Ostkirche und Ökumene: Die Einheit der Kirche als dogmatisches Problem in der neueren ostkirchlichen Theologie 9783666562105, 9783525562109


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German Pages [320] Year 1962

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Ostkirche und Ökumene: Die Einheit der Kirche als dogmatisches Problem in der neueren ostkirchlichen Theologie
 9783666562105, 9783525562109

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REINHARD

SLENCZKA

· ·

Ostkirche und Ökumene Die Einheit der Kirche als dogmatisches Problem in der neueren ostkirchlichen Theologie

VANDENHOECK & RUPRECHT IN G Ö T T I N G E N

Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie Herausgegeben von Edmund Schlink Band 9

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft. © Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen 1962. Printed in Germany. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf foto- oder akustomechanischem Wege zu vervielfältigen. Gesamtherstellung Hubert Sc Co., Göttingen 7977

„Um den Frieden aller Welt, den Wohlstand der heiligen Kirchen Gottes und die Vereinigung aller, lasset uns zum Herrn beten." Aus der Liturgie des Hl. Johann Chrysostomos, Große Ektenie, 2. Bitte

VORWORT Die theologische Begründung der kirchlichen Einheit ist eine Aufgabe, die erst durch die ökumenische Bewegung gestellt wurde, die aber wohl auch nur im gemeinsamen Ringen um die Einheit gelöst werden kann. Erst allmählich gewinnt dieses dogmatische Problem in unserer Zeit seine Konturen. Selbst dort, wo bereits feste Vorstellungen von der Einheit in der kirchlichen Praxis und in der Theologie vorzuliegen scheinen, taudien neue Gesichtspunkte auf, die zu immer tieferer Besinnung auffordern. Dies ist die Situation, in die durch die ökumenische Bewegung alle Kirchen mit ihrer Theologie gestellt sind. Die bisher vorliegenden Antworten auf die Frage nadi der Einheit enthüllen nicht nur unter den Kirchen, sondern vor allem in den Kirchen eine erstaunliche Vielfalt, die oft ins Widersprüchliche übergeht. Die ekklesiologischen Standpunkte sind dabei keineswegs konfessionell begrenzt; sie übersteigen die zwischen den Kirchengemeinschaften bestehenden Grenzen und durchbrechen alle herkömmlichen Schematismen. Es liegt etwas Verheißungsvolles in diesem Vorgang. Denn in dem intensiven Fragen wird schon ein Stück kirchlicher Einheit auch in der theologischen Arbeit sichtbar. Das Gespräch selbst steht aber noch ganz am Anfang. Es gilt zunächst, die theologischen Bemühungen um die Bestimmung der kirchlichen Einheit nicht nur in der eigenen Kirche oder in dem unmittelbaren ökumenischen Gespräch der Kirchen zu verfolgen, sondern auch .in der Theologie anderer Kirchen. Nur so kann der Beitrag der Kirchen von seinem Hintergrund her verstanden werden. Im Blick auf die orthodoxe Kirche des Ostens bestehen hier besondere Schwierigkeiten. Einerseits sind sich durch die langen Jahrhunderte gegenseitiger Abgeschlossenheit die östliche und die westliche Theologie weitgehend fremd geblieben; eine enge Berührung, wie sie zwischen den Kirchen des Westens eigentlich immer, wenn auch in wechselnder Form, bestand, hat es mit dem Osten niemals gegeben. Vereinzelte und gelegentlich dramatische Begegnungen haben auf keiner der beiden Seiten eine große Nachwirkung in der Theologie gehabt. Andrerseits sind in der Ostkirche oft und bis in unsere Zeit hinein überaus lebendige theologische Ansätze durch äußere Umstände abgebrochen worden. Trotzdem ist es überraschend, wie intensiv und in welchem Umfang nicht erst im Zeitalter der ökumenischen Bewegung, sondern bereits im vorigen Jahrhundert das Problem der kirchlichen Einheit in der ostkirchlichen Theologie erörtert wird. Trotz der Kritik, die manche Stellungnahmen herausfordern werden und in der ökumenischen Begegnung schon herausge5

fordert haben, verdient dieser Beitrag der Ostkirche gerade in der Eigenart seiner theologischen und kirchlichen Voraussetzungen eine besondere Beachtung. D a hier nicht die Namen aller derer genannt werden können, die anregend und beratend die Durchführung dieser Untersuchung möglich gemacht haben, seien nur einige stellvertretend für viele andere mit großer Dankbarkeit erwähnt: Herr Professor D . Dr. E.Schlink D . D . , Heidelberg, hat die Arbeit als Doktorvater freundlich und fördernd bis zur Veröffentlichung in seine Obhut genommen. Dem ökumenischen R a t der Kirchen verdanke ich ein Stipendium, das mir einen einjährigen Studienaufenthalt in Paris zur Sammlung des Materials gestattete. Mit großer Herzlichkeit und Hilfsbereitschaft wurde ich dort im Institut de Thdologie Orthodoxe von dem Rektor, Bischof Dr. Kassian (Bezobrazov), und den Professoren aufgenommen. So manches Gespräch auf der friedlichen Insel der von Friedrich von Bodelschwingh erbauten und 1925 von der russischen Emigrantenkirche übernommenen Hügelkirdie half mir, in die anfangs nur sehr schwer zugängliche neuere ostkirdilidie Theologiegeschichte einzudringen. Wertvolle Hinweise verdanke idi auch dem westeuropäischen Exarchat des Moskauer Patriarchats in Paris sowie den Benediktinern von Chevetogne (Belgien). Herr Professor Dr. Dr. Ludolf Müller, Tübingen, hat mir mit zahlreichen slavistischen Ratschlägen geholfen. Die seit Abschluß des Manuskripts vor zweieinhalb Jahren inzwischen neu erschienenen Äußerungen zum Thema wurden noch nachträglich berücksichtigt. Dank einer Druckkostenbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft erscheint die Arbeit nun zu einer Zeit, in der fast die gesamte Ostkirche im ö k u menischen R a t vertreten ist. Möge sie so einen kleinen Dienst in der immer engeren Begegnung leisten. Heidelberg, am 12. Februar 1962, dem Tag der drei ökumenischen Kirchenlehrer Basilius von Cäsarea, Gregor von Nyssa, Johannes Chrysostomus R.S.

6

INHALT Vorwort Abkürzungen Anmerkung zur Transkription

5 9 9

1. Kapitel: Systematische Vorbetrachtung

11

A. Das dogmatische Problem der ökumenischen Begegnung B. Die Ostkirche im Licht der ökumenischen Fragestellung C. Aufbau der Untersuchung

11 21 28

Teil I Die Einheit der Kirche in der ostkirchlichen Theologie 2. Kapitel: Die Einheit der Kirche in der ostkirchlichen Schuldogmatik..

35

A. Übersicht B. Grundzüge der Ekklesiologie in der Schuldogmatik 1. Die Bestimmung des Begriffs „Kirche" 2. Die geschichtliche Gründung der streitenden Kirche 3. Der Auftrag der Kirche an Christi Statt C. Offene Fragen in der Ekklesiologie und das Problem der Einheit

35 39 39 41 46 51

3. Kapitel: Die Einheit der Kirche in der russischen religiösen Philosophie

57

A. Religiöse Philosophie und Schuldogmatik B. Einheit, Zertrennung und Vereinigung bei A. S. Chomjakov 1. Die Einheit der Kirche 2. Zertrennung und Vereinigung der Kirchen 3. Die Grenzen der Kirche C. Die „Universale Kirche" in der religiösen Philosophie V. S. Solovjevs . . . 1. Der ekklesiologische Ansatz bei V. S. Solovjev 2. Mystisches Wesen und geschichtliche Gestalt der Kirchen bei Solovjev . 3. Einheit, Zertrennung und Vereinigung der Kirchen bei Solovjev

57 61 63 69 74 79 82 88 93

4. Kapitel: Neue Tendenzen in der ostkirchlichen Ekklesiologie

104

A. Kritische Ansätze B. Der Begriff „sobornostj" 1. Die geschichtliche Problemstellung 2. Form und Bedeutung des Begriffs „sobornostj" 3. Die dogmatische Problemstellung

104 125 126 133 139 7

C. Die Lehre von der Kirche bei Sergij Bulgakov 1. Systematische Voraussetzungen 2. Das Wesen der Kirche 3. Die Gestalt der Kirche

149 149 157 161

T e i l II Das ökumenische Problem in der ostkirchlichen Theologie 5. Kapitel: Die Einheit der Kirche und die Einheit der Kirchen

171

A. Die ostkirchliche Ekklesiologie und die ökumenische Fragestellung B. Die alte, ungeteilte Kirchen 1. Die Einheit der Kirchc 2. Die Zertrennung der Kirchen 3. Vereinigung und Einheit der Kirchen C. Das ekklesiologische Problem der Ökumene in der Ostkirche

171 174 175 179 181 184

6. Kapitel: Die Zertrennung der Christenheit als dogmatisches Problem

190

A. Die ekklesiologischen Voraussetzungen B. Orthodoxie und Heterodoxie C. Kanonische und charismatische Grenzen der Kirche

190 210 234

7. Kapitel: Entwurf einer ökumenischen Theologie

257

A. Das Erlebnis der Einheit B. Das ökumenische Paradox C. „Einheit ohne Vereinigung"

257 264 271 Schlußteil

8. Kapitel: Ökumenische Problematik und ökumenische Begegnung . .

277

A. Die theologische Begründung der ökumenischen Arbeit B. Ekklesiologische Probleme der ökumenischen Begegnung C. Die Ablehnung einer Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung

279 282 290

9. Kapitel: Die ostkirchliche Ekklesiologie und das Problem der Ökumene 294 A. Zusammenfassung und Ergebnisse B. Die Ekklesiologie als Rahmenproblem der ökumenischen Frage C. Epilog Literaturverzeichnis Namenregister

8

294 297 301 305 315

ABKÜRZUNGEN BogVestnik

=

Bogoslovskij Vestnik Christianskoe Ctenie

ChrCt

=

CV

=

Cerkovnyj Vestnik (S. Petersburg)

DThC

=

Dictionnaire de Thiologic Catholique

EcRev

=

Ecumenical Review

jKZ

=

Internationale Kirchliche Zeitschrift

ökumRs

=

ökumenische Rundschau

PBE

=

Pravoslavnaja Bogoslovskaja Enciklopedija

SPB

=

S. Petersburg

ThLZ

=

Theologische Literaturzeitung

2MP

=

Zumal Moskovskoj Patriarchii

A N M E R K U N G ZUR T R A N S K R I P T I O N Bei der Transkription von Eigennamen und Begriffen in kyrillischer Schrift (russische und bulgarische) wurde die heute in der Slavistik übliche Umschrift verwendet. Ausnahmen sind nur in Fällen beibehalten, wo ein Eigenname entweder im Titel einer nicht-slavischen Veröffentlichung oder in Zitaten bereits in anderer Weise transkribiert wurde, bzw. wo sich eine andere Umschreibung bereits eingebürgert hat. Die griechischen Eigennamen wurden durchgehend nach dem Lautwert der heutigen Umgangssprache transkribiert. Bei der Umschrift einzelner Wörter dagegen wurde zum besseren Verständnis die erasmische Aussprache zugrunde gelegt. Fremdsprachliche Zitate sind grundsätzlich übersetzt worden, abgesehen von einigen sachlich bedingten Ausnahmen. Buchtitel in kyrillischer oder griechischer Schrift wurden im Text und in den Anmerkungen ins Deutsche übersetzt. Für den Kenner der betreffenden Sprache ist der Originaltitel im Literaturverzeichnis leicht zu verifizieren.

1. K A P I T E L

Systematische Vorbetrachtung A. D a s d o g m a t i s c h e P r o b l e m Begegnung

der

ökumenischen

Die Frage nach der Einheit der Kirche bedarf in der heutigen Zeit keiner besonderen Begründung und Rechtfertigung; denn jede Kirche, ganz gleich, ob sie Mitglied des ökumenischen Rates der Kirchen ist oder ob sie eine Teilnahme an der Organisation der ökumenischen Bewegung ablehnt, ist vor diese Frage gestellt und hat sich mit ihr auseinanderzusetzen. Ein anderes Problem ist es freilich, unter welchen Gesichtspunkten und in welcher Richtung diese Auseinandersetzung erfolgt. In der Verschiedenheit der Kirchengemeinschaften zeichnen sich hier mannigfache Wege ab, auf denen unter verschiedenen Voraussetzungen und mit oft gegensätzlichen Konzeptionen die Einheit der Kirche und die Vereinigung der Kirchen gesucht wird. Die Zertrennung der Kirchen erscheint nicht nur in der Verschiedenheit der geschichtlichen Entwicklung und phänomenologischen Eigenständigkeit, sondern auch in der Konkretisierung des Willens zur Einheit. Durch eine einleitende Vorbetrachtung müssen darum zunächst die Koordinaten bestimmt werden, an denen sich die weitere Untersuchung orientiert. Der äußere Rahmen für die Untersuchung ist die ökumenische Bewegung. Wir verstehen diese Bezeichnung in ihrem weitesten Sinne, nach dem sie sich nicht unbedingt mit der „ökumenischen Bewegung" als Organisation deckt. Sie umschließt vielmehr auch Bestrebungen innerhalb von Kirchen und Konfessionen, die sich der eigentlichen ökumenischen Bewegung nicht angeschlossen haben, ohne daß sie damit die Notwendigkeit einer Vereinigung der Christenheit ablehnen. Mit dieser Unterscheidung soll vor allem daran erinnert werden, daß die Frage nach der Einheit der Kirche nicht nur in der ökumenischen Bewegung gestellt wird. Dies gilt besonders für die Begegnung mit der römischkatholischen Kirche, aber es gilt auch, und das ist für unser Thema von Bedeutung, für die Begegnung mit der Ostkirche, die erst neuerdings in nahezu vollem Umfang an der ökumenischen Bewegung beteiligt ist. Wir untersuchen die Frage nach der Einheit der Kirche als Problem im Bereidi der dogmatischen Theologie. Dies bedeutet nicht nur eine Bestimmung der Methode, sondern vor allem eine Eingrenzung der Fragestellung auf 11

einen besonderen Ausschnitt aus der Gesamtproblematik. Damit soll der weitere Zusammenhang der ökumenischen Fragestellung keineswegs ausgegrenzt werden. Es wird lediglich berücksichtigt, daß die Einheit der Kirche als dogmatisches Problem nicht die ganze Fülle der ökumenischen Problematik und vor allem der ökumenischen Wirklichkeit zu erfassen vermag. Die theologische Reflexion ist dabei nur eine Aufgabe neben anderen. Dies führt uns zu einer weiteren Unterscheidung. Auf der einen Seite steht die Begegnung der Kirchen, die zu einer praktischen Gemeinschaft führt. In gewissem Sinne ist dies bereits der Ausdruck einer zwischen den Kirchen bestehenden Einheit, in der sie sich zusammenfinden und die sie zusammenführt. Auf der anderen Seite steht die Suche nach einer tieferen Begründung und Konkretisierung dieser Einheit, die erst durch die Überwindung der bestehenden Untersthiede und letztlich in einer sichtbaren Kirchengemeinschaft ihre Verwirklichung finden kann. Die Einheit erscheint so einerseits als eine erlebte Wirklichkeit und andrerseits als eine vor den Kirchen stehende Aufgabe. Einheit unter den zertrennten Kirchen als Wirklichkeit ist in der Geschichte der Christenheit eine Erscheinung, die früher wie heute meist zu wenig beachtet wird, weil sie sich eigentlich niemals mit den üblichen Kategorien des kirchlichen Lebens erfassen läßt und weil sie im allgemeinen eine Ausnahme von der Regel der Zertrennung bildet. Wir denken hier an Zeiten, in denen unter besonderen Umständen Glieder verschiedener und mitunter scharf voneinander getrennter Kirchengemeinschaften sich zusammenfinden in gegenseitiger Hilfe, im gemeinsamen Gebet und Hören des Wortes Gottes, ja bisweilen sogar in der Sakramentsgemeinschaft, in der die Einheit der Kirche ihren sichtbaren Ausdruck findet. Die getrennten Christen erkennen sich dabei ganz real als Glieder an dem einen Leibe Christi, als Diener des einen Herrn, und dies ohne alle relativistische Sentimentalität oder falsch verstandene Toleranz. Die kirchentrennenden Grenzen und Differenzen werden in einer unerwarteten Selbstverständlichkeit überwunden, ohne daß sie jedoch auch aufgehoben werden müßten. Bei der ökumenischen Begegnung nimmt diese Wirklichkeit einen größeren Raum ein, als es zunächst scheinen mag; und trotz der naheliegenden Gefahr eines schwärmerischen Indifferentismus und obwohl sie sich einer Systematisierung zu entziehen scheint, sollte diese erlebte Wirklichkeit auch in der theologischen Erörterung berücksichtigt werden. Es ist dabei gleichgültig, ob die Begegnung der Kirchen zur gegenseitigen Hilfe geschieht oder zur gemeinsamen Behandlung praktischer Fragen, die für mehrere Kirchengemeinschaften von gleichem Interesse sind, oder auch zum Gespräch über die zwischen den Kirchen bestehenden Unterschiede und Spannungen. Diese Begegnungen, ob sie nun auf individueller oder offizieller Ebene stattfinden, ob sie aus einer besonderen Notlage heraus entstehen oder aber aus dem Willen zur Einheit, vollziehen sich keineswegs in einem neutralen Raum, in dem die konfessio12

nellen Differenzen aufgehoben oder relativiert werden. Im Grunde bleiben die Grenzen zwischen den Kirchengemeinschaften immer bestehen, und sie werden oft gerade in dem Bemühen um ihre Überwindung besonders spürbar. Doch das Wesentliche dieser Begegnungen liegt in dem Bewußtsein einer Zusammengehörigkeit und Gemeinsamkeit über den konfessionellen Grenzen und jenseits von ihnen. Unabhängig von der konfessionellen Bestimmung der kirchlichen Einheit können wir sagen, daß in diesen Begegnungen eine Einheit über der Kirchengemeinschaft sichtbar wird: Die gegenseitige Hilfe ist nicht nur ein Zeichen allgemeiner humanitärer Solidarität oder säkularer Ethik, sondern sie ist christlich bestimmt und geschieht darum im Gehorsam gegenüber dem Liebesgebot des Herrn, in der Nachfolge Christi. Die gemeinsame Behandlung praktischer Fragen im Verhältnis der Kirchen zur Welt steht nicht nur unter dem Vorzeichen der Nützlichkeit und Zweckmäßigkeit, sondern wird im Auftrag des gemeinsamen Herrn, der audi der Herr dieser Welt ist, vollzogen. Schließlich folgt auch das gemeinsame Gespräch über die bestehenden Unterschiede und Spannungen zwischen den Kirchen aus der Tatsache der elementaren Einheit und Gemeinschaft derer, die Jünger Christi sein wollen und als Glieder an seinem Leibe gemeinsam unter dem Wort ihres Herrn stehen. Es ist von großer Bedeutung, daß die ökumenische Bewegung aus dem Bewußtsein dieser elementaren Einheit entstanden ist und daß ein großer Teil ihrer Arbeit sich heute nicht nur auf die Diskussion dogmatischer Kontroversfragen bezieht, sondern auf die Gemeinschaft der Christen und der Kirchen in der Liebe, sei es auf dem Gebiet der zwischenkirchlichen Hilfe, der Sozialarbeit, sei es auf dem Gebiet der inneren und der äußeren Mission bei der Verkündigung des Evangeliums und sei es in der gemeinsamen Stellungnahme zu internationalen Fragen. Die Unterschiede in der Lehre, in den Sakramenten und in der Leitung der Kirchen sind dabei kein Hindernis für eine praktische Gemeinschaft und für die Konkretisierung der Einheit, auch wenn das wesentliche Moment kirchlicher Einheit, die Gemeinschaft am Tisch des Herrn, in den meisten Fällen fehlen muß. Daß es fehlt, ist aber nicht unbedingt ein Zeichen für den Ausschluß der anderen; es ist audi ein Verzicht, der oft schmerzhaft sein kann, ja der schmerzhaft sein muß, wenn die elementare Einheit und Zusammengehörigkeit in der Nachfolge Christi zum Erlebnis und zur Wirklichkeit in der Zertrennung geworden ist. Ohne die Erkenntnis dieser elementaren Einheit der Jünger Christi ist eine theologisdie Auseinandersetzung mit der ökumenischen Fragestellung schlechterdings ausgeschlossen. Die Frage nach der Einheit kann nur dort gestellt werden, wo die Kirchen sich nicht feindlich oder ablehnend gegenüberstehen, sondern wo sie und ihre Glieder von dem Willen zur Einheit und von der Notwendigkeit einer Vereinigung getrieben sind. Erst hier wird die Einheit der Kirdie zur Aufgabe und die Zertrennung zum Problem. Das dogmatische Problem der Einheit der Kirche kann also nicht abstrakt theologisch ge13

stellt werden, sondern es hat die Gemeinschaft der Christen in der Liebe und in der Nachfolge, die Begegnung der getrennten Kirchen und ihr gemeinsames Suchen nach der Einheit zur Voraussetzung. Von hier aus können wir nun versuchen, die aus der ökumenischen Begegnung erwachsende theologische Aufgabe zu umreißen. Die Einheit, von der wir bisher gesprochen haben, ist zwar dogmatisch nicht bestimmbar, aber sie ist doch bestimmend für die Dogmatik. Ganz allgemein kann sie als eine Einheit ohne Kirchengemeinschaft bezeichnet werden, nach der sich die Glieder der voneinander getrennten Kirchengemeinschaften wohl als Brüder in Christo erkennen und anerkennen, ohne daß jedoch damit gleichzeitig die getrennten Kirchengemeinsdiaften sich gegenseitig als Kirchen Christi anerkennen müßten. In dieser Richtung scheint sich das aus der ökumenischen Begegnung entstehende dogmatische Problem abzuzeichnen. Ihren Ausdruck findet diese Situation in der bisherigen Basis der ökumenischen Bewegung und des ökumenischen Rates der Kirchen. Wenn sidi hier die Kirdien auf Grund ihres gemeinsamen Glaubens an „Jesus Christus als Gott und Heiland" zusammenfinden, so bildet diese Basis zwar eine Grenze gegenüber solchen Gemeinschaften, die dieses Bekenntnis nicht mitsprechen können, aber sie enthält lediglich eine sehr beschränkte Aussage über den positiven Inhalt des christlichen Glaubens. Mißt man sie an dem Maßstab eines kirchlichen Lehrkonsensus, so bleiben viele Fragen offen, und die Basis erscheint dann als eine Minimalforderung für die ökumenische Gemeinschaft. Auf die Schwierigkeiten, die sich daraus für die Dogmatik der verschiedenen Kirchen ergeben, ist oft genug hingewiesen worden. Die durchaus berechtigten Einwände weisen vor allem auf die Unvollständigkeit und Unklarheit dieser Basis. Doch ihr Ziel liegt nicht allein darin, daß sie eine möglichst weit gefaßte Minimalforderung für die ökumenische Begegnung ist, sondern auch darin, daß sie einen elementaren Teil des christlichen Glaubens umschließt. Wenn es darüber hinaus noch viele dogmatische Aussagen gibt, die hier unberücksichtigt bleiben, weil es darüber nicht von vornherein einen Konsensus zwischen den getrennten Kirchen gibt, so kann dies als ein Hinweis auf die dogmatisch-begrifflich nodi völlig unprofilierte ökumenische Gemeinschaft und die in ihr praktizierte Einheit verstanden werden. Der elementaren Einheit in Christus entspricht hier das elementare Bekenntnis zu Christus. Hinter der formalen Unvollständigkeit steht eine zentrale Wirklichkeit; beides bildet den Ausgangspunkt und die Grundlage für die theologische Aufgabe und die dogmatische Reflexion in der ökumenischen Begegnung. In diesem Zusammenhang gewinnt die Erweiterung der Basis des ökumenischen Rates eine besondere Bedeutung. Die ökumenische Gemeinschaft stellt nun die Theologie der einzelnen Kirchen vor die Frage, wie sich die elementare Einheit der erlebten ökumenischen Gemeinschaft zu der dogmatisch definierten Einheit innerhalb der einzelnen Kirchengemeinschaften, wie sich die Einheit ohne Kirchengemeinschaft zu der 14

Einheit in der Kirchengemeinsdiaft verhält. Diese Frage kann schon nicht mehr generell beantwortet werden, sondern jede Kirche ist mit ihrer Theologie vor sie ganz für sich gestellt. Die Antwort muß also primär konfessionell bestimmt sein. Das heißt, es kann hier keine Theologie der Ökumene geben, sondern nur eine ökumenische Theologie der einzelnen Kirchen. Einige Grundzüge dieser Auseinandersetzung mit der ökumenischen Begegnung sollen hier skizziert werden. Sie wird sich notwendig auf drei Begriffe konzentrieren, nämlich auf Einheit, Zertrennung und Vereinigung der Kirchen. Zur Klärung dieser drei Begriffe muß nun in der dogmatischen Auseinandersetzung gesagt werden, was Einheit der Kirche ist und wie sie dogmatisch begründet wird, wie die Zertrennung der Kirchen nach ihren Ursachen und Folgen zu beurteilen ist und in welcher Form und unter welchen Bedingungen eine Vereinigung der Kirchen erfolgen soll und kann. Diese Fragestellung gehört im Bereich der Dogmatik in die Ekklesiologie, in der wir den Ort für die dogmatische Behandlung der ökumenischen Problematik sehen. Bis heute ist noch keine einheitliche Auffassung von dem Ziel der ökumenischen Bewegung zu erkennen, und der ökumenische Rat der Kirchen hat sich aus guten Gründen in seiner Toronto-Erklärung von 19501 grundsätzlich von der Bindung an einen bestimmten Kirchenbegriff und ein bestimmtes Verständnis kirchlicher Einheit distanziert. Wie man nicht von einem theologischen Programm der ökumenischen Bewegung sprechen kann, so kann man auch nicht von einer Ekklesiologie des ökumenischen Rates sprechen, wenn auch manche Aussagen bisweilen den Anschein einer ekklesiologischen Grundkonzeption hervorrufen mögen. Dodi solche Ansätze dürfen lediglich als Meinungen einzelner Theologen oder bestimmter theologischer und konfessioneller Richtungen gewertet werden, die in der ökumenischen Bewegung mehr oder minder großen Einfluß gewonnen haben. Eine nähere Überprüfung der vorgetragenen ekklesiologischen Aussagen wird audi sehr bald zeigen, daß dahinter ganz unterschiedliche und meistens nur wenig ausgeformte Vorstellungen vom Wesen und von der Gestalt der Kirche stehen2. Es besteht so durchaus die Möglichkeit, daß zum ökumenischen Rat Kirchen gehören, „die glauben, daß die Kirche wesensmäßig unsichtbar ist, aber ebensogut auch solche, die der Meinung sind, daß sichtbare Einheit lebensnotwendig ist" 3 . Selbst wenn nach der TorontoErklärung die Gliedkirchen des ökumenischen Rates darin übereinstimmen, daß die mystische Einheit der Kirche umfassender ist als ihre sichtbare Einheit 4 und daß die Kirchen in den von ihnen getrennten Kirchen „vestigia ecclesiae" oder „Elemente der wahren Kirche" 5 anerkennen, so ist darin zwar eine bestimmte ekklesiologische Grundkonzeption angedeutet. Grundsätzlich aber bleibt die 1

Die Kirche, die Kirchen und der ökumenische Rat der Kirchen. Vgl. G. T h i l s , Histoire doctrinale du Mouvement CEcun^nique, Louvain 1955, S. 125ff. 8 Toronto-Erklärung III, 5. 1 5 A.a.O. IV, 3. A.a.O. IV, 3 und 5. 2

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Möglichkeit offen, daß eine Kirche die anderen christlichen Gemeinschaften nicht „als Kirchen im wahren und vollen Sinne des Wortes ansehen muß" e . Die einzige ekklesiologische Voraussetzung des ökumenischen Rates ist eine negative, nämlich daß die Lehre von der Kirche ein offenes Problem ist, über das ein Gespräch zwischen den verschiedenen Kirchen geführt werden muß. Aber dieses Gespräch über die Lehre von der Kirche hat bis heute in der ökumenischen Bewegung wie auch im ökumenischen Rat der Kirchen noch kaum begonnen, wie überhaupt die dogmatische Fragestellung noch stark von der historischen und konfessionskundlichen verdeckt wird 7 . So kann man nur feststellen, daß nicht nur im ökumenischen Rat, sondern auch in den einzelnen Kirchen die dogmatische Aporie geradezu ein Prinzip der ökumenischen Arbeit ist. In der Begegnung mit der Ostkirche, des weiteren aber auch im Gespräch mit der römisch-katholischen Kirche macht sich dies als eine besondere Schwierigkeit bemerkbar. Rein äußerlich liegt diese Schwierigkeit darin, daß sowohl in der ostkirchlichen Theologie wie audi in der römisch-katholischen die Vorstellungen von Einheit, Zertrennung und Vereinigung relativ scharf ausgeformt sind. Die Einheit der Kirche hat hier ihr sichtbares Kriterium in der Kirchengemeinschaft mit ihrer kanonisch-sakramentalen und autoritativen Sukzession des geistlichen Amtes und der kirchlichen Tradition in Lehre und Ordnung. Zertrennung kann daher prinzipiell nur als Abfall von der Einheit und Vereinigung nur als Rückkehr zu der Einheit verstanden werden. Eine Einheit ohne Kirchengemeinschaft ist nach diesen Voraussetzungen undenkbar, sofern nicht gerade in diesem Punkt die aus der ökumenischen Begegnung erwachsende dogmatische Aporie einsetzt. Im Unterschied dazu ist die Ekklesiologie der meisten reformatorischen Kirchen gerade nicht von dieser Übereinstimmung von charismatischer und historischer Kontinuität bestimmt. D. h. es wird durchaus mit der Möglichkeit gerechnet, daß die Einheit der Kirche nicht unbedingt mit der Einheit in einer Kirchengemeinschaft übereinstimmt. Darum braucht auch die Zertrennung der Kirchen nicht notwendig alsein Abfall von der Kirche verstanden zu werden, sondern sie kann erklärt werden als eine Erscheinung im Bereich der menschlich-geschichtlichen Ordnungen, als eine Folge menschlicher Unzulänglichkeit und Sündhaftigkeit oder auch als ein Abfall vieler oder gar aller Kirchen von der wahren Kirche Jesu Christi. Einheit der Kirche kann trotz der sichtbaren Zertrennung, ja sogar trotz des Fehlens der Sakramentsgemeinschaft bestehen. Für die Vereinigung der Kirchen ergeben sich daraus verschiedene Möglichkeiten. Man spricht so von der Verwirklichung der wesentlichen Einheit in • A.a.O. IV, 4. Bezeichnend dafür ist, daß das bisher einzige größere Werk zur dogmatischen Problematik der ökumenischen Bewegung, L'histoire doctrinale du Mouvement CEcuminique, von einem röm.-kath. Autor stammt. Neue Ansätze in dieser Richtung werden in EcRev 1960, Nr. 3, vorgetragen. 7

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der Geschichte, von ihrer Vollendung in der Heilsgeschichte, von der Erneuerung der Kirche durch Umkehr und Buße der — geschichtlichen — Kirchen, ohne daß jedoch damit eine konkrete Vorstellung von der sichtbaren Einheit der Kirchen als Ziel der Vereinigung verbunden ist. Sowohl die in der Reformation herausgestellte Lehre von den „vestigia ecclesiae" 8 wie auch die aus der Oxford-Bewegung in der anglikanischen Kirche während des vorigen Jahrhunderts hervorgegangene „Zweigtheorie" sind nur von den impliziten Voraussetzungen der reformatorischen Ekklesiologie her verständlich. Es mag naheliegen, und an Beispielen dafür fehlt es nicht, daß diese ekklesiologischen Voraussetzungen zu einer grundsätzlichen Differenzierung zwischen einem christologisch-mystischen und einem empirisch-historischen Verständnis der kirchlichen Einheit führen und damit audi zu einem ekklesiologischen Doketismus oder Indifierentismus. Die Abgrenzung der reformatorischen Theologie gegenüber dem Sdiwärmertum und dem Liberalismus stellt ihre Ekklesiologie angesichts der ökumenischen Begegnung vor die Aufgabe einer dogmatischen Bestimmung der Kirchengemeinschaft. Wir haben in dieser nur einer vorläufigen Orientierung dienenden Skizze zwei verschiedene Grundkonzeptionen angedeutet, von denen aus die Frage nach Einheit, Zertrennung und Vereinigung beantwortet wird. Gewöhnlich bezeichnet man die Kirchen, von denen die erste Konzeption vertreten wird, als „katholische" und „institutionelle" oder audi als Kirchen der Tradition und der historischen Kontinuität. Die anderen Kirchen f a ß t man dagegen unter der Bezeichnung „evangelische" oder auch „traditionslose" zusammen. Sicher werden in dieser BegrifElichkeit Kennzeichen hervorgehoben, die jeweils typisch sind und die sich nicht nur auf die kirchliche Struktur beschränken. Denn ähnliche typische Unterscheidungen ließen sich auch bei den Fragen von Schrift und Tradition, Rechtfertigung und Heiligung und bei der Lehre vom geistlichen Amt u. a. vornehmen. Dabei werden jedoch auch mit Recht Vorbehalte gemacht, da diese Gegenüberstellungen schon formal nicht erschöpfend und zutreffend sind, aber man greift doch immer wieder auf sie als nützlich erscheinende Hilfskonstruktionen zurück 9 . Wir werden in unserer Untersuchung grundsätzlich auf diese Unterscheidungen verzichten, da sie trotz ihrer praktischen Nützlichkeit dogmatisch nicht haltbar sind. Der Hauptfehler liegt darin, daß bestimmte Formen oder auch Aspekte der Ekklesiologie (bzw. anderer Lehrstücke) verallgemeinert und f ü r eine Typisierung nach konfessionellen Gesichtspunkten herangezogen werden. 8 Der Begriff „vestigia ecclesiae" findet sich z.B. bei Calvin, Institutio IV/2, 11 und 12, die Sache aber auch bei Luther z.B. WA 42, 299f. Er wird in der ökumenischen Literatur sehr oft verwendet, ist aber noch nicht untersucht worden. Einige Hinweise bei T h i l s , a.a.O. S. 142ff. ' Vgl. dazu den Bericht der I. Sektion von der ersten Vollversammlung des ökumenischen Rates in Amsterdam, Die Kirchen in Gottes Heilsplan, Bd. V, Stuttgart 1948, S. 62ff.

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Die Folge davon ist, daß die anschließende Beurteilung der ökumenischen Problematik nicht mehr als dogmatische Aussage gewertet wird, sondern als konfessionelle Eigenart der jeweiligen Kirche. Unterscheidungen dieser Art gehören allenfalls in eine nach phänomenologischen Gesichtspunkten urteilende Konfessionskunde, nicht aber in die Dogmatik. Allein aus der oben erwähnten Gegenüberstellung der beiden ekklesiologischen Grundkonzeptionen wird schon ersichtlich, daß es sich dabei nicht um exklusive Antithesen handeln kann, sondern höchstens um gewisse Akzentunterschiede bei einzelnen Momenten der Ekklesiologie. Weder kann sich ein vorwiegend institutionalistisches Verständnis der Kirche vor den neutestamentlichen Aussagen über die Einheit in Christus verschließen, noch kann ein vorwiegend mystisches Verständnis der Einheit die neutestamentlichen Aussagen über die empirische Ordnung der Kirche übergehen. Es ist nicht zu übersehen, daß in der ökumenischen Begegnung in bestimmten Punkten konfessionelle Fronten entstehen, an denen ein weiteres Gespräch — mindestens vorläufig — scheitert. Doch die theologische Arbeit hört damit nicht an diesen Stellen auf, sondern hier fängt sie überhaupt erst an, und zwar in der Neubesinnung auf das, was bislang eine unreflektierte Selbstverständlichkeit kirchlicher Praxis und Lehre gewesen sein mag. Nicht durch eine äußerliche Beseitigung dogmatischer Differenzen oder durch Kompromisse aus falsch verstandener Liebe führt die Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik weiter, sondern durch eine innerkirchliche theologische Vertiefung, die von der ökumenischen Begegnung mit immer neuen Fragen ausgelöst wird. Die Notwendigkeit einer Neubesinnung und Vertiefung liegt bei der Ekklesiologie besonders nahe. Denn es ist eine allgemein anerkannte Tatsache, daß die Lehre von der Kirche bisher noch von keiner Kirchengemeinschaft mit hinreichender Klarheit entwickelt worden ist. Wenn wir also die ökumenische Problematik in den Bereich der Ekklesiologie verweisen, so geschieht dies auch deshalb, weil gerade bei der ökumenischen Begegnung die Unvollständigkeit der konfessionellen Kirchenbegriffe hervortritt. Wahrscheinlich kann die Lehre von der Kirche in ihren letzten Konsequenzen überhaupt nur im Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung behandelt werden. Die innerkirchliche und von der Frage nach Einheit, Zertrennung und Vereinigung ausgehende theologische Vertiefung des Kirchenbegriffs ist nun primär nicht auf die evidenten Unterschiede im Verständnis von Wesen und Gestalt der Kirche gerichtet. An erster Stelle müßte vielmehr auf Grund der bisher entwickelten Voraussetzungen nadi dem ekklesiologischen Status der außerhalb der eigenen Kirchengemeinschaft stehenden Christen und ihrer Kirchen gefragt werden. Hier gilt es, die Grenzen der Gliedschaft in der Kirche Jesu Christi und deren Verhältnis zu den Grenzen der jeweiligen Kirchengemeinsdiaft zu bestimmen. Allgemein geht es also um die Grenzen der Kirche. Am deutlichsten sichtbar wird diese Frage, wenn man die kirchliche Praxis bei der Abgrenzung der Sakramentsgemeinschaft dogmatisch zu erfassen 18

sucht — ein Problem, vor dem nicht nur die „institutionalistischen" Kirchen, sondern in gleicher Weise auch die reformatorischen Kirchen stehen. In der Praxis aller Kirchengemeinschaften steht man vor der Aufgabe, über die Gültigkeit der „extra ecclesiam" vollzogenen Sakramente und die Bedingungen für eine Aufnahme in die Sakramentsgemeinschaft zu entscheiden. Dabei werden stets implizite dogmatische Aussagen über die Grenzen der Kirche gemacht, und zwar sowohl nach einem bestimmten Verständnis eines Lehrkonsensus wie auch auf Grund von kirchenrechtlichen Voraussetzungen. In den reformatorischen Kirchen und ihrer Theologie ist dieser Problemkreis nodi nicht grundsätzlich erörtert worden. In den sogenannten Traditionskirchen dagegen liegt gerade hier der Ansatzpunkt für die ekklesiologische Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik. In der römisdi-katholischen Kirche ζ. B. wird seit nahezu dreißig Jahren und besonders seit der Enzyklika „Mystici Corporis" (1943) über die Gliedschaft von Dissidenten in der Kirche bzw. die Frage, ob die Gemeinschaft in Christus umfassender ist als die empirische Gliedschaft in der Kirchengemeinschaft, ein ausführliches theologisches Gespräch geführt 10 . Gleichzeitig damit tritt das Verständnis der Kirche als des mystischen Leibes Christi in den Vordergrund. In ähnliche Richtung weist auch die ökumenische Arbeit innerhalb der ostkirchlichen Theologie. Die Frage nach den Grenzen der Kirche muß nun von der ökumenischen Theologie der einzelnen Kirchen in einer zweifachen Perspektive gestellt und beantwortet werden. Einerseits knüpft sie an die konfessionellen ekklesiologischen Voraussetzungen in der Dogmatik und in der kirchlichen Praxis an und fordert eine Besinnung auf die offenen Fragen, die in der ökumenischen Begegnung hervortreten. Andrerseits führt diese innerkirchliche Diskussion zu einem theologischen Gespräch um die Einheit der Kirche zwischen den getrennten Kirchen. Die ökumenische Theologie erscheint so in den einzelnen Kirchen als eine Fortführung der Ekklesiologie und als eine Neubesinnung auf das Wesen und die Gestalt der Kirche. Um nun diese Fragestellung aus dem Bereich der konfessionellen Phänomenologie in den Bereich der dogmatischen Arbeit zu überführen, greifen wir zu einer Begriffsunterscheidung, an der sich die theologische Problematik orientieren kann und durch die die offenen ekklesiologischen Fragen und ihre theologische Bearbeitung systematisch erfaßt werden können. Wir unterscheiden das Kirchenbewußtsein vom Kirchenbegriff. Das Kirchenbewußtsein verstehen wir als eine existentielle Verbundenheit mit der Kirche, als das kirchliche Selbstverständnis der einzelnen Kirchengemeinschaften und ihrer Glieder. Es ist die Realität und Faktizität der Kirche 10

Zum Ursprung der Terminologie vgl. M. J . C o n g a r , OP, Chritiens ddsunis, Principes d'un 'oEcumdnisme' catholique, Paris 1937, S. 281 ff. Einen zusammenfassenden Überblick über den augenblicklichen Stand des Gesprächs und ein Verzeichnis der neueren Literatur bietet G. V o d o p i v e c , Membri 'in re' ed appartenenza 'in voto' alia Chiesa di Cristo, in: Euntes Docete X, 1957, S. 65—104. 19

in der eigenen Kirdiengemeinsdiaft. Jede Kirchengemeinschaft hat dieses Kirdienbewußtsein, und es äußert sich in allen Bereichen des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Praxis. Es ist die Gewißheit, im Glauben und Bekennen und im Hören des Wortes in der Kirche Jesu Christi zu sein, ohne daß dabei über die mögliche äußere Bedingtheit der spezifischen Gestalt der Kirchlichkeit reflektiert wird. Im weiteren Bereich des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Praxis erscheint das Kirdienbewußtsein in der Verkündigung, in der Liturgie und in der Ordnung. Charakteristisch für das Kirdienbewußtsein ist jedoch nicht eine bestimmte Form oder ein bestimmter Bereich des kirdilichen Lebens und Handelns, sondern die Intention, in der all dies geschieht. Es ist die Gewißheit und der Anspruch, in der Kirche Jesu Christi zu leben, an ihrer Fülle teilzuhaben und den Auftrag des Herrn in ständigem Gehorsam zu vollziehen. Für einen Außenstehenden ist das Kirdienbewußtsein einer anderen Kirdiengemeinsdiaft und ihrer Glieder nicht ohne weiteres einsichtig; man kann es wohl in manchen Formen des kirchlichen Lebens erkennen und auch anerkennen, aber solange die Grenzen zwischen den Kirchen bestehen, wird es auch unmöglich bleiben, das Kirdienbewußtsein einer anderen Kirchengemeinsdiaft existentiell nachzuvollziehen. Das Sein in der Kirdie ist immer nur in der eigenen Kirdiengemeinsdiaft möglich, und darum können die Aussagen des Kirdienbewußtseins im Grunde audi nur in der ersten Person gemadit werden. Eine Objektivierung des Kirdienbewußtseins bedeutet zugleich eine Verkürzung wesentlicher und oft unfaßbarer Elemente. Im Kirdienbewußtsein können durchaus die Grundzüge eines Kirchenbegriffs vorgebildet sein, und es gibt auch viele Kirchengemeinschaften aller Richtungen, die ein sehr profiliertes Kirdienbewußtsein haben, ohne jedoch jemals vor der Notwendigkeit oder Möglichkeit gestanden zu haben, einen KirdienbegrifF zu entwickeln. Der Kirchenbegriff ist nun dadurch bestimmt, daß die Kirche zum theologischen Problem und zum Gegenstand der dogmatischen Reflexion wird. Dieser Vorgang ist keineswegs selbstverständlich, sondern ähnlich wie bei den anderen Lehrstücken sind es äußere und innere Umstände, die zu einer dogmatischen Reflexion und damit auch zu einer kritischen Uberprüfung und Systematisierung des Kirdienbewußtseins führen. Auf dem Hintergrund einer inhaltlichen Ubereinstimmung, die sich aus dem gemeinsamen Gegenstand ergibt, bestehen zwischen dem Kirdienbewußtsein und dem Kirchenbegriff im wesentlichen strukturelle Unterschiede, wie sie allgemein in dem Nebeneinander von Verkündigung und Lehre vorliegen11. Die Einführung dieser hier nur vorläufig geklärten Begriffe, auf die wir in der weiteren Untersuchung immer wieder zurückkommen werden, hat vor allem zwei Gründe: Einmal soll durch sie die Gefahr der traditionellen phäno11 E. S c h l i n k , Die Struktur der dogmatischen Aussage als ökumenisches Problem, in: Der kommende Christus und die kirchlichen Traditionen, Göttingen 1961, S 24—79.

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monologischen und konfessionskundlidien Methode ausgeschlossen werden, das Kirchenbewußtsein zu objektivieren und damit die andere Kirchengemeinschaft in ihrem Sein als Kirche nicht ernst zu nehmen. Zum andern soll mit dieser Begriffsunterscheidung gleich am Anfang dieser Untersuchung mit aller Klarheit festgestellt werden, daß das kirchliche Selbstverständnis einer Kirchengemeinschaft niemals der Gegenstand einer theologischen Auseinandersetzung oder Kritik sein kann. Das Kirchenbewußtsein ist nur innerhalb der eigenen Kirchengemeinschaft diskutabel, niemals aber in der ökumenischen Begegnung. Die dogmatische Erörterung der ökumenischen Fragestellung im Bereich der Ekklesiologie verweist uns damit eindeutig an die theologische Reflexion und mithin an den Kirchenbegriff. Das Kirchenbewußtsein der einzelnen Kirchengemeinschaften und ihrer Glieder findet seine unmittelbare Entsprechung in der Wirklichkeit der ökumenischen Gemeinschaft. Denn diese Wirklichkeit ist im Grunde eine Kommunikation des Kirchenbewußtseins, die dogmatisch noch unreflektiert ist. Die theologische Arbeit am Kirchenbegriff umfaßt in diesem Zusammenhang gleichzeitig die Rechenschaft über das eigene Kirchenbewußtsein wie auch die Auseinandersetzung mit der ökumenischen Aufgabe. In diesem Rahmen werden wir das dogmatische Problem der ökumenischen Begegnung, wie es sich in der neueren ostkirchlichen Theologie darstellt, behandeln.

B. D i e O s t k i r c h e i m L i c h t d e r Fragestellung

ökumenischen

Die dogmatische Fragestellung, wie wir sie im vorigen Abschnitt zur ökumenischen Begegnung entfaltet haben, ist nun auf die Ostkirche und speziell auf ihre Theologie anzuwenden. Doch diese Beschäftigung mit der Ostkirche unterscheidet sich nach ihrer Methode und Intention von der bisher üblichen und auch jetzt noch weit verbreiteten Betrachtungsweise, und es wäre daher hier eine ausführliche und kritische Auseinandersetzung mit der neueren Ostkirchenforschung angebracht. D a dies aber den Rahmen unserer Untersuchung bei weitem überschreiten würde, müssen wir uns darauf beschränken, in gebotener Kürze zu zeigen, worin sich die Methodik dieser Arbeit von früheren Untersuchungen unterscheidet und wo sie an sie anknüpft. Wir stehen, zumal in der deutschen evangelischen Theologie, seit dem Beginn dieses Jahrhunderts etwa, vor einem tiefgreifenden Wandel im Verständnis der Ostkirche 12 . Die Änderungen, die sich bisher im Bild von der Ostkirche vollzogen haben und die sich auch heute noch vollziehen, sind durch zwei n Einen umfassenden dokumentarischen Überblick über die protestantische Ostkirchenforschung bietet E. B e n z , Die Ostkirche im Lichte der protestantischen Geschichtsschreibung von der Reformation bis zur Gegenwart, München 1952. Vgl. auch E. S c h l i n k , Wandlungen im protestantischen Verständnis der Ostkirche, in: Der kommende Christus . . . , S. 221—231.

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Faktoren bedingt: Durch die engeren Kontakte, die aus der Emigration von Christen des Ostens in den Westen und aus den Begegnungen in der ökumenischen Bewegung entstanden sind, sowie durch die neuere Entwicklung innerhalb der protestantischen Theologie. Damit wurden sowohl die Möglichkeiten wie auch die Voraussetzungen für eine wesentliche Vertiefung des protestantischen Verständnisses der Ostkirche geschaffen. Ganz äußerlich zeigt sich dieser Wandel schon darin, daß man heute die abwertenden Urteile liberaler Theologen weit von sich weist und daß an deren Stelle gelegentlich sogar eine ausgesprochene Schwärmerei für den christlichen Osten und seine Wesensart getreten ist. Aber trotz aller Fortschritte in der Begegnung und in der Betrachtung stehen wir noch immer ganz am Anfang. Im wesentlichen ist die Beschäftigung mit der Ostkirche früher wie auch heute noch von dem Interesse bestimmt, die Ostkirche in ihrer Gesamtheit und in der Eigenartigkeit ihrer Erscheinung dem Westen nahezubringen. Von einer kritischen Auswahl der Quellen zum Studium der Ostkirche kann noch kaum die Rede sein; denn es wird eigentlich unterschiedslos alles herangezogen, was in irgendeiner Weise geeignet erscheint, das Dunkel aufzuhellen und jene fremde und ferne Kirche aus der „Nebelregion" (Karl Barth), in der sie sich für den Westen lange Jahrhunderte befand, herauszuholen. Auf verschiedenen Wegen versucht man, sich ihr zu nähern: in der Liturgik, in der Ikonographie, in der Patristik, durch Reiseberichte, durch die Übersetzung von Werken aus der östlichen Theologie, Literatur und Philosophie, durch geschichtliche Untersuchungen u. a. m. Es entsteht dadurch ein ausgesprochen vielfarbiges und sehr schillerndes Bild von der Ostkirche, in dem oft durch eine gewisse Einseitigkeit die Perspektiven verzerrt sind. Die wissenschaftlichen Disziplinen, in denen man sich ihr nähert, die Eindrücke, die man bei Begegnungen gewonnen hat, und das Material, das gerade zugänglich war, sind mehr vom Zufall als von einem System bestimmt, oder aber man versucht umgekehrt das Zufällige in ein vorgefaßtes System einzuordnen. Diese Feststellung ist keine Kritik; denn wer weiß, wie schwer auch noch heute das grundlegende Material über die Ostkirche zugänglich ist, der wird die positiven Verdienste jener Forscher um so mehr würdigen und sich ihrer Erkenntnisse dankbar bedienen. Wenn wir uns daher hier von einigen Voraussetzungen distanzieren, so geschieht dies deshalb, weil wir einerseits von einer anderen Fragestellung ausgehen, und weil wir vielleicht, auch dank der früheren Vorarbeiten, mehr Material zur Verfügung hatten, nach dem manches in einem anderen Lichte erscheint. Die Auseinandersetzung darf also keinesfalls als Abwertung verstanden werden, sondern nur als ein Versuch zur Orientierung, zum Fortschreiten auf einem angefangenen Wege. Für die bisherige Begegnung mit der Ostkirche, wie sie sich in vereinzelten monographischen Untersuchungen und dann vor allem in den Lehrbüchern der Symbolik und Konfessionskunde abzeichnet, sind vor allem zwei Gesichtspunkte maßgebend: 22

1. Die Ostkirche wird nicht als Kirche im eigentlichen Sinne verstanden, sondern als ein Produkt des Ostens, des christlichen Ostens. Die Betrachtung stützt sich also nicht auf ein theologisches Prinzip, sondern auf ein geographisches, nationales, rassisches und kulturelles. Die Methode ist weitgehend bestimmt von der Religionswissenschaft, sei es in der Form der Religionsgeschichte, der Religionsphänomenologie oder auch der Religionspsychologie. Man versucht, die Wesenselemente und geschichtsbildenden Faktoren des östlichen Geisteslebens und der östlichen Religiosität an Hand der zufälligen Quellen zu ermitteln und in ein System einzuordnen. Diese Betrachtungsweise ist belastet von zahlreichen Vorurteilen, die sich aus einer durch das Fehlen von ausreichenden Quellen bedingten oberflächlichen Anschauung ergeben. Es kommt dabei zu meist unqualifizierbaren Aussagen über den „östlichen Menschen" und das „östliche Denken". Solche nahezu apodiktischen Aussagen gehören schon mit zu dem festen Bestand der Ostkirdienforsdiung und werden oft völlig unreflektiert übernommen und weitergegeben. Es werden Vergleiche zwischen „dem Osten" und „dem Westen" gezogen, in denen die Unterschiedenheit und die Eigentümlichkeit beider phänomenologisch erfaßt werden soll. Man denke nur an die „östliche Intuition" im Gegensatz zum „westlichen Juridismus" oder „Rationalismus" oder an die östliche ,Mystik" im Gegensatz zur westlichen „Begrifflichkeit" etc. Diese und ähnliche Behauptungen erweisen sich bei näherer Betrachtung als Verallgemeinerungen, die unhaltbar sind, weil sie einseitig das Trennende, nicht aber das Geneinsame und vor allem nicht die gegenseitigen Einflüsse berücksichtigen. Kulturhistorisch mögen sie ihre relative Berechtigung haben und auch ganz nützlich sein; für die Theologie dagegen sind sie völlig unzureichend, ja geradezu irreführend, wenn sie dazu dienen sollen, die kirchliche Zertrennung von nicht-theologischen Faktoren her zu erklären. Es ist zwar richtig, daß ähnliche Argumente auch von östlichen Theologen und Philosophen verwendet werden, doch — und darauf werden wir später wieder zurückkommen — sind diese phänomenologischen Unterscheidungen zwischen Osten und Westen meistens ekklesiologisch qualifiziert. D. h. der Unterschied des Westens zum Osten ist ein Symptom für den Abfall des Westens von der Einen Kirche. Es handelt sich also dann um eine implizite ekklesiologisdie Voraussetzung in der Form einer religionsphänomenologischen Aussage. Vom Standpunkt der religionswissenschaftlichen Analyse aus kann jedoch die Kirchentrennung niemals als solche erkannt werden; denn die Unterschiede werden hier mit verschiedenen Kategorien objektiviert und damit von der kirchlichen und theologischen Ebene auf die historische, phänomenologische verlagert. So tritt auch der Begriff der Kirche notwendig hinter dem Phänomen des Ostens zurück. 2. Der zweite Gesichtspunkt für die Beschäftigung mit der Ostkirche liegt auf einem ähnlichen Gebiet und bildet bis heute die Grundlage für den Aufbau 23

der Lehrbücher f ü r Konfessionskunde. Es handelt sich dabei um die genetischhistorische Betrachtungsweise. Die Methode für die Beurteilung der Kirchen ist hier der geschichtliche Entwicklungsgedanke, nach dem die verschiedenen Kirchengemeinschaften möglichst objektiv dargestellt werden sollen. Doch auch in dieser Methode liegt eine implizite ekklesiologische Voraussetzung. Bei F. K a t t e n b u s c h wird sie sehr charakteristisch folgendermaßen formuliert: „ ,Die Kirche' ist keine empirische Größe, aber sie ist eine geschichtlich erkennbare, bezeichenbare ideale Größe. Wir können wissen, was ,die Kirche' ist, und wir können danach ,Die Kirche»' w ä g e n . . . Die älteste Kirche hat den Vortritt, die jüngste den Reigen zu beschließen. In der geschichtlichen Betrachtung eines zusammenhängenden Prozesses — und die Kirchengeschichte ist als Geschichte ,der' Kirche ein zusammenhängendes Ganzes von Evolutionen — ist es kein Ungedanke, sondern die zum voraus wahrscheinlichste Betrachtung, daß die jüngste Bewegung, die sich durchzusetzen gewußt, die reifste Frucht ist." 13 Das Problem der Kirchentrennung wird auch hier scheinbar zugunsten einer größeren Objektivität eliminiert; die Kirche ist „ideale" Größe, und die Kirchengeschichte im allgemeinen wie auch die Geschichte der einzelnen Konfessionen ist dann die historische Konkretisierung der Kirche in den Kirchen. Spricht man so von der Ostkirche als von der alten oder der ältesten Kirche, so handelt es sich zunächst um eine Aussage über ihre Entstehungszeit. Als implizite theologische und ekklesiologische Qualifikation bedeutet jedoch „alt" hier auch immer „veraltet" und „überholt", und nicht zufällig ist gerade die eigene Kirche auch die „neuste" und „jüngste". Der Begriff der Kirche wird hier von der theologischen Ebene auf die historische übertragen, und die theologisch-dogmatische Beurteilung der Kirchlichkeit erscheint damit in der Form einer genetisch bestimmten Wertskala 14 . Hier kann wiederum festgestellt werden, daß auf der anderen Seite auch die Ostkirche sich selbst als die „alte" Kirche bezeichnet, und in ähnlicher Weise erscheint so eine ekklesiologische Voraussetzung in der Form einer historischen Aussage. Denn „alt" bedeutet in diesem Fall einen Hinweis auf die historische Kontinuität und auf die Priorität gegenüber den abgefallenen Kirchengemeinsdiaften 15 . In der neueren protestantischen Literatur enthält die Bezeichnung der Ostkirche als „alte" Kirche im allgemeinen kein Werturteil mehr; dafür aber 18

F. K a t t e n b u s c h , Lehrbuch der vergleichenden Confessionskunde, Bd. I, Freiburg 1892, S. 23. Man findet diesen Ansatz in sämtlichen konfessionskundlichen Lehrbüchern mehr oder minder ausgeprägt. Dasselbe Prinzip zeigt sich auch schon in der „Glaubenslehre" Schleiermachers, §23. 14 So kann hinter dem Bemühen um eine wissenschaftliche Objektivität in der Konfessionskunde auch eine gewisse Indifferenz gegenüber dem offenen Problem der Ekldesiologie stehen. Im Zusammenhang mit der ökumenischen Bewegung müßte ein ganz neuer Typ der Konfessionskunde entwickelt werden. Andererseits ist es bezeichnend, daß die römisch-katholische Konfessionskunde, wie z.B. das Werk von A l g e r m i s s e n , Celle 1957, ganz an der Ekklesiologie orientiert ist. 16 Siehe u. S. 174ff. 24

kommt es zu einem anderen methodischen Ansatz, der nicht weniger problematisch ist. Es ist der Versuch, die Ostkirche von der alten Kirche her zu verstehen, d. h. von der Theologie der griechischen Väter. Der Ausgangspunkt dafür sind Selbstaussagen der gegenwärtigen Ostkirche über ihre Kontinuität und Identität mit der Lehre der alten Kirche. Doch diese Selbstaussagen sind, wie wir schon andeuteten, ekklesiologische Formulierungen. Daß die gegenwärtige ostkirchliche Theologie tatsächlich von der Patristik her zu verstehen ist und sich nur auf sie gründet, ist zumindest fraglich. Die „neopatristische Synthese", die von einigen neueren ostkirchlichen Theologen angestrebt wird (ζ. B. G. F 1 ο r ο ν s k i j , V i . L o s s k i j , A . A l i v i s a t o s ) , ist vielmehr ein Versuch, die ostkirchliche Theologie durch ein intensiveres Studium der Kirchenväter zu erneuern und von westlichen Einflüssen zu reinigen. Die faktische Übereinstimmung der neueren mit der altkirchlichen Theologie ist also auch für manche ostkirchliche Theologen problematisch. Dogmengeschichtlich jedoch sind die griechischen Väter ebenso die Grundlage der östlichen wie auch der westlichen Theologie. Eine Interpretation der östlichen Theologie von den griechischen Vätern her ist daher nur dann zu vertreten, wenn man dabei nicht die gegenwärtige Theologie, wie es meistens aus technischen Schwierigkeiten geschieht, eliminiert. Wir stellen somit zusammenfassend fest, daß auf den beiden skizzierten Wegen eine eigentlich theologische Beschäftigung mit der Ostkirche — und das gilt auch für die Beschäftigung mit jeder anderen Kirche — aus sachlichen und methodischen Gründen nicht erreicht werden kann. Die ekklesiologische Problematik wird entweder überhaupt eliminiert oder aber sie wird auf ein anderes Gebiet verdrängt, wo sie die Form von impliziten ekklesiologischen Voraussetzungen annimmt. Die Ostkirche wird so auch nicht in angemessener Weise als Kirche gesehen, d. h. ihr Kirchenbewußtsein wird nicht ernst genommen. Schließlich kann die ökumenische Fragestellung von hier aus nicht mehr in den Blick einer theologischen Analyse kommen. In der gegenwärtigen Ostkirchenforschung hat sich nun ein nicht zu übersehender Wandel vollzogen, der nicht nur darauf beschränkt ist, daß die Urteile über die Ostkirche irenischer oder toleranter geworden sind. Das wesentliche Moment liegt in der Ablösung der alten und in der Entwicklung einer neuen Methode: die Ostkirche wird nicht mehr als Gegenstand der religions wissenschaftlichen Forschung gesehen, d. h. als Phänomen des Ostens, sondern als Kirche. Die unmittelbaren Kontakte mit der Ostkirche sind hierfür eine entscheidende Voraussetzung gewesen. Die Fragestellung, von der man nun ausgeht, ist vor allem theologisch bestimmt. Ein weiteres Moment liegt darin, daß man neben diesem Wandel in der Methode auch erheblich tiefer bei der Verarbeitung des Quellenmaterials vorgedrungen ist. Der erste, bei dem dieser Wandel deutlich sichtbar wird, ist Friedrich H e i l e r . In seinem grundlegenden Werk „Die Katholische Kirche des Ostens und 25

Westens, Band I, Urkirche und Ostkirche" (München 1937) kann man noch greifbar erkennen, wie die religionswissenschaftliche Methode von einer kirchlich-theologischen Betrachtungsweise abgelöst wird. Die Grundkonzeption seines Werkes, die „evangelische Katholizität", ist gleichzeitig ein religionswissensdiaftlicher und ein ekklesiologischer Begriff. Religionswissenschaftlich ist er wohl von Rudolf O t t o beeinflußt16, und ekklesiologisdi liegt ihm ein der anglikanischen Zweigtheorie und der Hochkirchlichen Bewegung verwandtes Verständnis von der Katholizität der Kirche zugrunde, die über die kanonischen Grenzen der Kirchengemeinschaften reicht17. Es ist dies offensichtlich derselbe Grundzug, wie er in der Frühzeit der ökumenischen Bewegung auch bei Erzbischof Nathan S ö d e r b l o m vorliegt, mit dem Heiler in enger Verbindung stand. Die Darstellung der Ostkirche ist so bei Heiler die Darstellung eines Teils der „ecclesia catholica", die über die ganze Welt in Raum und Zeit verbreitet ist und die auch über die konfessionellen Grenzen hinausgeht. Das genetisch-evolutionistische Prinzip verschwindet bei Heiler vollständig: „Wo Christus ist, da ist die katholische Kirche" — dies ist nicht nur das Motto seines Buches, sondern auch das neue theologische Prinzip seiner Beschäftigung mit der Ostkirche18. Im Ansatz des theologischen Verständnisses zeigt sich audi ein Ansatz zu einer theologischen Kritik der Ostkirche. Selbst wenn der Begriff der „evangelischen Katholizität" eine implizite ekklesiologische Voraussetzung macht, die für die Ostkirche selbst nicht ohne weiteres annehmbar ist, so bildet er doch für die reformatorischen Kirchen die erste Möglichkeit zu einem echten theologischen Gespräch mit der Ostkirche. Dieses Gespräch zwischen den Kirchen ist auch das Anliegen einer neuen theologischen Disziplin, die von dem Kirchenhistoriker Ernst B e n z als Ergänzung und Erweiterung der traditionellen Konfessionskunde vorgeschlagen worden ist. Er nennt sie „ökumenik" und geht dabei von der Erkenntnis aus, daß die Methode der objektivierenden phänomenologischen Analyse der bisherigen Konfessionskunde für die ökumenische Begegnung der Kirchen nicht mehr ausreicht. Die „ökumenik" soll sich einerseits gesinnungsmäßig und thematisch von der Konfessionskunde unterscheiden, andererseits soll sie diese aber audi mit ihren Aufgaben einschließen. Wichtig ist die Frage, von der die „ökumenik" ausgehen soll: „Was bedeutet die Coexistenz so vieler anderer Kirchentypen und das Zusammenleben mit ihnen für die einzelne Kirche? Sie nötigt die Mitglieder der einzelnen Kirdien zu der Frage: Was bedeuten diese Kirdien für midi, für meine Kirdie im Hinblick auf die eine heilige allgemeine Kirche Jesu Christi, die wir bekennen? Was bedeutet meine Kirche für die anderen im Hinblick auf diese eine Kirdie des Glaubens?" 1 '

" Benz, a.a.O. S. 324. 17 Heiler, a.a.O. S. US. 18 Heiler, a.a.O. S. 1 (Ignatius von Antiochien). 18 Benz, a.a.O. S. 365. 26

Das ökumenische Gespräch zwischen den Kirchen wird hier in eine theologische Disziplin aufgenommen; das Nebeneinander der Kirchen wird zu einem existentiellen Problem, und die Geschichte der Christenheit und der zertrennten Kirchen erscheint als eine Dialektik zwischen den Kirchen, die sich aber alle, wie auch bei H e i l e r , in der allgemeinen Kirche befinden oder doch auf dem Wege zu ihr. Die Kirchen werden nidit mehr, wie es die phänomenologisdie Analyse tat, als verschiedene oder audi sich in der geschichtlichen Entwicklung ablösende Kulturkreise verstanden bzw. mißverstanden, sondern sie werden von der wissenschaftlich-theologischen Methode her und in einer ökumenischen Gesinnung als Kirchen ernst genommen. Sie sind trotz der Verschiedenheit ihrer Formen und Erscheinungen Kirche Jesu Christi und können als solche erkannt und anerkannt werden 20 . Über der phänomenologischen Verschiedenheit steht die christliche Gemeinsamkeit. Wenn wir nun versuchen, den tatsächlichen Fortschritt im Wandel des protestantischen Verständnisses der Ostkirche zu erfassen, so können wir feststellen, daß von theologischen Gesichtspunkten aus die Grundlage für ein echtes ökumenisches Gespräch geschaffen worden ist. Auf der Grundlage des Gemeinsamen, der Kirche Jesu Christi, können die dogmatischen Kontroverspunkte in der Begegnung erörtert werden, ohne daß dieses Gespräch durch eine verhüllte ekklesiologische Wertskala belastet wird. In einer ganzen Reihe von gut fundierten Einzeluntersuchungen ist bisher nur wenig bekanntes Quellenmaterial zugänglich gemacht worden 21 , um für das neue Verständnis und die Begegnung die notwendigen Grundlagen zu schaffen. Das Bild von der Ostkirche hat sich, wenn es auch bis jetzt immer noch Anfänge sind, entscheidend verändert, und wir finden hier für unsere Untersuchung überaus wertvolle Grundlagen, auf denen wir aufbauen können. Indessen bleibt die Methode noch immer ein offenes Problem, das gerade im Zusammenhang der vorliegenden Arbeit besondere Bedeutung hat. Das hat, wie wir meinen, seine Ursadie in der impliziten ekklesiologischen Voraussetzung, die auch in den neueren Untersuchungen gemacht wird. Die neuere ökumenische Methode in der Begegnung mit der Ostkirche wird nämlich nicht zu einem Gespräch führen können, wenn nicht auf beiden Seiten die ekklesiologische Vorentscheidung anerkannt wird, daß über der Zertrennung der Kirchen die Einheit der Kirche stehe. Denn im Grunde wird damit das, was wir als die ökumenische Problematik bezeichnet haben, bewußt oder unbewußt präjudiziert. Es wird zu zeigen sein, daß gerade das theologische Gespräch mit der Ostkirche immer wieder auf die Beantwortung der Frage nach Einheit, Zertrennung und Vereinigung gerichtet ist. 20

Vgl. hierzu auch den in Anm. 12 erwähnten Aufsatz von E. Schlink. Vgl. hierzu die im Literaturverzeichnis aufgeführten Arbeiten von H e i l e r , Benz, L. M ü l l e r , K l o s t e r m a n n . 21

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Im ersten Abschnitt dieses Kapitels haben wir festgestellt, daß die Ekklesiologie eine offene Frage in der ökumenischen Bewegung ist und daß die ökumenische Bewegung im Grunde nur durdi diese in der Toronto-Erklärung formulierte Offenheit in der ekklesiologischen Problematik auf ihrer bisherigen weiten Ebene in ihrer Arbeit fortfahren kann. Das bedeutet nun im Blick auf die Ostkirche, daß ein wirkliches ökumenisches Gespräch nur dann geführt werden kann, wenn in der Lehre von der Kirche keine konfessionellen Vorentscheidungen gefällt werden, selbst wenn sie vom eigenen Standpunkt aus noch so gerechtfertigt erscheinen. Die theologische Begegnung mit der Ostkirche in der ökumenischen Bewegung und speziell in der Bewegung für „ Faith and Order" hat eigentlich schon hinreichend gezeigt, daß keine Möglichkeit besteht, die dogmatischen Differenzen im interkonfessionellen Gespräch zu erörtern, ohne daß dabei bestimmte ekklesiologische Voraussetzungen der Ostkirche den Verhandlungen sehr bald ein Ende bereiten. Eine Begegnung ist nur dann möglich, wenn, wie es bei einer begrenzten Richtung innerhalb der ostkirchlidien Theologie der Fall ist, ein Konsensus in der Beurteilung der ökumenischen Fragestellung besteht oder aber wenn sidi die Diskussion auf dogmatisch unverbindliche historische Themen beschränkt. Es mag durchaus sein, daß von protestantischer Seite her, wenn auch nicht alle, so doch wesentliche Voraussetzungen für ein echtes theologisches Gespräch mit der Ostkirche im Verlauf der neusten Entwicklung geschaffen worden sind. Doch dabei handelt es sich bis jetzt nur um eine Entwicklung innerhalb der eigenen Theologie. Auf der Seite der Ostkirche und ihrer Theologie dagegen fehlen diese Vorarbeiten noch weitgehend. Angesichts der besonderen Lage der Ostkirche ist dieser bedauerliche Mangel an wirklichen Kennern der reformatorischen Theologie durchaus verständlich. Wenn man sich jedoch darüber im klaren ist, daß auf beiden Seiten noch sehr viel für ein wirklich fruchtbares ökumenisches Gespräch gearbeitet werden muß, dann braucht der bisherige Verlauf der Begegnung nicht allzusehr zu enttäuschen. Vor allem wird man sich dabei immer wieder vergegenwärtigen müssen, daß es gerade die persönlichen Kontakte sind, aus denen nahezu unbemerkt ein echtes und tiefes gegenseitiges Verständnis erreicht wird. C.

Aufbau

der

Untersuchung

Die Untersuchung beschäftigt sich mit einem „Problem in der neueren ostkirchlichen Theologie", und dies bedarf noch einer kurzen Klärung. Auch heute noch ist die Meinung weit verbreitet, daß die Ostkirche entweder überhaupt keine Theologie besitze oder aber daß diese Theologie im Vergleich zu der westlicher Kirchen unterentwickelt sei. Diese Ansicht gehört zu denselben Vorurteilen, von denen wir im vorigen Abschnitt gesprochen haben, und sie geht auch von ähnlichen Voraussetzungen aus. Einerseits wird damit gesagt, im Osten habe es seit dem Absdiluß der altkirchlichen Lehrdefinitionen, ge28

nauer seit Johannes Damaszenus, keine Weiterentwicklung der Lehre gegeben, und andererseits wird die ostkirdiliche Theologie — und damit oft gleich die ganze Ostkirche — nach einem besonderen Maßstab der Wissenschaftlichkeit gemessen und bewertet. Formal deckt sich auch hier das Urteil nicht-ostkirdilidier Betrachter mit Aussagen ostkirchlicher Theologen, nach denen die Ostkirche als „Traditionskirche" verstanden und ihr besonderes Kennzeichen im Festhalten an den altkirdilichen Konzilsentscheidungen gesehen wird, über die die Kirche niemals hinausgegangen ist. Doch was für die einen Anlaß zur Kritik ist, das ist für die anderen ein besonderer Vorzug ihrer Kirche. Es ist durchaus möglich, daß in der ostkirdilichen Theologie das Festhalten an der Tradition bisweilen zu einem auch von ostkirchlichen Theologen kritisierten starren Traditionalismus wird, aber es geht uns nicht um Ausnahmefälle. Man muß vielmehr sehen, daß hinter diesen Erscheinungen ein wichtiges dogmatisches Problem liegt, nämlich die Frage nach der kirchlichen und geschichtlichen Lehrentwicklung. Darum wird gerade in der neueren ostkirdilichen Theologie eine erhebliche Auseinandersetzung geführt, auf die wir auch im Laufe der Untersuchung gelegentlich zurückkommen werden. Neben einem bestimmten Verständnis von der Wissensdiaftlidikeit der Theologie und ihrer Entwicklung in der Geschichte wird aber die Beurteilung der ostkirdilichen Theologie gelegentlich auch einfach aus Unkenntnis ihr Ziel verfehlen und zu unbegründbaren Vorurteilen führen. Grundsätzlich kann schon hier gesagt werden, daß es in der Ostkirche auch in der Zeit von Johannes Damaszenus bis heute immer eine Theologie gegeben hat und daß diese Theologie ebenso eine geschichtliche Entwicklung aufweist wie die des Westens 22 . Daß es im Laufe dieser Entwicklung nicht zu einer neuen gesamtkirchlichen Lehrdefinition gekommen ist, hat vorwiegend äußere Gründe. Doch eine solche Lehrentscheidung oder Bekenntnisbildung ist keineswegs ein objektives Kriterium für die Theologie einer Kirche und ihre Lebendigkeit. Es ist auch eine Frage, inwieweit man in der Theologie überhaupt von einem evolutionistisdien Fortschreiten der theologischen Erkenntnis sprechen darf. Unter dem Aspekt der wissenschaftlichen Methodik kann man wohl eine Vertiefung und Verfeinerung feststellen, doch unter dem Aspekt der kirchlichen Bindung theo22 Nur einige Beispiele seien hier kurz angeführt: Aus dem 14. Jahrhundert die Auseinandersetzung um Gregorios Palamas (f 1359) und seine Lehre von den göttlichen Energien, eine Frage, der in jüngster Zeit von ostkirchlichen Theologen wieder besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird. Vgl. dazu M. J u g i e in: DThC XI/2, col. 1735ff. und 1794ff.; Zusammenstellung der neueren Literatur auch bei Archim. Cyprien K e r n , Die Anthropologie des Gregorios Palamas (russ.), Paris 1950. — Aus dem 17. Jahrhundert die antilukaristischen Kämpfe, die sich gegen die calvinistischen Tendenzen des ökumenischen Patriarchen Kyrillos Lukaris richteten. In dieser Zeit entstanden einige der sog. „orthodoxen Bekenntnisse" wie die Confessio des Petrus Mogila (1638/42) und die Confessio Dosithei (1672). — Aus der neueren Zeit wäre, neben der ökumenischen Frage, die Sophiologie von S. Bulgakov zu nennen.

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logisdier Arbeit ist es falsch, wenn man behauptet, daß die neuste Zeit zugleich die tiefste bisher erreidite Erkenntnis der Offenbarung besitze; hier hat die Theologie ausschließlich eine dienende Funktion innerhalb der Kirche, die primär von der Verkündigung und erst dann von der wissenschaftlichen Methode bestimmt ist. In diesem Verhältnis zwischen wissenschaftlicher Methode der Theologie und ihrer funktionalen Aufgabe in der Kirche beruht die Problematik, vor der wir sowohl bei der Beurteilung der Ostkirche wie auch im eigenen Selbstverständnis der Ostkirche stehen. Verhält es sich so, was noch nachzuweisen wäre, daß die Theologie in der Ostkirche unter dem Gesichtspunkt ihrer Wissenschaftlichkeit unterentwickelt oder überhaupt nicht entwickelt ist, dann ist damit noch nichts über die Kirchlichkeit der Ostkirche gesagt. Allenfalls ist es eine Tatsache, die sich aus geschichtlichen Umständen erklären ließe. Funktional hat die Theologie ihren Ort in der Ostkirche, wie sie ihn in der alten Kirche und in jeder anderen Kirche auch hat; und sie hat hier ihre Aufgaben zu erfüllen, v o r die sie von innen und von außen gestellt wird. Eine ausreichende Gesamtdarstellung der ostkirchlichen Theologiegeschichte gibt es leider bis heute noch nicht, und es besteht auch kaum die Aussicht, daß diese Lücke in absehbarer Zeit geschlossen wird 2 3 . Vieles ist nodi gänzlich 23 Die umfassendsten Untersuchungen zur ostkirchlichen Theologiegeschichte stammen von röm.-kath. Theologen. Wenn man auch ihrer Tendenz nicht immer folgen kann, so findet man doch hier die besten Materialzusammenstellungen: Aurelio P a l m i e r i , Theologia dogmatica orthodoxa (ecclesiae graeco-russicae) ad lumen catholicae doctrinae examinata et discussa. Das Werk blieb unvollendet: Bd. I/II Florenz 1911/13; dann das fünfbändige Werk von Martin J u g i e , Theologia dogmatica christianorum orientalium ab Ecclesia Catholica dissidentium, Paris 1926—1935; Mauricius G o r d i l l o , Compendium theologiae orientalis, 2 Rom 1950. Nicht aufgeführt werden hier die zahlreichen Einzeluntersuchungen aus Zeitschriften und Lexika. Von prot. Autoren: Einen Überblick über die neuere griechische Dogmatik bietet das Werk des Anglikaners Frank G a v i n , Some Aspects of Modern Greek Orthodox Thought, Milwaukee-London 1923; einiges zur russischen Theologie bei Ν. Bonwetsch, Kirchengeschichte Rußlands im Abriß, Leipzig 1923; Fr. H e i l e r , Ostkirche und Urkirche, München 1937. Von ostkirchlicher Seite sind folgende Werke zu nennen: Trotz der Kürze besonders reichhaltig und gut informierend Ν. N. G l u b o k o v s k i j , Die russische theologische Wissenschaft in ihrer geschichtlichen Entwicklung und nach ihrem neusten Stand (russ.), Warschau 1928; vgl. dazu in frz. Ph. de R 6 g i s SJ, Apercu de la littdrature thiologique russe, in: Recherches de Science Religieuse XVII, 1927, S. 256—287. Das Standardwerk für die russische Theologie- und Geistesgeschichte der neueren Zeit ist G. F l o r o v s k i j , Wege der russischen Theologie (russ.), Paris 1937. Einige Hinweise auch bei Metr. S e r a p h i m (Lade), Die Ostkirche, Stuttgart 1950. Eine Literaturzusammenstellung ohne große Vollständigkeit bietet Metr. N i k o l a j von Kruticij und Kolomna, Die russische Orthodoxe theologische Wissenschaft im letzten Jahrhundert, in: ThLZ 82, 1957, S. 881—890. Eine Übersicht über die neuere Lage der ostkirchlichen Theologie vermittelt: Pttx^s-Verbaux du premier congris de thiologie orthodoxe ä Arianes 1936, ed. H. S. A l i v i s a t o s , Athen 1939.

