 Moritz, RdJB 1977, 273 ff. 17 E. Schwerdtner, NJW 1977,1269. 18 BGH NJW 1981, 574 = FamRZ 1981, 250; vgl. dort. Leitsatz 1. 19 Vgl. Erman/Küchenhoff, 7. Aufl., § 1612, Rn. 2. 20 BGH NJW 1981, 5761. Sp. m. zahlr. w. N. 21 BGH, aaO, S. 575 r. Sp. 22 BGH, aaO, S. 575.
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
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auf Zahlung einer Geldrente verwandelt". "Die Überlassung von Geldbeträgen zur eigenverantwortlichen Verfügung (sei) ... gerade ein Teil des in der Form von Naturalleistungen gewährten Unterhalts und erfüllt nur zusammen mit diesem den ihr zugedachten (erzieherischen) Sinn"23. B. Stellungnahme J. Die Begründung des Unterhaltsanspruchs sowie die Abgrenzung zwischen minderjährigen und volljährigen Unterhaltsberechtigten und die Bedeutung des "Bestimmungsrechtes" gegenüber Minderjährigen § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB differenziert, wie ausgeführt, nicht zwischen minderjährigen und volljährigen Unterhaltsberechtigten. Seiner Anwendung steht nach dem Gesetzeswortlaut allein die existente Ehe des Unterhaltsgläubigers entgegen. Die Problematik des § 1612 Abs. 2 BGB liegt in der Praxis gleichwohl schwerpunktmäßig in seiner Anwendung auf Volljährige sowie bei jenen Jugendlichen, welche sich kurz vor der Volljährigkeit befinden24 .
Minderjährige unterstehen der elterlichen Sorge. Für sie gelten somit das Aufenthalts- und Umgangsbestimmungsrecht der Eltern sowie deren Befugnisse im Rahmen der Ausbildungs- und Berufswahl. Bei Steuerungsversuchen der Eltern im Rahmen der Überlassung von Geldmitteln ist deshalb praktisch schwer zu unterscheiden, ob es sich um eine Intervention unter sorgerechtlichen Prämissen handelt oder um eine unterhaltsrechtliche Maßnahme. Gleichwohl gilt auch dort die prinzipielle Trennung zwischen beiden Bereichen unter Anerkennung von Überschneidungen. Denn die Unterhaltspflicht hat eine andere Begründung als die elterliche Sorge. Sie beruht nicht auf der elterlichen Sorge, sondern allein auf dem Verwandtschaftsverhältnis. Das ergibt sich aus § 1601 BGB und ist bereits aus der Tatsache ersichtlich, daß ein Elternteil, dem die Sorge entzogen ist, gleichwohl für den Unterhalt des Kindes aufkommen muß. Er ist also seinem Abkömmling unterhaltspflichtig, nicht weil ihm die elterliche Sorge zusteht, sondern weil er zu den nächsten Angehörigen des Kindes gehört25 • Zeugung bzw. Empfängnis stellen den Akt der Inpflichtstellung dar, welcher sich hinsichtlich der Unterhalts verpflichtung BGH NJW 1981, 576 r. Sp. Das Alter der betroffenen Jugendlichen und Heranwachsenden in den zentralen Entscheidungen betrug: KG FamRZ 1969, 610 = vollj.; OVG Koblenz FamRZ 1974, 225 = vollj.; AmtsG Mettmann FamRZ 1975, 709 = 19 J.; LG Mannheim MDR 1976, 223 = vollj.; OLG Köln NJW 1977, 202 = vollj.; LG Bremen NJW 1951 = 19 J.; LG Hamburg NJW 1977, 201 = vollj.; BayObLG FamRZ 1977, 263 = 19 J.; OLG Frankfurt NJW 1977,1297 = 19 J.; BayObLG NJW 1979, 1712 = vollj.; BGH NJW 1981, 574 = vollj.; OLG Hamburg FamRZ 1982, 1112 = vollj. 25 Göring (1972), S. 117. 23
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
mit der Vollendung der Geburt des Kindes aktualisiert und zu einem zivi/rechtlichen Anspruch konkretisiert26 • Dem entspricht auch die hier vertretene verfassungsrechtliche Deutung des Eltern/Kind-Verhältnisses, welche als Grundfall (auch der familienrechtlichen Beziehungen) die Blutsverwandtschaft anerkennt26a . Daraus folgt für die praktische Handhabung: Strittige Maßnahmen der Sorge berechtigten sind zunächst unter sorgerechtlichen Prämissen zu beurteilen (entsprechend den Darlegungen im 1. Abschnitt dieses Kapitels). Schon diese berücksichtigen alle relevanten personenbezogenen Argumente, welche als möglicher Inhalt eines "Bestimmungsrechtes" des § 1612 Abs. 2 BGB vorstellbar wären. Der unterhaltsrechtlichen Abwägung verbleiben damit allein etwaige unterschiedliche ökonomische Interessen. Wegen der letztlich bestehenden öffentlich-rechtlichen Garantie (der Taschengeldzahlung als BSHG-Anspruch; des Mindestverfügungsbetrages ab-15jähriger als BSHG- oder BAföG-Anspruch27 ) können ökonomische Erwägungen die Schwelle der Zurverfügungstellung von Taschengeld bzw. (für ab-15jährige) des Mindestverfügungsbetrages allerdings nur in Ausnahmefällen rechtlich zulässig unterschreiten 28 • II. "Bestimmungsrecht" gegenüber Volljährigen
1. Allgemeine Kritik an den befürwortenden Stellungnahmen Einigkeit besteht darüber, daß die heutigen Eltern-Kind-Beziehungen nicht mehr mit dem patriarchalischen Familienverständnis, wie dies in den Motiven zum BGB-Entwurf zum Ausdruck kommt29 , vergleichbar sind3o • Ein "Bestimmungsrecht" mit insbesondere der Möglichkeit erzieherischen Einwirkens auf Volljährige scheint in das neue rechtliche Verständnis der Eltern/Kind-Beziehungen nicht hineinzupassen. Die Anerkennung eines "Bestimmungsrechtes" im Rahmen des § 1612 Abs. 2 BGB wird damit begründet, daß die Vorschrift ständig in der Weise interpretiert worden sei, daß sie den Eltern ein Mittel zur Steuerung der Kinder in die Hand gäbe, der Gesetzgeber die Norm jedoch nicht geändert habe 31 • Denjenigen, welche ein Steuerungsrecht ablehnen, wird auf dieser Basis entgegengehalten, daß sie den Gesetzgeberwillen auf 26 Zu den Komponenten "Verwandtschaft" und "Bedürftigkeit" als Voraussetzungen des zivilrechtlichen UnterhaItsanspruchs vgl. im einzelnen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 D IV; s. auch im 3. Kapitel, 2. Abschnitt, § 2. 26. Vgl. die Nachweise der vorstehenden Fn. 27 Vgl. im 5. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2 CID. 28 4. Kapitel, 3. Abschnitt, § 3 B 11 sowie im 5. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2 CID; - s. an diesen Stellen auch die Hinweise auf die möglichen familienrechtlichen Rücksichten. 29 Motive zum BGB, Bd. IV, 1887, S. 702 ff. 30 Vgl. Fehnemann, ZbUugR 1980, 610, mit LG Bremen NJW 1976, 1750; s. auch Bosch (1976), S. 51 ff., 73. 31 SoergeVLange (1981), § 1612, Rn. 4.
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
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"Sicherung des erzieherischen Einflusses" der Eltern mißachteten 32 . Abgesehen von der Schwierigkeit, aus der unkommentierten Unterlassung einer Gesetzesänderung auf einen bestimmten Willen des Gesetzgebers rückzuschließen, scheidet diese Argumentation hier jedenfalls deswegen aus, weil sie in sich widersprüchlich ist. Denn wenn das Familienverständnis des Gesetzgebers von 1887 nicht mehr fortgilt, so nötigt dies, die Norm, trotz gleichgebliebenen Wortlautes, neu zu interpretieren. Die Rückbeziehung auf einen angeblichen Gesetzgeberwillen verschleiert nur die vom Auslegenden vorgenommene autonome Wertsetzung. Die bloße Hoffnung darauf, daß sich die Unterhaltsverpflichteten als "verständige Eltern"33 erweisen, bildet keine sachgerechte Begrenzung eines "Rechts der Eltern"34, sich mit der Bestimmung von Naturalunterhalt die Möglichkeit zu verschaffen, die Entwicklung sowie die Lebens- und Arbeitsweise des volljährigen unterhaltsberechtigten Kindes zu überwachen und zu steuern. Das "verständige Verhalten" ist ebensowenig justiziabel wie die "berechtigten elterlichen Eigeninteressen in Verbindung mit den wohlverstandenen Interessen des Kindes", die eine Beeinflussung und Steuerung des Kindes rechtfertigen sollen35 . Aus den "engen verwandtschaftlichen Beziehungen"36 läßt sich schließlich ein "erzieherisches" Einwirken der Eltern auf Volljährige nicht begründen37 . Denn enge verwandtschaftliche Beziehungen bestehen natürlich auch von seiten der Kinder zu den Eltern, ohne daß daraus die Befugnis zu erzieherischem Einwirken gefolgert würde; im Gegenteil weist § 1611 Abs. 2 BGB - allerdings bezogen auf minderjährige Kinder - tendenziell darauf hin, daß die engen verwandtschaftlichen Beziehungen zwischen den Eltern und ihren Kindern die Kindesposition stärken soll und nicht jene der Eltern. Somit wird den Eltern gemäß § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB grundsätzlich eine Entscheidung zwischen Naturalunterhalt und/oder einer Geldrente eingeräumt. Ob die Ausübung der Bestimmung zu begründen ist und ob neben wirtschaftlichen auch erzieherische Gesichtspunkte zulässig sind, bleibt offen; ungeklärt ist auch die Frage der Geltung des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber Volljährigen. Festzustellen ist jedenfalls, daß die angebotenen Begründungen derjenigen, welche aus § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB eine umfängliche Steuerungsbefugnis der Eltern infolge ihrer Unterhaltsleistung ableiten, nicht 32 33
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576.
