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German Pages 202 Year 2017
Die Zeitung als Medium in der neueren Sprachgeschichte
Lingua Historica Germanica
Studien und Quellen zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur Herausgegeben von Stephan Müller, Jörg Riecke, Claudia Wich-Reif und Arne Ziegler
Band 15
Gesellschaft für germanistische Sprachgeschichte e.V.
Die Zeitung als Medium in der neueren Sprachgeschichte Korpora – Analyse – Wirkung Herausgegeben von Oliver Pfefferkorn, Jörg Riecke und Britt-Marie Schuster
ISBN 978-3-11-051596-1 e-ISBN (PDF) 978-3-11-051713-2 e-ISBN (Epub) 978-3-11-051601-2 ISSN 2363-7951 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2017 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com
Inhalt Einführung
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Holger Böning Zeitung und Sprachentwicklung – Beobachtungen zu den ersten eineinhalb Jahrhunderten deutscher Zeitungen 7 Tina Theobald Die ‚Industrialisierung‘ von Presse und Sprache im 19. Jahrhundert
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Maria Elisabeth Müller und Maria Hermes-Wladarsch Die Digitalisierung der deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts – ein Projekt mit Komplexität! 39 Jörg Riecke Pressegeschichte und Sprachgeschichte im Ostseeraum
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Martin Durrell Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung standardsprachlicher Normen im Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Vergleich anhand eines repräsentativen Korpus 81 Britt-Marie Schuster und Manuel Wille Die Volltextdigitalisierung der „Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten“ und ihrer Vorgänger (1712 – 1848) und ihr 99 Nutzen: Befunde zur Genese und zum Wandel von Textmustern Thomas Gloning Alte Zeitungen und historische Lexikographie. Nutzungsperspektiven, Korpora, Forschungsinfrastrukturen 121 Michel Lefèvre Von der „Berlinischen Privilegierten Zeitung“ zur „Königlich Privilegierten Berlinischen Zeitung“: Entwicklungstendenzen in der Äußerungsstruktur, Textgestaltung und Syntax 149 Thomas Schröder Information und Meinung. Pressetextsorten vor der Trennungsnorm
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Inhalt
Jörg Meier Die „Kaschauer Zeitung“ – Zur Kultur und Sprache der deutschen Minderheit auf dem Gebiet der heutigen Slowakei um 1900 177 Verzeichnis der Autorinnen und Autoren
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Einführung Der vorliegende Sammelband geht auf Vorträge zurück, die im Rahmen des Workshops „Die Zeitung als das Medium der neueren Sprachgeschichte? Korpora, Analyse und Wirkung“ am Institut für Deutsche Sprache (IDS) – in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Zentrum für Sprachwissenschaften (EZS) – am 20./21. 11. 2014 in Mannheim gehalten worden sind. Der Workshop hatte das Ziel, an der historischen Pressekommunikation interessierte WissenschaftlerInnen aus der Sprach-, Presseund Kommunikationsgeschichte zusammenzuführen und einen Einblick in aktuelle Untersuchungen und laufende Digitalisierungsprojekte zu geben. Die im Sammelband vorliegenden Beiträge umfassen den Zeitraum vom Beginn des 17. Jahrhunderts, anfangend mit den ältesten erhaltenen Presseorganen, dem Wolfenbüttler „Aviso“ und der Straßburger „Relation“ von 1609, bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts. Durch die einzelnen Beiträge wird deutlich, dass das Medium ‚Zeitung‘ für ganz unterschiedliche fachwissenschaftliche Fragestellungen genutzt werden kann. Wie einzelne Digitalisierungsprojekte zeigen, so das im Band vorgesellte, an der SuUB Bremen bis 2015 durchgeführte Projekt zur Digitalisierung aller Zeitungen des 17. Jahrhunderts (vgl. Beitrag von Marie Elisabeth Müller und Maria Hermes-Wladarsch),¹ sind Zeitungen reich überliefert (allein 253 Zeitungen für das 17. Jahrhundert). Bezüglich der Überlieferungslage ist noch einmal gesondert hervorzuheben, dass Zeitungen generell auch aus Regionen überliefert sind, die zumeist nicht im Zentrum der jüngeren Sprachgeschichte stehen (vgl. zu Zeitungen jedoch: Riecke/Schuster 2005). Dazu gehören etwa Zeitungen aus dem Ostseeraum oder dem östlichen Mitteleuropa, in denen die deutsche Sprache zum Teil Mehrheits-, zum Teil Minderheitensprache war. Einen Einblick in diese reich entfaltete Zeitungslandschaft gibt jetzt der im Band am Beispiel des Ostseeraums vorgestellte „Katalog deutschsprachiger Zeitungen im östlichen Europa“,² der am Heidelberg-Mannheimer „Europäischen Zentrum für Sprachwissenschaften“ (EZS) angesiedelt ist (vgl. den Beitrag von Jörg Riecke). Die reiche Überlieferung zeigt an, dass Zeitungen seit Beginn des 17. Jahrhunderts eine Erfolgsgeschichte sind und sich schon im Laufe dieses Jahrhunderts eine Leserschaft eroberten, die über eine akademisch gebildete Elite hinausging. Mit der sich darin ausdrückenden kulturellen Bedeutung, die einen Einfluss auf sprachliche Entwicklungen wahrscheinlich macht, korrespondiert allerdings noch keine ebenso umfassende Berücksichtigung von Zeitungen in der neueren Sprachgeschichte. Dies ist umso erstaunlicher, als dass die Untersuchung der deutschen Gegenwartssprache unter ganz unterschiedlichen Perspektiven in erheblichem Ausmaß auf das aus der Pressekommunikation stammende Material rekurriert, das etwa http://brema.suub.uni-bremen.de/zeitungen17/nav/classification/953513 (letzter Abruf am 27.04. 2017). http://ezs-online.de/de/katalog-deutschsprachige-zeitungen-im-oestlichen-europa/ (letzter Abruf am 27.02. 2017). https://doi.org/10.1515/9783110517132-001
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den größten Anteil am „Deutschen Referenzkorpus“ (DeReKo) bildet, so dass historische Anschlussstudien eigentlich wünschenswert wären. Relativierend ist allerdings hinzufügen, dass die Zeitung nach Theobald erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zur „multifunktionalen Massenpresse“ (vgl. Beitrag Tina Theobald) werde. Durch den Einbezug meinungsbetonter und unterhaltender Textsorten würden sich die Zeitungen verstärkt zum Vermittler des für eine Gesellschaft relevanten Wissens entwickeln und auch zur gesellschaftlichen Bildung ihrer Rezipienten beitragen. Dies zeigt sich ferner auch daran, dass die Rubriken wie die Wirtschafts- oder Kulturberichterstattung ausgebaut und neue Rubriken wie die Sportberichterstattung hinzutreten. Anfänge dieser Entwicklung werden allerdings, wie Holger Böning in seinem Überblicksartikel „Zeitung und Sprachentwicklung – Beobachtungen zu den ersten eineinhalb Jahrhunderten deutscher Zeitungen“ betont, bereits in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts sichtbar. Laut Böning hätten sich Zeitungen und ihre Verleger schon zu dieser Zeit um die Allgemeinverständlichkeit des Dargebotenen bemüht (vgl. S. 10), was von ihm etwa am Beispiel des „Nordischen Mercurius“ illustriert wird. Schon im 18. Jahrhundert trete dann der ‚Allerweltsmann‘ und seine Bildungsfähigkeit in das Visier der Zeitungsmacher (z. B. in der „Wandsbecker Zeitung“). Böning weist dabei auch explizit auf Textsortenallianzen zu den seit 1670 in deutscher Sprache entstehenden Journalen hin, denen er zusammen mit den Zeitungen eine wichtige Rolle bei der Entstehung der deutschen Kultursprache zuweist. Wie sich dieser Bildungsprozess – jedenfalls in Hinsicht auf Sprache und Sprachgebrauch – jedoch genau gestaltet hat, dürfte nur durch größere Längsschnittuntersuchungen zu gelehrten Artikeln in Zeitungen und Zeitschriften zu klären sein. Dass derartige wichtige Untersuchungen am Schnittpunkt von Sprach- und Kulturgeschichte bisher nicht erfolgt sind, liegt sicherlich an der bis vor einigen Jahren noch eher schlechten Zugänglichkeit des Zeitungsmaterials und seiner z. T. kostenintensiven Beschaffung. Grundsätzlich bietet nun die Digitalisierung von Zeitungen einen Ansatzpunkt, sich auch von sprachhistorischer Seite verstärkt mit dem Zeitungsmaterial zu befassen. Bezogen auf die jüngere Sprachgeschichte sind Zeitungen zunächst ein Material, an dem die für diesen Zeitraum wichtigen überregionalen Ausgleichsprozesse untersucht werden können. Um Sprachwandel- und Standardisierungsprozesse untersuchen zu können, bilden etwa die bereits vorliegenden volltextdigitalisierten Zeitungskorpora, wie sie mit dem „GerManC“-Korpus, dem „Mannheimer Korpus historischer Zeitungen“, den Zeitungskorpora im „Deutschen Textarchiv“ oder zur „Kaschauer Zeitung“ im Rahmen von DiFMOE (Digitales Forum Mittel- und Osteuropa) (vgl. Beitrag Jörg Meier) vorliegen, eine gute Grundlage. Hinsichtlich der Rolle von Zeitungen an Standardisierungsprozessen zeigen die bisher vorliegenden Untersuchungen eher zwiespältige Befunde: Die häufiger herausgearbeitete, enge Bindung der frühen Zeitungskommunikation im 17. Jahrhundert an einen administrativen Stil zeigt Beharrungstendenzen (vgl. Fritz/Straßner 1996; Lefèvre 2013; Schuster/Wille 2015). Dies wird auch im Beitrag von Martin Durrell gezeigt, der am Beispiel von Flexionsmorphologie und Syntax herausarbeitet (so an der Flexion des schwachen Adjektivs im Nominativ, an der Apokope oder an der sog. ‚afiniten‘ Konstruktion), dass
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Zeitungen jedenfalls nicht pauschal als ‚Motoren‘ von Sprachwandelprozessen zu betrachten sind. Allerdings lässt sich andererseits auch wieder konstatieren, dass eine Bindung an einen prestigeträchtigen gehobenen Stil im Bereich des Wortschatzes keine Regionalismen, dafür jedoch umso mehr Fremdwörter aufweist (vgl. Gloning 1996: 141– 195); andere Phänomene, besonders die des Sprachkontakts und der Kulturvermittlung, finden bei Meier Beachtung. Gerade die Beobachtungen zur Entwicklung des Wortschatzes, die im 17. Jahrhundert nach bisherigen Erkenntnissen noch eng an die thematischen Felder der Kriegs- und Hofberichterstattung anschließen (vgl. Gloning ebd.), ist auf mehreren Ebenen lohnenswert: Erste Untersuchungen zu Wortschatzentwicklungen zeigen nämlich, dass sich der Wortschatz in Zeitungen schon im 18. Jahrhundert dahingehend verändert, dass der Fremdwortschatz gemessen an den Zeitungen des 17. Jahrhunderts an Gewicht verliert und kanzleisprachliche Funktionswörter abgebaut werden (vgl. den Beitrag von Britt-Marie Schuster und Manuel Wille zur „Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten“ – 1712– 1848), dennoch bleiben Zeitungen im Vergleich zu Textsorten aus anderen Domänen fremdwortreich (vgl. Pfefferkorn/Fankhauser 2014). Mit zunehmender Differenzierung der Presselandschaft und ihres Themenspektrums in den darauf folgenden Jahrzehnten, etwa durch das Erstarken der Meinungspresse im 19. Jahrhundert im Kontext revolutionärer Bewegungen, wird das Zeitungsmaterial unseres Erachtens dann auch für andere Fragestellungen relevant, so im Hinblick auf unterschiedliche gesellschaftliche Diskurse und ihre leitenden Konzepte, wobei sich parallel zur Zeitungsentstehung auch selbst ein Diskurs über Zeitungen entfaltet (vgl. zum 19. Jahrhundert: Theobald 2012). Am historischen Zeitungsmaterial dürfte sich auch erproben lassen, welche zentralen Metaphern und Argumentationstopoi erst in der gelehrten, später dann in der (politischen) Pressekommunikation vorhanden sind. Der Beitrag von Thomas Gloning stellt dar, auf welche Weise der Zeitungswortschatz in (historische) Wörterbücher eingehen könnte und sollte. Er kann zeigen, dass Zeitungen einerseits eine wichtige lexikografische Erkenntnisquelle hinsichtlich bestimmter thematischer Felder und Diskurse darstellen, die generell historisch variabel und von der Entwicklung von Zeitungen, so dem sich sukzessiv erweiternden Textsortenspektrum, abhängig sind. Andererseits bieten Zeitungen auch dann, wenn es sich um einen für sie wichtigen funktionalen Wortschatz, so die thematisierte Kennzeichnung einer Quellenperspektive durch das Modalverb sollen, handelt, nicht notwendig die historisch ältesten Belege. Wie sich durch das Ausgeführte schon andeutet, kann das Zeitungsmaterial zwar für Fragen der historischen Grammatik, Lexik und Semantik herangezogen werden, die Interpretation der Befunde wird jedoch nicht ohne Berücksichtigung von medienund kommunikationsgeschichtlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Jahrhunderten, z. B. in Hinsicht auf den Produzenten von Nachrichten, oder soziokulturelle Einflussgrößen auskommen; hinzu kommen die Berührungspunkte von politischer und Zeitungskommunikation. Bislang ist unser Wissen um syntaktische Entwicklungen in der Zeitungskommunikation, besonders im 18. und 19. Jahrhundert, aufgrund eher an wenigen Exemplaren vorgenommenen Untersuchungen ohnehin
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eingeschränkt (vgl. aber Schuster 2010 und die entstehende Dissertation von Wille³). Die sprachliche Entwicklung hängt jedoch auch mit der Entwicklung von Rubriken und der Herausbildung und Veränderung von Pressetextsorten zusammen. Neben einer lange Zeit unaufwändigen Gestaltung von Zeitungen, die allerdings mit einem enormen quantitativen Zuwachs von Informationen korrespondiert, dominiert lange Zeit die Ereignisberichterstattung (vgl. u. a. Schröder 1995). Darüber hinaus wird die Überschrift als Mittel der Artikelbegrenzung lange Zeit uneinheitlich genutzt und die Ordnung von Meldungen erfolgt nach dem Prinzip der eingehenden Korrespondenzen. Dass der dadurch erzeugte Eindruck, die Zeitungsberichterstattung bleibe stabil, allerdings trügerisch ist, zeigt sich auf unterschiedlichen Ebenen: Wie Thomas Schröder in seinem Beitrag zu „Information und Meinung“ darstellt, bestehe zwischen dem im 17. Jahrhundert noch ungefilterten Sammeln von eingehenden Korrespondenzen und der im 18. Jahrhundert vertretenen Orientierung an der kommunikativen Leitidee ‚Unparteilichkeit‘, wie sie in manch führenden Presseorganen der Zeit vertreten werde und die Ereignisberichterstattung prinzipiell aufwerte, ein Unterschied. Diese Leitidee werde dann im 18. Jahrhundert zunehmend in Frage gestellt. Darüber hinaus ist deutlich, dass die Berichterstattung und die dafür zur Verfügung stehenden Textsorten nicht statisch bleiben. Dies zeigt sich, wie oben angedeutet, am Wortschatz, jedoch auch an funktionalen Textbausteinen bzw. Formulierungsmustern in der politischen Berichterstattung (vgl. dazu auch den Beitrag von Schuster/Wille). Michel Lefèvre kann in seinem Beitrag zur „Berlinischen Privilegierten“ und der auf sie folgenden „Königlich Privilegierten Berlinischen Zeitung“ (Ausgaben von 1733, 1858, 1903) etwa nachweisen, dass die Äußerungsstruktur in der Berichterstattung sich nicht linear hin auf eine allgemeine Verständlichkeit entwickle. Die Fragen ‚Wer spricht‘ und ‚Zu wem wird gesprochen?‘ seien oftmals nicht zu klären, und die Hinweise auf die Äußerungszeit und -ort würden zum Teil undeutlich bleiben und das in den Zeitungen lange Zeit bestehende Aktualitäts- und auch Informativitätsdefizit reflektieren. Eine Konstanz zeige sich nämlich darin, dass anders als vielleicht erwartbar, nicht immer deutlich sei, wer spricht, etwa der Herausgeber, der Korrespondent oder ein Informant des Korrespondenten. Wie auch der thematische und der Funktionswortschatz verdeutlichen können, entwickelt sich die Zeitungskommunikation jedoch dahingehend, dass die Ereignisberichterstattung sich zunehmend auf den Adressaten der Zeitung und etwa nicht mehr auf den ursprünglichen Adressaten eines abgedruckten Briefs einstellt. Dass die Entwicklung von Textsorten kein Prozess ist, der linear auf die heutigen Formen zuläuft, zeigen insbesondere die Besonderheiten meinungsbetonter Textsorten. Wie oben schon betont, liegen derzeit keine sprachwissenschaftlichen Fallstudien etwa zur Entwicklung des gelehrten Artikels vor. Wohl aber weiß man, dass bewertende Elemente auch in Zeitungen des 17. und 18. Jahr-
Die Dissertation hat den Titel: „Die Tageszeitung auf dem Weg zum Massenmedium – Zur Entwicklung der komplexen Nominal- und Präpositionalphrasen in der politischen Berichterstattung des ‚Hamburgischen Correspondenten‘ von 1712 bis 1801.“
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hunderts erscheinen (vgl. u. a. Schröder 1995; Schuster 2008). Es liegen auch schon erste Hypothesen zum Räsonnement des 19. Jahrhunderts vor (vgl. u. a. Püschel 1991, 428 – 477), womit allerdings nur eine Spielart der journalistischen Stellungnahme charakterisiert wäre. Der von Schröder am Ende seines Textes skizzierte Weg, den Schwierigkeiten zu begegnen und bei der Skizze der Textsortenentwicklung nicht von sich linear entwickelnden Textmustern, sondern von funktionalen Textbausteinen auszugehen (vgl. S. 173), könnte für die Sprachmediengeschichte von besonderem Interesse sein: Funktionale Textbausteine generell zeichnen sich durch wiederkehrende sprachliche Muster aus, für die anzunehmen ist, dass sie mit zunehmender Entwicklung eine Art kontextualisierende Funktion für einzelne Pressetextsorten gewinnen könnten, ähnlich wie es bei anderen Formulierungsmuster der Fall ist. Es ist allerdings nicht in jedem Fall davon auszugehen, dass sie sich in der Zeitungskommunikation entwickeln, sondern sie könnten sich auch auf anderen gesellschaftlichen Feldern bewährt haben (z. B. in der politischen Rede). Da neuere textlinguistische Forschungen deutlich gemacht haben (z. B. Hauser 2012), dass Zeitungen eigentlich ein sich wandelndes Textsortennetz, insbesondere in einzelnen Rubriken, bilden, kommt perspektivisch ebenfalls die Untersuchung von Textsortennetzen in Betracht. Ab dem letzten Drittel des 19. Jahrhunderts in den Zeitungen und schon wesentlich früher in den Illustrierten Zeitungen, zu denen auch größere Digitalisierungsprojekte angestoßen werden, können sich Untersuchungen zu Textsorten nicht mehr auf den reinen Text beschränken, da verstärkt Bild- und dann Fotomaterial an Gewicht gewinnt und bildlinguistische Zugänge möglich macht. Zum Gelingen der Tagung und zur Entstehung des Sammelbandes haben viele Menschen beigetragen, in Heidelberg u. a. Janine Luth und Kerstin Vockel, in Mannheim Melanie Steinle und in Paderborn Katrin Schubert und Manuel Wille. Ihnen allen, auch den Mitarbeiterinnen des Verlages, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Unser besonderer Dank gilt schließlich Hern Prof. Dr. Ludwig M. Eichinger, der die Finanzierung des Bandes ermöglicht hat. Oliver Pfefferkorn, Jörg Riecke, Britt-Marie Schuster
Literatur Fritz, Gerd und Erich Straßner (1996): Die Sprache der ersten deutschen Wochenzeitungen im 17. Jahrhundert (Medien in Forschung und Unterricht: Serie A, 41). Berlin, New York. Gloning, Thomas (1996): Bestandsaufnahme zum Untersuchungsbereich „Wortschatz“. In: Fritz, Gerd und Erich Straßner (Hrsg.): Die Sprache der ersten deutschen Wochenzeitungen im 17. Jahrhundert (Medien in Forschung und Unterricht: Serie A, 41). Berlin, New York, 141 – 196. Hauser, Stefan (2012): Textsortennetze im Wandel. Aspekte einer Archäologie der Pressekommunikation. In: Grösslinger, Christian, Gudrun Held und Hartmut Stöckl (Hrsg.): Pressetextsorten jenseits der „News“. Medienlinguistische Perspektiven auf journalistische Kreativität (Sprache im Kontext 38). Frankfurt am Main, 181 – 195.
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Lefèvre, Michel (2013): Textgestaltung, Äußerungsstruktur und Syntax in deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Zwischen barocker Polyphonie und solistischem Journalismus (Berliner sprachwissenschaftliche Studien 29). Berlin. Pfefferkorn, Oliver und Peter Fankhauser (2014): On the role of historical newspapers in disseminating foreign words in german. In: Proceedings of the ninth conference on international language resources and evaluation (LREC’14). Unter: http://nbn-resolving.de/urn: nbn:de:bsz:mh39 – 26059 (Publikationsdatum: 13. 06. 2014). (letzter Abruf am 27. 04. 2017). Riecke, Jörg und Britt-Marie Schuster (Hrsg.) (2005): Deutschsprachige Zeitungen in Mittel- und Osteuropa. Sprachliche Gestalt, historische Einbettung und kulturelle Traditionen (Germanistische Arbeiten zur Sprachgeschichte 3). Berlin, 347 – 359. Schröder, Thomas (1995): Die ersten Zeitungen: Textgestaltung und Nachrichtenauswahl. Tübingen. Schuster, Britt-Marie (2008): Täglich berichten: Formen der Berichterstattung in der Neu=einlauffenden Nachricht von Kriegs= und Welt=Händeln (1660 – 1664). Unter: http//: www.festschrift-gerd-fritz.de/files/schuster_2008_berichterstattung-1660 – 1664.pdf (Publikationsdatum: 05. 02. 2008). (letzter Abruf am 27. 04. 2017). Schuster, Britt-Marie (2010): Gibt es eine Zeitungssyntax? Überlegungen und Befunde zum Verhältnis syntaktischer Gestaltung und Textkonstitution in historischen Pressetexten. In: Ziegler, Arne und Christian Braun (Hrsg.): Historische Textgrammatik und Historische Syntax des Deutschen. Bd. 2., Frühneuhochdeutsch, Neuhochdeutsch. Berlin, New York, 665 – 688. Schuster, Britt-Marie und Manuel Wille (2015): Von der Kanzlei- zur Bürgersprache? Sprachmediengeschichtliche Betrachtungen zur ›Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten‹ im 18. Jahrhundert. In: Jahrbuch der Kommunikationsgeschichte 17, 7 – 29. Theobald, Tina (2012): Presse und Sprache im 19. Jahrhundert. Eine Rekonstruktion des zeitgenössischen Diskurses (Lingua Historica Germanica 2). Berlin.
Holger Böning
Zeitung und Sprachentwicklung – Beobachtungen zu den ersten eineinhalb Jahrhunderten deutscher Zeitungen 1 Sprachentwicklung als Wunder?
Kürzlich erschien in einem unserer größeren Publikumsverlage ein Buch, mit dem ein prominenter Feuilletonist zeigen wollte, wie „unsere moderne Sprache“ entstanden sei – und – da der Autor diese Sprache als Mann des Wortes liebt, muss es ein Wunder sein, welches uns beschert hat, was wir, wie er meint, zu oft ohne Bewusstsein und Überlegung nutzten: „Das Wort ‚Wunder‘ mag zu hoch gegriffen sein“, gesteht Thomas Steinfeld ein, um aber sogleich fortzufahren: und doch hat die plötzliche Entstehung einer deutschen Kultursprache, eben weil sie sich aus nur unzulänglich erfassbaren Gründen vollzieht und doch von so grundsätzlich verändernder Wirkung ist, etwas sehr Erstaunliches – und zwar nicht nur, weil die intellektuell führenden Menschen jener Zeit sich in ihrem Unternehmen, eine radikale Erweiterung, ja Verbesserung der deutschen Sprache herbeizuführen, so einig waren, sondern auch, weil sie damit auf so viel Gehör stießen. (Steinfeld 2010: 143f.)
Dieses anregende und unterhaltsame Buch, das ist zu loben, will durch Sprachgeschichte und die Beschreibung von Spracheigenschaften lehren, wie man die Möglichkeiten der deutschen Sprache für einen eleganten und transparenten Stil nutzen könne, es setzt sich mit gelungenen Sätzen auseinander, mit Klang und Rhythmus der Sprache, und es schaut auf die Leistungen der Schriftsteller, die in den großen Texten der deutschen Literatur ihre Ausdrucksmöglichkeiten erprobt hätten. Solche nimmt unser Feuilletonist seit gut 200 Jahren wahr – seit der von ihm entsprechend datierten Geburt einer modernen Sprache also. Steinfelds Hauptthese lautet so: Ohne die Literaten hätte sich das Deutsche nicht Ende des 18. Jahrhunderts in eine Kultursprache verwandeln können, denn Dichtung und Philosophie seien zu dieser Zeit das einzige Medium der Auseinandersetzung mit der Welt gewesen (Steinfeld 2010: 103f.). Eine erstaunliche Feststellung für einen Mann der Zeitung. Hier liegt eine Übertragung der Habermas’schen These vom Strukturwandel der Öffentlichkeit vom Feld der politischen Öffentlichkeit auf das der Sprache vor. Literatur und Literaten wird eine Rolle zugemessen, die sie – bei aller Wertschätzung gerade der Literatur im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts und ohne jede Absicht, die sprachentwickelnde Rolle unserer klassischen Dichter schmälern zu wollen – nicht hatten und nicht haben konnten. Maßlos erscheint übrigens auch die Überschätzung des Theaters, wenn es https://doi.org/10.1515/9783110517132-002
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heißt, die Bühne sei der „wichtigste Ort, um dem Volk die neue Sprache nahezubringen“ (Steinfeld 2010: 78f.). Steinfeld schreibt, die Erneuerung der deutschen Sprache habe ungefähr um 1760 begonnen und sei im Wesentlichen um 1830 abgeschlossen gewesen (Steinfeld 2010: 95). Zwei Jahrzehnte vor dem behaupteten Beginn jener Spracherneuerung, erscheinen in der „Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“ (Deutsche Presse, 1: Hamburg, 90) 1741 die folgenden Verse: Nur fort! nur weiter fort! Der Preis ist aufgesteckt, Ihr Freunde, kommt und seht: Die Deutschen sind erweckt. Da thront die Redekunst. Da herrscht die Kunst der Dichter, Da steigt die edle Schaar der klugen Sprachenrichter, Und schreibt Gesetze vor. Man flicht den Lorbeerkranz. Die Weisheit krönt sich selbst, und ihr gepriesner Glanz Bricht durch des Irrthums Nacht, erheitert Geist und Sinnen. Das Vorurtheil entweicht. Das Blendwerk flieht von hinnen. Die Deutschen reden deutsch. Der Musenchor erschallt, Und trägt den Deutschen Ton durch Phöbus Lorbeerwald. (Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 1741, Nr. 2)
Es ist der Dichter Johann Jacob Schilling, der mit seinem Loblied auf Vorurteilskritik und deutsche Sprache in der Zeitung zu Wort kommt. 1743 erfahren wir in demselben Blatt, dass Schilling in Hamburg eine Gesellschaft begründet habe, die sich „mit der Poesie nach den Regeln der Alten und der Vernunft in ihrer Muttersprache“ beschäftige (Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten 1743, Nr. 20). Seit seiner Gründung im Jahre 1712 agiert der „Correspondent“ in seinem politischen wie im gelehrten Teil für die Weiterentwicklung der deutschen Sprache; engagiert ist er den Bemühungen um deren „Reinigkeit“ verpflichtet. Immer wieder reflektieren Rezensionen den Sprachgebrauch in deutschen Schriften, monieren „barbarische Übersetzungen“ oder bieten schon in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts literarisch hochstehende Texte, denen kaum ein heutiger Leser ihr Alter von einem Vierteljahrtausend anzumerken vermöchte (Böning 2002a, 2002b).
2 Presse und Sprachentwicklung Soviel vorab.Will man die Entstehung des Fundaments einer deutschen Kultursprache verfolgen und den Anteil der Presse daran ermessen, dann empfiehlt sich der Vergleich zwischen den Zeitungen der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit denen um
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1760. Man wird Veränderungen wahrnehmen, die wahrhaft weitreichend und erstaunlich, wenn auch kein Wunder sind.¹ Ein Sprachwissenschaftler wird sicherlich sehr viel genauer und stärker ins Detail gehend erläutern können, wie Sprachentwicklung und Zeitung zusammengehören, was letztere zur Ausbildung standardsprachlicher Normen und einer überregionalen Schriftsprache beigetragen hat, wie an der Zeitungssprache Wortschatzentwicklung und -verbreitung ebenso studiert werden können wie die Geschichte sprachlicher Strukturen und die Herausbildung diverser Textsorten. Aus meiner intensiven Nutzung von Zeitungen als Quelle und meinen Arbeiten zur Entwicklung des Zeitungswesens in seinen beiden ersten Jahrhunderten mögen aber vielleicht einige Beobachtungen willkommen sein, die sich auf sprachliche Eigenarten der Zeitungen beziehen, die, wie ich meine, zeigen zu können, im engen Zusammenhang zu den sich verändernden Strukturen des Zeitungsmarktes stehen. Die Bedeutung der Zeitungen für Sprachgeschichte und Sprachentwicklung hat übrigens bereits der erste Leiter der Deutschen Presseforschung, Lutz Mackensen, betont (Mackensen 1958 und 1961). Das erste größere Forschungsprojekt, das seine Anregungen aufgenommen hat, konnte nicht zuletzt feststellen, wie gering die sprachlichen Unterschiede bei Zeitungen unterschiedlicher regionaler Herkunft sind, wie sehr die Zeitungen also zur Vereinheitlichung der hochdeutschen Sprache beigetragen haben (Fritz/Straßner 1996: 3).
3 Zeitungssprache in der frühen deutschen Presse Zurück in die Jahrzehnte der Zeitungsentstehung: Interessant ist hier eine Nachricht aus dem ersten Jahr des Dreißigjährigen Krieges. Die Meldung kommt „Auß Gräuenhagen vom 16. Augusti“: „Vorgestern / hat der Frantzösische Ambassator audientz bekommen / vnd ist gahr staattlich gen Hofe geführet vnd wieder begleitet worden / Seine proposition ist mehr præparatoris zu fernerer tractation dirigirt gewest / die sich bald eröffnen wirdt.“ (Titellose Zeitung 1618, ungez. Stück) Sicherlich am auffälligsten bei den Meldungen in der frühen deutschen Zeitungspresse – die zitierte Nachricht bestätigt dies – sind ein Stil und eine Terminologie, die deutlich erkennbar den Fachsprachen der Diplomatie, des Militärwesens sowie der Politik und der staatsrechtlich gebildeten Beamten entlehnt sind. Mit ihrem Jargon kam die Berichterstattung während der ersten Jahrzehnte der gedruckten Zeitung oft einer Geheimsprache nahe, die davon Kunde gab, dass die Zeitungsherausgeber mit einem Publikum rechneten, das aus eben diesem Umfeld kam und entsprechend vertraut mit dieser Sprache war. Darauf bezieht sich die bekannte Schrift mit dem Titel „Der vnartig Teutscher Sprach-Verderber“, in der 1643 kritisiert wird,
Grundlegend zur Zeitungssprache zunächst Schröder 1995. Weiter Blackall 1966; Fritz/Straßner 1996; Rahn 1982; Püschel 1991, 1994, 1999; Semenjuk 1993; Riecke/Schuster 2005.
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„wie die Zeitungen mit allerhand frembden Wörtern angefüllet werden“. „Wie mancher einfältiger teutscher Mann“, heißt es weiter, versteht kaum das halbe Theil. Es wehre von nöthen bey dieser jetzigen zeit / daß / wann einer die Zeitungen lesen will / er zween Männer bey sich stehen habe / auff der rechten Seiten einen Frantzosen / auf der Lincken / einen Lateiner / welche die frembde Wörter ihm auslegten. (Der vnartig Teutscher Sprach-Verderber 1643: 8)²
Es ist dies exakt die Kritik, welche die barocken Sprachgesellschaften an den Sprachunarten ihrer Zeit zu üben pflegten. Es soll hier im Folgenden nicht darum gehen, solcher an vorgeblicher Sprachreinheit orientierten Kritik der Zeitungssprache nachzugehen, wie wir sie bis heute finden können. Mich interessiert der Beitrag, den die Zeitungen für die Entwicklung der Sprache leisteten. Ganz zu Recht vermag nämlich schon ein Jahrhundert später ein „Wohlmeinender Unterricht, für alle diejenigen, welche Zeitung lesen“, festzustellen, dass bereits mehrere Zeitungen damit begonnen hätten, „ein ziemlich reines Deutsch und dabey auch zierlich zu schreiben“ (Wohlmeinender Unterricht 1755: 56). Und für die Räume urbaner Verdichtung trifft die Beobachtung, die frühen Zeitungen seien schon von ihrer Sprache und von ihrem Stil her vorwiegend für ein kleines Publikum eingeweihter Fachleute bestimmt gewesen, nur für die ersten Zeitungsjahrzehnte zu. Mit der Gründung weiterer Zeitungen in verschiedenen deutschen Städten und der in einzelnen Orten schon während der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts entstehenden Konkurrenzsituation veränderte sich das Bild. Das Ringen um neue Abonnenten und Leser wird früh zu einem Motor der Zeitungsentwicklung und der Veränderungen der Zeitungssprache. Ein – sicherlich noch nicht repräsentatives Beispiel – ist die folgende schöne Meldung aus dem Jahre 1631: Der Kayserliche Hofprediger, Pater Weingärtner, Jesuiter Ordens / hat dieser Tagen der Hohen Obrigkeit den lieben Frieden recommandirt, empfohlen, und dass man Säbel / Spieß und Degen / zu Pflugscharen machen sollte / damit der Bauer hinter seinem Pflug und der Weingärtner hinter seinen Weinstock möchte sicher sein. (Ordentliche Post Zeitung, Hamburg 1631, No. 20)
Zunehmend kann man – Hamburg ist als Pressehauptstadt des 17. und 18. Jahrhunderts das markanteste Beispiel im deutschen Sprachraum – von einer allgemeinverständlichen Berichterstattung sprechen, die über ein allgemeines Interesse an den politischen Ereignissen hinaus keinerlei besondere Vorkenntnisse erforderte. Im Gegenteil besticht mehr und mehr ein hohes Maß an Deutlichkeit und Anschaulichkeit, um das die Meldungen bemüht sind. Die Berichte unterscheiden sich nun in ihrer Diktion auch längst nicht mehr so stark voneinander, wie sie dies in der Anfangszeit je nach Korrespondent taten. Ganz offenkundig waren erste Zeitungsredakteure bereits recht stark um eine sprachliche Vereinheitlichung bemüht, die eng mit dem Bemühen
Zum Gebrauch von Fremdwörtern siehe Kinnemark 1964 und Wilke 2011.
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um Allgemeinverständlichkeit zusammenhängt. Das heißt nicht, dass jede Einzelmeldung für den heutigen Leser ohne weiteres verständlich ist, denn wie bei der heutigen Zeitungslektüre ergibt sich das Verständnis erst durch die regelmäßig-periodische Lektüre: Eines erklärt dabei das andere! In der Forschungsliteratur wird gerne auf Klagen über die mangelnde Verständlichkeit der Einzelmeldungen hingewiesen (Fritz/Straßner 1996: 8f.), dabei aber zu wenig bedacht, dass der heutige Rezipient für den Erwerb des Verständnisses, das historisch möglich war, seine eigene Lektüre nicht allzu sehr beschränken darf und – dies ist besonders wichtig als Voraussetzung für Urteile – auch zu bedenken hat, dass die historischen Leser sich sicherlich nicht mit partiellem Verständnis zufriedengegeben haben. Hinweise auf zunehmende Allgemeinverständlichkeit der Zeitungsberichterstattung gelten noch mehr für die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts. Bei mehreren Nachrichtenblättern verlieren die Kanzleisprache und die Geheimsprachen des diplomatischen und politischen Verkehrs ihre Bedeutung in der Berichterstattung, sie machen einer verständlicheren Sprache Platz. Erste Anfänge einer Entwicklung werden hier erkennbar, die im 18. Jahrhundert zu einer breiteren Erscheinung wird (dazu am Beispiel des Hamburger „Correspondenten“ Schuster/Wille 2015). Muss der Leser der ersten Zeitungen einer Fülle von Anforderungen gerecht werden, was Hintergrundinformationen, Verständnis für komplexe Zusammenhänge politischer und geographischer Art und Terminologie angeht (dazu detailliert Schröder 1995 und Lefèvre 2013), so nimmt die Nachrichtendarbietung nach der Jahrhundertmitte zunehmend Rücksicht auf weniger geübte Leser außerhalb des kleinen Personenkreises, der traditionell mit den politischen Geschäften vertraut war. Mehr und mehr kompilieren die Redakteure aus den ihnen durch Korrespondenzen zugänglichen Nachrichten Berichte, in denen die für das Verständnis notwendigen Informationen geliefert und Zusammenhänge hergestellt werden. Aus der bloßen Weitergabe eingelaufener Nachrichten entwickeln sich Anfänge journalistischen Umgangs mit dem Nachrichtenstoff. Die Leistung der Zeitungsschreiber für die Entwicklung der deutschen Sprache ist noch viel zu wenig gewürdigt und schwer zu überschätzen.Wer etwa erwartete in einer politischen Zeitung Worte, wie sie im „Nordischen Mercurius“³ (Deutsche Presse, 1: Hamburg, 26) 1666 zum Wiedererscheinen des Blattes in poetischer Sprache an den Leser gerichtet werden: Nachdem sich die liebe / freundliche und erwärmende Sonne / welche sich dem Nordischen Mercurio achtzehen Monaten lang abgewandt / und ihm in so langer Zeit Hand und Verstand fast bestarrt und beeiset hielte / sich demselbigen mit diesem neuen Wunder-Jahre wiederumb liebfreundlich und erwärmend nähert / auch solche Blicke bezeiget / daß Er der frölichen Hoffnung lebet / sie werde ihn täglich noch wärmer bestrahlen. So werden daher seine verstarrte Finger wieder rührig / und sein beeister Verstand wieder tauend und begierig seinen Gönnern in Dar-
Dazu unter sprachgeschichtlichen Gesichtspunkten Gieseler/Kühnle-Xemaire 1995: 163–185.
