Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane: Band 1/Halbband 1 Europa [Reprint 2012 ed.] 9783110897449, 9783110011562


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German Pages 871 [872] Year 1969

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VORWORT
INHALT
ABKÜRZUNGEN
EINLEITUNG
BEGRIFFLICHE EINFÜHRUNG IN DIE WAHLSYSTEMATIK
LÄNDERBEITRÄGE
ALBANIEN
ANDORRA
BELGIEN
BULGARIEN
DÄNEMARK
DEUTSCHLAND
FINNLAND
FRANKREICH
GRIECHENLAND
GROSSBRITANNIEN
IRLAND
ISLAND
ITALIEN
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Die Wahl der Parlamente und anderer Staatsorgane: Band 1/Halbband 1 Europa [Reprint 2012 ed.]
 9783110897449, 9783110011562

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DIE WAHL DER PARLAMENTE UND ANDERER STAATSORGANE

Herausgegeben von Dolf Sternberger und Bernhard Vogel Redaktion von Dieter Nohlen

DIE WAHL DER PARLAMENTE UND ANDERER STAATSORGANE Ein Handbuch

Herausgegeben von Dolf Sternberger und Bernhard Vogel Redaktion von Dieter Nohlen

Band I: Europa

Erster Halbband

Berlin 1969

WALTER DE GRUYTER & CO.

Ardiiv-Nr. 27 50 69 1 Satz u. Drude: Max Sdiönherr, Berlin 65 Alle Rechte, einschließlich des Redits der Herstellung von Photokopien und Mikrofilmen, vorbehalten

VOR WORT

Zum dritten Mal in diesem Jahrhundert wird hier ein Handbuch der Parlamentswahl vorgelegt. Das erste war von Georg Meyer verfaßt und 1901 von Georg Jellinek herausgegeben, das zweite als Fortführung und Ergänzung von Karl Braunias im Jahre 1932 veröffentlicht worden. Diese Autoren waren Juristen, die jetzigen rechnen sich zur Politischen Wissenschaft. Sie bauen dankbar auf der Arbeit jener Vorgänger auf, folgen auch dem Schema, das Braunias zugrunde gelegt hat, möchten aber innerhalb dessen die jeweiligen verfassungspolitischen, auch verfassungshistorischen Verhältnisse noch stärker ausbreiten, als es Braunias getan hat; schon er hat freilich die Grenzen des Rechtlichen weit überschritten. Das ist auch der Grund des neuen Titels: Der alte Name „Das parlamentarische Wahlrecht" schien uns zu eng, da wir es nicht allein mit rechtlichen Normen, sondern zugleich mit den gesellschaftlichen Kräften zu tun haben, welche solche Normen nutzen oder auch setzen, und mit den politischen Wirkungen, welche daraus hervorgehen. Der neue Name läßt Raum für solche Perspektiven. Freilich sind wir uns bewußt, daß sie nicht überall in dem erwünschten Maße ausgefüllt werden konnten; die empirischen Umstände sind nicht in allen Ländern gleichermaßen zugänglich. Näheres hierüber findet der Leser in der nachfolgenden Einleitung.

Eine neue Darstellung ist indessen nicht so sehr aus systematischen als vor allem aus geschichtlichen Ursachen nötig geworden. Die europäische Verfassungswelt hat seit dem Jahre 1932 ungeheure Veränderungen erlitten. Ihr heutiger Zustand ist — im Vergleich mit dem damaligen — namentlich durch das Vordringen der kommunistischen Parteiherrschaft nach Osteuropa und bis an die Elbe charakterisiert, ferner durch die autoritären Regimes in den beiden Ländern der iberischen Halbinsel, durch die Ausbildung eines vorwiegend präsidentiellen anstatt des parlamentarischen Systems in Frankreich, schließlich durch die Teilung Deutschlands. Hier ist aus der totalen Niederlage des totalen Führerstaates und seiner Parteidiktatur im westlichen Teil ein pluralistisches Verfassungssystem mit parlamentarischer Regierung, im östlichen Teil eine kommunistische Parteidiktatur entstanden. Auch andere europäische Länder haben im Gefolge des zweiten Weltkrieges mehr oder minder deutliche verfassungspolitische Wandlungen erfahren; hier werden nur die drastischsten ins Gedächt-

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Wahl der Parlamente

nis gerufen. Das Institut der Parlamentswahl ist, wie bekannt, dort überall im höchsten Grade in Mitleidenschaft gezogen. Das Stichjahr 1932 (das Erscheinungsjahr des „parlamentarischen Wahlrechts" von Braunias) darf indessen bei einem soldien groben Vergleich nicht zu Täuschungen verführen. Im ganzen mag zwar ein Rückgang parlamentarischer Verfassungstypen konstatiert werden, die nun nach dem Westen unseres Kontinents zurückgedrängt zu sein scheinen. Doch sind andererseits auch jene Leviathane des Faschismus und Nationalsozialismus mitsamt ihren Satelliten ausgetilgt und verschwunden, deren Vormarsch, Triumph und Sturz das knappe zweite Viertel dieses Jahrhunderts ausgefüllt hat. Einige konstitutionelle Versuche der Epoche nach dem ersten Weltkrieg nehmen sich zudem im heutigen Rückblick als labil und ephemer aus, und man muß dabei nicht allein an Polen und den Balkan, man kann audi an die Republik von Weimar denken. Die verfassungspolitische Bilanz ist erregend, aber man erkennt daraus keineswegs eine eindeutige historische Tendenz. Unerachtet dieser beträchtlichen Veränderungen auf der verfassungspolitischen Landkarte Europas hat das Prinzip der Volkswahl als solches merkwürdiger- und vielleicht paradoxerweise den Bereich seiner Geltung in der gleichen Frist weiter ausgebreitet, auch sein Rang als Legitimationsgrund ist deutlicher hervorgetreten und wird allgemeiner anerkannt. Es bleibt eine bemerkenswerte Tatsache, daß jene „Erklärung über das befreite Europa", weldie auf der Konferenz von Jalta (im Februar 1945) beschlossen wurde und die Unterschriften von Roosevelt, Churchill und Stalin trägt, zum ersten Mal in der Geschichte völkerrechtlich relevanter Akte ein materielles Verfassungsprinzip als verbindlich für eine ganze Anzahl von Ländern statuiert hat, nämlich für die vormaligen „Vasallen der Achse" und für die im engeren Sinne „befreiten" Länder Europas: und dieses Prinzip war das der „freien Wahlen". Auf dem Wege freier Wahlen, so hieß es, sollten ehestens dort überall Regierungen errichtet werden, „die dem Volkswillen entsprechen". Gewiß hat die Sowjetunion diese Erklärung mißachtet, und gewiß sind in den von ihr besetzten oder gelenkten Ländern Osteuropas einschließlich der deutschen SowjetZone Wahlen erst veranstaltet worden, nachdem die Regierungen schon etabliert waren, und gewiß waren sie dann und ebendarum nicht mehr „frei". Dennoch bleibt es denkwürdig und erscheint es auch als charakteristisch, daß hier — in deutlicher Abweichung von dem konventionellen Begriff der Selbstbestimmung — mit internationalem Anspruch der Grundsatz ausgesprochen worden ist, daß Re-

Vorwort

VII

gierungen aus Wahlen hervorgehen sollen, und das hieß nichts anderes, als daß allein solche Regierungen legitim seien, die eben aus Wahlen hervorgingen. In dieser Gestalt hat die demokratische Doktrin in unserer Epoche eine bis dahin nicht erhörte Weite der Geltung erreicht, West und Ost huldigen ihr gleichermaßen, wenn freilich audi in fundamental verschiedener Ausprägung. Es gibt keinen anderen Verfassungsgrundsatz, der in irgend vergleichbarem Grade ausgebreitet wäre. Schon aus diesem Umstand rechtfertigt sich das Unternehmen, dieses Handbuch zu erneuern.

Es muß einer umfassenderen historischen Theorie der Repräsentation vorbehalten werden, zu erklären, wie das Verfahren der Bestellung von repräsentativen Körperschaften und von Regierungen durch allgemeine Wahlen eine solche vorwaltende und universale Bedeutung gewonnen hat, wie es zu der weltweit verbreiteten Ansicht gekommen ist, ebenhierin drücke sich das demokratische Prinzip oder die Volkssouveränität aus, und welches die wahre Natur der als „demokratisch" verstandenen Verfassungsstaaten sei. Thomas Paine scheint als erster den Satz aufgestellt zu haben, das repräsentative System mit allgemeinen Wahlen sei die moderne Form von Demokratie, und sie sei der antiken, also der „unmittelbaren", nicht allein ebenbürtig, sondern überlegen. Der Satz hat bis auf unsere Tage eine erstaunliche Wirkung bewiesen. Gleichwohl beruht er auf einer Verkehrung. Repräsentative Körperschaften, Reichsversammlungen, Parlamente sind weit älter als der Gedanke eines persönlichen bürgerlichen, gar eines allgemeinen und gleichen Wahlrechts. Die repräsentativen Institutionen hat die moderne Verfassungsgeschichte — in wie immer modifizierter, revolutionierter, restaurierter Gestalt — als solche festgehalten. Sie hat sie aber zugleich „demokratisiert". Diesen Institutionen ist ein neues gesellschaftlidies Substrat zugewachsen. Der Staat hat das Volk der persönlichen Mensdien- und Bürgerrechte gleichsam eingeholt und sich als neuen Verfassungsfaktor einverleibt: er hat es zu Wählern gemacht. Das neunzehnte Jahrhundert ist in Europa, im Abendland überhaupt, angefüllt von der Geschichte dieses gewaltigen Prozesses staatlicher Integration, welcher dem in den Revolutionen des achtzehnten Jahrhunderts eingeleiteten Prozeß der Emanzipation gleichsam ständig auf den Fersen bleibt. Den Schüben der Emanzipation folgen die Schübe der Ausbreitung des Wahlrechts, und das gegenwärtige Jahrhundert ist in dieser Bahn fotrgeschritten. Im Lande der ersten europäischen Menschenrechts-Erklärung ist den Frauen das Wahlredit erst nach dem zweiten Weltkrieg zuteil geworden.

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Wahl der Parlamente

In der Folge und in dem Maße dieser Verallgemeinerung des Wahlrechts hat sich, wie es Ostrogorski auf klassische Weise dargestellt hat (in seinem Werke über „Die Demokratie und die politischen Parteien", von dem wir leider noch immer keine deutsche Ubersetzung besitzen), die neue „politische Klasse" ausgebildet: es sind die politischen Parteien, diese eigentümlichen Vereinigungen von Parlaments- und Regierungskandidaten mit ihren Anhängern und getreuen Wählern. Diese Parteien haben die Herrschaft in den repräsentativen Versammlungen angetreten, zugleich aber sehen sie sich genötigt, möglichst feste und verzweigte Wurzeln in der Gesellschaft selber zu schlagen. Kurz, das Volk der Menschen- und Bürgerrechte hat die aristokratischständische Einrichtung der repräsentativen Versammlungen beibehalten, es hat sie aber gewissermaßen auf die Schultern genommen, hat sich ihnen auch wiederum gebeugt, hat sich ihnen anvertraut, sich auch in einem gewissen, beschränkten Maße in ihnen dargestellt. Niemals indessen hat sich ein Automatismus der Ubereinstimmung dieses Volkes, mag sein Wille als einhellig oder als pluralistisch gedacht werden, mit „seinen" repräsentativen Organen hergestellt, wie es die demokratische Fiktion nadi dem Vorgange von Thomas Paine wahrhaben möchte. Solche Ubereinstimmung will immer erst gesucht und betrieben werden, und zu diesem Ende werden nicht allein Mittel der Überzeugung angewendet, sondern audi soldie der Schmeichelei bis zur kollektiven Bestechung — durch „Wahlgeschenke" — von der einen Seite, des Drucks („pressure") bis zur demonstrativen Drohung und der versuchten Erpressung — durch Stimmenentzug — von der anderen Seite, soweit diese sich durch gesellschaftliche Organisation dazu in den Stand gesetzt hat. Jede Wahl ist eine Frage, die die „politische Klasse" (der Ausdruck ist von Gaetano Mosca geprägt worden) dem Volke stellt, und die Antwort entscheidet jeweils neu über das Verhältnis zwischen dem Parteienparlament und dem Wählervolk oder — wenn man diese Formulierung vorzieht — zwischen Repräsentation und Demokratie. Hier findet also ein ständiger veritabler Dialog statt, nicht ein Selbstgespräch des Volkes. Die Allgemeine Staatslehre und der allgemeine Sprachgebrauch geben dem Volke die Ehre und bezeichnen diese Verfassungsgebilde als Demokratien, feiner als indirekte oder repräsentative oder parlamentarische Demokratien. Das mag ruhig fortgelten. In Wahrheit und in Wirklichkeit jedoch sind es höchst komplizierte, wunderlich zusammengesetzte oder zusammengewachsene, in sich selber antinomisdie, konfliktreiche und ebendarum unvergleichlich lebensvolle, aber auch stets gefährdete Systeme, die man keinesfalls aus einem einzigen Prinzip deduzieren, aus einer einzigen Doktrin herleiten kann, gewiß nicht aus der demokratischen. V

Vorwort

IX

Der berühmte Satz Montesquieus, wonach die Gesetze, die das Stimmrecht festlegen, in der Demokratie grundlegend seien (Esprit des lois, zweites Buch, zweites Kapitel), gilt allerdings gleichermaßen für die echten repräsentativen Systeme mit allgemeiner Wahl, ganz besonders für solche mit parlamentarischer Regierung, wie sie England ausgebildet hat und wie sie auch in einer ganzen Reihe von Ländern des europäischen Kontinents geübt wird. Montesquieu dachte an die demokratische Republik des Altertums, als er — an der angeführten Stelle — schrieb, es sei hier ebenso wichtig zu regeln, wie, von wem, an wen und worüber die Stimmen (,suffrages') abgegeben würden, wie man in einer Monarchie wissen müsse, welches der Monarch sei und auf welche Art er regieren solle.*) Aber die vier Hauptfragen, welche nach seiner Aufzählung ein solches Grundgesetz beantworten muß, kennzeichnen in der Tat zugleich fast alle wesentlichen Gehalte eines modernen Wahlgesetzes; Montesquieu selbst will sie, wie die nachfolgenden Darlegungen zeigen, auch auf die Bestellung der Minister oder Magistraten, ja auf diejenige des Rates oder Senats angewendet wissen. Ich will diese vier Fragen zu unserem Zweck in umgekehrter Reihenfolge durchgehen. Die Frage ,sur quoi?', auf die Parlamentswahl übertragen, betrifft die Kandidaturen. Sie weisen freilich in verschiedenen Systemen einen unterschiedlichen Charakter auf. Rechtlich läßt sich der Gegensatz zwischen der Kandidatur einzelner Personen in Wahlkreisen und der Kandidatur von ganzen Personengruppen (Listen) in größeren Regionen wahrnehmen, der erste Typus erscheint mit den verschiedenen Formen der Mehrheitswahl, der zweite eher mit Verhältniswahl verknüpft. Empirisch können jedoch — bei einem System ausgebildeter Partei-Organisationen — die individuellen Kandidaturen in den Augen der Wähler überall mit ihrem jeweiligen Parteibekenntnis, zuweilen mit den Figuren der Führungsgruppe, auch mit dem Gesinnungs- oder Regierungsprogramm ihrer Partei mehr oder minder stark zu einem einzigen komplexen Gegenstand der Willensäußerung verschmelzen. Die Frage ,a qui?' wäre heute die Frage nach der Instanz, welche die Stimmen entgegennimmt und zählt, eine Frage von höchster Bedeutung: Nur dann, wenn ein politisches Gesamtsystem imstande ist, zuverlässig und unverdächtig neutrale Wahlbehörden zu stellen, kann ein Wahlakt legitimierende Wirkung üben. Die Frage ,par qui?' hat zwei Seiten: einerseits wäre es die Frage nach der gesetzlichen Wahlberechtigung, andererseits diejenige nach der *) "En effet, il est aussi important d'y regier comment, par qui, ä qui, sur quoi, les suffrages doivent etre donnis, qu'il est dans une monarchie de savoir quel est le monarque, et de quelle manure il doit gouverner."

χ

Wahl der Parlamente

tatsächlichen Wahlbeteiligung und nach der empirischen Zusammensetzung der konkreten Wählerschaft eines bestimmten einzelnen Wahlvorgangs. Auf die erste antwortet die Rechtsgeschichte, indem sie die ganze Entwicklung der Ausdehnung des persönlichen Wahlrechts bis zur weitesten Allgemeinheit schildert, aber auch neuere politische Beschränkungen kenntlich macht, die privilegierte und diskriminierte Gruppen schaffen. Um die Beantwortung der zweiten Frage bemüht sich die Wahlstatistik und die Wähler-Soziologie; sie kann am jeweiligen Exempel zeigen, welcher quantitative und qualitative Teil einer gegebenen Bevölkerung de facto die Aufgabe übernimmt, eine repräsentative Körperschaft zu bestellen, wer also in dieser Hinsicht wirklich anstelle des Volkes und für das Volk — das Volk der demokratischen Doktrin — pragmatisch tätig wird. Zu diesen Erkenntnissen kann unser Handbuch aus offenkundigen Gründen nicht viel beitragen, während es in dem ersteren Punkte reiche Informationen zu liefern bestrebt ist. Bleibt schließlich die Frage ,comment?'. Montesquieu erörterte hier vor allem die Alternative der geheimen und der öffentlichen Stimmabgabe, und sie hat eine eminente Bedeutung noch und wieder im Hinblick auf die verfassungspolitische Gegenwart. Bei Volkswahlen hielt Montesquieu freilich die öffentliche Stimmabgabe für geboten, weil nur auf diese Weise Aufklärung, Belehrung, also Führung des Volkes möglich sei. Die moderne Emanzipationsbewegung hat das entgegengesetzte Ergebnis gezeitigt, das Wahlgeheimnis gehört zu den liberalen Errungenschaften und heute zu den klassischen Merkmalen des persönlichen Wahlrechts. Wo davon in neuester Zeit abgewichen wurde, geschah es im Interesse monokratischer Herrschaft, die in wahlförmigen Akten Bestätigung suchte, abweichende Willensäußerungen zu verhüten strebte. Nur durch eine A r t von Übersetzungs-Wortspiel ließe sich die Frage "comment les suffrages sont donnes" mit der modernen amerikanischen Formel „how people vote" in Beziehung setzen. Die letztere meint die Tendenz der jeweiligen Stimmabgabe und ihre Motivation, so am Ende auch den politischen Sinn konkreter Wahlentscheidungen und die gewissen Regelmäßigkeiten, die sich bei ihrer Vergleichung über längere Fristen zeigen können. Hiervon versucht unser Handbuch in dem Maße Rechenschaft zu geben, als die Materialien es gestatten; doch würden weitergreifende theoretische Schlußfolgerungen den gegenwärtigen Zweck übersteigen. *

Montesquieu hat nur gefragt — und nur fragen können — , wie die Stimmen gegeben, nicht aber, wie sie genommen werden. Diese Frage

Vorwort

XI

ihrer Zählung und ,Verwertung' ist es aber, welche die eingreifendsten Neuerungen und die lebhaftesten Kontroversen hervorgerufen hat. Die alte, herkömmliche Entscheidung nach der Mehrheit im Wahlkreis oder Wahlkörper hat gleichsam ihre Unschuld eingebüßt, seitdem vor etwa hundert Jahren Thomas Hare und einige seiner Zeitgenossen den Einfall hatten, die Parlamentssitze müßten nach dem Verhältnis der Stimmen gleicher Willensrichtung verteilt werden, wie sie im ganzen Land oder doch in einer größeren Region abgegeben werden. Dieses Schema der „proportional representation" oder Verhältniswahl läuft in der Tat auf eine fundamental neue Art der Stimmenwertung hinaus. Es konnte nur entworfen und propagiert werden in einer historischen Epoche, in der die traditionellen Gebilde der „Wahlkreise" (constituencies) in ihrer autonomen Eigentümlichkeit zu verblassen begannen, und in der zugleich der Emanzipations-Druck eine immer weitere Ausbreitung des persönlichen Wahlrechts und einen Wandel des Zweckes oder Gegenstandes der Repräsentation selber bewirkte. Nicht mehr das Reich oder Land in seinen Gliederungen, sondern die Bevölkerung in ihren Interessen und Gesinnungen sollte nun repräsentiert werden oder sich selber repräsentieren. Eine mathematisch-technologische Denkweise trat hervor — ähnlich derjenigen, die schon Thomas Paines Vorstellung von der automatischen Ubertragung des Volkswillens auf die gewählte repräsentative Körperschaft bestimmt hatte. England selbst hielt in allen sozialen Veränderungen doch an der ererbten Zählweise fest, welche den Charakter des Willensaktes und der unmittelbaren subjektiven Beteiligung der Wähler an der Entscheidung im Wahlkreis bewahrt. Auf dem Kontinent jedoch hat das Proportional-Prinzip mit seiner Fiktion eines objektiven, gleichsam mechanischen Abbildungsverhältnisses zwischen Volk und Parlament weithin die Oberhand gewonnen. Seitdem diese Alternative besteht, und seitdem man zudem eine große Zahl von Variationen, Modifikationen und Kombinationen erdacht hat, hat das Wahlgesetz viel von seinem Rang als „loi fondamentale" (im Sinne Montesquieus) eingebüßt. Die deutsche sozialdemokratische Bewegung freilich, die den Grundsatz der Verhältniswahl zu einer Sache des Glaubens und der Hoffnung gemacht hatte, setzte seine förmliche grundgesetzliche Festlegung in der Weimarer Reichsverfassung durch, aber mit dem Untergang dieser Republik schwand auch das doktrinäre Zutrauen in dieses Zählverfahren. Heute stellen die Verfahrens- und Verrechnungsbestimmungen von Wahlgesetzen vielfach Instrumente in den Händen der .politischen Klasse' oder einzelner Parteien dar, den Wählerwillen in die Bahn ihres jeweiligen Interesses zu lenken, der ,Manipulations'-Argwohn greift in den Wählerschaf-

XII

Wahl der Parlamente

ten um sich und frißt an jenem elementaren Vertrauen, welches das Volk mit dem Parlament, das repräsentative mit dem demokratischen Element des Verfassungslebens verknüpfen soll. Viele Beiträge dieses Bandes illustrieren diesen Abusus. Uberall dort, wo der Sündenfall solchen Wechsels und solchen Experimentierens einmal erfahren wurde, ist es sehr schwer, zur Festigkeit und Dauer von wahlgesetzlichen Bestimmungen zurückzufinden; es bleibt gleichwohl dringend geboten.

Schließlich muß noch ein Problem genannt werden, das von dem Fragenkatalog Montesquieus gar nicht berührt wird: dasjenige des Vorschlags. Es gibt keine Wahl ohne Vorschlag oder Vorschläge. Insofern die Vorschläge die Wahl erst ermöglichen, bilden sie geradezu einen Teil oder eine Phase des Wahlvorganges. Der Wahlvorgang vollzieht sich wesentlich in zwei Phasen, derjenigen der Vorschläge und derjenigen der Entscheidung. Wo immer die Vorschlagenden eine besondere Gruppe abseits oder auch aus der Mitte der Wählenden bilden — und das ist bei Volkswahlen unvermeidlich —, können wir daher regelmäßig eine Teilung der gesamten Bestellungsgewalt wahrnehmen: sie teilt sich nämlich in eine Vorschlagsgewalt und eine Gewalt der Wahlentscheidung/1') Nirgends in Europa tritt ein Prozeß der Ausbildung von Vorschlägen so deutlich ins öffentliche Licht, wie das bei der Nominierung der Präsidentschaftskandidaten der beiden großen Parteien in den Vereinigten Staaten geschieht. Aber auch im Verfassungsleben der europäischen Länder sind es heute nahezu durchweg und ausschließlich die politischen Parteien, welche diese Vorschlagsgewalt in Händen haben, mögen sie die Kandidaturen aus dem eigenen Schöße hervorbringen oder auch aus der übrigen Gesellschaft beschaffen. Diese Gewalt, die sich vielfach auch als förmliche Befugnis in gesetzlichen Vorschriften niedergelegt findet, spielt in der ausgebreiteten Wirksamkeit der politischen Parteien eine so zentrale Rolle, daß diese sich geradezu und wesenhaft als ,Vorschlagskörperschaften' definieren lassen. Darin liegt ihre gesunde Funktion — und das eben ist vornehmlich die Art, in der sie, wie das geltende deutsche Grundgesetz sagt, „an der politischen Willensbildung des Volkes mitwirken". Darin liegt auch ihre Macht begründet. Leider hat die Politische Wissenschaft diesem Phänomen weder systematisch noch empirisch so viel Aufmerksamkeit gewidmet wie dem anderen Teil der Wahlgewalt, zumal dem Verhalten der Wählerschaften. *) Näheres hierüber findet man in meinem Essay „Über Vorschlag und Wahl, U m riß einer allgemeinen Theorie", der etwas versteckt erschienen ist in KaufmannKohl-Molt, Kandidaturen zum Bundestag, Politische Forschungen Bd. II, Köln 1961.

XIII

Vorwort

Dennoch liefert gerade die vergleichende Beobachtung der Vorschlagsgewalt das drastischste Kriterium, die verfassungspolitische Funktion der Volkswahl in liberal-pluralistischen und in monokratischen Parteisystemen zu unterscheiden. Überall, wo durch Ausschaltung konkurrierender oder durch Gleichschaltung abhängiger Parteien, durch Fusion oder durch Zwangskoalition ein offenes oder verkleidetes Vorschlagsmonopol entstanden ist, verwandelt sich der Wahlvorgang selbst unvermeidlich in einen kollektiven Zustimmungs- oder Huldigungsakt. Zugleich geraten die derart gewählten' Körperschaften zum wenigsten in die Gefahr, zu Schattenparlamenten zu werden, welche am Ende weder regieren noch deliberieren noch Gesetze geben, sondern Entscheidungen allenfalls ratifizieren, die anderwärts getroffen worden sind. Wo der Wählerschaft nicht mehrere Vorschläge gemacht werden, wo ihr die monokratische Vorschlagskörperschaft, die herrschende Partei oder ein von ihr gelenktes Konglomerat von Organisationen lediglich eine Einheitsliste vorlegt, kann im eigentlichen Sinne des Wortes eine Wahl nicht stattfinden, mag der Akt auch diesen Namen weiterführen. Um so mehr muß es verwundern, daß das Institut der Wahl selbst unter so paradoxen Umständen und mit so verkehrtem Sinn fortlebt und mit allem Aufwand zelebriert wird. Das Rätsel läßt sich wohl nur lösen, wenn man das universell übermächtige Bedürfnis nach demokratischer' Legitimation in Anschlag bringt. Eben hiervon legt dieses Handbuch denn in der Tat ein vernehmliches Zeugnis ab. Heidelberg, im Frühjahr 1969 Dolf

Sternberger

INHALT ERSTER HALBBAND

VORWORT (V) . . . INHALT

.

Dolf Sternberger

(XV)

ABKÜRZUNGEN

(XXVII)

EINLEITUNG (XXXI) BEGRIFFLICHE

. .

EINFÜHRUNG

Bernhard Vogel Dieter Noblen

Begriff und Funktionen der "Wahl 1 — Definition der Wahl als Bestellungstechnik 1 — Inhaltlich-qualitativer Wahlbegriff 5 — Der bürgerlich-demokratische Wahlbegriff 6 — Die Begriffe Akklamation, Ernennung, Plebiszit und Referendum 9 — Der bolschewistische Wahlbegriff (Erste Abgrenzung) 11 — Funktionen der Wahl 12 — Funktionen bürgerlich-demokratischer Wahlen 15 — Funktionen kommunistischer Wahlen 17 — Der bolschewistische Wahlbegriff (Definition) 18. Begriff und Bestandteile des Wahlrechts 20 — Wahlrechtsbegriffe 20 — Bestandteile des engeren Wahlrechts 21 — allgemein 22 — gleich 23 — geheim 25 — direkt 26 — frei 26. Begriff und Gestaltungselemente des Wahlsystems 28 — Der Begriff des Wahlsystems 28 — Exkurs: Vorschlag zu einer Revision in der Lehre von den Wahlsystemen 30 — Gestaltungselemente der Wahlsysteme 40 — Der Wahlkreis 40 — Formen der Kandidatur 41 — Stimmgebungsverfahren 43 — Regeln der Stimmenverwertung 45.

LÄNDERBEITRÄGE ALBANIEN

Dieter Noblen

Historischer Teil 57. Entwicklung zur Unabhängigkeit 57 — Repräsentativ-demokratische Periode 59 — Diktatur Zogus 60 — Faschistische Periode 62 — Entwicklung zur Volksrepublik 63 — Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung nach 1946 64 — Anhang Wahlstatistik 65. Systematischer Teil 66. Wahlrecht zur Volksversammlung 66 — Bibliographie 69.

Wahl der Parlamente

XVI ANDORRA

Dieter Noblen

Historischer Teil 71. Systematischer Teil 74. Wahlrecht zum Rat der Täler 75 — Bibliographie 76. Dieter Noblen/Heidemarie Opiela BELGIEN Historischer Teil 77. Revolution von 1830 77 — Verfassung und Wahlrecht von 1831 78 — Wahlrechtsentwicklung 80 — Verfassungsreformen der neunziger Jahre 84 — Auswirkungen des Wahlsystemwechsels 90 — Verfassungsreformen von 1919 93 — Parteiwesen und Wählerverhalten 96 — Verfassungsreformen von 1947/1948 98 — Regierungspraxis 99 — Politische und wahlgeographische Strukturfragen 102 — Anhang Wahlstatistik 105. Systematischer Teil 113. Wahlrecht zur Repräsentantenkammer 113 — Wahlrecht zum Senat 118 — Bibliographie 121. BULGARIEN Rainer-Olaf Schultze Historischer Teil 125. Entwicklung zur Unabhängigkeit 125 — Verfassurig von Tirnovo 128 — Verfassungs-, Wahlrechts- und Parteienentwicklung 1879—1912 129 — Bauerndiktatur 134 — Politische Entwicklung zwischen den Staatsstreichen von 1923 und 1934 135 — Wahlreformen 1937/38 138 — Entwicklung zur Volksrepublik 139 — Verfassung von 1947 142 — Wahlrecht, Wahlsystem und Wahlpraxis unter der Volksrepublik 143 — Anhang Wahlstatistik 145. Systematischer Teil 149. Wahlrecht zur Volksversammlung 149 — Bibliographie 150. DÄNEMARK Rolf Kraft/Dieter Noblen Historischer Teil 153. Verfassung von 1848 153 — Wahlrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert 156 — Parlamentarisierung 159 — Verfassung von 1915 161 — Verhältniswahl 162 — Kandidatenaufstellung 165 — Verfassung von 1953 170 — Politische Entwicklung nach 1945 171 — Färöer und Grönland 174 — Anhang Wahlstatistik 175. Systematischer Teil 181. Wahlrecht zum Folkething 181. Beispiel der Stimmenverrechnung 183 — Bibliographie 186. DEUTSCHLAND Bernhard Vogel/Rainer-Olaf Schultze Historischer Teil 189 Auflösung des „alten Reiches" 189 — Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung in den Staaten des Deutschen Bundes 1815—1848 191 — Tabellarische Übersicht 192 — Bestellung und Wahlrechtsdiskussion

Inhalt

XVII in der Paulskirche 197 — Tabellarische Ubersicht zum Wahlrecht in den deutschen Staaten während der Revolution von 1848 201 — Das preußische Dreiklassenwahlrecht 206 — Tabellarische Übersicht zum Wahlrecht in den deutschen Staaten während der Reaktion 207 — Die Reichsverfassung von 1871 212 — Wahlrecht und Wahlsystem im Kaiserreich 214 — Verfassung, Wahlentwicklung und Parteiensystem im Kaiserreich 214 — Das Wahlrecht in den Bundesstaaten des Kaiserreichs mit tabellarischer Übersicht 231 — Die Wirkweise des preußischen Dreiklassenwahlredits und die Reformbestrebungen zur Einführung des gleichen Wahlrechts 237 — Die Parlamentarisierung der Reichsregierung 244 — Novemberrevolution von 1918 und Wahl zur Weimarer Nationalversammlung 246 — Weimarer Reichsverfassung 250 — Wahlrecht und Wahlsystem in der Weimarer Republik 252 — Tabellarische Übersicht zu Wahlrecht und Wahlsystem in den deutschen Ländern während der Weimarer Republik 254 — Parteiensystem und Wahlentwicklung in der Weimarer Republik 258 — Wahlreformvorstellungen in der Weimarer Republik 272 — Verfassungswandel und Machtergreifung der Nationalsozialisten 273 — Wiederaufbau des politischen Lebens in den Westzonen nach dem Zweiten Weltkrieg 277 — Gründung und Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland 282 — Wahlrecht und Wahlsystem in der Bundesrepublik 285 — Tabellarische Übersicht zu Wahlrecht und Wahlsystem in den Bundesländern 288 — Parteiensystem und Wahlentwicklung in der Bundesrepublik 296 — Wahlreformbestrebungen 311 — Wiederaufbau des politischen Lebens in der sowjetischen Besatzungszone 320 — Konstituierung der Deutschen Demokratischen Republik 326 — Verfassung vom 7. Oktober 1949 328 —Wahlrecht, Wahlsystem und Wahlpraxis in der DDR 333 — Verfassung vom 6. April 1968 343. Anhang Wahlstatistik 346. Systematischer Teil 346. Wahlrecht in der Bundesrepublik 377 — Wahlrecht in der Deutschen Demokratischen Republik 382 — Bibliographie 385.

FINNLAND Dieter Noblen]Rainer Torka Historischer Teil 413. Verfassungsentwicklung des Großfürstentums Finnland 413 — Landtagsordnung von 1906 415 — Unabhängigkeit und Verfassung von 1919 419 — Wahlentwicklung und Wahlsystemveränderungen 421 — Politische Entwicklung nach 1945 425 — Wahlreformdiskussion 427 — Autonome Landschaft Aland 429 — Anhang Wahlstatistik 430. Systematischer Teil 434. Wahlrecht zum Reichstag 434 — Beispiel zur Stimmenverwertung 345 — Bibliographie 439. FRANKREICH Gisela Medzeg/Dieter Noblen Historischer Teil 441. Generalstände von 1789 und erste Nationalversammlung 441 — II Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

Wahl der Parlamente

XVIII

Verfassung von 1791 443 — I. Republik und Verfassung von 1793 445 — Verfassung und Wahlgesetz von 1795 446 — Staatsstreich Napoleons und Verfassung von 1799 448 — Verfassungsänderungen unter Napoleon 450 — Restauration und Charte von 1814 453 — Julimonarchie und Charte von 1830 456 — Februarrevolution, Nationalversammlung und Verfassung von 1848 458 — Staatsstreich Napoleon III. und Verfassung von 1852 460 — Wahlpraxis unter Napoleon III. 461 — III. Republik und Verfassungsgesetze von 1875 464 — Wahlrecht und Wahlsystem für Senat und Abgeordnetenhaus von 1875 466 — Das Regierungssystem der III. Republik 468 — Verfassungsrevision von 1884 und Wahlgesetze von 1885 und 1889 471 — Verhältniswahlbewegung und Wahlgesetz von 1919 473 — Wahlreform von 1927 und Wahlen 1928—1936 476 — Entwicklung der politischen Parteien und Wahlgeographie seit 1900 478 — Politische Entwicklung nach 1944 482 — Wahlrecht in den Kolonien 484 — Verfassung der IV. Republik von 1946 486 — Wahlreformen von 1948 (Rat der Republik) und 1951 (Nationalversammlung) 490 — Wahlen von 1951 und 1956 und politische Entwicklung bis 1958 492 — Verfassung der V. Republik und Stellung des Präsidenten 495 — Wahlsystem von Nationalversammlung und Senat 500 — Verfassungsreform von 1962 502 — Wahl- und Parteienentwicklung unter der V. Republik 503 — Reformen im Wahlsystem und Wahlgeographie nach 1945 506 — Mai-Krise und Neuwahlen von 1968 510 — Anhang Wahlstatistik 514. Systematischer Teil 533. Wahlrecht zur Nationalversammlung 533 — Wahlrecht zum Senat 544 — Wahl des Präsidenten der Republik 548 — Zusammensetzung des Verfassungsrats und des Wirtsdiafts und Sozialrats 550 — Bibliographie 551. GRIECHENLAND

Ion

Contiades

Historischer Teil 555. Revolution und erste Nationalversammlungen 1821—1832 555 — Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung unter der Herrschaft Otto I. 1833—1862 560 — Verfassung und Wahlgesetz von 1864 563 — Entwicklung des politischen Systems nach 1875 565 — Verfassungsund politische Entwicklung 1911—1927 567 — Wahlreformen und Wahlen 1927—1936 571 — Besetzung und politische Entwicklung nach 1944 574 — Wahlgesetze von 1951, 1952, 1954, 1955, 1958, 1961, 1963 und Wahlentwicklung 576 — Verfassungskrise und Staatsstreich: von 1967 587 — Theoretische Aspekte der Wahlpraxis 590 — Verfassung von 1968 592 — Anhang Wahlstatistik/Graphische Darstellungen 594. Systematischer Teil 596. Wahlrecht zum Parlament 596 — Bibliographie 601.

Inhalt

XIX

GROSSBRITANNIEN Franz Nuscheier Historischer Teil 605. Ursprünge der parlamentarischen Repräsentation 605 — Entwicklung des parlamentarischen Systems 607 — Reform von 1832 610 — Parteien- und Regierungssystem nach 1832 611 — Reformen von 1867 und 1884 614 — Entwicklung des Parteiensystems und des Regierungssystems nach 1867 617 — Frauenwahlrecht 620 — Der Durchbrach der Labour Party und der Einfluß des Wahlsystems 622 — Wahlsystemdiskussion und Wahlreformen nach 1944 625 — Wahlforschung (Bias und Swing) 626 — Die Kanalinseln und Isle of Man 628 — Anhang Wahlstatistik und Graphische Darstellungen 632. Systematischer Teil 640. Wahlrecht zum Unterhaus 640 — Zusammensetzung des Oberhauses 645 — Bibliographie 646. IRLAND Dieter Noblen Historischer Teil 651. Entwicklung zur Unabhängigkeit 651 — Freistaatsverfassung von 1922 655 — Wahlsystem zum Dail und seine Auswirkungen 657 — Parteien- und Verfassungsentwicklung (Senatsreform) 660 — Verfassung von 1937 666 — Parteiensystem und Regierungsverhältnisse 669 — Wahlsystem und Wahlgeographie 671 — Auswirkungen des Wahlsystems und Wahlsystemdiskussion 672 — Anhang Wahlstatistik 674. Systematischer Teil 679. Wahlrecht zum Dail 679 — Beispiel zur Stimmenauszählung und Stimmenverrechnung 680 — Wahlrecht zum Seanad (Senat) 686 — Bibliographie 691. ISLAND Hajo Schnittger/Ingo Wagner Historischer Teil 695. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung vor 1915 695 — Verfassung von 1918 698 — Wahlreformen von 1934 und 1942 und ihre Auswirkungen 699 — Verfassung von 1944 701 — Wahlreform von 1959 702 — Parteien- und Regierungssystem 703 — Anhang Wahlstatistik und Graphische Darstellungen 705. Systematischer Teil 709. Wahlrecht zum Althing 709 — Bibliographie 711. ITALIEN Dieter Noblen Historischer Teil 713. Einigungsbewegung und Verfassung von 1848 713 — Entwicklung von Wahlrecht und Wahlsystem 1848—1894 714 — Struktur des politischen Systems 717 — Wahlreform von 1912 718 — Parteienentwicklung 718 — Wahlreform von 1919 720 — Wahlen 1919 und 1922 721 — Anfänge des Faschismus und Konsolidierung des faschisti-

Wahl der Parlamente

XX

sehen Regimes 722 — Staatlicher Neubeginn nach 1943 727 — Wahlen von 1946 und Parteienentwicklung 728 — Verfassung von 1948 731 — Wahlentwicklung von Senat und Abgeordnetenhaus 731 — Wahlentwicklung und Parteien 1948—1968 735 — Anhang Wahlstatistik 741. Systematischer Teil 744. Wahlrecht zur Abgeordnetenkammer 744 — Wahlrecht zum Senat 748 — Bibliographie 749. JUGOSLAWIEN

Lutz Franke/Klaus

Ziemer

Historischer Teil 753. Verfassungs- und Wahlreditsentwicklung in Kroatien, Slowenien, Bosnien und Serbien 753 — Parteien in Serbien 758 — Verfassungsentwicklung Montenegros 761 — Gründung des Königreiches der Serben, Kroaten und Slowenen 763 — Verfassung von 1921 764 — Verfassung von 1931 767 — Politische Entwicklung der dreißiger Jahre 768 — Zeit des Zweiten Weltkrieges und Entwicklung zur Volksrepublik 769 — Verfassung von 1946 772 — „Eigener Weg zum Sozialismus" 773 — Verfassung von 1953 774 — Politische Entwicklung der fünfziger Jahre 776 — Verfassung von 1963 777 — Wahlreformen und Wahlpraxis 779 — Verfassungsreformen von 1968 782 — Anhang Wahlstatistik 783. Systematischer Teil 786. Wahlrecht zum Bundesrat 786 — Bibliographie 789. LIECHTENSTEIN Holgar Raul} Historischer Teil 793. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung vor dem Ersten Weltkrieg 793 — Verfassung von 1921 798 — Wahlreformen und Wahlen von 1939 800 — Parteiwesen 801 — Anhang Wahlstatistik 802. Systematischer Teil 803. Wahlrecht zum Landtag 803 — Bibliographie 806. LUXEMBURG Dieter Noblen Historischer Teil 809. Verfassungs- und Wahlreditsentwicklung vor 1848 809 — Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung 1848—1868 811 — Verfassung von 1868 814 — Parteiwesen und innenpolitische Entwicklung bis zur Verfassungsreform von 1919 815 — Auswirkungen der Wahlreformen, Koalitionspraxis und Auswirkungen des Wahlsystems 818 — Verfassungsreformen nach 1945 820 — Anhang Wahlstatistik 824. Systematischer Teil 828. Wahlrecht zur Deputiertenkammer 828 — Bibliographie 831.

Inhalt

XXI

ZWEITER

HALBBAND

MALTA Franz Nuscheier Historischer Teil 833. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert 833 — Verfassung von 1887 836 — Verfassung von 1921 837 — Verfassungen von 1939 und 1947 841 — Unabhängigkeit und Verfassung von 1964 842 — Anhang Wahlstatistik 844. Systematischer Teil 845. Wahlrecht zum Abgeordnetenhaus 845 — Bibliographie 848. MONACO

Heidemarie Opiela

Historischer Teil 849. Verfassungsentwicklung im 19. Jahrhundert 849 — Politische Entwicklung seit der Verfassung von 1911 850 — Anhang Wahlstatistik 854. Systematischer Teil 854. Wahlrecht zum Nationalrat 854 — Bibliographie 856. NIEDERLANDE Dieter Noblen Historischer Teil 857. Verfassungsentwicklung 1814—1848 857 — Parteigruppierungen nach 1848 860 — Wahlreformen 1883 und 1896 862 — Parteiensystem unter der absoluten Mehrheitswahl 865 — Verfassungsreformen von 1917/19 867 — Auswirkungen der Verhältniswahl 870 — Regierungs- und Parteiensystem 872 — Wählerverhalten und Wahlreformdiskussion 874 — Anhang Wahlstatistik 878. Systematischer Teil 882. Wahlrecht zur Zweiten Kammer 882 — Beispiel zur Stimmenverrechnung 884 — Wahlrecht zur Ersten Kammer 887 — Bibliographie 888. NORWEGEN Jürgen Nicklaus Historischer Teil 891. Reichsversammlung und Grundgesetz von Eidsvoll (1814) 891 — Wahlrecht zum Storting 895 — Arbeiterbewegung und Parlamentarisierung 896 — Ausweitung des Wahlrechts 898 — Parteiensystem bei relativer und (seit 1905) absoluter Mehrheitswahl 899 — Parteiensystem nach Einführung der Verhältniswahl 903 — Minderheitsparlamentarismus 905 — Verhältniswahl und Parteiensystem nach 1945 907 — Anhang Wahlstatistik 912. Systematischer Teil 916. Wahlrecht zum Storting 916 — Bibliographie 918. ÖSTERREICH Karl-Martin Grass Historischer Teil 921. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung während und nach der Revolution von 1848 921 — Oktoberdiplom, Februarpatent (Vierklas-

XXII

Wahl der Parlamente

senwahlrecht) und Ausgleidi 926 — Verfassung und Wahlrecht von 1867 930 — Wahlreformen von Taaffe, Badeni und Beck 932 — Parteien und Wahlreformen bis zur Revolution von 1918 934 — Nationalversammlung und Verfassung der Ersten Republik 937 — Wahlrecht und Wahlsystem 940 — Parteienentwicklung und Verfassungsreform von 1929 942 — Verfassung von 1934 und politische Entwicklung bis 1945 945 — Parteiensystem und große Koalition in der Zweiten Republik 948 — Bedeutung der Wahlen im Koalitionssystem 951 — Anhang Wahlstatistik 954. Systematischer Teil 962. Wahlrecht zum Nationalrat 962 — Wahlrecht zum Bundesrat 968 — Bibliographie 969. POLEN

Klaus

Schrode

Historischer Teil 973. Entwicklung zur Unabhängigkeit und Verfassung von 1921 973 — Wahlsystem und Parteiensystem 975 — Verfassungsreform von 1926 und Wahlentwicklung bis 1930 979 — Verfassung von 1935 981 — Wahlen von 1935 und 1938 984 — Politische Entwicklung nach 1939 985 — Verfassunggebender Sejm und Kleine Verfassung von 1947 989 — Verfassung und Wahlgesetz von 1952 991 — Politische Entwicklung nach dem „polnischen Oktober" 993 — Wahlgesetz und Wahlpraxis nach 1956 995 — Gliederung der Nationalen Einheitsfront 997 — Anhang Wahlstatistik 1001. Systematischer Teil 1005. Wahlrecht zum Sejm 1005 — Bibliographie 1007. PORTUGAL

Dieter

Noblen

Historischer Teil 1011. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung nach der Revolution von 1820 1011 — Verfassung von 1826 1014 — Wahlreformen im 19. Jahrhundert 1015 — Parteien und Regierungssystem der Monarchie 1017 — Verfassung und Wahlrecht der parlamentarischen Republik 1019 — Politische Entwicklung nach 1926 und die Verfassung von 1933 1022 — Wahlrecht und Wahlpraxis unter der korporativen Republik 1023. Systematischer Teil 1026. Wahlrecht zur Nationalversammlung 1026 — Bibliographie 1028. RUMÄNIEN

Klaus

Ziemer

Historischer Teil 1031. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung nach 1826 1031 — Verfassung und Wahlrecht von 1866 1035 — Politisches System nach 1866 und Wahlrechtsentwicklung bis zum Ersten Weltkrieg 1037 — Wahlreformen 1918/19 und Parteiensystem 1040 — Verfassung von 1923 1042 — Wahlgesetz von 1926 und seine Auswirkungen 1043 —

XXIII

Inhalt

Funktion der Wahlen und Regierungssystem 1046 — Verfassung und Wahlgesetz von 1948 1055 — Politische Entwicklung vor und nach der Verfassungsreform von 1965 1057 — Anhang Wahlstatistik 1059. Systematischer Teil 1070. Wahlrecht zur Großen Nationalversammlung 1070 — Bibliographie 1072. SAN MARINO Klaus Landfried Historischer Teil 1075. Verfassungsentwicklung seit dem Mittelalter 1075 — Wahlreformen von 1906, 1920 und 1923 1076 — Wahlrechtsentwicklung und politische Entwicklung nach 1943 1078 — Anhang Wahlstatistik 1080. Systematischer Teil 1080. Wahlrecht zum Großen und Allgemeinen Rat 1080 — Bibliographie 1082. SCHWEDEN Lutz Franke Historischer Teil 1083. Vier-Stände-Reichstag und Reform von 1866 1083 — Zweikammerparlament und Parteigruppierungen 1086 — Wahlreform von 1909 und Entwicklung der Parteien 1088 — Wahlrechts- und Verfassungsreformen 1921/22 1090 — Wahlkartelle und Regierungsverhältnisse nach 1920 1092 — Wahlrechtsreformen nach 1940 1093 — Parteien nach' 1945 1094 — Reform der Verhältniswahl/Auswirkungen 1095 — Verfassungsreformdiskussion und Reform für 1971 1099 — Anhang Wahlstatistik 1102. Systematischer Teil 1106. Wahlrecht zur Zweiten Kammer 1106 — Wahlrecht zur Ersten Kammer 1108 — Bibliographie 1109. SCHWEIZERISCHE

EIDGENOSSENSCHAFT

Renate Rund Historischer Teil 1111. Zur Geschichte von 1798 1111 — Helvetik und Mediation 1112 — Bundesvertrag von 1815 1115 — Bundesverfassung von 1848 und Wahlgesetz von 1850 1116 — Verfassungsrevision von 1874 1118 — Verhältniswahlbewegung und Wahlreform von 1918 1120 — Parteienentwicklung nach Einführung der Verhältniswahl 1121 — Wahlpraxis 1126 — Frauenstimmrecht 1127 — Regierungssystem 1128 — Anhang Wahlstatistik 1131. Systematischer Teil 1132. Wahlrecht zum Nationalrat 1132 — Auszug aus dem Wahlgesetz betreffend das Zuteilungsverfahren 1134 — Wahlrecht zum Ständerat 1142 — Bibliographie 1143.

XXIV

Wahl der Parlamente

SOWJETUNION Hermann Otto Leng Die russische Autokratie und die Verfassungsreformbestrebungen im 19. Jahrhundert 1147 — Revolution von 1905 1151 — Das zarische Dumawahlrecht 1155 — Duma, Parteien und Regierungssystem 1161 — Februarrevolution von 1917 und Wahl zur Konstituante 1165 — Oktoberrevolution und Entwicklung zum bolschewistischen Sowjetstaat 1170 — Der Staatsaufbau nach der „Musterverfassung" von 1918 und nadi der 1. Unionsverfassung von 1923/24 1176 — Allgemeine Charakteristik des bolschewistischen Klassenwahlrechts 1918—1936 1180 — Bestandteile des Wahlrechts 1182 — Sowjetföderalismus 1190 — Stalins zweite kommunistische Revolution und die neue Verfassung der UdSSR von 1936 1191 — Staatsaufbau nach der StalinVerfassung 1194 — Allgemeine Charakteristik des bolschewistischen Wahlrechts in seiner heutigen Form 1199 — Blocksystem, Abstimmungsverfahren 1202 — Kandidatenaufstellung 1204 — Wahlorganisation, Wahlkommissionen 1210 — Wahlkampagne 1212 — Abberufungsrecht, Rechenschaftslegung und Wählerauftrag 1214 — Referendum und Demokratisierungsdiskussion 1215 — Anhang Wahlstatistik 1217. Systematischer Teil 1220. Wahlrecht zum Obersten Sowjet 1221 — Bibliographie 1224. SPANIEN Dieter Noblen Historischer Teil 1229. Verfassungsoktroi Napoleons 1229 — Verfassunggebende Cortes und Verfassung von Cadiz (1812) 1230 — Verfassung von 1834 und Wahlgesetze 1834/1836 1234 — Verfassung und Wahlgesetz von 1837 1237 — Verfassung und Wahlgesetz von 1845/46 1240 — Verfassung und Wahlrecht während der Revolutionsepoche 1242 — Verfassung von 1876/Wahlrechtsentwicklung bis zum Wahlgesetz von 1890 1244 — Regierungssystem und Wahlpraxis 1247 — Wahlgesetz von 1907 1248 — Parteiwesen und Regierungssystem 1250 — Staatsstreich von 1923 und Verfassungspolitik Primo de Riveras 1251 — Verfassung, Parteien und Wahlen unter der II. Republik 1253 — Entwicklung Kataloniens 1259 — Grundgesetze des Franco-Regimes 1260 — Repräsentationsvorstellung und Wahlrechtsentwicklung im „Neuen Staat" — Referenden 1947 und 1966 1264 — Verfassungsreformen 1967 1265 — Anhang Wahlstatistik 1269. Systematischer Teil 1277. Zusammensetzung der Cortes 1277 — Wahlrecht zur Familienvertretung in der Cortes 1278 — Wahlrecht zu Vertretung der Gemeinden 1281 — Wahlrecht zur Vertretung der Städte, der Berufskörperschaften und Vereinigungen 1282 — Bibliographie 1282. TSCHECHOSLOWAKEI Rainer-Olaf Schultze Historischer Teil 1285. Repräsentation der Tschechen im österreichischen Reichsrat 1285 —

Inhalt

XXV Unabhängigkeitspolitik und Gründung der Tschechoslowakei 1287 — Verfassung- und Wahlgesetzgebung der Ersten Republik 1289 — Parteiensystem, Regierungsbildung und Wahlentwicklung 1920—1935 1293 — Prozeß der Auflösung der Ersten Republik 1299 — Wiederaufbau des Staatslebens nach dem Zweiten Weltkrieg 1302 — Kommunistischer Umsturz und volksdemokratisches Verfassungssystem von 1948 1306 — Wahlrecht und politisches System 1948—1960 1308 — Verfassungssystem und Wahlpraxis in der Sozialistischen Republik (nach 1960) 1310 — Demokratisierungsprozeß und Modell eines pluralistischen Sozialismus 1313 — Föderalisierungsgesetze von 1968 1319 — Anhang Wahlstatistik 1322. Systematischer Teil 1325. Wahlrecht zur Nationalversammlung 1325 — Wahlrecht zu den Organen der Tschechoslowakischen Sozialistischen Föderation 1327 — Bibliographie 1327.

TÜRKEI

Dietrich Brinkmann/Holgar

Raulf

Historischer Teil 1331. Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung im 19. Jahrhundert 1331 — Jungtürkische Revolution (1908) und anatolische Bewegung (1919) 1333 — Verfassung, Wahlrechtsentwicklung und politisches System unter Kemal Atatürk 1336 — Etablierung des Mehrparteiensystems nach 1945 1341 — Auswirkungen der relativen Mehrheitswahl nach Listen in Mehrmannwahlkreisen 1342 — Wahlpolitik unter Menderes 1345 — Staatsstreich und Verfassungsreform 1960/61 1346 — Einführung der Verhältniswahl und Entwicklung der Parteien nach 1961 1349 — Anhang Wahlstatistik 1354. Systematischer Teil 1357. Wahlrecht zum Abgeordnetenhaus 1357 — Wahlrecht zum Senat 1360 — Bibliographie 1361. UNGARN

Gerhard

Bachmann

Historischer Teil 1365. Reichstagsreformen 1847/48 1365 — Ausgleich von 1867 1368 — Regierungssystem, Parteien, Wahlpraxis nach 1867 1369 — Wahlreformen 1913/1918 1373 — Verfassung, Wahlgesetz und Wahlen 1919/1920 1375 — Restauration und politische Entwicklung nach 1920 1379 — Wahlgesetz von 1938 1384 — Politische Entwicklung 1939—1945 1385 — Wahlgesetze und Wahlen 1945—1947 1387 — Volksdemokratische Verfassung von 1949 1391 — Politische Entwicklung nach dem Volksaufstand von 1956 1392 — Wahlgesetz von 1966 und Wahlen von 1967 1393 — Anhang Wahlstatistik 1395. Systematischer Teil 1400. Wahlrecht zum Reichstag 1400 — Bibliographie 1403.

Wahl der Parlamente

XXVI

Udo Apel VATIKANSTADT Historischer Teil 1407. Regierungssystem des Vatikan 1407 — Anfänge der Papstwahl 1408 — Ausbildung eines bestimmten Wahlkörpers 1409 — Einrichtung des Konklave und Festsetzung von Stimmgebungsregeln 1412 — Kodifizierung des Papstwahlverfahrens (1621) und seitherige Reformen 1414. Das geltende Papstwahlverfahren 1415 — Bibliographie 1417. ZYPERN Franz Nuscheier Historischer Teil 1419. Verfassungs- und Wahlreditsentwicklung im 19. Jahrhundert 1419 — Verfassungsreform von 1925 1421 — Rahmengesetz und Wahlgesetz von 1959 1423 — Wahlen von 1960 und seitherige politische Entwicklung 1425. Systematischer Teil 1427. Bibliographie 1427.

1429 NACHTRÄGE Dänemark: Referendum über das Wahlalter Deutschland: Herabsetzung des Wahlalters Finnland: Herabsetzung des Wahlalters Frankreich: Referendum und Präsidentschaftswahlen 1969 Großbritannien: Wahlrecht in Nordirland Irland: Dail-Neuwahlen 1969 Jugoslawien: Verfassungsreform und Neuwahl des Bundesparlaments 1969 Polen: Sejm-Neuwahlen 1969 Schweden: Herabsetzung des Wahlalters, Reform der Wahlorganisation Schweiz: Wahlreformdiskussion INDEX

1445

ABKÜRZUNGEN

Abg. Abgh. AdG AIIDP ALE AmPSR AöR Art. BGBl. BiblAng. Braunias I / I I

BulComJur

Abgeordneter Abgeordnetenhaus Archiv der Gegenwart, Bonn Annuaire de l'Institut Internationale de Droit publique, Paris Annuaire de Legislation Etrang£re, Paris American Political Science Review, Washington Archiv des öffentlichen Rechts, Tübingen Artikel Bundesgesetzblatt Bibliographische Angaben Karl Braunias, Das parlamentarische Wahlrecht. Ein Handbuch über die Bildung der gesetzgebenden Körperschaften in Europa, Band I : Das Wahlrecht in den einzelnen Staaten, Band I I : Allgemeiner Teil, Berlin und Leipzig 1932 Bulletin de la Commission de Juristes, Genf

Cahiers

Cahiers de la Fondation National de Science Politique, Paris

Dareste

DÖV Diss.

Dareste, Les constitutions modernes. Europe, Afrique, Asie, C ^ a n i e , Amerique, 4. Aufl., 7 Bde., Paris 1928 ff. Maurice Duverger, Constitutions et Documents Politiques, Paris 1957 Die öffentliche Verwaltung, Stuttgart Dissertation

EA

Europa-Archiv, Frankfurt/Main

ForAff.

Foreign Affairs, New York

G I Ges. GArt. / G.A. GG GeschO. GraphD.

Gesetz Gesetzesartikel Grundgesetz Geschäftsordnung Graphische Darstellung

HdböR

Handbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, Freiburg Hinter dem Eisernen Vorhang, München Historischer Teil Historische Zeitschrift, München Internationales Jahrbuch der Politik, München Jahrbudi für Ostredit, Herrenalb Journal of Central European Affairs, Boulder (Colorado)

Duverger

HintEV HistT. HZ IntJbPol. JbOstR JCEAff.

Wahl der Parlamente

XXVIII JoP JöR Mayer-Tasch MEAff. Menzel/Groh/ Hecker MirkineGuetzevitch

Journal of Politics, Gainsville Jahrbudi des öffentlichen Rechts, Tübingen Peter C. Mayer-Tasch (Hrsg.), Die Verfassungen Europas, Stuttgart 1966 Middle Eastern Affairs, New York Eberhard Menzel/Franz Groh/Hellmuth Hecker, Verfassungsregister, Teil I: Deutschland, Teil II: Europa, Frankfurt/Main-Berlin 1954, 1956 Boris ΜίΛϊηε-ΟυείζένΰΑ, Les Constitutions Europeennes, 2 Bde., Paris 1951

NV

Nationalversammlung

OEuropaR OEuropaRu. Osteuropa OrgGes. ÖRGeg. ParlAff. ParlStud. PartGesch. PartSystStud. PolGesch. PolStud. PolSystStud. PSt. PSQuart. PVS

Osteuropa-Recht, Stuttgart Osteuropäische Rundschau, München Osteuropa, Stuttgart Organisches Gesetz Das öffentliche Recht der Gegenwart, Freiburg Parliamentary Affairs, London Parlamentarismus-Studien Parteiengeschichte Studien zum Parteiensystem Politische Geschichte Politische Studien, München Studien zum politischen System Political Studies, Oxford Political Science Quarterly, New York Politische Vierteljahressdirift, Köln-Opladen

RdDP

Revue du Droit Publique et de la Science Politique en France et a l'Etranger, Paris Revista de Estudios Politicos, Madrid Studien zur parlamentarischen Repräsentation Recht in Ost und West, Berlin (-West) Revue Franjaise de Science Politique, Paris Revue Politique et Parlementaire, Paris

REP ReprStud. ROW RFSP RPP S. Sen. s. SlavR s. o. / s. u. Staat StVdW SystT.

Seite Senat siehe Slavic Review, Philadelphia siehe oben / siehen unten Der Staat, Berlin Die Staatsverfassungen der Welt in Einzelausgaben, Frankfurt/Main-Berlin Systemati scher Teil

Tab.

Tabelle

V/Vf. VfsArt.

Verfassung Verfassungsartikel

XXIX VfsRev. VGesch. VjHZ VR/VRStud. VText

Verfassungsrevision Studien zur Verfassungsgeschichte Vierteljahreshefte für Zeitgeschichte, Stuttgart Verfassungsrecht / Studien zum Verfassungsrecht Verfassungstext

WD WG WG Art. WGErgG WGText WO WPQuart. WR WrGesch. WS WSoz. WsStud. WStat

Wahldekret Wahlgesetz Wahlgesetzartikel Ergänzungsgesetz zum Wahlgesetz Wahlgesetztext Wahlordnung The Western Political Quarterly, Salt Lake City Wahlrecht Wahlrechtsgeschichte Wahlsystem Wahlsoziologie, Studien zur Wahlsoziologie Wahlsystem-Studien Wahlstatistik

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, Stuttgart Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, Tübingen Zeitschrift für Politik, Berlin

ZgesStW ZPol.

Das Zeichen -*• mit nachfolgender Seitenzahl verweist auf die Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik, S. 1 ff.

Namen aus Sprachen mit nichtlateinischen Schriften werden in aller Regel in wissenschaftlicher Transliteration wiedergegeben. Nur in den Fällen, in denen sich eine andere Schreibweise durchgesetzt hat (Beispiel: Dimitroff; der wissenschaftlichen Transliteration entsprechend müßte der Name Dimitrov geschrieben werden), wird von dieser Regel abgewichen, um Verwechslungen auszuschließen.

EINLEITUNG

Innerhalb der Wissenschaft von der Politik gewinnt die Wahlforschung immer mehr an Bedeutung. Was sich in der Wahlentscheidung des Wählers und des Wahlkörpers vollzieht und ausdrückt, kann heute viel besser erkannt und viel genauer bestimmt werden. Neue methodische Verfahren sind entwickelt worden, um empirisches Material über Wahlen und Wähler zu beschaffen und auszuwerten. Es liegt eine große Anzahl wissenschaftlicher Untersuchungen vor, die uns genaue Kenntnisse von der Wahl als politischer Institution und als Teil des politischen Prozesses vermitteln. So sind ζ. B. Parteipräferenzen der wählenden Bürger mit Hilfe sozialwissenschaftlicher Methoden sichtbar und verständlich gemacht worden. Die Wahlentscheidung des einzelnen wie ganzer Gruppen oder auch der gesamten Wählerschaft wurde dabei in Beziehung gebracht zu ethnischen und religiösen, historischen und psychologischen, sozialen und ökonomischen oder auch geographisch-regionalen Faktoren. Diese Studien sind im engeren Sinne der „Wahlsoziologie" zuzuordnen. Die ihnen zugrundeliegenden Fragestellungen haben in der letzten Zeit die Forschung außerordentlich stark bestimmt. Auf der anderen Seite aber haben die klassischen Fragen der Wahlforschung nach den rechtlichen Voraussetzungen der Wahl und nach den Verfahren zur Ermittlung der Wahlergebnisse an Bedeutung nicht eingebüßt. In der Wahl, zu deren rechtlichen und technischen Voraussetzungen Wahlrecht und Wahlsystem') gehören, wird erst die Verbindung zwischen der — durch die Wahlsoziologie dann transparent gemachten — politischen Einstellung der Bevölkerung eines Landes und seinen politischen Institutionen hergestellt. Für die Untersuchung von Wahlen in politischen Systemen bilden Wahlrecht und Wahlsystem somit Grunddaten. Wie Wahlrecht und Wahlsystem gestaltet werden, davon hängt das Bild, der Bedeutungsgehalt und der Einfluß politischer Entscheidungen der Bevölkerung ab. Der Wahlkörper kann zahlenmäßig oder sozial beschränkt werden (beschränktes Wahlrecht) oder durch unterschiedliche Gewichtung der Stimmen qualitativ verändert werden (ungleiches Wahlrecht). Die Bestandteile des engeren Wahlrechts2) befanden sich vom Beginn ') Zu den Begriffen siehe die nachfolgende Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik, S. 20 f., 28 f. 2 ) Siehe dazu unten S. 1 ff.

XXXII

Wahl der Parlamente

der repräsentativen Verfassungen in Europa an mitten im Spannungsfeld politischer, ideologischer und sozialer Konflikte und Bewegungen und brachten diese oft erst hervor. Die Zuschneidung des Wahlkörpers ist jedoch für den europäischen Kontinent wesentlich eine Erscheinung des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts. Ihr kommt hier in der Mehrzahl der Länder heute nicht mehr die ursprüngliche Bedeutung zu. Die politische Entscheidung der Wählerschaft kann in ihren Auswirkungen vor allem durch unterschiedliche Wahlsysteme verändert werden. Nachdem ein demokratisches Wahlrecht verwirklicht wurde, befinden sich heute verstärkt die Methoden, Wählerstimmen in Mandate umzurechnen, im Spannungs- und Konfliktsfeld politischer Parteien, Meinungs- und Interessengruppen, die sich eigene Begünstigung bzw. Benachteiligung der Konkurrenten von einem bestimmten Wahlsystem versprechen. Mit der Entwicklung praktikabler Techniken, eine annäherungsweise Proportionalität von Stimmen und Mandaten herzustellen, andererseits mit zunehmender funktioneller Orientierung von Wahlen und Wahlsystemen — eine Folge größerer Transparenz des Wählerverhaltens —, haben Fragen des Wahlsystems immer größere Bedeutung erlangt. Sie beherrschen heute in den pluralistischen politischen Systemen den Bereich politisch umstrittener institutioneller Regelungen der Wahl. Schließlich bestimmen Wahlrecht und Wahlsystem direkt die politische Entscheidung des Wahlkörpers. Das Wählerverhalten richtet sich auch an den politischen Institutionen aus. Je nachdem, wie das Wahlsystem gestaltet ist, wird der Wähler bereits bei seiner Stimmabgabe beeinflußt. Besonders hier wird deutlich, wie sehr Wahlsystemforschung und Wahlsoziologie zusammenhängen. Diese sichtbare Verflechtung von politischer Einstellung und Entscheidung und politischem System, von Parteipräferenz, Verfahren der Mandatszuteilung und politischer Machtbildung bestimmt die methodischen Wege der Wahlforschung. Da dieses Bezugssystem vielfältige Richtungen wissenschaftlichen Arbeitens tangiert, darf nach Möglichkeit keiner der für das Gesamtsystem wesentlichen Teilbereiche vernachlässigt werden. Die vorliegende Publikation dient vor allem der Sammlung und Erläuterung von Wahlrecht und Wahlsystem. Doch ist dies, wie noch ausgeführt wird, nicht ihr einziger Zweck.

Einleitung

Die

XXXIII

Forschungslage

Der Bedeutung von Wahlrecht und Wahlsystem in dem aufgezeigten Bezugssystem ist die internationale Forschung durch eine Reihe hervorragender Länderstudien gerecht geworden 3 ). Ein systematischer Uberblick indes, wie ihn Karl Braunias 1932 in seinem Werk „Das parlamentarische Wahlrecht"4) vorlegte, wurde seither nicht wieder in Angriff genommen und stellt — vor allem für die international vergleichende Forschung — ein dringendes Desiderat dar. Stein Rokkan hat darauf erst kürzlich eindringlich hingewiesen 5 ). Die seit Braunias erschienenen länderübergreifenden Studien über Wahlsysteme, ihre Technik und ihre Auswirkungen, haben dem durch ihn gesetzten Standard nicht mehr entsprochen. Sehen wir von Giovanni Schepis „I Sistemi Elettorali" 6 ) ab, so wurde seit 1932 kein Versuch mehr unternommen, einem internationalen Vergleich eine umfassende Betrachtung des Wahlrechts und der Wahlsysteme in den einzelnen Ländern zugrunde zu legen. Schepis seinerseits vermittelt in jenem Teil seines Werkes, der sich mit den einzelnen Ländern befaßt, nach Umfang und Systematik sehr unterschiedliche Informationen; zumeist sind es nur Auszüge aus den Wahlgesetzen. Auch enthält er sidi jeglicher historischen und verfassungspolitischen Analyse. s ) Hier sind zu nennen: Butler, D. E.: The electoral system in Britain, 1918— 1951, Oxford 1953; Oppermann, Th.: Britisches Unterhauswahlrecht und Zweiparteiensystem, Karlsruhe 1961; Campbell, P.: French electoral systems and elections 1789—1957, New York 1958; Cotteret, J.-M. / Emeri, C. / Lalumiere, P.: Lois ilectorales et inέgalitέs de representation en France 1936—1960, Cahiers 107, Paris 1960; Ross, ]. F. S.: The Irish election system. What it is and how it works, London 1959; Gilissen, ].: Le Regime reprdsentatif en Belgique depuis 1790, Brüssel 1958; Törnudd, Κ.: The electoral system of Finland, London 1968. Daneben sind hier an theoretischen Schriften aufzuführen: Unkelbach, H.: Grundlagen der Wahlsystematik. Stabilitätsbedingungen der parlamentarischen Demokratie, Göttingen 1956 und Müller, P. F.: Das Wahlsystem. Neue Wege der Grundlegung und Gestaltung, Zürich 1959. 4 ) Karl Braunias: Das parlamentarische Wahlrecht. Ein Handbuch über die Bildung der gesetzgebenden Körperschaften in Europa, 1. Band: Das Wahlrecht in den einzelnen Staaten, 2. Band: Allgemeiner Teil, Hefte 18 und 18 a der „Beiträge zum ausländischen öffentlichen Recht und Völkerrecht", hrsg. vom Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin, Berlin und Leipzig 1932, Walter de Gruyter & Co. 5 ) Stein Rokkan, The Comparative Study of Electoral Statistics, International Social Science Council, Bd. V — 2 (June), 1966.

*) Giovanni Schepis, I sistemi elettorali. Teoria — Tecnica — Legislazioni positive, Empoli 1955. III Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

XXXIV

Wahl der Parlamente

Unter jenen Arbeiten, die sich auf eine Auswahl von Ländern beschränken, sind einige bereits veraltet, wie etwa die von verschiedenen Autoren verfaßten Länderstudien in Maurice Duvergers „L'influence des syst^mes electoraux sur la vie politique" 7 ). Nach wie vor gehören jedoch die Passagen seines Buches über „Die politischen Parteien" 8 ), die sich mit dem Zusammenhang von Wahlsystem und Parteiensystem befassen, zum Besten, was über diesen Gegenstand bisher in systematischer Absicht geschrieben wurde 9 ). Hervorzuheben ist auch die Studie von Enid Lakeman und James D. Lambert™); allerdings wird hier primär nur das verbesserte Haresche System11) analysiert. Da beide Autoren für das von ihnen vorrangig untersuchte Wahlsystem eindeutige Partei beziehen, nähern sie sich jenem breiten Schrifttum, das monokausal Zustand und Entwicklung eines Verfassungssystems ausschließlich auf die Form des Wahlsystems reduziert. Zu kurz kommt in diesen Arbeiten die historische Dimension, und es fehlt zumeist das Verständnis für die besonderen Traditionen, Verhaltensweisen, Gewohnheiten und Überzeugungen in den verschiedenen Ländern 12 ). Der Forschungsansatz dieser und anderer Autoren, die gegenwärtig in dem von Ferdinand A. Hermens herausgegebenen Jahrbuch „Verfassung und Verfassungswirklichkeit" 13 ) ein Publikationsforum gefunden haben, ist weit von den Analysen Karl Braunias' entfernt, der auch als Jurist die vielfältigen politischen Dimensionen nie aus dem Auge verlor. Das hier vorgelegte Werk „Die Wahl der ParlamenteK versucht die seit Braunias erste Darstellung der Geschichte des Wahlrechts und der Wahlsysteme der europäischen Staaten, wobei jedes Land in 7 ) Erscheinungsjahr und -ort: Paris 1950; behandelt die Entwicklungen in Frankreich, England, Italien und Deutschland in der Zeit bis zum II. Weltkrieg. 8 ) Tübingen 1959 (erste französische Aufl.: Paris 1951), Zweites Buch, Die Parteiensysteme, S. 221 ff. ') Dieses Urteil verliert trotz der fundierten Kritik von Georges E. Lavau (Paris politiques et rialiste des partis politiques, Cahiers 38, Paris 1953, S. 7 ff.) nicht an Berechtigung. 10 ) Voting in Democracies. Α study of majority and proportional electoral systems, London 1955. In einigen Teilen beruhen die Darlegungen auf bereits seinerzeit veraltetem Kenntnisstand; vor allem die Weiterentwicklung des finnischen Wahlsystems blieb den Autoren unbekannt. u ) Siehe dazu den Länderbeitrag Irland, S. 657 ff., 680 ff. 12 ) Zu welchen Analysen und Ergebnissen dies führt, kann neuerdings am Beispiel der Niederlande gut aufgewiesen werden. Zu vergleichen ist hier die Untersuchung des Hermens Sdiülers Georg Geismann, Politische Struktur und Regierungssystem in den Niederlanden, Frankfurt an Main / Bonn 1964 mit der ausgezeichneten Studie vonArend Lijphart, The politics of accomodation: Pluralism and democracy in the Netherlands, Berkeley and Los Angeles, 1968. ") Köln-Opladen 1967 ff.

Einleitung

XXXV

Einzelstudien unter einem historisch-politischen Gesamtaspekt behandelt wird. Den vorliegenden beiden Halbbänden werden Untersuchungen der außereuropäischen Länder folgen. Diese Arbeiten konnten bereits begonnen werden, und dank der Hilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft ist sichergestellt, daß die weiteren Bände in angemessenen Abständen nachfolgen können.

Das Ziel der

Publikation

Ziel des Autorenteams in der hier vorgelegten Publikation war: die Sammlung, Aufarbeitung und Ordnung des umfänglichen Datenmaterials über das Wahlrecht und die Wahlsysteme aller europäischen Länder anhand systematischer Maßstäbe. Durch einander entsprechende oder aufeinander beziehbare Angaben sollten Vergleiche verschiedener Entwicklungsphasen innerhalb der Länder und vor allem auch der Länder untereinander möglich werden. Die Statistiken und Graphiken, die detaillierte Information über die geltenden wahlrechtlichen Bestimmungen werden durch die teilweise ausführliche historische Darstellung ergänzt, das Wahlsystem zum Parteien- und Regierungssystem in enge Verbindung gebracht, die Interdependenz verdeutlicht und die „lebende Verfassung" aus diesem Blickwinkel heraus veranschaulicht. Bei der Vorbereitung dieser Arbeit hat sich gezeigt, daß die Quellen (allein oft sprachlich) sehr schwer zugänglich sind, und daß bei vielen Forschungsarbeiten bislang nur Mitteilungen aus zweiter Hand vorgelegen haben. Dies dürfte auch einer der Gründe dafür gewesen sein, daß sich die Wahlforschung in starkem Maße bislang auf bestimmte Länder konzentriert hat, daß aber andere völlig unbeachtet blieben. Um diesem Mangel zu begegnen, haben die Autoren in knapper Form zusammengetragen, was an Einzelergebnissen der Forschung zu den einzelnen Ländern vorliegt. Es hätte dem Charakter dieser Arbeit, die sich auch als ein Handbuch versteht, nicht entsprochen, wenn über die Kompilation hinaus eine detaillierte Auseinandersetzung mit der Forschung gesucht worden wäre. Das Literaturverzeichnis soll dem Leser einen Hinweis auf die zugrundegelegte Literatur ermöglichen und für weitere Forschungsansätze Wege aufzeigen. Dort jedoch, wo es an Spezialuntersuchungen fehlte, haben die Autoren unter oft großen Mühen über die wenig vorhandene Literatur hinaus selbständige Forschungen angestellt und zu Ländermonografien zusammengefaßt. Es hat die Arbeit wesentlich erleichtert, daß

XXXVI

Wahl der Parlamente

einzelne Autoren ihre Dissertationen aus verwandten Bereichen in die Monografie einarbeiten konnten 14 ). Bemerkungen zur Methode Methodisch gehen die Autoren empirisch-beschreibend vor. Von der Deskription der Wirklichkeit aus werden bestimmte theoretische Überlegungen vorgelegt, deren systematische Zusammenfassung freilich ebenso wie die vergleichende Analyse einer späteren Phase des Forschungsprojektes vorbehalten bleiben muß. Dieser Forschungsansatz, der schon im kompilierenden und aufarbeitend-analytischen Zweck des Handbuches begründet ist, unterscheidet sich wesentlich von anderen Studien, wie etwa der Kölner Wahlstudie von 19611S). Anders als diese empirisdi-bypothetiscbe Studie untersucht das vorliegende Werk nicht die denkbare Spannweite von Wahlsystemen und -ergebnissen und analysiert auch nicht das potentielle Wählerverhalten, sondern beschränkt sich darauf, tatsächlich vorgekommenes Wählerverhalten im Systemzusammenhang eines Wahlsystems zu prüfen, zu begründen und dann zu einer Theorie über tatsächliche Wahlentscheidungen und ihre Implikationen angesichts bestimmter Wahlsysteme zu kommen. Die Fragen an die

Interpretation

Wahlsysteme und Wählerverhalten, Stimm- und Mandatsergebnisse liegen als empirische Fakten vor. Diese Fakten werden mit politischen, sozialstrukturellen und institutionellen Faktoren in Verbindung gesetzt, so daß Schlüsse gezogen werden können auf Auswirkungen und politische Implikationen der jeweiligen Wahlsysteme. Im einzelnen ergeben sich folgende Fragestellungen: 14 ) Lutz Franke, Proporz und Mehrheitsbildung in Schweden. Zur Relevanz von Wählerstruktur und Wahlsystem (Diss., masdi.Ms.), Heidelberg 1969; Hermann Otto Leng, Die bolschewistische Wahl. Eine Auseinandersetzung (Diss., masch. Ms), Heidelberg 1969; Jürgen Nicklaus, Das norwegische Parteiensystem 1945—1965 in Abhängigkeit von Wählerstruktur und Wahlsystem, Diss. Heidelberg 1968; Dieter Noblen, Der spanische Parlamentarismus im 19. Jahrhundert. « Regimen parlamentario » und parlamentarische Regierung, Meisenheim/Glan 1969. Zudem sind von einigen Mitarbeitern weitere Studien (Magisterarbeiten und Dissertationen) verfaßt worden. So etwa: Mathias Weiss, Die Ausbreitung des allgemeinen und gleichen parlamentarischen Wahlrechts in der westlichen Reichshälfte der Habsburger Monarchie, Diss. Heidelberg 1965. 15 ) Siehe Zur Soziologie der Wahl, hrsg. von Scheuch, Ε. K. und Wildemann, R., Sonderheft 9 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie, Köln und Opladen 1965, hier besonders Wildenmann, R. / Kaltefleiter, W. / Schleth, U.: Auswirkungen von Wahlsystemen auf das Parteien- und Regierungssystem der Bundesrepublik, S. 74 ff.

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Einleitung

— Wie sehr bedingen sich Wahlsystem und Wahlergebnis? Exakt angeben läßt sich dabei nur die Übertragung von Wählerstimmen auf Mandate. Die Gewichtung des Einflusses hingegen, den die Gestalt des Wahlsystems mittelbar und unmittelbar auf das Wählerverhalten ausübt, kann nicht exakt angegeben werden, da die Analyse eine Vielzahl sehr verschiedener, in ihrer Komplexität wohl nie ganz erfaßbarer Faktoren einbeziehen muß. — In welchem Maße wirken unterschiedliche historische und sozialstrukturelle Bedingungen auf das Wahlsystem und die Wahlgesetze ein? — H a t das jeweilige Wahlsystem einen merklichen Strukturierungseffekt auf die Parteien, das Parteiensystem und das Regierungssystem etwa in der Form der Konzentration des Wählerverhaltens, der Polarisierung oder Desintegration? — In welcher Hinsidit lassen sich die Auswirkungen eines Wahlsystems bewerten und gibt es erkennbare Normierungen für mögliche Reformansätze? Diesen Fragen wird in den Ländermonografien nachgegangen. Mögliche andere, nur hypothetisch interessante Fragen wie etwa die nach den Auswirkungen einer proportionalen Stimmenrepräsentation in Großbritannien, wurden bewußt außer acht gelassen, da sie dem tatsächlichen Demokratieverständnis eines Landes zuwiderlaufen. Es bliebe akademisch, die tatsächlichen Realisierungschancen bestimmter Reformvorsdiläge oder das Aufzeigen von Veränderungstendenzen ohne Berücksichtigung des jeweiligen Demokratieverständnisses vorzunehmen. Da im kommunistischen Machtbereich die Wahl ausschließlich in einer Abstimmung über eine vorher erstellte Liste besteht, die den alles überragenden Einfluß der Staatspartei in jedem Fall sichert, hat die Frage nach der Wirkung des Wahlsystems auf das Parteien- und Regierungssystem nur sehr geringe Bedeutung 16 ). Notwendigerweise mußte hier in den Vordergrund des Interesses die Aufstellung der Kandidaten rücken.

Die zeitliche

Abgrenzung

Die Darstellung der historischen Entwicklung in den einzelnen Ländern beginnt mit der dort vorzufindenden ersten modernen repräsen'·) Siehe dazu die Begriffliche Einführung, S. 11 ff. und vor allem den Länderbeitrag Sowjetunion, S. 1199 ff.

XXXVIII

Wahl der Parlamente

tativen Verfassung. Die der Erklärung und Ratifizierung der repräsentativen Verfassungen vorausgehenden politischen Entwicklungen wurden ihrer jeweiligen Bedeutung entsprechend berücksichtigt. So kann etwa leicht am Beispiel Finnlands nachgewiesen werden, daß die nach der Unabhängigkeitserklärung (1917) entstandenen politischen Strukturen und Verhaltensweisen lange vor der Umwandlung des Landtages in ein modernes Repräsentativorgan (1906) entscheidend vorherbestimmt waren. In Finnland hatte sich als Folge einer stark hervorgetretenen ethnischen, sozio-ökonomischen und außenpolitischen Differenzierung bereits vor 1906 ein Vielparteiensystem gebildet, das bestimmte politische Verhaltensweisen nadi sich zog. Nur die Kenntnis der historischen Situation bewahrt vor voreiligen Simplifizierungen wie etwa der, daß das 1906 eingeführte Proportionalwahlsystem die Ursache des Vielparteiensystems sei. An diesem Beispiel, das um viele andere beliebig vermehrt werden kann, wird auch klar, daß bei der Einordnung der Bedeutung des Wahlsystems die Kenntnis der Wahlmechanismen allein nicht ausreicht. Wenn diese Wahlmechanismen naturgemäß in einem Handbuch über Wahlrecht und Wahlsysteme breit dargelegt werden, werden sie doch nie aus dem engen Zusammenhang mit den soziologischen und institutionellen Bezugssystemen eines Landes herausgerissen.