SoergeVLange (1981), § 1612, Rn. 12. BGH NJW 1981, 576 r. Sp. BayObLG NJW 1979, 1712 = FamRZ 1979, 952; entspr. auch BGH NJW 1981,
Vgl. die Nachweise bei Fehnemann, ZbIJugR 1980, 611, Fn. 29. Vgl. Gernhuber (1980), S. 633 sowie die auf Gernhuber verweisende Entscheidung des BGH in NJW 1981, 576. 37 Vgl. schon Moritz, RdJB 1977,273. 35
36
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7. Kap.: Sozialisations bezug, Vermögenssorgeverhältnis
den Anforderungen der Überschaubarkeit und Rechtssicherheit SOWIe der Begründungsklarheit entsprechen. 2. Ableitung des "Bestimmungsrechtes" aus der Verfassung Der Begründung, daß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG eine zeitliche Beschränkung des Elternrechtes nicht nenne und deshalb das Elternrecht so lange fortbestehe, wie die Eltern gewichtige Pflichten (z. B. die Unterhaltspflicht) hätten 38 , ist schon Fehnemann39 entgegengetreten. Wenn Fehnemann auch nicht dahin zu folgen ist, daß der einfache Gesetzgeber mit § 2 BGB eine "authentische Interpretation" der Verfassung gegeben habe 40 , so gilt jedenfalls für den Fall, daß die Verfassung keine konkreten Regelungen enthält, die Entscheidungskompetenz des einfachen Gesetzgebers im Rahmen der Verfassung. Diese hat der einfache Gesetzgeber mit § 2 BGB ausgeübt. Überwachungs- und Einwirkungsrechte gegenüber Volljährigen anzuerkennen, persiflierte den Begriff der Volljährigkeit; "Erziehungs"-Rechte im ElterniKindVerhältnis sind darüber hinaus in den §§ 1626 ff. BGB separat geregelt41 • Aus der Heranziehung verfassungsrechtlicher Überlegungen ist somit die Befugnis eines erzieherischen Einwirkens auf Volljährige gerade auszuschließen. Dem hat der Gesetzgeber durch § 2 BGB und in der Trennung zwischen "Erziehungs"-rechten in den §§ 1626 ff., die auf Volljährige keine Anwendung finden, und Unterhaltsrechten bzw. -Pflichten auch Rechnung getragen. Ein "Bestimmungsrecht" i. S. eines "Erziehungsrechts" läßt sich für § 1612 BGB somit auch nicht aus der Verfassung ableiten42 • 3. Berücksichtigung der wirtschaftlichen Belange der unterhaltsverpJlichteten Eltern 3.1. Wirtschaftliche Interessen als einzig berücksichtigungsfähiger Gesichtspunkt zugunsten der Eltern Auch einige derjenigen, welche eine Erziehungs- und Steuerungsbefugnis der Eltern gegenüber ihren volljährigen Kindern ablehnen, bejahen gleichwohl eine Pflicht der Kinder, auf die wirtschaftlichen Belange der Eltern Rücksicht zu nehmen43 • Daraus folgt nach Schlüter44 das "Recht (der Eltern), Bosch (1976), S. 69; ders. in FamRZ 1977, 63l. ZbIJugR 1980, 612. 40 Fehnemann, aaO. 41 Vgl. schon Moritz, RdJB 1977,273, m. w. N. in der dort. Fn. 117. 42 Ebenso Fehnemann, ZbIJugR 1980, 612; Moritz, RdJB 1977, 273 f.; Wieser, FamRZ 1977, 30. 43 Brühl, FamRZ 1982, 985, 986 f.; Gemhuber (1980), S. 633; Schlüter (1986), S. 155 f. 38 39
4. Absehn.: Unterhaltsreeht
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das Kind auf einen Unterhalt in Natur zu verweisen, wenn sie dadurch wirtschaftlich entlastet werden und eine nach ihren Einkommens- und Vermögensverhältnissen sonst unvermeidliche Beschränkung des eigenen Lebenszuschnittes entfällt oder gemildert wird"; das "Bestimmungsrecht" der Eltern soll nur dann nicht gelten, "wenn es (dem Kind) wegen erheblicher persönlicher Spannungen oder einer tiefgreifenden Entfremdung im Einzelfall unzumutbar ist, weiterhin mit den Eltern zusammen zu leben". Gegen diese Interpretation verfängt der Unbestimmtheitsvorwurf nicht. Grundsätzlich zuzustimmen ist ebenfalls dem Ansatz bei einer wirtschaftlichen Betrachtung. Denn, nachdem eine "erzieherische" Einwirkung als unzulässig anzusehen ist und der Gesichtspunkt "enger verwandtschaftlicher Beziehungen" zur Inhaltsausgestaltung eines "Bestimmungsrecht" nichts hergeben kann, bleiben in der Tat allein wirtschaftliche Gesichtspunkte, die bei der Interessenabwägung auf seiten der Unterhaltsverpflichteten von Bedeutung sein können. Fraglich ist jedoch, ob die Grenze der "Unzumutbarkeit des Zusammenlebens" nicht die wirtschaftlichen Interessen der Eltern überbetont und diesen ein erzieherisches Einwirken auf die Kinder ermöglicht, ohne dies als solches deklarieren zu müssen. 3.2. Die Sorge um eine unzweckmäßige Verwendung der Unterhaltsleistungen Ein "Bestimmungsrecht" kann nach dem Fortfall der Erziehungsgesichtspunkte auch nicht mit der Sorge der Unterhaltsverpflichteten begründet werden, daß die unterhaltsberechtigten volljährigen Kinder die Unterhaltsleistungen unzweckmäßig verwenden könnten. Die Fragen, ob Unterhalt zu leisten ist und wie lange und in welcher Höhe, sind allein nach den §§ 1601 ff. BGB zu beurteilen. Die §§ 1601 ff. BGB berücksichtigen insbesondere auch die wirtschaftlichen Interessen der Unterhaltsverpflichteten (vgl. §§ 1610 f.). § 1612 Abs. 2 BGB ergänzt diese grundlegenden Festsetzungen, indem er den Unterhaltspflichtigen gestattet, Art und Zeitraum der Vorauszahlung - wie ausgeführt - unter wirtschaftlichen Aspekten zu bestimmen. Daraus folgt, daß grundsätzlich auch eine Nachholung früher versäumter Erziehungsrnaßnahmen ausscheidet. Maßgebend sind allein wirtschaftliche Gesichtspunkte. Sind die Eltern leistungsfähig, ist ihnen danach prinzipiell auch das Argument abgeschnitten, daß sie befürchteten, ihre Unterhaltszahlungen würden unzweckmäßig verwendet. Diese Besorgnis enthält zugleich das Anerkenntnis einer möglicherweise unsachgemäßen Wahrnehmung des früheren Sorgerechts. Denn es ist davon auszugehen, daß die späteren Volljährigen bei gehöriger Anleitung während der Sorgerechtsbeziehungen zum 44
Sehlüter (1986), S. 156, mit OLG Karlsruhe FamRZ 1976, 641.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vermögenssorgeverhältnis
sachgemäßen Umgang mit Geld in der Lage sind. Der Urheber möglichen Fehlverhaltens kann sich aber nicht unter Hinweis auf die Gefahr, daß dieses Fehlverhalten tatsächlich auftreten könnte, noch eine Ausweitung der rechtlichen Befugnisse zu Lasten des möglicherweise ohnehin schon Beeinträchtigten "erkaufen". 3.3. Schutz vor übermäßiger Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten Gemeinschaftsverpflegung sowie gemeinsames Wohnen wird in der Regel stets weniger kostenaufwendig sein als die Erbringung dieser Leistungen individuell für jeden einzelnen einer Gruppe. Die von Schlüter genannte Voraussetzung der wirtschaftlichen Entlastung durch die Naturralleistung ist damit im Regelfall gegeben. Ebenso ist davon auszugehen, daß sich diese Entlastung in irgendeiner Weise für die Eltern bemerkbar macht. Von der Erfüllung dieser Voraussetzungen will jedoch Schlüter45 die Anerkennung des "Bestimmungsrechtes" abhängig machen. Nach diesem Ansatz wäre ein Bestimmungsrecht somit grundsätzlich gegeben. Der Ansatz von Schlüter erleichtert die Stellung der Eltern, indem diese statt einer diskriminierenden Begründung46 der Ausübung der Bestimmung nunmehr auf eine Begründung der Naturalleistung überhaupt verzichten könnten. Die Naturralleistung korreliert aber in strittigen Fällen mit Persönlichkeitsbeschränkungen des Unterhaltsberechtigten47 • Würde der Argumentation von Schlüter gefolgt, bedeutete dies somit eine Regelung unter Ignorierung der Interessen der Unterhaltsberechtigten. Auf Umwegen würden damit "Leistungsrechte als Folge der Inanspruchnahme elterlicher Leistungen" reaktiviert48 • Persönlichkeitsrechte, wie Schlüter, erst bei "tiefgreifender Entfremdung im Einzelfall" zu berücksichtigen49 , setzt einseitig wirtschaftliche Interessen über Persönlichkeitsinteressen. Der Ansatz legt es zudem nahe, noch weiter dahin zu differenzieren, wer die Entfremdung verursacht hat. Dieser Weg weist somit zurück auf frühere Argumentationsschemata zu § 1612 Abs. 2 BGB, welche angepaßtes Verhalten der Unterhaltsberechtigten zum Entscheidungsmaßstab erhoben. Gesucht und geboten ist jedoch eine angemessene Berücksichtigung sowohl der Eltern- als auch der Kindesinteressen. (1986), S. 156, mit OLG Karlsruhe FamRZ 1976, 641. Vgl. die Sachverhalte der Entscheidungen: KG FamRZ 1969, 610; AmtsG Mettmann FamRZ 1975, 709; LG Bremen NJW 1976,1751; LG Hamburg NJW 1977, 201; OLG FrankfurtIM., NJW 1977, 1297. 47 Millgramm, Jura 1981, 392. 48 Diese lehnt z. B. Gernhuber - (1980), S. 633 - ausdrücklich ab; vgl. ebenso die ablehnenden Stellungnahmen von Moritz, RdJB 1977,273; Wiesner, FamRZ 1977, 29 sowie Fehnemann, ZbIJugR 1980,619. 49 Schlüter, aaO. 45
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Ein angemessener Ausgleich zwischen Eltern- und Kindesinteresse scheint (allein) möglich durch die Benennung von Höchstbelastungsgrenzen für die Eltern. Konkrete Grenzen nennt das BGB nicht. Da die Einschränkung des § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB gegenüber volljährigen Kindern nicht gilt, folgt daraus der Vorrang des eigenen angemessenen Unterhalts der Eltern im Verhältnis zu jenem des Kindes. Bei Kindern, welche sich in einer Ausbildung befinden, ergeben sich die Höchstbelastungsgrenzen mittelbar aus den entsprechenden Ausbildungsförderungsgesetzen. Diese regeln zwar nicht die zivilrechtliehe Unterhaltspflicht. Jene ergibt sich aus den zivilrechtlichen Bestimmungen (insbesondere der §§ 1601 ff. BGB); die zivilrechtlichen Unterhaltsleistungen gehen insbesondere den öffentlichrechtlichen Ausbildungsförderungen vor (vgl. § 1, letzter Halbs. BAföG). Die Ausbildungsförderungsgesetze geben jedoch Auskunft über die Einschätzung des Gesetzgebers von Mindestbedürfnissen der Auszubildenden sowie über die matertiellen Höchstbelastungen der Unterhaltsverpflichteten, deren Kinder sich in einer Ausbildung befinden5o • Die Persönlichkeitsinteressen des volljährigen Abkömmlings können auch diese materiellen Interessen der Unterhaltsverpflichteten nicht überwinden; sie brauchen dies indes auch nicht, da von dieser Höchstbelastungsgrenze an ein eigener Anspruch des in einer Ausbildung stehenden Unterhaltsberechtigten auf eine staatliche Ausbildungsförderung entsteht (vgl. § 35 BAföG, § 39 AFG). Wird das Gebot der Interessenabwägung ernst genommen, so bedeutet dies, daß Eltern gegenüber ihren volljährigen Unterhaltsberechtigten, die sich nicht in einer Ausbildung befinden, hinreichend durch das Nichteingreifen des § 1603 Abs. 2 Satz 1 BGB geschützt sind und durch den daraus folgenden Vorrang des eigenen angemessenen Unterhalts. Für eine weitere Beschränkung der Unterhaltsleistung über § 1612 Abs. 2 BGB besteht insoweit kein Bedürfnis. Bei volljährigen Unterhaltsberechtigten, die sich in einer Ausbildung befinden, ist ein hinreichender Schutz der Eltern durch die Höchstbelastungsgrenzen gewährleistet, die sich aus den Ausbildungsförderungsgesetzen ergeben. Das Argument, Naturalleistungen seien leichter zu erbringen als Geldleistungen, kann unter diesen Umständen nicht durchschlagen. Würde man es anerkennen, so bedeutete dies nichts anderes, als daß die Unterhaltsverpflichteten entgegen den vom Gesetzgeber festgelegten (BAföG) und wohl den Bedürfnissen der Verpflichteten als genügend erachteten Richtwerten ein 50 Dies widerspricht nicht der Feststellung des BGH (NJW 1977, 1774 = FamRZ 1977,629 = JZ 1977, 605), daß "die Vorschriften und Richtlinien der staatlichen Ausbildungsförderung ... nicht in die privatrechtliche Unterhaltspflicht eingreifen". Die separaten Regelungsbereiche des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs sowie des öffentlich-rechtlichen Förderungsanspruches werden auch hier anerkannt. Dies schließt jedoch nicht aus, die Eckdaten des jeweils anderen Bereichs zu berücksichtigen; im Gegenteil ist dies um der Einheitlichkeit der Rechtsordnung willen geboten. - Vgl. schon Moritz, JZ 1980, 17; s. auch SoergellLange (1981), § 1612, Rn. 4-.