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unerforscht 24 . Dies ist eine Schwierigkeit, vor der auch unsere Untersuchung steht; denn es ist unmöglich, einen an sich wünschenswerten Überblick über die neuere Theologiegeschichte zu geben. Wir können lediglich im Laufe der Untersuchung auf diese Entwicklung hinweisen und durch einige Randbemerkungen die jeweils zum Verständnis notwendigen theologiegeschichtlichen Zusammenhänge andeuten. Der Aufbau der Untersuchung richtet sich nun einerseits nach der dogmatischen Fragestellung der ökumenischen Bewegung und andrerseits nach der neueren theologiegeschichtlichen Entwicklung, in deren Zusammenhang diese Fragestellung theologisch beantwortet wird. Von dieser Betrachtungsweise her kommen wir im Ergebnis nicht zu einem einheitlichen Gesamtbild, in dem d e r ostkirchliche Kirchenbegriff in seiner konfessionellen Eigentümlichkeit systematisiert wird, sondern wir werden die verschiedenen theologischen Voraussetzungen und Konzeptionen aufzeigen, von denen aus sich auch die verschiedenen Einstellungen zur ökumenischen Bewegung und die unterschiedlichen Urteile über Einheit, Zertrennung und Vereinigung der Kirche ergeben. Es geht also nicht um einen konfessionellen Standpunkt, sondern um die theologische Arbeit und um die dogmatische Auseinandersetzung, in denen die Lehre von der Kirche im Zusammenhang mit der ökumenischen Begegnung der Kirchen von den ostkirchlichen Theologen behandelt wird. Das eigentliche ökumenische Gespräch zwischen den Theologen der verschiedenen Kirchen kann dabei erst am Ende der Untersuchung kurz berührt werden. Der Schwerpunkt liegt auf der Darstellung und Untersuchung der ökumenischen Theologie innerhalb der Ostkirche sowie auf den offenen Fragen und den Schwierigkeiten, die hier für die Dogmatik und speziell für die Ekklesiologie auftauchen. Es ist durchaus möglich, daß von der in der Ostkirche geleisteten theologischen Arbeit an der Lehre von der Kirche auch manches ein Beitrag für das Problem der Ekklesiologie in anderen Kirdien und in der ökumenischen Bewegung sein kann. Manches aber, was in der ökumenischen Bewegung an der Einstellung der Ostkirche sdiwerverständlidi oder auch mißverständlich erscheint, mag auch verständlicher werden, wenn man die dogmatische Problematik sieht, die dahintersteht. Indem wir auf unsere Unterscheidung zwischen Kirchenbegriff und Kirchenbewußtsein zurückgreifen, geht es uns um die theologische Arbeit am Kirchenbegriff, d. h. um die dogmatische Reflexion. Diese theologische Arbeit am Speziell zur griechischen Theologie: P. J. B r a t s i o t i s , Die griechische Theologie in den letzten 50 Jahren (griech.), Sonderdruck aus: Theologia, Athen 1948. — Weitere kleinere Arbeiten siehe in den späteren Anmerkungen. 24 Wertvolle mündliche Mitteilungen aus der neueren russischen Theologiegeschichte verdanke ich Herrn Prof. Α. V. K a r t a s c h o v (f 1960) und Herrn Prof. Archim. Cyprien K e r n (f 1959), Paris. Vgl. auch Archim. Cyprien K e r n , L'enseignement thdologique supirieure dans la Russie du XIXe si6cle, in: Istina 1956, S. 249—282. 31

Kirchenbegriff vollzieht sich in zwei Richtungen: Einmal als Auseinandersetzung mit dem Kirchenbewußtsein und früheren Ansätzen zur Ausbildung eines Kirdienbegriffs, und dann in der Konfrontation mit der ökumenischen Bewegung. Wir haben daher den dogmatischen Voraussetzungen nachzugehen, auf denen die Ekklesiologie aufbaut und die sie weiterentwickelt, sowie den daraus folgenden Versuchen, die ökumenische Problematik zu lösen. Nach diesen beiden Richtungen und Fronten ist die Arbeit in zwei Hauptabschnitte unterteilt: Der erste Teil, Kapitel I I bis I V , behandelt die Bestimmung der kirchlichen Einheit in der ostkirchlichen Theologie und ist vorwiegend theologiegeschichtlich orientiert. Dabei wird die Theologie sowohl des griechischen wie auch des slavischen Raums zusammengefaßt. Obwohl die Entwicklung im allgemeinen einheitlich ist, läßt es sich nidit vermeiden, daß Einzelströmungen der russischen Theologie, die bis jetzt die produktivere gewesen ist, entgegen ihrer Bedeutung für die gesamte Ostkirche einen größeren Umfang einnehmen. Eine sachgemäße Verteilung der Akzente kann erst am Ende der Untersuchung erfolgen. Aus theologisch-systematischen Erwägungen unterscheiden wir zwischen der ostkirdilidien „Schuldogmatik" und der russischen „religiösen Philosophie", die man auch kurz, aber nicht ganz zutreffend, als „Religionsphilosophie" bezeichnet. Unter dem Begriff „Schuldogmatik" fassen wir die eigentliche kirchliche Theologie zusammen, wie sie in den dogmatischen Lehrbüchern und in Einzeluntersuchungen dargestellt wird. Aus der „russisdien religiösen Philosophie" ziehen wir diejenigen Autoren und Werke heran, deren Gedanken später auf die kirchliche Theologie eingewirkt haben. An sich ist der Rahmen dieser Bewegung wesentlich weiter zu fassen, da sie im vorigen Jahrhundert vorwiegend „neben den Kirchenmauern" 25 und im Gegensatz zu der offiziellen russisdien Kirche stand. Für den griechischen Raum ist sie fast ohne Bedeutung geblieben. Unter den drei Gesichtspunkten der Schuldogmatik, der russischen religiösen Philosophie und schließlich der gegenwärtigen theologischen Entwicklung läßt sich die Arbeit am Kirchenbegriff in der innerostkirchlichen theologischen Auseinandersetzung erfassen 26 . Bei der zeitlichen Abgrenzung gehen wir rein pragmatisch davon aus, inwieweit die einzelnen Tendenzen bei der Auseinandersetzung mit der öku25 So lautet der Titel einer zweibändigen Aufsatzsammlung von V. V. R o z a n o v (1856—1919), SPB 1906. 2* Nach einer ähnlichen Unterteilung behandelt die russische Ekklesiologie Antoni P a w l o w s k i , Idea kogciola w uj§ciu rosyjskiej teologij i historiozofi (Die Idee der Kirche in der russischen Theologie und Geschichtsphilosophie), Warschau 1935. Dieses Werk eines röm.-kath. Autors ist die beste Darstellung der ostkirchlichen Ekklesiologie. Von der ökumenischen Frage herkommend, werden wir jedoch das Verhältnis zwischen Schuldogmatik (bei P. „konservative Theologie") und religiöser Philosophie etwas anders beurteilen, d. h. nicht im Sinne einer allgemeinen Entwicklung, wie es hier geschieht.

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menischen Problematik zu erkennen sind und deshalb für ihr Verständnis dienen können. Sowohl in der religiösen Philosophie wie auch in der Schuldogmatik liegen die Ansätze für die ökumenische Arbeit bereits in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts. Der Schwerpunkt ruht dabei auf der Begegnung mit der anglikanischen Kirche und bald darauf auch mit der altkatholischen Kirche 2 7 . Die Enzyklika des ökumenischen Patriarchen Joachim I I I . ( 1 8 7 8 — 1 8 8 4 und 1901—1912), in der er unmittelbar nach seiner zweiten I n thronisation im Jahre 1902 die Frage nach der Vereinigung der Kirchen aufwirft, ist bereits in gewissem Sinne der Abschluß einer längeren Entwicklung 2 8 . Natürlich hat es audi schon in früheren Jahrhunderten Kontakte zwischen der Ostkirche und den Kirchen des Westens gegeben, aber sie sind höchstens von historischer Bedeutung und haben keinen Einfluß auf die gegenwärtige dogmatische Auseinandersetzung 29 . Von Wichtigkeit ist jedoch, daß die im vorigen Jahrhundert beginnende ökumenische Begegnung und die durch sie ausgelöste dogmatische Bewegung fast unmittelbar mit einer Renaissance der theologischen Wissenschaft in der Ostkirche zusammenfällt: Im Jahre 1836 wird unter dem Oberprokuror G r a f P r o t a s o v die historische Methode in das Theologiestudium eingeführt und die wissenschaftliche Ausbildung des Klerus völlig neu organisiert 30 . Im Jahre 1837 wird nach den Befreiungskriegen die theologische Fakultät der Universität Athen eröffnet. Die nunmehr einsetzende Entwicklung erreicht in Rußland ihren Höhepunkt am Anfang dieses Jahrhunderts, wird aber dann jäh durch die russische Revolution abgebrochen. In der griechischen Theologie dagegen, die sich zunächst mit anderen Fragen auseinanderzusetzen hatte, beginnt die dogmatische Arbeit eigentlich erst um die Jahrhundertwende. Die Intention dieser Neubelebung der ostkirchlichen Theologie geht in viele Richtungen. Sie besteht in einer Reinigung 27 1886 wurde vom ökumenischen Patriarchat und 1892 vom russischen Synod eine besondere Kommission für die Begegnung mit den Altkatholiken und für die Untersuchung der damit zusammenhängenden Probleme gebildet. 28 Text der Enzyklika franz. in: Istina 1955, S. 78ff. 28 Geschichtliche Überblicke in: (Erzbischof) Chrysostomos Papadopoulos, Zu den Beziehungen zwischen Orthodoxen und Heterodoxen im 16. Jahrhundert (griech.), in: Theologia 1925; weitere Aufsätze in den Jahrgängen 1934/1936/1939 derselben Zeitschrift; J. K a r m i r i s , Orthodoxie und Protestantismus (griech.) Bd. I, Athen 1937 (durchgeführt bis zur Neuzeit); Camillo Crivelli SJ, Protestanti e Cristiani orientali, Rom 1944; die Aufsätze von G. F l o r o v s k i j und N. Z e r n o v in: History of the Ecumenical Movement, S. 171 fF. und 645ff.; G. F l o r o v s k i j , Orthodox Ecumenism in the 19th Century, in: St. Vladimir's Quarterly Vol. IV, 1956, Nr. 3/4, S. 2—53; E . B e n z , Wittenberg und Byzanz, Marburg 1949. Dokumente zu dem Briefwechsel zwischen Tübingen und Byzanz im 16. Jahrhundert: Wort und Mysterium, hrsg. vom Kirchl. Außenamt der E K D , Witten 1958. Für die Neuzeit s.a. G. F l o r o v s k i j , The Eastern Orthodox Church and the Ecumenical Movement, in: Theology Today Vol. VII/1, 1950. 30 S. M. J u g i e , Theologia Dogmatica . . . Bd. I, S. 605ff.; Archim. Cyprien K e r n , a.a.O.; G. F l o r o v s k i j , Wege der russischen Theologie, ptim.

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der Theologie von fremden Einflüssen und Entartungen sowie in einer Neuentdeckung der Väterschriften 31 . Dies geschieht weitgehend in einer konstruktiven Auseinandersetzung mit der westlidien Theologie und ihren Methoden32. Es ist nur verständlich, wenn die ökumenische Arbeit durch die Neubesinnung der ostkirchlichen Theologie stärker als in anderen Kirchen belastet ist. Innerhalb der Ostkirche werden ζ. B. die dogmatischen Kompendien, die wir hier zur Darstellung der Schuldogmatik heranziehen, sehr scharf kritisiert; indessen bilden sie noch bis heute eine allgemeine Grundlage für den theologischen Unterricht und audi für die Auseinandersetzung mit den neuen ökumenisdien Problemen. Im zweiten Teil, Kapitel V bis VII, geht es alsdann um die Ökumene als Problem der ostkirdilidien Ekklesiologie. An die Stelle der theologiegeschiditlidien Orientierung treten hier einzelne Fragenkomplexe, wie sie aus der ökumenischen Begegnung an die Ostkirche herantreten. Es soll gezeigt werden, wie sich die ostkirdilidien Theologen auf Grund ihrer dogmatischen und ekklesiologisdien Voraussetzungen mit diesen Problemen auseinandersetzen. Der Sdiluß, Kapitel VIII bis IX, dient schließlich dazu, die innerostkirchlidie theologische Arbeit am Kirchenbegriff in das ökumenische Gespräch einzuordnen. Hier sollen die Ergebnisse zusammengefaßt und die offenen Probleme in ihrer grundsätzlichen Bedeutung für die ökumenische Arbeit formuliert werden. Die Gemeinsamkeit, in der alle Kirchen, wenn auch in verschiedener Weise, vor der ökumenisdien Aufgabe stehen, kann auch schon ein Licht auf die gesuchte Einheit der Kirche werfen. 81 Vgl. hierzu: Archim. Cyprien K e r n , Traductions russes des textes patristiques, in: Irdnikon 1955, S. 57—70; Ders., Les traductions russes des textes patristiques, Guide bibliographique, Chevetogne 1957. Eine griech. „Bibliothek der griechischen Väter und Kirchenschriftsteller" ist seit 1955 im Erscheinen (Apostoliki Diakonia, Athen). 32 Dies verdiente eine besondere Untersuchung. Einiges Material, bes. aus der russischen religiösen Philosophie, liegt vor in L. M ü l l e r , Die Kritik des Protestantismus in der russischen Theologie vom 16. bis zum 18. Jahrhundert, Mainz 1951; Ders., Russischer Geist und evangelisches Christentum, Witten 1951; vgl. auch die Aufsätze von E. B e n z und L. M ü l l e r in: Die Ostkirche und die Russische Christenheit, hrsg. von E. Benz, Tübingen 1949. Zu den westl. Einflüssen auf die ostkirchliche Theologie vgl. die Referate von Erzb. C h r y s o s t o m o s (Papadopoulos), D y o v o u n i o t i s und F l o r o v s k i j in: Proces-Verbaux, sowie J. K a r m i r i s , Heterodoxe Einflüsse auf die orthodoxe Theologie (griech.), Sonderdruck aus: Nea Sion, Jerusalem 1938.

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Teil I

D I E EINHEIT DER KIRCHE IN DER OSTKIRCHLICHEN THEOLOGIE 2. K A P I T E L

Die Einheit der Kirche in der ostkirchlichen Schuldogmatik A.

Ubersicht

Die Kompendien der ostkirchlichen Schuldogmatik sind ausgesprochen dürftig. Doch ihre Bedeutung f ü r die ostkirchliche Theologie liegt offensichtlich weniger in ihrem Inhalt als vielmehr in dem Zweck, den sie im theologischen Unterricht erfüllt haben und bis heute noch weitgehend erfüllen. Ihre Theologie und ihre Methode ist oft und scharf kritisiert worden, und man neigt daher leicht dazu, die ostkirchliche Ekklesiologie eher von der russischen religiösen Philosophie her zu interpretieren, in der man die neue Richtung in der Theologie zu erkennen meint 1 . In der neueren Theologiegeschichte jedoch bilden die Werke der religiösen Philosophie nur eine Strömung neben anderen, die sich nur dadurch auszeichnet, daß sie im Westen bekannter ist als die eigentliche Schuldogmatik. Verständlich werden viele dogmatische Probleme, vor denen die ostkirchliche Theologie in der ökumenischen Begegnung steht, erst von der Schuldogmatik her. Sowohl die gegenwärtige Theologie wie auch indirekt die religiöse Philosophie sind weitgehend teils von der Anlehnung an die Schuldogmatik und teils von der Auseinandersetzung mit ihr bestimmt. Bis in die Gegenwart hinein werden die Kompendien aus dem vorigen Jahrhundert immer wieder zitiert, und solange sie nicht durch bessere Gesamtdarstellungen der ostkirchlichen Glaubenslehre ersetzt worden sind, dienen sie daher als praktische Grundlage nicht nur f ü r den theologischen Unterricht, sondern auch weitgehend f ü r die ganze dogmatische Arbeit. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den russischen und den griechischen Kompendien ist nicht festzustellen. Die russischen sind vielfach ins Griechische übersetzt worden, 1 So z.B. Stanislas Jd.ki, OSB, Les tendances nouvelles de Teccldsiologie, Rome 1957, S. 99 ff.

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und audi diese Übersetzungen werden bis heute noch häufig benützt 2 . Bei den neueren Kompendien, die um die Jahrhundertwende erschienen sind, ist aber schon eine gewisse Vertiefung in der dogmatischen Arbeit zu erkennen. Eine kurze Übersicht mag die hier herangezogenen Werke vorstellen: Zu den ersten Lehrbüchern, die nicht in lateinischer, sondern in russischer Sprache geschrieben wurden, gehört die am meisten gebrauchte und audi am heftigsten umstrittene Dogmatik des Metropoliten M a k a r i j (Bulgakov, 1816—1882). Von ihm erschien 1847 in erster Auflage eine „Einführung in die orthodoxe Theologie", die zum letzten Mal 1903 in 7. unveränderter Auflage gedruckt wurde. Seine zweibändige „Orthodox-dogmatische Theologie" erschien in erster Auflage 1849/53, in letzter, fünfter, 1895. Die letzte Auflage seines „Leitfaden zum Studium der orthodox-dogmatisdien Theologie", der eine Zusammenfassung der umfangreicheren Dogmatik bietet, erschien 1913 (deutsche Übersetzung von B l u m e n t h a l , Moskau 1875). Die bisweilen sehr sdiarfen Urteile über dieses Werk, das als ein erster Versuch zu einer eigenständigen Lehrdarstellung zweifellos audi seine Verdienste gehabt hat, können mit der lakonischen Äußerung von G. F l o r o v s k i j zusammengefaßt werden: „Es war schon beim Erscheinen veraltet." 3 Trotzdem hat es sich im kirchlichen Gebrauch sehr lange gehalten 4 . Eine wesentlich kleinere und weniger bedeutende Dogmatik ist „Die dogmatische Theologie der orthodoxen katholischen östlichen Kirche" von Α η t ο η i j (Amphiteatrov, 1815—1879). — Sie hat in der Zeit von 1848 bis 1857 sieben Auflagen erlebt und war eine Zeitlang auch als Lehrbuch für den theologischen Unterricht offiziell anerkannt und eingeführt worden. Eine Darstellung der Dogmatik, in der besonders die theologische Prinzipienlehre nadi neueren Methoden kritisch ausgearbeitet worden ist, liegt in der „Orthodoxen dogmatischen Theologie" (2 Bde.) von P h i l a r e t (Gumilevskij, gest. 1866) vor. Sie erschien in der ersten Auflage 1854, in der letzten, dritten, 1882. P h i l a r e t war Erzbischof von Cernigov und zählt zu den bedeutendsten Kirchenhistorikern des vorigen Jahrhunderts in Rußland 5 . Einen wesentlichen Fortschritt — sowohl in der Methode wie auch in der Ausweitung des Quellenmaterials — bildet der „Versuch einer orthodoxen dogmatischen Theologie" von S i l v e s t r (Malevanskij, 1828—1908). S i l v e s t r war Rektor der Geistlichen Akademie von Kiew und später Bischof von Kanev. Der erste Band des fünfbändigen Werks erschien 1878, die vollständige zweite Auflage von 1884 bis 1891. Diese Dogmatik trägt den für die darin angewandte Methode bezeichnenden Untertitel: „Mit geschichtlicher Dogmenauslegung." Unter einer auffallenden Anlehnung an die Theologie S c h l e i e r m a c h e r s und dessen Lehre vom religiösen Bewußtsein wird dogmengeschichtlich gezeigt, wie sich die Glaubenslehre der Kirche in einem geschichtlichen 2

M. J u g i e , a . a . O . Bd. I, S. 544f. Wege der russischen Theologie, S. 223. Die Grundzüge der Ekklesiologie M a k a r i j s sind noch sehr deutlich in den Aufsätzen von Bischof I s i d o r zu erkennen: Die orthodoxe Lehre von der Kirche; Der Herr Jesus Christus, der Gründer der Kirche; Die Wesensmerkmale der wahren Kirche, in: Z M P 1955, 1, S. 37ff., 2, S. 83ff., 5, S. 44ff. 5 Seine zweibändige Kirchengeschichte Rußlands erschien 1872 in deutscher Ubersetzung von B l u m e n t h a l . Er ist nicht zu verwechseln mit P h i l a r e t Drozdov, dessen Katechismus im Anhang der deutschen Ubersetzung dieses Werkes abgedruckt ist. 3 1

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Reifeprozeß zu immer größerer Klarheit im Bewußtsein der Kirche „auskristallisiert" (deutsche Übersetzung von Κ . K. G r a s s , Geschichte der Dogmatik, Gütersloh 1902). Die letzte Dogmatik der russischen Schuldogmatik ist das vierbändige Werk von Nikolaj Ρ. Μ a 1 i η ο ν s k i j (Rektor des Geistlichen Seminars von Podolsk, später von Wologda, gest. 1917), „Orthodoxe dogmatische Theologie", in zwei Auflagen von 1903 bis 1910 erschienen. In dieser ebenfalls sehr umstrittenen Dogmatik zeichnet sich schon die Begegnung von Schuldogmatik und russischer religiöser Philosophie ab 6 . Obwohl er kein dogmatisches Kompendium verfaßt hat, muß in diesem Zusammenhang auch Ρ h i 1 a r e t (Drozdov, 1782—1867), der berühmte Metropolit von Moskau, genannt werden. Er war wohl der bedeutendste unter den neueren Theologen der russischen Kirche und hat sowohl als Wissenschaftler wie auch als Kirchenführer einen großen Einfluß auf die russische Theologie ausgeübt. Neben einer Reihe einzelner Schriften und Reden ist sein Hauptwerk der „Ausführliche Katechismus" (Prostrannyj Katichizis), der nach zwei kritischen Revisionen im Jahre 1839 offiziell vom russischen Synod rezipiert wurde7. Von manchen Theologen wird der Katediismus sogar als eine symbolische Schrift der russischen Kirdie betrachtet. In den hier erwähnten dogmatischen Kompendien wird der Katechismus sehr häufig angeführt, obwohl er in einigen Teilen, so in der Lehre von der Kirche und von der Tradition, auch wegen protestantischer Einflüsse kritisiert worden ist. Aus dem Bereich der griechischen Theologie sind nur zwei Kompendien zu nennen, wenn man von einigen weiteren Lehrbüchern der Symbolik, die wir am Rande benützen, absieht. Beide Dogmatiken lehnen sich nicht sosehr an die russischen Kompendien an, sondern sie zeigen sich bereits tief von der deutschen zeitgenössischen Dogmatik beeinflußt, mit der sie sich aber auch kritisch auseinandersetzen: Unvollendet blieb das „System der Dogmatik der orthodoxen katholischen Kirche", Bd. 1, 1903, von Sikos R o s s i s . Die Ekklesiologie erscheint hier nur im Zusammenhang mit der in dem ersten und einzigen Band vorgelegten Prinzipienlehre. Ein fundamentales Werk für die griechische Theologie liegt in der „Dogmatik der orthodoxen anatolischen Kirche" von dem Athener Dogmatiker Christos A n d r o u t s ο s (gest. 1936) vor. Es fehlt darin zwar noch an einer ausreichenden Quellenuntersuchung, aber es zeigt sich schon eine erhebliche Vertiefung der dogmatischen Arbeit, die auch zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den früheren Kompendien führt. In erster Auflage erschien diese Dogmatik 1907 und 1956 in zweiter, unveränderter Auflage 8 . Wenn nun die Grundzüge der Ekklesiologie nach diesen Kompendien dargestellt werden, so geschieht dies nicht als eine Kritik an theologischen beiten, denen noch wesentliche exegetische und dogmengeschichtliche

ArVor-

* Diese Dogmatik wurde 1913 vom russischen Synod als Dissertation nichi angenommen. Cyprien K e r n , in: Istina 1956, S. 279, Anm. 55. 7 Deutsche Übersetzung s. o. Anm. 5. Zur Geschichte des Katechismus und besonders zu seiner Lehre von der Kirche vgl. I. N. K o r s u n s k i j , Der Kirchenbegriff in den Werken Philarets, in: ChrCt 1895, II, S. 47—90. Das Buch „Die dogmatische Theologie nach den Werken von Philaret, des Metropoliten von Moskau", von A. G o r o d k o v , Kazan 1887, ist ein Versuch, aus den disparaten Äußerungen und Gelegenheitsschriften Philarets eine Dogmatik zusammenzustellen. Als angemessene Darstellung seiner Theologie kann dieses Werk jedoch nicht angesehen werden. 8 Eine neue ostkirchliche Dogmatik von P o p o v i c , Belgrad 1933 (serbisch), war mir nicht zugänglich. Nach Abschluß des Manuskripts erschien die griechische Dogmatik von P. N. T r e m p e l a s , Dogmatik der Orthodoxen Katholischen Kirche, 3 Bde, Athen 1959/1961.

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aussetzungen fehlen, sondern um den Ansatz für die Auseinandersetzung mit der Lehre von der Kirche in der neueren ostkirchlichen Theologie zu skizzieren. Es geht vor allem um eine Analyse der dogmatischen Intention und um die Erfassung der offenen Fragen, bei denen dann die neuere Dogmatik und vor allem die ökumenische Arbeit einsetzt. Ein zusammenhängendes Lehrgebäude liegt erst in den neueren Werken vor. Im allgemeinen sind die Kompendien nach der Loci-Methode aufgebaut, und es kommt so auch zu offenkundigen Widersprüchen zwischen den einzelnen Lehrstücken. Die Lehre von der Kirche erscheint in den Kompendien an drei Stellen: zuerst in den Prolegomena in Verbindung mit dem Lehrstück von der Tradition, alsdann an ihrem klassischen Ort innerhalb des dritten Artikels und schließlich in der Eschatologie. In dieser Anordnung liegen bereits manche Probleme, aber sie zeigt auch, wie stark die Lehre von der Kirche in den dogmatischen Kompendien hervorgehoben wird 9 . Bei unserer Untersuchung gehen wir von dem ekklesiologisdien Hauptstück innerhalb der Lehre von der Gnade, den Sakramenten und der Heiligung aus. Der Aufbau dieses Lehrstücks ist in allen Kompendien, von geringfügigen Abweichungen abgesehen, auf die wir nicht besonders einzugehen brauchen, derselbe. Er entspricht fast vollständig dem der Ekklesiologie, wie sie in den dogmatischen Kompendien der römisch-katholischen Kirche vorliegt, nur daß natürlich die Lehre vom päpstlichen Primat fehlt. Dies ist nicht nur von römischkatholischen, sondern auch von ostkirchlichen Theologen erkannt worden 10 . Auf eine einleitende Bestimmung des Begriffs „Kirche" folgen drei Abschnitte: der erste behandelt die Institution der Kirdie, der zweite ihre Organisation und Autorität, der dritte die vier „notae ecclesiae". Daran schließt sich dann meistens die Lehre von den Sakramenten an. Schon von diesem Aufbau her wird etwas von der dogmatischen Intention der Ekklesiologie in den Kompendien sichtbar. Es ist weitgehend eine Beschreibung der kirchlichen Organisation und Institution, in der die Kirche als Werkzeug der Heiligung und Mittlerin des Heils und der Gnade dargestellt wird 11 . • Es scheinen im vorigen Jahrhundert auch Tendenzen in der russischen Theologie bestanden zu haben, die ganze Glaubenslehre von der Ekklesiologie her zu behandeln. Dagegen wandte sich mit scharfer Kritik Metr. Ρ hilar et von Moskau: Vom Ort der Lehre von der Kirche im theologischen System, in: Gesammelte Meinungen und Äußerungen Bd. III, S. 156—161. 10 S. J 4 k i , a.a.O. S. 99; A. K a t a n s k i j , Über die Stellung des Traktats von der Kirche in der Wissenschaft der dogmatischen Theologie, in: CV 1895, Nr. 15, S. 459f. u Zur Ekklesiologie der Ostkirche siehe noch außer den oben Kap. I, Anm. 23 und 26 genannten Werken: Th. Spdeil SJ, Conceptus et doctrina de Ecclesia iuxta theologiam orientis separati, in: Orientalia Christiana IV, Ser. 2, Rom 1923/24; F. G r i v e c , Doctrina byzantina de primatu et unitate ecclesiae,Liublianae 1921. Nicht zugänglich war mir die Arbeit von J. Z e l e n k a , Doctrina de Ecclesia Macarii Boulgakov, Rom 1941. 38

Β. G r u n d z ü g e d e r E k k l e s i o l o g i e in der S c h u l d o g m a t i k Untersuchen wir die Lehre von der Kirche in den Kompendien der Schuldogmatik, so können wir nicht ganz dem dort aufgestellten Schema folgen, sondern müssen eine Begrenzung auf die Frage unserer Themas vornehmen. Ebenso kann nicht auf Unterschiede zwischen den einzelnen Kompendien eingegangen werden, soweit sie nicht für unser Thema von Bedeutung sind. Trotzdem werden wir versuchen, in der Darstellung einen möglichst vollständigen Eindruck von dem Traktat über die Kirche zu vermitteln, und zu diesem Zweck werden ausführliche Zitate eingefügt. Bei diesen Zitaten wie auch bei den dargestellten Gedankengängen kann vorausgesetzt werden, daß sie sich auch in den nicht angeführten Kompendien in ähnlicher Form finden.

1. Die Bestimmung

des Begriffs

„Kirche"

Ohne daß die Einheit der Kirche bereits im Sinne der ökumenischen Problematik behandelt wird, fallen in der Ekklesiologie der Kompendien Vorentscheidungen, deren Konsequenzen bis heute nachwirken. Die erste und tiefgreifendste Entscheidung fällt bereits in der Bestimmung des Gegenstandes der Untersuchung, wenn der Begriff „Kirche" einleitend definiert wird. Μ a k a r i j und nach ihm auch alle anderen Dogmatiker beginnen mit einer Formulierung, die sie aus der „Confessio Dosithei" (1672) übernehmen. In diesem gelegentlich audi als symbolische Schrift bewerteten Dokument hat sich die durch die calvinistischen Neigungen des ökumenischen Patriarchen Kyrillos Lukaris im 17. Jahrhundert ausgelöste Abgrenzung gegenüber Einflüssen aus der reformatorischen Theologie niedergeschlagen. In der zitierten Stelle wendet sich die Confessio gegen eine Vermischung von „ecclesia militans" und „ecclesia triumphans", wie man sie in der reformatorischen Ekklesiologie vermutet: „Auf keinen Fall vermischen wir die Kirche in der Fremde mit der Kirche im Vaterland, wie dies einige Häretiker tun, die behaupten, daß beider Glieder Lämmer des Erzhirten, Gottes, seien und von seinem Heiligen Geiste geheiligt würden. Das ist nämlich unzutreffend und überhaupt unmöglich, da ja die eine noch streitet und auf dem Wege ist, die andere aber das Siegeszeichen trägt und in dem Vaterland ist und den Kampfpreis empfangen hat." 12 12

J. K a r m i r i s , Dokumente... Bd. II, S. 752. Wie sehr die antilukaristische Tendenz der Confessio Dosithei den Traktat über die Kirche beeinflußt hat, wird sich im folgenden noch zeigen. Ausdrückliche Verweise auf diesen Abschnitt finden sich aber nur bei M a k a r i j , Dogmatik II, S. 190, und bei M a l i n o v s k i j , Dogmatik III, S. 474. Ein besonderes Gewicht hat die Confessio Dosithei in der russischen Dogmatik dadurch erhalten, daß sie 1838 vom russischen Synod fast unverändert unter dem Titel „Sendschreiben der östlichen Patriarchen vom orthodoxen Glauben" als symbolische Schrift rezipiert worden ist. 39

Im Anschluß an diese scharfe Differenzierung zwischen „ecclesia militans" und „ecclesia triumphans" wird nun in den Kompendien der Begriff „Kirche" festgelegt, wie er dem Traktat zugrunde gelegt werden soll. Zwei verschiedene Möglichkeiten für das Verständnis des Begriffs werden aufgeführt: 1. Kirche im „weitesten Sinne" ist die über-raum-zeitliche, mystische Einheit, in der nicht nur die Lebenden, sondern auch die Toten und alle vernünftigen "Wesen (Engel und Menschen) zusammengefaßt sind. Es handelt sich dabei um das Verständnis der Kirche als des Leibes Christi, wie es Eph. 1, 10.20 bis 23 und Kol. 1, 18—20 vorliegt. Kirche ist so „die Gemeinschaft aller vernünftig-freien Wesen, d. h. der Engel und Menschen, die an Christus, den Heiland, glauben und in ihm als ihrem alleinigen Haupt vereint sind" 1 3 . „Wird dieses W o r t (seil. Kirche) in seiner weiten und vollen Bedeutung verwendet zur Bezeichnung der Gesamtheit der Kirche als des mystischen Leibes Christi, so versteht man unter der Kirche Christi die Gemeinschaft aller vernünftig-freien Wesen, die an Christus, den Heiland, glauben und in ihm als ihrem alleinigen Haupte vereint sind. In diesem Sinne gehören zu der Kirche nicht nur ,alle orthodoxen 1 4 Christen, die auf Erden leben', sondern audi ,alle, die im wahren Glauben und in Heiligkeit abgeschieden sind'." 1 6

Kirche wird also hier im umfassenden Sinne verstanden, d. h. „als das ganze Volk Gottes, hier auf Erden lebend und im Himmel triumphierend, sowie die Gerechten des alten und neuen Bundes" 1 6 . 2. Im „engeren, aber am meisten gebrauchten Sinne" wird nur von der streitenden Kirche gesprochen, die noch auf der Wanderschaft ist (Hebr. 13, 14). Dies ist die Kirche des neuen Bundes, das „regnum gratiae" im Unterschied zum „regnum gloriae": „Kirche Christi bedeutet eigentlich allein die neutestamentlidie und streitende Kirche oder das regnum gratiae Christi. ,Wir glauben, wie wir auch zu glauben gelehrt sind . . . an die sogenannte und wahrhaft so seiende eine, heilige, katholische und apostolische Kirche, die alle überall umfaßt, wo auch immer sie seien, die an Christus glauben, sich aber jetzt noch auf der irdischen Wanderschaft befinden und das himmlische Vaterhaus noch nicht erreicht haben. In diesem Sinne verstehen auch wir die Kirche, wenn wir die Lehre von ihr nun auslegen." 17

Ähnlich beendet auch A n d r o u t s o s noch seine einleitende Begriffsbestimmung, nachdem er vorher die „ecclesia triumphans" mit dem weiten Verständnis der „Kirche" ausgeschieden hat: „Wir verwenden den Begriff in der Dogmatik, indem wir ihn allein auf die Gesamtheit der Orthodoxen aller Zeiten begrenzen." 1 8 M a k a r i j , Dogmatik II, S. 187. „Orthodox" braucht nicht unbedingt im konfessionellen Sinne verstanden zu werden. Der Wortsinn „vere credens" muß mindestens mitgehört werden. l i M a l i n o v s k i j III, S. 469, vgl. S. 473. 16 A n d r o u t s o s S. 259. 17 M a k a r i j , Dogmatik II, S. 190. Es wird auch hier die Confessio Dosithei zitiert. 18 A n d r o u t s o s S. 260; vgl. Anm. 14. 13 14

40

Eine nähere Analyse des Wortes „Kirche" — sei es nach den Zeugnissen der Schrift oder nach der Vätertheologie — fehlt. Im Ansdiluß an den polemischen Ansatz der Confessio Dosithei wird die Ekklesiologie an dieser entscheidenden Stelle ausschließlich auf die Kirche in ihrer irdischen Erscheinung beschränkt. Damit wird audi die Möglichkeit ausgeschlossen, in diesem Lehrstück das Ineinander von Geschichte und Vollendung in den Blick zu bekommen. Der Schwerpunkt liegt sogleich auf der Kirche in ihrer irdischen Gestalt, nicht aber in ihrem Wesen als Leib Christi. Die Aussagen über die vollendete Kirche werden abgetrennt und erscheinen erst wieder in der Eschatologie, die in den Kompendien nur sehr wenig entwickelt ist. Über den Zusammenhang von „ecclesia militans" und „ecclesia triumphans" wird nicht weiter reflektiert. Beide stehen unverbunden nebeneinander bzw. hintereinander, insofern die „ecclesia triumphans" die „Frucht der streitenden Kirche" ist 19 . Als einziges Bindeglied zwischen beiden werden aus der kirchlichen Praxis die Anrufung der Heiligen und deren „intercessio" sowie die Verehrung der Reliquien und der Ikonen und das Gebet für die Toten eingefügt 20 . In einigen der späteren Kompendien, besonders bei A n d r o u t s o s und M a l i n o v s k i j wird zwar das Verständnis der Kirche als Leib Christi schon stärker hervorgehoben, aber die einleitende Begrenzung der Ekklesiologie auf die „ecclesia militans" wird auch hier beibehalten 21 . 2. Die geschichtliche Gründung

der streitenden

Kirche

Die Unterscheidung von „ecclesia militans" und „ecclesia triumphans" entspricht nicht der Unterscheidung von „sichtbarer" und „unsichtbarer" Kirche. Es wird vielmehr bei der im Traktat von der Kirche nun folgenden Beschreibung der streitenden Kirche auch von deren Sichtbarkeit und Unsiditbarkeit gesprochen. In diesem Zusammenhang erscheint wiederum die Abgrenzung gegenüber der reformatorischen Lehre von der Kirche, bei der man eine Trennung der sichtbaren von der unsichtbaren Kirche vermutet; und aus diesem Grunde wird nun die unauflösliche Verbindung beider Aspekte besonders hervorgehoben. Sichtbar ist die Kirche nach ihrer äußeren Organisation, unM a k a r i j , Dogmatik II, S. 191; M a l i n o v s k i j III, S. 474. Bei M a k a r i j , A n t o n i j und A n d r o u t s o s stehen die Paragraphen über die vollendete Kirche hinter der Pneumatologie; bei P h i l a r e t Gumilevskij und bei M a l i n o v s k i j folgen sie unmittelbar auf den Traktat von der streitenden Kirche, doch ohne daß sich dies auf die Ekklesiologie auswirkt. Es ist bezeichnend, daß Philaret in seiner Dogmatik im ersten Teil (I, S. 9) eine Behandlung der Heiligenverehrung, der Ikonen und Reliquien usw. als nicht zur Dogmatik gehörend ablehnt. Dennoch kann er aber dann in der Ekklesiologie nicht auf dieses Bindeglied zwischen den „beiden Kirchen" verzichten. 21 Im Wortlaut (doch ohne Quellenangabe) zitiert werden die Ausführungen von M a k a r i j in der „Orthodoxen Lehre von der Kirche" des Bischofs I s i d o r in 2 M P 1955, I, S. 43 f. (s. o. Anm. 4). 19

20

41

sichtbar ist sie nach den in ihr vorhandenen Gnadengaben. Dies wird rein erkenntnistheoretisch, nidit aber theologisch begründet. Ρ h i 1 a r e t (Drozdov), der als einziger unter den Dogmatikern in seinem „Ausführlichen Katechismus" bei der Auslegung des neunten Artikels aus dem Nicaeno-Konstantinopolitanum die Frage aufwirft, inwiefern denn die Kirche Gegenstand des Glaubens sei, wenn es heißt: „Ich g l a u b e . . a n t wortet darauf: „Obwohl die Kirdie sichtbar ist, ist doch die Gnade Gottes unsichtbar, die ihr und denen, die in ihr geheiligt werden, zugeeignet wird; diese ist auch der eigentliche Gegenstand des Glaubens an die Kirche." Noch deutlicher tritt die Intention dieser Aussage bei Μ a k a r i j hervor: „Unrichtig trachten sie (seil, die Protestanten), die eine Kirdie in zwei Hälften zu teilen, in eine sichtbare und eine unsichtbare Kirche, w o doch diese Kirche entsprechend ihrem inneren Wesen sichtbar und unsichtbar ist. Sie ist Leib und Seele. — Sichtbar ist sie: denn a) besteht sie aus sichtbaren Gliedern, den Menschen, und umschließt nicht nur die für uns erkennbaren Gerechten, sondern auch die Sünder; b) sie besitzt eine sichtbare Hierarchie mit ihrem sichtbaren Aufbau; c) für die äußeren Sinne wahrnehmbar predigt sie, bekennt sie den Glauben an Christus, vollzieht sie die Sakramentsverwaltung und leitet sie die Gläubigen zur Frömmigkeit und zur Errettung. — Unsichtbar ist sie: denn a) hat sie als unsichtbares Haupt den Herrn Jesus Christus selbst; b) in unsichtbarer Weise belebt und heiligt sie alle durch die Gnade des Hl. Geistes; c) hat sie in ihrem Schoß heilige Menschen Gottes, die allein der Herr sieht und kennt als die Seinen." 22

Das Verhältnis von Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit wird entweder, wie es hier geschieht, nach dem anthropologischen Leib-Seele-Schema erklärt, wobei der Heilige Geist die Seele23, die kirchliche Institution aber der Leib ist, oder auch gelegentlich nach der diristologischen Zweinaturenlehre, die dann auf die Kirche übertragen wird. Das Ziel dieser Aussagen liegt offensichtlich nicht so sehr in einer dogmatischen Reflexion über das Wesen der Kirche, und es geht auch nicht primär um eine theologische Begründung. Vielmehr erscheint hier ein vorwiegend praktisches Anliegen, das besonders in der Abgrenzung gegenüber der reformatorischen Ekklesiologie zum Ausdruck kommt. Der unauflösliche Zusammenhang zwischen dem empirischen und dem mystischen Verständnis der Kirdie wird dabei so stark hervorgehoben, daß es geradezu zu einer Gleichsetzung von beidem kommt. Dies wird noch deutlicher in den Aussagen über die geschichtliche Entstehung der Kirche, und von hier aus ergeben sich weitere wichtige Entscheidungen für das Verständnis der apostolischen Sukzession des Amtes und der apostolisdien Tradition der Lehre. In den Kompendien findet man eine ganze Reihe von Gedankengängen, in denen das Verhältnis zwischen Christus und der Kirche von der Gründung der Kirche her dargestellt wird. Dabei treten besonders zwei Bestimmungen in den Vordergrund: Christus als Gründer der Kirche und Christus als Haupt der Kirche. Bei der ersten 22 23

42

M a k a r i j , Dogmatik II, S. 238; vgl. A n d r o u t s o s S. 272. A n d r o u t s o s S. 270.

Bestimmung geht es um die Begründung der äußeren, sichtbaren Gestalt der Kirche, bei der zweiten um ihr geistliches, unsichtbares Wesen. Jesus Christus als Gründer der Kirche: Diese Aussage wird zunächst rein geschichtlidi interpretiert. D i e Gründung der Kirdie ist ein historisches E r eignis, das in die Zeit des Erdenlebens Jesu fällt. H i e r wurde die Kirche „unmittelbar" als eine „umgrenzte" Gemeinschaft mit ganz bestimmten Formen und Ordnungen gegründet. Bereits in diesem A k t der geschichtlichen Institution empfängt die Kirche ihre Lehre, ihr geistliches A m t und ihre Sakramente 2 4 . Stellen wie Eph. 4, 11 f. und 1. K o r . 12, 28 werden vereinfacht als geschichtliche Aussagen über das Leben und H a n d e l n des geschichtlichen Jesus verstanden: Er

hat Apostel, Propheten, Evangelisten, Hirten und Lehrer eingesetzt und

damit die Ämterordnung der Kirche festgelegt 2 5 . Alles, was in der Kirche geschieht, stützt sich so auf die direkten Anweisungen des Herrn. D a s Problem der geschichtlichen Entwicklung wird dabei nicht reflektiert, sondern es wird vorausgesetzt, daß die sichtbare Organisation der Kirche nach den Normen der mündlichen Anweisung Christi von den Aposteln und den Nachfolgern der ersten von Jesus Christus berufenen Amtsträger verwaltet

wurde und

wird. Nach diesem rein geschichtlichen Verständnis erscheint Jesus

Christus,

wenn das auch nicht ausdrücklich gesagt wird, als der erste Bischof der von ihm gegründeten Kirche. I n gewissem Sinne wird so das gegenwärtige V e r hältnis von Bischof, Klerus und Gemeinde in der Kirche in diesen Gründungsakt zurückprojeziert, bzw. der Gründungsakt der Kirche wird in diesen kirchlichen Strukturen veranschaulicht. Auch hinter diesem Gedanken einer linearen, innergeschichtlichen nuität der Kirche und ihrer Organisation verbirgt sich wieder

Konti-

die Polemik

gegen den reformatorischen Kirchenbegriff. D e r gegen die Reformation

er-

hobene V o r w u r f besteht darin, daß sie die geschichtliche Kontinuität mit der von Christus gegründeten Kirche allein schon in ihrer äußeren Ordnung zerbrochen hat. Dadurch erweist sich die Kirche der Reformation als Menschenwerk: „Die Reformation erdachte sich .ihren eigenen' Ursprung der Kirdie Christi. Nach ihrer Lehre unterweist Gott den Menschen innerlich und unmittelbar; es ist nicht der Mensch, der den Mensdien unterweist, sondern Gott; er heiligt auch den Menschen; die Gemeinschaft der Geheiligten (gemeint ist hier die ,communio sanctorum') entsteht von innen nach außen — und das ist dann die Kirche Christi! Nachdem die Reformation den Zusammenhang mit der alten Kirche zerbrochen hatte, konnte sie den Ursprung ihrer Kirche nicht mehr anders erklären . . . Die Kirche Christi ist aber nicht zuerst innerlich und danach äußerlich gegründet worden, sondern umgekehrt." 2 1 M a k a r i j , Dogmatik II, § 1 6 7 ; A n t o n i j § 2 5 2 ; P h i l a r e t (Gumilevskij) II, § 2 9 3 ; S i l v e s t r IV, §§ 117f.; A n d r o u t s o s S. 268ff. 2 5 Bischof I s i d o r in: Z M P 1955, II, S. 84. Vgl. auch I. C e l c o v , Über die Gründung der christlichen Kirche durch den Herrn Gott und unsern Heiland Jesus Christus, in: ChrCt 1860, I, S. 236.

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Es wird zwar eingeräumt, daß das Wort Gottes von innen nach außen wirkt, aber darum geht es hier nicht. Das entscheidende Problem dieser Ausführungen kommt vielmehr darin zum Ausdrude, „daß uns das Wort verkündigt werden muß und daß wir es von wahren Predigern hören müssen " 2 e . Diese Stelle enthält eine wichtige ekklesiologische Aussage: Von der geschichtlichen Kontinuität her wird die Frage nach der rechten Lehre und nach der wahren Kirche schon beantwortet; der ungebrochene Zusammenhang und die geschichtliche Einheit mit der von Christus gegründeten Kirche ist bereits ein entscheidendes Kriterium für die Kirche überhaupt. Die Gestalt der Kirche ist ein Kriterium für das Vorhandensein von Kirche. Neben dieser Bestimmung des geschichtlichen Ursprungs der Kirche steht nun noch ergänzend die Gründung der unsichtbaren Kirche. Während im ersten Fall der Herr als Bischof und Lehrer verstanden wird, tritt nunmehr das Heilswerk mit Kreuz, Tod, Auferstehung und der Ausgießung des Heiligen Geistes in den Mittelpunkt. Es geht also hier um den erhöhten Herrn und um die Fortsetzung seines Werkes, um seine unsichtbare Gegenwart in der von ihm sichtbar gegründeten Kirche. Für die dogmatische Intention in der Ekklesiologie bezeichnend werden diese an sich zentralen Aussagen im Vergleich zu dem ersten Gedankengang über die geschichtliche Institution der Kirche nur beiläufig behandelt. So schreibt Μ a k a r i j : „Aber eigentlich hat Christus seine Kirche erst am Kreuz gegründet oder aufgerichtet, wo er uns, wie der Apostel sagt, durch sein Blut erworben hat (Act 20, 2 8 ) ; denn erst am Kreuz hat uns der H e r r eigentlich erlöst und mit Gott vereint. Erst nach dem Kreuzesleiden ging er zu seiner Herrlichkeit ein (Lk. 24, 26) und konnte den Jüngern seinen Heiligen Geist herabsenden (Joh. 7, 29)." 2 7

Noch deutlicher kommt die Vorstellung von der zweifachen Gründung der Kirche b e i A n d r o u t s o s zum Ausdruck: „Der Heiland hat an vielen Stellen die Gründung seiner Kirche verheißen, die die Pforten der Hölle nicht überwinden werden (Mt. 1 6 , 1 8 ) und für die er sein Blut vergoß (Act 20, 28). Diese gründete er vorbereitend durch die Auswahl und Zurüstung der Apostel zu Organen seines Erlösungswerkes und als Grundsteine seiner Kirche. E r heiligte sie dann zu Pfingsten, an dem Geburtstag der Kirche, als der Heilige Geist auf die Jünger niederkam." 2 8

Die bereits in dem Ansatz der Ekklesiologie deutlich hervortretenden apologetisch-polemischen Verkürzungen haben weittragende Konsequenzen für das ganze weitere Verständnis der Kirche. Die neutestamentlichen und patristischen Aussagen über das Wesen der Kirche als Leib Christi, als Braut des Lammes, als Volk Gottes, als Gemeinschaft der durch Christus Erlösten und von ihm Berufenen u. a. werden eliminiert oder treten mindestens sehr in den Hintergrund. Dies zeigt sich besonders klar in dem offenkundigen Mißver2« 27 28

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P h i l a r e t (Gumilevskij), Dogmatik II, S. 224. M a k a r i j , Dogmatik II, S. 193. A n d r o u t s o s S. 263.

ständnis des Begriffs „sanctorum communio", das durchgehend in den Kompendien zu finden ist 29 . Ohne auf die positive neutestamentliche und patristische Bedeutung dieser ekklesiologisdien Aussage einzugehen — die übrigens auch an mehreren Stellen der ostkirchlichen Liturgie angedeutet ist, wenn hier die Glieder der Gemeinde als „Heilige" angesprochen werden — erblickt man in ihm nur die Gefahr eines schwärmerischen Mißverständnisses der Kirche, das dann zur Auflösung der kirchlidien Ordnung führt 3 0 . Für die Schuldogmatik kann nur die vollendete Kirche „sanctorum communio" sein, nidit aber die „ecclesia in v i a " , in deren Bereich sich Gute und Böse befinden. Denn Heiligkeit und Heiligung sind nach dieser Auffassung Zweck und Ziel des kirchlichen Handelns und der kirchlichen Institutionen, nicht aber eine Qualität der Kirche und ihrer Glieder. Auch in diesem Zusammenhang zeigt sich wieder eine theologisch unreflektierte Vorstellung von einem rein innergeschichtlichen Prozeß der Heiligung, der aus der „ecclesia in v i a " in die „ecclesia in statu patriae" führt 3 1 . Indessen tritt hinter diesen weitgehend unreflektierten und apologetischpolemisch verkürzten ekklesiologisdien Aussagen eine ganz bestimmte Intention hervor, die einen charakteristischen Grundzug der Schuldogmatik andeutet. Die gesamte Lehre von der Kirche ist ganz praktisch auf die Funktion der Kirche mit ihren sichtbaren Ordnungen in der Welt gerichtet. Damit wird die kirchliche Praxis, ihre Grundlage und ihre Autorität betont, während über das Wesen der Kirche nicht weiter dogmatisch reflektiert wird. Die unausgesprochene Frage, die besonders in der Abgrenzung gegenüber dem reformatorischen Kirchenverständnis hervortritt, lautet: Wo ist der Ort, die Institution, auf die die Menschen hingewiesen werden können, um die Fülle der Gnade und der Wahrheit zu empfangen? Die Antwort darauf gibt der ganze Traktat von der Kirche: „Von der Kirche als dem Werkzeug, durch das der Herr unsere Heiligung vollbringt"; „Die Kirche als das vermittelnde Prinzip der Heiligung"; Soweit ich sehe, wird der Begriff der „sanctorum communio" erst in der Dogmatik von T r e m p e l a s (Bd. II, S. 409) auch positiv in der Lehre von der Kirche verwendet. Gewöhnlich sieht man darin ein Theologoumenon der „protestantischen Irrlehre von der unsichtbaren Kirche". 80 Besonders ausführlich wird auf die reformatorische Ekklesiologie von P h i l a r e t (Gumilevskij) in zahlreichen Anmerkungen und von M a l i n o v s k i j III, S. 757—761, eingegangen. Vgl. auch A n d r o u t s o s S. 261, Anm. 2. 31 „Nach der Meinung der Reformation ist die Kirche schon auf Erden eine Gemeinschaft der Heiligen. Doch die Heiligung der Seelen ist das Ziel, für das der Herr seine Kirche auf Erden gegründet hat; in der Theorie der Reformatoren hielt man sie für eine abgeschlossene Sache" ( P h i l a r e t II, S. 227). M a l i n o v s k i j führt die Unterschiede in der Ekklesiologie auf das „sola fide" der Reformation zurück, das den Gebrauch der Gnadenmittel für die Heiligung ausschließe, da die „sancti" bereits gerechtfertigt seien. Er erkennt sehr richtig, daß der Umfang dieser Gemeinschaft „nur Gott allein bekannt" sein kann, aber hier gerade entsteht für ihn die Aporie: Wo ist dann die wahre und wirkliche Kirche auf Erden zu finden? Sie müßte nach ihrem Wesen und auch nach ihrer Gestalt unsichtbar sein. 88

45

„Von der Kirche als der Mittlerin der Heiligung"; „Die Kirche als Organ für das Erlösungswerk Christi" — so lauten die Überschriften in den versdiiedenen Kompendien, unter denen die Lehre von der Kirche behandelt wird 3 2 . Hierauf folgt dann der Hinweis auf die bestehende sichtbare Gemeinschaft, die in ungebrochener geschichtlicher Abfolge Trägerin der Gnadenmittel ist und damit die Heiligung vollziehen kann. M a n kann also hier im Grunde nicht von einem dogmatisch reflektierten Kirchenbegriff sprechen,

der kennzeichnend für

die ostkirchliche

Ekklesio-

logie sein könnte. Es handelt sich vielmehr um eine A r t Belehrung im Sinne der Katechese oder Paränese, die an die Glieder der eigenen Kirchengemeinsdiaft gerichtet ist. Diese katechetische und paränetische Intention enthebt uns zwar nicht der dogmatischen K r i t i k , aber sie mag manche der eklatanten Verkürzungen verständlich werden lassen. Es ist die

ständige Gefährdung

der

Kirchengemeinschaft durch innere oder äußere Auflösung, die hinter diesen Ausführungen steht. Diese Furcht vor einer schwärmerisdien Spiritualisierung der Kirche zeigt sich dann auch sehr deutlich in der Ablehnung des Begriffs „sanctorum communio", hinter dem man die Gefahr eines ekklesiologischen Indifferentismus sieht: „Demnach wären nicht alle, die nicht zu der sichtbaren Kirche gehören, auch der Gliedschaft in der wahren Kirche beraubt. Es wären nicht alle .Häretiker und NichtChristen'; denn es könnte unter ihnen auch einige geben, die den Glauben haben und infolgedessen zur wahren Kirche gehören. Damit befände sich aber die wahre Kirdie nicht nur innerhalb der sichtbaren Kirche, sondern auch außerhalb von dieser."33 I n der auf die eigene Kirdiengemeinschaft gerichteten Katechese und Paränese ist diese Möglichkeit jedoch ausgeschlossen. 3. Der Auftrag

der Kirche an Christi

Statt

D i e Frage nadh dem O r t der Heilsaneignung und der Heiligung bestimmt nun auch die weitere Entfaltung der Lehre von der Kirche und besonders die Lehre von der Autorität des geistlichen Amtes und seiner Funktion in

der

Kirche. I m Anschluß an die geschichtliche Institution der Kirche durch Jesus Christus geht es um die Fortsetzung des Erlösungswerkes in der Geschichte nach dem Tode des Herrn. D i e Aussagen konzentrieren sich auch hier auf das Problem der Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit der Kirche, und sie können in der Formel zusammengefaßt werden, daß die Kirche nach dem Tode und nach der Erhöhung Christi an dessen Stelle tritt und die sichtbare Manifestation seiner unsichtbaren Gegenwart darstellt: „Wer wird (seil, nach dem Tode des Herrn) die prophetischen Weissagungen erfüllen? Wer wird alle Völker und Nationen zu dem Gnadenreich des Messias Jesus füh8 2 Nach der Reihenfolge der Zitate: M a k a r i j , Dogmatik II, S. 187; Philaret II, S. 221; M a l i n o v s k i j III, S. 4 6 7 ; A n d r o u t s o s S. 264. 8 8 M a l i n o v s k i j III, S. 761.

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ren? — Eben dieser Messias Jesus, nur nicht auf sichtbare, sondern auf unsichtbare Weise: Er gründete auf Erden die Kirdie mit der Absidit, daß sie, indem sie unverändert bis zum Ende der Zeiten auf Erden existiert und in unsichtbarer Weise von ihm selbst geleitet wird, den Menschen in jeder Beziehung Seine sichtbare Gegenwart auf Erden darstelle." 34 Bei A n d r o u t s o s ist dieser Gedanke noch ausführlicher formuliert. Die Kirche tritt in ihrer sichtbaren Gestalt an die Stelle des geschiditlichen Christus, und sie übernimmt nicht nur unter seiner unsichtbaren Gegenwart in ihr sein irdisches Handeln als Lehrer der Menschen, sondern sie wird audi ausdrücklich mit dem geschichtlichen und mit dem erhöhten Herrn identifiziert: „Wie der Herr in seiner Menschwerdung die Wahrheit lehrte, von der Sünde befreite, die Menschheit heiligte und durch seine königliche Macht den Zugang zum himmlischen Reich öffnete, so verkündet audi die Kirche, indem sie jenes dreifache Amt umfaßt, die unbeschädigte und unverdorbene Wahrheit; sie reinigt und heiligt zugleich die Gläubigen und führt sie zum ewigen Leben . . . So sind Christus und die Kirche untrennbar miteinander verbunden, und wie Christus der alleinige Lehrer der Menschheit war und der Mittler zwischen Gott und den Menschen, der einzige Name, ,in dem wir gerettet werden sollen' (Act 4, 12), so übt auch die Kirche das Erlösungswerk Christi aus und ist der einzige Träger der Gnade, der ganz gewisse Lehrer der göttlichen Wahrheit und für alle Menschen aller Zeiten die alleinige Arche des Heils." Diese Kirche ist, nach einem Wort Augustins, „der Christus mit uns" 35 . Der Begriff Kirche wird in dem Abschnitt über das geistliche Amt gänzlich auf die Hierarchie und ihre Funktion in der Kirdie eingeengt; denn sie ist von Gott eingesetzt und im eigentlichen Sinne Nachfolger und Träger der Autorität des Herrn in der von ihm gegründeten sichtbaren Gemeinschaft von Menschen. Daraus folgt in allen Kompendien eine scharfe Differenzierung zwischen Hierarchie und Herde 3 6 . Die dogmatischen Verkürzungen, die sich aus dieser Vorstellung von einer geschichtlichen Repräsentation Christi durch die Kirche und durch die Hierarchie ergeben, liegen auf der H a n d . Wichtiger ist, daß auch hier die katechetische und paränetisdie Intention die Grundlage für die dogmatische Aussage bildet. Alle Aussagen über das geistliche Amt sind letztlich eine Aufforderung an die Glieder der Kirdie zum Gehorsam gegenüber dem Stand, der von Christus selbst eingesetzt und befähigt ist, an seiner Stelle die reine Lehre zu verkündigen, die Sakramente zu verwalten und die Kirche zu leiten. Glaube an die Kirche kann so auch ausdrücklich als Unterwerfung unter diese Ordnungen verstanden werden in der Uberzeugung, daß in ihnen und durch sie die göttliche Gnade vermittelt wird und gegenwärtig ist 3 7 . 84 ChrCt 1843, I, S. 456: Über das Verhältnis der Kirche Christi zu Christus ihrem Gründer. (In den früheren Jahrgängen der Zeitschrift erschienen die Aufsätze nur anonym.) 36 A n d r o u t s o s S. 264f. ** Vgl. M a k a r i j , Dogmatik II, §§172ff.; A n t o n i j §§264ff.; P h i l a r e t II, §§ 301ff.; M a l i n o v s k i j ΙΠ, § § 121 ff.; A n d r o u t s o s §49, S. 282ff. 87 Vgl. hierzu den „Ausführlichen Katechismus, Art. 9: „Frage: Was heißt ,an die Kirche glauben?' — Antwort: E s heißt fromm die wahre Kirche Christi zu verehren, sich ihrer Lehre und ihren Geboten zu unterwerfen in der Uberzeugung, daß

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Es ist also nicht zu übersehen, daß die dogmatischen Begründungen für die Autorität des geistlichen Amtes und ebenso das Verständnis der apostolischen Sukzession in den Kompendien im Grunde nur eine Illustration f ü r die Katechese und Paränese sind, nicht aber das Ergebnis einer dogmatischen Reflexion 3 8 . V o m Verständnis des päpstlichen Primats in der römisch-katholischen Kirche unterscheidet sich der Amtsbegriff in den Kompendien nur dadurch, daß an seine Stelle ein pluralistischer E p i s k o p a t tritt, dessen Autorität in den als Bischofssynoden verstandenen ökumenischen Konzilen zum Ausdruck kommt 3 9 . D e r Bischof ist demnach kanonisch und charismatisch der vicarius Christi in terris, und er allein ist befugt und befähigt, die ihm in der apostolischen Sukzession überkommene Autorität und G n a d e kanonisch und sakramental weiterzugeben. Einige charakteristische Zitate mögen dies veranschaulichen: „Was Gott in der himmlischen Kirdie der Erstgeborenen ist, und was die Sonne in der Welt ist, das ist jeder Oberpriester (seil. Bischof) in der einzelnen Kirche; durch ihn wird die Herde gereinigt, gehegt und zum Tempel Gottes erbaut." 40 Apostolische Sukzession und unsichtbare Gegenwart Christi in der Kirche sind untrennbar miteinander verbunden; ohne sie ist die Kirche nicht denkbar 4 1 . „Indem der Herr Jesus die sichtbare Leitung Seiner Kirche den Bischöfen anvertraute, die mittels der ihnen gegebenen Macht alle Gläubigen zu einem einzigen Bund verbinden, hält er selbst das Steuerruder der Kirche als ihr wahres Haupt und belebt sie durch ein und dieselbe heilsame Gnade des Hl. Geistes, wodurch er alle Glieder der Kirche zu einem inneren Bunde vereint." 42 „Als sichtbare Gemeinschaft bedarf die Kirche einer leitenden Instanz, die das dreifache Amt des Herrn ausübt, die Verkündigung des göttlichen Wortes, die priesterliche Verwaltung der Sakramente und die Leitung der Gläubigen. Hierzu erwählte der Herr die Apostel, nämlich die zwölf und die siebzig, denen er seine Gewalt und Autorität übergab und die er durch die Kraft des Hl. Geistes stärkte. Die Apostel aber, ihrer Aussendung vom Herrn eingedenk, übten nicht nur den ihnen anvertrauten Dienst die von ihrem einigen ewigen Haupte, dem Herrn Jesus Christus, ausgegossene Gnade in ihr gegenwärtig ist, zum Heile wirkt, lehrt und leitet." Bei A n d r o u t s o s ist die „Unterwerfung unter die Hierarchie" ein Merkmal der sichtbaren Kirche (S. 269). 3 8 Die Kritik an dieser scharfen Trennung zwischen Hierarchie und Herde zeigt, daß diese Aussagen in keiner Weise mit dem Selbstverständnis der Ostkirche übereinstimmen. Wir werden später sehen, wie gerade an diesem Punkt die Neubesinnung in der Lehre von der Kirche einsetzt. 3 9 Sämtliche Kompendien verstehen das ökumenische Konzil als Bischofssynode. A m schärfsten ist dies bei A n d r o u t s o s formuliert: Die zum Konzil versammelten Hierarchen treffen ihre Entscheidungen „ipso jure, und diese Entscheidungen sind daher aus sich und nicht auf Grund der Zustimmung der Kirche unfehlbar" — im Wortlaut entspricht dies der Definition der päpstlichen Unfehlbarkeit auf dem Vatikanum (S. 290, vgl. Denzinger, Enchiridion Symbolorum, Nr. 1839). 40 Confessio Dosithei ( K a r m i r i s , Dokumente . . . II, S. 753). 4 1 P h i l a r e t II, S. 250. 4 2 M a k a r i j , Dogmatik II, S. 231. 48

im Namen des Herrn aus, sondern sie gaben auch die priesterliche Gewalt an andere weiter . . ." 43 Es ist bezeichnend, daß in den Kompendien über eine theologische Begründung der apostolischen Sukzession nicht weiter reflektiert wird; sie wird einfach als ein Element des kirchlichen Lebens und der kirchlichen Praxis vorausgesetzt. Ebensowenig wird auch über den geschichtlichen Ursprung der Ämterordnung reflektiert. So wie die ersten Amtsträger unmittelbar von dem irdischen Christus berufen und eingesetzt wurden, stammt auch die Einteilung des geistlichen Amtes in die drei Stufen des Bischofs, des Priesters und des Diakons unmittelbar von Christus 44 . Ihn ähnlicher Weise kann die ganze geschichtliche Entwicklung und Erscheinung der Kirche in einer direkten Identität mit der Urkirche gesehen werden. Indessen würde eine Kritik vom historischen Standpunkt aus hier ihr Ziel völlig verfehlen. Denn letztlich ist alles, was von der Kirche gesagt wird, theologisch gesehen weder eine historische Begründung bestimmter Ordnungen noch eine dogmatische Aussage über das Wesen der Kirche. Es sind vielmehr unreflektierte und vereinfachende Chiffren, in denen das Kirchenbewußtsein zum Ausdruck kommt: die historische und charismatische Kontinuität der Kirche und ihre Übereinstimmung mit dem Willen des Herren, um die es dabei geht, ist nicht ein dogmatisches Problem, das es zu beleuchten gilt, sondern die Kontinuität und die Identität der Kirche wird von dem Kirchenbewußtsein als gegeben vorausgesetzt. Und so tritt die Kirche mit dem Anspruch und in der Erwartung auf, daß alles, was in ihr geschehen ist und was in ihr geschieht, im Auftrag des Herrn, im Gehorsam zu ihm und unter seiner unsichtbaren Gegenwart vollzogen wird. Indem so die Glieder der Kirchengemeinschaft auf die sichtbare Kirche mit ihren Ordnungen hingewiesen werden, weist sie der Dogmatiker auf die Gemeinschaft, von der er glaubt und weiß, daß in ihr die Verheißung Christi und sein Werk weiterleben und zum Heil der Menschen verkündigt werden. Gliedschaft am Leibe Christi, das wird hier immer wieder betont, ist nur durch die Kirchengemeinschaft und in ihr möglich. Dies ist ein durchaus legitimes Anliegen der Schuldogmatik, selbst wenn ihr KirchenbegrifT theologisch offensichtlich noch nicht durchdacht ist und wenn entscheidende Aussagen über das Wesen der Kirche durch die apologetisch-polemische Tendenz eliminiert werden. In der katechetischen und paränetischen Intention soll gerade zu der geistlichen Wirklichkeit der Kirche hingeführt werden: 43 A n d r o u t s o s S. 282. Vgl. V. E k z e m p l a r s k i j , Die Lehre der Bibel und der Heiligen Väter vom Wesen des Priestertums (russ.), Kiew 1904, S. 279ff. u Vgl. A n d r o u t s o s S. 284ff. Ähnliches zeigt sich bei der Siebenzahl der Sakramente, die bekanntlich erst im Westen auf dem Konzil von Florenz-Ferrara 1439 definiert worden ist oder auch bei den sog. „apostolischen Konstitutionen". Was für die historische Forschung sekundäre Entwicklung ist, bildet im Kirchenbewußtsein Eigentum der Kirche, weil es zu der faktischen Ordnung der Gemeinschaft gehört, die sich als die wahre Kirche Christi versteht und die mit diesem Anspruch vor ihren Gliedern auftritt.

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„Daß die innere Einigung mit dem Herrn das Ziel ist, auf das die Kirche hingerichtet ist, ist wahr; aber diese mystische Einigung entsteht nur im Bereich der sichtbaren Kirche und wird durch sie bewirkt, und darum können die von der sichtbaren Kirche Getrennten auch nicht Christen genannt werden. Nur die sichtbare Kirche bessert das religiöse und sittliche Bewußtsein der Menschen, weil deren wahre und göttliche Umwandlung immer eine sichtbare Gemeinschaft voraussetzt, an die sie gebunden sind und von der sie belebt werden . . . Nur die sichtbare Kirche ist der sichere Schatzmeister und Lehrer der ewigen Worte des Glaubens und die ungetrübte Quelle der Erlösungskraft . . ." 4S Von hier aus werden audi die in den Kompendien formulierten Definitionen der Kirche verständlich. Die Kirche wird in ihnen stets als eine faktische und praktische Einheit im Glauben, in den Sakramenten und unter der Hierarchie verstanden, in der die Glaubenden vereint sind und der sie sich unterwerfen sollen, um des Heils teilhaftig zu werden. Der Einsatzpunkt der Definitionen ist dann auch durchgehend eine Bestimmung der sichtbaren Kirchengemeinschaft. Einige Beispiele dafür seien hier angeführt: „Kirche ist die Gemeinschaft der orthodox Glaubenden und in Jesus Christus Getauften. Unmittelbar ist sie von Ihm selbst gegründet worden und mittelbar von den hl. Aposteln. Von Ihm selbst wird sie belebt und zum ewigen Leben geführt; in sichtbarer Weise durch die geistlichen Hirten: durch Lehre, Sakraments Verwaltung und Leitung, und gleichzeitig auf unsichtbare Weise durch die allwirkende Gnade des Hochheiligen Geistes." 46 „Die neutestamentliche Kirche ist eine von Gott gegründete Gemeinschaft von Menschen, die untereinander durch die Einheit des Glaubens an Jesus Christus und die Gemeinschaft in den Sakramenten vereint sind unter der sichtbaren Leitung von Hirten und der unsichtbaren von Ihm selbst zur Erreichung der ewigen Errettung." 47 „Kirche ist die Gemeinschaft derer, die an Christus glauben. Sie ist vom Herrn gegründet, vereint durch das Wort Gottes, die Sakramente und das Priestertum unter der Leitung des Hl. Geistes zur ewigen Errettung." 48 „Kirche ist die heilige Institution, die von dem menschgewordenen Wort Gottes zur Errettung und Heiligung der Menschen eingesetzt worden ist. Sie trägt göttliche Autorität und Macht und wird gebildet von Menschen, die einen Glauben haben und an denselben Sakramenten teilhaben. Sie teilen sich in das Volk und den leitenden Klerus, der seinen Ursprung in ununterbrochener Sukzession auf die Apostel und durch sie auf Jesus Christus zurückführt." 48 Wahres Glied in der Kirche und wahrer Christ kann nur der sein, der ein Orthodoxer ist, d. h. „der mit Genauigkeit den Glauben an Christus nach ihrer (der orthodoxen Kirche) Lehre bekennt, der teilhat an den Sakramenten der Kirche, der alle ihre Anordnungen und Gebote befolgt und erfüllt und der sich ihrer hierarchischen Autorität unterwirft" 5 0 . Dies zu zeigen, ist offensichtlich die letzte Absicht des Traktats von der Kirche in den Kompendien der Schuldogmatik.

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4« M a k a r i j , Dogmatik II, S. 235. A n d r o u t s o s S. 271f. 4 8 P h i l a r e t II, S. 221. A n t o n i j S. 195. A n d r o u t s o s S. 262. Weitere Definitionen s. bei J u g i e , a . a . O . Bd. I V , S.277ff. A n t o n i j S. 212.

C. O f f e n e F r a g e n i n d e r E k k l e s i o l o g i e und das P r o b l e m der E i n h e i t Wie sich gezeigt hat, kann die Ekklesiologie der Schuldogmatik keinesfalls als eine dogmatisch fundierte Lehre von der Kirche angesehen werden. Verständlidi werden die ekklesiologischen Aussagen nur, wenn man ihre apologetisdi-polemische Tendenz und ihre praktische Intention berücksichtigt. N u r so kann man erklären, daß das Verständnis der Kirche als mystischer Leib Christi, als Gemeinschaft der durch seine Erlösungstat Geheiligten und Berufenen, als Gemeinde, die sich zu ihm als ihrem H e r r n und Heiland bekennt, fast gänzlich hinter der Gehorsam fordernden hierarchischen Organisation zurücktritt. Indessen betrifft dieses Urteil nur die weithin fehlende dogmatische Reflexion. Es ist ein Urteil über die theologische Arbeit, nicht aber über das Kirdienbewußtsein der Ostkirche. Denn die kirchliche Wirklichkeit ist wesentlich weiter und umfassender als diese Versuche zu ihrer Formulierung in einem Kirchenbegriff 51 . Wenn wir die Ekklesiologie der Kompendien als institutionalistisch bezeichnen, dann meinen wir damit nicht einen bestimmten konfessionellen Typus in der Lehre von der Kirche, den wir dann mit der Ostkirche verbinden, sondern wir stellen lediglich fest, daß die Betonung der Institution in der Sdiuldogmatik ein Ausdruck f ü r einen noch nicht hinreichend geklärten Kirchenbegriff ist. Das Wesen der Kirche wird noch nicht anders erfaßt als in den empirischen Normen der kirchlichen Organisation 52 . Es ist im Grunde ein vordogmatisdies Stadium der Lehre von der Kirche. Die Definitionen der Kirche in den Kompendien scheinen auf eine Identifikation der empirischen Kirchengemeinschaft mit der Einheit im Leibe Christi hinzudeuten. Dies ist zutreffend, wenn man es als eine Aussage des Kirdhenbewußtseins versteht; es ist aber falsch, wenn man die Definitionen als dogmatische Formulierungen ansieht, also als eine Aussage in der Form eines theologisch begründeten Kirchenbegriffs. Solange das Problem der kirchlichen 51

Dazu braucht man nur auf die ostkirchliche Liturgie zu verweisen, in der viel reichere und dem Neuen Testament nähere Aussage über die Kirche zu finden sind. In dem „sancta sanctis" bei der Distribution der eucharistischen Gaben und an anderen Stellen ist auch das Verständnis der Gemeinde als „sanctorum communio" zu erkennen, wie es im NT, im Apostolikum, bei den Kirchenvätern und schließlich auch in der bekämpften reformatorischen Ekklesiologie vorliegt. 52 Bezeichnend dafür ist die Ekklesiologie des Metropoliten A n t o n i j (Chrapovickij): Er hatte, vor allem in der ökumenischen Begegnung, eine sehr enge Auffassung von den Grenzen der Kirche vertreten (s.u. S. 199 ff.). Demgegenüber findet man bei ihm aber auch Aussagen, nach denen das Wesen der Kirche im Grunde undefinierbar ist: „Die Kirche ist ein völlig neues, besonderes und einzigartiges Sein auf Erden, daß man nicht mit Genauigkeit durch irgendeinen Begriff definieren kann, der aus dem weltlichen Leben entnommen ist" (aus: Die ethische Idee des Dogmas von der Kirche, in: Glaube und Kirche, 3, 1901, II, S. 375 [Moskau, russ.], zitiert bei P a w l o w s k i , a.a.O. S. 113, Anm.). 51

Zertrennung (oder auch das der Geschichtlichkeit der Kirche) im Kirchenbewußsein nicht zur Ausarbeitung eines dogmatisch begründeten Kirchenbegriffs geführt hat, kann nur die eigene Kirchengemeinschaft der Ort für die Gemeinschaft am Leibe Christi sein. Für das Kirchenbewußtsein ist dies eine Selbstverständlichkeit, die keiner weiteren dogmatischen Reflexion bedarf. Weder existentiell noch dogmatisch ist aber in der Schuldogmatik die Frage nach dem Verhältnis Kirche — Konfessionen aufgeworfen, sondern nur apologetisch. Daher kann nur auf die eigene Kirchengemeinschaft hingewiesen werden, während jede andere Gemeinschaft, die mit dem gleichen Ansprudi auftritt, ohne jedoch mit der eigenen Gemeinschaft sakramental und kanonisch verbunden zu sein, nicht Kirche, sondern nur Abfall von der Kirche ist. Die ökumenische Problematik ist für die Schuldogmatik noch nicht relevant; trotzdem können und müssen wir versuchen, die auf sie hinweisenden offenen Fragen zu erfassen. Denn auch die spätere Auseinandersetzung mit der ökumenischen Fragestellung geht weitgehend von den in den Kompendien vorliegenden ekklesiologischen Ansätzen aus. Hierfür fallen in den Kompendien zum Teil recht aufschlußreiche Vorentscheidungen. Notwendig müssen dogmatische Aussagen über die Grundlegung der kirchlichen Einheit auch unabhängig von der ökumenischen Problematik dort gemacht werden, wo die bloße Beschreibung der Gestalt der Kirche in Erwägungen über das Wesen der Kirche übergeht. Dies geschieht in der Ekklesiologie der Kompendien an zwei Stellen: in dem Abschnitt über die notae ecclesiae und dann, wenn auch meistens nur beiläufig, bei der Frage nach dem Verhältnis der Gliedsdiaft in der Kirche zu der Gliedschaft am Leibe Christi. Die zweite Frage wird berührt bei der Abgrenzung der Kirche gegenüber der Heterodoxie; sie wird aber audi berührt bei den Aussagen über die Vollendung der Kirche im Blick auf die Grenzziehung des Jüngsten Gerichts. An diesen Stellen wird die bisher unreflektierte Gleichsetzung von empirischer Kirdiengemeinsdiaft und mystisdiem Wesen der Kirche zum dogmatischen Problem. Damit sind wir gleichzeitig bei einem dogmatischen Grundproblem aus der ökumenisdien Fragestellung angelangt; denn sowohl die dogmatische Arbeit am Kirchenbegriff wie auch die theologische Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik konzentrieren sich direkt oder indirekt, was später noch deutlicher wird, auf die Bestimmung dieser Relation. Bei den vier „notae ecclesiae", die aus dem neunten Artikel des NicaenoKonstantinopolitanum übernommen werden, geht es um die Einheit, die Heiligkeit, die Katholizität und die Apostolizität der Kirche53. In einigen Kompendien treten zu diesen vier „notae" noch als Interpretation oder Ergänzung 58 Makarij, Dogmatik II, §§177—181; I. Osinin, Die elementaren Eigenschaften und die allgemeine Bedeutung der Kirche Christi (russ.), ChrCt 1862, I, S. 454—497; Antonij §§257—262; Philaret II, §§296—300; Androutsos S. 273—282; Malinovskij III, § 120.