Abgrenzung zu anderen Sachgebieten Es hätte nahe gelegen, daß dieses Werk angesichts der außerordentlichen Bedeutung, die es historischen Bedingungen zumißt, trotz zeitlicher Abgrenzung und Beschränkung auf Wahlrecht und Wahlsystem zu einer allgemeinen Darstellung der Verfassungs-, Landes- und Parteiengeschichte auszuweiten. Gerade wegen dieser Gefahr mußte eine häufig recht strenge Auswahl getroffen werden. Die Analyse der jeweiligen Verfassungswirklichkeit, des Parteiensystems und der Wählerstruktur stand dabei immer unter der zentralen Frage nach Wahlrecht und Wahlsystem und deren Wirkungen. Der Handbuchcharakter des Werkes erzwang von den einzelnen Autoren Beschränkung, die oft nur schweren Herzens akzeptiert werden konnte. Auf diese Bedingungen ist es auch zurückzuführen, daß in Formulierung und Ausdruck äußerste Knappheit und Gedrängtheit erforderlich waren. Das Autorenteam ist aus einem mehrsemestrigen Seminar zu Fragen des europäischen Wahlrechts am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Heidelberg hervorgegangen, das seit dem Winter-

Einleitung

XXXIX

semester 1962/63 unter meiner Leitung stand. Zunächst assistierte Gerhard Weigand MA, seit Wintersemester 1964 Dr. Dieter Nohlen, der immer stärker die Koordination und schließlich ab 1966 die Leitung der Arbeitsgemeinschaft übernahm. Die Beiträge des Handbuches sind wiederholt im Seminarkreis diskutiert worden, so daß jedem Autor vielfältige Anregungen von Seiten anderer Mitarbeiter zuteil wurden. Nicht alle, die im Laufe der Jahre durch Rat und Tat mitwirkten, können hier genannt werden. Nur in dieser Teamarbeit konnte dieser erste Band des Handbuches entstehen, für den nur minimale finanzielle und sachliche Mittel zur Verfügung standen. Für die Bereitstellung aller notwendigster Geldmittel ist Herrn Karl Freudenberg, Weinheim, zu danken. Unser Dank gilt aber auch dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, der ein Jahresstipendium zur Vorbereitung der Drucklegung gewährte. Der Kreis der Personen und Behörden, der das Projekt in Auskünften und in der Beschaffung von Materialien, in Hinweisen und Vermittlungen und in der Durchsicht von Manuskripten gefördert hat, ist unübersehbar groß. Alle zu nennen wäre unmöglich, doch kann aus diesem Grunde nicht darauf verzichtet werden, jenen namentlich zu danken, denen wir uns zu besonderem Dank verpflichtet fühlen. Zuallererst muß Karl Braunias genannt werden, mit dem erste Überlegungen zu dem neuen Handbuch angestellt wurden. Sodann: Anatole Alitan, Heidelberg Selfuk Bakkalbasi, Bonn Francesco Balsimelli, San Marino Berthold Beinert, Heidelberg Klaus von Beyme, Tübingen Leon Blasen, Luxemburg Edvard Bull jun., Oslo Francesco Cosentino, Rom Hans Fenske, Speyer Bjarni Gudmundson, Reykjavik Peter Haungs, Heidelberg Gertrud Krallert, München Walter Kranz, Vaduz Gertrud Kreis, München Basil Mailat, München Helmut Neubauer, Heidelberg Stein Rokkan, Bergen Joaquin Tomas Villarroya, Valencia Tuttu Tarkiainen, Helsinki

XL

Wahl der Parlamente

Adalbert Toth, Heidelberg Henry Stjernqvist, Kopenhagen Pentti Pärssinen, Helsinki Marc Vila Riba, Andorra und den Mitgliedern des Instituts für Politische Wissenschaft an der Universität Heidelberg. Von den zahlreichen wissenschaftlichen Instituten, Bibliotheken und Archiven ist zunächst der Universitätsbibliothek Heidelberg und den mit ihr durch den Fernleihverkehr verbundenen deutschen Universitätsbibliotheken zu danken, sodann vor allem dem Max-PlanckInstitut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg. Des weiteren sind zu nennen: Alfred-Weber-Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg Juristisches Seminar, Heidelberg Institut für Ostrecht, München Südost-Institut, München Institut für Weltwirtschaft, Kiel Ibero-Amerikanisches Institut, Berlin Collegium Carolinum, München Bibliothek des Bundesgerichtshofes, Karlsruhe Bibliothek des Bundesverwaltungsgerichts, Berlin Spiegel-Archiv, Hamburg Biblioteca Nacional, Madrid Bibliothek des Deutschen Bundestages, Bonn Bibliothek der Marea Adunare Nationale, Bukarest Bibliothek des Reichstages, Helsinki und andere Parlamentsbibliotheken der europäischen Länder sowie die verschiedensten Ministerien, Presse- und Informationsstellen, statistischen Ämter und Botschaften der in diesem Band vertretenen Staaten. Aus dem Kreis der Mitarbeiter ist vor allem Herrn Wiss. Ass. Klaus Landfried, Dr. Franz Nuscheier, cand. phil. Rainer-Olaf Schultze und cand. phil. Klaus Ziemer für ihr sorgfältiges Gegenlesen der Korrekturfahnen zu danken. Keiner freilich hat sich der gestellten Aufgabe mit größerer Hingabe und unermüdlicherem Fleiß gewidmet als Dr. Dieter Nohlen, dem darum das letzte Wort des Dankes zu gelten hat. Bernhard Vogel

BEGRIFFLICHE EINFÜHRUNG WAHLSYSTEMATIK

IN

DIE

A. BEGRIFF UND FUNKTIONEN DER WAHL I . D e f i n i t i o n d e r Wahl nischer W a h l b e g r i f f )

als

Bestellungstechnik

(tech-

„Die Wahl tritt uns vor allem als technisches Prinzip entgegen" 1 ). Doch geht die Mehrzahl der Versuche zu definieren, was die Wahl sei, nicht, zumindest nicht primär, in die technische Richtung. Dem liegt zum einen zugrunde, daß die wissenschaftlichen Disziplinen, die sich mit der Wahl beschäftigen, dieser Erscheinung ein je anderes Interesse entgegenbringen und von ihrer Sicht her eine Definition versuchen. So tritt dem Juristen die Wahl vornehmlich als ein Recht entgegen 2 ), dem Soziologen als ein Prozeß, in welchem die Stimmabgabe nur als e i n Akt im Verlauf der politischen Willensbildung gesehen wird 3 ). Zum anderen ist die Vernachlässigung einer technischen Begriffsdefinition darauf zurückzuführen, daß jene Forschungsrichtung, die einen solchen technischen Wahlbegriff entwickeln könnte, nämlich die Politische Wissenschaft, bislang im wesentlichen davon abgesehen hat, ihn zu definieren. Demgegenüber wurden von der Politologie Begriffsdefinitionen geltend gemacht, die sich in aller Regel aus bestimmten politischen Systemvorstellungen herleiteten, in die das Institut der Wahl eingebettet gesehen wurde. Bereits Carl J . Friedrichs Begriff, daß Wahl „eine Methode (sei), um geeignete Personen für Zwedke der Repräsentation ausfindig zu machen" 4 ), geht über eine nur technische Definition hinaus. Mit der Wahl werden Funktionen und Postulate verbunden, ihr politischer Charakter tritt in den Vordergrund. Deutlicher erscheint diese Tendenz bei Karl Loewenstein, der die Wahl in bestimmte Verfassungstypen einfügt und dann ausschließlich nach ihrer Funktion fragt. „Wahlen dienen (ihm zufolge) in erster Linie zur Bestimmung der Macht*) Braunias, II, S. 1. ) Vgl. dazu die Ausführungen über die Rechtsnatur des Wahlrechts in Braunias II, S. 3 ff. In seiner Darstellung „Wahlrecht in Österreich", Wien 1961, die sich vorwiegend mit Fragen des Wahlsystems beschäftigt, hat auch Ludwig Boyer „ . . . die Wahl als ein Recht definiert", S. 17 f., Zitat S. 22. 3 ) Siehe vor allem Erwin K. Scheuch/Rudolf Wildenmann, Zur Soziologie der Wahl, Köln-Opladen 1965, S. 10 f. und passim. 4 ) Carl J. Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, Berlin-Göttingen-Heidelberg, 1953, S. 309. 2

1

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

Wahl der Parlamente

2

träger in Regierung und Parlament durch die Wählerschaft" 5 ). In der Geschichte der Wahl überwiegt jedoch die Zeit, in der keineswegs die Machtträger in der Regierung mittels Wahlen bestellt wurden. Die Verquickung von konkreter politischer Systemvorstellung und Wahlbegriff tritt aber vor allem bei Maurice Duverger hervor. Er definiert die Wahl kurz und bündig als „Auswahl der Regierenden durch die Regierten"®). Daß die Regierten, also das gesamte Volk, die Regierung durch Wahlen bestellen, davon kann nun bei zensitär beschränktem Wahlrecht wie auch in politischen Systemen, die nicht demokratisch strukturiert sind und sich trotzdem des Instituts der Wahl bedienen, überhaupt keine Rede sein. Diese Definition verkennt, daß sich die Wahl als Bestellungstechnik bereits weitgehend Anerkennung verschafft hatte, als ein nach modernen demokratischen Maßstäben ausgerichtetes Wahlrecht nirgends bestand. Sie würde ausschließen, daß wir es bereits im 19. Jahrhundert mit Wahlen zu tun haben, als bekanntlich die Ausübung des Wahlrechts zumeist von Besitz, Steuerleistung und Bildung abhängig war. Kurz gesagt, dieser Definitionsversuch läuft auf die Formel hinaus, daß Wahlen der Bestellung von Staatsorganen in politischen Systemen dienen, deren konstitutive und legitimierende Basis die Wahl nach demokratischem Wahlrecht selbst ist. Die Wahl würde sich hier aus dem Demokratiebegriff herleiten und viceversa, denn Duverger definiert die Demokratie als „eine Ordnung, in der die Herrschenden durch die Beherrschten in unverfälscht freien Wahlen gewählt werden" 7 ). Eine solche Einengung des Wahlbegriffs auf demokratisch verfaßte politische Systeme des allgemeinen Wahlrechts ist zweifellos unzulässig. Damit soll keineswegs gesagt sein, daß das Institut der Wahl nicht wesentlich mit der Entwicklung der Demokratie verbunden gewesen ist und mit ihr Bedeutung erlangt hat. Auch wird nicht bestritten, daß die Wahl in phänomenologischer Sicht verschiedenen politischen Systemen in unterschiedlicher Weise zugeordnet werden kann, in weit höherem Maße liberal-pluralistischen als monokratischen Verfassungen (siehe unten). Doch muß hervorgehoben werden, daß der Wahlbegriff nicht notwendigerweise durch politische Systemvorstellungen und die Bestandteile des engeren Wahlrechts (siehe unten S. 20 f.) determiniert ist. Technisch gesehen ist die Wahl ein Mittel zur Bildung von Körperschaften oder zur Bestellung einer Person im Amt%). Der Zweck defis

) Karl Loewenstein, Verfassungslehre, Tübingen 1959, S. 266. ·) Maurice Duverger, Die politischen Parteien, Tübingen 1959, S. 361. ') Ebenda, S. 360. 8 ) Dieser Bestimmung am nächsten kommt Stein Rokkan: „Elections are institutionalized procedures for the choosing of office holders by some or all of the

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

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niert die Wahl indes nicht hinreichend. Die Bestellungstechnik „Wahl" ist durch bestimmte Verfahren gekennzeichnet. Bei der Wahl werden im Unterschied zu anderen Bestellungstechniken (siehe unten) von einer wohl abgegrenzten Wählerschaft (im Sinne der Wahlberechtigten) individuell Stimmen abgegeben; die Stimmen werden ausgezählt und mittels eines festgelegten Entscheidungsmaßstabes und gegebenenfalls unter Zuhilfenahme eines bestimmten Verrechnungsverfahrens in Mandate übertragen. Dieser Wahlbegriff vermeidet eine qualitativinhaltliche Bestimmung; er richtet sich nach technisch-prozeduralen Kriterien und an der Ziel Vorstellung der Wahl aus®). Legt man ihn den so drastisch von einander abweichenden Wahlrealitäten in Geschichte und Gegenwart zugrunde, so wird sogleich deutlich, daß — gemäß dem politischen Sprachgebrauch — auch die Bestellung der Parlamente in den kommunistischen Ländern unter die Bezeichnung und den Begriff der Wahl fällt. Vornehmlich von hierher rechtfertigt sich, in einem Handbuch über die Wahl der Parlamente auch die Länder der kommunistischen Parteidiktaturen mit aufzunehmen. Von einer technischen Bestimmung der Wahl ausgehend läßt sich diese Erscheinung zunächst gegen andere Bestellungsmethoden von Körperschaften deutlich abgrenzen. So ist die Wahl unterschieden von der Bestellung nach Geburtsrecht, die besagt, daß ein Amt oder Mandat bei Tod oder Abtritt des Inhabers automatisch an den Erben fällt. Die Wahl hebt sich von der Ex-officio-Bestellung ab, bei der Personen, wenn sie ein bestimmtes Amt, eine Stellung, einen Stand, einen Titel, einen Beruf etc. erlangen, zugleich die Berechtigung zur Mitgliedschaft in einer Körperschaft erhalten. Auch die Bestellung durch Losentscheid, von Aristoteles als d i e demokratische Methode angesehen, der im Altertum und noch in der römischen Kaiserzeit in Kleinasien übernatürliche Kraft beigemessen wurde, ist von der Wahl als Bestellungstechnik deutlich verschieden. Für Beispiele der Anwendung dieser Methoden ist hier nicht der Ort. Jedoch muß betont werden, daß die Bestellung nach Geburt, ex-officio und nach dem Los heute noch verwandt werden, daß es sich um Bestellungsmethoden handelt, die recognized members of an organization", Artikel „Electoral Systems" in: International Encyclopedia of Social Sciences, hrsg. von David L. Sils, N e w Y o r k 1968, Bd. 5, S. 6. R o k k a n hebt, wie audi W. J . M. Mackenzie, Artikel „Elections", ebenda, S. 2, hervor, was wir vorab ausgeführt haben, daß es nämlich gleichgültig sei, ob alle oder nur einige Mitglieder einer Gemeinschaft an der Wahl teilnehmen. Zu vergleichen ist hier auch die Definition von Hans Peters im Staatslexikon, hrsg. von der Görres-Gesellschaft, 6. Aufl., Freiburg 1957 ff., Bd. 8, S. 398: „Wahlen sind das technische Mittel zur Bildung einer Repräsentation". 9 ) Hierbei muß natürlich audi die mögliche Abwahl und Entsetzung mitgedacht werden. Erst im qualitativ-inhaltlichen Wahlbegriff spielt dieses Axiom allerdings eine hervorstechende Rolle; siehe dazu unten S. 13 f.

Wahl der Parlamente

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nicht durch die Ausbreitung der Wahl hinfällig geworden sind, wenn auch das Los nur noch „as a last resort in supplementing election . . after all the other criteria of quality and of voters' confidence have been gauged" 10 ), angesehen werden muß. Zwei weitere Bestellungstechniken von Körperschaften und Amtsträgern sind nicht so offensichtlich von der Wahl zu unterscheiden: Ernennung und Akklamation11). Insbesondere wenn die Vielfalt der Erscheinungen wahlähnlicher Bestellungen von der Antike bis zur Gegenwart mit in Betracht gezogen wird, ergibt sich, daß die Übergänge zwischen Wahl, Ernennung und Akklamation fließend sind12). Eine Definition, die theoretisch eine Abgrenzung versucht, verlangt hier eine Beschäftigung mit den technischen Prozeduren der Wahl. Dabei wird schnell deutlich, daß mit den spezifischen Bestandteilen und Verfahrensabläufen der Wahl inhaltliche Akzente gesetzt werden. Mit ihnen treten die begrifflich konstitutiven Elemente der Wahl in Erscheinung. Neben der Abgrenzung der Wahl gegenüber den anderen Bestellungstechniken erfolgt dann als das wesentliche Ergebnis eine Differenzierung zwischen den unter einem nur technischen Aspekt als Wahl bezeichneten Erscheinungen. Es trennt sich also die Wahl im liberal-pluralistischen Verständnis von der Wahl im sozialistischen Staat bolschewistischer Prägung, im folgenden bolschewistische Wahl genannt. Freilich werden auch Kriterien für die Wahlen in den westlichen Verfassungsstaaten gewonnen. Zunächst werden wir nach dem Wesen der Wahl fragen, uns also ein Bild davon zu machen suchen, was die Wahl eigentlich sei13). 10

) Benjamin Akzin, Election and appointment, in: AmPSR, Bd. 54 (1960), S. 713. ") Mit den genannten sechs Bestellungstechniken sind im übrigen eigentlich alle empirischen und denkbaren Bestellungsarten von Körperschaften und 'Amtsträgern erfaßt, die auf Vereinbarung beruhen können und geregelt vonstatten gehen. Kampf, Putsdi oder Krieg sind keine Bestellungstechniken im eigentlichen Sinne, sondern gewaltsame Methoden, die Macht zu erlangen. Usurpation ist daneben wie die Bestellung per Divination (und in Abgrenzung zur Wahl) vor allem ein Legitimationskriterium. Begreift man sie als Bestellungstechniken, lassen sie sich, ebenso wie die Kooptation, in aller Regel auf eine der genannten Bestellungsmethoden zurückführen. Letztlich muß zur Begriffsbestimmung der politische und soziale Bedeutungsgehalt der Bestellungsweise mit berücksichtigt werden, was hier im Hinblick auf den Charakter des Handbuches nicht geschehen kann. 12 ) Zum fließenden Übergang zwischen Wahl und Ernennung siehe Benjamin Akzin, a.a.O., S. 705 ff. Vgl. auch W. J. M. Mackenzie, a.a.O., S. 2 f. ls ) Etymologische Ableitungen (siehe etwa Ludwig Boyer, a.a.O., S. 14 ff.) geben zum Zwecke der Begriffsbestimmung wenig her. Sie sind in der Sprachwissenschaft sehr umstritten. Die jüngere strukturalistische Richtung innerhalb der Sprachwissenschaft lehnt eine derartige diachronische Betrachtung entschieden ab.

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

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II. I n h a l t l i c h - q u a l i t a t i v e r W a h l b e g r i f f Es gibt zweifellos allgemeine Vorstellungen von dem, was eine Wahl sei. Wählen bedeutet danach etwa, zwischen etwas wählen, sich für eine Sache oder Person unter mehreren, zumindest aber zweien zu entscheiden. Und Wahl heißt dementsprechend Auswahl. Wenn keine Auswahl besteht, eine Entscheidung unter mehreren Möglichkeiten also nicht offensteht, so liegt eigentlich keine Wahl vor. Zum inhaltlichen Wahlbegriff gehört, daß Alternativen sachlicher oder personeller Art bestehen, zwischen denen sich der Wähler entscheiden kann. Weiterhin entspricht diesen allgemeinen Vorstellungen, daß wählen nur kann, wer eigenverantwortlich nach eigenen Maßstäben sich zwischen mehreren Möglichkeiten, bei der politischen Wahl zwischen Kandidaten oder Kandidatenlisten, entscheiden kann. Zur Wahl als Auswahl muß also (begrifflich) die Wahlfreiheit der Wähler hinzutreten. Diese Wahlfreiheit besitzt zwei Komponenten. Der einen Komponente zufolge muß dem Wähler tatsächlich offenstehen, sich für eine jede der angebotenen Möglichkeiten zu entscheiden. Ausübung von Zwang oder andere Beeinflussung von außen bei der Entscheidung des Wählers ist mit der Wahlfreiheit und somit mit dem Wahlbegriff unvereinbar. Der Wähler hat die Freiheit der Auswahl. Die andere Komponente der Wahlfreiheit betrifft das Angebot der Möglichkeiten selbst, unter denen gemäß dem Wahlbegriff der Wähler ohne Nötigung zu einer bestimmten Wahlentscheidung frei auswählen können muß. Komplementär zur freien Auswahl muß die Freiheit im Angebot, bei der politischen Wahl in der Wahlbewerbung und Kandidatenaufstellung, hinzutreten. Zum Begriff der Wahl gehört demzufolge, daß keine Beschränkungen willkürlicher (willkürlich-rechtlicher) Natur bestehen dürfen, die eine mögliche Vielfalt von Angeboten begrenzen oder gar auf ein Minimum reduzieren. Für die Wahl als politische Erscheinung sind die hier entwickelten Begriffe Auswahl und Wahlfreiheit konstitutiv. Sie sind axiomatische Bestandteile des Wahlbegriffs. Wahlen, die in Theorie und Praxis dem durch die Begriffe Auswahl und Wahlfreiheit gekennzeichneten Wesen der Wahl zuwiderlaufen, sind keine Wahlen im eigentlichen Sinne. Für die Wahlen, die sich unter dem obigen technischen Wahlbegriff haben subsumieren lassen, ergibt sich nun bereits das entscheidende Kriterium der Abgrenzung. Die Wahlen in den kommunistischen Einparteiendiktaturen sind keine Wahlen im Sinne des inhaltlichen Wahlbegriffs, weil ihnen dessen Bestandteile (Auswahl und Wahlfreiheit) fehlen. Die Disparität zwischen Wahlen und „Wahlen" verstärkt sich noch dadurch, daß der inhaltliche Wahlbegriff in Verbindung mit

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Wahl der Parlamente

Prinzipien und Rechtssätzen demokratisch-pluralistischer Verfassungssysteme folgerichtig weiter ausgebaut wurde. So ist beispielsweise — unter Berücksichtigung des Gleichheitsgrundsatzes, auch der Presse-, Versammlungs- und Organisationsfreiheit — der Bereich der Freiheit der Wahlbewerbung erweitert und der Grundsatz der Gleichheit der Chancen der sich bewerbenden Personen oder Gruppen zum Begriff der Wahl mit hinzugetreten. a) Der bürgerlich-demokratische Wahlbegriff Bei bürgerlich-demokratischen Wahlen verwirklicht sich das Wesen der Wahl in einem bestimmten Procedere, mit dem verschiedene Prinzipien zur Geltung kommen. Diese Prinzipien fußen einerseits auf dem Verständnis der Wahl als Auswahl und Wahlfreiheit, andererseits wollen sie diese inhaltliche Bestimmung der Wahl konkretisieren und in der Praxis sichern. Der bürgerlich-demokratische Wahlbegriff manifestiert sich in den folgenden Merkmalen: — Der Wahlvorschlag. Vorab muß hier besonders darauf hingewiesen werden, däß der Vorschlag in engster Verbindung zur Wahl selbst steht, ja zum Begriff der Wahl gehört 14 ). Denn der Modalität der Wahlbewerbung kommt für den Wahlbegriff essentielle Bedeutung zu. Sie muß — wie bereits aufgezeigt wurde — frei sein und darf keinen willkürlichen Bedingungen unterliegen. Andererseits aber kann der Vorschlag, der in aller Regel von einem sehr viel kleineren Gremium als dem Wahlkörper gemacht wird, den eigentlichen Wahlakt, d.i. die Auswahl durch die Wähler, nicht absorbieren15), selbst dann nicht, wenn faktisch die gesamte Wählerschaft am Vorschlag mitbeteiligt wurde 18 ). Die positive Aus wählen tscheidung des Wählers ist ein wesentlicher Bestandteil des Wahlbegriffs. Die Nominierung von Kandidaten und Kandidatenlisten kann den verschiedensten Regelungen unterliegen. Ein internationaler Vergleich ergibt sich aus dem in diesem Handbuch unter dem Stichwort Wahlbewerbung in den Systematischen Teilen der Länderbeiträge angegebenen Rechtsvorschriften. 14 ) Dies entgegen der Unterscheidung und Trennung von Vorschlag und Wahl bei Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, hrsg. von Johannes Windkelmann, Tübingen 1956, Neudruck Köln-Berlin 1964, S. 848. Dazu grundlegend: Dolf Sternberger, Über Vorschlag und Wahl. Umriß einer allgemeinen Theorie, in: Kaufmann-Kohl-Molt, Kandidaturen zum Bundestag, Köln 1961. 15 ) Dies liegt u.a. bei den sogen, „stillen Wahlen" vor, bei denen der Vorschlag bereits als Wahl ausreicht, wenn nicht mehr Kandidaten aufgestellt werden, als Abgeordnete zu wählen sind; siehe den Beitrag Schweiz, S. 1127. le ) So bei kommunistischen Wahlen; siehe den Beitrag Sowjetunion, S. 1203 ff.

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

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— Die Konkurrenz. Bei der bürgerlich-demokratischen Wahl stehen Personen und Personengruppen im Wettstreit um die Besetzung von Mandaten und Ämtern. Wie aus der bürgerlichen Demokratie der Pluralismus der Meinungen und Gruppen nicht wegzudenken ist17), so ist — daraus erwachsend — die Kandidatenkonkurrenz ein unabdingbarer Bestandteil im bürgerlich-demokratischen Wahlbegriff. Dies korrespondiert mit dem Wesen der Wahl als Auswahl, so daß in Erweiterung des Begriffs die Wahl als Auswahl zwischen konkurrierenden Wahlbewerbern definiert werden kann. Die Konkurrenz ist zunächst mit der natürlichen Verschiedenheit der Bewerber gegeben. Auch bei Listen ist die Konkurrenz eine solche zwischen Personen, denn nur Personen können Mandate und Ämter besetzen. Mit den verschiedenen, mit einander konkurrierenden Personen gehen jedoch in bürgerlich-demokratischen Wahlen sachlich-politische Differenzen einher. Personen stehen stellvertretend für konkurrierende politische Meinungen und Programme. Diesem Aspekt kommt im bürgerlich-demokratischen Wahlbegriff sogar hohe Bedeutung zu. Für ihn genügt eine Personenauswahl dann nicht, wenn die Personen sämtlich für ein und dieselbe Sache kandidieren 18 ). Die Konkurrenz muß also sachbezogen gesehen werden. Tatsächlich stehen Personen in Wahlen der liberal-pluralistischen Verfassungssysteme immer stärker für Parteien und deren Programme 19 ). Unter dem Gesichtspunkt des Konkurrenzprinzips läßt sich die bürgerlich-demokratische Wahl definieren als Auswahl unter verschiedenen, alternativen politischen Vorstellungen und Sachprogrammen, für die Personen konkurrierend um Mandate und Ämter auftreten. — Die Chancengleichheit. Sie umfaßt den ganzen Bereich der Wahl als Institution, läßt sich jedoch schwerlich für diese insgesamt definieren. Sie erfordert vielmehr eine äußerst schwierige Detailabgrenzung, " ) Siehe dazu vor allem die Schriften von Ernst Fraenkel, hier namentlich seine Aufsatzsammlung „Deutschland und die westlichen Demokratien", 3. Aufl., Stuttgart 1968. Daneben auch das Konkurrenzmodell der Demokratie bei Joseph A. Schumpeter, Kapitalismus und Demokratie, 2. Aufl., Bern 1950, S. 427 ff. 18 ) Dies trifft bekanntlich für die Kandidatenauswahl in den kommunistischen Ländern zu; siehe dazu die Länderbeiträge Deutschland (DDR), S. 339 f. und Sowjetunion, S. 1203 ff. 19 ) Unter den Bedingungen der hochindustrialisierten Massengesellschaft haben sich die Programme der Parteien angeglichen. Doch ist darin letztlich keine unumgängliche Entwicklung des Endes zu sehen, daß es keine alternativen Möglichkeiten mehr gäbe (siehe: Manfred Friedrich, Opposition ohne Alternative? Köln 1962; Ekkehard Krippendorf, Das Ende des Parteienstaates? In: Der Monat, Heft 160, Januar 1962). Vielmehr wandeln sich die Gegensätzlichkeiten alternativer Programme in Umfang und Stil; grobe Unterscheidungen werden durch nuancierte ersetzt. Unverändert werden von den sogen. Volksparteien bestimmte sozioökonomische Interessen unterschiedlich wahrgenommen. Zudem bleibt die sozialphilosophische Differenz zwischen den Wählergruppen der Parteien erhalten.

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Wahl der Parlamente

etwa bei der Wahlbewerbung, Parteifinanzierung, Wahlwerbung etc. Die Chancengleichheit ergibt sich als solche aus dem Rechtssatz der Gleichheit, die in bürgerlich-demokratischen Verfassungssystemen eines der obersten Postulate darstellt. Sie kann aber ebenso aus dem klassischen Bestandteil der Wahl und des engeren Wahlrechts, dem Epitheton „gleich" gefolgert werden (siehe unten S. 23 ff.). Die Chancengleichheit muß insbesondere im rechtlichen Sinne verstanden werden; sie umfaßt auf keinen Fall psychologische Ungleichheiten im Wahlwettbewerb, wie sie regierende und oppositionelle Parteien in einigen Ländern antreffen. Dagegen ist die Gleichheit nicht nur als formale Gleichheit zu sehen, von der jedermann weiß, daß sie tatsächlich sehr ungleiche Verhältnisse schaffen kann. Der Gleichheitssatz bedarf einer jeweils an den konkreten Sachverhalten vorzunehmenden Auslegung. — Die Wahlfreiheit. Für den Wahlberechtigten muß gewährleistet, sein, daß er frei und ungebunden seine Wahl treffen kann. Eine N ö tigung von dritter Seite zu einer bestimmten Stimmabgabe ist im bürgerlich-demokratischen Wahlbegriff nicht statthaft. Der Sicherung der Wahlfreiheit dienen die Bestimmungen des engeren Wahlrechts (siehe unten S. 21 ff.), so daß sich besonders hier zeigt, wie eng die Wahlred? isprinzipien, vornehmlich das Postulat der geheimen Stimmabgabe, mit dem Begriff der Wahl selbst verbunden sind. Ohne die freie Entscheidung der Wähler verliert die Wahl ihren eigentlichen Kern. — Der Auswahlprozeß. Hier handelt es sich um technische Regelungen, die für die Auswahl und die Wahlentscheidung der Wahlberechtigten unabdingbar notwendig sind. U m eine Wahlentscheidung herbeizuführen bedarf es: a) eines StimmgebungsVerfahrens b) eines besonderen Zähl Verfahrens und/oder c) eines Stimmenverrechnungsverfahrens. Diese Regelungen sind mannigfach variierbar, indes als solche aus der Wahl nicht wegzudenken. Vielmehr bilden sie die technischen Besonderheiten der Wahl als Bestellungstechnik, abgehoben von anderen Bestellungsmethoden (siehe oben). — Die Entscheidung auf Zeit. Die Wahl als politische Institution versteht sich als eine periodisch auszuübende und revozierbare Entscheidung. Eine einmal vollzogene Wahlentscheidung kann vom Wahlbegriff her nicht dahingehend ausgelegt werden, Auswahl und Wahlfreiheit der Wahlberechtigten für die Zukunft einzuschränken 20 ). 2 0 ) Zu ähnlichen Gedankengängen siehe Dolf Sternberger, Grund und Abgrund der Madit. Kritik der Rechtmäßigkeit heutiger Regierungen, Frankfurt 1962, S. 209 ff.

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b) Die Begriffe Akklamation, Ernennung, Plebiszit und Referendum Eine erste Abgrenzung kann nun gegenüber jenen Bestellungstechniken erfolgen, die mit der Ausgangspunkt für die Frage nach dem Wesen der Wahl waren. Die Wahl ist im folgenden also von der Akklamation und von der Ernennung zu unterscheiden und zudem ist zu erörtern, was die Begriffe Plebiszit und Referendum bedeuten. Zunächst ist festzustellen, daß der Begriff der Akklamation mehrdeutig ist. Die Akklamation kann als „einfachste Form der Wahl" 2 1 ) bezeichnet werden. Auswahl und Wahlfreiheit müssen dann bei der Akklamation gegeben sein, so daß sich gegenüber der Wahl nur das Procedere des Auswahlprozesses verändert. Die Wahl vollzieht sich dann durch „beistimmenden Zuruf ohne Einzelabstimmung"22). Diese Art von Akklamation ist akklamatorische Wahl zu nennen. Man könnte auch von Wahl per Akklamation sprechen23). Nicht eigentlich Wahl liegt nun bei der Akklamation vor, wenn — wie historisch zu Beginn der Papstwahl oder im römischen Urkönigtum — zwischen electio und acclamatio zu unterscheiden ist, wenn Wahlkörper und Akklamationskörper auseinanderfallen und die Akklamation nicht originär mit dem Bestellungsakt zusammenhängt. Dann kommt der Akklamation im wesentlichen nur die Funktion zu, dem Erwählten Beifall zu spenden und die einmütige Anerkenntnis zu dokumentieren. Im Akklamationsakt liegt dann weder die Möglichkeit der Auswahl noch die der NichtZustimmung; der Zwang totaler Anerkenntnis ist die entscheidende Kategorie 24 ). Daß Wahl und Akklamation in diesem Falle begrifflich streng zu scheiden sind, wird zudem darin deutlich, daß der Akklamation im Sinne totaler Anerkenntnis keine eigentliche electio, sondern die Anwendung jedweder anderen Bestellungstechnik vorausgegangen sein kann, ζ. B. eine Ernennung. Die Begriffe Ernennung und Wahl gegeneinander abzugrenzen erscheint in mancher Hinsicht als recht willkürlich. Das wesentliche Un) Wörterbuch zur Geschichte, hrsg. von Erich Bayer, Stuttgart 1960, S. 15. ) Der Große Brockhaus, 16. Aufl., Wiesbaden 1952 ff., Bd. 1. S. 127; vgl. auch Encyclopaedia Britannica, Bd. 1, (1962), S. 98. 21

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2 3 ) W. J . M. Mackenzie verwendet den Begriff „election by acclamation" für Wahlen, die „unfrei" sind und in denen der Wähler keine Auswahl hat (Free Elections, London 1958, S. 172). Gerade diese Inhalte fallen nach der hier vorgeschlagenen begrifflichen Abgrenzung unter Akklamation als gesonderte Bestellungstechnik, die mit eigentlicher Wahl nichts gemein hat. 2 4 ) Der Begriff muß hier so deutlich zugespitzt werden, um ihn von der Wahl per Akklamation abzugrenzen. Für ein modernes Beispiel der Akklamation als Bestellungstechnik siehe die Ausführungen über die bolschewistischen Wahlen, S. 17 ff., hier insbesondere S. 19. 2 5 ) Hans Kelsen, Allgemeine Staatslehre, Berlin 1925, S. 279.

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terscheidungsmerkmal ist nach Hans Kelsen25) und Karl Braunias28) die Uber- oder Untergeordnetheit der zu bildenden Körperschaft oder des zu bestellenden Amts- oder Mandatsträgers. Ernennung ist die „Berufung eines Organs durch ein vorgesetztes Einzelorgan" 27 ), „die Bestellung in der Richtung nach abwärts" 28 ), wohingegen Wahl die Bestellung „in der Richtung von unten nach aufwärts" 29 ) ausdrückt, verbunden mit der Unterordnung der Auswählenden gegenüber den Gewählten 30 ). Entscheidend für den Unterschied zwischen Wahl und Ernennung ist jedoch, daß man bei der Ernennung die Merkmale der Wahl, die Auswahl und die Formen des Auswahlprozesses, nicht einzuhalten braucht, um die Person oder die Personen ausfindig zu machen, die bestellt werden sollen, und daß dem Akt der Ernennung selbst das Procedere der Wahl völlig wesensfremd ist. Bei der Ernennung steht der zu Ernennende bereits fest, der Gewählte bei der Wahl hingegen nicht. Ernennung ist im wesentlichen Vollzug eines Beschlusses, der wahlähnlich zustande gekommen sein mag, die Wahl dagegen ist ein Prozeß. Plebiszit und Referendum gehören zum Oberbegriff Abstimmungen, unter den auch die Wahl eingereiht werden kann 31 ). Das Plebiszit bezeichnet als Personalplebiszit Abstimmungen über Personen32), wobei keine personelle Alternative, sondern nur Zustimmung oder Ablehnung einer kandidierenden Person offensteht. In der Verfassungspraxis vollzieht sich ein solches Plebiszit zumeist in Verbindung mit der Entscheidung über eine Sachfrage33). Als Realplebiszit bedeutet der Begriff die Abstimmung über eine Sachfrage, vor allem territoriale Fragen (territoriales Plebiszit)34). Das Referendum, auch Gesetzesreferendum, ist eine Abstimmung über Sachfragen, ein Mittel direkter Demokratie, das auch Volksabstimmung und Volksentscheid genannt wird 35 ). " ) Braunias II, S. 1. " ) Hans Kelsen, a.a.O., S. 279. 29 *») Braunias II, S. 1. ) Ebenda. 30 ) Benjamin Akzin, Election and appointment, a.a.O., S. 713. 31 ) Allerdings muß dann betont werden, daß über Personen entschieden wird, die Ämter und Mandate zu besetzen haben. So audi Karl-Heinz Seifert, Das Bundeswahlgesetz. Bundeswahlordnung und wahlrechtliche Nebengesetze, 2. völlig neu bearbeitete Aufl., Berlin und Frankfurt 1965, S. 35: „Wahl ist eine Abstimmung, durch die eine oder mehrere Personen aus einem großen Personenkreis auserlesen werden". 32 ) Maurice Duverger will den Begriff nur für Entscheidungen über Personen verwendet sehen; siehe Institutions politiques et droit constitutionel, 2. Aufl., Paris 1968, S. 232. " ) Vgl. Maurice Duverger, ebenda. 34 ) Siehe Karl Loewenstein, Verfassungslehre, a.a.O., S. 271 ff. Loewenstein schlägt vor, den Terminus Plebiszit für Volksabstimmungen über nidit verfassungsrechtliche und nicht gesetzgeberische Gegenstände zu verwenden. 35 ) Eine ähnliche Abgrenzung v o n Plebiszit und Referendum in der Encyclopaedia Britannica, Bd. 18 (1962), S. 72.

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c) Der bolschewistische Wahlbegriff (erste Abgrenzung) Die Definition des bürgerlich-demokratischen Wahlbegriffs erleichtert nidit nur eine terminologische Klärung der Bestellungstechniken Akklamation und Ernennung und der der Wahl verwandten Abstimmungen, sondern ermöglicht auch eine erste Abgrenzung gegenüber den sozialistischen Wahlen bolschewistischer Prägung. Was in den Ländern der kommunistischen Parteidiktaturen aufgrund der dort üblichen Wahlpraxis unter einer Wahl verstanden wird, ist von der bürgerlich-demokratischen Wahl prinzipiell verschieden. Zwar sind die oben herausgestellten Merkmale teilweise auch der bolschewistischen Wahl eigen, jedoch nie im Verständnis der Wahl als Auswahl durch den Wähler und Wahlfreiheit bei der Wahlbewerbung und Auswahl. Sie sind vielmehr Fassade, hinter der Regelungen und Prinzipien angewandt werden, die die Implikationen der Wahl im eigentlichen Sinne gerade aufheben. Neben den technischen Notwendigkeiten wie etwa einem Stimmgebungsverfahren, die unabdingbar sind, wenn in einem technischen Sinne noch von Wahlen (und nicht von Ernennungen oder ex-officio Bestellungen o.ä.) gesprochen werden soll, wird auch der Wahlvorschlag gehandhabt, jedoch auf der Basis des Einheitsprinzips inhaltlich entleert 36 ). Es kommt zu keiner wirklichen Kandidatenkonkurrenz und also nicht zu einer Konfrontation pluralistischer Interessen, auch wenn — wie neuerdings üblich37) — mehr Kandidaten im Wahlkreis aufgestellt werden, als jeweils Abgeordnete im Wahlkreis zu wählen sind. Die Wahlpraxis in den bolschewistischen Ländern hat mit dieser Regelung nur eine subtilere Form der Fassade angenommen, wenn mit den Kandidaten nicht sachlich-politische Differenzen zum Ausdruck kommen. Die Disparität zwischen bürgerlich-demokratischer und bolschewistischer Wahl läßt sich also zunächst anhand der einzelnen Wahlmerkmale beschreiben, was hier nicht weiter geschehen soll38). Sie ergibt sich " ) Dahin geht audi die Kritik der demokratisdi-pluralistisdi ausgerichteten Kommunisten an den bolschewistisdien Wahlen: „Die Konfrontation verschiedenster politischer Interessen und die demokratische Mehrheitsbildung werden zu einer inhaltslosen und grotesken Manifestation eines starren .Einheitsprinzips' umfunktioniert und gleichen jeder beliebigen spektakulären, aber inhaltsleeren politischen Veranstaltung". So Vladimir Klokoika in einer für die hier behandelte begrifflidie Fragestellung sehr aufsdilußreidien Studie: Demokratischer Sozialismus. Ein authentisches Modell, Hamburg 1968, S. 36. Vgl. auch die heftige Polemik gegen den pluralistischen Sozialismus bei Ernst Gottsdiling, Die Theorie von der „pluralistischen Demokratie" im heutigen Klassenkampf, in: Neue Justiz, Jg. 22 (1968), S. 609 ff. ,7 ) Siehe vor allem den Länderbeitrag Polen, S. 995 ff. Siehe dazu die deskriptive Analyse im Beitrag Sowjetunion, S. 1199 ff., daneben auch die Beiträge Deutschland, S. 335 ff. und Tschechoslowakei, S. 1313 ff.

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sodann audi bei Betrachtung der Wahl als politischer Gesamterscheinung, wenn untersucht wird, welches Gewicht und welchen Ort die einzelnen Merkmale im Phasenablauf der Wahl im bürgerlich-demokratischen und im bolschewistischen Wahlbegriff einnehmen und welche andere Struktur der Phasenablauf selber hat. So besitzt der Wahlvorschlag bei bolschewistischen Wahlen die höchste Bedeutung im Wahlablauf, dem die Wahlentscheidung der Wähler am Wahltag weit nachgeordnet ist39). Die Kandidatenominierung und die Zusammenstellung der Block- oder Einheitsliste wird von den dazu berechtigten Wahlkommissionen besorgt, die in der bolschewistischen Wahltheorie aufgrund ihrer Wahl durch die Nationale Front und damit alle Werktätigen und das Volk schlechthin besonders legitimiert sind und zudem nur die Ergebnisse der Nominierungskampagnen, an denen wiederum das Volk intensiv beteiligt wird, prüfen und billigen. Die eigentliche Auswahl (als Merkmal der Wahl) vollzieht sich — wenn wir die Kontrolle des Vorschlags durch den Herrschaftsapparat hier beiseite lassen — vor der Wahl in der Wahlvorbereitung innerhalb der kommunistischen Partei und der Parteien der Nationalen Front. Sie wird dem Wähler genommen. Die Hauptperson bei der Wahl, der Wähler, befindet sich beim Wahlakt in der Situation, nicht mehr wählen, sondern nur noch akklamieren zu können. „Ihre Wahlen sind nichts als organisierte Akklamationen" 40 ). Die entscheidende Disparität zwischen bürgerlich-demokratischem und bolschewistischem Wahlbegriff ergibt sich aber erst, wenn nach der Funktion der Wahlen in den verschiedenen, hier pluralistisch und dort monistisch strukturierten politischen Systemen gefragt wird. Auf diesem Weg erst gelangen wir zu einem Verständnis der bolschewistischen Wahl und seiner von der bürgerlich-demokratischen Wahl abweichenden Merkmale. III. F u n k t i o n e n d e r W a h l Begriff und Funktionen der Wahl stehen ganz zweifellos in einer Korrelation zueinander. Indes wird man Funktionen unterscheiden können, die dem Begriff selbst der Wahl weitestgehend entsprechen, mit ihm harmonieren und mit ihm offensichtlich eine Einheit bilden, und solche, die dem Begriff im eigentlichen Sinne zuwiderlaufen. Nehmen wir zum Beispiel Funktionen der Wahl wie die Auswahl der Regierenden durch die Wählerschaft, die Entscheidung über politische S9 ) Dieter Feddersen, Die Rolle der Volksvertretungen in der Deutschen Demokratischen Republik, Hamburg 1965, S. 46. Ebenso Ernst Wolfgang Bötkenförde, Die Reditsauffassung im kommunistischen Staat, München 1967, S. 60. 40 ) Dolf Sternberger, Grund und Abgrund der Matht, a.a.O., S. 105; zum Begriff der Akklamation siehe oben S. 9.

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Sachfragen oder die Kontrolle der Regierenden durch die Sanktion möglicher Entsetzung aus Amt und Mandat usw. Dies sind zunächst Funktionen, die sich in politischen Systemen entwickelt haben, denen die Wahl als vorrangige politische Erscheinung, in der Regel als Legitimationsprinzip zugrundeliegt. Es kann zudem gesagt werden, daß diese Funktionen eine enge Verbindung mit dem Begriff selbst der Wahl eingegangen sind. Um dies zu illustrieren, genügt es, wenn wir auf die oben aufgeführten Definitionen von Karl Loewenstein und Maurice Duverger verweisen41). Gewisse Funktionen der Wahl wurden hier dem Begriff der Wahl selbst zugeschrieben, bzw. die Definitionen der Wahl basierten wesentlich auf den mit ihr in bürgerlichdemokratischen politischen Systemen einhergehenden Funktionen. Zudem muß natürlich berücksichtigt werden, daß bestimmte Merkmale des Wahlbegriffs zugleich auch als Funktionen der Wahl verstanden werden können. So ist beispielsweise die Auswahl unter den Wahlbewerbern nicht nur zum Begriff der Wahl gehörig, sondern eine wesentliche Funktion der Wahl. Dies verweist darauf, daß auch von den Funktionen her gewisse Maßstäbe an die Wahlen angelegt werden können. Gehört die Auswahl wesensmäßig zur Wahl, so ist es unabhängig von diesem begrifflichen Aspekt auch widersinnig, von Wahlen zu reden, wenn die Funktion der Auslese durch den Wähler nicht erfüllt werden kann. Wenn Wahlen etwa nur die Funktion zukommt, Personen im Mandat oder Amt zu bestätigen, also nicht gleichzeitig die „Negativ"-Lösung, nämlich die Entsetzung, die Abwahl, zur Disposition steht, dann liegen keine Wahlen im eigentlichen Sinne des Terminus vor 42 ). Die Funktionen sind also auch Kriterien der Wahl; umgekehrt freilich nicht minder bilden die Wahlen Maßstäbe für ihre Funktionen. 41 ) An weiteren Definitionen der Wahl, in denen primär auf die Funktionen der Wahl abgehoben wird, herrscht in der Literatur kein Mangel. Siehe etwa Ernst Fraenkel, Deutschland und die westlichen Demokratien, a.a.O., S. 65 f. Die Diskussion um die Frage, ob die Wahl wesentlich eine Entscheidung über politische Sachfragen oder Alternativlösungen einerseits (so Ernst Fraenkel, ebenda) oder zuallererst „eine Kundgebung des Vertrauens gegenüber Personen, Personengruppen, Parteien, potentiellen Regierungsmannschaften" andererseits ist (so Dolf Sternberger, Grund und Abgrund der Macht, a.a.O., S. 177 ff., S. 185), geht auch wesentlich von den Funktionen aus, die der Wahl — zudem entsprechend verschiedenen Verfassungstypen — zugeschrieben werden können. Siehe dazu weiter unten S. 15 ff. " ) Vgl. hierzu Vladimir Klokocka, a.a.O., S. 52, w o er „die verfassungsrechtliche Verankerung und Proklamation des Führungsanspruches der Kommunistischen Partei" als „rechtliche Bestätigung der Monopolisierung politischer Macht" auslegt, so daß „die Ergebnisse aller Wahlen — auch der zukünftigen — im voraus" bestimmt seien. Solche Wahlen seien „natürlich dann keine Wahlen mehr mit dem Charakter von Wahlen unvereinbar".

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Vladimir Klokoika hat zurecht und mit aller Deutlichkeit hervorgehoben, daß „echte Funktionen... Wahlen... nur dort haben, wo sie nicht nur bloßes Instrument der politischen Macht sind, sondern audi ihr Kriterium" 43 ). Die Struktur des politischen Systems, in denen Wahlen stattfinden, also die Frage, ob ein System pluralistisch oder monistisch, (nach den Loewensteinschen Termini) konstitutionell oder autokratisch verfaßt ist, ist mit entscheidend dafür, ob die Funktionen der Wahl jeweils dem inhaltlichen Wahlbegriff entsprechen oder nicht. Von dieser Dichotomie ausgehend, läßt sich ein Kanon von Funktionen der Wahl entwickeln, und die Funktionen können ihrerseits nach ihrer Konformität mit dem inhaltlichen Wahlbegriff eingestuft werden. Freilich treten audi einige Funktionen unabhängig vom politischen System bei allen Wahlen auf. Diese Basisfunktionen orientieren sich jedoch ganz am technischen Wahlbegriff. Die Verbindung eines Amtes oder eines Mandates mit einer Person, unabhängig von der Frage, ob Neuwahl (also Abwahl des vorhergehenden Amts- oder Mandatsträgers) oder Bestätigung vorliegt, ist eine solche Funktion. Die zweite Basisfunktion von Wahlen geht von einem ähnlichen technischen Gesichtspunkt aus: an die Stelle vieler sollen wenige oder nur ein Einzelner treten, von einem großen Personenkreis soll eine kleinere Körperschaft oder auch nur eine Person bestellt werden. In diesen Bereich könnten — generell gesagt — alle jene Funktionen fallen, die auch von den anderen Bestellungstechniken wie Ernennung, Los, Erbfolge etc. wahrgenommen werden können. Dazu gehört etwa auch, wenn alle qualitativen Maßstäbe hintangestellt werden, die Frage, wie die Nachfolge in Führungsämtern zu lösen ist. Nur in demokratischen politischen Systemen könnte diese Funktion ausschließlich durch Wahlen erfüllt werden. Daneben gibt es andere Funktionen wie die Legitimierung eines politischen Systems und der Regierenden durdi Wahlen, für die nicht das gleiche gesagt werden kann; diese Funktionen sind also nicht unabhängig vom politischen System den Wahlen in jedem Falle immanent. Tatsächlich wird ja in autoritären Systemen die Wahl (oder was darunter verstanden wird) ebenfalls als Legitimationsgrund beansprucht. Hier ist jedoch die subtilere Unterscheidung zu treffen, daß Wahlen nur dort Legitimierungsfunktionen effektiv wahrnehmen können, wo dem inhaltlichen Wahlbegriff entsprechend kompetitive Auswahl und Wahlfreiheit herrschen. Wenn an die Stelle des Konkurrenzprinzips die monopolistische Führung tritt, können Wahlveranstaltungen keine Legitimierungsfunktionen übernehmen. " ) Vladimir K l o k o i k a , a.a.O., S. 36.

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a) Funktionen bürgerlich-demokratischer Wahlen In konstitutionellen (K. Loewenstein), demokratisch-pluralistischen Verfassungssystemen ergeben sich die folgenden Funktionen der Wahl: — Legitimierung des politischen Systems und der Regierung, d.h. Anerkennung der Spielregeln des politischen Prozesses und Autorisierung der Gewählten durch die Wahlbevölkerung, legitim Macht auszuüben. Karl Braunias stellte namentlich diese (in seiner Terminologie) „legitimationsbegründende Aufgabe des Wahlrechts" heraus44). — Repräsentation von Meinungen und Interessen der Wahlbevölkerung, mit der zugleich eine Transformation politischer Einstellungen in politische Macht erfolgt. — Integration, und zwar einerseits des gesellschaftlichen Pluralismus im Sinne der Integrationslehre von Rudolf Smend: Integration der gestreuten Gruppenwillen im Vorgang der Auseinandersetzung von Gegensätzen und Herbeiführung eines politisch aktionsfähigen Gemeinwillens45). Integration andererseits im Sinne der Verbindung der politischen Institutionen mit den Präferenzen der Wählerschaft46) und Herbeiführung einer Wechselbeziehung zwischen Führern und Geführten 47 ) und gegenseitiger Beeinflussung48). — Herbeiführung eines Konkurrenzkampfes um politische Macht und Amt sowie Entscheidung in Form a) der Auswahl unter konkurrierenden Wahlbewerbern, b) der Auslese (und folglich Beschaffung) des politischen Personals, c) der Akzeptierung oder Ablehnung alternativer politischer Sachprogramme, wobei die drei Punkte in aller Regel ineinander verwoben sind. — Kontrolle der Amts- und Mandatsträger und ihrer politischen Entscheidungen über die Sanktion der Abwahl und Entsetzung. Die Machtkontrolle (als Korrelat zur Machtzuweisung49) bei Wahlen) ist dabei nicht nur eine periodisch ausgeübte und somit zeitlich begrenzt wirksame Wahlfunktion, sondern ist als ein den gesamten politischen " ) Karl Braunias, II., S. 2. ) Rudolf Smend, Die politische Gewalt im Verfassungsstaat, abgedruckt in: Staatsrechtliche Abhandlungen, Berlin 1955, S. 85. " ) Campbell/Converse/Miller/Stokes, The American Voter, N e w York-London 1960, I/S. 3. " ) Carl J. Friedrich, Demokratie als Herrschafts- und Lebensform, Heidelberg, 1959, S. 20. 4β ) Richard Rose and Harve Mossavir, Voting and elections: A functional analysis, in: PSt., Bd. X V , S. 171 ff., hier S. 174 f. 48 Zu diesen Begriffen und zum Zusammenhang der Funktionen von Wahlen s. Erwin K. Scheuch/Rudolf Wildenmann, Zur Soziologie der Wahl, a.a.O., S. 38. 45

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Prozeß bestimmendes Element zu verstehen, weil die Kontrolle durch Wahlen wesentlich präventiver Natur ist. Je nach der Struktur des politischen Systems, der Gesellschaft und des Parteiensystems können zur Wahl weitere Funktionen hinzutreten. In parlamentarischen Regierungssystemen mit Zweiparteien- oder Zweiblöckesystem etwa können Wahlen die zusätzlichen, teilweise sehr viel spezifischeren Funktionen haben: — Parlamentarische Mehrheitsbildung, d.h. Herausbildung von klaren Regierungsmehrheiten zum Zwecke entscheidungsfähiger Führung und eindeutiger Verantwortung. Daraus folgt in der Verfassungspraxis die Einsetzung (und Absetzung) der Regierung durch den Wähler00), Entscheidung der Wahlbevölkerung über Regierungsprogramme und Regierungsmannschaften61). — Einsetzung einer kontrollfähigen Opposition, und damit Herbeiführung einer möglichst großen Chance für die Wähler, die Machtausübung zu kontrollieren. — Bereithaltung des Machtwechsels, bzw. sogar eine Erleichterung des Wechsels der konkurrierenden Parteien in der Machtausübung. Diese letztere Kategorie, deren Bedingungen zu untersuchen die grundlegende Fragestellung der Computersimulation der Kölner Wahlstudie war 52 ), führt die Problematik der Wahlfunktionen nun entschieden in den Bereich der technischen Regelungen des Wahlprozesses. D.h. sollen Wahlen diese letztgenannten Funktionen erfüllen, so ergeben sich daraus besondere Maßstäbe für das Wahlsystem. Die empirischen Daten weisen dies deutlich aus. Die meisten parteilichen Mehrheitsbildungen kommen aufgrund der spezifischen mehrheitsbildenden Auswirkungen von Wahlsystemen zustande 53 ). Funktionen der Wahl gehen somit in Funktionen des Wahlsystems über bzw. sind von diesen abhängig. Wahlen können dann die ihnen in bestimmten politischen Systemen zufallenden Funktionen nur erfüllen, wenn ein funktionsgerechtes Wahlsystem angewandt wird. Grundsätzlich ist bei der Bestimmung der Funktionen der Wahl von einer engen Verflechtung von politischer Institutionenordnung, Zielvorstellung der durch Wahlen herbeizuführenden Repräsentation (siehe unten S. 32 f.), gesellschaftlicher Struktur, Parteiwesen, Parteiensystem und Wahlsystem auszugehen. Sie stehen in einem engen Wirkungszu50

) Besonders betont bei J. A. Schumpeter, a.a. O., S. 432 f. ) Hierzu R. T. McKenzie, Politische Parteien in England, Köln-Opladen 1961, S. 386 f. 52 ) Wildenmann/Kaltefleiter/Sdileth: Auswirkungen von Wahlsystemen auf das Parteien- und Regierungssystem der Bundesrepublik, in: Erwin K. Scheuch/Rudolf Wildenmann, a.a.O., S. 74 ff. 51

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sammenhang. Nicht eine isolierte Betrachtung, sondern — wie bei jedem System — nur eine Analyse der Gesamtheit der Elemente im Verhältnis ihrer gegenseitigen Interdependenz kann ein einzelnes Systemelement hinlänglich erklären, Wirkung und Rückwirkung aufzeigen und die tatsächlichen Funktionen der Wahl im einzelnen Falle dieses oder jenen Landes erfassen54), b) Funktionen bolschewistischer Wahlen Wahlen kommunistischer Parteidiktaturen entbehren sämtlicher Funktionen, welche ihre Basis darin haben, daß in Wahlen an sich konkurrierenden Wahlbewerbern die Macht offensteht. Mit der inhaltlichen Entleerung des Wahlbegriffs fällt eine Entleerung der Wahl in bezug auf ihre Funktionen zusammen, freilich nur in der Hinsicht, daß Wahlen in den kommunistischen Ländern nicht mehr die mit dem eigentlichen Begriff und den eigentlichen Funktionen der Wahl konformen Funktionen ausüben. Denn neben die technischen* Funktionen, die oben erwähnt wurden (siehe S. 14), und jene, die wie die Legitimierungsfunktion inhaltslos bleiben, treten neue Funktionen, die sich aus vollends verschiedenartigen politischen Systemvorstellungen herleiten. Ihnen zufolge wären Wahlen im eigentlichen (bürgerlich-demokratisdien) Sinne überflüssig55). Denn in der kommunistischen Theorie wird der von der Partei vorab definierte Volkswille marxistisch-leninistisch begründet. Auf ihn können Wahlen keinen Einfluß haben. Den objektiven Interessen der Gesellschaft entspricht die Führungsrolle der Arbeiterklasse und ihrer Avantgarde, der Partei, der zuzustimmen eine Freiheit aufgrund der Einsicht in die Notwendigkeit ist, keine beliebige ,subjektive' und .zufällige' Freiheit. Die Wahlen in den Ländern der kommunistischen Parteidiktaturen erfüllen also andere Funktionen. Sie dienen neben der Bestätigung der herrschenden Machtgruppen (weshalb sie bereits im eigentlichen, qualitativ-inhaltlichen Sinne keine Wahlen sind): — „der Festigung der volksdemokratischen Ordnung und dem Aufbau des Sozialismus"™). Sie sind „Integrationsmittel zur Befestigung und Weiterentwicklung der sozialistischen Staatsmacht"57). " ) So audi Douglas W . Rae, The political consequences of electoral laws, N e w H a v e n - London 1967, S. 151. M ) Von diesen Bedingungen hängt audi ab, ob Wahlen mehr repräsentativen oder plebiszitären C h a r a k t e r tragen. Z u den Begriffen und zur theoretischen E r örterung der mit ihnen zusammenhängenden Verfassungsstrukturfragen siehe Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: Deutschland . . ., a.a.O., S. 71 ff.

" ) Vgl. Dieter Feddersen, a.a.O., S. 4 0 . 5 e ) Gerhard Riege, Die Rolle der Wahlen in der D D R , Berlin ( - O s t ) 1958, S. 12. " ) E r n s t - W o l f g a n g Böckenförde, a.a.O., S. 6 5 . 2 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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— der Verdeutlichung der Maßstäbe der kommunistischen Politik und der Mobilisierung der Bürger für die Idee des Sozialismus 58 ). Dies geschieht vor allem in den Versammlungen der Wahlbewegung. Die Wahlen gehören zum System der Transmissionen. —der „Festigung der politisch-moralischen Einheit der Bevölkerung"69) durch Hebung des politischen Bewußtseins in Rückschau (Rechenschaft) und Ausbilde 60 ) und Dokumentation dieser Einheit mittels des Wahlergebnisses in „Höchstzahlen an Wahlbeteiligung und positiver Akklamation" 8 1 ). In dieser Geschlossenheit von Werktätigen und kommunistischer Politik kommt die Vorstellung der Identität von Regierenden und Regierten zum Ausdruck. — der Mobilisierung aller gesellschaftlichen Kräfte zum Aufbau des Sozialismus, praktisch „eine Inpflichtnahme . . . der einzelnen zugunsten der von der Partei festgelegten politischen und gesellschaftlichen Aufbauziele" 6 2 ). Die Wahlen erhalten eine entschieden soztoökonomische Funktion: sie sollen die Produktivkräfte steigern. In Selbstverpflichtungen zur Erfüllung besonderer Normen treten die Bürger in einen Wettstreit 63 ), der seinerseits als „große Volksabstimmung" verstanden wird 64 ). Schließlich erfüllen bolschewistische Wahlen auch eine Alibi-Funktion, worauf gerade Kritiker aus eigenen Reihen stark abheben. Bei „Existenz (bürgerlich-) demokratischer Formen" soll der Schein aktiver Zustimmung (anstelle des tatsächlichen passiven Zustimmungszwanges) erweckt werden 65 ). c) Der bolschewistische Wahlbegriff (Definition) Indem mit dieser letzten Funktion die systemimmanente Betrachtung eigentlich wieder in die vom bürgerlich-demokratischen Wahlbegriff ausgehende kritische Analyse der kommunistischen Wahlen übergeht, ) Vgl. Dieter Feddersen, a.a.O., S. 46. ) Präambel des Wahlgesetzes der D D R vom 31. Juli 1963, abgedruckt in: Otto Gosche, Wahlen in der D D R , Schriftenreihe des Staatsrates der Deutschen Demokratischen Republik, N r . 4/1963, S. 17. 60 ) Ebenda, S. 7; siehe auch Eberhard Poppe, Der sozialistische Abgeordnete und sein Arbeitsstil, Berlin (-Ost) 1959, S. 31 ff. β 1 ) Ernst-Wolfgang Böckenförde, a.a.O., S. 61. e 2 ) Ebenda, S. 59. β 3 ) Eberhard Poppe, a.a.O., S. 41 ff. In Wahlen findet demnach nicht mehr ein Wettbewerb um politische Macht, sondern um wirtschaftliche Planziele statt. M ) Otto Gosche, a.a.O., S. 8. e5 ) Vladimir Klokocka, a.a.O., S. 36 f. Jedoch wird man das Wahlphänomen in den bolschewistischen Ländern nur mißverstehen können, wenn man in ihr ausschließlich, wie W. J . M. Mackenzie, Elections, a.a.O., S. 5, die Fortsetzung der traditionellen Wahlmanipulationen etwa napoleonischer Prägung sieht und damit abtut. 58

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wird deutlich, daß es für die Definition des bolschewistischen Wahlbegriffs unabdingbar ist, zwei Ansätze deskriptiver Analyse zu verwirklichen: Zum einen eine Negativ-Abgrenzung gegenüber der bürgerlich-demokratischen Wahl, die namentlich auf die begrifflichen Merkmale abhebt; zum anderen eine der kommunistischen Demokratietheorie immanente Darstellung, die wesentlich von den Funktionen der bolschewistischen Wahlen ausgeht. Beide methodischen Wege sind nicht alternativ, sondern zugleich und gleichen Schritts einzuschlagen, wenn eine hinlängliche Definition des bolschewistischen Wahlbegriffs erzielt werden soll. Denn nach den Funktionen der Wahl, die, wie gezeigt wurde, mit den Begriffsinhalten der Wahl möglicherweise nicht identisch oder konform sind, richten sich ihre Formen und ihr Sinn, die somit verständlich werden. Jedoch bleiben die herkömmlichen (bürgerlich-demokratischen) Inhalte des Wahlbegriffs die wissenschaftlichen Bewertungs- und Klassifikationskriterien. Von der Funktion der bolschewistischen Wahl her, Einheit herzustellen und zu dokumentieren86), wird klar, daß bolschewistische Wahlen im Wahlakt den Charakter von Manifestationen politischer Einheit in Form von Akklamationen tragen, wobei dem Wähler Zustimmung oder Ablehnung nicht offensteht, sondern ihm eine totale Akklamation auferlegt ist. Kompetitive Auswahl und Wahlfreiheit als Mittel, den politischen Willen der Bevölkerung zu ergründen, sind vom Selbstverständnis der bolschewistischen Demokratie her dem kommunistischen Wahlakt natürlicherweise funktionsfremd. Nicht anders verhält es sich mit dem Wahlvorschlag. Die Wahlbewegung und der Versammlungsdemokratismus dienen der Kontaktpflege zwischen Parteiführung und Volk, der Transmission, der Agitation und Propaganda im Sinne der Erziehung. Auch hier handelt es sich um „einen staatlich gelenkten Integrationsvorgang . . . mit dem Ziel der weiteren Stabilisierung der Staatsmacht" 67 ). Wie groß man auch den Wählereinfluß über Rechenschaftlegung und Wählerauftrag zu gestalten bereit sein mag 68 ): bei der Kandidatennominierung kann aufgrund des Selbstverständnisses der bolschewistischen Demokratie der Führungsanspruch der kommunistischen Partei nicht in Frage gestellt werden68) und damit vom ) Siehe dazu Dolf Sternberger, Grund und Abgrund der Macht, a.a.O., S. 102 ff. " ) Ernst-Wolfgang Böckenförde, a.a.O., S. 64. 68 ) Die neue Verfassung der D D R von 1968 (siehe dazu den Beitrag Deutschland, S. 328 ff.) zählt die „Volksaussprache über die Grundfragen der Politik", die bei der Wahlbewegung stattfinden soll, zu den „unverzichtbaren sozialistischen Wahlprinzipien" (Art. 22/3). Ernst-Wolfgang Böckenförde konzediert denn auch, daß über die Wahlbewegung Kritik an Mißständen geübt und Vorschläge der Wähler an den Parteiapparat herangetragen werden, a.a.O., S. 59. " ) Siehe Ernst Gottschling, a.a.O., S. 614 f.; ders. auch in: Klassendiktatur und „Teilung der Macht", Neue Justiz, J g . 23 (1969), S. 1 ff., hier S. 6 ff. 6e

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FunktionsVerständnis kommunistischer Wahlen her keine freie Kandidatenkonkurrenz und keine Vorwahl 70 ) bei der Nominierung stattfinden. Tatsächlich erfolgt denn auch die Kandidatur in Form der Ernennung 71 ). Bolschewistische Wahlen sind, nach einer Definition von Hermann O. Leng, „Volksbefragungen konsultativen Charakters im Wege einer gelenkten Kampagne mit der Auflage der abschließenden totalen Akklamation"''2). B. BEGRIFF U N D BESTANDTEILE DES WAHLRECHTS I. W a h l r e c h t s b e g r i f f e Beim Wahlrecht sind wohl zwei verschiedene Inhalte zu unterscheiden. Man wird von einem umfassenden und einem engerem Wahlrechtsbegriff ausgehen müssen. Der umfassende Wahlrechtsbegriff enthält alle rechtlichen und gewohnheitsrechtlichen Bestimmungen, die die Wahl von Repräsentationen oder von Personen in ein Amt betreffen. Das Wahlrecht ist hier „der Inbegriff der Rechtsnormen, die die Wahl von Organen regeln"73), es umgreift alle positiv-rechtlichen Regelungen und alle Konventionen von der Kandidatur bis hin zur Wahlprüfung. Unter einem umfassenden Wahlrechtsbegriff ist es also richtig, Fragen der Wahlbewerbung und des Wahlsystems als Wahlrec&isfragen anzusehen, denn zweifellos handelt es sich um gesetzlich zu fixierende Regelungen. In diesem Sinne wurde auch das Werk von Karl Braunias „Das parlamentarische Wahlrecht" betitelt. Der engere Wahlrechtsbegriff enthält nur jene gesetzlichen Bestimmungen, die „das Recht des Einzelnen, an der Bestellung von Organen mitzuwirken", betreffen 74 ). Er konkretisiert das Recht zu wählen, beschränkt sich inhaltlich auf die rechtlichen Bedingungen der Teilnahme von Personen an der Wahl und auf die Ausgestaltung dieses Rechtes. Das engere Wahlrecht bezeichnet vor allem, wer wahlberechtigt und wer wählbar ist; es fragt zudem danach, ob das Recht zu wählen allgemein, gleich, direkt und geheim ist. Der engere Wahlrechtsbegriff bezieht sich somit auf Rechtsgrundsätze und Rechtsfragen, die in aller Regel verfassungsrechtlichen Charakter haben. Unter ihnen sind die Grundsätze der Allgemeinheit und Gleichheit der Wahl vorrangig, be70 ) Eine Vorwahl siehe Rudi Rost in der Kandidatennominierung, „Uber unsere Abgeordneten", in: Demokratischer Aufbau, H e f t 8 (1957), S. 171 f. 71 ) Zum Begriff siehe oben S. 9 f. 7a ) Hermann O. Leng, Die bolschewistische Wahl. Eine Auseinandersetzung (Diss., masch. Ms.), Heidelberg 1969. 7S ) Braunias, II, S. 2. 74 ) Ebenda.

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sonders auch, weil sie weitgehend dem allgemeinen Gleichheitssatz in der Demokratie entsprechen und somit zum Selbstverständnis der Demokratie gehören. Die Ausbreitung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts ist als Geschichte der Rechtsnormen zu verstehen, die dem engeren Wahlrechtsbegriff zugehörig sind. Entsprechend diesen Rechtsnormen konnte der Einzelne an Wahlen teilnehmen: als Wahlberechtigter, als Wählbarer, mit gleichem Stimmwert wie alle anderen Wahlberechtigten oder ungleichem Stimmwert, unmittelbar oder mittelbar, geheim oder offen. Dieser engere Wahlrechtsbegriff liegt, wenn nicht anders vermerkt, dem in diesem Handbuch verwendeten Terminus Wahlrecht zugrunde. Von hierher versteht sich etwa der folgende Satz: Während das Wahlrecht unverändert blieb, wurde statt der absoluten Mehrheitswahl die Verhältniswahl in großen Wahlkreisen eingeführt. Von einer Änderung des Wahlsystems bleiben die Bestandteile des engeren Wahlrechts zunächst unbetroffen. Gewiß kann etwa der Rechtssatz der Gleichheit der Wahl für ein zu schaffendes oder zu überprüfendes Wahlsystem relevant werden. Und somit kann der engere Wahlrechtsbegriff in die rechtlichen Regelungen des gesamten Wahlbereiches hineinwirken 75 ), teilweise Orientierungsmaßstäbe liefern. Diese mögliche Verflechtung von engeren Wahlrechtsmaßstäben und umfassendem Wahlrecht, verstanden als rechtlich-organisatorische Regelungen der Wahl, stellt jedoch die Sonderung der Begriffe an sich nicht in Frage 76 ). Zum Komplex des engeren Wahlrechts gehört dazu noch die Frage der Wahlpflicht, die ominöse Formel von der freien Wahl und schließlich die Frage nach der Rechtsnatur des Wahlrechts, ob es sich bei ihm um ein individualistisdies Recht oder eine öffentliche Funktion handelt 77 ). Nur von der freien Wahl soll weiter unten noch die Rede sein. II. B e s t a n d t e i l e des e n g e r e n W a h l r e c h t s Die Bestandteile des engeren Wahlrechts waren begrifflich und inhaltlich seit der französischen Revolution, die ihrerseits die Wahl75

) Dies wird besonders von Karl-Heinz Seifert betont, a.a.O., S. 36. ) Andererseits geht es natürlich zu weit, die Maßstäbe des engeren Wahlrechts für die Beurteilung von Wahlsystemen in einer Weise heranzuziehen, wie es Enid Lakeman — wenn auch in polemischer Zuspitzung — getan hat, als er v o m britischen Unterhauswahlsystem sagte, daß es „weder gleich, noch direkt, noch frei sei", in: Parteien, Wahlrecht, Demokratie. Schriftenreihe der Friedrich-NaumannStiftung zur Politik und Zeitgeschichte, Bd. 12, Köln-Opladen 1967, S. 64. 77 ) Zum „organischen" oder „korporativen" Wahlrecht siehe den Beitrag Spanien, S. 1261 f. 7e

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rechtsbewegung mächtig in Gang setzte, einer fortdauernden Veränderung unterlegen. In der Gegenwart allerdings haben sich für das Wahlrecht in demokratisch verfaßten politischen Systemen feste Rechtsnormen herausgebildet. Diese werden gekennzeichnet durch die vier Epitheta allgemein, gleich, direkt und geheim. Sie bilden das Korrelat und die Legitimitätsbasis eines demokratischen Staates, wenn sie zugleich zusammenfallen mit dem oben charakterisierten liberalpluralistischen Wahlbegriff. Was unter den einzelnen Bestandteilen genau zu verstehen ist, welche Abgrenzungen vorzunehmen und welche Folgerungen rechtspolitischer Natur sich aus den Definitionen ergeben, davon soll im folgenden gehandelt werden. Wir verfahren dabei systematisch, definieren also zunächst die heute verbindlichen Rechtsnormen und stellen ihnen dann die Vielzahl historischer Erscheinungen und Rechtsregelungen gegenüber. a) allgemein Die Rechtsnorm der Allgemeinheit der Wahl bedeutet, daß grundsätzlich alle Staatsbürger, unabhängig von Geschlecht, Rasse, Sprache, Einkommen oder Besitz, Beruf, Stand oder Klasse, Bildung, Konfession oder politischer Uberzeugung Stimmrecht besitzen und wählbar sind. Gegen diesen Grundsatz verstößt nicht, daß einige unerläßliche Voraussetzungen gefordert werden wie ein bestimmtes Alter, Staatsbürgerschaft, Wohnsitznahme, Besitz der geistigen Kräfte und der bürgerlichen Ehrenrechte und volle rechtliche Handlungsfähigkeit. Als formale Bedingung ist heute die Forderung der Eintragung in die Wählerlisten anzusehen. Für die Wählbarkeit können weitere Bedingungen hinzutreten, wie ein erhöhtes Alter und Unvereinbarkeiten mit der Ausübung anderer Ämter (Ineligibilitäts- oder Inkompatibilitätsbestimmungen); von ihnen wird ebenfalls der Allgemeinheitsgrundsatz nicht verletzt. Eine Beeinträchtigung des passiven Wahlrechts bedeutet es auch nicht, wenn faktisch zur Wahlbewerbung die Mitgliedschaft in einer Partei erforderlich ist78). Der moderne Begriff des allgemeinen Wahlrechts schließt das Wahlrecht für Frauen mit ein. Er ist deshalb von dem historischen Begriff des allgemeinen Wahlrechts zu trennen, der noch keineswegs das Frauenwahlrecht enthielt, bzw. dieser historische Begriff ist aus systematischen Gründen aufzugeben. In den Beiträgen des Handbuches wird, um Verwechslungen auszuscheiden, stets entweder von allgemeinem Wahlrecht oder allgemeinem Männerwahlrecht gesprochen. Beim Wahlalter ist eine exakte Festlegung nicht vorzunehmen. Man wird vielmehr von einem allgemein gültigen Satz von 21 Jahren aus78

) So bereits Braunlas, II, S. 112.

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gehen können und neben einer Reduzierung des Wahlalters auf achtzehn Jahre, die vor allem in den sozialistischen Staaten besteht und in anderen Ländern angestrebt wird, auch eine Altersbedingung von 23 Jahren als mit dem Grundsatz des allgemeinen Wahlrechts vereinbar ansehen müssen, dies vor allem, wenn es sich nicht um eine Wiedererhöhung der Altersbedingungen handelt. D.h. beispielsweise, daß das Wahlrecht in den Niederlanden nach 1919 allgemein war, obwohl zunächst eine Altersbedingung von 25 Jahren, nach 1945 von 23 Jahren bestand und erst seit 1956 alle Bürger über 21 Jahren wahlberechtigt sind. Ein gewisser Maßstab sollte auch im jeweiligen Volljährigkeitsalter liegen. Ubergroße Abweichungen von Wahlalter und Volljährigkeitsalter würden demnach dem Allgemeinheitssatz widersprechen. Im Gegensatz zur allgemeinen Wahl stehen alle Formen des beschränkten Wahlrechts. In historischer Perspektive lassen sich im wesentlichen drei Arten der Beschränkung des Wahlrechts unterscheiden: 1. durch direkte Ausschließung bestimmt bezeichneter Gruppen mit unveränderlichen Merkmalen vom Wahlrecht, vor allem ethnischer oder religiöser Minoritäten, etwa der Juden, oder in abhängigem Status befindlicher Personen (Erfordernis der Selbständigkeit) etc. 2. durch Festsetzung eines Zensus (Zensuswahlrecht) in den Formen entweder eines bestimmten Besitznachweises (Besitzzensus), einer bestimmten Steuerleistung (Steuerzensus) oder eines bestimmten (zumeist) Jahreseinkommens (Einkommenszensus), weniger häufig in Pacht-, Wohnungs-, Lohn- und Sparqualifikationen. 3. durch Forderung von Schulbildung und weiterer geistiger Leistungsnachweise in der Form des Ausschlusses der Analphabeten und der Festsetzung bestimmter Bildungsnachweise (Bildungszensus). Hierzu zählt auch das sog. „Kapazitätenwahlrecht", das bestimmt bezeichneten Personengruppen aufgrund ihrer Bildung oder ihrer gesellschaftlichen Stellung das Wahlredit einräumte und ihnen nicht angehörende ausschloß. b) gleich Der Grundsatz der gleichen Wahl ist zunächst eine Frage des engeren Wahlrechts. Er bedeutet, daß es nicht zulässig ist, das Stimmgewicht der Wahlberechtigten nach Besitz, Einkommen, Steuerleistung, Bildung, Religion, Rasse, Geschlecht oder politischer Einstellung zu differenzieren. Das Prinzip des gleichen Wahlrechts postuliert die Zählwertgleichheit der Stimmen der Wahlberechtigten. Jeder Wähler kann mehrere oder eine Stimme haben, entscheidend ist, daß die Stimmenzahl bei sämtlichen Wählern eines ganzen Wahlgebietes gleich ist. Ab-

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weichungen, die für den Gleichheitsgrundsatz nicht ins Gewicht fallen, sind auch hier noch möglich. Zum Beispiel ergibt sich dort, wo die Wähler so viele Stimmen besitzen, wie jeweils Abgeordnete im Wahlkreis zu wählen sind, eine natürliche Differenzierung in der Stimmenzahl der Wahlberechtigten eines Landes. In Luxemburg haben die Wahlberechtigten bei den Kammerwahlen je nachdem, in welchem Wahlkreis sie ihr Stimmrecht ausüben, sechs, neun, 18 oder 20 Stimmen (siehe S. 818, 829). Dagegen sind mit dem Gleichheitsgrundsatz alle Klassen-, Kurien- und Pluralwahlrechte unvereinbar, deren Prinzip es war, das Stimmgewicht der Wahlberechtigten zu differenzieren. Zwei Formen sind hier zu unterscheiden: 1. Die Unterteilung der Wählerschaft in zahlenmäßig sehr stark von einander abweichende Gruppen, Klassen oder Kurien, nach Ständen, Berufen, Steuerklassen usw., die eine fixierte Zahl von Abgeordneten (bei indirekten Wahlen: von Wahlmännern) zu wählen hatten. Hierhin gehört auch die Sonderung bestimmter Wählerkategorien, etwa Universitätswähler, von der allgemeinen Wählerschaft, wenn innerhalb dieser Gruppe auf eine wesentlich reduzierte Zahl von Wahlberechtigten oder Wählern ein Abgeordneter entfiel. 2. Die Differenzierung der Zahl der den Wahlberechtigten zur Verfügung stehenden Stimmen (Pluralwahlrecht), in der Form, daß bestimmte Personengruppen, Grundeigentümer, Steuerzahler, Familienväter etc. eine oder mehrere Zusatzstimmen erhielten (siehe Beitrag Belgien, S. 85). Der rechtlichen Fixierung ungleicher Wahlen, wesentlich eine Erscheinung des 19. Jahrhunderts, steht die Möglichkeit gegenüber, durch technische Regelungen der Wahlprozedur die Gleichheit der Wahl aufzuheben. Vor allem deshalb ist das Postulat der gleichen Wahl „heute der wichtigste aller Wahlrechtsgrundsätze" 79 ). Die Problematik tritt hier aus dem Bereich des engeren Wahlrechts heraus. Entsprechend dem Prinzip der gleichen Wahl müssen die technischen Regelungen der Wahl, insbesondere die Wahlkreiseinteilung, so gestaltet sein, daß annäherungsweise eine Zählwertgleichheit der Stimmen garantiert ist. Vor allem in solchen Systemen der Mehrheitswahl, in denen das Gestaltungselement Wahlkreis die mehrheitsbildende Wirkung herbeiführt, muß gewährleistet sein, daß das Verhältnis der Bevölkerungszahl zur Zahl der zu wählenden Abgeordneten im gesamten Wahlgebiet etwa gleich ist, wenn der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt werden soll 80 ). ) Karl-Heinz Seifert, Das Bundeswahlgesetz, a.a.O., S. 45. Zur theoretischen Erörterung des Gleichheitssatzes im Wahlrecht siehe den knappen Abriß mit umfangreichen Literaturverweisen bei Karl-Heinz Seifert, a.a.O., S. 45 ff. n

80)

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Ein besonderer Zusammenhang ergibt sidi auch zwischen Zählwertund Erfolgswertgleichheit der Wählerstimmen. Der Erfolgswert kann je nach Wahlsystem unterschiedlich sein. Doch wird in Wahlsystemen, die grundsätzlich von einer proportionalen Übertragung der Stimmen in Mandate ausgehen und auf ein bestimmtes Repräsentationsmodell hinauslaufen (siehe S. 32), eine erhebliche Abweichung von Zählwert und Erfolgswert der Wählerstimmen nicht zulässig sein, wenn der Gleichheitsgrundsatz nicht verletzt werden soll. Darauf wird im Zusammenhang der Wahlsystemtypen noch eingegangen (siehe unten S. 34 f.). Ebenfalls andere Bereiche betrifft der Gleichheitsgrundsatz unter dem Gesichtspunkt der Chancengleichheit der Parteien. Siehe dazu die Erörterungen im Kapitel zum inhaltlichen Wahlbegriff (oben S. 7 f.). c) geheim Der Grundsatz der geheimen Wahl steht der öffentlichen oder offenen Stimmabgabe gegenüber, also der Abgabe der Stimme zur Niederschrift, durch Zuruf oder Handzeichen. Die geheime Wahl will die freie Wahlentscheidung der Wahlberechtigten sichern, die sich aus dem Erfordernis der Wahlfreiheit ergibt (siehe oben S. 5). Sie verlangt, daß die Stimmabgabe der Wähler, die heute zumeist mittels Stimmzetteln erfolgt, in ihrer Entscheidung von anderen nicht erkennbar ist. Diesem Zweck haben bei geheimen Wahlen die technischen Regelungen zu dienen, wie Wahlzelle, amtliche, verdeckbare Stimmzettel, versiegelte Wahlurnen etc. Geheime Wahlen sind aber auch unter Verwendung anderer Tediniken der Stimmabgabe möglich: historisch in Form des Kugelungssystems81), gegenwärtig unter Verwendung von Wahlmaschinen. Der Grundsatz der geheimen Wahl ist kein den Wähler verpflichtender Rechtssatz. Die Möglichkeit, die Stimmabgabe geheim zu vollziehen, muß nur rechtlich und organisatorisch gewährleistet sein82). Allerdings wird faktisch von geheimen Wahlen nicht mehr gesprochen werden können, wenn größere Wählergruppen auf ihr Recht, geheim abzustimmen, verzichten und ihre Stimme offen abgeben. Wie dies auch motiviert sein mag: geheime Wahl und Akklamation stehen in einem gewissen begrifflichen Spannungsverhältnis. Sie können einander ausschließen83). 81

) Siehe dazu Länderbeiträge Albanien, S. 64, Griechenland, S. 563 f., Jugoslawien, S. 760 f. 82 ) Die deutsche Rechtsprechung geht audi von einer Verpflichtung aus, die Stimmabgabe geheim zu vollziehen; s. Karl-Heinz Seifert, a.a.O., S. 55. e:l ) Hier ist auf die kommunistische Wahlpraxis und die sich aus ihr für den Begriff der Wahl ergebenden Konsequenzen angespielt; siehe dazu oben S. 9, 12.

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d) direkt Direkte, unmittelbare Wahlen (als letzter der eigentlich vier Grundbestandteile des engeren Wahlrechts) kennen im Gegensatz zu indirekten, mittelbaren Wahlen keine Zwischengremien, die zunächst von den Wählern gewählt werden (Wahlmänner) und die dann die Wahl vollziehen. In direkten Wahlen bestimmen die Wähler selbst die Mandatsträger. Die „Zwischenschaltung eines fremden Willens zwischen Wählern und Abgeordneten bei oder nach der Wahlhandlung (ist) ausgeschlossen"84). Die Listenwahl starrer Liste und verschiedene Stimmgebungsverfahren tangieren nicht den Grundsatz der direkten Wahl 85 ). Jede Stimme muß nur „bestimmten oder bestimmbaren Wahlbewerbern zugerechnet" werden 86 ). Unvereinbar sind demnach freie und willkürliche Veränderungen in der Reihenfolge und in der Auswahl der Kandidaten einer Liste durch die Parteien nach der Stimmabgabe. Hier muß eine detaillierte gesetzliche Regelung vorliegen und für die Wahl der Kandidaten bindend sein. Bei indirekten Wahlen wird allerdings zwischen formal und substantiell mittelbaren Wahlen unterschieden werden müssen. Als formal indirekt sind solche Wahlen anzusehen, bei denen wohl ein Zwischengremium zwischen Wähler und Mandatsträger tritt, der Wähler jedoch eine gezielte, nur einer Person oder einer Liste der für die repräsentative Körperschaft oder ein Amt kandidierenden Personen oder Listen zugute kommende Stimme abgeben kann, in denen der Wählerwille also nicht durch ein Wahlgremium mediatisiert wird. Wahlen, in denen ein Wahlmännergremium ungebunden zur Wahl der endgültigen Mandatsträger schreiten kann, sind dann als substantiell indirekte Wahlen zu bezeichnen. Beispielsweise ist die Entwicklung der amerikanischen Präsidentenwahlen von substantiell zu formal indirekten Wahlen verlaufen. e) frei Der Grundsatz der freien Wahl ist erst in geringem Umfang positivrechtlich verankert worden 87 ). Tatsächlich ist audi das, was unter 84

) Karl-Heinz Seifert, a.a.O., S. 40. ) Entgegen Gerhard Leibholz, neuerdings wieder in „Parteien und Wahlrecht in der modernen Demokratie", in: Parteien, Wahlrecht, Demokratie, a.a.O., S. 40 ff., hier S. 47 f. 8 «) BVerfG.Entsch. VII, 63 ff., hier 68. 87 ) In Deutschland nur in den Verfassungen von Rheinland-Pfalz (1947), Schleswig-Holstein (1949), Nordrhein-Westfalen (1950), Niedersachsen (1951) und in Art. 38 des Grundgesetzes. Im europäischen Verfassungsrecht ist der Grundsatz frei nur in der italienischen Verfassung von 1948 fixiert. M

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dem Prinzip zu verstehen ist, sehr viel weniger scharf abzugrenzen. Zudem zeigt sich, daß er als Begriff des engeren Wahlrechts zum Begriff der Wahl als solcher gehört. Hier trägt der Terminus vor allem politisch programmatischen Charakter88). Als solcher findet er sich bereits in der Bill of Rights von Virginia vom 12. Juni 1776 in Artikel sechs. Im Bereich des engeren Wahlrechts könnte der Begriff „frei" besagen, daß die Ausübung des Wahlrechts „ohne Zwang oder sonstige unzulässige Beeinflussung von außen" 89 ), ohne Nötigung zu einer bestimmten Stimmabgabe und ohne Kontrolle derselben vonstatten zu gehen hat. Diese Erfordernisse werden aber durch die vier klassischen Bestandteile des demokratischen Wahlrechts bereits hinreichend gedeckt, so daß der Begriff „frei" hier „überflüssig"90) erscheint. Tatsächlich wird so auch der Begriff „frei" dem Grundsatz der geheimen Wahl zu- und untergeordnet 91 ). Im Sinne des allgemeinen Wahlbegriffs liegt die weitere Interpretation des Prinzips „frei", nach der die Ausschaltung jeglichen Zwangs oder Monopols im gesamten Wahlprozeß, insbesondere bei der Kandidatur, als sein Kriterium zu gelten habe. Gedacht wird dabei an eine freie Kandidatenkonkurrenz und an eine Wahl als Auswahl. Gerade diese Inhalte wurden oben dem eigentlichen Begriff der Wahl zugrundegelegt, so daß sich die Rede von den freien Wahlen als eine Tautologie erweist. Wahlen sind entweder frei oder es sind (qualitativ-inhaltlich) keine. Die politische Absidit, aus der die Betonung und verfassungsrechtliche Verankerung des Wortes „frei" folgte, liegt auf der Hand. Man wollte die Wahlen von der faschistischen und kommunistischen Wahlpraxis deutlicher abheben. Indes, stärkere begriffliche Klarheit wird damit nicht gewonnen, zumal die Kommunisten mit der gleichen Selbstverständlichkeit ihre Wahlen auch als „frei" bezeichnen92). 8e ) Zur theoretischen Erörterung und politischen Bedeutung des Postulats freier Wahlen siehe Dolf Sternberger, Grund und Abgrund der Macht, a.a.O., S. 29 ff., S. 303 und S. 308 f. 8 ») Karl-Heinz Seifert, a.a.O., S. 42. M ) Thomas Ellwein, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland, 2. Aufl., Köln-Opladen 1965, S. 98, Anm. 84 (S. 333). M ) So durch Karl-Heinz-Seifert im Handwörterbuch der Sozialwissenschaften, Stuttgart/Tübingen/Göttingen, 1956 ff., Artikel Wahlrecht und Wahlsystem, Bd. 11 (1960), S. 473 ff., hier S. 474. Im Widerspruch dazu steht allerdings die Meinung desselben Autors in seiner Schrift Das Bundeswahlgesetz, a.a.O., S. 42. Dort bezeichnet er die freie Wahl als „allgemeines Wahlrechtsprinzip. Gerade sie in besonderem Maße". 92 ) Siehe W. A. Karpinskij, Die Gesellschafts- und Staatsordnung der UdSSR, Berlin (-Ost) 1947, S. 75; A. Gorschenjew — J. Tschcljapow, Das sowjetische Wahlsystem, Berlin (-Ost) 1958, S. 42.