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Mehr an materieller Ausstattung auf Kosten der Ansprüche der Unterhaltsberechtigten auf Selbstentfaltung im Rahmen der gesetzlichen Grenzen zu erlangen suchten. Auch ist kaum einzusehen, weshalb Kinder bessergestellter Eltern ihren Unterhaltsverpflichteten gegenüber zu derartigen Zugeständnissen verpflichtet sein sollten, Kinder aus Familien mit einem Einkommen unterhalb den vom Gesetzgeber genannten Bemessungsgrenzen dagegen, einer Geldrente in Form eines Ausbildungsdarlehens gewiß, Beschneidungen ihrer Ansprüche nicht ausgesetzt wären. Diese Diskrepanz zwischen Auszubildenden aus Familien mit geringem und solchen mit besserem Einkommen spitzt sich noch zu, wird die große Zahl der Stipendienempfänger betrachtet, die nur ein Teil des Stipendiums erhalten, im übrigen auf Unterhaltsleistungen angewiesen sind51 • Diese sind wie ihre Kommilitonen aus ärmeren Familien für die Zukunft mit dem Darlehen belastet; bei der Befürwortung eines "Bestimmungsrechtes" der Eltern hätten sie darüber hinaus jedoch zusätzlich während der Gesamtzeit der Ausbildung die faktische Beschränkung ihres Selbstbestimmungsrechtes zu tragen. Das heißt, die jungen Volljährigen wären zur Eigenbelastung ihrer Zukunft mit nicht unerheblichen Schulden befugt, im übrigen unterständen sie dagegen nach wie vor der Aufsicht ihrer Eltern. III. Ergebnis und Auslegung des § 1612 Abs. 2 BGB
Ein "Bestimmungsrecht" nach § 1612 Abs. 2 Satz 1 BGB steht den Eltern gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern zu. Es besteht insoweit zugleich die Möglichkeit erzieherischer Einflußnahme nach den §§ 1626 ff. BGB. Schon das elterliche Sorgerecht berücksichtigt jedoch alle relevanten personenbezogenen Argumente, welche als möglicher Inhalt eines "Bestimmungsrechtes" des § 1612 Abs. 2 BGB in Betracht kämen. Strittige Maßnahmen der Sorgeberechtigten sind deshalb zunächst unter sorgerechtlichen Prämissen zu beurteilen. Das "Bestimmungsrecht" berücksichtigt zusätzlich ökonomische Begründungen. Eine Ersetzung nach § 1612 Abs. 2 S. 2 BGB bedingt, daß die "Bestimmung" weder nach der personensorgerechtlichen noch nach der ökonomischen Begründung gerechtfertigt ist. Gegenüber Volljährigen entfällt das elterliche Leitungsrecht. Das "Bestimmungsrecht" des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB kann nur mit dem Argument der übermäßigen Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Unterhaltsverpflichteten begründet werden. Gegenüber volljährigen Unterhaltsberechtigten besteht ein Vorrang des eigenen angemessenen Unterhalts der Eltern. Innerhalb dieser Grenze besteht bis zum vollen Unterhaltsbetrag des volljährigen Unterhaltsberechtigten das "Bestimmungsrecht" der Eltern 51 Von 800.000 Studenten an Universitäten und Fachhochschulen in der Bundesrepublik erhielten 300.000 staatliche Mittel aus dem Programm der Ausbildungsförderung. Ein volles Stipendium bekamen nur 65.000, also knapp 22 %
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gern. § 1612 Abs. 2 BGB. Entgegen den Befürchtungen des BGH52 kommt es somit nicht zu einem Leerlaufen der Vorschrift. Gegenüber volljährigen Auszubildenden ergeben sich die Höchstbelastungsgrenzen der Eltern aus den entsprechenden Förderungsgesetzen. Da die Höchstbelastungsgrenzen zugleich den Förderungsanspruch des Kindes bestimmen, ist diesem stets ein Mindestbetrag aus Unterhaltsanspruch und/oder Ausbildungsförderungsdarlehen garantiert. Ein "Bestimmungsrecht" kommt erst beim Überschreiten dieses Mindestbetrages in Betracht (bei Unterschreitung der Höchstbelastungsgrenze der Eltern entfällt ein Unterhalts anspruch des Volljährigen (!». Ist der angemessene Unterhalt der Eltern gesichert, so besteht nach Maßgabe der §§ 1601 ff. BGB ein Anspruch des volljährigen Unterhaltsberechtigten auf eine Geldrente; die Verweigerung der Geldrente stellt einen "besonderen Grund" i. S. d. § 1612 Abs. 2 Satz 2 BGB dar. Dem BGH53 ist beizupflichten, wenn er aus Gründen der Rechtssicherheit eine getroffene "Bestimmung" als zunächst wirksam ansieht, bis zu deren Ersetzung durch das Vormundschaftsgericht. Eröffnet ist indes zugleich die Möglichkeit einer vorläufigen Regelung durch eine einstweilige Anordnung. Das gefundene Ergebnis der prinzipiell restriktiven Anwendbarkeit des § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB nötigt zu dem Ergebnis, daß die Verweigerung der Naturalleistung - jedenfalls wenn das Anordnungsverfahren oder das vormundschaftsgerichtliche Hauptverfahren anhängig sind - entsprechend Göppinger54 nicht zum Verlust des Unterhaltsanspruches führt. § 2 Inhalt und Dauer des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruches sowie das Verhältnis volljähriger und minderjähriger Unterhaltsberechtigter
A. Art und Maß des zivilrechtlichen Unterhalts I. Die gesetzlichen Grundlagen
Gemäß § 1602 Abs. 1 BGB ist unter den Einschränkungen der §§ 1602 ff. BGB derjenige Verwandte in gerader Linie unterhaltsberechtigt, der "außerstande ist, sich selbst zu unterhalten". Das Gesetz differenziert zwischen volljährigen und minderjährigen Unterhaltsberechtigten, indem bei Minderjährigen der Unterhalt auch die Kosten der Erziehung umfaßt (§ 1610 Abs. 2, letzt. Halbs. BGB); die Mutter, analog auch der Hausmann!, erfüllt bei MinNJW 1981, 575. NJW 1981, 575; entspr. auch Köhler, MünchKomm., § 1612, Rn. 10, ders. (1980), Rn. 125. 54 (1981), Rn. 380. 1 H. M., vgl. die Nachweise bei SoergellLange (1981), § 1606, Rn. 9. 52 53
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derjährigen die Unterhaltsleistung in der Regel durch die Pflege und "Erziehung" des Kindes (§ 1606 Abs. 3 S. 2 BGB). Im übrigen gilt für alle Unterhaltsberechtigten, daß der Unterhalt den gesamten Lebensbedarf decken soll (§ 1610 Abs. 2, 1. Halbs. BGB). Für eheliche und nichteheliche Kinder in gleichem Maße2 sowie für Minder- und Volljährige 3 umfaßt der Unterhalt auch die "Kosten einer angemessenen Vorbildung zu einem Beruf" . Während § 1610 Abs. 2 BGB eine "angemessene Vorbildung" garantiert, versieht er die dafür erforderlichen "Kosten" nicht mit dem Attribut "angemessen". Das Maß des zu gewährenden Unterhalts bestimmt sich nach § 1610 Abs. 1 BGB "nach der Lebensstellung des Bedüftigen". Die Leistungsgrenze des Unterhaltsverpflichteten legt § 1603 Abs. 1 BGB bei der "Gefährdung (dessen) angemessenen Unterhalts" fest; im Falle unterhaltsberechtigter minderjähriger unverheirateter Kinder wird eine Unterhaltsleistung grundsätzlich auch noch darüber hinaus erwartet (§ 1603 Abs. 2 BGB). 11. Die "Lebensstellung" des Bedürftigen und die daran knüpfende Bestimmung der Höhe des UnterhaItsanspruches
1. Die Bedeutung der "Lebensstellung" des Bedürftigen und die zu ihrer Fixierung vertretenen Auffassungen 1.1. Das minderjährige, im Haushalt der Eltern lebende Kind Bei einem minderjährigen, im Haushalt der Eltern lebenden Kind, entspricht die Lebensstellung in der Regel jener der Eltern. Im Ausnahmefall des vermögenden Kindes erfolgt eine Angleichung nach Maßgabe des § 1649 BGB4. 1.2. Der Unterhalt minderjähriger Externer sowie Volljähriger Die Bestimmung der "Lebensstellung" des Kindes und des davon abhängigen Unterhaltssatzes macht Schwierigkeiten bei Kindern, welche getrennt vom Unterhaltsverpflichteten leben; dies kann sein, weil sie - als Volljährige oder Minderjährige - einer externen Berufsausbildung nachgehen oder weil etwa der Barunterhaltsverpflichtete nicht mit dem sorge berechtigten Elternteil zusammenlebt. Einen Sonderfall stellt hinsichtlich des Umfangs der Unterhaltsanspruch von Kindern besonders wohlhabender Eltern dar, wird als "Lebensstellung" des Auszubildenden jene der Eltern angenommen.
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LG Hannover FamRZ 1976, 380. Vgl. BR-DrS 284/74. Vgl. im einzelnen im vorstehenden 2. Abschnitt, § 2 A.
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1.2.1. Der zivilrechtliche Auszubildenden-Unterhalt Der BGH verneinte in einer Entscheidung aus dem Jahre 1969 für einen Minderjährigen, welcher sich in einer Ausbildung befand, eine eigene Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten i. S. d. § 1610 Abs. 1 BGB5. Der Unterhalt richte sich in diesem Fall nach der Lebensstellung und den wirtschaftlichen Verhältnissen der Eltern. Der BGH wendet § 1615 c BGB insoweit analog an. § 1615 c BGB betrifft jedoch einen anderen Fall; er will die Sätze der RegelunthVO aufbessern und zu der Lebensstellung hin korrigieren, innerhalb welcher das Kind aufwächst6 • § 1615 c BGB läßt sich damit nur schwer auf Kinder übertragen, welche vom Elternhaus getrennt leben. Köhler7 unternimmt deshalb den Versuch einer anderen Definition. Die "Lebensstellung" Minderjähriger werde vorwiegend durch das Kindsein geprägt. Der Unterhalt sei deshalb primär nach erzieherischen und sozialen Erwägungen zu bemessen.