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stellung wochentlicher eingekommener Novellen (wie vor 18. Monaten geschehen ist) willfährtigst zu seyn. (Nordischer Mercurius 1766: 1)
Kaum ein Jahrhundert nach der Zeitungsentstehung kann man bereits von echten journalistischen Leistungen sprechen. Nachrichtenzusammenfassungen werden üblich, Schlagzeilen, Erklärungen und Lesehilfen. In Nachrichtendarbietung und -qualität erreichen die Zeitungen am Ende des 17. Jahrhunderts einen Rang, der sie als eigenständiges Informationsmedium selbst an den Höfen und in den Regierungen unentbehrlich macht. Beispielhaft für eine kritische, den Leser leitende Berichterstattung ist die folgende Meldung aus dem Jahre 1666: Weilen von der jüngst gedachten grossen See Schlacht unterschiedlich geschrieben und gesprochen wird / als sey zum Ende dieses / dem Verlangenden von solcher Dinge Gewißheit bis zu recht ergründeter Warheit mitgetheilet / was ein und ander Parthey und unpartheyisches Schreiben hiervon gedencket. (Nordischer Mercurius 1666: 357, ähnlich 373f.)
Ganz ähnlich eine Erläuterung zur Berichterstattung aus den Niederlanden, die dem Leser 1672 geboten wird: „Von disen Landen zu advisiren ist nun beschwerlich / weil fast Jeder eine Adviß nach seinem Willen haben will. Sehet beyderley: […].“ (Nordischer Mercurius 1672: 365) Selbst ironische Kommentare sind nicht ausgeschlossen, wenn es 1672 über den Durchmarsch französischer Truppen durch Trier heißt, jeder der Soldaten müsse selbst bezahlen, was er zur Nahrung benötige, aber der Zeitungsschreiber sodann kommentiert: „[…] wovon die Land Leuthe die rechte Rechnung machen können.“ (Nordischer Mercurius 1672: 131) In welch schöner Sprache bereits geschrieben wird, zeigt ein Neujahrsdank im „Nordischen Mercurius“ des Jahres 1667: Hat nicht der gewaffnete Mars an vielen Orten / zu See und Lande / mit seinem Blutblinckenden Degen genugsam umb sich gehauen? Hat nicht auch die abscheuliche Seuche in vielen schönen Ländern Stadt und Dörffer gelediget. Und was hat man nicht von vormals unerhörten grossen Brand-Schäden vernommen? Hierfür hat uns die Göttliche Hand gnädig bewahret / welcher Macht wier stets schuldigsten Danck sagen / und selbige hertzlich bitten / daß sie uns in diesem neuen Jahre / welches leyder! auch ein Jahr voll Elenden zu seyn erscheinet / von welchem das vergangene Jahr vielleicht nur den Anfang gewiesen hat / auch gnädig vor allem Unheyl bewahren / und der gantzen Christenheit Ruh und Einigkeit verleyhen wolle. (Nordischer Mercurius 1667: 1)
Wie aus der Zeitungsherausgabe der Wunsch geboren wird, mit Hilfe entsprechender Anleitungen und Beispiele den Verstand wie die Urteilskraft, aber auch das Sprachvermögen der Leser zu schulen, zeigt 1696 die „Europäische Relation“, die eine unterhaltsame Beilage ankündigt: Hiebey wird itz alle Montage außgegeben zum klugen Zeitvertreib ein Bogen / genandt VernunfftUbung / dadurch man sich soll gewöhnen / von einem Dinge reiff zu Urtheilen / geschickt zu Reden / und feste gedancken zufassen / auch wird dadurch gesucht / die Deutsche Sprache von ihrer Verachtung und vielen Unraht zu erretten. (Europäische Relation 1696, No. 61 und 65)
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1698 erscheinen dann in jedem einzelnen Stück dieses Blattes kurze Vorreden, in denen verschiedenste Themen in poetischer Form erörtert werden. Eingeschoben sind häufig resümierende Bemerkungen, Anekdoten und kleine Historien, kleine belehrende Abhandlungen oder Erklärungen fremdsprachiger und unbekannter Begriffe. Die Förderung der deutschen Sprache gehört früh zur Programmatik einzelner Zeitungen. Der Erfolg der avanciertesten Blätter des 17. Jahrhunderts ist in erster Linie in einer Berichterstattung gegründet, die den Leser in weitgehend allgemeinverständlicher Sprache und Schilderung an den Zeitereignissen teilhaben lässt und darüber hinaus auch – der „Nordische Mercurius“ oder die „Relation aus dem Parnasso“ sind hier Beispiele – Unterhaltungsbedürfnisse berücksichtigt. Die Eroberung des Politischen durch ein neues Publikum, so eine kleine Zusammenfassung, ist ganz selbstverständlich mit dem Gebrauch der hochdeutschen Sprache verbunden, während sich die politisch Mächtigen im 17. Jahrhundert häufig noch längst nicht der Volkssprache bedienen. Das nicht in allen, aber in wichtigen Zeitungen zu beobachtende Bemühen, ästhetische Qualität und Ausdrucksfähigkeit der Zeitungssprache zu entwickeln, anschaulich und verständlich zu schreiben, hängt, so meine zentrale These, schon im ersten Zeitungsjahrhundert eng mit der Konkurrenz unter den Zeitungen zusammen. Die Ansprache zusätzlicher Leser über den engen Kreis der ersten Zeitungsabonnenten hinaus war von Beginn an nur möglich, wenn die Berichterstattung auf den Horizont derer gestimmt wurde, die eben nicht jenem engen Kreis derer aus dem Bereich von Diplomatie, Militär und Politik angehörten. Auf diese Weise wurde es – ausgehend von der kleinen Gruppe der traditionell die handgeschriebenen wie die ersten gedruckten Zeitungen Lesenden – während des 17. Jahrhunderts möglich, einen erheblichen Teil der Bevölkerung für die Zeitungslektüre zu gewinnen. An der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert waren in den größeren Städten dann bereits die „gesitteten Stände“ vollständig zu Zeitungslesern geworden (Böning 2002a, 2002b). In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts setzte sich dieser Prozess fort, jetzt ging es aber darum, den sogenannten „gemeinen Mann“, den „einfachen Leser“ oder, wie man ihn auch nannte, den „Allerweltsmann“ anzusprechen. Die ersten Zeitungen, die dies taten, verdankten sich keineswegs volksaufklärerischem Engagement, sondern sie waren Ergebnis eines Zeitungsmarktes, der das Leserpotential in den oberen und mittleren, den sogenannten gesitteten Ständen, bereits ausgeschöpft hatte und in dem Verleger nun nach neuen Kunden für ihre Produkte suchten. Dies ist in Städten als Räumen verdichteter Kommunikation bereits in den 1740er Jahren zu beobachten (Böning 2000: 177–210). Zu nennen sind in diesem Jahrzehnt entstehende Zeitungstitel wie die „Harburgischen privilegirten Staats- und Gelehrten Neuigkeiten“ (Deutsche Presse, 2: Harburg, 220),⁴ die „Wandsbeckischen Zeitungen von Staats- und Gelehrten
Diese und die folgenden Titel sind inhaltlich und bibliographisch detailliert beschrieben in: Deutsche Presse 1996–2003. Die Titel aus diesen Bibliographien werden nachgewiesen mit Deutsche Presse, Band: Ort, Titel-Nr. Hier siehe Deutsche Presse, 2: Harburg, 220).
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Sachen“ (Deutsche Presse, 2: Wandsbek, 235), die wegen der im Titelkopf zu findenden Merkurvignette allenthalben „Wandsbecker Mercur“ genannt wurden, oder die „Privilegirte Holsteinische Zeitung“ (Deutsche Presse, 2: Schiffbek, 230). 1755 betont ein Unterricht zum Zeitungslesen dann bereits, dass „der gemeine Mann, wenn er dergleichen Zeitung lieset, allmälig an eine gute und reine deutsche Schreibart könnte gewöhnet werden“ (Wohlmeinender Unterricht 1755: 60). Die Herausgeber der genannten Blätter wussten bereits, dass es zur Lesergewinnung in den mit der Zeitungslektüre noch nicht vertrauten Bevölkerungsschichten einer speziellen Form der Berichterstattung bedurfte, geographischer Erläuterungen beispielsweise, der Erklärung von politischen, militärischen und diplomatischen Begriffen und einer Schreibweise, die auf Ungeübtheit im Umgang mit Gedrucktem Rücksicht nahm. „Ein erfolgreiches Unternehmen“, so begründete der Herausgeber des „Wandsbecker Mercurs“ gegenüber der am plaudernd-saloppen Ton seiner Zeitung Anstoß nehmenden Obrigkeit, sei angesichts der starken Zeitungskonkurrenz in Hamburg und Altona nur durch ein Blatt „von etwas neuer Mode“ möglich. Ein solches Blatt dürfe nicht nach „dem Geschmack der Gelehrten und Erfahrenen“ geschrieben sein, sondern müsse dem Fassungsvermögen „der Einfältigen und geringen Leuthe“ genügen, „welche letztere den größten Hauffen in der Welt“ ausmachten (Colshorn 1966: 1934–1936). Schöne Beispiele für die Art, in welcher der Zeitungsredakteur sich mit seinen Lesern unterhält und sich dabei deren Alltagssprache bedient, sind Meldungen und abgedruckte Leserbriefe – manchmal auch in niederdeutscher Sprache –, auch Berichte aus der Lebenssphäre der anvisierten Leserschaft, wie sie in anderen Zeitungen selten waren. „An der Hamburger Börse“, so berichtet der Verleger, „und an allen Plätzen, wo Zeitungen verkauft würden“, sei starke Nachfrage – „ein großes ‚Gereiße‘“ – nach seinen Zeitungen, weil nämlich „diese ‚vor dem gemeinen Mann und dessen Captum‘ hauptsächlich eingerichtet“ seien, „munter, in kurtzen Sätzen, deutlich und mit leserlichen Buchstaben.“ (Bülck 1928: 70–75)⁵ Ein hübsches Beispiel für die hier zu findende Sprache sind die folgenden Gedanken des Herausgebers: Ich halt es für die Pflicht, die sich ein Zeitungs-Schreiber Vor Augen setzen muß, daß er ein Zeitvertreiber Des ganzen Haufens sey, der seine Blätter list. Er thut sein Amt nur halb so oft er dies vergißt. Die Lust ist bald vorbey, die man davon empfindet, Wenn man in einem Blatt die blosse (magre) Nachricht findet. (Wandsbeckische Zeitungen 1745, Nr. 124)
Viele Anmerkungen und Erläuterungen zeigen, dass es dem Zeitungsredakteur vor allem darum ging, mit seinen Lesern in ein Gespräch zu treten. Es muss den heutigen
Die Zitate müssen aus der älteren Forschungsliteratur nachgewiesen werden, da die Akten, in denen sich die Rechtfertigungen des Verlegers finden, in Hamburg nicht mehr vorhanden sind.
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Forscher nicht entsetzen, dass dies häufig ohne den Respekt geschah, den die Obrigkeiten des 18. Jahrhunderts von den Zeitungsschreibern erwarteten. „Der gemeine Mann“, so rechtfertigt sich der Herausgeber in den nicht ausbleibenden Konflikten mit der Zensur, wolle „nichts Erhabenes, sondern platt und leicht“. Für die Leserbindung wichtig war wohl tatsächlich die versprochene „reine deutsche Schreibart“, die insofern eine Neuerung für das Berufsbild des Zeitungsredakteurs bedeutete, als er sich zu einer adressatenspezifischen Schreibweise verpflichtete. Mehrfach wurde betont, man werde in der Zeitung „nicht leicht ein Wort antreffen, welches aus einer andern Sprache entlehnet sey. Wir haben uns vielmehr angelegen seyn lassen, auch diejenigen Redensarten, welche durch den steten Gebrauch gleichsam in die deutsche Sprache aufgenommen sind, auch mit reinem Deutsch auszudrucken“. Man entschuldigt sich beim Leser, wenn „ein aus einer fremden Sprache erborgtes Wort“ unterläuft, und bittet zu bedenken, „daß wir in Wandsbeck schreiben, und daß uns die Abgelegenheit des Orts, und die Eile, in welcher wir unsere Blätter abfassen müssen, öfters verhindern, alles so, wie es wol seyn sollte und könnte, abzufassen“ (Wandsbeckische Zeitungen 1745, Nr. 24). Die Wandsbeker Zeitung steht am Anfang einer Entwicklung, die noch im 18. Jahrhundert eine große Zahl von Zeitungen entstehen lässt. Um 1750 beginnt dann eine mehr als ein Jahrhundert dauernde Strukturveränderung des Zeitungsmarktes, die nach und nach alle Bevölkerungsschichten zu Zeitungslesern werden lässt und dabei auch den Charakter der Zeitungsberichterstattung nachhaltig verändert. Ließ der Wandsbeker Verleger sich noch ganz wesentlich von wirtschaftlichen Motiven leiten, so kamen in den letzten zwei Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts viele Journalisten hinzu, die den ‚gemeinen Mann‘ mit aufklärerischen Motiven ansprechen wollten. Nicht wenige Zeitungsherausgeber maßen den Zeitungsnachrichten einen eigenen Wert für das Verständnis der Welt bei und bemühten sich um eine Gestaltung ihrer Blätter, die die Konkurrenz mit den traditionellen Zeitungen nicht scheuen musste. In ihnen entsteht die – zunächst zaghaft formulierte – Vorstellung, jeder Mensch habe das Recht auf umfassende Information und politische Mitsprache. Diese Blätter im Detail vorzustellen, erforderte eine eigene Studie. Sie haben so schöne Titel wie „Das räsonierende Dorfkonvent“, „Der Bote aus Thüringen“, „Volksfreund“ oder „Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer, insonderheit für die lieben Landleute alt und jung“ (dazu Böning 2005 und 2012). Letztere wird treffend von ihrem Herausgeber charakterisiert: Sie ist groß und leserlich gedruckt, ein wesentlicher Vorzug für viele Leser. Sie ist verständlich, deutlich und faßlich geschrieben. Jeder, der lesen kann, versteht sie den Worten und Sachen nach. Bey den Oertern wird er zurecht gewiesen, wo sie liegen, in Deutschland oder Kappadocien, Schlaraffenland oder Utopien. Wers noch genauer wissen will, der kauft die geographische Tabelle für Zeitungsleser, sie kostet 1 ggr. Alle schweren und gelehrten Wörter sind vermieden oder mit verständlichen verwechselt. Sollte ein Leser einmahl etwas dunkeles für ihn darin finden, so sey er sicher, daß es ihn auch nicht angeht und er nichts dabey verliert. (Zeitung für Städte Flecken und Dörfer, Jahresvorrede 1791)
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Eine bilderreiche Schreibweise fesselt den Leser, fremdsprachige Ausdrücke werden phonetisch geschrieben: „Die fremden Wörter,“ so heißt es, „die anders gelesen als geschrieben werden, sind so gedruckt, als sie müssen ausgesprochen werden; die Rothe Zeitung will nicht, daß sich ihre Leser durch eine falsche Aussprache bey andern lächerlich machen sollen.“ (Zeitung für Städte Flecken und Dörfer, Jahresvorrede 1791)
4 Fazit: Sprachentwicklung ohne Sprachwunder Und nur das Folgende zum Schluss: Es war keinesfalls ein Sprachwunder, welches wir während der ersten eineinhalb Jahrhunderte der Zeitung beobachten können, wohl aber eine kontinuierliche Entwicklung der Berichterstattung und des Lesepublikums dieses 1605 neu in die Welt getretenen Mediums. Am Ende stehen Zeitungen wie der „Hamburger Correspondent“ (dazu Tolkemitt 1995), Organe also, deren Stil und Sprache denen der heutigen bereits sehr nahe kommen. Und da ist noch gar nicht von den seit den 1670er Jahren als Folge der Zeitungslektüre entstehenden Zeitschriften gesprochen worden, von den gelehrten Journalen, den populärwissenschaftlichen Blättern und den Moralischen Wochenschriften, die für die Weiterentwicklung der deutschen Sprache beachtlich waren, oder von den Intelligenzblättern, die in hochdeutscher Sprache verfasste Nachrichten aus dem Alltagsleben in das letzte Dorf brachten (dazu: Fischer et al. 1999: 89–104). Nur zwei kleine Exempel für die Bedeutung der Zeitschriften. Eine der ersten im deutschsprachigen Raum erschien ab 1676 wöchentlich und trug den Titel „Erbauliche Ruh-stunden“ (Deutsche Presse, 1: Hamburg, 35). Sie beginnt ihren zweiten Jahrgang mit einem großen Loblied auf die deutsche Sprache und auf Wissenschaftler (Erbauliche Ruhstunden 1677: 5). Kann dieses Blatt als Teil einer eigenständigen deutschen Tradition moralischer Belehrung und Unterhaltung angesehen werden, so ist der Hamburger „Patriot“ (Deutsche Presse, 1: Hamburg, 129) beispielhaft dafür, wie wichtige deutsche Moralische Wochenschriften an dem anknüpften, was die Zeitungen auf dem Felde der Sprachentwicklung geleistet hatten. Nicht umsonst kamen mehrere seiner Autoren und Herausgeber aus der „Teutsch-übenden Gesellschaft“ und waren unter anderen auch Zeitungsautoren. Mit besonderem Stolz wies Christian Friedrich Weichmann, Redakteur des Blattes und 1721 bis 1725 auch des Hamburger „Correspondenten“, auf das Bemühen hin, „den Geschmack meiner Landes-Leute in der Sprache und Schreib-Ahrt zu verbessern“. Er sei bestrebt gewesen, „durch eine sorgfältige Reinlichkeit und edle Simplicität in der Beredtsamkeit diesen verwehnten Geschmack zu bessern, dem bisherigen gelehrten Mischmasch entgegen, der eine Pest unserer Sprache ist“. Ein „Teutscher“, so wurde kritisiert, müsse „itzund Französisch, Lateinisch und Italiänisch verstehen, um ein Buch in seiner Mutter-Sprache lesen zu können“ (Patriot 1726, Nr. 156). Tatsächlich wurde dem Blatt nur für Weniges so uneingeschränktes Lob erteilt wie für die sprachliche und stilistische Leistung, die auch heute noch eine angenehme Lektüre erlaubt. Eine Hamburger Zeitschrift sprach be-
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reits 1728 anläßlich der ersten Buchausgabe des „Patrioten“ davon, „daß einst dieses Buch, so zu sagen, ein Autor Classicus unserer Sprache seyn werde“ (Hamburgische Auszüge 1728: 141f.). Albrecht von Haller hielt diese Zeitschrift „sonderlich einem Teutschen, vor unentbehrlich“, sein „Ausdruk ist vor-trefflich und sein Geschmak, wenig Stellen außgenommen, ohne Tadel“, ja, man könne von einem „wegen seiner Reinen Schreibart, männlichen Gedanken, gesunder Sittenlehre, unvergleichliche[n] Journal“ sprechen (Guthke 1970: 22f.). Und nach Einstellung des „Patrioten“ erschien in einer Flugschrift mit einem „Sonnet“ die folgende Würdigung: Hier ruht und ruht auch nicht, hier schläfft zugleich und wacht, Hier starb und lebet noch, hier redet viel und schweiget Der, dessen Schwanen-Kiel der Welt den Weg gezeiget, Durch welchen sie ihr Volck zu guten Bürgern macht, Der an das Vaterland mehr als an sich gedacht, Der Tugend Thron erhöht, der Laster Trotz gebeuget, Und wie der Sitten Zier durch seinen Vorschub steiget, Die Sprach’ und Schreib-Art auch zur Reinigkeit gebracht, Der nur drey Jahr gelebt, und bey dem kurtzen Leben Mehr Nütz- und Löbliches als mancher Greiß verübt, Der, dessen Abschied uns gantz sonder Trost betrübt, Hätt’ er uns nicht zuletzt die Hoffnung noch gegeben, Mit nächster Frühlings-Zeit verjüngt hervor zu gehn Und aus der Aschen als ein Phönix auffzustehn. (Danck- und Denckmahl 1727)
Die Bemühung eines Wunders, das sei abschließend noch einmal betont, verrät Unkenntnis einer Sprach- und Diskussionskultur, wie sie sich in der gesamten Presse verstärkt seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhundert herausbildet. Schon Lutz Mackensen hat für das Entstehungsjahrhundert der periodischen Nachrichtenpresse davon gesprochen, die Zeitung habe ihre Leser an die Vielfalt sprachlicher und textlicher Formen sowie an die Vielfalt deutscher Lautungs- und Ausdrucksmöglichkeiten gewöhnt. Sie habe damit eine Sprachbewegung eingeleitet, die fast unberührt von den großen Bemühungen beispielsweise der Sprachgesellschaften geblieben sei, und sie habe wesentlich zum Sprachausgleich in Deutschland beigetragen und damit nachhaltiger gewirkt, als die gelehrten Sprachmeister (Mackensen 1958: 148). In der Tat: Es war die Zeitung als verbreitetster weltlicher Lesestoff, die nach der reformatorischen Grundlegung im 16. Jahrhundert durch Martin Luther (zu ihm und seiner Bedeutung für die Sprachgeschichte, vgl. Besch 2014) und der Bibel wesentlich für die flächendeckende Verbreitung der deutschen Hochsprache gesorgt und die Deutschen neben ihren gesprochenen Dialekten an eine gemeinsame Sprache gewöhnt hat. Michel Lefèvre hat 2013 in seiner für unser Thema grundlegenden Habilitationsschrift darauf hingewiesen, wie viele sich schlichter Unkenntnis verdankende Vorurteile es auf dem Feld der historischen Zeitungssprache gibt, für das 17. Jahrhundert etwa jenes, das barocken Schwulst in den Gazetten erwartet, ebenso die Vorstellung, dass die damalige Sprache noch weit von einer einheitlichen Standardisierung entfernt gewesen sei. Im Gegenteil, so Lefèvre, wiesen die Zeitungen unabhängig von den
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Erscheinungsorten eine weitgehend vereinheitlichte Sprache auf. Widerlegt wird von ihm auch das Vorurteil, dass das Sprachsystem im letzten Drittel des 17. Jahrhunderts unzulänglich über Mittel zum Ausdruck der feineren Nuancen der Äußerung verfügt und die kommunikative Variabilität in Bezug auf Äußerungsintention, Modalisierung, Bewertung oder Ironie die Vielfältigkeit der heutigen Sprache noch nicht erreicht habe. Bedeutsam scheint auch die Feststellung, dass die drohende Zensur zu indirekten Sprechakten geführt habe, der heutige Leser also zu kritischem Lesen verpflichtet sei, wolle er alle Bedeutungsebenen des Berichteten erfassen. Überraschend für viele erscheint vielleicht das Fazit, die Zeitungen des 17. Jahrhunderts veranschaulichten, wie wenig sich das eigentliche Sprachsystem im Laufe der letzten 300 Jahre verändert habe (Lefèvre 2013: 368f.). Mit anderen Worten: Beim historischen Studium der Zeitungen ist die Entwicklung einer deutschen Kultursprache zu entdecken, in der sich spätestens bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts alles sagen ließ, hier findet sich erstmals die Entstehung eines alle Bereiche des Wissens umfassenden deutschen Sprachschatzes sowie eine eigene, melodische, sich allmählich von den lateinischen Vorbildern befreiende Syntax. Diese Kultursprache bot 1760 bereits ein sicheres Fundament, auf dem die Dichter der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts dankbar zu weiterer Vollkommenheit entwickeln konnten, was als sprachliches Kunstwerk kein Wunder, aber doch von wunderbarer literarischer Qualität war.
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Quellen Danck- und Denckmahl Salv. ubicunque Tit. Dem Weyland Magnifico, Hoch-Edlen, Besten, Hochgelahrten, Hochweisen und Hocherfahrnen Herrn, Sophronymo Patrioten, Fürnehmen Bürger und Patritio zu Cosmopolis, Hocherleuchteten Doctori aller Facultaeten und Wissenschafften, Weitberühmten Polyhistori und Philosopho, wie auch Hochverdienten Censori Morum und Professori Eloquentiae daselbst, Als Derselbe Den 28. Decemb. 1726. durch einen erlaubten Selbst-Mord auf eine Zeitlang sich das Leben verkürtzete, Zu Ehren, Dessen nachgebliebener Interims-Wittwen aber, Der Hoch-Edlen, Hoch- Ehr- Sitt- Tugendbelobten Frauen, Frauen [!] Charitas Vaterlandin, Und Seinen vielen theils erwachsenen und wohlgerathenen, theils uner- und ungezogenen Kindern, zu respective Trost und Beschämung auffgerichtet, Durch Peregrinum Wahrmund. Gedruckt zu Weltstadt [Hamburg]: o. V. 1727. Europäische Relation. Altona: Victor de Löw 1676–1703. Hamburgische Auszüge aus neuen Büchern, und Nachrichten von allerhand zur Gelahrtheit gehörigen Sachen, Teil 2. Hamburg 1728. Johann Frischen Erbauliche Ruh=stunden/Das ist: Merkwürdige und nachdenkliche Unterredungen/ darin allerhand nützliche und erbauliche Materien abgehandelt/zugleich auch jedesmal die vornehmste Begebenheiten gegenwertiger Zeiten kürtzlich eingeführet werden. Denen Liebhabern der Geschichte/und anderer Curieusen Sachen/insonderheit aber der anwachsenden Jugend zu Nutz verfertiget. Th. 1–5; Th. 1 lediglich 15 „Unterredungen“, sonst jährlich 52 Stücke. Hamburg: Henrich Heuß 1676–1680. Nordischer Mercurius. Hamburg: Georg Greflinger 1664–1730. Ordentliche Post Zeitung. Hamburg Kaiserliches Postamt [Hans Jakob Kleinhans] 1630–mind. September 1677. Der Patriot. Hamburg 1724–1726.
Zeitung und Sprachentwicklung
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Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten [zahlreiche Titelvarianten]. Schiffbeck bey Hamburg: „Gedruckt und zu bekommen in der Hollischen [d. i. Hermann Heinrich Holle] privilegirten Buchdruckerey/wie auch auff der Börse in Hamburg“ [ab 1721: Hamburg:] 22. Juni 1712–1934. Titellose Zeitung [ab 1619: Wöchentliche Zeitung auß mehrerley örther]. Hamburg: Johann Meyer 1618–1678. Der Vnartig Teutscher Sprach-Verderber. Beschrieben Durch Einen Liebhaber der redlichen alten teutschen Sprach. [Vermutlich Christoph Schorer] o.O.: o.V. „Gedruckt / im Jahr vnserer Erlösung“ 1643. Wandsbeckische Zeitungen von Staats- und Gelehrten Sachen. Wandsbeck: Dietrich Christian Milatz 28. Mai 1745–1770. Wohlmeinender Unterricht, für alle diejenigen, welche Zeitungen lesen, worinnen so wohl von dem nützlichen Gebrauche der gelehrten und politischen Zeitungen, als auch von ihrem Vorzuge, den einige vor andern haben, bescheidentlich gehandelt wird; nebst einem Anhange einiger fremden Wörter, die in Zeitungen häufig vorkommen. Leipzig: Christian Friedrich Geßner 1755. Zeitung für Städte, Flecken und Dörfer, insonderheit für die lieben Landleute alt und jung. Wolfenbüttel ab 1786.
Tina Theobald
Die ‚Industrialisierung‘ von Presse und Sprache im 19. Jahrhundert Die Industrialisierung – Ein kultureller Prozess?
Geprägt durch den Prozess der Industrialisierung oder Industriellen Revolution, charakterisiert durch Begriffe wie ‚Fortschritt‘, ‚Umbruch‘, ‚Wandel‘ oder ‚Neuordnung‘ gilt das 19. Jahrhundert heute als Epoche grundlegender politischer, wirtschaftlicher, technischer und sozialer Veränderungen, die bis in die Gegenwart wirken. Dabei darf die Industrialisierung kaum nur als sozioökonomischer Prozess verstanden werden (vgl. Kocka 2001: 54), der die bislang gültigen politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Strukturen in Frage stellt und neu ordnet. Vielmehr erfasst sie als „eine kulturelle Umwälzung sondergleichen“ (ebd.) auch und vor allem das Kulturgut Sprache. Denn „in dieser erweckten Zeit entstehen täglich neue Dinge und mit denselben neue Wörter, und wo man nicht flugs das neue Wort findet, da prägt man ein altes zu neuem Werte um“ (Riehl 1848: 394). Der technische Fortschritt, der wirtschaftliche Umbruch ebenso wie die sich langsam vollziehende soziale Neuordnung verändern folglich die kommunikativen Anforderungen an die Sprachgemeinschaft und somit deren Sprachgebrauch (vgl. Theobald 2012a: 53). Es besteht aber nicht allein „ein vielfaches Verhältnis zwischen Sprache und Geschichte […], indem Sprachinhalt wie Sprachform gleich gut der Grund, als die Folge der geschichtlichen Entwicklung sein kann“ (Matthias 1896: 88). Auch die Medien sind Kulturgüter, deren Entwicklung in den Prozess der Industrialisierung, in die „kulturelle Umwälzung sondergleichen“ (Kocka 2001: 54) eingebunden ist. Da sie „die Münzen bilden, […] den Wechselverkehr zwischen Lehre und Ausübung [unterhalten und] nur sie […] die Wissenschaft ins Leben ein und das Leben zur Wissenschaft zurück[führen]“ (Börne 1818: 669), scheint ihnen die bedeutende Aufgabe zuzukommen, den sich im Zuge der Industrialisierung vollziehenden Wandel sicht- und greifbar zu machen. Da dies wiederum nicht zuletzt über das Kulturgut Sprache geschieht, ist davon auszugehen, dass der Industrialisierungsprozess des 19. Jahrhunderts nicht allein Sprache und Medien unabhängig voneinander erfasst, sondern vor allem deren mehrschichtiges Verhältnis zueinander. Ob „der Journalismus […], wie der Sauerstoff in der Luft, zerstörend, zersetzend, auflösend und freilich auch neubildend auf das feste Gebilde der Büchersprache ein [dringt]“ (Kürnberger 1866: 19) und wie sich Sprache und Presse im Kontext der Industrialisierung entwickeln, soll im Folgenden betrachtet werden. Hierbei kann das komplexe Verhältnis von Presse, Sprache und Zeitgeschichte nicht losgelöst von zeitgenössischen Äußerungen und Urteilen untersucht werden. Denn es ist davon auszugehen, dass die Wahrnehmung und Bewertung der Zeitgeschehnisse immer auch zur Entwicklung von Steuerungsstrategien führt, die in die vielfältigen Wanhttps://doi.org/10.1515/9783110517132-003
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delprozesse des 19. Jahrhunderts eingebunden sind (vgl. Theobald 2012a: 102 f., 320 f.; Theobald 2012b: 14 f.).
Presse und Sprache im Kontext der Industrialisierung – Ein historischer Überblick Um die vielfältigen Entwicklungen dieses langen 19. Jahrhunderts in ihrem Zusammenspiel besser fassen zu können, empfiehlt sich eine wirtschafts- und sozialgeschichtliche Gliederung der Epoche in drei Phasen, die sich neben entscheidenden politischen Daten vor allem am Stand der Industrialisierung orientiert. Da dieser „fundamentalste Wachstums- und Strukturwandelprozess“ (Kocka 2001: 44), diese „im Kern sozialökonomische Entwicklung […] in so gut wie alle Lebensbereiche ausstrahlte und in begrenzter Zeit die Welt drastisch veränderte“ (ebd.), lassen sich an der industriellen Periodisierung auch die sprachlichen und medialen Entwicklungen zeitlich strukturieren (vgl. Theobald 2012a: 52 f., 95 f.; Theobald 2012b: 13 f.).
Die industrielle Vorbereitungsphase Beginnend mit den durch die Französische Revolution angestoßenen Modernisierungsreformen dauert die erste Phase bis in die 1840er Jahre an. Geprägt ist diese Vorbereitungsphase der Industrialisierung durch ein langsames, aber beständiges industrielles Wachstum und ein zunächst handwerklich organisiertes Gewerbe, welches sich allmählich der technischen Neuerungen zur Mechanisierung der Produktion bedient. Durch die beginnenden Wanderungen in die Gewerbezentren, durch die zunehmende Forderung nach akademisch Gebildeten infolge der angehenden Technisierung verändert sich auch die Gesellschaftsstruktur, die alten Stände lösen sich langsam auf. Auch die Forderung nach einer politischen Neuordnung des deutschsprachigen Raumes wird immer lauter, eine nationale Einigung kann aber wegen starker restaurativer Gegeninitiativen nicht realisiert werden (vgl. Theobald 2012a: 52 ff.; Theobald 2012b: 13). Angeregt und gesteuert werden diese sozioökonomischen Entwicklungen durch das sich neu formierende Bürgertum, das sich vor allem durch sein Bildungs- und Sprachwissen von anderen gesellschaftlichen Gruppen unterscheidet. Durch die zunehmende gesellschaftliche Vormachtstellung dieser sozialen Gruppierung gewinnen auch deren Sprach- und Lebensweisen zunehmend an Prestige und Vorbildlichkeit für andere soziale Gruppierungen. Zwar gilt die Standardvarietät in der ersten Jahrhunderthälfte als Sozialsymbol des Bildungsbürgertums, im Kampf um die politische Neuordnung wird aber zunehmend ihre nationalsymbolische Kraft betont (vgl. Kocka 2001: 50 ff.; Mattheier 1991: 45 ff.). Es dominiert die Vorstellung, dass „in der Sprache
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[…] die Nation [lebt und] unmittelbar gegeben [ist]“ (Müller 1812, Vorwort des Herausgebers Salz 1920: X), so dass nichts […] mehr als die Sprache ein Band der Gemeinschaft [ist], mag diese in engeren oder weiteren Kreisen gedacht werden. […] Die Einheit des Volkes hat ihren vornehmlichsten Ausdruck in der Sprache. (Wiese 1859: 10)
Diesen Äußerungen Müllers und Wieses liegt das Verständnis von Sprache als einer Form des sozialen und vor allem kulturellen Handelns zugrunde, insofern die Sprache die gemeinsamen Weltansichten einer Gemeinschaft trägt, beschreibt und somit tradiert. Mit diesem wachsenden Interesse an politischer Partizipation und Neuordnung, an Information, Bildung und Sprache eng verbunden ist vor allem die Entwicklung der Zeitung von einem Informations- und Nachrichtenmedium mit exklusiver und wenig differenzierter Leserschaft zu einem multifunktionalen Massenmedium. Im Zuge der Französischen Revolution gewinnt die Zeitung für viele Zeitgenossen die Funktion, Trägerin einer neu entstehenden Gesellschaftsordnung zu werden, in der das gesamte Volk an Entscheidungen des öffentlichen Lebens teilhaben könne. Dabei erscheint die Zeitung den Sprachteilnehmern des 19. Jahrhunderts nicht selten als Produkt der vielfältigen Bestrebungen der Zeit, das fest in den Prozess der Industrialisierung eingebunden ist, denn was die Dampfmaschinen und Eisenbahnen für den äußern und commerciellen Verkehr, sind die Journale bereits im Reiche des Gedankens und für den geistigen Umsatz geworden und diese geistig-industrielle Bedeutung des Journalismus […] ist für die allgemeine Volksbildung der zukünftigen Kulturperiode, wie sie sich entwickeln wird, als wesentlich vorbereitend und förderlich anzusehen. (Mundt 1834: 5)
Während Mundt sich vor allem auf den volksbildenden Einfluss der Zeitung konzentriert und diesen durch die Wahl technischen Vokabulars in den Kontext des Industrialisierungsprozesses setzt, betont Heyse 1827, dass die Zeitungen „auf die Erhöhung der allgemeinen Bildung den bedeutendsten Einfluss ausübten und dadurch auch das Fortschreiten der Sprache und Literatur begünstigten“ (Heyse 18272: 45). Diese sprachliche wie kulturelle Bildung gilt wiederum als Grundlage dafür, eine umfassende Teilhabe der unteren Schichten am sprachlichen, literarischen, kulturellen und politischen Leben der Nation zu ermöglichen (vgl. Theobald 2012a: 232 ff.; Theobald 2012b: 19). Nicht alle Zeitgenossen sind aber wie Heyse und Mundt der Ansicht, dass die Zeitung sich positiv auf die Entwicklung von Sprache und Literatur auswirken und so die kulturelle wie politische Bildung aller sozialen Schichten fördern könne. Vielmehr zeigt ein Blick in die Geschichte, dass diese erste Jahrhunderthälfte nicht nur geprägt ist von revolutionären Kämpfen um Presse- und Meinungsfreiheit, sondern vor allem von staatlichen Kontrollversuchen. Schon Schwarzkopf betrachtet 1795 die durch die Zeitung geförderte Teilnahme an öffentlich-politischen Belangen „unter denjenigen Ständen, welche wenig oder gar keine wissenschaftliche Kultur haben“ (Schwarzkopf
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1795: 75 f.), als kritisch. Er macht vor allem „die Allgemeinheit des Zeitungslesens“ (ebd.) dafür verantwortlich, dass sie „den Dämon der Staatskritik in die vertraulichsten Kreise [führt]“ (ebd.). Und Klemens Wenzel Fürst von Metternich, der ebenfalls die Macht der Presse erkennt, Menschenmassen zu mobilisieren, bezeichnet sie als eine Gewalt und spricht sich offen dafür aus, dass „Gewalten, sollten sie nicht gefährlich sein, stets geregelt sein müssen“ (Klemens Wenzel Fürst von Metternich 1842, zit. n. Wilke 1991: 73). Diese staatlichen Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit – beispielsweise durch die Karlsbader Beschlüsse – haben zur Folge, dass sich weder Zahl noch Inhalt der Zeitungen im Vergleich zu den vergangenen Jahrhunderten entscheidend verändern. Die Zeitung bleibt in der ersten Jahrhunderthälfte weitestgehend auf ihre Informationsfunktion beschränkt, und auch die Verfasser der Zeitungen sind nur selten hauptberufliche Journalisten. Man kann folglich von einer Zeit des schriftstellerischen Journalismus sprechen, in der die Zeitungsartikel noch stark von den sprachlichen und textlichen Vorbildern der Hauptberufe ihrer Verfasser abhängig sind (vgl. Püschel 1991: 428 ff.; Requate 1995: 119 f.; Theobald 2012a: 97 ff.; Theobald 2012b: 13).