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C. BEGRIFF U N D GESTALTUNGSELEMENTE DES WAHLSYSTEMS I. D e r B e g r i f f des W a h l s y s t e m s In der überwiegenden Zahl von Untersuchungen, die sich mit den Wahlsystemen und ihren Auswirkungen befassen, wird von einer Definition des Begriffs abgesehen. Eine terminologische Klärung des Begriffs Wahlsystem steht jedoch notwendigerweise am Beginn wahlsystematischer Überlegungen. Bei Karl Braunias kommt der Begriff als definierter Terminus nicht vor; er verwendet zumeist den Begriff „Wahlverfahren" wie audi Joachim Rottmann im Fischer-Lexikon „Staat und Politik" 93 ), wohingegen Hans Peters im „Staatslexikon" 91 ) ausschließlich von Wahlsystemen spricht. Die Bezeichnungsfrage ist in der Gegenwart noch weit davon entfernt, in einheitlicher Weise gelöst zu sein — in Politik und Publizistik wird in aller Regel von Wahlrecht gesprochen. Mit einer einheitlichen Bezeichnung wird sich jedoch eine begriffliche Übereinstimmung leichter erzielen und eine bessere Kommunikation erreichen lassen. Wahl, Wahlrecht, Wahlverfahren, man könnte auch noch Wahlmodus anführen, sind zu wenig spezifisch, um das zu bezeichnen, was unter einem Wahlsystem verstanden werden sollte. So versucht etwa Rottmann eine Ersatz-Definition des Begriffs Wahlverfahren mittels einer politischen Funktionsbestimmung: „Wahlverfahren regeln und ordnen den Erwerb von Herrschaft" 95 ). Der Begriff Wahlverfahren tendiert hier viel mehr zu dem der Wahl als zu dem des Wahlsystems. Im Grunde wird von Rottmann das Wahlverfahren als Technik der Erlangung von Herrschaft gesehen, und damit in Abgrenzung zu Ernennung, Los, Erbfolge etc. Das, was unter Wahlsystem verstanden werden soll, muß unabhängig vom politischen Phänomen der Wahl als Bestellungstechnik betrachtet werden, also auch im Gegensatz zu Max Webers Begriff des Wahlverfahrens als „Spielregeln für den in der Form friedlichen Kampf (um die Macht)" 98 ). Die Wertorientierung der Wahl als dem der Demokratie (Vereinbarung) entsprechenden Mittel der Regierungsbestellung muß hintangestellt werden. Auf diesen Weg weist Giovanni Schepis, wenn er zuerst einmal zwischen einem weiteren und einem engeren Wahlsystem-Begriff unterscheidet: „Unter Wahlsystem versteht man im allgemeinen Sinne das ·*) Ernst M ) M ) 9e )

Joachim Rottmann, Artikel Wahlverfahren in: Staat und Politik, hrsg. von Fraenkel und Karl-Dietridi Bracher, 3. Aufl., Frankfurt 1965; S. 314 ff. Hans Peters, Artikel Wahlen in: Staatslexikon, a.a.O., Bd. VIII, S. 398 ff. Joachim Rottmann, a.a.O., S. 314. Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, a.a.O., S. 848.

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organische Ganze der verschiedenen rechtlichen Bestimmungen, Techniken und Verfahren, die angewandt werden von der Ausschreibung der Wahl bis zur Proklamation der Gewählten. In einem spezifischen Sinne . . . versteht man unter Wahlsystem den technischen Vorgang, auf dessen Grundlage die Verteilung der Mandate erfolgt" 97 ). Der erste, umfassende Begriff geht in seinem Inhalt in etwa konform mit den auf Karl Braunias zurückgehenden und von uns oben aufgegriffenen Terminus des umfassenden Wahlrechts. Mit ihm besteht jedoch die Gefahr, schließlich die Bestandteile des engeren Wahlrechts zu Wahlsystem-Fragen zu erheben98). Besonders unter diesem Gesichtspunkt erscheint es nicht sehr sinnvoll, einen — wie von Schepis definierten — umfassenderen Begriff des Wahlsystems wissenschaftlich aufrechtzuerhalten. Dagegen trifft der von Sdiepis als engerer Wahlsystembegriff bezeichnete Inhalt in etwa das, was unter dem Terminus Wahlsystem verstanden werden sollte. Ein Wahlsystem ist „das Verfahren, nach dem die Abgeordneten auf Grund der Wählerstimmen ermittelt werden", wie Nils Diederich beiläufig definierte99). Wahlsysteme stellen Methoden dar zur Umsetzung von Wählerstimmen in Mandate. Im Wahlprozeß ist ihnen aber nodi eine zweite Funktion zugewiesen. Wahlsysteme bestimmen den Modus der Stimmabgabe, die Art und Weise, wie der Wähler seine politischen Präferenzen ausdrücken kann. Mittels dieser Regelungen strukturieren die Wahlsysteme die Wahlentscheidung des Wählers100) und führen eine bestimmte, in Stimmenzahlen und -Verhältnissen ablesbare politische Willensbildung der Wählerschaft herbei. Ein Wahlsystem stellt also für den gesamten Wahlprozeß von der Stimmabgabe der Wähler bis zum Stimmergebnis und von dort zur Mandatsverteilung Regelungen bereit, mittels derer die Wähler ihren politischen Willen in Wählerstimmen ausdrücken, und Stimmenzahlen in Mandate übertragen werden. Dieser Funktionsumschreibung entspricht die Definition von Douglas W. Rae: Wahlsysteme (in seiner Terminologie: „electoral laws") „are those which govern the process by which electoral preferences are articulated as votes and by which these votes are translated into distributions of governmental authority (typically parliamentary seats) among the competing political parties" 101 ) •7) Giovanni Schepis, I sistemi elettorali, Empoli 1955, S. XXI, Übersetzung von D. N. •8) So etwa in Der Große Brodehaus, a.a.O., Bd. 12, S. 290. M ) Nils Diederich, Empirische Wahlforschung, Köln-Opladen 1965, S. 3. 10 °) Siehe dazu weiter unten zu Formen der Kandidatur, S. 41 ff., und zu Stimmgebungsverfahren, S. 43 ff. 101 ) Douglas W. Rae, a.a.O., S. 14.

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Vor allem im Bereich der Relation von Stimmen und Mandaten wird mit der Modifikation der Regelungen im Wahlprozeß zumeist nicht nur ein anderer technischer Weg eingeschlagen, um das Ziel, Stimmen in Mandate umzurechnen, zu erreichen, sondern wird in aller Regel ein abweichendes Ergebnis herbeigeführt. Vornehmlich darin sind Wahlsysteme weit davon entfernt, jenen Wegen zu entsprechen, die in der Mathematik eingeschlagen werden, um bestimmte Aufgaben zu lösen. Diese werden verworfen, wenn mittels ihrer nicht ein (kontrollierbar) gleiches Ergebnis wie über andere mögliche Rechenwege erzielt werden kann. Von den Wahlsystemen werden gerade nicht gleiche Ergebnisse erwartet, sondern von einander abweichende. Mit den verschiedenen wahlsystem-internen Regelungen, Techniken, Mechanismen, die insgesamt ein Wahlsystem konstituieren, gehen je einzeln und in der Kombination dieser Gestaltungselemente insgesamt verschiedene Auswirkungen einher. Sie führen den Gegenstand als solchen aus dem rein technischen Bereich, in welchem die Definition des Wahlsystems angesiedelt ist, heraus. II. E x k u r s : V o r s c h l a g z u e i n e r R e v i s i o n i n d e r Lehre von den W a h l s y s t e m e n Weil verschiedene Wahlsysteme verschiedene Ergebnisse zur Folge haben, liegt es an sich nahe, die Bewertung und Einordnung von Wahlsystemen nach ihren Auswirkungen vorzunehmen — und nicht nadi den beschrittenen Rechenwegen. Die Wahlsystemtheorie ist allerdings bislang einen anderen Weg gegangen. Die unter spezifisch historischen und begriffgesdiichtlichen Voraussetzungen entwickelten Typen der Mehrheitswahl und Verhältniswahl wurden in der Wahlsystematik immer mehr wegen ihrer technischen Verschiedenartigkeit als gegensätzlich gesehen. Bestimmte Gestaltungselemente wurden dem einen Grundtyp zugeordnet, andere dem zweiten und für im Grunde nicht austauschbar gehalten. Konkret wurde mit der Mehrheitswahl der Einerwahlkreis, nicht aber die Liste oder ein Verrechnungsverfahren wie die Methode d'Hondt als vereinbar betrachtet, und ebenso Liste und Mehrmannwahlkreis mit der Verhältniswahl, nicht aber Einerwahlkreis und Einzelkandidatur 102 ). Das hat zunächst zu der Annahme geführt, daß es sogen. Mischwahlsysteme gebe, solche Systeme, die nach den charakterisierten Vorstellungen Elemente der Mehrheitswahl mit solchen der Verhältniswahl verbinden würden, und dann zu manch künstlichen Einordnungsversuchen der Mischwahlsysteme. Zuweilen wurden — als Folge des Prinzips, 102 ) Als Beispiel solcher Begriffsklärung möge hier nur Heino Kaack, Verhältniswahl und Mehrheitswahl, Opladen 1967, S. 10, dienen.

Zwischen

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Wahlsysteme nach den auffallendsten, aber nicht ihre Auswirkungen bestimmenden Gestaltungselementen in das Grundtypensystem einzuordnen — Wahlsysteme nach einem Grundtyp bezeichnet, obwohl sie in ihren Auswirkungen dem offenkundig widersprachen und eher auf den anderen Grundtyp hinausliefen. Hier ist beispielsweise die gewiß irreführende Bezeichnung des stark mehrheitsbildenden Dreierwahlkreissystems als „Verhältniswahl in Dreierwahlkreisen" zu nennen. Der Terminus „Verhältniswahl" steht hier nur für die Rechentechnik, nicht aber für die Auswirkung des Wahlsystems. Doch ist kaum zu vermeiden, daß mit soldier Bezeichnungspraxis irrige Implikationen in vielerlei Hinsicht verbunden werden. Zu welch begrifflich verwirrenden analytischen Beschreibungen es unter der herkömmlichen Wahlsystematik kommen kann, soll nur an einem Beispiel gezeigt werden. Karl-Heinz Seifert versucht in seiner Standarddarstellung das Bundestagswahlsystem von 1956 zu bestimmen103) : „Das BWG beruht auf einem Verbindungswahlsystem, das die Mehrheitswahl zu seiner Grundlage macht, diese dann aber durch ein Verhältniswahlsystem überlagert. In dieser Verbindung sind die Prinzipien der Verhältniswahl dominant. Sie beherrschen das Wahlergebnis. Das Gesetz will auf jeden Fall sicherstellen, daß die Zusammensetzung des BTages ziemlich genau den für die einzelnen Parteien abgegebenen Stimmen entspricht. Demgegenüber treten die mehrheitswahlrechtlichen Elemente ganz in den Hintergrund. Der Sache nach handelt es sich beim BWG also um ein System der reinen Verhältniswahl (so auch BVerfGE 16, 139), rechtstechnisch um eine bloße Formalverbindung beider Grundwahlsysteme, eine Verhältniswahl mit eingegliederter Mehrheitswahl, kein echtes Mischwahlsystem. Die Aufnahme gewisser Elemente der typischen Mehrheitswahl in das Gesamtsystem hat nicht den Zweck, die besonderen konzentrativen, sog. «integrierenden», «mehrheitsbildenden» Wirkungen der Mehrheitswahl zum Tragen zu bringen, sondern will . . . grundsätzlich nur den Persönlichkeitscharakter der Mehrheitswahl für die Verhältniswahl nutzbar machen . . . Insofern ist es audi berechtigt, beim BWG von einem System der «personalisierten Verhältniswahl» zu sprechen" (Hervorhebungen im Original). Sicherlich, dem Autor gelingt es, dem Leser die Sache verständlich zu machen. Aber um wieviel leichter wäre dies, wenn in der Darstellung von klaren und einsichtigen Begriffen ausgegangen würde. So aber ist in „einem Verbindungswahlsystem . . . die Mehrheitswahl. . . Grundlage", das „der Sache nach . . . ein System der reinen Verhältnis,M

) Karl-Heinz Seifert, Das Bundeswahlgesetz, a.a.O., S. 20.

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wähl, . . . eine Verhältniswahl mit eingegliederter Mehrheitswahl, kein echtes Mischwahlsystem" ist. Diese offensichtlichen terminologischen Mängel gehen darauf zurück, daß die Grundtypen nicht von den Auswirkungen her bestimmt werden. Dieser Maßstab der Klassifikation von Wahlsystemen liegt aber nicht nur aus oben genannten Gründen nahe. Er wird vor allem durch die folgenden Überlegungen zu den Prinzipien politischer Repräsentation bestärkt. Es gibt für die Bildung einer modernen Repräsentativkörperschaft zwei klar von einander geschiedene Repräsentationsmodelle. Dem einen Modell oder Prinzip liegt die Vorstellung zugrunde, „daß es Aufgabe einer repräsentativen Körperschaft sei, die verschiedenen Gruppen einer Gemeinschaft so genau wie möglich gegenwärtig zu machen"104). Jede Meinung oder Meinungsgruppe soll repräsentiert sein, wenn sie nur groß genug ist, um an der zur Verfügung stehenden Zahl von Mandaten teilhaben zu können. Nur technisch-logische Gründe können dies verwehren: wenn 1000 Wähler 10 Abgeordnete zu wählen haben, dann muß eine Gruppe zumindest 100 Wähler erreichen, um ein Mandat erhalten zu können. Diese Repräsentationsvorstellung zielt auf ein möglichst gleiches Verhältnis von abgegebenen Stimmen und Mandaten hin. Stimmen- und Mandatsanteile der Parteien sollen möglichst kongruent sein. Die andere Repräsentationsvorstellung impliziert im Gegensatz dazu eine natürliche Disproportion von Stimmen und Mandaten. Sie sinnt nicht auf Verhältnismäßigkeit, sondern auf Mehrheit und Mehrheitsbildung. Dieses Prinzip hebt darauf ab, daß eine politisch zu nennende Repräsentation „auf die Integration des gesamten gesellschaftlichen Organismus ziel(t)" 105 ) und „letzten Endes nur ein Mittel zu einem Zweck darstellt, nämlich dazu, eine Partei für die Regierungsbildung zu wählen" 108 ). Es geht hier nicht (und dies muß hervorgehoben werden) um die Repräsentation sui generis, also nicht um die Frage, was Repräsentation ist, sondern um das Ziel der Wahl, d. h. die Form der Repräsentation, um eine numerische Realrepräsentation auf der einen Seite und eine Idealrepräsentation auf der anderen Seite, um das Abbild des Wählerwillens hier und die Willensbildung und die Entscheidung über die politische Führung dort. Die beiden Repräsentationsvorstellungen ste104 Carl J. Friedrich, Repräsentation und Verfassungsform in Europa (Erstveröffentl. 1948), in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation und Repräsentativverfassung, hrsg. von Heinz Rausch, Darmstadt 1968, S. 209 ff., hier S. 218. 1 M ) Gerhard Leibholz, Parlamentarische Repräsentation (Erstveröffentl. 1945), in: Zur Theorie und Geschichte der Repräsentation . . . a.a.O., S. 222 ff., hier S. 229. 106 ) Carl J . Friedrich, Repräsentation und Verfassungsreform, a.a.O., S. 217.

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hen sich antithetisch gegenüber: die eine ist gesellschaftsbezogen, statisch und rational, die andere in eigentlichem Sinne politisch, dynamisch und funktional. Wiederholt wurde versucht, die beiden Prinzipien politischer Repräsentation miteinander zu verbinden. „Sie sind jedoch so verschieden, daß logischerweise kein Kompromiß möglich erscheint"107). Daraus folgt nun, daß wir es in der Lehre von den Wahlsystemen zunächst mit zwei Prinzipien zu tun haben. D.h. wird von der Verhältniswahl oder der Mehrheitswahl gesprochen, so sind diese Termini nicht als Systeme, sondern als Prinzipien zu begreifen, als Synonyma der beiden Grundvorstellungen von Repräsentation. „To call it (the proportional representation) a system, or a method, or an institution, is to misunderstand the basic facts of the situation, and to confuse all the issues that arise from it. Such slipshod terminology is bound to lead to slipshod thinking; and that, in fact, is all too often its outcome"1™). Diese beiden Grundvorstellungen von Repräsentation bilden die eigentliche Basis der Wahlsystematik. An ihnen sind die Wahlsysteme zu messen und zu orientieren. Bei der Klassifikation von Wahlsystemen ist jeweils die Frage zu stellen: entsprechen die Auswirkungen eines Wahlsystems, also der Kombination verschiedener Gestaltungselemente, theoretisch diesem oder jenem Prinzip, dieser oder jener Grund- oder Zielvorstellung von Repräsentation. Als Verhältniswahlsysteme sind dann solche Wahlsysteme zu bezeichnen, die der Zielvorstellung einer proportionalen Abbildung von Stimmen in Mandaten in der Theorie nahekommen109. Ebenso haben als Mehrheitswahlsysteme die Wahlsysteme zu gelten, die dem zweiten Repräsentationsmodell in der Theorie entsprechen. Der Zusatz „in der Theorie" ist natürlich wichtig, da Wahlsysteme, die an sich in dieser oder jener ) Ebenda, S. 217 f. ) J . F. S. Ross, Elections and Electors, London 1955, S. 12; Vgl. im übrigen G. Schepis, S. 5, a.a.O. Auch Schepis spricht vom Mehrheitsprinzip und von „Wahlsystemen, die auf dem Proporzprinzip basieren", S. 63, und Dolf Sternberger, der ebenfalls das Prinzip der Mehrheitswahl dem Prinzip der Verhältniswahl gegenüberstellt und folglich audi zu der Ansicht gelangt, daß es keine Mischwahlsysteme gebe, in: Die große Wahlreform, Köln-Opladen 1965, S. 139 f. 1 0 9 ) Helmut Unkelbach versucht in seiner Wahlsystematik eine Unterscheidung von Verhältniswahlsystemen im engeren und weiteren Sinne, wobei die Verhältniswahl im weiteren Sinne „nicht unerhebliche Abweidlungen . . von der Proportionalität" zuläßt; Grundlagen der Wahlsystematik, Göttingen 1956, S. 44. Weil auch Unkelbach die Wahlsysteme nach den Rechenmethoden und nicht nach den — wie hier vorgeschlagen — Auswirkungen und nach dem Repräsentationsprinzip ordnet, muß er zu einer begrifflichen Hilfskonstruktion Zuflucht nehmen. Seine „Verhältniswahl im weiteren Sinne" ist Mehrheitswahl. 107 108

3

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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Wahl der Parlamente

Richtung wirken, in der Praxis unter bestimmten soziologischen, vor allem wahlgeographischen Bedingungen durchaus diese ihnen theoretisch nachgewiesenen Auswirkungen nicht erkennen lassen können. Um dies verständlicher zu machen genügt der Hinweis, daß das klassische mehrheitsbildende Wahlsystem, die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, in ethnisch gespaltenen Ländern mit regionalen Asymmetrien wahlgeographischer Natur die Eigenschaft verlieren kann, bei Wahlen in aller Regel die Mehrheit einer Partei herbeizuführen. Für die Wahlgesetzgebung eines Landes heißt das nun Folgendes. Der Gesetzgeber muß sich für eine Repräsentationsvorstellung erklären. Will er ein proportionales Verhältnis von Stimmen und Mandaten, so hat er wahlsystematisch eine Reihe von Möglichkeiten, dieses Ziel zu erreichen. Nicht anders stellt sich der Sachverhalt dar, wenn das Parlament sich mit Mehrheit für das zweite Repräsentationsmodell und folglich für ein mehrheitsbildendes Wahlsystem entscheidet. Innerhalb dieses Grundprinzips kommen für den Gesetzgeber ebenfalls verschiedene Wahlsysteme in Betracht. Als Beispiel für die Orientierung der Wahlgesetzgebung verschiedener Länder an der Zielvorstellung von Repräsentation mögen die Wahlreformen in den skandinavischen Staaten dienen 110 ). Hier hat man in bestehenden Verhältniswahlsystemen in den fünfziger Jahren die Verrechnungsmethoden, nach denen die Stimmen in Mandate übertragen werden, verändert, um die Auswirkung des Wahlsystems der vorherrschenden Repräsentationsvorstellung, nämlich der einer möglichst exakten Proportionalität von Stimmen und Mandaten, anzupassen. Die Freiheit des Gesetzgebers, sich für ein Repräsentationsmodell auszusprechen und ein diesem entsprechendes Wahlsystem zu schaffen, darf aber nicht dahingehend mißverstanden werden, daß die Möglichkeit einer willkürlichen Zurechtschneiderei von Wahlsystemen bestünde. Die Beurteilung und Einordnung von Wahlsystemen nach den von ihnen ausgehenden Wirkungen im Bereich des Stimmen- und Mandatsverhältnisses läßt keineswegs den Maßstab verloren gehen, nach welchem Wahlsysteme auf ihre verfassungsrechtliche Vereinbarkeit überprüft werden können. Die aus den verschiedensten Gestaltungselementen bestehenden Wahlsysteme müssen folgerichtig ihre jeweiligen Zielvorstellungen anstreben. Proportionale Wahlsysteme können nicht zugleich hohe Sperrklauseln enthalten, welche Parteien bestimmter Größe von der Mandatsverteilung ausschließen. Jedwede Veränderung eines solchen Systems, die den Proporz über ein allge110 ) Siehe dazu die Länderbeiträge Dänemark, S. 162 f., Norwegen, S. 908 ff. und Schweden, S. 1095 ff. Im übrigen audi Finnland, S. 422 f., 427 f. und Island, S. 699 f., 702 f.

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mein noch anerkanntes zulässiges Maß 111 ) einschränkt, ohne vom proportionalen Repräsentationsprinzip abzurücken, ist verfassungsrechtlich äußerst bedenklich. Funktionalen Begründungen (staatspolitische Gefahr o.ä.) ist hier ein sehr enger Raum gesteckt, da das proportionale Repräsentationsmodell eben gerade nicht nach funktionalen Gesichtspunkten aufgebaut ist112). Zum Beispiel muß es in einem System der Verhältniswahl als wahlsystemwidrig angesehen werden, für die Teilnahme an der Mandatsvergabe neben einer Prozenthürde zwingend den Gewinn eines Wahlkreismandates vorzuschreiben113). Dagegen wäre es widersinnig, in Systemen der Mehrheitswahl verfassungsrechtliche Bedenken zu hegen, weil Stimmen- und Mandatsanteil der Parteien erheblich von einander abweichen und der Erfolgswert der Stimmen variieren können, ja, es ist völlig systemfremd, Sperrklausel-Wirkungen mehrheitsbildender Wahlsysteme ins Feld zu führen. Die Berechnungen für das Vierer- und Dreierwahlkreissystem, die besagen, daß eine Partei etwa 15 respektive 20 Prozent der Stimmen im Wahlkreis benötigt, um ein Mandat zu erhalten, sind wahlsystemtheoretisch von Belang, geben aber nicht den geringsten Anlaß zu verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Natur verfassungsrechtlicher Fragestellungen ist also nach den Repräsentationsmodellen verschieden. Bei Mehrheitswahlsystemen, deren mehrheitsbildende Wirkung namentlich auf der Gestaltung der Wahlkreise (Wahlkreisgröße) beruht, wird, um die verfassungsrechtlich geschützte Stimmwertgleichheit nicht zu verletzen, große Bedeutung der Wahlkreiseinteilung und ihrer ständigen Anpassung an die Bevölkerungsbewegungen zukommen, einer Frage, die unter einem System der Verhältniswahl lässiger gehandhabt, in aller Regel sogar vernachlässigt werden kann. In einer Weise verlieren damit die einzelnen Gestaltungselemente eines Wahlsystems an Gewicht, da nicht mehr sie, sondern die Auswirln ) Vom deutschen Bundesverfassungsgericht wurde eine Sperrklausel von fünf Prozent als mit dem Prinzip der Verhältniswahl noch vereinbar angesehen; siehe BVerfG Entsdh. 1, 209/256; 3, 383 ff.; 4, 40/143/380; 5, 83; 6, 94. 112 ) Von hierher versteht sich auch der Einwand Karl Loewensteins, daß die Sperrklausel im Bundeswahlgesetz gegen demokratische Grundsätze verstoße (Verfassungslehre, a.a.O., S. 281 f.). Tatsächlich verstoßen Sperrklauseln gegen das Repräsentationsmodell, das den Verhältniswahlsystemen zugrunde liegt. Vgl. dazu auch Dolf Sternberger, der zurecht betont, daß Sperrklauseln „mit dem Grundsatz der unbedingten Zahlengerechtigkeit des Verhältniswahlsystems schlechterdings nicht zu vereinbaren" seien. Die große Wahlreform, Köln-Opladen 1964, S. 143. Ein Verweis auf die faktischen Sperrklauseln in Mehrheitswahlsystemen, die Loewenstein von Karl-Heinz Seifert entgegengehalten werden (a.a.O., S. 48), geht an dem Kern der Frage vorbei. lls ) Im bestehenden Bundeswahlgesetz von 1956 ließe sich demnach das Wörtchen »oder" nicht durch ein „und" ersetzen.

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Wahl der Parlamente

kungen, die ihre Kombination hervorruft, für die Zuordnung eines Wahlsystems ausschlaggebend sind. Mathematische Methoden wie die Wahlzahl- und Divisorenverfahren (siehe S. 46 ff.) sind demnach ganz unbedenklich mit der Mehrheitswahl vereinbar und charakterisieren ein Wahlsystem nicht, solange sie nicht dessen Auswirkungen in entscheidender Weise beeinflussen. Das von Ferdinand A. Hermens und Helmut Unkelbach vorgeschlagene „Kubische Wahlsystem" 114 ) beläßt beispielsweise alle gegenwärtigen Elemente des Bundeswahlgesetzes unverändert. Es fügt nur eines hinzu; es legt der Umsetzung der Stimmen in Mandate nicht die Zahl der abgegebenen Stimmen, sondern deren dritte Potenz zugrunde. Damit wird der Effekt der relativen Mehrheitswahl (siehe S. 639) in das bestehende Wahlsystem eingefügt und ein Wahlsystem geschaffen, das trotz Liste, d'Hondt, Verrechnung der Stimmen auf Landesebene etc. als ein System der Mehrheitswahl zu bezeichnen ist, weil die Zielvorstellung dieses Wahlsystems auf das oben dargestellte zweite Repräsentationsmodell hinausläuft. In anderer Weise — und dies wird an dem gewählten Beispiel sehr deutlich — gewinnen die einzelnen Gestaltungselemente in einem Wahlsystem an Bedeutung. Durch den Einbau, Austausch oder die Abwandlung eines Elementes kann eine Auswirkung erzielt werden, die das Wahlsystem von einem Repräsentationsmodell in das entgegengesetzte sich verändern lassen kann. Die Gestaltungselemente bestimmen aber nicht direkt die Frage der Zuordnung eines Wahlsystems, sondern allein ihre Auswirkungen. Darin liegt der Wandel in der Bewertung der Gestaltungselemente. Am Gestaltungselement Wahlkreis läßt sich die hier entwickelte Neuorientierung der Wahlsystematik sehr schön aufzeigen. Uber den Wahlkreis bzw. die Wahlkreiseinteilung ergibt sich ein kontinuierlicher Ubergang von einem System der Verhältniswahl in ein solches der Mehrheitswahl. Bislang wurde dem Wahlkreis als Gestaltungselement von Wahlsystemen relativ wenig Aufmerksamkeit geschenkt110). Karl Braunias meinte, daß die Bedeutung der Wahlkreise von den Wahlsystemen abhänge116). Wenn man unter Wahlkreis die Größe versteht, in der die abgegebenen Stimmen der hier Wahlberechtigten 114 ) Ferdinand A. Hermens/Helmut Unkelbach, Die Wissenschaft und das Wahlrecht, in PVS, 8. Jg. (1967), S. 2 ff. Dieses hier als Beispiel verwandte Wahlsystem überbetont allerdings den Funktionsaspekt und ist im Grunde inpraktikabel. 115 ) Dem Wahlkreis hat man sich im wesentlichen nur unter der Frage der Wahlkreisgeometrie zugewendet. Es wurde also die Wahlkreiseinteilung daraufhin überprüft, ob in den Wahlkreisen etwa gleich viele Mandate auf eine bestimmte Bevölkerungszahl entfielen und eine Toleranzgrenze der Abweichung nicht überschritten wurde. "•) Braunias I, S. 129.

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ohne Berücksichtigung der im (möglichen) anderen Wahlgebiet abgegebenen Stimmen Grundlage sind für die Zuteilung von Mandaten an die Kandidaten, dann wird man eher umgekehrt formulieren müssen, daß vom Wahlkreis die Wahlsysteme, Auswirkungen und Zuordnung der Wahlsysteme abhängen können. Man kann Einer-, Zweier-, Dreierwahlkreise einrichten, kleine, mittlere und große Wahlkreise. Lassen wir alle weiteren Gestaltungselemente hier außer Acht, die die folgend beschriebenen Auswirkungen verschiedener Wahlkreisgrößen aufheben könnten, so ergibt sich, daß in großen Wahlkreisen ein etwa proportionales Verhältnis von Stimmen und Mandaten herbeigeführt werden kann. Je kleiner man nun die Wahlkreise wählt, in desto geringerem Maße können sich Stimmen- und Mandatsanteil der Parteien entsprechen. Schließlich wird bei dieser fortlaufenden Reduzierung der Zahl der in einem Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten eine Grenze erreicht, von der ab die Disproportion zwischen Stimmen und Mandaten so groß ist, daß aufgrund dieser veränderten Auswirkung einer anderen Repräsentationsvorstellung entsprochen wird. Wahl in Vierer-, Dreier-, Zweier- oder Einerwahlkreisen ist Mehrheitswahl. Eine Verkleinerung der Wahlkreise — wie etwa in Irland in der Zeit von 1923—1947 (siehe S. 659) — kann also auf einen Wahlsystemwechsel hinauslaufen 117 ). Eine Revision der Lehre von den Wahlsystemen — verstanden als kritische Überprüfung ihrer Grundlagen in der Absicht einer veränderten Durchgliederung und wissenschaftlich angemessenen Neuordnung — sollte schließlich noch jene Fragestellungen ausscheiden, die sich in der Bewertung und Einordnung von Wahlsystemen als irrig und unfruchtbar herausstellen. So durchzieht fast die gesamte Wahlsystemliteratur, daß die Mehrheitswahl eine Personenwahl sei, die Verhältniswahl dagegen nicht118). Der Proporz wird durchgängig mit dem Listenelement verbunden. Vor einer historischen und wahlsystematischen Erörterung erhebt sich die Frage, ob sich in einem von Parteien durchdrungenen und getragenen Regierungssystem bei der Wahl noch primär die Perso117 ) Die mehrheitsbildende Wirkung hängt in der Praxis, wie bereits oben S. 33 f. betont, von den politischen und sozialen Bedingungen ab, die in den verschiedenen Ländern vorherrschen. Siehe dazu auch den Beitrag Irland, S. 658 ff., S. 671 ff. 118 ) Siehe u.a. Grundlagen eines deutschen Wahlrechts, Bericht der vom Bundesministerium des Innern eingesetzten Wahlrechtskommission, Bonn 1955, S. 118 f., und jüngst wieder Heino Kaack, a.a.O., S. 10: „bei Mehrheitswahl ist die einzelne Persönlichkeit und nicht die Partei Bezugspunkt". Vgl. dazu auch die Kritik von Nils Diederich aus wahlsoziologischer Sicht, in: Empirische Wahlforschung, a.a.O., S. 12.

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Wahl der Parlamente

nenfrage stellt, die Alternative also zwischen den sich bewerbenden Wahlkreiskandidaten, oder nicht vielmehr die Alternative zwischen Parteien, Parteiführungen und Parteiprogrammen. Empirische Untersuchungen in einer Reihe von europäischen Ländern weisen eine immer geringere Bedeutung der einzelnen Kandidaten für die Wahlentsdieidung des Wählers aus. Historisch hat bei der Entwicklung des Verhältniswahlgedankens die Forderung nach einer Klassifikation der Kandidaten durch den Wähler im Vordergrund gestanden. Wie de Borda im Jahre 1781119) wollten auch die späteren Verhältniswahltheoretiker dem Wähler eine geeignetere Auswahlmöglichkeit unter den Kandidaten geben, indem sie dem Wahlprozeß differenziertere Regelungen zugrundelegten. Das Hare'sdie System ist davon gekennzeichnet wie audi die Bemühung des Schweizers Hagenbach-Bischoff, in seinem Lande die freie Liste einzuführen 120 ). Wahlsystematisch ist zudem längst nicht ausgemacht, welches System eine umfassendere und geeignetere Auswahl unter Personen zuläßt. Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten, in ein System der Verhältniswahl die Auswahl der Abgeordneten durch den Wähler selbst einzufügen. Abgesehen von den ausgereiften Systemen wie dem „single transferable vote" (siehe S. 54) ist vor allem an vielfältige Formen der freien Liste zu denken, wie sie seit Jahrzehnten in einigen Ländern praktiziert werden (siehe S. 43). Andererseits wird heute international in der Lehre von den Wahlsystemen heftige Kritik an der relativen Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen wegen der fehlenden Personenwahl durch den Wähler geübt121). Diese Hinweise genügen, um aufzuzeigen, daß die Frage der Personenwahl, wie sie bisher formuliert wurde, als Kriterium der Einteilung von Wahlsystemen entfallen muß. Nicht Personenwahl und Verhältniswahl sind Gegensätze, sondern allenfalls Personenwahl und Listenwahl nadi starrer Liste. Die schiefe Gegenüberstellung entspringt im übrigen einer spezifisch deutschen Perspektive. In Deutschland wurden Verhältniswahlsysteme stets auf der starren Liste aufgebaut. Unter den gegenwärtig gültigen Verhältniswahlsystemen Europas kennt nur das deutsche Bundeswahlgesetz die starre Form der Liste. Dieser Sonderfall kann natürlich nicht zum wahlsystematischen Kriterium der Bestimmung und Zuordnung von Wahlsystemen erhoben werden. lle

) Histoire de l'academie royale des sciences, Paris 1784, S. 657 ff. ) Thomas Hare, The Election of Representatives, 3. Aufl. London 1865; Ed. Hagenbach-Bischoff, Berechtigung und Ausführbarkeit der proportionalen Vertretung bei unseren politischen Wahlen, Basel 1885 und andere Schriften. 121 ) Vgl. etwa J. F. S. Ross, Elections and electors, a.a.O., S. 38 und passim; Enid Lakemann/James D. Lambert, Voting in Democracies, London 1955, S. 37 ff. 120

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

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Dagegen lassen sich einzelne Gestaltungselemente von Wahlsystemen natürlich auf die Frage hin untersuchen, ob sie eine größere Auswahl unter Personen gestatten oder nicht. Bestehende Maßstäbe bedürfen demnach einer Neuzuordnung und einer anschließenden vertieften Analyse, wie etwa auch der Maßstab der Integration. Die bisherige Wahlsystematik machte es sich zu einfach, wenn sie der „Mehrheitswahl" integrierende Funktionen zuerkannte, der „Verhältniswahl" 122 ) hingegen nicht bzw. ausschließlich desintegrierende Funktionen128). Doch können das Grundprinzip Verhältniswahl und ebenso, um spezifische Bauelemente von Wahlsystemen anzuführen, die Liste größere integrierende Wirkung haben als etwa der Einerwahlkreis 124 ). Solche Bestimmungen sind von den tatsächlichen sozialen und politischen Bedingungen eines Landes abhängig und entziehen sich somit einer eindeutigen Vorab-Erklärung. Zusammenfassend ergibt sich somit für die Gruppierungsfrage von Wahlsystemen: Entscbeidungsprinzip (entweder relative oder absolute Mehrheit oder verhältnismäßiger Anteil) und Repräsentationsprinzip (Stimmen-Mandatsrelation) können auseinandertreten. Obwohl die Entscheidungsprinzipien in ihrer Bedeutung für die Wahlentscheidung der Wähler nicht verkannt werden, sollte die Bewertung und Zuordnung von Wahlsystemen nach den von ihnen ausgehenden Wirkungen auf die Stimmen-Mandatsrelation erfolgen. Eine solche Bewertung und Unterscheidung der Wahlsysteme nach den Grundprinzipien politischer Repräsentation als Basis der Wahlsystematik muß jedoch einhergehen mit einer detaillierten Analyse der ein Wahlsystem jeweils konstituierenden Gestaltungselemente.Diese Gestaltungselemente des Wahlprozesses, von denen die wichtigsten im folgenden Kapitel beschrieben werden, sind die Bausteine der Wahlsystematik; sie bestimmen in ihrer Mischung die theoretischen Auswirkungen der Wahlsysteme, aufgrund derer die Wahlsysteme dann den Prinzipien Mehrheitswahl oder Verhältniswahl zugeordnet werden. 122 12s

) Begriffe nach der bisherigen wahlsystematisdien Terminologie.

) Vgl. Thomas von der Vring, Reform oder Manipulation? Zur Diskussion eines neuen Wahlrechts, Frankfurt 1968, S. 145 ff. 124 ) Helmut Unkelbach, der in seinen „Grundlagen der Wahlsystematik" (a.a.O.) wesentlich von der Integrationswirkung von Wahlsystemen ausgeht, argumentiert an dieser Tatsache, die empirisch vielfach zu belegen ist, vollends vorbei. Dabei denke man nur an die Überwindung eines potentiellen oder tatsächlich vorliegenden Gegensatzes von Stadt und Land. Die Liste wird dazu in der Lage sein, der Einerwahlkreis hingegen in aller Regel nicht. Über die Mathematisierung der Wahlsystematik werden leicht nahezu selbstverständliche Zusammenhänge aus den Augen verloren.

Wahl der Parlamente

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III. G e s t a l t u n g s e l e m e n t e d e r W a h l s y s t e m e a) Der Wahlkreis Der Wahlkreis ist ein solches Gebiet, worin die abgegebenen Stimmen der hier Wahlberechtigten ohne Berücksichtigung der in einem anderen Wahlgebiet abgegebenen Stimmen die Grundlage für die Zuteilung von Mandaten an die Kandidaten bilden. Im Wahlkreis kommt es also zur Vergabe von Mandaten 125 ). Insofern unterscheidet sich der Wahlkreis vom Stimmbezirk, der der Stimmabgabe dient und den Wahlkreis derart untergliedert, daß alle Wahlberechtigten möglichst bequem ihrem Wahlrecht (oder auch ihrer Wahlpflicht) nachkommen können. Der Wahlkreis unterscheidet sich audi vom Wahlring (siehe S. 868) und vom Aufstellungskreis (siehe S. 868), die in der Regel nur für die Wahlbewerbung, teilweise auch für die Modalität der Mandatsverteilung Bedeutung haben. Es gibt verschiedene Wahlkreistypen; Einerwahlkreise und Mehrmannwahlkreise, wobei die Mehrmannwahlkreise unter Veränderung der im Wahlkreis zu wählenden Abgeordneten mannigfach variabel sind. Es ist aber sinnvoll, weiter wie folgt zu unterscheiden: Zweierwahlkreise, Dreierwahlkreise, Viererwahlkreise, Wahlkreise mittlerer Größe (mit fünf bis zehn Abgeordneten), große Wahlkreise (über zehn Mandate im Wahlkreis). Die verschiedenen Wahlkreistypen sind grundsätzlich mit allen Systemen der Mehrheitswahl und der Verhältniswahl zu verbinden. Es kann also auch den Einerwahlkreis im System der Verhältniswahl geben, da der Wahlkreis nicht das die Auswirkungen eines Wahlsystems bestimmende Element zu sein braucht. Etwa kann durch Ausgleichs· oder Zuschlagsmandate die natürliche Disproportion von Stimmen und Mandaten bei der Wahl in Einerwahlkreisen aufgehoben werden. Unter Eliminierung des möglichen Einflusses anderer Gestaltungselemente geht von den verschiedenen Wahlkreisgrößen im Modell folgende Wirkung aus: je größer der Wahlkreis, je stärker der Proportionalitätseffekt. Wahl in Vierer- und kleineren Wahlkreisen hingegen ist Mehrheitswahl. Neben die wahlsystematisch möglicherweise bedeutungsvolle Frage der Wahlkreisgröße tritt die zumeist politisch viel umkämpftere der Wahlkreiseinteilung. Die Einteilung eines Wahlgebietes in Wahlkreise kann unter den verschiedensten Gesichtspunkten erfolgen. Gezielte Wahlkreisgeometrie unter manipulatorischen Motiven kann dabei vor allem in Systemen der Mehrheitswahl wirkungsvoll zur Geltung kommen. I25

) Siehe Douglas W. Rae, a.a.O., S. 19.

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

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Fast immer ist für die Auswirkungen eines Wahlsystems von Bedeutung, ob bei einer Untergliederung des Wahlgebietes in Wahlkreise ein fester „Repräsentationsschlüssel" angewandt wird. Die Frage ist also, ob in allen Wahlkreisen etwa gleich viele Mandate auf die Bevölkerung entfallen oder nicht. Nur Verrechnungsverfahren, die für eine bestimmte Zahl erhaltener Stimmen die Vergabe eines Mandats vorsehen (wie die Automatische Methode; siehe S. 48) und Systeme der Verhältniswahl mit nationalem Mandatsausgleich sind im Hinblick auf die Wahlkreiseinteilung weitgehend unempfindlich. Jedoch wird durch die aktiv oder passiv (unterlassene Neuverteilung der Mandate) herbeigeführten Differenzen in der Repräsentation der Grundsatz der gleichen Wahl (siehe oben S. 23 ff.) tangiert, so daß eine verfassungsrechtliche Überprüfung dieser Ungleichheiten möglich ist. Historisch betrachtet ist diese Art gezielter Wahlkreisgeometrie in Mehrheits- und Verhältniswahlsystemen vor allem zur Reduzierung der Repräsentation ethnischer und politischer Minderheiten angewandt worden. Zwar in hohem Maße politisch anstößig, aber weniger verfassungsrechtlich überprüfbar ist jene Form manipulierter Wahlkreisgeometrie, die unter dem Namen des „gerrymandering" bekannt ist128). Sie bezeichnet die Zuschneidung der Wahlkreisgrenzen nach der geographischen Streuung der Wählerschaft eines Bewerbers oder einer Partei. b) Formen der Kandidatur Die technischen Regelungen der Wahlbewerbung sind mit entscheidend für die Formung des Wählerwillens und das Ergebnis der Wahl. Mittels verschiedener Formen der Kandidatur, bei denen sich zunächst einmal Einzelkandidatur und Liste gegenüberstehen, kann die Entscheidung des Wählers strukturiert werden. Der Wähler wird bei seiner Wahl vor eine andere Situation gestellt, je nachdem, welche Form der Kandidatur (sie spiegelt sich konkret auch im Aussehen des Stimmzettels wider) vorliegt. Vor allen Definitionen bedarf es zunächst wieder des Hinweises, daß das Gestaltungselement Liste mit fast allen anderen Gestaltungselementen von Wahlsystemen verbunden auftreten kann. Die Liste innerhalb von Systemen der Mehrheitswahl ist keineswegs ungewöhnlich. Hier seien nur das belgische „scrutin d'ecrasement" und die türkisdien Wahlgesetze von 1946 und 1950 genannt, die die Liste 1 2 e ) Siehe dazu Ausführungen und Beispiel in: Carl J . Friedrich, Der Verfassungsstaat der Neuzeit, a.a.O., S. 327 ff.

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Wahl der Parlamente

in Mehrmannwahlkreisen mit der Entscheidung nach absoluter (Belgien) und relativer (Türkei) Mehrheit verbanden 127 ). Vorab zu beachten ist auch die Veränderung der Kandidaturbedingungen

) Ein empirisches Beispiel liefert der Beitrag Italien, S. 728 ff., S. 744 ff.

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Wahl der Parlamente

Die Auswirkungen der hier genannten Wahlzahlverfahren auf die Umsetzung von Wählerstimmen in Mandate hängen zu einem guten Teil von der Wahl der Methode ab, mit deren Hilfe im zweiten Zuteilungsverjahren die Restmandate vergeben werden. Das ist entweder die Methode des größten Uberrestes, des kleinsten Uberrestes, das Verfahren des größten Durchschnitts oder irgendein Divisorenverfahren (siehe dazu S. 52 f.). Für sich genommen erzielen die Wahlzahlverfahren eine durchweg ähnliche Wirkung; Parteien bestimmter Größe oder eines bestimmten Größenverhältnisses werden also im einfachen Wahlzahlverfahren weder begünstigt noch benachteiligt. Doch erreicht das zweite Zuteilungsverfahren dann hohe Bedeutung, wenn aufgrund einer hohen Wahlzahl (und möglicher anderer Faktoren, etwa bei Unterteilung des Wahlgebietes in viele kleine bis mittelgroße Wahlkreise) eine große Zahl von Mandaten noch zu vergeben ist. Hier kann sich dann die Gesamtauswirkung des Stimmenverrechnungsverfahrens (erstes und zweites Zuteilungsverfahren) entscheiden. Zu den Auswirkungen eines Wahlzahl verfahr ens in Verbindung mit verschiedenen zweiten Zuteilungsverfahren siehe weiter unten S. 52 f. Eine Art Wahlzahl verfahren stellt die Automatische Methode dar. Bei diesem Zuteilungsverfahren wird allerdings gesetzlich festgelegt, auf wie viele abgegebene Wählerstimmen ein Mandat entfällt. Hat ein Bewerber oder eine Liste diese Zahl erreicht, so erhalten sie automatisch einen Sitz oder so viele Mandate, wie die vorher fest bestimmte Zahl in der erzielten Stimmenzahl der Liste enthalten ist. Ein praktisches Beispiel dieser Verrechnungsmethode enthält der Beitrag Deutschland, S. 257 f. Divisorenverfahren (auch Höchstzahlverfahren genannt) sehen vor, daß die von den Parteien gewonnenen Stimmen im Wahlkreis oder Wahlgebiet durch fortlaufende Zahlenreihen (Divisorenreihen) dividiert werden. Nach der Größe der entstehenden Quotienten werden die Mandate vergeben. Beispiel: Nach dem bekannten Zahlenspiegel von Walter Jellinek 130 ) sind in einem Wahlkreis zehn Abgeordnete zu wählen. Von den 10.000 Stimmen entfallen auf die Partei A: 4160, auf die Partei B: 3380, auf die Partei C: 2460. Teilt man diese Zahlen der Reihe nach durch eins, zwei, drei und so fort, dann entstehen folgende Reihen: Partei A

Partei Β

Partei C

: : : : :

: : : : :

: : : : :

1 2 3 4 5

4160 2080 1386 1040 832

(1)

(4) (6) Μ

1 2 3 4 5

3380 (2) 1690 (5) 1126 (8) 845 (10) 676

1 2 3 4 5

2460 1230 820 615 492

(3) (7)

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Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

Die höchsten entstandenen Quotienten werden für die Vergabe der Mandate an die Parteien berücksichtigt, so daß die Partei Α das 1., 4., 6. und 9. Mandat erhält, die Partei Β das 2., 5., 8. und 10. und die Partei C das 3. und 7. Mandat (entsprechend den in Klammern gesetzten Zahlen hinter den Quotienten). Dieses Beispiel steht für die Methode als solche und zugleich für eine bestimmte Divisorenreihe, die Methode d'Hondt. Es sind nämlich im weiteren verschiedene Divisorenreihen zu unterscheiden: Bezeichnung

Divisorenreihe

Methode Methode Methode Ausgegl. Dänische

1 - 2 - 3 - 4 etc. 2 - 3 - 4 - 5 etc. 1 - 3 - 5 - 7 etc. 1 , 4 - 3 - 5 - 7 etc, 1 - 4 - 7 - 1 0 - 1 3 etc. 1 - 1 , 5 - 2 - 2 , 5 - 3 etc.

d'Hondt Imperiali St. Lague Methode oder modif. Methode St. Lague Methode

Methode Huntington

1,41 - 2,45 - 3,46 - 4,47 oder 1 ^ 2 - V^7! -

etc.

Diese verschiedenen Divisorenreihen sind von unterschiedlicher Auswirkung auf die Mandatsverteilung. Um die Divisorenreihen in ihren Auswirkungen gegeneinander abzugrenzen, ist es notwendig, sie als mathematische Reihen aufzufassen und vergleichend zu untersuchen. Das heißt, nicht etwa die Höhe des ersten Divisors ist ausschlaggebend für die Wirkweise der Divisorenreihe, sondern das Verhältnis der Zahlen zueinander, die die gesamte Zahlenreihe konstituieren. So wird, um einen solchen Irrtum konkret zu nennen, oft gemeint, die Ausgeglichene Methode sei für die kleinen Parteien ungünstiger als die d'Hondt'sche Methode, weil sie durch einen höheren ersten Divisor (1,4 gegenüber 1) die Stimmenzahl einer kleineren Partei erheblich reduzieren könne, so daß diese nun nicht mehr die Höchstzahl erreiche, die oft noch den Gewinn des letzten Mandats in einem Wahlkreis ermögliche131). Zur Widerlegung dieser Ansicht das folgende Rechenbeispiel: Bei einer Bewerbung von zwei Parteien um zwei Mandate erhält die Partei A 101 Stimmen, die Partei Β 50 Stimmen. Würde die d'Hondt' sehe Methode angewandt, so würden der Partei Α beide Mandate zufallen, denn 101 geteilt durch zwei ist größer als 50. Unter Anwendung der Ausgeglichenen Methode ergibt sich eine andere Mandatsverteilung: 130 ) Walter Jellinek, Verfassung und Verwaltung des Reichs und der Länder, Leipzig und Berlin 1925, S. 53. 131 ) So neuerdings wieder Douglas W. Rae, a.a.O., S. 34.

4 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

Wahl der Parlamente

50 Partei A

Partei Β

101 : 1,4 = 72,2 (1) : 3 - 33,6

50 : 1,4 = 35,7 (2) : 3 = 16,6

Partei Β würde nun den zweiten Sitz erhalten. Mathematisch läßt sich die Erfahrung dieses Rechenbeispiels folgendermaßen ausdrücken: je kleiner bei den Divisoren das Verhältnis der ersten zur zweiten Zahl ist (hier 1,4 zu 3, was eben kleiner ist als 1 zu 2; 1,5 zu 3 wäre ein gleiches Verhältnis), desto günstiger schneiden kleinere Parteien bei der Mandatsverteilung ab. Insgesamt ist die Auswirkung der Ausgeglichenen Methode in Abgrenzung zur Methode d'Hondt etwa so zu umschreiben, daß möglicherweise eine der kleineren Parteien die Chance hat, ein Mandat (mehr) zu erhalten auf Kosten einer der größeren Parteien. Zum Verständnis dieser flexiblen Aussage muß hinzugefügt werden, daß es im konkreten Falle sowohl möglich ist, daß die zweitstärkste Partei ein Mandat von der stimmstärksten Partei erhält, wie audi, daß die kleinste Partei ein Mandat (mehr) zugesprochen bekommt auf Kosten der zweitkleinsten oder irgendeiner größeren Partei bis hin zur stimmstärksten. Einen Vergleich der in den europäischen Ländern gegenwärtig angewandten Divisorenreihen auf ihre unterschiedlichen Wirkungen hin gestattet das folgende Beispiel, dem die Zahlen des obigen Jellinek' sehen Beispiels zugrundeliegen: Methode d'Hondt

Ausgeglichene Methode

Partei A

1 4160 (1) 2 2080 (4) 3 1386 (6) 4 1040 (9) 5 832

1,4 2971 3 1386 5 832 7 594 9 462

Partei Β

1 2 3 4 5

Partei C

1 2460 2 1230 3 820 5 492 4 615

3380 (2) 1690 (5) 1126 (8) 845 (10) 676 (3) (7)

(1) (4) (6) (9)

Methode St. Lague

Dänische Methode

1 4160 (1) 3 1386 (4) 5 832 (6) 7 594 (9) 9 462

1 4160 4 1040 7 594 10 416 13 320

(1) (4) (7) (9)

1,4 2257 (2) 3 1126 (5) 5 676 (8) 7 483 9 375

1 3 5 7 9

3380 1126 676 483 375

1 3380 4 845 7 483 10 338 13 260

(2) (5) (8)

1,4 1757 (3) 3 820 (7) 5 492 (10) 7 351 9 273

1 3 5 7 9

2460 (3) 820 (7) 482 (10) 351 273

(2) (5) (8)

1 2460 (3) 4 615 (6) 7 351 (10) 10 246 13 189

Die Auswirkungen der verschiedenen Divisorenreihen auf die Mandatsverteilung scheinen im gegebenen Beispiel nur in geringem Maße unterschiedlich zu sein. Allein bei der Methode d'Hondt ist das Mandatsergebnis:

51

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

Partei A Partei Β Partei C

= = =

4 Mandate 4 Mandate 2 Mandate

Die anderen Divisorenreihen ergeben alle das folgende Mandatsergebnis: Partei A Partei Β Partei C

= = =

4 Mandate 3 Mandate 3 Mandate

Indes, die Ausgeglichene Methode, die Methode St. Lague und die Dänische Methode wirken sich nur scheinbar gleich aus. Vergleicht man die Reihenfolge, in der die Mandate entsprechend den Höchstzahlen den Parteien zufallen, so ergibt sich ebenfalls eine Differenz zwischen der Ausgeglichenen Methode und der Methode St. Lague einerseits und der Dänischen Methode andererseits, die gegebenenfalls wirksam sein kann. Reduzieren wir nämlich im obigen Zahlenbeispiel die Summe der zu vergebenden Mandate auf sechs, so würde das Mandatsergebnis bei den genannten zwei (hier) gleichwirkenden Methoden (wie auch bei der Methode d'Hondt) lauten: Partei A Partei Β Partei C

= = =

3 Mandate 2 Mandate 1 Mandat

Demgegenüber würden unter Anwendung der Dänischen Methode alle drei Parteien je zwei Mandate erhalten. So läßt sich als Ergebnis dieses Vergleichs generell festhalten, daß die neben der Methode d'Hondt im Beispiel aufgeführten Divisorenreihen in der Reihenfolge: Ausgeglichene Methode, Methode St. Lague, Dänische M e t h o d e eine zunehmende

Begünstigung

kleinerer Parteien

auf

Kosten größerer Parteien hervorrufen, wobei der mögliche Vorteil nicht konkret festzulegen ist auf Parteien einer bestimmten Größe oder eines bestimmten Größenverhältnisses. Der Mandatsvorteil fällt keineswegs stets der kleinsten Partei zu. N u r zwei Aussagen sind exakt zu treffen: die stimmstärkste Partei wird — wenn statt der Methode d'Hondt eine der drei weiter aufgeführten oder statt der Ausgeglichenen Methode eine der zwei (ausschließlich der Methode d'Hondt) weiter aufgeführten Methoden etc. angewandt wird — kein Mandat hinzugewinnen und die kleinste Partei kein Mandat einbüßen können. Zu den Auswirkungen eines Wechsels der Divisorenreihen in der Praxis siehe im übrigen den Beitrag Norwegen, S. 908 if.

Wahl der Parlamente

52

Die Methoden des größten Durchschnitts, des kleinsten und des größten (Uber-) Restes lassen sich am besten an einem Beispiel erklären und zugleich in ihren Auswirkungen auf die Mandatsverteilung umreißen. Es seien fünf Mandate zu vergeben und die Stimmverteilung auf die Parteien sei: A = 1000 Β = 620 C = 380 Unter Anwendung des einfachen Wahlzahlverfahrens (siehe oben S. 46) ergibt sich als Wahlzahl 2000 : 5 = 400 und dementsprechend folgendes Ergebnis im ersten Zuteilungsverfahren: Partei

Stimmen

A Β C

1000 620 380

Wahlzahl : : :

400 400 400

Mandate = = =

2 1 0

Reststimmen 200 220 380

Die Partei Α erhält zwei Mandate, die Partei Β ein Mandat, die Partei C geht leer aus; jedoch sind zwei Mandate noch nicht vergeben. Bei Anwendung der Methode des größten Durchschnitts wird nun berechnet, wie viele Stimmen die Parteien tatsächlich benötigten, um ein Mandat zu erhalten: Partei Α hat 1000 : 2 = 500 Stimmen gebraucht, Partei Β 620 : 1 = 620 Stimmen, Partei C hat kein Mandat erhalten und 380 Stimmen. Partei Β weist den größten Durchschnitt auf, Partei Α den zweitgrößten. Diesen beiden Parteien fallen in der angegebenen Reihenfolge die beiden Restmandate zu. Wird die Methode des kleinsten (Uber-) Restes angewandt, so werden, da die Reste lauten: Partei A = 200, Partei Β = 220, Partei C = 380, ebenfalls die Parteien Α und Β die zwei restlichen Mandate erhalten, allerdings in anderer Reihenfolge: zuerst Α und dann B. Die Methode des größten (Uber-) Restes führt zu einem wesentlich anderen Ergebnis. Den größten Rest hat die kleinste Partei, nämlich C, den zweitgrößten die Partei B. Die Restmandate fallen somit an die Parteien C und B. Schließlich sind beim Wahlzahlverfahren für das zweite Zuteilungsverfahren noch zwei weitere Methoden der Stimmenverrechnung zu unterscheiden: das Restteilungsverfahren und die modifizierte Methode d'Hondt. Das Restteilungsverfahren ist ein Divisoren verfahren (siehe oben S. 48) und schließt an die Methode des größten Uberrestes an. Die Reststimmen werden nacheinander durch eine bestimmte Divisoren-

53

Begriffliche Einführung in die Wahlsystematik

reihe (hier zumeist die Divisorenreihe d'Hondt, siehe oben S. 49) geteilt, die Restmandate werden den Parteien mit den höchsten Quotienten zugewiesen. In unserem Beispiel unterscheidet sich diese Methode mangels einer größeren Zahl von Restmandaten im Ergebnis nicht von der Methode des größten (Uber-) Restes. Die modifizierte Methode d'Hondt schließt eher an die Methode des größten Durchschnitts an, ohne ein gleiches Ergebnis wie diese hervorzurufen. Die Reststimmen werden bei diesem letzten Verfahren jeweils durch die um eins erhöhte Zahl der bereits erhaltenen Mandate der Parteien dividiert und den höchsten Quotienten ein Mandat zugesprochen. In unserem Beispiel bedeutet dies: für Partei Α für Partei Β für Partei C 2 0 0 : 2 + 1 = 66,6 2 2 0 : 1 + 1 = 110 3 8 0 : 0 + 1 = 380 Die Restmandate fallen somit an die Parteien C und B. Uber die Auswirkungen der verschiedenen Verrechnungsmethoden, die in aller Regel nur in einem zweiten Verrechnungsverfahren beim Wahlzahl verfahren angewandt werden, läßt sich insgesamt festhalten, daß die Methoden des größten Durchschnitts und des kleinsten Uberrestes die großen Parteien begünstigen, die Methode des größten (Uber-) Restes vor allem die kleinen Parteien. Die folgende Tabelle faßt die Auswirkungen von vier Verrechnungsmethoden des zweiten Zuteilungsverfahrens auf die Mandatsverteilung zusammen: Einfaches Wahlzahlverfahren und

3. Mandat 4. Mandat 5. Mandat Mandate der Parteien A Β C

2. Zuteilungsverfahren

1. Mandat 2. Mandat

1. Zuteilungsverfahren

Methode Methode Modifizierte Methode des größten des kleinsten des größten Methode Restes Durchschn. Restes d'Hondt A

A

A

A

A

A

A

A

Β

Β

Β

Β

Β

A

C

C

A

Β

Β

Β

3 2

3 2

2 2 1

2 2 1

Wahl der Parlamente

54

Die Verrechnungsmethoden Andrae, Hare und Droop stehen als Bezeichnungen stellvertretend für ein in sich geschlossenes Zähl- und Verrechnungssystem von Stimmen, das allgemein „single transferable vote" genannt wird 182 ). Dieses Wahlsystem geht bei der Mandatszuteilung von einer Wahlzahl aus, deren Berechnungsweise allerdings variieren kann: entweder a bg e g e bene Stimmzettel Mandatszahl im Wahlkreis 0(jer

abgegebene Stimmzettel ^ Mandatszahl im Wahlkreis + 1 Im ersteren Fall handelt es sich um die Wahlzahl nach Andrae und Hare, im zweiten um die Wahlzahl nach Droop oder Droop-Quota. H a t ein Bewerber die Wahlzahl erreicht, ist er gewählt. Die eigentliche Besonderheit dieses Wahlsystems liegt in der Art und Weise der Stimmgebung und in der Form der Kandidatur. Sie gestatten die Übertragung einer Einzelstimme im gegebenen Falle von einem Kandidaten auf den anderen. Die Kandidaten bewerben sich einzeln (listenlos) und der Wähler kann, indem er Ziffern vor die Namen der Kandidaten auf dem Stimmzettel schreibt, Erst-, Zweit-, Dritt-, Viert- etc. Präferenzen verteilen. Zählung und Verwertung der Stimmen können variieren. Sie haben sich seit der ersten Anwendung des Systems (siehe den Beitrag Dänemark, S. 155) technisch wesentlich verbessert (siehe den Beitrag Irland, S. 658 ff. dortselbst das ausführliche Rechenbeispiel, S. 680 ff. und schließlich das Beispiel einer Stimmenauszählung und Stimmenberechnung anhand eines amtlichen Wahlkreisergebnisses, S. 678). Weitere technische Elemente des Wahlprozesses abzuhandeln ist hier nicht der Ort. Ihre analytische Beschreibung wird Gegenstand des theoretisdien Bandes sein, der den Abschluß des Projektes „Wahl der Parlamente" bildet. Für Termini und Techniken, die in die Begriffliche Einführung nicht aufgenommen wurden, wird der Leser in diesem Handbuch jeweils dort kurze Erklärungen finden, wo sie im Kontext auftreten. Dieter Nohlen

132 ) Die deutsche Bezeichnung „listenlose Verhältniswahl" oder „Verhältniswahl übertragbarer Einzelstimmgebung" läßt das Mißverständnis aufkommen, von dem oben bereits ausführlich die Rede war (siehe S. 39 ff.). Die Bezeichnung „Verhältniswahl" steht nur für das Entscheidungsprinzip, für die technische Abwicklung der Verteilung der Mandate, nidit für Repräsentationsvorstellungen. Denn „single transferable vote" in Dreierwahlkreisen etwa ist Mehrheitswahl.

LÄNDERBEITRÄGE

ALBANIEN

I. Historischer Teil Während der Balkankriege von 1912/1913 gelang den Führern der albanischen Unabhängigkeitsbewegung als letzter der Balkannationen im Schutze der europäischen Großmächte die Loslösung des albanischen Territoriums vom osmanischen Reich und die Gründung des Staates Albanien. Im Gesamtverband des osmanischen Reiches seit dem 16. Jahrhundert hatten die albanischen Hochlande, die ärmste und rückständigste, national und kulturell uneinheitlichste aller osmanischen Balkanprovinzen, relative Unabhängigkeit besessen. Die Sozialstruktur war im Norden des Landes (Gebiet der Ghegen) stammespatriarchalisch, im Süden (Gebiet der Tosken) halbfeudal. Eine zahlenmäßig äußerst geringe Oberschicht von Großgrundbesitzern beherrschte eine durchweg analphabetische Bevölkerung, deren Zahl etwa 800 000 betrug und die konfessionell in Muslims (Sunni und Bektaschi, zusammen etwa 560 000), Griechisch-Orthodoxe (160 000) und Römisch-Katholische (80 000) gespalten war. Im Zuge der allgemeinen Nationalisierung der Balkanvölker förderte die Regierung des Sultans gerade diesen Prozeß in Albanien zur Abwehr von Gebietsansprüchen der Griechen, Serben und Montenegriner. So wurde in Prizren im Jahre 1878 zur Verteidigung der Rechte der albanischen Nation vor allem in territorialer Hinsicht die Albanische Liga gegründet. Sie erstrebte eine autonome Regierung durch einen türkischen Gouverneur, unterstützt von einem albanischen Komitee, das aufgrund allgemeinen Männerwahlrechts bestellt werden sollte. Die Türken befürchteten aber, daß die von ihnen mit ins Leben gerufene Liga sich am Ende gegen die osmanische Herrschaft in Albanien wenden könnte, lösten sie 1881 auf und unterdrückten in der Folgezeit die nationalen Bestrebungen der Albaner. Die jungtürkische Revolution von 1908, die von den nationalen und religiösen Minderheiten des Reiches mitgetragen wurde, gab den Albanern neue Hoffnung auf politische Autonomie. Albanien entsandte Abgeordnete ins türkische Parlament (s. Türkei) und konnte in den ersten Monaten der türkischen konstitutionellen Regierung eine rege, auf die Schaffung eines Nationalbewußtseins gerichtete Politik betreiben (Gründung kultureller und politischer Klubs, Kongreß von Monastir, lateinisches Alphabet als einheitliche Schrift). Die Politik der Jungtürken entwickelte sich aber zu einem türkischen Nationalis-

58

Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung

1914—1921

mus, der intensiv die Türkisierung der Balkanvölker verfolgte. Die albanische Unabhängigkeitsbewegung erreichte deshalb erst bei der allgemein staatlich-politischen Neugliederung auf dem Balkan zu Lasten der Türkei, die durch den ersten Balkankrieg von 1912 vorbereitet wurde, ihr Ziel. Von den Großmächten hatten besonders Österreich-Ungarn und Italien Interesse an der Errichtung eines albanischen Staates gezeigt, dessen Territorium in etwa durch den ethnischen Grenzverlauf bestimmt werden sollte. Unter ihrem Schutz konnte der Führer der liberalen Opposition im türkischen Parlament, der Albaner Ismail Kemal Vlora, am 28. November 1912 die Unabhängigkeit Albaniens ausrufen und die Führung einer provisorischen Regierung übernehmen. Als erste albanische Verfassung gilt das Statut vom 10. August 1914, das von einer internationalen Kontrollkommission ausgearbeitet wurde, in der ein Vertreter Albaniens mitwirkte und die von der Botschafterkonferenz der europäischen Großmächte in London 1913 eingesetzt worden war. Das Statut definierte Albanien als „souveränes, konstitutionelles, erbliches Fürstentum" (Art. 1) und erklärte den deutschen Prinzen Wilhelm zu Wied, der von der Nationalversammlung (s. u.) bereits im März 1914 gewählt worden war, zum Fürsten des Landes. Es sah weiterhin eine Trennung der Gewalten vor: das Kabinett sollte dem Fürsten verantwortlich sein. Die ausschließlich mit Legislativ- und Kontrollfunktionen betraute Nationalversammlung sollte, soweit gewählt, auf vier Jahre bestellt werden. Ihr sollten angehören: 1. Mitglieder kraft eigenen Rechts wie die Vertreter der religiösen Gemeinschaften; 2. Indirekt vom Volk über die Gemeinderäte gewählte Abgeordnete, je Wahlkreis drei. Das Land sollte entsprechend seiner administrativen Gliederung in zehn Wahlkreise eingeteilt werden; 3. Zehn vom Fürsten ernannte Mitglieder (VfsArt. 41). Zwar regierte Fürst Wilhelm von März bis September 1914 Albanien, bis eine Rebellion die Großmächte bewog, ihn zurückzurufen. Die Verfassung blieb aber während des I. Weltkrieges, in dessen Verlauf Albanien wechselweise von Truppen verschiedener Staaten besetzt wurde, eigentlich unwirksam. Nadi Kriegsende blieb das Land noch teilweise von ausländischen, insbesondere italienischen Truppen besetzt, die in Durazzo eine italienhörige albanische Regierung einsetzten. Erneut stellte sich die Grenzfrage: Jugoslawien, Griechenland und Italien forderten mehr oder weniger stark albanisch bewohntes Gebiet. Um dem nationalen Willen Ausdruck geben zu können, beriefen die Führer der albanischen

Albanien

59

Unabhängigkeitsbewegung eine Nationalversammlung nach Lushnje ein. 56 Abgeordnete, von den Bezirksräten bestellt, richteten im Januar 1920 eine Erklärung an die Pariser Friedenskonferenz, in der die Einheit des Landes innerhalb der ethnischen Grenzen und die staatliche Unabhängigkeit gefordert wurden. Aus den Beratungen der Nationalversammlung ging des weiteren das Statut vom 9. Februar 1920 hervor, eine Art Verfassung, die die Regierung vom Parlament abhängig machte. Da die Versammlung in Monarchisten und Republikaner geteilt war, konnte die Frage der Staatsform nicht entschieden werden. Allerdings wurde ein königlicher Regentsciiaftsrat gebildet, bestehend aus je einem Vertreter der vier religiösen Gemeinschaften. Eine nationale albanische Regierung nahm ihren Sitz in Tirana. Die Anwesenheit zweier Regierungen auf albanischem Boden beendete eine albanische Partisanengruppe im Juni 1920, die die Italiener aus dem größten Teil des noch von ihnen besetzt gehaltenen Gebietes vertreiben konnten. Im August 1920 erkannte Italien die Unabhängigkeit Albaniens und die Regierung in Tirana an. Bereits am 27. März des gleichen Jahres war die „Nationale legislative Kammerdie Volksvertretung, zusammengetreten, bestehend aus 36 Abgeordneten und vorläufig bestellt durch die Nationalversammlung von Lushnje. Am 21. April 1921 wurde das Parlament zum ersten Mal in allgemeinen, gleichen, geheimen, aber indirekten Männerwahlen gewählt. Auf 12 000 Einwohner sollte ein Abgeordneter entfallen. Alle Männer im Alter von über 20 Jahren wählten in den Kommunen die Wahlmänner, einen auf je 500 Wähler, wobei die relative Mehrheit der Stimmen entschied. Die Wahlmänner bestellten vier Wochen später nach dem gleichen Wahlsystem in den Hauptorten der Distrikte die zuerst 78, ab 1925 95 Abgeordneten des Parlaments. In dieser Kammer begannen sich die Abgeordneten zu Fraktionen zu formieren, losen Zusammenschlüssen von Politikern, die temporär zusammenarbeiteten. Die „Volkspartei" trat für eine demokratische Republik, allgemeine Schulbildung und insbesondere für eine Agrarreform ein. Ihre Führer waren die in Westeuropa gebildeten nachmaligen Ministerpräsidenten Achmed Zogu, Xaver Ypi und Bischof S. Noli. Von dieser Gruppe, die ihr fortschrittliches Programm bald zugunsten einer konservativ-agrarischen Politik aufgab, spaltete sich noch 1921 eine „Unabhängige Partei" ab. Die Volkspartei besaß danach noch etwa 30 Abgeordnete im 1921 gewählten Parlament. Ebenso stark war eine zweite größere Gruppe, die von Stefquet Bey Verlaci geführte „Progressistische Partei", die ganz im Gegensatz zu ihrem Namen konservativ und agrarisch eingestellt war und in Opposition zum ursprünglichen Programm der Volkspartei, insbesondere

60

Regierungsübernahme und Diktatur Zogus

der Landreform, stand. Eine eigenartige politische Gruppierung stellte die „Geheiligte Union" dar, die nationalistisch gesonnen war und die Advokaten aller Parlamentsparteien umfaßte. Die Fraktionsfronten wurden zudem noch von dem Gegensatz zwischen Nord- und Südalbanern — Ghegen und Tosken — durchzogen, der auf die unterschiedliche Sozialstruktur der Gebiete zurückzuführen war. Die geringe innere Homogenität und die Vielfalt der Parlamentsgruppen führte zu instabilen Regierungsverhältnissen: zwischen Juli und Dezember 1921 wurden fünf verschiedene Regierungen gebildet. Koalitionen kamen wechselweise unter Führung der Volkspartei und der Progressistischen Partei zustande. Zwar hielt sich das Kabinett Ypi von Dezember 1921 an ein Jahr an der Regierung, aber erst als Achmed Zogu Dezember 1922 die Regierungsführung übernahm, kam in größerem Maße Stabilität in die albanische Politik. Er verstand es, sich aus konservativen Agrariern und Unabhängigen eine parlamentarische Anhängerschaft zu schaffen, die zwar auch nach den Wahlen von November/Dezember 1923 nicht die Mehrheit des Parlaments ausmachte, da sie von insgesamt 95 Abgeordneten nur etwa 40 umfaßte, die aber durch ihre relative Kohärenz hervorstach. Durch Aufgabe des Reformprogrammes sicherte Zogu sich die Unterstützung des Großgrundbesitzes und konnte, unterstützt von den 20 Abgeordneten der konservativen Progressistischen Partei, eine stabile Koalitionsregierung bilden. Gegen die Zogu-Gruppierung organisierte sich unter Führung des weiterhin westlich orientierten, fortschrittlichen Bischof Noli die „Demokratische Partei", ein Sammelbecken aller politischen und insbesondere persönlichen Gegner Zogus. Diese bald 45 Abgeordnete umfassende Gruppe verließ Juni 1924 das Parlament, führte einen Aufstand und Feldzug gegen Tirana und vertrieb die rechtmäßige Regierung Shefket Verlaci, die Zogu Februar 1924 nachgefolgt war. Mit dieser Revolte endete die repräsentativ-demokratische Phase der albanischen Verfassungsgeschichte. Nach 1924 hat es keine konkurrierenden Fraktionen mehr im Parlament gegeben und bis heute ist der Volksvertretung keine verfassungspolitische Bedeutung mehr zugekommen. Gegen das Regime Fan Noli, das seinem Versprechen, Neuwahlen abzuhalten, nicht nachkam, und dessen angekündigte Agrarreform am Widerstand der Großgrundbesitzer scheiterte, führte Zogu bereits im Dezember 1924 jugoslawische Truppen ins Land. Er vertrieb Noli, verfolgte dessen Anhängerschaft und bildete am 15. Januar 1925 eine neue Regierung. Den Rest der Nationalversammlung, die 1923 als Konstituante gewählt worden war, ließ er am 22. Januar 1925 die

Albanien

61

Republik proklamieren und ihn selbst wenig später für eine Amtsdauer von sieben Jahren zum Präsidenten wählen. Die gleiche Versammlung verabschiedete am 7. März 1925 eine neue Verfassung. Ihr zufolge war die Stellung des Präsidenten der Republik die feines verfassungsmäßigen Diktators. Er ernannte die Minister und leitete selbst den Ministerrat (Regierung), für dessen Beschlüsse aber nur die Minister verantwortlich waren. Diese Verantwortlichkeit bestand aber in der Praxis nicht gegenüber dem Parlament, welches sowieso oppositionslos war und vom Präsidenten jederzeit aufgelöst werden konnte, sondern ausschließlich gegenüber dem Staatschef. Dieser besaß ein absolutes Vetorecht in der Gesetzgebung und die alleinige verfassungsändernde Gewalt. Im neugeschaffenen Zweikammersystem bestand der Senat aus 18 Mitgliedern, von denen zwölf aus allgemeinen Wahlen hervorgingen, sechs vom Präsidenten ernannt wurden. Das Abgeordnetenhaus wurde indirekt auf vier Jahre gewählt. Seine Mitgliederzahl betrug zuerst 57, variierte aber infolge der Bestimmung, daß ein Abgeordneter auf 15 000 Einwohner entfallen sollte. Wahlberechtigt waren alle über 18 Jahre alten männlichen Albaner, wählbar männliche Bürger im Alter von über 30 Jahren, die lesen und schreiben konnten. In den Stimmbezirken bestellten die Wähler auf 250 Einwohner einen Wahlmann. Auf den Stimmzettel konnten so viele Namen geschrieben werden wie Wahlmänner zu bestellen waren. Die relative Mehrheit der Stimmen entschied. Die Wahl der Abgeordneten — für die Bewerbung genügten 15 Wählerunterschriften und die Zahlung von 100 Goldfranken — erfolgte in Wahlkreisen ( = Präfekturen) bei Stimmabgabe der Wahlmänner in den Unterpräfekturen. Erneut entschied die relative Mehrheit der Stimmen. Entgegen dem Verfassungsartikel, der bestimmte, daß die Staatsform unabänderlich sei, ließ Zogu sich von der Juli 1928 bestellten neuen verfassunggebenden und oppositionslosen Nationalversammlung am 1. September 1928 zum König „Zog I." wählen. Von ihr wurde am 1. Dezember 1928 eine neue, monarchische Verfassung verabschiedet. An der verfassungspolitischen Stellung Zogus änderte sich faktisch nichts. Wichtigste Neuerung war die Abschaffung des Senats. Die Bestellungsweise des Abgeordnetenhauses blieb unverändert. Obwohl König Zog verfassungsgemäß Wahlen abhielt und Parlamente einberief, kam diesen Wahlen und den Debatten der Volksvertretung keine politische Bedeutung zu. Das indirekte Wahlsystem erleichterte die Schaffung Zog-ergebener Parlamente. Die von den Urwählern in den Kommunen gewählten Wahlmänner konnten Wochen nach dem Wahltag nur von einer Liste offizieller Kandidaten die Abgeordneten bestellen. Zog I. nahm in die von ihm gebildeten Kabinette zumeist

62

Faschistische Periode/Besetzung/Widerstand

konservative Politiker auf, denn seine innenpolitische Machtbasis bildete unverändert der Großgrundbesitz. Soziale und wirtschaftliche Reformen blieben aus. Nur auf Druck der Opposition im Lande ernannte Zog 1935 eine mit reformfreudigen Kräften besetzte Regierung, deren fortschrittliche Politik aber scheiterte. In viel höherem Maße als von inneralbanischen Faktoren hing Zogs Regime wie auch jede andere Regierung vor ihm vom Verhältnis zum Ausland ab. Die Schutzbedürftigkeit des Landes war bedingt durch die labile wirtschaftliche Lage und vor allem durch die offenen Grenzfragen. Im Jahre 1923 hatte Albanien noch durdi Abtretung von Gebieten im Süden (Südepirus) die griechischen Ansprüche partiell befriedigt. Obwohl Zogu mit Hilfe der Jugoslawen 1924 wieder an die Macht gekommen war, suchte er die Protektion seines Regimes durch Italien. Nach Abschluß des Vertrages von Tirana vom 27. November 1926 wuchs der Einfluß Italiens in den Bereichen des Militärischen, der Verwaltung, der Banken, Wirtschaft und Erziehung des Landes derart, daß Italien faktisch Albanien kontrollierte. Als Zog I. auf innenpolitischen Drude hin die ausschließliche Abhängigkeit von Italien zu lösen suchte, förderte er die Tendenzen der faschistischen Führer, die Unabhängigkeit Albaniens auch nominell aufzuheben. Im April des Jahres 1939 besetzten italienische Truppen das Land, während König Zog nach Griechenland floh. Mit den Italienern kehrte Shefket Verlaci ins Land zurück und ließ sich von der machtlosen Nationalversammlung formell mit der Regierungsbildung beauftragen. Das albanische Parlament hob am 12. April 1939 die Verfassung auf und beschloß, Viktor Emanuel die Krone Albaniens anzubieten. Formell wurde das Land nun in Personalunion mit Italien regiert, faktisch stellte es eine italienische Provinz dar. Ohne Beratung verabschiedete die Nationalversammlung am 3. Juni 1939 eine neue, faschistische Verfassung, die alle Gewalt dem König zusprach, die Regierung ausschließlich von ihm abhängig machte und als Parlament einen „Hohen faschistisch-korporativen Rat" schuf. Dieser setzte sich zusammen aus dem Zentralrat und dem Direktorium der „Faschistischen Partei Albaniens", die erst am 21. April 1939 gegründet worden war, sowie den Mitgliedern des Zentralrats der korporativen Wirtschaft, die auf Vorschlag des Ministerpräsidenten und in Ubereinstimmung mit dem Generalsekretär der faschistischen Partei Albaniens vom König ernannt wurden. Im II. Weltkrieg wurde Albanien zum Aufmarsch- und Kampfgebiet Italiens gegen Griechenland und nach der italienischen Kapitulation im September 1943 von deutschen Truppen besetzt. Wie bereits die Italiener im Kriege gewährten die Deutschen den Albanern größere Autonomie und propagierten ein Groß-Albanien entsprechend dem

Albanien

63

ethnischen Grenzverlauf, um die albanische Bevölkerung zu gewinnen. Die deutsche Besatzungsmacht gestattete die Bildung eines Parlaments und eines Regentschaftsrates und führte mit diesen Zugeständnissen einen Machtkampf unter den Partisanengruppen herbei, deren organisatorische und programmatische Festigung auf das Jahr 1941 zurückging. Am 8. November 1941 war die Vereinigung der verschiedenen, überwiegend kommunistisch orientierten Widerstandsgruppen zur „Albanischen Partei der Arbeit" (PdA) erfolgt. Sie ging wesentlich auf die Initiative und Lenkung zweier Emissäre Titos zurück. Die Kommunisten versuchten nach Volksfronttaktik ein Bündnis mit den Nationalisten in der 1942 entstandenen „Nationalen Befreiungsbewegung" (LNC), in der sie die Führung in der Hand hielten. Sie sahen sich aber bald einer eigenständigen Organisation der Nationalisten, der „Nationalen Front" (Balli Kombetar, BK) gegenüber; zwischen beiden Gruppen kam es nach einem gescheiterten Zusammenschluß im „Komitee zur Nationalen Rettung" zum Bürgerkrieg, welcher über die Führung Albaniens in der Nachkriegszeit entschied. Trotz tatkräftiger Unterstützung durch die deutsche Besatzung konnte sich die BK unter Abas Kupi, die eine Rückkehr Zogus propagierte, nicht durchsetzen. Nach Bildung einer erneut überparteilich konzipierten Organisation, des „Antifaschistischen Nationalen Befreiungsrates" im Mai 1944 proklamierten die Kommunisten am 22. Oktober gleichen Jahres in Berat eine provisorische Regierung unter Führung ihres Parteichefs Enver Hodscha. Sie installierte sich einen Monat später nach Abzug der deutschen Truppen in Tirana und bekämpfte nun rigoros die oppositionellen Gruppen, deren Führer teils fliehen konnten, teils ergriffen und abgeurteilt wurden. Gestützt auf die politische und wirtschaftliche Hilfe des kommunistischen Nachbarn Jugoslawien gelang es dem Regime schnell, sich zu konsolidieren. Nach einem vom Antifaschistischen Nationalen Befreiungsrat am 27. September 1945 erlassenen Wahlgesetz wurden am 2. Dezember die Wahlen zu einer verfassunggebenden Nationalversammlung abgehalten. Wahlberechtigt waren alle Albaner beiderlei Geschlechts nach vollendetem 18. Lebensjahr, ausgeschlossen aber „alle Verräter, Volksfeinde und faschistischen Kollaborateure". Die „Demokratische Front" erhielt bei einer Wahlbeteiligung von 90,2 v. H . 93 v. H . der Stimmen. Nachdem am 11. Januar 1946 die Republik ausgerufen worden war, wurde am 14. März 1946 eine Verfassung verabschiedet, die ebenso wie die am 4. Juli 1950 eingeführte neue Verfassung eng an das sowjetische Vorbild von 1936 angelehnt war. Gegenüber der Verfassung von 1946, die die Basis der Änderungen in den politischen und

64

Verfassungs- und Wahlrechtsentwicklung nadi 1946

ökonomischen Verhältnissen legte, betonte die Verfassung von 1950 zusätzlich die führende Rolle der Partei der Arbeit (Art. 21). Nach beiden Verfassungen stellt die Volksversammlung das gewichtigste Verfassungsorgan dar, da die Regierung und das Präsidium der Volksversammlung von ihr gewählt werden und ihr formal verantwortlich sind. Dieser verfassungsrechtlich fixierte Staatsaufbau wird aber in der Praxis vor allem durch die Stellung und Funktion der kommunistischen Partei überspielt. Die Partei der Arbeit stellt das Zentrum der politischen Macht dar. Ihren Weisungen gemäß — teilweise durch personelle Identität garantiert — handeln die staatlichen Organe. Diese wie auch die privaten Organisationen setzen — nach dem Bild der Transmissionsriemen — die Beschlüsse der Partei in die Praxis um. Die autoritative, monopolistische Stellung der kommunistischen Partei kommt auch in der Bestellungsweise der Volksversammlung zum Ausdruck. Im Bereich der Kandidatenaufstellung übt sie die absolute Kontrolle aus. Die Volksversammlung geht aus „allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen "Wahlen" (VfsArt. 5) hervor. Die Wahlperiode beträgt vier Jahre. Die Mitgliederzahl der Volksversammlung ist variabel, effektiv seit 1946 ständig gestiegen. Nach dem Wahlgesetz vom 20. Januar 1946 entfiel ein Abgeordneter auf 10 000 Einwohner, seit 1958 auf deren 8 000. Wahlberechtigt ist jeder albanische Bürger beiderlei Geschlechts nach vollendetem 18. Lebensjahr. Gewählt wird in Einmannwahlkreisen nach absoluter Mehrheitswahl. Erhält keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit der Stimmen oder beteiligen sich weniger als 50 Prozent der eingeschriebenen Wähler an der Abstimmung, so findet eine Stichwahl bzw. ein zweiter Wahlgang statt. Nach den Wahlgesetzen von 1946 und 1950 erfolgte die Stimmabgabe nach dem Kugelsystem. Es wurden Urnen in einer Anzahl aufgestellt, die um eins höher lag als die Zahl der sich bewerbenden Kandidaten. Der Wähler steckte seine Hand in alle Urnen und deponierte seine Stimmkugel in der Urne des Kandidaten, den er zu wählen beabsichtigte. Seit dem Wahlgesetz von 1958 wird mittels Stimmzettel gewählt. Der Wähler kann alle Kandidatennamen bis auf einen von der Liste streichen. Das Wahlgesetz geht von einer Kandidatenkonkurrenz im Wahlkreis aus. Durch das Nominierungsmonopol der kommunistisch gelenkten Organisationen und die Praxis, in den Wahlkreisen jeweils stets nur einen Kandidaten der DF aufzustellen, wird tatsächlich nur über einen Kandidaten abgestimmt; die Wahl wird zur Abstimmung. Der Stimmberechtigte kann auf dem Stimmzettel nichts verändern, wenn seine Stimmabgabe nicht ungültig sein soll. Die Bewerbung nur

65

Albanien

eines Kandidaten und die Technik der Wahl laufen darauf hinaus, eine offene Stimmabgabe zu erreichen. Da die allgemeine Zustimmung mathematisch nur noch unwesentlich gesteigert werden kann — sie erhöhte sich von 1950: 98,18 v. H . auf 1962: 99,99 v. H . der Abstimmenden —, wird gerade in der Form emphatisch-ostentativer Zustimmung zu den Kandidaten der DF ein höherer Grad an Demokratie gesehen. Enver Hodscha, der bislang die Partei fest in der Hand hält, konnte politische Richtungsveränderungen nach Auseinandersetzungen im kommunistischen Lager, so 1948 nach dem Bruch zwischen Tito und Moskau zugunsten der Sowjetunion, in den sechziger Jahren im Konflikt Peking—Moskau zugunsten der Rotchinesen, ohne Schaden für seine Person und Stellung vornehmen und mit umfangreichen Säuberungen koppeln. Allerdings hat Hodscha bereits im Jahre 1954 den Regierungsvorsitz an Mehmet Shehu abgetreten und damit dem Prinzip kollektiver Führung entsprochen. Die soziologische Struktur der Partei der Arbeit hat sich erst gegen Ende der fünfziger Jahre zugunsten der Arbeiter gewandelt (1961: 29,66 v. H . der Mitglieder gegenüber 19,76 v. H . im Jahre 1956). Laut regimeeigenen Angaben machen aber die Werktätigen in Stadt und Land nur etwas mehr als die Hälfte der Mitglieder aus (1961: 56,43 v. H.). Die Altersstruktur der Volksversammlung zeigt ein Vorherrschen relativ junger Abgeordneter. Bei den Wahlen von 1962 kamen nur 33 über 51 Jahre alte Abgeordnete ins Parlament. Ihnen gegenüber standen 79 Abgeordnete im Alter von 31 bis 40 Jahren und acht 20 bis 30jährige. Im Parlament überwiegen die Funktionäre mit 49,50 v. H . der Abgeordneten als stärkste berufliche Gruppierung. Von den unter der Berufsbezeichnung Arbeiter und Bauern rangierenden 63 v. H . der Abgeordneten sind effektiv nur 24 v. H . in der Industrie und Landwirtschaft tätig. Anhang Wahlstatistik: Tabelle A 1: Ergebnisse der Wahlen zur albanischen Volksversammlung

Jahr 1945 1950 1954 1958 1962 1966

Zahl Zahl der der StimmAbMandate berechtigte stimmenden 82 603 566 542 400 121 641 241 637 578 134 702 476 701 942 188 788 250 788 123 214 889 375 889 868 240 978 157 978 161

in °/o 89,81 99,43 99,92 99,98 99,99 99,99

für die DF

in °/o

gegen die D F

505 626 700 787 889 978

93,16 98,18 99,86 99,96 99,99 99,99

37 096 11 337 959 261 40 3*

304 005 983 812 828 114

* = 40 Stimmzettel waren ungültig. (Quelle: Statistical Year Book of PRA, 1965; AdG, jeweiliges Jahr) 5

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

Wahl der Parlamente

66 II. Systematischer

Teil

Gesetzliche Grundlagen: 17. März 1966. Parlament: lament.