Von einer eigenen Lebensstellung - jedenfalls - Volljähriger geht das Kammergericht aus8 • Es vertritt die Auffassung, daß der Unterhaltsbedarf für volljährige Auszubildende grundsätzlich unabhängig vom Einkommen der Eltern weitgehend einheitlich festgelegt werden sollte. Dabei hält es der Senat für erwägenswert, jenen, welche aus einem sehr wohlhabenden Elternhaus stammen, eine nach den Besonderheiten des Einzelfalls zu bemessenden Mehrbetrag zuzusprechen. Entgegen der Auffassung des OLG Frankfurt9 , welches den notwendigen Unterhaltsbedarf an den BAföG-Sätzen orientierte, hält das Kammergericht lO diese Bewertung nicht für maßgebend, da das BAföG nur solchen Schülern und Studenten Ausbildungsförderung gewähre, deren Eltern über ein Einkommen unterhalb einer bestimmten Einkommensgrenze verfügen. Es weist ferner darauf hin, daß die BAföG-Sätze unterhalb der in der Rechtsprechung erarbeiteten Festlegung des Selbstbehalts des Barunterhaltspflichtigen gegenüber minderjährigen unverheirateten Kindern liege ll . Da es sich dabei um Mindestsätze handele, müßte der Durchschnittsunterhalt darüber liegen. Generell für in der Ausbildung befindliche Volljährige, die nicht 5 BGH NJW 1969, 920 = FamRZ 1969, 205. Vgl. auch BGH NJW 1981, 543, wonach bei Doppelverdienern mit gleichem Einkommen der Sorgeverpflichtete Naturalunterhalt leistet sowie das Einkommen des anderen Ehegatten zur Bemessung des Unterhalts dient. 6 PalandtiDiederichsen, § 1615 c, Anm. 1; Gernhuber (1980), § 59 11 2; Köhler, MünchKomm., Bd. V/2, § 1615 c, Rn. 3 ff. 7 MünchKomm., 2. Aufl., Bd. V/2, § 1610, Rn. 9 f. 8 FamRZ 1979, 64 ff.; ebenso jetzt Giese, NJW 1982, 2711. Sp. 9 FamRZ 1978, 433. 10 aaO. 11 aaO, S. 66.
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mehr im Elternhaus wohnen, sei deshalb auf Unterhaltsleistungen entsprechend den OLG-Richtsätzen ("Düsseldorfer Tabelle") zu erkennen l2 • Wohnt der Auszubildende dagegen noch bei den Eltern, sei der Barunterhalt um einen angemessenen Betrag zu kürzen 13 . 1.2.2. "Lebensstellung" des Kindes getrennt lebender oder geschiedener Eltern sowie die Frage der Korrelation von Lebensalter des Kindes und Betreuungsaufwand Für den Unterhaltsanspruch minderjähriger Kinder gegen den externen Unterhaltsverpflichteten ist nach h. M. grundsätzlich auf das Einkommen des Barunterhaltspflichtigen abzustellen, da das Kind insoweit an der Lebensstellung dieses Elternteils teil hat l4 • Teilweise wird vertreten, daß sich vom 15. Geburtstag anIS, nach Ansicht des OLG Nürnberg schon bei 11-12jährigen Kindern l6 , die Naturalunterhaltsleistungen des Sorgeverpflichteten um 50 % mindern und eine entsprechende Barunterhaltspflicht entsteht. Vor allem der 6. Senat des OLG Düsseldorf17 , und diesem zustimmend der BGHI8, lehnen die Auffassung des OLG Nürnberg unter Hinweis auf § 1606 Abs. 3 S. 2 BGB ab, welcher eine Altersdifferenzierung nicht treffe; sie führen des weiteren zur Begründung ihrer ablehnenden Haltung an, daß mit dem 15. Geburtstag keine Einschränkung der Sorgeverpflichtungen, sondern eine Verlagerung (statt Bestimmen = Diskutieren) stattfinde. Der BGH räumt allerdings ein, daß vom 15. Geburtstag an eine gewisse Erleichterung für die Sorgeverpflichteten eintrete; der Betreuungsaufwand werde dadurch jedoch nicht auf einen Bruchteil reduziert l9 . 1.2.3. Der Unterhaltsanspruch von Kindern besonders wohlhabender Eltern Besonders zahlreich und widersprüchlich sind die Stellungnahmen zum Unterhaltsanspruch der Kinder von über durchschnittlich wohlhabenden Eltern. Nach den Unterhaltstabellen der Oberlandesgerichte beträgt der Gesamtunterhaltsbedarf eines Studierenden, der nicht bei seinen Eltern oder KG, aaO, S. 66. KG, aaO. 14 BGH NJW 1981, 1559, m. w. N. = FamRZ 1981, 543. 15 OLG Düsseldorf (3. Senat) FamRZ 1978, 885; 1980, 19; entspr. OLG Nürnberg FamRZ 1979, 737 und OLG Stuttgart NJW 1978, 1166. - Vgl. auch PalandtiDiederichsen, § 1606, Anm. 4 b sowie Köhler, MünchKomm., § 1606, Rn. 7. 16 OLG Nürnberg NJW 1980, 1473. 17 OLG Düsseldorf (6. Senat) NJW 1980, 1001, 1003, m. w. N. 18 BGH NJW 1980, 2306, 2307 = FamRZ 1980, 994. 19 BGH NJW 1980, 2307 r. Sp. 12 13
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einem Elternteil wohnt, "in der Regel monatlich DM 800,-"20. Teile von Literatur und Rechtsprechung anerkennen eine "Sättigungsgrenze"21, die auch bei wohlhabenden Eltern gilt. Danach ist der Bedarf bei wohlhabenden Eltern nicht schematisch an dem Einkommen beider Eltern zu bemessen, sondern habe sich an dem zu orientieren, was an deren Unterhaltsberechtigten der entsprechenden Altersgruppe zur Verfügung stehe. Zum Teil werden die BAföG-Sätze dafür als grober Anhaltspunkt herangezogen, wobei sich aus deren Orientierung an einem Mindeststandard die Notwendigkeit von Zuschlägen für den zivilrechtlichen Unterhaltsanspruch ergebe22 , Diederichsen 23 sowie vor allem das Kammergericht24 erkennen in den OLG-Tabellen die Fixierung einer "Sättigungsgrenze" . Diederichsen beruft sich dabei vor allem auf den BGH, welcher in seiner Entscheidung vom 23,4. 198025 eine Hochrechnung auf der Grundlage der OLG-Tabellen für Unterhaltsverpflichtete, deren Einkommen über den in der Tabelle berücksichtigten liegt, nicht vorgenommen habe26 , Auch diejenigen, welche dagegen eine "Sättigungsgrenze" ablehnen, sind der Auffassung, daß die Unterhaltsberechtigten wohlhabender Eltern keinen Anspruch auf eine der Lebensführung der Eltern entsprechende Lebensgestaltung hätten. Das Landgericht Wuppertal will deshalb den "Unterhalts anspruch" "darauf beschränken, was die Einzelperson auch bei Berücksichtigung hoher Ansprüche für den anerkennenswerten Lebensbedarf sinnvoll ausgeben" könne 27 . Nach anderer Auffassung richtet sich das Maß der Einschränkung, "selbst bei volljährigen Kindern"28, nach "erzieherischen GrÜnden"29.
20 OLG Düsseldorf NJW 1982, 19; OLG Hamm NJW 1982, 21; OLG Köln NJW 1982,23; OLG Stuttgart FamRZ 1983, 19; OLG München NJW 1983, 156. Zu den Unterhaltssätzen ab 1. 1. 1985 vgl. die Tabellen der Oberlandesgerichte in NJW 1984, 2330 ff. 21 OLG Bremen FamRZ 1982, 1103; OLG Karlsruhe FamRZ 1981, 1195 f.; OLG Frankfurt NJW 1982, 833; KG FamRZ 1982, 516; Diederichsen, NJW 1980, 1672, 1674. Ablehnend: OLG Düsseldorf FamRZ 1981, 298 = NJW 1981, 2584; LG Wuppertal DA Vorm 1978, 284. 22 OLG Hamburg FamRZ 1981, 71 (zustimmend PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 2); OLG Karlsruhe FamRZ 1981,1195 (= doppelter BAföG-Satz); Moritz, JZ 1980, 16, 19. Ablehnend: Soergel/Lange (1981), § 1610, Rn. 15. 23 NJW 1980, 1674 r. Sp. 24 FamRZ 1982, 516. 25 BGH NJW 1980, 1686. 26 Diederichsen, NJW 1980, 1672, 1674. 27 LG Wuppertal DAVorm 1978, 284. 28 OLG Düsseldorf NJW 1981, 2584. 29 OLG Bamberg FamRZ 1980, 665, 669; OLG Düsseldorf NJW 1981, 2584; OLG Frankfurt NJW 1982, 833.