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die Merkmale der „Unvergänglichkeit" oder „Unüberwindlichkeit" der Kirdie und ihrer „Unfehlbarkeit" hinzu. Die Frage ist nun, ob diese Attribute der Kirdie als empirische Unterscheidungsmerkmale für die geschichtliche Gestalt der Kirdie oder aber ontologisdi als Aussagen über das Wesen der Kirdie verstanden werden. Wenn man bei den oben angeführten Definitionen der Kirdie annehmen konnte, daß sidi empirische und wesentliche Einheit der Kirche decken, so ist dies bei dem Abschnitt über die „notae ecclesiae" nicht mehr ohne weiteres der Fall. Hier bricht, fast unbemerkt, die Möglichkeit einer Diskrepanz zwischen Gestalt und Wesen der Kirdie auf. Einige Beispiele mögen dies veranschaulichen: Einerseits wird festgestellt, daß in den „notae ecclesiae" der Unterschied zwischen wahrer und falscher Kirche sichtbar wird 54 , da sich in ihnen die „orthodoxe Kirche von allen anderen Gemeinschaften und von den nicht-orthodoxen Kirchen unterscheidet" 55 . Aber dann wird andrerseits betont, daß die „notae" nicht den Teilkirchen zukommen, sondern nur der „ökumenischen" Kirche. In dieser Unterscheidung zwischen Teilkirche und ökumenischer oder universaler Kirdie erscheint eine wichtige Differenzierung im Kirdienbegriff. Eine Teilkirche, also eine autokephale und lokale Kirchengemeinschaft, kann, wie Apc 2, 5 zeigt, von der Kirche abfallen. Doch „die ununterbrochene Kontinuität der heiligen Kirche und ihr Festhalten an der Wahrheit bezieht sich auf die ökumenische Kirche Christi und nicht auf die Teilkirchen" — diese sind wie Leuchter, die bald hell, bald dunkel sind, wenn sie sich im Laufe der Geschichte wandeln 56 . Teilkirdie ist offensichtlich hier die geschichtliche Erscheinung der Kirdie in der Form einer bestimmten Kirchengemeinschaft (innerhalb der Ostkirche), während die „ökumenische Kirche" nicht mehr ohne weiteres mit der empirischen Kirchengemeinschaft gleichgesetzt werden kann. In ähnlicher Weise bemerkt Μ a k a r i j zur Einheit der Kirche: „Wenn für uns wegen der Schwachheit und Bosheit einiger Glieder der Kirche eine so vollkommene Einheit in der Erfahrung nicht sichtbar ist, wie sie eigentlich aus der Struktur der Kirdie folgen müßte, dann bleibt sie dennoch eine." 57

Audi bei der Bestimmung der Kriterien für die Einheit deutet sich in den Kompendien eine Differenzierung im Kirchenverständnis an. So fordert z.B. Μ a 1 i η ο ν s k i j eine vollständige Identität in der Lehre, im Gottesdienst und seinen liturgischen Formen, in der hierarchischen Organisation und im Kirchenrecht58. A n d r o u t s o s dagegen unterscheidet zwischen fundamentalen Glaubensaussagen, in denen völlige Übereinstimmung vorhanden sein muß, und deren Interpretation in der Theologie. Sowohl in der Theologie wie auch in der kirchlichen Praxis kann es innerhalb der fundamentalen Einheit gewisse Differenzen geben. Bei anderen Dogmatikern ist die Einheit in GlauM

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P h i l a r e t II, S. 229. » P h i l a r e t II, S. 247. 58 M a l i n o v s k i j III, S. 498.

M a l i n o v s k i j III, S. 496. M a k a r i j , Dogmatik II, S. 235.

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bensfragen (im Dogma) unabdingbar f ü r die kirchliche Einheit, während die Einheit in der Kirchenordnung zwar erwünscht, aber nicht konstitutiv ist 59 . Von der Heiligkeit wird gesagt, daß es bei den Häretikern und Schismatikern keine Heiligen und Märtyrer geben könne, sondern nur in der wahren Kirche, die allein den Weg zur Heiligkeit weist 60 . Doch daneben wird auch von einer verborgenen Heiligkeit gesprochen, die nicht f ü r jedermann sichtbar ist: „Die Kirche ist heilig nach der tatsächlichen Heiligkeit ihrer Glieder, nadi dem Maße ihrer Teilhabe an den Gnadenmitteln und ihrer geistlichen Heiligung und Reife. Solche Glieder sind immer in der Kirche, wenn sie audi nicht für alle sichtbar sind."®1 Abgesehen von dem sehr verflachten Verständnis der Heiligkeit wird audi hier deutlich, daß die Aussagen über die Kirche nicht einfach auf die Kirchengemeinschaft beschränkt werden können. Dieselbe Frage taucht dann audi bei der Erörterung der Katholizität der Kirche auf. Sie kann nicht als eine Bestimmung der empirischen Kirchengemeinschaft und ihrer universalen Verbreitung aufgefaßt werden, sondern wird ebenfalls auf das Wesen der Kirche bezogen. Somit ist audi die Katholizität kein a n weisbares Kriterium der Kirche. Bei der vierten „nota ecclesiae", der Apostolizität, kommt das Problem weniger in Sicht, da dieses Merkmal einseitig auf die apostolische Sukzession des geistlichen Amtes beschränkt wird, die wiederum Kriterium f ü r die charismatische und kanonische Kontinuität ist 82 . Mit Ausnahme des letzten Beispiels wird bei der Behandlung der „notae ecclesiae" die im ekklesiologischen Ansatz und auch in der Definition der Kirche vorliegende Verkürzung des Kirchenbegriffs auf die empirische Kirdiengemeinsdiaft modifiziert. Die anfangs vorliegende Gleichsetzung von kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche wird dabei insofern eingeschränkt, als die äußere Gestalt der Kirche wohl deren mystisches Wesen umschließt, aber nicht mit ihm identisch ist. Allerdings wird dieser Ansatz zu einer dogmatischen Reflexion in den Kompendien nicht weiter verfolgt. Dieselbe Frage taucht noch in einem anderen Zusammenhang auf, nämlich bei den Ausführungen über die „ökumenische Kirche" und das „ökumenische Konzil". Für einige Dogmatiker ist die ökumenische Kirche, die gelegent5

» A n d r o u t s o s S. 274ff. Philaret II, S. 236. A n t o n i j S. 200. 2 ' In der ostkirchlichen Liturgie ist das Wissen um die Diskrepanz zwischen Gestalt und Wesen der Kirche ganz offensichtlich: es wird um die Einheit und um die Heiligkeit der Kirche und ihrer Glieder gebetet. Bezeichnenderweise wird von Philaret (Drozdov) dieser Punkt in seinem Aufsatz „Die Bedeutung des kirchlichen Gebets um die Vereinigung der Kirchen" (in: Beilagen zur Ausgabe der Werke der Heiligen Väter in russ. Ubersetzung, Teil XIX, Moskau 1860, S. 1—5) folgendermaßen interpretiert: In der wahren, ökumenischen Kirche des Ostens ist die Einheit vorhanden. Doch man betet mit diesen Worten darum, daß sich auch die abgefallenen Kirchen zu dieser Einheit bekehren. 61

lidi auch als „Una Sancta" bezeidinet wird, einfach die Summe der autokephalen Kirchen, die in Kirchen- und Sakramentsgemeinschaft stehen 83 ; für andere dagegen ist der Begriff ökumenische Kirche eher eine Eigenschaft, die zwar nur den orthodoxen Kirchen zukommt, ohne jedoch mit der Gesamtheit aller Autokephalien unbedingt identisch zu sein 64 . Doch audi hier wird keine eindeutige Entscheidung gefällt, und die Frage bleibt mithin offen. Sie stellt sich aber dann noch deutlicher bei dem Problem des ökumenischen Konzils. In den Kompendien wird das ökumenische Konzil als die höchste Autorität der ökumenischen Kirche in Fragen des Glaubens und der Kirchenordnung aufgefaßt. Nun wird zwar abgrenzend gegenüber der Heterodoxie festgestellt, daß eine Kirche, die nicht mit der Ostkirche in Kirdiengemeinsdiaft steht, auch nicht den Anspruch erheben kann, Kirche zu sein. Sie ist höchstens eine „christliche Gemeinschaft" 65 . Ob aber nun die Ostkirche als die allein wahre Kirdie berechtigt ist, von sich aus und für sich ein ökumenisches Konzil einzuberufen, dessen Autorität für die Gesamtkirche verbindlich ist, bleibt ein umstrittener Punkt. Abgesehen von den praktischen Schwierigkeiten, die der Einberufung eines soldien Konzils entgegenstehen, hält eine Anzahl von Theologen während der Zertrennung der Kirchen nur ein panorthodoxes Konzil für möglich. Andere dagegen sind der Meinung, daß die Orthodoxe Kirche, gerade weil sie die allein wahre Kirdie sei, auch ohne die abgefallenen Gemeinschaften ein ökumenisches Konzil einberufen könne 66 . Schließlich erscheint die Frage nach dem Verhältnis von Kirchengemeinschaft und Kirche in einem weiteren Zusammenhang unter dem Aspekt der Esdiatologie. Die ekklesiologischen Erwägungen werden hier aus dem Bereich der empirischen Kirchenordnung notwendig herausgenommen. Im allgemeinen wird in den Kompendien die cyprianische Formel „extra ecclesiam nulla salus" so interpretiert, daß man unter „ecclesia" die kanonisch umgrenzte Kirchengemeinschaft versteht. Heiligung und Teilhabe an der Erlösung und mithin am Leibe Christi ist demnach nur durch die innerhalb dieser Kirchengemeinschaft verwalteten Gnadenmittel möglich 67 . Doch diese Z.B. M a l i n o v s k i j III, S. 499. Z.B. P h i l a r e t II, S. 247. «5 M a l i n o v s k i j III, S. 500. «« Für das 19. Jh. vgl. die Übersicht bei M a l i n o v s k i j III, S. 555ff. und D. S. B a l a n o s , Ist die Einberufung einer ökumenischen Synode notwendig und nützlich? (griech.), Athen 1925, S. 3f. Bei P h i l a r e t von Moskau findet sich sogar das interessante Beispiel, wie bei einem Theologen die Ansicht in dieser Frage wechselt: In den ersten Auflagen seiner „Gespräche zwischen einem Suchenden und einem Überzeugten . . kann die Ostkirche kein ökumenisches Konzil einberufen. In den späteren Auflagen hat er jedoch diese Meinung revidiert, offensichtlich in Erkenntnis der ekklesiologischen Konsequenzen. Darauf verweist V. S o l o v j e v in seiner „Geschichte und Zukunft der Theokratie" (dt. Ausgabe der ges. Werke Solovjevs, Bd. II, S. 391). Weiteres zu dieser Frage s. u. S. 232f. 67 7 . 3 . M a k a r i j , Dogmatik II, § 168. M M

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Formel ist nicht in dem Sinne umkehrbar, daß nun innerhalb der so verstandenen „ecclesia" das Heil gewissermaßen „garantiert" wird und daß also die Gliedschaft in der Kirchengemeinschaft mit der Gliedschaft am Leibe Christi übereinstimmt. An dieser Stelle wird der Blick auf die Trennungslinie geriditet, die sich im Jüngsten Gericht auch durch die Kirche hindurchziehen wird. A n d r o u t s o s hat in seiner Dogmatik versucht, diese Frage grundsätzlich zu erörtern. Indem er von der cypranischen Formel ausgeht, kommt er zu einer begrifflichen Unterscheidung zwischen „Glied der Kirche" und „wahrem Glied der Kirche" bzw. zwischen einem „inneren Kreis" der wahrhaft Glaubenden und von Christus Angenommenen und der Kirche „nach dem pragmatischen Verständnis" 6 8 . Die unsichtbare Gemeinschaft der wahren Glieder der Kirche, die innerlich mit dem Herrn verbunden sind, steht so innerhalb der sichtbaren empirischen Kirchengemeinschaft. Doch dieser innere Kreis kann nicht im eigentlichen Sinne als Kirche bezeichnet werden, weil ihm die äußeren, für die Kirche konstitutiven Merkmale fehlen: „ . . . die verborgene Gesamtheit der mit dem Herrn vereinten und nur ihm bekannten Glaubenden kann nicht wörtlich Kirche genannt werden; denn jene heiligen Glieder sind zwar in innerlicher Weise mit dem Herrn verbunden, dodi sie erkennen sich untereinander überhaupt nicht mit Sicherheit als lebendige Glieder. Die Kirche dagegen nach dem pragmatischen Verständnis ist die organische Vereinigung der Glieder zu einem einzigen Ganzen und die positive Anerkennung der Glieder als Glieder." 6 9

Außerdem wirft A n d r o u t s o s die Frage nach dem Heil der außerhalb der Kirchengemeinschaft Stehenden auf. Er beantwortet sie nicht mehr einfach auf Grund der kirchenreditlichen Praxis, nach der bei den übrigen Dogmatikern der Abfall von der Kirchengemeinsdiaft den Verlust des Heils nach sich zieht, sondern läßt die Frage offen. Wie innerhalb der kanonischen Grenzen „nicht jedes Glied gerettet wird, sondern nur jedes wahre Glied", so ist auch außerhalb der Kirchengemeinschaft die Trennungslinie des Jüngsten Gerichts verborgen. Sie durchbricht offensichtlich auch das kirchenrechtliche Urteil über die Heterodoxie: „ . . . die Frage, wer von den außerhalb der Kirche Stehenden gerettet wird, kann nicht mit Sicherheit beantwortet werden. Es ist vielmehr möglich, daß viele von ihnen, die unabsichtlich und ohne eigene Schuld dem Irrtum unterworfen sind, mit Milde gerichtet werden und des Segens teilhaftig werden, den das Bekenntnis der göttlichen Wahrheit s c h e n k t . . . aber der Orthodoxe weiß, daß jedes wahre Glied mit Sicherheit des Heils teilhaftig ist, und er soll daher solche theologischen Erwägungen meiden und nicht versuchen, weder die Gerichte der göttlichen Barmherzigkeit zu ergründen noch die Macht dessen zu begrenzen, ,der will, daß alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit kommen' (1. Tim. 2, 4 ) . " 7 0

«» A n d r o u t s o s S. 267 und 272. β ί A n d r o u t s o s S. 272. Angedeutet wird dieses Problem auch bei M a k a r i j , Dogmatik II, § 178, sowie bei A n t o n i j S. 200 (vgl. das Zitat zu o. Anm. 61). 70 A n d r o u t s o s S. 267. In dem bereits erwähnten Aufsatz von Bischof I s i d o r , Der Herr Jesus Christus, der Gründer der Kirche, 2 M P 1955, 2, wird in Anlehnung an M a k a r i j ebenfalls davon gesprochen, daß die außerhalb der Kirchengemeinschaft

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Man merkt deutlich, wie hier das dogmatische Problem aus rein praktischen, seelsorgerlichen Erwägungen abgeschnitten wird, um der Gefahr eines Relativismus und einer Indifferenz gegenüber der kirchlichen Institution auszuweichen. Zusammenfassend können wir am Abschluß unserer Untersuchung der Ekklesiologie in den Kompendien der Schuldogmatik feststellen, daß sich die Lehre von der Kirche hier noch weitgehend in einem vordogmatischen Stadium befindet. Von einem theologisch durchdachten Kirchenbegriff kann noch nicht die Rede sein. Der Intention nach handelt es sich vielmehr um Aussagen, die ausschließlich auf die Praxis — Katechese, Paränese und Seelsorge — innerhalb der Kirchengemeinschaft gerichtet und von ihr bestimmt sind. Sie sind sowohl in der praktischen wie auch in der damit verbundenen apologetisch-polemischen Ausrichtung getragen von der Gewißheit, daß in dieser hier beschriebenen Kirchengemeinschaft die Kirche Jesu Christi eine lebendige Wirklichkeit ist. Daneben können aber keinesfalls die schwerwiegenden Konsequenzen übersehen werden, die sich für die weitere dogmatische Vertiefung dieses ekklesiologischen Ansatzes zu einem Kirchenbegriff und vor allem dünn für die spätere Auseinandersetzung mit der ökumenischen Fragestellung ergeben. Denn eine christologisch-soteriologische Begründung der Lehre von der Kirche fehlt fast vollständig, ja sie wird sogar weitgehend bereits im Ansatz eliminiert. Im folgenden ist nun zu zeigen, wie sich die ostkirchliche Theologie kritisch und konstruktiv von dem hier dargestellten Ausgangspunkt aus um die Entwicklung eines dogmatisch vertieften Kirchenbegriffs bemüht.

3. K A P I T E L

Die Einheit der Kirche in der russischen religiösen Philosophie A. R e l i g i ö s e

Philosophie

und

Schuldogmatik

Die religiöse Philosophie ist eine Erscheinung in der russischen Geistesgeschichte des vorigen Jahrhunderts und am Anfang dieses Jahrhunderts, die mit ihrer Intensität die Schultheologie für den außenstehenden Betrachter weitgehend verdrängt hat. Es ist daher verständlich, wenn man gelegentlich dazu neigt, das russische Wesen, sein Denken und auch die Kirche des Ostens Stehenden nicht Glieder der Kirche Jesu Christi sein können. Indessen wird im Unterschied zu M a k a r i j auch mit einer verborgenen Gliedschaft in der Kirche gerechnet (a.a.O. S. 88). 57

samt ihrer Theologie von dieser Strömung her zu verstehen. Innerhalb dieser Bewegung gibt es mannigfache Richtungen, und man muß den Begriff „Philosophie" schon sehr weit fassen und ihn ζ. B. auch auf die russische Literatur des vorigen Jahrhunderts ausdehnen, die sich in sehr selbständiger und oft origineller Weise mit religiösen Problemen beschäftigte. Das Verhältnis zur Religion und zum Christentum erscheint dabei unter verschiedenen Gesichtspunkten. Es finden sich zahlreiche spekulative religionsphilosophische und geschichtsphilosophische Werke, dann dichterische Darstellungen des kirchlichen Lebens und der Volksfrömmigkeit und schließlich auch eine Anzahl von Arbeiten, die unmittelbar in die Theologie einmünden. Das Verbindende in allen diesen verschiedenen Strömungen ist das existentielle Pathos des christlichen Glaubens und des kirchlichen Lebens, das darin zum Ausdruck kommt und gerade bei den bedeutendsten Geistern jener Zeit zu einem mehr oder minder offenen Konflikt mit der offiziellen Kirche und ihrer Theologie führte. Eine geradezu revolutionäre Dynamik bestimmt die religiöse Philosophie, eine Leidenschaft, die Glaubenserfahrung dichterisch zu gestalten, philosophisch zu durchdringen, polemisch zu verteidigen oder selbstkritisch bis zur Selbstquälerei zu zersetzen. Es ist eine Bewegung „neben den Kirchenmauern" 1 : Sie kann in die Kirche hineinführen, sie kann sich von ihr entfernen, aber stets geht sie von der Kirche aus, und selbst in der Ablehnung fühlt sie sich mit ihr verbunden 2 . Es ist auffallend, wie oft in der religiösen Philosophie das Problem der Ekklesiologie berührt wird. Aber es geht dabei niemals um die offizielle Kirche mit ihrer hierarchischen Organisation — kirchliche Würdenträger und Theologen treten in der russischen Literatur des vorigen Jahrhunderts nur sehr selten auf; wo sie erwähnt werden, da werden sie meistens auch scharf kritisiert — , sondern es ist die Kirche der Startzen, der schlicht-frommen und oft etwas einfältigen Landpopen, der einfachen Bauern und Leibeigenen, der Schwärmer, der Stundisten und der zweifelnden Intellektuellen; die Kirche der Toren und Sünder und Kleingläubigen. Die Theologie und besonders die Ekklesiologie dieser Strömung in der russischen Geistesgeschichte kann hier nicht in ihrem vollen Umfang untersucht werden, obwohl dies eine überaus interessante Aufgabe wäre, zu deren BeS. o. Anm. 25 zu Kap. 1. Umfassende Darstellungen der russischen religiösen Philosophie bieten: G. F l o r o v s k i j , Wege der russischen Theologie, Paris 1937 (russ.); B. S c h u l t z e SJ, Russische Denker, ihre Stellung zu Christus, Kirche und Papsttum, Wien 1950; V. V. Z e n k o v s k i j , Geschichte der russischen Philosophie (russ.), 2 Bde., Paris 1954 (auch in franz. und engl. Ausgabe erschienen); L . M ü l l e r , Russischer Geist und evangelisches Christentum, die Kritik des Protestantismus in der russischen religiösen Philosophie und Dichtung im 19. und 20. Jahrhundert, Witten 1951. Ausgewählte Quellensammlungen in deutscher Ubersetzung: östliches Christentum, 2 Bde., München 1923/25, hrsg. und übersetzt von N. von B u b n o f f und Hans E h r e n b e r g ; Russische Religionsphilosophen, Dokumente, hrsg. und übers, von N. von B u b n o f f , Heidelberp· 1 2

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handlung bereits einige Ansätze vorliegen. Indem wir uns auf die spezielle theologische Fragestellung unseres Themas beschränken, werden im wesentlichen nur zwei Vertreter dieser Bewegung herangezogen, die ihre bedeutendsten Vertreter sind und deren Denken auf die russische Theologie einen großen Einfluß ausgeübt hat. Diese sind Aleksej Stepanovic C h o m j a k o v (1804—1860) und Vladimir Sergejevic S ο 1 ο ν j e ν (1853—1900). Um ihren Beitrag zur ostkirchlichen Theologie in der rechten Perspektive zu erfassen und zu bewerten, müssen wir der Untersuchung ihrer Ekklesiologie noch einige theologiegeschichtliche Bemerkungen vorausschicken, in denen besonders ihr Verhältnis zur ostkirchlichen Theologie geklärt werden soll. Der Einfluß der theologischen Schriften Chomjakovs und Solovjevs beschränkt sich innerhalb der Ostkirche ausdiließlich auf den Bereich der slavischen Theologie. In der griechischen Theologie sind bisher noch keine Einwirkungen ihrer Gedanken festzustellen. Erst in allerneuster Zeit scheinen die Schriften Chomjakovs durch englische, französische und deutsche Übersetzungen bekannt zu werden. Von einem unmittelbaren Einfluß der religiösen Philosophie Rußlands auf die griechische Theologie kann man jedoch keinesfalls sprechen 3 . Doch auch innerhalb der russischen Theologie darf man den Einfluß der religiösen Philosophie nicht überschätzen, sondern muß sehen, was von ihren Gedanken konstruktiv aufgenommen worden ist und was abgelehnt wurde. Selbst wenn heute die Schriften Chomjakovs und Solovjevs, die in Rußland erst nach dem Tode ihrer Verfasser von einer oft sehr strengen Zensur zum Druck freigegeben wurden, nicht mehr wie im vorigen Jahrhundert einfach verketzert werden, so steht man ihnen doch häufig mit großer Zurückhaltung gegenüber. Das Verhältnis zwischen Schultheologie und religiöser Philosophie ist ein dialektisches, und von beiden Seiten wird aneinander eine oft nur zu begründete Kritik geübt. Dennoch ist die ostkirchliche Theologie gerade durch die Ekklesiologie Chomjakovs und auch Solovjevs in mancher Hinsicht ergänzt worden — selbst da, wo man Chomjakov als Protestanten und Solovjev als Papisten bezeichnet hat. Das Wichtige an der Ekklesiologie der religiösen Philosophie in ihrem Verhältnis zu der der Schuldogmatik liegt darin, daß sie im Grunde genau bei den in der Schuldogmatik offengebliebenen Fragen 3 Als „Papist und Fanatiker" erwähnt wird Solovjev von Erzb. C h r y s o s t o m o s (Kalaphatis) in: Über die Kirche (griech.), Athen 1896,1, A, S. 144 (der Verf. hatte in S. Petersburg studiert). Gelegentlich wird die religiöse Philosophie erwähnt, doch mit einiger Zurückhaltung. So von P. B r a t s i o t i s in: Proces-Verbaux, Athen 1939, S. 123. Eine eingehendere Beschäftigung, die zugleich einiges an berechtigter und fundierter Kritik enthält, zeigt der Aufsatz von J. S. R o m a n i d e s , Orthodox ecclesiology according to Alexis Khomiakov, in: Greek Orthodox Theological Review, 1956, II/l, S. 57—73. Die Ansicht von R. A. K l o s t e r m a n n (Probleme der Ostkirche, 1955, S. 276), daß die Ekklesiologie Chomjakovs sich in der ostkirchlichen Theologie bis auf H. S. A l i v i s a t o s ausgewirkt habe, scheint mir in dieser allgemeinen Form unbegründet zu sein.

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einsetzt und von hier aus sowohl in der Lehre von der Kirche wie auch später bei der Stellungnahme zu den ökumenischen Problemen zu anderen Ergebnissen kommt. Dies zeigt sich besonders in der Synthese von religiöser Philosophie und Sdiuldogmatik bei S. B u l g a k o v und seinen Freunden und Schülern. Das beste Beispiel für die Einwirkung der religiösen Philosophie auf die Sdiuldogmatik ist der ekklesiologische Begriff der „Sobornost'f, auf den wir im vierten Kapitel eingehen werden. Der Unterschied zwischen Sdiuldogmatik und religiöser Philosophie wird aber nicht nur in den Ergebnissen der theologischen Arbeit siditbar, sondern vor allem in der Methode. Chomjakov und sein Kreis der Slavophilen wie audi Solovjev und seine Anhänger verfügten über historische und philosophische Voraussetzungen, die von der Schultheologie jener Zeit erst nodi erarbeitet werden mußten und die in der Dogmatik noch weitgehend fehlten. Sie verfügten auch über eine gute Kenntnis der Geschichte (besonders Solovjev), setzten sich kritisch mit der zeitgenössischen und zumal mit der deutschen Philosophie und Theologie auseinander, und dabei blieben sie nicht bei der einfachen Kompilation dogmatisdier Lehrstücke stehen, sondern versuchten, theologische und philosophische Systeme konstruktiv zu entwickeln. Neben der Ekklesiologie zeigt sich in den theologischen Ansätzen der religiösen Philosophie der Unterschied zur Sdiuldogmatik auch im Dogmenbegriff bei der Verwendung der historischen Methode. Was auf diesem Gebiet in den dogmatischen Kompendien von Ρ h i 1 a r e t (Gumilevskij) und S i 1 ν e s t r (Malevanskij) erst vorsichtig angedeutet wird, ist bei Solovjev bereits Grundprinzip der theologischen und philosophischen Arbeit. Die christliche Glaubenslehre wird bei ihm — und weitgehend auch schon bei Chomjakov — nicht nach dem engen Schema von „orthodox" und „heterodox" formuliert, sondern in historisch-kritischer Auseinandersetzung mit der Vergangenheit auf der Suche nach neuen Wegen in der Sprache und im Denken seiner Zeit. Die Begegnung von religiöser Philosophie und Sdiuldogmatik scheiterte so meistens schon an der Verschiedenheit der methodischen Voraussetzungen oder audi, und dabei zitieren wir einen ostkirchlichen Theologen, an der „Hilflosigkeit der russischen Dogmatiker" 4 . Allerdings wird man bei der rückschauenden Betrachtung auch feststellen müssen, daß die religiöse Philosophie in manchem die Grenze zwischen Theologie und Philosophie überschritten hat, indem sie Wege ging, die zu Recht von der Theologie als Abwege kritisiert wurden. Es ist daher sowohl bei Chomjakov wie auch bei Solovjev zu berücksichtigen, daß sie als Christen und Glieder ihrer Kirche zuerst Philosophen und danach Theologen waren. 1

G. F l o r o v s k i j , Wege der russischen Theologie, S. 387. Das Problem der Dogmenentwicklung oder -entfaltung spielt bis heute in der ostkirchlichen Theologie eine große Rolle. Soweit es für unsere Fragestellung von Bedeutung ist, werden wir in Kap. 6 darauf zurückkommen. Der Einfluß der religiösen Philosophie auf die theologische Methodik ist noch nicht untersucht worden. 60

Β. E i n h e i t ,

Z e r t r e n n u n g und V e r e i n i g u n g b e i A. S. C h o m j a k o v

Die theologischen Schriften nehmen in den gesammelten Werken Chomjakovs einen der acht Bände ein. Die übrigen Arbeiten sind vorwiegend religions· und geschiditsphilosophischen Inhalts 5 . Daneben stehen einige kleinere erkenntnistheoretische Abhandlungen und literarische Schöpfungen. Bekannt ist Chomjakov jedoch eigentlich nur durch seine theologischen Schriften, die aber nicht unabhängig von seinen übrigen Arbeiten interpretiert werden können, da in ihnen wesentliche Voraussetzungen zum Verständnis seiner Theologie liegen. Im Mittelpunkt seiner theologischen Schriften steht die Lehre von der Kirdie, die er monographisch, ökumenisch und apologetisdipolemisch behandelt. Er ist der erste Vertreter der Ostkirche, der sich systematisdi mit den Fragen der Einheit, Zertrennung und Vereinigung befaßt hat. Die Eigentümlichkeit seiner Lehre von der Kirche wird bereits deutlich, wenn man die Intention seiner theologischen und ekklesiologischen Schriften betrachtet. An erster Stelle steht dabei der monographische „Versuch einer katedietischen Darstellung der Lehre von der Kirche; die Kirdie ist eine", abgefaßt gegen 1850. Hier wird in elf Paragraphen die Lehre von der Kirche dargestellt, und zwar ohne jede konfessionelle Polemik, aber doch, wie wir zeigen werden, als eine verdeckte Kritik an der Ekklesiologie der Schuldogmatik, die Chomjakov und seine Freunde als völlig unzureichend ablehnten. Von 1844 bis 1854 führte Chomjakov einen „Briefwechsel mit William Palmer", einem anglikanischen Theologen der frühen Oxford-Bewegung, der sich, wenn auch ohne Erfolg, für eine Annäherung zwischen der anglikanischen Kirche und der Ostkirche einsetzte. Die Briefe zeigen auf beiden Seiten eine große Offenheit und christliche Brüderlichkeit. Sie sind frei von jeder engen konfessionellen Polemik — ein Zeugnis echter ökumenischer Begegnung. Aus den letzten Jahren Chomjakovs stammt eine Sammlung von Gelegenheitssdiriften (1853—1860) in französischer Sprache. Sie sind apologetisch-polemisch und entstanden vorwiegend als Entgegnung auf verschiedene Vorwürfe, die aus römisch-katholischen Kreisen gegen die Ostkirche erhoben wurden. In diesen Schriften finden sich ebenfalls wesentliche Aussagen zur ökumenichen Frage®. 5 Als sein Lebenswerk bezeichnet Chomjakov selbst die 1838 begonnenen „Schriften zur Universalgeschichte", die drei Bände (5—7) seiner Ges. Werke füllen. Die beste Arbeit über Chomjakov ist A. Gratieux, A. S. Khomiakov et le mouvement Slavophile, Bd. I: Les Hommes, Bd. II: Les doctrines, Paris 1939. Außer diesem Werk und den Anm. 2 genannten Arbeiten stützen wir uns noch auf Ν. A. Berdjajev, A. S. Chomjakov (russ.), Moskau 1912. Weiteres zu Einzelfragen s. u. die Anmerkungen. • Die T h e o l o g i s c h e n S c h r i f t e n Chomjakovs sind in Bd. 2 seiner Ges. Werke von J. Samarin (russ., hier 1. Aufl., Prag 1867) veröffentlicht worden. Auszüge

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Eine besondere Vorfrage gilt den Quellen der Ekklesiologie Chomjakovs. Sie können nicht ohne weiteres ermittelt werden, da sich nur wenige Schriftzitate, keine Väterzitate und kaum Hinweise auf Sekundärliteratur finden. Ohne Zweifel war Chomjakov sowohl in der Patristik wie auch in der zeitgenössischen in- und ausländischen Literatur sehr bewandert. Von besonderer Bedeutung ist dabei, daß er den „Tract" „On the Development of Christian Doctrine" von N e w m a n kannte 7 und audi die Schriften J. A. M ö h l e r s . Inwieweit seine Ekklesiologie von Möhlers „Die Einheit in der Kirdie" beeinflußt wurde, ist noch nicht exakt nachgewiesen. Sehr wahrscheinlich handelt es sich aber nicht nur um die Benutzung gleicher patristischer Quellen 8 . Auf die Beurteilung Chomjakovs und seiner Ekklesiologie durch die ostkirchliche Theologie werden wir später zurückkommen. (russ.) in: A. S. Chomjakov, ausgewählte Werke, hrsg. von N. S. A r s e n i e v , New York 1955. Der. „Versuch einer katechetischen Auslegung der Lehre von der Kirche" ist in vielen Ausgaben und Übersetzungen verbreitet. In deutsch siehe: östliches Christentum, Bd. 2, S. 1—27, unter dem Titel: Die Einheit der Kirche. Wir zitieren nach eigener Übersetzung: Versuch, mit Angabe der §§. Die englischen Originale der Briefe findet man bei W. J. B i r k b e c k , Russia and the English Church. Containing a correspondence between William Palmer and M. Khomiakoff in the years 1844—1854, 2. Aufl., London 1917 (zitiert: Cor.). Die französischen Schriften stehen in: A. S. Khomiakoff, L'Eglise Latine et le Protestantisme au point de vue de l'Eglise d'Orient, Lausanne et Vevey 1872 (zitiert: Lat.). Daraus in deutscher Ubersetzung (allerdings nach der russischen Rückübersetzung): Einige Worte eines orthodoxen Christen . . ., in: östliches Christentum, Bd. I, S. 139—199. Literatur zur Ekklesiologie Chomjakovs s. o. Anm. 2; ältere Literatur bei G r a t i e u x ; A. P a w l o w s k i , Idea kosciola . . ., S. 38—-111; N. v. A r s e n i e w , Die Lehre der russischen Slavophilen von der Kirche, in: IKZ 1927, S. 156—-164; P. B a r o n , Un th6ologien laic orthodoxe russe au XI Xe siecle A. S. Khomiakov. Son eccldsiologie, exposd et critique, in: Orientalia Christiana Analecta 127, Rom 1940; E. P o r r e t , Notes sur A. S. Khomiakov et la notion de l'Eglise, in: Hommage et reconnaissance (für K.Barth), Neuchätel-Paris 1946; A. V e d e r n i k o v , Die Idee der Kirche in den Werken A. S. Chomjakovs, in: 2 M P 1954, 7, S. 47—59; J. S. R o m a n i d e s (s. o. Anm. 3). 7 östliches Christentum, Bd. I, S. 185. 8 Die Einflüsse der Ekklesiologie J. A. Möhlers auf die Theologie Chomjakovs sind oft diskutiert worden, ohne daß bis jetzt eine wirkliche Gegenüberstellung durchgeführt worden wäre. Als erster hat V. S o l o v j e v auf die Abhängigkeit Chomjakovs von Möhler hingewiesen (Werke, dt. Ausgabe, Bd. III, S. 212). Siehe ferner: N. v. A r s e n i e w , Chomjakov und Möhler, in: Una Sancta, Sonderheft 1927, S. 89—92; J.-M. C o n g a r , La pensde de Möhler et l'eccldsiologie orthodoxe, in: Irdnikon 1935, S. 321—-329; G. F l o r o v s k i j , Wege der russischen Theologie, S. 247 und 278; S. T y s k i e w i c z , S J, Der KirchenbegrifF Möhlers und die Orthodoxie, in: Die Eine Kirche, zum Gedenken J. A. Möhlers, Paderborn 1939; A. G r a t i e u x , a.a.O. Bd. II, S. 105; P . B a r o n , a.a.O. S. 59; S. B o l s h a k o f f , The Doctrine of the Unity of the Church in the Works of Khomyakov and Möhler, London 1946. 62

1. Die Einheit der Kirche Chomjakov war ein hochgebildeter Laie und kein kirchlicher Würdenträger wie die meisten Autoren der dogmatischen Kompendien. Darin liegt, abgesehen von den erwähnten äußeren Voraussetzungen, bereits ein wesentlicher Unterschied in der Perspektive seines ekklesiologischen Ansatzes zu dem der Schuldogmatik begründet. Die Kirche erscheint für ihn nicht zuerst unter dem Aspekt ihrer Ordnung und ihres geistlichen Amtes, sondern als eine lebendige Wirklichkeit, der er sich innerlich und äußerlich verbunden weiß. Sein Freund und Herausgeber seiner theologischen Schriften, J . S a m a r i n (1819—1867), hat diese existentielle Grundlage der Ekklesiologie Chomjakovs richtig erkannt und formuliert: „Chomjakov lebte in der K i r c h e . . . " ; in allen seinen Werken wird ständig das eine Thema betont: „Die Kirche als lebendiger Organismus der Wahrheit, die der gegenseitigen Liebe anvertraut ist — oder anders: als Freiheit in der Einheit und Einheit in der Freiheit — oder anders: als Freiheit in der Harmonie ihrer Erscheinungen."9 Dies heißt nidit, daß die Schuldogmatik diese Erfahrung der Kirche nicht kannte (freilich meinten dies die zeitgenössischen Kritiker), aber sie vermochte nicht, sie theologisch darzustellen, sondern konnte sie nur mit der kanonischen Organisation umschreiben, die als Ansatzpunkt in der Ekklesiologie diente. Die Ekklesiologie Chomjakovs setzt nun ganz anders und offensichtlich im direkten, wenn auch nicht ausgesprochenen Gegensatz zur Schuldogmatik ein. Die äußere Organisation der Kirche wird kaum erwähnt; von der apostolischen Sukzession des geistlichen Amtes wird an keiner Stelle gesprochen. Wenn die Schuldogmatik die Kirche als eine sichtbare Gemeinschaft von Menschen unter der Einheit von Lehre, Sakramenten und Hierarchie definierte (s.o. S.50), so definiert sie Chomjakov geradezu antithetisch dazu: „Die sichtbare Kirche ist nicht eine sichtbare Gemeinschaft von Christen, sondern der Geist Gottes und die Gnade der Sakramente, die in der Gemeinschaft wohnen." 10 Man könnte meinen, daß mit diesem Satz die ekklesiologischen Definitionen der Schuldogmatik direkt aufgegriffen und modifiziert werden. Nicht die institutionelle empirische Erscheinung der Kirche ist hier der Ausgangspunkt, sondern das pneumatische Prinzip, das in der Kirche wirksam ist und ihre Form bestimmt. Die Kirche ist nicht die von dem geschichtlichen Herrn gegründete Institution, sondern Wirkung des Erhöhten und seines Geistes, „Offenbarung der göttlichen Wahrheit auf Erden" 11 . Begriffe wie Geist Gottes, Gnade, Wahrheit, Heil u. a. sind bei Chomjakov identisch mit dem Begriff Kirche. Während in der Schuldogmatik die Kirche als Heilsanstalt erscheint, wobei der Ton auf die praktische Funktion des geistlichen Amtes fällt, ist sie bei Chomjakov das Heil und die Gnade selbst. So beginnt sein „Versuch einer katechetischen Darstellung der Lehre von der Kirche" unmittelbar mit den bezeichnenden Sätzen: » Chomjakov, Werke (russ.), Bd. II, S. XIV und IL. 11 Lat. S. 45,11, 267. Versuch § 8.

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„Die Einheit der Kirdie folgt notwendig aus der Einheit Gottes; denn die Kirche ist nicht eine Vielzahl von Individuen in ihrer individuellen Getrenntheit, sondern die Einheit der göttlichen Gnade, die in einer Vielheit von vernünftigen Kreaturen lebt, die sich der Gnade unterwerfen. Zwar wird die Gnade auch solchen zuteil, die sich nicht der Gnade unterwerfen und keinen Gebraudi von ihr machen (die das Talent vergraben — vgl. Mt. 25, 18), doch sie sind nicht in der Kirche. Die Einheit der Kirche ist keine scheinbare oder allegorische, sondern eine wirkliche und wesentliche, wie die Einheit vieler Glieder in einem lebendigen Leibe." 12 Die von der Schuldogmatik apologetisch-polemisch im Gegensatz zum reformatorischen Kirchenbegriff aufgeworfene Frage der Sichtbarkeit und U n sichtbarkeit der Kirdie hat für C h o m j a k o v keine Bedeutung; denn der Geist Gottes und die Gnade umfassen sowohl die triumphierende Kirche wie audi die streitende. D i e raum-zeitlidie Differenzierung in sichtbare und unsichtbare Kirdie folgt

nur aus dem

begrenzten menschlichen

Vorstellungsvermögen;

für den Geist und die Gnade existieren diese Grenzen nidit 1 3 . Eine Identifikation der Kirchengemeinschaft mit der Kirche scheint hier schon im Ansatz eliminiert zu sein. Denn die Gnade Gottes läßt sich nicht mit geschichtlichen K a t e g o rien erfassen. Vielmehr existiert die Kirche in der Geschichte nur, „insofern sie der unsichtbaren K i r d i e unterstellt ist und einwilligt, deren Manifestation zu sein". N u r in diesem Sinne, und nicht als geschichtliche Institution, ist „die Kirche, selbst die irdische, eine Sache des Himmels" und „lebt sie selbst auf Erden nidit ein irdisches, menschliches Leben, sondern ein göttliches, seliges" 1 4 . Bei der theologischen Begründung des Wesens der Kirche wird von Chomj a k o v der Begriff des Leibes Christi nidit verwendet. D i e organologische V o r stellung vom Leib und den Gliedern wird zwar gelegentlich auf die kirchliche Gemeinschaft angewandt, ohne jedoch diristologisdi interpretiert zu werden. Das ekklesiologisdie Prinzip Chomjakovs liegt nicht in der Christologie, sondern in der Pneumatologie 1 5 . Aber die K r i t i k an der Ekklesiologie der Schuldogmatik beschränkt sich bei C h o m j a k o v nicht nur auf den ekklesiologischen Ansatz, in dem das mystische Wesen der Kirche betont wird. Sie erscheint auch in den Aussagen über die geschichtliche Gestalt der Kirche, deren Verständnis entscheidend modifiziert wird. Allerdings sind diese Aussagen formal eine K r i t i k an der römisch-katholischen Kirdie und am Protestantismus. Denn die meisten von ihnen finden sich in den apologetisch-polemischen Schriften. Die Lehre von der Kirche erwächst so aus der Abgrenzung gegenüber dem Westen und hat dabei ständig das P r o blem der kirchlichen Zertrennung und Vereinigung vor Augen. Selbst wo von 13 Ebd. Versuch § 1. Lat. S. 274, 112; Versuch § 9. " Der Begriff „Leib Christi" kommt, soweit ich sehe, nur einmal in den theologischen Schriften vor, nämlich Lat. S. 272. Hier wird er in Anlehnung an ein liturgisches Gebet auf die eucharistische Gemeinschaft bezogen. Vermutlich ist V. S o l o v j e v der erste, der den Begriff des Leibes Christi (der in der Liturgie natürlich vorhanden ist) systematisch in der Ekklesiologie verwendet. Dazu s. u. Kap. 3 C. 12

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der geschichtlichen Gestalt der Kirdie gesprochen wird, geht es immer um das Prinzip der Kirche, und das muß hier berücksichtigt und auf seine Konsequenzen untersucht werden. Der pneumatologischen Wesensbestimmung der Kirche entspricht nun im Bereich der Kirchengemeinschaft die „gegenseitige Liebe" (l'amour mutuel). „Die Kirdie, das ist die Offenbarung des Heiligen Geistes an die gegenseitige Liebe der C h r i s t e n . . . " ; sie ist die „auf die gegenseitige Liebe gegründete Einheit"; der „Geist der Liebe" wirkt und lebt in ihr, und „die Liebe ist Kranz und Ruhm der Kirche" 16 . Die gegenseitige Liebe ist ferner das Prinzip des geistlichen und geistigen Erkennens. Dieser Gedanke wird zunächst als Ablehnung des autoritativen päpstlichen Primats und des für Chomjakov individualistischen und rationalistischen Prinzips „sola scriptura" formuliert. Es liegt jedoch audi nahe, hier ebenfalls an eine Kritik an der Betonung der hierarchischen Autorität in der Ekklesiologie der Sdiuldogmatik zu denken. Die Vernunft ist für Chomjakov das Prinzip des rationalen Erkennens, der Erfahrung; die Liebe dagegen ist das Prinzip des geistlichen und geistigen Erkennens. Der Unterschied bezieht sich zunädist auf den Erkenntnisgegenstand, und so gilt im Bereich des Geistlichen und Geistigen (beides kann in der Sprache und Terminologie nicht getrennt werden) das „Prinzip, daß das Leben selbst der geistigen Welt (le monde spirituel) nidits anderes ist als die Liebe und die Gemeinschaft des Gebets" 17 . Die „gegenseitige Liebe" ist in der Kirche Gabe und Aufgabe. Sie formt aus den Individuen eine Gemeinschaft, in der sie zu Gliedern in einem Organismus werden, wo jedes seine eigene Funktion hat, ohne seine Eigenständigkeit zu verlieren. Die Freiheit bleibt in dieser Liebesgemeinschaft immer gewahrt, und es gibt keine Unterwerfung, die von einer äußeren Autorität gefordert werden könnte. N u r in der Gemeinsdiaft der Liebe ist die Erkenntnis der göttlichen Offenbarung möglich; nur durch die Liebe ist sie möglich. Sie ist ein Geschenk des Geistes: „Die gegenseitige Liebe, Gabe der Gnade, ist das Auge, das in jedem Christen die himmlischen Dinge sieht; und dieses Auge hat sidi niemals in der Kirdie geschlossen seit jenem Tage, da die Feuerzungen sich auf dem Haupte der Apostel niederließen, und es wird sich nie schließen bis zu dem Tage, an dem der höchste Richter erscheinen wird, um von der Menschheit Rechenschaft zu verlangen über die Wahrheit, die er ihr gegeben und mit seinem eigenen Blut versiegelt hat."18

Dodi indem die „gegenseitige Liebe" als Gabe Prinzip der kirchlichen Gemeinsdiaft ist, bildet sie auch zugleich das „moralische Gesetz" für das Leben M

Lat. S. 267, vgl. S. 270, 36, 38; Versuch §§ 7 und 9; Lat. S. 46; Versuch § 4. Lat. S. 47. B e r d j a j e v schreibt sehr treffend: „Für ihn war die einzige Quelle der religiösen Erkenntnis und die einzige Garantie der religiösen Wahrheit die Liebe . . . Die Betonung der Liebe als Erkenntniskategorie bildet die Seele der Theologie Chomjakovs" (a.a.O. S. 84/85). 18 Lat. S. 228, vgl. S. 267. 17

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in dieser Gemeinschaft und für ihre Einheit1®. Die Einheit der Kirche gründet sich bei Chomjakov nicht auf die paränetische Forderung des Gehorsams gegen die kanonisch-charismatische Ordnung der Kirche im Glauben, in den Sakramenten und in der Hierarchie. Freilich hat diese Ordnung, die aus der Bußdisziplin abgeleitet ist, auch ihre Bedeutung in der Kirche. Aber ihre Begründung erhält nun einen tieferen theologischen Aspekt. Dem Westen, den „Lateinern" wie auch den Protestanten, macht Chomjakov den Vorwurf, daß beide die äußere Ordnung der Kirche mißverstanden haben. Sie haben das Mysterium der Kirdie „mit den Ordnungen und disziplinaren Regeln vermischt, die zwar (aus dem Mysterium, R.S.) folgen können, ohne jedoch in irgendeiner Weise ein integrierender Bestandteil zu sein" 20 . Auch hier kann man wieder eine Kritik an der Sdiuldogmatik mithören, die noch deutlicher hervortritt, wenn nun von dem Verständnis der Kirche als Liebeseinheit die Unterscheidung von lehrender und hörender Kirdie ausdrücklich aufgehoben wird. An die Stelle der kanonischen Autorität der lehrenden und leitenden Hierarchie tritt das charismatische Prinzip des Geistes, der Gnade und der Liebe, nadi dem jedes Glied der Kirche Träger der Offenbarung werden kann: „Ein jeder Mensch, wie hoch er audi auf der hierarchischen Stufenleiter steht oder wie verborgen er sei in dem Dunkel der niedrigsten Stellung, lehrt und empfängt Belehrung abwechselnd. Denn Gott verteilt die Gaben seiner Weisheit ohne Ansehen der Stellung und der Person."21 — „In Glaubensfragen gibt es keinen Unterschied zwischen Gebildeten und Ungebildeten, zwischen Geistlichen und Laien, zwischen Herr und Sklave, zwischen Herrscher und Untertan, zwischen Mann und Weib."22

Nach der Meinung Chomjakovs besteht in der Ostkirche dieser Unterschied zwischen „ecclesia docens" und „ecclesia audiens" nicht (dies mag der kirchlichen Frömmigkeit entsprechen, nicht aber, wie wir oben zeigten, der Sdiuldogmatik), und Chomjakov beruft sich an vielen Stellen dafür auf die zur Zeit der Abfassung seiner ekklesiologischen Schriften im Jahre 1848 erschienene „Antwort der orthodoxen Patriarchen des Ostens an Papst Pius IX." 2 3 Hier wird der päpstliche Primat mit den Worten abgelehnt: „Da bei uns weder Patriarchen noch Synoden jemals die Macht hatten, Neuerungen einzuführen, weil der Hüter der Religion der Leib der Kirche selbst, nämlich das Volk ist, das will, daß sein Glaubensgut ewig unverändert und gleichförmig dem seiner Väter s e i . . ," 24 In der Kirche gibt es keinen Unterschied der Stellung, sondern nur eine Verschiedenheit der Gaben, die alle von demselben Geist ausgehen. Die eigentliche Funktion des geistlichen Amtes sieht Chomjakov in der Sakraments19

20 Lat. S. 196. Lat. S. 272. 22 Lat. S. 49 f. Lat. S. 62. 23 Text griech. bei K a r m i r i s , Dokumente . . . , Bd. 2, S. 905—925. Chomjakov hat der „Antwort", da sie von vier Patriarchen und 29 Bischöfen unterzeichnet war, eine besonders hohe Bedeutung als Ausdruck der Stimme der Kirche beigemessen (vgl. Lat. S. 50, 61, 270; G r a t i e u x , a.a.O. Bd. I, S. 129). 24 K a r m i r i s , a.a.O. S. 920. 21

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Verwaltung, für die bei der Handauflegung (Cheirotonie) die besondere charismatische Qualifikation verliehen wird 28 . Ein besonderes Charisma der Lehre besitzt das geistlidie Amt jedodi nicht. Dies ist für die ekklesiologische Konzeption Chomjakovs von größter Bedeutung. Denn an dieser Stelle zeigt sidi sein tiefster Unterschied zur Schuldogmatik. Hier setzt die Kritik an Chomjakov später ein, und vor allem ist dies der Punkt, an dem sich die philosophische Intention mit der theologischen berührt. „Lehren" bedeutet in der ostkirchlichen Schultheologie die authentische Uberlieferung der Offenbarungswahrheit in der Identität mit der in Christus geschehenen Offenbarung; „lehren" ist Tradition und Verkündigung in einem. Es setzt voraus, daß die Offenbarung der Kirche von Christus gegeben ist und daß sie von der Kirche unter der Leitung des Geistes Gottes weitergegeben wird — unfehlbar und unveränderlich. Damit ist die Offenbarung vorgegeben; die Kirche hat sie zu bewahren und das Volk hat sie gläubig in der Verkündigung durch das geistliche Amt entgegenzunehmen. Bei Chomjakov jedoch bedeutet „lehren" audi „erkennen", und sein eigentlidies Anliegen kommt in der Frage zum Ausdruck: Wie kann die ihrem Wesen nach transzendente Offenbarung Gottes in der Immanenz angemessen erkannt werden? Es geht ihm, und nach ihm der ganzen auf ihn folgenden religiös-philosophischen Strömung, um das „finitum capax infiniti". Daher interpretiert er audi den angeführten Satz aus der „Antwort" in dem Sinne, daß keine gesdiichtlidie Autorität in der Lage ist, die Wahrheit Gottes zu erkennen, sondern nur der Geist Gottes, der in der geschichtlichen Gemeinschaft lebt 26 . Die kirdilidie Verkündigung sieht er also nicht wie die Schuldogmatik in der Relation von geistlichem Amt und hörender Gemeinde, sondern in der Relation 25 Versuch § 8. Hier wird einmal — fast zufällig — die apostolische Sukzession erwähnt, da sie mit dem Sakrament der Handauflegung, von dem Chomjakov hier handelt, verbunden ist. Bezeichnend ist aber, daß Chomjakov gleichzeitig die Laientaufe betont. M Wir berühren hier eine Frage in der Ekklesiologie Chomjakovs, die im Rahmen unserer Untersuchung nicht beantwortet werden kann. Sehr wahrscheinlich ist eine Beantwortung in den apologetisch-polemischen Äußerungen auch gar nicht zu erheben. Man kann jedoch nicht sagen, daß Chomjakov die Grenze zwischen Theologie und philosophischer Spekulation in illegitimer Weise überschreitet. Problematisch scheint jedoch sein Offenbarungsbegriff zu sein, der ausgesprochen expansiv ist; z.B.: „Bis zu unserer Zeit hat es Heilige Schrift gegeben und, wenn es Gott gefällt, wird es noch weiter Heilige Schrift geben" . . . „Die Schrift hat keine Grenzen, denn jede Schrift, die die Kirche als die ihre anerkennt, ist heilige Schrift" (Versuch § 5). Diese Frage muß hier offenbleiben. — Inwieweit Chomjakov die „Antwort" richtig interpretiert hat, ist fraglich. Jedenfalls wird die hier zitierte Formulierung sonst nicht in Chomjakovs Sinn interpretiert, sondern man hält allgemein an der Differenzierung zwischen hörender und lehrender Kirche fest, vgl. J u g i e , a.a.O. Bd. IV, S. 488f. und B. Schultze SJ, A. S. Chomjakov und das Halb-JahrtausendJubiläum des Einigungskonzils von Florenz, in: Orientalia Christiana Periodica IV, Rom 1938, S. 475 ff.

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von Gott und Mensch. Es geht ihm nicht um die Gehorsam und Vertrauen fordernde Paränese, sondern es geht ihm um die Reflexion auf die Möglichkeit geistlichen Erkennens. Der Geist in der Kirdie, die Gnade, die die Kirche ist, ist das Korrelat für den Geist Gottes — sie sind eine Einheit über Raum und Zeit: „Die Fülle des kirchlichen Geistes ist weder ein Kollektiv noch ein Abstraktum; sie ist der Geist Gottes, der sich selbst kennt und sich nicht fremd sein kann" . . . „Nur das Göttliche (la divinite) allein kann Gott und das Unendliche seiner Weisheit begreifen. Man muß den lebendigen Christus in sich haben, um sich seinem Thron zu nähern, ohne vernichtet zu werden von dem Glanz, der vor ihm ist."

Das aber kann nur die Kirche, und nur sie hat ein Recht dazu27. Das einzelne Glied der Kirche kann wohl irren, die Kirdie aber als Geist Gottes ist unfehlbar 28 . Denn in ihr verbindet sich die menschliche Subjektivität mit der wirklichen Objektivität, und diese Verbindung manifestiert sich in der „gegenseitigen Liebe" als eine „lebendige Totalität" (totalis vivante) 29 . So definiert Chomjakov die Kirche an anderer Stelle mit den Worten: „Die intime Verbindung der menschlichen Subjektivität mit der wirklichen Objektivität einer organischen und lebendigen Welt, einer heiligen Einheit, deren Gesetz nicht ein Abstraktion, nicht eine Sache menschlicher Erfindung, sondern eine göttliche Wirklichkeit ist, Gott selbst in seiner Offenbarung der gegenseitigen Liebe — das ist die Kirche." 3 »

Die Kirche ist der Geist Gottes, sie ist Gnade, Wahrheit und Heil — die Kirche ist das Handeln Gottes, und die einzige Möglichkeit, dies in angemessener Weise zu erkennen, ist der Glauben: Kirche ist Gegenstand des Glaubens. Zumal beim Vergleich mit dem Verständnis der Kirche als Institution, wie es in der Schuldogmatik vorliegt, zeigt sich in dieser zusammenfassenden Formel der theologische Fortschritt in der Ekklesiologie Chomjakovs. „Glauben" wurde von der Schuldogmatik vorwiegend als Annahme der kirchlichen Lehre verstanden; bei Chomjakov dagegen ist „Glaube" der Ausdruck für das Verhältnis zu Gott und für das Leben in der Kirche. Man kann das Wirken Gottes nicht rational erfassen oder beweisen. „ . . . die Kraft der Vernunft dringt nidit durch bis zur Wahrheit Gottes, und die Ohnmacht des Menschen wird offenbar in der Ohnmacht der Beweise" 31 . Menschliche Erfahrung und Anschauung reichen nicht aus, um das Wesen der Kirche auch nur in der sichtbaren Erscheinung voll zu erkennen. Zwar besitzt die Kirche empirisch wahrnehmbare Ordnungen und Riten, aber auch deren Bedeutung enthüllt sich nur dem Glaubenden: „Auch die sichtbare Kirche ist nur dem Glaubenden sichtbar; denn für den Ungläubigen ist das Sakrament nur ein Ritus und die Kirche nur eine Gemeinschaft. Der Glaubende, obwohl er mit den Augen des Leibes und der Vernunft die Kirche nur in ihren äußeren Erscheinungen sieht, ist sich ihrer doch im Geiste bewußt in den Sakramenten, im Gebet und in den gottgefälligen Werken." 3 2 27 29

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L a t . S. 4 4 f . Lat. S. 57 u. ö.

30

2 8 L a t . S. 4 7 , 57, 1 1 2 ; vgl. Versuch §§ 3 und 4. 3 1 Versuch § 5. 3 2 Versuch § 8. L a t . S. 2 4 1 .

Für die Vernunft bleibt das Göttliche in der Kirciie unfaßbar, und allein der Versuch, die Vernunft durdi Beweise an die Stelle des Glaubens zu setzen, ist eine Eigenwilligkeit des Zweifels und zugleidi eine Ablehnung der Kirdie als göttlicher Realität. Es ist Trennung von der Kirche 33 . Die Erkenntnis des Glaubens ist „innerlich" und „lebendig" — die Erkenntnis der Vernunft dagegen ist „äußerlich", „tot", „falsch" und „unvollkommen". Logisch läßt sich die Kirche nur umschreiben, aber letztlich definieren kann man sie nicht. Denn ihre volle Wirklichkeit offenbart sich nur dem, der in ihr lebt und der glaubt 34 . Doch in der Kirche sein, das heißt von Gott berufen und von seinem Geiste erleuchtet sein. Glaube ist Gabe Gottes, und nur Gott allein weiß, ob wir Glauben haben 35 .

2. Zertrennung und Vereinigung der Kirchen In Chomjakovs Lehre von der Kirche gibt es Züge, die der reformatorischen Ekklesiologie sehr nahe kommen oder sogar mit ihr übereinstimmen. Es ist daher audi verständlich, daß man Chomjakov in der Polemik des vorigen Jahrhunderts oft protestantisierende Tendenzen zum Vorwurf gemacht hat. Doch dies braucht uns nicht weiter zu beschäftigen, denn schließlich hatte Chomjakov nicht im entferntesten die Absicht, sich mit dem Protestantismus in irgendeiner Weise zu identifizieren. Es ging ihm vielmehr darum, die erlebte und geglaubte Wirklichkeit der Kirche in angemessener Weise zu erfassen und nicht nur bei einer Beschreibung der kirchlichen Organisation und der Kirchengemeinschaft stehenzubleiben. Wir haben uns nun der Frage zuzuwenden, wie Chomjakov nach der theologischen Uberwindung des institutionalistischen Ansatzes in der Ekklesiologie die Grenzen der Kirche bestimmt und wie er die Zertrennung und die Vereinigung der Kirchen von seinen ekklesiologisdien Voraussetzungen her beurteilt. Die ökumenische Fragestellung ist bei Chomjakov ein wesentliches Element seiner Lehre von der Kirche. Wenn die Kirdie als das Wirken Gottes in der Geschichte bestimmt wird, das nur in dem von Gott geschenkten Glauben erkannt werden kann, dann wird es schwierig sein, eine klare Trennungslinie zwischen Orthodoxie und Heterodoxie zu ziehen und dogmatisch so zu begründen, wie es etwa die Sdiuldogmatik in ihrer Ekklesiologie getan hat. Aber man sieht sehr bald, daß diese Trennungslinie bei Chomjakov fast nodi schärfer gezogen wird als in der Sdiuldogmatik, ja daß die ekklesiologisdien Aussagen Chomjakovs sich nur auf den kanonisch umgrenzten Bereich der Orthodoxen Kirche beziehen. Chomjakov ist überzeugt, daß die pneumatische Einheit der Kirche in der durch die gegenseitige Liebe verbundenen Gemeinschaft ihren sichtbaren Ausdruck 33

Versuch Versuch zu Bd. II der 35 Versuch 34

§ 5; vgl. § 7. § 5, Anm. 1; vgl. B e r d j a j e v , a.a.O. S. 84, und S a m a r i n , Vorwort Ges. Werke Chomjakovs S. XXVIIf. § 5, Anm. 1. 69

findet, und diese vollkommene Einheit besteht allein in der Kirche des Ostens, wo sie durch die Jahrhunderte christlicher Geschichte erhalten blieb. N a d i Chomjakov sind die östlichen Häresien und Schismen ohne Bedeutung für die Einheit der östlichen Kirche. Der Ostkirche etwa die in Rußland entstandenen Abspaltungen von der kirchlichen Einheit vorzuwerfen, „wäre einer ernsthaften Polemik unwürdig" 3 8 . Wenn der Osten auch seine Fehler und Mängel hat und wenn auch gelegentlich die Reinheit der Konzile durch Unordnung und Gewaltsamkeit getrübt wurde 37 , so ist doch im Osten die Einheit der Kirche und ihrer Liebesgemeinschaft providentiell bewahrt worden 3 8 — und dies ist im Westen nicht der Fall gewesen. Die Zertrennung der Kirche sieht Chomjakov allein in dem Abfall des Westens vom Osten. Den Anlaß dazu findet er in der willkürlichen Einführung des Filioque, und die Auswirkungen versucht er in der Ekklesiologie nachzuweisen. Die geschichtlichen Gründe und die dogmatische Seite des Filioque interessieren ihn nicht, sondern es geht ihm, wie er immer wieder betont, allein um das Prinzipielle dieser Abspaltung. So ist die Einfügung des Filioque in das ökumenische Symbol eine „Häresie gegen das Dogma von der christlichen Einheit" 39 . Häresie aber ist Negation der Kirche. Nach der Ansicht Chomjakovs bildete die Kirche im 7. Jahrhundert noch eine große ungeteilte und in der Liebe verbundene Einheit, die Ost und West umfaßte. Im 9. Jahrhundert jedoch wurde die Bruderschaft der Glaubensgemeinschaft zerstört, und damit wurde auch das „Band der Liebe" zerrissen, weil sich eine Teilkirche durch die eigenmächtige Einfügung eines Zusatzes in das gemeinsame Symbol über die „ecclesia catholica" erhob. Hier liegt der Anlaß für die tragische Spaltung der Christenheit, die von Chomjakov sehr eingehend und mit großem Pathos geschildert wird 4 0 . Zusammengefaßt sind es zwei Gesichtspunkte, unter denen Chomjakov die Spaltung zwischen Osten und Westen betrachtet: einerseits zeigt sich in ihr ein moralischer Verstoß gegen die kirchliche Gemeinschaft, und andrerseits zeigt sich in ihr der theologische Irrtum, daß die Lehrautorität der Gesamtkirche auf eine Teilkirche bzw. auf eine einzelne Person übertragen wird. Als sichtbare Manifestation der kirchlichen Einheit hat die Glaubensgemeinschaft eine moralische (soziale) Seite. Diese moralische Seite betrachtet Chomjakov zuerst; denn sie ist es, „die das ganze intellektuelle und soziale Leben der Völker gestaltet hat, die sich christlich nennen" 41 . Häresie ist eine „Frage der Moralität", und indem der Westen ohne den Osten das Filioque einführte, hat er die Brüder des Ostens ausgeschlossen und die auf die gegenseitige Liebe gegründete Einheit zerbrochen. Dies war ein „moralischer Brudermord" (fratricide moral) 42 . Aus dem Willkürakt des Westens entstanden nun folgen36 38 40 41

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37 Lat. S. 13f.; Cor. S. 35ff. Lat. S. 32, vgl. S. 185f. 39 Versuch § 11 u. ö. Lat. S. 97. Lat. S. 99, vgl. Cor. S. 33ff., 59f. und Lat. S. 33ff. 42 Lat. S. 270. Lat. S. 86.

schwere Veränderungen im Leben der westlichen Kirche. „Das Recht, in dogmatischen Fragen zu entscheiden, wurde plötzlich verlagert. Bisher ruhte es in der Universalität der Kirche, aber nunmehr befand es sich in einer lokalen Kirche." 4 3 Die menschliche Vernunft hatte damit den Platz des in der kirchlichen Gesamtheit wirkenden Geistes eingenommen. „Sie erhob sich stolz auf die logische Unabhängigkeit, die man ihr gegeben hatte", und das rationale Gesetz ersetzte nun das moralische und lebendige Gesetz der kirchlichen Einheit 44 . Wo Glaube sein sollte, regierte die menschliche Vernunft. Die innere Einheit der Kirche ging verloren, und dafür erschien eine äußere Organisation. Ein irdischer Staat trat an die Stelle der christlichen Kirche, wo die christliche Einheit verschwand 45 . Die innere Folge ist, daß die geistliche Kontinuität völlig abgebrochen wird, ja daß ein geistliches Leben überhaupt nicht mehr möglich ist, und so verfällt der Westen einer abstrakten Logik, dem Rationalismus: „ L a foi qui rejette sa base morale passe sur le terrain du rationalisme." 46 Es erübrigt sich, auf die Einzelheiten der Kritik Chomjakovs an den westlichen Kirchen näher einzugehen. Die ganze Entwicklung des Westens, und zwar nicht nur die des Christentums, sondern auch die politische und kulturelle, betrachtet Chomjakov als Symptom für den Abfall von der Kirche. Die ganze Geschichte und der gegenwärtige Zustand des Westens folgt notwendig aus der eigenmächtigen Einfügung des Filioq.ue in das ökumenische Symbol. Nachdem man die universale, pneumatische Glaubenserkenntnis der gegenseitigen Liebe aufgegeben hatte, mußte notwendig das Papsttum diese Lücke durch eine immanente Autorität schließen. In der Kirche kann es aber unter einer solchen autoritativen Macht keine echten Glieder mehr geben, sondern nur noch Untertanen und Unterwerfung. Wo die Glaubenseinheit, als Offenbarung des göttlichen Geistes empfangen, in der gegenseitigen Liebe Wirklichkeit sein sollte, wird sie im Westen nur noch durch eine äußere Macht zusammengehalten 47 . Die Reformation und das Auftreten weiterer Spaltungen im Bereich des Westens erscheinen als ein berechtigter Protest gegen diese Macht und auch als ein positiver Versuch, durch innere Erneuerung den Weg zurück zur Kirche zu finden. Doch auch dieser Versuch scheiterte und führte schließlich noch tiefer in den Rationalismus hinein und vom Glauben fort. An die Stelle des zentralistischen und monarchischen Papsttums tritt im Protestantismus ganz unverhüllt die menschliche Vernunft. Das Kriterium für die Erkenntnis der reinen Lehre ist nicht mehr der Geist, nicht mehr die Liebe, sondern menschlicher Verstand und rationalistische Gelehrsamkeit. Der Rationalismus des Papsttums und des Protestantismus muß zwangsläufig zur Auflösung der Einheit führen, die nur aus dem Geist und aus der Liebe bestehen kann, nicht aber aus der Vernunft. Dieser Rationalismus ist das Zeichen dafür, daß „für Lat. S. 36, vgl. S. 216; Cor. S. 68. Lat. S. 41 und S. 38. « Lat. S. 306.

43

44

45 47

Cor. S. 125 u. ö. Lat. S. 37 f. 71

eine Hälfte der Kirche das kirchliche Leben erloschen ist" 48 . Nachdem der Westen vom Osten abgefallen ist, kann es im Westen keine Kirche mehr geben. Aus der Beurteilung der Zertrennung folgen auch gleich die Gesichtspunkte für die Vereinigung. Für Chomjakov ist sie nur auf dem Wege einer Rückkehr des abgefallenen Westens zum Osten möglich, d. h. die Einheit kann nur im Anschluß an die bereits in den Eparchien und Patriarchaten des Ostens bestehende wahre Kirche gefunden werden 49 . Das aber schließt ein, daß der Westen überhaupt erst wieder Kirche werden muß, nachdem er durch die Einführung des Filioque jede Beziehung zur Kirche und jede Möglichkeit, Kirche zu sein, verloren hat. Chomjakov lehnt zwar eine unmittelbare Schuld der gegenwärtigen westlichen Welt an der Zertrennung ab 50 ; er sieht den Westen vielmehr in einem Prinzip des Rationalismus verfangen, das erst überwunden werden muß, damit er wieder zur Einheit und zur Kirche kommen kann. Außer der Wiedervereinigung des Westens mit dem Osten gibt es keine andere legitime Möglichkeit der Vereinigung. Denn die Wege, die vom Westen vorgeschlagen werden, können niemals zur wirklichen Einheit der Kirche fuhren. Das Ziel des römischen Weges zur Vereinigung sieht Chomjakov in der „Union", die dadurch gekennzeichnet ist, daß von den anderen Partnern die Anerkennung des päpstlichen Primats und die Unterwerfung unter die Jurisdiktion des Stuhles Petri gefordert wird. Das Beispiel für diese Vereinigungspolitik sind die unierten Ostkirchen 51 . „Einigung ist möglich mit Rom — Einheit ist jedoch nur möglich mit der Orthodoxie" (union is possible with Rome, unity alone is possible with Orthodoxy) 52 . Die Einheit der römischen Kirche ist eine tote Einheit, in der der Papst als ein Fetisch an die Stelle des verlorenen und abgelehnten lebendigen Prinzips des unveränderlichen Glaubens und der gegenseitigen Liebe getreten ist53. Das Einheitsprinzip des Protestantismus dagegen ist die „Allianz" verschiedener Konfessionen. Es besteht in der Suche nach einem „Minimalbekenntnis" (minimum de foi), dessen man noch jeweils fähig ist54 und das in gelehrten Disputationen ausgehandelt wird. Chomjakovs Schilderung einer solchen Theologenkonferenz soll hier nicht nur als eine amüsante Karikatur mitgeteilt werden, sondern sie kann auch zeigen, wie auch heute noch ökumenische Konferenzen gelegentlich beurteilt werden: „Nehmen wir an, die Hoffnung der protestantischen Doktoren wurde verwirklicht. Nehmen wir an, einer Zusammenkunft von Gelehrten und Theologen ihrer verschiedenen Gemeinschaften gelänge es, nicht eine Allianz zu bilden (das wäre wahrhafter Christen unwürdig), sondern sich auf eine Einheitsgrundlage zu einigen, auf ein gemeinsames Glaubensbekenntnis, das auf irgendein beliebiges Minimum reduziert 48 50 52

72

Lat. S. 36. Lat. S. 97. Cor. S. 8.

49

Versuch § 11, vgl. Cor. S. 125.

51

53

Lat. S. 59 ff. Lat. S. 230.

54

Lat. S. 238.

wäre . . . für wen würde das Glaubensbekenntnis dieser Versammlung Gewissensbindung besitzen? Einige Hundert der versammelten Gelehrten würden übereinstimmen, dodi Tausende der abwesenden Gelehrten würden ihre Meinung nicht teilen. Wo ist dann die Kirche? Es ist nichts als eine Sekte. Und die Tausende von Unwissenden, was madit man mit ihnen? Ist es eine Herde ohne Einsicht und ohne Stimme? Wird nicht in Glaubensfragen der frühere Sklave des Klerus zum Sklaven des Gelehrten — immer dazu verdammt, sein Haupt zu beugen — vor der Tiara und der Mitra ebenso wie vor dem Doktorenhut?" — „Wohl können Sympathie und nervöse Erregung, die solche Feierlichkeiten begleiten, und der intellektuelle Rausch, in den sich die versammelten Menschen mehr oder minder zu stürzen pflegen, zu einem momentanen Konsensus führen. Aber auf Grund welchen Rechtes kann die heutige Tagung für die von morgen bindend sein? Wollen sie einen Tag der Inspiration proklamieren, um dadurch von vornherein ihr Leben an seine Entscheidung zu binden? Tun Sie es ruhig, dann haben Sie noch gar nichts gewonnen, denn selbst wenn Sie es behaupten, so wird es Ihnen nicht gelingen, auch daran zu glauben." Es bleibt immer ein rein individuelles Unternehmen — »eine vergebliche .Ubereinstimmung, ein äußerliches Sklavenverhältnis" 5 5 .

Denn es fehlt die Heiligkeit der Kirche, die das Glaubensbekenntnis audi in Glauben verwandeln kann. Ohne die organische Einheit der Kirche, die allein der geistlichen Erkenntnis fähig ist, bleiben solche Beschlüsse rein subjektive Meinungsäußerungen. Die Orthodoxie jedoch fordert zur Kircheneinheit die volle Übereinstimmung in der Glaubenslehre; „sie verlangt die vollkommene Einheit, wie sie dann auch dagegen nichts anderes als die vollkommene Gleichheit zu geben vermag. Denn sie kennt die Bruderschaft, aber sie kennt nicht die Unterwerfung. So ist also audi keine Annäherung möglich vor einer vollständigen Abkehr von dem mehr als zehn Jahrhunderte alten Irrtum" (das Filioque, R.S.) 5 6 . Gemeinsame Verhandlungen auf einem ökumenischen Konzil sind also erst nach der Uberwindung der Zertrennung möglich. „Damit ein Konzil möglich wird, muß erst der Rationalismus, der die menschliche Vernunft oder irgendeine andere Garantie an die Stelle der gegenseitigen Liebe setzt, in eindeutiger Weise erkannt und verdammt worden sein." 5 7

Bis zu dieser von Gott bestimmten Stunde kann die Kirche keine anderen Beziehungen zu dem Rationalismus im Gewände des Papsttums oder des Protestantismus haben als die „der Liebe, die den Irrtum beklagt und die Umkehr erhofft" 5 8 . Für den Westen ist der Weg zur Kirche ein Weg der Buße. Das moralische Vergehen soll gesühnt werden, und durch den Ansdiluß an die eine Kirche wird dann auch wieder im Westen Kirche möglich sein. So fragt Chomjakov: „Sollte ein A k t der Gerechtigkeit so schwer sein, die Verpflichtung, zu den Brüdern, gegen die man schuldig geworden ist, zu sagen: .Brüder, wir haben gegen euch gesündigt, doch nehmt uns von neuem als die vielgeliebten Brüder auf'?" 5 9 55 57 59

L a t . S. 2 3 9 ff. Lat. S. 63. L a t . S. 187, vgl. Cor. S . 6 8 f .

5

« L a t . S. 61. L a t . S. 64.

58

73

3. Die Grenzen der Kirche Abgesehen von der geschichtlich unbegründeten Simplification, in der die Kirchentrennung ausschließlich als Folge der Einführung des Filioque gesehen wird, zeigt Chomjakovs Beurteilung des Westens — und zwar nicht nur in den apologetisch-polemischen Schriften, sondern auch in dem Briefwechsel mit William Palmer — eine ungeheure Schärfe. Einige von Chomjakovs Freunden und Anhängern sprechen sogar von einem „Mangel an Liebe" 80 . Vor allem aber erscheint hier ein Schematismus, den man nur schwer mit der ekklesiologischen Grundkonzeption Chomjakovs in Einklang bringen kann. Dogmatisch werden die Grenzen der Gnade nicht anders als in der Schuldogmatik mit den Grenzen der Kirchengemeinschaft gleichgesetzt. Der Osten wird in eigenartiger Weise idealisiert, während beim Westen einzelne geschichtliche Erscheinungen und zumal der Liberalismus in der deutschen Theologie des vorigen Jahrhunderts generalisiert und als Symptom f ü r den Abfall von der Kirche gewertet werden. In den ekklesiologischen Schriften Chomjakovs gibt es keine Lösung f ü r diese offensichtliche Diskrepanz zwischen der theologischen Bestimmung der Einheit und der Beurteilung der Zertrennung. Wenn Chomjakov seinen ekklesiologischen Ansatz bei der Beurteilung der kirchlichen Zertrennung konsequent weiter durchgeführt hätte, dann wäre eine Gleichsetzung der Gliedschaft in der östlichen Kirchengemeinschaft mit der Gliedschaft in der wahren Kirche des Glaubens, wie sich hier gezeigt hat, nicht mehr ohne weiteres möglich gewesen. Sicher hätte er ebenso, wie es der Herausgeber seiner theologischen Schriften, J. F. S a m a r i η , in seiner Einleitung tat, die Frage aufwerfen müssen: 60 So Berdjajev, a.a.O. S. 94: „Doch Chomjakov verdarb sein Werk durch eine offensichtliche Leidenschaftlichkeit. Er lehrte in polemischer Form von der Kirche, er verteidigte die Orthodoxie, indem er über die westlichen Konfessionen herfiel. Für ihn ergab es sich, daß das ganze Heiligtum der ökumenischen Kirche Christi, die Freiheit, die Liebe, das Organische, die Einheit nur in der östlichen Orthodoxie vorhanden ist, während im westlichen Katholizismus nichts von alldem, sondern nur Abfall und menschliche Sünde ist. Der Mangel an Liebe gegenüber der christlichen Welt des Westens ist eine unbestreitbare Sünde Chomjakovs." Ähnlich äußerte sich auch schon Chomjakovs Freund Α. I. K o s c h e l e v (1812— 1883) in seinen Briefen an Chomjakov (s. bei L. Müller, Russischer Geist und evangelisches Christentum. S. 62—67). Auch im Westen sieht Koschelev Spuren, die vom Leben der Kirche zeugen. „Jede Häresie, jede Spaltung (wie unsinnig sie in ihrem Wesen auch sein mögen) gehen, denke ich, davon aus, daß jemand irgendeine der Lehren Christi lebendiger und folglich auch wahrer versteht oder anwendet als das an dem Ort und zu der Zeit geschieht . . ., denn sonst könnte sie gar nicht entstehen, geschweige denn leben und sich ausbreiten. Jede Erscheinung in der Welt dient der Offenbarung eines Teilchens der Wahrheit, die Wahrheit selbst ist Christus." „Wer ihn als Gott bekennt . . . der ist Christ und in diesem Sinne sind auch alle Kirchen, die die Gottheit Christi bekennen, Kirchen Christi." „Der Vorzug der Orthodoxie ist kein absoluter, sondern nur ein relativer" (bei L . M ü l l e r , a.a.O. S. 63 und 65).