Durchbruchphase Diese Tendenzen der ersten Jahrhunderthälfte verstärken sich zwischen den 1840er und 1870er Jahren enorm. In dieser Durchbruchphase der Industrialisierung erfolgt der für das 19. Jahrhundert grundlegende demographische, gesellschaftliche und kulturelle Wandel. Massenhafte Wanderungen, der Ausbau der Wirtschaftszentren und der Infrastruktur, Bevölkerungswachstum und zunehmender Wohlstand führen nicht allein zu einer komplexer werdenden Lebenswelt, sondern vor allem zu einer kulturellen und nationalen Mobilisierung der Gesellschaft. Diese Veränderungen wirken sich auch auf das Varietätenspektrum des Deutschen und den Sprachgebrauch aus (vgl. Theobald 2012a: 99 ff.; Theobald 2012b: 13 f.). Vor allem der „Einfluß der großen Städte für die allgemeine Verbreitung der Schriftsprache“ (Rückert 1864: 116 f.) wird von der heutigen Sprachgeschichte, aber auch von Zeitgenossen wie Rückert als bedeutend erachtet (Püschel 1998: 362). In den städtischen Industriezentren treffen Menschen unterschiedlichster regionaler wie sozialer Herkunft aufeinander und müssen Möglichkeiten des sprachlichen Austauschs finden. Um diesen weiträumigeren Kommunikationssituationen gerecht werden zu können, versuchen auch andere gesellschaftliche Gruppen als das Bürgertum sich weiträumig gültiger Sprachformen zu bemächtigen. Die neuen Einwanderer bringen, falls sie sich nicht schon ihres heimischen Dialekts entwöhnt haben, diesen nur mit, um ihn sobald als möglich abzulegen. […] Sie gewöhnen sich mehr oder minder an die allgemeine Durchschnittssprache der Gebildeten und pflanzen diese in ihre Kreise fort. Von dem Lokaldialekt bleibt unter einer Bevölkerung […] nichts mehr übrig, als höchstens einige besondere Wörter und Wendungen eine lokale Aussprache der allgemein deutschen
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Sprache […] In der Substanz ist die Sprache des Volkes hier wie dort schon wesentlich dieselbe und wird es jeden Tag mehr. (Rückert 1864: 117)
Derartige zeitgenössische Äußerungen über Veränderungen oder Verschiebungen im Varietätenspektrum des Deutschen bekräftigen die heute in der Sprachgeschichtsforschung gängige These, dass die Dialekte im Zuge der Industrialisierung als sprachliche Grundschicht von regionalen Umgangssprachen oder standardnahen Regionalsprachen abgelöst werden. Deutlich wird auch, dass durch das zunehmende Wachstum der Trägerschicht standardnaher Varietäten die Standardsprache ihren Status als bürgerliches Sozialsymbol zu verlieren beginnt und allmählich zu dem im ersten Zeitraum propagierten Nationalsymbol wird (vgl. Mattheier 1991: 55; Mattheier 2000: 1957; von Polenz 1999: 298 f.). Nicht allein die Notwendigkeit, über zeitliche und räumliche Grenzen hinweg in der komplexer werdenden Arbeits- und Lebenswelt kommunizieren zu können, ist Ursache dafür, dass sich die Standardsprache „demokratisiert“ (Rückert 1864: 114). Auch das „wachsende Bedürfniß nach einem möglichst correcten schriftlichen Ausdruck, der schon als fast unerläßliche Vorbedingung für jeden Geschäftsmann gilt, ist eine moderne Erscheinung“ (Rückert 1864: 115) des 19. Jahrhunderts. Selbst in vorab privaten Arbeitsbereichen nimmt die Sprachund Schriftproduktion, die Kommunikation über weitere Grenzen hinweg zu, da sich alle Erwerbs- und Berufsverhältnisse, selbst die elementarsten, wie der Betrieb der bäuerlichen Wirthschaft, mehr und mehr zu einem Geschäfte im specifischen Sinne des Wortes umgestaltet haben oder umzugestalten beginnen. (ebd.)
Auch ein neues Verständnis von Bildung ist ein wichtiger Grund dafür, dass der kommunikative Austausch zunimmt. Denn ein sozialer Aufstieg scheint nur möglich, wenn man die Werte der tragenden gesellschaftlichen Schicht erwirbt. So ist laut Rückert „der Begriff der gleichmäßigen Bildung“ (Rückert 1864: 129) – durch das soziale Prestige des Bildungsbürgertums – „eine unwiderstehliche Macht geworden.Wer gebildet sein will, und das will jedermann, sucht sich so vollständig als möglich der Norm der höheren Sprache zu bequemen“ (ebd.). Mit der Verbreitung standardnaher Varietäten geht nicht nur eine Verdrängung, sondern vor allem eine zunehmende Stigmatisierung der Dialekte einher, denn „wer in der Volkssprache redet, macht sich lächerlich, weil er in der Sprache der Bildungslosigkeit redet“ (Rückert 1864: 131). Den Tendenzen der sprachlichen Verallgemeinerung stehen schließlich jene der Spezifizierung gegenüber (vgl. oben Riehl 1848: 394). Dass durch die Professionalisierung, Technisierung und Modernisierung der Lebens- und vor allem Arbeitswelt also nicht allein weiträumig gültige Varietäten entstehen müssen, sondern sich mit den menschlichen Wissensbereichen auch die Gruppen- und Fachsprachen verändern, bestätigt Rückert: Die Gegenwart hat durch das massenhafte Einströmen neuer technischer Erfindungen, das Bekanntwerden unzähliger neuer Stoffe und die Einzelausarbeitung der Naturkenntnisse geradezu
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die Nothwendigkeit, diese Menge fremdartiger Gegenstände auch mit den fremden Namen zu bezeichnen. (Rückert 1864: 123)
Vor allem die Zeitung ist spätestens ab der Jahrhundertmitte in der Lage, dieser zunehmenden Nachfrage nach Bildung, nach politischer Partizipation und fachlicher Kommunikation entgegenzukommen. Zum einen ermöglichen die technisch-strukturellen Fortschritte eine kostengünstigere und schnellere Nachrichtenübermittlung und -produktion. Vor allem aber führt die Lockerung der Zensur nach der Paulskirchenversammlung dazu, dass sich die Zahl der Zeitungen vervielfältigt und auch eine inhaltlich-funktionale Expansion des Zeitungsmarktes erfolgt. Durch die neu entstehende, auf Meinungsbildung abzielende Parteipresse finden vermehrt politische Themen Eingang in die Öffentlichkeit und breitere Massen können an Öffentlichkeit und Politik – wenn auch nur passiv – teilhaben. Die Zeitung gewinnt also spätestens in der Durchbruchphase der Industrialisierung die Anfang des Jahrhunderts prognostizierte Funktion, Mittlerin zwischen den menschlichen Lebens- und Arbeitsbereichen zu werden und, wie Börne Anfang des Jahrhunderts prophezeit hatte, „die Wissenschaft ins Leben ein- und das Leben zur Wissenschaft zurückzuführen“ (Börne 1818: 669). Um dieser neuen Funktion und der zunehmenden Nachrichtenflut gerecht werden zu können bedarf es zunehmend hauptberuflich tätiger Journalisten. Folge der zunehmenden Professionalisierung des Journalistenstandes ist die Verdrängung der mit dem Namen ihrer Gründer eng verbundenen Herausgeberzeitungen bzw. deren zunehmende charakterliche Verwandlung in Zeitschriften. Diese ausnahmslose Konzentration auf die journalistische Tätigkeit hat zur Folge, dass sich spezifische sprachliche und textliche Gestaltungsmöglichkeiten herauszubilden beginnen und der Umgang mit den zu veröffentlichenden Informationen medienspezifisch optimiert werden kann (vgl. Requate 1995: 119 f.; Theobald 2012a: 99 ff.; Theobald 2012b: 13 f.).
Hochindustrialisierung Im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etabliert sich schließlich das journalistische Berufsfeld und man versucht, den wachsenden Anforderungen an das Medium Zeitung und den inhaltlichen wie formellen Umgang damit zu spezialisieren und zu professionalisieren (Requate 1995: 128 f.). So fordert beispielsweise Löbl um die Jahrhundertwende „die Ausübung des publizistischen Berufes von einem vorgezeichneten Bildungsgange abhängig zu machen“ (Löbl 1903: 203), denn ein solcher Unterricht hätte nicht bloss unmittelbar praktischen, sondern auch einen ansehnlichen ideellen Wert. Das Studium der inhaltreichen Geschichte des europäischen Presswesens würde den angehenden Publizisten darüber aufklären, welche weithin ragende Stellung das Presswesen im Leben der modernen Völker einnimmt, würde ihm die Bedeutung, aber auch die hohe Verantwortung des publizistischen Amtes klarmachen. (Löbl 1903: 211)
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Diese Forderung Löbls nach einer Professionalisierung des Zeitungswesens ist insofern nötig, als nach der Reichsgründung die Zensur 1874 endgültig aufgehoben wird, was zu zahlreichen Zeitungsneugründungen führt. Vor allem aber erweitert sich abermals die funktional-inhaltliche Ausrichtung des Pressewesens. Es entstehen vermehrt Zeitungen, die sich durch Anzeigen finanzieren und primär der Unterhaltung dienen. Neben diesen funktional eindeutig voneinander abgrenzbaren Zeitungen gibt es auch jene, die informierende, unterhaltende und persuasive Teile in sich vereinen. Dieser neuen Multifunktionalität des Pressewesens entspricht eine sprachliche Vielfalt innerhalb einzelner Periodika, die die Bedürfnisse unterschiedlichster Leserkreise zu befriedigen vermag. Erst im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts kann also das Gleichgewicht zwischen der Nachfrage seitens der differenzierten Leserschaft nach Unterhaltung, Information und Persuasion und dem medialen Angebot hergestellt werden (vgl. Theobald 2012a: 99 ff.; Theobald 2012b: 13). In dieser Phase der Hochindustrialisierung etabliert sich nicht allein eine multifunktionale Massenpresse. Auch die Standardvarietät verändert ihre Funktion. Sie ist nun nicht mehr Sozialsymbol, sondern wird mit dem industriellen und sozialen Ausbau des neuen Nationalstaats National- und Staatssymbol mit amtlichem Charakter als Verwaltungs- und Rechtssprache. Die soziolinguistische Dominanz der Standardvarietät in der gesamten Sprachgemeinschaft führt dann nicht allein zu einer zunehmenden Stigmatisierung der Dialekte und ihrer Sprecher, sondern auch zu sprachkritischen und -pflegerischen Bestrebungen des Bildungsbürgertums. Dieses versucht so seinen – von Sprach- und Bildungswissen abhängigen – sozialen Status zu sichern. In diesem Sinne betrachten viele Zeitgenossen – wie beispielsweise Schopenhauer oder Nietzsche – die Entwicklung von Presse und Sprache als äußerst kritisch, da ihrer Ansicht nach die Zeitung trotz ihrer Oberflächlichkeit als neue Autorität gelte und die Literatur als primäres Bildungsmedium verdränge. Die Folge sei, dass sich „Erweiterung und Verminderung der Bildung hier die Hand [reichen und] das Journal an die Stelle der Bildung [tritt]“ (Nietzsche 1872: 194). Ebenso wie nicht mehr die Literatur, sondern die Zeitung als Autorität gelte, werde auch der seine eigenen Gedanken und Erfahrungen weiterentwickelnde und schriftstellerisch verarbeitende Schriftsteller, der „Erlöser vom Augenblick“ (ebd.) als Autorität abgelöst. Nämlich von dem Journalisten, dem „Diener des Augenblicks“ (ebd.), der sich in seiner finanziellen Abhängigkeit nur oberflächlich mit fremden Gedanken beschäftige. Sehr deutlich wird hier die Vorstellung von einer Instrumentalisierung, Mechanisierung oder Industrialisierung des schriftstellerischen Subjekts zum dienenden Objekt innerhalb der Maschinerie des Pressewesens. Welche Bedeutung die Sprache innerhalb dieser vermeintlichen Maschinerie des Pressewesens einnimmt, soll im Folgenden betrachtet werden (Theobald 2012a: 157 f.; Theobald 2012b: 17 f.).
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Presse und Sprache im Kontext der Industrialisierung – Ein mehrschichtiges Verhältnis Die Spezialisierung der Presse Vor allem die medialen wie sprachlichen Entwicklungen der letzten Phase des 19. Jahrhunderts lassen die eingangs gehegte Annahme zu, dass das Verhältnis zwischen Presse und Sprache ein mehrschichtiges ist. Denn infolge der zahlenmäßigen wie inhaltlichen Expansion des Pressewesens erhöht sich nicht allein der Einfluss der Zeitungen auf ihre Leser und deren Sprachgebrauch, auch müssen sie eigene medienspezifische Sprach- und Stilformen herausbilden. „Die Zeitung bedarf ihre eigene Redeweise“ (Kürnberger 1866: 28), denn durch ihre neu gewonnene multifunktionale Massenwirksamkeit werden gänzlich neue Anforderungen an das Medium und seine Verfasser gestellt. So wird von den Journalisten verlangt, in kürzester Zeit eine Vielzahl an Inhalten so verständlich wie möglich zu vermitteln. Einem Publikum, das nicht allein sozial und kulturell differenziert, sondern „durch tausendfältige andere Interessen in Anspruch genommen“ (Löbl 1903: 115) ist, so dass es „sich der Zeitungslektüre nur als flüchtige Aufmerksamkeit einer freien Stunde zuwendet“ (ebd.). An diese neuen komplexen Anforderungen passt sich die Zeitung mit der Herausbildung einer „eigenen Redeweise“ (Kürnberger 1866: 28) an, die sich vor allem durch eine zunehmend komprimierende Sprachökonomie auszeichnet. So nimmt beispielsweise in der Zeitungssyntax das Bemühen im Sinne einer pragmatischen Zweckausrichtung zu, mit einfachen kommunikativen Mitteln dem durchschnittlich gebildeten Leser ein Ereignis klar, übersichtlich und in geringem Umfang und vor allem mit geringem Zeitaufwand für den Verfasser vorzustellen. In einer Studie zur Zeitungssyntax stellt Michel 2001 fest, dass sich im Laufe des 19. Jahrhunderts die Satzlänge deutlich verkürzt. Satzgefüge gehen zugunsten einer vergleichsweise starken Zunahme von Einfachsätzen zurück. Dies ist vor allem dadurch möglich, dass der zentrale Gehalt der Aussage auf das Substantiv verlagert wird, so dass dieses in den Einfachsätzen eine überragende Stellung einnimmt. Dabei ist die Bildung kurzer Sätze, in denen der Nominalstil dominiert, keine neue Erfindung der Zeitung. Vielmehr ist davon auszugehen, dass sich die Zeitung des 19. Jahrhunderts an syntaktischen Mustern der Amts- und Behördensprache orientiert und diese für ihre Zwecke nutzt. Nicht allein in der Syntax, sondern auch in der Lexik kommt es zu einer sprachlichen Verdichtung, die aus der immer schneller und komplexer werdenden Pressekultur resultiert. Für wortreichere Fügungen treten Komposita ein. Auch diese sind nicht allein Produkt der Zeitung, sondern entstehen in allen Lebensbereichen als Reaktion auf neue gesellschaftliche Sachverhalte. Die im Deutschen gegebene Möglichkeit der Kompositabildung verbindet die Vermittlung neuer Gegenstandsbereiche mit dem Streben nach kurzem Ausdruck. Neben den Komposita, die eben nicht unbedingt von der Zeitung, sondern in allen Bereichen neu gebildet, von der Presse aber sofort aufgenommen werden, sind auch zahlreiche Nomina actionis auf -ung wie
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Modernisierung, Versorgung, Aufteilung, Flüssigmachung, Verfügung, Einschränkung oder Durchquerung an die Stelle von wortreicheren verbalen Ausdrucksweisen getreten. Diese haben den Vorteil, dass sie sich leicht mit Präpositionen zu Präpositionalsyntagmen verbinden lassen und so Nebensätze ersparen (vgl. Mackensen 1971: 105, 144 f.; Michel 2001: 230 f.; Nail 1988: 126 f.; Püschel 1998: 364 f.; Straßner 1980: 329; Theobald 2012a: 80 ff.; Theobald 2012b: 14). Der sprachlichen Ökonomisierung steht „die Vorliebe der neueren Zeit, das Prädikat durch eine Phrase auszudrücken, statt durch das einfache Verbum“ (Lübben 1852: 347 f.) entgegen. Durch derartige verbale Streckformen wie eine Durchsicht vornehmen, einen Besuch abstatten, einen Versuch unternehmen oder eine Einigung erzielen, in denen die Substantive die Hauptsinnträger sind, gewinnt die Zeitung, abermals in Orientierung an der Amts- und Behördensprache, an zahlreichen neuen Ausdrucksmöglichkeiten, die nur noch bedingt durch einen Verlauf beschreibende Vollverben ersetzt werden können (vgl. Theobald 2012a: 80 ff.; Theobald 2012b: 14). Von den Zeitgenossen wird dieser Sprachgebrauch der Zeitung ebenso wie seine Ursachen nicht selten als gefährlich für die Entwicklung der deutschen Sprache aufgefasst. So beschreibt Schopenhauer die Schreiberei der Alltagsköpfe [als] wie mit Schablonen aufgetragen, [sie] besteht nämlich aus lauter fertigen Redensarten und Phrasen, wie sie eben im Schwange und Mode sind, und die sie hinsetzen, ohne selbst etwas zu denken. (Schopenhauer 1951: 567)
Es wird aber nicht allein die sprachliche wie inhaltliche Oberflächlichkeit der Zeitung und ihrer Verfasser kritisiert, sondern auch „ein hastiges Lesen bei den Zeitungslesern“ (Hildebrand 1867: 115). Dass „bei beiden aber ein hastiges Denken [herrscht], mit dem die Vorkommnisse in aller Eile über gewisse Gedankenleisten schlägt“ (ebd.), habe letztlich zur Folge, dass die Zeitung nur eine „Scheinbildung und Halbbildung“ (Hartmann in Bulthaupt 1891: 20) vermittle. Dieser kurze Abriss einiger weniger medienspezifischer Entwicklungstendenzen im 19. Jahrhundert soll keineswegs den Eindruck erwecken, dass „die eigene Redeweise“ (Kürnberger 1866: 28) der Zeitung auf eine homogene Zeitungssprache hindeutet. Kürnberger selbst führt aus, dass die Zeitung ob ihrer neu gewonnenen Multifunktionalität spätestens im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts mehrere Sprachen spricht, denn stets neu, stets interessant, stets wachsam, wichtig und alarmierend […] spricht sie die Sprache der Aufregung. Stets fatiguiert, stets enttäuscht, […] stets im Wettrennen, spricht sie aber auch die Sprache der Abspannung. Drittens spricht die Zeitung […] die Sprache der Schonung, der Höflichkeit. (ebd.)
So findet sich ein nüchterner, tatsachenorientierter Stil in Nachrichten, Berichten oder Reportagen. Daneben gibt es den rhetorisch geprägten meinungsorientierten Stil in kommentierenden Textsorten wie Leitartikeln oder Leserbriefen. Und letztlich haben wir den phantasiebetonten, literarischen, aber auch einen umgangssprachlichen,
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sogar dialektalen Stil in Unterhaltungsbeiträgen wie sie sich vor allem im Feuilleton finden. Der Sprachgebrauch der Zeitung des späten 19. Jahrhunderts lässt sich also mit Straßner als „Mixtur von Sprach- und Stilformen“ (Straßner 1980: 331) beschreiben, als ein Zusammenspiel aus zeitungstypischen Merkmalen, Funktionen, Produktionsund Rezeptionsweisen, die sich im Laufe des 19. Jahrhunderts herausbilden und weiterentwickeln (vgl. Püschel 1998: 366 f.; von Polenz 1999: 876; Theobald 2012a: 68 f.; Theobald 2012b: 14).
Die Demokratisierung der Sprache Wird diese „Mixtur“ von Zeitgenossen häufig negativ als „Sprach- und Ideenverwirrung der modernen Presse“ (Meinhold 1848) gekennzeichnet und die Zeitung als „die hauptsächliche Quelle der Leiden unserer Zeit“ (ebd.), so ist dem nicht allein aus heutiger sprachhistorischer Sicht zu widersprechen. Schon Schröder bemerkt, dass „manches Wortgut den Weg aus der Amtsstube durch die Zeitung in die Literatur gemacht“ (Schröder 1888: 70) hat. Präzisiert wird diese Annahme, dass die Zeitung nicht Schöpferin von Sprach- und Stilformen ist, sondern vielmehr jene vorab exklusiver Lebens- und Arbeitsbereiche für ihre Zwecke nutzt, durch Löbl. Dieser geht davon aus, dass sich unter den verschiedenen Stilarten nämlich, die sich im Gebiete der allgemeinen Literatur finden, sich einzelne ganz besonders für die Zwecke der Zeitung [eignen] und deshalb von ihr mit Vorliebe benützt [werden]. (Löbl 1903: 113)
Kritikern, die die Zeitung des 19. Jahrhunderts als „die Hauptursache der Verwilderung unsrer Sprache“ (Wustmann 1891: 14), als „den eigentlichen Herd und die Brutstädte dieser Verwilderung“ (ebd.) betrachten, ist folglich entgegenzuhalten, dass die Zeitung zunächst einmal die vielfältigen Ereignisse ihrer Zeit abbildet und mit diesen auch deren spezifische Sprachgebrauchsformen. So finden beispielsweise durch die Zeitung nicht allein die Ideen der bürgerlichen Revolution von 1848 Verbreitung, sondern auch deren zentrale Wortschatzteile wie Volk, Nation, Klasse, Arbeitgeber, Arbeitnehmer oder Lohnarbeiter in der zunehmend politisch orientierten Öffentlichkeit. Ebenso verhält es sich mit Fremd- und Fachwörtern, die sich vor allem in den Rubriken finden, die sich mit den expandierenden Bereichen der Wirtschaft, Technik oder Wissenschaft befassen. Spätestens mit der unterhaltenden Funktion der Zeitung fließen literarische, regionale und umgangssprachliche Formen in die Presse ein. Dies zeigt, dass „nichts […] gewisser [ist], als daß [die Zeitung] die Sprache nicht lassen kann, so wie sie ist. Journale müssen nun einmal anders sprechen als Bücher, und unaufhaltsam ist der moderne Massen-Bildungsgang vom Buch zum Journal“ (Kürnberger 1866: 29). Der gesellschaftliche wie sprachliche Einfluss der Zeitung resultiert also nicht zuletzt aus dem gesteigerten Bildungsstreben breiter Bevölkerungsschichten, von
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denen nur wenige vor der Expansion der Zeitung zum multifunktionalen Massenmedium mit den gesellschaftlichen Wissensbeständen und deren sprachlichen Existenzformen in Kontakt kamen. So bemerkt Schopenhauer, wenn auch bedauernd, „daß gewiß mehr, als 9/10 der überhaupt lesenden Menschen nichts, als die Zeitungen, lesen, folglich fast unausbleiblich ihre Rechtschreibung, Grammatik und Stil nach diesen bilden“ (Schopenhauer 1851: 578). Zusammenfassen lässt sich das Verhältnis von Presse und Sprache als ein wechselseitiges. So nimmt die Presse nicht nur die verschiedensten gesellschaftlichen Wissensbereiche in ihr Angebot auf, sondern auch gleichzeitig die in einer Gesellschaft vorhandenen sprachlichen Existenzformen, die sie einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich macht. Sie fungiert somit als Trichter, durch den die sprachlichen Existenzformen und die Wissensbestände gefiltert an die Leserschaft übergehen. Als Trichter prägt sie somit das sprachliche wie gesellschaftliche Wissen entscheidend mit. Da sich dieses Wissen wiederum in Handlungen manifestiert, kann die Presse auf die unterschiedlichen Entwicklungen zurückwirken. Die Zeitungen „als Sprachwerkzeuge der Stunde oder als Mikroskope“ (Paul 1829: 68) sind somit nicht allein Produkt und Spiegel bzw. „Brenngläser der nähern Zeit“ (ebd.), der unterschiedlichsten Wandelprozesse, sondern gleichzeitig deren Beschleuniger. Wie die Presse in die sich gegenseitig bedingenden Wandelprozesse eingebunden ist, so ist es auch die Kritik an ihr. Auch sie kann durch die Entwicklung von Steuerungsstrategien direkt auf die Presse, indirekt auf die anderen Wandelprozesse zurückwirken. Die enge wechselseitige Abhängigkeit der verschiedenen Prozesse der Sprach-, Medien- und Gesellschaftsentwicklung erlaubt es nicht, nur eine Quelle des Wandels auszumachen. Sie zeigt, dass die kritische Betrachtung der Zeitung, die ja als massenwirksames Medium den Industrialisierungsprozess und seine Folgen öffentlich und somit greifbar macht, notgedrungen und oftmals auch unbewusst, eine Kritik an den außersprachlichen und -medialen Veränderungen beinhaltet (vgl. Theobald 2012a: 99 ff.; Theobald 2012b: 14 f.).
Die zeitgenössische Wahrnehmung der Presse- und Sprachentwicklung – eine Zusammenfassung Die Kritik an Presse und Sprache ist – wie die zahlreichen angeführten zeitgenössischen Äußerungen zeigen – in den sozialökonomischen Prozess der Industrialisierung eingebunden wie die Sprach- und Presseentwicklung selbst. An ihr wird nicht allein sichtbar, dass der Industrialisierungsprozess als „kulturelle Umwälzung sondergleichen“ (Kocka 2001: 54) die Kulturgüter und -vermittler Presse und Sprache ergreift, sie zeugt vor allem von einer zeitgenössischen Wahrnehmung derselben und unterschiedlichen Lösungsstrategien in der Verarbeitung dieses grundlegenden Wandels. Diese im 19. Jahrhundert verbreitete Vorstellung von einer kulturellen Industrialisierung wird von den Zeitgenossen ganz unterschiedlich bewertet. Am wei-
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testen verbreitet scheint die beispielsweise von Schopenhauer oder Nietzsche vertretene Ansicht, dass die gute, klare und reine existenzsichernde Sprache von der bösen Presse in ihrer Existenz bedroht sei, da die industrialisierte Presse sie zu einem oberflächlichen Massenwerkzeug mache. Zeitgenossen wie Rückert oder Kürnberger hingegen negieren einen statischen Zustand der Sprache und betrachten sie als Mittel des Gedankenaustauschs, das den sich wandelnden kommunikativen Ansprüchen ihrer Sprecher gerecht werden müsse. Nicht die Presse scheint ihnen als Quelle des sich verändernden Verständnisses von Sprache und Bildung. Vielmehr gelten ihnen die sich wandelnden Zeit- und Lebensumstände als Ursache dafür, dass das Bedürfnis nach einer weiteren, schnelleren Bildung und großräumigeren Kommunikationsmöglichkeiten wächst. Eben diesen sich verändernden kommunikativen Anforderungen und Bedürfnissen nach vielfältiger wie schneller Information und Bildung könne die Presse als neues multifunktionales Massenmittel am ehesten entgegenkommen. Die Industrialisierung von Presse und Sprache, die gleichermaßen durch Spezifizierung wie Verallgemeinerung charakterisiert ist, erscheint ihnen als notwendige Folge der vielfältigen Wandelprozesse ihrer Zeit. Aus dieser Vorstellung heraus suchen einige wenige Zeitgenossen wie Löbl schließlich Möglichkeiten und Strategien, sich der Presse als Ganzes – unter Einbezug ihrer Funktionen wie ihrer Produktions- und Rezeptionsbedingungen – weitestgehend objektiv beschreibend zu widmen. Zentral ist ihnen neben der objektiven Beschreibung der Sprach- und Medienentwicklung die Professionalisierung des Pressewesens, um seine Organisation und Stellung, u. a. durch journalistische Ausbildungsmöglichkeiten, zu optimieren und etwaige Defizite zu minimieren. Bezüglich der zeitgenössischen Bewertung der „kulturellen Umwälzung sondergleichen“ (Kocka 2001: 54) ist Behaghel zuzustimmen, dass „die Beurteilung der Sprache mit dem politischen Standpunkt zusammenhängt“ (Behaghel 1894: 19). So suchen die einen, die durch den grundlegenden Wandel hervorgerufene Instabilität tradierter (Sprach- und Bildungs‐)Werte dadurch zu überwinden, dass sie ihre Ursachen ergründen, beschreiben und als natürlich akzeptieren. Andere wiederum suchen nach einer vermeintlichen Quelle der Veränderungen, um diese einzudämmen und die herkömmlichen Bindungen und Beziehungen ebenso wie die bislang gültigen Wissensformen wiederherzustellen. Als geeignete Quelle des Wandels erscheint ihnen die Presse, denn sie ist ein (an‐)greifbareres Objekt als die Zeitgeschehnisse, denen sie ein Forum bietet und die nur durch sie ‚fassbar‘ werden. Die Presse wird zum Sinnbild der ‚neuen‘ Welt, auf das viele Zeitgenossen ihre persönliche, soziale oder nationale Unsicherheit projizieren und diese letztlich relativieren können. Indem sie sich von diesem ‚Neuen‘ distanzieren, können sie ihre konservativ traditionellen Werte und Ordnungen aufwerten und die eigene Daseinsberechtigung legitimieren (vgl. Theobald 2012a: 319 ff.; Theobald 2012b: 20). Auf welche Weise auch immer Presse und Sprache bewertet werden, der vom politischen Standpunkt abhängigen Bewertung (vgl. Behaghel 1894: 19) zugrunde liegt die zeitgenössische Wahrnehmung einer Industrialisierung von Presse und
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Sprache in wechselseitiger Abhängigkeit, die neue Formen des Wissens, Sprechens und Veröffentlichens entstehen lässt.
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Die Digitalisierung der deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts – ein Projekt mit Komplexität! 1 Zur Einführung Im Kontext der durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Pilotprojekte der Zeitungsdigitalisierung übernahm die SuUB Bremen in den Jahren 2013 – 2015 die Digitalisierung der historischen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Der Projektauftrag umfasste die Digitalisierung, Erschließung und Präsentation des vollständigen in der Bibliothek überlieferten Bestandes deutschsprachiger Zeitungen des 17. Jahrhunderts, mithin also die digitale Transformation des kompletten Entstehungsjahrhunderts der Zeitungen – ein Pilotprojekt mit komplexen Anforderungen. Welche Besonderheiten sind mit dem DFG-Pilotprojekt „Zeitungsdigitalisierung“ verbunden, und wie lässt sich ein solch komplexer Bestand adäquat für wissenschaftliche Nutzerinnen und Nutzer aufbereiten? Diesen und weiteren Fragen wird im folgenden Beitrag nachgegangen.
2 Die Zeitungsdigitalisierung in Deutschland – ein Desiderat! Zeitungen sind heute anerkannte und wesentliche Quellen für die Geistes- und Sozialwissenschaften. Nicht nur durch ihre Zeitgebundenheit (Zeitungen berichten über den Verlauf aktueller Ereignisse, geben keinen Überblick), sondern auch durch den immensen Umfang an Seiten führten sie lange Zeit das Dasein eines ungeliebten Stiefkindes. Gegenwärtig sind gerade dies Eigenschaften, die Zeitungen zu einem ausgezeichneten Instrument historischen Arbeitens für unterschiedlichste Fachdisziplinen machen. Seit vielen Jahren digitalisieren Bibliotheken in Deutschland mit und ohne Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft ihre historischen Sammlungen. In großen Digitalisierungsprojekten wurden und werden die Bestände des 17., 18., 19. Jahrhunderts digital bearbeitet. Historische Zeitungen wie auch umfassende Periodika blieben dabei jedoch weitgehend unberücksichtigt. Die in Teilen unzureichende Nachweissituation und lückenhafte Überlieferung sowie die Komplexität ihrer digitalen Erschließung waren sicherlich Grund hierfür. Neben einigen herausragen-
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den, oftmals mit Firmenunterstützung verwirklichten Einzelvorhaben¹ gab es hierzulande bislang keine strukturierte und systematisch initiierte Digitalisierung historischer Zeitungen. Dieses Desiderat erstaunt umso mehr, als Deutschland als das Entstehungsland der Zeitungen gelten kann.² Immerhin entstand hier, gedruckt von Johann Carolus, im Jahr 1605 die erste Zeitung (vgl. Weber 1992: 265). Demgegenüber zeigen die Entwicklungen in Ländern wie z. B. Australien, Finnland, Großbritannien, Niederlande, Österreich oder in den USA, dass sich in den letzten Jahren große nationale Zeitungsportale mit umfangreichen Angeboten digitalisierter Zeitungen etabliert haben. Die aufbereiteten Volltexte und die ausgezeichneten Suchfunktionalitäten erfreuen sich großen Zuspruchs.³
3 Die DFG-Pilotprojekte zur Zeitungsdigitalisierung Mithilfe der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Pilotprojekte zur Zeitungsdigitalisierung sollte diesen im internationalen Vergleich so lange vernachlässigten Digitalisierungsaktivitäten Nachdruck verliehen werden. In den Jahren von 2013 bis 2015 wurden in vier wissenschaftlichen Bibliotheken Einzelprojekte durchgeführt, in denen Standards und Strukturen der Zeitungsdigitalisierung in Deutschland erarbeitet wurden. Zudem erfolgten medientypologische Anpassungen zur Internetpräsentation der digitalisierten Zeitungen über den „DFG-Viewer“. Zur Verbesserung der Nachweissituation wurde in der „Zeitschriftendatenbank“ (ZDB) die spezifische Zeitungssicht weiterentwickelt. Ein wesentliches Ziel der Pilotprojekte war die signifikante Erhöhung des Angebots historischer digitaler Zeitungen in Deutschland (ca. 1,5 Mio. Zeitungsseiten). Die Pilotpartner digitalisierten, strukturierten und erschlossen historische deutsche Zeitungsunternehmen, deren Umfang sich zwischen mehreren hunderttausend Seiten bis zu einer Mio. Seiten bewegte. Die in den Projektkontexten gesammelten Erfahrungen und Geschäftsprozesse (Digitalisierung vom Mikrofilm, vom Original, mit und ohne OCR-Volltext, mit URN-Vergabe u. a.) wurden in einem Masterplan Zeitungsdigitalisierung mit Empfehlungen für eine geplante
Als Vorreiter für die Digitalisierung historischer Zeitungen in Deutschland können u. a. gelten: Jüdische Zeitungen im Projekt „Compact Memory“ (http://www.compactmemory.de/) sowie die Zeitungen zur Rheinischen Landeskunde in der ULB Bonn (http://s2w.hbz-nrw.de/ulbbn/nav/classification/ 229854). Als erste überlieferte Zeitung ist die Straßburger „Relation aller Fürnemmen vnd gedenckwürdigen Historien“ des Druckers Johann Carolus bekannt (siehe http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1– 2182). Genannt sei hier bspw. das Portal „Historische Kranten der Koninklijke Bibliotheek“ der Niederlande (http://kranten.delpher.nl/), das Zeitungsportal der Österreichischen Nationalbibliothek „ANNO“ (http://anno.onb.ac.at/) oder das „British Newspaper Archive“ (http://www.britishnewspaperarchive. co.uk/), das als kostenpflichtiges Angebot auf einer Public Private Partnership der British Library mit Gale Centage Learning beruht. Das „British Newspaper Archive“ ermöglicht neben einer Volltextrecherche eine Suche nach Erscheinungsdaten, Regionen, Titeln und Druckorten.
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Abb. 1: Titelblatt der ersten Zeitung in der SuUB Bremen. Abbildung aus: Relation aller Fürnemmen vnd gedenckwürdigen Historien, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 2182, SuUB Bremen.
Hauptphase der DFG-Förderung festgehalten. Die Einzelprojekte wurden durchgeführt von der SLUB Dresden (der auch die Federführung des Rahmenprojekts oblag), der ULB Halle, der BSB München und der SuUB Bremen. Die SLUB Dresden übernahm die Aufgabe der Massendigitalisierung und erprobte verschiedene Digitalisierungsverfahren, so die Digitalisierung von Mikrofilm bzw. Original sowie OCR-Tests von beiden Quellenmaterialien. Ziel war es, finanzierbare
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Lösungen für die Sicherung fragiler Originale zu finden.⁴ Die ULB Halle scannte vom Original und testete dabei Verfahren der automatisierten Inhaltserschließung mit Optical Character Recognition und Optical Layout Recognition.⁵ Die hier digitalisierte Zeitung diente der Erprobung der Präsentation von Zeitungen im DFG-Viewer. Zudem wurde in Kooperation mit der Deutschen Nationalbibliothek Frankfurt a. M. für den Anwendungsfall von Zeitungen das Verfahren URN granular weiterentwickelt, das einen „persistent identifier“ für Zeitungsdigitalisate auf Seitenebene vergibt. Auch die BSB München unternahm die Digitalisierung, Strukturierung und OCR-Erfassung ihrer Zeitungen. Hier wurde die automatische Tiefenerschließung (Artikelseparierung) erprobt. Ein Vergleich von Aufwand und Ertrag sowie Problemen und Chancen nach Durchführung des Projektes wurde vorgenommen. Von Bedeutung war auch die Erhöhung der Benutzerfreundlichkeit.⁶ Die SuUB Bremen schließlich befasste sich mit der digitalen Transformation eines ganzen Jahrhunderts, des Gründungsjahrhunderts der Zeitung, und übernahm in diesem Kontext zusätzlich die Aufgabe der beispielhaften Bestandslückenergänzung bei der Zeitungsdigitalisierung.⁷ Auch die Ausrichtung eines Wissenschaftler-Workshops im Oktober 2014 oblag der SuUB Bremen, in dem Fragen zur zukünftigen Auswahl und Priorisierung von zu digitalisierenden Zeitungen aus Sicht unterschiedlichster Wissenschaftsdisziplinen geklärt wurden.
3.1 Das Projekt der SuUB Bremen: Zeitungen des 17. Jahrhunderts und ihr Quellenwert Die SuUB Bremen digitalisierte die vollständigen deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts – ein Projekt mit hoher Komplexität, bildeten sich doch erst im Laufe des Jahrhunderts die Besonderheiten heraus, die heute als typisch für Zeitungen erachtet werden. Die frühen Zeitungen sind hinsichtlich Titel, Umfang, Erscheinungshäufigkeit und -verlauf, Inhalt, Sprache und Gestaltung kaum standardisiert. Für die digitale Weiterverarbeitung, die Erschließung und Katalogisierung dieses Zeitungsmaterials ergab sich ein hoher Aufwand, insbesondere durch die große Anzahl von Zeitungen, deren Titel häufig von Ausgabe zu Ausgabe wechselten, die Materialität als Papierreproduktion von Mikrofilmen, die fehlenden Ausgaben oder gar fehlenden
Die SLUB Dresden digitalisierte folgende Zeitungen: „Abendzeitung“ (Dresden: 1817– 1857), „Illustrierte Zeitung“ (Leipzig: 1843 – 1944), „Sächsische Arbeiterzeitung“ (Dresden: 1890 – 1933), „The Dresden Daily“ (1906 – 1910), „Leipziger Jüdische Zeitung“ (1922– 1933), „Leipziger Jüdische Wochenschau“ (1928 – 1933), „Der Freiheitskampf“ (Dresden: 1930 – 1945). Die ULB Halle digitalisierte die Zeitungen: „Hallisches patriotisches Wochenblatt“ (1799 – 1892) und das „Naumburger Kreisblatt/Tageblatt“ (1821– 1900). Die BSB München digitalisierte die Zeitungen: „Cotta’sche Allgemeine Zeitung“ (1798 – 1929) und „Illustrierter Sonntag/Der gerade Weg“ (1929 – 1933). Die SuUB Bremen bearbeitete für die Digitalisierung ca. 300 Zeitungsunternehmen mit 605 Titeln und über 60.000 Einzelausgaben.