„Kuvendit

Verfassung von 4. Juli 1950: Wahlgesetz vom Popullor"

(Volksversammlung);

Einkammerpar-

Mitgliederzahl: Variierend; ein Abgeordneter soll auf 8000 Einwohner entfallen (VfsArt. 44, WG Art. 8); gegenwärtig 240. Wahlperiode: Vier Jahre (VfsArt. 45). Vorzeitige Auflösung: In Vf. und WG nicht vorgesehen. Nachwahlen: Bei Freiwerden eines Mandats Nachwahl innerhalb von zwei Monaten (WG Art. 96). Wahlrechtsgrundsätze: „Alle Macht in der Volksrepublik Albanien gehört den Werktätigen in Stadt und Land, vertreten durch die Volksräte" (Vfs Art. 4). „Alle Vertretungsorgane der Staatsmacht werden von den Bürgern auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen, direkten Wahlrechts in geheimer Abstimmung gewählt" (VfsArt. 5, ebenso Art. 16). Zu Gehalt und Bedeutung der formalen Rechtsbestimmungen siehe Sowjetunion-Artikel S. 1199 ff. Aktives Wahlrecht: „Alle Bürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, besitzen ohne Unterschied des Geschlechts, der Nationalität, der Rasse, des Glaubensbekenntnisses, des Bildungsgrades oder des Wohnsitzes das Recht zu wählen . . ( V f s A r t . 16; WG Art. 2). Ausschließungsgründe: Aberkennung des Wahlrechts kann erfolgen aufgrund eines Gesetzes, durch Gerichtsurteil und durch Erklärung der Geschäftsunfähigkeit (WG Art. 2). Passives Wahlrecht: Wie aktives Wahlrecht geregelt. Inkompatibilitäten:

In Vf. und WG nicht geregelt.

Vorzeitige Abberufung: „Die Volksvertreter aller Organe sind ihren Wählern rechenschaftspflichtig. Die Wähler haben das Recht, ihre Volksvertreter jederzeit abzuberufen (VfsArt. 5). Zur Durchführung dieses Artikels bestimmt das Gesetz Nr. 4204 vom 23. Dezember 1966 über die Abberufung von Abgeordneten der Volksversammlung, das seit 14. Januar 1967 in Kraft ist, folgendes: Die Abberufung kann erfolgen, wenn der Abgeordnete seine Pflicht als Vertreter des Volkes nicht erfüllt hat, das Vertrauen der Wähler verloren oder Handlungen begangen hat, die mit seiner Würde nicht vereinbar sind (Art. 2). Das Vorschlagsrecht zur Rückberufung besitzen jene Organisationen, denen die Kandidatennominierung vorbehalten ist (Art. 3). Die Abberufung erfolgt auf Beschluß der Mehrzahl der Wähler des betreffenden Wahlkreises (Art. 2) bzw. der Mehrzahl der bei der Rückberufungsversammlung anwesenden Wähler (Art. 10). Die Massenorganisationen, welche die Rückberufung vorschlagen, müssen den Abgeordneten davon unter Anführung der Gründe in Kenntnis setzen. Der Abgeordnete kann sich vor der Massenorganisation schriftlich oder mündlich verantworten

Albanien

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(Art. 4). Die Abstimmung über die Abberufung erfolgt offen (Art. 5). Die Überwachung der Abstimmung obliegt einer Kommission, die aus einem Leiter, einem Sekretär und drei Mitgliedern besteht und die vom Exekutivkomitee der Volksräte des betreffenden Wahlkreises eingesetzt wurde (Art. 6). Nehmen an der Rückberufungsversammlung weniger als die Hälfte der Wähler teil, wird eine neuerliche Abstimmung ausgeschrieben (Abb. 12). Wahlpflicht: besteht nicht. Wahlsystem: Absolute Mehrheitswahl mit Stichwahl in Einmannwahlkreisen. Das Land ist in so viele Wahlkreise eingeteilt, wie Abgeordnete zu bestellen sind. Die Kandidaten, die in den Wahlkreisen die absolute Mehrheit der Stimmen erreichen, gelten als gewählt. Die Zahl der in einem Wahlkreis abgegebenen Stimmen darf aber nicht weniger als die Hälfte der Zahl der Wahlberechtigten sein. Andernfalls wird eine Neuwahl für einen nicht späteren Termin als zwei Wochen nach der ersten Wahl angesetzt. Erreicht kein Wahlkreiskandidat die absolute Mehrheit der Stimmen, wird eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten innerhalb von zwei Wochen stattfinden, die die höchste Stimmenzahl erhalten haben (WG Art. 47, 48). Wahlbewerbung: Die Kandidatenaufstellung wird durch die Partei der Arbeit und eine Vielzahl gesellschaftlicher Organisationen vorgenommen: die Vereinigung der Werktätigen, die Demokratische Front, die Gewerkschaften, Genossenschaften, Jugend- und Frauenorganisationen sowie andere Massenorganisationen, die in der gesetzlich vorgeschriebenen Form registriert sind. Das Recht der Kandidatenaufstellung haben sowohl zentrale wie auch örtliche Organe der angegebenen Organisationen (WG Art. 18). Die Registrierung der Kandidaten erfolgt bei den Wahlkreis-Wahlkommissionen. Gegen deren Ablehnung der Registrierung kann vor der zentralen Wahlkommission Einspruch erhoben werden, deren Entscheidung endgültig ist (WG Art. 19, 20). Bei der Registrierung sind vorzulegen: a) das Protokoll der Versammlung, auf der der Kandidat f ü r die Wahlen aufgestellt wurde, enthaltend Angaben zur Person des Kandidaten, auch über seine eventuelle Zugehörigkeit zur Partei der Arbeit, die Zahl derjenigen Personen, die an der Versammlung teilgenommen haben sowie die Unterschriften der Mitglieder des Präsidiums der Versammlung; b) eine Erklärung des Kandidaten, daß er mit seiner Nominierung in dem betreffenden Wahlkreis und seitens der ihn aufstellenden Organisationen einverstanden ist (WG Art. 21, 22). Wahlorganisation: Wahlbehörden: Es werden gebildet: eine Zentrale Wahlkommission, die sich zusammensetzt aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und zehn Kommissionsmitgliedern; Wahlkreis-Wahlkommissionen in jedem Wahlkreis, bestehend aus einem Vorsitzenden, einem Sekretär und drei Kommissionsmitgliedern; Wahlbezirks-Wahlkommissionen in jedem Wahlbezirk, denen jeweils ein Vorsitzender, ein Sekretär und bis zu drei Kommissionsmitgliedern angehören (WG Art. 14,15). Alle Wahlkommissionen werden gebildet aus Vertretern der Gewerkschaftsorganisationen, der genossenschaftlichen Organisationen, der Organisation

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Wahl der Parlamente

der Partei der Arbeit, der Demokratischen Front, der Jugend- und Frauenorganisationen, der kulturellen, technischen und wissenschaftlichen Gesellschaften und der anderen gesellschaftlichen Organisationen, die in der gesetzlich vorgeschriebenen Form registriert sind, und aus Vertretern der Arbeiter und Angestellten der Betriebe und Institutionen, der Militärangehörigen in den Truppenteilen, der Versammlungen der Bauern in den landwirtschaftlichen Genossenschaften und Dörfern und der Versammlungen der Arbeiter und Angestellten der staatlichen Landwirtschaftsbetriebe (WG Art. 14; WG 1958 Art. 34, 38, 42). Wählerverzeichnisse: Sie werden in den Städten von den Exekutivkommitees der Stadtvolksräte und in den Dörfern von den Exekutivkommitees der zuständigen Gemeindevolksräte fallweise aufgestellt. Zwanzig Tage vor dem Wahltermin werden die Wählerlisten in den Räumen des Volksrates oder im Wahllokal öffentlich ausgelegt (WG Art. 4, 5). Einspruchsverjahren: Werden falsche Eintragungen (Streichung oder Nichtaufnahme von Wahlberechtigten) beanstandet, so kann Einspruch beim Volksgericht des Ortes eingelegt werden, das in öffentlicher Gerichtsverhandlung innerhalb von drei Tagen entscheidet (WG Art. 6, 7). Wahltermin: Der Tag der Wahl wird spätestens zwei Monate vor den Wahlen festgelegt. Die Wahlen finden an einem arbeitsfreien Tage statt (WG Art. 26). Wahllokal: Auf jeden Wahlbezirk entfällt ein Wahllokal. Je 500 bis 1500 Einwohner bilden einen Wahlbezirk. Siedlungen mit mehr als 100 und weniger als 500 Einwohner erhalten dann ein eigenes Wahllokal, wenn sie mehr als fünf Kilometer vom nächsten Wahlbezirk entfernt liegen. Militärische Einheiten, Krankenhäuser, Schiffe auf See, diplomatische Vertretungen im Ausland, bilden besondere Wahlbezirke, wenn eine Mindestzahl von Wählern gegeben ist: sie beträgt in Krankenhäusern 15, bei militärischen Einheiten 10, auf Schiffen 7 und bei diplomatischen Vertretungen 5 Wähler (WG Art. 9—12). Wahlzeit: Von 6.00 bis 20.00 Uhr (WG Art. 27). Stimmabgabe: Die Abstimmung ist geheim (WG Art. 1) und persönlich vermittels Stimmzettel (WG Art. 30). „Ein Wahlberechtigter, der infolge eines körperlichen Gebrechens oder aus irgendeinem anderen Grunde verhindert ist, persönlich im Wahllokal zu erscheinen, hat, um abstimmen zu können, das Recht zu fordern, daß ihm die Wahlbezirkskommission durch eines ihrer Mitglieder die zweite Wahlurne zuschicken, die sich in jedem Wahllokal befindet" (WG Art. 30). Schutz der Wahlhandlung: „Während der Zeit der Abstimmung ist im Wahllokal keinerlei Agitation gestattet" (WG Art. 32). Briefwahl: Besteht nicht. Stimmauszählung: Sie erfolgt im Wahllokal durch die Wahlbezirks-Wahlkommissionen. Besonders bevollmächtigte Vertreter der nominierenden Organisationen sowie Vertreter der Presse haben das Recht, an ihr teilzunehmen (WG Art. 35). Aufgrund der Abstimmungsprotokolle führen die Wahlkreis-

Albanien

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Wahlkommissionen die Zählung der Wahlkreise durdi und verkünden das Wahlergebnis (WG Art. 15 c). Wahlanfecbtung: Im WG nicht vorgesehen. Wahlprüfung: Ebenfalls in Vf. und WG nicht geregelt. Bibliographie 1. Quellen: Verfassung vom 10. August 1914; Statut vom 9. Februar 1920; Verfassung vom 7. März 1925; Verfassung vom 3. Juni 1939; Wahlgesetz vom 27. September 1945; Verfassung vom 14. März 1946; Verfassung vom 4. Juli 1950; Wahlgesetz vom 20. Januar 1950; Wahlgesetz vom 7. März 1958; Wahlgesetz vom 17. März 1966. 2. Quellenpublikationen: Republikanische Vf. vom 7. März 1925 in: JöR, Bd. 14 (1926); Monarchische Vf. in: A I I D P , 1930; Faschistische Vf. in: Bolletino Parlamentare, Rom 1939; Kommunistische Vf. in: Mirkine-Guetzdvitch I, S. 157 ff.; dtsch: Verfassung der Volksrepublik Albanien (Stand vom 31. März 1960), Berlin 1960; WG von 1958 in: Das Wahlrecht der Sozialistischen Staaten Europas, Red. H . Engelbert, Berlin-Ost 1958; WG von 1966 in: Gazeta Zyrtave, N r . 2 (1966), S. 25—34; Kupric, N. Ja. (Hrsg.): Konstitucija i osnovnyje zakonodateljnyje akty Narodnoj Respbliki Albanij (Die Verfassung und die grundlegenden Gesetze der Volksrepublik Albanien), Moskau 1951. 3. Auswahl

aus dem

Schrifttum:

PolGesch. Skendi, St.: Albanien Political Thought and Revolutionary Activity 1881—1912, in: Südost - Forschungen X I I (1954), S. 1—40. ders.: The Political Evolution of Albania 1912—1944, N e w York 1954. Giannini, Α.: L'Albania, dall' independenzia all' unione con l'ltalia 1913— 1939, Mailand 1940. Swire, }.: Albania, the Rise of a Kingdom, London 1929. ders.: King Zogs Albania, London 1937. Zavalani, T.: Albania under N a z i Oppression, London 1943.

W o l f f , R. L.: The Balkans in Our Time, Cambridge 1956. Skendi,

St.: Albania, London 1957.

VrSt./VfsGesdi.

Kempner - Rotta,

M. W.:

Albaniens

Staatsverfassung, in: JöR, Bd. 14 (1926), S. 484 ff. ders.: The new Constitution of Albania. A Model Constitution for European Vassal States, in: Tulane Law Review, X V (1941). Schwanke, R.: Staat und Recht in Albanien seit dem Jahre 1945, in: JbOstR, Bd. 2 (1961), S. 187 ff.

Dieter Nohlen

ANDORRA

I. Historischer Τeil Das Pyrenäenland Andorra (Les Valls d'Andorra) ist kein souveräner Staat und besitzt keine geschriebene Verfassung. Die Institutionen des Landes gründen sich auf die geschichtliche Entwicklung. Die völkerrechtliche Vertretung wird von Frankreich ausgeübt, das jedoch der Zustimmung des spanischen Bischofs von Seo de Urgel bedarf. Grundlage der Beziehungen Andorras zu seinen Nachbarstaaten bildet bis heute die „Pareatje" von 1278, eine Art Abkommen zwischen den Fürsten, die als Schutzherren des Landes auftreten: dem Bischof von Seo de Urgel, einer südlich von Andorra gelegenen kleineren Stadt, und dem Grafen von Foix, dessen Titel an die französische Krone fiel. Diese beiden „Seigneurs" (Lehens- oder Gemeinfürsten) üben ihre Rechte in Andorra gemeinsam durch zwei „Viguiers" (Statthalter) aus. Der Bischof von Seo de Urgel bestellt seinen Vertreter, der allerdings Andorraner sein muß, auf drei Jahre, wobei eine Wiederernennung möglich ist. Frankreich wird vertreten durch den jeweiligen Präfekten des Departement Pyrenees-Orientales in Perpignan, gemäß den französischen Dekreten vom 3. Juni 1882 und 27. Februar 1884. Der Umfang der Kompetenzen, die beiden Seigneurs zustehen, ist allerdings unbestimmt. Abgesehen von den feudalrechtlichen Bestimmungen der „Pareatje", auf Grund derer Andorra noch heute den beiden Seigneurs eine Art Tribut zahlt, beruhen sie auf Herkommen und haben deshalb stets Anlaß zu Streitigkeiten zwischen den Schutzherren und den Selbstverwaltungsorganen Andorras gegeben. Wenn auch letztere, vor allem der „Rat der Täler" (Consell General de las Valls) als die zentrale Volksvertretung, immer mehr Kompetenzen der Seigneurs an sich gezogen haben - etwa das Recht der Steuererhebung sowie die allgemeine Verwaltung des Landes - , so sind weitgehende Zuständigkeiten der Seigneurs aufrecht erhalten worden, beispielsweise in der ursprünglich ihnen allein zustehenden Gesetzgebung. Die Gesetzentwürfe des Rats der Täler bedürfen der Gegenzeichnung durch die Seigneurs. Der Rat, der sich früher viermal im Jahr, heute vierzehntäglich, versammelt, bestellt das im Bereich der Selbstverwaltung leitende Organ, die beiden „Syndics" (Präsident und Vizepräsident). Diese bleiben allerdings in ihrer Amtsführung in äußerster Abhängigkeit vom Rat, an dessen Weisungen und Beschlüsse sie gebunden sind.

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Wahlreform 1866—1959

Vor 1866 besaßen nur einige Großgrundbesitzerfamilien das aktive und passive Wahlrecht. Die 24 Abgeordneten des Rats wurden dabei indirekt von den Gemeinderäten gewählt. Im Wahlverfahren zu den Gemeinderäten der sechs Pfarrschaften (Canillo, Encamp, La Massana, Andorra la Vella, San Julian de Loria und Ordino), in die das Land entsprechend seinen sechs Bergtälern eingeteilt ist, hat sich bis heute nur wenig geändert. Ein Gemeinderat besteht aus zehn Mitgliedern und wird bei zweijährlicher Halberneuerung von den Wahlberechtigten und aus ihrer Mitte - ehemals bei offener Stimmabgabe - gewählt. Dabei entscheidet im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit, bei der Stichwahl im zweiten und dritten Wahlgang zuerst die absolute, dann die relative Majorität, bei Stimmengleichheit schließlich das Los. Durch die Reform vom 31. Mai 1866 - Auswirkung der demokratischen Strömungen Europas von 1848 - wurde das Wahlrecht allen Familienvorständen, „caps de casa", zuteil. „Das Wahlrecht haftete real am Haus und personal am Vorstand des Haushalts" (Loewenstein). Eine weitere Ausweitung des Wahlrechts schien unumgänglich, als mit dem Bau eines Elektrizitätswerkes für die katalanische Industrie 1929-1932 Andorra wirtschaftlich und sozial eine gewisse, wenn auch noch schwache Angleichung an seine republikanischen Nachbarn erfuhr. Die demokratischen Forderungen der Jugend, die April 1933 von den Bergdörfern ins Tal kam und vom widerstrebenden Rat der Täler das allgemeine Wahlrecht für alle Männer vom 25. Lebensjahr an verlangte und schließlich erzwang (Dekret des Rats vom 5. April 1933), wurden von den Seigneurs unterstützt (Dekret vom 17. Juni 1933), nachdem sie vorher den alten Rat der Täler für aufgelöst erklärt hatten. Die Streitigkeiten zwischen dem Rat, der die Verteidigung der politischen Vorrechte der Großgrundbesitzer übernahm, und den Seigneurs führte nach einer kurzzeitigen Besetzung des Landes durch französische Gendarmen zur Neuwahl des Rats der Täler am 31. August 1933 auf der Grundlage des aktiven und passiven Wahlrechts für alle männlichen Andorraner vom 25. respektive 30. Lebensjahr an. Diese Regelung gilt bis heute, wurde allerdings für die Wahlen der Zeit zwischen Oktober 1941 und August 1947 außer acht gelassen, als wieder nach den Maßstäben der Reform von 1866 gewählt wurde. Mit Dekret vom 23. August 1947 bestätigten die Viguiers erneut das allgemeine Männerwahlrecht der Andorraner über 25 Jahren. Eine wirksame, die Veränderung der politisdien Struktur des Landes nach sich ziehende Ausweitung des Wahlrechts (wahlberechtigt 1932 = 535, 1937 = 918 Andorraner; nach Vidal) ist aber bis heute insbesondere an den traditionellen Bestimmungen über den Erwerb der andor-

73

Andorra

ranischen Staatsbürgerschaft gescheitert (ein in Andorra geborener Ausländer erhält diese für seine Nachkommen erst in der dritten folgenden Generation). Da nur Andorraner wahlberechtigt sind, diese aber nur etwa 4 0 % der ständigen Bevölkerung Andorras ausmachen, ist die Diskrepanz zwischen der effektiven Einwohnerzahl und der Zahl der politischen Aktivbürger beträchtlich. Für 1963 ergaben sich folgende Daten: Bevölkerung Andorras davon Andorraner davon wahlberechtigt

11 356 3 784 1 176

(Spanier: 7 064;

Franzosen: 407)

(Quelle: Sekretariat des Rats der Täler)

In den Rat der Täler entsendet jede der sechs Pfarrschaften vier Abgeordnete; die Mandate werden alle zwei Jahre halberneuert. Die Pfarrschaft Andorra ist in zwei Wahlkreise: Andorra und Escaldes eingeteilt, in denen bei jeder Wahl jeweils nur ein Abgeordneter gewählt wird, obwohl diese Wahlkreise jeweils eine größere Wählerzahl besitzen als jede der restlichen Pfarrschaften. Die Wahlkreiseinteilung erfolgt weder nach der Bevölkerungs- noch nach der Wahlberechtigtenzahl; vielmehr scheint hier der Gedanke der territorialen Repräsentation weiter lebendig zu sein. In den sieben Wahlkreisen versammeln sich die Wahlwilligen am Wahltage und schreiten zur seit 1959 geheimen Wahl. Da es keine Parteien gibt und keine offiziellen Kandidaturen vorliegen, kann der Wähler jeden beliebigen Andorraner und soviele, wie Abgeordnete zu bestellen sind, aus dem Kreis derjenigen wählen, die die Bedingungen des passiven Wahlrechts (Alter 30 Jahre, unbescholtener Lebenswandel) erfüllen. Dem kleinen Kreis der Wahlberechtigten in den Gemeinden ist allerdings gewöhnlich bekannt, wer einmal für das Amt geeignet und wer zum anderen überhaupt an einer Wahl interessiert ist. Bei den letzten Wahlen hat sich die Werbetätigkeit von Personen, die eine Wahl anstreben, verstärkt, so daß die politischen Sitten namentlich unter dem Einfluß des französischen Nachbarlandes einem langsamen Umwandlungsprozeß zu unterliegen scheinen. Die versammelte Wählergemeinde wählt die Mitglieder des Rats nach dem gleichen Verfahren wie die Abgeordneten des Gemeinderats. Wahlreklamationen werden nicht den gewählten Körperschaften zugeleitet, sondern den Seigneurs respektive Viguiers, die die Untersuchungen führen und über die Gültigkeit der Wahl entscheiden, gegebenenfalls eine Neuwahl vorschreiben. Eine neuerliche Beteiligung der Wahlberechtigten an der politischen Willensbildung kann bei Problemen, die allgemein von großem Inter-

Wahlpraxis

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esse für das Land sind, über die Institution der „assamblea magna" erfolgen. Die Initiative dazu besitzt der Rat der Täler; er machte noch 1959 und 1962 von ihr Gebrauch. In den Wahlkreisen können die Wahlberechtigten zusammengerufen werden und über das vom Rat delegierte, besondere Problem beraten. Diese Wählerversammlungen entsenden darauf vier Vertreter (zumeist die zwei Bürgermeister [Konsuln] der Pfarrschaften und zwei von der Versammlung gewählte Vertreter) mit einem „mandat special", der erarbeiteten Stellungnahme des Wahlkreises, zum Rat der Täler, der mit diesen insgesamt 24 Vertretern zu einer gemeinsamen Sitzung, eben der assamblea magna, zusammentritt. In dieser Sitzung wird bei Stimmberechtigung aller Mitglieder der Versammlung über den beratenden Gegenstand Beschluß gefaßt. Der geringe Prozentsatz der Wahlberechtigten (etwa zehn Prozent) auf die Bevölkerung ist Reflex der Tatsache, daß Andorra auch weiterhin unter der Herrschaft des Großgrundbesitzes steht, dem der Tourismus wirtschaftlich ein neues Feld erschlossen hat. Einer Demokratisierung der politischen Struktur würde auch eine Ausweitung der Zuständigkeiten des Rats der Täler förderlich sein, in dem Sinne, daß Andorra — auf Kosten der Rechte der Seigneurs — ein in seiner Funktionsausübung unabhängiges und in seinem Funktionsbereich vollwertiges Parlament erhielte.

Anhang Wahlstatistik: Tabelle A 1: Wahlen von 1963 Wahlkreise Canillo Encamp Ordino La Massana Andorra la Vella Escaldes San Julian d. Loria Insgesamt

Einwohner

Andorraner

Wahlberechtigte

Wähler

426 1 096 381 601 4 038 3 176 1 638

364 231 275 397 914 984 619

138 150 110 138 223 177 140

41 72 36 91 186 160 80

11 356

3 784

1 176

666

(Quelle: Sekretariat des Rats der Täler [über frühere Wahlen sind die Unterlagen teils sehr lückenhaft, teils überhaupt nicht vorhanden])

Andorra

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II. Systematischer Teil Gesetzliche Grundlagen: „Plan de reforma adoptat en las Valls d'Andorra per lo nombrement de concellers, consuls y dem6s autoritas y commissionats" vom 31. Mai 1866 ( = PdR); Dekrete vom 17. Juni 1933, 23. August 1947 und Verordnung 16 a des Jahres 1959. Parlament: „Concell General de las Valls d'Andorra" (Rat der Täler), Einkammer-Parlament. Mitgliederzahl: 24, je 4 aus jeder Pfarrschaft (PdR Art. 7). Wahlperiode: 4 Jahre, Halberneuerung alle 2 Jahre (PdR Art. 8). Aktives Wahlrecht: Alle männlichen Andorraner über 25 Jahre, die in Andorra wohnhaft sind und einen unbescholtenen Lebenswandel führen; Nicht-Andorraner, die eine andorranische Alleinerbin geheiratet haben und zumindest seit 3 Jahren in Andorra ansässig sind (PdR Art. 1; WD 1947 Art 3 b). Ausschließungsgrund: Schulden bei Gemeinde und Land. Passives Wahlrecht: Alle männlichen Andorraner über 30 Jahren, die in Andorra wohnhaft sind, die verantwortungsbewußt sind und einen unbescholtenen Lebenswandel führen (WD 1947 Art. 3 a). Wahlpflicht: Besteht nicht; dagegen Pflicht der Annahme der Wahl außer bei vorgeschrittenem Alter (60 Jahre) oder Ausübung eines öffentlichen Amtes während der letzten 4 Jahre (PdR Art. 10). Wahlsystem: Absolute Mehrheitswahl mit Stichwahl; zwei Stichwahl-Verfahren: im ersten entscheidet die absolute Mehrheit der Stimmen der Wähler, die sich am ersten Wahlgang beteiligten, im zweiten Stidiwahl-Verfahren die relative Majorität. Bei Stimmengleichheit erfolgt Losentscheid. 7 Wahlkreise: 5 Wahlkreise stellen je 4 Abgeordnete, 2 Wahlkreise je 2 Abgeordnete. Der Wähler hat soviel Stimmen, wie Abgeordnete zu wählen sind; infolge Halberneuerung in 5 Wahlkreisen je 2 Stimmen, in 2 Wahlkreisen je eine Stimme (PdR Art. 5, 7). Wahlbewerbung: Gesetzlich nicht geregelt, erfolgt in der Praxis persönlich, nicht über Parteien und Listen; Wahlvorschlag kann aus der Wählerschaft selbst kommen im Akt der Wahl. Wahlorganisation: Beruht mehr auf Gewohnheiten denn auf gesetzlichen Bestimmungen. Wahlbehörden: In jedem Wahlkreis von den lokalen Gremien bestellt. Wählerverzeichnisse: Fallweise aufgestellt in den Wahlkreisen; öffentlich zum Aushang gebracht in den Gemeinden; Einspruchsrecht der Einwohner bei Nichtberücksichtigung; Prüfung und Entscheid durch die Wahlbehörde. Wahltermin: Alle zwei Jahre Anfang bis Mitte Dezember. Wahlzeiten: 10 bis 17 Uhr. Stimmabgabe: Persönlich und geheim. Stimmauszählung: Im Wahllokal. Wahlprüfung: Bei Anfechtung: durdi die Viguiers.

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Wahl der Parlamente

Bibliographie 1. Quellen: „Nova Reforma" vom 22. April 1866, „Plan de R e f o r m a . . . " , vom 31. Mai 1866; Dekrete vom 5. April 1903, 19. Dezember 1917, 5. April 1933, 17. Juni 1933, 5. Mai 1945, 20. November 1945, 23. August 1947 und Verordnung 16 a des Jahre 1959. 2. Quellenpublikationen: Guetzevitdi, I, S. 280 ff.

Text der Plan de Reforma . . . " in Mirkine-

3. Auswahl aus dem Schrifttum:

Vidal y Guitard, J. M.: Instituciones

Loewenstein, K.: Eine Verfassung im Mikroskop; Staatsrechtliche Betrachtun-

politicas y soziales de Andorra, Madrid 1949.

gen zu den Verfassungswirren in An-

Riberayagua Argelich, B.: Les Valls

dorra; ZöffR, Bd. 24 — 1934.

d'Andorra, Barcelona 1954.

Dieter Nohlen

BELGIEN

I. Historischer

Teil

Im Jahre 1830 lösten sich die belgischen Provinzen durch die Ende August entfachte Revolution aus dem Staatsverband des Vereinigten Königreiches der Niederlande, dem sie seit 1815 angehört hatten. Der Widerstand gegen diese Vereinigung, die mit auf den Beschluß des Wiener Kongresses zurückging, war bereits in der Ablehnung der niederländischen Verfassung durch eine Notabelnversammlung der belgischen Provinzen am 18. August 1815 in Brüssel zum Ausdruck gekommen — hier stimmten von den insgesamt 1604 ernannten Notabeln 1323 ab und von ihnen 796 mit nein —; er verstärkte sich noch, als zu dem traditionellen Konfessionsgegensatz der beiden Landesteile verfassungspolitische Differenzen traten. Der Süden zeigte sich einer liberalen Verfassungsentwicklung gegenüber aufgeschlossener und sah zunehmend in der autoritären Regierungsweise des Oraniers Wilhelm Friedrich eine Unterdrückung durch den Norden. In dem Maße, wie sich der politische Katholizismus unter dem Einfluß der Ideen Lamennais fortschrittlich entwickelte, fanden Liberale und Katholiken zu einer engeren Zusammenarbeit im Kampf für politische Freiheit und konfessionelle Gleichstellung, der 1830 — beeinflußt von den Juli-Ereignissen in Frankreich — in der Revolution endete. Im September 1830 erklärte eine provisorische Regierung die Unabhängigkeit und bereitete mit der Verordnung vom 10. Oktober gleichen Jahres Wahlen zu einem Nationalkongreß vor, dessen Aufgabe es sein sollte, die von einem Verfassungsausschuß ausgearbeitete Verfassung zu beraten und zu verabschieden. Das bisherige niederländische Zensuswahlrecht wurde partiell beibehalten. In direkter Wahl wurden 200 Abgeordnete bestellt. Wahlberechtigt waren in den Städten männliche Belgier im Alter von über 25 Jahren, die einen Zensus entrichteten, der pro Stadt variierte: In den kleineren luxemburgischen Städten betrug er 13 Florin (Fl.), in den Städten mittlerer Größe 30 bis 50 Fl., in Antwerpen 130 Fl., in Brüssel schließlich 150 Fl. Der Zensus, den die Landbewohner entrichten mußten, um das Wahlrecht zu erhalten, wurde gegenüber der niederländischen Qualifikation im Dekret vom 16. Oktober 1830 um 50 v. H. auf 25 bis 75 Fl. gesenkt. Schließlich erhielten noch sog. Kapazitäten — Besitzer eines Universitätsdiploms, Magistraten, Advokaten, Richter, Notare und Geistliche — das aktive Wahlrecht ohne jeglichen Zensusnachweis. Zum passiven Wahlrecht bestand allein eine

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Revolution/Nationalkongreß/Verfassung von 1831

Altersbedingung, die zudem noch von 30 auf 25 Jahre gesenkt wurde. Die Zahl der eingeschriebenen Wähler erhöhte sich auf etwa 46 000, womit bei einer Bevölkerung von über vier Millionen Einwohnern annäherungsweise ein Prozent wahlberechtigt wurde. Die Wahl erfolgte im Hauptort eines jeden Verwaltungsbezirks (später Arrondissement). Die Wahlberechtigten wurden zur Stimmabgabe aufgerufen. Die relative Mehrheit der Stimmen entschied. Der Nationalkongreß wurde am 3. November 1830 gewählt. Die Kräfte der Revolution, die Liberalen als Vertreter des städtischen Bürgertums, der Intellektuellen und der akademischen Berufe mit etwa 60 Abgeordneten sowie die Katholiken als Vertreter des Adels und des flachen Landes, des Handwerks und des Kleinhandels mit etwa 140 Abgeordneten (zur Hälfte katholisch-liberal), setzten in den Verfassungsberatungen ihre Forderungen nach einem erweiterten Gesetzgebungsrecht, jährlicher Budgetbewilligung und Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem Parlament, die sie 1829 in einer Petition an den niederländischen König erhoben hatten, erfolgreich in die Praxis um. Der Nationalkongreß verabschiedete am 7. Februar 1831 eine Verfassung, die vom monarchischen Prinzip abwich, parlamentarische Regierungsweise zuließ und Vorbild liberal-fortschrittlicher Verfassungsgebung wurde. Sie ging vom Prinzip der Volkssouveränität aus (Art. 25) und beschränkte die politische Macht der erblichen Monarchie — die mit der Wahl Leopolds an das Haus Sachsen-Coburg fiel —, indem sie jede königliche Initiative von der Gegenzeichnung eines Ministers abhängig machte; die Verfassungsväter aber verneinten es, der Volksvertretung eine gegenüber der Zeit vor 1830 wesentlich demokratischere Grundlage zu geben. Das Parlament wurde in zwei Kammern geteilt, Senat und Repräsentantenkammer, die ohne Unterschied in der Aktiv-Wahlberechtigung von derselben Wählerschaft bestellt wurden. Wahlberechtigt waren aufgrund des Wahlgesetzes vom 5. März 1831 alle männlichen Belgier oder naturalisierten Belgier, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten und einen direkten Zensus entrichteten, der laut Verfassung zwischen 20 und 100 Fl. schwanken konnte. Während er sidi auf dem Lande zwischen 20 und 30 Fl. bewegte, erreichte er in den Städten mittlerer Größe 35 bis 50 Fl., in den größeren Städten 60 (Brügge) bis 80 Fl. (Brüssel). Für die Wählbarkeit zur Repräsentantenkammer bestanden keine über die aktiven Wahlrechtsbedingungen hinausgehenden Erfordernisse; im Gegenteil entfiel hier der Zensus. Bei einer Wahlperiode von vier Jahren wurden die 102 Mitglieder der zweiten Kammer zur Hälfte alle zwei Jahre neu bestellt; im Falle der Auflösung, die der König unter Gegenzeichnung eines Ministers herbeiführen konnte, erfolgte Ganzerneuerung innerhalb von zwei Mo-

Belgien

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naten. Gewählt wurde in 44 Wahlkreisen unterschiedlicher Größe, die mit den administrativen Distrikten in den neun belgischen Provinzen zusammenfielen. Entsprechend dem Repräsentationsschlüssel von einem Abgeordneten auf 40 000 Einwohner entfielen auf 17 Wahlkreise ein Abgeordneter, auf zehn: zwei, auf elf: drei, auf vier: vier, und auf jeweils einen: sechs und sieben Abgeordnete. Gewählt wurde nach absoluter Mehrheitswahl mit Stichwahl. Wurde die absolute Mehrheit nicht erreicht, stellte im zweiten Wahlgang das Wahlbüro eine Liste der Kandidaten auf, die im ersten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hatten, in doppelter Anzahl der noch zu wählenden Abgeordneten. Bei Stimmengleichheit war der Ältere gewählt. Zur Stimmabgabe versammelten sich die Wahlberechtigten im Hauptort des Distrikts, in dem sie ihren Wohnsitz hatten. Waren es über 400 Wahlberechtigte, so wurden zwei Sektionen gebildet. Die Namen der Wähler wurden einzeln aufgerufen; Vertretung bei der Stimmabgabe war nicht erlaubt. Gewählt wurde mittels handgeschriebener Stimmzettel, auf denen der Wähler die Namen der von ihm gewählten Kandidaten eingetragen hatte. Die Wahl war geheim. Stimmzettel, die gedruckt oder auf denen sich der Wähler zu erkennen gab, waren ungültig. Die Auszählung erfolgte öffentlich. Der gleiche Wahlmodus wurde auch bei der Wahl des Senats angewandt, die überdies zumeist am gleichen Wahltag stattfand, seit dem Gesetz vom 1. April 1843 sogar gleichzeitig erfolgen mußte. Die Senatoren wurden auf acht Jahre bei Halberneuerung der Mandate alle vier Jahre gewählt; ihre Zahl machte mit 51 die Hälfte der Mitglieder der Repräsentantenkammer aus. Für die Wählbarkeit wurde ein Alter von 40 Jahren und ein hoher Zensus von 1000 Fl. direkter Steuern festgelegt. In den Provinzen, in denen auf 6000 Einwohner weniger als eine wählbare Person entfiel, wurde die Zahl der passiv Wahlberechtigten bis zu diesem Verhältnis aus den Reihen der Höchstbesteuerten aufgestockt. Mitglieder kraft eigenen Rechts wurden die Söhne des Königs, wenn sie das 18. Lebensjahr erreicht hatten; Stimmrecht erhielten sie aber erst mit 25 Jahren. Die Beschränkung der Wählbarkeit zum Senat führte dazu, daß die Aristokratie in der ersten Kammer dominierte. Im Jahre 1840 gehörten 61 Prozent der Senatoren dem Adel an, zehn Jahre später waren es 48 Prozent. Selbst als dieser Anteil bis zum Ende des 19. Jahrhunderts auf 20 Prozent (1901) sank, war die Struktur des Senats in soziologischer Hinsicht noch immer durch die hohe Repräsentation des Adels gekennzeichnet. Wie im Nationalkongreß bildeten auch bei den Wahlen zum ersten Parlament alle Kandidaten eine einheitliche politische Gruppierung: Sie proklamierten sidi als „Unionisten" und bewarben sich auf einer

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Parteiwesen und Regierungssystem

einzigen Kandidatenliste. Bei den Debatten in den Kammern entstanden jedoch bald zwei Gruppen: eine gemäßigte und konservative sowie eine radikale und fortschrittliche. Charakteristisch war — und das hatte sich bereits bei den Beratungen über das niederländische Grundgesetz von 1815 gezeigt — daß nicht die Merkmale katholisch und liberal für die Gruppenbildung entscheidend waren, sondern daß sich jeweils Konservative und Progressisten aus beiden Richtungen verbanden. Erst die auf eine strengere Organisation der Liberalen gerichtete Aktivität der Freimaurer führte in den vierziger Jahren die Trennung von Liberalen und Katholiken herbei, aber auch die Katholiken förderten diesen Prozeß, indem sie zunehmend sich dem Einfluß des dogmatischen römisch-katholischen Klerus öffneten, der den liberalen Katholizismus von Lamennais verurteilte. Die liberalen Vereine, die sich in den meisten Arrondissement-Hauptstädten gebildet hatten und verschiedenste liberale Strömungen, Doktrinäre, Radikale und Progressisten repräsentierten, die ihrerseits bereits Kandidaten für die Parlamentswahlen vorschlugen, schlossen sich im Juni 1846 zur „Association liberale" zusammen, ohne daß es zu einer ideologisch einheitlichen Formation kam. Bei den Wahlen von 1847 errang die Liberale Vereinigung mit 55 von 108 Sitzen die Mehrheit der Parlamentsmandate gegen den vor allem aufgrund des Gegensatzes zwischen liberalen und dogmatischen Katholiken nicht parteilich organisierten politischen Katholizismus. Die Parteizugehörigkeit blieb jedoch im ganzen 19. Jahrhundert für die belgischen Parlamentsabgeordneten im wesentlichen nur nominell; politisch bedeutsam war sie in der Regel für deren Abstimmungsverhalten nicht. Dies zeigte sich vor allem in der Wahlrechtsfrage. Die vor 1848 gehandhabte unterschiedliche Festsetzung des Zensus wirkte sich zugunsten der konservativen Kräfte aus, denn auf dem Lande, wo sich die Einflußnahme von Adel und Klerus bemerkbar machte, war der Mindestzensus geringer als in den Städten, die hauptsächlich liberal wählten. Im März 1847 brachte der progressistische Flügel der liberalen Partei einen Antrag auf Senkung des Zensus ein, der jedoch am Widerstand der Doktrinäre und der Katholiken scheiterte. Ein Jahr darauf jedoch, am 12. März 1848, verabschiedete die Kammer unter dem Druck der Februarrevolution in Frankreich einstimmig ein Gesetz, das den Zensus für Parlaments- und Provinzialwahlen einheitlich auf 20 Fl. ( = 42,32 frs) festlegte. Dadurch wurde die Zahl der Wahlberechtigten von etwa 46 000 auf etwa 79 000 erhöht. Als Zugeständnis an die Katholiken wurde der unterschiedliche Zensus auf kommunaler Ebene, der zwischen 15 und 100 Fl. lag, beibehalten; dafür wurde nun auch

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hier jeder Wählbarkeitszensus aufgehoben. Die nach dieser Wahlrechtsänderung im Juni 1848 angesetzten Neuwahlen zeigten, daß die Ausweitung des Kreises der Wahlberechtigten vor allem den Liberalen zugute kam: Sie erhielten 83 Mandate gegenüber 25 der Katholiken. Mit dem Wahlsieg der Liberalen wurde endgültig die unionistische Periode der Koalitionen zwischen Liberalen und Katholiken beendet. Der Gegensatz zwischen beiden Gruppierungen verschärfte sich vor allem im Zusammenhang mit der Schulfrage und stellte ein wesentliches Motiv des Zusammenschlusses zwischen den beiden traditionell gegensätzlichen Richtungen innerhalb des belgischen Katholizismus zur „Federation des cercles catholiques et des Associations constitutionelles et conservatrices" dar, der im Jahre 1869 erfolgte. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden nun homogenere Kabinette, entweder liberale (1847—1854, 1857—1870, 1878—1884) oder katholische (1845—1857, 1870—1878, 1884 bis zum Ersten Weltkrieg) gebildet, auf deren Zustandekommen und Politik die Krone infolge der relativen Festigung der Abgeordnetenklubs, später Parteien, nicht mehr den Einfluß besaß wie vor 1848. In das Spiel wechselnder Parteimehrheiten in der Regierungsausübung konnte die Krone jedoch noch so weitgehend eingreifen, daß sie zweimal, 1871 und 1884, Ministerpräsidenten entließ, die vom Parlament gestützt wurden. Damit schöpfte sie ihr Recht aus, die personelle Zusammensetzung der Regierung zu bestimmen; die parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse insgesamt konnte sie nicht mißachten. Das wachsende Interesse an der Lage der Arbeiter brachte vor allem seit den sechziger Jahren die demokratischen Kräfte innerhalb der bestehenden Parteien in Gegensatz zu einer dem liberalen ökonomischen Prinzip des „laissez-faire" entsprechenden Politik. Neben progressistischen und radikalen Jungliberalen — zu Beginn nicht immer von diesen klar zu trennen — setzten sich junge Intellektuelle, die hauptsächlich an Pierre Joseph Proudhon und Auguste Comte orientiert waren, für die Verbesserung der Lebensbedingungen der Arbeiterklasse ein. Jedoch erst nach der Wirtschaftskrise von 1865, zur Zeit der ersten Internationalen, besonders unter dem Eindruck der beiden Kongresse, die 1868 und 1874 in Brüssel stattfanden, griff die Bewegung auch auf die Arbeiterschaft über. Nach der Auflösung der Internationalen begann sie sich nun in größerem Umfang gewerkschaftlich in „ligues ouvrieres" zu organisieren. Doktrinäre Differenzen der verschiedenen Arbeiterbünde verhinderten jedoch zunächst einen Zusammenschluß auf nationaler Ebene. Während die flämischen Sozialisten bei ihrer Parteigründung im Jahre 1877 das Gothaer Programm der deutschen Sozialdemokratie übernahmen, waren die Wallonen anarchistisch ausgerichtet und wiesen jegliche parlamentarische 6

Starnberger-^Vogel, Parlamente 1,1

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Wahlredltsentwicklung nach 1848

Tätigkeit zurück. Erst im April 1885 erfolgte in Brüssel die Gründung des „Parti Ouvrier Beige" (POB), an der hauptsächlich Arbeiter und nur wenige Intellektuelle beteiligt waren. Der POB, dem auch Gewerkschaften, Versicherungen und Genossenschaften sich anschlossen bzw. angeschlossen wurden, drängte auf den Eintritt ins Parlament und verfolgte neben sozialen und wirtschaftlichen Zielen, wie der Beschränkung der Arbeitszeit und staatlicher Arbeiterversicherung, vor allem das Ziel des allgemeinen und gleichen Wahlrechts. Tatsächlich sollte ihm erst die Reform des Wahlrechts den Weg ins Parlament eröffnen. Für die Belange der Arbeiterschaft, insbesondere eine Arbeiterschutzgesetzgebung, trat seit den sechziger Jahren auch eine „junge Rechte" innerhalb der katholischen Gruppe ein. Als Gegengewicht zur ersten Internationale gründete sie 1867 die „Federation des societes ouvrieres catholiques", die wenig Erfolg hatte. Erst zu Beginn der neunziger Jahre, unter dem Einfluß der Sozialkongresse zu Lüttich (Liege, 1886, 1887, 1890) und Mechelen (Malines, 1891), sowie auch der Enzyklika „Rerum Novarum", setzte in größerem Umfang eine christliche Gewerkschaftsbewegung ein. Um den Erfolgen des POB entgegenzutreten, wurde im März 1891 die „Ligue democratique beige" gegründet. Diese entstehende Christdemokratie, die von verschiedenen antisozialistischen Arbeiterzirkeln vor allem in Gent und Lüttich sowie auch von jungen Intellektuellen um das Brüsseler Wochenblatt „L'Avenir social" ausging, stieß auf den Widerstand der Konservativen, wurde aber trotzdem in die „Federation des cercles catholiques" eingegliedert, um die Einheit der katholischen Partei zu wahren. Im Kampf um die Erweiterung des Wahlrechts stand die katholische Arbeiterbewegung jedoch abseits. Forderungen nach dem allgemeinen Wahlrecht wurden erstmals 1848 erhoben, traten aber dann in den Hintergrund, bis sie gegen Mitte der sechziger Jahre von radikalen und progressistischen Jungliberalen um die Zeitung „La Liberte" wieder aufgegriffen wurden. Da die jungen sozialistischen Intellektuellen beim bestehenden Zensuswahlrecht nur über die progressistischen Flügel der liberalen Partei ins Parlament gelangen konnten, ergaben sich auch von hierher gemeinsame Aktionen sozialistischer und progressistischer Kräfte für das allgemeine Wahlrecht. Ein Mitarbeiter von „La Liberte", Edmond Picard, verfaßte 1866 für die Arbeiterbünde das „Manifeste des ouvriers", in dem das allgemeine Wahlrecht gefordert wurde. Im Jahre 1870 brachte der radikale Abgeordnete Demeur den ersten Antrag im Parlament auf Änderung des Verfassungsartikels 47 ein, der das Wahlrecht betraf; er wurde abgelehnt. Audi einem Antrag von Paul Janson blieb im Jahre 1883 der Erfolg versagt. Gegen-

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über diesen Vorstößen der Progressisten und Radikalen schlössen sich die Doktrinäre innerhalb der radikalen Partei mit den Katholiken zusammen. Von der Frage der Ausweitung des Wahlrechts ging die endgültige Aufspaltung der liberalen Partei aus, nachdem die Progressisten schon 1870 ohne Erfolg versucht hatten, sich selbständig zu organisieren. 1887 gründete Paul Janson die progressistische Partei „Ligue liberale", die in den größeren Gemeinden eigene Listen aufstellte und späterhin mit den Sozialisten oftmals Wahlbündnisse einging. Angesichts der starken katholischen Parlamentsmehrheit, die jeden Vorstoß auf eine Verfassungsänderung ablehnte, fanden die beiden liberalen Parteien wieder zu parlamentarischer Zusammenarbeit. Das Wahlrecht war jedoch seit 1848 nicht unverändert geblieben. Infolge der zensitären Beschränkung konnte es zu häufigen Umgehungen der Voraussetzungen für das aktive Wahlrecht kommen. Da nur direkte Steuern zur Berechnung des Zensus angesetzt wurden (d. h. Grundsteuer, Patente, persönliche Steuer), zahlten viele Bürger freiwillig mehr direkte Steuern, erhöhten den Wert ihres Grundbesitzes usw. und ließen sich dafür von den politischen Vereinigungen entschädigen. Trotz Ablehnung der Anträge auf allgemeines Wahlrecht waren die Parlamentsparteien an einer Ausweitung ihrer jeweiligen Wählerschaft interessiert. Das bestehende Zensuswahlrecht war seit den siebziger Jahren ständigen Manipulationen ausgesetzt; immer versuchte die jeweilige Mehrheitspartei durch gesetzliche Maßnahmen die Wählerschaft der Opposition zu verringern oder ihre eigene zu erhöhen. Im Jahre 1871 machten die Katholiken die bisher direkte Getränkesteuer zur indirekten Steuer und beraubten somit 12 262 Gastwirte, die in der Regel liberal wählten, des aktiven Wahlrechts. 1878 revanchierten sich die Liberalen dadurch, daß sie den Hausbesitz nicht als Grundlage zur Zensusberechnung anerkannten, und verringerten somit die Anzahl der wahlberechtigten Bauern und Pfarrer um 9 000. Bereits am 30. März 1870 hatte der progressistische Flügel der Liberalen eine Zensusreduktion für Personen mit dreijähriger Mittelschulbildung durchgesetzt. Sie kam jedoch nicht zur Anwendung, da schon am 12. Juni 1871 die nunmehr katholische Parlamentsmehrheit jede Idee des Kapazitätenwahlrechts verwarf, den Zensus für Provinzialwahlen auf zehn frs. (belgische Francs) senkte, und den für Kommunalwahlen auf denselben Betrag vereinheitlichte. Dadurch erhöhte sich die Zahl der Wahlberechtigten für Provinzialwahlen auf 202 210 und für Kommunalwahlen auf 326 612. Am 18. August 1883 erreichten schließlich die Liberalen, daß bei den Kommunalwahlen für Männer mit Grundschulabschluß jeder Zensus entfiel.

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Wahlpraxis/Wahlreform von 1893

Die Wahl fand seit 1831 in Einer- oder Mehrmannwahlkreisen statt. Konnte der Wähler ursprünglich jeden Namen auf seinem Stimmzettel vermerken, so wurden mit der wachsenden Durchorganisierung der Parteien in immer größerem Ausmaß offiziöse Kandidatenlisten mit Parteivorschlägen zu den Wahlen verbreitet. Zugleich mit der Einführung der geheimen Wahl im Jahre 1877 wurde es für die Parteien obligatorisch, die Kandidaten offiziell aufzustellen. Die Stimmzettel wurden zur Gewährleistung des Wahlgeheimnisses von nun an von der Verwaltung zur Verfügung gestellt. Diese Stimmzettel mit Kandidatenlisten wurden in der Öffentlichkeit kritisiert, weil sie eine „Vorwahl" durch die Parteien darstellten. Die veränderte Form der Wahlbewerbung führte aber vor allem eine wichtige Modifizierung des Wahlsystems herbei, indem sich in den größeren Arrondissements mit mehreren Mandaten, ζ. B. in Brüssel mit 21, die ursprüngliche Personenwahl nach absoluter Mehrheit zur Listenwahl nach absoluter Mehrheit mit Stichwahl zwischen den beiden stimmstärksten Listen in einem möglichen zweiten Wahlgang entwickelte. Die Notwendigkeit einer Stichwahl war infolge des bestehenden Zweiparteiensystems und der regionalen Vorherrschaft der Katholiken in Flandern und der Liberalen in Wallonien nur selten gegeben. Diejenige Parteiliste, die die erforderliche Stimmenzahl erhielt, bekam alle in einem Wahlkreis zu vergebenden Parlamentsmandate zugesprochen. Dieses Wahlsystem ist unter dem Namen ,scrutin d'ecrasement' bekannt geworden. Die zahlreichen Manipulationen und Restriktionen des Wahlrechts auf der einen Seite und die unablässigen Forderungen der Sozialisten und Progressisten nach einer Ausweitung des Wahlrechts auf der anderen Seite drängten zunehmend auf eine Verfassungsrevision. Für die Kammerwahlen von 1892 vereinigten sich deshalb erneut beide Flügel der Liberalen, die sich seit 1884 in der Opposition befanden, erlangten aber nicht die Mehrheit der Mandate. Doch beschloß die Kammer noch im gleichen Jahr einstimmig, eine Verfassungsrevision vorzunehmen, konnte sich aber nicht auf ein gemeinsames Programm zur Wahlrechtserweiterung einigen. Die Radikalen setzten sich für allgemeine und gleiche Wahlen ein, die Doktrinäre propagierten ein durch Kapazitätenwahlrecht erweitertes Zensuswahlrecht, während die Katholiken auf eine Repräsentation der Interessen hinzielten. Als ein weiterer Vorstoß von Paul Janson auf das allgemeine und gleiche Wahlrecht erfolglos blieb, veranlaßte der POB einen Generalstreik der ihm angeschlossenen Gewerkschaften. Die Parteien einigten sich daraufhin auf einen Kompromiß: in der Verfassungsrevision vom 7. September 1893 wurde das Zensuswahlrecht durch das allgemeine Wahlrecht mit mehrfacher Stimmgebung ersetzt. Der Entschluß wurde mit 119 Stimmen angenommen, bei 14 Gegenstimmen der liberalen

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Doktrinäre und zwölf Stimmenthaltungen der konservativen Katholiken um Charles Woeste. Aktiv wahlberechtigt war demnach jeder männliche Belgier über 25 Jahren, der seinen Wohnsitz mindestens ein Jahr in derselben Gemeinde hatte. Eine Zusatzstimme wurde vergeben für: 1. Familienväter über 35 Jahren mit Hausbesitz, der mit mindestens fünf frs. zu versteuern war; 2. Eigentümer von Immobilien im Werte von 2 000 frs. oder einer jährlichen Rente von 100 frs. Zwei zusätzliche Stimmen erhielten sogen. Kapazitäten, Personen mit Hochschuldiplom, bei Bekleidung eines öffentlichen Amtes oder Ausübung eines Berufs, der eine höhere Schulbildung voraussetzte. Jeder Wähler konnte höchstens drei Stimmen besitzen. Durch diese Ausweitung des Wahlrechts wurde die Anzahl der Wähler auf 1 370 687, die Anzahl der Stimmen auf 2 111 127 erhöht, wovon 850 000 Wähler eine Stimme, 290 000 Wähler zwei Stimmen, 220 000 Wähler drei Stimmen (darunter etwa 40 000 Kapazitäten) vergeben konnten. Besaß ein Wähler mehrfaches Stimmrecht, so erhielt er vom Vorsitzenden der Wahlbehörde so viele Stimmzettel, wie er Stimmen hatte. Während das Wahlsystem aufrechterhalten blieb, wurde die Modalität der Stimmabgabe wesentlich verändert. Die Wahl hatte seit 1831 im Hauptort eines Verwaltungsarrondissements stattgefunden. Da die Entfernung vom Wohnort zum Wahlort oft sehr groß war und der Wahlakt — besonders seit der Zusammenlegung von Senatsund Kammerwahlen im Jahre 1843 — sich sehr lange hinziehen konnte, war die Teilnahme an der Wahl für viele Wahlberechtigte äußerst zeitraubend und beschwerlich. Als Folge davon ergab sich eine hohe Wahlenthaltung: Sie schwankte in den Jahren von 1837 bis 1892 bei den Kammerwahlen zwischen 14 und 44 Prozent, im Durchschnitt lag sie bei 25 bis 30 Prozent, bei partiellen Wahlen war sie noch höher. Da nur bei den Wahlen zum Nationalkongreß von 1830 die Aufstellung von Ersatzkandidaten erfolgt war, fanden in der Folgezeit bei Vakantwerden eines Mandats Nachwahlen statt, die recht zahlreich waren, beispielsweise im Jahre 1840 zehn für die Kammer und zwei für den Senat. Der umständliche Wahlvorgang und die von ihm ausgehende starke Neigung zur Wahlenthaltung hatten sich zudem auf die Methoden des Wahlkampfes ausgewirkt. Die Kandidaten pflegten „ihren" Wählern die Reise- und Aufenthaltskosten zu ersetzen. Trotz dieser Mängel und Mißbräuche widersetzten sich die Liberalen lange Zeit einer Dezentralisierung der Wahl, um die lokalen Einflüsse von Großgrundbesitz und Klerus zu neutralisieren. Erst 1893, als sich als Folge der Ausbreitung des Wahlrechts die Gefahr größerer Wahlmanipulationen abzeichnete, stimmten auch die Liberalen der Verlagerung der Wahl in

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Senatsreform/Auswirkungen der Wahlrechtsausbreitung

die Gemeinden zu. Sie wollten damit einer möglichen großen Wahlenthaltung entgegenwirken und ebenfalls die Wahlkosten der Parteien und Kandidaten senken. Aus den gleichen Motiven bejahten sie auch die Einführung der Wahlpflicht, in der allgemein die Garantie einer ohne fremde Einflußnahme erfolgenden Wahlteilnahme und Stimmabgabe gesehen wurde. Zur Bestrafung der Wahlenthaltung wurde ein flexibles Sanktionensystem geschaffen, das nach der Zahl wiederholter Versäumnisse unterschied und von Geldbußen verschiedener Höhe bis zum Entzug der Wahlberechtigung auf zehn Jahre reichte. Infolge fortwährender Geldentwertung wurden die bis heute nahezu unverändert gebliebenen Geldstrafen (s. Syst. T.; zu den Auswirkungen s. Tab. A l l ) faktisch zunehmend niedriger. Doch wurde in Belgien seit 1894 in aller Regel eine Wahlbeteiligung von über 90 Prozent der Wahlberechtigten erreicht (s. Tab. A 2 und A 4). Dem steht eine hohe Zahl ungültiger Stimmabgaben gegenüber (für die Wahlen von 1921 bis 1968 s. Tab. A 4). In der Verfassungsrevision wurde auch die Frage der Kompatibilität von Regierungsamt und Abgeordnetenmandat neu geregelt. Ursprünglich gab es nur Inkompatibilitäten zwischen Mitgliedern beider Kammern und Mitgliedern des Rechnungshofes (seit 1830) und des Kassationshofes (seit 1832). Ubernahmen Parlamentsmitglieder Regierungsämter, so mußten sie ihr Mandat niederlegen, konnten es aber bei den nächsten Wahlen wiedererlangen. Magistrate, Beamte, selbst Offiziere konnten bis 1848 Mitglieder einer der beiden Kammern sein, bis mit Gesetz vom 26. Mai gleichen Jahres eine derartige Ämterkumulierung unterbunden wurde. Die Bedingung der Wiederwahl für Regierungsmitglieder, um gleichzeitig Mandat und Ministeramt innehaben zu können, würde im Jahre 1893 aufgehoben. Mit der Verfassungsrevision sollte auch eine Senatsreform einhergehen, da der Senat, welcher der Kammer an gesetzgeberischer Aktivität weit nachstand, sich nicht recht von der zweiten Kammer abgehoben und sich höchstens als konservative Parallele derselben erwiesen hatte. Die katholische Regierung schlug eine mittelbare Wahl der Senatoren durch die Provinzialräte vor und orientierte sich vor allem am Beispiel der niederländischen Ersten Kammer. Die liberalen Progressisten traten für eine Repräsentation von Gruppen mit gemeinsamen sozialen Interessen ein: Landwirtschaft, Industrie, Handel, Handwerk und Universitäten. Schließlich wurde die Verfassung dahingehend revidiert, daß die Senatoren überwiegend in direkter Wahl durch alle männlichen Belgier, die auch zum Repräsentantenhaus wahlberechtigt waren, nach dem dort eingeführten Pluralstimmrecht gewählt wurden. Allerdings wurde die Altersbedingung auf 30 Jahre erhöht, dagegen der Zensus für die Wählbarkeit auf 1 200 frs. herab-

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gesetzt. Daneben wurden auch Eigentümer und Nutznießer von Liegenschaften mit einem Katastralertrag von 12 000 frs. wählbar. Das Verhältnis der wählbaren Personen zur Gesamtbevölkerung einer Provinz sollte zumindest eins zu 5 000 betragen. Wurde dieses Verhältnis nicht erreicht, sollten die Nächstbesteuerten einer Provinz herangezogen werden, um die vorgeschriebene Relation zu erhalten. Zu den 76 direkt gewählten traten 26 mittelbar durch die Provinzialräte bestellte Senatoren, für die kein Wählbarkeitszensus bestand: zwei Senatoren für eine Provinz unter 500 000 Einwohner, drei für eine Provinz von einer halben bis einer Million Einwohner und vier für eine Provinz mit mehr als einer Million Einwohnern. Im Sinne dieser insgesamt vorsichtigen demokratischen Reformen des Senats lag auch die Verkürzung der Wahlperiode von acht auf vier Jahre und die jeweilige Ganzerneuerung seiner Mitglieder statt der bisherigen Halberneuerung. Sie änderten jedoch wenig an der beklagten konservativen Zusammensetzung des Senats. Während in der Repräsentantenkammer hauptsächlich das Bürgertum und die freien Berufe vertreten waren, blieb die Erste Kammer die Versammlung der Großgrundbesitzer. Noch im Jahre 1910 erfüllten nur etwa 1 500 Wahlberechtigte die Wählbarkeitsbedingungen zum Senat. Bei den ersten Wahlen nach der Verfassungsrevision stieg die Zahl der Wahlberechtigten um fast das Zehnfache von 136 775 auf 1 354 891. N u n waren auch die unteren Schichten der Bevölkerung wahlberechtigt, was verschiedene Folgen zeitigte. Zum einen gewann die Bewegung der Flamen, die auf Anerkennung des Flämischen als gleichberechtigter Sprache neben dem Französischen drang, politische Macht. Zwar bildete sich keine politische Partei, die sich die Lösung der sprachpolitischen Frage als Ziel gesetzt hätte; doch setzte sich die Wählerschaft in den flämischen Gebieten nicht mehr ausschließlich aus der Französisch sprechenden Mittel- und Oberschicht zusammen, sondern in ihr dominierte nun die Flämisch sprechende und sprachpolitisch mehr und mehr aktivierte Unterschicht. Zum zweiten veränderte sich — trotz des ungleichen Wahlrechts — das politische Kräfteverhältnis der Parteien entscheidend. In der nunmehr wahlberechtigten Arbeiterschaft verfügte der POB über einen starken Rückhalt. So konnten die Sozialisten 1894 gleich mit 28 Mandaten als zweitstärkste Fraktion in die zweite Kammer einziehen. Die beachtliche Stärkung ihrer parlamentarischen Position wirkte sich nachhaltig auf den Charakter des POB aus; die revolutionären Tendenzen des belgischen Sozialismus ließen entscheidend nach. Von der Ausweitung des Wahlrechts profitierten auch die Katholiken. Sie erhielten 962 825 Stimmen und 104 Sitze, wohingegen die Liberalen von 60 auf 20 Mandate zurückgingen, obwohl ihre Stimmenzahl

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Wahlsystemreform von 1899

mit 537 310 noch fast doppelt so hoch war wie die der Sozialisten mit 310 505 Stimmen. Dieses Ergebnis zeigt deutlich, daß das bestehende Mehrheitswahlsystem nach Listen diejenigen Parteien begünstigte, die von regional konzentrierten, konfessionell oder sozial gebundenen Bevölkerungsgruppen gewählt wurden. Die katholische Partei und die Sozialisten verfügten über regelrechte Hochburgen, die Katholiken in Flandern und die Sozialisten in den wallonischen Industriegebieten, wo sie aufgrund der Wahlrechtsausbreitung die Liberalen in der regionalen Vorherrschaft ablösten. Diese entsprachen am wenigsten den wahlgeographischen Strukturbedingungen, von denen das Wahlsystem den Wahlerfolg der Parteien abhängig machte. Die Liberalen drohten deshalb vom Wahlsystem zerrieben zu werden; ihre Mandatszahl sank bei den folgenden Kammerwahlen von 1896 und 1898 weiter auf jeweils 13 herab, da sie nun infolge des Polarisierungsprozesses bei der Mehrheitswahl auch an Stimmen verloren. Um den drohenden Niedergang der Partei aufzuhalten, setzten sich die Liberalen nun verstärkt für eine Wahlsystemreform ein. Unterstützt wurden sie dabei von einigen Katholiken, in deren Fraktion mit den Konservativen um Charles Woeste aber audi die entschiedensten Gegner einer solchen Änderung des Wahlsystems saßen, wie sie die „Association reformiste beige pour l'adoption de la Representation Proportionelle" seit 1881 forderte. Schon vor den Wahlen von 1894 hatte sich der katholische Premier Beernaert für die Verhältniswahl in Wahlkreisen mit mehr als einem zu wählenden Abgeordneten eingesetzt, für seine Gesetzesvorlage in der Kammer aber keine Mehrheit, sogar nodi die Gegnerschaft von 17 Liberalen gefunden und zurücktreten müssen. Als sein Nachfolger de Burlet noch im gleichen Jahr über eine Wahlsystemreform abstimmen ließ, votierte die Kammer zugunsten der Mehrheitswahl. Ein erster Durchbruch zum Verhältniswahlsystem erfolgte auf kommunaler Ebene. Im September 1895 beschloß die Kammer, die Stichwahl im System der absoluten Mehrheitswahl fallenzulassen. Wenn keine Liste die absolute Stimmenmehrheit erhalten hatte, sollten die Sitze proportional verteilt werden. Das Ergebnis der Wahlen von 1898 verstärkte die Kritik am bestehenden Wahlsystem: Die Katholiken erhielten mit genau der Hälfte der Stimmen 73 Prozent der Mandate, 112 von 152 Sitzen gegenüber 40 Sitzen, in die sich Sozialisten und Liberale teilten. Die im Jahre 1899 von der konservativ-katholischen Regierung Vandenpeerenboom eingebrachte Gesetzesvorlage kam zwar der allgemeinen Forderung einer Wahlreform nach, die auch der König erhoben hatte, sie war aber ganz einseitig auf die katholischen Inter-

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essen zugeschnitten. Für sieben Wahlkreise, die normalerweise den Oppositionsparteien zufielen, wurde die Einführung der Verhältniswahl vorgesehen; in den restlichen Arrondissements, in denen die Katholiken in der Mehrheit waren, sollte die bestehende Mehrheitswahl beibehalten werden. Gegen diesen Vorschlag verbündeten sich quer durch die Fraktionen jene Kräfte, die eine einheitliche Wahlsystemreform befürworteten. Starke Unruhen in der Bevölkerung führten zum Rücktritt der Regierung und begleiteten die nun forcierten Kammerberatungen. Für die Verhältniswahl trat neben den Liberalen nun auch ein Großteil der Katholiken ein, die sich nicht allein dem POB im Parlament gegenübergestellt sehen wollten. Die Sozialisten waren überwiegend gegen den „infame proporz", ebenso wie unverändert die konservativen Katholiken, da in ihren Hochburgen bei Verhältniswahl audi Mandate den gegnerischen Parteien zufallen mußten. Der Reformentwurf, der von der katholischen Regierung De Smet de Naeyer eingebracht worden war, wurde am 29. Dezember 1899 mit 70 gegen 63 Stimmen bei acht Enthaltungen angenommen. Er enthielt das bis heute im wesentlichen unverändert gebliebene Verhältniswahlsystem auf der Basis der alten, der Arrondissementgliederung des Landes entsprechenden Wahlkreiseinteilung. Dem Verfahren, nach welchem die Mandate zugeteilt werden sollten, lag der Vorschlag des Genter Professors der Rechte, Victor d'Hondt, zugrunde. In den kleinen bis mittelgroßen Wahlkreisen wird die Zahl der jeweils für die Parteilisten abgegebenen Stimmen durch eins, zwei, drei, vier, fünf usw. geteilt, bis so viele Quotienten der Größe nach geordnet vorliegen, wie Mandate zu vergeben sind. Der kleinste dieser Quotienten bildet die Wahlzahl: Jede Liste erhält so viele Mandate, wie die Wahlzahl in ihrer Stimmenzahl enthalten ist (->• S. 48 ff.). Das eingeführte Stimmgebungsverfahren sieht vor, daß der Wähler auf einem Stimmzettel, gleichgültig wie viele Abgeordnete in einem Wahlkreis zu wählen sind, nur eine Hauptstimme vergeben kann, dabei aber entweder für die Liste als Ganzes oder für einen einzelnen Bewerber stimmen kann (devolutives System). Eine Zusatzstimme besitzt der Wähler zur Wahl eines Ersatzkandidaten, die 1899 wieder eingeführt wurden. Die Stimmabgabe für einen einzelnen Kandidaten gilt immer auch für die betreffende Parteiliste, da sie für die Gesamtstimmenzahl einer Liste gewertet wird, die der Verteilung der Mandate auf die Listen zugrundegelegt wird. Die nominelle Stimmgebung entscheidet tatsächlich kaum über die Vergabe der Mandate innerhalb einer Liste, wie vermutet werden sollte. Hier bleibt die Einstufung der Kandidaten auf dem Stimmzettel durch die Parteien vorrangig, da zum Erreichen der Wählbarkeitsziffer (Zahl der Listen-

Auswirkungen der Verhältniswahl

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stimmen dividert durch die Zahl der zugesprochenen Mandate plus eins) die Kandidaten der festgelegten Reihenfolge nach ihren nominellen Stimmen im notwendigen Ausmaß Listenstimmen hinzufügen.

Darstellung I : Die Auswirkungen des Wahlsystem-Wechsels auf das Verhältnis von Stimmen und Mandaten der belgisdien Parteien 1894—1904

/ / / Differenz, um die der Mandatsanteil den Stimmenanteil übertrifft Anmerkungen: *) Die Daten für 1894 und 1900 entsprechen Ganzerneuerungen der Repräsentantenkammer. 2 ) Für das J a h r 1896 wurde für die Sozialisten keine Stimmenzahl berücksichtigt, da sie selbst nur 3,6 °/o der Stimmen erhielten, 18,0 °/o aber auf das liberal-sozialistische Wahlkartell entfielen. Allgemein wurden die Stimmen für das Wahlkartell (1894, 1896, 1894 und 1904) hier außer acht gelassen; s. dazu Tab. 2)

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Nur wenn mehr als die Hälfte der Wähler eine Liste über nominelle Stimmgebung wählt, besteht auch die Möglichkeit, daß die Verteilung der Mandate sich von der Reihenfolge der Kandidaten auf den Stimmzetteln unterscheidet. In der Praxis werden nur 0,5 Prozent der Kammermitglieder und 0,1 Prozent der Senatoren außerhalb der Listenreihenfolge gewählt, obwohl die nominellen Stimmen ständig gegenüber den Listenstimmen gestiegen sind (s. Tab. A 5). In Auswirkung der Verhältniswahl in Wahlkreisen wurde der bereits weit fortgeschrittene Prozeß der erneuten Herausbildung eines Zweiparteiensystems aufgehalten und in der Folge rückgängig gemacht. Wie Darstellung I deutlich macht, waren die Sozialisten, nachdem sie 1894 die Liberalen nur an Mandaten überflügelt hatten, bei den Wahlen von 1898 auch nach Stimmen an die zweite Stelle hinter den Katholiken gerückt, und zwar mit 27,7 Prozent gegenüber 21,2 Prozent der Liberalen. Die Mandate der vom Wahlsystem bedrängten Liberalen waren auf 13, d. i. 8,5 Prozent der Gesamtzahl, gesunken. Bei der ersten, nur grob proportionalen Zuteilung der Mandate bei den Wahlen von 1900 gewannen sie mit etwa gleichem Stimmenanteil wie 1898 34 Sitze, 22,3 Prozent der Gesamtzahl. Der Wechsel des Wahlsystems bedeutete die Rettung der Liberalen Partei, da die Verhältniswahl das Mißverhältnis zwischen Stimmen und gewonnenen Mandaten reduzierte. Die liberalen Wähler, die infolge des Polarisierungseffektes der Mehrheitswahl bereits zu den beiden anderen Parteien abgewandert waren, brauchten nicht mehr zu fürchten, daß ihre Stimme verloren ging, wenn sie die Liberalen wählten. So stiegen auch die Stimmen wieder an, die die Liberale Partei bei den Wahlen erhielt, wobei die Stimmen für die liberal-sozialistischen Wahlkartelle in einer Reihe von Wahlkreisen mit zu berücksichtigen sind (s. Tab. A 2). Bereits 1904 errangen die Liberalen wieder einen höheren Mandats- als Stimmenanteil, so daß jetzt der Vorteil der Katholiken in der Stimmen-Mandatsrelation ausschließlich zu Lasten der Sozialisten und verschiedener Splitter ging. Bis zum Ersten Weltkrieg pendelte sich die Mandatszahl der Liberalen zwischen 42 und 46 Sitzen ein; damit waren sie wieder die zweitstärkste Fraktion der Repräsentantenkammer. Als weitere Folge der Verhältniswahl wurde die Bedeutung der Parteiorganisationen erhöht. Neben neuen Ortsvereinen als rein politischen Organisationen schlossen sich den Parteien Gewerkschaften, Genossenschaften und Krankenkassen an, die nun die überwiegende Zahl der Parteimitglieder stellten. Diese enge Verbindung materiellei Interessenorganisationen mit den Parteien, vor allem bei den Sozialisten, erklärt auch, weshalb gerade die Gewerkschaften in der Ge-

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Verfassungsreform von 1919

schichte des Wahlrechts in Belgien eine so bedeutungsvolle Rolle spielten. Einen exakten Proporz von Stimmen und Mandaten verhinderte die Verrechnung der Stimmen und Zuteilung der Mandate auf Wahlkreisebene. Die kleinen Wahlkreise wirkten sich zugunsten der stimmstärksten Partei aus. Die Katholiken erhielten bei den Wahlen der Jahre 1900, 1904 und 1908 trotz einer Minderheit der Stimmen die Mehrheit der Parlamentsmandate, im Jahre 1900 bei 48,4 Prozent der Stimmen 57 Prozent der Mandate (s. Tab. A 2). Mit dem Ziel, diesen Vorteil abzugleichen, wurde direkt nach Einführung der Verhältniswahl die Verrechnung der Stimmen auf Provinzebene, das sogen. Van de Walle- oder Apparentmentsystem, gefordert. Mit diesen Bemühungen um eine Vervollständigung des Proporzes ging eine Bewegung auf das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht einher, die von den Sozialisten getragen wurde, aber auch bei den Liberalen und dem demokratischen Flügel der Katholiken Unterstützung fand. Im Jahre 1901 brachten Emile Vandervelde und Paul Janson einen diesbezüglichen Antrag auf Verfassungsänderung ein, der vom Generalkongreß des POB angeregt worden war. Das Projekt scheiterte am Widerstand der konservativen Katholiken und der doktrinären Liberalen. Um die Wahlrechtsreform zu erzwingen, organisierten die Gewerkschaften ein Jahr später einen Generalstreik. Er mußte jedoch ohne Erfolg abgebrochen werden, da die Finanzkraft der Gewerkschaften nicht ausreichte. Dadurch erlitt die Wahlreformbewegung einen empfindlichen Rückschlag. Die Forderung nach allgemeinem, gleichem Wahlrecht wurde ernsthaft erst zehn Jahre später wieder aufgegriffen. Nach der Kammerauflösung von 1912 bildeten Liberale und Sozialisten in vielen Arrondissements ein Wahlkartell, konnten aber trotz verstärkter Anstrengungen die erneute parlamentarische Mehrheit der Katholiken nicht verhindern: 101 Sitze fielen an die katholische Partei, 83 an die Liberalen und Sozialisten. Ausschlaggebend war, daß viele liberale Wähler aus Furcht vor den Sozialisten der katholischen Partei ihre Stimme gegeben hatten. In der Folgezeit versuchte der neue Premier Broqueville, die Opposition zu besänftigen; er stellte für 1916 eine Verfassungsrevision in Aussicht, die das allgemeine Wahlrecht für alle Männer über 25 Jahren mit nur einer Zusatzstimme zugunsten der Familienväter, der vierzigjährigen Bürger und eventuell der Kapazitäten bringen sollte. Der Vorschlag erfüllte keineswegs die Forderungen der Sozialisten und Liberalen. Sie stellten im Jahre 1913 erneut einen Antrag auf Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts. Als dieser ohne Erfolg blieb, initiierte der POB einen Generalstreik, unter dessen Druck

Belgien

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dann schließlich eine Parlamentskommission mit einer Studie zur Wahlrechtsänderung beauftragt wurde. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Bemühungen um eine Wahlrechtsreform. Der Zwang zur politischen Einhelligkeit der Parlamentsparteien führte im August 1914 zur einstimmigen Annahme der Notstandsgesetze, im Januar 1916 zur Bildung eines Kabinetts der „Union nationale", an dem alle drei Parteien beteiligt waren. Bereits sition zu besänftigen und stellte für 1916 eine Verfassungsrevision in Verrechnung der Stimmen und Zuteilung der Manate auf Wahlkreisim Jahre 1918 wurde jedoch die Wahlrechtsdiskussion innerhalb der Parteien wieder aufgenommen. Die Sozialisten, die Linksliberalen und der demokratische Flügel der Katholiken traten gemeinsam für die Einführung des allgemeinen gleichen Wahlrechts für alle männlichen Bürger über 21 Jahren ein. Im Gegensatz zu den Katholiken stellten sich die Liberalen und Sozialisten jedoch der Einführung des Frauenstimmrechts entgegen, weil sie ein Votum zugunsten der Konservativen von Seiten der weiblichen Wähler befürchteten. Fünf Monate nach der Ankündigung einer Wahlrechtsreform durch den König wurde am 9. Mai 1919 das neue Wahlgesetz ohne vorherige Verfassungsrevision gegen die Stimmen der katholischen Rechten verabschiedet. Alle männlichen Belgier über 21 Jahren wurden wahlberechtigt, die mindestens sechs Monate in derselben Gemeinde wohnhaft waren. Das Pluralstimmrecht entfiel. Bei der anschließenden Verfassungsrevision wurden neben dem allgemeinen gleichen Männerwahlrecht auch das Verhältniswahlsystem und die geheime Wahl in die Verfassung aufgenommen. Das Frauenstimmrecht, von der Rechten als Forderung aufrechterhalten, von der Linken weiterhin abgelehnt und in einer Abstimmung mit 90 gegen 74 Stimmen zurückgewiesen, wurde von der Verfassung in Aussicht gestellt. Kriegerwitwen sowie Mütter von gefallenen Belgiern und Frauen, die während der Besetzung des Landes aus politischen Motiven verurteilt waren, erhielten jedoch das aktive Wahlrecht. Die Zahl der wahlberechtigten Frauen belief sich 1919 auf 11 823. Sie sank fortlaufend und betrug 1946: 5 290 (s. Tab. A 4). Die Wahlperiode beider Kammern wurde 1919 auf vier Jahre vereinheitlicht und für Senat und Repräsentantenhaus die integrale Erneuerung eingeführt. Teil der Verfassungsrevision war die Reform des Senats. Der Bericht einer eigens eingesetzten Studienkommission schlug die Umwandlung des Senats in eine Berufsvertretung vor: Ein Drittel der Mitglieder sollte von den Arbeitgebern, ein Drittel von den Arbeitern und Angestellten und ein Drittel von den Angestellten im öffentlichen Dienst und den freien Berufen gewählt werden. Schließlich wurde die Bestellungsweise des Senats dahingehend geändert, daß neben einem

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Van de Walle-System/Auswirkungen

weiterhin direkt gewählten Teil von Senatoren, deren Anzahl die Hälfte der Mitglieder des Repräsentantenhauses betrug, und einem unverändert indirekt durch Provinzialräte bestellten Teil, welche nun einen Senator auf 200 000 Einwohner wählen sollten — jede Provinz sollte aber zumindest drei Senatoren stellen — , weitere, vom bereits gewählten Teil des Senats kooptierte Senatoren traten. Ihre Anzahl entsprach der Hälfte der indirekt bestellten Senatoren. Von 153 Senatoren wurden im Jahre 1921 96 direkt und 38 indirekt gewählt sowie 19 kooptiert. Die Altersbedingung für das passive Wahlrecht erhöhte sich auf 40 Jahre. Die zensitäre Beschränkung der Wählbarkeit wurde im wesentlichen aufgehoben, für die direkt gewählten Senatoren aber durch andere Qualifikationen ersetzt. Ein Senator muß heute entweder Minister, ehemaliger Minister, Abgeordneter, höherer Offizier, kirchlicher Würdenträger, höherer Verwaltungsoder Ministerialbeamter sein oder über ein Hochschuldiplom oder hochbesteuerte Immobilien verfügen (s. SystT.). Schließlich wurde als letzte der Wahlreformen nach dem Ersten Weltkrieg mit Gesetz vom 22. Oktober 1919 die Möglichkeit der Listenverbindung und Reststimmenverwertung auf Provinzebene geschaffen und somit das Van de Walle-System eingeführt. Es sieht ein sehr kompliziertes Verrechnungsverfahren vor, das bis heute unverändert geblieben ist (s. SystT. und Tab. A 10). An die Stelle der Methode d'Hondt trat bei Listenverbindung auf Provinzebene das Verfahren der Wahlzahl (-»• S. 46). Die Parteilisten im Arrondissement erhalten in einer ersten Zuteilung von Mandaten im Wahlkreis soviele Sitze, wie der Wahldivisor (Gesamtstimmenzahl durch die Zahl der zu vergebenden Sitze im Wahlkreis) in ihrer Stimmenzahl enthalten ist. Zur Vergabe von Restmandaten in der Provinz wird ein besonderes Divisorverfahren (modifizierte Methode d'Hondt) angewandt. Die Stimmenzahl verbundener Listen wird durch Divisoren geteilt, deren erster immer um eins höher ist als die Anzahl der bereits direkt erhaltenen Mandate, und der dann weiter um eins steigt. Die Reihenfolge der höchsten Quotienten entscheidet über die Zuteilung der Restmandate in der Provinz, an der nur Listengruppen teilnehmen können, die in einem Arrondissement 66 Prozent des Wahldivisors erreicht haben. Diese Bestimmung bildet keine Barriere gegen Splittergruppen, da dieses Quorum kleiner ist als der Wahldivisor, der das Quorum zum direkten Erhalt eines Mandats im Wahlkreis darstellt. Es benachteiligt unter den kleinen Gruppen jene, deren Wählerschaft gleichmässig gestreut und nicht lokal konzentriert ist. Aufgrund dieses Quorums können etwa sechs bis acht Mandate anstatt kleineren Gruppen den großen Parteien zufallen. Zu beachten ist, daß sich diese Hürde entsprechend der Größe der Arrondissementwahl-

Belgien

95

kreise unterschiedlich auswirken kann. In einem großen Wahlkreis wie Brüssel ist nur ein Gewinn von zwei Prozent der gültigen Stimmen, in Neufchateau-Virton dagegen von 25 Prozent erforderlich, um das Quorum zur Teilnahme an der Reststimmenverwertung zu erreichen. Gegenüber der früheren Zuteilung der Mandate ausschließlich auf Wahlkreisebene ging das Van de Walle-System sehr zu Lasten der größten Partei. Die Katholiken verloren aufgrund der Änderung des Verrechnungsmodus bei den Wahlen von 1919 zehn Mandate, 1921 zwei, 1925 sechs und 1929 zehn, wohingegen die Liberalen mit respektive neun, einem, vier und sechs und die Frontisten mit respektive zwei, einem, drei und nochmals drei erheblich an Mandaten dazugewannen. Indem der Proporzeffekt im bestehenden Verhältniswahlsystem erhöht wurde, wurden die Chancen parlamentarischer Mehrheitsbildung durch eine Partei nun entscheidend verringert. Seither braucht eine Partei etwa 46 Prozent der Wählerstimmen, um die absolute Mehrheit der Parlamentsmandate zu erreichen. Zu den politischen Auswirkungen der Verhältniswahl mit Verrechnung der Stimmen auf Provinzebene gehört, daß nach 1919 nur noch während einer Wahlperiode (1950-1954) eine Partei die absolute Mehrheit der Parlamentsmandate innehatte. Das Verhältniswahlsystem hat aber entgegen allen Befürchtungen nicht zu einer Aufsplitterung der Parteien geführt. Gerade dies muß bei der Struktur der belgischen Parteien vor 1945 und bei der Vielfalt und Intensität der parteiin-

Darstellung II: Das politische Meinungsbild der belgischen Wählerschaft. Die Stimmen für die Parteien bei den Wahlen zur Repräsentantenkammer 1919 bis 1968 (in Prozent)

96

Parteiwesen und Wählerverhalten

ternen Differenzen der großen Parteien hervorgehoben werden. Kleine Parteien, vor allem Rechts- und Linksextremisten, haben bei den Wahlen nur vorübergehend Parlamentsmandate erringen können. Der überraschend große Wahlerfolg der radikal-nationalistischen Bewegung der Rexisten aus dem Jahre 1936 — sie konnte auf Anhieb 21 Mandate gewinnen — zeigt aber auch, wie schnell sich politische Erregungen in der Wählerschaft unter der Verhältniswahl parlamentarisch niederschlagen könnten. Drei Jahre später hatte sich die Wählerschaft der Rexisten bereits weitgehend wieder verlaufen. Die drei großen, traditionellen Parteien, Katholiken, Liberale und Sozialisten, bestimmen das politische Meinungsbild der belgischen Wählerschaft und haben im großen und ganzen, wie Darstellung I I zeigt, über fünf Jahrzehnte ein politisches Gleichgewicht bewahrt. Die Katholiken bilden die uneinheitlichste Gruppe. In ihr zeichneten sich ständig Differenzen zwischen dem konservativen und dem demokratischen Flügel ab. Die Einführung des allgemeinen Männerwahlrechts veränderte das Kräfteverhältnis zugunsten der sozial fortschrittlichen, demokratischen Gruppierungen. In der Zwischenkriegszeit manifestierten sich innerhalb der Katholiken zeitweilig antiparlamentarische und autoritäre Strömungen. Nirgends trat auch das gespannte Verhältnis zwischen Flamen und Wallonen innerparteilich stärker hervor. Bereits vor der Jahrhundertwende hatte sich ein radikaler, klassenkämpferisch ausgerichteter flämischer Flügel, der „Parti democratique chretien flamand" unter dem Abbe Daens (Daensisten), abgespalten. Im Jahre 1921 wurden die verschiedenen katholischen Gruppen, die vorwiegend sozial differierten (die genannte „Federation des Associations et des Cercles catholiques", der „Boerenbond", die „Alliance agricole", die „Travailleurs chretiens" und die „Federation des Classes moyennes"), zur „Union catholique beige" vereinigt. Nach einer Vielzahl interner Krisen erfolgte 1936/1937 ein engerer Zusammenschluß im „Bloc catholique beige"'; er umfaßte die wallonische „Parti catholique social" und die flämische „Katholieke Vlaamsche Volkspartij". Die föderative Organisation der Partei nach Sprachgruppen wurde nach dem Zweiten Weltkrieg aufgegeben, indem die Katholiken 1945 den „Parti social chretien" ( P S C ) bildeten. Erst jetzt vermochten sie eine einheitlichere politische Orientierung zu erreichen. Das erste Gesamtprogramm der katholischen Partei, das „Programme de N o e l " , trägt christlich-soziale Grundzüge. Es stellt wirtschaftliche und soziale Fragen in den Vordergrund und zeigt, daß die Einheit des politischen Katholizismus in Belgien auf der Grundlage des Programms des demokratischen Flügels erfolgt ist. Keineswegs war damit die Bildung und das Wirken sozialer und regionaler Gruppen in der Partei unterbunden. Im Ge-

Belgien

97

genteil bestimmen sie weiterhin Struktur und Politik der katholischen Partei. Nach den Katholiken bilden seit Ende des Ersten Weltkrieges die Sozialisten die stärkste Partei. Bereits im Jahre 1920 spaltete sich ihr linker Flügel, die klassenkämpferischen „Amis de l'Exploite", ab und Schloß sich der dritten Internationale an. Danach wies die Partei ein ziemlich einheitliches Gepräge auf, bis sich 1932 wieder ein linker Flügel um die Zeitung „L'Action Socialiste" gründete, welcher der Parteiführung übertriebenen Revisionismus vorwarf. Eine ernstere Krise brachte ein Jahr später die Annahme des „Plan de travail" von Henri de Man. Dieses Programm, das auf einen Kompromiß zwischen Sozialismus und Kapitalismus abzielte und einen nationalisierten Sektor der Wirtschaft neben einem privaten vorsah, fand bei den Altsozialisten Vandervelde und Brouckere energischen Widerspruch. Drei Jahre später bildete sich bei den Jungsozialisten um Paul-Henri Spaak eine nationale und autoritär ausgerichtete, antiklassenkämpferische Gruppierung. Trotz dieser verschiedenen Abweichungen und Krisen haben die Sozialisten bis heute ihr Parteieinheit bewahren können und eine politische Entwicklung genommen, die evolutionär und pragmatisch ist. Im Jahre 1945 wurde der P O B in „Parti socialiste beige" (PSB) umbenannt. Die Liberalen büßten nach Aufgabe des Pluralstimmrechts ihre Stellung als zweitstärkste Parlamentspartei endgültig ein. Zwischen beiden Weltkriegen erfolgte eine programmatische Abwendung der Partei vom wirtschaftlichen Liberalismus, durchgesetzt von den fortschrittlichen Kräften des Bürgertums, die mit den Sozialisten zusammenarbeiteten, mit ihnen Wahlbündnisse sdilossen und für den Fall, daß die Katholiken geschwächt werden könnten, eine Koalitionsregierung vorsahen. Auf dem Parteikongreß des Jahres 1945 wurde eine „Charte sociale" beschlossen, von der eine noch weitergehende Politik der sozialen Anpassung und Reformen ausging. Zwischen dem belgischen Neoliberalismus und Sozialismus bestehen nur geringe programmatische Differenzen. Audi die Liberalen wenden sich an die „Lohn- und Gehaltsempfänger", während die Sozialisten Teile des nicht konfessionell gebundenen Bürgertums zu gewinnen suchen. Mit der 1961 erfolgten Gründung der „Partei für Freiheit und Fortschritt" (Parti de la Liberte et du Progres, PLP) haben die Liberalen aber vor allem eine Abkehr vom traditionellen liberalen Anti-Katholizismus vollzogen. Doch entspricht das Wählerverbalten keineswegs der in der Programmatik und auf parlamentarischer Ebene sichtbaren Annäherung der Parteien. Analysen der belgischen Wahlen seit 1919 haben ergeben, daß das Wahlverhalten in Belgien relativ konstant und die Gruppe 7

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

98

Wahlreformen nadi 1945/Regierungsverhältnisse

der Wechselwähler gering ist. Sozialisten und Liberale besitzen eine wesentlich durch soziale Schichtungsfaktoren bestimmte Wählerschaft. Der PSB ist die Partei der Lohnempfänger, damit zugleich städtisch und wallonisch; sein Anteil unter den Arbeitern und Angestellten stimmt auffallend mit dem Prozentsatz der nicht kirchlich gebundenen Arbeiterschaft überein, die ebenfalls in Wallonien konzentriert ist. Die Liberalen werden vom Bürgertum gewählt, von den Unternehmern und Selbständigen. Sie besitzen ihr Wählerpotential in der Region Brüssel. Allein die Christlich-Sozialen haben eine sozial heterogene Wählerschaft. Sie umfaßt Teile des Bürgertums, die Bauern und etwa die Hälfte der Arbeiterschaft. Einigend wirkt hier die kirchliche Bindung, die besonders in Flandern stark ist, weshalb der PSC eine vorwiegend flämische Partei ist. Erst in jüngster Zeit hat der konfessionelle Faktor für das bürgerliche Wahlverhalten an Bedeutung verloren. Hierin liegen vor allem die Wahlerfolge der liberalen Partei für Freiheit und Fortschritt der Jahre 1965 und 1968 — begründet. Die Liberalen waren dem katholischen Bürgertum allerdings entgegengekommen, indem sie die wahlsoziologische Fessel anti-katholischer Politik abstreiften und bei den letzten Wahlen viele als streng katholisch bekannte Personen zu ihren Kandidaten erhoben. Ungeachtet dieser Veränderungen wird das Wählerverhalten und die Struktur des belgischen Parteiensystems weiterhin von dem Gegensatz religös — antireligiös bestimmt. Der Versuch nach 1945, das belgische Parteiensystem nach vor allem sozialen und ökonomischen Gesichtspunkten umzustrukturieren, scheiterte mit der zu diesem Zweck gegründeten „Belgischen Demokratischen Union" (Union Democratique Beige, UDB), die Sozialisten und Katholiken verbinden sollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden auch die Frauen wahlberechtigt, nachdem sie bereits mit Gesetz vom 15. April 1920 das Wahlrecht auf kommunaler Ebene erhalten hatten. Am 27. März 1948 wurde das Frauen wähl recht für Parlaments- und Provinzialwahlen nahezu einstimmig beschlossen, in der Kammer mit 182 gegen drei, im Senat mit 151 gegen drei Stimmen angenommen. Durch diese letzte Ausweitung des Wahlrechts stieg die Zahl der wahlberechtigten Frauen von 5 290 auf 2 930 270, die der Wahlberechtigten insgesamt von 2 727 796 im Jahre 1946 auf 5 635 452 im Jahre 1949, von 32 auf 66 Prozent der Bevölkerung. Die befürchtete stärkere Orientierung der Wählerinnen zu den Katholiken hat sich bei den nachfolgenden Wahlen im wesentlichen nicht bestätigt. Untersuchungen haben ergeben, daß das Wahlverhalten der Frauen nicht mehr als um zwei Prozent vom Verhalten der Gesamtwählerschaft zugunsten der Katholiken abweicht.