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In der Praxis bewirken diese Meinungsunterschiede die Bezifferung völlig unterschiedlicher Unterhaltssätze. So erkannte das Landgericht Frankfurt im Jahre 1968 auf DM 1.050,~o, was Lange 31 als "für die damalige Zeit zu großzügig" erachtete. Das OLG Düsseldorfhält DM 900,- bei einem Volljährigen für angemessen32 . Nach dem OLG Karlsruhe ist für einen Volljährigen der doppelte BAföG-Satz (= ca. DM 1.400,-) angemessen 33 . Das OLG Hamm plädiert dafür, bei zwei barunterhaltspflichtigen Elternteilen diese jeweils nach ihrem Einkommen heranzuziehen, wobei eine Kürzung im Falle hohen Einkommens möglich sein soll (im Extremfall also 2 x DM 800,- = DM 1.600,-)34. Demgegenüber stehen jene, welche eine "Sättigungsgrenze" anerkennen und somit zu dem Gesamtunterhaltsanspruch von (ab 1. 1. 85) DM 800,- kommen35 . 2. Stellungnahme 2.1. Allgemeine Kritik Die Darstellung des Meinungsstandes hat deutlich gemacht, daß sich die Höh.e des Unterhaltsanspruches allein bei nichtehelichen Kindern im Verhältnis zum Kindesvater, bei minderjährigen Kindern, die im Elternhaus leben sowie bei Kindern, deren Eltern getrennt leben oder geschieden sind, bis zur Vollendung des 15. Lebensjahres anhand von Tabellenwerten (jedenfalls bezüglich eines Grundbedarfes) verläßlich vorhersagen läßt (nichteheliche Kinder = RegelUnthVO; eheliche Kinder = OLG-Tabellen bzw. Scheidungsvereinbarungen). Im übrigen herrscht Rechtsunsicherheit. Diese liegt darin begründet, daß die Rechtsprechung bei Kindern die "Lebensstellung des Bedürftigen" i. S. d. § 1610 Abs. 1 BGB an den wirtschaftlichen Verhältnissen beider Elternteile mißt. Eine eigene Lebensstellung des unterhaltsberechtigten Kindes wird nicht anerkannP6. Dabei wird eine Begrenzung des Unterhaltsanspruchs grundsätzlich für erforderlich gehalten. Maßstab soll sein, was der Berechtigte "für den anerkennenswerten Lebensbedaf sinnvoll ausgeben"37 kann. Möglich soll auch eine "Einschränkung aus erzieherischen Gründen"38 sein. Sätze wie "DM 900,- pro Monat genügen durchaus"39, offenbaren LG Frankfurt MDR 1968,1010. In SoergellLange (1981), § 1610, Rn. 15. 32 OLG Düsseldorf NJW 1981, 2584 = FamRZ 1981, 298; zustimmend SoergelJ Lange (1981), § 1610, Rn. 15. 33 OLG Karlsruhe FamRZ 1981, 1195 = NJW 1982, 834. 34 OLG Hamm NJW 1982, 21 f. unter Ziff. "24". 35 OLG Frankfurt NJW 1982, 833; KG FamRZ 1982, 516. 36 BGH NJW 1969, 920 = FamRZ 1969, 205; BGH NJW 1981,1559 = FamRZ 1981, 543. 37 LG Wuppertal DAVorm 1978, 284. 30
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jedoch die Willkürlichkeit der getroffenen Entscheidungen. Die Rekurrierung auf "erzieherische Gründe" - auch - gegenüber Volljährigen, ohne daß in diesem Zusammenhang - anders also als bei § 1612 Abs. 2 BGB - dafür eine wirtschaftliche Notwendigkeit auf Seiten der Unterhaltsverpflichteten bestände 40 , desavouieren darüber hinaus die Rechtsanwender , indem diese ohne Not als Preis für die Nichtanerkennung einer eigenen Lebensstellung der unterhaltsberechtigten Volljährigen Kinder die Anerkennung der Mündigkeit Volljähriger wirtschaftlichen Zweckmäßigkeitserwägungen opfern und damit dem Vorurteil "wer zahlt, schafft an"41 o. ä. ohne Not Geltung verschaffen. Es erscheint somit als dringend notwendig, die Ansätze zu überdenken. 2.2. Eigener Lösungsvorschlag 2.2.1. Arbeitslose Unterhaltsberechtigte Im Regelfall des unterhaltsberechtigten volljährigen oder doch über-15jährigen Kindes liegt der Grund der fehlenden wirtschaftlichen Eigenständigkeit in einer anstehenden oder zur Zeit durchgeführten Berufsausbildung. Diese Konstellation soll deshalb im Vordergrund der weiteren Ausführungen stehen. Immerhin lohnt es sich darauf hinzuweisen, daß im Falle eines Arbeitslosen mit abgeschlossener Berufsausbildung und eigenem Hausstand wohl niemand die Existenz einer eigenen Lebensstellung des Unterhaltsberechtigten bezweifelte, obgleich der Restunterhaltsteil ggf. aus Mitteln nach dem AFG oder BSHG stammt. 2.2.2. Die "Lebensstellung Auszubildender und daran knüpfende Konsequenzen für die Höhe des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs 2.2.2.1. Die "Lebensstellung" Auszubildender Schon in einem Beitrag des Jahres 1980 plädierte ich dafür, eine eigene "Lebensstellung" Auszubildender anzuerkennen42 . Lange wandte sich daraufhin gegen die Fixierung eines "Studentenregelunterhalts" nach Maßgabe des § 12 BAfÖG43. Dafür war ich jedoch auch nicht eingetreten. Die BAföG-Sätze 38 OLG Bamberg FamRZ 1980, 665, 669; OLG Düsseldorf NJW 1981, 2584; OLG Frankfurt NJW 1982, 833. 39 Bosch, Anm. zu OLG Karlsruhe - 18 UF 133/81 -, FamRZ 1981, 1196. 40 Vgl. die Tatbestände in den Entscheidungen OLG Bamberg FamRZ 1980, 665; OLG Düsseldorf NJW 1981, 2584; OLG Karlsruhe FamRZ 1981,1196; OLG Frankfurt NJW 1982, 833. 41 Vgl. Naendrup BlStSozArbR 1980, 225, 227. 42 Vgl. Moritz, JZ 1980, 16, 19. 43 SoergellLange (1981), § 1610, Rn. 15.
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bilden nach meiner Auffassung vielmehr, entsprechend dem OLG Hamburg44 sowie dem Kammergericht45 , einen Orientierungsmaßstab sowie - aus der Sicht des Auszubildenden - die Fixierung eines Mindeststandards. Dieser wird, reicht der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch nicht aus, durch die BAföG-Mittel aufgefüllt. Andererseits wurden Zuschläge durchaus vorgesehen. Die Kritik Langes differenziert somit nicht hinreichend zwischen der "Lebensstellung" des Auszubildenden und dem, was der Auszubildende als Unterhaltsanspruch gegen die Unterhaltsverpflichteten realisieren kann. § 1610 Abs. 1 BGB ist nach der Systematik des Gesetzes stets durch § 1603 BGB begrenzt. Unverständlich bleibt auch der Vorwurf des OLG Köln 46 "eine(r) soziologisch motivierten Gleichbehandlung aller Studenten"; denn es geht nicht um soziologische Überzeugungen, sondern um die Beseitigung von Rechtsunsicherheiten, die, wie die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte zeigt, Folge der Versagung einer eigenen Lebensstellung der Unterhaltsberechtigten ist. Ausbildung deckt insbesondere in "höherwertigen" Berufen eine nicht unerhebliche Zeitspanne des Lebens ab. Soziologisch kann von einer studentischen Subkultur gesprochen werden. Die Ausbildung Volljähriger geschieht weitgehend fern vom Elternhaus. Nach der Ersetzung der Mischfinanzierung (Zuschuß/Darlehen) durch reine Darlehensvergabe bei der Ausbildungsförderung wird die Ausbildung oftmals zum Preis erheblicher finanzieller Belastung der Zukunft der Auszubildenden von diesen durchgeführt (Anspruchsberechtigte und Darlehensverpflichtete sind die Auszubildenden, vgl. § 1 BAföG). Insofern besteht zumindest eine "negative" wirtschaftliche Selbständigkeit. Es ist deshalb kaum einsichtig, eine eigene "Lebensstellung" dieser gesellschaftlichen Gruppe zu verneinen. Der Inhalt dieser "Lebensstellung" ist aus der gesellschaftlichen Gruppe heraus zu definieren, so daß es auf bestehende oder fehlende Wohlhabenheit des einzelnen Elternhauses, im Gegensatz zur Auffassung des Kammergerichts 47 , nicht mehr ankommt. Als wesentlich für die Begründung einer eigenen Lebensstellung von Auszubildenden erscheint mir indes noch eine andere Überlegung, welche der Änderung der Familienbeziehungen, einschließlich ihrer wirtschaftlichen Grundlagen, Rechnung trägt. Wie im 2. Kapitel im einzelnen ausgeführt ist, wurde Familie noch zur Zeit der Vorarbeiten zum BGB als patriarchisch geführter Personenverband verstanden. Das Patriarchat war historisch begründet als Sicherungsmittel des väterlichen Erbes für die NachkomFamRZ 1981, 71; zustimmend auch PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 2 . KG FamRZ 1979, 65. 46 FamRZ 1981, 810; dagegen OLG Karlsruhe FamRZ 1981, 1195, 1196, unter Anerkennung einer ihrerseits als willkürlich anmutenden, jedenfalls aber überhöhten Grenzziehung (so richtig Bosch, FamRZ 1981,1196) beim doppelten BAföG-Satz. 47 FamRZ 1979, 65. 44
. 45
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
531
menschaft. Vennögen war somit familien- bzw. hausvaterorientiert. Demgegenüber ging mit dem, was als "Funktionsverlust der Familie" bezeichnet wird48 , eine Individualisierung der Familienmitglieder einher. Wenn "Vermögen" funktional als jenes zu verstehen ist, was es entsprechend seiner historischen familienrechtlichen Bedeutung im Sinne einer materiellen Lebensvoraussetzung als in die Zukunft zu retten gilt, so besteht Vermögen in diesem Sinne nur zum Teil noch aus den den Eltern zuzurechnenden Vermögensgegenständen. Entsprechend der Individualisierung und den Anforderungen der Industriegesellschaft bildet die individuelle materielle Existenzvoraussetzung, quasi als Vennögenswert, die Ausbildung. Die Schöpfung von Mehrwert in diesem übertragenen Sinne (= Aneignung von Ausbildunggswissen und seine Reproduktion) ist, jedenfalls von einer bestimmten Qualität an, jedoch die eigenständige Leistung des Auszubildenden. Die Verpflichtung, dem Jugendlichen zur Verwirklichung seines Leistungswillens und seiner Leistungsfähigkeit bestimmte materielle Grundbedingungen zu garantieren, ergibt sich aus den §§ 1601 ff. BGB sowie aus der Ausgestaltung der öffentlich-rechtlichen Leistungen als gegenüber dem privaten Anspruch subsidiäre Hilfen (vgl. etwa §§ 1,37 BAföG). 2.2.2.2. Das Maß des Auszubildenden-Unterhalts Als Anknüpfungspunkt für die Bemessung der materiellen Lebensstellung i. S. d. § 1610 Abs. 1 BGB hält das Kammergericht das BAföG für geeignet49 • Der Bundesgerichtshof verneinte lediglich ein Eingreifen der Ausbil· dungsförderung in die privatrechtliche Unterhaltspflicht50 • Dies schließt eine wertende Berücksichtigung der BAföG-Sätze jedoch nicht aus51 . Die wichtigste inhaltliche Leistung des BAföG ist die Herstellung einer Duplizität der Bezugsebenen im System öffentlicher Ausbildungsförderung, indem - neben der unmittelbaren Distribution - im Rahmen mittelbarer Distribution die Interessen der Eltern und der Auszubildenden zueinander in Beziehung gesetzt werden52 . Das BAföG garantiert den betroffenen Eltern den Behalt eines Mindesteinkommens sowie gleichzeitig dem Auszubildenden einen festen Förderungssatz, welcher sich gegebenenfalls anteilig aus Elternleistung und staatlicher Förderung zusammensetzt. Dagegen läßt das Kammergericht offen, wie die Differenz zwischen BAföG-Mindestsätzen für das Elterneinkommen (gern. § 25 Abs. 1 BAföG) und Mindestselbstbehalt i. S. d. § 1603 Abs. 2 BGB auszugleichen ist. Das Argument, die BAföG-Richtsätze seien 48 Vgl. statt vieler Gemhuber (1980) sowie im einzelnen im obigen 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3. 49 KG, aaO. 50 BGH NJW 1977,1774 = FamRZ 1977, 629; vgl. auch BVerwGE 18, 335. 51 Vgl. im einzelnen schon Moritz, JZ 1980, 17 m. w. N. 52 Vgl. im einzelnen MoritzlMeier, ZfS 1979, 195 ff. = DUZ 1979, 78, 79.