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Jahrgänge und die mangelnde Überlieferungssituation. Infolge der Komplexität, Heterogenität und weltweiten Streuung sowie der spezifischen an etwaige Digitalisate gestellten Anforderungen lag bislang keine digitale Präsentation aller historischen Zeitungen des 17. Jahrhunderts vor. Der in Bremen einmalig überlieferte deutschsprachige Zeitungsbestand des 17. Jahrhunderts verdankt sich dem seit 1957 an der damaligen Staatsbibliothek Bremen angesiedelten Forschungsinstitut der Deutschen Presseforschung.⁸ Einen Schwerpunkt der Arbeit nimmt die Sammlung und Erforschung von historischen Zeitungen des 17. und 18. Jahrhunderts ein. In einer in den 1970er und 1980er Jahren zusammengetragenen Quellensammlung wurden von den Wissenschaftlern dieses Instituts die deutschsprachigen Zeitungen des 17. Jahrhunderts aus über 100 Archiven und Bibliotheken in ganz Europa zu Forschungszwecken nach Bremen geholt. Diese herausragende Sammlung, die in keiner anderen Institution so vollständig vorhanden ist, umfasst 375.000 Zeitungsseiten, ca. 750 Zeitungstitel (ca. 500 Zeitungsunternehmen) und mehr als 80.000 Einzelausgaben (Stand 30.11. 2015). Alle zentralen Informationen zum Bestand wurden wissenschaftlich aufgearbeitet und in einer Fachbibliographie beschrieben (vgl. Bogel/Blühm [1971]1985). Mit der Digitalisierung ist somit der größte Teil der deutschsprachigen Zeitungen aus dem Gründungsjahrhundert der Zeitung digital erschlossen und verfügbar. Die Zeitungen des 17. Jahrhunderts sind ein ganz besonderes Quellenmaterial: Im Unterschied zu heutigen Zeitungen, deren Artikel mit sprechenden Überschriften in festen Rubriken schnell zu erfassen sind, bestanden die Zeitungsausgaben des 17. Jahrhunderts vorwiegend aus allgemeinen Berichten, die aus unterschiedlichen Orten zusammengetragen wurden. Diese Berichtsorte spiegeln meist die Handelswege zum Druckort der Zeitung wider. Daraus ergibt sich die Besonderheit, dass in einer bspw. in Bremen gedruckten Zeitung nur in den seltensten Fällen Ereignisse in Bremen beschrieben wurden: Mit den beiden Bremer Zeitungen informierten sich die Bürger der Hansestadt über Geschehnisse in der übrigen Welt. Die Korrespondenten hatten einen unmittelbaren Zugang zum Geschehen. In der Frühzeit des Mediums verfassten oftmals örtliche Postmeister Berichte und verdienten sich mit diesen Auftragsarbeiten einen geringen Zuverdienst. Thematisch weisen die ereignisorientierten Blätter eine hohe Vielfalt auf; meist werden politische, militärische und diplomatische Lageberichte aus der gesamten Welt verfasst und einer im Entstehen begriffenen Öffentlichkeit zugänglich gemacht: „Unparteilichkeit und Zuverlässigkeit, Neuigkeit und Relevanz waren die Stichworte, die das – oftmals pragmatische – Selbstverständnis der Herausgeber ebenso kennzeichneten wie die Erwartungshaltung der Leser.“ (Blome 2004: 49)
Heute gehört das „Institut Deutsche Presseforschung“ zum „Institut für historische Publizistik, Kommunikations- und Medienwissenschaft“ am Fachbereich Kulturwissenschaften (Fachbereich 9) der Universität Bremen.
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Nur vereinzelt gab es Meldungen anderer Art, so wurde das Alltagsgeschehen auch an Fürstenhöfen dargestellt, aber auch über Curiosita berichtet. Da die Zeitungen von verschiedenen Personen gelesen und geschrieben wurden (die Autoren sind mangels Verweisen kaum bekannt), waren sie zudem von hoher Bedeutung für die Verbreitung der hochdeutschen Sprache. Denn so vielfältig wie die Berichte und die Berichtsorte war zunächst auch die Sprache der Zeitungen, bis sich schließlich im Verlaufe des Jahrhunderts das Hochdeutsche immer mehr durchsetzte. Auch wurde die Sprache immer allgemeinverständlicher und somit ihren Lesern immer mehr angepasst. Mit der ersten gedruckten Zeitung der Welt im Jahr 1605 entstand somit nicht nur ein Druckwerk unter vielen: „Es existierte nun erstmals ein Medium, das im Grundsatz jedem Interessierten regelmäßige Informationen über das Weltgeschehen zugänglich machte.“ (Böning/Bauer 2011: IX) Ohne dieses Medium sind die Wandlungen am Ende der frühen Neuzeit und die Moderne nicht vorstellbar. Im 17. Jahrhundert, dem Jahrhundert fortwährender europäischer Kriege, wuchs mit dem Informations- und Kommunikationsbedürfnis der des Lesens und Schreibens befähigten Bevölkerung sowohl die Anzahl der Zeitungen als auch deren Ausgabefrequenz. Die Zeitungen geben für heutige ebenso wie für frühere Leser Aufschluss über den Alltag: Kaum ein Bereich ist denkbar, der nicht von der Presse berührt wurde und sie berührte (vgl. Böning 2004: 7). Unbestritten ist heute, dass die historischen Zeitungen des 17. Jahrhunderts eine bedeutende Quelle für zahlreiche Fachwissenschaften sind, u. a. Historiker, Sprach-, Kommunikations- und Medienwissenschaftler, Kunst- und Kulturwissenschaftler sowie Literaturwissenschaftler; auch Politikwissenschaftler und Wirtschaftshistoriker kommen hier auf ihre Kosten. Zudem ist es möglich, die Zeitungen als Bildquelle zu lesen. Diese vielfältigen Wissenschaftlerinteressen sollten in das Pilotprojekt Zeitungsdigitalisierung der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit einbezogen werden.
4 Digitalisierung historischer Zeitungen: Was braucht die Wissenschaft? Welche Erwartungen und Anforderungen gibt es vonseiten der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an die Zeitungsdigitalisierung? Im Rahmen der DFG-Pilotprojekte initiierte die SuUB Bremen im Oktober des Jahres 2014 einen entsprechenden Workshop. Eingeladen waren ausgewiesene Fachwissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen. Diskutiert wurden Fragen möglicher spezifischer Auswahlkriterien für die Digitalisierung historischer Zeitungen aus der jeweiligen Perspektive des Wissenschaftsfaches bzw. der Forschungsfragestellung. Ebenso wurden Nutzungsszenarien bewogen und daraus resultierend Erwartungen an die Präsentation digitaler Zeitungen formuliert.
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Unisono betonte man die hohe Bedeutung des Zugangs zu digitalisierten deutschsprachigen historischen Zeitungen für die wissenschaftliche Forschung. Neben einer kritischen Masse an relevanten Zeitungen sollten, so die einvernehmliche Auffassung, regionale ebenso wie überregional bedeutsame Blätter berücksichtigt werden. Auch urheberrechtsgeschützte Zeitungsunternehmen, die für wissenschaftliche Fragestellungen interessant sind, müssen in die digitale Transformation gelangen. Neben Breite und Tiefe einer möglichen Zeitungsauswahl sollten die verschiedenen Zugangsmöglichkeiten bedacht werden, bei denen eine Vielzahl potenziell besitzender Institutionen berücksichtigt werden muss. Als notwendig wurde die Digitalisierung vollständiger Ausgaben/Zeitungsunternehmen erachtet. Der Workshop machte deutlich, dass die Anforderungen von Wissenschaftlern an die Zeitungsdigitalisierung je nach Wissenschaftsdisziplin, Fragestellung und Forschungsansatz differieren. Ob eine Imagedigitalisierung als ausreichend bewertet wird oder eine digitale Volltexterschließung (OCR/OLR) gefordert wird, ist abhängig von den Anforderungen der jeweiligen wissenschaftlichen Fragestellung. So benötigen die Sprachwissenschaftler und die Digital Humanties, die mit dem Anspruch auf Big Data große Volltextkorpora untersuchen, die bestmögliche Volltexterschließung. Politikwissenschaftler oder Historiker hingegen können auch mit einer Imagedigitalisierung arbeiten. Wenn sich die wissenschaftliche Forschung auf Bildmedien in Zeitungen ausrichtet, wird auf die qualitativ hohe Auflösung von Abbildungen und Fotos zu achten sein. – Vor dem Hintergrund einer möglichst hohen interdisziplinären Nutzbarkeit der digitalisierten Zeitungen stellt sich für die digitale Transformation dieses Mediums die Herausforderung, wie sich diese hohen Anforderungen an Quantität und Qualität nachhaltig verwirklichen lassen.
5 Zeitungsdigitalisierung in Zusammenarbeit mit der Wissenschaft Der SuUB Bremen war im Projekt der Digitalisierung von Zeitungen des 17. Jahrhunderts sehr an einer engen Zusammenarbeit mit Fachwissenschaftlern gelegen. Auf den verschiedenen Ebenen des Zeitungsdigitalisierungsprojekts arbeitete die SuUB Bremen mit Fachwissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen zusammen, die mit den Zeitungen des 17. Jahrhunderts vertraut sind. Grundlage der Erfassung der Zeitungstitel in der Zeitschriftendatenbank bildete die im Kontext des „Instituts Deutsche Presseforschung“ erstellte Fachbibliographie Bogel/Blühm ([1971]1985), somit konnte bei der Katalogisierung unmittelbar auf Ergebnisse aus der Forschung zurückgegriffen werden. Die Mitarbeiter des „Instituts Deutsche Presseforschung“, insbesondere Prof. Holger Böning waren wichtige fachliche Ansprechpartner. Die Zusammenarbeit war gerade bei den komplexen Zeitungsunternehmen des 17. Jahrhunderts von großer Bedeutung, da sich regelmäßig Fragen zu den Metadaten, zur Bestandsgeschichte, zu wechselnden Titeln, Druckorten, Druckern bzw. Verlegern etc. nicht aus dem einzel-
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nen Objekt selbst ergeben, sondern Resultat intensiver Beforschung sind. – Auch wurde die Priorisierung der zu digitalisierenden Zeitungen innerhalb des definierten Corpus durch Wissenschaftleranfragen und -wünsche gesteuert, um Interessen der Fachwissenschaftler möglichst umfassend gerecht zu werden und bestehende Forschungsvorhaben bestmöglich zu unterstützen. Schließlich bemühte sich die SuUB Bremen um eine Vernetzung der derzeit mit dem Material arbeitenden Wissenschaftler, indem sie auf der Webseite des Zeitungsdigitalisierungsprojekts⁹ wissenschaftliche Projekte vorstellte. Die Orientierung an den Bedürfnissen von Fachwissenschaftlern bedeutete auch, die digitalisierten Zeitungen möglichst frühzeitig zur Verfügung zu stellen. So konnten bereits während des laufenden Projektes internationale Wissenschaftler aus unterschiedlichen Fachdisziplinen mit dem besonderen Quellenmaterial arbeiten und den vorhandenen kostenfreien, orts- und zeitunabhängigen Zugang zum Material nutzen.
Abb. 2: Abbildungen in Zeitungen des 17. Jahrhunderts machen die Zeitungen auch als Bildquelle interessant. Abbildung aus: Neu einlauffende Nachricht Von Kriegs- und Welt-Händeln, http://nbn-re solving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 3753, SuUB Bremen.
http://www.suub.uni-bremen.de/ueber-uns/projekte/alte-zeitungen/
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6 Besonderheiten des Projekts: Vollständigkeit und Bestandslückenergänzung – ein Widerspruch? Die einmalige Überlieferungssituation in Bremen ermöglicht die Bereitstellung eines weitgehend vollständigen Bestands an Zeitungen aus dem Gründungsjahrhundert dieses Mediums für die Wissenschaft. Aufgabe der SuUB Bremen im Pilotprojekt Zeitungsdigitalisierung ist die digitale Transformation eines ganzen Jahrhunderts, des Gründungsjahrhunderts der Zeitungen. Die SuUB Bremen verfolgt das Ziel, die in ihrem Besitz befindliche Sammlung deutschsprachiger Zeitungen des 17. Jahrhunderts vollständig zu digitalisieren. Die Besonderheiten des Projekts der SuUB Bremen liegen in der Vollständigkeit des Bestands, den zu dokumentierenden Bestandslücken, den spezifischen Anforderungen an die Erschließung und in der speziellen überlieferten Materialität von Reproduktionen. Die aktuelle Überlieferungssituation der zu digitalisierenden Zeitungen beinhaltet Blätter, die aus über 100 in ganz Europa verstreuten Institutionen (Archiven und Bibliotheken) sowie von Privatpersonen zusammengetragen wurden. Dies meint in diesem Kontext Vollständigkeit: Alle im Bestand der SuUB Bremen vorhandenen Titel sollen im Bremer Projekt digitalisiert werden. Das beinhaltet zunächst alle in der Fachbibliographie Bogel/Blühm verzeichneten Titel. Doch seit der Publikation des Ergänzungsbandes zur Fachbibliographie im Jahr 1985 gelangten über 100 Zeitungstitel (ca. 20.000 Seiten), meist nur mit geringem Umfang, in die SuUB Bremen. Diese werden zusätzlich digitalisiert. Der Anspruch, alle deutschsprachigen Zeitungen in Vollständigkeit eines ganzen Jahrhunderts zu digitalisieren, stellt besondere Anforderungen an den Umgang mit den Beständen und an das Digitalisierungsprojekt. So hat die SuUB Bremen die Aufgabe der Bestandslückenergänzung übernommen. Dies umfasste eine möglichst vollständige Dokumentation der Lücken ebenso wie die Erarbeitung effizienter Verfahren zu deren Nachweis und zur Ergänzung. Dabei ließen sich drei Formen von Bestandslücken unterscheiden: solche, wo Seiten, Ausgaben, teils ganze Jahrgänge fehlten, unleserliche Zeitungen, die als Bestandslücken zu werten waren, und schließlich Zeitungen, die in der Fachbibliographie verzeichnet wurden, aber nicht im Bestand auffindbar waren. Dabei waren Lücken im Bestand sowohl auf der Ebene einzelner Seiten als auch ganzer Ausgaben oder gar Jahrgänge vorhanden, wenn die betreffenden Bestände entweder fehlten oder unleserlich gedruckt waren. Der genaue Erscheinungsverlauf der in ihrer Frühzeit nicht standardisiert publizierten Zeitungen ist oftmals unbekannt, so dass die Beurteilung, ob eine Zeitung vollständig vorhanden ist, schwierig ist. Die Lückendokumentation wurde im laufenden Projekt in einer Excel-Datei erfasst und im Kontext der Feinstrukturierung der Digitalisate zusätzlich in der Visual Library, der Digitalisierungssoftware der SuUB Bremen, vorgenommen. Sie bildete die Basis für die zweistufige Bestandslückenergänzung: In einem ersten Schritt sollten Lücken in den Beständen durch Sichtbarmachung ergänzt werden, in einem zweiten
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Schritt wurden gezielt andere Bibliotheken und Archive zur Zusammenarbeit aufgefordert. Zudem wurden Nutzer über die Webseite des Projekts gebeten, fehlende Seiten, Ausgaben oder Jahrgänge, die sich in ihrem Besitz befinden, der SuUB Bremen mitzuteilen. Infolge der umfangreichen Sammeltätigkeit des „Instituts Deutsche Presseforschung“ und der Komplexität und Seltenheit des Materials waren zahlreiche Meldungen dieser Art jedoch nicht zu erwarten. Erfolgreich war die Lückenergänzung über die gezielte Kontaktaufnahme mit weiteren Institutionen. Insbesondere die Nutzung etablierter Geschäftsgänge wie der der Fernleihe führte dazu, dass Lücken primär in Beständen überregional bekannter Zeitungen geschlossen werden konnten. Dabei erweist sich die Bestandslückenergänzung dort als besonders fruchtbar, wo auf konkrete Nutzeranfragen reagiert wird.
7 Materialität als Herausforderung für den Scanprozess Die spezifische Materialität des Bestands stellte besondere Anforderungen an das Digitalisierungsprojekt. Als Quellendokumente der Forschung wurden in den 1970er und 1980er Jahren Mikrofilme, -streifen und -fiches hergestellt, die so entstandene Archivsammlung umfasst ca. 1.000 Einheiten. Die Originale der zu digitalisierenden Zeitungen befinden sich in der Regel noch an den Ursprungsorten. Frühzeitig wurde begonnen, die Mikroformen der SuUB Bremen auf Papier zu reproduzieren. Diese Rückvergrößerungen der Einzelausgaben weisen eine hohe Qualität hinsichtlich der Lesbarkeit des Textes auf. Sie wurden im Nachgang von wissenschaftlichen Fachkräften systematisch autopsiert, chronologisch nach Erscheinungsorten sowie Zeitungsunternehmen unter jeweils alphanumerischen Signaturen in etwa 250 beschriftete Archivboxen (Schubern) einsortiert. Mit Blick auf den Qualitätsvergleich von Mikroformen und Rückvergrößerungen wurden zur Digitalisierung in der SuUB Bremen die höherwertigen Papierkopien verwendet. Im Digitalisierungsprojekt sollten ca. 350.000 Seiten möglichst kostengünstig gescannt und weiterverarbeitet werden. Es handelt sich durchweg um kleinformatige Zeitungen (ca. DIN A 5), deren Ausgaben einen Umfang von vier bis fünf Seiten haben. Als Reproduktionen von Mikroformen liegen die Hefte als Einzelblattkopien teilweise nur invertiert vor. Die Digitalisierung erfolgte, wo immer möglich, in der SuUB Bremen kostengünstig mit einem Durchzugsscanner, bei besonderen Zeitungen kam ein Aufsichtsscanner mit einem Öffnungswinkel von 180° zum Einsatz. Die Scanhardware wurde eigens für das Projekt angeschafft. Die Digitalisierung erfolgte entsprechend der Praxisregeln der DFG im Format TIFF unkomprimiert mit einer Auflösung von 300 dpi in Graustufe als reine Imagedigitalisierung. Ziel des Scanprozesses war es, die ca. 360.000 Zeitungsseiten als Einzelseiten mit schwarzer Schrift auf weißem Grund in einer möglichst hohen Lesbarkeit den Nutzern zur Verfügung zu stellen. Das erwartete Datenvolumen betrug 10 TB Speicherplatz.
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Abb. 3: Die Zeitungen sind in Schubern untergebracht und alphanumerisch sortiert.
Vor Projektbeginn wurden alle zu digitalisierenden Archivboxen gesichtet und je nach Schwierigkeitsgraden bestimmten Projektphasen zugeordnet. Außerdem wurden vordefinierte Scanworkflows eingerichtet, um ein möglichst reibungsloses Scannen zu garantieren. Die Scanworkflows waren auf die spezifischen Digitalisierungsparameter des Projekts eingestellt, d. h. sie gaben Auflösung, Farbtiefe und Dateiformat der Scans sowie den Exportordner der Daten vor. Auch konnten Doppelseiten automatisch separiert werden und die Images mit einer begrenzten Anzahl von Bildbearbeitungstools bearbeitet werden. – Die Einrichtung vordefinierter Workflows gewährleistete neben zeit- und arbeitsökonomischen Gesichtspunkten die Einhaltung standardisierter, unveränderlicher Digitalisierungsparameter innerhalb des Projekts.
8 Erschließung: Feinstrukturierung und Volltexterkennung der Zeitungen Im Anschluss an den Scanprozess erfolgt die Aufbereitung der Digitalisate mit dem Ziel, Navigationsfunktionalitäten zu generieren: Qualitätssicherung, Strukturierung und ggf.Volltexterkennung. – Digitalisierung gilt heutzutage als Standardaufgabe von
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Abb. 4: Die schwierige Materialität bedeutet verschiedenste Herausforderungen für die Digitalisierung.
Bibliotheken. Zunehmend selbstverständlich wird die Möglichkeit einer Volltextrecherche über alle Bestände: Erst über durchsuchbare Volltexte potenzieren sich die Möglichkeiten wissenschaftlichen Erkenntnisgewinns. Auch der SuUB Bremen stellte
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sich die Frage nach den Möglichkeiten einer automatisierten Erschließung der Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Die frühen Zeitungen sprechen (im übertragenen und wörtlichen Sinn) ganz die Sprache eines Mediums, das im Entstehen begriffen ist und zu seinen vier heutigen Merkmalen Aktualität, Periodizität, Publizität und Universalität im Verlaufe des Jahrhunderts erst findet. Ihr Erscheinungsbild ist nicht standardisiert. Die Zeitungen setzen sich zusammen aus Berichten aus verschiedenen Orten, doch gibt es keine wiederkehrenden Rubriken. Der Aufbau der Einzelseiten wechselt auch innerhalb einer Ausgabe bspw. zwischen mehrspaltig und einspaltig. Die Umfänge der Einzelausgaben sind wechselhaft, der Erscheinungszeitraum oftmals kurz. Eine automatische Layouterkennung, bei der Struktureinheiten wie Überschriften, Rubriken oder Einzelartikel automatisch identifiziert werden und so die Zeitung erschlossen wird, war bei diesem Material daher nicht möglich: Die heute übliche hohe Standardisierung des Mediums ist historisch gewachsen. Der Aufwand der Nachkontrolle einer solchen Strukturierung wäre größer als die manuelle Strukturierung. Im Kontext der Digitalisierung wurden zudem Tests zur automatischen Volltexterkennung („Optical Character Recognition“ (OCR)) der digitalisierten Zeitungen durchgeführt, um den Nutzern die Recherche im hinter den digitalen Images liegenden Volltext anbieten zu können.¹⁰ Die komplexe Materialität bedeutete Herausforderungen für die automatische Volltexterkennung: Die Zeitungen sind durchweg in Fraktur gesetzt, wobei die verwendeten Schrifttypen uneinheitlich sind, d. h. selbst auf einer Zeitungsseite findet mitunter ein Wechsel von Schrifttypen innerhalb der Frakturfamilie statt. Verwischte Druckerschwärze, ein unzureichender Kontrast oder schräg gedruckte Zeilen sind nur einige Problematiken, die sich aus der Materialität selbst ergeben. Eine computergestützte Auswertung, wann es sich um welchen Buchstaben und wann um den Hintergrund handelt, wird so erheblich erschwert. Gängige OCR-Software für Frakturschriften kann mit diesen Besonderheiten noch nicht umgehen: Da Frakturschriften nur innerhalb eines begrenzten Zeitraums in einem geographisch klar umrissenen Gebiet genutzt wurden, ist der Anwendungsbereich von Fraktur-OCR-Software gering und das Kosten/Leistungsverhältnis der Weiterentwicklung der Software (zumal für eine nicht standardisierte Schrift) für kommerzielle Firmen nicht hinreichend interessant. Die Ergebnisse einer Fraktur-OCR hinken denen der Antiqua-OCR deutlich hinterher. Inwiefern eine automatische Volltexterkennung der Zeitungen dennoch sinnvoll wäre, sollten Tests in der SuUB Bremen zeigen. In der SuUB Bremen kommt die in die Digitalisierungssoftware „Visual Library“ integrierte Software „ABBYY FineReader 9“ zur Anwendung. Die OCR einer Stichprobe von Zeitungsseiten generierte Zeichenerkennungsraten von 63 % bis 91 %. So wurde die „Relation aller Fürnemmen vnd gedenckwürdigen Historien“, gedruckt in Straß-
Das andere gängige Verfahren zur Volltextgenerierung, „double keying“ als zweifache Abschrift eines Textes durch Nicht-Muttersprachler, schied infolge der hohen Kosten aus.
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Abb. 5: Widerdruckschatten erschweren die automatische Volltexterkennung. Abbildung aus: Die Europäische Relation, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 3624, SuUB Bremen.
burg von Johann Carolus, zur „“ e//s .– illter Mrnetw menvnd gedmckwürdtgen Historien“: Ein „Titel“, mit dem sich in der Praxis der Volltextrecherche nicht viel an-
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fangen lässt. Auch bei einer Zeichenerkennungsrate von 91 % sind von 100 Zeichen immer noch 9 falsch, eine Quote, die für wissenschaftliche Auswertungen problematisch ist. Etwaige Volltextrecherchen würden zusätzlich erschwert durch die diversen Dialekte, die in den Zeitungen des 17. Jahrhunderts verwandt wurden. Erst im Laufe des Jahrhunderts bildete sich eine einheitliche Schriftsprache, das Hochdeutsche, in den Zeitungen heraus. Eine zuverlässige Volltextsuche wäre damit nur unter Zuhilfenahme – und Kenntnis – der vielen unterschiedlichen Dialekte möglich, die in den Zeitungen verwandt wurden. Auch unterschiedliche Schreibweisen erschwerten die Suche. Infolge der komplexen Materialität der historischen Zeitungen wurde in der SuUB Bremen somit eine reine Imagedigitalisierung durchgeführt.
Abb. 6: OCR ist bei den frühen Zeitungen fehlerbehaftet. Abbildung aus: Relation aller Fürnemmen vnd gedenckwürdigen Historien, http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 2182, SuUB Bremen.
Um den Nutzern dennoch zusätzliche Suchfunktionalitäten zu bieten, erfolgte in der SuUB Bremen eine manuelle Erschließung der digitalisierten Zeitungen. Zunächst wurde entsprechend des Strukturdatensets der DFG eine Feinstrukturierung der Zeitungstitel in Jahrgänge und Hefte durchgeführt. Anschließend wurden die kalendarischen Angaben der Einzelhefte manuell erfasst, um eine Navigation nach Erscheinungsdaten zu ermöglichen. Zwei Formen kalendarischer Angaben kommen in den frühen Zeitungen vor: Neben dem Erscheinungsdatum der Ausgabe selbst werden die Berichtszeiträume verzeichnet. Bei der Erfassung der Daten im Digitalisierungsprojekt war die Koexistenz zweier Kalendersysteme zu berücksichtigen: Noch weit in das 17. Jahrhundert
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hinein wurde an den verschiedenen Orten des territorial zersplitterten Deutschlands teils der ältere julianische, teils der neuere gregorianische Kalender angewandt. Diese unterscheiden sich um zehn Tage. Da sich die Zeitungen aus Berichten aus unterschiedlichen Orten zusammensetzen, kommt es vor, dass ein und dieselbe Zeitungsausgabe Berichte mit Daten eines sowie beider Kalendersysteme enthält. Eine Herausforderung für die Projektmitarbeiter war die Zuordnung der in den Einzelausgaben erwähnten Daten zu den beiden Kalendersystemen. So lässt sich bspw. lediglich von der Erwähnung des „13.23. Januarius“ darauf schließen, dass der entsprechende Bericht am 13. Januar nach dem julianischen und dem 23. Januar nach dem gregorianischen Kalender verfasst wurde. Besonders anspruchsvoll war die Ermittlung der Datumsangaben bei den (nur vereinzelt vorhandenen) handgeschriebenen Zeitungen. Häufig wurden Datumsangaben hier mit „xbris“ abgekürzt. Kontraintuitiv steht diese Angabe nicht für den zehnten Monat unseres Kalenders, den Oktober, sondern (entsprechend des lateinischen Zahlwortes) für den zwölften Monat: „Decem“-bris, den Dezember. Vereinzelt wurden sogar Daten entsprechend des alten römischen Kalenders angegeben, demzufolge es keine Wochentage gab, sondern sich die Datumsangaben von den religiösen Festtagen Kalenden, Nonen, Iden und Terminalien herleiten: So steht die Datumsangabe „VI. Kal. Aprilis 1630“ für den 27. März 1630. Die Zuordnung all dieser Angaben zu heutigen Datumsangaben und ihre Erfassung in standardisierter, computergestützt auswertbarer Form stellte mitunter eine intellektuelle Herausforderung dar. Um den Nutzern einen optimalen Zugang zu den Zeitungen des 17. Jahrhunderts zu ermöglichen, wurden im Projekt der SuUB Bremen drei Daten entsprechend DIN 1355 – 1 erfasst (tt.mm.jjjj, bspw. 11.12.1631): 1. der Berichtszeitraum nach dem julianischen Kalender, 2. der Berichtszeitraum nach dem gregorianischen Kalender, 3. das Erscheinungsdatum. Ziel war es, mittels der manuellen Erschließung der mehr als 60.000 Ausgaben eine Datenbasis für die computergestützte Auswertung zu generieren. Auf der Basis dieser Erschließung wurde eine kalendarische Darstellung mit der Software „Visual Library“ generiert. Mit der kalendarischen Ansicht wird die „Chronik der wichtigsten Zeitereignisse“ (Blome 2004: 51), die die Zeitungen idealiter abbilden, graphisch darstellbar und auf einen Blick erfassbar. Mittels eines Kalendersystems können Zeitungsausgaben nach Erscheinungsdatum angewählt werden, die Suche nach konkreten Ereignissen wird einfacher.¹¹ Bspw. ist es möglich, sich eine Liste aller Zeitungsausgaben anzeigen zu lassen, die am 10. Juli 1670 erschienen sind. Diese ereignisorientierte Suche ermöglicht nicht nur Herangehensweisen, bei denen nach
Doch waren nicht alle Ausgaben bei ihrem Erscheinen mit vollständigem Datum versehen, eine durchaus übliche Praxis in der frühen Neuzeit. Daher werden nicht bei allen Zeitungen alle vorhandenen Ausgaben in der Kalenderansicht angezeigt. Deutlich werden hier nicht zuletzt die Irrungen und Wirrungen des dreißigjährigen Krieges, in dessen Verlauf es immer weniger Zeitungen mit exakter Angabe des Erscheinungsdatums gibt. Die Zeitungen ohne Erscheinungsdatum sind in der Kalenderübersicht über einen entsprechend gekennzeichneten Button zugänglich.
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Abb. 7: Handschriftliche Zeitungen bedeuten einen hohen Aufwand in der Erschließung. Abbildung aus: Handgeschriebene Zeitungen ohne Titel, 1610, IV-19933, SuUB Bremen.
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Geschehnissen gesucht wird, sondern vereinfacht auch einen vergleichenden Blick auf unterschiedliche Zeitungen im gleichen Zeitfenster und gibt somit Aufschluss über die Entwicklung des Mediums Zeitung selbst.
Abb. 8: Die Kalenderansicht der frühen Zeitungen ermöglicht eine gezielte Recherche nach singulären Ereignissen.
Die manuelle Erfassung der ca. 60.000 Strukturdaten war zeitaufwändig, doch wurde hierüber der eigentliche Mehrwert der Zeitungsdigitalisierung generiert: Zusätzliche Recherchefunktionalitäten wie die kalendarische Suche sind für den Nutzer unerlässlich. Daher hat sich die SuUB Bremen für die Umsetzung einer entsprechenden kalendarischen Darstellung entschlossen.
8.1 Erschließung: Die Katalogisierung Parallel zur Digitalisierung erfolgte im Projekt die Katalogisierung der digitalisierten Zeitungsunternehmen. Die regelkonforme Formalerschließung der digitalisierten, bibliographischen Zeitungseinheiten erfolgte in der Zeitschriftendatenbank (ZDB). Sie wurde im laufenden Projekt parallel zur Digitalisierung durchgeführt, so dass eine Einarbeitung aller Projektmitarbeiter in die jeweiligen Spezifika der Digitalisierung und der Katalogisierung sichergestellt wurde. Mit einem wöchentlichen automati-
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schen Import gelangten die Titelaufnahmen aus der Zeitschriftendatenbank automatisch in den Katalog des „Gemeinsamen Bibliotheksverbunds“ (GBV). Gewünscht ist weiterhin der Nachweis des Medientyps ‚Zeitung‘ (und damit der digitalen Zeitungen des 17. Jahrhunderts der SuUB Bremen) im Verzeichnis der im deutschen Sprachraum erschienenen Drucke des 17. Jahrhunderts (VD 17), zum Projektende liefen Absprachen mit den Trägerbibliotheken und der Verbundzentrale des „Gemeinsamen Verbundkatalogs“ (GVK). Grundlage der formalen Erschließung und bibliographischen Verzeichnung war die Fachbibliographie Bogel/Blühm und damit die wissenschaftliche Verzeichnung der Zeitungen auf der Grundlage der Ergebnisse des „Instituts Deutsche Presseforschung“. Anhand der Digitalisate sowie nach Vorgabe der hier verzeichneten bibliographischen Informationen wurden die Zeitungen als elektronische Ressource, d. h. in Form von Sekundäraufnahmen erfasst. Bei der Erstellung der ca. 300 Titelaufnahmen in der Zeitschriftendatenbank (ZDB) werden die Katalogisierungshilfen E490 (für Zeitungen) sowie E456-ERF (elektronische Ressourcen im Fernzugriff, Abschnitt für Digitalisate) berücksichtigt. Der Katalogisierungsaufwand war hoch, zumal sich die Zeitungstitel zum Teil jährlich, zum Teil nach wenigen Ausgaben änderten. Wenn beispielsweise ein Zeitungsunternehmen einen Titel führte, der alle Orte auflistete, aus denen in der Zeitung berichtet wurde und diese Berichtsorte von Ausgabe zu Ausgabe wechselten, so änderte sich auch der Zeitungstitel. Andere Zeitungstitel waren unspezifisch und traten wiederholt auf, so die Bezeichnungen „Avisen“ und „Relation“. Im Projekt bedeutete dies zum einen die Erfassung von teils zehn oder mehr Titeln eines Zeitungsunternehmens in einer Katalogaufnahme. Aus Gründen der besseren Übersichtlichkeit werden im Portal „Digitale Sammlungen der SuUB Bremen“ jedoch nicht alle Titel, sondern lediglich der in der Fachbibliographie angegebene Zitiertitel angezeigt, wenn auch alle Titel mit ihren historischen und aktuellen Schreibweisen recherchierbar sind. Mit der Katalogisierung der Zeitungen in der ZDB erfolgte erstmals der umfassende, ausgabengenaue Nachweis der frühen Zeitungen in einem elektronischen Nachweissystem unter Berücksichtigung der Bestandslücken. Die digitalisierten Zeitungen des 17. Jahrhundert sind damit lokal sowohl über die Digitalen Sammlungen als auch über das „Discovery System“ (E-LIB) und den Bibliothekskatalog der SuUB Bremen recherchierbar. Der überregionale Nachweis erfolgt in der Zeitschriftendatenbank und im gemeinsamen Verbundkatalog. Die Zeitschriftendatenbank wird damit um die Daten von 300 zusätzlichen Zeitungsunternehmen angereichert.Wenn sich darüber hinaus der vorgesehene Nachweis im VD 17 realisieren lässt, wovon wir derzeit ausgehen, wäre das ein einzigartiger qualitativer Mehrwert für das VD 17.
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9 Ausblick Um den Nutzern möglichst zeitnah einen Zugang zum digitalisierten Material anzubieten, hat sich die SuUB Bremen entschlossen, die jeweiligen Zeitungstitel unmittelbar nach Abschluss ihrer Digitalisierung und Feinstrukturierung zu veröffentlichen. Die Präsentation der digitalisierten Zeitungen erfolgt im Internet zunächst über den DFG-Viewer als primäres Nachweissystem sowie über die Digitalen Sammlungen der SuUB Bremen. Auf unserem Portal wurde eine eigene Sammlung „Zeitungen des 17. Jahrhunderts“ eingerichtet¹², die ersten Zeitungstitel waren zu Beginn des Jahres 2014 einsehbar. Durch die Nutzung des „METS/MODS“-Datenformats können die Materialien verlustfrei auch in weiteren Nachweis- und Informationssystemen publiziert werden. Im laufenden Projekt waren die digitalen Zeitungen stets nach ihrer Fertigstellung online zugänglich. Durch die Zugänglichmachung der digitalisierten Zeitungen bereits im laufenden Projekt haben die Nutzer frühzeitig Zugriff auf das Quellenmaterial. Diverse Nutzeranfragen und -gespräche zeigen, dass bereits intensiv mit den historischen Zeitungen online gearbeitet wird. So regten internationale Forscher an, die Zeitung „Der Nordische Mercurius“ des Hamburger Verlegers Greflinger zu digitalisieren; die Digitalisierung wurde im Projekt vorgezogen und liegt mittlerweile vor.