Belgien

99

Eine weitere Änderung betraf das Wahlsystem zum Senat. Im Wahlgesetz vom 13. März 1947 wurde die Listenverbindung auch für die direkt gewählten Senatoren nach dem gleichen Modus wie zur Wahl des Repräsentantenhauses eingeführt. Das Quorum zur Teilnahme an der Restmandatszuteilung wurde für den Senat auf 33 Prozent des Wahldivisors gesenkt. Es erfüllt ähnlich wie das Quorum bei der Wahl zum Repräsentantenhaus keine wirksame Sperrklauselfunktion gegen kleinere Parteien. Indessen hat sich die Kooptation von Senatoren sehr zugunsten der großen Parteien ausgewirkt. Von den bis einschließlich 1968 insgesamt 311 kooptierten Senatoren gehörten nur acht kleineren Gruppen an: vier den flämischen Nationalisten, einer den Rexisten und drei den Kommunisten. Dagegen erhielten die drei großen Parteien Katholiken, Sozialisten und Liberale durchschnittlich bei jeder Wahl respektive 10,5, 8,2 und 3,0 Mandate per Kooptation (1968: Katholiken neun, Sozialisten sieben, Liberale sechs und Flämische Volksunion zwei Senatoren). Bei einer gegenwärtigen Zahl von 175 Senatsmitgliedern muß eine kleine Partei zumindest sieben direkt oder indirekt gewählte Senatoren erreichen, um einen Senator kooptieren zu können. Die angesprochene Annäherung der drei traditionellen Parteien kommt in der Koalitionspraxis seit 1919 zum Ausdruck; sie ist aber selbst auch durch die auf die Verhältniswahl zurückgehende Koalitionsnotwendigkeit bedingt. Da in aller Regel keine Partei eine absolute Mehrheit der Parlamentsmandate erreicht und somit keine parteilichen Mehrheitsregierungen möglich sind (für die homogene parteiliche Minderheitskabinette im belgischen parlamentarischen System nicht als Ersatz angesehen werden), eine Koalition zweier Parteien aber zumeist ausreicht, um eine parlamentarische Mehrheitsbasis für eine Regierung zu schaffen, kommt es im belgischen Regierungssystem weniger auf die Wahlen als auf das Ergebnis der nach den Wahlen stattfindenden Verhandlungen zwischen den Parteien an. Die Verhandlungsposition der Parteien hat sich mehr und mehr von ihrer jeweiligen Stimm- oder Mandatsstärke gelöst, zumal Reaktionen der Wählerschaft, in denen sich Unzufriedenheit mit der verfolgten Politik ausdrückt, vornehmlich nicht das Gleichgewicht der drei traditionellen Parteien tangiert, sondern sich außerhalb von diesen im Stimmenzuwachs systemoppositioneller Gruppen niedergeschlagen haben (s. Darst. II). Wie Darstellung III und IV zeigen, bedeuten Regierungswedisel in aller Regel nur den Austausch des Koalitionspartners. Da unter der Koalitionsnotwendigkeit auch die innere Homogenität der Parteien nachläßt, dienen Neubildungen von Regierungen auf der Basis derselben parlamentarischen Mehrheitsparteien, die ebenso langwierig

100

Koalitionspraxis 1919—1968/Spradienkonflikt

Darstellung III: Zur Koalitionspraxis in Belgien 1918—1939 RegierungsAntritt Nov. Dez.

1918

Mondaisanteil der Regierungsparteien in % Kabinette (mit denen gleicher j absolute Mehrheit parlamentarischer Basis) 10 20 30 W SO 60 70 SO 90 i 1 h Delacroix Ij Dez. 1919: Delacroix E> Nov. 1920: Carton de Wiart• (22.Nov.1921)2)

l

(5. April

ι

1921

Theunis I 1925)

Mai

1925

van de Vyvere

Juni

192S

Poullef - Vandervelde

Mai

1926

Jaspar I

Nov.

1927

Jaspar Ε

23 \

Jaspar Π-, Juni 1931: Renkin j Okt. 1932: de Broqueville-, de Broqueville-, Nov. 1934: Theunis E-,

(29. Mai 1929) (27. Nov. 1932) März

73.

1935 (2kMai 1936)

Mai

1936

Febr.

1939 1939

Sept.

1939

ES3

von Zeeland E; Nov. 1937: Jonson; Mai 1938: SpaakI; Pierlot I

(2. April

April

70

I «

van Zeeland I

Katholiken

1939)

Pierlot Ε

33

Pierlot Μ I

I Liberale

Sozialisten

Anmerkungen: ') Die Ziffern in den Kästchen geben die absoluten Mandatszahlen an; 2) Datum in Klammern = Tag der Wahlen.

wie Regierungswechsel sein können, vornehmlich der Neuverteilung des Einflusses parteiinterner sozialer und regionaler Gruppierungen und führender Politiker in der Regierung. Das Dreiparteiensystem abwechselnd koalierender Parteien besitzt äußerst relevante politische Substrukturen. So sind, wenn es zu einer Koalition zweier Parteien kommt, in ihrem Rahmen sehr unterschiedliche Kombinationen möglich. Von den Sozialisten wurde bereits in den zwanziger Jahren der Versuch gemacht, die fortschrittlichen Kräfte aus den anderen Parteien

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Belgien Darstellung I V : Zur Koalitionspraxis in Belgien 1944—1968

Mandotsonteil der Regierungsparteien in °/o Kabinette (mit denen gleicher | absolute Mehrheit parlamentarischer Basis) 10 20 30 W 50 CO 70 80 90

RegierungsAntritt

Η

1

1

1

1

1

ms

1

1—

van Acker I

Febr. ms Aug.

1

PIerlot IS

33

Sept. mt

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(17. Febr. ms) Spaak

März (13) me

van Acker Μ-, Aug. 19t 6: Huysmans

17 23

März (3i) me März mi

Spaak Μ (26. Juni m9)

ι 29

Aug. 19t9 {t. Juni 1SS0) Juni

1950

April

195t

Ε

Eyskens I Duvieusart-, Aug. 1950·· Pholieni Jon. 1952: van Houtte

(11. April 195t)

van Acker JY

m (1. Juni 195t)

Juni Nov.

1958

kWXW^WWIi

ι

1958

Eyskens

II

Eyskens Μ (26. März 1X1)

März

1961

Juli

1965

März

1966

Lefevre (23. Mai 19(5) π

HarmeI 18,

von den Boeynants

(31. März 1968) Juni E l

1968 Katholiken

Eyskens JBT •

Liberale

E 3 Sozialisten

ΙΠΠ3 Kommunisten

Anmerkungen: Die Ziffern in den Kästdien geben die absoluten Mandatszahlen an; 2) Datum in Klammern = Tag der Wahlen.

zu lösen und eine demokratische Koalition gegen einen konservativen Block zu bilden. Dieser Versuch gelang nur teilweise, als 1925 die Regierung Poullet-Vandervelde zustandekam, und nur für ein Jahr. Die Polarisierung der politischen Kräfte wurde auch später nie dauerhaft erreicht, weil die politischen Meinungen im Lande nicht von einem, alle anderen überwiegenden Gegensatz geprägt sind. Der Struk-

102

Wahlgeographie und Wahlsystem

turtyp fortschrittlich — konservativ wird in Belgien entscheidend bereits durch den Gegensatz religiös — areligös in seiner Bedeutung gemindert. In der Vielzahl von Regierungskrisen hat der Gegensatz zwischen Flamen und Wallonen immer stärkeres Gewicht bekommen. Die Einführung des Flämischen als zweiter Amtssprache im Jahre 1932 hat die sprachpolitische Frage nicht gelöst. Vielmehr vertiefte sich die Konfrontation, indem sich mit der Sprachenfrage verstärkt ethnische, kulturelle, ökonomische und soziale Gegensätze verknüpften, die heute insgesamt eine ernste Bedrohung für die Einheit des Landes, zumindest für das gegenwärtige politische System, darstellen. Tatsächlich bildet die Sprachgrenze eine vielfach hervortretende Scheidelinie: Die Wallonen sind eher areligös und progressiv, die Flamen strenggläubig und konservativ. Wallonien ist stärker industriell, Flandern, dessen Bevölkerung eine höhere Zuwachsrate aufweist (1910: Flandern 47,2, Wallonien 39,0, Brüssel 13,8 °/o der Bevölkerung; 1961: Flandern 51,3, Wallonien 33,1, Brüssel 15,6 °/o), mehr landwirtschaftlich orientiert. Doch ergibt sich aus der hohen Industrialisierung des Südens gegenwärtig ein besonderes wallonisches Problem. Während sich im Norden moderne Industriebetriebe ansiedeln, und die industrielle Entwicklung sich wegen der besseren Verkehrsverbindungen (Hafen Antwerpen) seit 1945 zunehmend auf Flandern konzentriert, ist die Standortindustrie Walloniens veraltet und hat ihre ehemalige ökonomische Bedeutung eingebüßt. Strukturelle Reformen sind hier dringend erforderlich, um das Gefühl wirtschaftlicher Bedrohung Walloniens durch die aufstrebende flandrische Landeshälfte zu vermindern. Mit diesen Differenzen, die die gegenwärtige Konfrontation der Flamen mit den nun in die Defensive gedrängten Wallonen bestimmen — hier hat sich nun eine föderalistisch ausgerichtete Partei, die „Wallonische Volksbewegung" (Mouvement Populaire Walion, MPW) gebildet —, geht die traditionelle politische Gliederung des Landes in einen katholisch wählenden Norden und einen sozialistisch wählenden Süden einher. Wie Darstellung V zeigt, haben die Stimmenschwankungen der beiden größten Parteien seit 1919 nie die Vorherrschaft der Sozialisten in Wallonien und der Katholiken in Flandern in Frage gestellt. Diese Vorherrschaft ist konstant und würde, wenn nach einem mehrheitsbildenden Wahlsystem gewählt würde, bewirken, daß Flandern fast ausschließlich Katholiken und Wallonien im wesentlichen allein Sozialisten in die zweite Kammer entsenden und als Folge davon die Parteien sich entschiedener ethnisch orientieren würden. Nur in der Region Brüssel würde sich ein offener Wahlausgang ergeben, der über die Mehrheit im Lande entscheiden

103

Belgien

Darstellung V: Die Stimmenentwicklung von Katholiken und Sozialisten in den Sprachregionen Flandern und Wallonien bei den Wahlen von 1919 bis 1968

Wahljahre Anmerkung: ') Das Absinken der sozialistischen Stimmen in Wallonien 1946 bis 1950 liegt im Stimmengewinn der Kommunisten begründet. Beider Parteien Stimmen zusammengenommen ergibt für die drei Wahlen folgende Zahlen: 1946: 58,4%, 1949: 5 1 , 2 % , 1950: 53,0%. Zu den exakten Daten siehe im übrigen Tab. A 6 und A 8.

könnte. Zwar wäre dann für die Bildung parteilicher Parlamentsmehrheiten gesorgt; doch würde eine parteilich-homogene Mehrheitsregierung — zumeist der Katholiken und weniger häufig der Sozialisten — auf der Basis von etwa 45 Prozent Wählerstimmen der Regierung eines ethnisch, sprachlich und religiös bestimmten Bevölkerungsteils gleichkommen und eine Opposition schaffen, die sich nichts anderes als die Teilung des Landes zum Ziele setzen könnte. Diese Gefahr hatte bereits die Königskrise von 1950 heraufbeschworen. König Leopold III. hatte die ihm in einem parlamentarischen Regierungssystem zukommenden Rechte und Funktionen zu Beginn des Zweiten Weltkrieges überschritten und war nach Kriegsende in heftige parteipolitische Auseinandersetzungen geraten. In der Kritik am Verhalten des Königs gingen die Sozialisten so weit, seinen Rücktritt zu fordern, während die Katholiken für eine Rückkehr Leopolds auf den belgischen Thron eintraten. Die Krise wurde über ein konsultatives Referendum zu lösen gesucht. Am 12. März 1950 sprachen sich 57,7 Prozent der Abstimmenden für Leopold, 42,3 Prozent gegen ihn aus. Einerseits hielten die Sozialisten die Mehrheit zugunsten des Königs nicht für ausreichend; wenn sdion gegen ihren Willen ein Referendum abgehalten würde, so sollte eine Zweidrittel-Mehrheit erforderlich sein. Andererseits zeigte das Abstimmungsergebnis, daß im wesentlichen die Flamen für die Rückkehr des Königs gestimmt hatten. Aufgrund dieser Tatsache war

104

Wahlen von 1968

Leopold III. — trotz des Mehrheitsentscheids zu seinen Gunsten — praktisch zur Abdankung gezwungen. Er repräsentierte nicht die Einheit der belgischen Nation, sondern gerade ihre ethnische Zerrissenheit: Gegen ihn als „König der Flamen und Katholiken" kam es in Wallonien zu Streiks und revolutionären Aktionen. Die Forderung der Wallonen nach einer Zweidrittel-Mehrheit zeigte auch, in welcher Weise die Minderheit die Aktionsfähigkeit der Mehrheit einzuschränken wüßte, wenn an die Stelle des ausgewogenen Proporzes, wie er seit langem in der belgischen Politik vorherrscht — etwa in der regional ausgeglichenen Zusammensetzung der Regierung (s. Tab. A 7) — und des Kompromisses, wie er in der sehr umstrittenen Schulfrage 1958 erzielt wurde, das Mehrheitsprinzip treten würde. Eine dahingehende Reform des Wahlsystems wäre tatsächlich nicht geeignet, die besonderen Struktur- und innenpolitischen Probleme des ethnisch heterogenen Landes zu lösen. Bei den Neuwahlen vom 31. März 1968, die ausgeschrieben wurden, als infolge des Sprachenkonflikts an der Universität Loewen die Regierung van den Boeynants zurücktrat und keine Regierungsneubildung gelang, zeigte sich, daß die flämisch-wallonische Konfrontation für das Wahlverhalten der belgischen Bevölkerung weiter an Bedeutung gewinnt. Dem versuchten die Christlich-Sozialen und die Sozialisten im vorhinein zu entsprechen, indem sie sich in einer Reihe von Wahlkreisen mit getrennten wallonischen und flämischen Listen bewarben. Nur in Brüssel bildete van den Boeynants ein Wahlkartell aus Francophonen und Flamen, das hier neun der insgesamt zehn Mandate der Katholiken gewann. Doch mußten alle drei großen Parteien Stimmenverluste hinnehmen, unter ihnen vor allem die Katholiken, deren Stimmenanteil innerhalb der letzten zehn Jahre kontinuierlich von 46,5 (1958) auf 31,7 Prozent gesunken ist. Erhebliche Gewinne verzeichneten dagegen die „Flämische Volksunie" und die „Wallonische Bewegung" und die „Front der Francophonen" (RW-FDF), denen mit 20 (statt bisher 12) und zwölf (statt bisher fünf) Mandaten ein Einbruch in das traditionelle Dreiparteiensystem gelang (s. Darst. II). Die neue Regierung Gaston Eyskens setzt sich aus Christlich-Sozialen und Sozialisten zusammen (14 wallonische und francophone, 14 flämischsprechende Minister).

Belgien

105

Anhang Wahlstatistik Tabelle A l : Wahlen zum belgischen Parlament 1831—1892 Wahlberechtigte

absolut

Jahr 1831 1833 1835 1837 1839 1841 1843 1845 1847 1848 1850 1851 1852 1854 1855 1856 1857 1859 1861 1863 1864 1866 1867 1868 1870 1870 1872 1874 1876 1878 1880 1882 1884 1886 1888 1890 1892

G G

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G

G

46 000 46 000 23 000 24 526 23 661 24 887 21 865 22 771 46 436 79 076 40 435 79 296 42 053 45 884 42 907 43 573 90 543 61 873 47 555 52 519 103 717 67 954 55 506 55 297 51 435 107 099 54 933 52 074 63 278 91 777 65 392 89 889 126 419 57 692 73 276 59 452 136 775

der Bevölkerung 1,1 1,1 — — — — — —

1,0 1,8 —

1,8 — — — —

2,0 — — —

2,1 — — — —

2,1 — — — — — —

2,2 — — —

2,2

Wahlbeteiligung in °/o 62,2 — —

56,0 66,4 77,0 86,0 77,0 73,0 67,0 75,0 64,0 76,0 70,0 35,0 72,0 85,0 73,0 65,0 80,0 81,0 81,0 .52,0 62,0 65,0 74,0 66,0 69,0 71,0 72,0 73,0 85,0 70,0 73,0 80,0 73,0 84,0

Repräsentantenkammer

Senat

ManMandate Katho- Libe- date Katho- Libe- ohne insg. liken rale insg. liken rale Partei 102 102 102 102 95 95 95 95 108 108 108 —

108 108 —

108 108 116 116 116 116 122 —

122 122 124 124 124 124 132 132 138 138 138 138 138 152

A n m e r k u n g : G = Gesamterneuerung. (Quelle: Gilissen, s. BiblAng. S. 188 f.)

51 51 51

4 7 8

31 31 31























47

27

12















47

32

13











53 25 39

55 83 69

54 54

32 22

20 31





51 54

57 54





63 38 47 50 57 52 52

45 70 69 66 59 64 70





50 61 72 71 68 67 60 58 59 86 98 98 94 92

72 61 52 53 56 57 72 74 79 52 40 40 44 60

16 13 12 —

8 —

2 —

2 1









54

27

27



















54

31

23



















58

27

31











58

25

33



















62

29

33



















1

62

34

27









62

34

28









66

30

36











69 69

32 43

37 26







69

47

18









76

46

30



— — —

4

1

1

1

-

I

I

ON in to CO CO •Φ NO_ oo IX CN IX_ IX "ϊ cs" o" CN o" o" I

ο

S ja«J ω.Ξ u. υ • bo -β > Ξ δ c

I

C) co O fO -Φ in Ο co CO CS -Ί- N CS "f •4-

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1

CN CS

3Z1JS



to

- -

-

to" oo"

°/o u ! 3Z3TS

3 ε -i.| I

1

NO NO NO (Λ

175,00 = 175

(Quelle: Statistiske Efterretninger 56. Jg. [ 1 9 6 4 ] , 3 9 ; 60. Jg. [ 1 9 6 8 ] , 7)

Audi nach dem Zweiten Weltkrieg konnte keine Partei die absolute Mehrheit der Parlamentsmandate erringen (s. Tab. A 2 und A 3). Von 1953 bis 1968 führten die Sozialdemokraten die Regierung; sie mußten aber trotz Koalitionsbildungen häufig Minderheitskabinette bilden. Unter der Unsicherheit über die parlamentarisdie Unterstützung für die Regierung litt vor allem die Wirtschaftspolitik des

Dänemark

173

Landes. Das Ausmaß der politischen Instabilität wird durch zehn Parlamentswahlen zwischen 1945 und 1968 hinreichend verdeutlicht. Im Januar 1968 erlitten die Sozialdemokraten eine empfindliche Wahlniederlage und mußten in die Opposition gehen. Die stärksten Stimmengewinne (statt 1966 7,3 jetzt 15,0 Prozent) erzielten die Sozialliberalen. Ihr Vorsitzender Hilmar Baunsgaard übernahm das Amt des Ministerpräsidenten in einer von den Konservativen, Liberalen und Sozialliberalen gebildeten Koalitionsregierung, die über 98 von 179 Sitzen verfügt.

Darstellung III: D i e Entwicklung des dänischen Parteiensystems 1895—1968 (nadi Mandaten im Folketing) Teilweise Verhältniswohl Relative Mehrheitswahl 1895 1906 10

Verhältniswahl | Ausgegl. ' Methode d'Hondt j Methode SO 6Ί 66 68 18 20 Ά 26 32 35 39 4315*7 53 1

Nationalsozialist. Arbeiterpariei Konservative Volkspartei Dänische Sammlung Bauernpartei Freie Volkspart. Schleswig-Partei Erwerbspartei Libcral.Zentrum „Ble Unabhängiger^ Venstre Radikale Vensire Rechtsstaatspartei Sozialdemokratische Partei Sozialistische Volkspartei Linkssozialisten Kommunistische Partei

174

Wahl der Parlamente

Die Färöer und Grönland Die Färöer-Inseln waren seit 1850 durch einen Abgeordneten im dänischen Parlament vertreten. Trotz ihrer verwaltungsmäßigen Zugehörigkeit zu Dänemark erhielten die Inseln bald eine gewisse Selbstverwaltung, hauptsächlich in Fragen der Wirtschaft. 1852 wurde ihr parlamentarisches Organ, das Lagting, eine Art Landtag, in beratender Funktion wiedererrichtet. Während des Zweiten Weltkriegs, als die Inseln vollkommen abgeschnitten waren, wurde der Wunsch nach voller Selbstverwaltung stärker und die dänische Regierung suchte dem 1946 durch die Ausarbeitung eines neuen Selbstverwaltungsgesetzes Rechnung zu tragen; es wurde aber von den Färöern in einem Referendum mit knapper Mehrheit abgelehnt. Nach erneuten Verhandlungen wurde am 23. März 1948 ein Gesetz angenommen, das neben voller territorialer Autonomie (eigenes Zollgebiet, Flagge, Währung) auch eine weitgehende Selbstverwaltung sichert. Dem alle vier Jahre in sieben Wahlkreisen gewählten Lagting wird damit Legislativrecht auf einer Reihe von Gebieten zugestanden. Als Exekutive fungiert die von diesem eingesetzte Verwaltungsbehörde des „Landstyre". Wahlrecht und Wählbarkeit können von der ethnischen Zugehörigkeit als Färinger abhängig gemacht werden. Seit der Verfassungsänderung von 1953 sind die Inseln durch zwei Abgeordnete im Folketing vertreten. Grönland erhielt durch die Verfassung von 1953 den Status eines gleichberechtigten Teiles des Königreiches Dänemark. Es wählt zwei Abgeordnete ins Folketing und seine Belange werden außerdem von einem Grönland-Ministerium wahrgenommen. Parlamentarisches Organ einer gewissen Selbstverwaltung ist der „Landesrat", der alle vier Jahre gewählt wird.

Dänemark

175

Anhang Wahlstatistik Tabelle A 1: Zahl der Wahlberechtigten und Wahlbeteiligung in Dänemark 1895—1968 1 ) Jahr 1895 1898 1901 1903 1906 1909 1910 1913 1918 1920 1920»)

Zahl der Wahlberechtigten

Wahlbeteiligung in °/o

378 700 401 036 404 271 416 748 438 341 460 553 470 392 491 422 1 215 600 1 274 377 1 576 716

57,1 53,6 56,5 57,5 69,7 71,1 74,8 74,5 —

80,6

Jahr 1924 1926 1929 1932 1935 1939 1943 1953 1964 1968

Zahl der Wahlberechtigten 1 637 1 752 1 796 1 914 2 057 2159 2 280

564 929 929 454 018 356 716 —

3 084 273 3 208 646

Wahlbeteiligung in °/o 78,6 77,0 79,7 81,5 80,7 79,2 89,5 80,6 85,5 89,3

77,0

Anmerkungen: ' ) Zur Ergänzung dieser Tabelle hinsichtlich der Wahlbeteiligung bei allen Wahlen seit 1932 s. Tab. II; ! ) nach Wiederangliederung Nordsdileswigs. (Quellen: Statistisk Aarbog; Statistiske Meddelelser, 1968, 8)

Wahl der Parlamente

176

Tabelle A 2: Ergebnisse der Wahlen zum dänischen Folketing nach prozentualen Stimmanteilen April April April Juni Mai Mai Mai Mai April April Juli Sept. April 1895 1898 1901 1903 1906 1909 1910 1913 1918 1920 1920 1920 1924 (Gemäßigte) Venstre 18,5 (Moderat) Venstre

16,9

12,0

8,1

6,8

Venstre ϊ #31,6 (Reformpartei) L 39,5 41,0 42,9 48,0 j Radikale Venstre J 113,7 Konservative Volkspartei 29,6 28,2 24,0 20,8 22,3 (bis 1915: Hojre) Sozialdemokraten 11,3 12,9 17,1 20,4 25,4 Erwerbspartei _ _ _ _ _ _ Kommunistische Partei _ _ _ _ — Rechtsstaatspartei (Retsforbundet) — — — — — „Die Unabhängigen" — — — — — Bauernpartei — — — — — Freie Volkspartei — — — — — Liberales Zentrum — — — — — Sdileswigsche Partei — — — — — Dänische Sammlung — — — — — Nationalsozialistische Arbeiterpartei — — — — — Linkssozialisten (Venstresocialisterne) — — — — — Sozialistische — — — — — Volkspartei Andere

1,1

1,0

4,0

2,7

0,2

5,9 \ U4>1

29 1

29 5

3 4 4

3 6 3

34 1

2 8 3

25,8 J 18,6

19,0

18,7

21,2

12,0

11,6

12,3

13,0

20,4

18,6

22,6

18,2

19,6

18,8

17,8

18,9

28,7 _

28,3 _

29,6

28,5 1,3

29,2 2,8

29,8 2,7

32,0 2,3

36,6 0,2

_

_

_

_

— — — — — — —

— — — — — — —

— — — — — — —

— — — — — — —

— — — — — — —

— — — — — — —

— — — — — 0,6 —

1,0 — — — — 0,6 —

















— —

— —

— —

— —

— —

— —

— —

— —





0,6

_

_

_

1,3

2,0

0,8

o,5

0,9

0,9

100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 (Quelle: Statistiske Meddelelser / Statistiske Arbog / Statistiske Efterretninger)

Dänemark

177

Dez. April Nov. Okt. April März Okt. Okt. 1926 1929 1932 1935 1939 1943 1945 1947

Sept. April Sept. Mai Nov. Sept. Nov. Jan. 1950 1953 1953 1957 1960 1964 1966 1968

28,3

28,3

24,7

17,7

18,2

18,7

23,4

25,4

21,3

22,1

23,1

25,1

21,1

20,8

19,3

18,6

11,3

10,7

9,4

9,2

9,5

8,7

8,2

6,9

8,2

8,6

7,8

7,8

5,8

5,3

7,3

15,0

20,6

16,5

18,7

17,8

17,8

21,0

18,2

12,4

17,8

17,3

16,9

16,6

17,9

20,1

18,7

20,4

37,2

41,8

42,7

46,1

42,9

44,5

32,8

40,0

39,6

40,4

41,3

39,4

42,1

41,9

38,3

34,2

0,4

0,2

1,1

1,7

2,4



12,4

6,8

4,6

4,8

4,3

3,1

1,1

1,2

0,7

1,0

1,3 1,8 2,7 — — — -

2,5 — -

2,0 — 3,0

5,3 2,3 _

2,2 3,3 _

1,3 2,5 _

0,7 1,6 _

0,7 0,5 _

_

_ 2,5 — —

_ 1,3 0,2 —





_

_

_

0,8 —

0,7 —

0,6 —





_

_

_















0,1

1,6 1,9 — — 1 , 2 -

4,5 8,2 5,6 3,5 — — — 2,7 — _ _ _

3

, 2 - - _ _ _ _ _ 0,8 0,9 — — — — 0,5 2,2 3,1 1,2

_ — —

— 0,8

— —

_ _ _ _ 0,4 0,4 — —









_

0,1

1,0

_

1,8

_

2,1

_

— 1,0



_











_

_

— 2,8

_

_

_



_

_ —

0,3

_

_

0,4

_ — 0,4



_ — —

0,4 0,4



_

_

6,1

5,8

10,9

0,3





2,0 6,1 —

100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0 100,0

12 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

Wahl der Parlamente

178

Tabelle A 3: Sitzverteilung im dänischen Folketing 1901—1968 ohne Grönland und Faröer April 1901 (Moderate) Venstre Venstre (Reformpartei)

16 ] l 76

Radikale Venstre

J

Juni 1903

Mai 1906

12

9 f 56 73 J l

Mai 1909 11 1 37 J

Mai 1910 57

Mai April April 1913 1918 1920 44

46

4g

Juni 1920

Sept. April 1920 1924

Dez. 1926

M

51

46

44

9

15

17

31

31

17

16

18

20

16

12

12

21

13

7

22

28

26

27

28

30

Konservative Volkspartei (vor 1915: Hojre)

8

Sozialdemokratische Partei

14

16

24

24

24

32

39

42

42

48

55

53

Erwerbspartei













1

4

4

3





























Kommunistische Partei Reditsstaatspartei (Retsforbundet)























2

„Die Unabhängigen"

























Bauernpartei

























Freie Volkspartei

























Liberales Zentrum

























Schleswig-Partei



















1

1

1

Dänische Sammlung

























sche Arbeiterpartei

























Sozialistische Volkspartei

























socialisterne)

























Andere



1

4

6

3



2











114

114

114

114

114

114

139

139

139

148

148

148

Nationalsozialisti-

Likssozialisten (Venstre-

Zusammen

(Quelle: Statistiske Meddelelser / Statistisk Arbog / Statistiske Efterretninger)

179

Dänemark

April Nov. Okt. April März Okt. 1929 1932 1935 1939 1943 1945

Okt. Sept. 1947 1950

April 1953

Sept. Mai 1953 1957

Nov. Sept. Nov. Jan. 1960 1964 1966 1968

43

38

28

30

28

38

49

32

33

42

45

38

38

35

34

16

14

14

14

13

11

10

12

13

14

14

11

10

13

27

24

27

26

26

31

26

17

27

26

30

30

32

36

34

37

61

62

68

64

66

48

57

59

61

74

70

76

76

69

62



2



18

9

3 _

_

2

4 _

_ 1

_

4 _ -

3 _

_

_

1 _

3 2 _ 4

1 _

3 _

1 _

6

_ 3

_

— _

— _

_

7 12

_

2 _

7

— _

_

9 _

_ —

_

_

8

6









6

9

— 6 —

— 5 —

— — —

— — —

4



_ —

_

_



_

_

_

4







1 —

1 —



1 —

_ —

_

_ —

_

_

_

3

3





































—•





11

10

20

11





























4

148

148

148

148

148

148

148

149

149

175

175

175

175

175

175

Wahl der Parlamente

180

Tabelle A 4 : Das Verhältnis von Stimmen u n d Mandaten v o r u n d nadi den Änderungen des Wahlsystems bzw. des Zuteilungsverfahrens von 1918, 1920 und 1953 Wahljahr

KV

SL

SP a

b

a

b

a

V b

a

KP

R b

1910 1913

28,3 21,6 19,0 14,8 18,6 11,7 34,1 50,0 29,6 28,1 18,7 27,2 22,6 6,1 29,1 38,6

1918

28,5 28,1 21,2 22,3 18,2 15,8 29,5 33,1

a

b

a

b

Andere a b













2,6

0,7



2,8

2,0



3,5

2,9



3,8

2,7

1920 29,2 30,2 12,0 12,3 19,6 20,1 34,4 34,5 (Apr.) 1920 29,8 30,2 11,6 11,5 18,8 18,7 36,3 36,7 (Juli) 1920 32,0 32,4 12,3 12,2 17,8 18,2 34,1 34,5 (Sept.)

39,6 39,7 40,4 41,0

8,2 8,6

8,0 17,8 18,1 21,3 21,5 8,7 17,3 17,3 22,1 22,1

8,2 5,6

8,0 6,0

4,6 4,8

4,7 4,7

0,3 1,2

1953 41,3 42,3 (Sept.) 1957 39,4 40,0

7,8

8,0 16,9 17,1 23,1 24,0

3,5

3,4

4,3

4,6

3,1

0,6

7,8

8,0 16,6 17,1 25,1 25,8

5,3

5,1

3,1

3,4

2,7

0,6

1950 1953 (Apr.)

a Stimmenanteil in Prozent b Mandatsanteil in Prozent SP Sozialdemokratische Partei SL Sozialliberale Partei (Radikale Venstre)



K V Konservative Volkspartei (vor 1915: Hejre) V Liberale Partei (Venstre) R Rechtsstaatspartei K P Kommunistische Partei

Tabelle A 5: Der Anteil personaler Stimmen an den insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen 1953—1968 (in Prozent) Parteien Konservative Volkspartei Dänische Sammlung Freie Volkspartei Schleswig-Partei Liberales Z e n t r u m „Die Unabhängigen" Venstre Radikale Venstre Rechtsstaatspartei Sozialdemokratische Partei Sozialistische Volkspartei Linkssozialisten Kommunistische Partei Insgesamt

Wahljahre 1960 1964

1966

1968

42

47

68

46 38 31 59







35 51 53 48 39 45

32 48 45 43 34 44

35 35 49 38 45 33 38









69

57

56

54

53 42 40 54 36 44 36 40 51 55

51

45

41

39

43

1953

1957

52

55

50















70





43 52 55 54 44

42 54 56 52 45

— —

63 49

(Quelle: Statistiske Efterretninger, 1964/39, 1968/7)











Dänemark

181

Tabelle A 6: Mandatsverteilung im Landsting 1886—19531) Jahr 1886 1890 1894 1898 1902 1906 1910 1914 1915 1918 1920 I 1920 II 1924 1928 1932 1936 1939 1943 1945 1947 1951 1953

Konservative 50 48 46 42 40 39 36 28 28 18 14 13 12 12 13 15 13 14 14 13 12 13

Liberale 16 16 18 22 25 22 22 27 27 26 31 33 31 28 28 22 18 18 19 21 22 22

Radikale — — — — —

1 4 7 7 13 8 8 8 8 7 7 8 8 8 7 6 6

Sozialisten —

2 2 2 1 4 4 4 4 15 19 22 25 27 27 32 35 34 34 33 33 33

Andere 2 ) — — — — — — — — — — — — — — — —

1 1 —

1 2 1

Anmerkungen: ') Zahl der Mitglieder des Landstings bis einschließlich 1915: 66, f ü r 1918 und 19201: 72, seit 1920 II: 76. l ) 1939 und 1943: Bauernpartei; 1947 und 1951: Kommunistische Partei; 1951 und 1953: Rechtsstaatspartei (Retsforbundet). (Quelle: Statistiske Arbog; Fusilier, s. BiblAng., S. 624)

II. Systematischer

Teil

Gesetzliche Grundlagen: Verfassung vom 5. Juni 1953; Gesetz Nr. 270 vom 21. Juni 1966; (enthält das WG vom 31. März 1953 und die darauffolgenden Änderungen). Parlament: Folkething (Volksthing), eine Kammer. Mitgliederzahl: 179 (VfsArt. 28). Wahlperiode: 4 Jahre (VfsArt. 32, WG Art. 75). Vorzeitige Auflösung: Möglich, formal jederzeit durch den König auf Veranlassung des Ministerpräsidenten (VfsArt. 32), vorgeschrieben (VfsArt. 88) im Falle einer Verfassungsänderung. Wahlrechtsgrundsätze: Allgemein, gleich, direkt und geheim (VfsArt. 31). Aktives Wahlrecht: Ab 21 Jahre (WG Art. 1). Ausschließungsgründe: Keine dänische Staatsbürgerschaft, kein fester Wohnsitz im Lande, Unmündigkeit (WG Art. 13, VfsArt. 29).

182

Wahl der Parlamente

Verlust des Wahlrechts: Als gesetzliche Folge des Empfangs von Armenuntepstützung oder Unmündigkeitserklärung (WG Art. 1). Passives Wahlrecht: Ab 21 Jahre; gleiche Bedingungen wie zum aktiven Wahlrecht (VfsArt. 30, 33, WG Art. 2). Ausschließungsgründe: Bei Verurteilung für eine Straftat, die nach allgemeiner Auffassung unwürdig macht, Mitglied des Parlaments zu sein (VfsArt. 30, 33, WG Art. 2). Wahlpflicht: Besteht nicht (WG Art. 1). Wahlsystem: Verhältniswahl mit und ohne Liste; Möglichkeit parteiungebundener Kandidatur; der Wähler hat eine Stimme, die er dem Kandidaten direkt (Personalstimme) oder einer Partei geben kann (Parteistimme). Verrechnung im Wahlkreis und auf Landesebene (WG Art. 23—27, 32, 35—40). Einteilung des Wahlgebiets: 3 Wahlzonen (Groß-Kopenhagen, die Inseln und Jütland) unterteilt in 23 Wahlkreise mit je 2—15 Mandaten, unterteilt in 126 kleinere Wahlbereiche (opstillingskreds — Aufstellungskreis); je zwei Folketingswahlkreise auf den Färöer und auf Grönland außerhalb der Einteilung des dänischen Hauptlandes mit je 2 Mandaten (WG Art. 17—22). Größe der Wahlkreise: Stimmt geographisch weitgehend mit den kommunalen Verwaltungsbezirken der „Amtskreise" (Amtskreds) überein; die Anzahl der auf einen Kreis entfallenden Sitze wird nach jeder Wahl der Zahl der Wahlberechtigten proportional festgelegt (WG Art. 17—22). Zuteilungsverfahren: Kreismandate: Auf der Grundlage der Stimmenzahl der Partei (oder des unabhängigen Kandidaten) im Kreis nach der Ausgeglichenen Methode (1,4 - 3 - 5 - 7; S. 49 f.). Zuschlagsmandate (insgesamt 40): nach der Gesamtstimmenzahl der Partei im ganzen Land als Differenz zwischen ihrem proportionalen Anteil an 175 Sitzen und den errungenen Kreismandaten; regionale Verteilungen auf Zonen nach St. Lague, auf die Wahlkreise nach 1 - 4 - 7 (->- S. 49) auf der Grundlage der jeweiligen Stimmenzahl der Partei in der Zone bzw. im Wahlkreis. Bedingungen für die Zuteilung von Zuschlagsmandaten: die Partei muß wenigstens 1 Kreismandat errungen haben, oder in mindestens 2 der 3 Zonen die Anzahl der für ein Kreismandat durchschnittlich abgegebenen Stimmen erreicht haben, oder im ganzen Land wenigstens 2 °/o aller Stimmen auf sich vereinigt haben (WG Art.42—44). Ermittlung der gewählten Kandidaten: Die Verteilung der Mandate an die einzelnen Bewerber innerhalb der Parteilisten richtet sich nach dem Typ der von den Parteien jeweils angemeldeten Kandidatenliste (s. Kandidatenlisten). Nach der losen Parteiliste im Wahlkreis sind die Kandidaten gewählt, die die meisten Personalstimmen auf sich vereinigen. Die nicht für einzelne Kandidaten abgegebenen Stimmen werden den Bewerbern im Verhältnis der von ihnen erzielten Personalstimmen zugeredinet. Nach der zweiten Form der Liste (Einzelkandidatur im Aufstellungskreis, alphabetische Wahlkreisliste) erhält der Kandidat im Aufstellungskreis neben den auf ihn entfallenden Personalstimmen alle für die Partei abgege-

183

Dänemark

benen Stimmen im Aufstellungskreis und die in den anderen Aufstellungskreisen erzielten Personalstimmen; die Mehrheit der Stimmen entscheidet unter den Kandidaten der Aufstellungskreise im Wahlkreis: Beispiel: In einem Wahlkreis bestehen fünf Aufstellungskreise. Eine Partei hat im Wahlkreis drei Mandate zugesprochen erhalten.

Be-

im Auf-

werber

stellungs-

Aufstellungskreis

Bewerber

eins

zwei

drei

vier

fünf

insgesamt

218

4 041

187

540

5 262

kreis Α

drei

276

Β

eins

6 241

27

13

18

51

6 350

C

zwei

65

1 924

4

11

81

2 085

D

fünf

71

327

7

54

5 000

5 459

Ε

vier

10

24

32

6 072

31

6 169

6 663

2 520

4 097

6 342

5 703

25 325

Stimmen im Aufstellungskreis

Die Kandidaten Β, Ε und D haben die meisten Stimmen auf sich vereinigt und gelten als gewählt. Bei der dritten Form der Liste (Einzelkandidatur im Aufstellungskreis, feste Parteiliste) entscheidet die Verteilungszahl über die Vergabe der Mandate. Um die Verteilungszahl zu erhalten, wird die Gesamtstimmenzahl einer Partei im Wahlkreis durch die um eins vermehrte Zahl der ihr zugesprochenen Mandate dividiert. Derjenige Kandidat, der mehr Stimmen als die Verteilungszahl erhalten hat, ist gewählt. Die Stimmen der Kandidaten setzen sich zusammen aus den Parteistimmen im betreffenden Aufstellungskreis des Kandidaten und den Personalstimmen in allen Aufstellungskreisen des Wahlkreises. Erreichen weniger Kandidaten einer Partei die Verteilungszahl, als Mandate der Partei zu vergeben sind, so findet eine Stimmenübertragung statt. Dabei werden die Überschußstimmen bereits gewählter Bewerber oder derjenigen, die am wenigsten Stimmen erhalten haben, in den Aufstellungskreisen immer den jeweiligen Wahlbereichs-Kandidaten übertragen. Ist dieser ausgeschieden, da er bereits gewählt wurde oder weil seine Stimmen übertragen werden, so kommen in diesem Aufstellungskreis die Stimmen dem noch nicht gewählten, an höchster Stelle der Parteiliste rangierenden Kandidaten zugute. Beispiel: In einem Wahlkreis mit fünf Bewerbern A, B, C, D und E, die in dieser Reihenfolge von der Partei auf die Wahlkreisliste gesetzt wurden und je in einem der fünf Aufstellungskreise kandidierten, erhält die Parteiliste insgesamt 21 999 Stimmen und drei Mandate zugesprochen. Die Ver-

184

Wahl der Parlamente

teilungszahl beträgt 21 999 dividiert durch vier gleich 5500. Auf die einzelnen Kandidaten entfielen folgende Stimmen: Aufstellungskreis eins zwei drei vier fünf

A 3 800 50 44 66 40

Β 300 5 400 600 180 120

4 000

6 600

Bewerber C 500 70 3 096 500 434 4 600

D 550 50 400 3 594 406

Ε 50 30 253 466 1 000

Insgesamt

5 000

1 799

21 999

5 5 4 4 2

200 600 393 806 000

Als einziger Kandidat hat Β mit 6600 Stimmen die Verteilungszahl erreicht. Der Stimmenüberschuß von 1100 Stimmen wird auf die anderen Kandidaten im Wahlkreis übertragen, und zwar in den Aufstellungskreisen jeweils auf den Kandidaten des Wahlbereichs, im Aufstellungskreis desjenigen, dessen Stimmenüberschuß übertragen wird, auf den noch nicht gewählten, an höchster Stelle der Parteiliste rangierenden Bewerber. Da 1100 ein Sechstel des Gesamtstimmengewinns von Β ausmacht, wird in den Aufstellungskreisen jeweils ein Sechstel der von Β erzielten Stimmen übertragen, so daß die Stimmenübertragung wie folgt aussieht: Aufstellungskreis

Reihenfolge der Bewerber

eins zwei drei vier fünf

ABCDE BACDE CABDE DABCE EABCD

an Bewerber

Ubertrag Ve Ve Ve Ve Ve

von 300 = 50 von 5 400 = 900 von 600 = 100 von 180 = 30 von 120 = 20

A A C D Ε

Nach der ersten Stimmenübertragung ergeben sidi folgende neue Stimmenzahlen: Bewerber

A

Β

c

D

Ε

4 000 + 950 4 950

6 600 — 1 100 5 500

4 600 + 100 4 700

5 000 + 30 5 030

1 799 + 20 1 819

Kein weiterer Kandidat hat die Verteilungszahl erreicht, so daß nun die Stimmen des Kandidaten mit der niedrigsten Stimmenzahl übertragen werden, die Stimmen von E. In drei der fünf Aufstellungskreise fallen die dort von Ε gewonnenen Stimmen dem Bewerber Α zu. N u r im dritten und vierten Aufstellungskreis erhalten C und D die Stimmen von Ε übertragen: Bewerber

A 4 950 + 50 30 + + 1 000 6 030

C +

4 700 253 4 953

D +

5 030 466 5 496

Ε 1 819 — 1 819 —

Dänemark

185

Der Bewerber Α hat nun die Verteilungszahl erreicht und ist gewählt. Zwischen den beiden verbliebenen Kandidaten C und D wird entschieden, indem die Überschußstimmen von Α übertragen werden. Entsprechend der Reihenfolge auf den Stimmzetteln geht der Stimmenübersdiuß von Α auf den Bewerber C über, ausgenommen im Aufstellungskreis von D. D kann allerdings bei der dritten Stimmenübertragung mit 5502 die Verteilungszahl übertreffen. Somit sind die Kandidaten Α, Β und D gewählt (nicht aber der Bewerber C, der ursprünglich mit 4600 Stimmen mehr Stimmen auf sidi vereinigte als der gewählte Kandidat A. Hier zeigt sich, welchen Einfluß die feste Parteiliste, die Plazierung auf der Liste durch die Partei, auf die parteiinterne Vergabe der Mandate in einem Wahlkreis haben kann). [Zahlen nach Braunias, I, S. 65 ff.] Wahlbewerbung: Allgemein: Jeder Kandidat muß von 25—50 Wahlberechtigten seines Wahlbereichs durch schriftliche und persönliche Erklärung nominiert werden; Abschluß der Kandidatenmeldung bis spätestens 10 Tage vor der Wahl; Geldhinterlegung ist keine erforderlich; die Prüfung seiner Wählbarkeit obliegt nicht dem Wahlbewerber (WG Art. 24—26). Selbständige Bewerber: Teilt die Tatsache seiner selbständigen Bewerbung ausdrücklich mit, sonst keine besonderen Vorschriften (WG Art. 25). Parteibewerber: Eine Partei, die schon Parlamentssitze innehat, qualifiziert sich damit formlos zur Teilnahme an einer Neuwahl; Anmeldung einer anderen Partei durch persönliche Erklärung von mindestens 10 000 Wahlberechtigten; der Bewerber teilt bei seiner Meldung mit, welche Partei er unterstützt. Die Partei gibt die Form der Kandidatenlisten bekannt (WG Art. 23). Kandidatenlisten: Drei Typen sind zu unterscheiden: 1. Lose Parteiliste im Wahlkreis („sideordnet ops tilling"); alle Kandidaten einer Partei im Wahlkreis sind in alphabetischer Reihenfolge auf dem Stimmzettel aufgeführt. Mehrere von ihnen oder alle bewerben sich in allen Aufstellungskreisen. 2. Einzelkandidatur im Aufstellungskreis, jedoch mit Anfügung der restlichen Wahlkreisbewerber einer Partei in alphabetischer Reihenfolge. 3. Einzelkandidatur im Aufstellungskreis mit fester Parteiliste im Wahlkreis („partilisteopstilling*'); die restlichen Wahlkreisbewerber werden in einer bestimmten Reihenfolge auf die Parteiliste gesetzt (WG Art. 25). Wahlorganisation: Wahlleitung in jedem Wahlbereich, bestehend i. a. aus gewählten Vertretern der zum Bereich gehörenden Kommunalverwaltungen; je nach Größe der Gemeinde 2—5, mindestens jedoch 1 Vertreter (WG Art. 17—22). Wählerverzeichnisse: Werden von den Kommunalverwaltungen des Wahlbereiches geführt; bei mehreren festen Wohnsitzen entscheidet über den Ort der Eintragung der persönliche Aufenthalt des Wahlberechtigten am 1. Januar des laufenden Jahres; Neuanlage der Wählerverzeichnisse von Mitte bis Ende Januar jeden Jahres; öffentliche Auslegung vom 1.— 8. Februar; Einspruchsmöglichkeit bis 12. Februar; Gültigkeitsdauer vom

186

Wahl der Parlamente

1. März bis Ende Februar des folgenden Jahres; laufende Ergänzung auf gesonderter Liste (WG Art. 3—16). Wahlrechtsschutz: In Zweifelsfällen kann vor Gericht auf Feststellung des Wahlrechts geklagt werden (WG Art. 15). 'Wahltermin und -tag: Wird vom König in einem Offenen Brief bekanntgegeben (WG Art. 77). Wahllokal: Je nach Bevölkerungszahl und Besiedlungsverhältnissen mehrere von der Bereichswahlleitung festgelegte Wahllokale (WG Art. 31). Wahlzeiten: Gewöhnlich von 9.00 bis 24.00 Uhr (WG Art. 34). Stimmabgabe: Erfolgt geheim und persönlich durch Abgabe des amtlichen Stimmzettels (WG Art. 32, 35). Briefwahl: Ist ebenso wie Stimmabgabe auf dänischen Schiifen und bei den diplomatischen Vertretungen unter bestimmten Bedingungen möglich (WG Art. 55—65). Stimmauszählung: Erfolgt auf der Ebene des Wahlbereichs (WGArt.36—39). Auszählungskontrolle: Durch den Vorsitzenden der Wahlleitung des Wahlbereichs (WG Art. 38). Wahlanfechtung: Muß am Wochentag nach der Wahl beim Parlament auf dem Amtsweg über das Innenministerium eingereicht werden; das Parlament bestimmt, ob und ggf. in welchem Ausmaß eine Neuauszählung vorgenommen werden soll und auch darüber, was zu geschehen ist, falls die Wahl auf eine nicht wählbare Person gefallen ist (WG Art. 75, 53, 54). Wahlprüfung: Das Folketing trifft selbst die Entscheidung über die Gültigkeit der Wahl seiner Mitglieder sowie über die Frage, ob ein Mitglied seiner Wählbarkeit verlustig gegangen ist (VfsArt. 33). Bibliographie 1. Quellen: Verfassung: GG vom 5. Juni 1849; Vf. vom 2. Oktober 1855; Vf. vom 18. November 1863; Vf. vom 28. Juli 1866; Vf. vom 5. Juni 1915 mit Änderungen: 17. September 1920; Vf. vom 5. Juni 1953. Wahlgesetze: WG vom 16. Juli 1849; WG vom 12. Juli 1867; WG vom 10. Mai 1915; WG vom 11. April und 28. Juni 1920; WG vom 31. März 1953 mit Änderungen zusammengefaßt im Ges. Nr. 176 vom 22. Mai 1964. 2. Quellenpublikationen:

Dansk forfatningslov 1665—1953

Udg. med. inledninger af Jens Himmeistrup og Jens Möller, 2. Aufl. 1958; Dänemark, Hrsg. v. Kgl. Dan. Min. d. Äußeren, Kobenhavn 1962, S. 121—130; Vf. v. 1953 deutsch in: Mayer-Tasch, S. 23 ff., WG v. 1953 in: Indenrigsministeriets lovbekendtgorelse nr. 176 af 22. maj 1964.

Dänemark

187

3. Auswahl aus dem Schrifttum: PoIGesdi. / VfsGesdi. / V r S t . : Dänemark, Hrsg. v. Kgl. Dan. Min. d. Äußeren, Kebenhavn 1962 Danmarks historie, udg. af Historikergruppen, D e t danske Forlag, Kobenhavn 1951. Winding, Κ.: Danmark for 100 aar siden og nu J . H . Schultz Forlag. Kobenhavn 1940.

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WRGesch. / WsStud. / WSoz.

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Rolf Kraft / Dieter Nohlen

DEUTSCHLAND

I. Historischer

Teil

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war bis zur Niederlegung der Reidiskrone durch Kaiser Franz II. am 6. August 1806 ein ständisch verfaßter Staat, der sidi auf das dualistische Gliederungsprinzip von „Kaiser und Reich" gründete. Die Stände (Adel, Geistlichkeit, Städte und in einigen Ausnahmefällen auch die Bauern) bildeten die Grundlage von Versammlungen, in denen „in korporativer Organisation die Gesamtheit, das «Land» oder das «Reich», gegenüber dem Herrscher «vertreten»" (O. Hintze) wurde. Weder die in England im 17. und 18. Jahrhundert erkämpfte Teilnahme des Parlaments an der Regierung noch der Gedanke der Nationalrepräsentation, wie er in der französischen Nationalversammlung von 1789 zum Ausdrude kam, waren im „alten Reich" jemals verwirklicht worden. Zudem hatten nicht nur die kaiserliche Zentralgewalt und der Regensburger Reichstag, sondern auch die landständischen Körperschaften in den einzelnen Territorien im Zeitalter des Absolutismus ständig an Einfluß verloren. Vielfach wurden die Landtage nicht mehr einberufen oder sogar ganz abgeschafft. Repräsentiert waren die bevorrechtigten Stände, in der Regel die Prälaten, die Ritterschaft und die Städte. Während in den katholischen Territorien, vor allem in den geistigen Fürstentümern, der Prälatenstand noch verhältnismäßig einflußreich war, hatte er in protestantischen Gebieten seine ursprüngliche Position verloren. Der Ritterschaft war in einzelnen Territorien auch der landsässige Herrenstand angegliedert. In Ländern, in denen der gesamte Adel der Reichsritterschaft angehörte — wie ζ. B. in Württemberg —, gab es keine ritterschaftliche Kurie mehr. In Gebieten, in denen keine Kurie der Ritter oder der Prälaten existierte, oder wo aufgrund der geographischen und wirtschaftlichen Gegebenheiten, wie in Ostfriesland, im Dithmarschen, in Hadeln und in den Alpen, vor allem in Tirol, neben den Städten die Bildung eines weiteren Standes unumgänglich war, hatten auch die Bauern, vielfach bereits seit dem späten Mittelalter, eine eigene Vertretung erlangt. Die Bestellung der ständischen Körperschaften ging auf verschiedene Techniken zurück, unter denen die Wahl nur eine geringe Rolle spielte. Während die Ritterschaft auf den Landtagen in eigener Person erschien, entsandten die Kapitel, Klöster, Stifte, Universitäten und Städte Deputierte, die von den Korporationen delegiert wurden,

190

Verfassungsneuordnung nach 1806

und die sie als solche repräsentierten. In den Städten beriefen gewöhnlich die Magistrate die Landtagsmitglieder. Die Abgeordneten des Bauernstandes setzten sich im allgemeinen aus den Gemeindevorständen zusammen, oder aber sie wurden von den Gemeindebewohnern nach den Grundsätzen des jeweiligen Gemeindewahlrechts bestellt. Die Auflösung des „alten Reiches", die territoriale Neugestaltung infolge von Säkularisation und Mediatisierung durch den Reichsdeputationshauptschluß (1803) sowie der Gründung des Rheinbundes (1806) und die Besetzung weiter Gebiete durch französische Truppen ließen eine Neuordnung der staatlichen Verhältnisse notwendig werden und konfrontierten die deutschen Staaten mit den Verfassungsvorstellungen der französischen Revolution, den napoleonischen Reformen und der angelsächsischen Verfassungsentwicklung. Die Abkehr von den „alten" Verfassungsgrundlagen vollzog Preußen mit den Stein-Hardenbergschen Reformen (seit 1808), deren Ziele die „Belebung des Gemeingeistes und Bürgersinns, . . . , der Einklang zwischen dem Geist der Nation, ihren Ansichten und Bedürfnissen, und denen der Staatsbehörden, die Wiederbelebung der Gefühle für Vaterland, Selbständigkeit und Nationalehre" (Nassauische Denkschrift) waren. Auf lokaler Ebene sollten die besitzenden und gebildeten bürgerlichen Schichten durch Selbstverwaltung an den politischen Entscheidungen beteiligt werden. Der ständisch-korporativen Bestellungsweise diametral entgegengesetzt, beeinflußt vom englischen Vorbild, den Munizipalgesetzen der französischen Revolution und dem Wahlrecht in den freien Reichsstädten, führte deshalb die preußische Städteordnung vom 19. November 1808 zum ersten Mal in Deutschland ein fast allgemeines, gleiches, direktes und geheimes Männerwahlrecht ein, das nur an einen verhältnismäßig geringen Zensus (150 200 Taler jährliches Einkommen) und an die Bestimmung, daß zwei Drittel der Wahlberechtigten Hauseigentümer sein mußten, gebunden war. Die in Wahlkreisen bestellten Repräsentanten sollten die Exekutive, d. h. den von ihnen gewählten Magistrat, kontrollieren und Verbesserungsvorschläge machen. Sie sollten nur ihrem eigenen Gewissen, nicht aber der Wählerschaft verantwortlich sein und dem Wohl der ganzen Stadt, nicht dem ihrer Auftraggeber dienen. Während die Refom der lokalen Verwaltungen von den Fürsten durchgeführt wurde, forderte die nationale Bewegung, getragen von dem romantisch verklärten Gedanken an eine „nationale Wiedergeburt des Reiches", auch auf staatlicher Ebene eine geschriebene Verfassung als „ein geschlossenes, den Staat in seiner Totalität erfassendes System rational richtiger, gültiger Bestimmungen"

Deutschland (Deutscher Bund)

191

(Fr. Schnabel) und trat — entsprechend den Implikationen der konstitutionellen Idee (s. u.) — für eine Anerkennung der Leistungen des Bürgertums während der Befreiungskriege ein. Trotz der Zusagen einiger Fürsten, eine Verfassung auf „volkstümlicher Basis" zu schaffen, formulierte der Wiener Kongreß, der die Neuordnung Europas und des Reiches noch ganz nach dem Prinzip des Gleichgewichts der Mächte ohne Berücksichtigung der Interessen der einzelnen Völker vollzog, in der Wiener Bundesakte nur, daß „in allen Bundesstaaten eine landständische Verfassung stattfinden..." werde (Art. 13). Dieser bemerkenswert unbestimmt gehaltene Artikel beeinflußte nicht nur die Verfassungsdiskussionen nachhaltig, sondern führte auch in den meisten Staaten zu neuen, in der Regel vom Fürsten oktroyierten Verfassungen (s. hierzu Tabelle in: E. R. Huber, VfsGesch. Bd. 1, S. 656 f.; s. BiblAng.). In den norddeutschen Staaten (s. Tab. G I), in denen sich der landständische Dualismus aufgrund der nur minimalen territorialen Veränderungen noch relativ stark und ungebrochen erhalten hatte, blieben die alten, vornapoleonischen Verfassungen entweder bestehen (in Sachsen-Gotha, den beiden Mecklenburg, den anhaltinischen Herzogtümern und den reußschen Fürstentümern) oder wurden geringfügig revidiert (in Lippe, Preußen, Schleswig-Holstein, Schaumburg-Lippe), indem man die Zusammensetzung der landständischen Körperschaften (in Preußen entgegen der zugesagten Landesrepräsentation die Provinzialstände) neu organisierte und den Landtagen eine beratende Stimme bei der Gesetzgebung einräumte. Die süddeutschen Staaten (u. a. Baden, Bayern, HessenDarmstadt, Nassau, Württemberg, s. Tab. G I) hingegen haben nach dem Wiener Kongreß (Nassau bereits am 1. September 1814) neue Verfassungen erlassen, um ihre durch den Reichsdeputationshauptschluß und den Rheinbund territorial stark veränderten Staaten zu konsolidieren und um einer bundesstaatlichen Verfassungsentwicklung entgegenzuwirken. Diese Verfassungen, die in Anlehnung an die französische Charte von 1814 entstanden, wiesen bereits konstitutionelle Prinzipien auf; zum erstenmal in Deutschland garantierten sie den Bürgern unveräußerliche Grundrechte und gewährleisteten Gewaltenteilung, Zwei-Kammersystem (s. Tab. G I) sowie Ministerverantwortlichkeit. Während sich die erste Kammer im allgemeinen aus den Prinzen des jeweils regierenden Hauses, dem hohen Adel, Vertretern der Kirche und der Universitäten und „Männern des allerhöchsten Vertrauens" zusammensetzte, wurden die Mitglieder der zweiten Kammer meist durch ein beschränktes Wahlrecht bestellt. Die Abgeordneten waren Vertreter des gesamten Volkes gegenüber dem Monarchen, nicht aber

192

Wahl der Parlamente

Groß-Tabelle G Is Das Wahlredit in deutschen Staaten von 1815—1848 Staat Gesetzliche Grundlagen Vf. « V e r f a s s u n g W G = Wahlgesetz W O = Wahlordnung V —Verordnung

Zahl der Kammern 1. = 1. Kammer 11.= 2 . K a m m e r Mitgliederzahl Zusammensetzung Wahlperiode

Baden

Zwei K a m m e r n : I. geb. u. gewählt, keine feste Zahl, II. 63 Abg., alle 2 j a h r e 1/4 Erneuerung

Ansässigkeit als Bürger aktives Wahlrecht im Wahldistrikt oder Bekleidung eines öffentlichen Amtes, 25 Jahre (grundherrlicher Adel: 21 Jahre)

Zwei K a m m e r n : I. geb., keine feste Zahl II. auf 7.000 Familien 1 Abg. 6 Jahre

Urwahlen von Gemcind corganen vollzogen, Gemeindewahlrecht

Ansässigkeit, Grundbesitz, Steu erleis tu ng

30 Jahre, Wählbarkeit zum Wahlmann

Braunschweig Vf. v. 25.4.1820 N e u e Landschaftsordnung v. 18.12.1832

Eine K a m m e r : 48 Abg. (10 der Ritterschaft, 10 der Bauern, 12 der Städte, 16 gemeinsam von den Ständen)

Landeszugehörigkeit, Steuerleistung, Bürgerrecht, Grundbesitz

Höchstbesteuerte im Wahlkreis

Magistratsmitglieder, höchstbesteuerte Händler, Gewerbetreibende, Grundbesitzer und Bauern

Hessen (Darmstadt) Vf. v. 17.12.1820 V v . 22. 3.1820 V v. 5.4.1820

Zwei Kammern: I. geboren u. ernannt, II. 6 J a h r e , 50 Abg., Sozialprop., 34 davon in Wahldistrikten

Staatsbürgerrecht, Ansässigkeit, 25 Jahre

60 Höchstbesteuerte· des Wahldistrikts, 30Jahre

3 0 j a h r e , direkte Steuerleistung oder Mindestgehalt als Staatsbeamter, Besitz von Staatspapieren

Hannover Vf. v. 6.8.1840 W G v . 6.11.1840

Zwei K a m m e r n : I. erbliche u. cx-ofiicio ernannte Mitglieder, 36 Abg. der Ritterschaft II. Abg. der Klöster, der Universität, des Domkapitels von Hildesheim, der Konsistorien, 36 Abg. der Städte und der Landgemeinden

Gemeindewahlrecht

aktives Wahlrecht

2 5 j a h r e , Staatsangehörigkeit, Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession, Grundbesitz, oder Mindestjahreseinkommen, oder Mehrjahreseinkommen

HohenzollernHechingen W O v . 1. 2.1835; beruht auf Landesvergleich von 1798

Eine K a m m e r : 12 Abg. (2 der Stadt Hcchingen und 10 der Landgemeinden)

Gemeindebürgerrecht, 25jahre

aktives Wahlrecht, 1/2 aus Höchstbesteuerten

Wählbarkeit zum Wahlmann

HohenzollernSigmaringen VfTv. 11.7.1833

Eine K a m m e r : die beiden fürstlichen Standesherren oder deren Delegierte, 1 Abg. der Geistlichkeit, und 14 Abg. der in 7 Wahlbezirken aufgeteilten Gemeinden

Gemeindebürgerrecht, 25 J a h r e (auch die verwitweten Frauen, die durch ihre Söhne wählen)

aktives Wahlrecht, 1/2 aus Höchstbesteuerten

aktives Wahlrecht, bestimmtes Vermögen, oder ständiges Einkommen, Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession

Kurhessen Vf. v. 5.1.1831 W G v. 16. 2.1831

Eine K a m m e r : 3Jahre, geborene und gewählte Mitglieder

3 0 j a h r e , Selbständigkeit, Ortsbürgerrecht, Besitz eines W o h n hauses oder Grundbesitz

aktives Wahlrecht, H ö chs tb es teu erte, sonst: Mindesteinkommen oder Staatsbesitz

Magistratsmitglieder: Mindestvermögen oder Einkommen, oder Steuerleistung, sonst: Mindeststeuer, Vermögen, 3 0 j a h r e

Lippe

Zwei K a m m e r n : Besitz eines GrundI. 7 Abg. der Ritterschaft stuckes, 25 Jahre II. 7 Abg. der Städte und 7 Abg. der Bauern

direkte Wahl

Mindestgrundbesitz, oder Bürgermeister, oder Syndikus

Vf. v. 22.8.1818 W O v. 23.12.1818

Bayern Vf. v. 26.5.1818 Iidikt v. 26. 5.1818

Vf. v. 6.7.1836

Erfordernisse für die Wahl zur 2. Kammer

Aktives Wahlrecht*

Wahl zum Wahlmann

Passives Wahlrecht

30 Jahre, Mindestkapital oder Bezug einer Rente, verbunden mit direkter Steuerleistung, Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession

Deutschland (Deutscher Bund)

Nassau

Zwei K a m m e r n : P a t e n t v. 1/2.9.1814 I. Herrenbank: ernannt, erblich Patent v. 3/4.11.1815 II. 22 A b g . der Geistlichkeit, der G r u n d b e s i t z e r , der Gewerbetreibenden, der höheren Lehranstalten, 7 j a h r e

193

nichtadlige G r u n d besitzer: Mindeststeuerleistung

aktives Wahlrecht, höhere Grundsteuer

aktives Wahlrecht, h ö h e r e Grundsteuer

Preußen V v . 1.7.1823 V v. 2 3 . 3 . 1 8 2 4

nur P r o v i n z i a l l a n d t a g e

24 J a h r e , G r u n d b e s i t z

aktives Wahlrecht (4. S t a n d bestellt W ä h l e r , die dann Bezirkswahlmänncr wählen)

mindestens lOjübriger Grundbesitz: Magistratszugehörigkeit oder Gewerbebetrieb verbunden mit Grundbesitz

Sachsen Vf. v. 4.9· 1831 W G v. 2 4 . 9 . 1 8 3 1

Zwei K a m m e r n : I. g e b . M i t g l i e d e r II. 75 A b g . , S o z i a l p r o p . , 3 J a h r e Teilerneuerung

Ortscinwohnerschaft, 25 J a h r e , E i g e n t u m eines W o h n h a u s e s oder direkte Steuerleistung

aktives Wahlrecht höherer Z e n s u s , 30jahrc

aktives Wahlrecht, höherer Z e n s u s , 30jahre, 3 J a h r e Ansässigkeit

SachsenAltenburg G G v . 29.4.1831 W G v. 29.4.1831

Eine K a m m e r : 24 A b g . der R i t t e r g u t s b e s i t z e r , der S t ä d t e und der Bauern und ein P r ä s i d e n t , 12 J a h r e

21 J a h r e , W o h n r e c h t , Steuerleistung oder Grundbesitz

aktives Wahlrecht (Rittergutsbesitzer wählen direkt)

aktives Wahlrecht, Mindeststeuer, 25 Jahre

SachsenMeiningen V f . v. 14.9.1824 W G v. 23- 8.1829

Eine K a m m e r : 24 A b g . der R i t t e r g u t s b e s i t z e r , der S t ä d t e und der B a u e r n

direkte S t e u e r l e i s t u n g

Besitz des Bürgeroder N a c h b a r r e c h t s

Wählbarkeit zum W a h l m a n n , höherer Zensus

SachscnWeimar G G v . 5.5.1816

Eine K a m m e r : 31 A b g . (11 des R i t t e r s t a n d e s , 10 der S t ä d t e , 10 der B a u e r n )

Bürger- oder N a c h b a r recht, oder B e s i t z eines W o h n h a u s e s

aktives Wahlrecht

Einkommen, aktives Wahlrecht

SchaumburgLippe V v . 15.1.1816

Eine K a m m e r : 10 A b g .

Grundeigentum

aktives Wahlrecht

aktives Wahlrecht, 25 J a h r e (für Bauern 30 J a h r e )

SchleswigHolstein für Holstein: Vf. v. 28.5.1831 V v. 15.5.1834

Zwei Kammern: je eine für S c h l e s w i g und H o l s t e i n mit 44 bzw. 48 A b g . (4 der R i t t e r s c h a f t , 2 der Geistlichkeit, 5 der G r o ß g r u n d besitzer, 17 der L a n d g e m e i n d e n , 12 der S t ä d t e , 1 der U n i v e r s i t ä t K i e l , 1 der F i d e i g ü t e r ) , 6 J a h r e

25 J a h r e , G r u n d e i g e n tum oder H a u s b e s i t z , Zensus.

direkte Wahl

aktives Wahlrecht

SchwarzburgSondcrshausen Vf. v. 28.12.1830 (nicht in K r a f t getreten) Vf. v. 24.9.1841

Eine K a m m e r : 13 A b g .

21 J a h r e , B ü r g e r - o d e r Nachbarrecht

aktives Wahlrecht

3 0 j a h r e , Mindeste i n k o m m e n , oder M i n d e s t v e r m ö g e n in H ä u s e r n oder Ackcrn

Waldcck Landesvertrag v. 19.4.1816

Eine K a m m e r : Ritterschaft erscheint in Person, je 2 Deputierte der 3 Städte, 10 Abg. der Bauern

Besitz eines Ackergutes

aktives Wahlrecht

Mindestbesitz, aktives Wahlrecht

Württemberg V f . v. 25.9.1819

Zwei K a m m e r n : I. ernannt, k r a f t eigenen Rechts II. A b g . der S t ä n d e , der S t ä d t e , des O b e r a m t s b e z i r k s , 6 J a h r e

Gemeindebürgerrecht, Volljährigkeit, Steuerleistung

aktives Wahlrecht, 2/3 v o n den H ö c h s t besteuerten

3 0 j a h r e , aktives Wahlrecht, Z u g e h ö r i g k e i t zu einer christlichen Konfession

A n m e r k u n g * ) A l s E r f o r d e r n i s f ü r die W a h l z u r 2. K a m m e r g a l t allgemein die Z u g e h ö r i g k e i t zu einer christlichen K o n f e s s i o n . A u s n a h m e n , in denen diese Q u a l i f i k a t i o n n u r f ü r das p a s s i v e Wahlrecht erforderlich w a r , s i n d unter der R u b r i k „ P a s s i v e s W a h l r e d i t " besonders a u f g e f ü h r t .