34*
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
zugeschnitten auf Eltern mit Einkommensverhältnissen im unteren Durchschnitt, weshalb es anstößig wäre, wenn der Unterhaltsberechtigte ggf. einen über den Selbstbehaltsbetrag hinausgehenden Unterhaltsanspruch erhielte53 , ignoriert die sozialstaatliche Ergänzungsfunktion staatlicher Ausbildungsförderung. Denn der zivilrechtliche Unterhaltsanspruch allein liegt nicht über den Selbstbehaltsätzen, dies trifft allenfalls für den durch das BAföG - jetzt in Form eines Darlehens (!) - ergänzten Gesamtanspruch zu. Andererseits ist zu berücksichtigen, daß sich staatliche Ausbildungsförderung an gesamtgesellschaftlich zu akzeptierende Mindestsätze orientiert54 , wobei § 35 BAföG bzw. § 39 AFG eine stete Aktualisierung garantieren. Hieraus folgt, daß allein das BAföG - bzw. hinsichtlich beruflicher Bildung das AFG - die Gewähr zutreffender globaler Beschreibung der materiellen Lebensstellung Auszubildender bietet, indem es ständigem rechtspolitischen Dialog der Betroffenen sowie legislativlicher Aktualisierung ausgesetzt ist. Zu berücksichtigen ist, daß seine Festsetzungen sowohl hinsichtlich der Auszubildenden wie in bezug auf die zivilrechtlich Unterhaltsverpflichteten lediglich einen Mindeststandard enthalten. Dieser definiert die materielle Lebensstellung des Auszubildenden i. S. d. § 1610 Abs. 1 BGB. Diesem sind die genannten Höchstbeträge im Ergebnis - als staatliche Ausbildungsförderung, ggf. ergänzt durch Beiträge der Unterhaltsverpflichteten - garantiert. Andererseits sind die Eltern so lange nicht verpflichtet, weitere Opfer für die Ausbildung ihrer Kinder auf sich zu nehmen, wie ihr Einkommen den gesetzlichen Mindeststandard nicht übersteigt55 • Wird letzterer dagegen überschritten, kommt eine Erhöhung des auszubildenden-Anspruches in Betracht, wobei diese systemgerecht zu erfolgen hat, also unter gleichzeitiger Heraufsetzung auch des elterlichen Restbehaltes 56 • Als Limit für die Anspruchsteigerung sahen dabei die Vorschläge des Beirates für Ausbildungsförderung beim Minister für Bildung und Wissenschaft eine Rate von 10 % vor57 ; dies aber entspricht dem Regelsatz der OLG-Unterhaltstabellen (= ab 1. 1. 1985: DM 800,-58) für volljährige Unterhaltsberechtigte. 2.2.2.3. Minderjährigen- und Volljährigenunterhalt Auch für minderjährige Auszubildende, die von ihrem Elternhaus getrennt leben, vermag § 1615 c BGB (analog) nicht weiterzuhelfen, da § 1615 c primär auf häusliches Zusammenleben von Unterhaltsberechtigten und -ver53 54
55 56 57 58
KG FamRZ 1979, 66, mit OLG DüsseldorfNJW 1978,1590. Vgl. MoritzIMeier, DUZ 1979, 81. Pauschaler: Palandt/Diederichsen, § 1610, Anm. 4 a bb. Zu diesem Wechselbezug vgl. schon MoritzlMeier, aaO, S. 811. Sp. Vgl. DUZ 21/78, S. 666. Vgl. in NJW 1982,19 ff.; vgl. die neuen Sätze in NJW 1984, 2330 f.
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
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pflichteten abstellt. Der Unterschied zum Volljährigen besteht insofern allein im Lebensalter. Dies hat Auswirkungen auf die Höhe des Unterhaltsanspruches (vgl. die - noch bestehenden - BAföG-Sätze für den Schülerunterhalt bzw. die AFG-Sätze für Auszubildende). Ist eine Trennung vom Elternhaus schon gegeben, erfolgt für die Minderjährigen und für Volljährige die Zahlung in Form einer Geldrente (§ 1612 Abs. 2 S. 1 BGB). In Ausübung ihres Sorgerechtes können die Eltern die Auszahlung jedoch variieren. Wohnen die Abkömmlinge dagegen zu Hause, so folgt aus der Anerkennung der eigenen Lebensstellung des unterhaltsberechtigten Auszubildenden i. V. m. dem aus der Volljährigkeit resultierenden Anspruch der fremdrechtfreien eigenen Entfaltung, daß (nur) dem Volljährigen die Entscheidung über das Verlassen des Elternhauses vorbehalten ist, während der Minderjährige (im Rahmen der aufgezeigten Auslegung59 ) dem Aufenthaltsbestimmungsrecht der Sorgeberechtigten unterliegt und somit an der "Lebensstellung" der Eltern teilhat. Die Eigeninteressen des ab-15jährigen Kindes realisieren sich in der Verpflichtung der Eltern, ihm den "Mindest-Verfügungsbetrag" zu überlassen60 • Die grundsätzliche Anerkennung dieser Pflicht bedeutet eine partielle Umwandlung des Naturalunterhaltsanspruches in einen Geldanspruch. Dies entspricht jener Ansicht, welche von einer Reduzierung der Naturalunterhaltsleistung ab dem 15. Geburtstag ausgeht61 . Dabei kommt es entgegen dem BGH62 nicht darauf an, ob sich die Lage des Sorgeverpflichteten tatsächlich erleichtert hat. Maßgebend ist, daß die Qualität der Rechtsbeziehungen gewandelt ist, letztlich in Umsetzung der Sorgerechtsregelungen. Diese Wandlung im Verhältnis der Sorgeberechtigten zum Kind hat die Konsequenz, daß das Einkommen aus einer tatsächlich ausgeübten oder auszuübenden63 Berufstätigkeit des Sorgeverpflichteten anspruchsmindernd für den Unterhaltsanspruch des Kindes gegen den abwesenden Elternteil wirkt. 2.2.2.4. Der Unterhaltsanspruch von Kindern besonders wohlhabender Eltern Die Anerkennung einer eigenen Lebensstellung Auszubildender beantwortet auch die Frage nach der Höhe eines Unterhaltsanspruches von Kindern besonders wohlhabender Eltern bzw. jene nach Anerkennung einer "Sättigungsgrenze" . Denn die Anerkennung einer eigenen Lebensstellung koppelt die volljährigen Auszubildenden von jener der Eltern ab.
59 60 61 62
63
Vgl. im 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 1 B I. Vgl. im 5. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2. Vgl. obige Fn. 15 u. 16. BGH NJW 1980, 2307, mit dem OLG Düsseldorf (6. Senat) NJW 1980,1003. Vgl. OLG Frankfurt FamRZ 1979,139; KG FamRZ 1977,818.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Danach ergeben sich als Orientierung des Anspruchs die BAföG-Sätze. Diese werden nach zivilrechtlichen Prämissen (Unterschied zwischen Mindestbedarf nach BAföG und Regelbedarf) bis zu den OLG-Tabellenhöchstsätzen ergänzt64 . Alternativ hierzu kommt die (nach der Entscheidung des Kindes!) Inanspruchnahme von Naturalunterhalt in Betracht, entsprechend § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB. In diesem Fall hat der Auszubildende Anspruch darauf, entsprechend dem Lebensstandard der Familie als Angehöriger der konkreten Lebensgemeinschaft der elterlichen Familie zu leben. B. Die Bemessung der Dauer des privatrechtlichen Unterhaltsanspruches
Der Unterhaltsanspruch erlischt mit dem Tode des Berechtigten oder Verpflichteten (§ 1615 Abs. 1 BGB). Im übrigen ist die Dauer der Unterhaltspflicht nur noch mittelbar, durch §§ 1602 f. BGB bestimmt. Grundsätzlich besteht der Anspruch damit bis zum Wegfall der Bedürftigkeit bzw. bis zum Leistungsunvermögen der Verpflichteten. Die Finanzierung einer Ausbildung erfolgt prinzipiell bis zum erfolgreichen Abschluß bzw. bis zu deren Abbruch 65 . Indes gilt der Anspruch nicht zeitlich unbegrenzt. Er korrespondiert mit der Verpflichtung des Berechtigten, den Unterhaltsverpflichteten vor übermäßiger Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zu schützen66 . Diederichsen67 spricht von einem "Gegenseitigkeitsprinzip" zwischen Unterhaltsberechtigtem und den Unterhaltsverpflichteten. Dies bedeutet, daß sich der erwerbslose Unterhaltsberechtigte um eine Beschäftigung bemühen muß. Die Zumutbarkeit etwaiger Beschäftigungen ist im Verhältnis zur wirtschaftlichen Belastbarkeit des Unterhaltsverpflichteten zu sehen. Danach können die in § 103 AFG entwickelten Stufen ggf. unterschritten werden (bei stark eingeschränkter wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit des Verpflichteten) oder keine Anwendung finden (bei wirtschaftlicher Potenz des Verpflichteten)68. Bei der Ausbildungsfinanzierung orientiert sich die 64 Die Orientierung an Tabellenwerten, weIche auf die gegebenen Verhältnisse abgestellt sind und der Lebenserfahrung entsprechen, wird zutreffend für möglich gehalten - vgl. BGH FamRZ 1979, 692, 693; NJW 1980, 124 = FamRZ 1980, 40, 42; NJW 1982, S. 1050 f. 65 Ebenso PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 4 a dd; LG Augsburg FamRZ 1970, 90. 66 Vgl. schon Moritz, RdJB 1977,264,274 f. 67 Palandt/Diederichsen, § 1610, Anm. 4 a cc. 68 Zu beachten ist, daß, hat der Anspruchsberechtigte schon im Beruf gestanden, zunächst ohnehin Leistungen nach dem AFG erbracht werden, ggf. unter Anwendung der Stufungen des § 103 AFG. Erst nach Auslaufen der Arbeitsgeldzahlungen kommt ggf. der privatrechtliche Anspruch, als gegenüber der Arbeitslosenhilfe vorrangig, in Betracht.
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
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Dauer der Unterhaltspflicht an den Ausbildungszeiten (+ Prüfungszeit und ggf. Übergangszeit). Schwierigkeiten bestehen bei der Bestimmung der Leistungsdauer bei der Finanzierung eines Studiums. Als generalisierbare Richtlinien, welche den Gesichtspunkt des Übermaßes der Inanspruchnahme der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Verpflichteten konkretisieren, können die Studien beschreibungen dienen69 • Hinsichtlich der Studien dauer sind zu unterscheiden: Mindeststudienzeit (= der nach den Ausbildungsordnungen festgesetzte Zeitpunkt, nach dem frühestens die Prüfung abgelegt werden kann), Regelstudienzeit (= die Zeitspanne, nach welcher i. d. R. die ordnungsgemäße Beendigung der Ausbildung erwartet werden kann) sowie durchschnittliche Studiendauer (= die empirisch feststellbare durchschnittliche tatsächliche Studiendauer in den einzelnen Studiengängen). Schon diese Gegenüberstellung zeigt die Schwierigkeiten einer hinsichtlich der Frage nach der zumutbaren wirtschaftlichen Belastung für die Unterhaltsverpflichteten angemessenen Festsetzung. Denn je nach restriktiver oder extensiver Interpretation wäre die Akzeptierung jeder der genannten Studienzeiten möglich. Andererseits kann es angesichts der Auffangfunktion staatlicher Ausbildungsförderung heute nicht mehr darauf ankommen, ob der konkrete Unterhaltsverpflichtete zufällig wohlhabender ist oder nicht. Die grundsätzlich starke wirtschaftliche Belastung einer Ausbildungsfinanzierung für den Unterhaltsverpflichteten macht jedoch eine angemessene Beschränkung dieser Verpflichtung erforderlich. Bei einer durchschnittlichen Begabung wird die Zugrundelegung einer Zeitspanne, nach welcher i. d. R. die ordnungsgemäße Beendigung der Ausbildung erwartet werden kann, den beiderseitigen Interessen am besten gerecht70 • Entsprechend legt auch staatliche Ausbildungsförderung die Regelstudienzeit als Förderungshöchstdauer fest71 • Förderung über diesen Zeitraum hinaus kann beanspruch werden (§ 15 Abs. 3 BAföG) bei schwerwiegenden Gründen (Krankheit), im Falle der Auslandsausbildung von höchstens zwei Semestern (§ 6 FörderungshöchstdauerVO), bei Mitwirkung in gesetzlich vorgesehenen Gremien der Universität sowie bei erstmaligem Nichtbestehen der Abschlußprüfung. Diese Festlegungen bestimmen in entsprechender Berücksichtigung über § 1610 Abs. 1 und 2 BGB grundsätzlich auch das untere Limit für den privatrechtlichen Unterhaltsanspruch Auszubildender72 • Erst wenn 69
585.