Literatur Blome, Astrid (2004): Tagespublizistik und Geschichtsschreibung (nicht nur) im 17. und 18. Jahrhundert. In: Böning, Holger et al. (Hrsg.): Deutsche Presseforschung. Geschichte, Projekte und Perspektiven eines Forschungsinstituts der Universität Bremen. Nebst einigen Beiträgen zur Bedeutung der historischen Presseforschung (Presse und Geschichte 13). Bremen, 49 – 63. Bogel, Else und Elger Blühm (Hrsg.) (1971/Nachtragsband 1985): Die deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts. Ein Bestandsverzeichnis mit historischen und bibliographischen Angaben (Studien zur Publizistik 17). Bremen. Böning, Holger (2004): Vorbemerkung. Historische Presseforschung und Quellensicherung. In: Böning, Holger et al. (Hrsg.): Deutsche Presseforschung. Geschichte, Projekte und Perspektiven eines Forschungsinstituts der Universität Bremen. Nebst einigen Beiträgen zur Bedeutung der historischen Presseforschung (Presse und Geschichte 13). Bremen, 7 – 10. Böning, Holger und Volker Bauer (2011): Die gedruckte Zeitung und ihre Bedeutung für das Medienund Kommunikationssystem des 17. Jahrhunderts. In: Böning, Holger und Volker Bauer (Hrsg.): Die Entstehung des Zeitungswesens im 17. Jahrhundert. Ein neues Medium und seine Folgen fü r das Kommunikationssystem der Frü hen Neuzeit (Presse und Geschichte 54). Bremen, IX– XVII. Weber, Johannes (1992): „Unterthenige Supplication Johann Caroli/Buchtruckers“. Der Beginn gedruckter politischer Wochenzeitungen im Jahre 1605. In: Archiv für Geschichte des Buchwesens 38, 257 – 265.
http://brema.suub.uni-bremen.de/zeitungen17
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Quellen http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 2182 (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://www.compactmemory.de/ (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://s2w.hbz-nrw.de/ulbbn/nav/classification/229854 (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://kranten.delpher.nl/ (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://anno.onb.ac.at/ (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://www.britishnewspaperarchive.co.uk/ (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 3753 (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://www.suub.uni-bremen.de/ueber-uns/projekte/alte-zeitungen/ (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 3624 (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://nbn-resolving.de/urn:nbn:de:gbv:46:1 – 2182 (letzter Abruf am 24. 01. 2017) http://brema.suub.uni-bremen.de/zeitungen17 (letzter Abruf am 24. 01. 2017)
Jörg Riecke
Pressegeschichte und Sprachgeschichte im Ostseeraum Die germanistische Sprachgeschichtsschreibung hat ihren Gegenstand in diatopischer Hinsicht nach 1945 weitgehend auf den Sprachraum der Bundesrepublik Deutschland, der DDR, Österreichs und der Schweiz begrenzt. Das gesamte östliche Mitteleuropa und damit auch der Ostseeraum sind folglich fast völlig aus dem Blickfeld der Forschung verschwunden. Die Regionen Pommerns, West- und Ostpreußens, die heute zu Polen und Russland gehören, lagen ebenso außerhalb des Interesses wie das Baltikum mit seiner ehemals in weiten Teilen des Bürgertums deutschsprachigen Bevölkerung. Auch die Geschichte der deutschen Presse und ihrer Sprache gehört – von Ausnahmen abgesehen – zu den wenig erforschten Gebieten der deutschen Sprachgeschichte. Nähert man sich der Sprachgeschichte jedoch aus dem Blickwinkel der Geschichte deutschsprachiger Zeitungen, dann verdient der gesamte Raum des östlichen Mitteleuropas, vorzugsweise aber der historische preußische, slavische und baltische Ostseeraum, die gesteigerte Aufmerksamkeit der Forschungsgemeinschaft. Der Erforschung dieses Raumes waren aus einer germanistischen Perspektive vor 1990 politische Grenzen gesetzt, später scheint seine Bedeutung für die deutsche Sprachgeschichte weitgehend in Vergessenheit geraten zu sein. Für die Pressegeschichte gab es daher bisher auch kaum verlässliche Angaben darüber, wann und wo deutschsprachige Zeitungen im östlichen Europa überhaupt erschienen sind. Nur für die erste Phase der Geschichte der deutschsprachigen Zeitungen liegen mit dem 1971 erschienenen zweibändigen Bestandsverzeichnis „Die deutschen Zeitungen des 17. Jahrhunderts“ der beiden Presseforscher Else Bogel und Elgar Blühm historische und bibliographische Angaben vor, denn die Autoren haben in dankenswerter Weise die gesamten damals bekannten Bestände beschrieben.¹ Von germanistisch-sprachwissenschaftlicher Seite scheinen diese Hinweise aber bisher nicht ausgewertet worden zu sein. Für den gesamten Ostseeraum konnten schon Bogel und Blühm für das 17. Jahrhundert folgende Zeitungen nachweisen: Danzig, zuerst für 1619: „Wöchentliche Zeitung“ (S. 33 f.). Königsberg, zuerst für 1623: „Avisen Oder Wöchentliche Zeitung“ (S. 63 f.). Rostock, zuerst von 1625 bis 1640: „Wochentliche newe Hambürger Zeitung“ (S. 69 f.). Stettin, zuerst 1633: „Zeitung vber Leipzig/vnd Berlin“ (S. 106 f.).
Für die „Berichte aus (durch) Pommern“, wird der Druckort Danzig vermutet, Stettin könne als „Ausgangs- oder Sammelpunkt der Meldungen“ angesehen werden (S. 85). Vgl. Bogel/Blühm (1971). Ein aktualisiertes digitales Bestandsverzeichnis findet sich unter http:// brema.suub.uni-bremen.de/zeitungen17. https://doi.org/10.1515/9783110517132-005
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Reval, zuerst von 1675 bis 1699: „Ordinari Freytags Post-Zeitung“ (S. 236 f.). Riga, zuerst 1687: „Rigische Novellen“ (S. 268). Inzwischen hat sich aus Riga für 1681 noch die „Rigische Montags Ordinari PostZeitung“ gefunden. Stralsund, zuerst von 1689 bis 1700: „Stralsundischer Relations Courier“ (S. 269 f.).
Bedenkt man, dass die Geschichte der deutschsprachigen Zeitungen mit der „Straßburger Relation“² und der Wolfenbütteler „Aviso, Relation oder Zeitung“³ überhaupt erst um 1609 beginnt und Bogel und Blühm für das 17. Jahrhundert auch insgesamt nicht mehr als 51 verschiedene Druckorte für den gesamten deutschsprachigen Raum nachweisen können, so kommt den Ostsee-Städten in der Frühgeschichte der deutschen Zeitungen im Hinblick auf das Alter und die Dichte der Überlieferung eine durchaus herausgehobene Stellung zu.⁴ Während also die Anfänge der Pressegeschichte im Ostseeraum durch die Bestandsaufnahme von Bogel und Blühm vergleichsweise gut dokumentiert ist – nur für Königsberg können ältere Zeitungen ergänzt werden. –,⁵ liegt die weitere Entwicklung und Verdichtung dieser deutschsprachlichen Presselandschaft noch weitgehend im Dunkeln.⁶ Dieser Befund gilt allerdings für das gesamte östliche Mitteleuropa; Bogel und Blühm nennen abgesehen von den Städten des Ostseeraums für das 17. Jahrhundert noch Breslau, Laibach und Prag, auch für die Pressegeschichte dieser Städte und den mit ihnen verbundenen Regionen ist – von Einzelstudien abgesehen – bisher kein Gesamtüberblick möglich. Mit Hilfe des Heidelberger „Katalogs deutschsprachiger Zeitungen im östlichen Europa“ steht künftig aber für die deutschsprachigen Zeitungen des gesamten östlichen Europas eine Textgrundlage für weiterführende Forschungen zur Verfügung. Der Katalog beschreibt exemplarisch 250 Zeitungen aus 22 Ländern: Russland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Weißrussland, Ukraine, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Rumänien, Italien (Triest und Görz), Slowenien, Kroatien, Bosnien, Serbien, Montenegro, Bulgarien, Griechenland, Türkei sowie Georgien und gibt so einen Eindruck von der Vielfalt der deutschsprachigen Presselandschaft im östlichen Europa. Der Kommunikationsraum der neuhochdeutschen Schriftsprache und ggf. ihrer regionalen Varianten im östlichen Europa kann daher kaum besser erfasst werden als am Beispiel der Verbreitung der deutschsprachigen Zeitungen. Am Beispiel des für die
1609 – 1667; Bogel/Blühm (1971: 1– 4). 1609 – 1624; Bogel/Blühm (1971: 4– 8). Man vgl. dazu auch Böning et al. (2005). Zu den Anfängen vgl. auch Endel (1993). Erst in jüngster Zeit wird vereinzelt zumindest auch das 18. Jahrhundert berücksichtigt: vgl. Brandt (2015).
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frühe deutsche Pressegeschichte besonders wichtigen Ostseeraums soll dies im Folgenden verdeutlicht werden.⁷ Für die meisten der erhaltenen Zeitungen ist die Berliner „ZEFYS-Datenbank“⁸ ein zuverlässiges Hilfsmittel. Für eine fachwissenschaftliche Nutzung müssen die Angaben der Datenbank aber zunächst ausgewertet werden. Zudem muss man bei der Suche die in Frage kommenden Städte einer Region bereits kennen, um zu Ergebnissen zu gelangen. Bei Namengleichheit, etwa Königsberg in Ostpreußen, Königsberg in der Neumark, Königsberg in Hessen, müssen die Ergebnisse gefiltert werden, auch werden Tages- und Wochenzeitungen nicht von konfessionellen, parteipolitischen, gewerkschaftlichen, fachlichen und anderen Zeitungen und Zeitschriften geschieden, manchmal auch nicht Erscheinungsorte und Aufbewahrungsorte, so etwa für St. Petersburg und Saratov.⁹ Nach Durchsicht der Datenbank und der sonstigen Fachliteratur lassen sich für den Ostseeraum deutschsprachige Zeitungen in folgenden Städten ermitteln: Altdamm, Arensburg, Braunsberg, Danzig, Elbing, Fischhausen, Goldingen, Hapsal, Heiligenbeil, Königsberg, Köslin, Kolberg, Labiau, Libau, Memel, Mitau, Narva, Pernau, Pillau, Putzig, Reval, Riga, Rügenwalde, Stettin, Stolp, St. Petersburg, Swinemünde, Windau, Wiborg und Zoppot.
Dabei versteht es sich von selbst, dass ein vollständiges Bild erst dann entsteht, wenn auch die Zeitungen in den übrigen Landessprachen der Region untersucht werden. Zu frühen polnischen Zeitungen des Ostseeraums siehe etwa Zientara (2014). Das „Zeitungsinformationssystem der Staatsbibliothek Berlin“, http://zefys.staatsbibliothek-berlin.de/. Die Angaben sind zudem für die preußische Nordhälfte des östlichen Europas recht vollständig, etwas größere Lücken finden sich derzeit noch für die habsburgische Südhälfte, beispielsweise für deutschsprachige Zeitungen aus dem ehemaligen Jugoslawien (u. a. Laibach, Cilli, Marburg; Agram, Essegg, Sarajevo) oder aus Triest und Görz.
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Die dort erschienenen Zeitungen geben ein anschauliches Bild von einem Kommunikationsraum der deutschen Sprache in der Neuzeit, der heute nur noch wenig beachtet wird. Unter diesem Aspekt bekommt gerade die Erfassung der Zeitungen im 18. und 19. Jahrhundert eine herausgehobene Bedeutung. Im mehrsprachigen Ostseeraum dienen die deutschsprachigen Zeitungen in dieser Zeit in sprachlicher Hinsicht vor allem der Stärkung und Festigung der hochdeutschen Schriftsprache. Sie haben daher in den verschiedenen Phasen der Sprachgeschichte einen nicht zu unter-
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schätzenden Einfluss auf die Ausbildung einer Standardnorm, die weniger im normorientierten 19., als vor allem im 18. und 20. Jahrhundert Züge einer regionalen Variante der hochdeutschen Norm tragen kann. Im 20. Jahrhundert werden als Teil einer sich herausbildenden regionalen Identität mehr und mehr auch Merkmale der jeweils gesprochenen Umgangssprache fassbar, die in Zeitungsglossen o. ä. beschrieben oder die selbst für die Abfassung lokaler Rubriken verwendet wird. So veröffentlichten die „Danziger Neuesten Nachrichten“ über mehr als drei Jahrzehnte an jedem Samstag eine Wochenendglosse des Lokalredakteurs Fritz Jänicke, der unter dem Pseudonym „Poguttke“, eines „Maurerpoliers a.D.“, über die wöchentlichen Stadtereignisse in der Danziger niederdeutsch geprägten Stadtsprache berichtete. Darunter mal kleine Gedichte, mal kunstvoll zugespitzte dramatische Szenen oder humorige Dialoge. „Poguttke-Jänicke wurde mit seinen originellen, echt Danziger Redewendungen, unzähligen Anspielungen, dem niederdeutschen, gutmütigen Spott, der den aufgebauschten Welthändeln mißtrauisch abwartend und mit gesunder Nüchternheit gegenübertrat, zu einem lebendigen Inventarstück der alten Stadt selbst.“¹⁰ Die Zeitungen bieten also auch ein reiches Material für die historische Stadtsprachenforschung, das noch auf die Bearbeitung wartet. Dieser Beitrag, der die Möglichkeiten des Heidelberger Katalogs am Beispiel des Ostseeraums exemplarisch verdeutlichen soll, dokumentiert dafür – bei einer Abfolge der Städte nach der Chronologie der ältesten Ausgaben – folgende Quellengrundlage:
DANZIG, heute Gdansk, Polen, ab 1619¹¹ 1618 „Wöchentliche Zeitung“ […].¹² Andreas Hünefeld (ZEFYS 1037788338: ab 1619). 1629 – 1643 „Danziger Avisen“.¹³ 1630 – 1637„Bericht durch [aus] Pommern was newlichst vorgangen.“ Georg Rhete (ZEFYS 1054556598). 1646 – 1657 „Particular Zeitung.“ Georg Rhete d.J. (ZEFYS 1041649630). ab 1656 „Pohlnische Novellen.“¹⁴ 1657– 1700 „Dingstags [Freytags] Ordinari Post-Zeitungen.“ David Friedrich Rhete, seit 1673 Simon Reiniger d.J. (ZEFYS 105079902X).
Vgl. Jänicke (o. J.: 6). Vermerkt werden hier und im Folgenden die Angaben der ZEFYS-Datenbank sowie vereinzelt – wenn dort nicht nachgewiesen – das Mikrofilmarchiv des Dortmunder Instituts für Presseforschung (MFA), die Regensburger „Bibliographie deutschsprachiger Periodika aus dem östlichen Europa“ (BDPÖE) sowie weitere Forschungsliteratur. Nicht weiter gekennzeichnete Angaben entstammen der „Zeitungsbibliographie für Ost- und Westpreußen sowie des Baltikum“ unter http://home.arcor.de/ fritigern/ostpreussen/ztg/ZtgenBibl.htm sowie dem „Heidelberger Katalog“. Siehe für Danzig auch Loew (2009: bes. 204– 210); für Pommern und den gesamten west- und ostpreußischen Raum Riecke (2016: bes. 184– 187). Vgl. Zientara (2012: 141). Der Titel ist unsicher, siehe Wittenberg (2005: 171). Ebd., 136 – 138 und 171.
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1739 – 1817 „Danziger Intelligenzblatt“ (ZEFYS 01649704X), 1818 – 1849 als „Intelligenz-Blatt für den Bezirk der Königlichen Regierung zu Danzig“ (010560769), ab 1850 als „Danziger Intelligenzblatt“ (MFA), 1871– 1897 „Danziger Intelligenz-Blatt für den Königlichen Regierungs-Bezirk Danzig“ (019089090), bis 1921 als „Danziger Intelligenzblatt“ (MFA). 1751 „Danziger Nachrichten, nebst gelehrten Anmerkungen allerley nützlicher Dinge und Seltenheiten“ (ZEFYS 018747825), 1752– 1754 „Danziger Nachrichten, Erfahrungen und Erläuterungen allerley nützlicher Dinge und Seltenheiten“ (018747752), 1755 – 1757 als „Gemeinnützige Danziger Anzeigen, Erfahrungen und Erläuterungen allerley nützlicher Dinge und Seltenheiten“ (018747701), 1758 – 1763 „Wöchentliche Danziger Anzeigen und dienliche Nachrichten“ (018747612). 1785 – 1794 „Deutsche Zeitung“, von 1795 – 1820 als „Danziger Zeitung“. 1816 – 1920 „Amtsblatt der Königlichen Regierung zu Danzig“, 1917– 1920 als „Staatsanzeiger für Danzig“. 1829 – 1830 „Danziger Anzeiger“. 1831– 1837 „Danziger Dampfboot“ (ZEFYS 018756506), 1838 – 1848 „Das Dampfboot“ (016568990), 1849 – 1879 „Danziger Dampfboot“ (013009729). 1839 – 1847 „Allgemeine Politische Zeitung für die Provinz Preußen“ (ZEFYS 01656023X), 1848 – 1850 als „Danziger Zeitung“. 1848 – 1878 „Neue Wogen der Zeit“ (ZEFYS 1014909813: 1870, 1878). 1849 „Danziger Volks–Blatt“. 1858 – 1930 „Danziger Zeitung“ (ZEFYS 016745485). 1861– 1862 „Kreisblatt für den Danziger Kreis“ (ZEFYS 016850548). 1865 – 1895 „West-Preussische Zeitung“ (ZEFYS 016860861). 1873 – 1920 „Westpreußisches Volksblatt“ (ZEFYS 016848551). 1882– 1934 „Danziger Allgemeine Zeitung“ (ZEFYS 981869602: ab 1901). 1882– 1901 „Danziger Courier“ (ZEFYS 01685053X). 1894 – 1944 „Danziger Neueste Nachrichten“ (ZEFYS 010631984). 1919 – 1921 „Die Brücke“. 1920 – 1936 „Danziger Volksstimme“ (ZEFYS 015529479). 1923 – 1926 „Danziger Rundschau“. 1925 – 1934 „Danziger Landes-Zeitung“ (ZEFYS 01700313X). 1930 – 1931 „Danziger Beobachter“, ab 1931– 1932 „Der Vorposten“, ab 1933 – 1944 als „Danziger Vorposten“ (ZEFYS 010664386), 1944– 1945 zusammengelegt mit den „Danziger Neueste Nachrichten“. 1934 – 1935 „Danziger Tageblatt. Unabhängige Morgenzeitung“ (ZEFYS 986322911). 1934 – 1936 „Danziger Echo“ (ZEFYS 982189532). 1935 – 1937 „Danziger Volks-Zeitung“ (ZEFYS 982188269). 1936 – 1944 „Danziger Morgenzeitung“. 1941– 1943 „Kreisblatt für den Kreis Danzig-Land“ (ZEFYS 990786188).
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KÖNIGSBERG, heute Kaliningrad, Russland, ab 1623 1619 „Numero […] Neue Zeitungen“, bei Johann Schmidt (Fabricius). ¹⁵ 1623 „Avisen Oder Wöchentliche Zeitung“, bei Lorenz Segebade (ZEFYS 1037919386). 1656 „Europaeische Wochentliche Zeitung“ (vgl. ZEFYS 1055021930), 1657– 1659 „Europäische Ordinarij Postzeitung“, 1660 – 1674 „Europäischer Mercurius“, 1674– 1709 „Königsberger Ordinari Postzeitung“, 1709 – 1727 „Königlich preußische Fama“, 1727– 1752 „Intelligenzblatt des Königlichen Adreß-Comptoirs“ (gedruckt bei Johann Reusner und Johann Reusners Erben, ab 1742 im Besitz von Hartung), ab 1752 als „Königsbergsche Zeitung, Königlich priveligierte preußische Staats-, Kriegs- und Friedenszeitung“ (ZEFYS 019490186: ab 1764), 1776 – 1850 „KöniglichPreußische Staats-, Kriegs- und Friedens-Zeitung“, ab 1850 – 1933 als „Königsberger Hartungsche Zeitung“ (01521334X). 1734– 1799 „Wöchentliche Königsbergische Frag- u. Anzeigungsnachrichten“ (ZEFYS 018137709/107841968X). 1764– 1793 „Königsbergische gelehrte und politische Zeitungen“ (ZEFYS 01968746X). 1778 – 1834 „Königsberger Intelligenz-Zettel. Zum Nutzen und Besten des Publici“ (ZEFYS 016877454), 1834– 1849 weiter als „Intelligenzblatt“ (012888079). 1799 – 1924 „Preußischer Volksfreund“ (ZEFYS 015337464). 1811– 1816 „Amtsblatt der Königlich Ostpreußischen Regierung“, 1817– 1943 „Amtsblatt der Königlich Preußischen Regierung zu Königsberg“.¹⁶ 1816 – 1819 „Preußischer Beobachter“, weiter als „Neuer Preußischer Beobachter“. 1831 „Königsberger Abendzeitung“ (ZEFYS 017257220). 1832 „Preußische Ostsee-Blätter“ (ZEFYS 016631838). 1841– 1853 „Königsberger Kreisblatt“ (ZEFYS 01641327X), 1863 – 1939 „Amtliches Kreisblatt des Landkreises Königsberg“ (016957717). 1843 – 1845 „Königsberger allgemeine Zeitung“ (ZEFYS 016872428). 1845 – 1848 „Zeitung für Preußen“ (ZEFYS 01060703X). 1848 – 1850 „Neue Königsberger Zeitung“. 1851– 1934 „Ostpreußische Zeitung“ (ZEFYS 015340732), 1849/50 als „Die konstitutionelle Monarchie“ (016635418). 1866 „Königsberger neue Zeitung und Intelligenzblatt“ (ZEFYS 1058657755). 1875 – 1882 „Communal-Blatt für Königsberg und die Provinz Preußen“, 1882– 1945 als „Königsberger Allgemeine Zeitung“ (ZEFYS 01450913X: ab 1878), ab 1942 mit dem Zusatztitel „Die Morgenzeitung Ostpreußens“ (989352358). 1877– 1878 „Königsberger freie Presse. Volksorgan für Ostpreußen“ (ZEFYS 018745423).
Vgl. Körber (1994: 305). Teilbestände im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz XX. HA, Rep. 300 Moeller, F.
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1892– 1901 „Königsberger Volkstribüne“, ab 1901– 1933 „Königsberger Volkszeitung“ (ZEFYS 016044320). 1896 „Ostpreußischer General-Anzeiger und Handelsblatt“. 1897– 1944 „Königsberger Tageblatt. Volksblatt für Ostpreussen“ (ZEFYS 016642139; ZEFYS 017289009: 1928 – 1943). 1900– ? „Königsberger Anzeiger“, zuerst als „Königsberger Neueste Nachrichten“. 1911– 1914 „Der Ostpreuße“ (ZEFYS 015346587). 1912– 1918 „Königsberger Woche“ (ZEFYS 012962864). 1922– 1941 „Königsberger Stadtanzeiger. Amtliches Organ der Stadtgemeinde Königsberg“ (ZEFYS 01959156X). 1929 – 1930 „Ostdeutscher Beobachter“, 1931– 1945 als „Preußische Zeitung“ (ZEFYS 015340821).
STETTIN, heute Szezecin, Polen, ab 1633 1633 – 1636 „Zeitung vber Leipzig vnd Berlin von vnterschiedlichen Orten“, David Rhete (ZEFYS 01830446X). 1636 „Post Zeitung auß vielerley Orten“ (ZEFYS 1073940470). 1638 „Postzeitung über Stettin und Hamburg“, David Rhete (ZEFYS 1060451611). 1643 – 1650 „Post, Hamburger vnd Reichs-Zeitung“ (ZEFYS 1041630506). 1655 – 1689 „Europäische Zeitung“ (ZEFYS 018584063: 1655 – 1659, 1661– 1674, 1688 – 1689, ab 1658 „Europäische Dienstägliche Zeitung“ (Johann Valentin Rhete, Ludwig Rhete). ab 1706 „Stettinischer Relations-Postillon“ (vorher „Pommerscher Relation-Postillon“), 1708 – 1719 als „Stettinische ordinaire Post-Zeitung“ (ZEFYS 018496660), ab 1724– 1739 „Stettinische ordinaire Zeitung“ (018310680). 1728 – 1736 „Wochentlich-stettinische zur Handlung nützliche Preis-Courante der Waaren und Wechsel-Cours, wie auch Frag- u. Anzeigungs-Nachrichten“ (ZEFYS 1006942386), 1736 – 1765 „Wochentlich-stettinische Frag- und Anzeigungs-Nachrichten“ (1006943633), 1766 – 1809 „Stettiner Intelligenz-Zettel“ (1006971432), ab 1809 – 1849 „Stettiner Intelligenzblatt“ (016584600). 1755 – 1910 „Königlich privilegierte Stettinische Zeitung“ [auch „Stettiner“] (ZEFYS 016584635: bis 1852), 1814– 1822 als „Königlich preußisch pommersche Zeitung“, 1822– 1835 „Königliche preußische Stettinische Zeitung“, ab 1852– 1910 „Stettiner Zeitung“ (01658466X). 1766 – 1849 „Königlich Preußisch-Pommersches Intelligenz-Blatt“ (ZEFYS 016880862: 1812– 1813). 1811– 1945 „Amtsblatt der Königlichen Regierung von Pommern“. 1848 – 1859 „Norddeutsche Zeitung für Politik, Handel und Gewerbe“ (ZEFYS 016576373). 1830 – 1831 „Der pommersche Volksfreund“ (ZEFYS 016389271). 1847– 1848 „Der Wächter an der Ostsee“ (ZEFYS 105962656X).
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1849 – 1944 „Generalanzeiger für Stettin und die Provinz Pommern“ (ZEFYS 01683531X), ab 1933 „Stettiner Generalanzeiger“. 1853 – 1909 „Pommersche Zeitung. Organ für Politik und Provincial-Interessen“ (ZEFYS 1020070269: bis 1856), 1865 – 1867 „Pommersche Zeitung“ (1031723633), ab 1868 „Pommersche Zeitung und Stettiner Anzeiger“. 1859 – 1905 „Neue Stettiner Zeitung“ (ZEFYS 016589297, Wehrmann Nr. 623 schon ab 1848), ab 1905 – 1922 „Ostseezeitung und Neue Stettiner Nachrichten“ (027500020). 1864 – 1873 „Oder Zeitung“ (ZEFYS 975819046). 1868 – 1872 „Stettiner Publicist und Provinzialanzeiger“ (Wehrmann Nr. 669), ab 1872 bis mindestens 1917 „Stettiner Morgenzeitung“. 1877– 1910 „Stettiner Tageblatt“ (ZEFYS 978064143). 1885 – 1992 „Stettiner Volksbote“ (ZEFYS 016354338), von 1892– 1933 „Volks-Bote“. 1891– 1909 „Pommersche Reichspost“ (ZEFYS 1020101245). 1896 „Stettiner Abend-Zeitung“ (ZEFYS 1022024612). 1896 – 1899 „Stettiner Beobachter und pommersche Revue“ (ZEFYS 019156820). 1896 – 1917 „Stettiner Neueste Nachrichten“ (ZEFYS 976390760), vorher als „Pommersche Volksrundschau“. 1901– 1905, 1914– 1920 „Amtliches Blatt der Provincialabteilung“ (ZEFYS 017389860). 1901– 1922 „Die Rundschau“ (ZEFYS 016720768). 1902– 1934 „Stettiner Abendpost“ (ZEFYS 975447955), dann aufgegangen in „Ostsee-Zeitung. Stettiner General-Anzeiger“. 1912– 1919 „Pommerscher Volksfreund“ (ZEFYS 1036552012). 1912– 1931 „Pommersche Tagespost“ (ZEFYS 990699633). 1924– 1930 „Pommerscher Landbote“ (ZEFYS 017412188). 1932– 1945 „Pommersche Zeitung. Mit Ostsee-Zeitung, Stettiner General-Anzeiger“ (ZEFYS 015340805).
REVAL, heute Tallinn, Estland, ab 1675 1675 – 1709 „Ordinari Freitags Post-Zeitung“, ab 1690 „Revalsche Post-Zeitung“ (ZEFYS 1059221519). 1772– 1852 „Revalische wöchentliche Nachrichten“, ab 1798 als „Revalische wöchentliche Nachrichten“ (ZEFYS 015675637: 1772– 1819). 1853 – 1885 „Estnische Gouvernements-Zeitung“ (ab 1869 in russischer Sprache). 1860 – 1940 „Revalsche Zeitung“ (ZEFYS 015661407: 1860 – 1918, 1930 – 1934), 1918 „Revaler Zeitung“ (019332661), 1919 – 1930 „Revaler Bote“ (015661385), 1934– 1935 „Estländische Zeitung“, 1936 – 1940 „Revalsche Zeitung“. 1879 – 1915 „Revaler Beobachter“ (ZEFYS 1035780208: 1909). 1935 – 136 „Die Neue Zeit“ (MFA). 1942– 1944 „Revaler Zeitung“ (ZEFYS 015635732).
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RIGA, Lettland, ab 1681 1681 „Rigische Montags Ordinari PostZeitung“ (ZEFYS 1051815029). 1682– 1710 „Rigische Novellen“ (ZEFYS 1045599093). 1761– 1796 „Rigischer Anzeigen von allerhand, dem gemeinen Wesen nöthigen und nützlichen Sachen, welche mit Vorwissen Eines hiesigen Polizey-Amts zu Jedermanns Nachricht bekannt gemacht werden“ (ZEFYS 01195664X), Fortsetzer ab 1826 – 1852 „Rigascher Anzeigen von allerhand dem gemeinen Wesen nöthigen und nützlichen Sachen“ (017127882), 1852– 1917 als „Livländische Gouvernements-Zeitung“ (1003218024: 1852). 1778 – 1909 „Rigische Politische Zeitung“, ab 1797 „Rigasche Zeitung“ (ZEFYS 016125088: 1812– 1909); darin aufgegangen: „Rigaer Tageblatt“. 1808 – 1809 „Rigasche Neueste Nachrichten“. 1810 – 1907 „Rigaische Stadtblätter“ (ZEFYS 01139871X). 1823 – 1827 „Ostsee-Provinzen-Blatt“ (ZEFYS 011956380), 1828 – 1838 als „Provinzialblatt für Kur-, Liv- und Esthland“ (016601599). 1867– 1894 „Zeitung für Stadt und Land“, von 1895 – 1939 als „Rigasche Rundschau“ (ZEFYS 015641554). 1880 – 1881 „Neue Zeitung für Stadt und Land“, ab 1882– 1915 „Rigaer Tageblatt“. 1885 – 1913 „Zeitung der Rigaschen Stadtpolizei“. 1887– 1909 „Düna-Zeitung“ (ZEFYS 978448162). 1897– 1913 „Nordländische Zeitung“. 1906 – 1907, 1912– 1913 „Baltische Post“. 1914– 1918 „Rigasche Zeitung“. 1918 – 1929 „Baltische Zeitung“ (ZEFYS 014499193: 1818 – 1819). 1920 „Rigaer allgemeine Zeitung: unabhängiges, wirtschaftlich-politisches Nachrichtenblatt für Lettland, Estland und Litauen“ (ZEFYS 019339054). 1922– 1925 „Rigasche Nachrichten. Morgenzeitung“ (ZEFYS 016123611). 1925 – 1926 „Neues Rigaer Tageblatt. Rigaer Morgenzeitung“ (ZEFYS 016125053). 1926 – 1936 „Deutscher Bote. Wochenblatt für das landische Deutschtum“ (ZEFYS 016123484). 1927– 1929 „Baltische Stimmen. Wochenzeitung für Stadt und Land. Rigaer Ausgabe“ (ZEFYS 016123565). 1927– 1935 „Riga am Sonntag“, 1935 – 1939 als „Rigasche Post“. 1929 – 1931 „Rigaer Jüdische Rundschau“ (ZEFYS 016125118), 1931 als „Jüdische Rundschau“. 1933 „Deutsche Zeitung“ (ZEFYS 016123522). 1934 „Rigaer Tageszeitung für Volkstum und Sozialismus“ (ZEFYS 016123581). 1934 – 1939 „Rigasche Post“ (ZEFYS 990996980). 1941– 1944 „Deutsche Zeitung im Ostland“ (ZEFYS 011793341).
PERNAU, heute Pärnu, Estland, ab 1700 1700 „Dhe Aviser“ (Estnische Nationalbibliothek).
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1811– 1821 „Pernausche wöchentliche Nachrichten“ (BDPÖE S. 685). 1822– 1869 „Pernausches Wochenblatt“ (BDPÖE S. 686; ZEFYS 019718101 für 1830), ab 1869 – 1918 „Pernausche Zeitung“ (BDPÖE S. 685; ZEFYS 98899951X für 1918). 1927– 1928 „Baltische Post“ (ZEFYS 014497301).
NARVA, Lettland, ab 1701 1701– 1702?: „Narvische Post-Zeitung“.¹⁷ 1862– 1873 „Narvasche Stadtblätter“ (BDPÖE S. 684).
ST. PETERSBURG, Russland, ab 1727 „St. Petersburger Zeitung“: 1727– 1852 als „St. Petersburgische Zeitung“ (ZEFYS 015649970), 1852– 1915 „St. Petersburger Zeitung“ (01060698X), 1915 „Petrograder Zeitung“, 1915 „Nordische Zeitung“; von 1727– 1859 hg.v. der St. Petersburger Akademie der Wissenschaften. 1870 – 1874 „Nordische Presse“ (1874 mit der „St. Petersburger Zeitung“ verschmolzen). 1876 – 1914 „St. Petersburger Herold“ (ZEFYS 01617934X), 1914– 1915 als „Petrograder Herold“.
MITAU, heute Jelgava, Lettland, ab 1766 1766 „Mitausche Nachrichten von Staats- gelehrt- und einheimischen Sachen. Mit gnädiger Freyheit“; 1766 „Mitauische Nachrichten von Staats- gelehrt- und einheimischen Sachen. Mit gnädiger Freyheit“; 1767– 1769/70? „Mitauische Nachrichten von Gelehrten Staats und Einheimischen Sachen. Mit gnädiger Freyheit“; 1770 – 1775 „Mitauische Nachrichten von Staats, Gelehrten und Einheimischen Sachen. Mit gnädiger Freyheit“; 1773 – 1775 „Mitauische Nachrichten von Staats-, Gelehrten-, und Einheimischen Sachen“; 1775 – 1776 „Mitausche Politische und Gelehrte Zeitungen“; 1775 – 1776 „Mitauische Politische und Gelehrte Zeitungen, unter der Aufsicht der Hochfürstlich Petrinischen Akademie“ (ZEFYS 01677745X); 1777 „Mitauische Gelehrte und Politische Zeitung. Mit gnädiger Freyheit“; 1777– 1783 „Mitauische Politische Zeitung. Mit gnädiger Freyheit“ (016777514); 1784– 1795 „Mitauische Zeitung. Mit gnädiger Freyheit“ (01677759X: 1784– 19109); 1795 – 1796 „Mitauische Politische Zeitung. Unter Aufsicht der hiesigen Akademie“; 1797– 1807„Mitauische Zeitung“; 1808 – 1810 „Mitausche Zeitung“; 1811– 1831 „Allgemeine Deutsche Zeitung für Rußland“ (019333323); 1832– 1916 „Mitau(i)sche Zeitung“.
Vgl. Endel (1993)
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1797– 1807 „Mitausche Anzeigen“ (ZEFYS 978279360), von 1807 wohl bis 1824 „Mitausches Intelligenzblatt“ (978279697). 1891– 1934 „Mitauer Nachrichten“ (MFA; ZEFYS 016123654: 1922– 1923). 1924– 1925 „Deutscher Bote“ (ZEFYS 016123425). 1926 – 1934 „Mitauer Nachrichten“ (ZEFYS 016123344), ab 1934– 1939 „Nachrichtenblatt“.
ARENSBURG, heute Kuressaare (Insel Ösel/Saaremaa), Estland, ab 1785 1785 – 1794 „Arensburgische Wochen- oder Intelligenzblätter“ (BDPÖE S. 677). 1865 – 1882 „Annocenblatt“ (BDPöE S. 676). 1877– 1915 „Arensburger Wochenblatt“ (BDPÖE S. 677). 1928 – 1930 „Neues Arensburger Wochenblatt“ (BDPÖE S. 685), 1931– 1933 als „Arensburger Wochenschau“, 1933 – 1934 als „Arensburger Anzeiger“ (BDPÖE S. 676 f.). 1917– 1918 „Arensburger Zeitung“ (ZEFYS 01724899X).
ELBING, heute Elbląg, Polen, ab 1787 (?)¹⁸ ab 1787 (?) „Königlich genehmigte Westpreußische Anzeigen“, ab 1798 (?) als „Elbingsche Anzeigen von Handlungs-, ökonomischen, historischen u. literarischen Sachen“, ab 1802 – 1829 „Allerhöhst genehmigte Königlich genehmigte Westpreußische Elbingsche Zeitung von Staats und gelehrten Sachen“ (Elbinger Stadtbibliothek), ab 1825 als „Königlich genehmigte Westpreußische Elbingsche Zeitung von Staats und gelehrten Sachen“ (ZEFYS 016664809: ab 1825). 1825 – 1873 „Elbinger Anzeigen. Elbinger Zeitung“ (ZEFYS 014502550), bis 1943 als „Elbinger Zeitung und Elbinger Anzeiger“. 1833 – 1918 „Kreisblatt des Königlich Preussischen Landraths-Amtes zu Elbing“ (ZEFYS 016444523). 1834– 1835 „Der Elbinger Bote“ (ZEFYS 016414039). 1848 – 1910 „Altpreußische Zeitung“, bis 1915 „Elbinger Neueste Nachrichten“. 1848 – 1849 „Elbinger Morgenblatt“ (ZEFYS 016664663). 1848 – 1849 „Elbinger Volksbote“, ab 1849 – 1872 ? „Neuer Elbinger Anzeiger“ (ZEFYS 017042542). 1867– 1870 ? „Elbinger Volksblatt“ (Stadtbibliothek Elbing). 1874– 1881 „Elbinger Post“ (Stadtbibliothek Elbing). 1884– 1933 „Elbinger Tageblatt“ (Stadtbibliothek Elbing), 1933 – 1943 als „Westpreußische Zeitung“, ab 1943 „Neue Elbinger Zeitung“. 1917 „Elbinger Kreisblatt“.
Die Anfänge der Elbinger Pressegeschichte bedürfen, soweit das noch möglich ist, einer genaueren Untersuchung.
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1919 „Elbinger Volksstimme“ (ZEFYS 015804216). 1920 „Elbinger Volkszeitung“ (ZEFYS 018441769). 1919 – 1930 „Freie Presse. Tageszeitung für die Interessen der Arbeiter, Angestellten und Beamten des Regierungsbezirks Westpreußen“ (ZEFYS 01582974X: ab 1925). 1944 – 1945 „Neue Elbinger Zeitung. Amtliches Organ der NSDAP und Verkündungsblatt sämtlicher staatlichen und städtischen Behörden“ (ZEFYS 018229603).
BRAUNSBERG, heute Braniewo, Polen, 1809 1809 – 1811 „Braunsberger Wochenblatt“.¹⁹ 1829– ? „Ermländischer Anzeiger“. 1836 „Braunsberger Nachrichten“ (ZEFYS 016373758), von 1837– 1840 als „Der Bote aus Preussen. Ein Volksfreund“ (016373863). 1840 – 1841 „Braunsberger Wochenblatt für die Stadt und den landräthlichen Kreis“ (ZEFYS 016373553), von 1841– 1932 als „Braunsberger Kreisblatt“ (ZEFYS 016373529: 1841– 1847), danach als „Braunsberger Zeitung“.²⁰ 1871– 1943 „Ermländische Zeitung“ (ZEFYS 016373529 von 1875 – 1940).
KÖSLIN, heute Koszalin, Polen, ab 1816 1816 – 1917 „Amts-Blatt der königlichen Regierung zu Cöslin“, 1919 – 1945 „Amts-Blatt der Preußischen Regierung zu Köslin“ (MFA). 1825 – 1851 „Allgemeines pommersches Volksblatt“ (ZEFYS 016358341), 1851– 1856 „Cösliner Intelligenzblatt“ (016358406). 1855 – 1872 „Kreisblatt des Fürstenthums Camin“, ab 1873 – 1875 „Kreisblatt des Cösliner Kreises“ (ZEFYS 1046662414), ab 1876 – 1936 „Kösliner Kreisblatt. Amtliches Organ des Landkreises Köslin“ (017045304). 1864 „Zeitung des Cösliner Regierungsbezirkes“ (ZEFYS 017061164), ab 1865 – 1945 als „Kösliner Zeitung. Öffentliches Organ für Köslin, Zanow, Pollnow und Bublitz“ (017016924). 1877– 1903 „Generalanzeiger für Köslin und Umgegend“ (ZEFYS 01698224X). 1903 – 1923 „Fürstenthumer Zeitung“ (ZEFYS 01698224X), 1919/1920 als „Kösliner Volksblatt“ (014510227). 1924– 1925 „Pommersche Morgenpost. Kösliner allgemeine Zeitung“ (ZEFYS 101673686X). 1924– 1933 „Der Hinterpommer. Organ für die werktätige Bevölkerung des Regierungsbezirks Köslin“ (ZEFYS 017389089). Die Zeitung scheint nicht erhalten zu sein, befindet sich daher auch nicht in der ZEFYS-Datenbank. Sie wurde vom aus Breslau zugewanderten Kornelius Burgund gegründet, musste aber nach wenigen Nummern ihr Erschein wieder einstellen. Man vgl. Rosenberg (1967/68: 261). Siehe Buchholz (1934: 199 und 211), mit unklaren Angaben zur „Braunsberger Zeitung“.