13

S t e r n b e r g e r - V o g e l , P a r l a m e n t e 1,1

194

Aktives und passives Wahlrecht nach 1815

Repräsentanten des Staates; sie konnten die Gesetzgebung lediglich beeinflussen, verfügten aber dagegen meist bereits über Steuerbewilligungs- und Budgetrecht. Der Fürst jedoch behielt in den meisten Staaten seine fast uneingeschränkte Machtvollkommenheit. Das „monarchische Prinzip" — von Metternich und Gentz als Gegenlehre gegen die Gewaltenteilung entwickelt und durch Artikel 57 der Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820 als staatsrechtliche Norm verkündet — erkannte die Mitarbeit der Landtage bei der Gesetzgebung zwar an, hielt aber an der Einheit von „auctoritas" und „potestas", von Exekutive und Legislative fest, sicherte dem Monarchen den Besitz der „gesamten Staatsmacht" und beließ die Souveränität einzig in der Person des Landesherren. Auf den Wiener Konferenzen von 1834 wurde als Reaktion auf die französische Juli-Revolution von 1830 das monarchische Prinzip erneut bekräftigt: „Das . . . Grundprinzip des deutschen Bundes, gemäß welchem die gesamte Staatsgewalt in dem Oberhaupte des Staates vereinigt bleiben muß und der Souverän durch eine landständige Verfassung nur in der Ausübung bestimmter Rechte an die Mitwirkung der Stände gebunden werden kann, ist in seinem vollen Umfange unverletzt zu erhalten. Jede demselben widerstrebende, auf eine Teilung der Staatsgewalt abzielende Behauptung ist unvereinbar mit dem Staatsrecht der im deutschen Bunde vereinigten Staaten und kann bei keiner deutschen Verfassung in Anwendung k o m m e n . . . " (Art. 1 des Schlußprotokolls vom 12. Juli 1834). Obwohl die ständische Struktur in den meisten deutschen Staaten erhalten blieb, änderte sich die Berechtigung zur Teilnahme an den Landtagen (s. Tab. G I), da ihnen jetzt auch Repräsentanten der bäuerlichen Bevölkerung angehörten und mit Ausnahme von SchaumburgLippe und Waldeck die Mitglieder der Ritterschaft nicht mehr in Person erscheinen konnten, sondern ebenfalls Abgeordnete wählen mußten. Sowohl in den Staaten, die das ständische System beibehielten, als auch in denen, deren Verfassungen bereits konstitutionelle Prinzipien aufwiesen, bestanden die Landtage in der Regel aus Abgeordneten der Ritterschaft, d. h. der Ritterguts- und Großgrundbesitzer, die die gutsherrliche Gerichtsbarkeit ausübten, der Städte und der ländlichen Grundeigentümer. In den Staaten aber, in denen die zweite Kammer nur noch aus Abgeordneten der Städte und der ländlichen Grundbesitzer gebildet wurde (s. Tab. G I ) , verwischten sich die ständischen Grenzen bereits, und vielfach beruhte — wie vor allem in Baden — die Einteilung schon auf einer Gliederung des Landes in Wahlbezirke, die allerdings Stadt- und Landgemeinden noch scharf voneinander trennte. Dies galt auch für Staaten, in denen es — wie in den Hohenzollernschen Fürstentümern Hechingen und

Deutschland (Deutscher Bund)

195

Sigmaringen — keine Ritterschaft mehr gab und in denen entgegen der allgemein gültigen Dreiteilung die Repräsentationskörperschaften nur aus Abgeordneten der Gemeinden zusammengesetzt waren. Trotz der Säkularisation wirkte die frühe Existenz des Prälatenstandes noch nach, so daß in zahlreichen Landtagen die Geistlichkeit entweder von „ex-officio" bestellten hohen Würdenträgern oder von gewählten Abgeordneten repräsentiert wurde. In einigen Staaten, wie in Nassau, Sachsen oder Schwarzburg-Sondershausen, gab es zudem noch einen selbständigen Kaufmanns- und Fabrikanten- sowie einen Gelehrtenstand. Während die Wahl der Ritterschaft und der Universitäten, sofern letztere noch Landtagsmitglieder bestellen durften, in allen Staaten direkt erfolgte, setzte sich bei der Wahl in den Städten und Landgemeinden der Einfluß des französischen Rechts" durch. Die Abgeordneten wurden in der Regel nicht unmittelbar durch die wahlberechtigten Urwähler sondern indirekt durch Wahlmänner bestellt (s. Tab. G I). In Preußen und einigen anderen Staaten galt sogar eine dreifache Abstufung, wobei nicht die Urwähler, sondern sog. Bevollmächtigte oder Wähler die Wahlmänner bestellten. Als einziger Staat führte Schleswig-Holstein das direkte Wahlrecht ein, das aber infolge eines verhältnismäßig hohen Zensus nur wenigen zustand. Aktives und passives Wahlrecht blieben auf die männliche Bevölkerung beschränkt. Nur in einigen kleineren Staaten, in denen es nicht an die Person, sondern an den Besitz als solchen gebunden war, konnten auch Frauen, meist jedodi nur die Rittergutsbesitzerinnen, wählen. Generelle Voraussetzungen für das aktive Wahlrecht (s. Tab. G I) waren die Zugehörigkeit zu einer christlichen Konfession, ein bestimmtes Alter (Volljährigkeit, 21, 24, 25 oder 30 Jahre), die Staatsbürgerschaft und oft auch ein Einkommens- oder Eigentumszensus. Als Aussdiließungsgründe galten in der Regel der Verlust der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte, der Empfang öffentlicher Armenunterstützung und die Abhängigkeit von einem privaten Dienstherrn. Vielfach waren auch alle Nicht-Selbständigen vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen. Der vage Begriff der „Selbständigkeit", der in den meisten Staaten bis zur Gründung des Kaiserreiches (1871) gültig blieb (s. Tab. G i l l ) , wurde sehr unterschiedlich interpretiert. In Baden wurden als nicht selbständig nur solche Personen bezeichnet, die unter Vormundschaft standen. In anderen Staaten verstand man alle Personen ohne eigenen Hausstand darunter, oder diejenigen, die sich in einem „abhängigen Dienstverhältnis" befanden. Wählbar zu Wahlmännern und, Abgeordneten (s. Tab. G I) waren im allgemeinen alle Personen, die das aktive Wahlrecht besaßen;

196

Vormärz und Wahlreditsfrage

allerdings waren die Altersgrenze und der Zensus zumeist wesentlich erhöht. In einigen Staaten untersagte man zudem nahen Verwandten die gleichzeitige Zugehörigkeit zur selben Kammer. In vielen Staaten gab es für jeden einzelnen Stand Sonderbestimmungen. So war das aktive wie das passive Wahlrecht der Ritterschaft und des grundherrlichen Adels an den Besitz eines „landtagsfähigen" Rittergutes gebunden. Die Einwohner in den Städten und Landgemeinden durften meist nur dann wählen, wenn sie das Gemeindebürgerrecht besaßen, das im allgemeinen nur bei einem bestimmten Vermögen gewährt wurde, oder wenn sie ein Grundstück oder ein Wohnhaus als Eigentum nachweisen konnten. In einigen Staaten war jedoch nur eine gewisse Steuerleistung erforderlich (s. Tab. G I). Die Zensusbestimmungen, die im allgemeinen nicht so hoch waren wie zur selben Zeit in Frankreich, unterschieden sich in den einzelnen Staaten sehr und führten vor allem in Preußen zu einer beträchtlichen Einschränkung des Wahlrechts. Aufgrund der Wahlgesetze für die preußischen Provinzialstände vom 5. Juni 1823 und 2. Juni 1824 (s. Tab. G I) konnten ζ. B. in den Städten des Kreises Solingen bei der Wahl des Jahres 1830 von den 7 934 Einwohnern nur 511 (6,4 v. H.), in den Landgemeinden von 42 784 Einwohnern nur 1 542 (3,6 v. H.) wählen; im Kreis Düsseldorf waren von den 31 596 Einwohnern sogar nur 246 (0,7 v. H.) wahlberechtigt. Die Beschränkung des Wahlrechts entsprach im wesentlichen den Ansichten des besitzenden und gebildeten Bürgertums und sicherte ihm in den Repräsentationskörperschaften einen überragenden Einfluß. Aber bereits die Auswirkungen der französischen Juli-Revolution, die jetzt auch in Deutschland spürbare Industrialisierung und die mit ihr einhergehende Veränderung der Sozialstruktur ließen das rheinische Großbürgertum im vierten Rheinischen Landtag von 1833 ein abgestuftes Wahlrecht fordern, das dem Besitz und der wirtschaftlichen Macht Rechnung tragen sollte. Zur Formulierung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts gelangte im Vormärz nur die kleine Gruppe der liberal- oder radikal-demokratischen Intelligenz, die sich vornehmlich an den Ideen der französischen Sozialisten und Legitimisten sowie der englischen Chartisten orientierte. Die von der Beschränkung des Wahlrechts betroffenen Schichten, die Handwerker, Arbeiter und das bäuerliche Proletariat, waren jedoch noch zu lose organisiert, um die Wahlrechtsdiskussion wirksam beeinflussen zu können. Der Gedanke einer Einigung Deutschlands und der Wunsch nach einer deutschen Nationalversammlung-war seit den Befreiungskriegen lebendig geblieben; in welcher Weise aber diese Versammlung bestellt werden sollte, bewegte die Gemüter kaum. Das Volk sollte zwar

Deutschland (Deutscher Bund)

197

an der Regierung mitwirken; jedoch verstanden die führenden Repräsentanten des deutschen Liberalismus unter dem Begriff Volk fast ausschließlich das gebildete und besitzende Bürgertum, da nur die Angehörigen dieser Schicht als die „wahren, unmittelbaren und ursprünglichen Glieder der Staatsgesellschaft" (K. W. von Rotteck) angesehen wurden. Der Liberalismus des Vormärz trat deshalb allgemein für eine Beschränkung des Wahlrechts ein. Wie das Wahlrecht aber im einzelnen zu gestalten sei, darüber bestand keine einheitliche Meinung. Auf der Tagung der „Ganzen" um Gustav Struve und Friedrich Hecker in Offenburg im September 1847, die die Spaltung des Liberalismus in eine gemäßigte und in eine demokratisch-radikale Richtung deutlich manifestierte, wurde u. a. die Bestellung eines deutschen Parlamentes auf der Grundlage des gleichen Wahlrechts gefordert. In Heppenheim (Oktober 1847) hingegen sprachen sich die gemäßigt liberalen „Halben" für eine Repräsentation des Volkes durch Notabein aus, die von den Landtagen oder anderen Körperschaften der einzelnen Bundesstaaten delegiert werden sollten. An eine Wahl nach Kopfzahl dachte noch niemand. Die Forderung nach allgemeinem und gleichem Wahlrecht kam erst durch die französische Februar-Revolution von 1848 mit dem Strom demokratischer Ideen nach Deutschland (J. Philippson) und bildete bald einen Hauptbestandteil der „Märzforderungen". Auch der Heidelberger Konvent vom März 1848, an dem neben den südwestdeutschen Liberalen auch einige radikale Demokraten teilnahmen, verlangte jetzt unter dem Eindruck der Ereignisse in allen deutschen Staaten nach der Volkszahl gewählte Vertreter der Nation, ohne sich jedoch über die Bestellungsweise zu äußern. In Heidelberg wurde beschlossen, zur Vorbereitung der Wahl einer deutschen Nationalrepräsentation eine Versammlung von Deputierten aus ganz Deutschland einzuberufen. Das Frankfurter Vorparlament, das vom 31. März bis zum 4. April 1848 tagte, bestand aus 574 Mitgliedern, die in aller Regel aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu den Landtagen der Bundesstaaten vom „Siebener-Ausschuß" des Heidelberger Konvents eingeladen worden waren. Preußen entsandte wegen der gleichzeitigen Zusammenkunft des Zweiten Vereinigten Landtages jedoch Vertreter der Städte. Die Zusammensetzung der Versammlung entsprach weder der territorialen noch der sozialen Bevölkerungsstruktur des Deutschen Bundes. Zum einen waren einige Staaten — wie Preußen mit 141 und HessenDarmstadt mit 84 Abgeordneten — überrepräsentiert, während andere wie Hannover nur neun oder Österreich nur zwei Abgeordnete

198

Frankfurter Vorparlament/Wahlreditsmaßstäbe

entsandten; zum zweiten aber stellte neben wenigen Großgrundbesitzern und einer kleinen Gruppe des Groß- und Kleinbürgertums die freie und beamtete Intelligenz den Hauptanteil der Mitglieder des Vorparlamentes. Ihre Debatten waren wesentlich gekennzeichnet von der allgemeinen „Märzstimmung" und dem Bestreben, die Richtlinien zur Einberufung der Nationalversammlung so schnell wie möglich auszuarbeiten. Zudem wollte keiner „den Fluch auf sich nehmen, unpopulär zu sein oder gar zu wagen, gegen den Strom zu schwimmen" (G. Schilfert). Aus diesem Grunde standen dann im Gegensatz zu den Diskussionen in der Frankfurter Paulskirche (s. u.) auch der Grundsatz des allgemeinen und gleichen Wahlrechts und der Begriff der Selbständigkeit nidit im Mittelpunkt der Beratungen. Den Ausführungen Mittermaiers, der „das ausgedehnteste Wahlrecht ohne Unterschied der Konfession, ohne Rücksicht auf einen Zensus" forderte, wurde auch von den Gegnern des allgemeinen Wahlrechts (Dahlmann, Gagern, Bassermann, Mohl) nicht widersprochen. Anlaß zu Auseinandersetzungen zwischen den führenden Vertretern der Liberalen und den Demokraten (Blum, Hecker, Vogt) bildeten vor allem das Wahlalter, die Frage, ob die Wahl direkt oder indirekt durchzuführen war, und das Problem, welchen Charakter die Beschlüsse der Versammlung haben sollten. Obwohl sich auch die liberale Mehrheit des Vorparlamentes nicht an den Bundestagsbeschluß vom 31. März gebunden fühlte, der die Wahl von Nationalvertretern zwar ankündigte, alle wesentlichen Bestimmungen aber den einzelnen Regierungen überließ, wollte sie die Richtlinien der Versammlung nicht als unumstößliche Normen, sondern nur als Empfehlungen verstanden wissen. Auch in der Frage des Wahlmodus konnten sich die Demokraten nicht durchsetzen. Die Beschlüsse enthielten lediglich den Hinweis, daß die Versammlung „die direkte Wahl im Principe für die zweckmäßigste" halte. Erst der sogen. „Fünfziger-Ausschuß", der in Zusammenarbeit mit dem Bundestag die Durchführung der Wahl zur Nationalversammlung überwachen sollte, behandelte das Problem der Selbständigkeit, ohne sie jedoch zu definieren. Verstanden wurde der Begriff von den meisten Mitgliedern des Vorparlamentes wahrscheinlich nur im privatrechtlichen Sinne, so daß man nicht an eine weitgehende Beschränkung des allgemeinen Wahlrechtes dachte und nur solche Personen ausschließen wollte, die unter Vormundschaft standen. Der neuerliche Bundestagsbeschluß vom 7. April 1848 stimmte mit den Vorschlägen des Vorparlaments fast wörtlich überein, empfahl den Regierungen aber nicht die direkte Wahl. Entgegen seinen Richtlinien vom 31. März, die vorsahen, daß ein „Deputierter" auf

Deutschland (Deutscher Bund)

199

70 000 Einwohner gewählt werden sollte, entfiel jetzt auf 50 000 Einwohner ein Mandat, wobei auch die deutschen Kleinstaaten, deren Bevölkerung unter 50 000 lag, einen Abgeordneten nach Frankfurt entsenden sollten. Da aktive Wahlberechtigung und Wählbarkeit nicht „durch einen Wahlzensus, durch Bevorrechtigung einer Religion, durch die Wahl nach bestimmten Ständen" eingeschränkt werden durften, konnte jeder volljährige und selbständige männliche Staatsangehörige der Bundesstaaten an der Wahl teilnehmen. Hinsichtlich des Wahlsystems, des direkten oder indirekten Wahlmodus und der Auslegung der „Selbständigkeit" jedoch waren die Bundesstaaten an keine Richtlinien gebunden. So wurden in Hannover und Württemberg als nicht selbständig alle Arbeiter und Dienstboten, die „in Kost und Lohn von Dienst- oder Arbeitsherren" standen, vom Wahlrecht ausgeschlossen, während in Sachsen alle Empfänger öffentlicher Armenunterstützung und das „häusliche Gesinde", in Kurhessen und Österreich alle Tagelöhner, Dienstboten und Handwerksgesellen nicht wahlberechtigt waren. In Bayern war das aktive Wahlrecht an einen direkten Steuerzensus gebunden. In Baden, Lippe, Sadisen-Coburg-Gotha, Sachsen-Meiningen und Sachsen-Weimar enthielten die Wahlgesetze das Erfordernis der Selbständigkeit, ohne es zu definieren. Ohne jegliche Einschränkung galt das allgemeine Wahlrecht in Braunschweig, Nassau, Kurhessen, Preußen und Schleswig-Holstein. Der Empfehlung des Vorparlamentes, die Abgeordneten unmittelbar zu bestellen, entsprachen nur Kurhessen, Schleswig-Holstein, Württemberg und die drei Reichsstädte Bremen, Frankfurt und Hamburg. In allen übrigen Staaten wurde indirekt gewählt. Da sich weder das Vorparlament noch der „ Fünfziger-Ausschuß" zur Frage des Wahlsystems geäußert hatten, gab es auch hier in den einzelnen Staaten unterschiedliche Bestimmungen; doch galt im allgemeinen das absolute Mehrheitswahlsystem. In Anlehnung an das französische Beispiel wurde in fast allen Staaten neben dem Abgeordneten noch ein Stellvertreter gewählt. Während in den meisten Fällen zwei verschiedene Wahlvorgänge abgehalten wurden, bestimmten manche Wahlordnungen, daß der Bewerber mit den zweitmeisten Stimmen als Stellvertreter nachfolgen sollte. Die Wahl zur deutschen Nationalversammlung fand in der Regel am 1. (Urwahl) und am 8. Mai (Hauptwahl) 1848 statt. Obwohl die beiden gegensätzlichen Hauptströmungen der Revolution, die liberalkonstitutionelle sowie die republikanisch-demokratische Richtung, vornehmlich in den Städten eine Reihe von politischen Vereinen, Gesellschaften und Klubs gebildet hatten und zahlreiche Diskussionen und öffentlichen Vorwahlen ähnliche „Wahlversammlungen" durch-

200

Wahl zur Paulskirche

führten, blieb die Wahl dennoch eine reine Persönlichkeitswahl, bei der vor allem lokale Honoratioren gewählt wurden. Vielfach hatten Urwähler und Wahlmänner von der politischen Haltung der Abgeordneten kaum eine Vorstellung, und mehrfach vertraten diese dann den Ansichten ihrer Wähler völlig konträre Ziele. Die Zusammensetzung der Nationalversammlung (s. Tab A 1) unterschied sich erheblich von der sozialen Gliederung des Deutschen Bundes; sie entsprach vor allem der historischen Aufgabe der Paulskirche. Nicht die Interessen und Sorgen des einzelnen Wählers — wie bei der gleichzeitig durchgeführten Wahl zur preußischen Nationalversammlung (s. Tab. A3) — beeinflußten die Wahlentscheidung, sondern vornehmlich die Meinung, daß nur finanziell unabhängige, erfahrene und hochgebildete Abgeordnete das seit den Befreiungskriegen lebendig gebliebene Ziel der deutschen Einheit verwirklichen könnten. So entstand ein bürgerliches Honoratiorenparlament, dem über einhundert Professoren, über zweihundert Juristen, eine große Anzahl höherer Verwaltungsbeamter, zahlreiche Schriftsteller und auch einige freiberufliche Akademiker angehörten. Von den 830 Abgeordneten und Stellvertretern (bei 585 Mitgliedern) waren 550 akademisch gebildet. Wirtschaftliche Berufe wurden nur von 110 Abgeordneten ausgeübt. Den Hauptanteil dieser Gruppe stellten der Großgrundbesitz und das industrielle Großbürgertum, während dem Kleinbürgertum, den Handwerkern und den Kleinbauern nur wenige Abgeordnete zuzurechnen waren. In der Paulskirche bildeten sich aus den beiden revolutionären Hauptströmungen und den konservativen Kräften mehrere meist nach ihren Tagungsorten benannte Fraktionen (s. Tab. A 2), die alle ein kurzgefaßtes Programm besaßen. Obwohl sie bei den Abstimmungen über Grundsatzfragen bereits relativ feste Blöcke bildeten, waren es doch nur sehr lockere Zusammenschlüsse. Der fluktuierende Charakter der Versammlung war vielfach aufgrund landschaftlicher Zusammengehörigkeit, wirtschaftlicher, sozialer, aber auch altständischer und nationalpolitischer Interessen so stark, daß das Plenum noch „nicht in einen Pluralismus festgefügter und impermeabler Formationen auseinanderbrach, sondern sich in der Auseinandersetzung immer wieder als ein Ganzes herstellte" (R. E. Huber) und deshalb oft Zufallsmehrheiten entstanden. Während bei den Debatten des Vorparlamentes die Auswirkungen des allgemeinen Wahlrechts, des Wahlmodus und der Wahlsysteme noch weitgehend unbekannt waren, wurden die Beratungen des Wahlgesetzes in der Paulskirche, die im Februar und März 1849 stattfanden,

Deutschland (Deutscher Bund)

201

Groß-Tabelle G II: Das Wahlrecht in deutschen Staaten während der Revolution von 1848 •Staat

Gesetzliche

Z a h l der

Grundlagen

I. =

Vf.

= Verfassung

Kammern

I I . = 2. K a m m e r Aktives Wahlrecht

W G = Wahlgesetz

Mitgliederzahl

W O = Wahlordnung

Zusammensetzung

V

«Verordnung

E r f o r d e r n i s s e f ü r d i e W a h l z u r 2. K a m m e r :

1. K a m m e r Wahl zum Wahlmann

Wahlperiode Z u g e h ö r i g k e i t zu e i n e r

s. T a b . G I

Baden

Passives Wahlrecht

christlichen

Religion

e n t f ä l l t ( G e s . v. 17.2.1849) Bayeri

aktives Wahlrecht,

Zwei Kammern: II. M i t g l i e d e r z a h l s c h w a n kend, 1 W a h l m a n n auf 500 Einwohner, 1 Abg. auf 31 5 0 0 E i n w o h n e r

Staatsangehörigkeit, Volljährigkeit, direkte Steuerlcistung

aktives W a h l r e c h t ,

Braunschweig Neue Landschaftsordnung v. 1 8 . 1 2 . 1 8 3 2 W G v . 11.9.1848

Eine K a m m e r : 54 A b g . ( 2 0 der Städte, 34 der L a n d g e m e i n d e n ) , 26 Abg. v o n den H ö c h s t b e s t e u e r t e n , 28 A b g . allgemein g e w ä h l t

Höchstbesteuerte: s o v i e l w i e die A n z a h l der W o h n h ä u s e r d u r c h 10 dividiert ergibt. 25 J a h r e , W o h n r e c h t , Ausschljeßungsgründe: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung

direkte W a h l

aktives Wahlrecht, 1 Jahr Staatsangehörigkeit

Hannover

Zwei Kammern: \. e r n a n n t e M i t g l i e d e r , D e p u t i e r t e der G r o ß -

Staatsbürgerschaft, direkte Steuerleistung, Selbständigkeit, 2 5 j a h r e ,

aktives Wahlrecht

aktives Wahlrecht

direkte W a h l

aktives Wahlrecht, 30Jahre

V f . v. 2 6 . 5 . 1 8 1 8 WGv.

4.6.1848

V f . v. 5 . 9 . 1 8 4 8 W G v. 2 6 . 1 0 . 1 8 4 8

g r u n d b e s i t z e r , der K i r c h e n ,

d i e j e n i g e n , die in

gelehrten, 6 J a h r e

und L o h n eines anderen

II. 8 2 A b g . d e r S t ä d t e u n d

Kost

stehen

6Jahre

Hessen

Zwei Kammern:

allgemein,

(Darmstadt) V f . v. 17.12.1820

1. 2 5 A b g . ; z w e i d e r 4 8 W a h l k r e i s e , die zur

Staatsbürgerrecht, Ausschließungsgründe:

W G v. 3 . 9 . 1 8 4 9

25Jahre,

II. K a m m e r g e b i l d e t w e r d e n , ö f f e n t l i c h e A r m e n werden zusammengefaßt: Unterstützung Darmstadt und Mainz wählen je 1 Abg., 6 J a h r e II. 50 A b g . in 4 8 W a h l kreisen ( D a r m s t a d t und Mainz wählen 2 Abg.), 6 Jahre

Hohenzollern-Hechingen

durch Staatsvertrag v o m 7 . 1 2 . 1 8 4 9 mit Preußen

vereinigt

Hohenzollern-Sigmaringen

durch Staatsvertrag v o m 7 . 1 2 . 1 8 4 9 mit Preußen

vereinigt

Kurhessen V f . v. 1 1 . 7 . 1 8 3 3 W G v. 5 . 4 . 1 8 4 9

Eine K a m m e r : .. A b g . der S t ä d t e , Ä m t e r und D e p u t i e r t e der G r u n d besitzenden und Gewerbetreibenden

Lippe

Eine V f . v. 2 8 . 1 2 . 1 8 4 9 V v . 16.1.1849

30 Jahre, höherer Zensus

Ausschließungsgründe;

der S c h u l e n , der R e c h t s -

Landgemeinden,

25Jahre

Kammer:

25 A b g .

Ortsbürgerrecht, Selbständigkeit, eigener Hausstand

direkte W a h l

aktives Wahlrecht

a l l g e m e i n , 25 J a h r e ,

direkte Wahl

aktives Wahlrecht, 30 J a h r e

Ausschließungsgründe: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung

202

Wahl der Parlamente

Fortsetzung Groß-Tabelle G II S*:i;it Gesetzliche Z a h l der Kammern Grundlagen I. = 1. K a m m e r Vf. = V e r f a s s u n g II. = 2. Kammer W G = Wahlgesetz Mitgliederzahl W O = Wahlordnung Z u s a m m e n s e t z u n g V = Verordnung Wahlperiode

Erfordernisse für die Wahl zur 2. Kammer:

Aktives Wahlrecht

W a h l zum Wahlmann

Eine K a m m e r : 41 Abg.

allgemein, Volljährigkeit, bürgerliche Ehrenrechte, Gemeindebürgerrecht

aktives Wahlrecht aktives Wahlrecht, W S : absolute Mehrheitswahl in Mehrmannwahlkreisen (Stichwahl im 3- Wahlgang)

Zwei K a m m e r n : I. 190 Abg., 6 Jahre

I. 3 0 j a h r e , 6 Monate Ansässigkeit, jährlich 8 Taler Steuer oder 500 Taler Einkommen oder 5 000 Taler Grundbesitz

II. 350 Abg., 3Jahre

II. 24 Jahre, 6 Monate Ansässigkeit, Selbständigkeit Ausschließungsgründe: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung

I. aktives Wahlrecht, 1 Wahlmann auf 100 Urwähler W S : absolute Mehrheitswahl in Mehrmannwahlkreisen (2-3 Abg. pro Wahlkreis) mit Stichwahl II. aktives Wahlrecht, 1 Wahlmann auf 250 Urwähler W S : absolute Mehrheitswahl in Mehrmannwahlkreisen (mindestens 2 Abg. p r o Wahlkreis) mit Stichwahl

Sachsen Vf. v. 15.11.1848 W G v. 15.11.1848

Zwei Kammern: I. Prinzen des königlichen Hauses, 50 Abg. in 25 Wahlkreisen, Halbern e u e r u n g zu jedem Landtag II. 75 Abg. in Einerwahlkreisen für jeden Landtag neu bestellt

allgemein, Volljährigkeit, direkte Wahl Selbständigkeit, Ausschließungsgründe: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung

aktives Wahlrecht, 30 J a h r e

SachsenAltenburg G G v. 24.4.1831 W G v . 10.4.1848

Eine K a m m e r : 29 Abg. (12 der Städte, 17 der Landgemeinden)

Volljährigkeit, Zugehörigkeit zu einer christlichen Religion, eigener Hausstand

direkte Wahl

aktives Wahlrecht, 25 J a h r e

SachsenCoburg Vf. v. 8.8.1821 W G v. 22.4.1848

Eine K a m m e r : 18 Abg., 6 J a h r e

Volljährigkeit, Selbständigkeit, Ausschließ u n g s g r ü n d e : öffentliche Armenunterstützung, Abhängigkeit v o n Dienstherren

aktives Wahlrecht

aktives Wahlrecht, 30 J a h r e

SachsenGotha G G v. 26. 5.1849 W G v. 26. 5.1849

Eine K a m m e r : 19 Abg.

Selbständigkeit, Steuerzensus

direkte Wahl

aktives Wahlrecht

SachsenMeiningen Vf. v. 14.9.1824 W G v. 3.6.1848

Eine Kammer: 25 Abg., 6 J a h r e

Volljährigkeit, allgemein Ausschließungsgründe: Verlust der bürgerlichen Rechte

aktives Wahlrecht

aktives Wahlrecht, 30jahre

SachsenWeimar G G v. 5.5.1816 W r G v. 17.11.1848

Eine K a m m e r : 41 Abg.

allgemein

direkte Wahl

aktives Wahlrecht

Nassau Edikt v. 5.4.1848 und v. 28.12.1849 Preußen Vf. v. 5.12.1848 W G v. 6.12.1848

Passives Wahlrecht

I. 40Jahre, 6 J a h r e Staatsangehörigkeit, aktives Wahlrecht

II. 30Jahre, l j a h r Staatsangehörigkeit, aktives Wahlrecht

Deutschland (Deutscher Bund)

203

Fortsetzung Groß-Tabelle G II Staat

Gesetzliche Grundlagen Vf. ^ V e r f a s s u n g WG=Wahlgesetz W O = Wahlordnung V -Verordnung

Zahl der K a m m e r n I. = 1. K a m m e r II. — 2. K a m m e r Mitgliederzahl Zusammensetzung Wahlperiode

Erfordernisse für die Wahl zur 2. K a m m e r : Aktives Wahlrecht

Wahl zum Wahlmann

Passives Wahlrecht

Schau mbur^-Lippe

s. Tab. G I

SchleswigHolstein Vf. v. 15.9.1848 W G v . 13.7.1818

Eine K a m m e r : 120 A b g . (in 60 Wahlkreisen, 28 für Schleswig, 32 für Holstein, je 2 Abg., A u s n a h m e n : Altona (4 A b g . ) Fehmarn, Arroe (1 A b g . )

allgemein, 21Jahre, bürgerliche Rechte, Ausschließungsgründe: öffentliche Armenunterstützung

direkte Wahl

aktives Wahlrecht, 25 J a h r e

Schwan; hurgSonder.sliausen G G v. 12.12.1849

Eine K a m m e r : 18 Abg., 4 J a h r e

allgemein, 2 5 j a h r e , Ausschließungsgründe: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung

direkte Wahl

aktives Wahlrecht, 3 J a h r e Staatsangehörigkeit

Waldeck G G v . 23.5.1849 W G v. 23. 5.1849

Eine K a m m e r : 15 A b g . (12 für Waldeck, 3 für P y r m o n t ) 2 J a h r e

allgemein, 25 J a h r e , bürgerliche Rechte, Ausschließungsgründe: öffentliche Armenunterstützung

direkte Wahl

aktives Wahlrecht. 3 J a h r e Staatsan gehörigkeit

Württemberg Vf. v. 25. 9.1819 W G v. 1. 7. 1849

Vfs-Versammlung

allgemein, Steuerleistung

direkte Wahl

aktives Wahlrecht

wesentlich von diesen Gesichtspunkten geprägt, da die nach divergierenden Bestimmungen bestellten Repräsentationskörperschaften der einzelnen Bundesstaaten (s. Tab. G II) sehr unterschiedlich zusammengesetzt waren. Besonders die Wahl zur zweiten preußischen N a tionalversammlung vom 21. (Urwahl) und 28. (Hauptwahl) Januar 1849, deren zwei Kammern nach verschiedenen Wahlgesetzen (s. Tab. G II) bestellt wurden, zeigte den Abgeordneten der Paulskirche die ausschlaggebende Bedeutung beschränkender Wahlrechtsbestimmungen auf. Während in der Ersten Kammer aufgrund des Zensuswahlredits das liberale Großbürgertum über eine überragende Mehrheit verfügte, war die Zweite Kammer, nach dem allgemeinen und gleichen Wahlrecht gewählt, ungefähr genauso zusammengesetzt wie die erste preußische Nationalversammlung vom Mai 1848 (s.Tab. A3). Die Mitglieder der Paulskirchen Versammlung erkannten, „daß die soziologische Zuordnung der Wähler zu den Parteien durch das Wahlrecht politisch wirksam wurde und auf diese Weise das allgemeine Wahlrecht den Demokraten zugute kam" (W. Gagel). Im Vordergrund der Wahlrechtsdikussionen standen deshalb wesentlich nur noch „parteipolitische" Überlegungen. Während die Demokraten zu Verfechtern des allgemeinen und gleichen Wahlrechts wurden, versuchte die konservative und liberale Mehrheit im Plenum

204

Paulskirchenberatung zum Wahlgesetz

und im Verfassungsausschuß der Paulskirche, das aktive und passive Wahlrecht so zu gestalten, daß trotz der zahlenmäßig weit größeren unteren Schichten der Bevölkerung ihre Machtposition erhalten blieb. Vor allem ihr Ziel, einen „liberalen" Staat zu schaffen, in dem der bürgerliche Mittelstand und die akademische Intelligenz die tragenden Kräfte bilden und ihre eigenen Interessen mit denen des Staates weitgehend identisch sein sollten, ließen die Liberalen eine Beschränkung des Wahlrechts anstreben. Ihren Herrschaftsanspruch begründeten sie damit, daß das politische Recht nicht „als ein solches zu betrachten" sei, „welches der Person unmittelbar und eigentümlich anhaftet" (G. Waitz), sondern daß nur die realen Interessen des Staates, d. h. letzlich also ihre eigenen, bestimmen sollten, „wer geeignet ist als der Träger dieses Rechtes zu erscheinen und es zum Frommen der Gesamtheit zur Ausübung zu bringen" (G. Waitz). In Verbindung mit ihrer Ansicht, daß nur Personen mit hervorragenden Bildungsund Besitzqualifikationen staatspolitisch handeln können, gelangten sie im Wahlgesetzentwurf des Verfassungsausschusses zu einer Definition der Selbständigkeit, die mit allen Dienstboten, Handwerksgehilfen, Fabrikarbeitern und Tagelöhnern mehr als die Hälfte der zur Wahl der Paulskirchenversammlung Wahlberechtigten vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen hätte. Auch die beiden anderen Hauptbestandteile des Wahlgesetzentwurfes entsprachen ganz den Intentionen der Liberalen. So wurde der Vorschlag, die Wahlen öffentlich durchzuführen, damit begründet, daß bei wirklich unabhängigen, nicht an einen Dienstherren gebundenen und staatspolitisch verantwortungsbewußten Wählern Manipulationsversuche bei öffentlicher Stimmabgabe nicht zu befürchten seien. Während sich die Liberalen im Vorparlament, als sie aufgrund der „Märzstimmung" das allgemeine Wahlrecht billigen mußten, für eine mittelbare Wahl durch Wahlmänner entschieden hatten, forderten sie jetzt, da durch den Ausschluß großer Schichten der Bevölkerung ihr Übergewicht in den Repräsentationskörperschaften sicher zu sein schien, mit aller Entschiedenheit direkte Wahlen, damit nicht lokale Persönlichkeiten, sondern Kandidaten, „die eine hervorragende Stellung im politischen Leben einnehmen" (G. Waitz), gewählt würden. Die liberalen Abgeordneten des Verfassungsausschusses waren der Meinung, durch diese drei Hauptbestandteile einen Kompromiß geschaffen zu haben, der sich gegen die Argumentation der Demokraten, daß man das Wahlrecht, über das man selbst bestellt worden war, nicht beschränken könne, durchsetzen würde. Vor allem glaubten sie, daß sich auch die Fraktion des linken Zentrums (s. Tab. A 2), das die Abstimmungen in der Paulskirche maßgeblich beeinflussen

Deutschland (Deutscher Bund)

205

konnte, für ihre Vorlage aussprechen würde. Dennoch konnte sich der Verfassungsausschuß bei den einzelnen Abstimmungen über die Epitheta des engeren Wahlrechts nur in der Frage des Wahlmodus behaupten. Entscheidend für die Niederlage des liberalen Wahlgesetzentwurfes waren die Umgruppierungen innerhalb der Fraktionen nach dem Sieg der „Kleindeutschen". Neben den Demokraten stimmte jetzt audi die Mehrzahl der „großdeutsch" orientierten Abgeordneten der beiden Zentrumsfraktionen gegen die Beschränkung des Wahlrechts; einige wohl in der Hoffnung, daß die Fürsten der einzelnen Bundesstaaten eine so „liberal-demokratische" Verfassung mit einer durch allgemeine Wahlen bestellten Repräsentation nicht zulassen und somit die Einigungsbestrebungen in ihrer kleindeutschen Form scheitern würden. In der Schlußabstimmung über das Reichswahlgesetz am 2. März 1849 wurde mit 256 gegen 194 Stimmen für die Wahl zur zweiten Kammer, dem Volkshaus, das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Wahlrecht beschlossen. Aktiv und passiv wahlberechtigt waren alle unbescholtenen männlichen Deutschen, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten und im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte waren. Vom Wahlrecht ausgeschlossen waren nur die Personen, die unter Vormundschaft gestellt, im Konkurs befindlich oder Empfänger öffentlicher Armenunterstützung waren. Gemäß der letzten Volkszählung sollten in jedem Bundesstaat Wahlkreise mit jeweils 100 000 Einwohnern gebildet werden, wobei Staaten mit weniger als 100 000 aber mehr als 50 000 Einwohnern ebenfalls ein eigener Wahlkreis zugestanden wurde und nur die selbständigen Territorien unter 50 000 Einwohnern mit anderen im Anhang des Wahlgesetzes festgelegten Staaten zusammengelegt wurden. Gewählt werden sollten die Abgeordneten für eine dreijährige Wahlperiode in Einerwahlkreisen nach absoluter Mehrheitswahl mit Stichwahl im dritten Wahlgang zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten hatten. Als Friedrich Wilhelm IV. am 28. April 1849 die ihm von der Paulskirchenversammlung angebotene Kaiserkrone ablehnte, waren die Einheitsbestrebungen und die verfassungspolitischen Ziele der Nationalversammlung endgültig gescheitert. Die Reaktion, die bereits mit der Pariser Juni-Schlacht von 1848 begonnen hatte und die wesentlich von den Dynastien, der Bürokratie und dem adligen Großgrundbesitz getragen wurde, konnte jetzt auch in den einzelnen Staaten die Ereignisse des Jahres 1848 weitgehend wieder rückgängig machen. In fast allen deutschen Ländern wurden — teilweise tatkräftig unterstützt durch Bundestagsbeschlüsse und Bundesexekution — er-

206

Das preußische Dreiklassenwahlrecht

neut die Verfassungen des Vormärz in Kraft gesetzt und die Parlamente, die in der Mehrzahl der Bundesstaaten auf der Grundlage des allgemeinen und gleichen Wahlrechts bestellt worden waren (s. Tab. G II), wieder durch die vorrevolutionären Repräsentationskörperschaften ersetzt (s. Tab. G III). Nur in Baden und Bayern blieb während der Reaktion das Wahlrecht von 1848 unverändert erhalten. In einigen kleineren Staaten, vor allem den sächsischen Herzogtümern (s. Tab. G III), wurden nur geringfügige Änderungen durchgeführt: zu den in allgemeinen Wahlen gewählten Abgeordneten traten besondere Repräsentanten der Höchstbesteuerten; zudem wurde die direkte durch die mittelbare Wahl ersetzt. Die oktroyierte Verfassung Preußens vom 5. Dezember 1848, mit der Friedrich Wilhelm IV. und das bereits wieder konservative Kabinett versuchten, „die neue Freiheit von 1848 mit der Autorität der Krone und des Gesetzes" (H. von Lerchenfeld) zu verbinden, änderte das allgemeine und gleiche Wahlrecht für die Wahl zur zweiten Kammer noch nicht. Erst im weiteren Verlauf der Reaktion dachte man in den konservativen Kreisen daran, das Wahlrecht zu beschränken. Da die Allgemeinheit der Wahlen erhalten bleiben sollte, eine ständische Gliederung nicht durchführbar schien, jede gesellschaftliche Gruppe aber gemäß ihrer sozialen, wirtschaftlichen und politischen Stellung repräsentiert sein sollte, wurde beschlossen, ein allgemeines aber ungleiches Wahlrecht zu schaffen. Als Vorbild diente das Dreiklassenwahlsystem der rheinischen Gemeindewahlordnung vom 23. Juli 1845, das den Forderungen des rheinischen Bürgertums nach Berücksichtigung von Besitz und Bildung weitgehend entsprochen hatte. Die Verordnung vom 30. Mai 1849 (s. Tab. G III), die in die Verfassung vom 31. Januar 1850 aufgenommen wurde, blieb mit geringen Änderungen bis 1918 gültig. Sie ließ die Bestimmungen des Wahlgesetzes vom 6. Dezember 1848 (s. Tab. G II) im Bezug auf das aktive und passive Wahlrecht sowie den indirekten Wahlmodus bestehen und behielt auch das absolute Mehrheitswahlsystem mit Stichwahl im zweiten Wahlgang bei, ersetzte aber die geheime durch die öffentliche Stimmabgabe. Die Urwähler wurden auf Gemeindeebene in drei Steuerabteilungen eingeteilt, in die jeweils so viele Wahlberechtigte aufgenommen wurden, bis ein Drittel der Gesamtsteuersumme erreicht war. Jede Abteilung bestellte die gleiche Anzahl Wahlmänner, die dann — im Gegensatz zur rheinischen Gemeindewahlordnung — in gemeinsamer Abstimmung die Abgeordneten wählten, so daß die erste und zweite Abteilung, die bei der Wahl vom 17. Juli 1849 (s. Tab. A 4) nur eine Minderheit von 17,3 v. H . der Urwähler repräsentierten, die Mehrheit überstimmen konnten und die 2 691 950 (87,2 v. H.) Wahlberechtigten

Deutschland (Deutscher Bund)

207

Groß-Tabelle G i l l : Das Wahlrecht in deutschen Staaten während der Reaktion (nach 1849) Staat

Gesetzliche Grundlagen Vf. = Verfassung WG-Wahlgesetz WO=Wahlordnung V »Verordnung

Zahl der Kammern I· = 1. K a m m e r Π. = 2. Kammer Mitgliederzahl Zusammensetzung Wahlperiode

Erfordernisse für die Wahl zur 2. Kammer

Aktives Wahlrecht

Wahl zum Wahlmann

Passives Wahlrecht

25 Jahre, Staatsangehörigkeit, Selbständigkeit, sowie für 3 Abt. Zensusbedingungen

aktives Wahlrecht (Höchstbesteuerte wählen direkt)

aktives Wahlrecht, 30jahre, l j a h r Wohnsitz

25 Jahre, Steuerzensus, aktives Wahlrecht, Ausschließungsgründe: höherer Zensus Verlust der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte

aktives Wahlrecht, höherer Zensus

Baden

s. Tab. G I

Bayern

s. Tab. G II

Braunschweig N e u e Landschaftsordnung v. 18.12.1832. W G v. 23.11.1851

Eine K a m m e r : 46 Abg. (21 der Höchstbesteuerten, 10 der Städte, 3 der ev. Kirche, 12 der Landgemeinden), alle 3 j a h r e Halberneuerung

Hannover

s. Tab. G I

Hessen (Darmstadt) Vf. v. 17.12.1820 W G v. 6.9.1856

Zwei K a m m e r n : I. Prinzen des regierenden Hauses, der H ä u p t e r der standesherrlichen Familien, ernannte Mitglieder (u.a. kath. Landesbischof, ev. Prälat, Kanzler der Universität) II. 50 Abg. (6 des grundbesitzenden Adels, 10 der Städte, 34 der Städte und Landgemeinden)

HohenzollemHechingen

durch Staatsvertrag vom 7.12.1849 mit Preußen vereinigt

HohenzollernSigmaringen

durch Staatsvertrag vom 7.12.1849 mit Preußen vereinigt

Kurhessen l) Vf. v. 12.4.1852 W G v. 13.4.1852

1) Zwei K a m m e r n : I. ernannte und ex officio bestellte Mitglieder II. 48 Abg. der Ritterschaft, des Großgrundbesitzes, sowie der Städte und Landgemeinden

2) Vf. v. 24. 5.1862 W G v. 21. 6.1862

2) Eine K a m m e r : Abg. der Städte und Ämter, 3 Jahre

Lippe

s. Tab. G I

Nassau V v. 25.11.1851

Zwei K a m m e r n : I. ernannte Mitglieder, 6 Abg. der höchstbesteuerten G r u n a besitzer, 3 Abg. der höchstbesteuerten Gewerbetreibenden II. 24 Abg., 6 J a h r e , Dreiklassenwahlrecht (s. Preußen)

1) Städte: Mitglied des Stadtrates, des Bürgerausschusses, gewählte Abg. der Zünfte, Großhändler, die Industriellen Land: Ortsvorsteher, Ausschußvorsteher 2) Ortsrecht, Selbständigkeit, Grundbesitz oder Gewerbebetrieb

1) aktives Wahlrecht (Ritterschaft und Großgrundbesitz wählen direkt)

l) nur Wahlmänner können gewählt werden

2) direkte Wahl

2) aktives Wahlrecht

allgemein, 25 Jahre, aktives Wahlrecht, 3 J a h r e Staatsangehörig- zur 1. und 2. Kammer keit, Ausschließungsg r ü n d e : Verlust der bürgesrgerlichen und politischen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung, aktives Wahlrecht zur 1. Kammer

aktives Wahlrecht zur 1. und 2. Kammer, 30Jahre, 5 J a h r e Staatsangehörigkeit

Wahl der Parlamente

208 Fortsetzung Groß-Tabelle G III Staat

Gesetzliche Z a h l der K a m m e r n Grundlagen I. = 1. K a m m e r II. = 2. K a m m e r Vf. = Verfassung Mitgliederzahl WG=Wahlgesetz WO 5 ® Wahlordnung Z u s a m m e n s e t z u n g Wahlperiode V =Verordnung

Erfordernisse für die W a h l zur 2. K a m m e r

A k t i v e s Wahlrecht

Wahl zum Wahlmann

Passives Wahlrecht

allgemein, 2 4 J a h r e , Ausschließungsgründe: Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte, öffentliche Armenunterstützung; in 3 A b t . ( G e s a m t s u m m e der K l a s s e n - , G r u n d - , G e w e r b e s t e u e r a u f Wahlb e z i r k s e b e n e gedrittelt, die U r w ä h l e r nach S t e u e r l e i s t u n g den Abten.zugeteilt, W ä h l e r o h n e Steuer w e r d e n d e r 3. A b t . z u g e t e i l t ; jede A b t . w ä h l t 1/3 der Wahlmänner

aktives Wahlrecht W S : a b s o l u t e Mehrheitswahl in Wahlbezirken mit Stichwahlen, an der alle Bewerber mit mehr als einer S t i m m e teilnehmen u n d jeweils der Bewerber mit den wenigsten Stimmen a u s s c h e i d e t ; nach Klassen 1 Wahlmann auf 250 E i n w o h n e r ; ö f f e n t l i c h e Stimma b g a b e zu P r o t o k o l l

aktives Wahlrecht, 30Jahre, l j a h r Staatsangehörigkeit W S : a b s o l u t e Mehrheitswahl mit Stichwahlen, an der alle Bewerber mit mehr als einer S t i m m e teilnehmen und jeweils der Bewerber mit den wenigsten Stimmen ausscheidet; g e m e i n s a m e Abstimm u n g der K l a s s e n

Preußen V f . v. 31.1.1850 W G v. 3 0 . 5 . 1 8 4 9 W G v . 7.5.1853

Zwei Kammern: I. H e r r e n h a u s , erblich, ernannt (z.T. aufgrund von Präsentationswahlen) II. 350 A b g . , 3 J a h r e

Sachsen

s. T a b . G I

SachsenAltenburg G G v. 2 9 . 4 . 1 8 3 1 W O v. 2 9 . 4 . 1 8 3 1 W G v . 3-8.1850

Eine K a m m e r : 30 A b g . ( 9 der S t ä d t e , 12 der L a n d g e m e i n d e n , 9 der H ö c h s t besteuerten)

25 J a h r e , eigener H a u s s t a n d , Dreiklassenwahlrecht (s. P r e u ß e n ) , ausg e n o m m e n die H ö c h s t besteuerten

direkte W a h l

aktives Wahlrecht, 3 J a h r e Staatsangehörigkeit

Sachscu-CoburgGotha G G v. 3 . 5 . 1 8 5 2 W O v . 3.5.1852

Eine K a m m e r : 30 A b g . (19 für G o t h a , 11 für Coburg) 4Jahre

2 5 j a h r e , Selbständigkeit, eigener H a u s s t a n d

aktives Wahlrecht

aktives Wahlrecht, 30jahre

SachsenMeiningen W G v . 25.6.1853

Eine K a m m e r : 24 A b g . ( 2 ernannt, 6 der G r o ß g r u n d b e s i t z e r , 8 der S t ä d t e , 8 der L a n d g e m e i n d e n )

Z u g e h ö r i g k e i t zu einer christlichen K o n f e s s i o n , direkte S t e u c r l e i s t u n g

aktives Wahlrecht, (Großgrundbesitzer wählen direkt)

aktives Wahlrecht, höherer Z e n s u s

SachsenWeimar G G v. 15.10.1850 W G v. 6 . 4 . 1 8 5 2

Eine K a m m e r : 31 A b g . ( l der Reichsritters c h a f t , 9 der Höchstbesteuerten, 21 durch allgemeine W a h l e n )

allgemein

aktives Wahlrecht (Reichsritterschaft, Großgrundbesitz, G r u n d b e s i t z wählen direkt)

aktives Wahlrecht

2 5 J a h r e , l j a h r Gemeindezugehöngkeit, Eigener H a u s s t a n d , E i g e n t u m oder direkte Steuerleistung, Dreiklassenwahlrecht (s. P r e u ß e n )

aktives Wahlrecht, 30Jahre, 3 Jahre Staatsangehörigkeit

aktives Wahlrecht, Wählbarkeit zum Wahlmann

Schau m b u r g - L i p p c

s. T a b . G I

Schics w i g - H o l s r c i n

s. T a b . G l

Waldcck G G v. 17.8.1852 W G v . 2.8.1856

Eine K a m m e r : 15 A b g . , (12 für Waldeck, 3 für Pyrmont) 3Jahre

Württemberg

s. T a b . G I

Z u g e h ö r i g k e i t zu einer christlichen Religion entfällt(Ges.v.31.12.186l)

Deutschland (Deutscher Bund)

209

der dritten Klasse praktisch von jeglichem politischen Einfluß ausschlossen. Die Einteilung der Urwähler deckte sich schon bald nicht mehr mit der angestrebten Gliederung in eine reiche, eine bürgerliche und in eine ärmere Schicht, da aufgrund der unterschiedlichen Sozialund Wirtschaftsstruktur Preußens die Steuersätze für die drei Abteilungen in den Wahlbezirken stark schwankten. So mußten bereits bei der Wahl vom 19. November 1861 (s.Tab. A 4 ) in einigen Bezirken Urwähler mit 505 Talern jährlicher Steuerleistung in der dritten Klasse wählen, während in anderen Gemeinden sieben Taler für die Zugehörigkeit zur ersten Klasse ausreichten. Mit der verstärkten Bevölkerungswanderung vom Land in die Stadt und der zunehmenden Industrialisierung vergrößerte sich dieses Mißverhältnis ständig, so daß bei der Wahl vom 25. September 1866 (s. Tab. A 4) in einigen Wahlbezirken die Urwähler bereits mit vier Talern in der ersten Klasse, in anderen aber mit mehr als 1 000 Talern Steuerleistung noch in der dritten Klasse eingestuft wurden. Während das liberale Bürgertum dieses Wahlsystem, das ihren staatspolitischen Ansichten entsprach, begrüßte, wurde es von den Demokraten fast einmütig abgelehnt, da bei ihnen die Meinung vorherrschend war, daß der Staat keine Aktiengesellschaft sei, bei der jeder Wahlberechtigte aufgrund seines Aktienanteils stimmberechtigt sei. Sie beschlossen deshalb, sich an den Wahlen nicht mehr zu beteiligen, um so den Verfassungsbruch der Krone deutlich zu machen und um eine nachträgliche Anerkennung des Wahlgesetzes zu umgehen. Während der Reaktion ergaben die Wahlen zum preußischen Abgeordnetenhaus (diese Bezeichnung mit Gesetz vom 30. Mai 1855 eingeführt) und zu den Gemeindevertretungen immer eine für die Regierung günstige konservative Mehrheit. Dies ging vor allem auf den erheblichen Rückgang der Wahlbeiteiligung (s. Tab. A 4) und die weitgehende Manipulation der Wahlbezirkseinteilung durch die Regierung zurück. Zudem identifizierten sich außer dem adligen Großgrundbesitz audi weite Kreise des Großbürgertums mit der Politik des Kabinetts Brandenburg-Manteuffel und wählten in der Regel konservativ. Mit der Regentschaft Wilhelms I. und dem Beginn der „neuen Ära" aber vollzog sich im Herbst 1858 ein entscheidender Wandel, der in der Folgezeit eine verfassungspolitische Auseinandersetzung zwischen Parlament und Krone herbeiführen sollte. Die Grundlage dieser Entwicklung beruhte wesentlich auf der Rückkehr der Demokraten (seit 1861 als „Fortschrittspartei") ins politische Leben und der Angleichung ihrer Forderungen an die Ziele der gemäßigten Liberalen. Da so eine gemeinsame oppositionelle Haltung aller liberalen Kräfte 14 Stcrnberger-Vogel, Parlamente 1,1

210

Dreiklassenwahlrecht und preußischer Verfassungskonflikt

möglich wurde, entstand — unterstützt durch das Wahlsystem — seit der Wahl zum Abgeordnetenhaus von 1858 eine absolute Mehrheit der liberalen Fraktionen (s. Tab. A 5). Die Wirkweise des Dreiklassenwahlrechts lag in erster Linie in dem Gegensatz von Stadt und Land begründet. Im Jahre 1863 lebten von den 3 549 065 Wahlberechtigten mehr als zwei Drittel (68,8 v. H.) der Urwähler auf dem Lande. Die unterschiedliche Wahlbeteiligung aber, die in den Städten mit 37,7 v. H . um 10 v. H . höher war als auf dem Lande, steigerte den Anteil der städtischen Wähler von 31,2 v. H . auf 38,1 v. H . Da die Liberalen in den Städten 67,4 v. H., die Konservativen hingegen nur 19,8 v. H . der Stimmen erzielten, der Anteil beider Gruppen auf dem Lande mit 37,4 v. H . bzw. 37,2 v. H. aber fast gleich groß war, ergab sich ein deutliches Ubergewicht der Liberalen, das durch die unterschiedliche Wahlbeteiligung in den einzelnen Abteilungen, vor allem aber durch die gemeinsame Abstimmung bei der Abgeordnetenwahl noch erheblich vergrößert wurde. Die liberalen Fraktionen, die nicht nur in den Städten in allen drei Klassen die absolute, sondern auch auf dem Lande in der ersten und zweiten Abteilung die relative Mehrheit der Stimmen erhalten hatten, konnten so die konservativen Wahlmänner überstimmen und erreichten mit 48,8 v. H . der Stimmen 70,1 v. H . der Mandate, während die Konservativen bei einem Stimmenanteil von 30,6 v. H. nur 9,9 v. H . der 352 Mandate erringen konnten. Die Konfrontation zwischen der Krone und den Konservativen auf der einen und der liberalen Parlamentsmehrheit auf der anderen Seite entzündete sich an der Frage der Heeresreform und entwickelte sich bald zu einer Auseinandersetzung um die verfassungsmäßigen Rechte der einzelnen Staatsorgane. Während die Liberalen entsprechend ihren Vorstellungen von Konstitutionalismus die Tätigkeit der Minister mit den Ansichten der Parlamentsmehrheit in Einklang wissen wollten, lehnten die Krone und das seit März 1862 wieder ausschließlich konservative Kabinett (ab 24. September 1862 unter Otto von Bismarck) die Beschränkung ihrer Position durch die Anerkennung der Ministerverantwortlichkeit ab und umgingen das Budgetrecht des Abgeordnetenhauses. Aufgrund dieser innenpolitischen Situation vollzog sich auch ein Wandel in der Haltung der Parteien zum Dreiklassenwahlrecht. Auch die fortschrittlichen Liberalen mußten jetzt aus wahltaktischen und parteipolitischen Überlegungen das Wahlsystem verteidigen, das sie noch im Mai 1861 bei der Beratung der Städteordnung abgelehnt hatten, weil es ihrer Meinung nach vor allem in den Gemeindevertretungen, die von den Steuerklassen direkt gewählt wurden, zum Entstehen von Klassenparteien führen werde. Hingegen wandten sich die

Deutschland (Deutscher B u n d )

211

Konservativen und vor allem Bismarck vom Dreiklassenwahlrecht ab und wurden zu Verfechtern allgemeiner und gleicher Wahlen, von denen sich die Konservativen erneut die Parlamentsmehrheit, Bismarck aber die Lösung des Verfassungskonfliktes erhofften. Sie begründeten ihre neue Haltung wesentlich mit der großen Zahl der Nichtwähler auf dem Lande, die ihrer Meinung nach meist königstreu eingestellt, zudem wohl auch noch von den adligen Grundherren weitgehend abhängig, konservativ wählen würden. Bismarck beabsichtigte, zunächst das allgemeine und gleiche Wahlrecht mit Hilfe eines Verfassungsoktrois durchzusetzen und führte in diesem Zusammenhang im Jahre 1863 audi mit Ferdinand Lasalle als dem Repräsentanten der entstehenden Arbeiterbewegung Besprechungen. Infolge der außenpolitischen Entwicklung seit dem Dänischen Krieg versuchte er dann aber, den Verfassungskonflikt im Zusammenhang mit der nationalstaatlichen Einigung zu lösen. Für Bismarck ließ sich dabei die Forderung nach allgemeinen und gleichen Wahlen nicht nur innenpolitisch, sondern vor allem auch gegen die Vielvölkerstaat Österreich verwenden. Sein erster offener Schritt in dieser Richtung war der preußische Antrag auf Reform der Bundesverfassung vom 9. April 1866, die von einer „aus direkten Wahlen und allgemeinem Stimmrecht der ganzen Nation" nach dem Reichswahlgesetz von 1849 bestellten Versammlung beraten werden sollte. Dieser taktische Schachzug führte nidit nur zum Krieg gegen Österreich, sondern wirkte sich auch innenpolitisch aus, da die Konservativen bei der Wahl vom 3. Juli 1866 (s. Tab. A 5) ihre Mandatszahl von 35 auf 136 erhöhen konnten. Zudem vollzogen die Liberalen aufgrund ihres erheblichen Stimmenverlustes und der allgemeinen Stimmung in der Bevölkerung, die sich nadi der Schlacht von Königgrätz ganz der preußischen Krone zugewandt hatte, einen Wandel in ihrer Haltung zu Bismarck. Entscheidend wurden hierfür vor allem die Bildung der „Nationalliberalen Partei" Rudolf von Bennigsens im Jahre 1867, die bald infolge ihrer nationalstaatlichen Zielsetzung zur stärksten liberalen Gruppe wurde, sowie die Beendigung des Verfassungskonfliktes durch die Indemnitätsgesetzgebung vom September 1866. Indem die Krone und Bismarck nachträglich die Zustimmung des Abgeordnetenhauses zur Heeresreform einholten, erkannten sie das von den Liberalen geforderte konstitutionelle Prinzip praktisch an und schufen so die Voraussetzung dafür, daß auch in der Verfassung des Norddeutschen Bundes durch die „Lex Bennigsen" die Verantwortlichkeit der Exekutive verankert werden konnte. Gleichzeitig mit der Annäherung an die Politik Bismarcks vollzogen die Liberalen auch die Abkehr vom Dreiklassenwahlrecht. Die Zustimmung zum allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahl-

212

Verfassung von 1871

recht wurde ihnen wesentlich durch die Ergebnisse der Wahlen des Jahres 1867 erleichtert. Trotz der unterschiedlichen Wahlsysteme ergaben nämlich sowohl die Wahlen zum verfassungberatenden und zum ersten ordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 12. Februar bzw. 31. August 1867 (s. Tab. A 6) als auch die nach dem Dreiklassenwahlrecht durchgeführte Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus (s. Tab. A 5) in den vor 1866 preußischen Provinzen für die liberalen Parteien, Nationalliberale, Fortschritt und linkes Zentrum mit 29,5, 33,6 sowie 35,1 v. H . einen ähnlichen Mandatsanteil. Die an sich unterschiedliche Wirkweise der Wahlsysteme wurde durch die politischen Zeitereignisse weitgehend aufgehoben.

Der Norddeutsche Bund, allgemein nur als Provisorium und Vorstufe eines deutschen Gesamtstaates angesehen, wurde nach dem DeutschFranzösischen Krieg von 1870/71 durch Verträge mit den einzelnen süddeutschen Staaten zum Deutschen Reich erweitert und die Bundesverfassung vom 14. April 1867 von der ohne wesentliche Veränderungen am 14. April 1871 verabschiedeten Reichsverfassung abgelöst. Gemäß der politischen Entwicklung während der Reichsgründung und der überragenden Stellung Preußens enthielt die Verfassung zwei Grundmerkmale: Die Verbindung von föderalistisch-bundesstaatlichen und nationalstaatlich-zentralistischen Elementen mit preußischer Hegemonie sowie das monarchisch-konstitutionelle System mit scharfer Trennung von Exekutive und Legislative bei starkem Ubergewicht der Regierung über das Parlament. Träger der Souveränität des Reiches war nach der Verfassung der Bundesrat, der wie der Bundestag des Deutschen Bundes als Gesamtkongreß aller Einzelstaaten aus „ex-officio" bestellten Vertretern der Landesregierungen bestand. Infolge seiner zahlenmäßigen Zusammensetzung und der Macht Preußens im Reich verlor der Bundesrat diese Position in der Verfassungswirklichkeit weitgehend an den König von Preußen, obwohl dieser eigentlich nur das geschäftsführende Präsidialorgan des Reiches mit Kaisertitel darstellte. Als Gegengewicht zu dem auf nationalstaatlicher Grundlage bestellten Reichstag blieben die Funktionen des Bundesrates trotz der Gewaltenvereinigung auf die einer zweiten Kammer mit Gesetzesinitiative, Budgetberatung und absolutem Veto beschränkt. Entscheidend zum Ubergewicht der nationalstaatlichen Komponente trug neben der Stellung des Reichskanzlers und des Reichstages vor allem auch die Position des Kaisers durch die Verbindung mit der preußischen Krone bei. Als Inhaber des Bundes-Präsidiums ernannte er alle Reichsbeamten, besaß die Kommandogewalt über die Streit-

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kräfte und die Möglichkeit zur Gesetzesinitiative. Verfassungspolitisch relevant aber waren besonders seine Rechte gegenüber dem Reichskanzler und dem Reichstag. Der Kaiser ernannte nach Artikel 15 den Reichskanzler frei von irgendwelchen Einschränkungen und bestimmte gemeinsam mit ihm die Richtlinien der Politik. Er war für die Ausübung seines Amtes nicht verantwortlich, bedurfte aber bei seinen Maßnahmen der Gegenzeichnung des Reichskanzlers, der ihn auch vor dem Reichstag vertrat. Diesen konnte er mit Zustimmung des Bundesrates, die stets außer Zweifel stand, auflösen, mußte ihn aber zu jährlichen Sessionen einberufen. Nicht der Gegensatz Unitarismus-Föderalismus sollte die innere Entwicklung des Reiches entscheidend beeinflussen, sondern die Spannungen zwischen Parlament und Regierung, die sich vor allem aus der Verbindung von alten konstitutionellen und neuen, den westeuropäischen demokratischen Verfassungsprinzipien entnommenen Elementen ergaben. So war der Reichstag durch seine auf dem allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrecht beruhenden Bestellungsweise bereits eine „Institution der modernen Massendemokratie" (Κ. E. Born), ohne jedoch tatsächlich entsprechenden Einfluß auf die Regierungsgewalt nehmen zu können, was vor allem für die Entwicklung der Parteien, ihr Selbstverständnis sowie ihr Verhalten von besonderer Relevanz werden sollte. Die Funktionen des Reichstages, die in erster Linie auf den Bestimmungen der preußischen Verfassung vom 31. Januar 1850 basierten, beschränkten sich weitgehend auf die Gesetzgebung mit Gesetzesinitiative und Haushaltsbewilligung. Der Reichstag mußte die legislative Gewalt jedoch mit dem Bundesrat teilen. Eine Überprüfung der Regierungstätigkeit, die ausschließlich vom Reichskanzler im Parlament vertreten wurde — die Staatssekretäre waren als Ressortchefs diesem untergeordnet —, konnte der Reichstag wesentlich nur bei der Haushaltsdebatte durchführen. Sie stellte aber trotz des Artikels 17 der Verfassung, der die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers anerkannte, noch keine Kontrolle im Sinne des parlamentarischen Systems dar, da der Reichstag den Reichskanzler nicht abberufen konnte und so die eigentliche Sanktion der Kontrolle fehlte. Vielmehr beruhte das Regierungssystem darauf, daß der Reichskanzler vom Kaiser frei ernannt und entlassen wurde und die Exekutive nicht des Vertrauens des Reichstages bedurfte. Trotzdem mußte sich der Reichskanzler in der Verfassungswirklichkeit um die Unterstützung durch eine Reichstagsmehrheit bemühen; ja er war in wachsendem Maße auf sie angewiesen, da durch Obstruktion bei Gesetzgebung und Etatbewilligung die Regierungstätigkeit praktisch unmöglich gemacht werden konnte, wenn nicht — wie während des preußischen Verfassungskonfliktes —

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Wahlrecht u n d Wahlkreiseintcilung

unter Ausschaltung der Legislative regiert werden sollte. Dieser negativen Macht des Parlamentes konnte der Reichskanzler jedoch das Mittel der Reicbstagsauflösung und Neuwahlen entgegenstellen, sofern er vom Kaiser unterstützt wurde. In der Verfassungswirklichkeit hat dann auch diese Prärogative des Kaisers gegenüber dem Reichstag, der selbst weder ein Versammlungs- noch ein Vertagungsrecht besaß, die Position der Exekutive entscheidend gestärkt. Das Parlament wurde bis zum Jahre 1918 fünfmal (1878, 1887, 1890, 1893, 1907) vorzeitig aufgelöst. Mit Ausnahme von 1890 ergaben die Neuwahlen dann jeweils eine deutliche Mehrheit für die regierungsfreundlichen Parteien. Das Wahlgesetz des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869, das die Vereinheitlichung der Landesgesetze von 1866 darstellte und wie diese wesentlich auf dem Wahlgesetz der Paulskirche von 1849 basierte, wurde 1871 durch Artikel 20 der Verfassung auf die süddeutschen Staaten sowie 1873 auf Elsaß-Lothringen ausgedehnt und blieb bis zum Sommer 1918 in Kraft. Das aktive und passive Wahlrecht besaßen alle männlichen Staatsangehörigen, die das 25. Lebensjahr vollendet hatten, im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte waren und in einem der Bundesstaaten wohnten. Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren alle Personen, die unter Vormundschaft gestellt waren, sich im Konkurs befanden oder öffentliche Armenunterstützung erhielten. Inkompatibilität bestand für die regierenden Fürsten und die Mitglieder des Bundesrates. Aufgrund der scharfen Trennung von Exekutive und Legislative galt zudem gemäß Artikel 21 der Verfassung audi für alle höheren Staatsbeamten eine „Teil-Inkompatibilität". Zwar konnten alle Staatsbeamten — einschließlich der Militärangehörigen, deren Wahlrecht ruhte — gewählt werden, doch mußte jeder Reichstagsabgeordnete (wie 1917 beim Regierungseintritt auch Friedrich von Payer), der „in ein Amt eintritt, mit welchem ein höherer Rang oder ein höheres Gehalt verbunden ist", sein Mandat niederlegen. Die Zahl der Abgeordneten, die zunächst für eine dreijährige und seit 1888 für eine fünfjährige Wahlperiode bestellt wurden, war im Norddeutschen Bund auf 297 festgelegt und wurde 1871 sowie 1873 auf 382 bzw. 397 erweitert (s. Tab. A 7). In der Regel wurde jeder Bundesstaat, vielfach ohne Rücksicht auf die Verwaltungsbezirke, in Einerwahlkreise mit ungefähr 100 000 Einwohnern und etwa 20 000 Wahlberechtigten aufgeteilt. Als Konzession an den bundesstaatlichen Charakter bildeten audi die Klein- und Kleinststaaten eigene Wahlkreise und wurden nicht wie durch das Wahlgesetz von 1849 mit

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anderen Territorien zusammengelegt. Infolge dieser Einteilung ergaben sich bereits zu Beginn der siebziger Jahre Bevölkerungsunterschiede in den Wahlkreisen. Bei der Wahl von 1874 war SchaumburgLippe mit 6723 Wahlberechtigten der kleinste, Bochum mit 43 693 der größte Wahlkreis, während im Durchschnitt auf 21 469 Wahlberechtigte ein Mandat entfiel. War der Stimmenwert bei den ersten Wahlen noch relativ gleich, weil in der Mehrzahl der Wahlkreise zwischen 20 000 und 30 000 Wahlberechtigte wohnten, so wurde durch die sprunghafte, aber unterschiedliche Bevölkerungszunahme, zudem vor allem durch die ständig ansteigende „Ost-West-Wanderung" und die sich aufgrund der Industrialisierung vollziehende Konzentration der Bevölkerung auf die Städte und industriellen Ballungsräume das Größenverhältnis der Wahlkreise von Wahl zu Wahl deutlicher verzerrt. Besonders in den vorwiegend landwirtschaftlichen Gebieten im Osten des Reiches, in Ostpreußen, Pommern, Schlesien, in der Provinz Posen und im Regierungsbezirk Potsdam, war die Bevölkerungszunahme minimal, in einigen Wahlkreisen sogar rückläufig, so daß die Zahl der Wahlberechtigten in 85 (1903) bzw. 87 (1907) der 115 Wahlkreise dieser Gebiete zum Teil erheblich unter dem Reichsdurchschnitt lag. Im ostpreußischen Wahlkreis Heiligenbeil-Pr. Eylau ζ. B. stieg die Zahl der Wahlberechtigten nur von 18 208 (1874) auf 18 823 (1907) an, in Bochum dagegen im selben Zeitraum um über 100 000, in Teltow-Charlottenburg-Storkow sogar um über 200 000. Wie unterschiedlich sich auch eng beieinanderliegende Wahlkreise entwickelten, zeigt die Darstellung der Berliner Wahlkreise auf der folgenden Seite. Von den Parteien wurden von dieser ungleichen Wahlkreiseinteilung vor allem die Konservativen und die polnische Minderheit begünstigt. Von den 54 bzw. 60 Mandaten, die die „Deutsch-Konservativen" bei den Wahlen 1903 und 1907 im gesamten Reich erzielen konnten, errangen sie 41 bzw. 45 in diesen Gebieten. Hingegen waren hauptsächlich die Sozialdemokraten aufgrund ihrer vorwiegend in den Städten konzentrierten Wählerschaft von der Ungleichheit des Stimmenwertes benachteiligt. So reichten bei der Wahl von 1912 im Wahlkreis Bochum die 53 333 sozialdemokratischen Stimmen nicht aus, um das Mandat zu erringen, während im Reichsdurchschnitt 15 450 und im Wahlkreis Heiligenbeil-Pr. Eylau sogar 7706 Stimmen zur absoluten Mehrheit genügten. Obwohl die Ungleichheit schon bald recht deutlich wurde und mit Ausnahme der Konservativen und der polnischen Minderheit alle Parteien eine Neueinteilung der Wahlkreise forderten, wurden sie aus parteipolitischen Überlegungen, die sich wesentlich gegen die Sozialdemokraten richteten, bis zum Herbst 1918 nicht verändert.

Wahlsystem

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Gewählt wurde nach absoluter Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen mit Stichwahl im zweiten Wahlgang zwischen den beiden Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten hatten. Bei der unterschiedlichen Bevölkerungsstruktur mit den zahlreichen Minderheiten, den Dänen, Elsaß-Lothringern und den Polen, aber audi bei der Vielfalt regionaler Interessengruppen, wie dem „Bund der Landwirte" (BdL), den Weifen oder dem Bayerischen Bauernbund führte dieses Wahlsystem zu einem heterogenen Vielparteiensystem (s. Darst. VIII); da das

Darstellung I: Zahl der Wahlberechtigten in den sechs Berliner Wahlkreisen bei den Reichstagswahlen v o n 1874—1912



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1912

Wahljahre (Nach A. Milatz, Wahlrecht, Wahlergebnisse u n d Parteien des Reichstages, in Deuerlein, s. BiblAng., S. 42)

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Regierungssystem keine Koalition zur Bildung parlamentarischer Mehrheiten erforderte, wurde die Desintegration des Parteiensystems noch verstärkt. Bereits im ersten Reichstag gab es elf Parteien; ihre Zahl stieg in der Folgezeit auf 12 bis 16 Fraktionen an (s. Tab. A 8), so daß die dem Weimarer Verhältniswahlsystem oft vorgeworfene Parteienzersplitterung bereits im Kaiserreich angelegt war. Das Wahlsystem gab den Parteien nur äußerst selten einen ihren Stimmenzahlen entsprechenden prozentualen Mandatsanteil.

Darstellung II: Stimmenentwicklung der Parteien bei den Reichstagswahlen von

1871—1912

Wahljahre (Zu den exakten Zahlen siehe Tab. A 8)

218

Auswirkungen der absoluten Mehrheitswahl

Es begünstigte vor allem die Parteien, die regional konzentriert waren, wie die nationalen Minderheiten, in Verbindung mit der Wahlkreiseinteilung auch die Konservativen, das in den katholischen Gebieten West- und Süddeutschlands und Oberschlesiens stark vertretene Zentrum, aber auch die Parteien, die jeweils die Regierungspolitik unterstützten und von der Wahlagitation der Regierung profitieren konnten (s. Darst. III; Tab. A 9). So erzielten die Nationalliberalen in der Periode, während der sie die Regierungspolitik maßgeblich mit trugen, stets wesentlich mehr Mandate als es ihrem Stimmenanteil entsprach. Sie erhielten bei der Wahl von 1874 mit 1 542 500 (29,7 v. H.) Stimmen 155 (39,0 v. H.) Sitze (s. Tab. A 8; Darst. III; Tab. A 9). Seit 1881 aber, als sich die Partei zeitweilig in der „Opposition" befand und in zwei Fraktionen aufspaltete, sank nicht nur ihr Stimmenanteil, sondern sie war audi — mit Ausnahme der Kartellwahl von 1887, bei der sie mit den beiden konservativen Parteien sowohl für den ersten Wahlgang als auch für die Stichwahlen ein Wahlbündnis eingegangen war und die Koalition gemeinsam mit 47,2 v. H . der Stimmen 220 (55,4 v. H.) Mandate erhielt — deutlich unterrepräsentiert. So erreichten die Nationalliberalen bei der Wahl von 1890 mit einem Stimmenanteil von 16,3 v. H . nur 42 (10,6 v. H.) Mandate und konnten ζ. B. in den 14 badisdien Wahlkreisen mit 82 268 der 258 804 Gesamtstimmen als stärkste Partei kein Mandat gewinnen. Aufgrund dieser Wirkweise des Wahlsystems forderten weite Kreise der Partei nicht nur eine „verhältnismäßige Vertretung", sondern auch die Abkehr vom allgemeinen und gleichen Wahlrecht. Sie kehrten zurück zu den Wahlrechtsvorstellungen, die sie während des preußischen Verfassungskonflikts vertreten hatten. In Anlehnung an das belgische Mehrstimmensystem (->- S. 85 if.) strebten sie ein Pluralwahlrecht an, das Besitz und Bildung ausreichend berücksichtigte, traten jedoch mit ihren Plänen nicht an die Öffentlichkeit. Das Zentrum profitierte vom Wahlsystem erst seit dem Kulturkampf, während seine Mandatszahl bei den Wahlen bis 1877 trotz einer beträchtlichen Stimmenzahl (1871: 17,0; 1874: 27,9; 1877: 24,8 v. H.) nicht seinem prozentualen Anteil entsprach. Obwohl die Partei nach dem Kulturkampf ständig Stimmen verlor und ihr Stimmenanteil unter 20 v. H . absank, blieb ihre Mandatszahl im Reichstag mit etwa 25 v. H . relativ konstant. Vom Wahlsystem bevorzugt waren auch die beiden konservativen Parteien, die „Deutsch-Konservativen" und die „Deutsche Reichspartei". Mit Ausnahme der Wahlen von 1874 und 1881 lag die Mandatszahl der Deutsch-Konservativen immer erheblich über dem prozentualen Stimmenanteil. Sie waren bei

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mehreren Wahlen um ein Drittel, bei einigen sogar um fast die Hälfte ihrer Stimmenzahl überrepräsentiert. Nach reiner Verhältniswahl, dem Wahlsystem der Weimarer Republik, hätten sie bei der Wahl von 1884 statt 78 Mandate nur etwa 60, 1887 statt 80 nur 61, 1890 statt 73 nur 50, 1903 statt 54 nur 40 und 1907 statt 60 nur 38 Mandate im Reichstag erhalten.

Darstellung III: Stimmen und Mandatsanteil v o n vier Parteien bei den Reichstagswahlen v o n 1871 bis 1912 Zentrum

1871 Vi 77 78 81 « B7 90 93 98 1903 07 12 1871 7i 71 78 81 8Ί 87 90 93 98 1903 07 1i Wahljahre Wahljahre (Zu einem detaillierten Zahlenvergleidi s. Tab. A 8)

Benachteiligt vom Wahlsystem hingegen waren die Parteien, deren Wählerschaft nicht regional konzentriert, sondern über das gesamte Reich gleichmäßiger verteilt war. Dies galt neben den Nationalliberalen seit 1878 und den linksliberalen Parteien vor allem für die Sozialdemokraten, die zwar seit 1890 bei allen Wahlen die meisten Stimmen auf sich vereinigen konnten, aber bei keiner Wahl eine ihrem prozentualen Anteil entsprechende Abgeordnetenzahl erreichten (s. Tab.A8; Darst.III; Tab.A9). Das Mißverhältnis zwischen sozialdemokratischen Stimmen und Mandaten lag zudem in der unveränderten Wahlkreiseinteilung begründet, resultierte aber audi aus der Ablehnung der anderen Parteien, mit der SPD Wahlabsprachen für die Stichwahlen einzugehen. Die Zahl der Stichwahlen wuchs ständig.

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Organisationsformen der Parteien

Während 1871 und 1874 nur 46 bzw. 53 engere Wahlen stattfanden, mußten 1890: 146, 1903: 180, 1907: 160 und 1912: 189 Stichwahlen durchgeführt werden. Bei der Wahl von 1903 wurden die Sozialdemokraten in 43 Wahlkreisen, in denen sie im ersten Wahlgang die relative Mehrheit der Stimmen erhalten hatten, in der Stichwahl von Kandidaten der bürgerlichen Parteien überstimmt. Bei der Blockwahl von 1907, bei der sich die Nationalliberalen, die beiden konservativen und die linksliberalen Parteien gegenseitig unterstützten und mit 38,9 v. H . der Stimmen 187 Mandate (47,1 v. H.) erreichten, hatte die S P D im ersten Wahlgang in 29 Wahlkreisen die absolute und in 44 Wahlkreisen die relative Mehrheit erhalten. In der engeren Wahl konnte sie in 90 Wahlkreisen kandidieren, setzte sich aber nur in 14 Wahlkreisen durch und erhielt so aufgrund des Wahlsystems und der Wahlkreiseinteilung für 3 259 000 Stimmen (28,9 v . H . ) nur 43 Mandate (10,8 v. H . ; s. Tab. A 8). Die S P D konnte ihre Mandatszahl erst bei der Wahl von 1912 ihrem Stimmenanteil relativ gut angleichen (27,7 zu 34,8 v. H.), da sie zum einen jetzt von den linksliberalen Parteien als bündnisfähig angesehen wurde, zum anderen aber ihr Stimmenanteil so gestiegen war (um weitere 5,9 v. H.), daß sie in vielen Wahlkreisen bereits im ersten Wahlgang die absolute Mehrheit auf sich vereinigen konnte. Sie stellte deshalb nun auch mit 110 Mandaten im Reichstag die stärkste Fraktion. Mit dem Gleichheitsgrundsatz, vor allem aber mit der Ablösung der mittelbaren Wahl, die auch nach 1871 in den meisten Bundesstaaten (s. Tab. G III; Tab. G IV) gültig blieb, durch den direkten Wahlmodus veränderten sich die Organisationsformen der Parteien, da die eigentliche Entscheidung über die Parlamentszusammensetzung jetzt nicht mehr bei den in Preußen etwas mehr als 60 000 (s. Tab. A 4) Wahlmännern, sondern direkt bei den Wählern lag. Die Wahlmänner, die nicht auf den Willen der Wahlberechtigten festgelegt waren — nur in wenigen Ausnahmefällen wurde eine „ehrenwörtliche" Verpflichtung auf einen Kandidaten zur Abgeordnetenwahl vorgenommen — bildeten noch zu Beginn der sechziger Jahre in jedem Wahlkreis ein unabhängiges Kollegium, das während des Verfassungskonfliktes zu einer permanenten Körperschaft wurde und eine ständige Kontrolle der Parlamente ausübte. Die Abgeordneten und Fraktionen brauchten sich in ihrer Beeinflussung nur um diese wesentlich aus lokalen Honoratioren zusammengesetzten und in ihrer Sozial- und Wirtschaftsstruktur mit den Fraktionen fast identischen Gruppen bemühen und benötigten noch keine ausgebaute Parteiorganisation. Mit der Einführung der direkten Wahl aber mußten sie jetzt „in ganz andere soziale Bereiche" (W. Gagel) eindringen, wodurch neue,

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straffe Organisationsformen notwendig wurden. Die Wahlmännerkollegien wurden von den Wahlkomitees und Wahlvereinen abgelöst, die in den Städten in ähnlicher Form bereits während der Revolution von 1848 bestanden hatten und denen Paragraph 17 des Wahlgesetzes die formale Grundlage für ihre Betätigung gewährte. Sie waren zunächst Hilfsorgane der Parlamentsfraktionen zur Kandidatenaufstellung und Wahlagitation, wurden aber schon bald, vor allem bei den linksliberalen Parteien und den Sozialdemokraten, zur untersten Stufe der zentralistisch aufgebauten und aus hauptamtlichen Funktionären gebildeten Parteiorganisation außerhalb des Parlaments, der dann auch die Fraktion praktisch eingeordnet wurde. Dies führte zwangsläufig in der Folgezeit trotz des in der Verfassung garantierten freien Mandats (Art. 29) zu einer stärkeren Abhängigkeit der Abgeordneten von den Parteiorganisationen. Dennodi waren die Abgeordneten in den siebziger und achtziger Jahren noch ziemlich ungebunden; die Fluktuation im Reichstag war aufgrund von Parteiaustritten, Abspaltungen und Neugründungen noch recht erheblich. Zudem unterstützten Regierungs- und Wahlsystem die Stellung des einzelnen Abgeordneten gegenüber der Parteiorganisation. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts veränderte sich die Struktur des Parlaments; der Reichstag setzte sich jetzt in zunehmendem Maße aus hauptamtlichen, von der Partei und ihren Organisationen abhängigen Berufspolitikern zusammen. Dies war bei den sozialdemokratischen Abgeordneten auch eine Folge ihrer finanziellen Abhängigkeit von der Partei, da die Reichstagsmitglieder bis 1906 keinerlei Entschädigungen in Form von Diäten erhielten. Vor allem aber beruhte diese Entwicklung auf dem wachsenden Einfluß des Reichstages und der Parteien (s. u.) und lag audi im Wandel des parlamentarischen Lebens begründet, in welchem Detail-Debatten in den Vordergrund traten und die Parteien veranlaßten, in erster Linie Abgeordnete mit Spezialkenntnissen als Kandidaten zu nominieren. Im Reichstag verfügten zunächst die „alten", schon vor 1870 bestehenden preußischen Parteien, Konservative, Nationalliberale und Fortschritt infolge der gesellschaftlichen Struktur des Reiches und aufgrund der allgemeinen Stimmung nach der Reichsgründung und der noch relativ geringen Wahlbeteiligung (s. Darst. IV; Tab. A 8) mit 66,8 v. H., 65,1 v. H . und 64,0 v. H . der Sitze nach den Wahlen von 1871, 1874 und 1877 über eine starke Mehrheit, während die „neuen" Parteien, das Zentrum und die Sozialdemokraten 1871 nur 15,4 bzw. 0,5 v. H . der Mandate auf sich vereinigen konnten. Die Deutsch-Konservativen blieben im wesentlichen eine preußische Partei und repräsentierten in erster Linie den ostelbischen adligen und

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Parteiensystem und Wahlentwicklung bis 1878

protestantischen Großgrundbesitz. Ihre Grundansichten basierten auf vorkonstitutionellen, zum Teil audi ständischen und patriarchalischen Ideen. Die nationalstaatliche Einigung sowie die verfassungsmäßigen Prinzipien, die ihre herrschende Stellung im Reich im Gegensatz zu Preußen beträchtlich einschränkten, billigten sie nur zögernd. Zu Bismarck und dessen Realpolitik standen sie aber nicht nur aus diesem Grunde häufig in heftiger Opposition. Die Mandatszahl der Deutsch-Konservativen im Reichstag war — mit Ausnahme der Wahl von 1874, als sie sich in einer innerparteilichen Krise befanden, und der Kartellwahl von 1887, die ihre Abgeordnetenzahl durch das Wahlsystem erheblich ansteigen ließ — relativ konstant (s. Tab. A 8). Bereits im Norddeutschen Bund spalteten sich von den Konservativen die „Freikonservativen" (Deutsche Reichspartei) ab. Ihnen gehörten vorwiegend das Großbürgertum, die Großindustrie und weite Kreise des katholisdien Adels an. Gemäß ihren wirtschaftlichen Zielen unterstützten sie vorbehaltlos Bismarcks Politik und wurden zu einer gouvernementalen Partei. Sie erzielten bei der Wahl von 1878 mit 57 Mandaten ihren größten Erfolg. Die Abgeordnetenzahl sank dann aber — mit Ausnahme der Kartellwahl, bei der sie nochmals 41 Sitze auf sich vereinigen konnten — unter 30 Mandate ab und erreichte ähnlich wie bei den Deutsch-Konservativen im Jahre 1912 mit 14 Mandaten ihren Tiefstand (s. Tab. A 8). Von den liberalen Parteien vertrat der „Fortschritt", der bereits im Norddeutschen Bund seine überstarke Stellung verloren hatte, eine oppositionelle Politik, da er die bundesstaatliche und verfassungspolitische Struktur des Reiches ablehnte, eine schrittweise Parlamentisierung der Regierung forderte und auf wirtschaftspolitischem Gebiet am Manchester-Liberalismus festhielt. Die Nationalliberalen Bennigsens hingegen wurden aufgrund ihrer Erfolge bei den Verfassungsberatungen im norddeutschen Reichstag, ihrer nationalstaatlichkleindeutschen Zielsetzung und der Billigung der Bismarckschen Politik bis 1878 zur „staatstragenden" Partei. Sie erreichten bei den Wahlen die meisten Stimmen und stellten mit über 30 v. H. der Mandate die weitaus stärkste Fraktion (s. Tab. A 8). Während von den beiden „neuen" Parteien die Sozialdemokraten bei den ersten Wahlen noch relativ unbedeutend waren, verfügte das katholische Zentrum schon im ersten Reichstag über 61 Mandate. Das Zentrum wurde im Herbst 1870 wesentlich als Reaktion auf die zu erwartende nationale Einigung in ihrer kleindeutschen Form und auf die Verbindung der Liberalen mit den preußisch-protestantischen Konservativen unter Führung des preußischen Königshauses gegründet. Die organisatorische Basis bildete die seit dem Vormärz und der

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Revolution von 1848 entstandene katholische Laienbewegung mit ihren verschiedenen Vereinigungen. Das Ziel der Partei war in erster Linie die Bekämpfung des ihrer Meinung nach allzu positivistischen Zeitgeistes mit seinen Auswirkungen in Staat und Gesellschaft. Infolge ihrer oppositionellen Haltung gelang es der Partei nicht nur, die Unterstützung der west- und süddeutschen Katholiken zu gewinnen, sondern sie konnte sich auch mit den partikularistischen Kräften, den katholischen Polen und Elsaß-Lothringern sowie den Weifen verbinden. Ludwig Windthorst gelang unter Führung des Zentrums so eine Kombination der verschiedenen nationalen und auch weltanschaulichen Minderheiten. Nach dem Kulturkampf stellte das Zentrum von 1881—1912, mit Ausnahme der Kartellwahl, die größte Reichstagsfraktion (s. Tab. A 8). Ihre Schlüsselstellung in der innenpolitischen Entwicklung beruhte zudem darauf, daß sie — im Gegensatz zu den anderen Parteien — nicht eine gesellschaftliche Klasse repräsentierte, sondern von den Katholiken aller Bevölkerungsschichten getragen wurde und deshalb mit allen anderen Parteien taktieren und koalieren konnte. Zunächst regierte Bismarck bis 1878 mit Hilfe der Nationalliberalen und der beiden konservativen Parteien, die nach den Wahlen von 1871 mit 219, 1874 mit 210, 1877 mit 206 und 1878 mit 216 Mandaten über die Mehrheit im Reichstag verfügten (s. Tab. A 8; Darst. II). Mit ihnen gelang es, das Reich auf- und auszubauen. Auch den Kulturkampf führte Bismarck mit ihnen gemeinsam. Die Basis der Zusammenarbeit war jedoch von Beginn an recht schmal, da sie nur auf einer national-, kultur- und wirtschaftspolitischen Interessengleichheit beruhte; staats- und verfassungspolitische Vorstellungen der Partner aber waren weitgehend entgegengesetzt. Obwohl Bismarck bereit war, sich mit dem Reichstag bei der Gesetzgebung und Haushaltsberatung zu arrangieren, lehnte er stets alle Forderungen ab, sich an eine Partei oder eventuell notwendige Koalition zu binden. So wurde nicht nur eine Entwicklung zum parlamentarischen Regierungssystem, die während der Zusammenarbeit zwischen Bismarck und den Nationalliberalen hätte entstehen können, vereitelt, sondern es mußten sich auch bei gegenteiligen Ansichten in der Gesetzgebung und Haushaltsbewilligung ernsthafte Schwierigkeiten zwischen Reichstag und Regierung ergeben. Vor allem nach der Reichstagswahl vom 10. Januar 1874 (s. Tab. A 8; Darst. II) wurde Bismarcks Stellung geschwächt. Es ergab sich nämlich trotz der Agitation Bismarcks während des Kulturkampfes aufgrund der überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung der katholischen Bevölkerung ein erheblicher Mandatszuwachs für das Zentrum, dem jetzt 91 statt 61 Abgeordnete angehörten. Zudem ge-

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Entwicklung der Sozialdemokratie

wannen auch die Nationalliberalen 30 Mandate und verfügten sowohl mit den Konservativen als auch mit der linksliberalen Fortschrittspartei über die Mehrheit im Reichstag. In der Absicht, Bismarcks Handlungsfreiheit einzuschränken und ihn von den Vorstellungen der Reichstagsmehrheit abhängig zu machen, lehnten die Nationalliberalen deshalb seit 1875 die mit ihren wirtsdiaftspolitischen Ideen nicht zu vereinbarende Schutzzollgesetzgebung der Regierung ab. Auch Bismarcks Versuche, durch ein Pressegesetz und Änderungen im Strafgesetzbuch die Tätigkeit der Sozialdemokraten zu behindern, fanden im Reichstag keine Mehrheit, obwohl alle Parteien bereits in den siebziger Jahren befürchteten, daß die Sozialdemokraten aufgrund der Wandlung der Sozialstruktur zu einem entscheidenden Faktor der Innenpolitik heranwachsen könnten. Erst zwei Attentate auf Kaiser Wilhelm I. und eine gezielte Agitation der Regierung, die die Nationalliberalen zwang, sich bereits vor der Neuwahl vom 30. Juli 1878 (s. Tab. A 8) auf ein Verbotsgesetz gegen die Sozialdemokraten festzulegen, ergaben im Reichstag eine Mehrheit für das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie" . Die Bestimmungen, auf zweieinhalb Jahre befristet, aber stets bis 1890 verlängert, verboten alle sozialdemokratischen Organisationen, Versammlungen und Publikationsmittel, nicht aber die Partei und die Reichstagsfraktion. Die Anfänge der sozialdemokratischen Bewegung lagen in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Sie trat zum ersten Mal während der Revolution von 1848 in Erscheinung, als in den Städten eine Reihe von radikal-demokratischen Volksclubs, gewerkschaftlichen Vereinen und die sogen. Arbeiterverbrüderung gegründet wurden. Durch die Reaktion jedoch wurde diese Entwicklung weitgehend unterbrochen. Zudem konnten die Ideen der französischen Sozialisten, vor allem aber Philosophie und Lehre von Karl Marx und Friedrich Engels erst mit der gesellschaftlichen Umschichtung durch die Industrialisierung in breitere Bevölkerungskreise eindringen. Als Partei entstand die Sozialdemokratie durch den Einigungskongreß des „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins" und der „Sozialdemokratischen Arbeiterpartei" im Jahre 1875. Ihr Programm war ambivalent: Ihr grundsätzliches Ziel war der von Marx aufgezeigte Weg zurWeltrevolution; ihre praktische Arbeit galt der Lösung vordringlicher Probleme der Arbeiterschaft: der Durchsetzung sozialer Gerechtigkeit, der Handlungsfreiheit für die Gewerkschaften, dem Achtstundentag, der wirksamen Kontrolle der Betriebe, usw. Zum Staat, zu seinem Repräsentanten Bismarck und auch zu den anderen Parteien standen die Sozialdemokraten in scharfer Opposition.