Vgl. schon Moritz, JZ 1980, 20; entspr. Zenz, ZRP 1977, 198, mit Puls DA V 75,
Entsprechend das KG in einem Urteil vom 29. 3. 1915 (Warn. 15, 146). Vgl. Verordnung über die Förderungshöchstdauer für den Besuch von höheren Fachschulen, Akademien und Hochschulen vom 9. 11. 1972 (BGBI I, 2076). 72 Entsprechend: Bei Krankheit (KG Warn. 15, 219); Auslandsaufenthalt (OLG Konstanz FamRZ 1976, 297). Der Unterhaltsverpflichtete darf dem Auszubildenden grundsätzlich auch nicht unter Hinweis auf wirtschaftliche Interessen die legitime Betätigung in politischen Organen universitärer Selbstverwaltung untersagen; dies verstieße schon gegen die Grundsätze der Güterabwägung und müßte - je nach Schärfe der 70 71
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
der Unterhaltsberechtigte die Zweckgerichtetheit der Unterhaltsleistung gröblich mißachtet, entfällt gern. §§ 1601 f., 1610 Abs. 2 BGB insoweit die Unterhaltsverpflichtung; jedoch hat hierfür der Unterhaltsverpflichtete die Beweislast zu tragen. Der Unterschied zwischen staatlicher und privatrechtlicher Ausbildungsförderung besteht darin, daß erstere lediglich die Ausbildung als solche finanzieren soll. Dagegen ist § 1610 Abs. 2 i. V. m. §§ 1601 f. BGB zu sehen. Dies bedeutet, daß zumindest die objektiven Vorausssetzungen eines eigenen Unterhaltserwerbs des Unterhaltsberechtigten herbeizuführen sind. Daraus folgt, daß privatrechtliche Ausbildungsfinanzierung den Mindeststandard staatlicher Ausbildungsförderung insoweit übersteigt, als sie zusätzlich zum Zeitraum der Regelstudienzeit Unterhaltsleistungen für die Dauer der üblichen Prüfungszeit gewähren muß73. Eine darüber hinausgehende Belastung des Unterhaltspflichtigen ist unter dem Gesichtspunkt wechselseitiger Interessenbeachtung grundsätzlich nicht gerechtfertigt; dabei kommt es nicht auf die tatsächliche materielle Lage des Unterhaltsverpflichteten an, denn auch die Unterhaltsregelungen des BGB beseitigen nicht die prinzipielle persönliche Freiheit (eben diese bedingt die in den erwähnten Grenzen grundsätzliche freie inhaltliche und durchführungsbezogene Gestaltung der Ausbildung74 ) und Eigenverantwortlichkeit des Unterhaltsberechtigten für seine wirtschaftlichen Angelegenheiten. Insoweit ist es bei Überschreitung der genannten Studienzeiten dem Auszubildenden zuzumuten, sich um Fremdmittel, gegebenenfalls um ein zinsfreies Darlehen nach den Möglichkeiten des BAföG zu bemühen75 . Da nach dem AFG Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung im Anschluß an das Examen grundsätzlich nicht in Betracht kommen, ist für eine kurze Zeit nach der Prüfung ein Aufleben des privatrechtlichen Unterhaltsanspruches zu bejahen76 . Ist jedoch, wie in der momentanen konjunkturellen Situation, die Frist zwischen Examen und Anstellung nicht voraussehbar lang, ist dem Unterhaltsberechtigten gegebenenfalls auch eine ausbildungsfremde Beschäftigung zuzumuten. Der sich aus dem "Gegenseitigkeitsprinzip" ergebende Schutz der wirtschaftlichen Belange der Verpflichteten führt dazu, worauf zutreffend Zenz77 "Anweisung" - als Verstoß gegen die guten Sitten qualifiziert werden. Hinsichtlich des Nichtbestehens der Abschlußprüfung verneint das OVG Münster (FamRZ 1976, 296) einen weiteren privatrechtlichen Unterhaltsanspruch. Dem ist nur zuzustimmen, steht fest, daß auch ein erneuter Anlauf nicht zum gewünschten Erfolg führen wird. 73 Ebenso KG Warn. 15, 219. 74 Vgl. insoweit schon Moritz, RdJB 1977,274 ff. 75 Für einen Wegfall des zivilrechtlichen Unterhaltsanspruchs "bei erheblichem Überschreiten der Regelstudienzeit" (dort 14 Semester Geologie = Überschreitung um 5 Semester) auch OLG Hamm NJW 1982, 2325 f. 76 Ebenso PalandtlDiederichsen, § 1610, Anm. 4 a dd, mit Warn. 13,237. 77 ZRP 1977, 198.
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hinweist, daß in bezug auf volljährige Unterhaltsberechtigte § 1612 Abs. 2 S. 1 BGB entbehrlich ist. Die Anerkennung des "Gegenseitigkeitsprinzips" eröffnet damit zugleich die Möglichkeit einer echten Interessenabwägung ohne Rückfall in eine Dominanz des wirtschaftlich Stärkeren.
c. Das Verhältnis voUjähriger und minderjähriger Unterhaltsberechtigter I. Problematik und Meinungsstand
§ 1609 Abs. 1 BGB bestimmt: "Sind mehrere Bedürftige vorhanden und ist der Unterhaltsverpflichtete außerstande, allen Unterhalt zu gewähren, so gehen die minderjährigen unverheirateten Kinder den anderen Kindern ... vor".
Roth-Stielow hält die Rangfolgenregelung des § 1609 Abs. 1 BGB zu Lasten volljähriger Kinder für verfassungswidrig; er erblickt darin einen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG78. Dem widerspricht Brühl, da sich das "Problem ... bei sinnvoller Auslegung des einfachen Rechts befriedigend lösen" lasse 79 . Mit SchwabBO differenziert Brühl8! zwischen "elementaren Bedürfnissen", die so weit wie irgend möglich unter gleichmäßiger Verwendung aller verfügbaren Mittel befriedigt werden müßten, und "zweitrangigen Bedürfnissen", für die § 1603 Abs. 2 S. 1 BGB nicht gelte. Eine kostspielige, langdauernde Berufsausbildung sei in diesem Sinne zweitrangig; ihre Finanzierung richte sich nach § 1610 Abs. 2 BGB, als lex specialis zu §§ 1603 Abs. 2 S. 1 und 1609 BGB. Durch die Entscheidung des BGH83, daß die Berufsausbildung unabhängig davon zu finanzieren sei, ob das Kind minderjährig oder volljährig ist, sieht Brühl84 dem Vorwurf der verfassungswidrigen Ungleichbehandlung von minderjährigen und volljährigen Kindern den Boden entzogen. Beide Autoren stellen ausdrücklich allein auf die zivilrechtliche Beurteilung ab 85 und lassen die Beurteilung unter dem Gesichtspunkt öffentlicher Ausbildungsförderung dahinstehen. Brühl86 pflichtet im übrigen dem BGH bei, welRoth-Stielow, ZbIJugR 1982, 331, 334 f. Brühl, FamRZ 1982, 985. BO FamRZ 1971, 1 ff. BI aaO, S. 986. B2 Brühl, aaO, S. 986. B3 FamRZ 1977, 629 r. Sp. B4 aaO, S. 986. B5 Brühl, FamRZ 1982, 987; Roth-Stielow, ZbIJugR 1982, 325. 86 aaO, S. 987; unter Hinweis auf die zustimmenden Stellungnahmen von Bosch FamRZ 1977, 631- und Diederichsen - NJW 1977,1777, unter,,11 1"-. 7B
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
eher von einer fehlenden Voraussetzungskongruenz öffentlicher und privater Ausbildungsfinanzierung ausgeht, indem erstere an allgemeine oder normelle Merkmale anknüpfe, letztere dagegen an individuelle Umstände und persönliche Voraussetzungen des Kindes87 . 11. SteUungnahme
Der Beurteilung von Brühl ist m. E. im Ergebnis, nicht jedoch in der Begründung zu folgen. Beizupflichten ist der Differenzierung zwischen "elementaren" und "zweitrangigen Bedürfnissen". Dies entspricht der auch hier im Rahmen einer Bestimmung des "Mindest-Verfügungsbetrages" getroffenen Unterscheidung88 ; sie trägt der simplen Tatsache Rechnung, daß arbeiten bzw. sich ausbilden lassen nur derjenige kann, für den die materiellen Grundbedürfnisse (Nahrung, Kleidung, Wohnen) garantiert sind. Eine Problemlösung liefert diese Differenzierung allein indes nicht. Denn vorstellbar ist z. B. auch der Fall, daß das Einkommen der Unterhaltsverpflichteten so gering ist, daß selbst diese Grundbedürfnisse nicht für alle Beteiligten hinreichend gesichert sind. Da gern. § 1603 Abs. 1 BGB eine Unterhaltsgewährung gegenüber Volljährigen nur bis zur unteren Grenze des eigenen angemessenen Unterhalts der Verpflichteten zu erfolgen braucht und zudem gemäß § 1609 Abs. 1 BGB ein Vorrang der Minderjährigen besteht, ist der Vorwurf der nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung nicht aus der Welt. Im Gegenteil, da wir auf der Ebene der "elementaren Bedürfnisse" argumentieren, wäre die Ungleichbehandlung ggf. lebensbedrohend. Die Ausführungen machen deutlich, daß die Reduzierung der Diskussion ausschließlich auf die BGB-Bestimmungen zu rechtstheoretischen Ergebnissen kommt, welche mit dem Rechtsalltag nichts zu tun haben. Denn, daß es ein - wenngleich zunehmend löcherig werdendes - "soziales Netz" gibt, welches ein Verhungern ausschließt und Wohnen sichert (vgl.: BSHG, WoGG), ist allgemein bekannt. Der Vorwurf der Blickverengung gilt auch für den Vorschlag vo~ Brühl, daß sich die Familienmitglieder zusammensetzen sollten, um die Ausbildungsziele zu diskutieren bzw., damit der "Vater" darlegen könne, daß er "aus seiner Tasche einem Kind ein Studium konzedieren könne, daß er aber für alle oder einen Teil der Geschwister eine aufwendigere Berufsausbildung nicht zu finanzieren vermöge"89. Der Grundsatz des kommunikativen Konsenses für die Beziehungen der Familienmitglieder zueinander - allgemein sowie in Konfliktfällen - wurde oben ausdrücklich hervorgehoben90 • Die von Brühl geschilderte Einlassung des Vaters widerspräche jedoch diesem 87 88 89 90
BGH FamRZ 1977, 629, 630. Vgl. im 5. Kapitel, 4. Abschnitt, § 2. Brühl, FamRZ 1982, 987 I. Sp. Vgl. (in diesem) 7. Kapitel, 1. Abschnitt, § 311.2.4.