74

„Leben denn nun nicht alle Orthodoxen in der Kirche? Darauf antworten wir ohne Zögern: Bei weitem nicht alle . . . wir werden zwar zur Kirdie gerechnet, doch wir leben nicht in ihr . . . " Die numerische Gliedsdiaft in der Kirchengemeinsdiaft entspricht also keineswegs der wahrhaften Gliedsdiaft in der Kirche, und der äußere Gehorsam gegenüber ihrer Institution ist kein endgültiges Kriterium für die wirkliche Zugehörigkeit zu ihr 6 1 . Für Samarin gibt es also auch eine Grenze, die durch die Kirdie hindurchgeht; aber diese Grenze ist unsichtbar. Von Chomjakov selbst wird diese Frage eigentümlidierweise nicht berührt, bzw. sein ekklesiologischer Ansatz bricht vor der theologischen Stellungnahme zu dieser Frage ab. Entweder sind nun seine Aussagen über den Westen tatsächlich ein Zeichen von Lieblosigkeit und Feindschaft, oder aber er stützt sich hier auf eine Konzeption, die dogmatisch nicht begründet wird. Auf jeden Fall kann man feststellen, daß es Chomjakov trotz aller Vorzüge seiner Ekklesiologie nidit gelungen ist, die Frage nach der Zertrennung

der Kirdie in

ver-

schiedene Kirchengemeinschaften wirklich dogmatisch zu beantworten. Wenn in den ekklesiologischen

Schriften Chomjakovs

diese

Diskrepanz

nicht aufgelöst wird, so findet sich doch eine Erklärung für den Schematismus, mit dem Chomjakov das Verhältnis zwischen Osten und Westen zu bestimmen versucht, nämlich in seinem großen religionsgeschichtlichen Werk, den „Schriften zur Universalgeschichte" 82 . Ein kurzer Exkurs soll diesen Hintergrund aufzeigen 63 . In seinen „Schriften zur Universalgeschichte" sieht Chomjakov die Entwicklung der Religionen und Kulturkreise in einem Dualismus von zwei Prinzipien, dem des „Iranismus" und dem des „Kuschitismus". Unter weitgehender Abstraktion von geographischen, historischen und ethnologischen Zusammenhängen werden diese beiden Prinzipien bei ihm Begriffe für zwei polar entgegengesetzte Weltanschauungen bzw. für zwei entgegengesetzte Haltungen des menschlichen Bewußtseins. Ihre Phänomene äußern sich in den verschiedenen Religionsarten, und ihre Unterscheidungsmerkmale liegen in dem jeweiligen Verhältnis zum Transzendenten bzw. zum Immanenten. Der „Iranismus" kennzeichnet den Primat des Geistes, der Freiheit und der Liebe. Gott steht hier in einem absoluten Verhältnis der Materie gegenüber, die neben dem Geist nur relative Bedeutung hat. Entsprechend ist die ethische Haltung bei den Vertretern dieses Prinzips frei von jedem Materialismus und Utilitarismus. Genau dem entgegengesetzt ist das Prinzip des „Kuschitismus". Er vertritt gegenüber dem „Iranismus" das rein materialistische und utilitaristische Prinzip, das Vorherrschen einer „organischen Notwendigkeit, die auf Grund von unumstößlichen logischen Gesetzen produziert", „die Anbetung des Lebens als einer ewig notwendigen Tatsache" 64 . So kennt auch der „Kuschitismus" nicht „die moralische Idee der Güte, sondern nur das simple und grobe Prinzip der Gewalt"6®. Es handelt sidi hier um die Chomjakov, Werke Bd. 2 (russ.), S. X V . Chomjakov, Werke Bd. 5—7 (russ.); G r a t i e u x Bd. II, S. 68ff. 6 3 Wir stützen uns hier auf das Referat bei G r a t i e u x , a . a . O . Bd. II, Kap. 4. Von dort sind auch die Zitate übernommen. M Werke 5, S. 530. «5 Werke 5, S. 223. 61

ea

75

Verdinglichung und Rationalisierung der Transzendenz, die aus der Religion nicht mehr als eine „transzendentale Physik" 96 macht. So stehen sich in einer geschichtlichen Dialektik Iranismus und Kusdiitismus, Idealismus und Rationalismus, Geistigkeit und Dinglichkeit, Ethik und Utilitarismus gegenüber. Diese Dialektik bestimmt den Ablauf der Geschichte, und am Ende wird nach langen und heftigen Kämpfen schließlich der Triumph des Geistes über die Materie und die Weltherrschaft des Iranismus stehen. Dieser Triumph ist dann nicht als ein Spiel des Zufalls anzusehen, sondern er ist „die Manifestation der geistigen Kräfte . . . die Belohnung für die Treue, besser als die anderen das Gefühl für die Würde und die Brüderlichkeit der Menschen bewahrt zu haben" 67 . Diese Dialektik wird in den „Schriften zur Universalgeschichte" nun auch auf das Christentum angewandt. Nach den Prinzipien des Iranismus und des Kuschitismus haben die verschiedenen Teile der Kirche ihr eigenes Gepräge erhalten und ihre eigene Mentalität, und von hier aus kann dann audi die Spaltung der Kirche erklärt werden. An dieser Stelle wird der religionsphänomenologische Schematismus in die Ekklesiologie eingeführt, wo er als Hilfskonstruktion für die Beurteilung der Zertrennung zwischen Osten und Westen dient.

Die Scheidelinie zwischen dem Prinzip des Iranismus und dem des Kuschitismus entspricht genau der Trennung, die durch das Schisma zwischen dem Osten und dem Westen im Christentum entstanden ist. N u r die orientalische Kirche (im engeren Sinne sogar nur deren slavisdier Teil) hat das eigentliche Wesen der Kirche bewahrt. Denn in ihr ist die Stimme der Kirche, des Volkes selbst, Zeugnis des Geistes der Einheit. Demgegenüber ist im Westen, besonders in der römischen Kirche, ein autoritatives, juridisches, rationalistisches und legalistisches Prinzip hervorgetreten, das deutlich die Kennzeichen des Kusdiitismus trägt. Es zeigt sich nicht nur im Aufbau der kirchlichen Gemeinschaft, sondern audi in der Theologie, wo das sdiolastische System mit seinen Syllogismen und seinem Formalismus eingedrungen ist, das schon die alte römische Zivilisation charakterisierte 68 . Der Protestantismus ist dann lediglich die Negation der römischen Autorität, eine Entartung zur Anarchie und zum reinen Individualismus 69 . Die Beziehung dieses religionsphilosophisdien oder religionsphänomenologischen Schematismus zu dem in den ekklesiologischen Schriften Chomjakovs hervortretenden Schematismus ist evident. Nur von hier aus wird Chomjakovs Kritik am Westen verständlich, und man sieht auch, daß Chomjakov diesen Schematismus gerade an der Stelle in seine Ekklesiologie einführte, wo eine konsequente Weiterführung des theologischen Ansatzes notwendig zu einem anderen Ergebnis geführt hätte. Doch wir weisen diese untheologischen Hintergründe der Ekklesiologie Chomjakovs nicht auf, um den durchaus positiven Ansatz seiner Lehre von der Kirche zu entwerten. Die Art, in der Chomjakov den Westen beurteilt, ist zwar in der ostkirchlichen Theologie weit verbreitet: man deutet auf die verschiedene Mentalität des Ostens und Westens und verbindet damit Urteile über die Kirchlichkeit des östlichen und 66 68

76

Werke 6, S. 28. G r a t i e u x , a . a . O . Bd. II, S. 80f.

" Werke 5, S. 528f. A . a . O . S. 81.

69

des westlichen Christentums. Auf ähnliche Erscheinungen in der protestantischen Theologie haben wir bereits hingewiesen 70 . Selbst wenn man eine gewisse persönliche Leidenschaftlichkeit in Rechnung zieht, so liegt das eigentliche theologische Problem doch darin, daß die ökumenische Fragestellung hier dogmatisch noch nicht formuliert werden kann. Der religionsphänomenologische Schematismus Chomjakovs erscheint so als eine Hilfskonstruktion, mit der das dogmatische Vakuum ausgefüllt wird. Gegenüber dem institutionalistischen Ansatz der Schuldogmatik in der Lehre von der Kirche ist es Chomjakov gelungen, die geistliche Realität der Kirche nicht nur von der äußeren Erscheinung her zu erfassen, sondern vom inneren Erleben des Glaubens. Aber dieses Erlebnis der Kirche und ihrer geistlichen Einheit fand er nur in seiner eigenen Kirche, und so bleibt auch bei ihm — ähnlich wie in der Schuldogmatik — die Frage nach den Grenzen der Kirche und nach den Grenzen der Gnade offen. Die Lehre von der Kirche ist bei Chomjakov eine vertiefte theologische Reflexion auf das Kirchenbewußtsein, aber der daraus entfaltete Kirchenbegriff bleibt vor den gleichen offenen Fragen stehen, wie es schon bei der Schuldogmatik der Fall war. Der religionsphänomenologische Schematismus dient dazu, diese offenen Fragen zu verdecken. Indessen trifft man in den ekklesiologischen Schriften auf Gedanken, die darauf hinweisen, daß Chomjakov das dogmatische Problem der kirchlichen Zertrennung und vielleicht auch die Diskrepanz zwischen seinem Urteil über den Westen und seiner ekklesiologischen Grundkonzeption gesehen hat. In einigen verstreuten Aussagen spricht er gerade nicht von der Vollkommenheit des Ostens und der Schwäche des Westens, sondern ganz allgemein von der Unvollkommenheit der Kirche, die erst auf dem Wege zu ihrer ewigen Vollendung ist. An diesen Stellen tritt dann auch bezeichnenderweise der christologisch-soteriologische Aspekt in der Lehre von der Kirche hervor, der sonst bei Chomjakov noch keine wesentliche Bedeutung hat. Die Kirche steht noch im Übergang; sie steht noch in der Heiligung, und ihre letzte Rechtfertigung in Christus wird erst beim Jüngsten Gericht offenbar werden. Auch die „gegenseitige Liebe" hat in der irdischen Gemeinschaft ihre vollkommene Verwirklichung noch nicht gefunden 71 . So mag es auch jetzt schon Glieder der Kirche geben, deren Zugehörigkeit zur Kirche noch nicht offenkundig ist. „ D a die sichtbare und irdische Kirche noch nicht die Totalität und Vollendung der ganzen Kirche ist, der Gott bestimmt hat, bei dem letzten Gericht über seine ganze Schöpfung zu erscheinen, darum wirkt und waltet sie nur in ihren Grenzen, ohne die übrige Menschheit zu richten (Bezug auf 1. Kor. 5, 12). Als Abgefallene, d. h. nidit zu ihr Gehörende betrachtet sie nur die, die selbst von ihr abgefallen sind. Die übrige Menschheit oder die der Kirche fremde oder mit ihr durch Bande verbundene, die es Gott noch nicht gefallen hat, ihr zu offenbaren, überläßt sie dem Gericht des Jüngsten Tages." 7 1 70 71

S. o. S. 23 ff. V e r s u c h § 10; vgl. L a t . S. 264.

72

Versuch § 2.

77

Die Kirche bewahrt zwar die Fülle der göttlichen Offenbarung, die in dem Erscheinen Christi der Menschheit zuteil geworden ist. Sie ist das volle Licht, doch auch außerhalb ihrer Grenzen gibt es in der Dunkelheit noch Strahlen dieses Lichtes (man könnte sie als „vestigia ecclesiae" bezeichnen) — Wirkungen des Geistes und der Gnade 73 . Diese Aussagen sind bei Chomjakov nicht der Ausdruck eines konfessionellen Indifferentismus oder einfacher Toleranz; es ist vielmehr das Zeugnis der Schrift, von dem er seinen religionsphänomenologischen Schematismus korrigieren und auch durchbrechen läßt. Denn auffallend ist, daß gerade auf diese Stellen die wenigen ausdrücklichen Schriftzitate bei Chomjakov konzentriert sind. „Die verborgenen Bande, mit denen die irdische Kirdie mit der übrigen Menschheit vereinigt ist, sind uns noch nicht offenbart: daher haben wir auch weder das Recht noch den Wunsdi, eine strenge Verurteilung zu vermuten, die dann doch von der göttlichen Güte widerlegt wird. Die Worte des Geistes Gottes im Brief des heiligen Paulus an die Römer (Rom. 1) und die Erzählung von der Bekehrung des Hauptmanns (Act 10) erlauben uns vielmehr, für alle unsere Brüder gute Hoffnungen zu hegen — ganz gleich, welches die Irrtümer ihrer Lehre sind. Wir wissen wohl, daß ein Mensch, der fern von Christus und ohne Liebe zu ihm ist, nidit gerettet werden kann. Doch hier geht es nicht um seine geschichtliche Offenbarung (d. h. in der Kirche, R.S.), wie uns der Herr gesagt h a t . . . " , sondern es geht um das unsichtbare Wirken und um die unsichtbare Gegenwart Christi in der Menschheit. Er zeigt sich in der „Gerechtigkeit, in dem Mitleid, in der Liebe . . . in allem, was wahrhaft menschlich ist" unter den Heiden.

Doch auch von den Sekten, also von den abgefallenen Gemeinschaften, kann noch eine Verbindung mit Christus behauptet werden. Chomjakov formuliert dies als Frage: „Finden sich nicht auch in allen christlichen Sekten Menschen, die trotz ihres Irrtums in der Lehre, der oft überkommen ist, mit ihren Gedanken, mit ihren Worten, mit ihren Handlungen, mit ihrem ganzen Leben dem Ehre erweisen, der für seine schuldigen Brüder gestorben ist? Alle, vom Götzenanbeter bis zum Sektierer, sind mehr oder minder im Schatten versunken; doch alle sehen sie inmitten der Finsternis einige Strahlen des ewigen Lichtes leuchten, das sich auf verschiedenen Wegen offenbart. Diese Strahlen sind schwach und unzureichend; sie können jederzeit erlöschen in der Nacht des Zweifels: doch sie gehen von Gott und von Christus aus und laufen in der Sonne der Wahrheit zusammen, die für die Kirche strahlt." 74 Dogmatisch wird das ekklesiologische Problem der Zertrennung auch hiermit nicht gelöst, denn von der Kirche und von Kirchengemeinschaft ist hier nicht die Rede. Aber es erscheint damit in den apologetisch-polemischen Schriften neben der Diskrepanz, die aus dem religionsphänomenologischen Schematismus folgte, eine andere Diskrepanz. Sie ist nicht auf die „Horizontale" der geschichtlichen Erscheinungen gerichtet, sondern auf die „Vertikale" der Begegnung des sündigen Menschen mit dem in Christus rettenden Gott. Die Grenzen der Gnade und des erlösenden Wirkens Gottes in Christus sind weiter als die kanonischen Grenzen der empirischen Kirchengemeinschaft. 78

78

Lat. S. 267.

74

Lat. S. 267—269 ptim.

Chomjakov spricht hier nicht von einer „ecclesia extra ecclesiam" oder einer „ecclesia supra ecclesias", sondern er spricht von der Gnade „extra ecclesiam". Doch Gnade ist nach seiner Definition die Kirche — aber diesen Gedanken führt er nicht weiter aus. Allen Gedanken Chomjakovs, die wir dargestellt haben, werden wir später bei anderen ostkirdhlidien Theologen wieder begegnen. Wie weit jedoch Chomjakovs ekklesiologisdier Ansatz tatsächlich auf die ostkirchliche Ekklesiologie und später auf die Auseinandersetzung mit der ökumenischen Fragestellung eingewirkt hat, kann hier noch nicht entschieden werden. Im Blick auf die gesamte ostkirchliche Theologie ist Chomjakovs Lehre von der Kirche jedenfalls kein Entwicklungsstadium, sondern ein Ansatz, der sich in verschiedener Weise ausgewirkt hat, indem er kritisiert und abgelehnt wurde und indem er aufgegriffen und weitergebildet wurde.

C. D i e

„ U n i v e r s a l e K i r c h e " in der r e l i g i ö s e n P h i l o s o p h i e V. S. S o l o v j e v s

„ ... und daher ist auch die ökumenische Kirche eine, wenn sie auch als zwei erscheint "K Dieser Satz kennzeichnet gleichzeitig den ekklesiologischen Ansatz und die Beurteilung der kirchlichen Zertrennung in der religiösen Philosophie Solovjevs. Der Unterschied zur Schuldogmatik und auch zu Chomjakov ist hier offensichtlich; denn es ist Solovjev darin gelungen, die Diskrepanz zwischen den Kirchen in ihrer empirischen Gestalt und der Kirche in ihrer mystischen Einheit dogmatisch zu formulieren. Die Identifizierung der kanonisch umgrenzten Kirchengemeinsdiaft mit der einen, universalen Kirche, wie sie in den Kompendien der Schuldogmatik vorliegt und wie sie auch weitgehend nodi in dem religionsphänomenologischen Schematismus Chomjakovs hervortritt, ist bei Solovjev aufgehoben. Der Weg, der ihn zu dieser Formulierung führt, soll hier aufgezeigt werden. Dabei geht es um den Begriff der Universalen Kirche, der „Una Sancta". Die Werke Solovjevs sind ungeheuer vielschichtig, und in seinem Denken zeichnen sich tief eingreifende Wandlungen durch verschiedene Schaffensperioden hindurch ab. So ist es nicht einfach, den Kirchenbegriff Solovjevs in einem geschlossenen System herauszuarbeiten. Man wird sich darauf beschränken müssen, einige wesentliche Linien mit ihren jeweiligen Voraussetzungen und Hintergründen darzustellen. Weit mehr als Chomjakov war Solovjev Philosoph, und unter seinen Werken gibt es kaum eine Schrift, die etwa wie Chomjakovs „Versuch einer katechetisdien Darstellung der Lehre von der Kirche" eine rein theologische Arbeit ist. Die Beschäftigung mit theologischen Problemen steht bei ihm immer im Zusammenhang mit erkenntnistheoretischen, . politisch-historischen und » Werke 2, S. 317. 79

religionsphilosophisch-spekulativen Untersuchungen, in denen er die verschiedensten geistgeschichtlichen Einflüsse, von denen sein Denken bestimmt ist, zu einem universalen System zu verarbeiten sucht. In anderem Sinne jedoch ist Solovjev mehr Theologe als Chomjakov. Denn er verfügt über eine gute Kenntnis der Kirchengeschichte, der Patristik und auch der exegetischen Methode (die er allerdings meist in sehr eigenwilliger Weise verwendet). Mögen die philosophisch-spekulativen Hintergründe seines Denkens, die seine theologischen Aussagen sehr stark beeinflußt und geprägt haben, auch noch so problematisch sein, es bleibt ihm doch das unbestreitbare Verdienst, daß er sich als erster in der ostkirchlichen Geistes- und Theologiegeschichte mit der ekklesiologischen und ökumenischen Problematik in einer Weise auseinandergesetzt hat, die aus der Banalität konfessionalistischer Polemik hinausführte. Seiner Zeit war er weit voraus, der Theologie seiner Kirche war er weit überlegen, und darum wurde sein Anliegen auch nur von wenigen verstanden und von den meisten sdiarf bekämpft. Die positiven Seiten seines Denkens vermochte man nicht zu begreifen, und so erschien er den meisten seiner Zeitgenossen einfach als „Papist" und verdammungswürdiger Häretiker. Trotzdem hat er mehr indirekt als direkt auf die neu erwachende russische Theologie und Philosophie seit der Jahrhundertwende einen starken Einfluß ausgeübt, der audi heute noch, besonders in der Theologie S. B u l g a k o v s und seiner Freunde und Anhänger, zu erkennen ist. Weder die ostkirchliche Ekklesiologie noch die ökumenische Theologie der Ostkirche sind ohne Solovjev verständlich. Wir werden seinen Gedanken später immer wieder begegnen. Die Untersuchung der religiösen Philosophie V. S. Solovjevs ist im Rahmen unseres Themas auf die Lehre von der Kirche gerichtet, und von hier aus ergibt sich auch die Fragestellung und die Beschränkung auf bestimmte Schriften aus seinem Gesamtwerk 76 . Die erste Periode seines Schaffens, von L. Μ ü 11 e r als die „anti-römische" bezeichnet (bis 1881) 77 , braucht nicht berücksichtigt zu 78

Als Quelle wurde benützt: Gesammelte Werke V. S. S o l o v j e v s (russ.), 9 Bde., SPB (1. Aufl.). Daraus zitiert werden nur Schriften, die noch nicht in der deutschen Ausgabe enthalten sind. Sonst beziehen sich die Stellenangaben auf die „Deutsche Gesamtausgabe der Werke von Wladimir Solowjew", hrsg. von Wl. Szylkarski, Freiburg, Bd. 2 1957, Bd. 3 1954 = Una Sancta Bd. I und II. Sekundärliteratur s.o. Anm. 2 und K. M o c u l s k i j , Vladimir Solovjev, Leben und Lehre (russ.), 2. Aufl., Paris 1951 (dort S. 121 weitere Literatur); M. d'Herbigny SJ, Un Newman russe, Vladimir Solovjev, 3. Aufl., Paris 1911; L. Müller, Solovjev und der Protestantismus, Freiburg 1951; Ders., Das religionsphilosophische System Vladimir Solovjevs, Berlin 1956; K. Z i z e l k o w , Vladimir Solovjevs Lehre von der Offenbarung, in: In Deo omnia unum, Eine Sammlung von Aufsätzen Fr. Heiler zum 50. Geburtstage dargebracht, München 1942, S. 346—358. — Speziell zum KirchenbegrifF Solovjevs: A. P a w l o w s k i , Idea kosciola . . . 1935, S. 169—232; F. G ö s s m a n n OESA, Der Kirchenbegriff Wladimir Solovjeffs, Würzburg 1936. 77 Zur Periodisierung der Werke Solovjevs vgl. L. Müller, Solovjev und der Protestantismus. 80

werden, da Solovjev in dieser Zeit noch im wesentlichen die Grundkonzeption Chomjakovs und der Slavophilen vertritt. In Fortsetzung unserer theologiegeschichtlichen Analyse setzen wir bei Solovjevs Auseinandersetzung mit Chomjakov ein, um zu zeigen, wie er die Arbeit am Kirdienbegriff an diesem Punkte weiterführt. Aus den späteren Perioden seines Schaffens ziehen wir die „Schriften zur Una Sancta" heran, die alle in deutscher Übersetzung vorliegen. Sie werden hier in chronologischer Reihenfolge aufgeführt: 1. „Die geistlichen Grundlagen des Lebens" (1882—1884), Deutsche Ausgabe der Werke, Bd. II, S. 7—152. 2. „Der große Streit und die christliche Politik" (1883), Bd. II, S. 207—324. 3. „Über die Kirchenfrage anläßlich der Altkatholiken" (1883), Bd. II, S. 335 bis 346. 4. „Geschichte und Zukunft der Theokratie" (1885—1887), daraus besonders die Einleitung, Bd. II, S. 361 ff. 5. „Die russische Idee — L'id^e russe" (1888) (ursprünglich in französisch geschrieben), Bd. III, S. 26—91. 6. „Rußland und die Universale Kirche" (1889) (ursprüngl. französisch: „La Russie et l'Eglise Universelle"), Bd. III, S. 145 ff. 7. „Drei Gespräche" (1899) (daraus die „Kurze Erzählung vom Antichrist") 78 . Wenn man mit der ökumenischen Fragestellung an die Werke Solovjevs herantritt, so muß man sich klar darüber sein, daß die Antworten, die hier gegeben werden, primär durch die universale philosophische Konzeption Solovjevs bestimmt sind und erst in zweiter Linie durch die theologische Auseinandersetzung mit der kirchlichen Zertrennung. Dasselbe gilt auch im weiteren Sinne von der gesamten theologischen Arbeit Solovjevs, deren Hauptkennzeichen die Korrelation zwischen philosophischer Spekulation und dogmatischer Reflexion ist. Eine Trennung, wie sie etwa bei Chomjakov möglich war, ist bei Solovjev ausgeschlossen, da eines das andere bedingt. Kritisch muß daher die Frage gestellt werden, inwieweit die theologischen Aussagen durch die philosophisch-spekulativen Voraussetzungen problematisch werden. Abgesehen von der Konfrontation mit Chomjakov und darüber hinaus mit der übrigen ostkirchlidien Ekklesiologie werden die erwähnten Schriften Solovjevs an Hand von drei Fragenkomplexen untersucht: 1. Welches sind die Grundlagen und Voraussetzungen für Solovjevs Kirchenbegriff? 2. Worin besteht das Eigentümliche in seiner Lehre von der Kirche? und 3. Wie beantwortet er die ökumenische Fragestellung? 78 Die „Kurze Erzählung vom Antichrist" ist mehrfach ins Deutsche übersetzt worden. Wir benützen hier: Wladimir Solowjow, Drei Gespräche, übers, von Erich M ü l l e r - K a m p , Bonn 1954.

81

1. Der ekklesiologische Ansatz bei V. S.

Solovjev

Ebenso wie Chomjakov setzt auch Solovjev bei der Ekklesiologie nicht mit einer Beschreibung der empirischen kirchlichen Institution ein, sondern er bemüht sich zunächst um eine theologische Definition für das Wesen der Kirche. Der Satz, mit dem er seine umfassenden Gedanken zur Lehre von der Kirche im dritten Buch von „Rußland und die Universale Kirche" einleitet, lautet ähnlich wie die Definition der Kirche und ihrer Einheit in Chomjakovs „Versudi einer katechetischen Darstellung der Lehre von der Kirche". Bei Chomjakov hieß es: „Die Einheit der Kirche folgt notwendig aus der Einheit Gottes", und bei Solovjev: „Die wahrhafte Kirche — Tempel, Leib und mystische Gemahlin Gottes — ist eine, wie Gott selbst einer ist." 79 Doch in dieser Formulierung zeigt sich auch gleich der Unterschied zu Chomjakov. Neutestamentliche Aussagen über die Kirche findet man bei Chomjakov nur sehr selten, und in seiner Lehre von der Kirche hat der Begriff des „Leibes Christi" keine zentrale Bedeutung 80 . Bei Solovjev dagegen trifft man ständig auf neutestamentliche Aussagen, und der Bezug auf Schriftstellen ist geradezu charakteristisch f ü r seine ganze religiöse Philosophie, die er durch eingehende Exegesen an H a n d des Urtextes zu begründen sucht. Im Mittelpunkt seiner Lehre von der Kirche steht das Verständnis der Kirche als „Leib Christi", und es ist daher unsere Aufgabe, von diesem Begriff her die Ekklesiologe Solovjevs zu untersuchen. Um die ganze ekklesiologische Konzeption Solojevs und nicht nur ihre Auswirkungen bei der Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik in den Blick zu bekommen, müssen wir etwas weiter ausholen und die für die Lehre von der Kirche entscheidenden Voraussetzungen und Grundlagen aus dem System Solovjevs erheben. Nicht nur methodisch, sondern vor allem audi inhaltlich ist dieses System theologisch-philosophisch oder auch theosophisch. Die Einflüsse, unter denen Solovjev dieses System in seinen Werken mit immer neuen Abwandlungen und Ergänzungen entwickelt hat, weisen auf Jakob B ö h m e , G i c h t e l , H e g e l und S c h e 11 i η g , gelegentlidi audi auf Gottfried A r n o l d u. a. 81 . Es ist eine eigentümliche Synthese von Mystik und idealistischer Geschiditsphilosophie. Aber diese mannigfachen Einflüsse sind nicht einfach kompiliert, sondern vielmehr sehr eigenständig und auch oft eigenwillig verarbeitet zu einem geschlossenen Ganzen. Theologische und philosophische Aussagen können nicht voneinander getrennt werden, denn offensichtlich besteht das Anliegen Solovjevs gerade darin, die 79

Chomjakov, Versuch § 1 ; S o l o v j e v , Werke III, S. 325. S. o. Anm. 15. 81 Es ist schwer — und im Rahmen dieser Untersuchung unmöglich — diesen Einflüssen im einzelnen nachzugehen. Eine Anzahl von Hinweisen findet sich in der Sekundärliteratur. Die Beziehung Solovjevs zu Schelling ist besonders von L. Müller, Solovjev und der Protestantismus, S. 93ff., untersucht worden. Einige Parallelen zur westlichen Mystik und Philosophie sind auch in den Anmerkungen zur deutschen Ausgabe von Solovjevs Werken angeführt worden. 80

82

diristlidie Offenbarung und die Lehre der Kirche in sein philosophisches Weltbild einzuordnen und damit zu aktualisieren. Überraschend klingt seine „dogmatische" Intention in den „Geistlichen Grundlagen des Lebens": „ . . . Christus kann für uns nicht wirklich sein, wenn Er nur historische Erinnerung bleibt: Er muß sich uns offenbaren nicht nur in der Vergangenheit, sondern audi in der Gegenwart.. ," 82 Wenn man so den theologischen Inhalt seiner Werke zusammenfassen will, dann geht es immer um die Erfassung der Wirklichkeit Christi im Leben des einzelnen und der Welt. Der Begriff für diese Wirklichkeit ist die Kirdie. Von entscheidender Bedeutung für Solovjevs Ekklesiologie ist die Problematik, bei der die religiöse Philosophie einsetzt. Es ist dies die Frage nach dem „Wesen", nach dem „Sinn" und nach dem „Ziel" der Welt. Die Antwort auf diese Frage gibt Solovjev in den „Geistlichen Grundlagen des Lebens". Aber Solovjev fragt hier nicht nur nach der Bestimmung des Menschen oder der Menschheit, sondern der Begriff Welt kennzeichnet die universale Konzeption seines religiös-philosophisdien Systems. Philosophisch ausgedrückt geht es um den Gegensatz zwischen Immanenz und Transzendenz, zwischen der Welt der Phänomene und der Welt in ihrer Ursprünglichkeit; theologisch ausgedrückt geht es um den Gegensatz zwischen der Welt, die der Sündhaftigkeit und der Endlichkeit verfallen ist, und der Welt in ihrer von Gott ursprünglich intendierten Wirklichkeit, zwischen Menschlichem und Göttlichem 83 . Dieser Gegensatz, der in zahlreichen Begriffspaaren beschrieben wird, findet bei Solovjev seine neutestamentliche Begründung besonders in Rom. 7 und anderen Stellen des Römerbriefs. Damit wird der ontologische Gegensatz von Endlichem und Unendlichem auf die Antinomie der menschlidien Existenz übertragen, und beides wird theologisch gedeutet 84 . Die Endlichkeit der Natur findet ihre Entsprechung in der gegebenen und unabwendbaren Sündhaftigkeit des Menschen; das eine wie das andere ist symptomatisch für die Entfremdung von dem göttlichen Prinzip. Die Erscheinung dieser Entfremdung vom Göttlichen zeigt sich im sittlichen Leben des einzelnen, und sie zeigt sich in der sozialen, politischen Disharmonie, d. h. allgemein in der kreatürlichen Unvollkommenheit der natürlichen Welt. Die Frage nach dem Ursprung der Endlichkeit der Welt und der Sündhaftigkeit des Menschen wird von Solovjev hier nicht gestellt. Er setzt beides als eine empirische Tatsache voraus, die aus der universalen und aus der existentiellen Betrachtung folgt. Was ihn nur interessiert, ist der Weg, auf dem der hier sichtbar werdende Gegensatz und die Unvollkommenheit überwunden werden, um das eigentliche Ziel zu erreichen. In den „Geistlichen Grundlagen des Lebens" ist dieser Weg synergistisch bestimmt: auf der einen Seite wird das sittliche Bemühen des Menschen und sein Streben nach Unsterblichkeit, Ge82 83 M

Werke II, S. 11. Werke II, S. lOf. und S. 13—25. Werke II, S. 19ff. 83

rechtigkeit und Vollkommenheit gesehen und auf der anderen die Gnade, aus der das neue Leben empfangen wird: „Zum wirklichen Betreten des Weges der Gnade bedarf es aber nidit nur der Anerkennung des Verstandes, sondern audi der Tat (das heißt: der inneren Bewegung) des Willens: der Mensch muß sich innerlich erheben, um die Gnade oder die Kraft Gottes in sich aufzunehmen. Diese Bewegung von Seiten des Menschen oder seine innere Tat durchschreitet drei Stufen: Erstens muß der Mensch Abscheu vor dem Bösen empfinden, muß das Böse als Sünde empfinden und anerkennen; zweitens muß er eine innere Anstrengung machen, um das Böse von sich wegzustoßen und sich von ihm freizumachen; und drittens, wenn er sich überzeugt hat, daß er sidi nicht aus eigenen Kräften vom Bösen befreien kann, muß er sich an Gott um H i l f e wenden . . ."85

Das letzte Ziel, in dem schließlich die Sündhaftigkeit des Menschen und die Sinnlosigkeit seines Lebens überwunden und aufgehoben werden, ist von Solovjev in den „Geistlichen Grundlagen" — ebenfalls in enger Anlehnung an neutestamentliche und vor allem paulinische Gedanken — formuliert worden: „ . . . Daß Christus — in dem die ganze Fülle der Gottheit leibhaft wohnt (Kol. 2, 9) — in allen und in allem ,Gestalt gewinne' (Gal. 4, 19)." 8e Christus selbst als die Inkarnation des Göttlichen im Menschlichen ist der eigentliche Sinn der Geschichte, und Christentum ist daher die Durchsetzung dieser in der Person Christi offenbarten Einheit in der Vereinigung von Welt und Gott, in der Aufhebung des Zwiespalts zwischen Endlichem und Unendlichem und in der Überwindung der Zwiespältigkeit in der menschlichen Existenz 87 . Der Prozeß, in dem dies geschieht, ist die Kirche, die als Leib Christi in der Geschichte Gestalt gewinnt und das individuelle wie auch das politische Leben verändert. Was in den „Geistlichen Grundlagen des Lebens" noch mehr in der Form einer theologischen Ethik vorgetragen wird, erscheint in erweiterter und spekulativ ausgeführter Gestalt in „Rußland und die Universale Kirche". Manche Gedanken, die in der ersten Schrift nur angedeutet sind, kommen in der zweiten zu voller Entfaltung, und dabei treten auch einige problematische Züge in Solovjevs System in Erscheinung, die man bis jetzt nur vermuten konnte. Die „dogmatische" Intention bleibt dieselbe, und auch der Ansatzpunkt ändert sich nicht. Der Unterschied liegt mehr in der Ausweitung der Gedanken, die in den „Geistlichen Grundlagen" bereits vorliegen. Das dritte Buch von „Rußland und die Universale Kirche", das wir nun vor allem zu untersuchen haben, steht unter dem Thema „das trinitarische Prinzip und seine soziale Anwendung". Solovjev verfolgt darin die Absicht, das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz und den Prozeß der Vereinigung von Göttlichem und Menschlichem in der Schöpfung und in der Geschichte unter dem Aspekt des trinitarischen und des christologischen Dogmas spekulativ zu 86 Werke II, S. 22. Wie Solovjev in einer Anmerkung zu dieser Stelle schreibt, vermeidet er hier absichtlich, auf die metaphysische Frage nach dem Verhältnis der menschlichen Freiheit zum Wirken Gottes einzugehen. 87 "· Werke II, S. 151. Werke II, S. 69—102.

84

erfassen. Der aus dem militärischen Dogma abgeleitete Begriff ist die „AllEinheit" (vsejedinostj bzw. vsecelostj), und der aus der christologischen Zweinaturenlehre abgeleitete Begriff ist das „Gottmenschtum" (bogocelovecestvo). Beide Begriffe bezeichnen die vollkommene göttliche Einheit, die über der Schöpfung und über dem Menschlichen steht. Diese Einheit ist das letzte Ziel, die eigentliche Bestimmung und die ontologische Wirklichkeit des Kreatürlichen. Ee ist die wesensmäßige Einheit Gottes, in der das Sein ursprünglich zusammengefaßt ist. Die „All-Einheit" soll sich in der endlichen Existenz durchsetzen, indem die Endlichkeit ihrer schöpfungsmäßigen Bestimmung entsprechend mit dem Absoluten vereint wird. Die ekklesiologisdien Aussagen sind so Teil eines universalen kosmogonisdien Prozesses, der sich in der Schöpfung und alsdann in der Geschichte als Verwirklichung der potentiellen All-Einheit vollzieht. „Diesen Charakter positiver Einheit (der All-Einheit oder der Fülle im Einen [uniplenitude]) besitzt alles, was in seiner Art absolut ist oder sein soll. Von solcher Art ist in seinem Wesen der allmächtige Gott, von solcher Art ist in ihrer Idee die menschliche Vernunft, die alles begreifen kann, und von solcher A r t soll endlich die wahrhafte, ihrem Wesen nach universelle, das heißt in ihrer lebendigen Einheit die Menschheit und die ganze Welt umschließende Kirche sein." 8 8 — „Die endliche Existenz hat niemals den Grund ihres Seins in sich selbst; und um die Tatsache dieser Existenz zu rechtfertigen oder endgültig zu erklären, muß man sie mit dem absoluten Wesen oder Gott verbinden." 8 ®

Die „creatio e nihilo" ist für Solovjev ein absurder Gedanke; denn die Schöpfung kann wegen ihrer offensichtlichen Unvollkommenheiten nicht das unmittelbare Werk Gottes sein. Die Worte aus Gen. 1 „es war sehr gut" gelten daher bei Gott nur „sub specie aeternitatis", d. h. die Schöpfung ist nicht ein einmaliger Akt Gottes, sondern — in der Form einer „creatio continua" — ein fortlaufender Prozeß von der Potentialität zur Aktualisierung: „Die einzelnen Teile des (Schöpfungs-)Werkes, für sich betrachtet, erhalten im Worte Gottes verdientermaßen nur eine bedingte oder überhaupt keine Billigung... Die Schöpfung ist ein stufenweise und mühselig sich vollziehender Prozeß", in dem sich das Chaos zum vollkommenen Kosmos entwickelt. Sie ist ein „Einigungsprozeß", der auf die endgültige Vereinigung des Göttlichen mit dem Außergöttlidien abzielt und an dessen Ende Gott alles umfaßt 90 . Der Gegensatz von Göttlichem und Menschlichem wird in diesem Schöpfungsprozeß überwunden und im Gottmenschentum vereint zur All-Einheit. Es liegt hier bei Solovjev ein dualistisches und in manchen Zügen geradezu gnostisches Weltbild vor, in dem das Göttliche und das Menschlich-Kreatürliche zwei Prinzipien darstellen. Die Äußerung Gottes ist zusammengefaßt in der „göttlichen Weisheit", der Sophia91. Sie ist die „universelle Substanz", die 8 9 W e r k e III, S. 3 2 9 . «· W e r k e III, S. 3 2 6 . 9 0 W e r k e III, S. 3 5 9 f . , vgl. S. 3 6 6 , 3 9 4 und W e r k e II, S. lOf. 9 1 Dieses „sophiologische" System wird erst in „Rußland und die Universale K i r c h e " v o n Solovjev entfaltet. I n den früheren „Vorlesungen über das G o t t -

85

„absolute Einheit des A l l s " ; sie verkörpert und trägt die „verborgene Potenz eines jeden Dinges" 9 2 . Diesem göttlichen Prinzip entspricht im Schöpfungsprozeß innerhalb des nidit-göttlichen Chaos die „Weltseele", die das „Gegenteil oder der Antityp der wesenhaften Weisheit Gottes ist" 9 3 . Sie ist Kreatur, nämlich die „materia prima und das wahre substratum unserer geschaffenen W e l t " · 4 . D a m i t die Schöpfung audi vollendet und abgeschlossen wird, muß die Weltseele der göttlichen Weisheit gleidi werden. Dieser Prozeß wird durch einen freien Entsdieidungsakt in der Weltseele ausgelöst: „In ihrer Eigenschaft als reine und unbestimmte Potenz hat die Weltseele einen doppelten und veränderlichen Charakter: sie kann sich auf den falschen Blickpunkt der chaotischen und anarchischen Existenz stellen, aber sie kann sich auch vor Gott demütigen, sich in Freiheit an das göttliche Wort anschließen, die ganze Schöpfung zur vollkommenen Einheit zurückführen und mit der ewigen Weisheit gleich werden."*5 Dieser universale

kosmogonische Prozeß wird auf den Menschen

als die

K r o n e der Schöpfung und als potentielles Ebenbild Gottes übertragen, „denn der Mensch allein vermag dank seiner Doppelnatur seine Freiheit zu wahren und beständig die sittliche Ergänzung Gottes zu bleiben, indem er sich durch eine ununterbrochene Reihe bewußter Anstrengungen und überlegter H a n d lungen immer enger mit ihm vereinigt" 8 6 . Indem sich nun das Chaos und der Mensch, d. h. die Weltseele als ganze, auf Grund ihrer positiven Entscheidung immer mehr (synergistisch) zur Vollkommenheit entwickelt, wird sie zum Kosmos, zu einem „lebendigen Leib, der fähig ist, der göttlichen Weisheit zur I n karnation zu dienen" 9 7 . G o t t setzt sich gegen das Chaos durch, aber er setzt sich auch für es ein, und so ist der kosmogonische Prozeß bestimmt von der Allmacht und von der Güte Gottes 9 8 . Die

endgültige Vereinigung von Göttlichem

und Menschlichem

im G o t t -

mensdientum durch den kosmogonischen Prozeß vollzieht sich am und im Menschen, der in seiner Kreatürlidikeit in besonderer Weise auf diese Vereinigung hingerichtet ist. „Der Mensch, in der Idee durch die Kraft seiner Vernunft ein universelles Wesen (Bild Gottes), muß Gott tatsächlich ähnlich werden durch die tätige Verwirklichung seiner Einheit in der Fülle der Schöpfung. Sohn der Erde durch das niedere Leben, das sie ihm gibt, muß er es ihr zurückgeben, umgestaltet in Licht und lebendigmachenden Geist. Hat durch ihn, durch seine Vernunft, die Erde sidi bis zum Himmel erhoben, so muß gleichfalls durch ihn, durch sein Handeln, der Himmel herabsteigen und die Erde erfüllen; menschentum" (1877) ist die „Sophia" noch mit der „Weltseele" identisch. Vgl. dazu M o c u l s k i j , a . a . O . S. 103. Der Begriff der „Sophia" und der „Allweisheit Gottes" ist von J . B ö h m e übernommen; vgl. dazu W. S z y l k a r s k i , Solowjews Weg zur Una Sancta, Deutsche Gesamtausgabe der Werke Solowjews II, S. 155. Hier liegen die Wurzeln der theosophischen Spekulationen, die später auch von S. B u l g a k o v übernommen und modifiziert werden; s. u. Kap. 4 C. 92 Werke III, S. 339f. 9 3 Werke I I I , S. 348. M Ebd. 95 Werke III, S. 348, vel. S. 363ff. 98 Werke III, S. 364ff. 97 Werke III, S. 360 9 8 Werke III, S. 342f.

86

durch ihn muß die g a n z e außergöttlidhe Welt zu einem einzigen werden, zur vollständigen I n k a r n a t i o n der göttlichen W e i s h e i t . " "

lebendigen

Körper

In ihrer idealen Struktur ist die Menschheit eine Art Analogie zur göttlichen Trinität, die sich in ihr und durch sie zur Einheit von Göttlichem und Menschlichem vollenden soll. Potentiell ist diese Vollendung in der Sophia bereits vorhanden; die kosmogonische und geschichtliche Durchführung der Vollendung geschieht in der Inkarnation der Sophia. Inkarnation bedeutet hier Aufnahme des Göttlichen durch das Menschliche und umgekehrt das Eingehen des Göttlichen in das Menschliche. Ohne daß sie völlig geleugnet würde, tritt die personale Inkarnation Gottes in Jesus von Nazareth bei Solovjev in eigentümlicher Weise zurück. Dies zeigt sich schon in den „Geistlichen Grundlagen", tritt aber dann in „Rußland und die Universale Kirche" noch deutlicher hervor. Wenn Solovjev von Christus als „historischer Erinnerung" spricht, dann meint er damit das geschichtliche Faktum der Inkarnation 100 . Indem es ihm aber nun um das „trinitarische Prinzip und seine soziale Anwendung" geht 101 , versucht er, die gegenwärtige Wirklichkeit der Inkarnation zu erfassen, d. h. die allgemeine Bedeutung der einmaligen Inkarnation Gottes in Christo. Was in der Christologie personale Aussage ist, wird nunmehr zur sozialen, universalen Aussage: Gott und Mensch im Gottmensdien entspricht so universal dem Göttlichen und dem Menschlichen im Gottmenschentum. Die Soteriologie wird damit zur Ontologie. Dieser Zusammenhang ist wesentlich für das Verständnis der Kirche als Leib Christi 102 . Die Lehre von der Inkarnation wird nun modifiziert zur theosophisdien Spekulation über das Verhältnis von Transzendenz und Immanenz in einem triadischen Schema. Der Mensch trägt als Individuum subjektiv das menschliche Wesen potentiell in sich. In actu wird dieses Wesen durch die weibliche Ergänzung objektiviert, und in der Gesellschaft findet es seine soziale Ausweitung als Menschheit. Als empirische Vielheit besteht die Menschheit aus vielen Individuen, doch nach ihrer Idee ist die Menschheit „nur ein einziges menschliches Wesen", d. h. eine universale Einheit. Entsprechend dieser sozialen Struktur des Menschen — und damit auch der Menschheit — ist auch die Vereinigung des Menschlichen mit dem Göttlichen „notwendig dreifacher Art". Der Oberbegriff der gottmenschlichen Einheit ist die „inkarnierte Sophia", ihre „zentrale und vollkommen personhafte Äußerung ist Jesus Christus, die weibliche Ergänzung: die Heilige Jungfrau; und die universelle Erweiterung: die Kirche" 103 . Die Konsequenzen, die sich aus der religiösen Philosophie Solovjevs für seine Lehre von der Kirche ergeben, können in drei Punkten zusammengefaßt werden: »» Werke III, S. 363. Werke III, S. 325, s. o. S. 84 f. 103 Werke III, S. 365 ff. 101

IM Werke II, S. 11, s. o. S. 82f. 102 Werke III, S. 367 ff., vgl. S. 39 3.

87

1. Das religiös-philosophische System Solovjevs ist ontologisch bestimmt und bezieht sich auf den universalen Gegensatz zwischen Transzendenz und Immanenz, zwischen Göttlichem und Menschlichem. Hierin liegt bei Solovjev ein wesentlidier Unterschied zu den ekklesiologischen Voraussetzungen Chomjakovs, dessen religionsphänomenologischer Schematismus von einem immanenten (horizontalen) Dualismus bestimmt war 104 . 2. In Anlehnung an die westliche Theosophie und Mystik sowie an die idealistische Philosophie versucht Solovjev, die dogmatischen Aussagen der Trinitätslehre und der Christologie philosophisch-spekulativ zu deuten. Die Überwindung und Vollendung der Immanenz in der Transzendenz und die Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen sieht er in der trinitarischen All-Einheit Gottes und in der aus der Zweinaturenlehre abgeleiteten Lehre vom Gottmenschentum. Der Begriff des „Leibes Christi" gewinnt dabei zentrale Bedeutung, aber er wird gleich im Ansatz problematisch durch die für die Mystik und auch für den Idealismus typische Identifizierung von „filius dei natura" und „filii dei adoptione". Das personale Element der Inkarnation wird verdrängt, und an die Stelle von soteriologischen Aussagen treten ontologische 105 . 3. Das System Solovjevs ist dynamisch-evolutionistisch. Es ist bestimmt von einer Kosmogonie und einem Geschichtsverständnis, die beide teleologisch orientiert sind. 2. Mystisches

Wesen

und geschichtliche

Gestalt

der Kirche

bei

Solovjev

Solovjevs Lehre von der Kirdie — und schließlich auch seine Beantwortung der ökumenischen Fragestellung — folgt aus seinem theologisch-philosophischen System. Schon im vorigen Abschnitt wurde gezeigt, daß alle spekulativen Gedanken Solovjevs immer wieder bei dem Begriff der Kirche enden. Die zentrale Bedeutung der Kirche im System Solovjevs ergibt sich aus der tragenden Funktion, die sie hier zu erfüllen hat. Doch es ist wichtig, zu beachten, daß die Kirdie und ihre Einheit nicht das Ziel der philosophischen und theologischen Intention ist, sondern der theologische Begriff der Kirche wird in ähnlicher Weise wie die Trinitäts- und Zweinaturenlehre in das religiös-philosophische System eingebaut und ebenso, wie es dort der Fall war, in besonderer Weise modifiziert. So kann man auch an dieser Stelle bei Solovjev nicht das philosophische von dem theologischen Anliegen trennen, sondern man kann die Lehre von der Kirche, indem man sie von Solovjevs systematischem Ansatz her verfolgt, lediglich auf die dadurch bedingte Modifikation der dogmatischen S. o. S. 75 f. Bezeichnend dafür ist, daß Solovjev die Kirche als Fortsetzung der Fleischwerdung Christi bezeichnet (Werke III, S. 366). Auf eine eingehende Kritik des religiös-philosophischen Ansatzes Solovjevs können wir uns hier nicht einlassen. Die Bedeutung der von uns skizzierten ekklesiologischen Voraussetzung liegt lediglich darin, die Grundlagen aufzuzeigen, die für Solovjevs Lehre von der Kirche maßgebend sind. 194

105

88

Aussage hin befragen. Die Bedeutung der religiösen Philosophie liegt also im Rahmen unserer Untersuchung nur in den Konsequenzen, die sie für die Lehre von der Kirche hat, und in den Einflüssen, die diese ekklesiologischen Konsequenzen auf die ostkirchliche Theologie ausgeübt haben. Die Kirche als Leib Christi und als universelle Erweiterung der Inkarnation des Göttlichen im Menschlichen ist der Ort und die Kraft für die Vollendung des kosmogonischen und insbesondere des geschichtlichen Prozesses, in dem sich die Schöpfung durch die Vereinigung des Göttlichen mit dem Menschlichen zur universalen All-Einheit und zum Gottmensdientum entwickelt. Der Gedanke dieser progressiven Synthese ist das wesentliche Element, in dem die Eigentümlichkeit der Ekklesiologie Solovjevs hervortritt. In den „Geistlichen Grundlagen" ist dieser Gedanke schon klar ausgeformt: „Das rechte Verhältnis von Gottheit und Natur im Menschen, das durch die Person Jesu Christi hergestellt worden ist, muß von der ganzen Menschheit als dem Leibe Christi angeeignet werden. Die mit ihrem göttlichen Prinzip in Christus vereinte Menschheit ist die Kirche, der lebendige Leib des göttlichen Logos, der Fleisch geworden ist, das heißt, der sich in der gottmenschlichen Persönlichkeit Jesu Christi historisch individualisiert hat. Dieser Leib Christi, der zuerst als kleiner Keim in der Gestalt der zahlenmäßig schwachen Gemeinde der ersten Christen in Erscheinung tritt, wächst und entwickelt sich allmählich, um am Ende der Zeiten die ganze Menschheit und die ganze Natur in einem universalen gottmenschlichen Organismus in sich zu umfassen; denn auch die übrige Natur harrt nach den Worten des Apostels mit Hoffnung auf die Offenbarung der Kinder Gottes, sintemal die Kreatur unterworfen ist der Eitelkeit ohne ihren Willen, sondern um des willen, der sie unterworfen hat, in der Hoffnung, daß auch die Kreatur frei werden wird von dem Dienste des vergänglichen Wesens zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes . . . (Rom. 8 , 1 9 ff.)." 1 0 6 Die Vorstellung von der geschichtlichen Institution der Kirche ist bei Solovjev mit diesem Entwicklungsgedanken noch weitgehender überwunden, als es bei Chomjakovs ekklesiologischem Ansatz der Fall war. Die Anlehnung an Chomjakov ist zwar noch offensichtlich, wenn Solovjev sagt: „Die Kirche ist nicht nur eine Versammlung von (gläubigen) Menschen, sondern vor allem das, was diese versammelt, das heißt eine den Menschen von oben her gegebene wesenhafte Form der Vereinigung, mittels derer sie der Gottheit teilhaftig werden können." 107 Doch durch das System Solovjevs wird der Kirchenbegriff universal erweitert, und von hier aus gelingt es ihm auch, die Diskrepanz zu überwinden, vor der Chomjakov bei der Frage nach den Grenzen der Kirche stehengeblieben war 10 ®. Universal ist die Kirche für Solovjev, insofern sie als Offenbarung des Göttlichen in der ganzen Weltgeschichte wirkt. Alles, was hier geschieht, vollzieht Werke II, S. 106 f. Werke II, S. 112. Vgl. dazu Chomjakov, Versuch § 8 : „Die sichtbare Kirche ist nicht eine sichtbare Gemeinschaft von Christen, sondern der Geist Gottes und die Gnade der Sakramente, die in dieser Gemeinschaft wohnen." 108 S. o. S. 76 f 104 107

89

sich in einer mehr oder minder ausgeprägten Zuordnung zur Verwirklichung der Kirche in der Geschichte und zur Verwirklichung des Gottmenschentums. Es ist ein universaler Prozeß, an dessen Ende das Reich Gottes (apokatastasis panton) steht 109 . Für diesen Prozeß gibt es keine Grenzen, sondern, so können wir vorweg sagen, nur Stufen der Entwicklung. In der Geschichte zeigt dieser Prozeß drei charakteristische Stadien: „Erstens die Reihe der messianischen Antizipationen in der natürlichen Menschheit oder im menschlichen Chaos; zweitens das Erscheinen des individuellen Messias in der Person Jesu Christi; und drittens die messianische Umformung der gesamten Menschheit oder die Entwicklung der Christenheit." 110 In der Kirche und durch sie vollzieht sich die Umwandlung der Menschheit zum Leibe Christi. Die Idee des universalen Menschen (d. h. die Menschheit) findet ihren Prototyp in der Inkarnation Gottes in Christo; sie verwirklicht sich durch die Fortsetzung der Inkarnation in universalem Ausmaß in der Geschichte. Kirche ist dann das Erscheinen des Göttlichen im Menschlichen oder, theologisch formuliert, das Heilshandeln Gottes in der Geschichte, in seiner Schöpfung. Damit wird in der Ekklesiologie Solevjevs der Blick frei für die Heilsgeschichte und die Eschatologie, aber auch für die Geschichtlichkeit und für die Sünde. „ . . . diese Idee (der wirklichen Menschheit, R.S.) gewann Gestalt in dem Augenblick, als der absolute Mittelpunkt aller Wesen in Christus offenbart wurde. Von da an existiert die große menschliche Einheit, der universale Leib des Gottmenschen, in Wirklichkeit auf Erden. Er ist nicht vollkommen, aber er ist da; Er ist nicht vollendet, aber er schreitet seiner Vollendung entgegen; er wird größer und dehnt sich nach außen und entwickelt sich innerlich. Die Menschheit ist nicht mehr ein bloß im Denken existierendes Wesen, ihre substantielle Gestalt wird Wirklichkeit in der Christenheit, in der Universalen Kirche." 111 Ähnlich in „Rußland und die Universale Kirche": „Die Wirksamkeit Christi ist hier also bestimmt durch die fortschreitende Entwicklung der Menschheit, die stufenweise in die gottmenschliche Sphäre hineingezogen, dem mystischen Leibe Christi assimiliert, zur Universalen Kirche umgebildet wird." 112 Betrachtet man nun die Ekklesiologie Solovjevs in der theologiegeschichtlichen Entwicklung, so zeigt sich bereits im Ansatz ein wesentlicher Unterschied nicht nur zur Schuldogmatik, sondern auch zu Chomjakov. In der Schuldogmatik wurde die Lehre von der Kirche auf die empirische kirchliche Organisation beschränkt, und der Unterschied zwischen der streitenden und der triumphierenden Kirche wurde weitgehend aufgehoben. Gegenüber der Schuldogmatik versuchte nun Chomjakov, das mystische Wesen der Kirche theologisch zu Werke III, S. 369. Werke III, S. 372. Unter „messianischen Antizipationen" versteht Solovjev religiöse und soziale Erscheinungen, die auch im nichtchristlichen und vorchristlichen Bereich auf die Kirche und ihre Verwirklichung in der Geschichte hinweisen. Eine besondere Stellung nimmt dabei die jüdische Theokratie ein. Sie steht vor dem Erscheinen Christi auf der höchsten Entwicklungsstufe. 111 Die russische Idee, Werke III, S. 51. 112 Werke III, S. 392. Sperrungen R. S. 100 110

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formulieren, und dabei treten die Aussagen über die sichtbare Kirchengemeinsdiaft zurück. Bei der Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik werden infolgedessen von der Schuldogmatik die kanonischen Grenzen der Kirche mit ihren charismatischen gleichgesetzt, während bei Chomjakov, der keine theologische Begründung für die kanonischen Grenzen einer einzelnen Kirchengemeinschaft hat, die Grenzlinie zwischen Orthodoxie und Heterodoxie durch den religionsphänomenologischen Schematismus bestimmt wird. Solovjev gelangt nun schon von seinem ekklesiologischen Ansatz her, d. h. von seiner theologisch-philosophischen Grundlegung her, zu einer Formulierung der Lehre von der Kirche, in der er den Unterschied zwischen dem mystisdien Wesen und der geschichtlichen Gestalt der Kirche dogmatisch erfassen kann. So kann er von der irdischen Kirche sprechen, die unvollkommen ist, die sich entwickelt, die sich im Laufe der Geschichte verändert, die versagt und ihrer Bestimmung und ihrem Auftrag nicht treu bleibt. Solche Formulierungen, die bei Solovjev sehr häufig anzutreffen sind, waren weder für die Sdiuldogmatik noch für Chomjakov dogmatisch möglich, sondern sie waren dort Kennzeichen der Häresie. Der Gegensatz von Göttlichem und Menschlichem erscheint nicht nur in der Schöpfung, sondern auch in der Kirche, in der und durch die sich die Synthese zum Gottmenschentum vollzieht. Die geschichtliche Unvollkommenheit der Kirche ist geradezu ein Kennzeichen ihres eschatologischen Transitus, in dem sie auf dem Wege zur Vollendung ist. Kirche ist das unbedingte Handeln Gottes in bedingten geschichtlichen Formen, und sie ist die Kraft Gottes, die sich in diesen bedingten Formen immer mehr durchsetzt und konkretisiert. Besonders in den „Geistlichen Grundlagen", in denen die Spekulation nicht so ausgeprägt ist wie in anderen Werken, wird dieser Gedanke in enger Anlehnung an die neutestamentliche Begrifflichkeit vorgetragen: „Die durch den Gottmenschen Christus gegründete Kirche ist auch ihrem Bestände nach gottmenschlich. Ein Unterschied liegt aber darin, daß Christus vollkommener Gottmensch ist, die Kirche aber nicht vollkommene, sondern nur werdende Gottmenschheit. Die Christo zugehörende menschliche Natur, die in Seiner Person mit der Gottheit untrennbar vereint ist, hat in Seiner lichten Auferstehung den Zustand der Verherrlichung schon erreicht, so daß in dem Gottes- und Mensdiensohn, der auferstanden ist und aufgefahren zur Rechten des Vaters, jetzt alles Menschliche zwar menschlich bleibt, aber doch gleichzeitig ganz Seiner Gottheit entspricht oder ihr völlig gemäß ist, so daß in ihm die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt (Kol. 2, 9). Die Kirche Christi aber hat den Zustand der Verherrlichung noch nicht erreicht, und obwohl das Menschliche in ihr innerlich mit dem Göttlichen verbunden ist, so ist jenes doch noch weit davon entfernt, dieses in allem auszudrücken und ihm ganz zu entsprechen. Die Kirche ist heilig und göttlich, weil sie geheiligt ist durch das Blut Jesu Christi und die Gaben des Heiligen Geistes; das, was unmittelbar aus diesem die Kirche heiligenden Prinzip hervorgeht, ist göttlich, unbefleckt und unveränderlich; die Taten aber, die die Glieder der Kirche als Menschen tun (auch wenn sie um der Kirche willen getan werden), sind etwas sehr Relatives und ganz und gar nicht Vollkommenes, sondern nur ein Sich-Vervollkommnendes. Dies ist die menschliche Seite der Kirche. Aber hinter dem veränderlichen und wogenden Strome der kirchlichen Menschheit strömt unaufhörlich, die eigentliche Kirche

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Gottes bildend, der ewige und unendliche Quell der göttlichen Gnade, das ununterbrochene Wirken des Heiligen Geistes, der der Menschheit das wahre Leben in Christus und Gott schenkt... Infolge der Unvollkommenheit der in die Kirche mit eingehenden Elemente des Menschlichen erscheinen diese göttlichen Formen nur als Anfang oder Unterpfand des göttlichen Lebens in der Menschheit, die ihre Fülle erst im Neuen Jerusalem — in der verherrlichten Gottmenschheit — finden sollen."113

Das göttliche Prinzip ist in der Kirche — aber darüber hinaus auch in der gesamten Schöpfung — ein „Samenkorn", in dem das weitere Wachstum der Pflanze bereits angelegt ist, und die Geschichte der Kirche ist die Entwicklung und Entfaltung dieses göttlichen Samens in der organischen Mannigfaltigkeit seiner Formen 114 . Diese Vorstellung von der Entwicklung und Entfaltung der Kirdie in der Geschichte wird nun auf den Dogmenbegriff angewandt — oder anders ausgedrückt: durch seine theologisch-philosophische Systematik wird es Solovjev möglich, den historischen Dogmenbegriff konstruktiv aufzunehmen115. Polemisch wendet er sich dabei gegen den Traditionalismus und Positivismus, der von den meisten russischen Theologen seiner Zeit vertreten wird. Als Historiker, Theologe und Philosoph lehnt er die Ansicht ab, daß die christliche Glaubenslehre von Anfang an in der wahren (sichtbaren) Kirche vollständig expliziert gewesen sei und ohne alle Veränderungen in der Geschichte überliefert wird. D. h. er wendet sich gegen die Identifizierung von Offenbarung und Lehrformulierung und gegen die Forderung, daß jede von der wahren Kirche vorgetragene Lehre normativ verbindlich sei. In den Kompendien der Schuldogmatik wird eine Unterscheidung zwischen „dogma implicitum" und „dogma explicitum" abgelehnt. Solovjev aber greift gerade diese Unterscheidung auf und zeigt in enger Anlehnung an die westliche Dogmengeschichte seiner Zeit und an die Prinzipienlehre der römischkatholischen Theologie, daß die Glaubenswahrheiten nicht nur subjektiv in der Verkündigung der Kirche von dem einzelnen Gläubigen angeeignet werden, sondern daß die Kirche selbst in ihrer geschichtlichen Erscheinung das „depositum fidei" expliziert hat und auch weiterhin explizieren muß. Hierzu gehört notwendig die vorbereitende theologische Arbeit sowie die lehramtliche Promulgation eines Dogmas auf einem ökumenischen Konzil. „Dogma explicitum" ist daher nur diejenige Lehre, die von der universalen Lehrautorität offiziell (ex cathedra) verkündet worden ist; nur sie ist auch bindende Glaubensnorm118. 114 Werke II, S. 118f. Werke II, S. 113ff. Auf die theologiegeschichtliche Bedeutung Solovjevs für die Ausbildung des Dogmenbegriffs in der ostkirchlichen Theologie werden wir in Kap. 6 zurückkommen. Solovjev hat seine Gedanken zur Dogmenentwicklung in einem Aufsatz in: Pravoslavnoe Obozrenie 1885: „Die dogmatische Entwicklung der Kirche im Zusammenhang mit der Frage der Kirchenvereinigung" (Sonderdruck [russ.] Moskau 1886) vorgetragen. Dieser Aufsatz bildet die Grundlage der Einleitung zu „Geschichte und Zukunft der Theokratie", Dt. Ausg. der Werke II, S. 389—481. 116 Werke II, S. 414. Zur unmittelbaren Auseinandersetzung zwischen Solovjev und der Schuldogmatik vgl. die Artikel von T . S t o j a n o v in: Vera i Razum, Charkov us

115

92

Das Urdogma ist für Solovjev die eine und unteilbare Glaubenswahrheit, nämlich das „Gottmenschentum, die Vereinigung Gottes mit der Schöpfung" 117 . Dieses Urdogma zeigt sich in dem dogmatischen Bekenntnis der christlichen Urgemeinde, das Solovjev in den kerygmatischen Formeln der Apostelgeschichte als Taufbekenntnis und als Grundinhalt der apostolischen Predigt findet118. Es ist das Zeugnis von Jesus Christus, dem Herrn, dem Gekreuzigten und Auferstandenen. Solovjev stellt diese kerygmatisdien Formeln aus dem ganzen Neuen Testament zusammen und zeigt anschließend, wie aus diesen Formeln die Glaubenslehre der Kirche geschichtlich in theologischer und dogmatischer Entwicklung entfaltet worden ist119. Theologisch-philosophisch ist diese Dogmenentwicklung oder -entfaltung (die Begriffe werden bei Solovjev nicht grundsätzlich differenziert) auch Verwirklichung des Gottmenschentums in der Geschichte, die Begegnung zwischen menschlicher Vernunft und göttlicher Offenbarung. Diese Dialektik von Vernunft und Offenbarung wirkt auf die Geschichtsbetrachtung und schließlich auch auf die Beurteilung der kirchlichen Zertrennung ein. Denn der „processus dogmaticus" ist nicht nur auf eine bestimmte Kirchengemeinschaft beschränkt, die die Wahrheit hat, sondern er erstreckt sich auf die ganze Menschheit, der die Wahrheit gegeben ist und die sie zu erfassen sucht. Der theologische Beitrag der religiösen Philosophie Solovjevs zur Entwicklung der Lehre von der Kirche besteht darin, daß der Kirchenbegriff universal erweitert wird. Durch die theologisch-philosophisch begründete Unterscheidung von Göttlichem und Menschlichem hat Solovjev eine dogmatische Grundlage erarbeitet, bei der die ekklesiologischen Aussagen — mögen sie von der hierarchisch-sakramentalen Organisation und Institution ausgehen wie in der Schuldogmatik oder mögen sie von dem mystischen Wesen der Kirche als pneumatischer Organismus ausgehen wie bei Chomjakov — nicht mehr auf die empirische Kirchengemeinschaft beschränkt bleiben. Trotz aller Problematik seines spekulativen Ansatzes ist von Solovjev das Verständnis der Kirche als Leib Christi konsequent durchdacht worden. Christologie, Soteriologie und Eschatologie finden hier ihren festen Ort in der Lehre von der Kirche.

3. Einheit, Zertrennung

und Vereinigung der Kirchen bei Solovjev

In der Beantwortung der ökumenischen Frage nach Einheit, Zertrennung und Vereinigung der Kirchen kommt die Bedeutung der Ekklesiologie Solovjevs 1885, I, und von E. L. (Evgraph L o v j a g i n ? ) in: Strannik, SPB 1889, II: Entwickelt sich die Kirche im dogmatischen Sinne? Weiteres s. u. Kap. 6 A. 117 118 Werke II, S. 419. Werke II, S. 4 2 1 ^ 2 5 . 118 Werke II, S. 425ff. Solovjev war hier, wie auch in vielem anderen, seinerzeit weit voraus, wenngleich sein Verständnis der Dogmenentwicklung — wie auch seine Philosophie überhaupt — vom idealistischen und historistischen Evolutionismus geprägt ist. 93

erst in vollem Umfang zum Ausdruck. Hier wird sichtbar, wie Solovjev den Weg Chomjakovs und der Slavophilen konsequent zu Ende gegangen ist. Über der theologischen und historischen Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik stehen wiederum die Begriffe „All-Einheit" und „Gottmenschentum" sowie die Differenzierung zwischen Göttlichem und Menschlichem in der Kirche. Die Einheit der Kirchen ist dogmatisch aus Solovjevs eigentümlichen Verständnis der Kirche als Leib Christi abgeleitet und von seinem Gedanken, daß sich dieser gottmenschlidie Leib Christi in der sozialen Inkarnation als Universale Kirche im geschichtlichen Entwicklungsprozeß der Menschheit, des Menschlichen, zum Göttlichen konkretisiert und vollendet. Bei der Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik zeigt sidi aber auch, wie die Lehre von der Kirche in den Werken Solovjevs bis zu seinem Tode immer wieder neu durchdacht und auch verändert worden ist. In seinen frühen Schriften vertritt Solovjev noch ganz den Schematismus Chomjakovs, nach dem der Westen vom Osten und damit von der wahren Kirche abgefallen ist 120 . In der sogenannten „universal-kirchlichen Periode" (1883) ist der Kirchenbegriff auf die römisch-katholische Kirche ausgedehnt, während der Protestantismus nicht zur Kirche gerechnet wird. In seinen letzten Lebensjahren, der „Periode des Bekenntnisses zur .Religion des Heiligen Geistes'" ( 1 8 8 9 bis 1900), erblickt er aber auch im Protestantismus Kirche. Diese Wandlungen in der Beurteilung der anderen Kirchen müssen berücksichtigt werden, um zu zeigen, wie Solovjev schrittweise die Konsequenzen aus seinem ekklesiologischen Ansatz zieht. Wenn wir im vorigen Abschnitt nodi nicht näher auf die Kriterien eingegangen sind, nach denen Solovjev die sichtbare, geschichtliche Gestalt der Kirche bestimmt, so geschah dies deshalb, weil sich die Aussagen darüber ebenfalls in den Schaffensperioden entscheidend gewandelt haben. In den frühen Schriften entsprechen die Merkmale der wahren Kirche denen der Ostkirche, d. h. die siditbare Kirchengemeinschaft ist konstitutives Element der kirchlichen Einheit. In den „Geistlichen Grundlagen des Lebens", die am Übergang von der frühen „antirömischen Periode" zur „universalkirchlichen" stehen, wird die Kirche nach denselben Kriterien bestimmt, wie sie in den Definitionen der Schuldogmatik vorliegen: rechte Lehre, Sakramente und Hierarchie in der apostolischen Sukzession121. Diese drei Kriterien sind bei Solovjev (in anderer Reihenfolge) „Weg, Wahrheit und Leben" (Joh. 14, 6) Christi in der Kirdie: „Die von Christus herkommende hierarchische Sukzession ist der Weg, auf dem die Gnade Christi sich über Seinen ganzen Leib, das heißt die Kirche verbreitet; der Glaube an das gottmenschliche Dogma, das Bekennen Christi als vollkommenen Gott und vollkommenen Menschen ist die Bezeugung der Wahrheit Christi; die heiligen Sakramente sind die Grundlagen des Lebens Christi in u n s . . . Diese drei genügen, um 120 121

94

S. o. S. 74 ff. S. o. S. 50.

die Kirche Gottes zu bilden . . . die Gemeinschaft, der nur eines dieser drei fehlt, kann nicht Kirche sein." 182

In den „Geistlichen Grundlagen" wird die Frage der kirchlichen Zertrennung nicht aufgeworfen. Doch ein Vergleich der angeführten Formulierung mit den ekklesiologischen Definitionen der Schuldogmatik zeigt, daß bei Solovjev nicht unbedingt die Vorstellung von einer empirischen Kirchengemeinschaft vorausgesetzt zu sein braucht, sondern diese Kriterien können für jede Kirche zutreffen, die einen historischen Episkopat hat und die sieben Sakramente kennt 1 2 3 . Die Ausweitung des Kirchenbegriffs über die Grenzen der empirischen Kirchengemeinschaft geschieht nun bei Solovjev in zweifacher Weise: konstruktiv und kritisch. In beiden Fällen wird das Wesen der Universalen Kirche bestimmt. Die konstruktive Ausweitung des Kirchenbegriffs vollzieht Solovjev durch den Gedanken der Theokratie, in den er den päpstlichen Primat einordnet. Die kritische Ausweitung geschieht in der Auseinandersetzung mit dem religionsphänomenologischen Schematismus Chomjakovs, durch die Anwendung des historischen Dogmenverständnisses und durch die Kritik an der geschichtlichen Erscheinung der Ostkirche, speziell der russischen Kirche. Der Gedanke der Theokratie ist besonders in den Schriften „ D i e russische Idee" und „Rußland und die Universale Kirche" entfaltet worden. Wir skizzieren hier nur seine für die Ekklesiologie wesentlichen Grundzüge. Unter Theokratie versteht Solovjev die Herrschaft des göttlichen Prinzips über die ganze Menschheit, und Verwirklichung der Theokratie bedeutet darum auch Verwirklichung der Kirche, der All-Einheit und des Gottmenschentums. In der Theokratie wird von Solovjev die Lehre vom „triplex munus Christi" aufgegriffen und in der ihm eigenen Weise interpretiert und in die theologisch-philosophische Spekulation eingeführt. Im Priestertum, im Königtum und im Prophetentum sind alsdann drei Erscheinungsformen menschlicher Sozialität zusammengefaßt, nämlich die Kirche „im eigentlichen Sinne des Wortes, die durch die geistliche Hierarchie repräsentiert wird" 1 2 4 , dann der christliche Staat und schließlich die vollkommene menschliche Gesellschaft. Die Theokratie ist also die ideale Struktur der Menschheit, und darüber hinaus ist sie identisch mit der Universalen Kirche: „So entwickelt sich die universale Kirche (dieses Wort in seinem weiten Sinne genommen) als ein dreifacher Bund von Göttlichem und Menschlichem im Priestertum, wo das göttliche, absolute und unveränderliche Prinzip herrscht und die Kirche — im eigentlichen Sinne dieses Wortes — den Tempel Gottes bildet; im Königtum, wo das menschliche Element herrscht und durch das der christliche Staat gebildet wird (Kirche als lebendiger Leib Gottes); und endlich im Prophetentum, wo sich das Göttliche und das Menschliche in einer freien und gegenseitigen Durchdringung verbinden und so die vollkommene christliche Gesellschaft bilden (die Kirche als Gemahlin Gottes). Die moralische Grundlage des priesterlichen Bundes, oder der Kirche im eigentlichen Sinne des Wortes, 122 m

Werke II, S. 116. Werke III, S. 152; vgl. S. 406 u. ö.

123

Vgl. Werke II, S. 130ff.