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Obwohl das Sozialistengesetz die Partei weitgehend zur Illegalität zwang, konnte es seinen Zweck, die Sozialdemokraten vom politischen Leben auszuschließen, nicht erreichen. Nach einem Rückgang von 125 100 Stimmen bei der Wahl von 1881 vollzog sich ihr Aufstieg trotz des Organisationsverbots und trotz starker Behinderung ähnlich schnell wie vor 1878. Schon im Jahre 1884 erzielten sie 60 000 Stimmen mehr als 1877 und wurden nach dem Fall des Sozialistengesetzes bei der Wahl von 1890 mit 1 427 300 Stimmen (19,7 v. H.) zur stimmstärksten Partei, wobei sie vor allem von der sprunghaft

Darstellung I V : Entwicklung der Wahlberechtigung und Wahlbeteiligung bei den Reichstagswahlen von 1 8 7 1 — 1 9 1 2

(Zu den exakten Zahlen s. Tab. A 8)

angestiegenen Wahlbeteiligung profitierten, aber aufgrund des Wahlsystems und der Wahlkreiseinteilung mit 35 Mandaten (8,8 v. H.) im Reichstag erheblich unterrepräsentiert blieben (s. Tab. A 8). Die Entwicklung zur stärksten Partei, die sidi seit 1890 bei allen Wahlen fortsetzte — ihr Stimmenanteil stieg von 23,3 v. H . im Jahre 1893 bis auf 34,8 v. H. bei der Wahl von 1912 (s. Tab. A 8) —, bewirkte einen Wandel in der Zielsetzung und im Verhalten der SPD. Obwohl ihre ideologischen Vorstellungen weiterhin auf den revolutionären marxistischen Ideen beruhten und sich die theoretische Begründung des Revisionismus nicht durchsetzen konnte, veranlaßten die 15

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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SPD und Wahlsystem/Regierungssystem nach 1878

Wahlerfolge, die in den süddeutschen Staaten und auf Gemeindeebene vielfach bereits durch Wahlbündnisse mit dem Zentrum und den linksliberalen Parteien erzielt wurden, die SPD zur parlamentarischen Mitarbeit. Auch im Reichstag vollzog die Partei den Wandel von grundsätzlicher Obstruktion zu positiver Detailarbeit. Im Vordergrund ihrer Bestrebungen standen neben der Durchsetzung ihrer sozialpolitischen Vorstellungen die Demokratisierung der Institutionen und die Ausbildung eines parlamentarischen Regierungssystems. Eines ihrer Hauptziele war zudem die Reform des Wahlrechts. Zunächst galten ihre Forderungen der Angleichung des unterschiedlichen, in den meisten Bundesstaaten noch beschränkten, vielfach mittelbaren und öffentlichen Wahlrechts (s. u., Tab. G. IV) an das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Reichstagswahlrecht, der Herabsetzung des Wahlalters auf 20 Jahre sowie der Einführung der Wahlpflicht (Gothaer Programm von 1875). Aufgrund der großen Unterrepräsentation im Reichstag verlangten sie schon bald auch die Änderung des Wahlsystems und setzten sich seit ihrem Erfurter Parteitag von 1891 für die Proportionalwahl ein, forderten aber vor allem die von der Verfassung vorgeschriebene Anpassung der Wahlkreise an die Bevölkerungsveränderungen. Die Revision der Wahlkreiseinteilung war für Engels vordringlicher als die Einführung der Verhältniswahl, deren Verrechnungsverfahren er als wenig brauchbar ablehnte: „Alle bisher bekannt gewordenen Systeme der Proportionalvertretung passen unseres Erachtens allenfalls für kommunale und Bezirksvertretungen, für die Wahlen zu den großen Landesvertretungen fehlt es aber unseres Erachtens durchaus noch an einem praktikablen System der Proportionalvertretung. Der Vorschlag, das ganze Land bzw. Reich zu einem großen Wahlkörper zu erklären, der so und so viele hundert Vertreter zu erwählen hat, erscheint nur einfach, tatsächlich würde er fast unlösbare Verwirrung zur Folge haben" (Fr. Engels). Doch trat auch Engels grundsätzlich f ü r die Proportionalwahl ein. Ebenfalls seit dem Erfurter Parteitag forderte die SPD das Frauenwahlrecht. Durch den Bruch zwischen Bismarck und den Nationalliberalen im Herbst 1878, der im wesentlichen aufgrund der gegensätzlichen finanz- und wirtschaftspolitischen Ansichten erfolgte, ergaben sich audi Änderungen im Mehrheitsverhältnis und in der Parteienstruktur des Reichstages. Der linke Flügel der Nationalliberalen, der bereits seit der Reichsgründung wegen der unterschiedlichen verfassungspolitischen Vorstellungen die Zusammenarbeit mit Bismarck und den Konservativen skeptisch beurteilt hatte, bildete im Sommer 1880 als „Liberale Vereinigung" eine eigene Fraktion und näherte sich der

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Fortschrittspartei. Beide linksliberalen Gruppierungen schlossen sich im Frühjahr 1884 zur „Freisinnigen Partei" zusammen, konnten aber ihren Wahlerfolg von 1881 nicht wiederholen. Sie verloren 39 der 106 Mandate und erhielten auch bei den folgenden Wahlen trotz Wahlabsprachen mit der vornehmlich auf Süddeutschland konzentrierten „Deutschen Volkspartei" nur noch etwa zehn von Hundert der Mandate (s. Tab. A 8). Die Nationalliberalen, die infolge ihrer Spaltung mit Ausnahme der Kartellwahl von 1887 (s. u.) mit etwa 50 Abgeordneten nur noch ungefähr die H ä l f t e ihrer früheren Mandatszahlen erzielen konnten (s. Tab. A 8), wurden zu einer gouvernementalen Rechtspartei und unterschieden sich in ihrem Parteiprogramm nur noch geringfügig von den konservativen Parteien. Bismarck regierte nun zunächst mit Hilfe der interfraktionellen „Volkswirtschaftlichen Vereinigung", der 204 Abgeordnete (darunter 75 der konservativen Parteien, 87 des Zentrums und 27 der Nationalliberalen) angehörten, und deren programmatische Basis die Schutzzollpolitik der Regierung bildete. Aus dieser Gruppierung entstand dann eine Zusammenarbeit zwischen Konservativen und Zentrum, die möglich wurde, weil Bismarck den Kulturkampf seit 1876 nur noch sehr zurückhaltend führte, eine Aussöhnung mit dem Vatikan und dem deutschen Episkopat anstrebte und deshalb seine feindliche Haltung auch gegenüber dem Zentrum aufgab. Da diese Koalition aber nach der Wahl vom 27. Oktober 1881 (s. Tab. A 8; Darst. II) aufgrund der Mandatsverluste der konservativen Parteien nicht mehr über die Mehrheit im Reichstag verfügte, war Bismarck gezwungen, mit wechselnden Mehrheiten zu taktieren, wobei ihn vor allem die Konservativen, die Nationalliberalen oder das Zentrum unterstützten. Die unsicheren Mehrheitsverhältnisse führten zu ständigen Spannungen zwischen Exekutive und Reichstag und erschwerten die Gesetzgebung. Bismarck versuchte deshalb, die „negative Macht" des Parlamentes einzuschränken und glaubte, durch einen berufsständischen, von den Handelskammern zu bestellenden Volkswirtschaftsrat, der zunächst in Preußen erprobt wurde, seinen finanz- und wirtschaftspolitischen Zielen mehr Gewicht verleihen zu können. Alle Bestrebungen, dieses „Nebenparlament" (Κ. E. Born) auch auf das Reich auszudehnen, verhinderte der Reichstag, indem er die finanziellen Mittel zur Bildung des Rates nicht bewilligte. Nach dem Scheitern dieser Pläne hat Bismarck mehrmals, vor allem aber kurz vor seiner Entlassung im Jahre 1890, die Möglichkeit erwogen, den Konflikt mit dem Reichstag durch einen Verfassungsbruch zu lösen: Die Reichsverfassung, die er als Bündnis der Fürsten verstand, sollte von den Bundesstaaten aufgekündigt und durch eine neue Vereinbarung der Fürsten ersetzt werden. Das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Reichs-

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Wahlentwicklung nach 1890

tagswahlrecht sollte aufgehoben werden, um durch eine Angleichung des Wahlrechts an das preußische Dreiklassenwahlsystem (s. u.) eine aus Konservativen und Nationalliberalen gebildete regierungsfreundliche Mehrheit zu erreichen. Die außenpolitische Entwicklung seit 1885 verhinderte jedoch die Durchführung dieses Staatsstreichsplanes. Zudem erhielt Bismarck nach vorzeitiger Reichstagsauflösung bei der Kartellwahl vom 21. Februar 1887 (s. Tab. A 8; Darst. II) unter dem Eindruck der „Boulanger-Krise" wieder eine starke und gefügige Reichstagsmehrheit, da die drei Kartellparteien, Konservative, Deutsche Reichspartei und Nationalliberale, sich nicht nur in den Stichwahlen unterstützten, sondern bereits im ersten Wahlgang in jedem Wahlkreis nur einen gemeinsamen Kandidaten nominierten, dadurch in entscheidendem Maße vom Wahlsystem profitierten und mit 47,3 v. H . der Stimmen 220 Mandate (55,2 v. H.) erzielen konnten. Im Drei-Kaiser-Jahr 1888 verlor Bismarck in Wilhelm I. seinen entscheidenden Rückhalt in den Auseinandersetzungen mit dem Reichstag und den Parteien. Seine Entlassung lag wesentlich begründet in der Absicht Wilhelms II., die verfassungsmäßige, aber von Wilhelm I. niemals in Anspruch genommene Machtstellung des Kaisers zu einem „persönlichen Regiment" auszudehnen und die Funktionen des Reichskanzlers einzuschränken. Dem Kaiser kam dabei zugute, daß Bismarck selbst das. monarchische Prinzip „in seiner politischen Theorie und Praxis verteidigt und gestärkt" (Κ. E. Born), die Position des Reichstages durch seine taktischen Schachzüge, seine Abneigung gegen den Parlamentarismus und seine Gleichgültigkeit auch gegenüber den Parteien, die ihn unterstützten, gesdiwädit hatte. Den äußeren Anlaß für Bismarcks Demission bildete seine trotz der Sozialgesetzgebung gescheiterte Innenpolitik, die infolge ihrer einseitig gegen die Sozialdemokraten gerichteten Zielsetzung seit 1889 zu erheblichen sozialen Unruhen geführt hatte. Obwohl die Kartellparteien grundsätzlich zu einer Verlängerung des Sozialistengesetzes bereit waren, fand die neuerliche Gesetzesvorlage im Reichstag keine Mehrheit, da Bismarck die von den Nationalliberalen geforderte Aufhebung des Ausweisungsparagraphen verweigerte. Auch durch eine Reichstagsauflösung, die ihm 1878 und noch 1887 eine regierungsfreundliche Mehrheit gebracht hatte, konnte er seine Entlassung nicht mehr verhindern. Die Kartellparteien verloren nämlich bei der Wahl vom 20. Februar 1890 (s. Tab. A 8; Darst. II) 85 ihrer 220 Mandate, während von den oppositionellen Parteien das Zentrum acht Sitze gewann, die Freisinnige Partei ihre Sitzzahl verdoppeln konnte und die Sozialdemokraten zur nach Stimmen stärksten Partei wurden.

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Der allgemein als innenpolitischer Wendepunkt angesehene Sturz Bismarcks blieb verfassungspolitisch ohne tiefgreifende Wirkung und ermöglichte zunächst noch keine Entwicklung zum parlamentarischen Regierungssystem. Selbstverständnis und Verhalten der Parteien waren noch zu stark von den konstitutionellen Strukturen und vom „System Bismarck" geprägt, das die Existenz der Parteien zwar grundsätzlich anerkannte, sie aber weitgehend von der Verantwortung ausschloß. „Die Parteien wurden daher tatenarm, sie waren nicht eigentlich initiativ, sondern wesentlich reagierend, auf den Bereich retrospektiver Kritik beschränkt, kaum in der Lage,..., große Perspektiven einer künftigen Politik zu entwerfen, ihren Blick über das Tägliche ins Morgen oder gar Ubermorgen hinauszurichten oder auch nur die disparaten Einzelbereiche der Politik zu einem kohärenten Ganzen zusammenzufassen" (Th. Nipperdey). Aufgrund dieser immobilen innenpolitischen Situation wurde das Verhältnis zwischen Regierung und Reichstag auch nach den Wahlen von 1890, 1893, 1898 und 1903 (s. Tab. A 8; Darst. II) weiterhin von unsicheren Mehrheitsverhältnissen und vom Taktieren mit wechselnden Koalitionen bestimmt, so daß sich die Regierungspraxis der Nachfolger Bismarcks kaum veränderte. Besonders beeinflußt wurde die Regierungstätigkeit noch durch den sich verstärkenden Gegensatz zwischen Preußen und dem Reich, der vor allem auf den sehr verschiedenartigen Wahlsystemen beruhte. Während die Regierungen im Reichstag nur mit Hilfe des Zentrums, das sich nicht auf eine Koalition festlegen ließ, eine Mehrheit erhalten konnten, muß.ten sie sich gleichzeitig in Preußen mit dem in seiner Grundhaltung ausschließlich konservativen Herrenhaus (s. Tab. G III) und den konservativen Parteien, die infolge des Dreiklassenwahlsystems im preußischen Abgeordnetenhaus über eine überstarke Mehrheit verfügten (s. u., s. Tab. A 5), arrangieren. Die Arbeit der Regierungen wurde durch diese unterschiedliche Zusammensetzung der Repräsentationskörperschaften erheblich erschwert, da sie zu ständigen Kompromissen zwischen den konträren Vorstellungen von Reichstag und preußischen Abgeordnetenhaus gezwungen wurden. Ein Wandel in den innenpolitischen Strukturen vollzog sich jedoch, als sich Reichskanzler Bernhard von Bülow 1906 aus der Abhängigkeit des Zentrums löste. In Anlehnung an den Bismarckschen Kartellgedanken bildete sich für die Wahl vom 25. Januar 1907 (s. Tab. A 8; Darst. II) ein Wählbündnis gegen das Zentrum und die Sozialdemokraten aus Nationalliberalen, die beiden konservativen und den linksliberalen Parteien, die im Gegensatz zu ihrer Haltung in

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Parlament u n d Regierung vor dem Ersten Weltkrieg

den süddeutschen Staaten, wo sie bereits mehrmals Wahlabsprachen mit den Sozialdemokraten eingegangen waren, im Reich die Politik der Regierung unterstützten. Die Blockparteien erhielten 187 Mandate und besaßen zusammen mit den fünf Abgeordneten der Wirtschaftlichen Vereinigung und den 16 der antisemitischen Fraktion aufgrund des Wahlsystems die Mehrheit im Reichstag, obwohl ihr Stimmenanteil nur 41,8 v. H. betrug und die oppositionellen Parteien 6 513 100 (58,2 v. H.) Stimmen erzielten. Für das Verhältnis von Regierung und Reichstag sowie die Parlamentarisierung der Exekutive war die Parteienkonstellation, die durch die Blockwahl entstanden war, von entscheidender Bedeutung. Hatten bereits vor der Wahl die zunehmende Isolierung des Reiches und die schwankende Außenpolitik der Regierungen eine Stärkung des Reichstages und der Parteien ergeben, so war durch die scharfe Frontstellung der beiden großen Oppositionsparteien, des Zentrums und der Sozialdemokraten, zur „Regierungskoalition" „ . . . erstmals im Reichstag jene Scheidung von Regierungsmehrheit und oppositioneller Minderheit vorübergehend erreicht worden, die für die Herausbildung eines parlamentarischen Regierungssystem konstitutiv ist . . . " (U. Bermbach). Dies führte zur weitgehenden Abhängigkeit des Reichskanzlers von Bülow von den Blockparteien und mußte bei einem Bruch innerhalb der Koalition — ähnlich wie bei der Demission Bismarcks — die Entlassung des Reichskanzlers zur Folge haben. Da innerhalb der Blockparteien trotz der Interessengleichheit in der Kolonial- und Flottenpolitik aufgrund der stark voneinander abweichenden Verfassungs- und Wahlrechtsvorstellungen erhebliche Spannungen zwischen den Konservativen und linksliberalen Kräften bestanden, bedurfte es zur Auflösung der Koalition nur eines verfassungspolitischen Anlasses. Obwohl nach der „Daily-Telegraph-Affäre" vom Herbst 1908 der Bruch der „Regierungskoalition" und die Entlassung des Reichskanzlers von Bülow durch Wilhelm II. eine erneute Stärkung des Reichstages bewirkten, gelang die Parlamentarisierung der Reichsregierung, die von den Sozialdemokraten gefordert wurde, oder die Änderung der verfassungsmäßigen Regelung der Verantwortlichkeit des Reichskanzlers, wie sie das Zentrum und die linksliberalen Parteien anstrebten, nicht. Beide Reformvorschläge scheiterten sowohl an den Gegensätzen der drei Parteien als auch an dem noch immer fehlenden Willen der Parteien, selbst die Verantwortung zu tragen. Zudem wäre wohl der Bundesrat als Vertreter der Fürsten kaum bereit gewesen, seinen formalen Rechtsanspruch, der Träger der Souveränität des Reiches zu sein, an den Reichstag abzutreten. Vorschläge, wie die von Georg Jellinek, daß dem Reichskanzler auf Antrag von 100 Mitgliedern des Reichstages oder von der Mehrheit des Bundesrates

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das Mißtrauen ausgesprochen werden könnte, um damit die Demission der Regierung zu veranlassen, wären sicherlich durch den von der preußischen Krone beherrschten Bundesrat abgelehnt worden. So blieb der Einfluß des Reichstages weiterhin auf seine „negative Macht" beschränkt. Auch nach der Wahl vom 12. Januar 1912 (s. Tab. A 8; Darst. II), als die Sozialdemokraten zum ersten Mal von den zur „Fortschrittlichen Volkspartei" zusammengeschlossenen linksliberalen Parteien in den Stichwahlen unterstützt wurden und mit 110 Mandaten die stärkste Fraktion im Reichstag stellten, sowie zusammen mit dem Zentrum über die Mehrheit verfügten, gelang die Parlamentarisierung der Regierung nicht. Das einzige Ergebnis der verfassungspolitischen Auseinandersetzungen bestand so in einer Änderung der Geschäftsordnung, durch die der Reichstag in der Form von Interpellationen feststellen konnte, „daß die Behandlung der den Gegenstand bildenden Angelegenheit durch den Reichskanzler den Anschauungen des Reichstages entspricht oder nicht". Obwohl diese Form des Mißtrauensvotums, auf keine Verfassungsnorm gestützt, vorerst ohne verfassungspolitische Konsequenzen bleiben mußte — was die „ Zaber nAffäre" von 1913 deutlich machte —, zeigte es doch die Veränderung in den Machtverhältnissen von Kaiser, Reichskanzler und Reichstag und stellte in Verbindung mit der nach der Wahl von 1912 neu entstandenen Parteienkonstellation des Reichstages die Grundlage für den mit der Bildung des „Interfraktionellen Ausschusses" am 6. Juli 1917 endgültig beginnenden Demokratisierungs- und Parlamentarisierungsprozeß dar. Die Einführung des allgemeinen, gleichen, direkten und geheimen Wahlrechts im Norddeutschen Bund und Deutschen Reich beeinflußte — ähnlich wie während der Revolution von 1848 — auch die Wahlrechtsentwicklung in den Bundesstaaten (s. Tab. G I V ) . Vor allem die Staaten, die nach 1849 wieder zu den „vorrevolutionären", ständisch gegliederten Parlamenten (s. Tab. G II, Tab. G III) zurückgekehrt waren, mußten die Wahlrechtsbestimmungen der veränderten Situation anpassen. In den meisten Staaten wurden deshalb für die zweiten Kammern — die ersten Kammern wurden nur in wenigen Fällen durch Wahlen bestellt — die ständischen Strukturen abgebaut, die zensitären Einschränkungen aufgehoben oder wesentlich verringert, vielfach der indirekte Wahlmodus von der unmittelbaren Wahl abgelöst und die geheime Stimmabgabe eingeführt. Nur geringe Modifikationen hingegen wurden in den Staaten vorgenommen, in denen während der Reaktionsphase das Wahlrecht von 1848/1849 beibe-

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ε s 'S 1 £ S-s. x: J= «j 3 S« J r^' S. 85 ff.) für ein Pluralwahlsystem ein, um den Einfluß des gebildeten Bürgertums zu stärken, da die plutokratische Wirkweise des Wahlsystems dazu geführt hatte, daß audi der Mittelstand in die dritte Klasse eingestuft werden mußte. Obwohl bereits Reichskanzler von Bülow als Konzession für den Eintritt der linksliberalen Parteien in den „Bülow-Block" eine „organische Fortentwicklung" angekündigt hatte, versuchte erst sein Nachfolger Theobald von Bethmann-Hollweg das Dreiklassenwahlrecht zu modifizieren. Gemäß der Gesetzesvorlage vom 10. Februar 1910 sollte die Klasseneinteilung erhalten bleiben, die Stimmabgabe weiterhin öffentlich sein, der indirekte Wahlmodus jedoch durch die unmittelbare Wahl ersetzt werden. Um das gebildete Bürgertum wieder in die zweite Klasse einstufen zu können, sollten jährliche Steuerleistungen, die 5000 Mark überstiegen, für die Berechnung

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Wahlreformvorschläge/Pluralwahlsystem von 1915

der Gesamtsteuersumme im Stimmbezirk nicht mehr berücksichtigt werden, und die „Kulturträger" eine Klasse höher wahlberechtigt sein als ihre Steuerleistung. Als „Kulturträger" definierte der Gesetzentwurf alle Bürger mit abgeschlossenem Hochschulstudium sowie diejenigen, die sich als Beamte im öffentlichen Dienst ausgezeichnet hatten. Durch „diese groteske Gleichsetzung von Unteroffizieren und Akademikern" (Κ. E. Born) wollte die Regierungsvorlage erreichen, daß von der Reform außer dem traditionell liberal orientierten Bürgertum auch die konservativen Kräfte begünstigt würden. Trotz der geringen Modifikationen fand die Regierung keine Mehrheit für ihre Vorstellungen, da gemeinsam mit den konservativen Parteien auch das Zentrum aus kulturpolitischen Überlegungen den Gesetzentwurf ablehnte. Die Diskussionen um die Reform des Dreiklassenwahlrechts wurden in der Folgezeit entscheidend vom Ersten Weltkrieg beeinflußt, da sich mit zunehmender Dauer des Krieges, der Verschlechterung der militärischen Lage, der russischen Februar-Revolution, dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten sowie den Ernährungsschwierigkeiten auch die allgemeine politische Situation wandelte. Zunächst jedoch waren zu Beginn des Krieges in der Hoffnung auf ein schnelles und siegreiches Ende der militärischen Auseinandersetzung und mit Rücksicht auf den „Burgfrieden" die verfassungspolitischen Diskussionen sehr zurückhaltend geführt worden. So konnte der konservative Innenminister Friedrich-Wilhelm von Loebell im September 1915 der preußischen Regierung einen Wahlgesetzentwurf vorlegen, der trotz mehrmaliger erheblicher Änderungen Reichskanzler von Bethmann Hollweg zu der Uberzeugung gelangen ließ, „daß kein Plural Wahlrecht zu einem politisch erträglichen Ziel führen könne". Der Loebellsche Gesetzentwurf, der in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt blieb, beinhaltete ein äußerst kompliziertes Pluralwahlsystem, dessen Grundgedanken auf der Überlegung beruhten, ein im Sinne der konstitutionellen Monarchie „arbeitsfähiges" Parlament zu schaffen, das „es der Regierung ermöglicht, die Ziele, die sie sich im allgemeinen gesteckt hat, zu erreichen". Die Vorlage sah die allgemeine, direkte und geheime Wahl vor, beschränkte aber gegenüber dem geltenden Dreiklassenwahlsystem das aktive Wahlrecht, da das Wahlalter auf 25 Jahre erhöht und die Aufenthaltsdauer auf ein Jahr verlängert werden sollte. Jeder Wahlberechtigte hatte eine Grundstimme. Allen Männern über 50 Jahre mit drei ehelichen Kindern wurde eine Zusatzstimme zuerkannt. Uber eine weitere Stimme verfügte derjenige, der „Eigentümer, Pächter oder Niesbraucher eines zu mindestens 30 Mark Grundsteuerreinertrag oder 12 Mark Gebäudenutzungswert eingeschätzten Grundstücks oder Inhaber eines zu

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einem Gewerbesteuersatze von mindestens 16 Mark veranlagten Gewerbebetriebes ist" (§ 6). Zudem waren noch drei Steuerstimmen vorgesehen, um „den auf Steuerleistung beruhenden Grundmaßstab des Dreiklassenwahlrechts in ein Pluralsystem möglichst weitgehend hinüberzuretten" (R. Patemann). Auf Stimmbezirksebene sollten nach dem Gesamtbetrag der direkten Steuern, einschließlich der staatlichen Realsteuern, das oberste Zehntel der Wahlberechtigten drei, die beiden folgenden Zehntel zwei Zusatzstimmen und die drei nächsten Zehntel eine Zusatzstimme erhalten, wodurch 40 v. H . der Wahlberechtigten, unabhängig davon, ob sie Steuerzahler waren oder nicht, keine Zusatzstimme hätten bekommen können. In den Stimmbezirken, in denen es Nichtsteuerzahler gab, sollte anstelle der Zehntelung eine Sechstelung treten, so daß „das oberste Sechstel der übrig bleibenden Wähler drei, die folgenden zwei Sechstel zwei Zusatzstimmen, die drei unteren Sechstel eine Zusatzstimme" (§ 6) erhalten sollten. Durch diese Teilung der Stimmbezirke wollte der Entwurf die ländliche Bevölkerung bevorzugen, da in den Städten nur ungefähr 20 v. H . der Wahlberechtigten, auf dem Lande hingegen 50 v. H . nicht zur Einkommensteuer veranlagt waren, und so in den Städten mindestens 1200 Mark, auf dem Lande aber nur 900 Mark jährliches Einkommen notwendig gewesen wären, um eine Zusatzstimme zu erhalten. Die „konservativ-agrarische Tendenz" (R. Patemann) des Gesetzentwurfes wurde zudem auch dadurch deutlich, daß bei der aufgrund der „Ansässigkeit" oder des „Betriebes" gewährten Zusatzstimme sowohl der Besitzer als auch der Pächter landwirtschaftlicher Gebiete über je eine Zusatzstimme verfügen sollten, während in den Städten nur die Hausbesitzer, nicht aber die Wohnungsmieter eine weitere Stimme erhalten hätten. Die innenpolitische Veränderung im Frühjahr 1917 beruhte neben der militärische Lage und ihren Auswirkungen wesentlich auch auf der russischen Februar-Revolution. Sie machte die gegensätzlichen Ansichten innerhalb der Sozialdemokraten, die seit Kriegsausbruch und nach Zustimmung der Mehrheit der Reichstagsfraktion zu den Kriegskrediten bestanden, erneut deutlich und führte schließlich zur Spaltung der Partei. Nach dem Bruch waren die Mehrheitssozialisten gezwungen, unter dem zunehmenden Druck der von ihr abgetrennten Linksopposition die Reichsregierung zu sofortigen Reformen zu drängen. Sie forderten deshalb erneut, jetzt aber intensiver, die Parlamentarisierung der Regierung sowie die Änderung des Dreiklassenwahlrechts und strebten — ähnlich wie Bismarck während des preußischen Verfassungskonflikts — die Aufhebung der umstrittenen Wahlverordnung von 1849 und die Oktroyierung des allgemeinen und gleichen Wahlrechts unter Ausschaltung des Abgeordne16 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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A u f h e b u n g des Dreiklassenwahlrechts

tenhauses an. Reichskanzler von Bethmann Hollweg, der ein solches Vorgehen ablehnte, gelang durch seine Zusage vom 14. März 1917, nach dem Kriege das gleiche Wahlrecht für Preußen durchzusetzten, noch einmal eine zeitweilige Beruhigung der innenpolitischen Situation. Audi die auf sein Betreiben verkündete „Osterbotschaft" des Kaisers vom 9. April 1917, die die unmittelbare und geheime Wahl in Aussicht stellte, die Abkehr vom Klassenwahlsystem ankündigte, jedoch nicht ausdrücklich für ein gleiches Wahlrecht eintrat, trug zur Entspannung der Gegensätze bei. Dennoch konnte sich von Bethmann Hollweg auf die Dauer mit seiner „Politik der Diagonale", durch die er — bedacht auf den Ausgleich mit allen Parteien — versuchte, sich bei jedem innenpolitischen Einzelproblem die Unterstützung der jeweilig ausschlaggebenden Partei zu sichern, nicht mehr durchsetzen. Vor allem Innenminister von Loebell, die konservativen Parteien, die Nationalliberalen und auch das Zentrum des Abgeordnetenhauses erschwerten seine Position gegenüber den „fortschrittlichen" Reichstagsparteien, da sie Ende Juni 1917 mit einer förmlichen Gesetzesvorlage beabsichtigten, die Einführung des Reichstagswahlrechts durch ein Pluralsystem zu umgehen. Die Vorlage beruhte wesentlich auf dem Gesetzentwurf von 1915 und stellte nur die Steuerstimmen auf eine neue Grundlage, indem jetzt neben der Grundstimme jeder Wahlberechtigte, der ein Vermögen von über 6000 Mark besaß, eine Zusatzstimme und diejenigen, deren Steuerleistung die durchschnittliche Gemeindesteuerleistung oder die Summe von 3000 Mark übertraf, eine weitere Zusatzstimme erhalten sollten. Aber nicht die Einigung der „konservativen" Parteien des Abgeordnetenhauses bestimmte die weiteren Auseinandersetzungen um das Dreiklassenwahlrecht, sondern vielmehr Stellung und Haltung des Reichstages und der Reichstagsparteien sowie die verfassungspolitische Entwicklung im Reich und das veränderte Verhältnis der Reichsorgane zueinander. Dies ging zurück auf den Dualismus zwischen Preußen und dem Reich und die Personalunion von Reichskanzler und preußischem Ministerpräsidenten. In der Folgezeit entstand so eine Wechselwirkung von preußischer Politik und Reichspolitik, wodurch auf der einen Seite die Reform des Dreiklassenwahlrechts als vordringlichstes innenpolitisches Problem maßgeblichen Anteil an der schrittweisen Parlamentarisierung der Reichsregierung hatte; auf der anderen Seite aber die verfassungspolitischen Vorgänge im Reich eine gemeinsame scharfe Frontstellung von Reichskanzler und Reidistagsmehrheit gegenüber dem preußischen Herren- und Abgeordnetenhaus in der Frage des Wahlrechts ergaben. Durch diese innenpolitische Konstellation und den Drude des Reichstages mußte bereits

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von Bethmann Hollweg noch vor seiner Entlassung die Änderung des preußischen Wahlrechts „auf der Grundlage des gleichen Wahlrechts . . . so zeitig" zugestehen, „daß die nächsten Wahlen nach dem neuen Wahlrecht stattfinden können" (Juli-Erlaß vom 12. Juli 1917). Obwohl sidi auch sein Nachfolger Georg Michaelis mehrmals zu „Osterbo tschaft" und „Juli-Erlaß" bekannte, erfolgte die erste Lesung der Regierungsvorlage, die das allgemeine, gleiche, direkte und geheime Reichstagswahlrecht für Preußen beinhaltete, das aktive Wahlrecht jedoch an eine dreijährige Staatszugehörigkeit band und die Erhöhung der Wahlkreise von 443 auf 455 vorsah, damit in den großen Wahlkreisen mit über 250 000 Wahlberechtigten ein weiterer Abgeordneter bestellt werden konnte, erst nach dem Sturz der Regierung Michaelis und der neuerlichen Regierungsbildung am 5. Dezember 1917. In Verbindung mit dem Wahlgesetzentwurf legte die Regierung dem Abgeordnetenhaus noch zwei Verfassungsänderungen vor, durch die das Verhältnis von Abgeordneten- und Herrenhaus neugeregelt und die Bestellungsweise des Herrenhauses vollständig umgestaltet werden sollten. Die erste Kammer, deren Zusammensetzung in erster Linie auf erblicher Grundlage beruhte (s. Tab. G I I ; Tab. GIV), sollte jetzt nur noch aus ernannten Mitgliedern bestehen: Aus 60 aus dem Kreis der ehemals erblichen Mitglieder auf Lebenszeit ernannten Mitgliedern; aus 108 Mitgliedern aufgrund ihres Amtes, ihres Besitztitels oder ihres Berufes für die Zeit, während der sie diese Qualifikationen erfüllten; sowie aus 192 auf zwölf Jahre nach Präsentation von Kirchen, Hochschulen, Selbstverwaltungs- und ständischen Körperschaften ernannten Mitgliedern. Ziel dieser Vorlage war es somit, dem Herrenhaus seinen feudalen Charakter zu nehmen und die Möglichkeit des Königs, durch „Pairsschub" die Zusammensetzung zu beeinflussen, einzuschränken. Die Bildung der Regierung Georg von Hertling im Herbst 1917 war wesentlich von dem Gesichtspunkt bestimmt, im Abgeordnetenhaus eine Mehrheit für die Wahlgesetzvorlage der Regierung zu erhalten. Gustav Stresemann, der Vorsitzende der Reichstagsfraktion der Nationalliberalen, setzte deshalb für die Position des preußischen Vizepräsidenten, der als Kabinettsmitglied ohne Portefeuille nur für die preußische Wahlreform zuständig sein sollte, den Vorsitzenden der nationalliberalen Abgeordnetenhausfraktion, Robert Friedberg durch, da man sich von seinem Einfluß den für die Verabschiedung des gleichen Wahlrechts notwendigen Meinungswandel bei 50 der 73 nationalliberalen Mitglieder des Abgeordnetenhauses versprach. Wenn dies gelingen sollte, so glaubte Stresemann, eine Mehrheit von

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Parlamentarisierung der Reichsregierung

223 gegen 220 Stimmen für die Regierungsvorlage erreichen zu können. Wie wenig jedoch die Reichstagsabgeordneten die Haltung der preußischen Parteien beurteilen konnten, wie groß die Diskrepanz zwischen den nach dem Klassenwahlsystem bestellten Mitgliedern des Abgeordnetenhauses und denen des Reichstags war, zeigte sich am 6. Dezember 1917, als die Nationalliberalen gemeinsam mit den beiden konservativen Parteien und einer Reihe von Zentrumsabgeordneten das gleiche Wahlrecht bereits bei der ersten Lesung der Regierungsvorlage ablehnten. Sie traten erneut für ein Pluralsystem ein und arbeiteten in langwierigen Ausschußberatungen einen Alternativgesetzentwurf aus (vgl. hierzu R. Patemann, S. 127 ff., s. BiblAng.). Noch im Juli 1918 lehnte die Mehrzahl der Mitglieder des Abgeordnetenhauses das Reichstagswahlrecht für Preußen ab. Eine Mehrheit für das gleiche Wahlrecht (zunächst mit einer „Alters-Zusatzstimme") ergab sich sowohl im Abgeordnetenhaus als auch im Herrenhaus erst im Herbst 1918, als aufgrund des drohenden militärischen Zusammenbruchs auch die Oberste Heeresleitung die sofortige Lösung der innenpolitischen Probleme forderte. Am 11. Oktober stimmten der Ausschuß des Herrenhauses und am folgenden Tag auch die Abgeordnetenhausfraktionen der Nationalliberalen sowie des Zentrums dem gleichen Wahlrecht zu, wodurch das Gesetz am 9. Dezember hätte Rechtskraft erlangen können.

Auch die verfassungspolitischen Reformbestrebungen, die im Herbst 1918 zur Parlamentarisierung der Reichsregierung führten, hatten ihren Ausgangspunkt in der veränderten allgemein politischen Situation im Frühjahr 1917. Vor allem die Diskussionen um die Kriegszielpolitik ließen im Reichstag eine enge Verbindung der Mehrheitsparteien, Sozialdemokraten, Zentrum und Fortschrittliche Volkspartei, entstehen. Um die Stellung des Reichstages gegenüber Regierung und Oberster Heeresleitung zu stärken, bildeten die drei Parteien den „Interfraktionellen Ausschuß", der schon bald zu einem entscheidenden innenpolitischen Machtfaktor wurde. Seine Mitglieder sahen ihre primäre Aufgabe in der Durchsetzung der Friedensresolution des Reichstages und strebten die preußische Wahlreform auf der Grundlage des gleichen Wahlrechts sowie die Parlamentarisierung der Regierung durch „juristische Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und der Staatssekretäre, Einflußmöglichkeiten des Parlamentes bei der Regierungsbildung insbesondere durch Berufung von Abgeordneten in Staatsstellen (und) parlamentarische Kontrolle des Heeres" (U. Bermbach) an. Die verfassungsrechtliche Institutionalisierung des parlamentarischen Regierungssystems jedoch lehnte die Mehrzahl der

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Ausschußmitglieder zunächst noch ab, da man Rückwirkungen auf den Bestand der Monarchie befürchtete und zudem dessen systemimmanente Kriterien, vor allem aber die Bedeutung, die der Auswahl des Reichskanzlers sowie der Staatssekretäre durch die Parlamentsmehrheit zukam, nicht erkannte. Obwohl die Regierungsbildung im Herbst 1917 und die Berufung von Payers und Friedbergs zum Vizekanzler bzw. Vizepräsidenten trotz aller Kompromisse der Mehrheitsparteien allgemein als Durchbruch zum parlamentarischen Regierungssystem angesehen wurde, gelang die Parlamentarisierung erst im Herbst 1918. Erst jetzt konnte nämlich der Ausschuß den zukünftigen Reichskanzler auf die „konstitutionelle Führung der Staatsgeschäfte durch die Berufung verantwortlicher Regierungsvertreter aus der Parlamentsmehrheit" (Maximalprogramm vom 21. September 1918) und auf die dazu notwendige Aufhebung der Inkompatibilitätsartikel neun bzw. 21 der Verfassung, die Bundesratsmitgliedern und Staatsbeamten die gleichzeitige Zugehörigkeit zum Reichstag untersagten, verpflichten. Zudem konnte der Ausschuß seine nach dem Proporz aufgestellte Kabinettsliste durchsetzen, so daß die Mehrzahl der Staats- und Unterstaatssekretäre der Regierung des Prinzen Max von Baden dem Reichstag und den Mehrheitsparteien angehörten. Durch die Verfassungsänderung vom 28. Oktober 1918 wurde die Parlamentarisierung dann normativ fixiert. Die Inkompatibilität von Reichstagsmandat und Staatsamt wurde aufgehoben; Artikel neun jedoch beibehalten, um die föderalistische Struktur des Reiches unangetastet zu lassen. Artikel 15 wurde in der Weise erweitert, daß der Reichskanzler des Vertrauens des Reichstages bedürfe, zusammen mit seinen Stellvertretern dem Bundesrat und dem Reichstag verantwortlich sei und zudem die Verantwortung für alle Handlungen des Kaisers trage. Das Reichstagswahlrecht war bereits vor der Regierungsbildung am 24. August 1918 reformiert worden; die überkommene Wahlkreiseinteilung wurde an die Bevölkerungsveränderungen angepaßt, indem man die Mitgliederzahl des Reichstages, die sich in Zukunft am Bevölkerungswachstum orientieren sollte, von 397 auf 441 erhöhte. Die Zahl der Wahlkreise hingegen wurde von 397 auf 387 vermindert. Neben 361 Einerwahlkreisen, in denen die Abgeordneten weiterhin durch absolute Mehrheitswahl bestellt wurden, galt in 26 meist großstädtischen Wahlkreisen mit zwei bis zehn Mandaten die Proportionalwahl starrer Liste. Die Mandatsverteilung erfolgte nach der Methode d'Hondt (-»• S. 48 f.). Die vollständige Neufassung des Reichstagswahlrechts sah der sozialdemokratische Gesetzesantrag vom

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Revolution und Räte

8. November 1918 vor. Nicht nur in den 26 Groß Wahlkreisen, sondern im gesamten Reich sollte nach Verhältniswahl starrer Liste gewählt werden. Das aktive Wahlrecht sollte auf die Frauen ausgedehnt und das Wahlalter auf 24 Jahre vermindert werden. Zudem war für alle Bundesstaaten die Angleichung von Wahlrecht und Wahlsystem an das Reichstagswahlrecht vorgesehen.

Alle im Herbst 1918 vollzogenen innenpolitischen Reformen, die Ablösung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen, die Modifizierung des Reichstagswahlrechts und die Parlamentarisierung, konnten jedoch die Monarchie nicht erhalten und die Revolution vom 9. November 1918 nicht verhindern. Sie trugen aber dazu bei, einen völligen „Bruch in der politischen Kontinuität, der die Gefahr eines Zerfalls des deutschen Staates in sich barg" (K. D. Bracher), zu vermeiden, ermöglichten die Übertragung der Reichsgewalt auf Friedrich Ebert und waren zudem eine wesentliche Voraussetzung für die neue Verfassung. Die Mehrheitssozialdemokraten (MSPD), die zwar mit der USPD den paritätisch zusammengesetzten „Rat der Volksbeauftragten" gebildet hatten, schlossen schon am 10. November als „Abwehrblock" gegen den Linksradikalismus ein Bündnis mit dem Bürgertum, der Obersten Heeresleitung und der Bürokratie, das in starkem Maße zur Stabilität der Regierungsgewalt und zur Aufrechterhaltung der Ordnung beitrug; dennoch war es zu Beginn der Revolution keineswegs sicher, ob tatsächlich das parlamentarische Regierungssystem beibehalten würde. Auch der Aufruf der Volksbeauftragten vom 12. November zur Wahl einer Konstituante, die „auf Grund des proportionalen Wahlsystems" von allen „mindestens 20 Jahre alten männlichen und weiblichen Personen" bestellt werden sollte, hatte zunächst nur programmatischen Charakter; er machte jedoch die Haltung der SPD deutlich, alle gesellschaftspolitischen Reformen einer gewählten Nationalversammlung zu überlassen. Die Mehrheit der USPD — der bolschewistisch orientierte Spartakusbund lehnte die Wahl einer Konstituante grundsätzlich ab und forderte die Räterepublik nach sowjetrussischem Vorbild — hingegen wollte die Wahl zur Nationalversammlung so lange hinauszögern, bis „die durch die Revolution geschaffenen Machtverhältnisse konsolidiert" (K. D. Erdmann) und die ökonomischen und sozialen Veränderungen von den Volksbeauftragten und den zu Beginn der Revolution entstandenen Arbeiter- und Soldatenräten durchgeführt worden waren.

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Die Bestellung der Räte vollzog sich in den verschiedensten Formen und richtete sich im wesentlichen nach den örtlichen Gegebenheiten. Meist jedoch einigten sich die lokalen Parteiinstanzen von SPD und USPD, die dann den Arbeiterrat ernannten oder auch von Volksund Betriebsversammlungen durch Wahl bestätigen ließen. Aus politischen Wahlen sind die Räte zu Beginn der Revolution nur in wenigen Fällen hervorgegangen. Soweit jedoch Neuwahlen notwendig wurden, waren sie indirekt, gleich, meist geheim, aber auch öffentlich, vor allem aber nicht allgemein. Aktiv wahlberechtigt waren nur die sogen. Hand- und Kopfarbeiter, zu denen man neben den Arbeitern auch Beamte und Angestellte, nicht aber Unternehmer und selbständige Kaufleute rechnete. Die Wahlen fanden in der Regel in den Betrieben bzw. Kasernen und für die Selbständigen, sofern sie an der Wahl teilnehmen durften, nach Berufsgruppen statt. Sie wurden von den beiden sozialistischen Parteien und meist auch von den Gewerkschaften organisiert. Nach der allgemein gültigen Proportionalwahl entfiel auf etwa 1 000 Wahlberechtigte bzw. ein Bataillon ein Delegierter. Generelle Aussagen über die Zusammensetzung der Räte sind für das ganze Reich kaum möglich, jedoch erlauben die Angaben über den „Allgemeinen Kongreß der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands" infolge des indirekten Wahlmodus Rückschlüsse auch auf die Zusammensetzung der lokalen Räte. Von den 488 Mitgliedern des Reichskongresses erklären sich 289 (59,2 v. H.) als Anhänger der SPD, 90 (18,4 v. H.) der USPD (darunter zehn Spartakisten), 25 (5,1 v. H.) der Demokraten, zehn (2,0 v. H.) der linksradikalen „Vereinigten Revolutionäre", 27 (5,5 v. H.) als Soldaten, während sich 47 (9,8 v. H.) Mitglieder nicht äußerten. Im Mittelpunkt der Beratungen, die vom 16. bis 21. Dezember 1918 stattfanden, standen die Wahl eines Zentralrates, die Sozialisierung, sowie vor allem das Problem, zu welchem Zeitpunkt die Konstituante einzuberufen sei. Gemäß der parteipolitischen Konstellation setzten sich die Vorstellungen der Mehrheitsozialdemokraten weitgehend durch. So bestellte der Kongreß in den Zentralrat, dessen Aufgabe im wesentlichen in der Kontrolle der Volksbeauftragten bestand, 27 Mehrheitssozialdemokraten und Soldaten, die mit der SPD sympathisierten. Von besonderer Relevanz waren zudem die Beschlüsse, durch die die „Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung" vom 30. November 1918 gebilligt und der Wahltag mit dem 19. Januar 1919 auf den frühest möglichen Termin festgesetzt wurde, da sie die Ablehnung des Rätesystems und die endgültige Entscheidung zugunsten des Parlamentarismus erbrachten. Als Folge dieser Entscheidung ergab sich nach dem Ausscheiden der USPD aus dem Rat der Volksbeauftragten eine

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Weimarer Nationalversammlung

erhebliche Radikalisierung und „Linksschwenkung" der Räte sowie der USPD; in den Großstädten Berlin und München kam es zu blutigen Unruhen, die die Volksbeauftragten veranlaßten, die Nationalversammlung nach Weimar einzuberufen. Für die Wahl zur Weimarer Nationalversammlung waren aktiv und passiv wahlberechtigt alle Männer und Frauen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten und im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte waren. Das passive Wahlrecht war zudem noch an einjährige Staatsangehörigkeit gebunden. Die Abgeordneten wurden in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl unmittelbar bestellt; je einer auf 150 000 Einwohner, wobei die Volkszählung vom 1. Dezember 1910 zugrunde gelegt wurde. Bei einem Überschuß von mindestens 75 000 Einwohnern wurde ein weiterer Abgeordneter bestellt, so daß 421 Abgeordnete gewählt wurden und im Reichsdurchschnitt auf 72 209 abgegebene gültige Stimmen ein Mandat entfiel. Die Wahlkreiseinteilung, die im allgemeinen an den Ländergrenzen und Verwaltungsbezirken orientiert war, jedoch zum Teil die früheren Kleinstaaten preußischen Bezirken angliederte, sdiuf gemäß dem Wahlsystem 36 Großwahlkreise mit sechs (Mecklenburg) bis 17 (Württemberg) Mandaten. Elsaß-Lothringen, das noch zum Deutschen Reich gehörte, galt als 37. Wahlkreis, konnte aber infolge der französischen Besetzung nicht an der Wahl teilnehmen. Die Wahlverordnung bestimmte als Wahlsystem die Proportionalwahl, womit sie den Forderungen der Sozialdemokraten Rechnung trug, vor allem aber die nach dem Ersten Weltkrieg vorherrschende Meinung berücksichtigte, daß nur ein System der Verhältniswahl mit ihrer weitestgehenden Kongruenz von Stimmen und Mandaten den empirischen Volkswillen möglichst genau reflektieren könne. Es wurde die Proportionalwahl starrer Liste eingeführt. Listenverbindungen waren zulässig. Von den im Reich aufgestellten 214 Wahlvorschlägen waren 102 mit anderen verbunden. Während die Sozialdemokraten, die „Deutsche Demokratische Partei" (DDP) und auch die Unabhängigen Sozialdemokraten keine Wahlbündnisse eingingen, profitierten von der Möglichkeit der Listenverbindung verschiedene Splittergruppen, wie die „Deutsch-Hannoversche Partei", der „Braunschweigsche Landeswahlverband" und die „Schleswig-Holsteinsche Bauern- und Landarbeiter-Demokratie", die je ein Mandat erhielten, sowie von den stimmstarken Parteien die „Deutsche Volkspartei" (DVP), die „Deutschnationale Volkspartei" (DNVP) und die „Christliche Volkspartei" (CVP), die zusätzlich acht Mandate zugesprochen bekamen (s. Tab. A 12). Die Sitzverteilung erfolgte auf Wahlkreisebene nach der Methode d'Hondt (-> S. 48 f.). Die Stimmen

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Deutschland (Weimarer Republik)

der Parteien, die im Wahlkreis bereits bei der Division durch eins kein M a n d a t erhielten, blieben unverwertet, so daß 1 133 567 Stimmen nicht berücksichtigt werden konnten (s. Tab. A 1 4 ) . Vom Höchstzahlverfahren der Methode d'Hondt war neben einigen Splittergruppen und der D D P , die in zwei Wahlkreisen keinen Sitz erreichte, vor allem die U S P D betroffen, die 7,6 v. H . der Stimmen aber nur 5,2 v. H . der Sitze erzielte, da sie in 22 Wahlkreisen kein Mandat erzielen konnte. Ihre besten Ergebnisse erreichte die U S P D in den Wahlkreisen Berlin mit 27,6, Leipzig 38,6 und Merseburg 44,1 v. H . der Stimmen.

An der Wahl vom 19. Januar 1919 (s. T a b . A l l ; Darst. V I ; T a b . A 12; T a b . A 14 und A 15) beteiligten sich 19 Parteien, von denen infolge des Wahlsystems zehn Parteien Mandate erhielten. Es waren fast ausschließlich die „alten" Parteien (Parteientwicklung s. u.), die bereits dem kaiserlichen Reichstag angehört hatten. Die Erwartungen der beiden sozialistischen Parteien ( S P D und U S P D ) , auch ohne K o alition mit den bürgerlichen Parteien eine regierungsfähige Mehrheit in der Nationalversammlung zu stellen, erfüllten sich nicht, da beide Parteien nur über 187 der 423 Mandate verfügten. Vor allem die Ausdehnung des aktiven Wahlrechts auf die Frauen und die Herabsetzung des Wahlalters von 25 auf 20 Jahre, von denen sich beide Parteien im Zusammenwirken mit der Proportionalwahl eine beträchtliche Steigerung sowohl ihrer Mandats- als auch ihrer Stimmenzahlen gegenüber der Reichstagswahl von 1912 erhofften, erreichten ihr vorgegebenes Ziel nicht. Zum einen blieb die Wahlbeteiligung der Jungwähler erheblich unter dem Reichsdurchschnitt von 83,0 v. H . , zum anderen aber wählten die Frauen, die 54,0 v. H . aller Wahlberechtigten stellten, in weitaus stärkerem Maße das Zentrum und die bürgerlich konservativen Parteien. Auch bei den folgenden Reichstagswahlen bestand eine beachtliche Differenz im Wahlverhalten von Tabelle II: Verhältnis der Frauenstimmen zu Männerstimmen bei den Reichstagswählen von 1924 bis 1930

Sozialistische Parteien Bürgerliche Parteien (Quelle: Tingsten, s. BiblAng.)

1924/1

1924/11

1928

1930

83

83

88

89

112

116

113

127

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Weimarer Reichsverfassung

Männern und Frauen. Für die SPD betrug sie zeitweise zehn von Hundert, so daß sich gerade das von ihnen geforderte Frauenwahlrecht ständig gegen die Sozialdemokraten auswirkte. Das Wahlergebnis war dennoch ein Votum für die Mehrheitspärteien des Reichstages, Sozialdemokraten, Christliche Volkspartei (ehemaliges Zentrum) und Deutsche Demokratische Partei (ehemalige Fortschrittliche Volkspartei), die 76,1 v. H . der Stimmen und 331 Mandate erreichten. Von den Parteien, die das parlamentarische System mehr oder minder stark ablehnten, erzielten die Unabhängigen Sozialdemokraten 22 Mandate, die Deutschnationale Volkspartei als Sammelbecken der ehemaligen konservativen Fraktionen des Reichstages (Deutsch-Konservative, Deutsche Reichspartei und Deutsche Reformpartei) 44 und die Deutsche Volkspartei (ein Teil der ehemaligen Nationalliberalen) 19 Mandate.

Am 31. Juli 1919 wurde die Weimarer Reichsverfassnng mit den Stimmen der Regierungsparteien der „Weimarer Koalition", Sozialdemokraten, Christlicher Volkspartei und Deutscher Demokratischer Partei, gegen die der Deutschnationalen, der Deutschen Volkspartei und des Bayerischen Bauernbundes mit 262 Stimmen bei 75 Gegenstimmen und einer Enthaltung verabschiedet. Sie war durch drei Hauptmerkmale gekennzeichnet: Den Fortbestand föderalistischer Elemente des Kaiserreiches, ein ausgeprägtes plebiszitäres Moment und als entscheidenen Faktor die „parlamentarisch präsidiale Doppelstruktur des Regierungssystems" (K. D. Bracher). Nach Artikel eins der Verfassung war das Deutsche Reich eine Republik, in der die Staatsgewalt vom Volke ausging, so daß der Reichstag, der in allgemeinen, gleichen, geheimen und unmittelbaren Wahlen für eine vierjährige Wahlperiode bestellt wurde, eine starke Stellung im Verfassungssystem einnehmen sollte. In Anlehnung an die Parlamentarisierung der Reichsregierung und die Verfassungsänderung vom Herbst 1918 sollte die Regierung vom Parlament abhängig sein. Neben der Gesetzgebungsfunktion wurde die Position des Reichstages deshalb vor allem dadurch gekennzeichnet, daß Reichskanzler und Reichsminister gemäß Artikel 54 der Verfassung zu ihrer Amtsführung das Vertrauen des Reichstages bedurften. Geschwächt wurde die Stellung des Reichstages aber bereits durch die plebiszitären Elemente und die föderalistischen Komponenten der Verfassung. Als quasi zweite Kammer fungierte neben dem Reichstag der Reichsrat, der sich aus „ex-officio" bestellten Mitgliedern der Länderregierungen zusammensetzte. Die Zahl der Mitglieder ergab sich aus dem Bevölkerungsanteil; auf eine Million Einwohner ent-

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fiel ein Sitz, jedoch verfügten auch die Kleinstaaten mit weniger als einer Million Einwohner über eine Stimme. Um dem hegemonialen Einfluß Preußens entgegenzuwirken, durfte kein Land mehr als zwei Fünftel der Mitglieder in den Reichsrat entsenden. Zudem wurden die preußischen Stimmen aufgeteilt; die Regierung und die Provinzen bestellten jeweils dreizehn Mitglieder. Insgesamt bestand der Reichsrat aus 66 Delegierten (s. Tab. A 17). Seine Funktionen waren gegenüber der Verfassung von 1871 erheblich eingeschränkt. Der Reichsrat war zwar an der Gesetzgebung beteiligt, und alle Gesetze bedurften der Zustimmung beider Kammern, doch konnte der Reichstag vom Reichsrat abgelehnte Gesetze mit zwei Drittel Mehrheit erneut beschließen. Neben der Volkswahl des Reichspräsidenten kam der plebiszitäre Teilcharakter der Verfassung in der direkten Gesetzgebung durch Volksbegehren und Volksentscheid zum Ausdruck. Dieser Weg, das Parlament zu kontrollieren und zu korrigieren, führte allerdings in keinem Falle zum Erfolg. Dennoch schwächten die Referenden die Stellung des Reichstages, da sie die repräsentative Funktion der Abgeordneten unterminierten, die Abstimmungskampagnen die Zahl der Wahlkämpfe erhöhten und zudem den republikfeindlichen Kräften eine Plattform für ihre Propaganda gaben. Von ausschlaggebender Bedeutung für die Stellung des Reichstages in der Verfassungswirklichkeit aber waren die außergewöhnlich weitreichenden Rechte des Reichspräsidenten, durch die die Nationalversammlung ein Gegengewicht gegen die Gefahr funktionsunfähiger parlamentarischer Regierungen schaffen wollte. Der Reichspräsident wurde durch allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahl nach dem Prinzip der absoluten Mehrheitswahl — im zweiten Wahlgang genügte die relative Mehrheit — bestellt. Ausgenommen von der direkten Volkswahl war gemäß der Verfassungsänderung vom 24. Oktober 1922 Friedrich Ebert, der von der Nationalversammlung mit 277 Stimmen bei 51 Gegenstimmen und 51 Enthaltungen zum ersten Reichspräsidenten gewählt worden war. Seine Amtszeit wurde bis zum 1. Juli 1925 verlängert. Wählbar für eine siebenjährige Amtsperiode — Wiederwahl war zulässig — war jeder Bürger, der das aktive Wahlrecht besaß und das 35. Lebensjahr vollendet hatte. Der Reichspräsident vertrat das Reich völkerrechtlich, war Oberbefehlshaber der Reichswehr und ernannte und entließ neben allen Reichsbeamten auch den Reichskanzler und auf dessen Vorschlag die Reichsminister, ohne an die Mehrheitsverhältnisse des Parlamentes gebunden zu sein. Zudem konnte er mit Zustimmung des Reichskanzlers das Parlament auflösen und in Krisenzeiten mit Hilfe des Notverordnungsparagraphen 48 weitgehend auch die Gesetzgebung beeinflussen.

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Wahlrecht und Wahlsystem

Da Reichskanzler und Reichsminister dem Reichstag verantwortlich waren, dieser die Regierung deshalb jederzeit stürzen konnte, aber selbst aus seiner Mitte heraus keinen Nachfolger zu bestellen brauchte, bestand eine Doppelabhängigkeit der Regierung, die „in der Hauptsache aus dem traditionellen ,Konstitutionalismus' zu verstehen" war, „d. h., aus der fortwirkenden Lehre von der Trennung der Gewalten" (D. Sternberger). Die Verfassung war so angelegt, daß der Konsens in den politischen Vorstellungen und Zielen einer Reichstagsmehrheit mit denen des Reichspräsidenten notwendig war, um eine im Sinne des parlamentarischen Systems funktionsfähige Regierungsgewalt1 zu erhalten. Sollten die Ansichten sich widersprechen, war parlamentarische Regierung nur bei einem „starken" Reichstag möglich und hing zudem von der persönlichen Konstellation von Reichspräsident und Reichsregierung ab. Falls sich jedoch im Parlament keine starken Regierungsmehrheiten bilden würden, mußte der Reichspräsident zum ausschlaggebenden innenpolitischen Machtfaktor werden, und der Reichstag in der passiven Rolle der Legislative, die er im Kaiserreich gespielt hatte, verbleiben. Für die Stabilität und Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems, das die Parteien der Weimarer Koalition der Nationalversammlung trotz aller Elemente des „Konstitutionalismus" schaffen wollten, wurde deshalb die Struktur des Parteiensystems entscheidend. Das Wahlgesetz vom 27. April 1920, das 1924 und 1934 nur in einigen technischen Bestimmungen geändert wurde, war bei allen Reichstagswahlen der Weimarer Republik sowie des Dritten Reiches gültig und basierte auf der Wahlverordnung der Volksbeauftragten vom 30. November 1918. Aktiv wahlberechtigt waren wie zur Wahl der Nationalversammlung alle Männer und Frauen über 20 Jahre, die im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte waren. Allerdings ruhte das Wahlrecht der Soldaten während der Zeit ihrer Zugehörigkeit zur Reichswehr. Das passive Wahlrecht besaß jeder Wahlberechtigte, der das 25. Lebensjahr vollendet hatte und seit mindestens einem Jahr deutscher Staatsangehöriger war. Die Abgeordneten wurden in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl unmittelbar bestellt; je einer für 60 000 Stimmen, so daß die Mitgliederzahl des Reichstages von der Zahl der Wahlberechtigten und der Wahlbeteiligung abhängig war und folglich stark schwankte (siehe Darst. V auf der folgenden Seite). Aufgrund der Grenzregelung des Versailler Friedensvertrages mußte die Wahlkreiseinteilung modifiziert werden. Nach denselben Gesichtspunkten wie zur Wahl der Nationalversammlung wurden 35 Großwahlkreise geschaffen, die nach dem Stand vom 8. Oktober 1919

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zwischen 871 416 (Pfalz) und 2 589 524 (Württemberg) Einwohnern zählten und zu 17 Wahlkreisverbänden zusammengefaßt wurden (s. Tab. A 10). Darstellung V: Entwicklung der Wahlberechtigung und der Wahlbeteiligung bei

Uber das Wahlsystem wurde in der Weimarer Nationalversammlung kaum diskutiert. Es bestand Ubereinstimmung bei allen Parteien, daß nur die Proportionalwahl die weitgehende Verfälschung des Wählerwillens, die im Kaiserreich wesentlich als Folge der ungleichen Wahlkreiseinteilung aufgetreten war und die als der absoluten Mehrheitswahl immanent betrachtet wurde, die Uber- bzw. Unterrepräsentation also beseitigen könne. Ja, man sah sogar in ihr eine ganz natürliche Folgeerscheinung der parlamentarischen Demokratie. Allein Friedrich Naumann (DDP) sprach sich für die relative Mehrheitswahl aus, indem er vor allem auf die Notwendigkeit des Machtwechsels im parlamentarischen Regierungssystem hinwies: „Die Folge des Verhältniswahlsystems ist die Unmöglichkeit des parlamentarischen Regierungssystems; parlamentarisches System und Proporz schließen sidi gegenseitig aus. England, das Urbild des parlamentarischen Systems, beruht auf dem Zweiparteiensystem. Dort ist ein Wechsel in der Regierung nur zwischen den beiden sich gegenüberstehenden Parteien möglich . . . Das Zweiparteiensystem beruht auf dem englischen Wahlrecht, dort entscheidet der erste Wahlgang". Naumanns Argumentation entgegnete Hugo Preuss: „Ein Parlament mit politischer Ver-

Wahl der Parlamente

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antwortlichkeit muß wenigstens in die Richtung des Zweiparteiensystems führen. Es brauchen nicht immer zwei ausgesprochene Parteien zu sein, es können auch Koalitionen sein . . . Der Satz ,nach den Grundsätzen der Verhältniswahl' muß stehenbleiben, gleichviel wie man auch theoretisch über das Proportionalwahlsystem denken mag" ( H . Preuss). Die Verfassungsartikel 17 und 22 bestimmten deshalb sowohl für die Reichstags- als auch für die Landtags- und Gemeindewahlen die Verhältniswahl.

Groß-Tabelle G V : Das Wahlrecht in den deutschen Ländern während der Weimarer Republik Gemeinsam für alle Länder:

Aktiv wahlberechtigt sind alle im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte befindlichen Männer und Frauen über 2 0 j a h r e . W ä h l b a r sind alle Männer und Frauen, die das aktive Wahlrecht besitzen und das 25. Lebensjahr vollendet haben (mit Ausnahme der Länder Anhalt, Braunschweig, Bremen, Mecklenburg-Schwerin, Sachsen, Thüringen und W ü r t t e m b e r g , in denen die Altersbeschränkung nur 20Jahre beträgt). D i e W a h l e n erfolgen gemäß der Artikel 17 und 22 der Reichsverfassung vom 31. 7.1919 sowohl für den Reichstag als auch für die Länder- und Gemeindeparlamente nach den Grundsätzen des Verhältniswahlsystems.

Land

Gesetzliche Grundlagen V f . — Verfassung L W G = Landtagswahlgesetz

Parlament: Mitgliederzahi Wahlperiode

Anhalt

Vf. v. 18.7.1919 L W G v. 7 . 5 . 1 9 2 0 und Änderungsgesetze bis 4.12.1928

Landtag 36 Abg. 4 Jahre

1 Stimme je Wähler; 1 Wahlkreis; Sitzverteilung nach Wahlzahlverfahren (->S. 4 6 ) ; R e s t stimmenverwertung nach der Methode des größten Überrestes

Baden

V f . v/21.3.1919 L W G v. 2 9 . 7 . 1 9 2 0 Ä nderu ngsgesetze bis 9.10.1931

Landtag schwankend (seit 1931: 65 Abg.) 4Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 7 Wahlkreise; automatische Methode ( - > S . 257). A u f je 10 0 0 0 Stimmen 1 Sitz. Reststimmen werden a u f Landesebene ebenso verrechnet. A u f einen R e s t von mehr als 7 500 Stimmen entfällt 1 weiterer Sitz.

Bayern

Vf. v. 14.8.1919 L W G v. 1 2 . 5 . 1 9 2 0 und Änderungsgesetze bis 10.3.1931

Landtag 128 Abg. 4Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 8 Wahlkreise; 113 Abg. in Wahlkreisen und 15 „Landesabg." über Landeslisten nach der Methode Hagenbach-Bischoff ( - ^ S . 4 6 ) .

Landtag 48 Abg. 3 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 1 W a h l k r e i s ; Sitzverteilueg nach der M e t h o d e d'Hondt ( - > S . 48 f.).

Braunschweig Vf. v. 6 . 1 . 1 9 2 2 L W G v. 19.3.1921 Änderungsgesetze bis 4.8.1930

Wahlsystem

Bremen

Vf. v. 1 8 . 5 . 1 9 2 0 Bürgerschaft W G v. 3.7.1923 und 120 Abg. Änderungsgesetz ν. 22.11.1924 3 J a h r e

1 Stimme je W ä h l e r ; 4 Wahlkreise. Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt ( - ^ S . 48 f.).

Hamburg

Vf. v. 7 . 1 . 1 9 2 1 Bürgerschaft W G v. 30.12.1920 und 160 Abg. Änderungsgesetze bis 28.2.1927 3 J a h r e

l S t i m m e je W ä h l e r ; 2 Wahlkreise; Sitzverteilung nach der M e t h o d e d'Hondt. ( - > S . 48 f.).

Hessen

V f . v. 12.12.1919 L W G v. 16. 3.1921 und Änderungsgesetze bis 10.7.1931

1 Stimme je W ä h l e r ; 1 Wahlkreis; Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt ( - > S . 4 8 f . ) .

Landtag 7 0 Abg. 3 Jahre

Deutschland (Weimarer Republik)

Land

Gesetzliche Grundlagen Vf. = Verfassung L W G = Landtagswahlgesetz

Parlament: Mitgliederzahl Wahlperiode

255

Wahlsystem

Lippe

V f . v. 21.12.1920 Landtag L W G v. 17.12.1920 und 21 Abg. Änderungsgesetz v. 20.12.1924 4 J a h r e

1 Stimme ie W ä h l e r ; 1 Wahlkreis. Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt (->S. 48 f.).

Lübeck

Vf. v. 23. 5.1920 Bürgerschaft W G v. 5.12.1923 und 80 Abg. Änderungsgesetze bis 24.9.1929 3 J a h r e

1 Stimme je W ä h l e r ; 1 W a h l k r e i s ; Sitzverteilung nach der Methode Hagenbach-Bischoff ( S. 4 6 ) .

Landtag schwankend; mindestens 5 0 A b g . 3 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 1 Wahlkreis, automatische Methode ( - > S . 2 5 7 ) . Auf je 6 0 0 0 Stimmen 1 Sitz. U m mindestens 50 Sitze verteilen zu können, kann die Zahl 6000 entsprechend reduziert werden.

Mecklenburg-Strelitz Vf. v. 29.1.1919 W G v. 30.1.1919 und Änderungsgesetze bis 5.5.1927

Landtag 35 Abg. 4 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 2 Wahlkreise: Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt (-s-S.48 f.). Bei verbundenen Listen werden die am 2. Wahlkreis ( 5 Sitze) abgegebenen Stimmen im 1. Wahlkreis mitgerechnet.

Oldenburg

Landtag schwankend maximal 48 Abg. 3 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 3 Wahlkreise; automatische Methode ( - > S . 2 5 7 ) . 4000 Stimmen 1 Sitz; bei verbundenen Listen werden Reststimmen auf Landesebene verrechnet. Müßten mehr als 48 verteilt werden, so wird die Zahl 4000 erhöht.

•-Mecklenburg-Schwerin Vf. v. 17. 5.1920 L W G v. 1 7 . 5 . 1 9 2 0 und Änderungsgesetze bis 1.11.1928

V f . v. 17.6.1919 L W G v . 7 . 7 . 1 9 1 9 und Änderungsgesetze bis 21.4.1928

Preußen

V f . v. 3 0 . 1 . 1 9 2 0 L W G v . 3 . 1 2 . 1 9 2 0 und neue Fassung v. 28.10.1924

Landtag schwankend 4 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; automatische M e t h o d e (-s»S. 2 5 7 ) . A u f je 40 000 Stimmen 1 Sitz; Reststimmen werden über Landeslisten verrechnet. A u f einen Rest von mehr als 20 000 Stimmen entfällt 1 weiterer Sitz.

Sachsen

Vf. v. 1.11.1920 L W G v. 4 . 9 . 1 9 2 0 Änderungsgesetze bis 13.2.1929

Landtag 96 Abg. 4 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 3 W a h l k r e i s e ; Sitzverteilung nach Wahlzahlverfahren ( - ^ S . 4 6 ) ; auf Landesebene

Schaumburg-Lippe V f . u. 2 4 . 2 . 1 9 2 2 L W G v . 2 5 . 2 . 1 9 2 2 und Änderungsgesetze bis 28.3.1928

Landtag 15 Abg. 3 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 1 Wahlkreis; Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt ( - » S . 48 f.).

Thüringen

Landtag schwankend 3 Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 4 Wahlkreise; automatische Methode (->S. 257). Auf je 12 000 Stimmen 1 Sitz. Äuf einen Rest von mehr als 9 0 0 0 Stimmen entfällt 1 weiterer Sitz. Verrechnung im Wahlkreis, bei verbundenen Listen auf Landesebene.

Landtag 17 Abg. 3 Jahre

1 Stimme ie W ä h l e r ; 1 Wahlkreis; Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt O S . 4 8 f . ) .

Landtag 80 Abg. 4Jahre

1 Stimme je W ä h l e r ; 2 W a h l k r e i s e ; 5 6 S i t z e über Bezirkslisten und 24 über Landeslisten nach der Methode d'Hondt ( - ^ S . 48 f.). Sperrklausel: mindestens in 1 Wahlbezirk 1/80 der im ganzen Land abgegebenen Stimmen oder 1/8 hiervon in 4 Wahlbezirken.

Waldeck

Vf. v. 11.3.1921 L W G v . 11. 3.1921 und Änderungsgesetze bis 28.3.1928 vorläufige Vf. v. 1 5 . 3 . 1 9 2 2 L W G v. 15.3.1922

Württemberg V f . v. 2 5 . 9 . 1 9 1 9 L W G v . 4.4.1924 Änderungsgesetze bis 5.5.1928

•Anmerkung: Bibliographische Nachweise zu den zahlreichen Änderungsgesetzen, die in der Regel keine grundsätzlichen Veränderungen zum Inhalt hatten, in: Braunias I, S. 122 ff.

256

Organisationsformen der Parteien

Eingeführt wurde die Verhältniswahl starrer Liste; Listenverbindungen waren zulässig. Infolge der zentral durchgeführten Kandidatenaufstellung, durch die Plazierung der Bewerber auf den Listen und die Möglichkeit mehrmaliger Kandidatur in verschiedenen Wahlkreisen erhielten die Parteiorganisationen trotz des in Artikel 21 der Verfassung garantierten freien Mandats einen überstarken Einfluß auf die Parlamentsfraktionen und den einzelnen Abgeordneten. Zudem änderten sich gegenüber der Kaiserzeit die Kriterien, die an einen Bewerber gestellt wurden. Entscheidend war jetzt vor allem die Bewährung in der Parteibürokratie, da meist am Ende eines stetigen Aufstiegs innerhalb der Parteiorganisation ein Listenplatz bei Reichstagswahlen stand. Eine weitere Folge der starren Listen bestand darin, daß die Parteien weitgehend die verschiedenen Interessengruppen, von denen sie unterstützt wurden, bei der Zusammenstellung der Listen berücksichtigten. Außer den Interessenparteien (s. u.) gehörten dem Reichstag auch innerhalb der politischen Parteien starke Gruppen der verschiedenen Wirtschaftsverbände an. Durch das Wahlsystem, zumal das Gestaltungselement der starren Liste, ergab sich für alle Parteien die Notwendigkeit, endgültig den Übergang von der Honoratioren- zur Mitgliederpartei zu vollziehen, ihre zentrale Führung zu straffen und einen wirksamen Parteiapparat aufzubauen. Als Vorbild diente den meisten Parteien das bereits vor dem Ersten Weltkrieg geschaffene Organisationsschema der SPD mit seiner ausgeprägten Parteihierarchie und festgefügtem Parteiapparat, sowie der Gliederung in Ortsgruppen, Ortsvereinen, Wahlkreisvereinen, Bezirks-, Provinzial- oder Landesverbänden und Reichsorganisation. Diese Struktur, die sich während der Revolution bewährt und die SPD bei der Wahl zur Nationalversammlung gegenüber den anderen Parteien erheblich begünstigt hatte, erwies sich — vor allem in den ersten Jahren der Weimarer Republik — als innerparteilicher Stabilisationsfaktor gegen die Abspaltung von USPD und KPD. Allerdings schränkte der „bürokratisch-verläßliche . . . Charakter" (K. D. Bracher) ihre Manövrierfähigkeit erheblich ein, erschwerte die Anpassung der Partei an die veränderten Bedingungen und trug so entscheidend dazu bei, daß die Partei keine klare innere Einstellung zum parlamentarischen System fand. Ausnahmen in der innerparteilichen Struktur bildeten neben dem Zentrum, das sich wie im Kaiserreich vor allem auf die kirchlichen Organisationen und die zahlreichen katholischen Laienverbände stützte, auch die beiden extremen Flügelparteien, die „Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei" (NSDAP) und die „Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD) sowie die DNVP. Die Deutsch-

Deutschland (Weimarer Republik)

257

nationalen, die infolge des Zusammenschlusses der verschiedenen konservativen Parteien eine stark heterogene Struktur aufwiesen, hatten vielfach den Charakter einer Mitgliederpartei. Audi östlich der Elbe erreichten sie beträchtliche Mitgliederzahlen, blieben hier jedoch — vornehmlich auf dem Lande — Honoratiorenpartei, da die Großgrundbesitzer „keinen Wert darauf legten, mit ihren Landarbeitern dem gleichen Verein anzugehören" (W. Tormin). Zudem erhielten sich die Landesverbände, die meist zentralistisch und autoritär geführt wurden, eine weitgehende Eigenständigkeit. Die Organisationsformen der NSDAP und audi der KPD wiesen trotz aller ideologischen Gegensätze gewisse Gemeinsamkeiten auf, die vor allem auf der Ablehnung des Parlamentarismus beruhten. Während bei den meisten anderen Parteien politische Willensbildung und der Erwerb von Parteiämtern durch Wahlen von der untersten Organisationsstufe auf die jeweils nächsthöhere Ebene delegiert wurden und die Parteispitze kontrolliert werden konnte, kennzeichnete NSDAP und KPD eine starke und unabhängige Parteispitze. In der NSDAP war gemäß dem Führerprinzip die gesamte Macht in Adolf Hitler, dem eigentlichen Integrationselement der Partei, konzentriert. Ihm war der Parteiapparat, den er selbst ernannte und der streng hierarchisch gegliedert war, untergeordnet. Da die zentrale Parteileitung keine grundsätzlich abweichenden Meinungen duldete und auch auf innerparteiliche Gruppierungen kaum Rücksicht zu nehmen brauchte, beruhten die Wahlerfolge der Partei seit der Reichstagswahl von 1930 unter anderem auch darauf, daß die Partei mit ihrer Propaganda die meisten Bevölkerungsschichten ansprechen und damit die Grenzen überspringen konnte, die fast allen anderen Parteien durch die Verbindung mit wirtschaftlichen Interessengruppen gesetzt waren. Die Sitzverteilung auf die Parteien erfolgte nicht mehr wie 1919 nach der Methode d'Hondt (-»• S. 48 f.), die nach Ansicht der Verfassungsgeber zu viele Reststimmen unverwertet ließ und zu große Abweichungen von Stimmen- und Mandatsanteil ergeben hatte, sondern nach der automatischen Methode in drei Ermittlungsverfahren. Auf Wahlkreis- und Wahlkreisverbandsebene erhielt jede Parteiliste im ersten bzw. zweiten Ermittlungsverfahren für je 60 000 Stimmen einen Sitz. Für das dritte Zuteilungsverfahren, das für das gesamte Reich durchgeführt wurde, stellten alle Parteien einen zentralen Reichswahlvorschlag auf. Berücksichtigt wurden aber gemäß Artikel 32 des Wahlgesetzes nur die Parteien, die bereits ein Mandat erhalten hatten. Zudem durften jeder Partei höchstens so viele Sitze zugesprochen werden, wie sie im ersten und zweiten Zuteilungsverfahren erzielt hatte. 17 Stemberger-Vogel, Parlamente 1,1

258

Proporz und Parteiensystem

Wiederum entfiel auf 60 000 Stimmen sowie auf einen Rest von mehr als 30 000 Stimmen ein Mandat (s. Tab. A 13). Obwohl durch die automatische Methode die weitestgehende Kongruenz von Stimmen und Mandaten ermöglicht wurde, ergab sich bei den Reichstagswahlen eine relativ hohe Zahl nicht verwerteter Stimmen, die entgegen den Erwartungen der Yerfassunggeber teilweise größer war als bei der nach der Methode d'Hondt durchgeführten Mandatsverteilung zur Nationalversammlung. Sie erreichte bei den Wahlen 1924/1 und 1928 mit 1 171 186 bzw. 1 548 762 den Höchststand (s. Tab. A 14). Dies war eine Folge der zunehmenden Parteienzersplitterung, der das Verhältniswahlsystem nicht entgegenwirkte. Da ein Zwang zur Konzentration nicht gegeben war und jede Richtung — selbst bei noch so geringer Anhängerschaft — mit Parlamentssitzen rechnen konnte, nahm sowohl die Zahl der Parteien, die sich an der Wahl beteiligten, als auch die Zahl der Parlamentsparteien ständig zu. Während zur Wahl der Nationalversammlung 19 Parteien Listen aufgestellt hatten, erhöhte sich die Zahl bei der Wahl zum ersten Reichstag von 1920 bereits auf 24; sie betrug im Mai 1924 29 und erreichte bei den Wahlen von 1928 und 1932/1 mit 35 bzw. 42 Parteilisten den Höchststand (s. Tab. A 14). Noch an der März-Wahl von 1933, die bereits unter dem Druck der Nationalsozialisten durchgeführt wurde, beteiligten sich 15 Parteien. Mandate erhielten trotz der automatischen Methode infolge der extrem großen Parteienzersplitterung nur relativ wenige Parteien, so daß mit Ausnahme der März-Wahl von 1933 bei allen anderen Wahlen die Mehrzahl der Parteien, die Kandidatenlisten aufgestellt hatten, an den beiden Sperrklauseln scheiterten. So erreichten bei der Wahl von 1920 von den 24 Parteien nur zehn Parteien Mandate, 1924/1: von 29 nur zwölf; 1924/11: von 27 nur elf; 1928: von 35 nur 15, 1930: von 32 nur 15; 1932/1: von 42 nur 14; 1932/11: von 36 Parteien nur 13 Parteien Mandate. Die Verhältniswahl hat zweifellos zur Zersplitterung des Parteiensystems beigetragen; die These aber, daß die Radikalisierung der Wählerschaft sowie der Aufstieg des Nationalsozialismus primär eine Folge des Wahlsystems gewesen seien und daß die relative Mehrheitswahl dies hätte verhindern können, überbetont die Rolle des Wahlsystems. Zum einen scheiterten die meisten Splittergruppen an den Sperrklauseln und waren somit für die Mehrheitsverhältnisse im Reichstag ohne Bedeutung, zum anderen aber war die heterogene Struktur des Parteiensystems durch eine Reihe von Faktoren vorbelastet, denen die Proportionalwahl zwar Rechnung trug, die aber nicht in ihr begründet lagen. Vor allem durch die Entwicklung im

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Kaiserreich, die zu einem Parteienpartikularismus mit vornehmlich nach weltanschaulich sowie nach sozialen und wirtschaftlichen Interessen unterschiedenen Parteien geführt hatte, aber auch durch die wirtschaftliche Notlage, die die Radikalisierung des Wahlverhaltens (s. u.) bewirkte und das Entstehen der verschiedenen Interessenparteien (s. u.) entscheidend beeinflußte, konnte sich nur ein Vielparteiensystem ausbilden (s. Darst. VIII). Zudem haben auch „die fortdauernde soziale und konfessionelle Zerklüftung der deutschen Gesellschaft" (K. D. Bracher) sowie das republikfeindliche Verhalten weiter Kreise der Bevölkerung und der sie repräsentierenden radikalen Flügelparteien wesentlich zur Instabilität des Parteiensystems beigetragen. Entscheidend für die schwache Stellung des Reichstages in der Verfassungswirklichkeit waren auch Selbstverständnis und Verhalten der Parteien, die das parlamentarische System grundsätzlich anerkannten. Obwohl einige der „alten" Parteien versuchten, durch neue Parteibezeichnungen ihren Charakter als Volkspartei zu betonen (Deutschnationale Volkspartei, Christliche Volkspartei, Deutsche Volkspartei), blieben die Parteien weitgehend weltanschaulich oder interessenpolitisch orientiert, so daß sich im Reichstag die unterschiedliche soziale und wirtschaftliche Gesellschaftsstruktur widerspiegelte. Dieses Faktum wurde infolge der wirtschaftlichen Situation nach dem verlorenen Krieg zweifellos verstärkt, da die Wähler zunächst an ihre persönliche Sicherheit dachten und die Parteien so veranlaßten, auf ihren sozial- und wirtschaftspolitischen Forderungen zu beharren. Dies erschwerte in ganz erheblichem Maße sowohl die Integration im Parteiensystem als auch die Koalitionsbildung im Reichstag, zumal die Parteien, die in der Mehrzahl im Kaiserreich entstanden und vom Bismarckschen Verfassungssystem, das sie weitgehend von der Verantwortung ausgeschlossen hatte, geprägt waren, nur teilweise erkannten, daß die Bereitschaft zum Kompromiß und zur Koalition unter dem gegebenen Parteiensystem die conditio sine qua non für ein funktionsfähiges parlamentarisches Regierungssystem war. Da sich aber die Reichstagsfraktionen aufgrund der Doppelstruktur des Regierungssystems nicht zur Mehrheitsbildung zusammenzufinden brauchten, blieben sie im wesentlichen die „Oppositionsparteien" des Kaiserreiches. Die Regierungen wurden so, auch wenn sie von einer Parlamentsmehrheit bestellt worden waren, „nicht von Regierungsparteien, sondern von einer Koalition verschiedener Oppositionsparteien gestützt" (W. Kaltefleiter). Die Wahl zum ersten Reichstag vom 6. Juni 1920 (s. Tab. A l l ; Darst. VI) war von drei Faktoren beeinflußt: der erzwungenen Ratifikation des Friedensvertrages, der Kompromißstruktur, die die

260

Parteientwicklung nach 1920 / SPD

Verfassung und die von der Nationalversammlung verabschiedeten Gesetze kennzeichnete, und der angespannten innenpolitischen Situation, die durch den „Kapp-Putsch" vom März 1920 eingetreten war. Zwar wirkten diese Faktoren auf das Wahlverhalten der einzelnen Bevölkerungsschichten unterschiedlich, hatten aber insgesamt zur Folge, daß die Parteien der Weimarer Koalition im Reichstag die Mehrheit verloren (nur 205 der 459 Sitze) — sie konnten sie bei keiner nachfolgenden Wahl wiedergewinnen — und die republikfeindlichen Flügelparteien ihre Stimmenzahl verdoppelten. Für die Bildung handlungsfähiger Regierungen ergaben sich erhebliche Schwierigkeiten, da diese in der Folgezeit kaum veränderten Kräfteverhältnisse ein Wechselspiel von Regierung und Opposition ausschlössen. Zudem mußten Parteien mit konträren wirtschafts-, sozial- und verfassungspolitischen Konzeptionen zusammenarbeiten, wenn parlamentarische Mehrheitsregierungen zustande kommen sollten. Bis zum Regierungsantritt Heinrich Brünings im März 1930 amtierten — durchschnittlich jeweils nur acht Monate — 14 verschiedene Kabinette. Kein einziger Reichstag erlebte das Ende der vierjährigen Wahlperiode; allerdings fehlten bei den vorzeitigen Auflösungen im Mai 1924 und 1928 nur wenige Monate. Für die Regierungsbildung boten sich drei verschiedene Varianten an: die große Koalition aus SPD, DDP, Zentrum, „Bayerischer Volkspartei" (BVP) und DVP (von August bis November 1923 und von Juni 1928 bis März 1930); die Koalition der bürgerlichen Parteien aus DDP, Zentrum, der „Reichspartei des Deutschen Mittelstandes", den Agrarparteien, DVP und D N V P (von Januar bis Dezember 1925 und von Januar 1927 bis Juni 1928). Regierungen dieser beiden Koalitionstypen, die im Reichstag jeweils über eine Mehrheit verfügten, gab es aufgrund der zahlreichen, vor allem interessenpolitisch bedingten Gegensätze nur viereinhalb Jahre, während in der übrigen Zeit zwischen 1920 und 1932 Minderheitenkabinette gebildet wurden, die gewöhnlich DDP, Zentrum, BVP und DVP trugen. Diese Koalitionen wurden meist von der SPD toleriert, indem ihre Fraktion Regierung und Reichstag durch häufige Stimmenthaltungen funktionsfähig erhielt. Entscheidend für diese Entwicklung waren die Stimmenverluste der Parteien der Weimarer Koalition, vor allem die der SPD und DDP, bei der Wahl von 1920. Die Sozialdemokraten, die zwar bei allen Wahlen bis 1930 stimmstärkste Partei blieben, büßten 1920 über fünf Millionen Stimmen ein. Ein großer Teil ihrer Wähler von 1919 stimmte — enttäuscht darüber, daß während der Revolution und der Tagung der Nationalversammlung nur geringe gesellschaftspolitische Veränderungen vollzogen worden waren — für die Unabhängigen