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Prinzip; denn eine verantwortliche (§ 1627 S. 1 BGB), das Kind bei der kompetenten Entscheidungsfindung unterstützende (§§ 1626 Abs. 2 S. 1, 1627 S. 1, 1631 a Abs. 1 S. 1 BGB) Hilfestellung stellte die geschilderte Einlassung des Vaters gerade nicht dar. Denn diese hätte auf ggf. zu mobilisierende Drittmittel (BAföG, BSHG) hinzuweisen. Mit anderen Worten: Die Darlegungen von Brühl und Roth-Stielow kranken daran, daß sie das Normenumfeld ausklammern. Geboten ist, die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebietes zu beachten. Jedenfalls die erforderliche Rechtsfolgendiskussion nötigt zugleich aber dazu, die Wertungen, welche sich aus dem Normenumfeld und/oder ggf. Normen ergeben, die anderen rechtlichen Fachdisziplinen zuzuordnen sind, zu berücksichtigen91 • Dies macht die Normen der §§ 1603, 1609 Abs. 1 BGB deshalb tragbar, als der existentielle Grundbedarf, gehören volljährige und minderjährige Kinder zum Haushalt, jedenfalls durch §§ 4, 8, 22 BSHG i. V. m. §§ 1 f. RegelsVO garantiert ist. Der Gefährdungstatbestand des § 1603 Abs. 1 BGB bzw. die Notwendigkeit der Differenzierung nach § 1609 BGB treten in der Praxis insoweit nicht auf. Lebt das volljährige Kind in einem eigenen Hausstand, entstehen die geschilderten Ansprüche für ihn separat, so daß ebenfalls eine existenzbedrohende Benachteiligung ausscheidet. Gleiches gilt aber entsprechend bezüglich einer "angemessenen Vorbildung zum Beruf". Die von Brühl behauptete Unanwendbarkeit des § 1603 auf § 1610 Abs. 292 BGB findet keinen Anhaltspunkt im Gesetz. Diese bedeutete im Ergebnis, daß die Eltern zur Ausbildungsfinanzierung über die Grenzen des § 1603 BGB hinaus in Anspruch genommen werden könnten. Eine solche Folgerung entspräche sicher auch nicht den Intentionen von Brühl. Somit gilt auch insoweit prinzipiell die aufgestellte gesetzliche Rangfolge sowie die Belastungsgrenze des § 1603 BGB. Diese Abwägungen werden hinsichtlich der Berufsausbildungsfinanzierung aber erst (auf zweiter Stufe) angestellt, nachdem (auf erster Stufe) über die Unterhaltsverpflichtungen bezüglich der Elementarbedürfnisse entschieden wurde. Die Anwendung der Rangfolge entspricht heute noch mehr als früher der Gesamtrechtslage. Denn nach Fortfall der Schüler-Ausbildungsförderung fällt diese erneut auf die Eltern, ersatzweise auf die Sozialämter93 zurück. Die vorrangige Unterhaltsverpflichtung gegenüber minderjährigen Kindern wirkt sich, durch entsprechende Pauschalen, auf die Freigrenze bei der Gewährung öffentlicher Ausbildungsförderung für die älteren Kinder aus. Durch Garantie ihres Förderungsanspruches ist somit auch die Ausbildung der älteren Kinder gesichert. Das Argument der unzulässigen Ungleichbehandlung kann auch nicht darauf gestützt werden, daß die jüngeren Kinder eine rückzahlungsfreie 91 Zur rechtstheoretischen Fundierung vgl. die Darlegungen im 2. Kapitel, 4. Abschnitt, § 3 B 11. 92 aaO, S. 986. 93 J. Müller, ZbIJugR 1983, 119, 124.
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7. Kap.: Sozialisationsbezug, Vennögenssorgeverhältnis
Unterhaltsgewährung erhielten, sich dagegen die älteren Kinder (bei einer Förderung nach dem BAföG) durch das Ausbildungsdarlehen verschulden müßten; hier ist zu berücksichtigen, daß den jetzt älteren Kindern ehemals ebenfalls die rückzahlungsfreie zivilrechtliche Unterhaltsgewährung, bzw. der Anspruch darauf, zugute kam.
Insgesamt ist deshalb nicht von einer verfassungswidrigen Ungleichbehandlung auszugehen. Dies folgt daraus, daß die §§ 1603, 1609, 1610 BGB in ihrer Einbettung in das Gesamtrechtssystem zu beurteilen sind. § 3 Marginalie: Unterhalt durch "Erziehung"? § 1579 Abs. 1 BGB i. d. F. des 1. EheRG vom 14. 6. 19761 schloß einen nachehelichen Unterhaltsanspruch in Fällen grober Unbilligkeit aus. Dies galt dann nicht, wenn der Berechtigte wegen der Pflege eines Kindes nicht erwerbstätig sein konnte (§ 1579 Abs. 2 i. d. F. des 1. EheRG). Dazu war heftig umstritten, ob sich der Sorgeberechtigte nach Trennung oder Scheidung auf jeden Fall auf sein Sorgerecht mit der Wirkung sollte berufen können, daß sein eigener Unterhaltsanspruch im vollen Umfang erhalten blieb 2 •
Der BGH3 hat die Ersetzung der ehelichen Gemeinschaft durch eine andere Lebensgemeinschaft als mögliches evidentes und schwerwiegendes Fehlverhalten i. S. d. § 1579 Abs. 1 Ziff. 4 BGB a. F. bezeichnet. Bei dieser Konstellation war es möglich, daß der die Ehe verlassende Ehepartner sich deshalb um die elterliche Sorge bemühte, um über die Unbilligkeitsklausel des § 1579 Abs. 2 BGB den sonst drohenden Verlust des eigenen Unterhalts anspruches gegenzusteuern. Der BGH selbst sprach in seiner Entscheidung das Problem der Schild-Funktion der Kinder für den ehewidrig handelnden Ehegatten an, ohne daß er daraus jedoch Konsequenzen zog4. Diederichsen5 schlug vor, in den dem geschilderten Sachverhalt entsprechenden Fällen eine Beschränkung auf den "notwendigen" Unterhalt zuzulassen. § 1579 BGB wurde neu gefaßt durch das Unterhaltsrechtsänderungsgesetz vom 20. 2. 19866 . Die jetzige Formulierung trägt dem Urteil des BVerG7 Rechnung, welches es als unvereinbar mit Art. 2 Abs. 1 GG ansah, die Härteklausel des § 1579 Abs. 1 a. F. völlig wegfallen zu lassen, wenn vom BerechBGBI I S. 1421. Zur Auslegung der "Unbilligkeitsklausel" des § 1579 Abs. 2 BGB vgl. Diederichsen, NJW 1977, 353, 357 f.; Limbach, NJW 1980, 871; dies. ZRP 1982, 61 ff. - m. Anm. Moritz in ZRP 1982, 159 -; Otte, JA 1979, 15 sowie BVerfG - vom 14.7. 1981BGBI I S. 826. 3 NJW 1980, 1686 f. 4 BGH NJW 1980, 1686, 1687 f. 5 NJW 1980, 1672, 1674. 6 BGBI I S. 301. 7 aaO. 1
2
4. Abschn.: Unterhaltsrecht
541
tigten eine Erwerbstätigkeit wegen der Betreuung eines Kindes nicht zu erwarten war. Nach der Neufassung kann der Unterhaltsanspruch des Sorgeberechtigten trotz Betreuung eines Kindes unter Billigkeitsgesichtspunkten in den vom Gesetz genannten Fällen versagt, herabgesetzt oder zeitlich begrenzt werden. Die Neuregelung macht damit deutlich, daß zwischen dem Unterhaltsanspruch des Sorgeberechtigten und jenem des Kindes zu differenzieren ist. Die materielle Ausstattung der Kinder ist grundsätzlich durch deren eigenen Unterhaltsanspruch gesichert. Diese KlarsteIlung ist zu begrüßen. Der Neuregelung ist auch inhaltlich zuzustimmen, da wegen Fehlens einer zwangsläufigen Korrelation von elterlicher Sorge und nachehelichem Unterhaltsanspruch nunmehr der "Wettlauf um die elterliche Sorge" entfallen dürfte, um den eigenen Unterhalt zu sichern. Damit besteht die Chance, daß sich nur der Elternteil um die elterliche Sorge bemüht, welcher ein echtes Interesse an dieser Aufgabe hatS •
8 Es verbleibt aber nach wie vor die Gefahr, daß die Eltern den Streit um die elterliche Sorge als Ersatzkampffeld für ihre persönlichen Auseinandersetzungen mißbrauchen.
Anhang
668,-
3. vor vollendetem 16. Lj. nach vollendetem 16. Lj. nach vollendetem 18. Lj.
545,-
+ je 10 % wenn 18 J. bei Beginn der Ausbildung NW Elektrohandwerk
473,-
410,-
350,-
1.8.1981 -31.7.1982 DM
Elektriker
V-X
TA3-5154
457,-
403,-
380,-
V-X
TA24-5420 Autoschlosser Motorenelektriker ab 1.8.1982 DM
Eisen-, KraftfahrMetall-und zeuggewerbe ElektroinduNW strieNW
757,-
604,-
2. vor vollendetem 16. Lj. nach vollendetem 16. Lj. nach vollendetem 18. Lj.
4.
558,-
ab 1.2.1982 DM
Werkzeugmacher
1. vor vollendetem 16. Lj. nach vollendetem 16. Lj. nach vollendetem 18. Lj.
Ausbildungsjahre bei Beginn der Ausbildung
1982
v-x
TA3-5430
Metallhandwerk NW
475,-
420,-
360,-
335,-
ab 1. 8.1982 DM
Zweirad mechaniker
V-X
TA25-541O
621,70
Platten- und Fliesenleger
-
1212,10 / 1220,40
960,60 / 967,10
617,50/
ab 1.4.82 1.10.82 DM
Fliesenleger
XXI TAll-4910
Ausbildungsvergätungen der gewerblichen Wirtschaft
Dachdeckerhandwerk
-
608,739,870,-
476,608,739,-
369,476,608,-
1. 8.1981 -31. 7.1982 DM
Dachdecker
XXI TA6-5030
BaugewerbeArbeiter
-
1212,10 / 1220,40
960,60 / 967,10
617,50/ 621,70
ab 1.4.82 1.10.82 DM
Maurer
XXI TAI-491O
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ab 1.8.1982
ab 1. 7.1982
- -
- - - - - -
Hilfspersonal der Ärzte
Hotel- und GaststättengewerbeNW
--
Holz- und Kunststoffverarbeitende Industrie
-
-
-
-
-
500,600,-
3. bis zum 18. Lebensjahr nach dem 18. Lebensjahr
4.
555,-
470,550,-
2. bis zum 18. Lebensjahr nach dem 18. Lebensjahr 576,-
531,-
421,-
505,-
450,500,-
1. bis zum 18. Lebensjahr nach dem 18. Lebensjahr
DM
Schreiner usw.
Arzthelferin
XVII TAlO-5290
DM
Koch
XXX TA52a-5299
DM
Ausbildungsjahre
1982
XXIX TA6-5460
Chemische Industrie Nordrhein
928,-
835,-
733,-
621,-
DM
XI TA2-5060 Chemiefacharbeiter usw. ab 1.5.1982
Einzelhandel NRW
-
Groß-und Außenhandel NRW
710,-
595,-
537,-
DM
XXV TA5-5325 Verkäufer, Einzelhandelskaufmann ab 1.8.1982
704,-
626,-
553,-
DM
XXIV TA3-5480 Großhandelskaufmann usw. ab 1. 3.1982
Ut
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592,-» 684,_b) 887,-