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1927– 1932 „Kösliner neueste Nachrichten. Tageszeitung für den Regierungsbezirk Köslin und die Grenzmark“ (ZEFYS 1044447192). 1927– 1933 „Grenzbote. Organ der werktätigen Bevölkerung der Kreise Stolp, Lauenburg, Bütow“ (ZEFYS 017389437).
MEMEL, heute Klaipėda, Litauen, ab 1817 1817– 1854 „Memelsches Wochenblatt“²¹, auch „Memeler Wochenblatt“ (ZEFYS 015226719: bis 1848). 1848– ? „Neues Memeler Wochenblatt“ (gedruckt in Tilsit).²² 1849 – 1945 „Memeler Dampfboot“ (ZEFYS 012914444). 1852– 1920 „Memeler Kreisblatt“ (ZEFYS 16859243). 1855 – 1864 „Memeler Anzeiger“ (ZEFYS 017009308). 1857– 1868 ? „Bürger-Zeitung“ (ZEFYS 016859405). 1867– 1922 „Memeler Zeitung“ (ZEFYS 016859308). 1919 – 1923 „Memelgau Zeitung“. 1919 – 1926 „Memeler Volksstimme“ (ZEFYS 015337863), 1928 – 1930 als „Memeländische Volkszeitung“. 1920 – 1939 „Amtsblatt des Memelgebiets“ (Litauische Nationalbibliothek). 1922– 1923 „Memeler Landeszeitung“ (ZEFYS 018730469), 1923 als „Memelländische Landeszeitung“ (Litauische Nationalbibliothek). 1924– 1925 „Memel-Zeitung“ (ZEFYS 982467184). 1927– 1933 „Memeler Allgemeine Zeitung“ (ZEFYS 98228862X), 1933 – 1934 als „Memeler Neueste Nachrichten“ (019551967). 1934 – 1935 „Ostsee-Beobachter“ (ZEFYS 016864891), 1935 als „Memeler Beobachter“, 1936 – 1938 fortgeführt als „Baltischer Beobachter“.
Wiburg, heute Wyborg, Karelien, Russland, ab 1821²³ 1821 „Wiburgs Mancherley zum Nutzen und Vergnügen“ (ZEFYS 1011379597 unter Wiborg). 1823 – 1832 „Wiburgs Wochenblatt“ (ZEFYS 101180185X unter Wiburg).
LIBAU, heute Liepāja, Lettland, ab 1824 1824– 1939 „Libausche Zeitung. Amtliches Publikationsorgan des Stadtkreises Libau und der Kreise Grobin und Hasenpoth“ (ZEFYS 015588173). 1833 – 1838 „Libausches Wochenblatt“ (ZEFYS 992421985).
Siehe „Memeler Dampfboot“ [Neue Folge] 126 vom 20.7.1974. Siehe ebd. Vgl. Schweizer (1997: 620).
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1932– 1933 „Neue Presse“ (ZEFYS 015954269). 1937– 1939 „Deutscher Bote“.
STOLP, heute Słupsk, Polen, ab 1825 1825 – 1855 „Wochenblatt für die Stadt Stolp“ (ZEFYS 01318850X), ab 1860 als „Stolper Wochenblatt. Zeitung für Hinterpommern“ (1067979980), ab 1870 – 1926 „Zeitung für Hinter-pommern“ (017017564), 1927– 1945 „Zeitung für Ostpommern. Parteiamtliche Zeitung der NSDAP, Gau Pommern“ (Titelzusatz bis 1943: „Altes Stolper Wochenblatt“). 1837– 1932 „Kreisblatt des Landkreises Stolp“ (ZEFYS 016502310). 1849 – 1850 „Pommerscher Volks-Bote“ (ZEFYS 017414024). 1862– 1869 „Intelligenz-Blatt für Stolp, Schlawe, Lauenburg und Bütow“ (ZEFYS 1015064159). 1888 – 1928 „Stolper Post. Tageszeitung für Stadt und Land. Amtliches AnzeigenBlatt“ (ZEFYS 1021936324). 1912– 1921 „Stolper Neueste Nachrichten. General-Anzeiger für Ost-Pommern“ (ZEFYS 1021941107), 1921– 1922 als „Stolper Tageblatt“ (1021941999). 1924– 1929 „Stolper Morgen-Zeitung. Unabhängig-vaterländische Landeszeitung für Ostpommern“ (ZEFYS 1022032046). 1927– 1933 „Grenzbote. Organ der werktätigen Bevölkerung der Kreise Stolp, Lauenburg, Bütow“ (ZEFYS 017389437). 1928 „Stolper General-Anzeiger für Stadt und Land. Parteilose Tageszeitung“ (ZEFYS 1022591118). 1931 „Stolp und Umgebung. General-Anzeiger. Tageszeitung für Stolp und Ostpommern“ (ZEFYS 1069408743). 1936 – 1942 „Die Grenzzeitung. Parteiamtliche Zeitung für die Kreise Stolp, Schlawe, BütowRummelsburg. Nachrichtenblatt der Landesbauernschaft, der DAF und aller Behörden“ (ZEFYS 012996866).
KOLBERG, heute Kołobrzeg, Polen, ab 1825 1825 – 1903 „Colberger Wochenblatt“ (ZEFYS 016377826), von 1826 – 1835 als „Gemeinnütziges Colberger Wochenblatt“ (016377796), 1868 – 1901 als „Colberger Wochenblatt. Zeitung für Pommern“ (1043394788). 1848 „Der treue Pommer. Volksblatt für Stadt und Land“ (Wehrmann Nr. 308). 1849 „Collberger Volksblatt“ (Wehrmann Nr. 313). 1852 „Collberger Anzeiger“ (Wehrmann Nr. 309). 1858 – 1872 „Colberger Zeitung. Volksblatt für Pommern“ (ZEFYS 1020149140: ab 1866). 1868 – 1895 „Kolberger Zeitung. Generalanzeiger und Lokalblatt für Kolberg und Umgebung“ (ZEFYS 1031297944: für 1895).
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1872– 1878 „Colberger Zeitung und General-Anzeiger für Colberg und Umgegend“ (ZEFYS 1020150033), von 1878 – 1884 als „Lipski’sche Colberger Zeitung und GeneralAnzeiger für Colberg und Umgegend“ (1020151781). 1903 – 1932 „Kolberger Zeitung für Pommern“ (ZEFYS 1059449587). 1903 – 1945 „Kolberger Zeitung“ (ZEFYS 015339955), 1933 – 1945 als „Kolberger Beobachter“. 1873 – 1935 „Kolberg-Körliner Kreisblatt“ (Wehrmann Nr. 315). 1888 – 1935 „Kolberg-Kösliner Kreisblatt“ (ZEFYS 587317175). 1888 – 1922 „Kolberger Volkszeitung“ (ZEFYS 018295649). 1892– 1893 „Körliner Zeitung. Generalanzeiger für Körlin und Umgegend“ (ZEFYS 1011858436). 1923 – 1933 „Kolberger Tageblatt“ (ZEFYS 018295665).
FISCHHAUSEN, heute Primorsk, Russland, ab 1833 1833 – 1848 „Fischhausensches Kreisblatt“ (ZEFYS 016404319, dort ab 1837). 1833 – 1848 „Fischhausener Kreisblatt“ (ab 1839 Druck in Königsberg). 1865 „Anzeiger für Fischhausen und Pillau“. 1866 – 1867 „Kreis- und Anzeigeblatt für Fischhausen und Umgegend“. um 1917 „Fischhauser Kreisblatt“ (Kleines Zeitungs-Handbuch 1917).
HEILIGENBEIL, heute Mamonovo, Russland, ab 1837 1837– 1937„Heiligenbeiler Kreisblatt“; gedruckt in Braunsberg (ZEFYS 016373367, dort bis 1922 ?). 1892– 1936 „Heiligenbeiler Zeitung“ (ZEFYS 014510367; fortgeführt 1937– 1943 als „Natanger Tageblatt“). um 1893 „General-Anzeiger für die Kreise Heiligenbeil und Pr.-Eylau“. 1895 – 1897 „Preußische Tageszeitung“.
SWINEMÜNDE, heute Świnoujście, Polen, ab 1845 1845 – 1848 „Usedom-Wolliner Kreisblatt“, ab 1848 – 1864 „Usedom-Wolliner Wochenblatt“ (ZEFYS 016565215). 1891– 1945 „Swinemünder Zeitung. Amtliches Kreisblatt für den Kreis UsedomWollin“, 1933 – 1945 als „Swinemünder Zeitung. Parteiamtliche Zeitung der NSDAP, Gau Pommern“ (ZEFYS 016868609). 1915 – 1921 „Swinemünder Tageblatt. Freie Tageszeitung für den Kreis UsedomWollin“ (ZEFYS 1007650699), 1921 und 1922 fortgesetzt als „Swinemünder Volkswacht“ (ZEFYS 0173989329).
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LABIAU, heute Polessk, Russland, ab 1845 1845 – 1936 „Amtliches Labiauer Kreisblatt“ (ZEFYS 017028981). 1852– ? „Labiauer Wochenblatt“. 1874?–1887 „Labiauer Kreisblatt“, ab 1887– 1943 „Labiauer Kreiszeitung“. 1896 „Labiauer Anzeiger“.
PILLAU, heute Baltisk, Russland, ab 1848 1848 – 1849 „Pillauer Leuchte“. 1868 „Pillauer Anzeiger“. 1870 – 1932 „Pillauer Merkur. Anzeigenblatt für Pillau und Alt-Pillau“ (ZEFYS 0153925701870: 1913). 1907– 1919 „Pillauer Allgemeine Zeitung“. 1919 – 1943 „Pillauer Allgemeine und Samländische Zeitung“.
GOLDINGEN, heute Kuldīga, Lettland, ab 1875 wohl ab 1875; 1911– 1915 „Goldingenscher Anzeiger“, auch 1929 – 1930 (1927– 1929 als „Anzeiger für Goldingen und Windau“ (gedruckt in Windau) (ZEFYS 016125010). Das Titelblatt der Ausgabe vom 1. Januar 1911 vermerkt das Erscheinen im 36. Jahrgang, = 1875.
ALTDAMM, heute Dąbie, heute Stadtteil von Szezecin, Polen, ab 1876 ab 1876 „Wochenblatt für die Stadt Altdamm und Umgegend“ (Wehrmann Nr. 2). 1889 „Altdammer Zeitung“ (Wehrmann Nr. 6). 1889 – 1932 „Altdammer Landbote. Amtliche Zeitung“ (ZEFYS 1020647833: 1903 – 1932). 1890 „Lokalanzeiger für Altdamm“ (Wehrmann Nr. 4). 1928 „Altdammer Tageszeitung“ (Wehrmann Nr. 5).
HAPSAL, heute Haapsalu, Estland, ab 1886 ab 1886 „Hapsaler Stadtblatt“.²⁴
RÜGENWALDE, heute Darłowo, Polen, ab 1887 1887– 1925 „Neue Hinterpommersche Zeitung. Rügenwalder Zeitung“ (ZEFYS 1018314997), fortgesetzt durch:
Estnische Nationalbibliothek: http://erb.nlib.ee/?kid=14685498.
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1925 – 1932 „Rügenwalder Zeitung. Neue Hinterpommersche Zeitung“ (ZEFYS 1018424911).
ZOPPOT, heute Sopot, Polen, ab 1887 ab 1887 „Zoppoter Anzeiger“. 1894 – 1939 „Zoppoter Zeitung“.
WINDAU, heute Ventspils, Lettland, ab 1898 1898 – 1914 „Windausches Blatt“ (BDPÖE 733). 1901– 1931 „Windausche Zeitung. Wochenblatt für Stadt und Land“ (aufgegangen in „Rigaer jüdische Rundschau“), bis 1903 parallel „Vindavskaja Gazeta“ (ZEFYS 016125010). 1927– 1929 „Anzeiger für Goldingen und Windau“ (vorher seit 1911 „Goldingenscher Anzeiger“, gedruckt in Goldingen) (ZEFYS 016125177).
PUTZIG, heute Puck, Polen, vor 1917 vor 1917– 1920 „Putziger Kreisblatt“ [nicht ZEFYS], ab 1920 – 1939 „Pucker Zeitung“; (ZEFYS 981731910: 1925 – 1939); um 1921 auch als „Putziger Zeitung“ (Kleines ZeitungsHandbuch 1917). In Verbindung mit der beigefügten Karte wird die Entfaltung der deutschen Sprache im Ostseeraum durch die Verbreitung deutschsprachiger Zeitungen vom 17. bis 20. Jahrhundert besonders deutlich. Mit meist etwas geringerer Intensität, aber mit doch erstaunlicher Dichte wird der Heidelberger „Katalog deutschsprachiger Zeitungen im östlichen Europa“ auch für andere Regionen, etwa für den Balkanraum, überraschende Ergebnisse zu Tage fördern.
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Abkürzungen BDPÖE: Albert Weber, Bibliographie deutschsprachiger Periodika aus dem östlichen Europa, http:// www.ios-regensburg.de/en/ios-publications/online-publications/bibliographiedeutschsprachiger-periodika-aus-dem-oestlichen-europa.html (letzter Abruf am 01. 02. 2017). MFA: Mikrofilmarchiv des Dortmunder Instituts für Presseforschung, http://www.mfa-dortmund.de/ (letzter Abruf am 08. 02. 2017). ZEFYS: Zeitungsinformationssystem der Staatsbibliothek Berlin, http://zefys.staatsbibliothek-berlin. de/ (letzter Abruf am 01. 02. 2017)
Martin Durrell
Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung standardsprachlicher Normen im Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert. Ein Vergleich anhand eines repräsentativen Korpus Die Rolle der Zeitungssprache bei der Standardisierung der deutschen Sprache In diesem Beitrag wollen wir die in der bisherigen Forschung verbreitete Annahme einer vermeintlich bedeutenden Rolle der Zeitungssprache bei der Etablierung überregionaler Normen im Deutschen im 17. und 18. Jahrhundert anhand von neuem Korpusmaterial überprüfen und somit zu einem besseren Verständnis des sprachlichen Standardisierungsprozesses im Deutschen beitragen. Zum Anteil der frühen Zeitungen an diesem Prozess schreibt von Polenz (20132: 21): Der Nachrichtenfluss wurde ü b e r r e g i o n a l organisiert: Da das Sammeln dieser Fern-Nachrichten zunehmend von professionellen Agenten (Zeitungsschreyber) besorgt wurde, die für mehrere Zeitungen arbeiteten und deshalb dem Verleger ein Alibi gegenüber der lokalen Zensur boten, waren Inhalt und Form der Zeitungen weiträumig relativ einheitlich. Zeitungen wurden so – nach der Luther-Bibel – auch zum wirksamsten Mittel der Popularisierung und Verbreitung einheitlicher Sprachvarianten auf dem Wege zur nationalen Schriftsprache.
Diese Auffassung darf wohl als charakteristisch für die Meinung der Forschung über die herausragende Bedeutung der Zeitungssprache für den Werdegang der deutschen Standardsprache im 17. und 18. Jahrhundert gelten, und auch der Verfasser und seine Mitarbeiter haben sich in einer früheren Arbeit (Durrell et al. 2008) dieser Meinung angeschlossen. Bei von Polenz (20132: 401) wird das Thema in einem späteren Kapitel über „Ansätze zu öffentlicher Sprache“ wieder aufgegriffen und etwas ausführlicher behandelt. U. a. wird dort behauptet: Die Sprache der frühen Zeitungen war in der Grundtendenz ü b e r r e g i o n a l und hat somit wesentlich zur Vereinheitlichung der deutschen Schriftsprache beigetragen […], jedoch nicht im Sinne der Durchsetzung einer Einheitsnorm, eher mit toleranter Variantenaussonderung und -verbreitung. Da die Nachrichten ganz überwiegend von weither kamen und von weitgereisten Korrespondenten und Agenten gesammelt und formuliert waren, konnten sie nur sehr schwer vom Setzer in eine heimische Varietät umgeschrieben werden, auch wenn die Verleger oder Herausgeber dies anstrebten.
https://doi.org/10.1515/9783110517132-006
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Martin Durrell
Ähnliche Aussagen findet man bei anderen Untersuchungen zur Sprache der frühen Zeitungen, z. B. liest man auf dem Einband zu Fritz/Straßner (1996): „Auf Grund ihrer weiten Verbreitung bilden die Zeitungen einen wichtigen Faktor in der Entstehung einer überregionalen Schriftsprache.“ Diese Behauptung wird in den Beiträgen in diesem Band nicht sehr ausführlich weiter thematisiert, aber im Kapitel von Gloning (1996: 181– 182) heißt es in Bezug auf den Wortschatz: Die Zeitungen tragen einerseits zur weiteren Herausbildung einer überregionalen Schriftsprache bei, andererseits profitieren die Korrespondenten von dem bereits in anderen Kommunikationsbereichen erreichten Stand des Sprachausgleichs. Generell läßt sich festhalten, daß die Berichterstatter in bezug auf Regionalismen eine Zurückstellungsstrategie verfolgen. Man findet zwar in jeder Zeitung ein gewisses Ausmaß von Regionalismen, aber sie bestimmen den insgesamt überregionalen Charakter der Texte nicht. Regionalismen fließen, bedingt durch die Produktionsart und möglicherweise auch die unterschiedliche Herkunft der Korrespondenten, aus allen Sprachlandschaften ein.
Diese Auffassung von der bedeutenden Rolle der Zeitungen bei der Herausbildung von gemeinsprachlichen Normen im Deutschen, insbesondere in Bezug auf den regionalen Sprachausgleich, scheint von der Forschung weit akzeptiert zu sein, aber sie beruht auf einer relativ schmalen Materialbasis. Die Grundlage der zitierten Behauptungen von von Polenz (20132) bildet ein älterer Artikel von Mackensen (1958), und bei dem Projekt, über das in Fritz/Straßner (1996) berichtet wird, handelt es sich um die Untersuchung von lediglich vier Zeitungsjahrgängen aus dem 17. Jahrhundert. Es fehlte jedoch bis vor kurzem ein mit dem Bonner Frühneuhochdeutschkorpus vergleichbares Textkorpus der frühmodernen deutschen Sprache, das uns ein breiteres Bild der sprachlichen Entwicklungen im 17. und 18. Jahrhundert bieten könnte. Diesem langjährigen Desiderat der Forschung kommt nun das in den Jahren 2006 bis 2012 an der Universität Manchester unter der Leitung des Verfassers zusammengestellte GerManC-Korpus entgegen, das eine grundsätzliche Überprüfung der Rolle der Zeitungssprache bei der Herausbildung standardsprachlicher Normen im Deutschen ermöglicht.
Das GerManC-Korpus des frühmodernen Deutschen (1650 – 1800) Das vorrangige Ziel des GerManC-Projekts war die Erstellung eines leicht zugänglichen Korpus, das ein möglichst repräsentatives Bild des deutschsprachigen Schrifttums im späten 17. und 18. Jahrhundert bieten sollte – mit allem Vorbehalt in Bezug auf die grundsätzlichen Probleme der Repräsentativität von historischen sprachlichen Korpora (vgl. Durrell 2015 und Wegera 2013).¹ Es besteht daher nicht aus Volltexten,
Das Korpusprojekt wurde durch das Economic and Social Research Council und das Arts and Hu-
Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung
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sondern aus Textauszügen von jeweils ca. 2000 Wörtern aus acht Textsorten,² zwei rein literarischen (Dramen und erzählende Prosa), zwei Textsorten, die eine gewisse Nähe zur gesprochenen Sprache aufweisen (Privatbriefe und Predigten), drei weiteren schreibsprachlichen (juristische Texte, geisteswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Texte) und schließlich den Zeitungen. Das Zeitungskorpus wurde in den Jahren 2006 – 2007 in einem ersten Arbeitsgang zusammengestellt und diente somit als Pilotprojekt für das Gesamtkorpus, das dann in einem zweiten Arbeitsgang mit den sieben weiteren Textsorten zwischen 2008 und 2012 fertiggestellt wurde. Um die chronologische Entwicklung der Sprache adäquat zu erfassen, wurde die ganze Periode von anderthalb Jahrhunderten in Unterperioden von fünfzig Jahren aufgeteilt, und zwar 1650 – 1700, 1700 – 1750 und 1750 – 1800, was der chronologischen Aufteilung des Bonner Frühneuhochdeutschkorpus entspricht. Bei der Normierung des schriftsprachlichen Gebrauchs im Deutschen in dieser Periode ist, anders als etwa im Englischen, der Ausgleich regionalsprachlicher Unterschiede von außerordentlicher Bedeutung. Um diese aufzuzeigen, wurden Texte aus fünf regionalen Großräumen ausgesucht, und zwar vier im eigentlichen hochdeutschen Raum (Westmitteldeutsch, Ostmitteldeutsch, Westoberdeutsch und Ostoberdeutsch), aber auch Norddeutschland, denn nach dem Ersatz des Niederdeutschen als Schriftsprache hat diese Region eine wichtige Rolle in der Verbreitung überregionaler hochdeutscher Normen im ganzen deutschsprachigen Raum gespielt. Für jede chronologische und regionale Unterteilung wurden pro Textsorte drei Textauszüge von 2000 Wörtern ausgesucht; demnach besteht das Korpus aus ca. 900.000 Wortformen. Das fertige Korpus steht in zwei Hauptversionen zur Verfügung, und zwar einerseits als Rohtext und andrerseits in einer vollständig annotierten und getaggten Form, die das Suchen nach einzelnen Lemmata (ungeachtet der orthografischen Variation der ursprünglichen Texte oder der verschiedenen Flexionsformen) sowie nach strukturellen Merkmalen der Texte und morphosyntaktischen Kategorien ermöglicht.
manities Research Council in Großbritannien gefördert (Nr. RES-000 – 22– 1609 und RES-062– 23 – 1118). Das Korpus ist in verschiedenen im Literaturverzeichnis angegebenen Archiven gespeichert und allgemein ohne Einschränkung zugänglich. In diesen Archiven findet sich eine Datei „Appendix 1“ mit vollständiger bibliographischer Information über alle Korpustexte, sowie auch eine Datei „Documentation“ mit ausführlicher Auskunft zum Aufbau des Korpus und zu den Annotierungsprinzipien. Über diese informieren auch Scheible et al. (2012). Die Textsorten werden in diesem Beitrag nach den im Korpus dafür verwendeten Siglen angeführt, und zwar DRAM (Dramen), HUMA (geisteswissenschaftliches Schrifttum), LEGA (juristische Texte), LETT (Briefe), NARR (erzählende Prosa), NEWS (Zeitungen), SCIE (naturwissenschaftliches Schrifttum), SERM (Predigten).
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Martin Durrell
Ausgewählte Beispiele für den Sprachgebrauch deutscher Zeitungen in der frühen Neuzeit Im Hauptteil dieses Beitrags soll durch einige ausgewählte Beispiele gezeigt werden, wie die anfangs erörterte Hypothese über die Rolle der Zeitungssprache bei der Herausbildung standardsprachlicher Normen im Deutschen mit Material aus dem GerManC-Korpus getestet werden kann, wobei es sich vornehmlich um die Reduktion der für die frühneuhochdeutsche Zeit charakteristische reiche sprachliche Variation und die Selegierung von Varianten, die als alleingültig akzeptiert wurden, handelt. In dieser Hinsicht müssen die Schlussfolgerungen von Durrell et al. (2008) aus der Frühphase des Projektes gründlich revidiert werden, denn diese entstanden zu einer Zeit, als lediglich das Zeitungskorpus zur Verfügung stand und noch nicht das Material der weiteren Textsorten.
Die Flexion des schwachen Adjektivs im Nominativ und Akkusativ Plural Als erstes Beispiel nehmen wir die Flexion des schwachen Adjektivs im Nominativ und Akkusativ Plural. Diese Erscheinung wurde schon unter anderen Gesichtspunkten anhand unseres Korpusmaterials untersucht (vgl. zuletzt Durrell 2014). Sie ist jedoch im Zusammenhang mit dem Thema der Rolle der Zeitungssprache sehr aufschlussreich und soll deshalb hier mit einem engeren Fokus auf die Zeitungssprache wieder aufgegriffen werden. Seit frühneuhochdeutscher Zeit besteht eine Variation im Nominativ und Akkusativ Plural des schwachen Adjektivs zwischen den Flexiven -e und -en, wobei die Variante -e bis etwa 1650 im ganzen hochdeutschen Raum vorherrschend wurde mit Ausnahme des Ostmitteldeutschen, das die heute verbindliche Variante -en bevorzugte (vgl. Solms/Wegera 1991: 175 – 184). Wie in Tabelle 1 gezeigt wird, sieht man in dem Zeitungskorpus sehr schön den bedeutenden Umschwung im Gebrauch der konkurrierenden Varianten, der zur endgültigen Selegierung der Variante -en führte. Auf dieser Basis könnte man den Schluss ziehen, wie es schon Durrell et al. (2008) tat, dass die Zeitungssprache den Gang der diachronen Entwicklung genau widerspiegelt. In der ersten Periode überwiegt -e sehr klar mit 74 % der Belege (was im Großen und Ganzen den Zuständen im späteren Frühneuhochdeutschen entspricht), in der zweiten Periode sind beide Varianten fast gleich häufig (48 % -e zu 52 % -en), nach 1750 aber haben wir es – abgesehen vom Westoberdeutschen (wo die Belege fast alle aus einer Heilbronner Lokalzeitung stammen³) – nur noch mit Einzelbele Korpussigle NEWS_P3_WOD_1781_heilbronn. In diesem Artikel wird auf die Texte des Korpus durch Angabe der Korpussigle Bezug genommen. Diese wird aus abgekürzten Hinweisen auf die Textsorte
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Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung
gen der Variante -e zu tun. Allerdings ist die regional bedingte Variation bis 1750 noch ganz wesentlich, insbesondere mit der andauernden Präferenz für die Variante -e im Westen und Süden des Sprachgebiets, was im Grunde genommen die regionale Verteilung im späteren Frühneuhochdeutschen weiterführt und eher gegen die Annahme einer früh einsetzenden Überregionalität der Zeitungssprache spricht. Tab. 1: Verteilung der Flexive -e und -en im Nom./Akk. Pl. des schwachen Adjektivs Belege nach bestimmtem Artikel im Zeitungskorpus –
–
–
-e
-en
-e
-en
-e
-en
Nod.
Wmd.
Omd.
Wod.
Ood.
Gesamt
Die Erweiterung des Korpus auf weitere Textsorten ergab jedoch ein völlig anderes Bild, das eine andere Schlussfolgerung nahelegt, wie aus Tabelle 2 klar wird. Hier sieht es so aus, als würden die Zeitungen der allgemeinen Entwicklung nicht vorausgehen, sondern hinterherhinken. In allen anderen Textsorten mit Ausnahme der juristischen Texte herrschte die Variante -en schon in der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts vor – in den Textsorten mit dem höchsten Grad an literarischem Anspruch sogar mit sehr starkem Übergewicht, obwohl in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts das Verhältnis sich auch hier leicht verschob zugunsten von -e. Nach dem Zeugnis zeitgenössischer Quellen galt die Variante -en als gehobener, während -e zur „Prosa des täglichen Lebens“ (Solms/Wegera 1991: 182) gehörte, und so könnte der Gebrauch von -e mit dem Bildungsgrad der Zeitungskorrespondenten in Zusammenhang gebracht werden – oder vielleicht auch mit einer gewissen Nähe zum mündlichen Usus, denn die Depeschen, die den Zeitungen zugrunde liegen, wurden typischerweise diktiert. Dies scheint jedoch weniger plausibel als die Vermutung, dass das Vorherrschen der Variante -e von der juristischen Ausbildung vieler Korrespondenten abhängen könnte: Die juristischen Texte zeigen bis in das 18. Jahrhundert eine merkwürdige Präferenz für diese Variante, die noch in der ersten Hälfte dieses 18. Jahrhunderts sehr ausgeprägt ist. Auch ansonsten sind juristische Texte, wie wir später sehen werden, sprachlich etwas konservativ. Aber hier können wir nur Ver(hier NEWS), die Periode (hier 3, d. h. 1750 – 1800), die Region (hier WOD = Westoberdeutsch) und das Erscheinungsjahr sowie zum Schluss auf den Namen des Textes (hier: heilbronn) zusammengesetzt.
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Martin Durrell
Tab. 2: Verteilung der Flexive -e und -en im Nom./Akk. Pl. des schwachen Adjektivs Belege nach bestimmtem Artikel in allen Textsorten –
–
–
-e
-en
-e
-en
-e
-en
NEWS
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
LEGA
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
HUMA
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
LETT
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( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
SERM
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
SCIE
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( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
NARR
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
DRAM
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
Gesamt
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
( %)
mutungen formulieren, weil wir letztendlich sehr wenig über die frühen Zeitungskorrespondenten wissen.
Die Genusdifferenzierung beim Zahlwort zwei Die Genusdifferenzierung beim Zahlwort zwei wurde auch in früheren Arbeiten zum GerManC-Korpus behandelt (vgl. Durrell et al. 2008; Durrell 2014). Im Zusammenhang mit einer Untersuchung der frühen Zeitungssprache jedoch ist sie sehr aufschlussreich, da dabei ein etwas anderes Bild zum Vorschein kommt als bei der Flexion des schwachen Adjektivs. Im Zeitungskorpus sind Formen des Zahlworts zwei relativ spärlich belegt, aber wie Tabelle 3 zeigt, herrscht hier schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts die Einheitsform zwei, d. h. ohne Genusunterschied, vor. Mit der Ausnahme eines frühen Beleges für zween in einer norddeutschen Zeitung stammen alle Belege aus Gegenden, wo die Genusdifferenzierung mundartlich noch vorhanden ist (vgl. Schirmunski 1962: 474), und zwar aus dem Hessischen und Thüringischen. Der einzige Korpustext mit konsequenter Beachtung der Genusdifferen-
Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung
87
Tab. 3: Genusdifferenzierung beim Zahlwort zwei im Zeitungskorpus – zween Nod.
Wmd.
zwo
Ood.
zwei
zween
zwo
Omd. Wod.
–
– zwei
zween
zwo
Zwei
zierung ist eine Frankfurter Zeitung (NEWS_P1_WMD_1671_frankfurt1) vom Februar 1671 mit z. B. folgenden Belegen: zwen Monathsold (in einem Bericht aus Köln) zwo Galeren (in einem Bericht aus Venedig) zwey Subjecta (in einem Bericht aus Venedig)
Das gleiche gilt für gelegentliche Belege für genusdifferenzierte Formen der Ordinalzahl, z. B. der zweete Theil und den zweeten Theil in einer Zeitung aus Erfurt vom Jahre 1769 (NEWS_P3_OMD_1769_erfurt). Ansonsten erscheint ab der Mitte des 17. Jahrhunderts die Einheitsform zwei in unserem Korpus 49-mal und sie ist vor 1700 sechsmal mit maskulinen oder femininen Substantiven belegt. In der ganzen Periode ist sie im Ostmitteldeutschen die einzig belegte Form, und sie überwiegt auch deutlich im Nordund Ostoberdeutschen. Hier sieht es in der Tat aus, als ob die Einheitsform zwei schon überregional gilt und so in den Zeitungen gehandhabt wird. Die genusdifferenzierten Formen kommen zwar noch vor, aber in fast allen Fällen neben der Einheitsform, und sie lassen sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf den Einfluss des lokalen Gebrauchs bei den Druckern oder der gesprochenen Sprache zurückführen. Wenn wir diesen Befund für die Zeitungssprache mit den Zahlen in den beiden im Korpus aufgenommenen literarischen Textsorten (erzählende Prosa und Dramen) vergleichen, ist das Bild, wie aus Tabelle 4 klar wird, nicht grundsätzlich anders. Tab. 4: Genusdifferenzierung beim Zahlwort zwei in den literarischen Textsorten – zween Nod.
Wmd.
zwo
– zwei
zween
zwo
– zwei
zween
zwo
Zwei
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Martin Durrell
Tab. : Genusdifferenzierung beim Zahlwort zwei in den literarischen Textsorten (Fortsetzung) – zween Omd. Wod.
zwo
– zwei
zween
zwo
Ood.
– zwei
zween
zwo
Zwei
Mit allem Vorbehalt angesichts der relativ geringen Belegzahl sieht man, dass sich die Verhältnisse in Bezug auf die Genusunterscheidung nicht wesentlich von denen im Zeitungskorpus unterscheiden. Auffällig ist zwar die hohe Anzahl der Belege für das Maskulinum zween im Norddeutschen vor 1700, denn die Genusunterscheidung wurde im Niederdeutschen schon sehr früh beseitigt (vgl. Schirmunski 1962: 474), aber in diesem Fall wäre vielleicht an eine Hyperkorrektion bei Schriftstellern mit niederdeutscher Muttersprache zu denken, die den Vorschriften der Grammatiker für den guten hochdeutschen Sprachgebrauch folgen wollten. Fest steht jedoch, dass in diesem Fall die Sprache der Zeitungen sowie die Literatursprache veraltete oder veraltende Formen vermeiden und den gleichen Grad von Überregionalität aufweisen, trotz des Umstands, dass viele einflussreiche Grammatiker (wie z. B. Gottsched) die Aufrechterhaltung der Genusunterscheidung vorschrieben (vgl. Walch/Häckel 1988: 539).
Apokope Ein weiteres interessantes Beispiel, für das uns im Korpus etwas mehr Material zur Verfügung steht als beim Zahlwort zwei, bildet die Apokope des auslautenden Schwa.⁴ Diese gehörte im 17. und 18. Jahrhundert zu den bekanntesten phonologischen bzw. orthographischen schreibsprachlichen Varianten, und sie wurde gelegentlich mit dem Konfessionsunterschied zwischen dem protestantischen Norden und dem katholischen Süden in Verbindung gebracht, obwohl dieser Gegensatz, wie die Bezeichnung ,lutherisches -e‘, mit von Polenz (20132: 275) wohl als „polemische Übertreibung“ zu werten ist. Die Restituierung des -e ist nicht selten auf die Präskription der Grammatiker zurückzuführen, und sie wurde oft damit erklärt, dass die Apokope im Ostmitteldeutschen (und somit auch in der Lutherbibel) fehlte. Jedoch hat die Restituierung, wie von Polenz (20132: 275) klarmacht, wohl eher sprachstrukturelle Gründe, denn das -e hat oft eine morphologische Funktion, insbesondere zur Kennzeichnung des Numerusunterschiedes (vgl. Wegera 1987: 181– 196, Eine ausführlichere Darstellung des Gesamtvorkommens der Apokope im GerManC-Korpus gibt Durrell (2016).
Zeitungssprache und Literatursprache bei der Ausbildung
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283 – 284). In diesem Fall haben sich die meisten Grammatiker aus rationalen Gründen energisch für die nicht-apokopierten Varianten eingesetzt, und diese wurden auch fast ausnahmslos endgültig als standardsprachlich selegiert. Dazu schreibt Wegera (1987: 284): „[D]as omd. System [entsprach] aufgrund der konsequenteren Numerusmarkierung durch das Plural-e der Tendenz zur Numerusprofilierung besser als die nur ansatzweise durchgeführten Numerusunterscheidungen mit Hilfe anderer Flexive.“ Die endgültige Selegierung von nicht-apokopierten Varianten im Plural vieler Substantive erfolgte eben während der durch das GerManC-Korpus abgedeckten Periode. Um diesen Vorgang mit Bezug auf die Rolle der Zeitungssprache zu überprüfen, wurde im Korpus nach den Pluralformen von 45 Substantiven gesucht, bei denen nach den Angaben in Wegera (1987) auch Pluralformen ohne suffigiertes -e im Frühneuhochdeutschen belegt sind. Von diesen kamen im Korpus 31 mit Nullsuffix im Plural vor, und insgesamt wurden 322 Belege von endungslosen Pluralformen im Korpus gefunden. Tabelle 5 gibt eine Übersicht über die Verteilung aller apokopierten Korpusbelege nach Periode und Region.
Abb. 1: Apokope des Flexivs -e im Plural von 31 Substantiven nach Region und Periode
Bezeichnenderweise überwiegt die nicht-apokopierte Variante im Norddeutschen und Ostmitteldeutschen schon vor 1700. Dagegen hält das Ostoberdeutsche am längsten
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Martin Durrell
an endungslosen Pluralformen fest, während diese im Westoberdeutschen wie im Westmitteldeutschen früher zurückweichen, auch wenn es dort nach 1750 immer noch einige Belege für apokopierte Formen gibt. Die Zahlen für die einzelnen Textsorten sind natürlich relativ gering, insbesondere wenn man sie nach Regionen unterteilt, aber mit Hinblick auf unsere Zielsetzung könnte ein Vergleich der Zeitungssprache mit der Praxis in denjenigen Textsorten, bei denen man den Verfassern einen gewissen Anspruch auf Bildung zuschreiben kann, aufschlussreich sein. Tabelle 6 enthält daher Belege für apokopierte Formen im Zeitungskorpus sowie einerseits für die beiden rein literarischen Textsorten (Dramen und erzählende Prosa) und andrerseits für die Textsorten ‚Briefe‘ und ‚geisteswissenschaftliches Schrifttum‘. Bei der zweiten Gruppe handelt es sich typischerweise um Texte, die von Mitgliedern des werdenden Bildungsbürgertums verfasst wurden, denen ein relativ hohes Maß an Schreibkultur zugesprochen werden darf. Zum Teil setzen sie sich bewusst für die Entwicklung einer gebildeten Schreibkultur im deutschen Sprachraum ein, etwa Leibniz, Gottsched, Bodmer und Gellert. Tab. 6: Apokope des Flexivs -e im Plural von 31 Substantiven in drei Textsorten bzw. Textsortengruppen –
–
–
DRAM + NARR
Nod.
Wmd.
NEWS
HUMA + LETT
DRAM + NARR
NEWS
HUMA + LETT DRAM + NARR
Omd.
Wod.