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ist der Glaube und die Frömmigkeit; der königliche Bund — der christliche Staat — ruht auf dem Gesetz und der Gerechtigkeit; das dem prophetischen Bund oder der vollkommenen Gesellschaft eigene Lebenselement ist die Freiheit und die Liebe." 1 2 5

Die Ausweitung des Kirchenbegriffs wird schon in der Terminologie deutlich, wenn Solovjev zwischen der „Kirche im eigentlichen Sinne" und der „universalen Kirche" unterscheidet. „Kirche im eigentlichen Sinne" ist die hierarchisch-sakramentale Organisation, die Kirchengemeinschaft; die „universale Kirche" dagegen ist die Verbindung des göttlichen und des menschlichen Prinzips in der gesamten, universalen Menschheit, die potentiell Kirche ist und in der die Kirche sich konkretisieren soll im historischen Prozeß. Die Ausweitung wird aber außerdem deutlich, wenn man sich daran erinnert, daß in der Schuldogmatik die Lehre vom „munus triplex" allein auf die Hierarchie der Kirchengemeinschaft angewandt wurde 128 . Innerhalb der Theokratie steht das Priestertum als allgemeinverbindliche Autorität an erster Stelle. Solovjev sah diese Autorität im päpstlichen Primat. Der Papst ist für ihn — jedenfalls in einer bestimmten Periode seines Schaffens — die Verkörperung der geistlichen Macht in der Universalen Kirche. In langen geschichtlichen und exegetischen Untersuchungen bemüht er sich daher auch in „Rußland und die Universale Kirche", die Berechtigung des Papsttums nachzuweisen127. Mit dem Gedanken der Theokratie unmittelbar verbunden ist außerdem noch die Forderung, daß die Kirche aus ihren Mauern heraustreten und in der menschlichen Gesellschaft wirksam werden soll. Denn sie ist ja das Werkzeug für die Synthese von Göttlichem und Menschlichem bei der universalen Verwirklichung des Gottmenschentums. Die Kirche soll nicht nur auf das Heiligtum der Priesterkirdhe beschränkt bleiben, in der die gottmenschliche Tätigkeit schon etwas Vollzogenes ist, sondern sie soll auch nach außen die ihr gestellten Aufgaben in der Menschheit erfüllen. Diese Forderung wird später von Bedeutung bei der Kritik an der Ostkirche und bei der Beurteilung der Zertrennung zwischen Osten und Westen. Die Kritik Solovjevs an den Slavophilen, zumal an Chomjakov, ist gleichzeitig eine Kritik an der ganzen ostkirchlichen Theologie. Das Ergebnis ist eine neue Betrachtung und Beurteilung der kirchlichen Zertrennung und des Verhältnisses von Osten und Westen. Der Vorwurf, den Solovjev den Slavophilen und Chomjakov macht, ist zunächst gegen ihre Beurteilung des Westens gerichtet. Die eigentliche Bedeutung jedoch liegt in der theologischen Kritik an der Bestimmung der kirchlichen Ebd. Siehe auch bes. Werke III, S. 392—415. S. o. S. 46 ff. 127 Werke III, S. 246—324 (das zweite Buch von „Rußland und die Universale Kirche" mit der bezeichnenden Überschrift: „Die von Jesus Christus begründete kirchliche Monarchie"). m

124

96

Grenzen gegenüber der Heterodoxie, wie sie bei Chomjakov und auch in der Schuldogmatik vorliegt. Dogmatisch setzt Solovjev damit genau bei den „offenen Fragen" ein, die wir sowohl bei der Schuldogmatik wie auch bei Chomjakov festgestellt haben 128 . Solovjev bekennt durchaus, daß ihn mit den Slavophilen „der gemeinsame ideelle Boden verbindet" 129 , und indem die Slavophilen das Problem der kirchlichen Zertrennung aufgegriffen haben, sind sie die „unfreiwilligen Propheten der kirchlichen Vereinigung" geworden 130 . Doch ihr Grundfehler besteht darin, daß sie sowohl das politische wie auch das religiös-kirchliche Ideal mit ihrem nationalistischen Slavismus verbinden und mit dem (russischen) Osten identifizieren 131 . Philosophisch wird damit der Widerspruch zwischen Transzendenz und Immanenz oder zwischen Idee und Geschichte in den Bereich der Immanenz verlagert; er wird auf die „horizontale" Ebene des Verhältnisses zwischen Osten und Westen bezogen. In der Kritik an Chomjakov und seiner Ekklesiologie gewinnen die Begrifflichkeit und die Gedanken, die Solovjev in seinem theologisch-philosophischen System ausführlich zur Lehre von der Kirche entwickelt hat, ihre Bedeutung. Der ekklesiologische Ansatz Chomjakovs erscheint Solovjev richtig, aber es ist falsch, wenn Chomjakov nun die Kirche als organische Gemeinschaft in der Liebe und im Geiste mit „unserer konfessionellen Gemeinschaft" identifiziert 132 . Man kann durchaus zugeben, daß die Kirche im Osten vom „Demokratismus" geprägt ist, während im Westen das hierarchische Prinzip des „Aristokratismus" dominiert, aber „ . . . man darf nur nicht vergessen, daß dieser Unterschied keineswegs das Wesen der Kirche berührt; denn in ihrem Wesen ist die Kirche weder Aristokratie noch Demokratie, und auf ihrer Oberfläche kann sie in gleicher Weise sowohl die demokratischen wie auch die aristokratischen Bräuche dulden."1'8

In ihrer geschichtlichen Erscheinung ist die Kirche noch nicht vollkommen — weder in der Liebesgemeinschaft noch in der Aneignung der Wahrheit und der Gnade, die in Christus offenbart worden ist. „Hätte die Kirche von Anfang an jene Fülle der Liebe dargestellt, die zur vollkommenen Aneignung und Verwirklichung der Gnade und Wahrheit, die sich in Christo offenbart hat, notwendig ist — dann wäre die Geschichte der christlichen Menschheit längst vollendet. Die göttliche Gnade wird der Menschheit in der Kirche ganz gegeben, 128

S. o. S. 51—57 und 74—79. 108 Werke II, S. 394. Ebd. 131 Werke III, S. 196 u. ö. Die nationalistischen Ideen des Panslavismus haben bei den Slavophilen einen starken Einfluß auf die Ekklesiologie gehabt. Selbst innerhalb der Ostkirche wird hier noch nach phyletistischen Gesichtspunkten differenziert. Denn die Griechen z.B. hält Chomjakov für v o m Rationalismus infiziert, während das religiöse Ideal der Orthodoxie eigentlich nur von den slavischen Völkern verwirklicht wurde. 132 Werke II, S. 377. 138 Werke II, S. 331 (Einige erklärende Worte anläßlich des „großen Streites"). 129

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sie wird aber in Wirklichkeit von der Menschheit bei weitem nicht ganz angenommen, und der lebendige gottmenschliche Organismus ist noch sehr weit von dem Vollmaß der Lebenshöhe Christi entfernt (vgl. Eph. 4, 13): die Dürftigkeit der Liebe, das Absterben des Glaubens und die erbitterten religiösen Spaltungen stellen eine allgemeine Erscheinung in der ganzen christlichen Welt dar und bringen sie in einen offensichtlichen Widerspruch zu dem wahren Ideal der auf Liebe und Einmütigkeit gegründeten Kirche. Die Tatsache dieses in der ganzen christlichen Welt allgemeinen Widerspruchs festzustellen und dann den allgemeinen Ausweg aus dieser Lage, die notwendigen Mittel und Bedingungen für die Heilung der kirchlichen Menschheit zu zeigen — dies ist die Aufgabe, die vor unseren religiösen Denkern lag, nachdem sie das wahre Wesen der Kirche definiert hatten." 134 Die dogmatische Intention in der Kritik Solovjevs soll zeigen, daß keine räumlich und zeitlich begrenzte Kirchengemeinschaft den Anspruch erheben kann, im exklusiven Sinne die wahre Kirche zu repräsentieren. Die Universale Kirche besitzt für ihn noch keine konkrete Gestalt, sondern sie vollendet sich erst in der Geschichte, sie liegt potentiell über dem Christentum im engeren und über der ganzen Menschheit im weiteren Sinne 135 . Ihre Einheit ist daher auch nicht durch die formalen Bande einer Konsensus-Gemeinschaft erfaßbar, sondern sie ist eine universale Kraft — das Heilshandeln Gottes in der Geschichte. Den religionsphänomenologischen Schematismus, der bei Chomjakov zu der eigentümlichen Interpretation der Kirchenspaltung durch das Filioque führt, hat Solovjev erkannt: „In allen beredten und sogar pathetischen Betrachtungen Chomjakovs zu diesem Thema (deren literarischen Wert ich gern anerkenne) verdient nur ein Umstand ernste Aufmerksamkeit: das vollständige Fehlen einer jeden bestimmten Vorstellung darüber, wann und auf welche Weise das Filioque in das lateinische Symbol hineingeraten ist, wann man dies im Osten erfahren und wie man sich ursprünglich dazu verhalten hat, unter welchen Bedingungen dies Wort zur Fahne der kirchlichen Spaltung wurde usw."138 Die Einzelheiten dieser Kritik, die durch ausführliche Quellenuntersuchungen belegt wird 137 , brauchen uns nicht weiter zu beschäftigen. Solovjev argumentiert damit, daß das Filioque immer nur lokale Bedeutung gehabt habe und daß es nur aus den besonderen geschichtlichen Umständen im Westen zu verstehen sei. Da aber das Filioque niemals von einem ökumenischen Konzil defi134

Werke II, S. 376 (Sperrungen R. S.), vgl. Werke III, S. 215. Die Slavophilen erklären die Ostkirche „für die einzige und alleinige Kirche Gottes . . . und betrachten die anderen Gemeinschaften nur als antichristliche Vereinigungen. Indem also die Slawophilen die Idee der universalen Kirche im Prinzip akzeptieren, leugnen sie sie in Wirklichkeit und beschränken die christliche Universalität auf eine Einzelkirche, die übrigens auch recht weit davon entfernt ist, dem Ideal zu entsprechen, das sie selber öffentlich bekennen". 186 Solovjev lehnt hier auch die Wertung der verschiedenen Kirchen nach ihrer Nähe zur Offenbarungswahrheit ab, wobei dann die Reinheit der Lehre allein in der Ostkirche vorhanden sein soll. Er wendet sich dabei gegen P h i l a r e t von Moskau (Werke III, S. 209 f.). 138 Werke II, S. 377. 137 Siehe die Einleitung zu „Geschichte und Zukunft der Theokratie", Werke Π, S. 401 ff. 98

niert worden ist, umgekehrt aber auch niemals von einem ökumenischen Konzil anathematisiert wurde, kann es nidit als Grund der kirchlichen Zertrennung betrachtet werden. So kommt Solovjev zu einer neuen Beurteilung der Zertrennung zwischen Osten und Westen nach ihren geschichtlichen Ursachen. Der Bruch der Liebesgemeinschaft wird nicht mehr einseitig dem Westen vorgeworfen, der damit von der wahren Kirche abgefallen ist, sondern die Kirche als ganze in ihrer geschichtlichen Erscheinung hat hier versagt. Die scharfe Kritik an dem religionsphänomenologischen Schematismus Chomjakovs wird nun zur Kritik an dem gesamten christlichen Osten. Wir werden uns darauf beschränken, von den kritischen Äußerungen Solovjevs über den Osten, die in ihrer Schärfe selbst die westliche Polemik hinter sich lassen, nur einige für die Ekklesiologie bedeutsame Stellen anzuführen. Wenn dabei Solovjev eine gewisse Überbewertung des Westens und besonders der römisch-katholischen Kirche zeigt, so erklärt sich dieses einerseits aus seinem Gegensatz zu Chomjakov und andrerseits aus seinem religiösen Okzidentalismus 138 . Die ganze Geschichte des Ostens ist für Solovjev ein Beispiel dafür, wie das Göttliche durch das Menschliche immer wieder unterdrückt und entstellt wird. Die Trennung zwischen Ost- und Westkirche — Solovjev versteht sie als einen Abfall von dem geistlichen Primat des Stuhles Petri — ist das Eindringen politischer Ambitionen in den Bereich der Kirche, d. h. die Zerstörung der theokratischen Ordnung der Universalen Kirdie. Die Spaltung der Kirche ist eine Folge weltlichen Machtstrebens: „Nicht im Westen, sondern in Byzanz hat die Erbsünde des nationalistischen Partikularismus und des cäsaropapistischen Absolutismus zum erstenmal den T o d in den sozialen Leib Christi hineingetragen. U n d der verantwortliche Nachfolger von Byzanz ist das russische Kaiserreich. U n d heute ist Rußland das einzige Land der Christenheit, wo der nationale Staat rückhaltlos seinen ausschließlichen Absolutismus behauptet, indem es aus der Kirche ein Attribut der Nationalität und ein passives Werkzeug der weltlichen Regierung m a c h t . . . " 1 3 i

Der Osten hat aber auch darin versagt, daß er die soziale Aufgabe der Kirche nicht wahrgenommen hat, sondern sich von der Welt abwandte. So ist die Kirche hier ihrer sozialen Verantwortung ausgewichen; sie ist „in die Wüste gegangen und damit zu einer wüsten Kirche geworden" 1 4 0 . Die eigentliche Mission der Kirche besteht jedoch darin, das Göttliche mit dem Menschlichen in der ganzen Welt zu vereinigen. Das scharfe Urteil Solovjevs über die Ostkirche führt aber nicht zu der Konsequenz, daß nunmehr nur noch im Westen Kirche sei, während der Osten vom Westen abgefallen ist. Der Schematismus Chomjakovs wird wohl kritisiert, aber er wird nicht einfach umgekehrt, sondern Solovjev unterscheidet nun Ähnliche Tendenzen zeigen sich auch schon bei P. J. C a a d a j e v , (1794—1856). " » Werke III, S. 87. 140 Werke III, S. 104. — Es handelt sich hier um ein französisches Wortspiel zwischen „ddsert" und ,^glise ctesertante". 188

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auch im Osten zwischen der göttlichen Wirklichkeit und der menschlichen Unvollkommenheit der Kirche. Die göttliche Wirklichkeit — d. h. die Kirche — ist auch im Osten trotz allem Versagen noch vorhanden: „Unsere Religion, soweit sie im Glauben des Volkes und im Gottesdienst sichtbar wird, ist vollkommen rechtgläubig. Die russische Kirdie, soweit sie die Wahrheit des Glaubens, die ununterbrochene Fortdauer der apostolischen Sukzession und die Gültigkeit der Sakramente bewahrt, nimmt dem Wesen nach teil an der Einheit der Universalen Kirdie, die Christus gestiftet h a t . . . " Was Solovjev kritisiert, ist die dem Staate ausgelieferte Priesterkirche, die nur noch eine „pseudokirchliche Einrichtung" sei 141 . Durch seine Differenzierung zwischen Göttlichem und Menschlichem in der Kirche und durch eine sachliche Untersuchung der Zertrennung auf ihre geschichtlichen Ursachen kommt Solovjev zu einer Art Zweigtheorie, in der die Einheit der Kirche über die kanonischen Grenzen der empirischen Kirchengemeinschaft ausgedehnt wird. Kirche ist überall da, wo die drei Kriterien der Universalen Kirche vorhanden sind 142 . Was Solovjev als „Priesterkirche" oder als „konfessionelle Gemeinschaft" bezeichnet, ist im Grunde die empirische Kirchengemeinschaft, die mit ihren Grenzen nur ein Teil der Universalen Kirche ist. Das Verhältnis zwischen Ost- und Westkirche wird nun bei Solovjev neu bestimmt. Beide sind Teile der einen Kirche, und beide besitzen besondere Gaben und Fähigkeiten, und darin sollen sie sich gegenseitig ergänzen, um die All-Einheit, das Gottmenschentum in der menschlichen Gesellschaft zu verwirklichen. Die im Osten vorherrschende „Statik" der Kirche und ihres Glaubens vollendet sich durch die Vereinigung mit der im Westen vorherrschenden „Dynamik" der Kirche und ihrer Ausrichtung auf das Handeln in der Welt 143 . „Die Kirche ist nicht nur das ,Heiligtum', sie ist ebenso die »Macht* und die .Freiheit'." 144 Der Absolutheitsanspruch im Osten und im Westen ist nur der Ausdruck eines „offensiven Eigendünkels". „In Wahrheit kennt jedoch die ökumenische Kirdie eine solche Ausschließlichkeit nicht, sie besteht sowohl im Osten wie im Westen, sie ist in dem, wodurch sowohl der Osten als der Westen geheiligt wird, sie ist in dem, was die christlichen Völker in ihrer Kindheit vereinigt hatte, im Namen dessen sie sich noch vereinigen müssen, um das Vollmaß der Lebenshöhe Christi zu erlangen (Eph. 4, 13)." 1 4 5 Damit kommt Solovjev bei der Beurteilung des Verhältnisses zwischen der orthodoxen und der Werke III, S. 53f.; 65; vgl. S. 141. Bezeichnend ist, daß Solovjev auch den russischen Raskol, der ebenfalls aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen ist, zur Kirche rechnet. Vgl. Werke III, S. 206flF., 199. 143 Werke II, S. 249 ff. (Der große Streit und die christliche Politik, Kap. IV, und Werke III, S. 189ff., Rußland und die Universale Kirche, Kap. 1). 144 Werke II, S. 251. 145 Werke II, S. 319. 141 142

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römisch-katholischen Kirche zu einer sehr aktuellen Formel: beide Kirchen sind eins in Christus, aber getrennt als Kirchen: „Die eine ökumenische Kirche existiert in jenen gottmenschlichen Banden, die sowohl die östlichen Orthodoxen wie die westlichen Katholiken in gleicher Weise mit Christus verbinden. Beide christlichen Gemeinschaften sind mit Christus durch die apostolische Sukzession, durch den wahren Glauben und durch lebensspendende Sakramente vereint — darin schließen beide Kirchen einander nicht aus, darin sind sie eins, und daher ist die ökumenische Kirche Eine, wenn sie auch als zwei erscheint. Die Aufgabe besteht darin, die sichtbare Erscheinung der Kirche mit ihrem Wesen in Einklang zu bringen."14·

Der Akt der Gerechtigkeit und der Bruderliebe, den Chomjakov vom Westen forderte, um durch die Buße wieder mit der Einen Kirche vereint zu werden147, wird bei Solovjev von beiden Teilen der Kirche gefordert, um die verlorene sichtbare Einheit wieder herzustellen. „Unsere ganze Aufgabe besteht darin, uns als das anzuerkennen, was wir in Wirklichkeit sind — ein organischer Teil des großen Leibes der Christenheit — und unsere geistige Solidarität mit unseren Brüdern im Westen zu bekennen. Dieser moralische Akt, dieser Akt der Gerechtigkeit und der Bruderliebe, wäre schon an sich ein ungeheurer Schritt vorwärts für uns und die unerläßliche Bedingung jeden weiteren Fortschritts."148

Vereinigung der Kirchen ist bei Solovjev in der von uns behandelten Periode seines Schaffens allein auf die orthodoxe und die römisch-katholische Kirche bezogen. Der Weg zur Vereinigung ist die innere Erneuerung, die Überwindung der konfessionalistischen Feindschaft und die Entdeckung der verborgenen Einheit. Das Einheitsband ist dabei immer die apostolische Sukzession des geistlichen Amtes, und darum kann hier auch nicht von einer Vereinigung mit dem Protestantismus gesprochen werden, da diesem die apostolische Sukzession in der von Solovjev vorausgesetzten Gestalt fehlt. „Da die protestantische Kirche überhaupt nicht existiert" . . . kann „man folglich nur von der Wiedervereinigung der Protestanten mit der Kirche sprechen" 149 . Das Kriterium der apostolischen Sukzession bildet also bei Solovjev eine Grenze bei der Kirchenvereinigung und damit auch eine Grenze der Universalen Kirche in ihrer geschichtlichen Wirklichkeit. Ohne die dogmatische Problematik der apostolischen Sukzession zu erörtern, scheint es doch, daß die Grundkonzeption Solovjevs an diesem Punkt nicht zu den letzten Konsequenzen durchdringt, die sich eigentlich aus seinem theologisch-philosophischen Ansatz ergeben, wenn die Universale Kirche nicht nur auf die Christenheit, sondern auf die gesamte Menschheit bezogen wird, die potentiell Kirche ist. Der Durchbruch zu den letzten Konsequenzen erfolgt bei Solovjev in der letzten Periode seines Schaffens, der „Periode des Bekennt14

147

148

148

« Werke II, S. 317. Werke III, S. 193.

S. o. S. 73. Werke II, S. 323 Anm. 4. 101

nisses zur ,Religion des Heiligen Geistes'" 150 . Im Grunde resigniert Solovjev darüber, daß seine Ideen weder von seiner eigenen Kirche noch von der römisch-katholischen Kirche verstanden werden. Gerade das Werk „Rußland und die Universale Kirche", in dem er das theokratische Prinzip der römischen Kirche am meisten verherrlichte, führte zum Konflikt mit der römischen Theologie. Mit der Abwendung von der römisch-katholischen Kirche zerbricht auch das theokratische hierarchische Prinzip, durch das die letzte Grenzlinie und das eigentliche Kriterium der sichtbaren Kirchengemeinschaft begründet wurde. Solovjev stellt nun fest, daß auch die Nachfolger der Apostel abgefallen sind, und wendet sich gegen die kirchliche Autorität und den damit verbundenen Traditionalismus, Dogmatismus und Obskurantismus sowie gegen die daraus erwachsende konfessionalistische Exklusivität 151 . Es gibt keine untrüglichen Kriterien, den Irrtum von der Wahrheit zu unterscheiden — weder im Papsttum nodi im Konziliarismus, und die „Forderung einer vollen Unterordnung unter die kirchliche Gewalt ist eine Verirrung" 152 . Der ganze institutionelle Kirchenbegriff wird aufgelöst, und der Begriff der Theokratie wird überhaupt vermieden 153 . „Der Geist weht, wo er will", und er kann nicht an die festen geschichtlichen Formen einer Heilsanstalt gebunden werden 154 . Dies ist ein Gedanke, der bei seinen Epigonen und vor allem bei S. Β u 1 g a k ο ν noch von großer Bedeutung sein wird. Die Kirche wird positiv nun folgendermaßen bestimmt165: „Die Kirche ist für ihn .ihrem Wesen nach die Einheit und Heiligkeit der Gottheit, aber nicht (der Gottheit) an sich, sondern insofern sie in der Welt gegenwärtig und wirksam ist, d. h. sie ist die Gottheit in ihrem >Anderenvom Vater allein« gezeugt' ein wirkliches Dogma der Kirche ist, obwohl es niemals von einem ökumenischen Konzil definiert worden ist, so ist audi die andere Behauptung: ,Der Hl. Geist geht >vom Vater allein« aus' ein wirkliches Dogma, obwohl es wörtlich von den ökumenischen Konzilen nicht so definiert worden i s t . . ," 1 0 7 M i t diesen beiden Standpunkten ist die Auseinandersetzung um das Filioque innerhalb der neueren ostkirchlichen Theologie schon hinreichend gekennzeichnet. Formal beruht der Gegensatz in einer unterschiedlichen Wertung des Filioque als Lehrunterschied. Das grundsätzliche Problem liegt aber in den ekklesiologischen Voraussetzungen, die zu dieser unterschiedlichen Wertung führen bzw. mit ihr verbunden sind. Ist das Filioque ein kirchentrennender Lehrunterschied, so bleibt die Übereinstimmung von Lehreinheit und Kirchengemeinschaft gewahrt. Erscheint es dagegen auf Grund des historischen Sachverhalts nur als Theologoumenon, so führt dies zu der Konsequenz, daß die Lehreinheit nicht unbedingt mit der Kirchengemeinschaft übereinstimmt. Zu einer Annäherung der entgegengesetzten Standpunkte ist es bis heute noch nicht gekommen. Eine ganze Reihe griechischer und russischer Theologen vertritt die Ansicht, daß das Filioque theologisch keine Häresie enthalte. So bemerkt ζ. B . Professor A l i v i s a t o s : „Keiner der orthodoxen Theologen kann heutzutage ernsthaft behaupten, daß die Vertreter des Westens durch das Filioque die Hypostase des Hl. Geistes abwerten und eine Art von Dyarchie in die Trinität einführen."108 Andere sind der Meinung, daß das Filioque einen theologischen Lehrunterschied enthalte, hinter dem ein ungelöstes Problem der Pneumatologie liege, das durch die konfessionelle Polemik noch nicht sachlich erörtert werden konnte 1 0 9 . Eine theologische Diskussion um das Filioque würde sich angesichts dieser Beurteilung erübrigen, und in der T a t wird das Problem in der ökumenischen Begegnung nur noch sehr selten berührt. Daneben findet man

aber in der gegenwärtigen

ostkirchlichen Theologie

manche Stimmen, die den traditionellen Standpunkt vertreten. Die bedeutendste Arbeit in dieser Richtung ist die Schrift von V . L ο s s k y , „Der Ausgang des Referat bei J u g i e Bd. II, S. 469. A. A l i v i s a t o s , Der ungebrochene Zusammenhang der Orthodoxen Griechischen Kirche mit der ungeteilten Kirche (griech.), in: Ekklesiastikos Pharos 1934, Nr. 3, S. 423. Vgl. auch A n d r o u t s o s , Dogmatik S. 82ff. u. a. 109 So z.B. S. B u l g a k o v , Der Paraklet (russ.), Paris 1936, S. 161, und Lev G i l l e t (anonym veröffentlicht), Orthodox Spirituality, London, S. 64. Oft wird einer direkten Stellungnahme ausgewichen, wie z.B. bei S. Z a n k o w , Das Orthodoxe Christentum des Ostens, Berlin 1928, S. 44. 107

108

222

Heiligen Geistes" 110 . Lossky versucht hier dogmatisch nachzuweisen, daß die westlidie Lehre vom Filioque häretisch ist und im Widerspruch zu der von den ökumenischen Konzilen definierten Trinitätslehre steht. Auf diesem Wege, der hier nicht weiter behandelt zu werden braucht, kann er dann an der Theorie festhalten, daß die östliche Lehre vom Ausgang des Heiligen Geistes „Dogma" ist. Infolgedessen ist dann das Filioque ein kirchentrennender Lehrunterschied. Auf die Einzelheiten der sehr gründlichen Untersuchung brauchen wir nicht weiter einzugehen, denn das Ergebnis wird schon in einer einleitenden Auseinandersetzung mit den Thesen Bolotovs entschieden. Lossky sieht im Filioque „ . . . den einzigen dogmatischen Grund für die Trennung zwisdien dem Osten und dem Westen. Alle übrigen Unterschiede, die historisch die erste Kontroverse um das Filioque begleitet haben oder darauf folgten, schließen sich, sofern sie von dogmatischer Bedeutung sind, mehr oder minder an diese erstrangige Entscheidung an"111. Von diesem Axiom aus, das die traditionelle Ansicht der Ostkirche wiedergibt, glaubt Lossky auf eine Untersuchung des historischen Sachverhalts verzichten zu können: „Unsere Aufgabe ist nicht die eines Historikers, und wir lassen auch die Frage nach dem Ursprung der beiden verschiedenen Formeln außer adit. Wir räumen sogar die Möglichkeit einer orthodoxen Interpretation des ursprünglichen Filioque ein, wie sie sich ζ. B. in Toledo zeigt. Doch es sind nicht die Formulierungen, sondern die beiden konstitutiven theologischen Lehren, die uns hier beschäftigen . . ,"112 Es liegt nahe, hinter dieser Prämisse des überaus kenntnisreichen Theologen ebenfalls eine ekklesiologisdie Voraussetzung zu vermuten, zu der die volle Ubereinstimmung von Lehreinheit und Kirchengemeinschaft gehört. Die Entscheidung, ob das Filioque, und Entsprechendes gilt von anderen Lehrunterschieden, häretisch ist oder nicht, gründet sich offensichtlich auf bestimmte ekklesiologisdie Voraussetzungen und führt zu Konsequenzen für die Bestimmung der kirchlichen Einheit 113 . Sobald jedoch ein Lehrunterschied als Häresie qualifiziert ist, erübrigt sich auch ein Gespräch zwischen den getrennten Kirchen. Denn Häresie bedeutet Abfall von der Kirche und Verlust der Wahrheit, die nur in und von der Kirche erkannt werden kann 114 . 110 V. L o s s k y , La procession du Saint-Esprit dans la doctrine trinitaire orthodoxe Paris 1948. 111 A.a.O. S. 3. 112 A.a.O. S. 6. 113 Dies zeigt sich z.B. in dem Referat von Κ. V. N e c h a y e v über das Filioque bei der anglo-russischen Theologenkonferenz in Moskau 1956. N. stützt sich auf Bolotov und wertet sowohl die östliche wie auch die westliche Auffassung sachlich als Theologoumenon, behauptet aber dann, daß nur das östliche Theologoumenon schriftgemäß sei, während das westliche einer bloßen philosophischen Spekulation gleichkomme. Anschließend bemüht er sich um den Nachweis, daß die westliche Lehre häretisch sei, das Urteil der Orthodoxen Kirche wird dabei ausdrücklich als Urteil der ökumenischen Kirche ausgegeben (Anglo-Russian Theological Conference, London 1958, S. 49—52). 114 Zur neueren innerostkirchlichen Diskussion um das Filioque vgl. auch V. R o d z j a n k o , Wie ist das Problem des Filioque zu lösen? (russ.), in: Vestnik russkogo

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Die gegensätzlichen Standpunkte, die in der Frage des Filioque aufeinandertreffen, haben eine grundsätzliche Bedeutung für die gesamte Auseinandersetzung der ostkirchlichen Theologie mit der ökumenischen Problematik. Unter dem Einfluß der historischen Methode und in der russischen Theologie besonders in Anlehnung an die Thesen Bolotovs entsteht in der ostkirchlichen Theologie eine starke Strömung, die sich weitgehend von den herkömmlichen Anschauungen der Schuldogmatik löst. Die Differenzierung der kirchlichen Lehre nach den theologischen Gewißheitsgraden hat jedoch mehr als eine nur formale Bedeutung. Die dogmengeschichtliche Forschung, mit der sie verbunden ist, führt zu einem anderen Verständnis der kirchlichen Lehreinheit und in der ökumenischen Begegnung zu einer anderen Bewertung des Verhältnisses von Orthodoxie und Heterodoxie. Auf den ekklesiologischen Aspekt der historischen Methode und ihrer Anwendung soll hier nun noch eingegangen werden. Der dogmatisch unreflektierte Kirchenbegriff der Schuldogmatik führte, wie wir schon gezeigt haben, bei der Beurteilung der kirchlichen Zertrennung zu der Ansicht, daß Kirche nur in der Einheit der Kirchengemeinsdiaft möglich ist und daß daher Zertrennung immer Abfall von der Einen Kirche ist. Wendet man diese ekklesiologische Voraussetzung auf den Lehrbegriff an, so muß auch jede Durchbrechung der Lehreinheit, wie sie mit der Auflösung der Kirchengemeinschaft verbunden ist, als Abfall von der Wahrheit verstanden werden. Kommt man aber nun umgekehrt mit Hilfe der historischen Methode zu dem Ergebnis, daß zwischen zwei getrennten Kirchen die Einheit in der Lehre nachzuweisen ist, so wird damit die Gleichsetzung von Kirche, Kirchengemeinschaft und Lehreinheit problematisch, und hier liegt die ekklesiologische Schwierigkeit, die, wenn auch meist unausgesprochen, hinter dem ökumenischen Gespräch um die Lehrunterschiede bis heute noch steht. P. Ja. S ν e 11 ο ν , dessen ekklesiologische Voraussetzungen bereits behandelt wurden 115 , bemühte sich um eine systematische Auseinandersetzung mit diesen Fragen. Die Verbindung zwischen Kirchen- und Lehrbegriff ist hier offensichtlich. Wie dort die elementare Einheit der Kirchen von der Heilstat Christi her begründet wird, so wird nun auch beim Lehrbegriff von einer fundamentalen Einheit gesprochen, die über die Grenzen der getrennten Kirchengemeinschaften hinausreicht. Diese Lehreinheit ist inhaltlich und formal auf die Grundwahrheiten des christlichen Glaubens gestützt. Inhaltlich ist sie konzentriert auf den Glauben an die Menschwerdung Gottes in Christo, formal umfaßt sie die verbindliche Anerkennung der trinitarischen und christologisdien Dogmen, die von den ersten sieben ökumenischen Konzilen der Kirche definiert worden sind. Wir haben es also hier nicht, wie weitgehend in der Schuldogmatik, mit einem durch die faktische Kirchengemeinschaft umgrenzten Begriff der Lehreinheit zu tun. Der zwischen den Kirchen bestehende Konsensus und Dissensus wird vielzapad.-evrop. patr. Ekzarchata 1955, Nr. 24, S. 259—291. Eine Erwiderung auf diesen Artikel von V. Los sky in Nr. 25 derselben Zeitschrift, S. 54—62. 115 Siehe oben S. 194ff. 224

mehr nadi inhaltlichen Kriterien gewogen, wobei dann auch die geschiditsbedingten Lehrunterschiede besonders berücksichtigt werden. So kommt Svetlov zu folgender Beurteilung der Lehruntersdiiede: „Es besteht im allgemeinen Ubereinstimmung im Verständnis der fundamentalen Wahrheiten zwischen den Kirchen. Die Unterschiede zwischen den Kirchen im Verständnis der fundamentalen dogmatischen Glaubenswahrheiten sind im allgemeinen nicht größer oder geringer als die, die innerhalb der einzelnen Kirchen zu beobachten sind. Sie ergeben sich notwendig aus der psychologischen Natur des menschlichen Erkenntnisaktes und sind unvermeidlich durch die Individualität des erkennenden Subjekts bedingt."11® Die Methode Bolotovs bei seiner Beurteilung des Filioque w i r d so erweitert und auf alle Lehrunterschiede angewandt. Ausdrücklich kritisiert Svetlov die „landläufige Meinung", nadi der alle K i r chen von der Einen ökumenischen Kirche abgefallen sein sollen. D a die Grundwahrheiten der Offenbarung und die Zentraldogmen der Kirche v o n allen christlichen Kirchen anerkannt werden, ist „ . . . die fundamentale und wesentliche Einheit der ökumenischen Kirche (auch) niemals durch die sichtbare Zertrennung der Kirchengemeinschaften untereinander in einzelne Konfessionen zerbrochen worden" 117 . Sie können daher als Teilkirchen der einen Kirche Jesu Christi angesehen werden, während die vorhandenen Lehrunterschiede als legitime, wenn auch nicht allgemeinverbindliche Lokaltradition zu werten sind. Dies schließt indessen nicht aus, daß die einzelnen Kirchengemeinschaften mit ihrer Lehre in einer verschiedenen N ä h e zur Kirche und zu der vollen Wahrheit stehen 1 1 8 . Entscheidend bleibt dabei nur immer, daß die Glieder der westlichen Kirchen ebenso wie die der östlichen Kirche zu Christus gehören und unter seiner G n a d e stehen 1 1 9 . Hinter der inhaltlichen und formalen Wertung der Lehrunterschiede steht bei Svetlov ein neues Verständnis des D o g m a s , das dem Dogmenbegriff der Schuldogmatik entgegengesetzt wird. Unter dem A s p e k t der Geschichtlichkeit der kirchlichen Lehre wird eine Gleichsetzung des D o g m a s mit der Offenbarung 116 S v e t l o v , Christliche Glaubenslehre in apologetischer Auslegung, Bd. I, S. 184. Svetlov verweist auf die ostkirchliche Theologie seiner Zeit, in der trotz aller Bemühungen, die Lehreinheit zu einer „toten äußerlichen Uniformität mit einer Identität in den Meinungen" zu reduzieren, erhebliche Lehrunterschiede in der dogmatischen Literatur festzustellen seien, „sogar in so kapitalen Dogmen wie dem D o g m a von der Erlösung, im Dogmenbegriff, im D o g m a von der Kirche und sogar in der Bestimmung dessen, was Orthodoxie ist" (S. 184f.). Svetlov macht der ostkirchlichen Dogmatik überhaupt den Vorwurf, daß sie in keiner Weise die Lehre der alten Kirche zum Ausdruck bringe oder ihr entspreche. — Vgl. hierzu auch die Einleitung zu diesem Werk in Bd. I. 117 A . a . O . S. 185. 118 A . a . O . S. 211 und 225. Die Ostkirche steht dabei an erster Stelle durch ihre Nähe zur alten Kirche. 11S A . a . O . S. 185.

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abgelehnt. Denn auch die autoritative Definition eines Dogmas durch die Kirche auf einem ökumenisdien Konzil enthebt es nicht seiner Geschichtsbedingtheit: „Man muß unbedingt den neuen, ergänzenden Zug des Dogmas erkennen, der in seiner Eigenschaft der Kirchlichkeit beschlossen ist, nämlich seine notwendige Bindung an das rationale Element in der christlichen Erkenntnis. Denn sonst verfällt man in den für die scholastische Theologie (die Sdiuldogmatik, R. S.) so typischen Fehler, daß man die göttliche Offenbarung mit den Dogmen identifiziert."120 Die Prinzipien der Geschichtsforsdiung werden damit vorbehaltlos auf die Dogmengeschichte angewandt 1 2 1 . Nach Svetlov, der sich als Dogmatiker mit dem Problem der Lehrunterschiede und der kirchlichen Lehreinheit auseinandersetzte, sind es vorwiegend Kirchenhistoriker, die auf diesem Weg weitergehen. Die dogmatisch-ekklesiologisdien Probleme werden von ihnen jedoch meistens nur am R a n d e berührt. Einige wichtige Gesichtspunkte, die dabei hervortreten, sollen hier noch angeführt werden. Eine Untersuchung des russischen Kirchenhistorikers Ν . N . G l u b o k o v s k i j über „Die Orthodoxe Kirche und die Vereinigung der christlichen K i r chen" 1 2 2 schließt sich in ähnlicher Weise an die Thesen Bolotovs an. In einem geschichtlichen Uberblick fragt Glubokovskij nach den Ursachen, die zur Zertrennung der Kirchen geführt haben und an denen im L a u f e der Geschichte alle Versuche einer Wiedervereinigung gescheitert sind. D a s dogmatische Axiom, nach dem jede Spaltung ein Abfall von der Kirdie und von der Wahrheit ist, weicht hier der Betrachtung des geschichtlichen Sachverhalts. Wenn Bolotov die Ursache für die Spaltung zwischen Osten und Westen nicht in dem dogmatischen Lehrunterschied des Filioque sah, sondern in dem Machtanspruch der römischen Päpste, so zeigt nun Glubokovskij, daß die meisten Kirchenspaltungen nicht aus dogmatischen, sondern aus kirchenpolitischen Motiven entstanden sind. Die ganze Kirchengeschichte ist weithin eine Entfremdung von dem, was die Kirche ursprünglich ist und sein soll. Die christliche Bruderschaft, die aus dem Bekenntnis zu Christus als dem Herrn und aus der Berufung zur Gotteskindschaft erwächst, entartet in eine juristische Organisation, in der immanente Prinzipien die Oberhand gewinnen. Die geschichtliche Notwendigkeit dominiert über der geistlichen Wirklichkeit. Dies gilt jedodi nicht nur von der Kirche des Westens, sondern ebenso von der des Ostens. Es ist ein allgemeines Phänomen, das die Kirche zu jeder Zeit bedroht. Im L a u f e der Zeit erstarren die so entstandenen Grenzen zwischen den Kirchen; theoretische Differenzen werden zu ihrer A . a . O . S. 302. S i l v e s t r (Malevanskij) macht in seiner Dogmatik immer noch den Vorbehalt, daß eine „Dogmenentfaltung" ohne Veränderung des Inhalts nur in der wahren Kirche, d.h. nur in der Orthodoxen Kirche, möglich sei. 122 Ν. N. G l u b o k o v s k i j , Die Orthodoxe Kirche und die Vereinigung der christlichen Kirchen (bulgarisch), in: Jahrbuch der Universität Sophia, I, Nr. 6, 1923/24, Sonderdruck Sophia 1925 (dass, schwedisch in: Kyrkans Enhet — Olaus Petri Vorlesungen — I. Ryska Kyrkan: Den ortodoxa kristenheten och kyrkans enhet, Stockholm 1921). 120

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Begründung herangezogen, dogmatische und rituelle Unterschiede, wie in der Ostkirche ζ. B. das Filioque oder das ungesäuerte Brot, werden als kirchentrennend empfunden 123 . Die Lehruntersdiiede sind also nicht Ursache der Zertrennung, sondern sie erhalten ihr Gewicht erst durch die bereits vollzogene Spaltung. „Es ist höchst zweifelhaft, ob zu jener Zeit diese Differenzpunkte tatsächlich dogmatischen Charakter trugen; denn sie waren keineswegs in der ganzen westlichen Kirche verbreitet, und keinem von ihnen wurde eine unbestrittene Allgemeinverbindlichkeit beigelegt. Es handelte sich vielmehr um Teilmeinungen und lokale Bräuche, die sich aus besonderen Notwendigkeiten und Traditionen erklären und rechtfertigen l i e ß e n . . . Allein die übertriebene Betonung der Theologoumena hatte zur Folge, daß die .dubia' unweigerlich in beiden Gebieten zu ,necessaria' wurden, und so wurde der Grund gelegt für die späteren analogen Neuerungen, die durch das Fehlen einer gegenseitigen Opposition nie entschieden werden konnten. So bewahrt und verteidigt, führten sie zu einer so großen Entfremdung in den gegenseitigen Beziehungen, während sie sonst in jedem Gebiet als private Lehrmeinungen und Jokale Bräuche geduldet worden wären."124

Die hier vorliegende historische Betrachtungsweise entspricht weitgehend der mit dem Begriff der „nicht-theologischen Faktoren" verbundenen Beurteilung der Lehrunterschiede. Darüber hinaus wird von Glubokovskij ausdrücklich von einer gemeinsamen Schuld aller Kirchen an der Zertrennung gesprochen und nicht nur von dem Abfall von der weiterhin in der Geschichte bestehenden Einen Kirche. Das Ziel der christlichen Wiedervereinigung kann so audi nicht als eine formelle Rückkehr der abgefallenen Gemeinschaften zu der bestehenden geschichtlichen Einheit einer bestimmten Kirche verstanden werden. Die Vorstellung des Metropoliten Α η t ο η i j von einem „triumphalen Eintritt" der anderen Kirchen „in die Gemeinschaft mit der russischen Orthodoxen Kirche" wird als eine im Widerspruch zum Wesen der Kirche stehende „ekklesiastisch pazifistische Konzeption" abgelehnt 125 . Doch ebenso wird die „Zweigtheorie" als ekklesiologisch unhaltbar zurückgewiesen, wenn man darunter, wie es Glubokovskij offensichtlich tut, versteht, daß keine der geschichtlichen Kirchen im vollen Sinne Kirche ist. Denn beide Konzeptionen übersehen die wesentliche „Unüberwindlichkeit" der Kirche, durch die sie auch im empirischen Zerfall der Kirchengemeinschaft immer eine lebendige Wirklichkeit bleibt12*. „Die Einheit der Kirche ist da — aber sie ist noch nicht sichtbar." 127 Sichtbar kann diese Einheit nur auf dem Wege einer Erneuerung aller Kirchen im Geiste der alten Kirche werden. Auch die Kirche des Ostens muß diesen Weg gehen, selbst wenn sie unter allen 128

A . a . O . S. 170. Vgl. auch G l u b o k o v s k i j , Methoden der Zusammenarbeit, Vortrag auf der Weltkirchenkonferenz von Stockholm, Amtl. dt. Bericht S. 626 bis 637; und: Christliche Wiedervereinigung und theologische Erneuerung in orthodoxer Sicht (russ.), in: Putj 1926, Nr. 4, S. 139—144. 124 A . a . O . S. 172. 125 A . a . O . S. 205ff.; 220ff. 128 A . a . O . S. 215f., 222. 127 A . a . O . S. 227.

227

christlichen Kirchen der alten Kirdie und der ursprünglichen Form des Christentums am nächsten steht 128 . Man könnte noch eine große Anzahl weiterer Stellungnahmen aus der ostkirchlichen Theologie anführen, in denen in ähnlicher Weise und unter denselben historischen Voraussetzungen die Vereinigung der Kirchen nicht als Rückkehr zur Kirdie, sondern als eine Erneuerung der einzelnen Kirchengemeinschaften verstanden wird 129 . Die ekklesiologischen Voraussetzungen sind dabei immer dieselben. Es ist nicht die kanonisch-sakramentale Gemeinschaft, sondern die mystische Einheit und Wirklichkeit der Kirdie, von der dabei ausgegangen wird. Die empirische Erscheinung der Kirche in den Kirchengemeinschaften wird zwar keineswegs aufgehoben, aber es wird doch deutlich betont, daß die geistliche Wirklichkeit der Kirche umfassender ist als die geschichtliche Erscheinung. Aus der Anwendung dieser ekklesiologischen Voraussetzung auf das Verständnis der Lehreinheit folgt ebenfalls eine Diskrepanz zwischen Lehreinheit und Kirchengemeinschaft. Der Einheit der Kirdie in Christus entspricht beim Lehrbegriff die Hervorhebung der fundamentalen Dogmen, deren Wert nicht nur in ihrer gesamtkirchlichen Verbindlichkeit liegt, sondern vor allem in der Tatsache, daß in ihnen die Mitte des christlichen Glaubens enthalten ist. Die daraus abgeleitete elementare Lehreinheit zwischen den getrennten Kirchen ist nichts anderes als der christologische Grund der Kirche und ihrer wesentlichen Einheit. Allerdings sind die dogmatischen Konsequenzen dieser Betrachtungsweise nur in den wenigsten Fällen ausgearbeitet worden. So darf man audi die Bedeutung der historischen Methode bei der Auseinandersetzung der ostkirchlichen Theologie mit der ökumenischen Problematik nicht überschätzen. Eine grundsätzliche Lösung auf dogmatischer Ebene ist auch hier nicht erreicht. Es handelt sich vielmehr um implizite ekklesiologisdie Aussagen, 128

A.a.O. S. 215. Ebenso äußert sich der russische Kirchenhistoriker Α. V. K a r t a s c h o v (t I960), Die Vereinigung der Kirchen im Lichte der Geschichte, im Sammelband „Christliche Wiedervereinigung" (russ.), Paris 1933, S. 82—120; vgl. bes. S. 115ff. 129 Dies ist die z.B. von S. Z a n k o w in seinen Schriften vertretene Ansicht. In der griechischen Theologie begegnet man ihr z.B. bei N. Ambrasis, Die orthodoxe Kirche im Verhältnis zu allen anderen christlichen Kirchen betrachtet (griech.), Athen 1902: In den Hauptwahrheiten des Christentums herrscht Übereinstimmung; die Lehrunterschiede betreffen nur sekundäre Punkte. Das Gemeinsame aller Kirchen und Christen liegt in dem Bekenntnis zu Christus, in der Bezeichnung „Christ" und in der durch die Taufe begründeten Gemeinschaft. Ähnlich auch J. Karmiris, Die Zertrennung der Kirche und die Einigungsbemühungen (griech.), in: Nea Sion 1946, Mai/August, S. 73—94: „Wenn auch die äußere Einheit . . . des Christentums zerspalten ist, so bleibt doch die innere Einheit als kostbarster Besitz aller Christen unberührt" (S. 78). Aus dem ökumenischen Gespräch ließen sich noch viele andere Beispiele dieser Art anführen, die gelegentlich sogar im Widerspruch zu von denselben Autoren in anderem Zusammenhang gemachten Äußerungen stehen. 228

und die Frage der Ekklesiologie bleibt weiterhin ein offenes Problem. Der Standpunkt der Kirdienhistoriker und einiger Dogmatiker ist im Blick auf das Ganze mehr als ein Korrektiv zu betrachten. Man darf jedenfalls darüber nicht vergessen, daß gerade durch die historische Betrachtungsweise der Lehrunterschiede offene dogmatische Fragen hervortreten, und so müssen auch hier noch die Probleme aufgezeigt werden, vor denen die ostkirchliche Dogmatik mit ihrem Kirchenbegriff und besonders mit ihrem Lehrbegriff steht. Es sind nur wenige Theologen, von denen diese Probleme aufgegriffen werden. Im Mittelpunkt steht dabei immer die Frage nach dem Kriterium für die reine Lehre, das ekklesiologisch mit dem Begriff der kirchlichen „Unfehlbarkeit" gekennzeichnet ist. In der Schuldogmatik wird die „Unfehlbarkeit" zu den „notae ecclesiae" geredinet 130 und ist eng mit dem Verständnis der kirchlichen Einheit verbunden, insofern damit die normative Lehre der Kirchengemeinschaft begründet wird. Unter den ostkirchlichen Dogmatikern ist es Ζ. R o s s i s , der sich, besonders im Gespräch mit der deutschen Theologie seiner Zeit, um eine dogmatische Klärung der Konsequenzen bemüht, die aus der historischen Methode für die Ekklesiologie und den Lehrbegriff der Schuldogmatik entstehen. Durdi seine Beteiligung an den Unionsverhandlungen mit den Altkatholiken und den Anglikanern wird sein Blick auch auf das Problem der kirchlichen Zertrennung gelenkt 131 Rossis gehört nidit unmittelbar zu den Vertretern der konservativen Schuldogmatik, sondern ist durdiaus von den neueren theologischen Strömungen des Westens beeinflußt. In seinen Arbeiten zur Frage der kirchlichen Vereinigung äußert er auch keine Zweifel an der Zugehörigkeit der westlichen Kirchen zur Kirdie Jesu Christi; die Taufe wird als ein wesentliches Einheitsband anerkannt 1 3 2 . Die Zertrennung der Christenheit äußert sich wohl in einem Abfall vieler Kirchen von der Lehreinheit, was jedoch nicht gleichzusetzen ist mit einem völligen Abfall von der Kirche. Während die Ostkirche an dem altkirchlidien Konsensus festgehalten hat, haben die westlichen Kirchen Neuerungen eingeführt — das Filioque, die Rechtfertigungslehre in den reformatorisdien Kirchen usw. Eine Vereinigung ist nur möglich, wenn die christlichen Gemeinschaften des Westens, die noch ausdrücklich als Kirchen bezeichnet werden, zu der Katholizität der alten Kirche zurückkehren 133 . Rossis hat in seiner Dogmatik den Gedanken einer historischen Dogmenentwicklung aufgenommen, und so schreibt er in seiner Prinzipienlehre, daß in Siehe oben S. 52 f. Z. R o s s i s , Über die Vereinigung aller Religionen und Kirchen (griech.), Athen 1868; Ders., Die fundamentalen dogmatischen Prinzipien der Orthodoxen Anatolischen Kirche im Gegensatz zu denen des Altkatholizismus (griech.), Athen 1898; Ders., Über das Wesen der Dogmen des Christentums und die verschiedenen Gestalten ihrer Entwicklung (griech.), Athen 1903; Ders., System der Dogmatik der Orthodoxen Katholischen Kirche (griech.), Bd. I, Athen 1903. 132 Dogmatik S. 96; Über die Vereinigung . . S . 30ff. 138 Über die Vereinigung . . . , S. 50. 130

131

?29

den dogmatischen Definitionen der alten Kirche die christliche Lehre noch nicht im vollen Umfang formuliert worden ist. Der Prozeß der Dogmenbildung vollzieht sich erst im Laufe der Kirchengeschichte, und die Dogmatisierung eines Lehrstücks steht jeweils am Ende einer theologischen Auseinandersetzung. Um nun zu zeigen, daß dieser Prozeß der Dogmenbildung in der Ostkirche niemals abgebrochen ist, greift Rossis zu den ostkirchlichen Lokalsynoden des 17. Jahrhunderts, von denen die sogenannten Bekenntnisse des Petrus Mogila (in Jassy 1642) und des Dositheus (Jerusalem 1682) rezipiert worden sind. In diesen symbolischen Schriften wurden nach Rossis die orthodoxe Rechtfertigungslehre, die Lehre von den Sakramenten und die Ekklesiologie definiert, und infolgedessen sind sie dogmatisch und kanonisch verbindlich. Dagegen ist die Anthropologie ein Beispiel f ü r ein Lehrstück, das noch nicht endgültig von der Kirche definiert worden ist 134 . Der Gedanke einer historischen Dogmenentwicklung oder -entfaltung wird jedodi nun ganz entscheidend unter einem eindeutig ekklesiologischen Gesichtspunkt von Rossis modifiziert. Die Intention zeigt sich bereits in der Feststellung, daß eine „gesunde und kanonische Entwicklung und Formulierung der Dogmen nur auf den heiligen Synoden der wahren Kirche Christi unter Mitwirkung des in ihr weilenden Geistes Gottes" möglich sei135. Diese wahre Kirche Christi ist aber nur die Ostkirche mit ihren Teilkirchen, da sie „wahrhaftig und kanonisch die alte katholische Kirche, wie sie vor dem Schisma bestanden hat, fortsetzt" 1 8 6 . Rossis geht zwar nicht auf die Frage nach dem charismatischen Status der von der Ostkirche getrennten Kirchen ein, aber er macht doch die Voraussetzung, daß die Einheit der wahren Kirche stets in einer vollen Lehreinheit sichtbar wird. N u r in dieser wahren Kirche ist eine „Entwicklung der Dogmen ohne Veränderung ihres Wesens" möglich, während sie in den Kirchen des Westens zu einer Entfernung von der Wahrheit und vom altkirchlichen Konsensus führt bzw. sogar führen muß 137 . An dieser Stelle wird der Gedanke einer geschichtlichen Dogmenentwicklung also ausdrücklich unter ekklesiologischen Gesichtspunkten eingeschränkt, da bei seiner unbeschränkten Anwendung die Gefahr eines dogmatischen Indifferentismus entstünde. Deutlich erkennbar enthält der Kirchenbegriff und die damit verbundene Vorstellung der geschichtlichen Kontinuität das Kriterium f ü r die unfehlbare und unveränderliche Übereinstimmung der Lehre mit der alten Kirche und mit der Offenbarung. Kirchenbegriff und Lehrbegriff bedingen sich so gegenseitig, und daraus folgt die Ubereinstimmung von kanonischer und charismatischer Einheit in der Kirche. Der enge Zusammenhang des Lehrbegriffs mit der Ekklesiologie ist von Rossis klar erkannt worden, und so faßt er auch das ganze Problem der Dogmenent134 136 13t 137

230

Hierzu siehe oben S. 213. Über das Wesen der Dogmen, S. 7, Dogmatik S. 56. A.a.O. S. 97 u. ö.

wicklung in der Frage zusammen, „ob tatsächlich eine wahre Kirche Christi besteht, die als solche notwendig audi eine ist" 1 3 8 . Mit dieser ekklesiologischen Voraussetzung und mit diesem Verständnis der kirchlichen Einheit ist also auch die Entscheidung über die Lehreinheit gefällt, so daß der Nachweis einer sachlichen Ubereinstimmung im Grunde überflüssig wird. Mit dem ekklesiologisch begründeten Verständnis der Lehreinheit ist auch die Ablehnung der Zweigtheorie zu erklären. Allein das Fehlen einer vollen Kirchengemeinschaft ist ein Zeichen dafür, daß keine Einheit in der Lehre besteht und bestehen kann. Wenn die Kirchengemeinschaft fehlt, muß geschlossen werden, daß auch Unterschiede in der Lehre bestehen 139 . Die Anwendung der historischen Methode ist also nur auf Grund bestimmter ekklesiologischer Voraussetzungen möglich, niemals aber auf dem Hintergrund eines pragmatischen Kirchenbegriffs mit seiner Gleichsetzung von Kirche und Kirchengemeinschaft. Abgesehen jedoch von der ekklesiologischen Problematik, wird man berücksichtigen müssen, daß die Kritik ostkirchlicher Theologen an einer rein inhaltlichen und formalen Bestimmung der kirchlichen Lehre von einem durchaus berechtigten Anliegen ausgeht. Denn tatsächlich wird die Fülle der kirchlichen Verkündigung und Lehre durch eine Beschränkung auf die offiziell definierten und promulgierten Grunddogmen erheblich reduziert. Dieser Gefahr sucht man in zweifacher Weise zu begegnen. In der Schuldogmatik greift man zu den späteren orthodoxen Bekenntnissen aus dem 17. Jahrhundert, die als allgemeinverbindliche Dokumente für die Definition der in der alten Kirche noch nicht entschiedenen Lehrstücke von der Rechtfertigung, den Sakramenten und der Kirche angesehen werden. So kommt es zu einer erheblichen inhaltlichen und formalen Erweiterung der verbindlichen Glaubenslehre und der Umfang der „dubia" wird eingeschränkt. Einige griechische Theologen vertreten dagegen mit demselben Ziel die Ansicht, daß der Begriff „ D o g m a " nicht notwendig mit einer offiziellen Definition durch ein ökumenisches Konzil verbunden zu sein braucht. Dogma sei vielmehr die ganze Lehre und Verkündigung der Kirche 140 . Die offizielle Definition eines Dogmas sei lediglich durch äußere geschichtliche Umstände bedingt, zumal durch die Abgrenzung gegenüber der Irrlehre. Das Dogma wird damit zum „Kerygma" oder zum „dogmatikos horos" 1 4 1 , und man kann jedenfalls nicht von einem notwendigen Prozeß sprechen, in dem die kirchliche Lehre erst durch die konziliare Definition formuliert und für verbindlich erklärt wird. A.a.O. S. 101. Über das Wesen der Dogmen, S. 3 ff. 110 Demetrios B a l a n o s , Einführung in die Dogmengeschichte (griech.), Athen 1919; Panagiotis J. B r a t s i o t i s , La signification du Dogme dans la Thiologie Orthodoxe, in: L'Eglise et les Eglises, Bd. II, Chevetogne 1955, S. 197—206; A. T h e o d o r o u , Die Bedeutung des Dogmas in der alten christlichen und außerchristlichen Literatur (griech.), in: Theologia 31, 1960, S. 221—237. ia B a l a n o s , a.a.O. S. l l f . 138

139

231

Diese Ausführungen sind direkt gegen die von Bolotov in seinen Thesen über das Filioque befolgte Methode gerichtet. D i e mit einer Einschränkung des Begriffs „ D o g m a " auf die konziliaren Definitionen verbundene Aporie wird von Bratsiotis

sehr klar formuliert: Die meisten Glaubenswahrheiten würden

zu unverbindlichen „Theologoumena" — so ζ. B. die Lehrstücke von der Rechtfertigung, von der Jungfräulichkeit der Gottesmutter, von der Intercessio der Heiligen, vom Zwisdienzustand der Seelen, von den Sakramenten und

viele

andere. „In einem solchen Fall wäre die Zertrennung der Kirchen ohne Rechtfertigung, und ihre Vereinigung müßte allein auf der Grundlage des nicaeno-konstantinopolitanischen Symbols verfolgt werden, während in den anderen Glaubenswahrheiten völlige Freiheit gelassen werden könnte."14* In diesen Äußerungen, die wir nur referierend wiedergeben, zeigt sich die Schwierigkeit, vor der die Ostkirche in gleicher Weise bei der Bestimmung der Lehreinheit wie auch bei der Bestimmung der Lehrunterschiede steht. Indessen braudit sidi, wenn auch nicht die inhaltliche, so doch die formale Wertung der Lehrstücke nicht nur auf die historische Methode zu stützen. Wenn nämlich die kirchliche Verbindlichkeit der Lehraussagen auf die unfehlbaren und unveränderlichen Entscheidungen der ökumenischen

Konzile beschränkt werden,

so entspricht dies durchaus dem Verständnis der Schuldogmatik, nach dem das ökumenische Konzil „die höchste kirchliche A u t o r i t ä t " ist. Die Terminologie, mit der in den Kompendien die Bedeutung und Funktion der ökumenischen Konzile beschrieben wird, deckt sich gelegentlich wörtlich mit der Bestimmung der unfehlbaren päpstlichen Lehrautorität in der römisch-katholischen Kirche 1 4 3 . I n der Praxis jedoch steht die ostkirchliche Theologie vor der Tatsache, daß seit dem 8. Jahrhundert kein Konzil mehr als ökumenisches anerkannt worden ist. Nicht nur außerhalb, sondern audi innerhalb der Ostkirche wird daher oft die Frage gestellt, ob die Ostkirche überhaupt in verbindlicher Form zu

den

neuen Problemen, die sich im Laufe der Geschichte ergeben haben, Stellung genommen hat. Auch die Beantwortung dieser Frage ist von ekklesiologischen Voraussetzungen bestimmt. Nicht wenige russische und griechische Theologen sind der Meinung, daß ein ökumenisches Konzil nicht stattfinden könne, solange die Kirchen noch voneinander getrennt sind. In

der Polemik ist diese Meinung

meistens

noch mit einer K r i t i k an den westlichen Kirchen, besonders an der römisch-katholischen verbunden, die als lokale Kirche ohne Zustimmung der Gesamtkirche neue Dogmen definiert haben. Dahinter steht die ekklesiologische Voraussetzung, daß in einer zertrennten Christenheit keine Kirche für die Gesamtkirche B r a t s i o t i s , a.a.O. S. 200. Wir verzichten auf die Anführung einzelner Beispiele. Vgl. auch oben Anm. 39 zu Kap. 2 und S. 55. Die Einwirkungen der römisch-katholischen Ekklesiologie auf die ostkirchliche Dogmatik sind auch von ostkirchlichen Theologen oft kritisiert worden — vgl. o. S. llOf. 142

143

232

sprechen kann. Auf diesem Standpunkt stehen vor allem die Vertreter der historischen Methode, wenn sie alle Lehrunterschiede, die nach der Spaltung entstanden und nicht von einem ökumenischen Konzil bereits verdammt worden sind, als theologische Lehrunterschiede in offenen Fragen, d. h. als Theologoumena oder theologische Meinungen werten. Ein Gespräch zwischen den getrennten Kirchen müßte dann dazu führen, in diesen offenen Fragen durch eine gesamtkirchliche Entscheidung einen neuen ökumenischen Konsensus herbeizuführen. Tatsächlich ist eine derartige Anschauung nur auf dem Boden der Zweigtheorie oder der Lehre von den „vestigia ecclesiae" möglich. Gegen diese Auffassung wendet sich die andere Meinung, nach der die Ostkirche ein ökumenisches Konzil einberufen kann, d a sie allein der alten Kirche treu geblieben sei. Entsprechend der hier zugrunde liegenden ekklesiologisdien Voraussetzung hat die östliche Kirchengemeinschaft als die einzige w a h r e Kirche Jesu Christi das Recht und die Befähigung zu einer reinen Verkündigung und Entfaltung des christlichen Glaubens ohne substantielle Veränderung, während den anderen christlichen Gemeinschaften diese Voraussetzungen fehlen 1 4 4 . Daß es seit mehr als tausend Jahren in der Ostkirche kein ökumenisches Konzil mehr gegeben hat, w i r d von sehr vielen Theologen und Hierarchen beklagt, und seit langem ertönt immer wieder der Ruf nach einem achten ökumenischen Konzil 1 4 5 . In vielen und ζ. T. sehr grundlegenden Fragen der Lehre und der Kirchenordnung besteht auch faktisch keine Übereinstimmung zwischen den östlichen Teilkirchen. Dies gilt besonders für manche Probleme, die mit der Begegnung von Orthodoxie und Heterodoxie verbunden sind 146 . Der Ostkirche w i r d deshalb oft der Vorwurf gemacht, sie sei dogmatisch und kanonisch „erstarrt" und „versteinert", und das ökumenische Konzil sowie die Lehre von einer unfehlbaren Lehrautorität sei eine „bloße Fiktion" 1 4 7 . Es ist sicher eine unberechtigte Kritik, wenn man der Ostkirche die politischen und kirchenpolitischen Schwierigkeiten zum Vorwurf macht, an denen die Einberufung eines ö k u m e nischen oder panorthodoxen Konzils ständig scheitert. Die faktische Einheit der Kirche in der Verkündigung, den Sakramenten und der Kirchenordnung w i r d 144 Die verschiedenen Standpunkte sind dargestellt bei J u g i e , Theologia dogmatica Bd. IV, S. 496—528; M a l i n o v s k i j , Dogmatik Bd. III, S. 555, und D. S. Balanos, Einführung in die Dogmengeschichte (griech.), Athen 1919, S. 17ff. 145 Vgl. hierzu die Referate zu diesem Thema auf dem panorthodoxen Theologenkongreß von Athen 1936, wo allein sechs Vorträge sich mit dieser Frage auseinandersetzten (Procfes-Verbaux S. 256—299). D.S. Balanos, Ist die Einberufung einer ökumenischen Synode notwendig und nützlich? (griech.), Athen 1925; der Verf. meint, die Ostkirche sei zwar fähig, ein ökumenisches Konzil einzuberufen, aber dies sei zur Zeit nicht nötig. 148 Dieses Problem ist regelmäßig unter den Verhandlungspunkten, die in theologischen und kirchlichen Zeitschriften von Zeit zu Zeit für das neue ökumenische Konzil bzw. eine panorthodoxe Synode vorgeschlagen werden. 147 Z.B. A. Palmieri, Theologia dogmatica orthodoxa, Bd. I, S. 653 u. a.

233

nicht von der Tatsache berührt, daß die ausdrückliche Formulierung eines Konsensus nicht möglich ist. Innerhalb einer Kirchengemeinschaft folgt die Einheit und auch die Verbindlichkeit der Lehre zunächst aus der vorgegebenen, kontinuierlichen sakramentalen Einheit. Solange diese faktische Einheit nicht gestört wird, braucht sie auch nicht unbedingt offiziell definiert zu werden. Die Gemeinde lebt vielmehr in der Gewißheit, daß die Fülle der göttlichen Offenbarung in ihr lebendig ist, weil sie Kirche Jesu Christi ist. Wir bezeichneten diese Gewißheit als das — theologisch unreflektierte — Kirchenbewußtsein. Im Bereich des Kirchenbewußtseins hat auch die Differenzierung zwischen den einzelnen Lehrstücken keine Bedeutung. Denn die ganze kirchliche Verkündigung, die Sakramentsverwaltung und die Leitung tritt mit dem Anspruch und in der Gewißheit auf, im Auftrag und unter der Gnade des Herrn der Kirche zu handeln. Von hier aus ist es auch verständlich und berechtigt, wenn kein ausdrücklicher Konsensus formuliert wird. Anders steht es jedodi um die Abgrenzung der Lehreinheit und die Beurteilung der Lehrunterschiede in der ökumenischen Begegnung mit den getrennten Kirchengemeinschaften. Die Auseinandersetzung um diese Fragen in der ostkirchlichen Theologie zeigt, daß die aus dem Kirchenbewußtsein entspringenden theologischen Schlußfolgerungen für die Behandlung der ökumenischen Problematik nicht ausreichen. Ebenso wie beim Kirchenbegriff sind auch beim Lehrbegriff und beim Verständnis der Lehreinheit die Grenzen der Kirche noch eine offene Frage.

C. K a n o n i s c h e

und c h a r i s m a t i s c h e der K i r c h e

Grenzen

In den vorigen Abschnitten wurde das ökumenische Problem in der ostkirdilichen Theologie von der Ekklesiologie und vom Lehrbegriff her untersucht. In diesem Abschnitt soll es nun vom Kirchenrecht her beleuchtet werden. Im allgemeinen werden die kirdienrechtlichen Fragen bei dem Gespräch um die Einheit der Kirchen nicht besonders berücksichtigt, da man die Differenzen zunächst immer in der Dogmatik sucht. Doch von jeder Kirdiengemeinschaft gilt mehr oder minder, von der Ostkirche in besonderem Maße, daß im Kirchenrecht wichtige Entscheidungen über die Grenzen der Kirche als einer Sakramentsgemeinschaft gefällt werden. Die rechtliche Organisation der einzelnen Gemeinden und Kirchengemeinschaften ist, wenn auch kein konstitutives, so doch ein sehr wichtiges Element der kirchlichen Ordnung. Sie ist nicht nur eine rein immanente Notwendigkeit, durch die, wie man gelegentlich meint, das Wesen der Kirche als pneumatischer Gemeinschaft entstellt wird, sondern sie gehört organisch zu der sakramentalen Struktur der Kirche, aus der sie auch — in der Bußpraxis, der Kirchenzucht, der Sakramentsverwaltung, dem geistlichen Amt usw. — erwachsen 234

ist. Eine Grenze wird schon immer gezogen bei der Entscheidung über die Zulassung oder Nichtzulassung zum Empfang und zur Verwaltung der Sakramente. An dieser Stelle berühren sich auch die kanonischen und die charismatischen Grenzen der Kirche. Der Beschäftigung mit dem östlichen Kirchenrecht müssen einige Bemerkungen allgemeiner Art zum Verständnis vorausgeschickt werden. Im Unterschied zur römisch-katholischen Kirche besitzt die Ostkirche kein kodifiziertes Kirchenredit 1 4 8 , und eine Bestimmung des Umfangs und der Gültigkeit der kirchlichen Rechtsnormen ist mit einigen

Schwierigkeiten

verbunden. Das Material

ist

ebenso komplex wie disparat; auch den ostkirchlichen Theologen fehlt ein einheitliches Kriterium, um zu entscheiden, welcher Kanon im einzelnen Fall anwendbar und gültig ist. Es ist eine ähnliche Lage wie bei der inhaltlichen und formalen Bestimmung der Lehreinheit. Generell gehören zum östlichen Kirchenrecht alle Kanones und Entscheidungen („praxeis"), die im Rahmen der kirchlichen Tradition stehen. Eine gewisse Abstufung erfolgt ähnlich wie in der Dogmatik entsprechend der Autorität der Recht sprechenden Instanz. An erster Stelle stehen die Kanones der ökumenischen Konzile, darauf folgen die der

aner-

kannten Topischen Synoden, die kirchenrechtlichen Entscheidungen verschiedener Kirchenväter und die Kommentare und Rechtssammlungen einiger K i r chenrechtler aus byzantinischer Zeit 1 4 9 . Der Umfang des Kirchenredits ist eher expansiv als reduktiv, insofern schließlich die gesamte kirchliche Praxis in Geschichte und Gegenwart sowie die kirchlichen Sitten und Gebräuche

eine

mehr oder minder ausgeprägte Rechtsverbindlichkeit besitzen können. Theoretisch wird zwar auch hier ein gewisser Unterschied zwischen dem Recht

der

„alten Kirche" und den späteren Entscheidungen und Bestimmungen gemacht, aber im konkreten Fall entscheidet meistens die praktische Notwendigkeit und Nützlichkeit. Juristisch wird man daher von einem kirchlichen Gewohnheitsrecht sprechen müssen. Die Frage, ob es „dogmatische Kanones", d. h. Rechtsnormen von uneingeschränkter Autorität und Verbindlichkeit, gibt, kann nicht

118 Eine praktische Allgemeingültigkeit für die autokephalen Kirchen hat das sogenannte „Pedalion", das in der spätbyzantinischen Zeit zusammengestellt worden ist. Im griechischen Bereich verbreitet ist die Kanonsammlung von Rhallis und P o t Iis, Sammlung der göttlichen und heiligen Kanones der heiligen und erlauchten Apostel und der heiligen ökumenischen und Topischen Synoden sowie der einzelnen heiligen Väter (griech.), Athen 1852—1859 in sechs Bänden (im russischen Bereich die „Kormcaja Kniga"). Im übrigen haben die östlichen Teilkirchen eigene Rechtssammlungen, besonders für das kirchliche Verwaltungsrecht, die von Zeit zu Zeit revidiert werden (Landeskirchenrecht). Sie stehen in manchen Punkten — wie A l i v i s a t o s bemerkt — im Widerspruch zum alten kanonischen Recht. Vgl. A. S. A l i v i s a t o s , Das kanonische Recht der Orthodoxen Kirche, in: Ekklesia, Leipzig 1939, Bd. X , S. 75—90 (S. 78). 149 Vgl. A l i v i s a t o s , a.a.O. S. 77fF. Ähnliche Versuche einer Wertung finden sich in den verschiedenen Lehrbüchern des Kirchenrechts.

235

eindeutig beantwortet werden 150 . Schon in der Schuldogmatik trifft man auf die Feststellung, daß nur die dogmatischen Entscheidungen der ökumenischen Konzile (dogmatikoi horoi) als unfehlbar und unveränderlich anzusehen sind, während die kanonischen Entscheidungen der jeweiligen geschichtlichen Situation angepaßt sind und deshalb verändert werden können. Die Praxis zeigt aber, daß auch dieses theoretische Prinzip keine Allgemeingültigkeit besitzt. Wir können also — im Einklang mit den Kirchenrechtlern der Ostkirche — konstatieren, daß es im östlichen Kirchenrecht keine einheitliche N o r m und daher auch keine einheitliche Praxis gibt. Angesichts der Probleme, die gerade heute durch die ökumenische Begegnung der Ostkirche mit den anderen Kirchen aufgeworfen werden, bemüht man sich um eine einheitliche Praxis. Dies geschieht mittels einer Art von „Autoritätenmethode": Die verschiedenen kirchenrechtlichen Entscheidungen und Bestimmungen werden kasuistisch zu einer bestimmten Frage gesammelt und gegeneinander abgewogen, wobei dann der höchsten Autorität der Vorzug gegeben wird. Auf die damit verbundene Dokumentation wird im folgenden nicht eingegangen, sondern wir untersuchen lediglich den dogmatischen und ekklesiologischen Aspekt der verschiedenen Forschungsergebnisse und Stellungnahmen. Dabei wird sich zeigen, daß in der ostkirchlichen Theologie vielfach die fehlende dogmatische Begründung für die Lehre von der Kirche aus dem Kirchenrecht ergänzt wird. Man kann geradezu von einer impliziten Ekklesiologie sprechen, und so ist es nicht überraschend, wenn man auch in diesem Zusammenhang auf die unterschiedlichen ekklesiologischen Voraussetzungen trifft. Am besten können die dogmatisch-kirchenrechtlichen Bemühungen um eine Bestimmung der kanonischen Grenzen der Kirche erfaßt werden, wenn man bei den konkreten Fragen einsetzt, vor die die Ostkirche bei der Begegnung mit den anderen Kirchen im allgemeinen und in der ökumenischen Begegnung im besonderen gestellt ist. Vor allem geht es hier um die Beurteilung der heterodoxen Sakramente, ihrer kanonischen Gültigkeit und ihrer pneumatischen Wirksamkeit. Dabei sind drei Problemkreise zu unterscheiden: Der erste bezieht sich auf den Fall einer Aufnahme heterodoxer Christen in die östliche Kirchengemeinschaft, der zweite auf die Bestimmung der Grenzen und Möglichkeiten einer Sakramentsgemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft mit Heterodoxen in Notlagen und der dritte auf den kirchenrechtlichen Aspekt der ökumenischen Begegnung und der Vereinigung der Kirchen. Für die Entscheidung in diesen Fragen gibt es im östlichen Kirchenrecht zwei formale Möglichkeiten, nämlich eine Beurteilung der Heterodoxie und ihrer Sakramente „kat'akribeian" und eine andere „kat'oikonomian". Da es bis jetzt noch keine eindeutige Bestimmung dieser beiden Rechtsbegriffe gibt und 150

A. S. A l i v i s a t o s , Gibt es dogmatische Kanones? (griech.), in: Zum Gedenken von Spyridon Lampros, Athen 1935, S. 475—480. Alivisatos kritisiert das Syntagma der griechischen Kirche, in dem nach seiner Meinung die Kanones rein pragmatisch ohne Klärung der ihnen eigenen Verbindlichkeit zusammengestellt worden sind. 236

der Versuch einer Klärung bereits wichtige kirchenrechtlidie und dogmatische Erwägungen vorwegnehmen würde, beschränken wir uns zunächst auf eine thetische Einführung beider Begriffe. Unter einer Rechtspraxis „kat'akribeian" versteht man im allgemeinen eine konsequente Anwendung der kirchlichen Kanones bzw. der kirchenrechtlichen Norm. Allerdings ist diese Bestimmung bereits insofern hypothetisch, als faktisch keine absolute Norm besteht. Sachlich richtiger erscheint es daher, wenn man unter der „Akribie" diejenige kirchenrechtliche Praxis versteht, nach der die strengen kanonischen Entscheidungen, die jede sakramentale und kirchliche Gemeinschaft — unter Umständen sogar jede Lebensgemeinschaft — mit Heterodoxen untersagen und ihre Sakramente prinzipiell für ungültig und unwirksam erklären, als verbindliche Norm angenommen werden. Nach der daraus folgenden dogmatischen Konsequenz geht die Akribie von der ekklesiologischen Voraussetzung einer völligen Identifikation von kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche aus. Die Rechtspraxis „kat'oikonomian" dagegen ist, prinzipiell gesehen, die Durchbrechung der „Akribie" in bestimmten Fällen und unter bestimmten Voraussetzungen. Sie entspricht ungefähr dem lateinischen Begriff der „dispensation Faktisch jedoch ist die kirchliche „Ökonomie" die Anwendung der milden kanonischen Entscheidungen, nach denen ζ. B. ein außerhalb der Kirchengemeinschaft gespendetes oder empfangenes Sakrament bei einer Konversion nicht wiederholt zu werden braucht, sondern als gültig anerkannt wird. Dies gilt von den unwiederholbaren Sakramenten: Taufe, Chrisma und Priesterweihe — außerdem auch von dem Sakrament der Ehe. Darüber hinaus können „kat*oikonomian" auch Sakramente als gültig anerkannt werden, die Orthodoxe von heterodoxen Geistlichen empfangen haben. Mit Ausnahme der Priesterweihe, für die dieser Fall kaum vorkommen dürfte, kann dies theoretisch für alle Sakramente gelten. Die dogmatische Konsequenz, daß „kat'oikonomian" außerhalb der Kirche gespendete oder empfangene Sakramente eine gewisse Bedeutung haben können, weist auf diejenigen ekklesiologischen Voraussetzungen, nach denen die charismatischen Grenzen der Kirche weiter sind als die kanonischen der Kirchengemeinschaft. Unter dem Gesichtspunkt der Unterscheidung von „Akribie" und „Ökonomie" können nun die drei Problemkreise, in denen über Gültigkeit und Wirksamkeit der heterodoxen Sakramente Entscheidungen gefällt werden, kurz skizziert werden 1 5 1 . 1. An der Frage, ob ein von Häretikern und Schismatikern gespendetes und empfangenes Sakrament wirksam sei und ob es bei einer Rückkehr zur Kirche 151 Wir verzichten auf umfangreiche Belege für die einzelnen Beispiele und verweisen dafür vor allem auf: J . A. D o u g l a s , The Relation of the Anglican Church with the Eastern-Orthodox, London 1921; J u g i e , Theologia dogmatica Bd. I l l (1930), S. 97 ff. und S. 434ff.; 1.1. K o t s o n i s , Der kanonische Aspekt der Gemeinschaft mit den Heterodoxen (Intercommunio) (griech.), Athen 1957; D e r s . , Probleme der „Kirchlichen Ökonomie" (griech.), Athen 1957.

237

als gültig anerkannt werden könne, gingen schon in der alten Kirdie die Meinungen auseinander. Man braucht nur an die verschiedenen Ketzertaufstreitigkeiten zu erinnern oder auch an die Auseinandersetzungen um die Wiederaufnahme der „lapsi" und Apostaten. Ohne auf die Einzelheiten einzugehen, kann festgestellt werden, daß es damals weder einheitliche Bestimmungen noch eine einheitliche Praxis gegeben hat, wenn auch von einigen Kirchenvätern (Cyprian und Augustin u. a.) und Konzilen Versuche zu einer grundsätzlichen Lösung unternommen worden sind. Im Mittelpunkt stand damals das Sakrament der Taufe; in einzelnen Fällen ging es auch um die Anerkennung der Priesterweihe. Die verschiedenen Entscheidungen, die damals gefällt wurden, sdieinen von drei Gesichtspunkten bestimmt gewesen zu sein. In der Sakramentenlehre ging es um das Problem der prinzipiellen Unwiederholbarkeit der Taufe. In der Ekklesiologie handelte es sich um die Frage, welche charismatischen Konsequenzen eine kanonische Trennung von der Kirchengemeinschaft hat. In der Seelsorge ging es um die Frage, in welchen Fällen eine Rückkehr in die Kirche erleichtert werden kann — hierzu können unter Umständen auch kirchenpolitische Erwägungen gerechnet werden. Diese notwendige Vielfalt der Gesichtspunkte verhinderte ganz natürlich die Entwicklung einer konsequenten Theorie und Praxis, und zweifellos hat diese Uneinheitlichkeit auch eine theologische Bedeutung. Sie ist jedenfalls kein Zeichen für Unordnung oder Unüberlegtheit. Diese Uneinheitlichkeit kennzeichnet nun auch die ostkirchliche Praxis bei der Aufnahme von Heterodoxen. Nicht nur zwischen den einzelnen östlichen Teilkirchen zeigen sich Unterschiede in der kirchlichen Praxis, sondern auch in den einzelnen Teilkirchen selbst hat sich die Praxis im Laufe der Geschichte öfter geändert. Außerdem findet audi eine Differenzierung der Praxis statt, die aus einer unterschiedlichen Beurteilung der verschiedenen heterodoxen Kirchen folgt. An einigen Beispielen kann dies illustriert werden. In der griechischen Kirche wurden bis 1755 konvertierende Lateiner nicht wiedergetauft, sondern man verlangte von ihnen nur eine Abjuratio und spendete ihnen das Sakrament des Chrisma. Dasselbe gilt bis 1755 audi für die Aufnahme von Gliedern der reformatorischen Kirchen, obwohl gelegentlich Zweifel an der Gültigkeit ihrer Taufe geäußert werden, da die Spender des Sakraments nicht in der apostolischen Sukzession stehen. Seit 1755 wird dann allgemein und ohne Unterschied an allen Konvertiten in der griechisdien Kirche die Wiedertaufe vollzogen. Man ersetzte also die Ökonomie durch die Akribie. In der russischen Kirche dagegen verlangte man seit dem Konzil von Florenz von allen Lateinern und später auch von allen Protestanten die Wiedertaufe. Nach dem Konzil von Moskau 1667 forderte man von den Lateinern nur nodi die Abjuratio und verzichtete selbst auf das Chrisma. Gegenüber den Protestanten änderte sich die Praxis um 1757, indem man sie seitdem durch das Sakrament des Chrisma aufnahm 152 . 152

Außer der Anm. 151 genannten Literatur vgl. auch J. K a r m i r i s , Wie sollen die zur Orthodoxie übertretenden Heterodoxen aufgenommen werden? (griech.), in: 238

Weder in der griechischen noch in der russischen Kirche besteht heute eine einheitliche Praxis, sondern man entscheidet von Fall zu Fall. Uber die Beurteilung der heterodoxen Priesterweihe findet sidi nur wenig Material. Wenn man audi bei der Anerkennung einer heterodoxen Weihe zurückhaltender ist als bei der Taufe, so ist doch die Praxis ähnlidi wechselnd. I n der späteren Zeit liegt ein wichtiges Kriterium für die Entscheidung in der Frage, ob die jeweilige heterodoxe Gemeinschaft, in der die Priesterweihe empfangen wurde, eine apostolische Sukzession des geistlichen Amtes besitzt. Einen Sonderfall bilden in diesem Zusammenhang die erst in neuerer Zeit entstandenen Spaltungen innerhalb der Ostkirche. Im Jahre 1872 wurde die zur Autokephalie drängende bulgarische Kirche als schismatisch unter dem Vorwurf des „Phyletismus" exkommuniziert (sie unterstand vorher dem ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel). Sämtliche empfangenen und gespendeten Sakramente wurden für ungültig und unwirksam erklärt 153 . Bei der Wiederaufnahme in die östliche Kirchengemeinschaft im Jahre 1945 wurden alle Sakramente ohne besondere Erörterung und in vollem Umfang anerkannt. Etwas anders ist die Lage bei der kleinen Gruppe der „Paläohemerologiten", die sidi 1923 unter Protest gegen die Einführung des gregorianischen Kalenders von der griechischen Kirche getrennt hatte. Im Jahre 1952 empfahl der ökumenische Patriarch seinem Exarchen von Nord- und Südamerika die Reordination bei der Rüdekehr von Priestern dieser Gruppe. Neuerdings (1959) verzichtet man darauf in der Hoffnung, dadurch diese Spaltung möglichst bald zu überwinden. In beiden Fällen wird also die kirchliche Ökonomie aus seelsorgerlichen und kirchenpolitischen Gründen verweigert oder angewandt154. Bereits bei dieser Reihe von Beispielen ist zu erkennen, daß offensichtlich bei der Beurteilung der heterodoxen Sakramente praktische Erwägungen im Vordergrund stehen. Grundsätzliche Erwägungen dogmatischer oder kirchenrechtlicher A r t sind nicht festzustellen. 2. D e r zweite Problemkreis, nämlich die Bestimmung der Grenzen und Möglichkeiten

einer Sakramentsgemeinschaft

ohne Kirchengemeinsdiaft,

ist

erst

in neuerer Zeit für die Ostkirche akut geworden. Bis in die Mitte des vorigen Jahrhunderts gab es für die Ostkirche bis auf wenige Ausnahmen keine Diaspora. D i e einzelnen Teilkirchen bildeten kirchlich und auch national geschlossene Einheiten. Diese Geschlossenheit wurde seit der zweiten H ä l f t e des vorigen Jahrhunderts durchbrochen, und zwar vor allem durch die umfangreichen Auswanderungen aus dem

griechischen und syrischen R a u m

nach Nordamerika,

Australien u. a. Später folgten ähnliche Emigrantenströme aus dem slavischen Raum. Orthodoxe Christen kamen dabei in Gebiete, in denen eine geistliche Betreuung durch Priester ihrer Kirche nicht oder nur in beschränktem U m f a n g und unter schwierigen Bedingungen möglich war. V o r den daraus erwachsenden Theologia 1954, S. 211—243; A. C h r i s t o p h i l o p o u l o s , Der Übertritt von Heterodoxen zur Orthodoxie (griech.), in: Theologia 1956, S. 196—205. 163 S. M a n s i , Amplissima collectio conciliorum, Bd. 45, Col. 534. Von einigen autekephalen Kirchen ist die Verurteilung der bulgarischen Kirche mindestens in der Praxis niemals anerkannt worden. 164 Zu den Paläohemerologiten vgl. Irinikon 1952, S. 173 und 392; 1959, S. 72.

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Problemen standen nidit nur die östlichen Kirdienleitungen, sondern audi die Kirchen, in deren Gemeinden die Emigranten und Flüchtlinge Aufnahme fanden. Im allgemeinen verzichtete man auf eine grundsätzliche Klärung der kirchenrechtlichen und dogmatischen Fragen. Orthodoxe Christen schlossen sich den jeweiligen Lokalgemeinden an, oder die Kirchen dieser Gemeinde wurden für den ostkirchlichen Gottesdienst zur Verfügung gestellt, wie es auch heute noch gelegentlich der Fall ist. Dies führte zu engen brüderlichen Kontakten unter Christen, wobei die kirchliche Zertrennung kaum in Erscheinung trat. Es ist kaum möglich, den Umfang der Fälle zu erfassen, in denen stillschweigend und in besonderen Notlagen eine Sakramentsgemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft eingegangen wurde, obwohl „kat'akribeian" schon die gemeinsame Benützung der Gotteshäuser nicht statthaft ist155. Um eine grundsätzliche Regelung der hier entstehenden Fragen bemühte sich sehr bald die Anglikanische Gemeinschaft, in deren Gemeinden besonders viele Flüchtlinge und Emigranten Zuflucht gefunden hatten. Hinter diesen Bemühungen stand ein doppeltes Interesse, nämlich einmal das umgekehrte Problem der Betreuung der anglikanischen Diaspora in orthodoxen Gebieten und dann der Versuch, auf diesem Wege zu einem ökumenischen Gespräch mit der Ostkirche zu gelangen, in dem die Voraussetzung für eine Interkommunion zwischen der Ostkirche und der Anglikanischen Gemeinschaft geklärt werden sollte. Aus diesen ersten Verhandlungen sind sehr enge Beziehungen zwischen der Anglikanischen Gemeinschaft und der Ostkirche entstanden, die bis heute neben und in der ökumenischen Bewegung fortbestehen. Ihren Ausdruck finden sie in zahlreichen gemeinsamen Konferenzen und in der regelmäßigen Einladung ostkirchlicher Delegationen zu den Lambethkonferenzen 158 . Einige wichtige Ergebnisse dieser Verhandlungen sollen hier kurz angeführt werden. Die erste offizielle Stellungnahme zur Frage der Interzelebration bei Beerdigungen von Anglikanern erfolgte in einem Schreiben des ökumenischen Patriarchen G r e g o r i o s VI. (1840—41 / 1867—71) im Jahre 1869 an den Erzbischof von Canterbury. Darin wird die Entscheidung der Synode mitgeteilt, daß Glieder der Anglikanischen Kirche durch orthodoxe Priester bestattet werden können. Der Patriarch von Antiochien und die Synode der griechischen Kirche schlossen sich 1870 dieser Entscheidung an. In seinem Schreiben deutete der ökumenische Patriarch die Möglichkeit an, daß nach Änderung einiger Punkte in den 39 Artikeln, d. h. bei völliger Übereinstimmung in der Lehre, eine volle Sakramentsgemeinschaft zwischen der Ostkirche und der Anglikanischen Kirche in Erwägung gezogen werden könne 157 . 155

K o t s o n i s , Der kanonische Aspekt, S. 264. Die heutige Praxis „kat* oikonomian" beruht weitgehend auf Gegenseitigkeit. ΐ5β Vgl. hierzu auch J. K a r m i r i s , Orthodoxie und Protestantismus (griech.), Athen 1937, S. 329ff.; C. Crivelli SJ, Protestanti e cristiani orientali, Roma 1944. 167 K o t s o n i s , a.a.O. S. 17f. und 242ff. 240

Indessen ist, soweit dies festzustellen ist, von einer höchsten Instanz einer autokephalen Kirche niemals offiziell eine Sakramentsgemeinschaft ohne Kirdiengemeinschaft zwischen Orthodoxen und Anglikanern gestattet worden. Eine allgemeine Regelung f ü r die geistliche Betreuung der orthodoxen Diaspora ist trotz aller Bemühungen der Anglikanischen Gemeinschaft nicht erreicht worden 158 . Der einzige von Κ ο t s ο η i s mitgeteilte Fall ist aus der neueren Zeit die Genehmigung einer Sakramentsgemeinsdiaft ohne Kirchengemeinschaft durdi das ökumenische Patriarchat im Jahre 1879. Hier wurde in Notlagen die geistliche. Betreuung armenischer Flüchtlinge durch orthodoxe Priester „kat'oikonomian" gestattet. Allerdings wird ausdrücklich die Einmaligkeit dieser Ausnahme betont, um keinen Präzedenzfall zu schaffen1511. D a von ostkirchlicher Seite keine grundsätzliche Klärung f ü r die geistliche Betreuung der orthodoxen Diaspora zu erreichen war, wurde in einer Entschließung der 5. Lambethkonferenz von 1908 den anglikanischen Bischöfen empfohlen, die entstehenden Fragen von Fall zu Fall im Einvernehmen mit den nädisten ostkirchlidien Würdenträgern zu regeln „unter Zusage jeder möglichen Hilfe und Unterstützung seitens des anglikanischen Bischofs und des ihm unterstehenden Klerus" 160 . Daraufhin kam es — vor allem in Nordamerika — zu Absprachen zwischen einzelnen anglikanischen und orthodoxen Bischöfen. Als Beispiel dafür kann der Beschluß des russischen Bischofs I n n o k e n t i j von Alaska und den Aleuten und des episkopalen Bischofs R o w angeführt werden. Die Diözesen beider Bischöfe überschnitten sich, und so wurde vereinbart, daß, wo ein Geistlicher einer der beiden Kirchen fehlte, ein Geistlicher der anderen Kirche die volle Betreuung der Gemeinden beider Kirchen übernehmen solle161. Praktisch kommt diese durch eine Notlage bestimmte Entscheidung einer vollen Sakramentsgemeinschaft bei Fortbestehen der jeweiligen Kirchengemeinschaften gleidi. Ein ähnlicher Fall erregte seinerzeit größtes Aufsehen. Im Juni 1910 empfahl der syrische Bischof R a p h a e l von Brooklin in einer Enzyklika den Gliedern seiner Gemeinden, die ohne geistliche Versorgung waren, „kat'oikonomian" die Dienste der Anglikanischen Kirche in Anspruch zu nehmen. Faktisdi kam auch diese Entscheidung einer vollen Sakramentsgemeinschaft ohne Kirchen158

K o t s o n i s , a.a.O. S. 20f. erwähnt zwei weitere Fälle, in denen sich Orthodoxe auf eine Entscheidung des ökumenischen Patriarchats beriefen. In den Archiven war jedoch kein entsprechendes Dokument zu finden. 159 K o t s o n i s , a.a.O. S. 18. Als Gegenstück könnte hier noch auf die von K o t s o n i s in: Theologia 1956, S. 513—532 mitgeteilte außergewöhnliche Synodalentscheidung des Patriarchen Photios aus der Zeit 885/86 verwiesen werden, in der heidnischen (!) Frauen(!) gestattet wurde, griechischen Kriegsgefangenen bei den Sarazenen die Eucharistie zu spenden. Allerdings wird man dieser überaus merkwürdigen Entscheidung keine besondere Bedeutung für unsere Frage beimessen dürfen. 160 1,1 K o t s o n i s , a.a.O. S. 20. A.a.O. S. 20 und 94. 241

gemeinsdiaft gleich. Eine Ausnahme wurde lediglich bei dem Sakrament des Chrismas und selbstverständlich auch bei der Priesterweihe gemacht. Als der Bischof bald darauf wegen dieser außergewöhnlichen Entscheidung von ostkirdilicher Seite scharf kritisiert wurde, erklärte er ausdrücklich, daß sein Vorgehen keinerlei dogmatische oder kirchenrechtliche Konsequenzen haben könne, sondern allein von der Überwindung praktischer Schwierigkeiten bei der Betreuung seiner Gemeinden bestimmt sei162. Die hier angeführten Beispiele, denen man noch viele andere beifügen könnte, haben selbstverständlich niemals die Bedeutung einer grundsätzlichen dogmatischen oder kirchenreditlichen Entscheidung. Im allgemeinen haben die östlichen Kirchenleitungen aus guten Gründen offizielle Stellungnahmen vermieden, um keine Präzedenzfälle zu schaffen, aber sie scheinen auch mehrfach eine Sakramentsgemeinschaft mit Heterodoxen geduldet zu haben, ohne davon offiziell Kenntnis zu nehmen. Daß es sich in den erwähnten Fällen stets um die Sakramentsgemeinschaft von Orthodoxen und Anglikanern handelt, ist nicht nur durch die Konfessionsverwandtschaft bedingt, sondern auch durch die geschichtlichen und geographischen Umstände. Aus mündlichen Berichten kann man schließen, daß es auch bei der Begegnung mit anderen Kirchen gelegentlich zu einer Sakramentsgemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft mit Orthodoxen kam. Die kirchliche Bedeutung der praktizierten Sakramentsgemeinschaft mit Heterodoxen liegt auf derselben Ebene wie die zahlreichen Aussprüche ostkirchlicher Hierarchen und Theologen, in denen das Verhältnis zwischen Orthodoxie und Heterodoxie auch nicht dogmatisch oder kirchenrechtlich bestimmt wird, sondern aus dem Bewußtsein christlicher Bruderschaft heraus. Hier wird diese christliche Bruderschaft in einer Notlage zur erlebten Wirklichkeit. Kirchenrechtlidi und auch dogmatisch kann es sich in diesen Fällen um eine sträfliche Willkür einzelner handeln oder auch um Entscheidungen lokaler Kirchenleitungen, die keine Allgemeingültigkeit beanspruchen können oder aber die jeweiligen Kompetenzen überschreiten 183 . Doch abgesehen von diesen disziplinarischen Erwägungen tritt hier neben die prinzipielle dogmatische und kanonische Unmöglichkeit einer „ecclesia extra ecclesiam" das Erlebnis der „ecclesia extra ecclesiam". 3. Anders gelagert sind zahlreiche Fälle, in denen es zu einer Interzelebration oder auch Interkommunion im Zusammenhang mit der ökumenischen Begegnung der Kirchen kam. „Kat'akribeian" ist schon jedes Gebet mit Heterodoxen und jede Art von gottesdienstlicher Gemeinschaft ein Verstoß gegen die kanonischen Ordnungen. Trotzdem hat sich in neuerer Zeit der Brauch verbreitet, daß ostkirchliche Würdenträger in heterodoxen Gottesdiensten predigen oder sich anders aktiv am Gottesdienst beteiligen bzw. daß umgekehrt heterodoxe Geistliche am orthodoxen Gottesdienst beteiligt werden 164 . Bei diesen Be162

183 A.a.O. S. 25ff. und 84f. A.a.O. S. 279f. Selbst ein Vertreter strengster Observanz wie der spätere Patriarch Sergij (Stragorodskij) hat am Anfang dieses Jahrhunderts bei einem Besuch in England 1M

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gegnungen kommt es ständig zu einer mindestens indirekten Anerkennung des geistlichen Amtes heterodoxer Kirchen, wie überhaupt die ganze ökumenische Bewegung auch von strengen Orthodoxen kaum als eine Begegnung der Ostkirche mit Heiden, sondern mit Christen und christlichen Kirchen verstanden wird. Außerdem werden aber auch zahlreiche Fälle mitgeteilt, in denen hohe ostkirchlidie Würdenträger in anderen Kirchen, besonders mit Anglikanern, kommunizierten oder umgekehrt die Kommunion an Nicht-Orthodoxe, austeilten 165 . Es sind dies Handlungen aus der Initiative einzelner, denen man deshalb audi keine grundsätzliche Bedeutung beimessen kann. Sie sind u. U. auch als ein Akt interkonfessioneller Höflichkeit und Freundschaft zu erklären. Trotzdem kommt audi hier die Anerkennung einer gewissen Zugehörigkeit der anderen Kirchengemeinschaften zur Kirche Jesu Christi zum Ausdruck, und dies kann gelegentlich so weit gehen, daß die heterodoxen Sakramente und das geistliche Amt außerhalb der eigenen Kirchengemeinschaft mindestens implizit als gültig und voll wirksam anerkannt werden. Nicht ohne Grund hat darum audi das ökumenische Patriarchat in einer Enzyklika im Jahre 1952 gemahnt: „Es ist notwendig, daß die delegierten orthodoxen Geistlichen möglichst zurückhaltend sind bei kultischen Versammlungen mit Heterodoxen, die im Gegensatz zu den heiligen Kanones stehen und das konfessionelle Bewußtsein der Orthodoxen schwächen."1"1

Das Gemeinsame der in den drei Problemkreisen zusammengestellten Fälle liegt darin, daß indirekt eine Aussage über die Kirchlichkeit der heterodoxen Kirdiengemeinsdiaften gemacht wird 187 . Außerdem wird in allen Fällen das Prinzip der kirchlichen Ökonomie angewandt oder verweigert. Bestimmend dafür scheinen drei Motive zu sein: 1. Seelsorgerliche und kirchenpolitische Erwägungen: Sie können den meisten Entscheidungen zugrunde gelegt werden, sei es, daß es sidi um die Anerkennung eines heterodoxen Sakraments handelt, um die kirchliche Versorgung der Diaspora durch heterodoxe Geistliche oder auch um die ökumenische Begegnung. 2. Dogmatische Motive: a) in der Sakramentenlehre: Hier kann ζ. B. ein Sakramentsverständnis „ex opere operato" zur Anerkennung eines heterodoxen Sakraments führen; b) ekklesiologisdie Motive: Hier kann ζ. B. die rigorose Anwendung der cyprianisdien Formel „extra ecclesiam nulla salus" zu der Konsequenz führen, daß außerhalb der Kirchengemeinin einem anglikanischen Gottesdienst gepredigt; S. D o u g l a s , a.a.O. S. 45 und Appendix III. 185 Die Beispiele sind vor allem bei D o u g l a s und K o t s o n i s , außerdem in den einschlägigen Zeitschriften zu finden. 1ββ K a r m i r i s , Dogmatische und symbolische Dokumente, Bd. II, S. 962f. 187 Eine Ausnahme können unter Umständen die Fälle aus dem ersten Problemkreis bilden, wenn man in der Sakramentslehre das Prinzip „ex opere operato" zugrunde legt.

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sdiaft gespendete und empfangene Sakramente weder gültig noch wirksam sein können, während unter einer anderen ekklesiologischen Voraussetzung heterodoxe Sakramente anerkannt werden können. 3. Kirchenrechtliche Motive: Die kirchliche Ökonomie kann angewandt oder verweigert werden, wenn kirchenrechtliche Entscheidungen für konkrete Fälle bereits vorliegen oder doch allgemein in der Praxis anerkannt werden. Die verschiedenen Motive bei der Anwendung der kirchlichen Ökonomie sind nur schwer voneinander zu trennen. Da der Begriff der kirchlichen Ökonomie im östlichen Kirchenrecht bisher noch nicht genau und einheitlich bestimmt und abgegrenzt ist, wie es etwa beim Begriff der „dispensatio" im römischen Kirchenrecht der Fall ist 168 , werden audi die verschiedenen Motive in der Literatur in unterschiedlicher Weise betont. Die in den letzten Jahren erschienenen Monographien über die kirchliche Ökonomie behandeln den Begriff vorwiegend unter seinem kirchenrechtlichen und seelsorgerlichen Aspekt 169 . Die dogmatischen Probleme sind bis jetzt noch nicht eingehend untersucht worden. Allerdings geht es bei den Versuchen, den Begriff der kirchlichen Ökonomie zu klären, indirekt immer um diese ungelösten dogmatischen Probleme, zumal im Zusammenhang mit den Beziehungen der Ostkirche zu den anderen Kirchengemeinschaften 170 . Ausgangspunkt für die daraus in der ostkirchlichen Theo188 vgl. CIC, can. 80—86 — hier rein juristisch bestimmt. 169 Die vorliegenden Arbeiten bemühen sich um eine Zusammenstellung des kirchenrechtlichen Materials. Die dogmatischen Fragen werden daher — wenn überhaupt — nur am Rande behandelt. Es ist auffallend, daß in den älteren Lehrbüchern des Kirchenrechts der Begriff der kirchlichen Ökonomie überhaupt nicht oder nur sehr selten erwähnt wird. Behandelt wird er von N. M i l a s c h , Das Kirchenrecht der morgenländischen Kirche (aus dem Serbischen), 2. Aufl. Mostar 1905, S. 68ff. Die Begriffsbestimmung entspricht hier weitgehend der für die „dispensatio" im römischen Kirchenrecht. Die neusten Monographien stammen von griechischen Theologen: A. S. A l i v i s a t o s , „Economy" from the Orthodox Point o f View, in: Dispensation in Practice and Theory. The Report of a Commission appointed by the Archbishop of Canterbury in 1935, London 1944, S. 27—43; D e r s . , Die Ökonomie nach dem kanonischen Recht der Orthodoxen Kirche (griech.), Athen 1959; D e r s . , L'dconomie d'apris le droit-canon de l'Eglise Orthodoxe, in: Atti dello VIII Congresso Internationale di Studi Bizantini, Vol. II, S. 269—276, Rom 1953; K o t s o n i s , Probleme der „Kirchlichen Ökonomie" (griech.), Athenl957 (vgl. dazu R . S l e n c z k a , Kanonisches Recht und Einheit der Kirchen, in: ökumRS 1958, S. 44ff.). 170 Ansätze zur Untersuchung der dogmatischen Probleme finden sich bei D o u g l a s , op. cit.; F. G a v i n , Some Aspects of Contemporary Greek Orthodox Thought, Milwaukee-London 1923, S. 262ff. und 292ff.; J . A . D o u g l a s , The Orthodox Principle of Economy and its Exercise, in: The Christian East, 1932, Nr. 3/4, S. 99—109; E . E v e r y , Ecclesia extra ecclesiam, in: The Christian East, 1950, Nr. 1, S. 16—21. Zur Auseinandersetzung in der griechischen Theologie vgl. Hidromoine P i e r r e (Dumont) OSB, Economie eccldsiastique et rditdration des sacraments, in: Irdnikon 1937, S. 228ff. und 339ff. Die am besten belegte, aber auch kritischste Untersuchung zum Begriff der kirchlichen Ökonomie findet man bei W. G a s s , Geschichte der christlichen Ethik, Bd. I, Berlin 1881, S. 236—241. Hier

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logie erwachsene Diskussion sind vor allem rein praktische Fragen, die einer Klärung bedürfen. Einerseits geht es dabei um die Festlegung einer einheitlichen Praxis für die Aufnahme von Heterodoxen und bei der Anerkennung heterodoxer Sakramente bei Konversionen. Andrerseits geht es bei der ökumenischen Begegnung mit Anglikanern und Altkatholiken um die Gültigkeit der apostolischen Sukzession des geistlichen Amtes in diesen Kirchen. Zur Frage der heterodoxen Taufe gibt es keine spezielle Untersuchung, obwohl auch hier die Meinungen über die Gültigkeit und Wirksamkeit auseinandergehen. Die. damit verbundenen Probleme werden jedoch im Zusammenhang mit den beiden anderen Fragenkomplexen öfter berührt. Mit nur wenigen Ausnahmen wird bei der Untersuchung der dogmatischen Bedeutung der kirchlichen Ökonomie von der Voraussetzung ausgegangen, daß in der Praxis „kat'akribeian", d. h. in den strengen kanonischen Bestimmungen und Entscheidungen, bereits eine verbindliche Norm im östlichen Kirchenrecht vorliegt 171 . Wir werden versuchen, aus dem umfangreichen und außerordentlich disparaten Material zu diesen Fragen die für unser Thema wesentlichen dogmatischen Gesichtspunkte und Stellungnahmen herauszuarbeiten172. An erster Stelle gehen wir auf einen Standpunkt in der Beurteilung heterodoxer Sakramente ein, der eindeutig von der ekklesiologischen Voraussetzung der Sdiuldogmatik, also von dem cyprianischen Prinzip bestimmt ist. Er liegt vor in den Untersuchungen von Erzbischof Α η t ο η i j (Chrapovicki) und Archimandrit I l a r i o n (Prof. S.Troickij), deren ekklesiologischer Ansatz bereits dargestellt wurde 173 . In der griechischen Theologie wird er von Prof. D y o v o u n i o t i s in einer Abhandlung über die Lehre von den Sakramenten vertreten 174 . Die konsequente Anwendung des cyprianischen Prinzips findet bei diesen Theologen ihren Ausdruck in einem völligen Verzicht auf jede Differenzierung zwischen den nicht-orthodoxen Kirchen; es ist gleichgültig, ob es sich um eine Trennung in der Lehre (Häresie) oder in der Disziplin (Schisma) handelt. Selbst ein formaler Konsensus hat keine entscheidende Bedeutung für die Anerkennung der heterodoxen Sakramente. Allein entscheidend ist die Tatsache, daß diese Gemeinschaften von der Kirche getrennt sind und daher auch nicht mehr wird besonders die Ökonomie als ein Prinzip der patristischen Exegese 2ur Harmonisierung von Widersprüchen nachgewiesen. 171 Siehe oben S. 236. 172 Die Dokumente der Gespräche zwischen Ostkirche und Anglikanischer Gemeinschaft bei E. R. Hardy, Orthodox Statements on Anglican Orders, New York 1946. Weitere Berichte in den einschlägigen Zeitschriften. 173 Siehe oben S. 193ff., 199ff. Patriarch S e r g i j , Das Verhältnis der Kirche Christi zu den von ihr getrennten Gemeinschaften (russ.), nach 2MP 1931 in: Vestnik russkogo zapad.-evrop. patr. Ekzarchata Nr. 19, 1954, S. 106—126; vgl. auch Hardy, a.a.O. S. 52—70. Zu Archimandrit I l a r i o n und Erzbischof A n t o n i j s. o. Anm. 32 zu Kap. 6. 171 Κ. I. D y o v o u n i o t i s , Die Sakramente der Anatolischen Orthodoxen Kirche unter dem Aspekt der Dogmatik (griech.), Athen 1913. 245

zur Kirche gehören, sondern im Grunde mit den Heiden auf einer Stufe stehen175. Es ist nun die Frage, wie diese ekklesiologische Voraussetzung mit der Praxis der Kirdie bei der Aufnahme von Heterodoxen zu vereinbaren ist. Schon in der alten Kirche findet man drei Stufen oder Ordnungen für die Aufnahme in die Kirche: 1. durch die Taufe bei Ungetauften oder Heterodoxen, deren Taufe nicht anerkannt wird und deshalb wiederholt werden muß; 2. durch das Chrisma unter Anerkennung der Taufe; 3. durch die Buße (evtl. auch Abjuratio) bei voller Anerkennung aller übrigen Sakramente, einschließlich u. U. der Priesterweihe. Diese Differenzierung scheint anzudeuten, daß es auch außerhalb der Kirche eine gewisse Wirksamkeit der sakramentalen Gnade gibt. Wenn man diese Theorie für die dogmatische Interpretation der kirchlichen Ökonomie heranzieht, so bestände sie in der Anerkennung der Tatsache, daß die kanonischen Grenzen der Kirche sich nicht mit den charismatischen decken. In der Ekklesiologie käme es in diesem Fall zu einem Widerspruch oder doch mindestens zu einer Einschränkung des „Dogmas von der Kirdie" als dem alleinigen Hort der Gnadenmittel 176 . Dies ist nun das ekklesiologische Problem, mit dem sich die erwähnten Untersuchungen auseinandersetzen. Daneben steht noch ein weiteres, mit der Lehre von den Sakramenten verbundenes Problem. Nach der bei Augustin vorgebildeten Theorie des „ex opere operato" könnte die Entscheidung über die Anerkennung heterodoxer Sakramente bei einer Aufnahme in die östliche Kirchengemeinschaft von dem kanonisch gültigen Vollzug der Sakramente abhängig gemacht werden. Die extra ecclesiam gespendeten oder empfangenen Sakramente könnten danach auf Grund des gültigen Vollzuges beim Anschluß an die Kirche auch als charismatisch wirksam anerkannt werden. Zwar bliebe in diesem Fall die Übereinstimmung von kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche gewahrt, aber trotzdem bietet die Theorie Augustins keine voll befriedigende Lösung. Denn implizit kommt es dadurch, daß die Wirksamkeit des Sakraments unabhängig vom Spender des Sakraments ist, doch zu einer gewissen Anerkennung der außerkirchlichen Sakramente 177 . Vor allem würde aber der Sakramentsvollzug von der kirchlichen Institution getrennt. Ein Widerspruch zu der ekklesiologischen Voraussetzung ist also nicht zu vermeiden. 176

S e r g i j , a.a.O. S. 124; D y o v o u n i o t i s , a.a.O. S. 162; I l a r i o n , a.a.O. S. 9f.; A n t o n i j , a.a.O. S. 248. 178 S e r g i j , a.a.O. S. 109. 177 D y o v o u n i o t i s , a.a.O. S. 162; I l a r i o n , a.a.O. S. 21 ff.; S e r g i j , a.a.O. S. 108f. Archimandrit I l a r i o n bemerkt in diesem Zusammenhang ausdrücklich, daß ein Unterschied bestehe zwischen einem „unwürdigen Priester" in der Kirche und einem außerhalb der Kirchengemeinschaft stehenden Priester (S. 21, Anm.). 246

Die von den einzelnen Theologen vorgeschlagenen Lösungsversuche sind durchgehend von dem Bemühen bestimmt, diesen Widerspruch, der sich aus der unterschiedlichen Praxis bei der Aufnahme von Heterodoxen ergibt, auszuschließen. Für D y o v o u n i o t i s ist es gleichgültig, ob ein Sakrament außerhalb der Kirche nach der kanonisch gültigen Form gespendet oder empfangen wurde. Da die Kirche der „Hort der göttlichen Gnade" ist, hat sie auch die Fähigkeit, das „Ungültige für gültig und das Gültige für ungültig zu erklären" 1 7 8 . Mit dieser Theorie hat Dyovouniotis die Möglichkeit, auch zahlreiche Entscheidungen der alten Kirche zu erklären, in denen ζ. B. heterodoxe Priesterweihen anerkannt wurden, obwohl sie außerhalb der für dieses Sakrament konstitutiven apostolischen Sukzession gespendet worden waren 179 . Das Kriterium für die Anerkennung heterodoxer Sakramente liegt damit allein bei der Kirche, und so ist die volle Ubereinstimmung von kanonischen und charismatischen Grenzen gewahrt. In ähnlicher Weise betonen auch die russischen Theologen, Erzbischof A n t o n i j und Archimandrit I l a r i o n , daß es für die Anwendung der kirchlichen Ökonomie bei der Aufnahme von Heterodoxen weder eine dogmatische noch eine kirchenrechtliche Norm gibt. Im Grunde ist jeder Nicht-Orthodoxe einem Ungetauften gleich. Wenn es aber dem „Nutzen der Kirche entspricht", dann können die Sakramente, die er bereits empfangen hat, beim Eintritt in die Kirche als gültig und wirksam anerkannt werden. Nach I l a r i o n kann eine heterodoxe Taufe anerkannt werden, wenn sie außerhalb der Kirche gültig vollzogen wurde, aber „nicht deshalb, weil der Ritus bereits ein gnadenspendendes Sakrament war, sondern in der Hoffnung, daß die Gnadengabe bei der Vereinigung mit der Kirche empfangen wird" 1 8 0 . Bezeichnend ist hier die Modifikation des „ex opere operato": nicht das Sakrament als solches, sondern die Kirche spendet die Gnade. In der ostkirchlichen Theologie nehmen diese höchst problematischen Theorien zweifellos eine Sonderstellung ein. Der ekklesiologisdie Ansatz der Schuldogmatik ist hier bis zur letzten Konsequenz durchgeführt. Dahinter aber steht deutlich das Bemühen, der Gefahr eines ekklesiologischen Relativismus auszuweichen, der dort droht, wo eine Wirksamkeit von Sakramenten außerhalb der Grenzen der Kirchengemeinschaft anerkannt wird. Von Patriarch S e r g i j ist die Frage nach der Gültigkeit außerkirchlicher Sakramente in zwei Aufsätzen behandelt worden, in denen er sich besonders mit den eben dargestellten rigorosen Ansichten auseinandersetzt 181 . Sergij teilt D y o v o u n i o t i s , a.a.O. S. 162. " a A.a.O. S. 163. I l a r i o n , a.a.O. S. 35. Von einer impliziten Spendung der fehlenden oder Ergänzung der defekten Sakramente bei der Konversion spricht auch A. S. Chomjakov (Cor. S. 62). 181 S. o. Anm. 173 und: Die Bedeutung der apostolischen Sukzession in der Heterodoxie, in: 2MP, 1961, X , S. 30—45. 178

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durchaus die ekklesiologischen Voraussetzungen dieser Theologen, aber er sieht auch die theologische Problematik der daraus gezogenen Konsequenzen, die letztlich zu einem sektiererischen Kirchenverständnis führen müssen, weil, wie er sagt, die dogmatische Logik hier an der Wirklichkeit der Kirche vorbeigeht. In einer ausführlichen Analyse der kirchlichen Praxis zeigt Sergij, daß es hier um konkrete kirdienrechtlidie Entscheidungen geht, die nicht als dogmatische Normen gewertet werden dürfen. Vielmehr ist die Beurteilung der außerkirchlichen Sakramente in Analogie zur innerkirchlichen Bußdisziplin zu sehen, nach der der Ausschluß aus der Abendmahlsgemeinschaft zwar eine faktische, nicht aber unbedingt eine endgültige und radikale Trennung von der Kirche bedeutet. Ein gewisses Band kirchlicher Gemeinschaft bleibt auch bei den Häretikern und den Schismatikern noch bestehen und damit auch die Möglichkeit wirksamer Sakramente. Dies gilt nicht nur von der gültig vollzogenen Taufe, sondern auch unter bestimmten Voraussetzungen von der apostolischen Sukzession des geistlichen Amtes. Eine volle Zugehörigkeit zur Kirdie ist aber erst durch die Rüdekehr und Wiederaufnahme in die Abendmahlsgemeinschaft möglich. Mit dieser sorgfältig begründeten Stellungnahme vermag Sergij das ekklesiologische Axiom der Schuldogmatik festzuhalten, ohne daß er die Unwiederholbarkeit der gültig gespendeten Taufe, Ordination und auch des Chrismas aufzugeben braucht. Ebenso vermeidet er es, die regulativen Entscheidungen der kirchlichen Bußpraxis dogmatisch zu verabsolutieren. Doch eine grundsätzliche dogmatische Klärung des ekklesiologischen Problems wird auch von ihm nicht erreicht. Eine weitere Gruppe von Stellungnahmen zur Frage der heterodoxen Sakramente bilden die zahlreichen Untersuchungen über die anglikanische Hierarchie. Die Mehrzahl dieser Abhandlungen trägt wenig zur Klärung unseres Problems aus, da man hier vorwiegend von historischen und weniger von dogmatischen Gesichtspunkten ausgeht. Einige allgemeine Bemerkungen mögen daher genügen. Mit den bisher dargestellten Äußerungen stimmt man in diesen Untersuchungen darin überein, daß es außerhalb der Kirche keine Wirksamkeit von Sakramenten geben kann, ohne daß der orthodoxe Kirchenbegriff durchbrochen wird. Ebenso wird anerkannt, daß in der Ostkirche noch keine einheitliche Praxis für die Aufnahme von Heterodoxen besteht und daß noch keine allgemeinverbindlichen Prinzipien — weder in der Dogmatik noch im Kirchenrecht — für die Anwendung der kirchlichen Ökonomie festgelegt worden sind. Doch im Unterschied zu der rigorosen Einstellung verzichtet man nicht auf eine Differenzierung zwischen den heterodoxen Gemeinschaften. So können unter bestimmten Voraussetzungen heterodoxe Sakramente beim Anschluß an die Orthodoxe Kirche anerkannt werden. „Kat'oikonomian" ist dies bei der anglikanischen Priesterweihe der Fall, wenn eine volle Übereinstimmung in der Lehre besteht und die Sakramente kanonisch gültig gespendet und empfangen worden sind. Allerdings kann es — auch bei voller Übereinstimmung mit der Ost248

kirdie — keinen Anspruch auf die Anwendung der kirchlichen Ökonomie geben, und ebenso wird grundsätzlich die Möglichkeit ausgeschlossen, daß heterodoxe Sakramente auf Grund eines formalen Konsensus mit der alten Kirdie bzw. mit der Ostkirche „per se" außerhalb der östlichen Kirchengemeinschaft wirksam sein können. Unter Ablehnung der „Zweigtheorie" wird also auch hier das cyprianische Prinzip festgehalten. Es wird lediglich durch gewisse formale Voraussetzungen eingeschränkt. Allerdings dreht sich die ganze Diskussion um die Gültigkeit der anglikanischen Weihen nun gerade um die Frage, ob diese formalen Voraussetzungen erfüllt sind oder nicht, d. h. ob theoretisch die kirchliche Ökonomie angewandt werden kann oder nicht. Damit ist das Problem auf die historische Ebene verlagert, indem der Nachweis zu erbringen ist, ob die apostolische Sukzession in der anglikanischen Kirche in ungebrochener Kontinuität erhalten ist und ob ein Konsensus in der Glaubenslehre vorliegt — und hier gehen die Meinungen auseinander 182 . Nur wenige Theologen, unter ihnen P. K o m n i n o s und A. A l i v i s a t ο s 183 , kommen in ihren Untersuchungen zu dem Ergebnis, daß eine Anerkennung der anglikanischen Weihen „kat'oikonomian" möglich ist, da zwischen der Anglikanischen und der Orthodoxen Kirche bereits ein ausreichender Konsensus bestehe und die apostolische Sukzession nicht unterbrochen sei. Man spricht hier sogar von einem „sakramentalen Charakter" der anglikanischen Weihen 184 , ohne jedoch nähere Aussagen über die Wirksamkeit des Sakraments 182 Folgende Untersuchungen wurden herangezogen: Eine Übersicht über frühere Untersuchungen findet man bei M a l i n o v s k i j , Dogmatik Bd. IV, S. 344ff. sowie bei Erzbischof C h r y s o s t o m o s (Papadopoulos) von Athen, Die Untersuchung über die Gültigkeit der anglikanischen Weihe (griech.), Jerusalem 1925. Einzeluntersuchungen: A. B u l g a k o v , Über die Gültigkeit und Wirksamkeit der anglikanischen Hierarchie vom Standpunkt der Orthodoxen Kirche (russ.), Kiev 1906 (engl.: The Question of Anglican Orders, London 1899); Ν. M i l a s c h , Kirchenrecht, S. 287ff.; Chr. A n d r o u t s o s , Die Gültigkeit der englischen Ordination in othodoxer Sicht (griech.), Konstantinopel 1903 (engl.: The Validity of English Ordinations from an Orthodox Catholic Point of View, London 1909); F. R a j e v s k i j , Die symbolischen Bücher der englischen bischöflichen Kirche (serbisch); Referat von B. S p u l e r in: IKZ 1940, S. 14—16; Gutachten der Athener Theologischen Fakultät zu den Anglikanischen Weihen (griech.), in: Ekklesia 1939, Nr. 34/35 mit Stellungnahmen der Professoren A l i v i s a t o s (Nr. 32/33); D. S. B a l a n o s , S. 270—274; P. I. B r a t s i o t i s , S. 274—-290; P. T r e m p e l a s , S. 291 — dazu zusammenfassender Bericht von B. S p u l e r in: IKZ 1940, S. 18—20; Referate auf der Moskauer Konferenz von 1948 in: Akten der Konferenz (russ.), Bd. I, Moskau 1949: S. V i n t i l e s c u , S. 315—341 und V. S. V e r t o g r a d o v , S. 341—382; N. K a r m i r i s , s. o. Anm. 152; I. K o t s o n i s , Über die Gültigkeit der anglikanischen Ordination in der Sicht des kanonischen Rechts (griech.), in: Theologia 1957, S. 354ff. und 532ff. (engl, in: Greek Orthodox Theological Review, 1958, 1/2) 183 P. K o m n i n o s , Die Anglikanischen Weihen (griech.), Konstantinopel 1921; A. S. A l i v i s a t o s , Die Gültigkeit der Priesterweihe der Anglikanischen Kirche (griech.), in: Ekklesia 1939, Nr. 32/33 und 34/35. 181 So Erzbischof G e r m a n o s in: Ekklesia, Leipzig 1939, Bd. X, S. 45.

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an sich und außerhalb der Kirdiengemeinschafl zu machen. Wenn audi eine Interkommunion ohne volle Kirdiengemeinschafl: dogmatisch und kanonisdi unmöglich ist, hält man dodi in Notfällen eine bedingte und begrenzte Sakramentsgemeinschaft von Anglikanern und Orthodoxen für nidit ausgeschlossen185. In diesem Falle wäre jedoch die Folge eine Durchbrechung des cyprianischen Prinzips; dies wird von den meisten Theologen jedoch dadurch vermieden, daß man die formalen Voraussetzungen für die Anerkennung der anglikanischen Weihen für noch nicht gegeben hält. Bei nahezu allen Theologen wird bemerkt, daß eine endgültige Entscheidung sowohl über die Grenzen und Möglichkeiten der kirchlichen Ökonomie wie auch über die Gültigkeit der anglikanischen Weihen erst durch ein ökumenisches Konzil bzw. durch ein Konzil aller östlichen Teilkirchen gefällt werden könne. Mit dieser Feststellung erübrigt sich eine weitere Diskussion, aber die theologischen Meinungsverschiedenheiten zeigen, .daß auch heute das Verhältnis zwischen Orthodoxie und Heterodoxie in diesem Punkt noch nidit definitiv geklärt ist 186 . Trotz mancher bald größerer, bald geringerer Abweichungen in den Ergebnissen und in der Beurteilung des dogmatischen und historischen Sachverhalts wird in den bisher behandelten Untersuchungen von einem einheitlichen Schema und vor allem von den gleichen ekklesiologischen und kanonischen Voraussetzungen ausgegangen. Das cyprianische Prinzip hat auch hier die Bedeutung eines Dogmas, und die „Akribie" in der kirchenrechtlichen Praxis bei der Aufnahme von Heterodoxen wird als kanonisch-dogmatische Norm für die Grenzen der Kirche vorausgesetzt. Weder dogmatisch (ekklesiologisdi) noch kirdienrechtK o m n i n o s , a.a.O. S. 51; A l i v i s a t o s , a.a.O. Nr. 34/35, S. 269. Schon im Jahre 1930 wurde dieser Punkt in das Programm für eine geplante ostkirchliche Prosynode aufgenommen — siehe Akten der vorbereitenden Kommission der Heiligen Orthodoxen Kirchen (Konferenz im Kloster Vatopedie) (griech.), Konstantinopel 1930, S. 144f. Von den meisten östlichen Teilkirchen sind in den zwanziger und dreißiger Jahren offizielle Erklärungen zur Frage der anglikanischen Weihen abgegeben worden. Dabei hatten das ökumenische Patriarchat (1922), das Patriarchat von Jerusalem (1923) und auch die rumänische Kirche (1936) eine volle Anerkennung der anglikanischen Weihen ausgesprochen. Die beiden erstgenannten Erklärungen sind inspiriert von dem ökumenischen Patriarchen M e l e t i o s IV. (Metaxakis) und unter kirchenpolitisch recht komplizierten Umständen entstanden. Sie bilden jedenfalls eine einmalige Ausnahme. Die griechische Kirche (1939), die Kirche von Cypern (1923) u. a. sprechen in ihren Erklärungen nur von einer Anerkennung „kat'oikonomian" im Falle einer Konversion; d.h. beim Anschluß an die Ostkirche ist keine neue Priesterweihe erforderlich. Wesentlich zurückhaltender ist die letzte offizielle Erklärung der Ostkirchen, die Resolution der Moskauer Konferenz von 1948. Danach sind die Voraussetzungen für eine Anerkennung der anglikanischen Weihen noch nicht gegeben, weil die Unterschiede in der Glaubenslehre noch nicht überwunden sind. Die Texte sämtlicher Erklärungen finden sich (griech.) bei K a r m i r i s , Die dogmatischen und symbolischen Dokumente . . ., Bd. II, S. 1031—1037, dort weitere Quellenangaben (s. a. B e l l , Documents I). 186

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lieh besteht daher die Möglichkeit, über eine Wirksamkeit von Sakramenten außerhalb der östlichen Kirchengemeinschaft theologisch zu reflektieren. Die kanonischen Grenzen der Kirchengemeinschaft, deren genauere Bestimmung bereits problematisch ist, werden dogmatisch verabsolutiert. Ohne eine Revision der dogmatischen und kanonischen Voraussetzungen kann praktisch keine weitergehende Aussage über die Heterodoxie und ihre Sakramente gemacht werden als die, daß die Sakramente außerhalb dieser Grenzen zwar kanonisch gültig sein können, niemals jedoch charismatisch wirksam. Die gesamte Auseinandersetzung kommt damit einer „petitio prineipii" gleich, oder aber sie bildet nur eine Apologie zu der ekklesiologischen Voraussetzung des cyprianisdien Prinzips. Von einigen ostkirchlichen Theologen werden aber auch dogmatisch-kritische Bedenken gegen diese weitverbreiteten Ansichten geäußert. Sie richten sich vor allem gegen die Gleichsetzung der geistlichen Seite der Sakramente mit ihrer kirchenreditlichen, und damit erscheint das Verhältnis zwischen kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche unter einem neuen Aspekt. Bei der Diskussion über die Altkatholikenfrage in der russischen Theologie war es der Kirchenrechtler V. A. S ο k ο 1 ο ν 187 , der die Frage aufwarf, ob die charismatische Wirksamkeit der Sakramente von ihrer kanonischen Gültigkeit her beurteilt werden könne. Sokolov geht dabei von einer Reihe von Fällen aus der altkirchlichen Praxis aus, in denen kanonisch ungültig vollzogene Sakramente als wirksam in der Kirche anerkannt worden sind wie ζ. B. eine Bischofsweihe, die nur durch einen und nicht wie vorgeschrieben durch zwei oder drei Bischöfe vollzogen wurde. Sokolov unterscheidet nun scharf zwischen dem kanonischen und dem dogmatischen Aspekt des Sakramentsvollzuges, d. h. zwischen „Legalität" und „Wirksamkeit": „Beide Begriffe stehen sich zwar sehr nahe, aber sie sind nicht identisch. Der Begriff der Legalität gehört in den Bereidi des kanonischen Rechts, und wenn wir eine Hierarchie als legal bezeichnen, so bringen wir damit zum Ausdruck, daß sie . . . vollkommen den von der Kirche formulierten Gesetzen entspricht. Der Begriff Wirksamkeit jedoch bezieht sich auf den dogmatischen Bereich. Wenn wir also eine Hierarchie als wirksam bezeichnen, so weisen wir damit darauf hin, daß bei ihr die göttliche Gnade ist."188

Die Funktion der kirchlichen Kanones, so begründet Sokolov seine Ansicht, lag und liegt nicht darin, daß sie für die Mitteilung der Gnade im Sakrament konstitutiv sind, sondern allein in der Wahrung der kirchlichen Ordnung 189 . 187

V. A. S o k o l o v , Kann die Legalität der Hierarchie der Altkatholiken anerkannt werden? (russ.), in: BogVestnik, April 1893, S. 111—147. Ein Referat aus der Schrift v o n V. A. S o k o l o v , Die Hierarchie der englischen Episkopalen, 1895, die mir nicht zugänglich war, bringt V e r t o g r a d o v in seinem Vortrag auf der Moskauer Konferenz 1948 (in: Akten der Moskauer Konferenz, Bd. I, S. 355ff.; russ., mit ausführlichen Zitaten), iss B e i V e r t o g r a d o v S. 362. 189 A . a . O . S. 363 und BogVestnik 1893, S. 123.

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Gegenüber den Sakramenten sind die Kanones von untergeordneter Bedeutung; sie enthalten eine „Verpflichtung f ü r die Gläubigen, aber keine Aussage über die Wirksamkeit" der Sakramente 190 . Wenn also von der Kirche „kat'oikonomian" 1 9 1 Sakramente als wirksam anerkannt werden, die vom kirchenrechtlichen Standpunkt aus nicht gültig sind, dann zeigt sich darin gerade das Wissen der Kirche, daß die Wirksamkeit der göttlichen Gnade nicht durch die kanonischen Bestimmungen in irgendeiner Weise eingeschränkt werden kann. Die Durchbrechung der Norm, die kirchliche Ökonomie, ist für Sokolov keineswegs ein Gnadenakt der Kirche oder ein Ausdruck pastoraler Kondeszendenz, sondern sie erscheint letztlich als ein dogmatisches Korrektiv des kirchlichen Rechts 182 . Ohne die These Sokolovs, die im Grunde nur ein Entwurf ist, zu überschätzen, kann man doch feststellen, daß hier ein Gedanke hervorgehoben wird, der sonst nicht von der ostkirchlichen Theologie berücksichtigt wird. Die theologische Reflexion tritt hier an die Stelle einer pragmatischen und kirchenrechtlichen Argumentation. In neuerer Zeit haben sich zwei Vertreter der russischen Emigration um eine dogmatische Klärung des Verhältnisses von kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche in kritischer Auseinandersetzung mit dem weitverbreiteten kirchenrechtlichen Positivismus bemüht: G. F l o r o v s k i j , auf dessen ekklesiologischen Ansatz wir bereits eingegangen sind, und der Kirchenreditler N . A f a η a s j e v 198 . F l o r o v s k i j geht in seinem Aufsatz „über die Grenzen der Kirche" 194 , in dem die Frage der „außerkirchlichen" Sakramente behandelt wird, von der Bemerkung aus, daß eine bloße Beschreibung des kanonischen Sachverhalts nicht ausreiche, sondern daß man eine grundsätzliche dogmatische Klärung der offenen Fragen anstreben müsse. Vor allem aber zeigt er, daß der Kirchenbegriff Cyprians keine ausreichende Grundlage f ü r die dogmatische Bestimmung der kirchlichen Grenzen bietet. Denn die These Cyprians, daß es außerhalb der Kirche keine Gnade gibt, ist „nur die Kehrseite seiner Lehre von der Einheit und der Katholizität", und die daraus folgende „unbewiesene Identifikation (der 190

Ebd. Der Begriff der „Ökonomie" wird von Sokolov nicht verwendet. 192 Ein ähnlicher Gedanke findet sich in der Schrift von Erzb. B a s i l i o s (Georgiadis) von Anchialos (später Smyrna): Abhandlung über die Gültigkeit der Weihe von Geistlichen, die von einem abgesetzten oder schismatischen Bischof geweiht wurden (griech.), Smyrna 1887. Der Verfasser unterscheidet zwischen der „kirchenrechtlichen Praxis" und dem Sakrament — die kirchenrechtliche Praxis der Absetzung bzw. der Tatbestand der Trennung hat keine sakramentale Bedeutung, sondern nur eine disziplinarische. Infolgedessen kann von hier aus auch nicht die Wirksamkeit von Sakramenten beurteilt werden. 193 Zu F l o r o v s k i j s. o. S. 119ff. Beide Theologen gehören in die Richtung der sog. Pariser Schule, sind aber mehr Vertreter der historischen Methode und nicht sosehr der russischen religiösen Philosophie. 191 (Russ.) in: Putj 1934, Nr. 44, S. 15—26 (engl. Ausgabe s. o. Anm. 51 zu Kap.6). 191

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charismatischen Grenzen der Kirche mit den kanonischen, R. S.) ist von dem katholischen Selbstverständnis nicht rezipiert worden" 1 9 5 . „Alles, was Cyprian über die Einheit der Kirche und der Sakramente sagte, kann und soll angenommen werden. Dodi man darf nicht, wie er es tut, die letzte Kontur des Leibes der Kirche nach einseitig kanonischen Gesichtspunkten umgrenzen."19"

Von hier aus wirft Florovskij nun die Frage auf, ob das Prinzip der kirchlichen Ökonomie, verstanden als Durchbrechnung des „jus strictum" (der Akribie) aus seelsorgerlichen Erwägungen, f ü r die Beurteilung der heterodoxen Sakramente ausreiche. D a es um eine grundsätzliche dogmatische Frage geht, dürfe man sich nicht auf die dogmatisch unklare seelsorgerliche Praxis beschränken. Besonders scharf kritisiert Florovskij die extremen Konsequenzen, die Erzbischof Α η t ο η i j aus dem cyprianischen Prinzip und der kirchenrechtlichen Praxis zieht 197 . Die von diesem und anderen aufgestellte Behauptung, daß Sakramente, ohne ausdrücklich gespendet zu werden, von der Kirche bei der Anwendung der kirchlichen Ökonomie implizit vollzogen werden, sei dogmatisch und kirchenrechtlich unhaltbar. Denn: „Wer gab der Kirdie das Recht, nicht nur den .äußeren Akt der Taufe* zu verändern, sondern ihn sogar zu entstellen, indem man die Taufe in solchen Fällen nur geistig, implizit oder intentional vollzieht?"108

Eine dogmatische Lösung des Problems der kirchlichen Grenzen und der heterodoxen Sakramente deutet Florovskij nur an. Audi hier greift er wieder zu Augustin und seiner Lehre von den Sakramenten, die er nicht, wie es bei vielen anderen Theologen geschieht, einfach als westlich und damit häretisch abwertet. Nach Augustin können die außerhalb der kanonischen Grenzen der Kirchengemeinschaft gespendeten und empfangenen Sakramente nicht leere Handlungen sein, sondern sie haben auch hier eine charismatische „Bedeutsamkeit", insofern der Heilige Geist in ihnen wirkt — sei es zur Heiligung oder zum Gericht. Außerdem muß ein Unterschied gemacht werden zwischen der empirischen Kirchengemeinschaft, die ein Ausdruck brüderlicher Liebe ist, und dem Liebesbund in Christus: Das Band der menschlichen Liebe kann durch Schwachheit und Versagen zerrissen werden, doch das kann nicht bedeuten, daß damit auch der göttliche Bund unmittelbar zerbrochen wird. Diese beiden Momente bilden nun die Grundlage für das Verständnis des Sakramentsvollzuges „ex opere operato". Es bedeutet vor allem „. . . die Unabhängigkeit des Sakraments von dem persönlichen Akt des Spenders. Die Kirche vollzieht die Sakramente und in ihr Christus, der Hohepriester. Die Sakramente 185

19i A . a . O . S. 16f. A.a.O. S. 17. A.a.O. S. 19. F l o r o v s k i j bemerkt dazu: „Ich kann diese Tirade nur mit kummervollem Unverständnis zitieren . . ." Die Anm. 173 zu Kap. 6 angeführte Abhandlung von Patriarch S e r g i j (Stragorodskij) war damals offensichtlich noch nicht im Westen zugänglich. Florovskij kritisiert aber auch die Ansichten von D y o v o u n i o t i s und Archimandrit I l a r i o n , die er beide zitiert. 198 A.a.O. S. 20. 197

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werden im Gebet und in der Handlung der Kirche vollzogen — ex opere orantis et operands e c c l e s i a e . . . Für Augustin war es nicht so wesentlich, ob die Sakramente von den Schismatikern unrechtmäßig und unerlaubt vollzogen wurden. Viel wichtiger war, das daß Schisma ein Versagen der Liebe w a r . . . Doch die Liebe Gottes bedeckt und überwältigt die Nicht-Liebe der Menschen. Auch bei den Schismatikern (sogar bei den Häretikern) führt die Kirche weiterhin ihr rettendes und heiligendes Werk aus".

Wenn man auch nicht sagen kann, daß die von der Kirche Getrennten noch zur Kirche gehören, so muß man doch sagen, daß auch in der Zertrennung die Kirche noch wirkt 199 . Als rein historisches Prinzip lehnt Florovskij die „Zweigtheorie" in der Dogmatik ab. Doch von dem augustinischen Sakramentsverständnis kommt er zu einer wesentlich weitergehenden Bestimmung der kirchlichen Zertrennung, in der er das Ergebnis seiner Untersuchung zusammenfaßt: „ . . . seinem Wesen nach ist das Schisma nicht nur ein Zweig. Es gibt einen Willen zum S c h i s m a . . . Aber es gibt auch einen geheimen und sogar rätselhaften Bereich jenseits der kanonischen Grenzen der Kirche, w o die Sakramente nodi vollzogen werden und w o die Herzen noch so oft brennen und flammen im Glauben, in der Liebe und im christlichen Handeln . . . Man muß dies erkennen, aber man muß auch daran denken, daß die Grenze real ist und daß es keine Einheit g i b t . . ." 200

Mit der Anerkennung dieser Tatsache bleibt Florovskij ebenso, wie wir es am Ende des ersten Abschnitts in diesem Kapitel zeigten, mit seiner dogmatischen Reflexion vor einer Antinomie oder einem Paradox der christlichen Zertrennung stehen. Das dogmatische Problem wird durchaus erkannt und sehr genau formuliert; es wird aber nicht gelöst. Ähnlich wie bei Florovskij ist auch bei N . A f a η a s j e ν die Kritik an der Gleichsetzung von kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirdie dadurch gekennzeichnet, daß er das cyprianische Prinzip nicht als unumstößliche ekklesiologische Voraussetzung ansieht 201 . Afanasjev zeigt vielmehr, wie der Episkopalismus Cyprians schon in der alten Kirche zu einem vorwiegend rechtlich bestimmten Verständnis der kirchlichen Einheit und damit zu einem kirchlichen Imperialismus führte. Die „ökumenische" Kirche war die byzantinische Reichskirche, und die ökumenischen Konzile waren die vom Staat einberufenen Bischofsversammlungen202. Innerhalb dieser Reichskirche rangen der Osten und der Westen, Konstantinopel und Rom, um die Vorherrschaft, wobei der Unterschied der Wege nur in dem „Erfolg Roms und in dem Mißerfolg Konstantinopels" 203 gelegen hat. Doch auch später hat sich im Osten der mit dem universali189

200 A.a.O. S. 24. A.a.O. S. 25. N. A f a n a s j e v , Zwei Ideen der ökumenischen Kirche (russ.), in: Putj Nr. 45, 1934, S. 16—29; L'Apötre Pierre et l'6veque de Rome. A propos du livre d'Oscar Cullmann „Saint Pierre, Disciple — Apotre — Martyr", in: Theologia, (Athen) 1955, S. 456—475; siehe auch neuerdings: L'Eglise qui priside dans ΓAmour, im Sammelband La Primautd de Pierre dans l'Eglise Orthodoxe, Neuchätel-Paris 1960, S. 9—64 (deutsche Ausgabe Zollikon 1961). 202 208 Zwei Ideen, S. 21 ff. A.a.O. S. 23. 201

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stischen Kirchenbegriff Cyprians verbundene Imperialismus im östlichen Staatskirdientum fortgesetzt 2 0 4 . Die Eigentümlichkeit des ekklesiologischen Universalismus ist darin zu sehen, daß das paulinische Bild von dem Leib und den Gliedern der Kirche auf die Gesamtkirche und die Einzelkirchen (Autokephalien, Diözesen, Gemeinden) übertragen wird, d. h. auf die äußere Struktur der kirchlichen Einheit in der Kirchengemeinschaft 206 . Weder nach dem historischen noch nach dem dogmatischen Sachverhalt kann die universalistische Ekklesiologie eine Allgemeingültigkeit beanspruchen. Wenn sie auch seit der Zeit der alten Kirche bis heute im Osten dominierte, so stand und steht neben ihr ein Kirchenbegriff, der dem ursprünglichen Sinn des paulinischen Bildes von der Kirche näher kommt, nämlich die „eucharistische" Ekklesiologie. In der alten Kirche findet sie Afanasjev bei Ignatius und bei den Kappadozieren, und in neuerer Zeit in der Lehre von der „sobornostj". Nach diesem ekklesiologischen Ansatz findet die Einheit der Kirche ihren Ausdruck in der eucharistischen Gemeinschaft, in der Versammlung der Gemeinde unter ihrem Bischof. Diese Gemeinde ist bereits in vollem Sinne Kirche, und die einzelnen Glieder sind untereinander durch die Gemeinschaft (koinonia) am Leibe Christi verbunden 208 . Diese eucharistische Gemeinschaft und Einheit der Kirche schließt nicht aus, daß sich die einzelnen Kirchen (Gemeinden) untereinander verbinden. Doch die so entstehende universale Einheit hebt nicht die volle Selbständigkeit der einzelnen Kirche oder Gemeinde auf, sondern sie besteht in einem Liebesbund dieser einzelnen Kirchen 2 0 7 . Konstitutiv für die einzelne Kirdie ist also nicht ihre Gliedschaft in der universalen Organisation, sondern die Gemeinschaft ihrer Glieder am Leibe Christi, die sich primär in der Eucharistie manifestiert. Nach diesem „katholischen" Kirchenbegriff sind die Gemeinden in sich eine vollkommene Einheit. Ihr Zusammenschluß kann ihnen auch nicht mehr geben als die Fülle, die sie bereits in der eucharistischen Gemeinschaft besitzen. „ . . . jede Gemeinde ist nicht der Teil eines organischen Ganzen — das Organische gehört den Gemeinden, und im Blick auf diesen Organismus ist audi ihr (Liebes-)Bund kein Organismus höherer Ordnung." 2 0 8

Auf das Verhältnis von Orthodoxie und Heterodoxie wird in diesem Zusammenhang noch nicht eingegangen. Doch es liegt schon die Vermutung nahe, daß Afanasjev auf Grund seiner ekklesiologischen Erwägungen auch hier zu einem anderen Ergebnis kommt. Er behandelt diese Frage in seinem Aufsatz „Die Grenzen der Kirche" 2 0 9 . Darin zeigt er, daß es in der Theologie des Ostens schon in der Zeit der alten Kirche weder eine einheitliche Praxis noch eine einheit205 A.a.O. S. 17f. A . a . O . S. 23f. Vgl. hierzu besonders N. A f a n a s j e v , Der Tisch des Herrn (russ.), Paris 1952, sowie: Zwei Ideen . . ., S. 24ff. 207 Zwei Ideen . . 208 A.a.O. S. 27. S. 26f. 208 Die Grenzen der Kirche (russ.), in: Pravoslavnaja Myslj VII, Paris 1949, S. 17—35. 204

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liehe und abgeschlossene Theorie für die Aufnahme von Heterodoxen in die Kirche gegeben hat. Im Westen dagegen findet Afanasjev in der augustinischen Sakramentslehre einen gewissen Abschluß der kirchlichen und theologischen Auseinandersetzungen. Zu einem derartigen Abschluß ist es im Osten niemals gekommen; die Wirksamkeit der heterodoxen Taufe und darüber hinaus der heterodoxen Sakramente blieb eine offene Frage: „Die Frage der Wirksamkeit einer Taufe, die außerhalb der orthodoxen Kirche vollzogen wurde, ist im Osten nicht prinzipiell, sondern immer von Fall zu Fall entschieden worden." 210

Afanasjev lehnt damit alle Versuche ab, die Uneinheitlichkeit der kanonischen Bestimmungen und der kirchlichen Praxis abzugleichen, da sie weder historisch noch kanonisch zu rechtfertigen sind. Es gilt vielmehr, den theologischen Hintergrund dieser offenkundigen Aporie zu entdecken: Hinter der konstanten Uneinheitlichkeit scheint sich ein ekklesiologisches Problem zu verbergen, und man hat deshalb eine endgültige Entscheidung vermieden, um das dogmatische Problem der Kirche und der Bestimmung ihrer Grenzen nicht zu präjudizieren — sei es durch eine Anerkennung oder sei es durch eine Ablehnung heterodoxer Sakramente bei der Aufnahme in die Kirchengemeinschaft211. Weder die strenge Praxis (kat'akribeian) noch die milde Praxis (kat'oikonomian) kann als allgemeingültig und allgemeinverbindlich angesehen werden. Während also von den meisten ostkirchlichen Theologen die „Akribie" als Norm angesehen wird und die „Ökonomie" als Ausnahme, wie es etwa durch die Ekklesiologie Cyprians von Karthago oder Firmilians von Cäsarea nahegelegt wird, kommt Afanasjev, da er diese ekklesiologischen Voraussetzungen nicht für allgemeingültig hält, zu einem völlig anderen Ergebnis: „Die kirchliche Ökonomie erwies sich stärker als die theologische Meinung", die sich auf den cyprianischen Kirchenbegriff stützte. Die Ökonomie bildet ein Korrektiv zu dem, was in der Dogmatik und auch im kanonischen Recht bis heute noch nicht geklärt ist. Der Widerspruch, in dem die kirchliche Ökonomie sowohl dogmatisch wie auch kanonisch zu den ekklesiologischen Voraussetzungen der ostkirchlichen Theologie steht, ist ein Zeichen für die „völlige Hilflosigkeit des theologischen Denkens" 212 . Auch bei Afanasjev wird dieser kritische Ansatz nicht weiter fortgeführt. Er beschränkt sich darauf, die Aufgabe zu formulieren, vor der die ostkirchliche Theologie nach seiner Meinung steht: „Die Orthodoxe Kirche hat bis heutigentags eine Praxis, die nicht von der theologischen Lehre her begründet werden kann, oder eine Lehre, die nicht durch die Praxis gerechtfertigt ist. Die Ursache für das Scheitern aller Versuche, das eine mit dem anderen in Einklang zu bringen, beruht in einer dogmatischen Unklarheit über die Lehre von der Kirche — vor allem aber auch darin, daß dogmatisch noch nicht bestimmt wurde, w o die Grenzen der Kirche liegen und in welchem Maße das kirchliche Gewebe bei zunehmender Entfernung von der Ostkirche zerreißt und w o es endgültig durchbrochen wird." 213 210

211 212 A . a . O . S. 18. A . a . O . S. 3 0 f . A . a . O . S. 31f. A . a . O . S. 35. I n einem anderen Aufsatz, Sakramente und Sakramentalien (mss.), in: Pravoslavnaja Myslj VIII, 1951, S. 17—34, hat sich A f a n a s j e v u m eine kritische 218

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Auf eine abschließende und zusammenfassende Stellungnahme zu der dogmatischen Auseinandersetzung der ostkirchlichen Theologie mit der ökumenischen Fragestellung werden wir noch verzichten. Es muß aber noch auf einen Punkt hingewiesen werden, der von der überwiegenden Mehrzahl der ostkirdilichen Theologen überhaupt nicht berücksichtigt wird. Wenn wir auf die drei Problemkreise zurückgreifen, von denen wir in diesem Abschnitt ausgegangen waren, so zeigen die Untersuchungen über die Grenzen der Kirche und die Gültigkeit der heterodoxen Sakramente, daß man sich fast ausschließlich auf den ersten Problemkreis, nämlich die Uneinheitlichkeit in der kirchlichen Praxis bei der Aufnahme von Heterodoxen in die östliche Kirchengemeinschaft, konzentriert. Auf die beiden anderen Problemkreise, in denen es um eine Sakraments· oder Gottesdienstgemeinschaft in Notlagen bzw. um die brüderliche Begegnung in der ökumenischen Bewegung geht, wird nicht oder nur am Rande eingegangen. Zweifellos handelt es sich bei diesen beiden Problemkreisen um Präzedenzfälle, die keine absolute Bedeutung beanspruchen können; doch man sollte annehmen, daß die erlebte christliche Bruderschaft in der Zertrennung, die ja auch von der Ostkirche in oft sehr eindrucksvoller Weise bezeugt wird, nicht nur als ein Verstoß gegen dogmatische und kirchenrechtliche Prinzipien gewertet werden kann. An Hand der bisher herangezogenen Arbeiten konnten wir jedoch nur zeigen, daß — mit Ausnahme weniger vereinzelter Versuche — offensichtlich noch allgemein die dogmatischen Voraussetzungen fehlen, um dieses Erlebnis der Einheit zu formulieren.

7. K A P I T E L

Entwurf einer ökumenischen Theologie A. D a s E r l e b n i s

der

Einheit

Eine kleine Gruppe russischer Theologen der Emigration hat den Versuch gewagt, dort fortzufahren, wo die dogmatischen und kirchenrechtlichen Erwägungen in der übrigen ostkirchlichen Theologie abbrechen. An erster Stelle ist hier S. B u l g a k o v zu nennen, auf dessen methodische und ekklesiologische Voraussetzungen wir ausführlich eingegangen sind1. Eng verbunden mit der TheoAuseinandersetzung mit dem ostkirchlichen Sakramentsbegriff bemüht. Das Problem der heterodoxen Sakramente wird dabei jedoch nicht berührt. 1 Siehe oben Kapitel 4 C. Für Bulgakov und ebenso für die beiden anderen Theologen ist die Anwendung der historischen Methode eine Selbstverständlichkeit. Die von Bolotov in die ostkirchliche Theologie eingeführten theologischen Gewißheitsgrade werden von Bulgakov voll und ganz übernommen (s. o. S. 150f.). Die sophio257

logie Bulgakovs sind die Arbeiten von L. A. Z a n d e r (geb. 1893). Zander ist ein Freund und Schüler Bulgakovs. In die gleiche Richtung, wenn auch nicht in so eindeutiger Abhängigkeit von Bulgakov, weisen die Ansätze zu einer ökumenischen Theologie von P. E v d o k i m o v . Im Vergleich mit den anderen ostkirchlichen Theologen liegt das entscheidend Neue bei diesen drei Theologen2 darin, daß sie nicht nur von der Erfahrung der Kirche in der eigenen Kirchengemeinsdiaft ausgehen, sondern daß für sie die Ökumene selbst eine lebendige Tatsache im Leben der Kirche ist. Diese geistliche Wirklichkeit einer brüderlichen Verbundenheit in dem gemeinsamen Herrn ist auch von den anderen ostkirchlichen Delegierten in der ökumenischen Begegnung empfunden worden, wenn sie ζ. B. in ihrer Sondererklärung auf der Weltkirchenkonferenz von Lausanne versichern, „ . . . daß das Erlebnis, daß wir trotz der dogmatischen Unterschiede mit unseren Brüdern hier eins sind im Glauben an unseren Herrn und Heiland Jesus Christus, etwas Erhebendes für uns gewesen ist" 3 .

Aber diese und ähnliche Äußerungen stehen in einem unausgeglichenen Widerspruch zu der theologischen Auseinandersetzung mit dem Problem der kirchlichen Zertrennung und Vereinigung. Im Grunde sind es undogmatische Aussagen. Bei Bulgakov, Zander und Evdokimov setzt aber gerade bei diesem Erlebnis der christlichen Einheit die Theologie der Ökumene oder die ökumenische Theologie ein. Auf diese Weise wird die ganze ökumenische Fragestellung neu formuliert. So handelt S. B u l g a k o v in seinem Aufsatz „Am Jakobsbrunnen"4 „von der realen Einheit der getrennten Kirchen im Glauben, im Gebet und in den Sakramenten". Die Aufgabe, vor der die Kirche mit ihrer Theologie in der ökumenischen Bewegung steht, sieht er darin, „ . . . die fundamentale geistliche Grundlage der christlichen ,Ökumene' nicht nur als eine Idee, sondern als eine bereits vorhandene gnadenvolle Tatsache zu fühlen und zu entdecken"5.

Ähnlich formuliert auch P. E v d o k i m o v Ökumene:

das theologische Problem der

„Schon seit langer Zeit ist die ökumenische Bewegung eine Tatsache des Lebens, des Lebens der Kirche. Aber diese Tatsache hat noch nicht von dem dogmatischen Belogische Begründung der Ekklesiologie tritt in den ökumenischen Arbeiten Bulgakovs nicht in Erscheinung, wohl aber seine damit verbundene dogmatische Vertiefung des2 Kirchenbegriffs. Z a n d e r ist nicht so sehr Theologe als Philosoph. Er steht in der Reihe der russischen Laientheologie, aus der ja auch B u l g a k o v hervorgegangen ist. 3 Lausanne, Amtl. dt. Bericht, S. 442; vgl. auch Edinburgh-Bericht S. 254. Man könnte noch viele ähnliche Äußerungen zitieren, bes. aus der Frühzeit der ö k u m e n i schen Bewegung. 1 S. B u l g a k o v , A m Jakobsbrunnen (russ.), in: Christliche Wiedervereinigung, Paris 1933, S. 9—32 (engl.: By Jacob's Well, i n : The Journal of the Fellowship of St. Alban and St. Sergius Nr. 22, 1933). 5 A . a . O . S. 13.

258

wußtsein eine Rüstung erhalten. Es ist wohl an der Zeit, dieses Problem aufzuwerfen und, da unsere Einstellung nicht die eines außenstehenden Zuschauers ist, sondern da wir im Gegenteil von innen her total engagiert sind, ist es richtiger, wenn wir nicht von einem Problem sprechen, sondern von dem ökumenischen Mysterium. Von der Tatsache des Lebens gilt es zurüdczufragen, um diese Tatsache bewußt zu machen und vor allem, um zu versuchen, die theologische Kategorie der ökumenischen Beziehungen zu bestimmen und die genaue Natur der ökumenischen Gemeinschaft zu präzisieren."· Ebenso fragt Z a n d e r , ob denn Ökumene überhaupt möglich sei oder ob es sich dabei nur um eine Idee oder eine fromme Illusion handele, die an der rauhen Wirklichkeit der bestehenden Differenzen scheitern muß. Er beantwortet diese Frage damit, daß die Ökumene eine wirkliche und lebendige Erfahrung ist. „Die einzige richtige Antwort auf die Frage nach der Möglichkeit von Ökumene kann nur die ökumenische Bewegung selbst geben. Denn sie ist nicht nur ein Verstandesproblem, sondern eine lebendige Tatsache."7 Der Durchbruch zu dieser existentiellen ökumenisdien Theologie kann am besten in einigen früheren Arbeiten Bulgakovs verfolgt werden 8 , in denen methodisch und sachlich genauso wie von den übrigen ostkirchlichen Theologen das Problem der Zertrennung behandelt wird. Es geht also dabei um das Verhältnis von Orthodoxie und Heterodoxie sowie um die theologische Bedeutung der kanonischen Grenzen der Kirche. Bulgakov hält durchaus an der Gültigkeit dieser Grenzen fest, die den Irrtum von der Wahrheit trennen und als Teil der kirchlichen Disziplin f ü r die Glieder der Kirchengemeinschaft verbindlich sind. Ein wichtiger Untersdiied liegt jedoch bereits in seiner ekklesiologisdien Voraussetzung, nach der das Wesen der Kirche sich nicht in der immanenten hierardiisdi-kanonischen Organisation erschöpft. Damit hat Bulgakov die Möglichkeit, den Bereich „extra ecclesiam" auch positiv dogmatisch zu erfassen. Er kann vor allem zahlreiche neutestamentliche Aussagen aufnehmen, die sonst einfach übergangen werden. Bulgakov zeigt nun, d a ß die Grenzen der Kirche weder dogmatisch noch kirchenreditlich ohne weiteres festgelegt werden können. Auf den ersten Blick scheinen z w a r Kirche und Nicht-Kirche klar voneinander getrennt zu sein, wenn man unter der Nicht-Kirche die heidnische Welt versteht. Indessen macht schon das Neue Testament auch im Heidentum einen Unterschied zwischen denen, die völlig verstockt sind (Rom. 1, 22 ff.), und „denen, die das Gute t u n " (Rom. 2, 10; vgl. Apg. 10, 34 f.). Außerdem kann auch auf den bei den Vätern vorkommenden Begriff der „Christen vor Christus" verwiesen werden®. Selbst wenn hier • P. E v d o k i m o f , Notes pr61iminaires pour une thdologie cecumdnique, in: Fol et Vie 1947, Nr. 6, S. 541—570, S. 541 (vgl. a. L'Orthodoxie, 1959, bes. S. 334ff.). 7 L . A . Z a n d e r , Einheit ohne Vereinigung, Stuttgart 1959 (engl.: Vision and Action, London 1952), S. 17 f., vgl. auch S. 291 f. 8 Siehe Anm. 1 und: Skizzen zur Lehre von der Kirche, 3. Kirche und „Heterodoxie" (russ.), in: Putj Nr. 4, 1926, S. 3—26. 9 Kirche und Heterodoxie, S. 3. 259

nodi keine positiven dogmatischen Aussagen gemacht werden können, so wird sowohl von der Schrift wie auch von der Tradition bezeugt, daß es auch außerhalb der räumlich-zeitlichen Einheit der Kirche eine Gemeinschaft mit Christus und ein Leben unter der Gnade gibt. Wesentlich schwieriger ist es aber, das Verhältnis zwisdien Kirche und H ä r e sie bzw. Schisma zu bestimmen. Mit aller Schärfe wendet sich Bulgakov gegen eine „geometrische Simplifikation" und gegen den „juridischen Formalismus" 1 0 , durch die mit einer legalistischen Interpretation der kirchlichen Kanones das „außerkirchliche" Christentum mit den nichtchristlichen Religionen auf eine Stufe gestellt wird, ohne daß man einen Unterschied macht zwischen einem getauften Häretiker und einem ungetauften Heiden. Dies widerspricht dem Wesen der Kirche und auch der kanonischen Praxis der Kirche. Der Ausschluß von Häretikern und Schismatikern stützt sich auf das Herrengebot Mt. 18, 17, die Ungehorsamen aus der Kirchengemeinschaft auszuschließen und sie „als Heiden und Zöllner zu halten". Doch dieses „als", so meint Bulgakov, gilt lediglich f ü r das „praktische Verhalten zu den Verstockten", identifiziert sie aber nicht mit den Heiden. Im Unterschied zu den Heiden sind die Abgefallenen und Ausgestoßenen schon vom Licht Christi bestrahlt worden, und daher gehören sie auch zur Christenheit 1 1 . Häresie und Schisma stehen also immer in einer bestimmten Relation zur Kirche, ja sie gehören sogar offensichtlich seit der Zeit des Neuen Testaments zur Erscheinung der Kirche. Spannungen bei der Erkenntnis der christlichen W a h r heit hat es zu allen Zeiten in der Kirche gegeben, und sie sind nicht nur negativ als Ausdruck des Ungehorsams und der Auflehnung zu verstehen, sondern auch positiv als Zeichen der christlichen Freiheit und des Eifers um die Wahrheit. Wenn nun durdi ein offizielles Urteil der zuständigen kirchlichen Autorität einzelne oder ganze Gruppen aus der Kirchengemeinschaft ausgeschlossen werden, so wird dadurch das kirchliche Leben bis in seine Tiefen erschüttert. Die Glaubensgemeinschaft wird zerbrochen, und nach den kanonischen Bestimmungen wird damit die Sakramentsgemeinschaft, die Gebetsgemeinschaft und sogar die Lebensgemeinschaft aufgehoben. Bulgakov zeigt keineswegs die Absicht, diese kanonischen Bestimmungen in ihrer grundsätzlichen Bedeutung innerhalb der kirchlichen Disziplin abzuschwächen. Sie dürfen auf keinen Fall aus Ignoranz oder Leichtfertigkeit übertreten werden. Denn ihre Funktion im Leben der Kirche besteht gerade darin, die Wahrheit der Kirche zu sichern und zu schützen. Indessen zeigt die kirchliche Praxis in der Anwendung dieser Bestimmung keine Einheitlichkeit, und Bulgakov versucht nun, diesen Sachverhalt dogmatisch zu deuten. Dabei zieht er folgende Konsequenzen: 1. Es gibt „Stufen" in der Entfernung der verschiedenen heterodoxen Gemeinschaften von der Kirche 12 . 10 11 12

260

A.a.O. S. 9 und 10. A.a.O. S.4. A.a.O. S. 8.

2. Der Begriff und die Bestimmung der kirchlichen Einheit ist nodi nicht genau festgelegt, und die Grenzen der Kirche sind noch nicht dogmatisch definiert. Darum ist hier „größte Vorsicht" geboten 13 . 3. „Es besteht eine gewisse äußere Zone der Kirche, die sich schon außerhalb der Grenzen ihrer Schutzmauer befindet. Es gibt ein kirchliches Band, das nicht mit der Einheit der kirchlichen Organisation zusammenfällt: der Leib der Kirche deckt sich nicht mit seinen äußeren Konturen, sondern hat noch eine Peripherie; die sichtbare Kirche umschließt nodi die unsichtbare Kirche — nicht nur jenseits der Grenzen dieser Welt, sondern auch in dieser Welt, und mit dieser verborgenen, potentiellen Kirchlichkeit steht sie zu jeder Zeit so oder anders in Zusammenhang. Daraus folgt, daß es eine ecclesia extra ecclesiam, genauer: extra muros gibt. Diesen unwiderlegbaren kanonischen Tatbestand gilt es dogmatisch zu durchdenken." 14

Der Begriff der „Kirchlichkeit" — vermutlich von P. F l o r e n s k i j übernommen 15 — erhält in der ökumenischen Theologie Bulgakovs eine besondere ekklesiologische Bedeutung. Er kennzeichnet nicht nur die formelle Zugehörigkeit zur christlichen Welt, sondern vor allem die Tatsache, daß der mystische Leib der Kirche umfassender ist, als die kanonischen Grenzen der Kirchengemeinschaft es sind. So bildet dieser Begriff in der Terminologie Bulgakovs gleichsam ein dogmatisches Korrektiv des kirchlichen Institutionalismus, der mit seinem Absolutheitsanspruch die „unmittelbar augenfällige Tatsache" außer acht läßt, „daß es Kirche auch außerhalb und über der kirchlichen Zertrennung gibt: ,Denn wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin idi mitten unter ihnen' (Mt. 18, 2 0 ) " " .