NEWS
HUMA + LETT
DRAM + NARR
Ood.
NEWS HUMA + LETT
DRAM + NARR
NEWS
HUMA + LETT
Aus Tabelle 6 wird deutlich, dass nicht-apokopierte Varianten für Texte mit einem gewissen literarischen Anspruch nach 1700 schon in allen Regionen mit Ausnahme
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des Ostoberdeutschen bevorzugt wurden, und der Gebrauch in den Zeitungen ist durchaus mit diesen vergleichbar, mit einer ähnlichen relativ geringen regionalen Variation. Das heißt, wie im Falle der Beseitigung der Genusdifferenzierung bei zwei, dass sich die Sprache der Zeitungen nicht wesentlich von der des sonstigen gebildeten Schrifttums unterscheidet. Anders als bei der Flexion des schwachen Adjektivs hinkt sie nicht hinterher, sie ist aber auch nicht einen Schritt voraus auf dem Weg zur endgültigen kodifizierten Hochsprache des 19. und 20. Jahrhunderts.
Die Negationspartikel Nach von Polenz (20132: 401) war die Sprache der frühen Zeitungen „in der Grundtendenz überregional und hat somit wesentlich zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache beigetragen“. Den Grund dafür erläutert er folgendermaßen: Da die Nachrichten ganz überwiegend von weither kamen und von weitgereisten Korrespondenten und Agenten gesammelt und formuliert waren, konnten sie nur sehr schwer vom Setzer in eine heimische Varietät umgeschrieben werden, auch wenn die Verleger oder Herausgeber dies anstrebten.
Aufgrund der Art und Weise, wie sie kompiliert wurden, hätten nach von Polenz also die frühen Zeitungen ihre Leser für die Existenz der regionalen sprachlichen Variation in Deutschen sensibilisiert und die Kenntnis anderer Varianten erweitert. Dabei stimmt er ausdrücklich mit Mackensen (1958: 148) überein, der auf der Grundlage seiner Untersuchungen Folgendes behauptet: Aufs Ganze gesehen, bedeutet das, daß die Zeitung von ihren Anfängen an dahin wirkt, die Enge der deutschen Landschaftssprachen zu überwinden. Leise, aber spürbar gewöhnt sie ihre Leser an die Vielfalt deutscher Lautungs- und Ausdrucksmöglichkeiten. […] Damit hat sie nachhaltiger gewirkt, als die Veröffentlichungen der gelehrten Sprachmeister es zunächst vermochten.
Als frappantes Beispiel dafür nennt von Polenz (20132: 401) insbesondere die süddeutsche Form nit der Negationspartikel und bezieht sich dabei auf Mackensen (1964: 159), der in seinem Material z. B. vierzig Belege für den Gebrauch von nit und nicht in derselben Zeitungsnummer sowie zwanzig Belege für nit in Norddeutschland zwischen 1610 und 1682 fand. Leider gibt er jedoch keine ausführliche Information über den Umfang des von ihm zugrunde gelegten Materials und auch keine genauen Auskünfte über die Jahre, aus denen diese Belege stammen, so dass es schwierig ist, seine Angaben zu überprüfen. Wir können sie aber mit dem Vorkommen der beiden Varianten in unserem Zeitungskorpus abgleichen, wobei natürlich eingeräumt werden muss, dass wir keine Texte aus der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts haben, da wir bei dem konventionellen Ende der frühneuhochdeutschen Periode angesetzt haben. Was die Verbreitung von nit nach 1650 betrifft, vermag unser Korpusmaterial jedoch Mackensens Schlussfolgerungen nicht zu bestätigen, denn nit kommt vor 1700 nur
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Martin Durrell
zehnmal vor, und alle Belege stammen aus Regionen, wo diese Variante eigentlich noch heute die übliche umgangssprachliche Variante ist.⁵ Wir haben je einen Beleg aus Köln und Straßburg (neben bedeutend häufigerem nicht), und es kommt achtmal in drei Münchner Zeitungen vor. In einer der frühesten findet sich kein Beleg für nicht, in den beiden anderen kommt auch nicht vor und macht in der früheren ein Drittel der Belege aus, in der späteren sind die beiden etwa gleich häufig und kommen sogar im gleichen Bericht nebeneinander vor. Auch in den anderen Textsorten im GerManC-Korpus ist nit eigentlich recht selten, denn wir haben im ganzen Korpus 139 Belege für nit gegen 7550 für nicht. Die Verteilung der Belege nach Textsorte, Region und Periode wird in Tabelle 7 gebracht, wo klar wird, dass es weitgehend auf den oberdeutschen Raum beschränkt ist (neben ein paar Belegen aus dem Westmitteldeutschen). Allerdings fällt die relativ hohe Anzahl der Belege in ostoberdeutschen juristischen Texten auf, was vielleicht wieder für den relativ konservativen Sprachgebrauch dieser Textsorte typisch ist. Aber dabei handelt es sich vorwiegend um Belege in zwei Texten aus München aus den 1650er Jahren (LEGA_P1_OOD_1657_Wildtfang und LEGA_P1_OOD_1659_SchulOrdnung), in denen nicht nur einmal vorkommt. In dem anderen ostoberdeutschen Text aus dieser Periode, und zwar LEGA_P1_OOD_1700_GesetzNuernberg (Nürnberg, um 1700), kommt nit einmal und nicht 15-mal vor. Ansonsten finden sich relativ viele Belege für nit in einer Predigt aus Augsburg aus dem Jahre 1708 (SERM_P2_WOD_1708_Zotten), in der nit massiv überwiegt, mit 23 Belegen gegen einen Beleg für nicht. Eventuell wäre diese Verteilung durch die Volksnähe der Textsorte zu begründen. Das Vorkommen der Variante nit in den Zeitungstexten unterscheidet sich in unserem Korpusmaterial also nicht wesentlich von dem Vorkommen in anderen Textsorten, bei deren Verfassern man einen relativ hohen Bildungsstand vermuten darf, und zwar insbesondere in den beiden literarischen Textsorten, Drama und erzählender Prosa, sowie in den Briefen und den geisteswissenschaftlichen Texten. Der Sprachgebrauch in diesen Textsorten kann in Bezug auf die Variation der Negationspartikel für ebenso überregional gehalten werden wie in den Zeitungen.
Die sogenannte ‚afinite‘ Konstruktion Bei der Zusammenstellung des Zeitungskorpus fiel die Häufigkeit der sogenannten ‚afiniten‘ Konstruktion mit der Ellipse des Hilfsverbs im Nebensatz auf, sowohl beim Perfekt als auch beim Passiv (vgl. von Polenz 20132: 302– 303).⁶ Der Gebrauch dieser
Es handelt sich um folgende Korpustexte: NEWS_P1_WMD_1662_koeln (einmal nit, fünfmal nicht), NEWS_P1_WOD_1662_strassburg1 (einmal nit, sechsmal nicht), NEWS_P1_OOD_1659_muenchen1 (einmal nit, keine Belege für nicht), NEWS_P1_OOD_1659_muenchen2 (viermal nit, zweimal nicht), NEWS_P1_OOD_1684_ muenchmerc (dreimal nit, viermal nicht). Das Vorkommen dieser Konstruktion im GerManC-Korpus wird gegenwärtig von einer Doktorandin in Manchester, Victoria Thomas, untersucht, und das hier gebotene Material basiert weitgehend auf
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Tab. 7: Belege für nit im GerManC-Korpus – Nod.
Wmd.
Omd.
Wod.
Ood.
–
LEGA
NARR
DRAM
HUMA
SERM
HUMA
DRAM
HUMA
LEGA
NARR
SCIE
SERM
LEGA
LETT
NARR
SCIE
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SERM
Konstruktion wurde zwar schon von Gottsched verurteilt (vgl. Konopka 1996: 140), aber sie hielt sich als Merkmal eines gepflegten und vor allem literarischen Stils bis in die Neuzeit und wurde z. B. noch von Reiners (1943: 342) empfohlen. Die Konstruktion kommt in allen Textsorten des GerManC-Korpus sehr oft vor. Tabelle 8 gibt ihre absolute Häufigkeit bei Perfektformen im Nebensatz wieder, wobei sofort auffällt, dass das Hilfsverb in den Jahren 1650 – 1750 viel öfter ausgelassen als gesetzt wird. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kommt dann ein Umschwung, bei dem das Hilfsverb häufiger gesetzt wird, obwohl die afiniten Konstruktionen immer noch relativ oft vorkommen. Jedoch hängt diese Änderung mit einer deutlichen Abnahme in der Anzahl der Perfektformen im Nebensatz überhaupt zusammen, was auf
ihren noch nicht veröffentlichten Forschungen, vgl. auch Durrell (2015: 23 – 25), und ihr gebührt der Dank des Verfassers, dass das Material hier vorgelegt werden darf.
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Abb. 2: Gesamtzahl der Belege für die afinite Konstruktion im GerManC-Korpus
den Umstand zurückzuführen ist, dass der Gebrauch hypotaktischer Konstruktionen in dieser Zeit deutlich zurückgeht, vgl. von Polenz (20132: 298 – 302). Tabelle 9 gibt dann die prozentuale Verteilung der Belege nach Textsorten (in diesem Fall erwiesen sich regionale Unterschiede als nicht wesentlich) wieder. Was die Zeitungssprache betrifft, fällt zunächst sofort auf, dass die Konstruktion dort etwa so häufig ist wie in den juristischen Texten, und sie wird in diesen beiden vor 1700 viel öfter verwendet als in anderen Textsorten. Wir haben schon eine gewisse Ähnlichkeit zwischen der Zeitungssprache und der juristischen Sprache feststellen können, denn im Falle der Adjektivflexion scheinen sich beide an eine konservative Variante gehalten zu haben. Hier handelt es sich wohl nicht um eine solche, aber die afinite Konstruktion ist ein deutliches Merkmal des Kanzleistils (vgl. von Polenz 20132: 302– 303), und obwohl man relativ wenig über die frühen Zeitungskorrespondenten weiß, wird oft vermutet, dass viele von ihnen ausgebildete Juristen waren (vgl. Burger 20053: 37, 42– 43). Der charakteristische Kanzleistil lässt sich auch am typisch komplexen „abperlenden“ Satzbau der ersten Zeitungen erkennen (vgl. Admoni 1980; DemskeNeumann 1990), und man dürfte auch dieses Merkmal mit der Ausbildung der Korrespondenten in Verbindung bringen. In unserer zweiten Periode fällt der Prozentsatz der Belege für die afinite Konstruktion in den Textsorten ‚geisteswissenschaftliches Schrifttum‘ und ‚erzählende Prosa‘ dann weitgehend mit dem der juristischen Texte und der Zeitungen zusammen. Dieser Umstand dürfte noch einmal mit der Entwicklung einer gepflegten Schreibkultur beim werdenden Bildungsbürgertum zusammenhängen, und es ist zu vermuten, dass die Zeitungsschreiber gerade aus diesem sozialen Milieu kamen und die typische Einstellung dieser Gruppe zur Sprache geteilt haben. In der dritten Periode ging dann der Gebrauch der afiniten Konstruktion in allen Textsorten mit Ausnahme der juristischen Texte zurück – in den Zeitungen von 65 % auf 30 %. Ob dies dem
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Abb. 3: Prozentuale Verteilung der Belege für die afinite Konstruktion nach Textsorten
Einfluss Gottscheds oder anderer präskriptiver Grammatiker zu verdanken ist, lässt sich kaum empirisch beweisen, auch wenn die Vermutung plausibel erscheint. Am Ende des 18. Jahrhunderts hat man auch sonst einen einfacheren, lesbaren Prosastil gepflegt. Jedoch hielt sich die Konstruktion im literarischen Stil noch viel länger – Goethe befahl seinem Drucker Riemer in „Dichtung und Wahrheit“ „die unglücklichen Auxiliare“ womöglich zu tilgen (vgl. Reiners 1943: 342) – und sie wurde in der Duden-Grammatik bis zur 5. Auflage 1995 erwähnt (Drosdowski 19955: 682), aber in den letzten Auflagen 2005 bzw. 2009 fehlt jeder Hinweis darauf.
Fazit Das hier gebotene Material aus dem GerManC-Korpus legt einige Schlussfolgerungen nahe, die die häufig vermutete bedeutende Rolle der Zeitungssprache bei der Herausbildung überregionaler standardsprachlicher Normen im Deutschen in Frage stellen, denn die Art und Weise, wie die Zeitungen nach von Polenz (20132: 21) „zum wirksamsten Mittel der Popularisierung und Verbreitung einheitlicher Sprachvarianten auf dem Wege zur nationalen Schriftsprache“ werden konnten, ist nicht deutlich. Sicher wurden sie von vielen öffentlich gelesen und sehr häufig beim Vorlesen gehört, aber ob man aus diesem Umstand eine Sensibilisierung weiter sozialer Kreise für überregionale sprachliche Varianten folgern darf, lässt sich kaum empirisch verifizieren. Ebenso wenig kann man daraus einen Einfluss auf den eigenen schriftlichen
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Gebrauch erschließen. Die Zeitungen waren grundsätzlich lokal, und ihre Sprache wird kaum auf die kleine Gruppe derjenigen gewirkt haben, welche selber geschrieben haben und an der Entwicklung einer kultivierten Hochsprache aktiv beteiligt waren. In unserem Korpusmaterial lässt sich nämlich überhaupt kein merklicher Unterschied zwischen der Sprache der Zeitungen und der des weiteren gebildeten Schrifttums feststellen. Die Sprache der frühen Zeitungen war, nach dem Material des GerManC-Korpus zu urteilen, nicht mehr und auch nicht minder regional als die Sprache anderer von gebildeten gesellschaftlichen Schichten verfasster Textsorten. Regionalismen kommen insbesondere im Oberdeutschen und Westmitteldeutschen noch vor, vor allem in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts – und gelegentlich danach, wenn sie auch bis 1800 selten werden. Aber wir haben in unserem Zeitungskorpus keine Beweise dafür finden können, dass bestimmte regionale Varianten anderswo vorkommen als in den Gebieten, wo sie heimisch waren. Und wenn die „nord- und nordostdeutschen Zeitungen am stärksten überregional […] waren, im Gegensatz zu den süddeutschen“ (von Polenz 20132: 401), dann ist das vielleicht eher dem wohl bekannten Umstand zu verdanken, dass ostmittel- und norddeutsche Varianten einen deutlichen Prestigegehalt besaßen, der ihre Selegierung für die hochsprachliche Norm stark begünstigte. Bei dieser Aussage liegt also die Gefahr eines Zirkelschlusses nahe. Die von von Polenz (20132) vorgetragenen Thesen finden also in dem Material des GerManC-Korpus keine Bestätigung. Den Zeitungen scheint eher keine besondere Rolle im binnensprachlichen Ausgleich des 17. und 18. Jahrhunderts bzw. im Standardisierungsvorgang zuzukommen. Von Polenz (20132: 1) sagt selber, dass „[…] die deutsche Sprache […] im Wesentlichen von der sehr kleinen Bevölkerungsschicht des werdenden Bildungsbürgertums kultiviert und standardisiert wurde“. Wenn unsere Textsorten ‚Dramen‘, ‚erzählende Prosa‘, ‚Briefe‘ und ‚geisteswissenschaftliches Schrifttum‘ vorwiegend die Produkte eben dieser gesellschaftlichen Gruppe sind, so zeigen sie auch in unserem Korpus auf exemplarische Weise die klassischen von Haugen (1966) postulierten Entwicklungsstadien der sprachlichen Standardisierung, was in dieser Periode insbesondere die Selegierung konkurrierender Varianten betrifft, die dann in den maßgeblichen Nachschlagwerken von Adelung u. a. verbindlich kodifiziert wurden. Daraus entstanden die Normen, die den Grundsatz des heutigen Standarddeutsch bilden – die Zeitungssprache schließt sich in dieser Zeit weitgehend eben diesem Prozess an, bei dem sich diese Normen herausbildeten.
Literatur Admoni, Wladimir G. (1990): Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache im Bereich des neuhochdeutschen Satzgefüges. Ein Beitrag zur Geschichte des Gestaltungssystems der deutschen Sprache (Zur Ausbildung der Norm der deutschen Literatursprache 4; Bausteine zur Sprachgeschichte des Neuhochdeutschen 56,4). Berlin.
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Korpora Bonner Frühneuhochdeutschkorpus: https://korpora.zim.uni-duisburg-essen.de/Fnhd/ (letzter Abruf am 14. 02. 2017) GerManC-Korpus: zugänglich bei folgenden Archiven (letzter Abruf am 14. 02. 2017): Oxford Text Archive: http://www.ota.ox.ac.uk/desc/2544 (letzter Abruf am 14. 02. 2017) LAUDATIO-Repository: http://www.laudatio-repository.org/repository/view (letzter Abruf am 14. 02. 2017) COSMAS II: https://cosmas2.ids-mannheim.de/cosmas2-web/ (letzter Abruf am 14. 02. 2017)
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Die Volltextdigitalisierung der „Staats- und Gelehrten Zeitung des Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten“ und ihrer Vorgänger (1712 – 1848) und ihr Nutzen: Befunde zur Genese und zum Wandel von Textmustern 1 Die „Staats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten“ und ihre Vorgänger Der „Hamburgische Unpartheyische Correspondent“ war eine der größten und erfolgreichsten Zeitungen des 18. Jahrhunderts. Ihre Erfolgsgeschichte begann am 22. Mai 1712 in Schiffbek in der Nähe von Hamburg. Hermann Heinrich Holle verlegte das Blatt zunächst unter dem Titel „Aviso. Der Hollsteinische unpartheyische Correspondente Durch Europa und andere Theile der Welt“. Die Merkmale ‚Glaubhaftigkeit‘, ‚Sachlichkeit‘ und ‚Unparteilichkeit‘ prägten früh das Leitbild der Zeitung, die aufgrund ihres Verlagsortes zusätzlich von der regional milde gehandhabten Zensur im 18. Jahrhundert profitierte (vgl. Tolkemitt 1995: 48). Im Januar 1731 siedelte die Druckerei nach Hamburg über, das als Zentrum der Aufklärung und als eine der bedeutendsten Medienstädte des 18. Jahrhunderts angesehen wird (vgl. Tolkemitt 1995: 10). Holle übergab die Zeitung an seinen Schwiegersohn und Hamburger Buchdrucker Georg Christian Grund, unter dessen Führung die Auflagenzahlen weiter anstiegen und das Renommee des „Correspondenten“ kontinuierlich wuchs. Unter dem neuen Titel „Stats- und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten“ profitierte Grund einerseits vom bereits bestehenden Netzwerk kompetenter Korrespondenten, die bereits unter Holle ihre Nachrichten aus dem Kriegs-, Politik-, Literatur- und Gesellschaftswesen Richtung Hafenstadt sandten. Andererseits war es Grund, der der Zeitung mit den Rubriken ‚politischer Teil‘, ‚gelehrter Teil‘ und ‚Anzeigenteil‘ endgültig eine kohärente Struktur gab. Während die Auflagenzahl vor 1731 auf durchschnittlich 2000 Ausgaben geschätzt wird, so zeigen Schätzungen für die Nachfolgezeit den rasanten Aufstieg des „Correspondenten“: Zu Beginn des 19. Jahrhunderts steht der Correspondent in seinem Zenit. Die Auflage beträgt 50.000 Exemplare, darunter 4.000 Exemplare für die abgehenden Schiffe. Der Reingewinn liegt
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bei 12.000 Mark. Damit übertrifft das Blatt alle anderen deutschen Zeitungen und setzt selbst im internationalen Vergleich Maßstäbe. (Böning 2012a: 3)
2 Layout und Textdesign Die politische Berichterstattung war seit dem Gründungsjahr 1712 der wichtigste und erste Teil des Blattes, der direkt unterhalb des Titelbereichs beginnt. Einzelne Korrespondenzen wurden nach zeitgenössischem Usus durch eine Kopfzeile voneinander getrennt, die Herkunftsort und Datum des Beitrags angibt. Mitunter wurden innerhalb des politischen Teils thematische Überschriften zur weiteren Unterstrukturierung der Korrespondenzen eingefügt („vom Spanischen Krieg in Catalonien“; „Von Nordischen Affairen“, und „der Schweden Krieg mit Moscau“ o. Ä.). Die Beiträge dokumentierten die kriegerischen, politischen und militärischen Ereignisse im In- und Ausland und informierten über die Handlungen hoher Amtsinhaber. Das Ansehen und die Verbreitung des „Correspondenten“ stiegen dank seiner sachlichen politischen Berichterstattung stetig. Der Fokus lag dabei dauerhaft auf unkommentierter und authentischer Darstellung des innen- und außenpolitischen und militärischen Geschehens. Vermischte Nachrichten folgten anfangs in der Sammelrubrik „Von allerhand Staatsund Neben-Affairen“, unter der Korrespondenzen zusammengefasst wurden, die nicht das Kriegs- und Politikwesen thematisierten. Hier wurde der Leser vorwiegend über diplomatische Verhandlungen, abgehende und angekommene Schiffe oder das höfische Zeremoniell informiert. Der Anzeigenteil bestand aus einer Gruppe verschiedener Anzeigentypen, die ab dem Untersuchungsjahrgang 1725 vermehrt abgedruckt wurden. Bis 1751 zählten hierzu vor allem (amtliche) Bekanntmachungen und Ankündigungen (inkl. notarieller Proklamationen, Vorladungen, Einberufungen/Citationen), Werbeanzeigen (inkl. Versteigerungsanzeigen), literarische Anzeigen, Aufrufe, Lotterieanzeigen und Stellenanzeigen. Ab der zweiten Hälfte des Jahrhunderts kamen weitere Anzeigentypen hinzu, so: Vermisstenanzeigen, Todesanzeigen, Geburtsanzeigen, Hochzeitsanzeigen, Wohnungsanzeigen, Stellenanzeigen, Inserate, Wirtschaftsanzeigen und der Wetterbericht. Schon ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Anzeigenteil aus der Zeitung nicht mehr wegzudenken. Bereits in den 1720er Jahren wurden vereinzelt Beiträge über Buchveröffentlichungen in der Rubrik „Von neuen merckwürdigen gelehrten Sachen.“ abgedruckt. Im Laufe der darauffolgenden Jahrzehnte sollte die Bedeutung des gelehrten Artikels, später unter dem Namen „Von gelehrten Sachen.“, weiter zunehmen. Im gelehrten Teil nahmen die Beiträge immer mehr die Form von Rezensionen an. Über die Bekanntmachung neuer Veröffentlichungen hinaus wurden literarische, medizinische, religiöse oder philosophische Werke verstärkt auch kritisch betrachtet und besprochen. Ein Großteil der Rezensionen stammte von studierten, hoch angesehenen Redakteuren, die dank ihrer Tätigkeiten in literarischen und publizistischen Kreisen immer wieder auch namhafte Schriftsteller und Dichter wie Gottsched, Herder, Lichtenberg oder Lessing als Rezensenten für den „Correspondenten“ gewinnen konnten (vgl. Böning 2012b: 27). Die
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Hamburger Zeitung übernahm bei der Etablierung des gelehrten Artikels eine Vorreiterrolle. Seit den vierziger Jahren führten auch konkurrierende Blätter wie die „Berlinischen Nachrichten von Staats- und Gelehrten Sachen“ die neue Rubrik ein (vgl. Wilke 1999: 399). Der „Correspondent“ war damit maßgeblich an der Herausbildung des modernen Feuilletons beteiligt.
3 Das Projekt „Volltextdigitalisierung des Hamburgischen Correspondenten“ Trotz der oben herausgestellten Bedeutung des „Hamburgischen Correspondenten“ für die Entwicklung des Zeitungswesens im 18. Jahrhundert ist das Blatt bisher besonders aus linguistischer Perspektive kaum untersucht worden. Um diese Forschungslücke zumindest teilweise zu schließen, wurden im Forschungsprojekt „Volltextdigitalisierung der Staats- und Gelehrte[n] Zeitung des Hamburgischen Unpartheyischen Correspondenten und ihrer Vorläufer (1712– 1848)“ insgesamt 204 Ausgaben der Zeitung bei einer Summe von über 900.000 Tokens digitalisiert. Hierzu wurde zunächst das gesamte – für die Volltextdigitalisierung verwendete – Bildmaterial von der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg Carl von Ossietzky bezogen. Die Scans wurden nach intensiver Transkriptionsvorbereitung im „double keying“Verfahren erfasst und im Anschluss vom Projektteam in das „DTA-Basisformat“ konvertiert, das auf dem TEI/P5-Standard basiert. Dieses Basisformat ist die Grundlage für die Annotation sämtlicher Volltexte des Korpus des „Deutschen Textarchivs“ (DTA), in das die Digitalisate des „Correspondenten“ integriert wurden.¹ Mit der Publikation im DTA stehen die digitalisierten Ausgaben frei zugänglich online zur Verfügung. Die Transkriptionen sind umfassend linguistisch erschlossen, d. h. die Volltexte sind mit Metadaten angereichert, die jede Ausgabe in Titel und Rubriken und diese Rubriken wiederum in einzelne Artikel (einschließlich einer groben Kategorisierung der journalistischen Textsorten) unterteilen. Der Nutzer erhält mithilfe dieser Metadatenerfassung nicht nur gleichzeitigen Zugriff auf die Faksimiles und die
Neben dem „Correspondenten“ liegen fünf weitere Zeitungen digitalisiert im DTA vor: Die Monatszeitung „Annus Christi“ von 1597, die beiden ersten dokumentierten Wochenzeitungen „Aviso. Relation oder Zeitung“ und „Relation: Aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien“ von 1609, die Einzelausgabe „Zwo Warhafftige/ und doch Männiglich zuvor bekante Newe Zeitungen“ von 1626, die „Schlesische privilegirte Zeitung“ vom 20. März 1813 sowie die Zeitungsauszüge „Fragmente der Berliner Wochenzeitung von 1626 aus dem Besitz der Preußischen Staatsbibliothek“ (Übersicht unter http://www.deutschestextarchiv.de/list/browse?genre=Zeitung; letzter Abruf am 10.01. 2017). Ferner wird das „Mannheimer Korpus historischer Zeitungen“ zurzeit sukzessive aufbereitet und in das DTAKorpus eingespielt. Hinzu kommt im Frühjahr 2017 die Publikation von 301 Ausgaben der „Neuen Rheinischen Zeitung“ (1848/1849). Das umfassende Zeitungskorpus von Michel Lefèvre mit diversen Zeitungen des 17. Jahrhunderts umfasst etwa 1500 Seiten und steht dem DTA perspektivisch ebenfalls als wichtige Ressource zur Verfügung (Stand: Januar 2017).
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Transkriptionen jeder Ausgabe, das Material ist zusätzlich mittels der linguistischen Suchmaschine DDC auch hinsichtlich der sprachlichen Untersuchungsebenen Morphologie, Lexikologie und Syntax sowie textlinguistischer Fragestellungen computergestützt analysierbar. Neben dem vorgestellten Korpus gibt es zwei weitere größere Korpora, die Volltextdigitalisate deutschsprachiger Zeitungen des 18. und 19. Jahrhunderts zur Verfügung stellen: das „Mannheimer Korpus historischer Zeitungen“ (khz) und das „GerManC-Korpus“ (gmc). Ersteres, das am Institut für Deutsche Sprache (IDS) angesiedelt ist, ist das derzeit größte Korpus historischer Zeitungen. Es ist Teil des „Deutschen Referenzkorpus“ (DeReKo) des IDS und umfasst 409 Ausgaben von 12 deutschsprachigen Zeitungen aus dem Zeitraum von 1737 bis 1877. Ein großer Teil des Korpus umfasst Zeitungen aus dem 19. Jahrhundert, das 18. Jahrhundert ist mit vier Zeitungen im Gesamtverhältnis unterrepräsentiert. Die „Berlinische[n] Nachrichten von Staatsund gelehrten Sachen“ stellen mit 51 transkribierten Ausgaben aus den Jahren 1740 und 1741 die größte Ressource dar. Für den Untersuchungszeitraum zwischen 1752 und 1846 enthält das Korpus keine Quellen. Linguistische Suchanfragen sind im Mannheimer Korpus mithilfe der Suchsyntax des Korpusrecherche- und -analysesystems COSMAS II möglich, aber begrenzt, da die Volltexte keine weiteren Annotationen enthalten. Das GerManC-Corpus, das an der University of Manchester entstand, besteht aus 336 digitalisierten Texten verschiedener Textsorten aus dem Zeitraum von 1650 bis 1800. Ziel des Projekts war es, ein repräsentatives historisches Korpus geschriebener deutscher Texte für den genannten Zeitraum zu erstellen. In der Pilotphase des Projektes wurden 66 Zeitungen nach dem TEI/P5-Standard transkribiert und annotiert. Um Entwicklungstendenzen speziell der Zeitungssprache im 18. Jahrhundert aufzuzeigen, kann das GerManC-Korpus nicht als alleinige, aber zusätzliche Ressource herangezogen werden. Die Gesamttokenzahl des Korpus im Zeitraum von 1712 bis 1848 beläuft sich auf etwa 380.000.² Es ist ebenso wie das „Mannheimer Korpus historischer Zeitungen“ in das DeReKo integriert und über COSMAS II zugänglich.³ Das folgende Diagramm zeigt eine Gesamtverteilung volltextdigitalisierter Zeitungsausgaben der drei Korpora: Der Zugriff auf die Digitalisate des „Correspondenten“ ermöglicht eine detailliertere linguistische Erforschung der Zeitungssprache des 18. und 19. Jahrhunderts, wenngleich weitere Digitalisierungsarbeit im besagten Zeitraum für repräsentative Studien unerlässlich ist. Darüber hinaus ist es erstmals möglich, die sprachlichen Entwicklungstendenzen einer der erfolgreichsten und einflussreichsten Periodika des 18. Jahrhunderts computergestützt zu untersuchen.
Die Schätzung basiert auf einer statistischen Auswertung des Korpusmaterials in COSMAS II. Weitere Informationen zum Projekt, zu Publikationen und zur Nutzung des Korpus unter http:// www.llc.manchester.ac.uk/research/projects/germanc/ (letzter Abruf am 10.01. 2017).
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Abb. 1: Volltextdigitalisierte Zeitungen für den Zeitraum von 1712 bis 1848
4 Leitfragestellungen In den letzten 20 Jahren sind die frühen Wochenzeitungen des 17. Jahrhunderts, (vgl. u. a. Fritz/Straßner 1996, Lefèvre 2013, Schröder 1995) und die erste Tageszeitung der Welt, die ab der Mitte des 17. Jhs erschienen ist (vgl. Schuster 2008), sowie ihre Vorgänger, zu denen die Korrespondenznetze größerer Handelshäuser, etwa die „FuggerZeitungen“ (vgl. Dauser 2008), und die „Meßrelationen“ (vgl. Glüer 2000) gehören, ausführlicher beschrieben worden. Die Untersuchungen bieten eine solide Basis, um die Weiterentwicklung von Zeitungen im 18. Jahrhundert zu charakterisieren, die aus sprachhistorischer und textsortengeschichtlicher Perspektive bisher nur ansatzweise beschrieben worden ist (vgl. aber Schuster 2011, 2014). Die Untersuchungen zum 17. Jahrhundert behandeln umfassend das charakteristische Zeitungslayout und das Textsortenspektrum: Mit der Aufnahme neuer Rubriken (vgl. 2.) ist sowohl eine Expansion des Textsortenspektrums als auch der Wandel bereits bestehender Textsorten verbunden. Traditionell gehören nach Schuster (2014: 261) das neutral-registrierende Berichten (berichten, dass sich etwas ereignet hat), das von der faktizierenden Meldung bis zum Verlaufs- oder thematischen Bericht reicht, und das schwächer repräsentierte perspektivisch-bewertende Berichten (berichten, wie sich etwas aus einer Sicht ereignet hat), so die perspektive Ereignisdarstellung oder der Erfahrungsbericht, zum Grundbestand der Presseberichterstattung; Dokumentenwiedergaben und einzelne Anzeigen ergänzen das Bild. Gerade bei einfachen Textformen des Berichtens ist eine starke Musterhaftigkeit zu erkennen, die sich insbesondere am Zusammenspiel von zentralen sprachlichen (Teil‐)Handlungen und entsprechenden lexikalischen und syntaktischen Präferenzen zeigt. Thematisch sind frühe Zeitungen noch eingegrenzt, wobei Berichte über kriegerische, politische Sachverhalte sowie Ereignisse an unter-
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schiedlichen Höfen im Vordergrund stehen. Dies schlägt sich im Wortschatz nieder, der nicht wenige fremdsprachliche Fachwörter aufweist und sich somit an einen mit diesem Wortschatz vertrauten Rezipienten richtet. Darüber hinaus lösen sich die Verfasser nicht von ihrer Schreiber-Origo, was zum einen daran deutlich wird, dass sie nicht leicht aufzuschlüsselnde Lokal- und Temporaldeiktika gebrauchen. Zum anderen ist die Verwendung sprachlicher Honorifica, insbesondere komplexer Titulaturen mit den dafür charakteristischen Ehrerbietungsformeln auffällig. Die Korrespondenten konzentrieren sich damit auf die Beziehungspflege zu denjenigen Personen, über die sie berichten, während die Berücksichtigung der Verstehensvoraussetzungen der Adressaten, anders als heute, noch nicht eine zentrale Kommunikationsmaxime des journalistischen Handelns ist. Dies wird auch daran ersichtlich, dass verständnisfördernde Techniken kaum eingesetzt werden und der Verweis auf eine nachfolgende Berichterstattung teilweise ohne Anschluss bleibt. Nach den bisher vorliegenden Befunden reicht allerdings die syntaktische Komplexität der Berichterstattung nicht an die des zeitgleichen kanzlistischen Schreibens heran, es sei denn, dass entsprechende Dokumente in Zeitungen abgedruckt werden. Ausgehend von diesen Befunden stellen wir im Projektzusammenhang an die Entwicklung des „Correspondenten“ im 18. Jahrhundert die folgenden Fragen: (a) Wie verändert sich das Textsortenspektrum im Laufe des 18. Jahrhunderts in einer Zeitung mit überregionaler Bedeutung, die zudem Vorbildcharakter hatte? (b) Welche Formen der Textsortenevolution, der allmählichen Veränderung von Textsorten, sind auf welchen Ebenen zu ermitteln? (c) Bestehen die Veränderungen insbesondere darin, dass die oben angedeutete starke Handlungseinbindung zugunsten von rezeptionsstrategischen Überlegungen abgebaut wird? (d) Welche Bausteine bilden sich für solche Textsorten heraus, die neu in der Zeitung sind? Erfahren sie einen pressespezifischen Zuschnitt? Wie in den o. g. Studien basiert die Untersuchung des „Correspondenten“ auf einem mehrdimensionalen, integrativen und pragmatischen Textbegriff. Ausgehend von der Untersuchung der textlichen Oberfläche, was auch die Materialität und Modalität eines Textes umfasst, werden interpretativ die Kontextspezifik, die Funktionen, die zentralen Handlungen und Themen und der Stil, einschließlich der entsprechenden Kommunikationsideale, erschlossen. Der Prozess des Textsortenwandels ist vorrangig als Herausbildung und Wandel von Textmustern zu begreifen, der sich an der Distribution sprachlicher Formen und an daraus erschließbaren Form-Funktions-Korrelationen zeigt. Methodisch steht ein texthermeneutischer Zugriff, der den Vorgang der Textanalyse als quasi-forensisches Spurenlesen begreift (u. a. Müller 2013: 34 ff.), im Vordergrund. Entsprechend ist auch die Ermittlung von Themen- und Handlungsstruktur, die Ermittlung von Textfunktionen, die Deutung der Hinweise auf eine spezifische Situation und die Hinweise auf den Stil ein unhintergehbarer Akt des Verstehens, selbst dann, wenn Funktionen oder Themen metakommunikativ behandelt werden.
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Im Folgenden soll gezeigt werden, welchen Nutzen die Volltextdigitalisierung eines zentralen Pressedokuments erbringt. Ihr größtes Potential liegt unseres Erachtens nach darin, den Leseprozess des heutigen Rezipienten zu unterstützen. Durch die Möglichkeit, sich die relative Häufigkeit (in Bezug auf die jeweils erschlossenen Jahrgänge) von Lexemen und (potentiellen) Phrasemen und in Grenzen auch die Häufigkeit grammatischer Strukturen anzeigen zu lassen, können nicht nur Leseeindrücke verifiziert, sondern auch Hinweise für den Textsortenwandel gewonnen werden. Quantitative Befunde sind also nicht eo ipso aussagekräftig, sondern müssen auf die Textsortendimension bzw. die dadurch gegebenen Interpretationsperspektiven bezogen werden. Entsprechend werden einige Bereiche herausgestellt, die den Nutzen der Volltextdigitalisierung in Verbindung mit hermeneutischen Interpretationsperspektiven zeigen. Zunächst werden Wandlungen auf der Ebene des thematischen und funktionalen Wortschatzes thematisiert und als Indikatoren für ein möglicherweise gewandeltes journalistisches Selbstverständnis interpretiert (vgl. 5). Dann werden – ausgehend von den schon für das 17. Jahrhundert ermittelten formelhaften Wendungen – zentrale funktionale Bausteine der einzelnen Textsorten beleuchtet (vgl. 6). Dass sich die Volltextdigitalisierung des „Correspondenten“ auch anbietet, um Fragen der historischen Grammatik zu klären, u. a. die Trennung von freier Wortgruppe und Kompositum, wird hier nicht beleuchtet (vgl. auch Schuster/Wille 2015).⁴
5 Thematischer und funktionaler Wortschatz Nach Gloning (u. a. 1996) lässt sich der Wortschatz der Zeitungen vorrangig nach thematischen und funktionalen Gesichtspunkten untergliedern. Die thematischen Wortschätze sind von den dominanten Berichtsthemen abhängig, während die funktionalen Wortschätze als „sprachliche Mittel des Textaufbaus“ (Gloning 1996: 142) zu verstehen sind. In dieser Unterteilung ist mitgedacht, dass funktional zu interpretierende sprachliche Ausdrücke, die etwa der Bezugnahme auf einen Referenten oder der Ereignisbezeichnung dienen, wesentlichen Anteil an der Konstitution der thematischen Bereiche besitzen, indem etwa die Bezugnahme auf Personen, Ereignisse und andere Sachverhalte gleichzeitig das thematische Profil eines Artikels erkennen lässt. Die thematischen Kernwortschätze sind auch im 18. Jahrhundert der politischen, militärischen und höfischen Berichterstattung zuzurechnen. Daneben nehmen andere Themen wie Handel, Finanzen und die Seefahrt sowie Themen, die in Verbindung mit Anzeigen (so Lotterien), Börsenberichten oder mit gelehrten Artikeln stehen, einen zunehmend größeren Raum ein. Unter einer rein funktionalen Perspektive Aufwendigere syntaktische Analysen – so zur Komplexität des Wortgruppenbaus und der Satzverknüpfungen – erfordern ohnehin spezifischere Annotationen, die u. a. im Dissertationsprojekt von Manuel Wille mit dem Arbeitstitel „Die Tageszeitung auf dem Weg zum Massenmedium – Zur Entwicklung der komplexen Nominal- und Präpositionalphrasen in der politischen Berichterstattung des ’Hamburgischen Correspondenten’ von 1712 bis 1801“ erprobt werden.