Wie Bulgakov bei der Definition der Kirche nicht mehr pragmatisch von der eigenen Kirchengemeinschaft ausgeht, so beurteilt er auch die „Heterodoxie" nicht mehr ausschließlich unter dem kirdienrechtlidi-dogmatisdien Aspekt der kanonischen Grenzen. Mit dem Begriff „Kirchlichkeit" wird die Absolutheit der sichtbaren Kirchengemeinschaft in einem gewissen Sinne relativiert. Diese „Relativität in der Idee der Kirchlichkeit" 17 führt zu einer gänzlich neuen Bestimmung des Verhältnisses von Orthodoxie und Heterodoxie, weil die „Kirche" mit der cyprianischen Formel „extra ecclesiam nulla salus" nicht mit der Kirchengemeinschaft identifiziert wird, wie es beim ekklesiologischen Ansatz der Schuldogmatik der Fall war, sondern Kirdie ist Leib Christi und die Gnade des Heiligen Geistes 18 . Damit ist audi das „Heil" außerhalb der kanonischen Grenzen nicht nur eine unbestimmbare Möglichkeit, sondern eine Wirklichkeit A.a.O. S. 10. " A.a.O. S. 10; vgl. auch S. 23ff. 15 Im Russischen: „cerkovnostj". Bei P. F l o r e n s k i j , Der Pfeiler und die Grundfeste der Wahrheit (russ.), Moskau 1914, S. 6, Vgl. auch Z a n d e r , Einheit ohne Vereinigung, S. 287. 17 A.a.O. S. lOf. " Am Jakobsbrunnen, S. 9. 18 F l o r o v s k i j , der von derselben ekklesiologischen Voraussetzung ausgeht und sich an verschiedenen Stellen auf Bulgakov beruft, vermeidet es, die sich hier ergebenden Konsequenzen zu ziehen. Er bleibt ebenso wie auch A f a n a s j e v b e i einer Frage stehen (s. o. S. 206ff.). 13

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Diese Wirklichkeit findet ihren sichtbaren Ausdruck darin, daß audi während der Zertrennung der Kirdien die Einheit nicht vollständig vernichtet ist: Es gibt noch eine „bestehende Einheit", die wesentlich umfassender ist als die einzelnen Punkte, in denen die Kirchen getrennt sind. Da ist zunächst die Einheit des Gebets. Selbst wo strenge kanonische Bestimmungen, die ohnehin heute praktisch ihren Sinn verloren haben19, eine Gebetsgemeinschaft verbieten, bleibt die Tatsache bestehen, daß alle Christen zu dem Einen Gott und Heiland beten, daß sie vereint sind im Gebet des Herrn im Lobpreis des Dreieinigen Gottes, ja daß sie alle den Namen Christi tragen20. Dann besteht auch noch eine tiefgehende Einheit im Wort Gottes21. Das Lesen und Hören des Wortes Gottes in der Heiligen Schrift ist nicht nur ein intellektueller Vorgang, sondern hier vollzieht sich das „Sakrament des Wortes". Und schließlich besteht auch noch die Einheit im geistlichen Leben, d. h. in der Nachfolge Christi, die der Weg zur Vereinigung mit Christus ist. Auch hier kann Bulgakov von einem „Sakrament des geistlichen Lebens" sprechen22. Bulgakov — und im Anschluß an ihn auch Zander — beschreibt ausführlich die verschiedenen Gestalten der noch bestehenden Einheit, und damit zeigt er, daß die Zertrennung zwischen den Kirchen in keinem Fall als eine absolute Trennung von der Kirche angesehen werden kann. Zwischen den Kirchen besteht noch eine Gemeinschaft im Gemeinsamen, aber vor allem besteht die Einheit im Bekenntnis zu Christus, in seiner Nachfolge, wenn auch auf getrennten Wegen: „Wenn wir unsere Augen gen Himmel richten, dann hören die irdischen Grenzen für uns auf zu bestehen."23 Diese „bestehende Einheit" hat in der ökumenischen Theologie Bulgakovs eine fundamentale Bedeutung. Denn das Problem der Zertrennung konzentriert sich bei ihm nun nicht mehr auf Sakramentsgemeinschaft und die damit verbundene kirchenrechtliche Praxis. Dies wirkt audi auf die Bestimmung und Bewertung der kirchlichen Lehreinheit. Das Ineinander von Konsensus und Dissensus kann nicht durch ein kirchliches Anathema aufgelöst werden. Eine scharfe Grenzziehung zwischen Orthodoxie und Heterodoxie kann nur vom kirchlichen Institutionalismus und von der mit diesem verbundenen praktischen Ausrichtung der dogmatischen Aussagen her begründet werden; dogmatisch jedoch ist dies nicht möglich: „Disziplinarisch ist das A n a t h e m a für eine bestimmte Kirdiengemeinsdiaft Todesstrafe und der Aussdiluß aus d e r kirchlichen Gemeinschaft. Indessen k a n n d a r f diese disziplinarische M a ß n a h m e nicht a u f das gesamte kirchliche Sein gedehnt w e r d e n . D e n n — und d a s muß mit aller Bestimmtheit gesagt werden —

eine und ausaudi

Am Jakobsbrunnen, S. 14 f. A.a.O. S. 15. 21 A.a.O. S. 17. 22 A.a.O. S. 19; vgl. zum Ganzen auch: Kirche und Heterodoxie, S. 24ff., und: Zander, Einheit ohne Vereinigung, S. 194ff. 23 Am Jakobsbrunnen, S. 16. M

20

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die Häretiker befinden sidi in der Kirdie, und uns ist es nicht gegeben zu wissen, inwieweit ihre Häresie für sie zum Verderben wird. Daraus folgt, daß, wenn die Häresie nur eine partielle Störung ist, auch in unserer Beziehung zu den Häretikern und Andersdenkenden nicht nur das von Bedeutung sein sollte, was bei ihnen häretisch ist, sondern auch das, was orthodox ist und worin sie auch weiterhin in der Kirche bleiben."24 Unter der Voraussetzung, daß audi die außerhalb der östlichen Kirchengemeinschaft stehenden Konfessionen „Kirdie" sind, erscheint nun audi bei Bulgakov das Problem der heterodoxen Sakramente in einem neuen Licht. Die aus dem cyprianischen Prinzip abgeleitete These, d a ß Sakramente „extra ecclesiam" prinzipiell unwirksam sind und nur unter bestimmten formalen Bedingungen bei der A u f n a h m e in die Kirdie als wirksam anerkannt werden können, wird von Bulgakov aufgegeben. Er geht dabei von der Frage aus, ob Sakramente, die kanonisch f ü r unwirksam erklärt werden, damit auch charismatisch bzw. mystisch unwirksam sind. Die Frage wird verneint; denn durdi das kirchenrechtliche Urteil über die heterodoxen Sakramente wird lediglich die Möglichkeit einer Sakramentsgemeinschaft ausgeschlossen, d. h. es handelt sich hier um eine schützendes Verbot, das f ü r die Glieder einer bestimmten Kirchengemeinschaft Gültigkeit besitzt. Bulgakov verwendet zur Begründung die Theorie des „ex opere operato" und kommt zu dem Ergebnis, daß durch die jurisdiktionelle Aufhebung der Sakramentsgemeinschaft der eigentliche sakramentale Akt nidit berührt wird 2 5 . Eine weitere Frage ist, inwieweit sich dogmatische Differenzen auf die mystische Wirksamkeit der Sakramente auswirken. Bulgakov stellt diese Frage im Hinblick auf das Fehlen der apostolischen Sukzession in den meisten protestantisdien Kirchen. Grundsätzlich ist auch hier ein sakramentales Leben möglich, da die Taufe kanonisch und dogmatisch von Laien gespendet werden darf 2 6 . Die Taufe aber ist „das Potential aller übrigen Sakramente". Die Frage nach der Gültigkeit und Wirksamkeit der übrigen Sakramente kann vom subjektiven Standpunkt aus mit einem W o r t des Bischofs T h e o p h a n von Tambov (der Klausner, 1815—1894) beantwortet werden: „Nach ihrem Glauben werden sie empfangen." 2 7 Doch auch vom objektiven Standpunkt aus kann man das Abendmahl in den protestantischen Kirchen nicht, wie es aus religiösem Fanatismus bisweilen geschieht, als „Dämonenmahl" bezeichnen 28 . Ein sakramentales Priestertum im kanonischen Sinne besitzen diese Kirchen zwar nidit; doch das schließt nicht aus, d a ß die Gnade Gottes, wenn auch „auf anderen Wegen", in 24

A.a.O. S. 22. A.a.O. S. 25; Kirche und Heterodoxie, S. 13. Am Jakobsbrunnen, S. 26. Bulgakov meint sogar, daß die Christen, in deren Gemeinschaften es keine Sakramente gibt, wie z.B. bei den Quäkern, als getaufte Christen anerkannt werden könnten. Er begründet dies mit dem „baptisma flaminis" (a.a.O. S. 27, Anm.). Vgl. auch hierzu: Kirche und Heterodoxie, S. 11 ff. 27 Am Jakobsbrunnen, S. 27. 28 Ebd. und: Kirche und Heterodoxie, S. 12ff. Zum theologischen Verständnis der apostolischen Sukzession und des Amtsbegriffs vgl. auch oben S. 164ff, eine Anschauung, die erst später von ihm vorgetragen wird. 25 M

263

ihren Sakramenten wirksam ist. Denn der Träger der Sakramentsverwaltung ist nicht nur der Klerus, sondern die ganze Kirche. Das „königliche Priestertum" aller Gläubigen bleibt in den protestantischen Kirchen erhalten, audi wenn man dort aus historischen Gründen auf eine institutionelle Hierarchie und auf die formelle apostolische Sukzession verzichtet hat 29 . Im Verhältnis zu den übrigen Kirchen, die noch eine apostolische Sukzession des Amtes haben, gibt es trotz der dogmatischen Differenzen kein „impedimentum dirimens" bei der Vereinigung. Der Zusammenschluß oder die Interkommunion ist hier ein jurisdiktionelles Problem. „ . . . die Zertrennung der Kirche reicht nicht bis in die Tiefe. In ihrem sakramentalen Leben bleibt die Kirche eine." 30

B. D a s ö k u m e n i s c h e

Paradox

Die Arbeiten Bulgakovs, in denen sich der Durchbruch zu einer ökumenischen Theologie abzeichnet, stehen am Anfang der ökumenischen Bewegung. Die Zeichen der Frühzeit sind in ihnen nicht zu verkennen. Sachlich und methodisch bleibt Bulgakov im Rahmen der traditionellen Auseinandersetzung der ostkirdilidien Theologie mit dem Problem der kirchlichen Zertrennung und Wiedervereinigung, aber er kommt zu einem Ergebnis, das sich grundlegend von dem allgemeinen Standpunkt unterscheidet. Das Erlebnis der Einheit und die dogmatisch-historische Kritik an dem ekklesiologischen Institutionalismus und Positivismus führen ihn zu einer neuen Beurteilung der ökumenischen Problematik, nach der die kirchliche Zertrennung nicht die Folge eines Abfalls von der Kirche ist, sondern die Folge der Geschichtlichkeit, unter der auch die Kirche in ihrer irdischen Wanderschaft steht. Die fundamentale Einheit der Kirche als des Leibes Christi wird nicht berührt von der geschichtlichen Zertrennung, die nur eine relative Bedeutung hat. Diese fundamentale Einheit, die im ökumenischen Erlebnis Wirklichkeit wird, bildet die Grundlage für die geschichtliche Vereinigung der Kirchen — die Gabe der Einheit wird zur Aufgabe der Vereinigung 31 . Dieser Gedanke kann mit einem Zitat aus dem letzten Teil der dogmatischen Trilogie zusammengefaßt werden, in dem Bulgakov das Ergebnis seiner Ekklesiologie formuliert: „Es besteht also eine Ecclesia supra ecclesias, die Una Sancta, als Grundlage multarum ecclesiarum. Es ist offensichtlich, daß diese Idee keinen Raum hat, w o man die Kirche als hierarchische Organisation versteht, die zerteilt sein und miteinander um ihre Realität und ihre Existenzbereditigung streiten könne. Wenn wir aber die relative und pragmatische Bedeutung dieser Trennung erkennen, dann müssen wir sie nicht weniger audi im Lichte jener überempirischen, noumenalen Einheit der Kirche sehen, die in ihrer prophetisch-königlichen Gestalt existiert, die aber audi zur Vereinigung im Bereich des Sakramental-Hierardiischen aufruft." 32 29 32

264

30 31 Ebd. Am Jakobsbrunnen, S. 29. A.a.O. S. 11 und 32. S. B u l g a k o v , Die Braut des Lammes (russ.), Paris 1945, S. 317.

Die Untersuchungsergebnisse Bulgakovs werden von d ο k i m ο ν

Zander

und Ε ν -

weitgehend anerkannt und übernommen, aber beide gehen

methodisch nicht in der von Bulgakov vorgezeichneten Richtung weiter, sondern setzen vielmehr bei dem Begriff des „ökumenischen P a r a d o x " oder der „ökumenischen Antinomie" ein, der auch bei Bulgakov schon erscheint 33 . Dieser Begriff steht in einem engen Zusammenhang mit dem ökumenischen „Erlebnis der Einheit", und er muß daher auch zuerst in seiner subjektiven Bedeutung verstanden werden, an die sich dann die theologischen Überlegungen anschließen. Für Bulgakov folgt die ökumenische Antinomie aus der Erfahrung, daß gerade bei dem Ringen um die Vereinigung der christlichen Kirchen nicht nur die Einheit zu einem Erlebnis wird, sondern daß auch die konfessionellen Gegensätze in eigentümlicher Weise verschärft werden: „Der Weg der ökumenischen Kirchlichkeit, die nach der Einheit der Kirchen sucht, führt gleichzeitig zu einer verschärften Erkenntnis der konfessionellen Untersthiede und auch zu einem zunehmenden Wissen um die Einheit. Die Ökumene an sich ist die Erfahrung dieser Einheit, ihre neue Offenbarung. Aus diesem Ja und Nein, der Thesis und Antithesis, scheint es keinen Ausweg zu geben, der die Antinomie fortnehmen und überwinden könnte, ohne sie einfach aufzuheben oder zu vergewaltigen."34 Doch die ökumenische Bewegung ist gerade vor die Aufgabe gestellt, diese Antinomie, d. h. die Spannung zwischen der fundamentalen Einheit und der empirischen Zertrennung, zu überwinden. Die Gabe der Einheit in der ökumenischen Erfahrung stellt die Kirchen vor die Aufgabe der geschichtlichen Vereinigung: „Diese Antinomie kann den Menschen nicht in ruhiger Gleichgültigkeit lassen, sondern sie sucht nadi einer Lösung. Die ökumenische Bewegung unserer Zeit ist für uns der Ausdruck dieses Suchens."35 Bulgakov erhofft eine geschichtliche Vereinigung der Kirchen als Verwirklichung der fundamentalen Einheit und Lösung der Antinomie. Bei Evdokimov und Zander dagegen hat das ökumenische P a r a d o x eine grundsätzliche Bedeutung. Es ist nicht nur eine vorübergehende Erscheinung, sondern das Wesen der ökumenischen Einheit, und so steht am Ende ihrer ökumenischen Theologie nicht die Lösung der Antinomie, sondern im Grunde der Verzicht auf eine geschichtliche Vereinigung der Kirchen. D e r Widerspruch, in dem das E r lebnis der Einheit zu der geschichtlichen Erscheinungsform der Kirchen steht, läßt sich nicht überwinden, ohne daß damit die Existenz der geschichtlichen K i r chengemeinschaft aufgehoben wird. Daher formuliert Evdokimov das ökumenische P a r a d o x mit folgenden W o r t e n : „Die ökumenische Wirklichkeit stellt uns ständig vor Paradoxe, vor Grenzsituationen, in denen die Logik überschritten wird — vor Situationen, die sich an höhere Prinzipien wenden. 83 34 35

Vgl. auch die Verwendung dieses Begriffs bei F l o r o v s k i j , s . o . S. 208f. Am Jakobsbrunnen, S. 12. A . a . O . S. 32. 265

Durch seine Bestimmungen und Kanones umgrenzt und entwirft uns das dogmatische Bewußtsein der Kirche die uns so bekannte unsichtbare Gestalt unserer Kirche; und ohne daß irgend etwas in diesen Zügen umstürzt oder sich verändert, wird uns gleichzeitig eine andere Erfahrung, eine andere Evidenz gegeben, die wir gleichfalls nicht negieren können, ohne damit etwas von uns selbst, ohne etwas von der Wahrheit und von der Fülle unserer eigenen Kirche zu negieren." 3 8

Zander schließt sich den Ausführungen Evdokimovs unmittelbar an: „Der theoretisch urteilenden Vernunft muß die Ökumene undenkbar und unmöglich erscheinen — nicht nur, weil sie eine Antinomie enthält, sondern auch, weil sie geradezu ein Paradox i s t . . . Ökumene ist ein unaufhörliches Wunder, ein unaufhörliches Überschreiten der logischen Kategorien, eine unaufhörliche Erfüllung des kirchlichen Lebens mit neuem, unerwartetem Inhalt. Doch darf man daraus folgern, daß die Tatsache der Ökumene nun auch die Logik des dogmatischen Denkens aufhebt? Keinesfalls! Denn das bedeutete den völligen Zusammenbruch des Kirchentums, die Ablehnung des Dogmas, die Loslösung von der Tradition; es wäre völliges Chaos und Durcheinander, aus dem dann schließlich eine neue Sekte hervorginge, ein ökumenischer christlicher Synkretismus." 37

Der Begriff des ökumenischen Paradox ist nur sehr schwer bestimmbar. Denn in ihm verbindet sich der persönliche Konflikt, der auch bei Bulgakov angedeutet ist, mit einem theologischen — oder besser: ekklesiologischen Problem. Die theologischen Aussagen gehen daher auch oft in die Form eines persönlichen Bekenntnisses über, und damit sind hier der dogmatischen Analyse Grenzen gesetzt, die ernst genommen werden müssen. Dieses persönliche Bekenntnis kommt bereits in der dankbaren Anerkennung der Tatsache zum Ausdruck, daß in der ökumenischen Begegnung der getrennten Kirchen eine Einheit Wirklichkeit wird, die nach den dogmatischen und kanonischen Normen der Kirchen „logisch" unmöglich ist. Die daraus folgende Aufgabe ist zunächst ebenfalls als ein ganz existentielles Anliegen zu verstehen. Man kann es in der Frage formulieren: Wie kann ich denen, die nach den dogmatischen und kanonischen Bestimmungen meiner eigenen Kirche Heterodoxe, Schismatiker und Häretiker sind, in christlicher Gemeinschaft begegnen, ohne den Gehorsam und die Treue gegenüber meiner eigenen Kirche, ihrer Tradition und ihrer Ordnung zu verletzen? Diese Frage muß in allen folgenden theologischen Überlegungen mitlöst werden? Sowohl unter dem existentiellen Aspekt wie auch unter seinem theologischen Aspekt folgt bei Evdokimov und Zander das ökumenische Paradox aus der Unvereinbarkeit der ökumenischen Gemeinschaft mit der Kirchengemeinschaft. Es enthüllt die Feststellung der Tatsache, daß in der geschichtlichen Entwicklung der ökumenischen Bewegung die kühnen Hoffnungen, die man anfangs hegte, nicht erfüllt worden sind, sondern daß gerade für die Ostkirche die trennenden Unterschiede immer deutlicher und schärfer hervortraten 3 8 . Man kann in diesem E v d o k i m o v , Notes prdliminaires . . ., S. 542. Z a n d e r , Einheit ohne Vereinigung, S. 44 und 45f. 38 Von Z a n d e r wird dies immer wieder betont. Vgl. a.a.O. S. 17f., 58, 299f., 309f. u. ö. 38 37

266

Verständnis des ökumenischen Paradox eine Resignation sehen; doch wenn man die großen Schwierigkeiten aller Art in Rechnung stellt, mit denen gerade die ostkirchlichen Theologen bei ihrer ökumenischen Arbeit zu kämpfen haben, dann ist dies im Grunde ein ganz realistisches Verständnis. Als theologisches Problem kann das ökumenische Paradox in folgender Frage zusammengefaßt werden: Welches sind die theologischen Kategorien für die Einheit, die in der ökumenischen Begegnung zum geistlichen Erlebnis wird, deren Verwirklichung in einer sichtbaren Kirchen- und Sakramentsgemeinschaft jedodi nicht möglich zu sein scheint, ohne daß die für das kirchliche Leben innerhalb der Kirchengemeinschaft unabdingbaren Normen und Ordnungen aufgelöst werden? Diese Frage wird nicht, wie es bei Bulgakov der Fall ist, durch eine Überwindung des ökumenischen Paradox beantwortet, sondern durch eine Beschreibung des empirischen Sachverhalts in theologischen Kategorien. Zander und Evdokimov verfahren dabei in ähnlicher Weise, indem sie das ökumenische Paradox als den Schnittpunkt zwischen zwei Ebenen verstehen, nämlich zwischen der Ebene der Geschichte und der Ebene der Eschatologie. Aus der Konfrontation dieser beiden Ebenen werden die „Grundkategorien des ökumenischen Denkens" 39 abgeleitet. Die Differenzierung zwischen Geschichte und Eschatologie wird nun auf die verschiedenen theologischen und kirchlichen Problemkreise angewandt, aber die Intention ist dabei stets auf das Problem der Ekklesiologie gerichtet. Die Lehre von der Kirche erscheint so einmal unter dem Aspekt der Geschichte und dann unter dem Aspekt der Eschatologie. Die Bestimmung und das Verständnis der Kirche in ihrer geschichtlichen Einheit entspricht vollkommen dem Kirchenbegriff der Sdiuldogmatik, d. h. dem ekklesiologischen Positivismus und Institutionalismus. Dies wird von Zander ausdrücklich hervorgehoben, wenn er meint: „Üblicherweise versteht man ja die Ekklesiologie nicht als Ontologie der Kirche (Kirdie als Leib Christi, als Braut oder Gemahlin des Lammes), sondern als die Lehre von ihrer sakramental-kanonischen Struktur und ihren Funktionen . . . Ihr Gegenstand ist allein jene Realität, die mit einer umgrenzten konkreten Organisation verbunden und bestimmten Normen unterworfen ist, wo sie ihren festen Lebenskreis hat." 4 0

Doch dieser ekklesiologisdie Positivismus ist weniger dogmatisch begründet, sondern entspringt eher einem rein pragmatischen Verständnis der Kirche und ihres Anspruchs, mit dem sie gegenüber ihren Gliedern und gegenüber allen anderen von ihr getrennten kirchlichen Gemeinschaften auftritt. Zunächst ist die geschichtliche Kirdiengemeinschaft der Ort und der Raum, in dem der einzelne als Christ lebt und glaubt; sie ist „die Erfahrung der Quelle, die uns nährt" 4 1 . Diese Bindung an die empirische Kirdiengemeinsdiaft berührt die tiefsten und 38 10 41

Zander, a.a.O. S. 52. A.a.O. S. 56, vgl. auch S. 13. E v d o k i m o v , a.a.O. S. 542. 267

innersten Schichten der menschlichen Existenz, und sie kann nicht mit den Begriffen „Loyalität" oder „Gehorsam" ausgedrückt werden; denn beides ist nur eine Folge dieser Bindung. Die Bindung an die. empirische Kirchengemeinsdiaft und ihre Normen und Ordnungen ist im Grunde die Bindung an das Wort Gottes, das hier in der Fülle seiner geistlichen Wirklichkeit begegnet. Die Gestalt dieser empirischen Kirchengemeinschaft besitzt nicht nur durch ihren Anspruch, sondern auch im Bewußtsein ihrer Glieder eine absolute, unveränderliche Gültigkeit. Dies zeigt sich vor allem in der Begegnung mit der Heterodoxie. Weder Evdokimov nodi Zander versuchen, die Verbindlichkeit der kanonischen Bestimmungen aufzuheben, die jede Gemeinschaft zwischen Orthodoxie und Heterodoxie, zwischen Kirche und „Nicht-Kirche" streng verbieten und mit der Strafe der Exkommunikation belegen. Denn im geschichtlichen Bereich entspricht die kanonische Grenze der Kirche gegenüber der Heterodoxie einer konsequenten Logik. „Im geschichtlichen Bereich der Kirche ist keine kirchliche Gemeinschaft mit denen möglich, die sich außerhalb der Kirche befinden. Die Kanones aus dem 4. und 5. Jahrhundert haben bis heute Gesetzeskraft und stellen jedes gemeinsame Gebet mit NichtOrthodoxen unter die Strafe der Exkommunikation." 42

Dasselbe gilt von der kirchlichen Lehre, die ebenfalls absolute Verbindlichkeit für alle Glieder der Kirche besitzt und gegenüber der Heterodoxie durch dogmatische Definitionen abgegrenzt ist. Jeder dogmatische, liturgische und kirchenrechtliche Unterschied hat hier kirchentrennende Bedeutung; er stört die Harmonie des kirchlichen Lebens in der geschichtlichen Kirchengemeinschaft43. „Auf der historischen Ebene der Kirche hat auch ein gewisser Fanatismus seine Berechtigung. Frei von jedem H a ß ist er das Zeichen für die totale Treue gegenüber der Wahrheit, deren angemessenster Ausdrude die Kirche mit ihrem dogmatischen Bewußtsein i s t . . . Hier erhält die eindeutige Grenzziehung zwischen Orthodoxie und Heterodoxie ihre volle Gültigkeit. Jeder Pragmatismus und Relativismus ist gänzlich ausgeschlossen . . . Keinerlei Konfusion zwischen der Wahrheit und der Lüge wird geduldet. Es handelt sich um die reine Wahrheit, um die volle Wahrheit, die dem Menschen zugänglich ist in ihrer absoluten Form und die er nur in seiner Kirche findet."44

Während Bulgakov in seinen dogmatischen Erwägungen zu einer gewissen „Relativität in der Idee der Kirchlichkeit" kam 45 , wird hier der Absolutheitsanspruch der Kirche im geschichtlichen Bereich fast noch schärfer hervorgehoben, als es in der Schuldogmatik der Fall ist. Denn gerade in diesem Absolutheitsanspruch bridit der Skandal der christlichen Zertrennung auf. Jedes Kompromiß und jede Relativierung würde zu einer Auflösung der empirischen Kirchengemeinsdiaft führen, und diese praktische Erfahrung verbietet und hindert das Uberschreiten der zwischen den Kirchen bestehenden Grenzen 46 . 42

A.a.O. S. 547; vgl. Z a n d e r , a.a.O. S. 44. E v d o k i m o v , a.a.O. S. 546. 44 Ebd. 46 Siehe oben S. 261. 4 ' E v d o k i m o v , a.a.O. S. 550. 43

268

„Uberschreitet man die Grenze des Erlaubten, so verleugnet man damit nicht nur seine Verpflichtung gegenüber der eigenen Kirche, sondern überhaupt die Existenz der eigenen Kirche."47

Die Hoffnung auf eine Überwindung der kirchlichen Zertrennung in der ö k u menischen Bewegung scheitert immer wieder an der „Starrheit der konfessionellen Rahmen", wie Zander sagt, und dies ist die Erfahrung einer langjährigen Arbeit und entsagungsvoller Bemühungen um die Vereinigung der Kirchen. Diese bittere Enttäuschung gehört zu dem ökumenischen Paradox, und wer sie noch nicht empfunden hat, der ist noch nicht bis zur Tiefe der Ökumene vorgedrungen 48 . Trotz der Unmöglichkeit einer geschichtlichen Vereinigung der Kirchen bleibt die in der ökumenischen Begegnung erlebte Einheit eine Wirklichkeit, der sich die Kirchen nicht entziehen können. Doch die Erfahrung der Einheit in der Ökumene, die nicht mit dem Absolutheitsanspruch der geschichtlichen Kirchengemeinschaft vereinbar ist, steht auf einer anderen Ebene. Sie gehört in den Bereich der Eschatologie. Diese eigenartige Differenzierung zwischen Geschichte und Eschatologie erscheint vom theologischen Standpunkt aus problematisch. Man kann sie nur von dem Kirchenbegriff der Sdiuldogmatik her verstehen, in dem der eschatologische Aspekt der Kirche und ihrer empirischen Grenzen nur sehr wenig berücksichtigt wird. Tatsächlich zeigt nun auch die theologische Bestimmung der ökumenischen Einheit, daß hier genau diejenigen ekklesiologisdien Momente aufgegriffen werden, die in der Ekklesiologie der Sdiuldogmatik fehlen. Wenn also die Unvereinbarkeit der ökumenischen Einheit mit der geschichtlichen Einheit in der Kirchengemeinschaft als ein Paradox empfunden wird, so hat dies seinen Grund darin, daß offensichtlich in der kirchlichen Lehre und Praxis die Kategorien fehlen, um die hier hervortretende Diskrepanz zwischen den kanonischen und den charismatischen Grenzen der Kirche dogmatisch zu erfassen und praktisch zu verwirklichen. Diese Aporie ist sicher nicht nur auf die ostkirchliche Theologie beschränkt, aber hier wird sie besonders stark empfunden 49 . Das eschatologische Verständnis der ökumenischen Einheit ist begrifflich kaum zu erfassen; es kann eigentlich nur beschrieben werden. Ganz allgemein kennzeichnet es den Widerspruch oder sogar die Durchbrechung des geschichtlichen Kirchenbegriffs und Kirchenbewußtseins. Es enthält gleichsam die Negation des kirchlichen Absolutheitsanspruchs, ohne diesen jedoch in Wirklichkeit aufzuheben. Während auf der geschichtlichen Ebene Kirche und Heterodoxie einander ausschließen und unvereinbar sind, scheint auf der esdiatologisdien Ebene, " Z a n d e r , a.a.O. S. 128. 48 A . a . O . S. 129. 49 Auf diese Diskrepanz hat auch A f a n a s j e v hingewiesen (s. o. S. 256), und sie erscheint auch in den zahlreichen undogmatischen Aussagen, nach denen die Gliedschaft in der Kirche umfassender ist als die Gliedschaft in der kanonisch umgrenzten Kirchengemeinschaft (s. o. S. 187 ff.).

269

d. h. in der ökumenischen Erfahrung, diese Ausschließlichkeit und Unvereinbarkeit aufgehoben zu sein. „Die ökumenische Erfahrung erscheint auf den ersten Blick als die Negation der Kirche, denn sie setzt uns — so scheint es — über die Differenzierung zwischen der Kirche und der Nicht-Kirche, zwischen Orthodoxie und Heterodoxie."50

Was auf der geschichtlichen Ebene niemals relativiert werden darf und kann, nämlich die dogmatischen und kanonischen Normen mit ihrer absoluten Verbindlichkeit, erscheint unter dem Aspekt der Eschatologie als historische Individualisation, als Brechung der Offenbarung in dem Prisma der Geschichtlichkeit. Die Struktur der dogmatischen Aussage und der Kirchenordnung wird auf der eschatologischen Ebene in ihrer Absolutheit relativiert durch die geschichtliche und psychologische Bedingtheit menschlicher Erkenntnis 51 . Schließlich erfährt auch der Absolutheitsansprudi der empirischen Kirchengemeinschaft, der in dem cyprianischen Prinzip „extra ecclesiam nulla salus" formuliert wird, auf der eschatologischen Ebene seine Begrenzung: „Dieselbe Fülle, die versichert: kein Heil außerhalb der Kirche, die energisch jede minimalistische und sentimentale Amalgamierung zurückweist und die Tür vor allem verschließt, was nicht orthodox ist — dieselbe Fülle macht die Selbstgefälligkeit im eigenen Reichtum unmöglich und treibt befehlend zu einer anderen Ebene hin, wo die Kanones eine andere Bedeutung annehmen . . ."52

Die historischen und logischen Kategorien lassen sich nicht auf das anwenden, was seinem Wesen nach „metahistorisch" und „metalogisch" ist, und dazu gehört auch das Erlebnis der Einheit in der ökumenischen Gemeinschaft53. Daß hier, obwohl dies niemals ausdrücklich gesagt wird und vielleicht audi nicht bewußt ist, theologisch eine Ergänzung oder Erweiterung des Kirchenbegriffs der Schuldogmatik vorliegt, wird in den von Zander formulierten Grundkategorien des ökumenischen Denkens deutlich: Neben die Geschichte tritt die Eschatologie, neben die Ekklesiologie tritt die Mystik, neben das priesterliche Amt das prophetische 54 . Eschatologie, Mystik und prophetisches Amt sind dabei die Begriffe für das freie Wirken des Geistes und der göttlichen Gnade, die sich den immanenten Kategorien entziehen und sie durchbrechen, ohne sie jedoch aufzuheben. Die ökumenische Einheit ist eine pneumatisdie Gemeinschaft, ein geistliches Ereignis im Leben der Kirche. Die theologischen und kirchlichen Differenzen werden hier irrelevant. Dies wird besonders augenfällig darin, daß sowohl Evdokimov wie auch Zander meinen, daß die kirchlichen Würdenträger 50

E v d o k i m o v , a.a.O. S. 542. A . a . O . S. 548ff.; Z a n d e r , a.a.O. S. 174ff. u. ö. 52 E v d o k i m o v , a.a.O. S. 552f. 63 E v d o k i m o v , a.a.O. S. 551 und 553, Anm. 10. 64 Z a n d e r , a.a.O. S. 52, 56, 60. Als viertes Begriffspaar erscheint die Gegenüberstellung von Christologie und Pneumatologie, auf die wir jedoch nicht eingehen, da sie nicht mehr in den Bereich der Ekklesiologie fällt und theologisch — auch für Zander —· problematisch ist. 51

270

in der ökumenischen Gemeinschaft zwar als offizielle Delegierte ihrer Kirchen auftreten, doch ohne ihre kirchliche Funktion auszuüben. Sie werden hier mit einem prophetischen Charisma bekleidet, das völlig unabhängig von ihrem hierarchischen Rang ist 55 . Man könnte noch zahlreiche weitere Beispiele anführen, in denen deutlich wird, wie die faktische Durchbrechung der empirischen kirchlichen Ordnung in der ökumenischen Gemeinschaft von der Eschatologie her begründet wird und wie damit gleichzeitig der Kirchenbegriff der Schuldogmatik indirekt — und wahrscheinlich auch ungewollt — kritisch erweitert wird. Theologisch ist diese eigentümliche Gegenüberstellung der geschichtlichen und der eschatologischen Ebene problematisch. Bis zu einem gewissen Grade wird sie jedoch verständlich, wenn man einerseits die praktischen und andrerseits die dogmatischen Konsequenzen berücksichtigt, zu denen sie führt. Vom praktischen Standpunkt aus erweist sich diese Differenzierung zwischen Geschichte und Eschatologie als die einzige Möglichkeit für die ökumenische Gemeinschaft. Denn die Relativierung des pragmatisch-positivistischen Kirchenbegriffs und des kirchlichen Selbstbewußtseins wird hier ausgeschlossen. Dogmatisch jedoch wird gerade mit dieser Differenzierung gezeigt, daß die kirchliche Einheit umfassender ist als die geschichtliche Kirchengemeinschaft mit ihrer hierarchisch-sakramentalen Organisation. Daher wird auch ausdrücklich hervorgehoben, daß die Kirche in ihrer Fülle auch in der Geschichte nicht nur die Erfahrung der Kirche in der eigenen Kirchengemeinschaft umschließt, sondern auch die Erfahrung der Einheit in der Ökumene, die unter dem Aspekt der Eschatologie steht: „Wenn wir behaupten, daß die E r f a h r u n g der Kirche in d e n Bereich der geschichtlichen Ebene gehört und die ökumenische E r f a h r u n g in den Bereich der eschatologischen Ebene, d a n n muß immer beachtet werden, d a ß die Kirche in der Fülle ihrer N a t u r durch ihre R e a l i t ä t alle Ebenen bedeckt." 5 6

Auch die ökumenische Einheit, d. h. die Gemeinschaft zwischen Orthodoxie und Heterodoxie, zwischen Kirche und „Nicht-Kirche", gehört zu der einen Kirche Jesu Christi. Aber die geschichtliche Realität vermag diese eschatologische Wirklichkeit nicht anders zu erfassen als in einem Widerspruch zu ihrem Selbstverständnis. Bei Evdokimov und Zander ist das ökumenische Paradox Ausdruck der Unmöglichkeit, das Erlebnis der Einheit in den Normen der geschichtlichen Kirchengemeinschaft zu verwirklichen und zu erfassen.

C.

„Einheit

ohne

Vereinigung"

Der Verzicht auf eine geschichtliche Vereinigung der Kirchen ist in der ökumenischen Theologie von Evdokimov und Zander zunächst nicht theologisch begründet, sondern durch die praktische Unmöglichkeit eines organisatori65 66

E v d o k i m o v , a.a.O. S. 553; Z a n d e r , a.a.O. S. 59. E v d o k i m o v , a.a.O. S. 544; vgl. Z a n d e r , a.a.O. S. 54. 271

sehen Zusammenschlusses von kirchlichen Gemeinschaften, die nach ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrer dogmatischen Uberzeugung eine in sich geschlossene Einheit bilden. Unüberwindbar erscheinende dogmatische, kirchenreditliche und audi „nicht-theologische" Faktoren lassen eine Vereinigung aussichtslos erscheinen, da jedes Kompromiß zur Aufgabe des eigenen kirchlichen Selbstverständnisses führen würde 57 . Die absolute Gültigkeit und Notwendigkeit der kanonischen Grenzen wird damit im innergeschiditlidien Bereich faktisch anerkannt. Doch gerade gegenüber dieser faktischen Anerkennung der kanonischen Grenzen der Kirche und ihrer geschichtlichen Notwendigkeit bildet die ökumenische Theologie und die damit verbundene Formulierung des ökumenischen Paradox ein Korrektiv. Allerdings wird dieses Korrektiv eben nicht in einer kritischen Auseinandersetzung mit der übrigen ostkirchlichen Theologie aufgestellt, wie es bei Bulgakov der Fall ist, sondern Evdokimov und Zander vermeiden weitgehend die dogmatische Kontroverse, indem sie einen eigenen Weg zu gehen versuchen. Doch schon der Verzicht auf eine geschichtliche Vereinigung der Kirchen schließt die Notwendigkeit und die Möglichkeit aus, daß die Einheit der Kirchen in der Gemeinschaft mit einer der bestehenden Kirchen ihre Verwirklichung finden könnte. Der im Bereich der Geschichte zu Recht erhobene Absolutheitsanspruch der einzelnen Kirchengemeinschaft kann also nicht zu einer geschichtlichen Verabsolutierung einer der empirischen Kirchengemeinschaften führen. Die Verbindlichkeit der kanonischen und dogmatischen N o r men beschränkt sich disziplinarisch und theologisch auf die Glieder der jeweiligen Kirchengemeinschaft. Erst indirekt erhält der Verzicht auf eine geschichtliche Vereinigung der Kirchen seine theologische und besonders seine ekklesiologische Bedeutung. Sie beruht darin, daß das Wesen der Kirche und somit auch die Einheit der Kirche in den geschichtlichen Kategorien niemals einen adäquaten Ausdruck finden kann. In ihrer Geschichtlichkeit ist die. Kirche immer nur Chiffre, Manifestation des Übergeschichtlichen. Dieser Gedanke wird in dem ökumenischen Paradox durch die Differenzierung zwischen der geschichtlichen und der eschatologischen Ebene ausgedrückt, und er wird von Zander in der abschließenden Formel „Einheit ohne Vereinigung" zusammengefaßt 58 . Diese Formel ist auch auf das Ergebnis der ökumenischen Theologie Evdokimovs anwendbar. Sie besagt ganz allgemein, daß es trotz der Unmöglichkeit einer geschichtlichen Vereinigung der Kirchen und über den empirischen kanonischen Grenzen eine Einheit gibt, 57 Daß die kirchlichen und geschichtlichen Trennungen unüberwindlich sind, gilt nicht von allen Kirchen, sondern nur von denen, für die eine Sakramentsgemeinschaft ohne Kirchengemeinschaft völlig ausgeschlossen ist, was z.B. bei vielen reformatorischen Kirchengemeinschaften nicht der Fall ist. Innerhalb des Protestantismus und auch innerhalb der Orthodoxie ist eine geschichtliche Vereinigung durchaus möglich ( E v d o k i m o v , a.a.O. S. 551, Anm. 8; Zander, a.a.O. S. 88ff.). 68 Zander, a.a.O. S. 309ff.

272

die nicht mit den pragmatischen Kategorien des kirchlichen Lebens dargestellt werden kann. Nimmt man aber nun die Aussagen über die ökumenische Einheit aus der Dialektik mit dem ekklesiologischen Positivismus und der praktischen Aussichtslosigkeit einer geschichtlichen Vereinigung heraus, dann zeigt sich, daß die in der ökumenischen Begegnung der Kirchen erlebte Einheit im Grunde das geistliche Ereignis der Kirche ist. Die eschatologische Ebene ist der Bereich, der nur dem christlichen Glauben und der christlichen Hoffnung zugänglich ist; die geschichtliche Ebene ist der Bereich der Logik, des Wissens. In ihrem Wesen aber ist die Kirche ein Gegenstand des Glaubens, und auch die Bestimmung ihrer Merkmale steht in dem nicaeno-konstantinopolitanischen Symbol immer in der Klammer des „Ich glaube . . D i e s e Wirklichkeit des Glaubens, das wird von Zander ausführlich dargelegt 59 , kann in den konfessionellen ekklesiologischen Definitionen niemals in vollem Umfange, sondern immer nur in ihrer geschichtlichen Gebrochenheit erfaßt werden. „Wir braudien damit nicht besonders darauf hinzuweisen, welche Bedeutung die .Demut des Verstandes' hier für die ökumenische Problematik hat. Wenn wir von der Kirdie sprechen und dabei der einen oder der anderen Konfession die Kirdilichkeit absprechen, dann urteilen wir meistens so, als hätten wir eine erschöpfende Kenntnis von der Kirche und könnten gleichsam ihr ganzes Territorium bis ins kleinste übersehen. Mit dem Wort vom Glauben erinnert uns aber das Glaubenssymbol daran, daß es außer den sichtbaren und erkennbaren Elementen der Kirche auch noch eine Realität gibt, die wir jetzt, in diesem Äon, wie durch ein trübes Glas nur schimmern und stückweise sehen." 60

Unter dem Aspekt der Eschatologie und im Verständnis der Kirche als eines Gegenstandes des Glaubens und der Hoffnung wird die pragmatische Ausrichtung des Kirchenbegriffs eingeschränkt und relativiert — allerdings ohne daß sie dadurch aufgehoben wird. Über die Zugehörigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit einzelner oder ganzer christlicher Gemeinschaften zur Kirche kann im Bereich der Geschichte niemals ein endgültiges Urteil gefällt werden, und so bleibt die Bestimmung der Grenzen der Kirche immer eine offene Frage 61 . Doch die geglaubte und erhoffte Einheit der Kirche ist in der Gegenwart nicht nur eine Möglichkeit, mit der man im Blick auf das Ende der Zeiten rechnen muß, sondern in der Ökumene ist sie eine Wirklichkeit, die sich gerade jetzt neu offenbart. Sie kann bereits in der Erkenntnis sichtbar werden, daß zwischen Konsensus und Dissensus in der kirchlichen Zertrennung nicht klar geschieden werden kann. Die in der Lehre, in den Sakramenten und im christlichen Leben noch bestehende Einheit hat damit die Bedeutung von „vestigia ecclesiae"62. se

Z a n d e r , a.a.O. S. 183ff. Zander arbeitet im dritten Kapitel seines Buches, in dem er sich mit der Ekklesiologie auseinandersetzt, vorwiegend mit erkenntnistheoretischen Argumenten, auf die wir hier nicht weiter ein2ugehen brauchen. Vgl. auch E v d o k i m o v , a.a.O. S. 553f. und 566f. 60 Z a n d e r , a.a.O. S. 183. " A.a.O. S. 189. 273

Schließlich erscheint aber auch die ganze ökumenische Begegnung mit dem Erlebnis der Einheit als eine Offenbarung der pneumatischen Gemeinschaft und als eine eschatologische Antizipation, und in diesem Punkt trifft die ökumenische Theologie von Evdokimov und Zander auch wieder mit der Bulgakovs zusammen 6 3 . D a s Erlebnis der Einheit zwischen und über den Kirchen ist hier im Grunde das Erlebnis der Kirche selbst in ihrer übergeschichtlichen Wirklichkeit. Kennzeichnend für dieses Verständnis ist die in diesem Zusammenhang auftauchende Verbindung des apostolischen Pfingsten mit der ökumenischen Gemeinschaft. Die Ökumene ist ein neues Pfingsten, eine neue Inspiration der göttlichen Gnade, die in der Christenheit spürbar wird. Die Ökumene ist „ . . . nicht nur eine Idee, sondern sie ist audi eine sdion vorhandene gnadenvolle Tatsache. Es ist uns gegeben, dies in der Erfahrung zu erleben als das gnadenvolle Wehen des Geistes Gottes, als Erscheinung des Pfingsten, als die Menschen anfingen, einander zu verstehen trotz der Verschiedenheit ihrer Sprachen"84. Bei Evdokimov wird sogar von einem doppelten, d. h. von einem geschichtlichen und einem eschatologischen Aspekt des Pfingstfestes gesprochen. Die Ausgießung des Heiligen Geistes beschränkt sich nicht auf den einmaligen A k t und die damit verbundene apostolische Sukzession innerhalb der kirchlichen Institution, sondern „der T a g der Pfingsten ist (auch) der Augenblick der Rüdekehr Christi in die Welt nach seiner Himmelfahrt" 6 5 . In der ökumenischen Einheit erscheint die Kirche als Gegenstand des Glaubens und der Hoffnung; sie erscheint in ihrem eschatologischen Transitus, und damit enthüllt sich nun die theologische, vor allem aber auch die praktische Bedeutung des ökumenischen P a r a d o x und der These „Einheit ohne Vereinigung". A n die. Stelle der aussichtslosen Vereinigung im geschichtlichen Bereich tritt die visionäre Schau der Einheit, und die Theorie und Praxis der ökumenischen Begegnung besteht dann darin, diese Schau in der Theologie und im Leben zu erfassen. „Es geht nicht um die Vereinigung der historischen Kirche, sondern es geht um die Bildung des totalen, universalen, eschatologischen Leibes Christi. Die ökumenische Gemeinschaft steht über der Einheit in der historischen Kirche . . . Die Kirche, immer auf dem Wege, erreicht nicht ihre Vollendung in der historischen Entwicklung. Nur der Christus der Herrlichkeit allein besitzt sie."66 An die Stelle der Gliedschaft in der Kirche tritt unter dem eschatologischen Aspekt der Einheit die Zugehörigkeit zu Christus und die Erwartung seiner Parusie, in der die Grenzziehung des Jüngsten Gerichts offenbar wird. Die Gabe und die A u f g a b e der ökumenischen Gemeinschaft besteht hier in der Erkenntnis 62 Vgl. oben S. 260ff. Der Begriff „vestigia ecclesiae" wird jedoch weder von Bulgakov noch von Zander verwendet. Indessen können die „Stufen der Kirchlichkeit" eine ähnliche Bedeutung haben. 63 Hier zeigen sich auch gewisse Anklänge an die religiös-philosophischen Spekulationen der russischen religiösen Philosophie. 6 1 B u l g a k o v , Am Jakobsbrunnen, S. 13. 65 E v d o k i m o v , a.a.O. S. 555. 66 A . a . O . S. 556.

274

und Anerkennung dieser hinter der Geschichte noch verborgenen Gemeinschaft mit Christus: „Christus zu erkennen, auch in denen, die dem Anschein nach gegen ihn kämpfen — die oft nicht einmal so sehr gegen ihn kämpfen als vielmehr gegen Konzeptionen und Werte, die zu Unrecht festgehalten werden. Ist dies nicht eine christliche Antwort, die möglich und vielleicht die einzige wirksame ist? Die Christenheit hat sich zu sehr in der Zeit eingerichtet oder in ganz kleinen Alltagsfragen — so tief, daß gerade die anderen ihren Blick mehr auf die Eschatologie gerichtet haben, indem sie die große Synthese der menschlichen Bestimmung suchen. Wenn es der ökumenischen Bewegung gelingt, das Wesen des prophetischen Geistes zum Ausdruck zu bringen und der Welt eine neue und endgültige Schau des wahrhaft universalen Christus, des wahrhaft allumfassenden zu vermitteln, vielleicht ist es dann an ihr, die Brücken zu errichten, das letzte Zeugnis zu geben, den Durst nach dem Heil zu erwecken und aus der Geschichte selbst den Schrei ertönen zu lassen: ,Komm, H e r r ! ' " 4 7 D a s Ergebnis der ökumenischen Theologie ist nicht eine dogmatische Lösung der kirchlichen Konflikte und K o n t r o v e r s e n , sondern ein Bekenntnis, eine christliche H a l t u n g , die bestimmt ist v o m Glauben an das alle geschichtlichen T r e n nungen überwindende H a n d e l n Gottes in Christus, v o n der H o f f n u n g auf die Vollendung der in der Geschichte nur

gebrochen erscheinenden Einheit

und

schließlich v o n der d a n k b a r e n A n n a h m e der Einheit, die in und über der geschichtlichen Z e r t r e n n u n g im Erlebnis der Ö k u m e n e bereits Wirklichkeit ist: „Von der Eschatologie her sieht die Ökumene völlig anders aus. Ihr Ziel, die Einheit, ist eine Einheit in der Liebe, die nie in geschichtlichen Formen verwirklicht werden kann, sondern die allein für das Leben in der zukünftigen Welt verheißen ist. Ökumene ist dann die Sehnsucht nach dieser Einheit, sie ist das Unterpfand der zukünftigen Fülle im Wachsen der Liebe, in der Freude des gegenseitigen Erkennens, in der gemeinsamen Arbeit, im gemeinsamen Lobpreis und in dem gemeinsamen Harren auf die Ankunft des Herrn Jesus Christus. Dieses Harren ist freilich nicht passiv; es erfüllt das ganze Leben. Denn auch der Gebetsruf: , J a komm!' ist nicht ein Schrei der Verzweiflung, sondern die reife Frucht geistlicher Erfahrung eines ganzen Lebens. Hier besteht der Fortschritt der Ökumene nicht in geschichtlichen Ereignissen, sondern im Ringen um eine Geisteshaltung, die schließlich von der zukünftigen Herrlichkeit sagen kann: Wir haben sie schon auf Erden verspürt." 6 8 Ö k u m e n e ist die mystische Schau, die den getrennten B r u d e r in Christus und Christus in ihm erkennt; sie ist das „Suchen

und Trachten, Christus in

den

Christen zu sehen" 6 9 . Auch dort, w o die kanonischen Bestimmungen der eigenen Kirchengemeinschaft eine Beteiligung am kirchlichen Leben und v o r allem an den S a k r a m e n t e n der „ H e t e r o d o x i e " untersagen, können in der mystischen Schau und im Erlebnis der Einheit die empirischen Grenzen v o n oben her durchbrochen werden, indem der Blick für die G e g e n w a r t

Christi außerhalb

der

eigenen Kirchengemeinschaft geöffnet w i r d 7 0 . •7 A . a . O . S. 569. 8 8 Z a n d e r , a . a . O . S. 55, vgl. S. 313. «» A . a . O . S. 298. 70 A . a . O . S. 305ff.; vgl. auch Z a n d e r , Intercommunion and Co-Celebration, i n : Intercommunion, L o n d o n 1952, S. 3 5 1 — 3 6 0 .

275

In der von Bulgakov vorgezeichneten und von Evdokimov und Zander weitergeführten ökumenischen Theologie wird innerhalb der ostkirchlichen Auseinandersetzung mit der ökumenischen Frage ein ganz neuer Weg beschritten. Das Erlebnis der Einheit ist letztlich ein Bekenntnis zu der Einheit der Kirche, die umfassender ist als die Gliedschaft in der eigenen Kirchengemeinschaft. Das persönliche Pathos, von dem diese Aussagen getragen sind, kann man nur als solches zur Kenntnis nehmen; hier konnte es nur angedeutet werden. Die eigentümliche Gegenüberstellung von geschichtlicher und eschatologischer Ebene im ökumenischen Paradox mag dogmatisch zu manchen Fragen Anlaß geben. Bis zu einem gewissen Grade ist sie jedoch schon durdi die praktische Aussichtslosigkeit einer geschichtlichen Vereinigung gerechtfertigt. Eine völlige Beantwortung finden die kritischen Fragen, wenn man erkennt, wie hier in der Form eines persönlichen Bekenntnisses in den KirchenbegrifT der ostkirchlichen Dogmatik eine Komponente eingefügt wird, die sonst niemals berücksichtigt oder höchstens von einigen Theologen angedeutet wurde: Neben den ekklesiologischen Institutionalismus tritt das Wissen um die Verborgenheit der Kirche und ihrer endgültigen Grenzen. Wie wir gesehen haben, ist dieses Wissen um die Verborgenheit der Kirche dem östlichen Kirchenbewußtsein keineswegs fremd, und es scheint auch hinter den Unklarheiten zu stehen, die sich bei der kanonischen Bestimmung der kirchlichen Grenzen ergeben. Die ökumenische Theologie ist der Versuch, diese Glaubensaussage und -erfahrung in der Begegnung der voneinander getrennten Kirchen zu formulieren und in ihrer Wirklichkeit anzuerkennen. Bei Bulgakov f ü h r t dies zu einer kritischen Erweiterung des Kirdienbegriffs; bei Evdokimov und Zander dagegen bleibt es bei einer impliziten Kritik 7 1 . 71 Obwohl man bei keinem der erwähnten Theologen von „protestantischen Einflüssen" im Kirchenverständnis sprechen kann, zeigt sich in dem Wissen um die Verborgenheit der Kirche ein Anklang an den reformatorischen KirchenbegrifT. Z a n d e r spricht in diesem Zusammenhang auch von der „Gemeinschaft der Heiligen" (a.a.O. S. 149ff. und 259ff.), allerdings in etwas anderem Sinne, als dies z.B. bei Luther der Fall ist. Das entscheidende Moment jedoch, die Einheit von Christus her und in Christus, liegt aber auch hier vor.

276

SCHLUSSTEIL

8.

KAPITEL

ökumenische Problematik und ökumenische Begegnung Im Verlauf unserer Untersuchung sind wir bis jetzt noch nicht zu einem Ergebnis gekommen, in dem man einen bestimmten theologisch begründeten Standpunkt der Ostkirche zu dem Problem der kirchlichen Einheit zusammenfassend formulieren könnte. Die verschiedenen theologischen Ansätze lassen sich nicht auf einen gemeinsamen Nenner bringen, ohne daß man die Mannigfaltigkeit der theologischen Arbeit in ein konfessionelles Schema preßt. Die Fülle der Untersuchungen, die in der theologischen Auseinandersetzung erscheint, ist ein Zeichen für die kirchliche und theologische Lebendigkeit, mit der die ökumenische Fragestellung von der Ostkirche aufgenommen wird. Ein wesentliches Anliegen unserer Untersuchung bestand gerade darin, die Intensität der theologisch-ökumenischen Arbeit in der Ostkirche aufzuzeigen. Für die Zusammenfassung eines Ergebnisses, ohne dabei die theologische Mannigfaltigkeit auf ein konfessionelles Schema zu reduzieren, bieten sich zwei Möglichkeiten an. Die erste besteht darin, daß an Hand der offiziellen und halboffiziellen Stellungnahmen der Ostkirche zur ökumenischen Frage auf dem Hintergrund der theologischen Auseinandersetzung der Standpunkt nachgezeichnet wird, den die Ostkirche in der ökumenischen Begegnung mit anderen Kirchen einnimmt. Dies soll in dem vorliegenden Kapitel geschehen. Die zweite Möglichkeit, auf die wir im nachfolgenden Kapitel eingehen werden, besteht in einer Zusammenfassung der theologischen Auseinandersetzung um die ökumenische Frage innerhalb der Ostkirche unter systematischen Gesichtspunkten, die alsdann in das ökumenische Gespräch zwischen den getrennten Kirchen eingeführt werden sollen. Auf die geschichtliche Entwicklung in dem Verhältnis der Ostkirche zur Ökumenischen Bewegung und auf die verschiedenen dabei wirksamen Faktoren, die nicht unmittelbar in den Bereich der Dogmatik gehören, braucht hier nicht besonders eingegangen zu werden 1 . Trotz der intensiven Mitarbeit ostkirchlicher Hierarchen und Theologen in der ökumenischen Bewegung wird man 1

Zur Literatur siehe oben Anm. 29 zu Kap. 1.

277

sich jedoch darüber im klaren sein müssen, daß der ökumenische Gedanke in der Ostkirche auf Widerstände, Vorbehalte und Schwierigkeiten mancher Art stößt. Dies ist durchaus verständlich, wenn man an die Jahrhunderte denkt, in denen die Begegnung zwischen den Kirchen des Ostens und des Westens relativ gering war und vorwiegend in der Form von Angriff und Verteidigung stattfand. Sehr belastend wirkt noch bis heute die Furcht vor dem Proselytismus, der eine der unerfreulichsten Formen ost-westlicher Begegnung war und ζ. T. noch ist, auf die ökumenische Arbeit der Ostkirche. Auch die politische Entwicklung in den Gebieten der Ostkirche spielt eine gewisse Rolle. Sowohl im griechischen wie auch im slavischen Raum wurden nur zu oft verheißungsvolle kirchliche und theologische Bestrebungen unterbrochen, und die Kirche wurde in ihrer Existenz gefährdet. Diese Faktoren sind theologisch nicht unmittelbar zu erfassen, aber sie müssen mitgedacht werden, wenn man die kirchlichen und theologischen Stellungnahmen der Ostkirche zur ökumenischen Bewegung betrachtet. Die offiziellen und halboffiziellen Dokumente der Ostkirche, die wir nun als einen Weg zur Formulierung eines Ergebnisses unserer Untersuchung heranziehen, sind gleichsam ein Reflex der theologischen Auseinandersetzung um die ökumenische Frage innerhalb der Ostkirche 2 . Kirchenrechtlich kann keines von ihnen eine Allgemeinverbindlichkeit für die gesamte Ostkirche beanspruchen, und dies gilt audi für die Enzykliken des ökumenischen Patriarchats. Eine bis heute noch ausstehende panorthodoxe Entscheidung zur ökumenischen Frage wird durch sie nicht präjudiziert, sondern es handelt sich lediglich um Vorschläge und praktische Richtlinien einzelner kirchlicher Instanzen. Ihre Bedeutung liegt im wesentlichen darin, daß sie bestimmte innerkirchliche Probleme aufgreifen, zusammenfassen und unter Umständen empfehlend weiterführen. Damit bietet sich die Möglichkeit, die theologischen Probleme und Erwägungen aus der innerkirchlichen Diskussion zu erfassen, die im ökumenischen Gespräch von besonderer Wichtigkeit sind. Im Vordergrund steht selbstverständlich auch hier das Problem der Ekklesiologie. Man kann in diesem Zusammenhang ähnlich wie bei der innerkirchlichen theologischen Auseinandersetzung die Frage aufwerfen, inwieweit eine Entwicklung in den Stellungnahmen der Ostkirche zur ökumenischen Bewegung festzustellen ist. Aber auch hier ist diese Frage nur sehr schwer grundsätzlich zu beantworten. Ihrem Umfang nach hat die Beteiligung der östlichen Teilkirchen an der ökumenischen Arbeit nach dem zweiten Weltkrieg gegenüber den Anfängen der ökumenischen Bewegung zunächst erheblich abgenommen. Dies hatte allerdings vorwiegend politische Gründe, denn nicht nur die russische Kirche, sondern auch die Kirchen in den Balkanländern waren von der ökumenischen Begegnung weitgehend abgeschnitten. Betrachtet man jedoch nun die theologischen Aspekte der ostkirchlichen Stellungnahmen zur ökumenischen Bewegung, so zeigen sie eher eine dogma2 Die meisten der hier zu behandelnden Dokumente sind oben auf S. 174 f. mit Quellenangaben zusammengestellt worden.

278

tische Verfestigung als eine zunehmende Überwindung der bestehenden Gegensätze. Es ist dies eine allgemeine nicht nur auf die ökumenische Arbeit der Ostkirche beschränkte Erscheinung, daß im theologischen Gespräch und in der kirchlichen Begegnung die dogmatischen Probleme erst allmählich profiliert und erkannt werden. Daher ist es auch nicht unbedingt zutreffend, wenn man in der wachsenden Erschwerung des theologischen Gesprächs und der kirchlichen Begegnung mit der Ostkirche nur eine negative Entwicklung*sieht. Abgesehen von den politischen und kirchenpolitischen Faktoren, die natürlich auch einen gewissen Einfluß haben, ist diese Entwicklung vielmehr notwendig und der Ausdruck eines ernsten und verantwortungsvollen Ringens um die Einheit der Kirche und die Vereinigung der Kirchen. In den offiziellen und halboffiziellen Stellungnahmen der Ostkirche können drei verschiedene Standpunkte zur ökumenischen Bewegung hervorgehoben werden, deren theologische Begründung untersudit werden soll: 1. in der Form einer grundsätzlichen Bejahung der ökumenischen Arbeit; 2. in der Form einer kritischen Auseinandersetzung mit den Problemen, die durch die ökumenische Arbeit aufgeworfen werden; 3. in der Form einer grundsätzlichen Ablehnung jeder Mitarbeit an der ökumenischen Bewegung.

A. D i e t h e o l o g i s c h e B e g r ü n d u n g der ö k u m e n i s c h e n A r b e i t Unter den offiziellen Stellungnahmen steht an erster Stelle die Enzyklika 3 des ökumenischen Patriarchats aus dem Jahr 1920, in der die Grundzüge der ökumenischen Arbeit von ostkirchlicher Seite in weitestem U m f a n g dargelegt werden. Im Unterschied zu allen früheren und späteren Erklärungen östlicher Kirchenleitungen wird hier der ökumenische Gedanke geradezu vorbehaltlos aufgegriffen. Von besonderer Wichtigkeit erscheinen dabei die ekklesiologischen Aussagen, die in diesem Zusammenhang über die Zertrennung, Vereinigung und Einheit der Kirchen gemacht werden. Der Begriff „Kirche" wird in einem sehr weiten Sinne angewandt. Die Enzyklika ist „an die Kirchen Christi in aller Welt" 4 gerichtet, und diese Anrede überschreitet bereits offensichtlich die Grenzen der östlichen Kirchengemeinschaft. D a ß dies nicht nur eine unverbindliche Anrede ist, kommt im ganzen Text der Enzyklika zum Ausdruck, besonders an zwei Stellen, wo von der fundamentalen Einheit der getrennten Kirchen unter der „Verheißung Gottes in Christo" (zitiert wird Eph. 3, 6) und ihrer Gemeinschaft als Glieder in einem Leibe (zitiert 5

Die Bezeichnung „Enzyklika" steht im Originaltext und bildet einen Präzedenzfall, da üblicherweise Enzykliken nur innerhalb einer Kirchengemeinschaft verwendet werden. Aus diesem Grund ersetzt wohl auch K a r m i r i s (Dogmatische und symbolische Dokumente, Bd. II, S. 957) den Begriff „Enzyklika" durch das Wort „διάγγελμα" (Botschaft). 4 Griechisch: ,,πρός τάς απανταχού 'Εκκλησίας τον Χρίστου". 279

wird E p h . 4 , 1 5 f . ) gesprochen wird. Die neutestamentlidie christologisdie Begründung der kirchlichen Einheit wird damit als elementare Verbundenheit der christlidien Kirchen trotz der empirischen Zertrennung vorausgesetzt. Die einzelnen Kirchengemeinschaften werden dann auch als Lokalgemeinden verstanden, und dies geschieht ebenfalls in enger Anlehnung an die neutestamentlidie Terminologie 5 . Audi das Verständnis der Zertrennung scheint von dieser Betrachtungsweise geprägt zu sein. Zwischen den Kirchen stehen Mißtrauen, Mißverständnisse, Vorurteile und Machtansprüche. Die Zertrennung ist also nicht Abfall von einer bestimmten Kirche oder von bestimmten Glaubenswahrheiten, sondern grundsätzlich ein Bruch der Liebesgemeinschaft, in der die Verbundenheit mit Christus zwischen den Kirchen ihren sichtbaren Ausdruck finden sollte. Deshalb ist audi der erste Schritt auf dem Wege zur Vereinigung der Kirchen die Wiederherstellung der Liebesgemeinsdiaft, nachdem die Spannungen und das Mißtrauen zwischen den Kirchen überwunden worden sind. Die elf Punkte, in denen die konkreten Vorschläge f ü r eine Annäherung der Kirchen und f ü r die Wiederherstellung der Liebesgemeinschaft zusammengef a ß t werden, entsprechen völlig dem Programm, das später in der ökumenischen Bewegung durchgeführt worden ist. Drei dieser Punkte sind f ü r unsere Fragestellung von besonderer Bedeutung: In P u n k t 2 wird der Austausch von „Bruderbriefen" zwischen den Kirchen bei wichtigen Ereignissen im kirdilidien Leben, ζ. B. bei hohen Festtagen usw., vorgeschlagen. Dabei ist zu beachten, daß der Briefaustausch nicht nur eine Höflichkeitsform ist, sondern Ausdruck einer zwischen den Kirchen bestehenden Einheit und Gemeinschaft. Sowohl in der alten Kirche wie auch in der gegenwärtigen Ostkirche haben die Bruderbriefe die Bedeutung eines kirchlichen Einheitsbandes. Sie sind ein Zeichen der bestehenden Einheit®. — Punkt 7 handelt von den zwischen den Kirchen bestehenden dogmatischen Differenzen. Es wird vorgeschlagen, diese Kontroverspunkte „historisch" im akademischen Rahmen zu untersuchen und zu klären. Das Vorhandensein von Lehrunterschieden berührt nadi der Meinung der Enzyklika weder die fundamentale Einheit der Kirche in Christus, noch wird damit eine Aussage über den ekklesiologisdien und charismatischen Status der einzelnen Kirchengemeinschaften verbunden. Man geht vielmehr von der Ansicht aus, daß die bestehenden Lehrunterschiede, die allerdings nicht näher angeführt werden, in historisch-wissenschaftlicher Arbeit überwunden werden können. Der letzte Punkt fordert schließlich zu einer gegenseitigen Unterstützung der Kirchen in der Wohlfahrtsarbeit und Liebestätigkeit auf, ein Vorschlag, dem ein weiter Bereich ökumenischer Wirksamkeit heute Rechnung trägt. 6 Ähnlich wie Rom. 16,5 und 1. Kor. 16,19 u. ö. sprechen die Absender der Enzyklika von „ή κωΤήμάς Εκκλησία", indem sie sich an die Kirchen an anderen Orten wenden. • Vgl. hierzu J u g i e , Theologia dogmatica, Bd. IV, S. 262; und W. E i e r t , Abendmahl und Kirchengemeinschaft, Berlin 1954, S. 122ff.

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Ein Rückblick auf die Auseinandersetzung um den Kirchenbegriff und um die ökumenische Problematik innerhalb der ostkirchlichen Theologie kann leicht zeigen, daß die theologischen und besonders die ekklesiologischen Grundzüge dieser Enzyklika offensichtlich von einer Konzeption ausgehen, die weitgehend der theologischen Richtung entspricht, die unter dem Einfluß der historischen Methode steht. Das entscheidende Moment des positivistischen Kirchenbegriffs der Schuldogmatik, nämlich die Bestimmung der Grenzen der Kirche durch die kirchliche Organisation und Institution, fehlt hier vollständig. Die ganze Problematik der Beziehung zwischen Orthodoxie und Heterodoxie wird nicht berührt. Von zentraler Bedeutung ist in der Enzyklika von 1920 der Begriff „κοινωνία των 'Εκκλησιώνder hier noch besonders auf seinen ekklesiologischen Gehalt untersucht werden muß. In der Enzyklika taucht er zum ersten Male in der ostkirchlichen Literatur zur Ökumene auf, und wenn er gelegentlich später verwendet wird, dann vorwiegend in der Beziehung auf diese Enzyklika. Nach dem Text handelt es sich dabei um eine Analogiebildung zu der „κοινωνία των έϋνών", d. h. zum „Völkerbund", und man spricht daher auch am besten von einem „Kirchenbund". Nach diesem Vorbild aus dem politischen Bereich, das in der Enzyklika an verschiedenen Stellen durchbricht, ist der „Kirchenbund" mehr als eine praktische Gemeinschaft aufzufassen, in der die vorhandenen Grenzen bestehenbleiben, nicht aber unbedingt als eine Vereinigung, in der die Grenzen überwunden werden sollen. Dieser Punkt bleibt mindestens unklar, und der „Kirchenbund" soll auch nur die Vorstufe für eine völlige Einheit der Kirchen sein. Das neutestamentliche Verständnis von „κοινωνία" liegt dem Begriff des „Kirchenbundes" nicht zugrunde. Theologisch bedeutsam wird der Begriff jedoch durch die ekklesiologischen Voraussetzungen, von denen die Enzyklika ausgeht: Die Glieder des „Kirchenbundes" sind „Kirchen Jesu Christi", und das Wesen des Bundes liegt in der Liebesgemeinschaft, durch die seine Glieder untereinander verbunden sein sollen, um so die Grundlagen für eine endgültige Einheit der Kirchen zu schaffen. Nach dem Text der Enzyklika ist der „Kirchenbund" also nicht nur eine praktische Interessengemeinschaft der Kirchen, sondern auch eine Wesensgemeinschaft. Darin liegt seine ekklesiologische Bedeutung, die nicht übersehen werden kann. Die Gliedschaft in dem „Kirchenbund" entspricht so der Gliedschaft am Leib Christi. Es ist bezeichnend für die weitere Entwicklung der ostkirchlichen Stellungnahme zur ökumenischen Bewegung, daß der Begriff des „Kirchenbundes" später kaum mehr verwendet wird 7 , obwohl er nicht nur nach seiners Form, sondern auch nach den darin eingeschlossenen ekklesiologischen Voraussetzungen 7 Eine sinngemäße Erläuterung der Enzyklika enthält das von Prof. A l i v i s a t o s auf der Genfer Vorkonferenz für Lausanne im Jahre 1920 vorgelegte offizielle Programm für die ökumenische Arbeit, in dem u. a. auch die organisatorischen Fragen für die Bildung eines „Kirchenbundes" näher bestimmt werden (Text deutsch in: IKZ 1921, S. 93—98; franz. in: Istina 1955, S. 97f.).

281

weitgehend mit dem übereinstimmt, was die ökumenische Bewegung und später der ökumenische R a t der Kirchen ist und sein will 8 . I n den Sondererklärungen der ostkirchlichen Delegationen zu den Berichten der Weltkirchenkonferenzen von Lausanne und Edinburgh finden sich noch gewisse Anklänge an die ekklesiologisdien Voraussetzungen der E n z y k l i k a von 1 9 2 0 , wenn in beiden D o k u m e n t e n auf das Erlebnis der christlichen Bruderschaft und Gemeinschaft mit den Christen aus anderen Kirchen hingewiesen wird. Doch diese Aussagen sind theologisch insofern schon eingeschränkt, als es sich hier um die persönliche, nicht aber um die kirchliche Gemeinschaft handelt 9 . D i e in den späteren Stellungnahmen immer schärfer hervortretende ekklesiologisdie P r o b l e m a t i k triert sich genau auf die theologische Begründung der ökumenisdien

konzenArbeit,

wie sie in der E n z y k l i k a von 1 9 2 0 vorliegt.

B. E k k l e s i o l o g i s c h e P r o b l e m e der ö k u m e n i s c h e n B e g e g n u n g I n der E n z y k l i k a von 1 9 2 0 werden Gedanken vorgetragen, die der ostkirchlichen Theologie keineswegs fremd sind oder gar ausdrücklich von ihr abgelehnt werden müßten. Theologisch umstritten sind jedoch die ekklesiologisdien Voraussetzungen. I n der P r a x i s k a n n die ö k u m e n i s c h e Bewegung durchaus als eine Liebesgemeinschaft

der getrennten Kirchen verstanden werden, solange

keine weiteren Konsequenzen für die Ekklesiologie damit verbunden

wer-

den. D i e ekklesiologisdien Probleme einer theologischen Begründung der Liebesgemeinschaft bzw. des als Liebesgemeinschaft verstandenen treten bereits in einigen Ausführungen ostkirchlicher Vertreter

Kirchenbundes in der ö k u -

menischen Bewegung hervor. I n einer Ansprache auf der Weltkirchenkonferenz von Stockholm ist von Erzbischof G e r m a n o s

(Strinopoulos) von T h y a t i r a ,

dem offiziellen Vertreter des ökumenischen Patriarchats und späteren Präsidenten des ökumenischen R a t e s , die ekklesiologische P r o b l e m a t i k aufgegriffen worden. D i e E n z y k l i k a von 1 9 2 0 wird von ihm kommentiert; Erzbischof G e r manos spricht so von der N o t w e n d i g k e i t , daß man neben dem „engeren Einheitsb e g r i f f " , in dem die Glieder einer Kirchengemeinschaft zusammengefaßt sind, audi nodi „eine weitere Auffassung des Begriffs E i n h e i t " anerkennen müsse. Zu dieser Einheit gehören alle, „die die Offenbarung Gottes durch Jesus C h r i stus zur Grundlage ihrer Glaubenslehre gemacht haben und die

Christum

als ihren H e r r n und Erlöser b e k e n n e n " 1 0 . U n t e r dem Hinweis auf E p h . 3, 6 8 Nach der Weltkirchenkonferenz von Amsterdam 1948 hat man gelegentlich den ökumenischen Rat als „Κοινωνία των Εκκλησιών" bezeichnet. Anscheinend führte dies zu Mißverständnissen (s. u. S. 287), und so spricht man heute durchgehend von einem ,,Παγκόσμιον Συμβούλων των Εκκλησιών". Für die ökumenische Bewegung als ganze verwendet man die Bezeichnung „Παγχριστιανική Κίνησις". 9 Siehe oben S. 257. 1 0 Stockholm, Amtl. deutscher Bericht. S. 609.

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und 1. Kor. 12, 12 wird diese Einheit aller Christen ebenfalls ausdrücklich christologisch begründet. Die wesentliche Einheit der Glieder im Leibe Christi ist die Grundlage für die Liebesgemeinschaft zwischen den Kirchen 1 1 . Die „weitere Auffassung des Begriffs Einheit" entspricht weitgehend dem „weiteren Verständnis des Begriffs Kirche", das in der Ekklesiologie der Sdiuldogmatik schon in der Begriffsbestimmung eliminiert wurde, um dann den Begriff Kirche mit dem der Kirchengemeinschaft gleichzusetzen 12 . Nach dieser ekklesiologisdien Voraussetzung kann aber nun die Liebesgemeinsdiaft schwerlich diristologisch begründet werden, sondern man versteht darunter ein rein moralisches Verhalten der Kirchen zueinander. Die Liebesgemeinsdiaft ist damit nicht mehr die Grundlage für die Verwirklichung der Einheit zwischen den Kirchen, sondern lediglich eine Vorstufe praktischer Art in dem Prozeß der Vereinigung. Denn ekklesiologisch gibt es eine Einheit im Leibe Christi nur in der sichtbaren Einheit der Kirdie 1 3 . Die ekklesiologische Problematik liegt bei der diristologischen Begründung der Liebesgemeinschaft keineswegs darin, daß außerhalb der Kirchengemeinschaft stehende Christen als Glieder am Leibe Christi bezeichnet werden, sondern sie liegt in den logischen Konsequenzen, die daraus für den Kirdienbegriff der Schuldogmatik entstehen. Die durch Lehreinheit, Sakramentsgemeinschaft und organisatorische Einheit bestimmten Grenzen der Kirdie scheinen relativiert zu werden, und damit wird gleichzeitig der Kirdienbegriff, wie er in der Schuldogmatik vorliegt, weitgehend aufgelöst. Die innerostkirdilidie Auseinandersetzung um den Kirdienbegriff und um die Grenzen der Kirdie hat gezeigt, daß es nach den ekklesiologisdien Voraussetzungen der Schuldogmatik keine Möglichkeit gibt, eine Zugehörigkeit zur Kirche außerhalb der Kirchengemeinsdiaft dogmatisch zu begründen. Wo sie angedeutet wird, dort erscheint sie nur als eine nicht näher bestimmbare Möglichkeit, wenn nicht, wie es bei mehreren Theologen der Fall ist, der Kirdienbegriff der Schuldogmatik

entscheidend

modifiziert wird. Weitgehend anerkannt wird der Gedanke einer Liebesgemeinschaft zwischen den Kirdien als Voraussetzung für die praktische Zusammenarbeit der christlichen Welt, d. h. vor allem in der Arbeit der „Life and Work"-Bewegung. D a Nur von wenigen ostkirchlichen Theologen sind diese Gedanken aufgenommen worden. So z.B. von N. G l u b o k o v s k i j , Stockholm-Bericht S. 626—639, und von D. S. B a l a n o s , Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der Kirchen (griech.), Athen 1932 (Sonderdruck). Beide Theologen sind Vertreter der historisch-kritischen Methode, die sie zu einer anderen Beurteilung der Zertrennung führt. 12 Siehe oben S. 40. 13 Vgl. hierzu etwa A n d r o u t s o s , Die Grundlagen zur Vereinigung der Kirchen (griech.), in: Ekklesiastiki Alitheia 1905, S. 155: Außerhalb der Kirchengemeinschaft gibt es nach Androutsos keine Möglichkeit, eine Gliedschaft in der Kirche oder am Leibe Christi dogmatisch zu begründen, obwohl die Möglichkeit als solche nicht ausgeschlossen wird (vgl. o. S. 203). 11

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hier keine ekklesiologischen Probleme aufgeworfen werden, entstehen auch keinerlei Schwierigkeiten f ü r die praktische ökumenische Gemeinschaft. In der Arbeit der „Faith and Order"-Bewegung treten jedoch schon auf der Weltkirchenkonferenz von Lausanne die ekklesiologischen Probleme hervor. Sie werden durch das Gespräch über die Lehrunterschiede aufgeworfen. Es kann nicht übersehen werden, d a ß sowohl in Lausanne 1927 wie auch in Edinburgh 1937 in einigen Kontroverspunkten eine weitgehende Übereinstimmung erzielt wurde. Doch diese relative Annäherung kann nicht die Tatsache verdecken, daß das theologische Gespräch mit der Ostkirche in der ökumenischen Bewegung in zunehmendem Maße erschwert wird. Bis zu einem gewissen Grade mag die Kritik der ostkirchlichen Delegierten an der theologischen Arbeit berechtigt sein, wenn sie einwenden, daß die Verhandlungen auf einer zu weiten Ebene und zwischen Kirchen, die sich in ihrer Lehre und Ordnung sehr fern stehen, gef ü h r t werden. Ebenso mögen Schwierigkeiten in der Verständigung und im Verständnis der theologischen Begrifflichkeit eine Rolle spielen. Doch diese Einwände, die in der Sondererklärung zum Bericht der Weltkirchenkonferenz von Edinburgh und in zahlreichen anderen Veröffentlichungen vorgetragen werden, treffen nicht das eigentliche Problem. Bei dem Gespräch um die dogmatischen Kontroverspunkte geht es vielmehr um die Frage nach dem kirchlichen Konsensus, der Grundlage und Voraussetzung der kirchlichen Einheit und Einigung ist. Dies wird in den Sondererklärungen der ostkirchlichen Delegationen zu den Berichten der verschiedenen Weltkirchenkonferenzen und Vollversammlungen des ökumenischen Rates mit aller Deutlichkeit betont. Das Kriterium f ü r die Einheit, die Grenze der individuellen Glaubensfreiheit und das Ziel der Vereinigung im Glauben und in der Kirchenordnung sind die Entscheidungen der sieben ökumenischen Konzile und der Konsensus der „alten, ungeteilten Kirche". Kirchliche Einheit ist dann, entsprechend dieser N o r m , nur dort vorhanden, wo eine völlige Übereinstimmung im Glauben, in den Sakramenten und in der Kirdienordnung besteht. Dieses Prinzip war schon in der Enzyklika des ökumenischen Patriarchen J o a c h i m I I I . im Jahre 1902 nicht nur zur Bestimmung der kirchlichen Einheit, sondern auch zur Bestimmung der Kirche selbst entsprechend den ekklesiologischen Voraussetzungen der Schuldogmatik angeführt worden 1 4 . In den Sondererklärungen von Lausanne bis Evanston wird es dann mit immer größerer Bestimmtheit vorgetragen, während es in der Enzyklika von 1920 völlig fehlte. Ein Gespräch über die Lehrunterschiede ist unter dieser Voraussetzung schwerlich möglich. Denn mit dem Verständnis des altkirchlichen Konsensus wird festgestellt, wie bereits früher gezeigt wurde 1 5 , daß jeder Dissensus im Grunde ein Abfall von der bereits in der Geschichte vorhandenen Einheit ist. D. h. die Zertrennung der Kirchen ist eine Durchbrechung der Kontinuität und Identität mit der Einheit der „alten, ungeteilten Kirche", die nur in der Kirche des Ostens in vollem Umfange gewahrt worden ist. Eine theoretische Differen11

284

Siehe oben S. 214.

15

Kap. 5 B.

zierung zwischen „necessaria", über die es keine Diskussion geben kann, und „dubia", die im gemeinsamen Gespräch geklärt werden könnten, wurde zwar von Erzbischof G e r m a n o s in seinem Referat auf der Weltkirchenkonferenz von Lausanne 16 vorgeschlagen. Doch die innerostkirchliche theologische Diskussion zeigte, daß diese theoretische Differenzierung praktisch nicht durchgeführt wird 1 7 , da die damit verbundene Vorstellung einer historischen Dogmenentwicklung mit ihren Konsequenzen für die Lehre von der Kirche nicht mit den ekklesiologischen Voraussetzungen der Schuldogmatik vereint werden kann. Damit treffen wir in der ökumenischen Begegnung mit der Ostkirche auf dieselbe Problematik, die wir schon in der neueren ostkirchlichen Theologie erkannt haben. Die christologische bzw. pneumatologische Begründung der kirchlichen Einheit steht unverbunden und ζ. T. auch konkurrierend neben der positivistischen Bestimmung der kirchlichen Grenzen. Unter dem Aspekt der neueren ostkirchlichen Ekklesiologie gesehen, tritt an die Stelle der christologisdien Begründung der kirchlichen Einheit in den späteren Verlautbarungen zur ö k u menischen Bewegung die ekklesiologische Definition der Schuldogmatik, die von dem dogmatisch unreflektierten Begriff der „alten, ungeteilten Kirche" ausgeht. Damit wird der ostkirchliche Konsensus zum Kriterium der Lehreinheit und der kirchlichen Einheit überhaupt gemacht. Aus diesem Grunde wird dann auch in der neueren ökumenischen Bewegung jedes dogmatische Gespräch über die zwischen den Kirchen bestehenden Kontroverspunkte — offiziell jedenfalls — abgelehnt. In der Enzyklika des ökumenischen Patriarchats vom Januar 1952, die an die östlichen Patriarchate und Autokephalien gerichtet ist, kommt das Ergebnis dieser Konkretisierung der ekklesiologischen Problematik zum Ausdruck. Die Enzyklika ist eine empfehlende Antwort auf die Frage, wie die Ostkirche sich nach der Konstitution des ökumenischen Rates und nach der damit verbundenen Fusion der beiden Bewegungen für „Life and W o r k " und „Faith and Order" zu der ökumenischen Begegnung verhalten solle. Die Notwendigkeit einer Zusammenarbeit der christlichen Kirchen, die hier noch ausdrücklich als „Kirchen Christi" bezeichnet werden, wird uneingeschränkt bejaht, sofern es dabei um das Verhältnis der Christenheit zur nichtchristlichen Welt geht sowie um soziale und karitative Aufgaben und um die Ausbreitung des Evangeliums, besonders auf dem Missionsfeld. Diese Zusammenarbeit geschieht auf der praktischen Ebene, wo dogmatische Probleme nicht berührt werden. Wesentlich anders, wenn auch gegenüber späteren Äußerungen noch zurückhaltend, wird das Problem der dogmatischen Differenzen behandelt. Die Frage ist dabei auf die Mitarbeit in der „Faith and Order"-Kommission konzentriert. D a diese Kommission sich ausschließlich mit dogmatischen Fragen befaßt, w Lausanne, Amtl. deutscher Bericht, S. 105—109. " Siehe oben S. 214 und 222.

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„ . . . muß jegliche Teilnahme der Orthodoxen Kirche an den Diskussionen und Arbeiten dieser Kommission vermieden werden, insofern sie die Absicht hat, die Einheit durch dogmatische Diskussionen zwischen Vertretern sehr weit voneinander entfernter Kirchen zu erreichen".

Indessen ist die Empfehlung der Enzyklika nicht auf diesen praktischen Vorschlag, der schon mehrfach und nicht zu Unrecht von ostkirchlicher Seite gemacht worden ist, beschränkt, sondern es wird gleichzeitig gesagt, daß die Ostkirche sich prinzipiell nicht an einer Diskussion über dogmatische Fragen beteiligen könne. Ein Beitrag der Ostkirche könne hier nur einen rein deklarativen und demonstrativen Charakter tragen, indem die nichtorthodoxen Kirchen mit der Lehre der Orthodoxie bekannt gemacht werden. In ähnliche Richtung weist das Verbot einer Beteiligung orthodoxer Kleriker an gottesdienstlichen Versammlungen mit Heterodoxen. Dazu wird auf die altkirchlichen Kanones verwiesen, die nicht nur die Sakramentsgemeinschaft, sondern auch jede Art von gottesdienstlicher Gemeinschaft zwischen Orthodoxen und Heterodoxen (die in den Kanones bekanntlich als Häretiker bezeichnet werden) untersagen: „Es ist notwendig, daß die delegierten orthodoxen Geistlichen möglichst zurückhaltend sind bei kultischen Versammlungen mit Heterodoxen, die im Widerspruch zu den heiligen Kanones stehen und das konfessionelle Bewußtsein der Orthodoxen schwächen. Sie sollen sich vielmehr, wenn möglich, bemühen, rein orthodoxe gottesdienstlidie Handlungen zu zelebrieren, um auf diese Weise die Pracht und Größe des orthodoxen Kultus vor den Augen der Heterodoxen zu demonstrieren."

In dieser Enzyklika wird zum ersten Male von der Ostkirche in der ökumenischen Bewegung die ekklesiologische Problematik in einem offiziellen Dokument aufgegriffen 18 . Besonders wird dabei die Sonderstellung hervorgehoben, in der sich die Ostkirche gegenüber den anderen Kirchen sieht. Die Enzyklika von 1952 ist das Ergebnis einer heftigen theologischen Debatte in der Ostkirche und besonders innerhalb der Kirche Griechenlands, die jedoch bis heute noch nicht so weit abgeschlossen ist, daß man sie zum Gegenstand einer eingehenden Untersuchung machen könnte. Sie steht aber in engem Zusammenhang mit der seit mehreren Jahrzehnten geführten Diskussion um die Lehre von der Kirche und um die Bestimmung der kirchlichen Grenzen. Zu einem neuen Ansatzpunkt für diese Diskussion wurde die Konstitution des ökumenischen Rates der Kirchen in Amsterdam 1948. Das besonders in ostkirchlichen Kreisen entstandene Mißverständnis, der ökumenische R a t sei als organisierte Form der ökumenischen Bewegung eine Art „Überkirche", ist zwar durch die Toronto-Erklärung 1950 vom Zentralausschuß des ökumenischen Rates zurückgewiesen worden, ohne daß jedoch damit alle Bedenken der ostkirchlichen Theologie beseitigt werden konnten. 18 Den Vorwurf, daß der ekklesiologische Standpunkt der Ostkirche bisher noch nicht in der ökumenischen Bewegung eindeutig formuliert worden ist, erhebt G. I. K o n i d a r i s , Die Stellung der Katholischen Orthodoxen Kirche in der „Gemeinschaft der Kirchen" (griech.), in: Theologia 1949, S. 301ff., 495ff.; 1952 S. 424ff.

286

Der Begriff „κοινωνία των Εκκλησιών", den man zunächst im Griechischen zur Bezeichnung des ökumenischen Rates verwendet hatte und der ja auch in der Enzyklika von 1920 vorgebildet worden war, wird zum Gegenstand der theologischen Kritik. Der Haupteinwand richtet sich gegen die darin vermutete Gleichstellung aller Kirchen, die dieser „κοινωνία" angehören 19 . Es kommt also nicht zum Ausdruck, daß sich die Ostkirche als die Kirche im vollen, wenn nicht sogar im ausschließlichen Sinne verstanden wissen will, und zwar unter dem Hinweis auf die nur in ihr vorhandene ungebrochene kontinuierliche Übereinstimmung mit der Lehre und Ordnung der alten, ungeteilten Kirche. Die Anwendung des Plurals „Kirchen" auf die voneinander getrennten Kirchengemeinschaften, wie es in der Enzyklika von 1920 und auch noch in der von 1952 geschieht, wird scharf abgelehnt. Am schärfsten tritt die ekklesiologische Problematik schließlich in der Sondererklärung zu dem Bericht der I. Sektion auf der Weltkirchenkonferenz von Evanston 1954 hervor 20 . Kritisiert wird darin vor allem die Dialektik zwischen wesentlicher Einheit und empirischer Zertrennung der Kirche und der Kirchen. Zwar vermeidet man eine nähere Aussage über den charismatischen Status der Heterodoxie, aber die nicht-orthodoxen Kirchen werden nicht mehr als Kirchen, sondern nur noch als „Gemeinschaften" (engl.: communions) bezeichnet, denen „gewisse grundlegende Elemente fehlen, die die wirkliche Fülle der Kirche konstituieren". Die daraus folgende Stellungnahme zur ökumenischen Frage kann auf eine einfache Formel gebracht werden: Die Zertrennung der Christenheit ist die Folge eines Abfalls von der Kirche, und die Vereinigung kann deshalb nur als eine „Rückkehr dieser Gemeinschaften zum Glauben der alten, geeinten und unteilbaren Kirche der sieben ökumenischen Konzile, nämlich zu dem reinen und unveränderten und gemeinsamen Erbe der Väter aller jetzt voneinander getrennten Christen" verstanden werden. Die wesentliche Einheit der Kirche findet ihren angemessenen Ausdruck in der unzerstörbaren geschichtlichen Einheit der Kirche. Sowohl die Vorstellung von einer endgültigen Überwindung der Zertrennung unter dem Aspekt der Eschatologie wie auch die einer Erneuerung der Kirche durch die Buße und innere Umkehr der Kirchen wird abgelehnt. Ebenso wie im Kirchenbegriff der Schuldogmatik kommt es dann zu einer Gleichsetzung der Kirche Christi mit der „heiligen Orthodoxen Kirche", die „allein ,den einst den Heiligen anvertrauten Glauben' voll und ungebrochen bewahrt hat". Daß diese. Stellungnahme eine Präzisierung bereits früher vorgetragener Äußerungen darstellt, erweist sich besonders in den beiden Kontroverspunkten, 19

Vgl. hierzu besonders die Auseinandersetzung zwischen Metropolit Michael (Konstantinidis) von Korinth (später bis zu seinem Tode 1958 Exarch von Nordund Südamerika und Präsident des ökumenischen Rates) und Erzbischof G e r m a n o s (Strinopoulos) von Thyatira in: Ekklesia (griech.), 1949, Nr. 5, S. 65f.; Nr. 8, S. 122ff.; Nr. 13, S. 210f. (s. o. Anm. 8). 20 Evanston Dokumente, Witten 1954, S. 129—131. 287

die ähnlich wie in den Erklärungen von Lausanne und Edinburgh besonders hervorgehoben werden: Das Problem der apostolischen Tradition und das der apostolischen Sukzession bzw. des bischöflichen Aufbaus der Kirche. Beide Punkte werden hier ekklesiologisch, d. h. als Merkmale der Kirche gewertet, und nicht nur als bestimmte Eigentümlidikeiten eines Lehrbegriffs bzw. einer Auffassung vom geistlichen Amt. Sie sind vielmehr Kennzeichen und Kriterium für die pneumatische Kontinuität der Kirche sowie Grundlage für die Reinheit der kirchlichen Verkündigung, für die Verwaltung der Sakramente und für die Leitung der Kirche. Alle Versuche, die ökumenische Begegnung ekklesiologisch zu

begründen,

wie sie am Anfang der ökumenischen Bewegung besonders in der E n z y k l i k a von 1920 unternommen wurden, werden in den neueren Stellungnahmen der Ostkirche praktisch abgelehnt. Während in der E n z y k l i k a von 1920 die Dialektik zwischen der Einheit in Christus und der Zertrenntheit der Kirchen in der Geschichte den Ausgangspunkt für die ökumenische Arbeit bildete, wird in der Sondererklärung von Evanston 1954 die Einheit in Christus ausdrücklich auf die bereits bestehende kirchliche Einheit beschränkt: „Denn nur die Einheit und Verbundenheit der Christen in einem gemeinsamen Glauben kann als notwendige Folge ihre sakramentale Gemeinschaft und ihre unauflösliche Einheit in der Liebe als der Glieder des einen und gleichen Leibes der einen Kirche Christi ergeben." Die Einheit im Glauben, in den Sakramenten und in der Kirchenordnung ist das Kennzeichen für die Einheit in Christus. Es ist offensichtlich, daß in dieser Stellungnahme zur ökumenischen Bewegung eine ähnliche Gleichsetzung von Kirche und Kirchengemeinschaft wie in der Ekklesiologie der Schuldogmatik vorliegt. Die Einheit der Kirche kann nur von der praktischen Kirchen- und Sakramentsgemeinschaft her bestimmt werden. Gegenüber den ekklesiologisdien Aussagen der E n z y k l i k a von

1920

kann man hier nicht nur von einer Entwicklung, sondern geradezu von einem Umbruch in der theologischen Beurteilung der ökumenischen Frage sprechen. Es ist durchaus möglich, daß bei dieser Verfestigung des ostkirchlichen Standpunkts Faktoren eine Rolle spielen, die nicht unmittelbar in den Bereich der Theologie gehören — so ζ. B . die Minderheit, in der sich die ostkirchlichen Delegierten gegenüber einer Mehrheit von vorwiegend protestantischen

Kir-

chen befinden. Doch ein Blick auf die neuere ostkirchliche Theologie zeigt, daß die ekklesiologisdien Voraussetzungen, von denen in der Erklärung von E v a n ston ausgegangen wird, auch dort einen erheblichen Einfluß ausüben. Ebenso wie in der neueren ostkirchlichen Theologie bilden innerhalb der offiziellen und halboffiziellen Stellungnahmen zur ökumenischen Bewegung die ekklesiologisdien Voraussetzungen der E n z y k l i k a von 1920 mit ihrem christologischen Verständnis der Einheit eine Ausnahme gegenüber dem Verständnis der kirchlichen Einheit, wie es in der Sondererklärung von Evanston im Anschluß an die ekklesiologisdien Voraussetzungen der Schuldogmatik in aller Schärfe formu288

liert wird. Die neueren Versuche zu einer dogmatischen Vertiefung des Kirdienbegriffs werden in den letzten Erklärungen der Ostkirche zur ökumenischen Bewegung nicht mehr berücksichtigt. Trotzdem ist es auffallend, daß die weitgehenden ekklesiologisdien Aussagen der Enzyklika von 1920 über die Gliedschaft der nicht-orthodoxen Kirchen am Leibe Christi nicht ausdrücklich aufgehoben werden. Zwar werden in der Sondererklärung von Evanston diese Kirchen nur noch als „Gemeinschaften" bezeichnet, aber es werden weder im positiven noch im negativen Sinne unmittelbare Aussagen über das Verhältnis dieser Gemeinschaften zur Kirche Jesu Christi gemacht. Diese Frage, auf die in der ostkirchlichen Theologie die ökumenische Problematik besonders konzentriert ist, wird in keiner der späteren Erklärungen mehr berührt. Allerdings machen sich die Konsequenzen der ekklesiologisdien Voraussetzungen in dem praktischen Verhältnis der Ostkirche zur ökumenischen Bewegung bemerkbar. Hierzu gehört etwa die Entscheidung der griechischen Kirche vom März 1957, in Zukunft keine Priester, sondern nur noch Laientheologen als Delegierte zu den ökumenischen Konferenzen zu entsenden 21 . Außerdem kann man die Äußerungen verschiedener ostkirchlicher Theologen anführen, nach denen die Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung unter dem Aspekt der Mission zu sehen sei22. Ohne die neuen Stellungnahmen zur ökumenischen Bewegung in ihrer dogmatischen Bedeutung und in ihren praktischen Konsequenzen zu unterschätzen, kann die Vermutung nicht ganz abgewiesen werden, daß ihre Intention mehr praktisch als dogmatisch bestimmt ist. Das eigentliche Anliegen besteht in der Abgrenzung des Kirchenbewußtseins gegenüber allen theologischen Erwägungen und praktischen Handlungen, die zu einem ekklesiologisdien Relativismus führen könnten. Die Beurteilung der heterodoxen Kirchen und die Einstellung zu ihnen kann somit, ähnlich wie es in der ostkirchlidien Theologie der Fall 21 Der Vorschlag eines derartigen Beschlusses ist in der griechischen Kirche seit Amsterdam mehrfach gemacht worden, und schon bei der Konferenz von Lund 1952 war die griechische Kirche aus diesem Grunde nicht vertreten. Es handelt sich hier um eine interne Auseinandersetzung in der griechischen Kirche zwischen Hierarchie und Theologie, die noch nicht abgeschlossen ist. Der Beschluß von 1957 scheint vor allem als eine Protestaktion zu verstehen zu sein. Sie richtet sich besonders gegen die bisherige Form der Basis des ökumenischen Rates. 22 Diese missionarische Begründung der ökumenischen Arbeit ersetzt offensichtlich die Notwendigkeit oder auch Unmöglichkeit einer theologischen. Denn durchgehend dient sie dazu, die weitere intensive Mitarbeit der Ostkirche an der ökumenischen Bewegung vor allem innerhalb der Ostkirche zu rechtfertigen. Vgl. hierzu Karmiris, Die Orthodoxe Katholische Kirche und ihre Beziehungen zu den heterodoxen Kirchen und dem Kirchenbund (griech.), in: Ekklesia 1949, Nr. 14, S. 225; F l o r o v s k i j , Über die Beteiligung der Orthodoxen an der ökumenischen Bewegung (russ.), in: Cerkovnyj Vestnik, Paris 1949, Nr. 18, S. 10; K o t s o n i s , Der kanonische Aspekt der Gemeinschaft mit den Heterodoxen (Intercommunio) (griech.), Athen 1957, S. 268. Anklänge an diese Begründung finden sich auch in der Enzyklika des ökumenischen Partiarchats von 1952.

289

ist, als eine logische, aus dem Kirchenbewußtsein abgeleitete Konsequenz verstanden werden. Die ekklesiologisdien Probleme der ökumenischen Begegnung werden damit nicht dogmatisch gelöst. Man kann vielmehr auch hier von einer praktischen Intention sprechen, wie sie in den ekklesiologischen Voraussetzungen der Schuldogmatik festzustellen ist. Der in den neueren Verlautbarungen der Ostkirche zur ökumenischen Bewegung vorgetragene Standpunkt steht im Grunde unter dem Zeidien der dogmatischen Problematik. Neben der grundsätzlichen Bereitschaft zur praktischen Zusammenarbeit und ökumenischen Begegnung der Kirchen stehen die offenen dogmatischen und speziell ekklesiologischen Fragen; wie in der gesamten übrigen ostkirchlichen Theologie, so fällt auch in den Erklärungen der Ostkirche die Entscheidung über Art und Umfang der ökumenischen Begegnung auf dem Hintergrund der ekklesiologischen Voraussetzungen.

C. in

Die der

Ablehnung

einer

ökumenischen

Mitarbeit Bewegung

Nach ihrer theologischen Begründung unterscheiden sich die offiziellen Dokumente, in denen von einigen Ostkirchen jede Beteiligung an der ö k u m e n i schen Bewegung abgelehnt wird, kaum von den bisher behandelten Verlautbarungen. Der Unterschied liegt allein in einer stärkeren Betonung der praktischen Konsequenzen, die aus den ekklesiologischen Voraussetzungen gezogen werden. Damit wird die praktische Intention und die Abgrenzung des Kirchenbewußtseins besonders deutlich. Eine grundsätzliche Ablehnung jeder Beteiligung an der ökumenisdien Bewegung bzw. am ökumenischen Rat ist bisher von ostkirchlicher Seite nur in zwei Fällen offiziell beschlossen worden: Von der Konferenz der RussischSynodalen Auslandskirche in New York 1950 und von der Moskauer Konferenz autokephaler orthodoxer Kirchen im Jahre 1948. Der Beschluß der Russisch-Synodalen Auslandskirche 23 von 1950 ist im wesentlichen eine Verschärfung einer ähnlichen Resolution, die auf dem zweiten Auslandskonzil dieser Kirche 1938 in Sremski-Karlovitz (Jugoslawien) angenommen worden war 2 4 . Die Resolution von 1938, nach der noch eine beschränkte Teilnahme an der ökumenischen Bewegung f ü r wünschenswert gehalten wurde, entspricht weitgehend der Sondererklärung von Evanston 1954, obwohl ein direkter Einfluß kaum bestehen dürfte. Ähnlich wie es in der Sondererklärung 23

Diese Kirchengemeinschaft ist nach dem Moskauer Konzil von 1917 entstanden, als sie sich unter Protest gegen die Wiedereinführung der Patriarchatsverfassung von der Russischen Kirche abspaltete. Faktisch bildet sie eine schismatische Kirchengemeinschaft innerhalb der Ostkirche. 24 Text: Akten des zweiten Auslandskonzils der Russischen Orthodoxen Auslandskirche (russ.), Belgrad 1939, S. 368. Deutsch beide Beschlüsse gekürzt bei H. Schaeder, Evangelische Theologie 1954, S. 75ff. 290

von Evanston der Fall ist, werden die heterodoxen Kirchen nicht als Kirdien, sondern als „Religionen und Konfessionen" 25 bezeichnet. Das ekklesiologisdie Anliegen der Resolution besteht vor allem in einer Kritik an der faktischen Gleichstellung aller christlichen Gemeinschaften in der ökumenischen Bewegung und in der Betonung des Anspruchs der Ostkirdie, im ausschließlichen Sinne die wahre und einzige Kirche Christi zu sein. Die damit verbundene praktische Intention kommt sdion in der einleitenden Bestimmung der Resolution zum Ausdruck, in der den Laien jede Beteiligung an der ökumenischen Bewegung untersagt wird: „Die orthodoxen Christen sollen die heilige Orthodoxe Kirche als die eine und einzige wahre Kirche Christi anerkennen. Daher untersagt die Orthodoxe Russische Auslandskirdie ihren Gliedern die Teilnahme an der Ökumenischen Bewegung, die auf dem Prinzip der Gleichheit aller christlichen Religionen und Bekenntnisse steht." Eine weitere Teilnahme von Geistlichen ist deshalb erwünscht, weil es in der ökumenischen Bewegung auch Menschen gibt, die ernsthaft um die Erkenntnis der Wahrheit ringen und die Orthodoxie lieben und weil außerdem die Gefahr besteht, daß durch die Vertreter anderer ostkirchlicher Jurisdiktionen die Lehre der Orthodoxie entstellt wird. Die. offiziellen Delegierten sollen jedoch nur als Beobachter auftreten, weder am gemeinsamen Gebet teilnehmen noch ein Stimmrecht ausüben oder Resolutionen einbringen. Die Beteiligung wird auf eine „missionarische und informatorische Tätigkeit" begrenzt. In der Entschließung von New York 1950 wird dann auch den Geistlichen eine weitere Teilnahme an der ökumenischen Bewegung untersagt 26 . Die Resolution der Moskauer Konferenz von 1948 hat dadurch ein größeres Gewicht, daß sie von zahlreichen östlichen Patriarchaten und Autokephalien unterzeichnet worden ist, die bis dahin aktiv an der ökumenischen Bewegung teilgenommen hatten 27 . In den ekklesiologischen Fragen ist diese Resolution jedoch außerordentlich zurückhaltend; ihr Tenor ist nicht so ablehnend wie der der Sondererklärung von Evanston. Eine Teilnahme an der ökumenischen Bewegung wird in der Moskauer Resolution „nach deren gegenwärtigem Plan" abgelehnt. Die Begründung besteht aber nicht in dogmatischen Erwägungen über das Verständnis der Kirche oder 25 In dem ersten Entwurf zu dieser Resolution wurde noch an dieser Stelle von „Kirchen" gesprochen. 2 " Auf die offensichtlichen Invektiven gegen die ökumenische Bewegung, die in den Referaten und Diskussionen der Konferenz von 1938 zu finden sind, braucht hier nicht eingegangen zu werden. In Evanston 1954 war die Russische Synodale Auslandskirche wieder durch einen Beobachter (Priester Graf J. Grabbe) vertreten. 27 Die Patriarchate von Alexandrien und Antiochien haben zwar unterzeichnet, sich aber nicht an die Resolution gehalten. Texte: Akten der Konferenz der Häupter und Vertreter der autokephalen orthodoxen Kirchen (russ.), 2 Bde., Moskau 1949 (franz. Ausgabe Moskau 1950/52; engl. Auszug o. J. YMCA-Press; deutscher Auszug in: Dokumente der Orthodoxen Kirchen zur ökumenischen Frage, Witten o. J.). Wir zitieren nach der russ. Ausgabe, Bd. 2, S. 434.

291

das Verhältnis von Orthodoxie und Heterodoxie, sondern sie folgt aus der Ansicht, daß die ökumenische Bewegung in neuerer Zeit Ziele verfolge, die „nicht dem Ideal des Christentums und den Aufgaben der Kirche Christi, wie sie die Orthodoxe Kirche versteht, entsprechen". Sachlich konzentriert sich diese Kritik an der ökumenischen Bewegung auf eine Formulierung in dem Bericht der IV. Sektion der Weltkirchenkonferenz von Edinburgh 1937. In einer russischen Übersetzung des englischen Textes waren die Worte „an effective, international Community" mit „einflußreiche, internationale Macht" wiedergegeben worden. Ohne auf den Zusammenhang zu achten, waren mit diesem Zitat der ö k u menischen Bewegung politische Ambitionen zugeschrieben worden 28 . Dagegen taudien die aus der innerostkirchlichen theologischen Diskussion bekannten ekklesiologischen Probleme nur gelegentlich in einigen Äußerungen im Konferenzbericht auf. In der Resolution selbst treten sie jedenfalls nicht in Erscheinung. Der Vorwurf einer zunehmenden Entkirchlichung der ökumenischen Bewegung richtet sich dann auch darauf, daß seit Edinburgh 1937 das Gespräch über die dogmatischen Unterschiede zu sehr hinter die Beschäftigung mit praktischsozialen und politischen Fragen zurückgetreten sei, indem man den Weg des geringsten Widerstandes gewählt habe. Sehr zutreffend wird dann in der Resolution gesagt, daß eine Einigung der Kirchen nur durdi eine Überwindung der Lehrunterschiede und die Wiederherstellung der Glaubenseinheit möglich sei. Es fehlt jedoch jede nähere Bestimmung sowohl der Form des dogmatischen Gesprächs wie audi des Ziels bzw. der Grundlage der Glaubenseinheit. Der Begriff „Kirche" wird auch noch auf heterodoxe Gemeinschaften, ζ. B. auf die Altkatholiken, angewandt. Der einzige Punkt, in dem unmittelbar ein dogmatisches Problem berührt wird, ist die Kritik an der bisherigen Basis der ökumenischen Bewegung. Die Formel „Jesus Christus als Gott und Heiland" (in der Resolution wird sie unvollständig zitiert) wird als eine Verkürzung der christlichen Glaubenslehre auf ein Minimum, das auch von den Dämonen bekannt werden könne (zitiert wird Jak. 2 , 1 9 u. a.), kritisiert. Diese Zurückhaltung in der dogmatischen Kritik an der ökumenischen Bewegung und das völlige Fehlen der ekklesiologisdien Problematik ist um so auffallender, als in der Diskussion und in den Referaten, die dieser Resolution vorangingen, an mehreren Stellen und von verschiedenen Theologen die ekklesiologischen Voraussetzungen der Sdiuldogmatik in sehr konsequenter Form vorgetragen worden waren. Allerdings fehlte, es audi hier nicht an ernsten Stimmen, die eine Mitarbeit in der ökumenisdien Bewegung theologisch zu begründen suchten 29 . 28 Vgl. hierzu W. A. Visser't H o o f t , in: EcRev I, S. 191—197 (1948); allerdings ist dieser Vorwurf von V e d e r n i k o v in 2MP 1954, Nr. IV, S. 68 wiederholt worden, wobei dieselbe falsche Übersetzung angeführt wird. 29 Auf die Referate und Diskussionen braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden, da, abgesehen von mancher verletzenden Polemik, weder im Positiven noch im Negativen neue Gesichtspunkte berührt werden.

292

Ob und inwieweit die Resolution der Moskauer Konferenz zur ökumenischen Frage von politischen Faktoren bestimmt ist, kann und soll hier nicht untersucht werden. Dodi weder nach ihrer Form noch nach ihrem Inhalt kann diese Resolution als eine endgültige Ablehnung jeder Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung aufgefaßt werden. Denn die Kritik richtet sich nicht gegen den Gedanken einer Vereinigung der Kirchen, sondern gegen eine vermutete Abwendung der ökumenischen Bewegung von ihrem eigentlichen Ziel. Wenn die Ablehnung auf Grund des „gegenwärtigen Plans" der ökumenisdien Bewegung erfolgt, so kann daraus auch entnommen werden, daß unter anderen Umständen eine Mitarbeit durchaus möglich sein kann. Die neuere Entwicklung in dem Verhältnis der Russischen Orthodoxen Kirche zum ökumenischen Rat und zu anderen Kirchen des Westens scheint dies zu bestätigen 30 . Als eine dogmatisch begründete Ablehnung der Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung kann die Moskauer Resolution jedenfalls nicht verstanden werden. Wenn wir nun zusammenfassend die Grundzüge der offiziellen und halboffiziellen Stellungnahmen der Ostkirche zur ökumenisdien Bewegung und die darin enthaltenen ekklesiologischen Aussagen mit der innerostkirchlidien Auseinandersetzung um die ökumenische Frage konfrontieren, so kommen wir zu folgendem Ergebnis: Mit Ausnahme der Enzyklika von 1920 zeigt sich eine große Einheitlichkeit. Sie besteht in den ekklesiologisdien Voraussetzungen, die denen der Schuldogmatik entsprechen. Indessen werden die entscheidenden ekklesiologischen Probleme, die in der ostkirchlichen Theologie nodi offene Fragen bilden, nicht präjudiziert. Weder werden, audi wenn manche Aussagen in dieser Richtung verstanden werden können, die extremen Konsequenzen gezogen, nach denen der Heterodoxie jede .Kirchlichkeit abgesprochen wird, nodi wird versucht, das Verhältnis zwisdien Orthodoxie und Heterodoxie dogmatisdi näher zu bestimmen. Es geht vielmehr vorwiegend um die Abgrenzung des Kirchenbewußtseins gegenüber jeder Art von theologischem und praktischem Relativismus. An die Stelle einer ekklesiologisdien Begründung, wie sie in der Enzyklika von 1920 vorliegt, treten in den späteren Erklärungen praktische Erwägungen. Die dogmatische Problematik wird damit merklich in die Richtung eines kirchenpolitischen Opportunismus verschoben. 30 Es ist auffallend, daß in den wenigen theologischen Veröffentlichungen des Moskauer Patriarchats, besonders aber in 2 M P , aus der ökumenischen Bewegung besonders die Äußerungen aufgegriffen werden, in denen das Ziel der Vereinigung nicht in organisatorischen Formen, sondern in der christlichen Hoffnung gesehen wird. In diesem Sinne werden Äußerungen von K. Barth in dem Aufsatz von R a z u m o v s k i j , Amsterdam und die Orthodoxie, 2 M P 1949, Nr. V, S. 47—70 zitiert und von E. Schiink in dem Aufsatz von V e d e r n i k o v , Zwischen Furcht und Hoffnung, ZMP 1954, Nr. VIII, S. 51. Vgl. auch R. Rössler, Das Journal des Moskauer Patriarchats als Spiegel kirchlicher Entwicklung in der Sowjetunion, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas, IV/1, München 1956, S. 26—63. Die inzwischen auf der 3. Vollversammlung des ökumenischen Rates in NeuDelhi erfolgte Aufnahme des Moskauer Patriarchats und der orthodoxen Balkan-

293

9.

KAPITEL

Die ostkirchliche Ekklesiologie und das Problem der Ökumene A. Z u s a m m e n f a s s u n g

und

Ergebnisse

In der ostkirchlichen Ekklesiologie wie auch in der daran anschließenden Behandlung der ökumenischen Problematik waren in unserer Untersuchung hauptsächlich zwei durdigehende Tendenzen festzustellen: Auf der einen Seite steht der besonders in der Schuldogmatik vertretene ekklesiologische Ansatz, bei dem die kirchliche Institution den Mittelpunkt bildet. Schematisierend kann man diesen Ansatz als Institutionalismus oder Positivismus bezeichnen, ohne jedodi damit einen negativen Beiklang zu verbinden. In einer gewissen Spannung hierzu steht auf der anderen Seite der ekklesiologische Ansatz der russischen religiösen Philosophie sowie mehrerer neuerer russischer und audi griechischer Theologen. Hier liegt der Ausgangspunkt nicht so sehr in der empirischen Gestalt der Kirche, sondern in einer heilsgeschichtlidien, christologisdien und pneumatologisdhen Bestimmung ihres Wesens. Man kann dies als eine Ontologie der Kirche bezeichnen. Es liegt nahe, in der Verschiedenheit der ekklesiologisdhen Ansätze unterschiedliche Stufen der dogmatischen Reflexion bei der Entwicklung eines Kirchenbegriffs zu sehen. Auch in der ostkirchlichen Ekklesiologie ist man sich völlig darüber im klaren, daß die theologische Methode der Kompendien unzureichend ist. Es fehlen, wie wir sahen, wesentliche Voraussetzungen f ü r die dogmatische Arbeit. Demgegenüber ist die Ekklesiologie sowohl in der russischen religiösen Philosophie wie auch in der neueren vom Historismus geprägten Theologie gerade durch eine Vertiefung der ganzen theologischen Arbeit gekennzeichnet. Es sind neue theologische Einsichten, die zu anderen Ergebnissen führen; es sind bessere systematische Voraussetzungen, die eine echte dogmatische Reflexion und die Auseinandersetzung mit bisher ungelösten Problemen ermöglichen. Im Blick auf die theologische Methode wird man also ohne weiteres von einem unterschiedlichen Entwicklungsstadium sprechen können. kirchen in den ökumenischen Rat gibt keinen Anlaß, von einer Wandlung in der bisherigen Einstellung dieser Kirchen zur ökumenischen Arbeit zu sprechen. In den bisher bekannt gewordenen Äußerungen zeigt sich — wie auch schon vor der Aufnahme — dieselbe ekklesiologische Konzeption, wie sie bisher von den übrigen Ostkirchen in der ökumenischen Bewegung vertreten wurde. Vgl. dazu u. a. die Rede von Patriarch Alexij vor der Bischofssynode der Russischen Orthodoxen Kirche am 18. Juli 1961 (in: ZMP 1961, Nr. 8, S. 7f.), die Ausführungen von Erzbischof N i k o d i m (a.a.O. S. 17ff.) sowie die Botschaft von Patriarch Alexij an die 3. Vollversammlung in Neu-Delhi. 294

Fraglich bleibt indessen, ob der ,Institutionalismus' als soldier lediglich als ein vordogmatisches Stadium bei der Entfaltung eines Kirchenbegriffs angesehen werden kann. Man ist leicht geneigt, im Institutionalismus und Positivismus nur eine Verabsolutierung der Kirche in ihrer geschichtlichen Gestalt zu sehen, und zweifellos weist audi der Traktat von der Kirche in den Kompendien der Sdiuldogmatik eine höchst bedenkliche Verkürzung und Einschränkung des neutestamentlichen und patristisdien Zeugnisses von der Kirche auf. In der Behandlung der ökumenischen Frage führt dies dann vielfach dazu, daß die Normen des Kirchenrechts und der kirdilidien Praxis eine echte theologische Klärung der neu auftauchenden Probleme geradezu unmöglich machen. An die Stelle der dogmatischen Reflexion tritt in vielen Fällen eine kirdienreditliche Kasuistik. Doch bei all diesen evidenten Mängeln darf das hinter diesem institutionalistisdien Ansatz stehende Anliegen nicht übersehen werden. Die aus der cyprianischen Formel „extra ecclesiam nulla salus" gefolgerte und mit apologetischpolemisdien Motiven verbundene Gleichsetzung von kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche ist von einer dogmatischen Intention bestimmt, hinter der eine Art Axiom der kirdilidien Einheit sichtbar wird. Es gibt danach keine Kirchengemeinschaft, keine Einheit der Kirche, ja auch keine Kirdie ohne Einheit und Gemeinschaft in der Lehre, in den Sakramenten und in der Ordnung. Anders ausgedrückt: die Einheit der Kirche manifestiert sich in der Faktizität einer vollen Kirchengemeinschaft. Letztlich ist damit gemeint: Kirchengemeinschaft ist Abendmahlsgemeinschaft. In dieser Formel sehen wir das ekklesiologische Prinzip nicht nur der Sdiuldogmatik, sondern auch der überwiegenden Mehrzahl ostkirchlicher Theologen. Selbst dort, wo eine vertiefte dogmatische Reflexion zu einer wie auch immer begründeten Durchbrechung der empirisch begrenzten Kirchengemeinschaft führt, wird dieses Prinzip nach Möglichkeit festgehalten — und sei es audi durch eine so eigenartige Hilfskonstruktion, wie sie der religionsgeschiditlidie Schematismus Chomjakovs darstellt. Als ekklesiologische Aussage hat dieses Axiom durchaus seine dogmatische Berechtigung. Es ist ein Prinzip nidit nur der Ostkirche oder der römisch-katholisdien Kirdie, sondern jeder Kirchengemeinschaft, insofern nämlich damit festgehalten wird, daß die Fülle der Kirdie dort ist, wo ich — und dieses persönliche Moment ist wichtig — in der Gemeinschaft mit Brüdern unter der Verkündigung des Wortes, in der Gemeinschaft der Sakramente und auch in einer dem entsprechenden und daraus erwachsenden äußeren Ordnung stehe. Dies ist die Faktizität der Kirche und ihrer Einheit, die im Grunde nicht dogmatisch zu reflektieren, sondern primär als Wirklichkeit zu erfüllen und zu erleben ist. Wir bezeichneten dies als das ,Kirchenbewußtsein c , als das kirchliche Selbstverständnis, das sich der dogmatischen Kritik weitgehend entzieht. Der aus einer Verabsolutierung kirchlicher Normen erwachsende Konfessionalismus ist mit diesem Kirchenbewußtsein nicht ohne weiteres gleichzusetzen, und ebensowenig besteht ein notwendiger Zusammenhang zwischen dem Kirchenbewußt295

sein und bestimmten Entartungserscheinungen, wie man sie in anderen Kirchengemeinschaften, aber audi in der eigenen sehen mag. Primär bezeichnet das Kirchenbewußtsein vielmehr den geschichtlichen Ort christlicher Existenz, des Glaubens. Eine andere Frage ist es jedoch, inwieweit dieses Kirchenbewußtsein Grundlage für einen Kirchenbegriff und schließlich für die ökumenische Arbeit sein kann. Gewiß wird bei der Lehre von der Kirche die Faktizität der Kirchengemeinschaft nicht unberücksichtigt bleiben dürfen. Es ist auch zu beobachten, daß dort, wo die Entwicklung eines Kirchenbegriffs noch nicht nötig geworden ist, das positive kirchliche Handeln eine gewisse normierende Bedeutung gewinnt. Am Beispiel der Ostkirche ist dies vor allem in dem Bemühen zu erkennen, aus der aufs Ganze gesehen uneinheitlichen kirchenrechtlichen Praxis in der Beurteilung heterodoxer Sakramente dogmatische, ekklesiologische Aussagen abzuleiten. Im Grunde wird damit die aus der Abgrenzung der Abendmahlsgemeinschaft erwachsende Bußdisziplin als konstitutives Element in die Ekklesiologie übernommen. Man wird jedoch hier denjenigen ostkirchlichen Theologen zustimmen müssen, die hinter der offensichtlichen Uneinheitlichkeit in den kirchenrechtlichen und seelsorgerlichen Entscheidungen weiterhin eine Aporie in der Bestimmung der kirchlichen Grenzen bzw. im Kirchenbegriff überhaupt erblicken. Denn letztlich läuft der Versuch, aus der jeweils situationsbedingten praktischen Entscheidung eine allgemeingültige dogmatische Norm abzuleiten, auf eine ,petitio principii' hinaus, weil die theologischen Vorfragen noch ungeklärt sind. An diesem Punkt ist nun die Problematik des ekklesiologischen Ansatzes der Schuldogmatik und des ekklesiologischen Institutionalismus zu sehen. Sie liegt in dem Versuch, die in ihrem Bereich durchaus legitimen Aussagen des Kirchenbewußtseins und der Bußpraxis dogmatisch zu systematisieren. Das Ergebnis ist eine Verkürzung, in der weder das viel reichere Kirchenbewußtsein der Ostkirche (man vergleiche nur die Fülle der ekklesiologischen Aussagen in der Liturgie) noch die dogmatische Grundlegung auch nur annähernd zum Ausdruck kommen. Systematisiert und aus dem Zusammenhang herausgelöst wird einerseits das Selbstverständnis der Kirchengemeinschaft und ihrer Glieder, nach dem sie sich als Glieder der Kirche Jesu Christi verstehen, und andrerseits die seelsorgerliche und katechetische Intention, in der die Glieder der Kirchengemeinschaft auf den ihnen gegebenen geschichtlichen Ort der Kirche hingewiesen werden. Die Gleichsetzung der kanonischen und charismatischen Grenzen der Kirche ist, was auch von ostkirchlichen Theologen erkannt ist, lediglich eine logische Konsequenz aus einem dogmatisch unzureichenden Ansatz in der Lehre von der Kirche. Nicht erst in der ökumenischen Bewegung, sondern bereits im innerostkirchlichen theologischen Gespräch über die Kirche sind die theologischen Mängel des ekklesiologischen Institutionalismus deutlich geworden. In der neueren ost296

kirchlichen Theologiegeschichte bildet die dogmatische Vertiefung des Kirdienbegriffs eine kontinuierliche Linie, in der viele der noch fehlenden Gesichtspunkte auftauchen: der pneumatologische Ansatz bei A. S. Chomjakov, der christologische bei V. S. Solovjev und dann in der historischen Schule, die Betonung der Kirche als „koinonia" im Begriff der „sobornostj" und in neuster Zeit die fortschreitende Destruktion dogmatischer „Fiktionen" und „Zweckgedanken", wie sie am stärksten bei S. Bulgakov hervortritt. Die besondere Schwierigkeit, vor die sich nun die ostkirchliche Theologie nicht erst in der ökumenischen Begegnung, sondern bereits bei der dogmatischen Ausarbeitung der Lehre von der Kirche gestellt sieht, ist die Gefahr eines ekklesiologischen Relativismus, durch den die Grenzen der empirischen Kirchengemeinschaft aufgelöst oder sogar durchbrochen werden. Diese Gefahr wird schon dort empfunden, wo in der Ekklesiologie nicht mehr primär von der empirischen Gestalt der Kirche und von dem Kirchenbewußtsein ausgegangen wird. Unter dem ontologischen Aspekt als Leib Christi erscheint die Kirche in einer anderen Weise als unter dem Aspekt einer geschichtlichen Gemeinschaft, die zwar auch göttlichen Ursprungs ist, die jedoch primär von bestimmten Normen umgrenzt und durch sie gekennzeichnet ist. Das Axiom des ekklesiologischen Institutionalismus wird durch die Wesensbestimmung der Kirche in gewisser Weise in Frage gestellt. Dieses aus dem Nebeneinander der beiden ekklesiologischen Tendenzen erwachsende Problem des ekklesiologischen Relativismus hat für die ostkirchliche Theologie und dann auch für die Auseinandersetzung mit der ökumenischen Fragestellung eine grundsätzliche Bedeutung, der noch weiter nachzugehen ist.

B. D i e

E k k l e s i o l o g i e als R a h m e n p r o b l e m der ö k u m e n i s c h e n Frage

Die Spannung zwischen den beiden ekklesiologischen Ansätzen wird dort besonders deutlich, wo verschiedene ostkirchlidie Theologen von einer „Antinomie" oder einem „Paradox" sprechen (s.o. S.208f., 160, 264ff.). Damit wird im Grunde die ekklesiologische Aporie angezeigt, vor der die ganze ostkirchliche Theologie in der ökumenischen Begegnung mit den getrennten Kirchen steht. Die als „Antinomie" oder „Paradox" bezeichnete Diskrepanz kommt auf verschiedenen Ebenen zum Ausdruck. Zunächst bricht sie auf im persönlichen Bereich der Bindung an die eigene Kirchengemeinschaft. Eine Spannung entsteht hier, wenn zu dem Erlebnis der Kirche in der eigenen Kirchengemeinschaft das Erlebnis einer über die kirchliche Zertrennung hinausgehenden elementaren Einheit Wirklichkeit wird. Gerade dadurch, daß dieses von vielen ostkirchlichen Teilnehmern an öku297

menischen Begegnungen und auch in den Sondererklärungen von Lausanne und Edinburgh bezeugte Erlebnis der Einheit die sakramentalen und kanonischen Grenzen der empirischen Kirchengemeinsdiaft transzendiert, wird hier die Gefahr eines ekklesiologischen Relativismus empfunden. Jeder Versuch, diesen Widerspruch zwischen der Bindung an die bestehende Kirchengemeinsdiaft einerseits und dem ökumenischen Erlebnis der Einheit andrerseits aufzulösen, erscheint undurchführbar. Denn entweder würde die Bindung an die eigene Kirchengemeinschaft oder aber die Möglichkeit einer echten ökumenischen Begegnung aufgegeben. Mit den Begriffen „Antinomie" und „Paradox" wird also im persönlichen Bereich eine Situation beschrieben, die aus der existentiellen Betroffenheit durch die Zertrennung der Kirchen und aus dem Ringen um die Einheit erwächst. In ähnlicher Weise kann auf der Ebene der dogmatischen Reflexion von einer „Antinomie" bzw. von einem „Paradox" gesprochen werden. In der Auseinandersetzung mit der ökumenischen Frage kehrt hier die Spannung zwischen den beiden ekklesiologischen Tendenzen wieder, und damit erscheint die ganze ökumenische Problematik im Rahmen der Ekklesiologie. Denn faktisch entspricht die Diskrepanz zwischen dem institutionalistischen und dem ontologisdien Ansatz in der Ekklesiologie der Diskrepanz zwischen der Bindung an die eigene Kirchengemeinschaft und dem ökumenischen Erlebnis der Einheit. Die theologische Arbeit am Kirchenbegriff findet so ihre unmittelbare Fortsetzung in der ökumenischen Arbeit, und die jeweiligen ekklesiologischen Voraussetzungen bestimmen die Stellungnahme zur ökumenischen Problematik. So liegt es in der Linie des institutionalistischen Ansatzes, daß man, wenn überhaupt, nur in eingeschränkter Weise die außerhalb der eigenen Kirchen- und Sakramentsgemeinschaft stehenden christlichen Konfessionen als Kirche bezeichnen kann. Das ökumenische Anliegen als solches kann durchaus positiv aufgenommen werden. Es kann auch von einem kirchlichen Bereich außerhalb der Grenzen der empirischen Kirchengemeinschaft gesprochen werden, in dem bestimmte Zeichen oder Spuren der Kirche in der Lehre, in den Sakramenten (ζ. B. Taufe) und in manchen Fällen auch im Amt zu finden sind. Denn die Gleichsetzung der kanonischen mit den charismatischen Grenzen der Kirche bildet zwar eine logische Konsequenz aus dem institutionalistischen Ansatz, aber sie ist für die neuere ostkirchliche Theologie nicht charakteristisch, weil sie zu dogmatischen Schwierigkeiten besonders in der Lehre von den Sakramenten führt (s.o. S.234ff.). Eine dogmatische Auseinandersetzung mit der ökumenischen Frage ist jedoch nach den ekklesiologischen Voraussetzungen des Institutionalismus nur in den Kategorien der kirchenrechtlichen Praxis, d. h. der Bußdisziplin, möglich. Die Vereinigung der Kirche wird als eine Wiederherstellung der Sakraments· und Kirchengemeinschaft unter bestimmten Bedingungen und Voraussetzungen gesehen, wobei die Kanones der Bußpraxis auf den Zustand der 298

kirchlichen Zertrennung angewandt werden. Wenn so gelegentlich von ostkirdilicher Seite die ökumenische Arbeit als ein missionarisches Anliegen der orthodoxen Kirche bezeichnet wird, dann ist damit letztlich die seelsorgerliche Aufgabe der Bußpraxis gemeint 1 . Es ist bezeichnend, wenn auch keineswegs überraschend, daß in den Sondererklärungen der ostkirchlichen Delegationen auf den Weltkirchenkonferenzen durchgehend der institutionalistische Ansatz besonders hervorgehoben wird. Die Kritik ist dabei stets gegen die Einheitserklärungen gerichtet, in denen Einheit und Vereinigung von dem ontologischen Ansatz der Ekklesiologie her entfaltet werden. Selbst dort, wie ζ. B. in der Sondererklärung zu dem Bericht der ersten Sektion auf der zweiten Vollversammlung des ökumenischen Rates in Evanston 1954, wo man der Analyse des neutestamentlichen Zeugnisses von der Kirche zustimmt, werden die Konsequenzen abgelehnt, die in dem Bericht daraus gezogen werden. Dabei wird sehr deutlich zum Ausdruck gebracht, daß man in diesen Konsequenzen primär die Gefahr eines ekklesiologischen Relativismus bzw. IndifFerentismus erblickt. Gleichzeitig bleibt aber in diesem für den institutionalistischen Ansatz so charakteristischen Dokument die Frage nach dem charismatischen Status der außerhalb

der empirischen

Kirchengemeinschaft

stehenden Kirchen einfach ungeklärt und unbeantwortet (s. o. S. 287). An die Stelle der dogmatischen Reflexion treten hier offensichtlich die Kategorien der Bußpraxis, und damit erübrigt sich eine weitere theologische Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik. Das Paradox bleibt nur insofern bestehen, als die dahinter verborgene offene Frage von den ekklesiologischen Voraussetzungen her abgeschnitten wird. Anders steht es in der Beurteilung der ökumenischen Frage bei den ostkirchlichen Theologen, die in ihren ekklesiologischen Voraussetzungen bereits von dem ontologischen Ansatz ausgehen. Bei ihnen wird unter den Begriffen der „Antinomie" und des „Paradoxes" die ökumenische Problematik als die Diskrepanz zwischen der wesentlichen Einheit und der empirischen Zertrennung auch theologisch formuliert. Zwar kommt es auch hier keineswegs zu einer Lösung der ekklesiologischen Aporie, aber das Problem wird doch als solches klar er1 In diesem Sinne ist auch der „Beitrag" (contribution) zu verstehen, der von den ostkirchlichen Delegierten auf der Vollversammlung des ökum. Rates in NeuDelhi 1961 in der Sektion „Einheit" vorgelegt wurde. Es heißt darin, daß die orthodoxe Kirche sich nicht auf den Standpunkt einer „Gleichheit der Denominationen" stellen könne: „Für die Orthodoxen ist die Orthodoxe Kirche die Kirche". Deshalb kann die ganze ökumenische Frage nur unter dem Gesichtspunkt des „Schismas", d.h. der Rückkehr zu der bestehenden Einheit und damit zur Kirche behandelt werden. Diese Erklärung wurde jedoch nicht als offizielles Konferenzdokument veröffentlicht und hat offensichtlich, obwohl sie durchaus in der Linie früherer Sondererklärungen steht, eine Unstimmigkeit zwischen den ostkirchlichen Delegierten hervorgerufen.

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kannt und formuliert; die Diskrepanz bleibt als eine Aufgabe bestehen, ohne daß sie einseitig aufgelöst wird. Wie scharf diese Spannung nicht nur theologisch, sondern audi existentiell empfunden wird, zeigen besonders die Stimmen, die im siebenten Kapitel zu Wort kamen. Es geht hier bis zu einer Resignation an der Möglichkeit einer geschichtlichen Vereinigung der Kirchen 2 . D a ß jedoch, wie es nach den offiziellen und halboffiziellen Verlautbarungen scheinen mag, der institutionalistisdie Ansatz nicht ausschließlich die Einstellung der Ostkirche als ganzer zur ökumenischen Frage bestimmt, zeigt die faktische Mitarbeit der Ostkirdie in der ökumenischen Bewegung. In der Einleitung hatten wir absichtlich das weite Gebiet der praktischen ökumenischen Zusammenarbeit aus den grundsätzlichen theologischen Erwägungen vorläufig eliminiert. Doch gerade hier muß noch einmal an die große Bereitwilligkeit erinnert werden, mit der die Ostkirche den ökumenischen Gedanken von Anfang an aufgegriffen und unterstützt hat. Es ist nicht zu übersehen, daß die Ostkirche durch ihre intensive Beteiligung an der ökumenischen Bewegung eine über ihre eigenen kanonischen Grenzen hinausgehende christliche Gemeinschaft mit anderen Kirchen bejaht. Man wird sogar sagen dürfen, daß diese praktizierte christliche Gemeinschaft bereits Elemente enthält, die als sichtbarer Ausdruck von Kirchengemeinschaft anzusehen sind. Hierzu gehört der Austausch von Friedens- und Bruderbriefen (vgl. o. S. 118 und 280), die Fürbitte, die Liebestätigkeit und nicht zuletzt das Gespräch über die kirchliche Zertrennung im gemeinsamen Hören auf das Wort Gottes. Sicher wird durch diese und ähnliche Elemente der ökumenischen Gemeinschaft die kirchliche Einheit nicht präjudiziert; aber sie sind auch keineswegs ekklesiologisch irrelevant, es sei denn, man reduziere die kirchliche Einheit auf die kirchliche Organisation. Der Maßstab dieser praktizierten Gemeinschaft ist nicht der einer dogmatisch und kanonisch fixierten Lehre und Ordnung, sondern der der christlichen Liebe und Hoffnung. Beides kann aber nicht voneinander getrennt werden 3 . Die Spannung zwischen dem institutionalistischen und dem ontologischen Kirchenverständnis bestimmt über die eigentliche dogmatische Arbeit am Kirdienbegriff hinaus die ganze Auseinandersetzung mit der ökumenischen Frage 2

Einen neuen Versuch, die ekklesiologische Antinomie von der ökumenischen Arbeit her zu überwinden, stellt das Referat vor dem Ausschuß für Glauben und Kirchenverfassung in Neu-Delhi von Ν. A. N i s s i o t i s dar (Neu-Delhi Dokumente, Witten 1962, S. 407—418). Vgl. hierzu: R. Slenczka, Zeugnis, Dienst, Einheit in orthodoxer Sicht, in: ökumenische Rundschau 11, 1962, S. 171—185. 3 Auf der panorthodoxen Konferenz in Rhodos vom 24. 9. bis zum 1. 10.1961 haben die Vertreter der orthodoxen Kirchen beschlossen, bis zu einer noch ausstehenden endgültigen Entscheidung die Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung im Sinne der Enzyklika des ökumenischen Patriarchats von 1920 fortzuführen. Es ist jedoch noch nicht zu erkennen, ob dies eine Zustimmung zu den ekklesiologischen Voraussetzungen dieser Enzyklika bedeutet. 300

und schließlich audi die Mitarbeit in der ökumenischen Bewegung. Die Ekklesiologie wird hier zum Rahmenproblem, denn jede Stellungnahme zur ökumenischen Frage impliziert eine ekklesiologische Entscheidung.

C.

Epilog

Nach dem vorliegenden Material ist es nicht möglich, von einem abgeschlossenen spezifisch orthodoxen Kirchenbegriff zu sprechen. Wir haben es vielmehr in der ostkirchlichen Theologie mit einer noch laufenden Auseinandersetzung zu tun. Die dogmatische Arbeit kreist dabei einerseits um das Kirchenbewußtsein, nach dem sich die Ostkirche als Kirche Jesu Christi versteht, und dieses Moment bestimmt vor allem den institutionalistischen Ansatz. Andrerseits geht es um die theologisdhe Vertiefung des Kirchenbewußtseins sowie um die Klärung der durch die ökumenische Begegnung aufgeworfenen Fragen, wobei besonders der ontologische Ansatz zur Geltung kommt. Wie der Kirchenbegriff noch offen ist, so bleibt es audi bei der Auseinandersetzung mit der ökumenischen Frage bei einer Aporie, die ausgesprochen oder unausgesprochen in den Beiträgen einzelner Theologen spürbar ist. Daraus aber folgt, daß die herkömmliche Methode der Kontroverstheologie auf die ostkirchliche Ekklesiologie nicht ohne weiteres angewandt werden kann. Dies wäre nur möglich, wenn man rein phänomenologisch aus der konfessionellen Eigenständigkeit und dem Kirchenbewußtsein sekundär einen Kirdienbegriff konstruieren würde. Dies hätte jedoch eine erhebliche Verkürzung der weiten Skala theologischer Ansätze zur Folge. Das Ergebnis unserer Untersuchung weist in eine andere Richtung, die hier kurz angedeutet werden soll. Die Offenheit der Ekklesiologie und die Aporie in der ökumenischen Frage liegt nicht nur in der ostkirchlichen Theologie vor. Wir hatten bereits in der Einleitung darauf hingewiesen, daß die Lehre von der Kirche in der Theologie aller Kirchen ungeklärt ist und erst in neuerer Zeit Gegenstand einer vertieften dogmatisdien Reflexion wurde. Damit ist eine über die Grenzen der konfessionellen Theologie hinausgehende Gemeinsamkeit gegeben, die darin besteht, daß hier alle Kirchen vor derselben Aufgabe stehen. Wir stehen dabei nicht nur vor einem theologischen Problem, sondern vor dem Mysterium der Kirche. Gerade in der ostkirchlichen Theologie wird häufig auf die Unerschöpflidikeit dieses Geheimnisses hingewiesen. Aber auch in den theologischen Stellungnahmen zur ökumenischen Frage ersdieint eine Mannigfaltigkeit von Ansätzen, die nicht in ein konfessionelles Schema gepreßt werden kann. Nach den offiziellen und halboffiziellen Verlautbarungen mag es zunächst scheinen, als stünde die Ostkirche auf dem Standpunkt eines rein institutionalistischen Kirchenverständnisses, nadi dem die charismatischen Grenzen der Kirche mit den kanonischen der Kirdiengemein301

sdiaft mindestens in der Intention zusammenfallen. Man kann diese Äußerungen aber auch als eine Abgrenzung gegenüber der Gefahr eines ekklesiologisdien Relativismus verstehen, wobei auf positive dogmatische Aussagen weitgehend verzichtet wird. Die theologische Problematik dieser Erklärungen wird auch von ostkirchlichen Theologen gesehen, und so werden auch Ansichten vertreten, die entweder mit der ,Zweigtheorie' oder aber auch mit der Theorie der ,vestigia ecclesiae' verbunden sind. Das ökumenische Gespräch zeigt, daß diese verschiedenen Theorien zur Beurteilung der kirchlichen Zertrennung nidit als konfessionelle Eigentümlichkeiten verstanden werden können. Wenn audi mit unterschiedlicher Betonung, sind sie in den Theologien aller Kirchen zu finden. Es liegt daher nahe, diese Theorien auch nicht konfessionell zu verstehen, sondern als verschiedene Aspekte, unter denen die Kirche in ihrer Einheit und Zertrennung gesehen werden kann. In der Gleidisetzung von diarismatischen und kanonischen Grenzen kommt das Anliegen zum Ausdruck, die kirchliche Einheit von der Abendmahlsgemeinschaft her zu verstehen. In der ,Zweigtheorie' wird das Moment der geschichtlichen Entwicklung betont. In der Theorie von den ,vestigia ecclesiae' schließlich wird festgehalten, daß die Bundestreue und der Heilsratschluß Gottes nicht durch menschliches Versagen und menschliche Untreue aufgehoben werden können. Das sakramentale Verständnis der Kirchengemeinschaft, die geschichtliche Erscheinungsweise der Kirche und die in den Heilsordnungen verbürgte Bundestreue Gottes können nicht gegeneinander aufgehoben werden, sondern müssen miteinander verbunden bleiben. Deshalb kann auch nicht eine dieser hier nur schematisch aufgeführten Theorien verabsolutiert werden, ohne daß damit wesentliche Elemente der Kirche vernachlässigt würden. Dasselbe gilt aber auch von der Spannung zwischen dem institutionalistischen und dem ontologischen Ansatz in der Lehre von der Kirche. Wenn die ostkirchliche Theologie in ihrer Gesamtheit bei der ekklesiologisdien Auseinandersetzung mit der ökumenischen Problematik letztlich vor einer Antinomie, vor einem Paradox stehenbleibt, so ist dies eine unausgesprochene Anerkennung der Tatsache, daß keiner dieser beiden Ansätze verabsolutiert werden kann, ohne damit entsdieidende ekklesiologische Aussagen zu verkürzen oder auszuschalten. Die daraus entstehende Aporie bezeichnet hier also nicht nur ein vordogmatisches Stadium in der Entwicklung eines Kirchenbegriffs, sondern letztlich eine theologische Situation. Ohne trotz der gebotenen Kürze zu verallgemeinern, kann man wohl feststellen, daß heute in den Theologien aller Kirchen die Berechtigung des institutionalistisdien wie auch des ontologischen Ansatzes in der Ekklesiologie gesehen wird. Gerade im Blick auf eine häufig wiederkehrende Kritik ostkirchlicher Theologen an dem reformatorischen Kirchenverständnis muß hier erwähnt werden, daß der Vorwurf eines ekklesiologisdien Indifferentismus unzutreffend ist. E r ist zwar für gewisse Strömungen der evangelischen Theologie des 18. und 19. Jahrhunderts berechtigt, die aber nicht mit der reformatorischen

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Lehre von der Kirche gleichgesetzt werden können. Der religiöse Individualismus und Liberalismus ist ebensowenig protestantisch* wie der radikale Institutionalismus typisch orthodox ist. Die im gleichen Zeitraum der von uns behandelten ostkirchlichen Diskussion um den Kirchenbegriff in der evangelischen Theologie laufende ekklesiologische Arbeit zeigt vielmehr im Grunde dieselbe Fragestellung und ähnliche Lösungsversuche. Die bekannte Kontroverse um das Verhältnis zwischen der Kirche in ihrer Rechtsordnung und nach ihrem Wesen als eschatologisdi-pneumatischer Gemeinschaft, die vor allem von Rudolf S ο h m und Adolf v o n H a r n a c k um die Jahrhundertwende geführt wurde, zeigt eine ähnliche Spannung zwischen dem institutionalistischen und dem ontologischen Kirchenverständnis. Audi in der evangelischen Theologie ist die Diskussion um diese Frage bis heute noch nicht endgültig abgeschlossen. In der Ökumenischen Bewegung gewinnt die in den konfessionellen Theologien ungelöste Frage der Ekklesiologie ein besonderes Gewicht. Die ökumenische Gemeinschaft der Kirchen ist im Grunde die praktische Formulierung der Spannung zwischen dem institutionalistischen und dem ontologischen Ansatz, indem sich die Kirchen in der Faktizität ihrer vollen kirchlichen Eigenständigkeit und Verschiedenheit in der gemeinsamen Hoffnung unter dem einen Herrn zusammenfinden. Seit Amsterdam 1948, besonders aber seit der Weltkirchenkonferenz für ,Faith and Order' in Lund 1952, steht die theologische Vertiefung dieser Problematik im Vordergrund der gemeinsamen Arbeit der Kirchen. Das Thema für den Bericht der ersten Sektion auf der Weltkirchenkonferenz von Evanston 1954: „Unser Einssein in Christus und unsere Uneinigkeit als K i r chen", ist eine von den zahlreichen Formulierungen, in denen die ekklesiologische Antinomie der ökumenischen Gemeinschaft zum Ausdruck gebracht wird. Mit zunehmender Deutlichkeit zeichnet sich hier ein neues Verständnis der ökumenischen Arbeit ab. Die getrennten Kirchengemeinschaften begegnen sich nicht mehr zuerst in der Kontroverse um ihre jeweilige Ekklesiologie. Es geht nicht darum, in der Verschiedenheit der Kirchenverständnisse einen Konsensus als Basis zukünftiger Einheit zu finden. Das sind zwar keineswegs unwichtige, aber doch zweitrangige Fragen. In der ökumenischen Begegnung der Kirchen bezeichnet die Spannung zwischen dem institutionalistischen und dem ontologischen Ansatz vielmehr die Situation, in der sich die Kirchengemeinschaften in ihrer geschichtlichen Eigenständigkeit nicht miteinander, sondern mit dem Herrn der Kirche und seinem Willen und Handeln konfrontiert sehen. Von der horizontalen Ebene eines vergleichenden Nebeneinanders wird damit die Frage der Einheit auf die vertikale Ebene des gemeinsamen „Aufsehens auf Christus" verlagert. Es ist die ständige Neubesinnung der kirchlichen Institutionen auf das Wesen der Kirche. Was auf der horizontalen Ebene des Nebeneinanders getrennter Kirchengemeinschaften als Relativismus erscheint, ist hier die Infragestellung der Kirchen und ihrer geschichtlichen Existenz im Blick auf den Grund ihres Seins. 303

Als Antinomie oder als Paradox ist diese Situation der Kirchen sachgemäß beschrieben. Doch darf dies nicht als Resignation angesichts der scheinbaren Unüberwindlichkeit des Trennenden verstanden werden, sondern als Ruf zur Verwirklichung der Einheit. Die Ekklesiologie wird in der Auseinandersetzung mit der ökumenisdien Problematik zur Entscheidungsfrage, bei der es nicht um eine logische Klärung des Widersprüchlichen, sondern um die gehorsame Verwirklichung der in Christus gegebenen und verheißenen Einheit geht. In der neueren ostkirchlichen Theologie ist diese Entscheidungsfrage mit großer Eindringlichkeit gestellt worden. Nicht in ihren jeweiligen Vorstellungen von der Einheit, sondern in ihrem Ringen um die Einheit begegnen sich die Kirchen.

304

LITERATURVERZEICHNIS I — in lateinischer Schrift a) Allgemeine

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1893.

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1882.

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314

τής 'Ελλάδος, έν Ά&ήναις.

Namenregister (in Auswahl) Afanasjev, N., 252ff. / Akvilonov, E.P., llOff., 129, 186 / Alexij (Simanskij), Patriarch, 189, 294 / Algermissen, K., 24 / Alivisatos, A. S., 25, 59, 149, 176, 181, 222, 235f., 244, 249f., 281 / Ambrasis, N., 228 / Androutsos, Chr., 37ff., 181 ff., 203ff., 283 / Antonij (Amphiteatrov), 36ff., 107, 212f. / Antonij (Chrapovickij), Metr., 109, 187, 199ff., 227, 245ff. / Arsenjev, N. S., 62 / Augustin, 123, 207, 238, 253

Gagarin, SJ, 135 / Gardiner, R. H., 187, 199f. / Gass, W., 244 / Gavin, F., 213 / Germanos (Strinopoulos), Metr., 176,192, 282ff. / Gezenj, Α., 133 / Gillet, L„ 222 / Glubokovskij, Ν. N., 104, 191, 217, 226f., 283 / Gorodkov, Α., 37 / Gorskij, Α. V., 126 / Grabbe, Graf J., 148, 291 / Gratieux, Α., 75, 140 / Gregorios VI., ökum. Patr., 240 / Gregorios Palamas, 29 / Gussev, A. Th., 192ff„ 221 f.

Balanos, D.S., 55, 231 f., 249, 283 / Barth, K., 293 / Basilios (Georgiadis), Erzb., 252 / Belajev, Α., 109, 213 / Benz, E., 26f. / Berdjajev, Ν. Α., 65, 74, 129, 135 / Bolotov, V. V., 104, 150, 194, 218 ff., 257 / Bolton, Α., OSB, 133 / Bratsiotis, P. J., 175, 179, 231 f., 249 / Brilliantov, Α., 218, 220 / Brunner, E., 145 / Bulgakov, Α., 249 / Bulgakov, S. Ν., 29, 60, 80, 86,102,129,134,146f., 149 ff., 222, 257 ff.

Hahn, T., 187 / Hansen, L„ 133 / Heiler, F., 25ff.

Caadajev, P. J., 99 / Calvin, J., 17 / Celcov, I., 43 / Chomjakov, A. S., 59, 61 ff., 81 f., 88ff., 113f., 121, 125ff, 186, 247 / Chomjakov, D. Α., 135, 139 / Christophilopoulos, Α., 239 / Chrysostomos (Kalaphatis), Erzb., 178, 180f. / Chrysostomos (Papadopoulos), Metr., 249 / Congar, M. J., OP, 19 / Cyprian, 191, 207, 219, 238, 253 Danzas, J., 154 / Döllinger, I. von, 192 / Dorner, Α., 116 / Dositheus, Patr., 29, 39 f., 48, 230 / Dumont, Hi6romoine Pierre, OSB, 244 / Dyovouniotis, Κ. I., 245ff., 253 Ekzemplarskij, V., 49 / Elevtherij (Bogojavlenskij), Metr., 148 / Evdokimov, P., 258 ff. / Every, Ε., 244 Florenskij, Ρ. Α., 125, 261 / Florovskij, G., 25, 36, 60, 107, 119ff., 146f., 206ff., 252ff., 289 / Frank, S. L., 142f.

Iljinskij, V. I., 105 / Isidor, Bischof, 36ff. Jäki, S., OSB, 35 / Janyäev, J. L„ 129, 194f., 219 / Joachim III., ökum. Patr., 33, 214, 284 Karmiris, J., 228, 238, 289 / Karsavin, L. P., 128 / Kartaschov, Α. V., 31, 129, 228 / Katanskij, A. L., 38, 108, llOff., 218, 221 /Kattenbusch,F., 24 /Kazanskij, P. S., 126 / Kerenskij, V. Α., 105,192ff. / Kern, Archim. Cyprien, 29, 31, 37 / Kireev, Α. Α., 129, 192ff. / Kireevskij, I.V., 140 / Klostermann, R. Α., 59 / Komninos, P., 249 f. / Konidaris, G. I., 286 / Korsunskij, I. N., 37 / Koschelev, Α. I., 74 / Kotsonis, 1.1., 237ff, 289 / Küry, Α., 218 / Kyrillos Lukaris, ö k u m . Patr., 29, 39 Lebedev, Α. I., 104 / Legisa, Α., CMF, 133 / Leporskij, P. P., 131 / Lialine, C., OSB, 154 / Lopuchin, A. P., 104 / Losskij, N., 129 / Losskij, V., 25, 119, 148, 222 / Lovjagin, E„ 93 / Luther, M., 17 Makarij (Bulgakov), Metr., 36ff., 107, 212f. / Malinovskij, N. P., 37ff„ 213 / Mansvetov.I., 110/Meletios (Metaxakis), ökum. Patr., 250 / Merezkovskij, D., 129,132 / Mesoloras, J. E., 176 / Michael 315

(Konstantinidis), Metr., 287 / Minin, P., 135, 138f. / Moculskij, Κ., 86 / Möhler, J. Α., 62,121 I Müller, L., 74, 80, 82,102 Nechayev, Κ. V., 223 / Newman, J. H., 62 I Nikodim (Rotov), Erzb., 294 / Nikolaj Οπιδενίέ), Metr., 189 / Nikolaus II., Zar, 137 / Nissiotis, Ν. Α., 300 Osinin, I., 52 / Otto, R., 26 Palmer, W„ 61 / Palmieri, Α., OSA, 217, 233 / Pawlowski, Α., 32 / Petrus Mogila, Metr., 29, 230 / Philaret (Drozdov), Metr., 37ff., 98, 104, 107, 188, 195, 221 / Philaret (Gumilevskij), Erzb., 36ff., 60, 104,107f. / Philevskij, I., 109, 129, 211 / Pius IX., Papst, 66 / Platon, Erzb., 187 / Platon (Gorodeckij), Metr., 187 / Ponomarev, P. P., 109 / Popovic, 37 / Protasov, Graf, 33 Rajevskij, F., 249 / Razumovskij, G. I.. 293 I Rodzjanko, V., 223 / Rössler, R., 136, 293 I Romanides, J. S., 59 / Romanskij, T. (Pseudonym, s. Kartaschov) / Rossis, Z., 37, 178if., 193, 217, 229ff. / Rozanov, V. V., 32, 129, 132 Samarin, J., 61, 63, 74f. / Sarkisyanz, E., 144 / Schleiermacher, F. D., 24, 36,108 / Schlink, E., 20f., 293 / Schmeman, Α., 173 I Schultze, B., SJ, 132, 134 / Seraphim (Lade), Metr., 213 / Sergij (Stra-

316

gorodskij), Patr., 109, 129, 189, 192ff„ 242, 245 ff. / Silvestr (Malevanskij), Bischof, 36ff., 60, 107ff., 213, 226 / Slijepcevi6, D., 211 / Söderblom, Ν., Erzb., 26 I Sokolov, V. Α., 251 f. / Solovjev, V. S., 55, 59, 62, 64, 79ff, 115,125, 132, 150, 186, 197, 217, 220 / Sostinja, A. P., 105 / Spasskij, Α. Α., 104 / Spuler, Β., 249 / Stojanov, Τ., 92 / Svetlov, P. J., 150, 192ff, 224ff. / Swietlinski, C., 144 / Szylkarski, Wl., 86 Talysin, V., 148 / Tareev, Μ. M., 150, 153 I Ternavcev, V. Α., 129ff. / Theodorou, Α., 231 / Theophan von Tambov, 263 / Thils, G., 15, 17, 210 / Trempelas, P. N., 37, 45, 249 / Troickij, S. (Archim. bzw. Erzb. Ilarion), 110, 199ff„ 215, 245ff., 253 I Trubeckoj, Fürst S., 142f. / Tschetwerikow, I., 144 Uspenskij, N. 148 / Uspenskij, V. V., 129, 131 Vedernikov, Α., 62, 292, 293 / Vertogradov, V. S., 249,251 / Vinogradov, M., 192 / Vintilescu, S., 249 / Visser't Hooft, W. Α., 292 / Vodopivec, G., 19 / Vvedenskij, A. I., 108 f. Walter, Reinhold von, 134 Zander, L. Α., 258ff. / Zankow, S., 190, 213, 228 / Zelenka, J., 38 / Zenkovskij, V. V., 144f. I Zizelkow, K., 80

FORSCHUNGEN ZUR SYSTEMATISCHEN OE Κ U M EN I S C H E N T H E O L O G I E Herausgegeben von Edmund Schlink

UND

(Der Reihentitel für die Bände 1—8 lautet: Forschungen zur systematischen Theologie und Religionsphilosophie) Band 10

WOLFGANG DIETZFELBINGER

Die Grenzen der Kirche nach römisch-katholischer Lehre 1962. Etwa 220 Seiten, 'hart, etwa 24,— DM Von römisch-katholischer Seite ist bisher noch keine zusammenfassende Lehre von der Kirche gegeben worden, obwohl Konzilien und Enzykliken immer wieder einzelne Beiträge hierzu gegeben haben. Da das kommende Vatikanische Konzil vermutlich in dieser Richtung weiterarbeiten und vielleicht sogar neue Definitionen vorbereiten wird, kommt diese Untersuchung im rechten Augenblick, denn in ihr geht es um die Frage, wer nach römisch-katholischer Lehre zur Kirche gehört und unter welchen Bedingungen dies der Fall ist. In Vorbereitung: REINHARD NEUBAUER

Geschenkte und umkämpfte Gerechtigkeit Eine Untersuchung zur Theologie und Sozialethik Reinhold Nieburs im Blick auf Martin Luther 1962. Etwa 228 Seiten, kart. etwa 24,— DM FORSCHUNGEN ZUR S Y S T E M A T I S C H E N THEOLOGIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE Band 1

LISELOTTE RICHTER

Immanenz und Transzendenz im nachreformatorischen Gottesbild 1955. 128 Seiten, Leinen 9,— DM ,,Die Verfasserin gibt einen wichtigen Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte zwischen Luther und Hegel, indem sie die Entwicklung der Gottesvorstellung dieser Jahrhunderte unter dem Gesichtspunkt untersucht, inwieweit Gott als transzendent oder immanent erlebt und vorgestellt wird . . . " Philosophischer Literaturanzeiger Band 2

ROMAN RÖSSLER

Das Weltbild Nikolai Berdjajews Existenz und Objektivation 1956. 179 Seiten, Leinen 16,80DM

„Rösslers Hauptverdienst besteht darin, daß er es verstanden hat, die philosophische Konzeption Berdjajews höchst prägnant in zwei Begriffe einzufangen und ihr Spannungsverhältnis als eine theoretische Umschreibung von mystischen Erlebnissen des Denkers zu deuten. Die beiden Begriffe sind: Objektivation und Symbolisierung." Hochland V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N UND Z Ü R I C H

FORSCHUNGEN ZUR SYSTEMATISCHEN THEOLOGIE UND RELIGIONSPHILOSOPHIE Band 3

WOLFGANG PHILIPP

Das Werden der Aufklärung in religionsgeschichtlicher Sicht 1957. 228 Seiten mit 20 Bildtafeln, Leinen 24,— DM „Das äußerst exakt und umfangreich belegte Buch gehört zu den Werken, die dem, der sich die Mühe des Vertiefens macht, von e i n e m Punkt aus eine ganze Welt aufschließen. Dieser Ansatzpunkt könnte für viele der .christologische Zirkel' sein." Evangelische Akademie Loccum Band 4

OTTO SCHNÜBBE

Der Existenzbegriff in der Theologie Rudolf Bultmanns 1959. 140 Seiten, Leinen 14,80 DM „Schnübbes Auseinandersetzung mit Bultmann ist ein bedeutender Beitrag zur Klärung des Problems." Theologische Zeitschrift Band 5

HENNING SCHROER

Die Denkform der Paradoxalität als theologisches Problem Eine Untersuchung zu Kierkegaard und der neueren Theologie als Beitrag zur theologischen Logik 1960. 207 Seiten, kart. 24,— DM „Die tiefgründige Arbeit zeigt die Grundproblematik der Theologie und ihrer Denkweise im Gegenüber der Ontologie des Subjekt-Objekt-Schemas der allgemeinen Logik auf." Literatur-Umschau Band 6

HANS GEORG FRITZSCHE

Die Strukturtypen der Theologie Eine kritische Einführung in die Theologie 1961. 299 Seiten, kart. 22— DM „Eine formal ausgezeichnet aufgebaute und pädagogisch geschickt angelegt Methodologie als Wissenschaft." Literatur-Umschau Band 7

KLAUS BOCKMUHL

Leiblichkeit und Gesellschaft

Studien zur Religionskritik und Anthropologie im Frühwerk von Ludwig Feuerbach und Karl Marx 1961. 285 Seiten, brosch. 25,— DM Der Referent wüßte nicht zu berichten, wo anderwärts mit so durchsichtiger Klarheit so eindringlich an die obwaltende Dialektik erinnert würde . . ." Erich Τ hierl Das historisch-politische Buch Band 8

GOTTFRIED HORNIG

Die Anfänge der historisch-kritischen Theologie

J . S . Semlers Schriftverständnis und seine Stellung zu Luther 1961. 287 Seiten brosch. 28— DM „Semler ist in der Überwindung der mystischen und erbaulichen aber auch der dogmatisch gebundenen Schriftauslegung zum Begründer der historisch-kritischen Theologie des Protestantismus geworden." V A N D E N H O E C K & R U P R E C H T IN G Ö T T I N G E N U N D Z Ü R I C H