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werden hier v. a. die Funktionswörter, insbesondere Deiktika/Textdeiktika, Artikel/ Pronomina und verknüpfende Elemente wie Konjunktionaladverbien, Kon- und Subjunktionen betrachtet. Nach den bisher vorliegenden Studien bietet es sich an, den Merkmalen ‚Thematizität‘ und ‚Funktionalität‘ weitere übergeordnete Gesichtspunkte hinzuzufügen. Dazu gehört zum einen der Anteil des Fremdwortschatzes, der schon im 17. Jahrhundert rückläufig ist. Zum anderen ist die kanzleisprachliche Prägung insbesondere des Funktionswortschatzes zu betrachten. Mit dem Bezug auf die Kanzleisprache wird auch die stilistische Dimension der Zeitungstexte angesprochen, die bisher nur vereinzelt betrachtet worden ist. Stil wird heute zumeist pragmatisch als ein „Wie der Handlungsdurchführung“ (i. S. v. Sandig 20062: 9) verstanden, das prinzipiell alle Textebenen umfasst. Für die Kanzleisprache darf ein gehoben-zeremonieller Stil angesetzt werden, der sich sowohl an einer komplexen Syntax und am Variantenreichtum des lexikalischen Materials, auch unter Nutzung fremdsprachlicher Ausdrücke, als auch am Gebrauch rhetorischer Figuren zeigen kann. Diese Merkmale unterstützen den sozialen Sinn der Texte, der auf Wahrung der Repräsentativität einer Institution und zumeist auf die Indizierung sozialer Ferne zielt. Das schlägt sich darin nieder, dass Vorgaben für die richtige Titelgebung und die damit verbundenen Formen der Ehrerbietung genau befolgt werden. Aus diesen Gründen ist der Wortschatz darauf hin zu befragen, inwiefern die Stil- und damit verbundenen Kommunikationsideale der Kanzleisprache tradiert werden oder sich die Presse von diesen emanzipiert. Der kanzleisprachliche ‚Subtext‘ der Presseberichterstattung, der noch zu Beginn des 18. Jahrhunderts sichtbar ist, lässt sich gut am folgenden Beispiel illustrieren: Nachdem den 26. Junii Ihro Chur-Fürstl. Durchl. zu Maynz, unser gnädigster Bischoff und Herr, ganz vergnügten Wohlseyns mit etlichen 40. Post-Pferden allhier glücklich mit der ganzen Hofstatt angelanget, als haben sich hochgedachte Ihro Chur-Fürstl. Durchl. zeithero mit ein und andern Jagden divertiret, auch vorgestern den preziösen Hospitals-Bau, welcher in kurzen zu seiner Vollkommenheit gelangen wird, in hohen Augenschein genommen, verfügten sich nach diesem auf Dero Forwerck Carlau, woselbsten selbe nach Dero Vergnügen das schöne Gestüt betrachtet […] (HC 110/1731: 2)
Einerseits wird deutlich, dass der Schreiber einem tradierten Titulatursystem folgt, was den Gebrauch entsprechender Pronomina und Artikel (dero/ihro, deroselben), z.T. in Großschreibung, einschließt. Der Nachhall eines zeremoniell-kanzlistischen Stils ist besonders an Ausdrücken wie allhier oder zeithero sichtbar. Auch die Wahl solcher Fremdwörter wie divertiret oder preziösen deutet auf einen gehobenen, auf Formalität und Repräsentativität zielenden Stil hin. Die Entwicklung des Fremdwortschatzes stellt sich nun folgendermaßen dar: Schuster/Wille (2015) konnten am Beispiel der ieren-Verben zeigen, dass der Fremdwortbestand rückläufig ist. Ersetzungen fremder durch deutschsprachige Ausdrücke sind nicht nur im Bereich der Verben (etwa divertieren – (sich) vergnügen), sondern auch bei Substantiven (etwa Mouvement – Bewegung) sichtbar. Zusätzlich zeigen sich
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im 18. Jahrhundert auf graphematischer Ebene Assimilationsprozesse (etwa Attaque – Attacke, Trouppe – Truppe, Canons – Kanonen, Affaire – Affäre oder Audience – Audientz – Audienz). Da das DTA⁵ den Abgleich mit anderen Textgruppen (so Belletristik, Wissenschaft und Gebrauchsliteratur) erlaubt und diese Textgruppen größtenteils Formen elaborierten Schreibens und ein zumindest vergleichbares Wortschatzprofil aufweisen, lassen sich lexikalische Wandelprozesse in Zeitungen quantitativ ermitteln, vor dem Hintergrund anderer Textsorten qualitativ interpretieren und die Besonderheiten von Zeitungen, hier des „Correspondenten“, erhellen. Im Bereich des Fremdwortschatzes wird grundsätzlich ersichtlich, dass im 17. Jahrhundert in allen Textgruppen frequent verwendete fremdsprachliche Ausdrücke wie applicieren, contentieren oder fremdsprachliche Zitate wie ad formam nur noch im ersten Drittel des 18. Jahrhunderts verwendet werden, wobei besonders ab der Mitte des 18. Jahrhunderts der Fremdwortschatz umgestaltet wird. Der „Correspondent“ schließt sich dieser Entwicklung an, da mehr als die Hälfte der von Gloning noch für den Zeitungswortschatz nachgewiesenen fremdsprachlichen Lexeme nicht oder lediglich mit geringen Belegzahlen bis zur Jahrhundertmitte verwendet werden. Dazu gehören ebenso Bezeichnungen für (sprachliche) Handlungen im Bereich der politischen Berichterstattung, so etwa proponieren, intercedieren, decidieren, permittieren oder conversieren, wie zentrale Ausdrücke (einschließlich der Mehrwortlexeme) aus der Berichterstattung über militärische Aktivitäten und/oder diplomatische Initiativen wie legieren, eine revisite machen, Negotiation (machen), spedieren, succedieren oder succurieren. Die lexikalische Umgestaltung betrifft allerdings auch die Hofberichterstattung: Neben dem Wegfall solcher Lexeme wie turnieren werden sowohl Ersetzungsvorgänge sichtbar – so die oben schon genannte Ersetzung von divertieren durch (sich) vergnügen – als auch miteinander konkurrierende Varianten wie complimentieren und ein Compliment machen. Der Abbau des Fremdwortschatzes erfolgt nun in vergleichbaren Themenbereichen in den Zeitungen früher und radikaler als in anderen Textgruppen. Ästimieren, fallieren, contribuieren sowie fremdsprachliche Zitate wie in specie oder de novo sind nur wenige Beispiele, die für Zeitungen im 17. Jahrhundert nachzuweisen sind und im „Correspondenten“ nur am Beginn verwendet, jedoch in literarischen, wissenschaftlichen und gelehrten Schriften bis zum Ende des 19. Jahrhunderts benutzt werden. Ambassadeur wird im „Correspondenten“ bis 1813 nur wenig und dann nicht mehr verwendet und konkurriert schon früh mit Botschafter. Im Völkerrecht, ein anderer Kommunikationsbereich, in dem das Lexem häufiger auftritt, ist es bis 1898 nachzuweisen. Die Prozesse der Zurückdrängung des Fremdwortschatzes reichen also, wie gesehen, von einer stärkeren Assimilation über die Eingrenzung des Spektrums durch Vertikalisierungs- bzw. Selektionsprozesse bis hin zum Wegfall von Fremd Das „Correspondenten“-Korpus ist mit #has[corpus,/correspondent/] verfügbar. Die folgenden Ausführungen basieren auf linguistischen Suchen nach einzelnen Lexemen (bspw. Negotiation bzw. @Negotiation), nach einzelnen Wortstämmen (bspw. applicir*) sowie nach einzelnen Phrasen mit oder ohne Abstandsoperatoren (bspw. „ob #5 wohl“). Andere Korpora bzw. Textgruppen lassen sich ebenfalls einzeln erschließen.
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wörtern zugunsten deutschsprachiger Ausdrücke. Da die lexikalische Umgestaltung im „Correspondenten“ abrupt verläuft, liegt die Hypothese nahe, dass der kanzleisprachliche „Imponierhabitus“ (Schwitalla 2002: 392), der sich in Zeitungen an Ausschöpfung von auch fremdsprachlichen Wortschatzressourcen und an hoher sprachlicher Varianz zeigt, an Bedeutung eingebüßt hat. Es soll damit nun allerdings nicht behauptet werden, dass der „Correspondent“ mit der Wende zum 19. Jahrhundert fremdwortfrei wäre. Neben dem Gebrauch in amtlichen Bekanntmachungen (vgl. 6.3) werden in der Berichterstattung zumindest die Fremdwörter häufig gebraucht, bspw. Instruktion, die bis heute zum Bildungswortschatz gehören. Mit der Erweiterung der Berichterstattung gewinnen zudem andere thematische Fremdwortschätze bspw. aus dem lexikalischen Feld des Finanzhandels größere Bedeutung (etwa Cassa, Assignation, uvm.). Grundsätzlich wird im 18. Jahrhundert jedoch der schon im 17. Jahrhundert nachweisbare Trend, Fremdwörter abzubauen, fortgesetzt. Den Abbau lexikalischer Kontextualisierungshinweise, bezogen auf den Kanzleistil, könnte man als Modernisierung der Zeitungsberichterstattung, als Profilierung eines pressespezifischen Stils im Rahmen der Textformen des Berichtens deuten. Diese Interpretation lässt sich auch durch die Analyse des funktionalen Wortschatzes stützen. Eine Besonderheit des „Correspondenten“ und anderer Zeitungen des 18. Jahrhunderts ist, dass für Lokal- und Temporalangaben kanzleisprachlich konnotierte Einheiten verwendet werden. Synsemantika wie allda, allbereits, anhero oder zeithero werden – verglichen mit den anderen DTA-Korpora – fast ausschließlich in Zeitungstexten gebraucht, wo sie aber spätestens nach der Jahrhundertmitte abgebaut werden und zumeist im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts vollständig verschwunden sind. Dies gilt auch für den Ausdruck von kausalen, konsekutiven oder konzessiven Verhältnissen durch dahero, derowegen, alldieweil, daferne oder jedennoch, deren Verwendung ebenfalls um die Jahrhundertmitte nicht mehr nachzuweisen ist. Interessanterweise zeigen sich auch in diesem Bereich Selektions- bzw. Vertikalisierungsprozesse. Am Beispiel der Konzessiva, deren große Varianz als prototypisches Material kanzleisprachlichen Schreibens gelten darf, wird deutlich, dass obgleich bzw. ob […] gleich die präferierte Subjunktion (159 Belege) vor obwohl bzw. ob […] wohl (32 Belege) und gleichwohl (29 Belege) ist. Alternativen wie wenngleich, obzwar, außer dass, da anderst oder auch es sei denn spielen im 18. Jahrhundert nahezu keine Rolle mehr; in ähnlicher Weise gestaltet sich das Feld der kausalen Konnektoren um (vgl. Schuster/ Wille 2015). Die Tatsache, dass Zeitungsschreiber hier also nicht mehr dem Prinzip ‚variatio delectat‘ folgen und auch im Bereich der Orts- und Zeitangaben (jetzt, dort u. a.) nun auf neutralere Ausdrücke zurückgreifen, kann hypothetisch darauf zurückgeführt werden, dass die Journalisten vom sprachkritischen Diskurs, besonders von der Kritik an der „pedantischen Schreibart“ (etwa Gottsched 1736: 267 ff.) nicht unbeeindruckt geblieben sind. Möglicherweise hat diese Kritik eine pressespezifische Ausformung erfahren, was im Hinblick auf eine weitere Veränderung naheliegt. Wie aus Beleg (1) hervorgeht, achten Korrespondenten darauf, die richtigen Titel, Standesund Amtsbezeichnungen, zu wählen und den Bezeichneten die angemessene Ehrer-
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bietung zukommen zu lassen. Dass die Zeitungen hier zunächst einen Sonderweg gehen, zeigt die folgende Abbildung:
Abb. 2: Häufigkeitsverteilung der Abkürzung Durchl. im textgattungsübergreifenden Korpus des DTA (Stand: Januar 2017)
Hier zeigt sich, dass die Nutzung der Abkürzung Durchl. in anderen Textgruppen kaum anzutreffen ist und ab der Jahrhundertmitte auch im „Correspondenten“ vermieden wird. Ein ganz ähnliches Bild zeichnet sich auch bei Ehrerbietungsausdrücken wie allergnädigst/allerhöchst oder auch beim groß geschriebenen, pronominal zu verstehenden Dero ab. Die Zurückdrängung der Kanzleisprache korrespondiert, so eine vielleicht nicht abwegige Deutung, mit der Emanzipation des journalistischen Schreibens, dem eine Professionalisierung zugrunde liegt. Die Tendenzen – Abbau von Fremdwörtern bei der Konstitution zentraler Sachverhalte, Loslösung von kanzleisprachlich konnotierten Funktionswörtern und der Verzicht auf aufwendige Titelgebungen – zeigen also mehr als nur einen einfachen lexikalischen Wandel. Zum einen lässt sich der Wandel des sprachlichen Profils als die Einlösung eines Anspruchs verstehen, den Zeitungen und insbesondere der „Correspondent“ schon früh verfolgen, nämlich die Orientierung an sachlicher und nüchterner Berichterstattung (vgl. Schuster 2011: 275). Ob dies zum anderen durch den sprachkritischen Diskurs befördert worden ist, kann, blickt man auf die Liste der bekannteren Beiträger der Zeitung, durchaus für wahrscheinlich gehalten werden – der „Correspondent“ wäre damit eine Art Auffangbecken des sprachkritischen Diskurses. Den lexikalischen Wandel könnte man zum dritten auch als ein Hinweis auf die Durchsetzung eines zeitungsspezifischen ,recipient design‘ werten.
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6 Funktionale Textbausteine Über textspezifische Merkmale des funktionalen und des thematischen Wortschatzes hinaus enthalten die Zeitungstexte eine Fülle von funktionalen Textbausteinen, die sich aufgrund ihres wiederkehrenden Gebrauchs durch ein gewisses Maß an Festigkeit auszeichnen.⁶ Eine Übersicht über diese musterhaften Konstruktionen in Zeitungsnachrichten des 17. bis 20. Jahrhunderts liefert Haß-Zumkehr (1998). Die Untersuchung stützt sich auf die Hypothese, „dass standardisierte Formulierungen vor allem dort entstehen, wo ein Sprachhandlungstyp, ein Aussagegehalt oder ein Themenbezug häufig wiederholt werden müssen, ohne dass dabei stilistische Normen oder Performativität eine Rolle spielen“ (vgl. ebd.: 15).⁷ Haß-Zumkehrs Ergebnisse zeigen, dass viele Muster aufgrund ihres kontinuierlichen Gebrauchs einer Tradierung unterliegen, die sich bereits im ersten Zeitungsjahrhundert herausgebildet hat (vgl. auch DemskeNeumann 1990; Fritz 1993). Diese Muster werden als Realisierung zentraler Prädikationstypen der Berichtstextsorten aufgefasst. Für den Zeitraum von 1700 bis 1770 sind dies: ‚Angabe der Quelle‘, ‚Charakterisierung einer Prädikation als Meinung‘, ‚Bewertung der Hauptprädikation‘, ‚Kennzeichnung einer Text- bzw. Redewiedergabe‘, ‚Verbürgtheit einer Information bestätigen oder relativieren‘, ‚anaphorische und kataphorische Kohärenzstiftung‘ sowie ‚Spekulieren‘ (vgl. ebd.: 81). Nach 1770 zeigen sich statt einer weiteren Ausdifferenzierung der verschiedenen Prädikationstypen eher Relevanzverschiebungen und Vermischungen, auf die hier nicht weiter eingegangen werden kann. Die Berichtstextsorten im „Correspondenten“ können grundsätzlich in Texte des neutral-registrierenden Berichtens und Texte des perspektivischbewertenden Berichtens unterteilt werden. Zu ersteren zählen vor allem kürzere Meldungen, aber auch Ereignisdarstellungen und Verlaufsberichte.
6.1 Funktionale Bausteine der politischen Berichterstattung Anhand des im 17. und 18. Jahrhunderts dominantesten Prädikationstyps ‚Angabe der Quelle‘ soll im Folgenden exemplarisch gezeigt werden, welche funktionalen Textbausteine insbesondere in faktizierenden, wiedergebenden Meldungen textsorten-
Wir folgen hier der Begriffsdefinition von Gloning (2010: 178): „Funktionale Textbausteine stellen eine Schnittstelle dar zwischen der pragmatisch-funktonalen Organisation und der grammatisch-lexikalischen Realisierung von Texten. Funktionale Textbausteine sind Textteile unterschiedlicher Komplexität mit einer bestimmten kommunikativen Teilfunktion im Rahmen einer Texthandlung.“ Dieses methodische Prinzip der integrativen Betrachtung von journalistischen Handlungsformen und sprachlichen Mitteln diente auch im Tübinger Projekt zur Entstehung und Entwicklung der Zeitungssprache im 17. Jahrhundert (vgl. Fritz/Straßner 1996) als Analysegrundlage. Die Herausbildung textsortenspezifischer Prägungen ist im Kontext von Zeitungen unter anderem auf die sprachexternen Kriterien der Periodizität, der Aktualität, der Universalität und der Publizität zurückzuführen (vgl. Schröder 1995: 28 f.).
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prägend sind. Die politische Berichterstattung ist eine große Fundgrube funktionaler Textbausteine, die oben genannte Prädikationstypen realisieren. Speziell bei der Angabe der Quelle einer Information zeigen sich Tradierungsprozesse bestimmter Konstruktionen. Diese gehen mit einer Verengung des Variantenspektrums einher, wodurch sich ähnliche Engführungsprozesse wie im lexikalischen Bereich zeigen. Die grammatischen Möglichkeiten zur Quellenangabe sind vielfältig. Zu den dominanten Realisierungsformen gehören Parenthesen mit wie, etwa ‚wie man sagt/versichert/ hört/vernimmt‘ (vgl. Kunkel-Razum 2009: 528). Der Textbaustein ‚wie man sagt‘ wird mit 40 Belegen am häufigsten gebraucht, gefolgt von ‚wie man vernimmt‘ (36), ‚wie man versichert‘ (15) und ‚wie man hört‘ (7). Eine Sonderform bildet der funktionale Textbaustein ‚wie man will‘ bzw. die Alternativform ‚man will, daß […]‘, vgl.: (1) Die Königl. Rechen Cammer ziehet noch immer die Lehen-Güter ein die ohne Gesetzlichen Titul sind besessen gewesen und man wil, daß bereits mehr als 60. wieder seyn an die Crone gebracht. (HC 36/1721: 3) (2) Wie man will, so soll Chur-Bayern wegen dieses Durchmarsches ein und andere Vorstellungen gethan haben. (HC 80/1736: 3) Der epistemische Gebrauch von wollen zum Ausdruck einer Behauptung, eines Gerüchts oder einer Vermutung ist bis zum Jahre 1741 noch 12 Mal belegt, anschließend nur noch einmal. Schon ab 1731 wird die Kombination des Modalverbs mit einer infiniten Verbform (z. B.: ‚man will versichern/wissen/behaupten‘) immer gebräuchlicher. Der Textbaustein mit ‚wie man‘ und nachfolgendem finitem Verb ist vor 1770 insgesamt 75 Mal belegt, bis 1848 dann noch 50 Mal. Die Alternativform ‚wie verlautet‘ ist mit neun Belegen weniger gebräuchlich, sieben Belege davon stammen aus Ausgaben bis 1741. Im Gegensatz dazu entwickelt sich ‚wie es heißt‘ erst ab 1789 und weist bis 1848 insgesamt 25 Belege auf. Noch zahlreicher belegt als die Quellenangabe mittels wie-Parenthesen sind Muster mit sprechaktbezeichnenden bzw. performativen Verben wie melden, berichten oder versichern im Passiv mit syndetischem Anschluss. Das Muster ‚Aus/Von […] wird gemeldet, daß‘ kann aufgrund seiner Häufigkeit und der jahrgangsübergreifenden Verteilung (65 Belege) als zentraler zeitungsspezifischer funktionaler Textbaustein angesehen werden, der in seiner linearen Tradierung wenig Varianz aufweist. Mit ‚Aus/Von […] wird berichtet‘ (31 Belege) existiert eine alternative Form, beide werden routinehaft als texteinleitende Bausteine gebraucht und dienen dann besonders als Erkennungsmerkmal für kurze bis mittellange Meldungen. Ferner existiert mit ‚man hat Nachricht [erhalten], daß‘ (83 Belege), ‚man hat Briefe, daß‘ (14 Belege) und ‚man hat Zeitung, daß‘ (13 Belege) eine dritte Gruppe zentraler Textbausteine. Die konstantesten und frequentesten funktionalen Textbausteine sind verschiedene syntaktische Muster aus den Verben melden, berichten, vernehmen und versichern im Aktiv mit der Subjunktion dass: ‚berichten/melden/versichern, daß‘. Jedes der Verben bindet tendenziell eigene Aktanten an sich. Die Muster ‚Nachrichten
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melden, daß‘ und vor allem ‚Briefe melden, daß‘ haben die höchsten Belegzahlen, es folgen Muster mit dem Indefinitpronomen man und mit unterschiedlichen Personenbezeichnungen („Unser Resident zu Brüssel Herr Pesters meldet, daß“; „Der Gesandte des Churfürsten von Cölln meldet, daß“ usw.). Das sprechaktbezeichnende Verb berichten wird in der Regel zusammen mit Brief(e) oder erneut der unspezifischen Quellenangabe man gebraucht. Das performative Verb versichern bindet mit man und verschiedenen Personenangaben eher lebendige Aktanten. Die größte Veränderung weist der Textbaustein ‚[…] vernehmen, daß‘ auf, bei dem 76 von 100 Belegen auf die Zeit vor 1750 fallen. Auffällig ist bei dieser großen Beleggruppe die durchgängig metonymische Verwendung von Briefe, Nachrichten oder auch von Beilage, Schreiben, vgl.: (3) Briefe von Nantes berichten, daß die Brücke zu la Caßiere […] plötzlich eingefallen, […] (HC 62/1741: 2) (4) Die lezteren Nachrichten aus Spanien versichern, daß S. Catholische Maj. […] Ihro Groß-Brittannische Maj. geschrieben habe […] (HC 105/1731: 2) (5) Ein Schreiben aus Ferrol meldet, daß der Bischof von Oviedo […] von der Regierung den Befehl erhalten hat, sich aus dem Königreiche zu entfernen. (HC 172/ 1813: 6) Peter von Polenz bezeichnet diese Fälle als „Subjektschübe mit Agens-Schwund“, bei denen „in die Subjekt-Stelle eines Handlungs-Verbs die Bezeichnung einer dafür eigentlich nicht vorgesehenen Bezugsstelle ‚geschoben‘“ wird (von Polenz 1985: 187). Diese Bezugsstellen sind in den Belegen (4) bis (6) Objekte (Briefe, Nachrichten, Schreiben), die semantisch gesehen nicht handeln können. Diese Tendenz der Entpersonalisierung der Quellenangabe spiegelt sich auch im bezugslosen Indefinitpronomen man und den Passivierungen oben erwähnter Textbausteine wieder. Die verschiedenen sprachlichen Realisierungen des Prädikationstyps ‚Angabe der Quelle‘ lassen sich anhand ihrer Häufigkeit zu vier Hauptgruppen zusammenfassen: Den Parenthesen mit wie, den funktionalen Textbausteinen ‚Aus/Von […] wird gemeldet/berichtet, daß‘ sowie ‚Man hat Nachricht/Briefe/Zeitung, daß‘ und der großen Gruppe der Realisierungen ‚[…] berichten/melden/versichern/vernehmen, daß‘, in der sich besonders der syntaktische Variantenreichtum zur Quellenangabe einer Meldung zeigt. Das folgende Diagramm veranschaulicht noch einmal zusammenfassend die Entwicklungsprozesse der dominantesten Textbausteine: Grundlage des Diagramms bilden alle digitalisierten Ausgaben des „Correspondenten“ von 1712 bis 1813, wobei zu beachten ist, dass der Umfang des politischen Nachrichtenteils stetig anwuchs. Als allgemeine Tendenz wird deutlich, dass Textformen des Berichtens zunehmend auf tradierte Formen der Quellenangabe verzichten, wobei gerade die Variante ‚Man hat Nachricht/Briefe/Zeitung, daß‘ wegfällt. Diese Entwicklungen lassen sich als Professionalisierungsschübe des Journalismus deuten: Sie sind zum einen ein Hinweis darauf, dass sich die Textformen des Berichtens
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Abb. 3: Häufigkeitsverteilung der funktionalen Textbausteine des Prädikationstyps ‚Angabe der Quelle‘
stärker ausdifferenzieren und längere Verlaufsberichte seltener mit den o.g. Formen der Quellenangabe eingeleitet werden – dies stellt eine Entwicklung dar, die sich schon im frühen 18. Jahrhundert andeutet. Zum anderen ist unter dem Gesichtspunkt eines stark wachsenden Pressemarktes der unspezifische Verweis auf Quellen dysfunktional. Dies lässt sich auch daran sehen, dass Muster wie ‚wie man hört‘ etc. nun eher in vermischten Nachrichten u. ä. auftauchen. Als Umstrukturierung in den berichtenden Teilen dürfen die Entwicklungen nach der Französischen Revolution gewertet werden: Während und nach der Zeit der Französischen Revolution wurden vermehrt Beiträge aus anderen Zeitungen abgedruckt. Die Quelle wurde dann mit einem eingeklammerten Kürzel der jeweiligen Zeitung am Beitragsende gekennzeichnet. Einen zweiten Großteil der Beiträge in der politischen Berichterstattung machen ab 1812 auch externe Dokumentenwiedergaben aus, bei denen der unveränderte Originaltext mit einer kennzeichnenden Überschrift versehen wurde.
6.2 Funktionale Bausteine: Werbeanzeigen und amtliche Bekanntmachungen Anzeigentexte weisen je nach Textfunktion unterschiedliche sprachliche Profile auf, die sich auch im Formelrepertoire der jeweiligen Texte widerspiegeln. Exemplarisch sollen hier aufgrund ihrer Frequenz und der Häufigkeit wiederkehrender sprachlicher Muster die Werbeanzeigen und die amtlichen Bekanntmachungen näher betrachtet werden. Analog zu den performativen Verben in der politischen Berichterstattung
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zeichnet sich der Anzeigenteil textsortenübergreifend durch eine hohe Prominenz des komplexen Verbs bekannt machen aus, vgl.: (6) Es wird hiemit bekandt gemacht/daß […] verschiedene Mobilien und allerhand Geräthschafft […] verkauffet werden sollen; […] (HC 108/1731: 4) (7) Diese allerhöchste Conceßion wird hiedurch dem Publico bekannt gemacht, und zugleich verordnet, daß […] (HC 116/1771: 4) (8) Das am 6ten Junii des l. J. nach einer Auszehrungs- Krankheit erfolgte Ableben meiner Schwiegerinn […] mache ich hierdurch […] bekannt. (HC 98/1789: 7) Beleg (7) ist ein Ausschnitt aus einer Werbeanzeige, Beleg (8) stammt aus einer Verordnung des Flensburgischen Bürgermeisters und bei (9) handelt es sich um eine Todesanzeige. Die Häufigkeit und der universelle Gebrauch von bekannt machen (344 Belege) sind in der Tatsache begründet, dass das Bekanntmachen selbst eine der zentralen Sprachhandlungen aller Anzeigentextsorten darstellt. Der konkurrierende funktionale Baustein ‚kund thun/machen‘ ist mit 43 Belegen deutlich weniger gebräuchlich und ist bereits ab den 1770er Jahren rückläufig. Die weitere Subklassifizierung der oben genannten Textsorten ergibt sich aus der mehr oder weniger dominanten Realisierung weiterer Teilhandlungen der Anzeige sowie Elemente der Textarchitektur (i. e. kennzeichnende Überschriften, Fußzeilen etc.). Die statistische Auswertung der Verteilung der Anzeigen im „Correspondenten“ bis 1790 zeigt einen deutlichen Anstieg ab 1771 (vgl. Lutz 2017). Die Entwicklungstendenzen genannter Textbausteine verlaufen analog dazu.
6.3 Funktionale Bausteine in Werbeanzeigen Die Etablierung bestimmter funktionaler Textbausteine in Werbeanzeigen spiegelt sich besonders zum Ende des 18. Jahrhunderts deutlich wider. Das Bekanntmachen ist im Bereich der Werbeanzeigen eine Sprachhandlung, die den zentralen Handlungen ‚Auffordern zum Kauf‘ und ‚Persuasieren‘ durch Kaufargumente untergeordnet ist.⁸ Letzteres ist kaum durch Formelhaftigkeit gekennzeichnet, da die sprachliche Realisierung des Persuasierens etwa im Kontext von Warenwerbeanzeigen (Bücher, Arzneien, Rohstoffe, Lebensmittel usw.) entscheidend mit dem beworbenen Produkt korreliert. Die Kaufaufforderung ist hingegen eine abstrakte Teilhandlung, die vorrangig mittels der Konstruktionen ‚[…] soll verkauft werden‘ (138 Belege), ‚[…] ist zu haben‘ (75), ‚zum Verkauf‘ (59), ‚[…] ist zu verkaufen‘ (36) expliziert wird. Die Tradierung der Infinitivkonstruktion mit zu (‚[…] ist zu verkaufen‘) resultiert zur Jahrhundertwende nicht selten in einer Umfunktionierung zur elliptischen Überschrift: Vgl. hierzu die Teilakte der Werbeanzeige gemäß der „panchronischen Formel“ nach Greule/Reimann (2014).
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„Zu verkaufen“. Das alternative Muster ‚[…] ist zu bekommen‘ ist mit 100 Belegen ein sehr produktiver Textbaustein. Es zeigt sich, dass die Konstruktion bevorzugt im Kontext von literarischen Neuerscheinungen gebraucht wird, die insgesamt einen hohen Anteil an Anzeigen ausmachen. Um die Modalität der Verkaufsabwicklung zu nennen, wird prototypisch die Präpositionalgruppe ‚gegen bare Bezahlung/Zahlung‘ (21 Belege) verwendet. Handelt es sich bei der Anzeige um eine Versteigerung, etwa von Grundstücken oder Immobilien, wird mit der Präpositionalgruppe ‚an den/die Meistbietenden‘ (34 Belege) formelhaft auf die Modalität des Versteigerns hingewiesen. Beleg (4) zeigt den Ausschnitt einer prototypischen Werbeanzeige, in der die Teilhandlungen mithilfe sprachlicher Muster realisiert werden: (9) Es wird hiemit bekandt gemacht/daß im bevorstehenden Johannis-Marckt in Kiel/ verschiedene Mobilien und allerhand Geräthschafft/an den Meistbiethenden/ gegen baare Bezahlung/verkauffet werden sollen; […] (HC 108/1731: 4) Der wiederkehrend texteinleitende Baustein ‚Es wird hiemit bekandt gemacht‘ ist, wie oben bereits erwähnt, in Werbeanzeigen dem Auffordern zum Kauf untergeordnet. Folglich wird besagtes Muster in späteren Werbeanzeigen kaum noch verwendet und wird zu einem zentralen Muster in Anzeigentextsorten, bei denen das Bekanntmachen die zentrale Sprachhandlung darstellt (i. e. Todesanzeigen, Geburtsanzeigen oder Hochzeitsanzeigen). Der komplexe Textbaustein ‚[…] an den Meistbietenden/gegen baare Zahlung/verkauffet werden soll‘ enthält mit den Verkaufsmodalitäten und der zentralen Kaufaufforderung zwei wichtige Teilhandlungen der Werbeanzeige und weist daher Kontinuität auf.
6.4 Amtliche Bekanntmachungen Jene Anzeigen, die hier unter dem Sammelbegriff ‚amtliche Bekanntmachungen‘ zusammengefasst werden sollen, wurden nachweislich in hiesigen Kanzleien und Behörden verfasst. Die Textproduzenten waren Juristen, Notare, Sekretäre und andere schreibkundige Kanzlisten. Sie verfassten im Auftrag der politischen Obrigkeit offizielle Bekanntmachungen, Verordnungen, Urkunden, Vorladungen und weitere Schriftstücke. Amtstexte dieser Art wurden vornehmlich nach 1770 ein fester Bestandteil des Anzeigenteils. Trotz der unterschiedlichen Funktionen genannter Textsorten zeichnen sie sich aufgrund der institutionalisierten Textproduktion durch eine hohe Standardisierung syntaktischer Muster aus. Folgender Ausschnitt einer öffentlichen Vorladung verdeutlicht dies exemplarisch: (10) […] Als citiren wir gedachten Franz Fröhlich, dessen Schwester Helena, vereheligt gewesene Kriebelinn, und die Johanna Hartwiginn, oder deren etwanige Leibeserben, Kraft dieses peremtorie, daß Selbte sich in Termino den 29sten Junii,
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31sten Julii und 2ten September dieses inlebenden 1771sten Jahres allhier vor Uns in Curia gestellen; widrigenfalls aber, daß sie gedachte Fröhlichsche Geschwister, und die Johanna Hartwiginn, nach Vorschrift des unterm 27sten October 1763. allerhöchst emanirten Königl. Edicts pro mortuis werden declariret, die außenbleibenden Erben aber präcludiret, und daß allhier sub Cura stehenden Vermögen denen obbenannten resp. Vaters Bruder Kindern und Geschwister derer Abwesenden ausgeantwortet werden, gewärtigen sollen. Wornach sich also zu achten. Signatum […] (HC 115/1771: 4) Anders als in den Berichtstextsorten zeigt sich hier, dass Formulierungsmuster für Teilhandlungen dominieren, die einer kanzleisprachlichen Prestigevarietät entsprechen. Latinismen weisen in institutionalisierten Texten besonders im Zeitraum von 1771 bis 1832 eine hohe Produktivität auf, ohne dass ihnen ein sprachökonomischer Nutzen nachgewiesen werden kann, vgl. ‚in Termino‘ (22 Belege) sowie die syntaktischen Hybridbildungen ‚in Curia gestellen‘ (‚vor Gericht erscheinen‘), ‚pro mortuis werden declariret‘ (‚für tot erklärt werden‘) sowie ‚allhier sub Cura stehende[s] Vermögen‘ (‚das hier verwahrte Vermögen‘). Um den Nachdruck des Anliegens zu betonen, greifen die Schreiber standardisiert auf das Adverb ‚peremtorie‘ (‚endgültig‘, 72 Belege) sowie den textabschließenden elliptischen Nebensatz „Wornach sich zu achten.“ (33 Belege) zurück. Letzterer behält seine Bedeutung als formalisierter Textabschluss in Amtstexten bis zum Jahre 1848 bei. Die elliptische Form des Deklarativsatzes ist das Resultat eines Konventionalisierungsprozesses, der im Korpusmaterial nachweisbar ist. Weitere Satzvarianten, die sich mit obiger verkürzter Form insgesamt auf 126 Belege summieren, sind etwa: (11) Wornach sich ein jeder zu achten hat. (HC 117/1771: 4) (12) Wornach sich jedermänniglich pünktlich und genau zu achten hat. (HC 97/1789: 4) (13) Wornach die Beykommenden sich zu achten und für Schaden zu hüten haben. (HC 16/1801: 8) Administrative Texte wie (11) zeichnen sich durch einen fachsprachlichen Funktionalstil aus, bei dem außersprachlicher Kontext und sprachliche Mittel zusammenwirken. So projiziert der formelhafte Gebrauch genannter Konstruktionen vor allem das Machtgefälle zwischen politischer Obrigkeit und dem Bürgertum. Anhand der exemplarischen Analyse zweier Anzeigentextsorten sollte gezeigt werden, dass funktionale Textbausteine einen wesentlichen Anteil an der Binnendifferenzierung der Zeitungstextsorten haben und ihre Tradierung im 18. Jahrhundert zur Herausbildung neuer Textmuster führt. Gleichermaßen sollte der Zusammenhang zwischen textsortenspezifischen Sprachhandlungen und der syntaktischen Gestalt herausgestellt werden. Schließlich wird deutlich, dass eine empirisch fundierte Unterscheidung der hier postulierten Anzeigentypen fehlt. Hier liegt ein wesentliches For-
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schungsdesiderat bei der Nachzeichnung der textsortenspezifischen Entwicklungstendenzen der Zeitungssprache im 18. Jahrhundert.
7 Fazit Die Volltextdigitalisierung des „Correspondenten“ ermöglicht es, dem Wandel von einzelnen Lexemen und tradierten Formulierungsmustern nachzugehen. Dabei sollte deutlich geworden sein, dass einfache quantitative Veränderungen Aufschlüsse über den Wandel von Textmustern und den damit verbundenen Stil geben können. Die hier beleuchteten Tendenzen zeigen aus unterschiedlichen Perspektiven die Reduktion von Formulierungsalternativen und den Abbau von Varianz. Dies ließe sich auch auf anderen Ebenen bestätigen. Insgesamt dürfen die Entwicklungen des „Correspondenten“ einerseits als Hinweise auf die allmähliche Durchsetzung eines pressespezifischen Berichtsstils gelten, andererseits wird gerade an den unter 6. beleuchteten Form-Funktions-Korrelationen die stärkere Binnendifferenzierung der Zeitungstextsorten deutlich. Der „Correspondent“ im 18. Jahrhundert ist damit ein gutes Beispiel für die stetige Evolution von Textsorten. In unserem Beitrag wurden die gelehrten Artikel noch ausgespart, deren Entwicklung sich schon deshalb wesentlich komplexer darstellen dürfte, weil sie unterschiedliche Formen des gelehrten Schreibens kontextualisieren. Jedoch darf auch hier schon behauptet werden, dass sie – ersichtlich etwa an ihrem Fremdwortanteil – wenig mit dem komplexen Stil der Literaturkritik des späten 17. Jahrhunderts zu tun haben und sich an Entwicklungen anpassen, die schon in der einschlägigen Studie von Blackall (19702) beleuchtet worden sind.
Literatur Böning, Holger (2012a): „Hamburgischer Correspondent“ – Journal der Epoche. Onlinepublikation in der ZEIT Nr. 24/2012, http://www.zeit.de/2012/24/Zeitung-Hamburgische-Correspondent (letzter Abruf am 13. 02. 2017). Böning, Holger (2012b): Dem Bürger zur Information und Aufklärung: Die >Staats und Gelehrte Zeitung des Hamburgischen unpartheyischen Correspondenten