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Sozialdemokraten. Die S P D konnte jedoch audi nach der Vereinigung mit einem Teil der U S P D im September 1922 bei den folgenden Wahlen nie mehr den Stimmenanteil erreichen, den sie bei der Wahl zur Nationalversammlung erhalten hatte (s. Tab. A l l ) , da es ihr nicht gelang, in neue Wählerschichten einzudringen. Ihr Wählerreservoir bildete weiterhin fast ausschließlich die Industriearbeiterschaft, die aber in wachsendem Maße auch die K P D wählte (s. Tab. A l l ) , zu der sich der Spartakusbund und ein Teil der U S P D zusammengeschlossen hatten. Die programmatischen Ziele der SPD hatten sich gegenüber dem Kaiserreich kaum gewandelt. Parteiprogramme, Selbstverständnis und Verhalten waren weiterhin ambivalent. Der Gegensatz von Theorie und Praxis trat vor allem nach dem Zusammenschluß mit der U S P D wieder deutlicher hervor. Der linke Flügel der Partei, dessen Einfluß seit 1925 ständig wuchs, verstand auch die Weimarer Republik als „Klassenstaat". Er lehnte deshalb nicht nur die Regierungsbeteiligung der Partei sondern auch jegliche konstruktive Opposition ab und sah sein vornehmstes Ziel darin, „die Sozialdemokratische Partei vom Gedanken zur Tat des Klassenkampfes zu führen" (E. Eckstein). Diese innerparteilichen Gegensätze und die Furcht, erneut einen Teil ihrer Wähler an die U S P D bzw. an die K P D zu verlieren, veranlaßten die SPD, sich seit November 1922 nicht mehr an der Regierung zu beteiligen, obwohl sie doch nach den Spielregeln des angestrebten parlamentarischen Regierungssystems in erster Linie berufen gewesen wäre, den Reichskanzler hervorzubringen. Nur im Jahre 1923 und vom Juni 1928 bis März 1930 gehörte sie den Kabinetten der großen Koalition an; während der übrigen Zeit jedoch suchte und und fand sie ihr „Glück im Doppelspiel der mitregierenden Oppositionspartei oder der opponierenden Regierungspartei" (O. Gessler). Während die SPD — vielfach als die führende Weimarer Partei angesehen und mit dem „System" identifiziert — somit nur für kurze Zeit an der Regierungsverantwortung beteiligt war, konnte das Zentrum seine innenpolitische Schlüsselposition auch in der Weimarer Republik behaupten: es gehörte bis zur Entlassung Brünings 1932 mit einer Ausnahme allen Kabinetten an. Aus seinen Reihen kam über sieben Jahre der Reichskanzler, obwohl immer zwei andere Parteien mehr Mandate im Reichstag innehatten (s. Tab. A l l ) . Der Einfluß des Zentrums beruhte vor allem darauf, daß es noch immer von der Mehrheit der katholischen Bevölkerung unterstützt wurde; noch 1928 wählten 48 v. H. der wahlberechtigten Katholiken das Zentrum. Zudem war seine Politik nicht von einem festumrissenen Parteiprogramm bestimmt; vielmehr richtete das Zentrum seine Entscheidungen im we-

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Parteientwicklung nach 1920 / Zentrum / D D P

sentlichen an den aktuellen Problemen aus. Es bewahrte so seine taktische Beweglichkeit und konnte sowohl rechts- als auch linksgerichteten Regierungen angehören. Das Zentrum erwies sich damit als bedeutsamer, wenn nidit sogar wirksamster Stabilisierungsfaktor der Innenpolitik, zumal auch die innerparteilichen Gegensätze durch die vornehmlich „katholische" Zielsetzung überdeckt wurden. Lediglich die föderalistischen, teilweise sogar partikularistischen Bestrebungen ihrer bayerischen Mitglieder konnte die Partei nicht integrieren. Als Landesverband in Bayern bereits seit November 1918 weitgehend eigenständig, löste die „Bayerische Volkspartei" ihre Fraktionsgemeinschaft mit dem Zentrum schon im Januar 1920 und nahm seither an allen Reichstagswahlen der "Weimarer Republik mit eigenen Kandidatenlisten teil. Die BVP war in sozial-, wirtschafts- und verfassungspolitischen Fragen konservativer eingestellt als das Zentrum, was seinen Ausdruck u. a. in ständiger Zusammenarbeit mit dem Landesverband der D N V P in Bayern fand. Besonders relevant wurde ihre Eigenständigkeit bei der Wahl des Reichspräsidenten vom 29. März und 26. April 1925, als sie im ersten Wahlgang mit Heinrich Held einen eigenen Kandidaten nominierte und nicht den in der engeren Wahl gemeinsamen Bewerber des Zentrums und der SPD, Wilhelm Marx, unterstützte. Gewählt wurde so zum Nachfolger Friedrich Eberts mit den etwa eine Million Stimmen der BVP der protestantisch preußische Kandidat der Rechten, Paul von Hindenburg (s. Tab. A 16). Auch das Zentrum erlitt wie die beiden anderen Parteien der Weimarer Koalition bei der Wahl von 1920 — allerdings leichtere — Stimmenverluste; erheblicher wirkte sich die Abspaltung der BVP aus (s. Tab. A 11). In der Folgezeit jedoch blieb die Stimmenzahl relativ konstant. Audi während der Weltwirtschaftskrise verlor das Zentrum nur wenige Wähler. Bei der Wahl von 1932/1 konnte es seinen Stimmenanteil sogar von 11,8 v. H . auf 12,5 v. H . erhöhen, da die Bindung der katholischen Bevölkerung an das Zentrum aufgrund der Massenarbeitslosigkeit und wirtschaftlichen Not wesentlich enger wurde. Die Deutsche Demokratische Partei entstand im November 1918 aus der linksliberalen Fortschrittlichen Volkspartei; ihr schlossen sich vornehmlich in Südwestdeutschland, Schlesien und Sachsen auch die regionalen und örtlichen Parteiorganisationen der Nationalliberalen an. Eine Vereinigung der beiden liberalen Parteien des Kaiserreiches gelang jedoch nicht, da der Liberalismus nur noch eine geringe integrierende Kraft darstellte, der die gegensätzlichen wirtschafts-, sozial- und auch verfassungspolitischen Vorstellungen beider Gruppierungen, so-

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wie persönliche Antipathien der führenden Mitglieder nicht mehr überdecken konnte. Infolge ihrer relativ guten Organisation erhöhte die DDP ihren Stimmenanteil im Vergleich zur Reichstagswahl von 1912 (12,2 v. H.) bei der Wahl zur Nationalversammlung auf 18,5 v. H . (s. Tab. A l l ) . Dieser Erfolg beruhte vor allem darauf, daß große Teile des Bürgertums nur in der DDP, nicht aber in der DVP und D N V P ein wirksames Gegengewicht zur SPD sahen. Sie gaben ihre Stimme der D D P deshalb in der Hoffnung, die erwartete sozialdemokratische Mehrheit in der Nationalversammlung zu verhindern. Bereits bei der Wahl von 1920 wandten sich diese Wählerkreise jedoch wieder von den Demokraten ab (s. Tab. A l l ) . Die überwiegende Mehrheit des Bürgertums wählte nach der Enttäuschung über den Versailler Friedensvertrag wieder die konservativen Parteien und unterstützte DVP und DNVP, die sich beide gegen die Verfassung und den Friedensvertrag ausgesprochen hatten und die Republik weiterhin (die DVP bis 1923) grundsätzlich ablehnten. Der Stimmenanteil der DDP sank in der Folgezeit stark (s. Tab. A 11). Die Demokraten waren dabei in ganz besonderem Maße von einer Entwicklung betroffen, die — mit Ausnahme des Zentrums — für alle die Parteien galt, die den Regierungen der Weimarer Republik fast ununterbrochen angehörten: da ein Wechselspiel von Regierung und Opposition auch weiterhin nicht möglich war, ergab sich eine stetige Abnützung der regierenden Parteien; zudem wurde die Regierungsbeteiligung vom Wähler nur in geringem Maße honoriert, so daß die Neuwahl des Reichstages meist eine Stärkung der jeweiligen Oppositionsparteien zur Folge hatte. Mit Ausnahme der Wahl von 1924/11 ging der Stimmenanteil der DDP seit 1920 kontinuierlich zurück, da Inflation und Weltwirtschaftskrise dem bürgerlichen Mittelstand, der traditionell linksliberalen Wählerschaft, die wirtschaftliche Existenzgrundlage weitgehend nahmen. Zudem scheiterten alle Versuche, vor der Wahl von 1930 einerseits durch einen Zusammenschluß mit anderen liberal orientierten Gruppen wie der „Volksnationalen Reichsvereinigung" und einigen jüngeren Vertretern der DVP und andererseits durch die Umbenennung in „Deutsche Staatspartei" eine Konzentration herbeizuführen und neue Wählerschichten anzusprechen. Der Stimmenanteil der Demokraten sank trotz erheblich höherer Wahlbeteiligung (82,0 v. H . gegenüber 75,6 v. H.) um etwa 200 000 Stimmen auf 3,8 v. H . und erreichte bei den Wahlen des Jahres 1932 nur noch eins von Hundert (s. Tab. A 11). Ähnlich verlief auch die Entwicklung der Deutschen Volkspartei. Nachdem sie sich bei der Wahl von 1919 mit 19 Abgeordneten hatte

264

Parteientwicklung nadi 1920 / DVP / DNVP

begnügen müssen, erzielte sie bereits im ersten Reichstag mit 65 Mandaten ihre höchste Mandatszahl. Dann jedoch sank — mit Ausnahme der Wahl von 1924/11, als sie noch einmal mehr als zehn von Hundert der Stimmen erreichte — auch der Stimmenanteil der DVP bei allen Wahlen (s. Tab. A l l ) . Ihre Verluste waren aber im Vergleich zur DDP gering, da Stresemann als Parteivorsitzender die divergierenden Gruppierungen weitgehend zu binden vermochte, vor allem aber durch seine dynamisdie Außenpolitik großes Ansehen bei weiten Kreisen der Bevölkerung genoß. Das Wählerreservoir der DVP bestand in erster Linie aus dem besitzenden und akademisch gebildeten Bürgertum; welchen Einfluß die Großindustrie auf die Fraktion gewann, geht aus der Tatsache hervor, daß ζ. B. 1928 von den 45 Mitgliedern der Reichstagsfraktion etwa ein Drittel Generaldirektoren und führende Repräsentanten der Wirtsdiaftsverbände waren. Obwohl die DVP allen Regierungen seit 1923 angehörte und in den großen Koalitionen auch mit den Sozialdemokraten zusammenarbeitete, war ihre Grundkonzeption weiterhin „schwarz-weiß-rot". Sie beruhte vor allem in wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen auf einem stets betonten Gegensatz zur SPD, so daß die DVP den inneren Bruch „zwischen gewollter staatlicher Verantwortung und interessenpolitisch gefesselter Entscheidungsfreiheit" (W. Conze) nicht überwinden konnte. Die Deutscbnationale Volkspartei wurde im November 1918 als Sammelpartei der verschiedenen konservativen Gruppierungen des Kaiserreiches gegründet. Zu ihnen gehörten die Deutsch-Konservativen, die Deutsche Reichspartei, die Christlich-Sozialen, Repräsentanten des Alldeutschen Verbandes, die antisemitisch orientierten Deutsch-Sozialen sowie einige Mitglieder der Nationalliberalen. Ebenso heterogen waren Struktur, programmatische Zielsetzung und Wählerschaft. Hatten die Deutsch-Konservativen sich in erster Linie auf die ostelbischen adligen Großgrundbesitzer gestützt, so gelang jetzt in Südund Westdeutschland der Durchbruch in neue, vornehmlich protestantische und kleinbürgerliche Bevölkerungsschichten. Bemerkenswert war auch ihr Eindringen in städtisch-industrielle Kreise. Vor allem während der Inflation und wirtschaftlichen Depression erzielten die Deutschnationalen, die sich dem Wähler als nationale Oppositionspartei anboten, erhebliche Stimmengewinne und bildeten im Reichstag nadi den beiden Wahlen des Jahres 1924 mit 95 bzw. 103 Mandaten die zweitstärkste Fraktion (s. Tab. A l l ) . Aufgrund ihrer heterogenen innerparteilichen Struktur gelang es der DNVP nicht, eine klare politische Konzeption zu entwickeln. Deutlich wurden die gegensätzlichen Ansichten der beiden fast gleich

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großen Parteiflügel bei den Beratungen des „Dawes-Plans" im Sommer 1924, für dessen Annahme im Reichstag eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit und somit auch die Zustimmung der D N V P notwendig war. Im Gegensatz zur Parteiorganisation entschied sich die Mehrheit der Reichstagsfraktion für den Dawes-Plan und ermöglichte so die Annahme der Gesetze. Den inneren Zwiespalt zwischen radikaler Ablehnung der Weimarer Republik und gemäßigter Opposition, die selbst eine Regierungsbeteiligung zuließ, überwanden die Deutschnationalen jedoch nicht. Als die Wahl von 1928 infolge der innen- und außenpolitischen Stabilisierung einen deutlichen Stimmenrückgang ergab (s. Tab. A l l ) , traten die innerparteilichen Spannungen wieder stärker in den Vordergrund. Im Herbst 1928 setzte sich die extreme Gruppierung unter Führung des Alldeutschen Alfred Hugenberg gegen die Mehrheit der Reichstagsfraktion durch. Sie wurde dabei vom Parteiapparat und dem von Hugenberg beherrschten Scherl-Pressekonzern unterstützt. Nach der Sezession eines Großteils des gemäßigten Parteiflügels, die bei der Wahl von 1930 einen Stimmenrückgang der Deutschnationalen von etwa zwei Millionen bewirkte (s. Tab. A l l ) , galt die Politik der D N V P ausschließlich dem Kampf gegen das „System". Die Wahlentwicklung in der Weimarer Republik vollzog sich in drei Phasen, die in den Wahlen von 1924/1, 1928 und 1932/1 ihren Kulminationspunkt erreichten, während die jeweils folgenden Wahlen von 1924/11, 1930 und 1932/11 bereits den Wandel deutlich werden ließen. Alle drei Entwicklungsstufen wurden infolge des „weltanschaulich-sozialökonomisch begründeten" (W. Conze) Parteiensystems in ganz entscheidendem Maße von der wirtschaftlichen Lage beeinflußt. Es bestand eine deutliche Korrelation zwischen der wirtschaftlichen Krisensituation der ersten und dritten Phase und der Radikalisierung des Wahlverhaltens sowie der innenpolitischen Stabilisierung und dem Stimmenrückgang der extremen republikfeindlichen Parteien bei den Wahlen von 1924/11 und 1928 (siehe Darst. VI auf der folgenden Seite). Politischen Nutzen aus der wirtschaftlichen Notlage zogen sowohl die rechts- als auch die linksgerichteten Flügelparteien. Allerdings erzielte die K P D im Vergleich zur D N V P und N S D A P nur geringe Stimmengewinne, da die Bindung der potentiellen Wechselwähler zur K P D an die Sozialdemokraten und die sie unterstützenden Gewerkschaften auch unter dem Eindruck der Wirtschaftskrisen relativ eng blieb. Dennoch stiegen auch die Stimmenzahlen der Kommunisten in stark industrialisierten, meist protestantischen Gebieten erheblich an

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Wahlentwicklung 1924—1928

Darstellung VI: Stimmentwicklung der Parteien bei den Wahlen von 1919—1933

(s. Tab A l l ) . Dies ging bei der Wahl von 1924/1 in erster Linie auf die Umgruppierung der linksgerichteten Parteien nach der Spaltung der USPD und der Vereinigung mit der KPD bzw. SPD zurück, beruhte jedoch auch auf der wirtschaftlichen Notlage nach der Inflation, da die Kommunisten bei der Wahl von 1924/11, als allgemein wieder eine positive Wirtschaftsentwicklung erwartet wurde, einen Stimmenverlust von 3,6 v. H . erlitten. Während der Weltwirtschaftskrise stieg ihr Stimmenanteil aufgrund der politischen Radikalisierung — im Gegensatz zur NSDAP — sowohl bei der Wahl von 1932/1 als auch bei der von 1932/11.

Deutschland (Weimarer Republik)

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Bei der Wahl vom 4. Mai 1924 (s. Tab. A l l ; Darst. VI) profitierten von Inflation und wirtschaftlicher Depression nach der Währungsumstellung vor allem die rechtsgerichteten Flügelparteien, die Deutschnationalen und die „Deutsch-Völkische Freiheitspartei", ein Zusammenschluß aus verschiedenen völkischen Gruppierungen und der NSDAP (im folgenden nur NSDAP genannt). Die Radikalisierung im Wahlverhalten vollzog sich dabei auf zwei Ebenen. Ein Teil der DNVP-Wähler wandte sich jetzt der NSDAP zu, die sich zum ersten Mal an einer Reichstagswahl beteiligte und auf Anhieb 6,5 v. H . der Stimmen erhielt. Dennoch konnte auch die D N V P in ihren Hochburgen, meist ländlichen Gebieten mit überwiegend protestantischer Bevölkerung, ihren Stimmenanteil auf Kosten der übrigen bürgerlichen Parteien beträchtlich vergrößern. In zunehmend urbanisierten und industrialisierten sowie in vorwiegend katholischen Wahlkreisen jedoch waren die Stimmenzahlen sowohl der D N V P als auch der NSDAP relativ gering. Die NSDAP erreichte ihre eigentlich besten Ergebnisse in den Wahlkreisen Mecklenburg (20,8), Franken (20,7), Thüringen (9,9) und Merseburg (8,7 jeweils v. H.). Zudem erzielte sie in Bayern aufgrund partikularistischer Strömungen, die sich vielfach stärker als die traditionelle Bindung der katholischen Bevölkerung an die BVP erwiesen, erhebliche Stimmengewinne: im Wahlkreis Oberbayern-Schwaben 17,0 v. H.; im Wahlkreis Niederbayern 10,2 v. H . Obwohl die folgende Wahl vom 7. Dezember 1924 (s. Tab. A l l ; Darst. VI) nur sieben Monate später abgehalten wurde, wirkte sich die beginnende wirtschaftliche Konsolidierung bereits deutlich aus. KPD und NSDAP verloren etwa zwei Millionen Stimmen und erzielten nur noch einen prozentualen Anteil von neun bzw. drei von Hundert. Bei der Wahl von 1928 erreichten die Nationalsozialisten sogar nur noch 2,6 v. H . und blieben in den meisten Wahlkreisen eine unbedeutende Splitterpartei. Trotz der anhaltenden innen- und außenpolitischen Stabilisierung trat bei der Wahl vom 20. Mai 1928 (s. Tab. A l l ; Darst. VI) keine Konzentration im Parteiensystem ein; vielmehr stieg — begünstigt durch das Verhältniswahlsystem und die automatische Methode — sowohl die Zahl der Parteien, die sich an der Wahl beteiligten, als auch diejenige, die Mandate errangen, sprunghaft an (s. Tab. A 14). Die potentiellen rechtsradikalen Wähler des bürgerlichen Mittelstandes, die 1920 für die D N V P gestimmt, während der Inflation bei der Wahl von 1924/1 nationalsozialistisch gewählt und mit der beginnenden wirtschaftlichen Stabilisierung wieder zu den Deutschnationalen gewechselt hatten, unterstützten jetzt vor allem die zahlreichen wirtschaftlichen Interessengruppen. Nach-

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Parteientwicklung nach 1920 /Interessenparteien / NSDAP

teilig betroffen von dieser Entwicklung war in besonderem Maße die DNVP. Die Interessenparteien verdoppelten ihren Stimmenanteil gegenüber der Wahl von 1924/11 auf 14,1 v. H.; allerdings erreichten nur sieben das Quorum, so daß nur 10,8 v. H . der Stimmen verwertet werden konnten (s. Tab. A 15). Die größte dieser Gruppierungen bildete die Reichspartei des Deutschen Mittelstandes (Wirtschaftspartei), deren Mandatszahl sich bis zur Wahl von 1928 kontinuierlich bis auf 23 Sitze erhöhte (s. Tab. A l l ) . Die Partei vertrat vornehmlich die wirtschaftlichen Interessen der Haus- und Grundbesitzer sowie des Handwerks und Einzelhandels. Nach der Inflation entstanden mehrere neue Parteien, die vor allem die Aufwertung des verlorenen Vermögens anstrebten. Abgeordnete in den Reichstag entsandten auch die verschiedenen Interessenparteien der Landwirtschaft, „Landbund", „Landvolkpartei", „Deutsche Bauernpartei", die jedoch relativ klein blieben und nur wenige Mandate erhielten (s. Tab. A 11). Dennoch beeinflußten diese Splittergruppen, von denen nur einige das Quorum erreichten (s. Tab. A 15), das Parteien- und Regierungssystem nachhaltig. Allein ihre Existenz auf den Stimmzetteln trug zur Verwirrung des Wählers bei und ließ den Eindruck entstehen, daß mit Demokratie notwendig eine übermäßige Parteienzersplitterung einhergehen müsse. Zudem entwickelten die Interessenparteien kein gesamtpolitisches Konzept, sondern taktierten von Fall zu Fall, wobei sie durch ihr zahlenmäßiges Gewicht bei den unsicheren Mehrheitsverhältnissen oft eine Schlüsselstellung einnahmen. Wenngleich der Stimmenanteil der dem Reichstag angehörenden Interessenparteien bei der Wahl vom 14. September 1930 (s. Tab. A l l ; Darst. VI) erneut auf 11,6 v. H . anstieg, setzten sich die Parteienzersplitterung und das „interessenbezogene" Wahlverhalten nicht fort. Vielmehr trat seit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise mit der Radikalisierung eine erhebliche Konzentration ein. Die fünf stimmstärksten Parteien erreichten bei den Wahlen von 1930 und 1932/1 74,7 v. H . bzw. 91,8 v. H . der Stimmen; die extremen Flügelparteien KPD und NSDAP erzielten bereits 1930 fast ein Drittel der Stimmen und verfügten nach der Wahl von 1932/1 mit 319 der 608 Mandate über die Mehrheit der Sitze im Reichstag. Ihren besonderen Ausdruck fand diese Entwicklung in den überraschenden Gewinnen der NSDAP, die ihre Stimmenzahl auf etwa 6 400 000 verachtfachte, im Reichstag mit 107 Abgeordneten die zweitstärkste Fraktion bildete und ihren Stimmenanteil bei der Wahl von 1932/1 nochmals mehr als verdoppelte.

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Deutschland (Weimarer Republik)

Den Nationalsozialisten gelang es dabei, unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise durch ihre nur auf Protest und Negation ausgerichtete Zielsetzung weite Kreise der Bevölkerung anzusprechen. Auch die „pseudoreligiöse Verherrlichung" (K. D. Bracher) Adolf Hitlers als der zentralen Führerpersönlichkeit der autoritär aufgebauten „Bewegung", die sich bewußt nicht als Partei verstand, hat zu ihren Wahlerfolgen beigetragen. Zudem wertete das taktisch klug zusammengestellte, jedoch heterogene und in seinen Einzelbestandteilen meist auch sehr verschwommene Konglomerat programmatischer Forderungen die grundsätzlichen Probleme der neueren deutschen Geschichte aus. Dazu gehörten u. a.: „die Schwäche demokratischer Tradition und die machtvolle Fortdauer obrigkeitlicher Staats- und Gesellschaftsstrukturen (nach 1848); die aus der späten und nur unvollständigen Verwirklichung eines deutschen Nationalstaates rührende Anfälligkeit für nationalistisch-imperialistische Ideologien; die Problematik einer unerwarteten Niederlage mit dem Resultat der Dolchstoßlegende und des allgemeinen Protestes gegen den Frieden von Versailles; die Dauerkrise der von der Bevölkerungsmehrheit nie voll akzeptierten Republik . . . ; und nicht zuletzt die Furcht des Kleinbürgertums vor einem Absinken ins Proletariat, die Furcht vor dem Kommunismus, die sich mit dem Radikalismus einer vom Industriezeitalter bedrohten Agrarbevölkerung v e r b a n d . . ( K . D. Bracher). Der politische Radikalismus beruhte jedoch vor allem auf den Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise; sie spiegelten alle Probleme der Weimarer Republik wider und ließen diese gleichsam potenziert im Anwachsen der Stimmen- und Mitgliederzahlen von KPD und NSDAP und dem Ansteigen der Wahlbeteiligung (von 75,6 v. H . bei der Wahl von 1928 auf 82,0 v. H . und 84,1 v. H . bei der Wahl von 1930 bzw. 1932/1) zum Ausdruck kommen. Die Beziehung zwischen Tabelle III: Die soziale Gliederung der Mitglieder der N S D A P und der Gesellschaft 1930 (in Prozent) Berufsgruppe

Arbeiter Angestellte Selbständige Beamte Bauern Sonstige

NSDAP

Gesellschaft

Gesellschaft = 100

28,1 25,6 20,7 8,3 14,0 3,3

45,9 12,0 9,0 5,1 10,6 17,4

61,2 213,5 230,0 162,7 132,0 18,9

100,0

100,0

(Quelle: Hof er, s. BiblAng., S. 23)

270

Weltwirtschaftskrise und Wahlverhalten

wirtschaftlicher Not und sozialer Gliederung der Mitglieder der NSDAP wurde dabei besonders deutlich. Ähnlich, wenn nicht sogar identisch mit der Zusammensetzung der Mitgliederschaft war auch die soziale Gliederung der NSDAP-Wähler. Zwischen der Intensität der wirtschaftlichen Not und der Höhe des nationalsozialistischen Stimmenanteils bestand die grundsätzliche Korrelation: je größer die Wirtschaftskrise, desto höher der prozentuale Anteil der NSDAPWähler, wobei als Indikatoren auf dem Lande der Grad der Verschuldung des bäuerlichen Grund und Bodens, in den Städten die Zahl der Arbeitslosen anzusetzen sind. Jedoch waren zudem regionale und konfessionelle Unterschiede sowie die soziale Schichtung, die Sozialstruktur und die Größe der Städte ausschlaggebend. Die Gegenüberstellung von Stadt und Land zeigt, daß die ländliche Bevölkerung in der Regel in weit stärkerem Maße nationalsozialistisch wählte. Ihre größten Stimmenanteile erzielte die NSDAP bei der Wahl vom 31. Juli 1932 (s. Tab. A l l ; Darst. A VI) in den überwiegend agrarischen und protestantischen Wahlkreisen Schleswig-Holstein (51,0), Osthannover (49,5), Frankfurt/Oder (48,1), Pommern (48,0), Liegnitz (48,0), Ostpreußen (47,1), Chemnitz-Zwickau (47,0) und Südhannover-Braunschweig (46,1 jeweils v. H.). Die acht Spitzenwahlkreise der Nationalsozialisten lagen in Nord- und Ostdeutschland. Pommern und Ostpreußen waren die am meisten verschuldeten Wahlkreise; dennoch erzielte die NSDAP hier nur überdurchschnittliche, aber nicht ihre besten Ergebnisse. In den Gebieten Ostdeutschlands wirkte die vor allem von Großbetrieben bestimmte Agrarstruktur der allgemeinen Beziehung zwischen dem Stimmenanteil der Nationalsozialisten und dem Grad der Verschuldung tendentiell entgegen. Uneingeschränkt galt die Korrelation jedoch in ländlichen Gebieten mit mittelständischer Struktur, d. h. mit einem hohen Prozentsatz von selbständigen landwirtschaftlichen Kleinbetrieben. Von Bedeutung für das Wahlverhalten war audi die Konfessionszugehörigkeit. In acht der neun Wahlkreise, in denen die Nationalsozialisten bei der Wahl von 1932/1 ihre schlechtesten Ergebnisse erzielten und weniger als 30 v. H . der Stimmen erhielten, war die Mehrzahl der Bevölkerung katholisch. Dies galt sowohl für die ländlichen als auch die städtischen Gebiete; jedoch nahmen mit steigender Urbanisierung die Bindung an Zentrum und BVP sowie die Resistenz gegenüber der NSDAP ab. Entscheidend für den Stimmenanteil der NSDAP in den Städten war neben der Konfessionszugehörigkeit die Zahl der Einwohner. Es bestand eine deutliche reziproke Proportionalität: je größer die Städte waren, um so stärker nahm der Stimmenanteil der Nationalsozialisten

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Deutschland (Weimarer Republik)

ab. Der grundsätzlichen Korrelation zwischen der Zahl der NSDAPWähler und dem Grad der Erwerbslosigkeit wirkte dabei in Städten mit ausgeglichener Sozial- und Wirtschaftsstruktur die Industrialisierung entgegen. Vor allem die Bindung der Arbeiter an die Gewerkschaften, die in der eisenschaffenden und -verarbeitenden Industrie und im Bergbau besonders groß war, verhinderte ein Eindringen des Nationalsozialismus in die Arbeiterschaft. Das Reservoir potentieller NSDAP-Wähler erstreckte sich hier trotz hoher Arbeitslosigkeit fast ausschließlich auf die Wähler nicht sozialistischer Parteien und war dadurch so stark begrenzt, daß SPD und KPD in diesen Gebieten ihre Hochburgen weitgehend behaupten konnten. Allerdings verschob sich aufgrund der Radikalisierung das Gewicht der sozialistischen Stimmen geringfügig zugunsten der Kommunisten. Uberdurchschnittliche Ergebnisse erzielten die Nationalsozialisten bei der Wahl von 1932/1 in der Regel in Städten mit relativ geringer Erwerbslosigkeit bei unausgeglichener Wirtschaftsstruktur und Präponderanz eines Industriezweiges sowie in Gebieten mit vorwiegend mittelständischen Strukturen. Wahlverhalten und soziale Gliederung der nationalsozialistischen Wähler werden auch aus einem Vergleich der Stimmenanteile der Reichstagsparteien bei den Wahlen von 1928 und 1932/1 deutlich: Tabelle IV: Stimmenanteil der Parteigruppierungen bei den Wahlen von 1928 und 1932/1 1928

1932/1

Sozialistische Parteien (SPD/KPD)

40,4

36,1

katholische Parteien (Zentrum/BVP)

15,2

15,7

bürgerliche Parteien (DNVP/DVP/DDP/Interessenund Regionalparteien)

38,6

10,5

2,6

37,3

NSDAP (s. Tab. A 11, Tab. A 15)

Während die Wähler der sozialistischen Parteien nur in geringem Maße zur NSDAP wechselten und die Bindung der katholischen Bevölkerung an das Zentrum und die BVP unter dem Eindruck der Weltwirtschaftskrise sogar enger wurde, wurden die Nationalsozialisten vor allem von den früheren Wählern der bürgerlich-laizistischen Parteien unterstützt, den Angehörigen mittelständischer Berufe, den

272

Wahlreformvorsdiläge/Strukturwandel der Verfassung

Beamten und Angestellten sowie den selbständigen Bauern, Handwerkern und Kleinhändlern. Diese Bevölkerungsschidit, die etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung ausmachte, war von der wirtschaftlichen Krisensituation am stärksten betroffen. Zudem bildeten die „Proletarisierung des Mittelstandes" (M. Victor), die ihre politische, wirtschaftliche, soziale und wohl audi psychologische Unzufriedenheit begründete, und die Furcht, endgültig ins Proletariat abzusinken, die Basis für ihr radikales Wahlverhalten. Bei den Wahlen von 1932 war deshalb „der idealtypische Wähler der Nationalsozialistischen Partei ein selbständiger protestantischer Angehöriger des Mittelstandes, der entweder auf einem Hof oder in einer kleinen Ortschaft lebte und der früher für eine Partei der politischen Mitte oder für eine regionale Partei gestimmt hatte, die sich der Macht und dem Einfluß von Großindustrie und Gewerkschaften widersetzte" (S. M. Lipset). Infolge des Wahlsystems konnten sich die Veränderungen im Wählerverhalten voll auf die politische Repräsentation auswirken; Stimmen- und Mandatsanteil waren weitgehend kongruent. Von den Zeitgenossen wurde jedodi die Verbindung von Wahlsoziologie und Wahlsystem noch nicht erkannt. Dennoch beschäftigte man sich vor allem im Zentrum, aber auch bei einigen jüngeren Mitgliedern der SPD (C. Mierendorff, J. Leber, u. a.) mit der Revision des Wahlsystems; gefordert wurde die Einführung der relativen Mehrheitswahl wesentlich aufgrund der extrem großen Parteienzahl. So erklärte Leber bereits im Dezember 1927, als die Parteienzersplitterung noch keineswegs ihren Höhepunkt erreicht hatte: „Die Weimarer Verfassung hat uns ein Regierungssystem nach westeuropäischem Muster geschenkt. Aber sie hat dazu ein Wahlrecht geschaffen, das nicht zu diesem System paßt. Man sage nicht, daß das deutsche Parteiensystem eben anders sei als das englische, hätte England unser Wahlrecht, es gäbe dort auch sieben Parteien statt drei". Die Diskussionen um das Wahlsystem waren jedoch im Grunde rein akademisch, da die Proportionalwahl in der Verfassung verankert war; eine Zweidrittelmehrheit war zu keiner Zeit zu erreichen. Die verschiedenen Reformvorschläge und Gesetzesänderungen sowohl für das Reichstags- als audi für einzelne Länderwahlrechte (vgl. hierzu: Braunias I S. 91 f.; S. 113 ff.; Sdiauff, s. BiblAng., S. 155 ff.), die meist nicht realisiert oder vom Staatsgerichtshof wieder annulliert wurden, stellten deshalb die Verhältniswahl in keinem und die automatische Methode nur in einigen Ausnahmefällen in Frage. Audi die zahlreichen, u. a. von Weiß, W. Jellinek, W. Heile und R. Schmidt (s. BiblAng.) entwickelten „Mischsysteme", die Mehr-

Deutschland (Weimarer Republik)

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heitswahl und Proportionalwahl in der Weise kombinierten, daß ein bestimmter Prozentsatz der Abgeordneten mit relativer Mehrheit in Einerwahlkreisen gewählt werden sollte, garantierten durch Ergänzungslisten oder Kürzungsverfahren den proportionalen Ausgleich. Das entscheidende Merkmal und Ziel des Proporzsystems, die Verhältnismäßigkeit von Stimmen und Mandaten, sollte erhalten bleiben; die einem Mehrheitswahlsystem immanente Über- bzw. Unterrepräsentation wollte man vermeiden. Die Änderungsvorschläge sahen deshalb in der Regel vor: Verkleinerung der Wahlkreise, Verminderung der Abgeordnetenzahl, Modifizierung oder Aufhebung der Reststimmenverwertung auf Wahlkreisverbands- und Reichsebene und eine stärkere Personalisierung der Wahl. Die Wahlentwicklung in der Weimarer Republik hat keineswegs allein und ausschließlich die „Machtergreifung" Hitlers ermöglicht. Die NSDAP erreichte bei den Wahlen des Jahres 1932 37,3 v. H . bzw. 33,1 v. H . der Stimmen und konnte auch bei der Wahl vom 5. März 1933 (s Tab. A l l ; s. Darst. VI), die bereits unter Druck und Terror durchgeführt wurde, nicht die absolute Mehrheit der Stimmen erhalten. Noch 1933 entschieden sich 56,1 v. H . der Wähler nicht für die NSDAP. Nur in acht der 35 Wahlkreise erzielte sie mehr als 50 v. H . der Stimmen; in einigen kleineren, vorwiegend katholischen Gebieten des Rheinlandes, Westfalens und Bayerns verfügte sie nicht einmal über zehn von Hundert der Stimmen. Entscheidend für die Machtübernahme Hitlers war vielmehr der Wandel in der Stellung der staatlichen Organe, den die Verfassung durch die Doppelabhängigkeit der Regierung ermöglichte und förderte. Der „stille Verfassungswandel" war schon in der Zeit Eberts angelegt; der „Ubergang zur Präsidentschaftsrepublik" (W. Conze) begann endgültig mit der Wahl Hindenburgs zum Reichspräsidenten im Jahre 1925. Bereits im Dezember 1927 und bei der Regierungsbildung nach der Wahl von 1928 dachten Hindenburg und seine Umgebung daran, eine überparteiliche Beamtenregierung einzusetzen, die allein auf das Vertrauen des Reichspräsidenten gestützt sein sollte. Mit der großen Koalition unter Führung des Sozialdemokraten Hermann Müller gelang es noch einmal, eine Regierung auf parlamentarischer Basis zu schaffen; jedoch bestanden zwischen Kabinett und Regierungsparteien nur sehr lockere Beziehungen. Die Regierung blieb das „Kabinett der Persönlichkeiten", als das es im Juni 1928 entstanden war. Auch die Regierungspraxis der Kabinette Heinrich Brünings, Franz von Papens und Kurt von Schleichers und ihr Verhältnis zum Reichstag bildeten sich bereits in der Mittelphase der Weimarer Republik aus. So waren die erste Regierung Luther (Januar bis November 1925) und die große Koalition unter Hermann Müller (Juni 1928 IS

Stemberger-Vogel, Parlamente 14

274

Machtübernahme Hitlers/Faschistische Staatsstruktur

bis März 1930) nicht an die Fraktionen gebunden. Auch Reichstagsauflösungen und die Anwendung des Notverordnungsparagraphen waren mehrmals erfolgt. Der Unterschied der seit 1930 gebildeten Präsidialkabinette und ihrer Regierungsweise zu den früheren Regierungen „lag in der systematisierten Kombination dieser Regierungsmethoden und einem weiter als jemals zuvor gehenden Erlahmen der parlamentarischen Gestaltungskraft" (P. Haungs). Vor allem die Verknüpfung der entscheidenden Rechte des Reichspräsidenten, des Ernennungs-, Auflösungs-, und Notverordnungsrechts, durch die der Reichstag praktisch ausgeschaltet werden konnte, trug zur Aushöhlung des Verfassungssystems bei und ließ Reichskanzler und Regierung von Hindenburg völlig abhängig werden. So konnte Hindenburg nach seiner Wiederwahl zum Reichspräsidenten (s. Tab. A 16) Brüning entlassen, obwohl er seinen Wahlerfolg in hohem Maße dessen persönlichem Einsatz zu verdanken hatte. Zum Ausdrude kam „die Wendung zur autoritären, zur parlamentsfreien und schließlich parlamentsfeindlichen Regierungsweise" (K. D. Bracher) vor allem in den Reichstagsauflösungen während der Endphase der Weimarer Republik. Bereits im Sommer 1930 hatte Hindenburg auf Wunsch Brünings den Reichstag aufgelöst, als dieser die Notverordnungen der Regierung aufgehoben hatte. Im September 1932 gestattete der Reichspräsident Reichskanzler von Papen die Neuwahl, bevor der Reichstag überhaupt zu seiner ersten Arbeitstagung zusammengekommen war; er begründete dies damit, daß die Möglichkeit bestehe, der Reichstag könne Notverordnungen aufheben. Die Reichstagsauflösung vom 1. Februar 1933 kennzeichnete den Verfassungswandel noch entschiedener. Hindenburg löste das Parlament auf, damit die Bevölkerung die Möglichkeit der Stellungnahme zur Regierung des „Nationalen Zusammenschlusses" habe. Nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 wurde die Absicht der Nationalsozialisten, „den Staat in die Form (zu) gießen, die wir als die richtige ansehen" („Legalitätseid" beim Leipziger Reichswehrprozeß von 1930) sehr bald deutlich. Obwohl die Präsidialregierung aus NSDAP und D N V P bei der Wahl vom 5. März 1933 (s. Tab. A 11; Darst. VI) 51,9 v. H . der Stimmen erhielt, im Reichstag über 340 der 647 Mandate verfügte und somit zum ersten Mal seit 1930 wieder eine Regierung auf parlamentarischer Basis möglich war, erfolgte in wenigen Monaten die Umwandlung der parlamentarischen Republik in eine totalitäre Einparteiendiktatur faschistischer Prägung. Schon vor der Reichstagswahl waren nach dem Reichstagsbrand durch die Notverordnungen „zum Schutz von Volk und Staat" und „gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräte-

Deutschland (Drittes Reich)

275

rische Umtriebe" (beide vom 28. Februar 1933) die Grundrechte außer Kraft gesetzt worden. Am 23. März 1933 legte Hitler dem Reichstag das „Ermächtigungsgesetz" („Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat") vor, das ihm auf vier Jahre die Vollmacht verleihen sollte, entgegen den Beschränkungen der Verfassung ohne Beteiligung von Reichstag und Reichsrat Gesetze zu erlassen; er sollte selbst die Verfassung ändern dürfen, „soweit sie (die Gesetze) nicht die Einrichtung des Reichstages und des Reichsrates als solche zum Gegenstand haben" (Art. 2). Unangetastet blieben allein Stellung und Rechte des Reichspräsidenten, die jedoch nur noch formale Bedeutung hatten, da zum einen das Recht, die Gesetze zu unterzeichnen und auszufertigen, auf den Reichskanzler überging, zum zweiten aber das Notverordnungsrecht, die eigentliche Machtposition des Reichspräsidenten, dadurch praktisch aufgehoben wurde, daß Hitler die notwendige Gegenzeichnung des Reichskanzlers verweigern konnte. Nach dem Tode Hindenburgs (2. August 1934) entfielen aufgrund der Vereinigung des Reichspräsidentenamtes mit dem des Reichskanzlers auch die formalen Vorbehalte. Das „Ermächtigungsgesetz", für dessen Verabschiedung eine verfassungsändernde Zweidrittelmehrheit notwendig war, wurde am 24. März 1933 dem Reichstag zur Annahme vorgelegt. An der Abstimmung beteiligten sich 538 der 647 Mitglieder. Außer den 81 kommunistischen Abgeordneten, die aus dem Reichstag ausgeschlossen worden waren, konnten auch einige sozialdemokratische Abgeordnete infolge der bereits beginnenden Verhaftungen nicht mehr an der Sitzung teilnehmen. Mit Ausnahme der 94 Abgeordneten der SPD-Fraktion stimmten alle anderen Parteien der Vorlage zu. Auch der Reichsrat billigte das Gesetz; jedoch war die Abstimmung nicht verfassungskonform, da die Reichsratsstimmen von Baden, Preußen und Sachsen nicht von den Beauftragten der Landesregierungen abgegeben wurden, sondern von den durch die Reichsregierung eingesetzten Reichskommissaren instruiert waren. Diese 34 der 66 Gesamtstimmen (s. Tab. A 17) hätten deshalb nicht berücksichtigt werden dürfen. „Damit aber hat das „Ermächtigungsgesetz" im Reichsrat die vorgeschriebene Mehrheit nicht erreicht. Aus diesem Grunde ist es nicht legal zustande gekommen" (H. Schneider). Das „Ermächtigungsgesetz" legalisierte den Verfassungswandel, der am Ende der zwanziger Jahre begonnen hatte, und ermöglichte die Machtergreifung sowie alle folgenden Maßnahmen zur Gleichschaltung in allen entscheidenden staatlichen und privaten Bereichen. Nachdem unmittelbar nach der Reichstagswahl in Baden, Bayern, Hessen, Sachsen, Schaumburg-Lippe, Württemberg und den drei Reichsstädten

276

Ende des Zweiten Weltkrieges

Reichskommissare eingesetzt worden waren, verloren die Länder durch das „Gesetz zur Gleichschaltung der Länder mit dem Reich" vom 31. März 1933 endgültig ihre Eigenständigkeit. Zudem wurden im Januar und Februar 1934 entgegen den Bestimmungen des „Ermächtigungsgesetzes" auch die föderalistischen Strukturen abgeschafft und durch einen den totalitären Systemen immanenten strengen Zentralismus ersetzt. Die Länderparlamente und der Reichsrat wurden aufgelöst, die exekutive Gewalt ging in die Hände von Reichsstatthalter über, die der Dienstaufsicht und Weisung des Reichsinnenministeriums unterstanden. Aber nicht nur die Repräsentationskörperschaften der Länder sondern auch der Reichstag verlor jegliche Einflußmöglichkeit. Nachdem bereits nach der Reichstagswahl, an der Hitler die KPD noch teilnehmen ließ, um den Sozialdemokraten möglichst viele Stimmen zu entziehen, die Kommunisten verboten worden waren, erfolgte am 22. Juni 1933 das Verbot der SPD. Die bürgerlichen Parteien lösten sich daraufhin Ende Juni und Anfang Juli selbst auf. Durch die Gesetze „gegen die Neubildung von Parteien (14. Juli 1933) und „zur Sicherung von Einheit von Partei und Staat" (1. Dezember 1933) wurde die Monopolstellung der NSDAP in allen Bereichen legalisiert. Dem Reichstag, der am 12. November 1933, 29. März 1936 und 19. April 1938 nach den Grundsätzen des Wahlgesetzes der Weimarer Republik neu bestellt wurde (s. Tab. A 18; zu den Volksabstimmungen von 1933, 1934 und 1938, s. Tab. A 19), gehörten ausschließlich „Abgeordnete" der NSDAP an. Das Parlament wurde zu einem Instrument der Akklamation degradiert; daß seine Sitzungen nach dem Reichstagsbrand in der „Kroll-Oper" stattfanden, hatte fast symbolischen Charakter. Obwohl der Aufbau von Staat und Partei vom Führerprinzip geprägt war, beruhte die Diktatur Hitlers auf einem spezifischen Dualismus beider. Vor allem diese Herrschaftstechnik, die die staatlichen Institutionen bestehen ließ, jedoch weitere Führungsinstanzen neu schuf und so für fast alle Organe und Organisationen Doppel- und Vielgleisigkeit herstellte, erlaubte es Hitler, seine absolute Macht zu behaupten und ständig auszudehnen. Indem er die Vielzahl von Instanzen und Zuständigkeiten, die alle bei ihm zusammenliefen, die alle von ihm abhängig waren und die nur er überschauen konnte, gegeneinander ausspielte, gelang es ihm, den Führerstaat nach den Prinzipien zu verwirklichen, die er in „Mein Kampf gekennzeichnet hatte.

Deutschland (Besatzungszeit)

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Nach der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht vom 7. und 8. Mai 1945 lag die Verantwortung für die Zukunft Deutschlands ausschließlich in den Händen der alliierten Siegermächte. Uber die territoriale Gestalt sowie die politischen und gesellschaftlichen Strukturen Deutschlands wurde im wesentlichen auf den Konferenzen der „Großen Drei" in Teheran, Jalta und Potsdam entschieden. Bei den Gesprächen von Jalta wurde zunächst nur der Beschluß gefaßt, daß die Siegermächte selbst „die oberste Gewalt hinsichtlich Deutschlands" ausüben werden. Das Potsdamer Kommunique (Abkommen) vom 2. August 1945 machte detailliertere Aussagen; es enthielt u. a. zwei in sich widersprüchliche Grundsätze, die die politische Entwicklung maßgeblich beeinflussen sollten und die beide auf die Zweiteilung Deutschlands und Berlins in eine östliche von der Sowjetunion und eine westliche von den Vereinigten Staaten, Großbritannien und Frankreich beherrschte Interessensphäre hinauslaufen mußten. Der erste Widerspruch lag darin, daß die Alliierten auf Drängen Stalins zwar die Zerstückelung (dismemberment) Deutschlands verwarfen und das Land trotz der vier Besatzungszonen als wirtschaftliche Einheit ansahen, indes keine gemeinsamen funktionsfähigen Exekutivorgane schufen, die diese Einheit hätten verwirklichen können. Sowohl der „Alliierte Kontrollrat" als audi die „Alliierte Kommandantur" von Groß-Berlin mußten ohne Einfluß bleiben, da für alle Beschlüsse Einstimmigkeit erforderlich war. Jede Besatzungsmacht konnte so durch ihr Vetorecht gemeinsame Entscheidungen verhindern und zudem in ihrer Zone die ihr notwendig erscheinenden Maßnahmen durchführen. Je mehr die weltpolitischen Gegensätze zwischen den Siegermächten anwuchsen, um so deutlicher entwickelten sich die Besatzungszonen auseinander und um so stärker beteiligten die Alliierten die Bevölkerung ihrer Besatzungszone an den Entscheidungen, allerdings mit der Auflage, daß die von Deutschen geleiteten Institutionen ihre Befugnisse nicht gegen die Interessen der jeweiligen Besatzungsmacht gebrauchen würden. Der zweite Widerspruch im Potsdamer Kommunique ging davon aus, daß die Alliierten zur Vorbereitung des „zukünftigen Wiederaufbaus des deutschen politischen Lebens auf demokratischer Basis" zwei unterschiedliche Wege ankündigten. Zum einen sollten die Selbstverwaltungskörperschaften schrittweise von unten nach oben aufgebaut werden, wobei zunächst lokale Institutionen „nach demokratischen Grundsätzen und im besonderen durch Wahlen" errichtet werden sollten; später sollten dann auch höhere Organe auf Bezirks-, Provinz- und Länderebene durch Wahl bestellt werden. Zum anderen

278

Neugründung der Parteien

jedoch beschlossen die Siegermächte zugleich und unabhängig davon, politische Parteien zuzulassen. Gegründet werden durften aber nur „demokratische" Parteien. Als demokratisch galten dabei in erster Linie alle Parteien und Organisationen, die während des „Dritten Reiches" im Exil weiterexistiert oder die sich aktiv am „Widerstand" beteiligt hatten. Ein Hauptkriterium für eine „demokratische" Entwicklung in Deutschland bestand nach der Herrschaft einer monokratischen Partei im Parteienpluralismus. In der Regel wurden vier Parteien zugelassen: die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD), die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), die „ChristlichDemokratische Union" oder „Christlich-Soziale Union" (CDU/CSU) und die „Demokratische Volkspartei" oder „Freie Demokratische Partei" (DVP/FDP). Die Organisation der Parteien vollzog sich aber im Gegensatz zur Aussage des Potsdamer Abkommens ohne jegliche Legitimation durch die Bevölkerung. Der Aufbau der Parteien war längst abgeschlossen, teilweise sogar bis zum Zonenmaßstab vorangeschritten, ehe überhaupt Wahlen abgehalten wurden. Die Parteien arbeiteten bereits in den von den alliierten Militärregierungen eingesetzten lokalen Verwaltungen, in den provisorischen Länderregierungen mit und waren somit schon „etabliert", bevor auf Gemeindeebene die ersten Wahlen durchgeführt wurden (vgl. die Zeittafel in: D. Sternberger, Lebende Verfassung, s. BiblAng., S. 88 ff.), dies sowohl in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) als auch in den drei Westzonen. Jedoch ergab sich in zweifacher Hinsicht ein gravierender Unterschied. Während die Westalliierten die Bildung von Parteien erst nach der Potsdamer Konferenz zuließen und zunächst nur die Gründung auf Kreisebene genehmigten, hatte die sowjetische Militärregierung bereits am 10. Juni 1945 für Berlin und die Sowjetische Besatzungszone die Gründung „antifaschistischer" Parteien sowohl auf lokaler als auch auf Landes- und Zonenebene erlaubt. Vor allem aber zwang sie die Parteien ihrer Besatzungszone zur Bildung einer Parteienkoalition, dem „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien" und propagierte zudem den Zusammenschluß der beiden sozialistisdien Parteien. Zu Beginn der Potsdamer Konferenz waren von den vier Phasen, die die Machtübernahme der Kommunisten ermöglichten, drei (die Gründung der KPD, die Zulassung anderer, jedoch lizensierter Parteien, die Bildung einer Zwangskoalition mit paritätischer Besetzung aller Organisationen und Institutionen) abgeschlossen. Allein die Vereinigung von SPD und KPD zur „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) war noch nicht vollzogen. Endgültig festgelegt war jedoch die Form des Parteiensystems. Bevor in den Westzonen überhaupt Parteien zugelassen waren, war in der Sowje-

Deutschland (Besatzungszeit)

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tischen Besatzungszone bereits die Entscheidung zugunsten des Blocksystems (s. u.) und eine bedeutsame Vorentscheidung zuungunsten eines einheitlichen deutschen Staates gefallen. Von den vier Parteien erkannte die SPD die Bedeutung des Blocksystems als erste, da sie infolge der Einigungsbestrebungen zunächst am direktesten betroffen war. Obwohl auch innerhalb der Sozialdemokratie in den Westzonen unmittelbar nach der Kapitulation der Wunsch nach einer sozialistischen Partei überwog, lehnte die erste Delegiertenkonferenz auf Zonenebene im Oktober 1945 den Zusammenschluß mit den Kommunisten ab. Unter Führung von Kurt Schumacher nahm sie auch eine mögliche Spaltung der Partei in Kauf, um ein Eindringen der Kommunisten in die Westzonen über den Umweg der Vereinigung mit der SPD zu verhindern. Die endgültige Entscheidung gegen die Fusion fällten die Delegiertenkonferenzen im Januar 1946 sowie die Urabstimmung der West-Berliner SPD-Mitglieder vom 31. März 1946, bei der sich 82,2 v. H . gegen den Zusammenschluß aussprachen. Diese Weigerung der SPD war zudem von ausschlaggebender Bedeutung für die Form des Parteiensystems in den Westzonen. Eine Fusion hätte zwar die Bildung einer Blockkoalition nicht notwendig zur Folge haben müssen; diese „wäre aber doch in der damaligen Atmosphäre fortwirkender Resistance-Solidarität und aktueller Zusammenarbeit zur Bekämpfung dringender nationaler Not bedeutend nahegerückt" (D. Sternberger). Während die Sozialdemokraten aus der Zwangsvereinigung in der Sowjetischen Besatzungszone auf dem Gründungsparteitag der SED vom 19. bis 22. April 1946 bereits im Mai 1946 die Konsequenz zogen und sich auf ihrem ersten trizonalen Parteitag von Hannover zur „westdeutschen" Gesamtpartei zusammenschlossen, versuchten die beiden bürgerlichen Parteien weiterhin, die Verbindung mit ihren Organisationen in der Sowjetischen Besatzungszone aufrecht zuerhalten. Aus diesem Grunde bildeten sie zunächst auch keine zentralen Parteigremien, sondern ließen die einzelnen Zonenorganisationen als oberste Parteiinstanzen bestehen. Eine gemeinsame, die Demarkationslinie überspannende Zielsetzung wurde jedoch ständig schwieriger, da die Landesverbände die entgegengesetzte Entwicklung auf gesellschaftlichem, wirtschaftlichem und sozialem Gebiet sowie die Interessen der Besatzungsmächte berücksichtigen mußten. Zudem behinderten die sowjetische Militäradministration und das Blocksystem (s. u.) die freie Tätigkeit der beiden bürgerlichen Parteien. Von besonderer Relevanz für das Parteiensystem in den Westzonen (s. Darst. VIII) wurde die Strukturpolitik der Besatzungsmächte.

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Gründung der C D U / C S U / Erste Landtagswahlen

Indem die Alliierten in der Regel nur vier Parteien lizensierten, verhinderten sie das Wiederentstehen einer Parteienvielfalt. Sie unterstützten auf diese Weise Bestrebungen, die verhängnisvolle parteipolitische Zersplitterung des Bürgertums durch die Gründung einer großen interkonfessionellen Sammelpartei zu überwinden. Doch kamen audi führende Zentrumspolitiker und Repräsentanten beider Konfessionen aus der Erkenntnis, daß das Zentrum allein die Machtergreifung der Nationalsozialisten nicht hatte verhindern können, zu der Überzeugung, „daß nur eine große Partei, die in der christlichabendländischen Weltanschauung, in den Grundsätzen der christlichen Ethik ihr Fundament hatte, die notwendige erzieherische Aufgabe am deutschen Volk erfüllen, seinen Wiederaufstieg herbeiführen und einen festen Damm gegenüber der kommunistischen atheistischen Diktatur errichten könnte" (K. Adenauer). Die CDU entstand im Frühjahr und Sommer 1945 in allen vier Besatzungszonen, vielfach unabhängig voneinander und zunächst auch unter den verschiedensten Parteibezeichnungen. Erst im Dezember 1945 einigte man sich auf den Namen Christlich Demokratische Union. Noch heute bildet die CSU in Bayern eine formell und organisatorisch selbständige Partei, die jedoch seit 1949 auf Bundesebene eine sehr enge Fraktionsgemeinsdiaft mit der CDU eingegangen ist (im folgenden mit der CDU als Einheit betrachtet). Auch die weitgehend dezentralisierte Organisation der CDU geht auf die Gründungszeit zurück. Mit der Uberwindung der konfessionellen Schranken und dem Eindringen in alle Gebiete Deutschlands wurde gerade die Struktur der CDU von den unterschiedlichen gesellschaftlichen Gegebenheiten der verschiedenen Regionen besonders stark bestimmt. Während das Zentrum im Kaiserreich und in der Weimarer Republik im wesentlichen auf katholische Gebiete beschränkt geblieben war, schlossen sich der neuen Sammelpartei vornehmlich in den protestantischen Gebieten Nord- und Ostdeutschlands ein Großteil der Mitglieder der ehemaligen bürgerlichen Parteien an. Jedoch blieben Wiedergründungen früherer Parteien und neue Parteibildungen nicht aus. Bereits im Oktober 1945 entstand das Zentrum wesentlich aus personellen Differenzen, aber auch aus wirtschaftlichen Gegensätzen zur CDU wieder. Zudem mag die traditionelle Bindung einiger katholischer Kreise an das alte Zentrum dabei mitgespielt haben. Doch wurde diese Partei auf längere Sicht — ebenso wie die protestantisch konservativen Parteien, die vornehmlich in Norddeutschland gegründet wurden — wieder weitgehend von der CDU absorbiert (s. u.). Aus den Landtagswahlen von 1946 bis 1948 (zum Wahlrecht in den Ländern s. Tab. G VI) in den Westzonen gingen SPD und CDU/CSU

Deutschland (Besatzungszeit)

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mit 36,8 bzw. 35,5 v. H . der Stimmen etwa gleich stark hervor, während die F D P / D VP einen Stimmenanteil von 9,5 v. H . erreichte (s. Tab. A 26). Die Kommunisten erzielten 9,6 v. H . der Stimmen und konnten auch ihre Hochburgen, in denen während der Weimarer Republik ihre Stimmenzahlen nahe an die der Sozialdemokraten herangekommen waren, nicht mehr behaupten. Trotz massiver Unterstützung durch die sowjetzonale S E D gelang es nicht, die negativen Auswirkungen der sowjetischen Politik (Vertreibung, Kriegsgefangenenfrage, Berliner Blockade u. a. m.) abzugleichen. Der Stimmenanteil der Kommunisten sank in den folgenden Wahlen kontinuierlich (s. Tab. A 21; Tab. A 26). Die K P D blieb — im Gegensatz zur Nachkriegsentwicklung in anderen westeuropäischen Staaten — eine unbedeutende Splitterpartei, die dann durch das Bundesverfassungsgericht am 17. August 1956 verboten wurde. Die Ergebnisse der Landtagswahlen bestimmten audi die Zusammensetzung der von den Westalliierten seit Ende 1946 errichteten bi- und trizonalen Institutionen. Die Mitglieder wurden entweder von den Länderregierungen ernannt oder aber von den Landtagen prozentual zu den Fraktionsstärken bestellt. Als gesetzgebende Körperschaft der Bizone — am 2. Dezember 1946 von der amerikanischen und britischen Militärregierung als „Vereinigtes Wirtschaftsgebiet" konstituiert und am 25. Juni 1947 bzw. 9. Februar 1948 umgestaltet — entstand der „Wirtschaftsrat". Ihm gehörten je 20 Mitglieder der C D U / C S U und der SPD, vier der FDP, drei der K P D und fünf Mitglieder anderer Parteien an. Den „Exekutivausschuß" (Exekutivrat) bildeten die Länderregierungen, die je einen Vertreter entsandten. Aufgrund der Umorganisation vom Februar 1948 wurde die Mitgliederzahl des Wirtschaftsrates, der Gesetzgebungskompetenz besaß, die fünf Verwaltungsdirektoren wählte und deren Tätigkeit kontrollierte, von 52 auf 104 Mitglieder erhöht. Er setzte sich zusammen aus 44 Abgeordneten der C D U / C S U und der „Deutschen Partei" (DP), 40 der SPD, acht der FDP, sechs der K P D , vier des Zentrum und zwei Abgeordneten der „Wirtschaftlichen Aufbauvereinigung" (WAV). Der Exekutivrat wurde in „Länderrat" umbenannt. Bei der Wahl der Verwaltungsdirektoren, die praktisch die Funktionen von Ministern ausübten, wurden die Gegensätze der beiden großen Parteien zum ersten Mal auch auf überzonaler Ebene deutlich. Es begann die scharfe Trennung zwischen den Sozialdemokraten und den bürgerlichen Parteien unter Führung der C D U / C S U , die für die folgenden Jahre kennzeichnend sein sollte und erst in den sechziger Jahren überwunden wurde. Die Gegensätze beruhten vor allem auf der unterschiedlichen wirtschaftlichen Grundkonzeption. Während die S P D weiterhin die Sozialisierung und Verstaatlichung der Banken,

282

Parlamentarischer Rat/Grundgesetz

Versicherungsunternehmen sowie der Bodenschätze und der Grundstoffindustrien anstrebte und ihr Wirtschaftsprogramm am Modell einer demokratisch kontrollierten Zentralverwaltungswirtschaft orientierte, wandten sidi die Christlichen Demokraten vom weitgehend sozialistischen „Ahlener Programm" der CDU der britischen Zone ab. Sie setzten sich — unterstützt von den kleineren Parteien — bei der Wahl der Verwaltungsdirektoren durch und verwirklichten nach der Währungsreform die von Ludwig Ehrhard entwickelte „soziale Marktwirtschaft". Auch die Mitglieder des „Parlamentarischen Rates", der sich aufgrund der Beschlüsse der drei Westalliierten und der Benelux-Länder auf der Londoner Konferenz (23. 2. bis 6. 3. 1948) am 1. September 1948 in Bonn als verfassunggebende Versammlung konstituierte, wurden von den Länderparlamenten wiederum prozentual zu den Fraktionsstärken in den Landtagen gewählt. Tabelle V: Zusammensetzung des Pariamen tarischen Rates Land

Insgesamt

CDU/ CSU

SPD

Baden Bayern Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Württemberg-B aden Württemberg-Hohenzollern

2 13 1 2 6 9 17 4 4 5 2

1 8 1 2 2 6 2 2 2 1

1 4 1 1 3 4 6 2 2 2 1

Insgesamt West-Berlin»)

65 5

27 1

27 3



FDP/ DVP —

DP

Zentrum

KPD



































1

1 1 1 —

2

1 —

5 1



2

2

— —



























2 —

2 —

2 —

Anmerkung: *) Nur mit beratender Funktion (Quelle: Merkl, s. BiblAng., S. 59)

Der Parlamentarische Rat tagte vom 1. September 1948 bis zum 8. Mai 1949. Zu seinem Präsidenten wählte das Plenum Konrad Adenauer; Vorsitzender des Hauptausschusses wurde Carlo Sdimid. Die Mitglieder konnten sich bei ihren Beratungen auf die in einer Denkschrift an die Ministerpräsidenten der Länder zusammengefaßten Vorschläge des Verfassungskonventes von Herrenchiemsee (10. bis 23. 8.1948) stützen, mußten jedoch die Auflagen der Alliierten, die auf der Londoner Konferenz ausgearbeitet worden waren, berücksichtigen. Auch im Parlamentarischen Rat wurden die Mei-

Deutschland (Bundesrepublik)

283

nungsversdiiedenheiten zwischen den beiden großen Parteien recht bald deutlich. Spannungen ergaben sich vornehmlich bei der Gestaltung der föderativen Institutionen, bei den Beratungen über die Beziehungen zwischen Kirche und Staat, bei der Frage der Finanzstruktur und des Finanzausgleichs sowie bei der Wahlgesetzgebung (s. u.). Im Gegensatz zu ihrem Verhalten im Wirtschaftsrat und in den Länderparlamenten waren die Parteien jedoch — mit Ausnahme der Kommunisten — ständig um einen Kompromiß bemüht. Man wollte ein Eingreifen der Alliierten soweit als möglich ausschließen. Zudem wußten die beiden großen Parteien nicht, wer von den beiden nach der Verabschiedung des Grundgesetzes als stärkste Partei aus den Wahlen hervorgehen würde und dann mit der Verfassung regieren mußte. Der Parlamentarische Rat verabschiedete die Verfassung am 8. Mai 1949 mit 53 Stimmen (27 der SPD, 21 der CDU, fünf der FDP) bei zwölf Gegenstimmen (sechs der CSU, je zwei des Zentrums, der DP und KPD). Nach der Ratifizierung durch die Länderparlamente — nur Bayern lehnte die Verfassung ab, war aber bereit, sich der Bundesrepublik anzuschließen, falls die übrigen Landtage die Verfassung billigen sollten — und der Konstituierung von Bundestag und Bundesrat sowie der Wahl des Bundespräsidenten und des Bundeskanzlers trat das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland am 15. September 1949 in Kraft. Die Verfassung enthielt infolge der Erfahrungen der Weimarer Republik und des „Dritten Reiches", die die Verfassungsberatungen in ganz entscheidendem Maße geprägt haben, zwei Grundmerkmale: eine ausgewogene bundesstaatlidi-föderalistisdie Struktur, die den Dualismus zwischen Preußen und dem Reich ablöste und den nach dem Zweiten Weltkrieg territorial neugestalteten Bundesländern weitgehende Eigenständigkeit verlieh, sowie das parlamentarische Regierungssystem unter Ausschaltung jeglicher plebiszitär-demokratischer Verfassungselemente. Vor allem Stellung und Rechte des Staatspräsidenten wurden — gegenüber Weimar — stark eingeschränkt. Während der Reichspräsident durch unmittelbare Volkswahl bestellt wurde, sieht das Grundgesetz für die Wahl des Bundespräsidenten den indirekten Wahlmodus vor. Das Staatsoberhaupt wird für eine fünfjährige Amtsperiode — einmalige Wiederwahl ist zulässig — von der Bundesversammlung gewählt, die sich zusammensetzt „aus den Mitgliedern des Bundestages und einer gleichen Anzahl von Mitgliedern, die von den Volksvertretungen der Länder nach den Grundsätzen der Verhältniswahl gewählt werden" (Art. 54; ζ. Z. 1036 Mitglieder). Wählbar ist jeder Bürger über 40 Jahre, der das aktive Wahlrecht zum Bundestag besitzt. Der

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Verfassungssystem

Bundespräsident vertritt die Bundesrepublik völkerrechtlich und ernennt und entläßt alle Bundesbeamten, einschließlich des Bundeskanzlers und der Bundesminister. Im Gegensatz zur Weimarer Republik ist er jedoch an die Mehrheitsverhältnisse des Parlaments gebunden; die Ernennung bleibt trotz seines Vorschlagsrechts „Formalität, höchstinstanzliche Beurkundung" (F. K. Fromme). Auch die Prärogative der Parlamentsauflösung ist dem Bundespräsidenten fast vollständig genommen worden. Er kann den Bundestag nur dann auflösen, wenn das Parlament den Bundeskanzler nicht mit absoluter, sondern nur mit relativer Stimmenmehrheit gewählt hat, oder wenn dem Bundeskanzler auf dessen Antrag hin vom Parlament nicht das Vertrauen ausgesprochen wurde. Da es das vornehmste Ziel des Parlamentarischen Rates war, die Funktionsunfähigkeit parlamentarischer Regierung zu verhindern, stärkte der Verfassunggeber in dem Maße, in dem er die Einflußmöglidikeiten des Bundespräsidenten beschränkte, die Position des Bundeskanzlers und des Parlamentes. Ausschließlich dem Bundestag — „in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl" (Art. 38) für eine vierjährige Wahlperiode bestellt — steht das Recht zu, den Bundeskanzler zu wählen. Nach Artikel 63 ist er nicht an das Vorschlagsrecht des Bundespräsidenten gebunden und kann selbst mit absoluter Mehrheit seiner Mitglieder eine andere Persönlichkeit wählen. Die Funktionen des Parlaments erstrecken sich zudem auch auf die Kontrolle der Regierung und die Gesetzgebung. Letztere muß der Bundestag allerdings aufgrund der föderativen Struktur der Verfassung, die eine zweikammerige Legislative geschaffen hat, mit dem Bundesrat teilen. Alle Gesetze — sofern sie nicht in die alleinige Kompetenz des Bundes oder der Länder fallen (vgl. GG Art. 73/74) — bedürfen der Zustimmung beider Kammern. Im Gegensatz zur Weimarer Republik kann der Bundestag von der Ländervertretung abgelehnte Gesetze auch mit neuerlicher qualifizierter Mehrheit nicht beschließen. Nur bei Gesetzen, die nicht ausdrücklich der Zustimmung des Bundesrates unterliegen, ist dies möglich. Daß die Gesetzgebung unter diesen Bedingungen funktioniert, ist im wesentlichen das Verdienst des Vermittlungsausschusses. Diesem interparlamentarischen Gremium, dem je elf Mitglieder des Bundestages und Bundesrates angehören, ist es fast immer gelungen, zwischen den gegensätzlichen Standpunkten der beiden legislativen Organe zu vermitteln und eine für beide Kammern annehmbare Kompromißlösung auszuarbeiten. Der Bundesrat, der nicht nur als Gesetzgebungsorgan ein föderalistisches Gegengewicht zum Bundestag darstellt, sondern von dem zu-

Deutschland (Bundesrepublik)

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gleich audi eine Kontrolle der Regierung ausgehen kann, unterscheidet sich in seiner Struktur grundsätzlich vom Bundestag. Da die Wahlen zu den Länderparlamenten nidit gleichzeitig abgehalten werden, ist der Bundesrat ein permanent tagendes Parlament, das an keine Legislaturperiode gebunden ist. Die Ländervertretung besteht z. Z. aus 45 „ex-officio" bestellten Mitgliedern der Länderregierungen, wobei jedes Bundesland aufgrund seines Bevölkerungsanteils vertreten ist (s. SystT.). Die Mitglieder werden von den Länderregierungen ernannt, beauftragt, bevollmächtigt und abberufen und müssen diesen als Kabinettsmitglieder angehören. Sie sind in der Regel Parteimitglieder, üben aber kein freies Mandat aus, sind an die Weisungen ihrer Regierungen (sehr häufig Koalitionsregierungen) gebunden und können ihre Stimmen nur einheitlich für jedes Land abgeben. Die Stellung des Bundeskanzlers und sein Verhältnis zum Bundestag basieren gegenüber Weimar auf drei entscheidenden Änderungen: der Wahl durch das Parlament, der parlamentarischen Alleinverantwortlichkeit und dem konstruktiven Mißtrauensvotum. Nach Artikel 67 kann der Bundestag dem Bundeskanzler nur dann das Mißtrauen aussprechen, wenn er mit der Mehrheit seiner Mitglieder einen Nachfolger bestellt. Das Grundgesetz verhindert durch diese Regelung, daß parlamentarische ad-hoc-Mehrheiten die Regierung stürzen oder aber die Regierungstätigkeit blockieren können. Zudem übt das konstruktive Mißtrauensvotum auf die Parteien einen nicht unerheblichen Druck aus, sich zur Mehrheitsbildung im Parlament zusammenzufinden. Nach Artikel 65 bestimmt der Bundeskanzler die Richtlinien der Politik und ist für seine Handlungen dem Bundestag verantwortlich. Diese Richtlinienkompetenz — in erster Linie als Reaktion auf die heterogenen Koalitionskabinette Weimars geschaffen — betrifft vor allem sein Verhältnis gegenüber den Bundesministern, die formal nur ihm verantwortlich sind, vom Parlament nicht bestellt und audi nicht durch ein Mißtrauensvotum abberufen werden können. Durch diese Verfassungsbestimmungen ist eine starke Regierungsgewalt zwar angelegt, die innenpolitische Stabilität in der Bundesrepublik beruht jedoch keineswegs ausschließlich auf der Neukonstruktion der Verfassung. Zur Funktionsfähigkeit des parlamentarischen Regierungssystems trug vor allem audi die gegenüber dem Kaiserreich und Weimar grundsätzlich veränderte Struktur des Parteiensystems bei, das von der unterschiedlichen Wahlgesetzgebung und in sehr starkem Maße von einem zunehmend polarisierten Wahlverhalten bestimmt wurde. Die Diskussionen um das Wahlsystem in der Bundesrepublik waren und sind noch heute von den Erfahrungen der Weimarer Republik

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Parlamentarischer Rat und Wahlsystem/Wahlgesetz 1949

gekennzeichnet. Namhafte Repräsentanten der politischen Wissenschaft und der Publizistik sowie zahlreiche Politiker sprachen sich gegen den Proporz aus und forderten ein der parlamentarischen Regierung konformes Wahlsystem. Im Wahlrechtsausschuß des Parlamentarischen Rates, der sich entsprechend der Stärke der einzelnen Fraktionen aus je vier Abgeordneten der CDU/CSU und SPD sowie je einem Abgeordneten der FDP und KPD zusammensetzte, waren im Gegensatz zur Weimarer Nationalversammlung alle Parteien davon überzeugt, daß ein funktionsfähiges parlamentarisches Regierungssystem in entscheidendem Maße bereits durch das Wahlrecht bestimmt würde. An die Wiedereinführung der reinen Proportionalwahl Weimarer Prägung dachte deshalb niemand. Indes, die relative Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen, wie die CDU/CSU sie forderte, wurde von der Mehrheit des Wahlrechtsaussdiusses ebenfalls abgelehnt. Seine Aufgabe sah der Ausschuß schließlich darin, ein Wahlsystem zu schaffen, das (nach der vorherrschenden Terminologie) Elemente der Verhältnis- und Mehrheitswahl enthalten und so gestaltet sein sollte, daß es einer möglichen Parteienzersplitterung erfolgreich entgegenwirken könne. Trotz dieser grundsätzlichen Ubereinstimmung einigte man sich anfänglich nicht auf einen Kompromiß. Beide großen Parteien versuchten, bei der Kombination von Elementen der Mehrheits- und Verhältniswahl das von ihnen verfochtene Wahlsystem soweit als möglich durchzusetzen. In den Vorschlägen der SPD überwog die Proportionalwahl; in einem Wahlkreis sollten bei lose gebundener Liste, mehreren Stimmen je Wähler und der Möglichkeit des Panaschierens (-> S. 44) sechs Abgeordnete nach der Methode d'Hondt (-+ S. 48 f.), sowie als proportionaler Ausgleich zusätzlich zwei Abgeordnete über eine Landes- oder Bundesliste nach dem Wahlzahlverfahren (-»- S. 46) gewählt werden. Der Entwurf der CDU/CSU hingegen sah die relative Mehrheitswahl mit Ergänzungsliste nach Proportionalwahl vor; von den rund 400 Abgeordneten sollten 300 in Einerwahlkreisen und nur 100 über die Ergänzungsliste gewählt werden. Auch bei den weiteren Diskussionen, in denen eine Reihe neuer Vorlagen ausgearbeitet wurden, gelang es nicht, eine Einigung der Parteien zu erreichen. Die CDU/CSU lehnte ein Wahlsystem ab, bei dem zwar die Hälfte der 400 Abgeordneten nach relativer Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen gewählt, der Mandatsanteil der Parteien jedoch ausschließlich nach einer Methode der Verhältniswahl ermittelt werden sollte. Für diesen von den Sozialdemokraten vorgelegten Kompromißvorschlag, Grundlage der Wahl zum ersten Bundestag, stimmten sowohl im Wahlrechts- und Hauptausschuß als auch im Plenum

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des Parlamentarischen Rates neben der SPD auch die kleineren Parteien, denen die relative Mehrheitswahl zweifellos die Existenzgrundlage genommen hätte. Das Wahlgesetz vom 15. Juni 1949 — vor den Wahlen zum zweiten und dritten Bundestag am 8. Juli 1953 bzw. 7. Mai 1956 abgeändert — ist in seinen wesentlichen Punkten noch heute gültig (s. SystT.). Aktiv wahlberechtigt sind alle Männer und Frauen, die sich im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte befinden und das 21. Lebensjahr vollendet haben. Das passive Wahlrecht besitzt jeder Wahlberechtigte über 25 Jahre. Inkompatibilität besteht für den Bundespräsidenten, die Bundesverfassungsrichter und alle Beamten sowie Angestellten des öffentlichen Dienstes; allerdings können diese Personen rechtswirksam gewählt werden, müssen jedoch bei Annahme der Wahl entweder aus ihrem Amt ausscheiden oder in den zeitweiligen Ruhestand versetzt werden. Die Zahl der Abgeordneten war für die Wahl zum ersten Bundestag auf 400 festgelegt und wurde 1953, 1956 und 1963 auf 484, 494 bzw. 496 erweitert (s. Tab. A 21; Tab. A 23). Die gesetzliche Abgeordnetenzahl kann jedoch infolge des Wahlsystems durch die sog. Uberhangmandate (s. u.) geringfügig überschritten werden; dem Bundestag gehörten 1949: 402; 1953: 487; 1957: 497; 1961: 499 und 1965: 496 Abgeordnete an (s. Tab. A 21). Hinzu kommen noch die 1949: 19 und seit 1953: 22 Berliner Abgeordneten des Bundestages (s. Tab. A 22), die vom Berliner Abgeordnetenhaus proportional den Fraktionsstärken bestellt werden, im Bundestag aber aufgrund des besonderen Status von Berlin nur eine beratende Funktion haben; ihre Stimmen werden bei Abstimmungen gesondert ausgezählt und nicht mitgewertet (Ergebnisse der Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus s. Tab. A 25). Gemäß dem Wahlsystem wurde das Wahlgebiet für die erste Bundestagswahl in 242 Einerwahlkreise eingeteilt (s. Tab. A 20). Die Wahlkreiseinteilung war im allgemeinen an den bestehenden Verwaltungsbezirken orientiert und berücksichtigte nach Möglichkeit Stadt- und Landkreisgrenzen. Aber bereits bei der Wahl von 1953 war das Größenverhältnis der Wahlkreise infolge der Binnenwanderung sowie des unterschiedlichen Bevölkerungswachstums recht deutlich verzerrt. Im größten Wahlkreis, Gelsenkirchen, lebten 247 000 Wahlberechtigte, im kleinsten, Recklinghausen-Stadt, hingegen nur 79 300, während im Bundesdurchschnitt auf 137 000 Wahlberechtigte ein Wahlkreismandat entfiel. In zwölf der 242 Wahlkreise betrug die Abweichung vom Bundesdurdischnitt mehr als 40 v. H., in 18 mehr als 30 v. H., nur in 97 Wahlkreisen war sie geringer als zehn von Hundert. Trotz

288

Wahl der Parlamente

Groß-Tabelle G VI: Das Wahlredit in den Ländern der Bundesrepublik Deutschland Bundesland Parlament Gesetzliche Grundlagen: Vf. = Verfassung L W G = Landeswahlgesetz VoLW = Verordnung für L W WO = Wahlordnung

E r f o r d e r n i s s e für

Wahlsystem

Aktives Wahlrecht

Passives Wahlrecht

Landtag 60 A b g . 4 Jahre

Alle im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte befindlichen B ü r g e r über 21 J a h r e ( M ä n n e r und F r a u e n )

aktives Wahlrecht, 25 J a h r e

V e r h ä l t n i s w a h l starrer Liste. 1 S t i m m e je W ä h l e r ; 12 W a h l k r e i s e . S i t z v e r t e i l u n g a u f L a n d e s e b e n e nach W a h l z a h l verfahren ( - > S . 4 6 )

Baden-Württemberg V f . v. 11.11.1953 L W G v. 2 7 . 4 . 1 9 5 5

Landtag 120 A b g . 4Jahre

s. B a d e n

s. B a d e n

Personalisierte Verhältniswahl 1 S t i m m e je W ä h l e r ; 70 Wahlkreise. D i e Sitze werden über L i s t e n a u f R e g i e r u n g s b e z i r k s e b e n e nach der M e t h o d e d ' H o n d t ( - > S . 4 8 ) verrechnet. D i e in W a h l kreisen mit relativer M e h r h e i t e r r u n g e n e n D i r e k t m a n d a t e werden davon s u b t r a h i e r t . D i e restlichen S i t z e erhalten die B e w e r b e r mit den n ä c h s t h ö c h s t e n S t i m m e n z a h l e n im R e g i e r u n g s b e z i r k . B e i U b e r h a n g m a n d a t e n e r f o l g t p r o p o r t i o n a l e r Ausgleich. S p e r r k l a u s e l : mindestens 596 der abgegebenen Stimmen

Bayern

Zwei Kammern: I. Landtag 1) 180 A b g . 4Jahre

. Baden

s. B a d e n

1) V e r h ä l t n i s w a h l lose g e b u n d e n e r L i s t e ; 1 S t i m m e je W ä h l e r : 5 W a h l k r e i s e . S i t z v e r t e i l u n g a u f W a h l kreisebene nach der M e t h o d e H a g e n b a c h - B i s c h o f f ( - > S . 4 6 ) ; R e s t m a n d a t e a u f L a n d e s e b e n e nach der M e t h o d e d ' H o n d t ( - > S . 4 8 ) . S p e r r k l a u s e l : mindestens in 1 W a h l k r e i s 10% der a b g e g e b e n e n S t i m m e n . 2) Personalisierte Verhältniswahl lose gebundener Liste. 2 Stimmen je W ä h l e r ; 7 Wahlkreise. 102 Sitze nach relativer Mehrheitswahl in 102 Wahlbezirken. Mandatsverteilung auf Wahlkreisebene nach der Methode d'Hondt ( - > S . 4 8 ) ; die in den Stimmbezirken errungenen Mandate werden von der Gesamtzahl subtrahiert; bei Überhangmandaten erfolgt kein Ausgleich. Sperrklausel: s.o.

Baden V f . v. 22. 5 . 1 9 4 7 V o L W v. 10. 4. 1947

V f . v. 2 . 1 2 . 1 9 4 6 1) L W G v. 3 . 1 0 . 1 9 4 6

2) L W G v. 29. 3 . 1 9 4 9

2 ) 204 Abg. 4 Jahre

Ges. über den Senat v. 31.7.1947

IL Senat 60 Mgl. 6 Jahre aflc 2 j a h re V> Erneuerung

Berlin

l ) Stadtverordnetenversammlung 130 A b g . 2 Jahre

Groß-Berlin V o r l . V f . v. 17.8.1946 1) W O v. 1 7 . 8 . 1 9 4 6

West-Berlin V f . v. 1 . 9 . 1 9 5 0 2) L W G v. 4 . 8 . 1 9 5 4 3 ) L W G v. 2 8 . 3 . 1 9 5 8

2)u.3) Abgeordnetenhaus 200 Abg. 4 Jahre

V o n berufsständischen Organisationen, Religionsgemeinschaften und Gemeinden in geheimer A b s t i m m u n g g e w ä h l t ; Vertreter der Religionsgemeinschaften ernannt. Alle im Besitz der bürgerlichen und politischen Ehrenrechte befindlichen B ü r g e r über 2 0 J a h r e (Männer und F r a u e n )

s. Baden

l ) Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r . Wahlkreise = Verwaltungsbezirke. Sitz Verteilung auf Wahlkreisebene nach Wahlzahlverfahren ( - > S . 4 6 ) , D i e R e s t m a n d a t e nach Stadtwahlvorschlägen nach der Methode d'Hondt ( - > S . 4 8 ) .

2) s.o. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen. 3) Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 S t i m m e je W ä h l e r ; 120 Wahlkreise. Mindestens 80 Sitze über Listen. Mandatsverteilung auf Landesebene nach der M e t h o d e d'Hondt ( - > S. 4 8 ) ; die in Wahlkreisen errungenen Mandate werden von der Gesamtzahl subtrahiert. 120 Sitze nach relativer Mehrheitswahl. Bei Uberhangmandaten erfolgt proportionaler Ausgleich. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen oder 1 Direktmandat.

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Deutschland (Bundesrepublik)

Bundesland Parlament Gesetzliche Grundlagen: Vf. = Verfassung LWG »Landeswahlgesetz V o L W = Verordnung für LW WO =Wahlordnung Bremen Vf. v. 21.10.1947 1) V o L W N r . 2 6 v . 13.4.; Nr. 28, 30 v. 15. 5.; Nr. 31,32 v. 30. 5.1946 u. Nr.43 gültig ab 30. 5.1946 für die Länder Bremen u. Hamburg 2) L W G v. 9.9.1947

Erfordernisse für Aktives Wahlrecht

l ) Bürgerschaft s. Baden 80 Abg. 9Jahre

Passives Wahlrecht

s. Baden

2)u.3) Bürgerschaft 100 Abg. (20 Abg. aus Bremerhaven) 4Jahre

3) Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 2 Wahlkreise. Sitzverteilung auf Wahlgebietsebene nach der Methode d'Hondt (-> S.48). Sperrklausel s.o. Bürgerschaft 1) 110 Abg. 3 Jahre

s. Baden

s. Baden

2) u.3)

3.) L W G v . 6 . 1 2 . 1 9 5 6 * )

2) LWG v. 18.9.1950

Landtag l ) 90 Abg. 4 Jahre

s. Baden

2) 96 Abg. 4Jahre

· ) S.Nachtrag der Redaktion, S. 345 19

l ) Personalisierte Verhältniswahl lose gebundener Liste (Kumulationsverbot). 4 Stimmen je Wähler; 21 Wahlkreise. Sitzverteilung in den Wahlkreisen nach relativer Mehrheitswahl (84 Sitze). Sitzverteilung über Listen: Stimmenüberschuß aller Direktmandate über den erfolglosen Bewerber mit dem höchsten Stimmenanteil durch Anzahl der Listensitze plus 1. Das um eins erhöhte Ergebnis ist die Quote, mit der ein Bewerber als gewählt gilt. Restmandate für die Listen mit den größten Resten. 2) Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r ; 72 Wahlkreise. 72 Sitze nach relativer Mehrheitswahl. 48 Sitze über Listen nach der Methpde d'Hondt ( - > S . 4 8 ) . Stimmenzahlermittlung pro Partei für Sitzverteilung über Listen: Stimmenüberschuß der Direktmandate über erfolglosen Bewerber mit dem höchsten Stimmenanteil plus Stimmen aller erfolglosen Bewerber. 3) Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 1 Wahlkreis. Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt ( - > S . 4 8 ) . Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen.

120 Abg. 4 Jahre

Hessen Vf. v. 1.12.1946 1) LWG v. 14.10.1946

l ) Personalisierte Verhältniswahl lose gebundener Liste. (Kumulationsverbot). Jeder Wähler hat soviel Stimmen wie Direktmandate auf Wahlkreisebene zu bestellen sind. Sitzverteilung in den Wahlkreisen nach relativer Mehrheitswahl (64 Sitze). Sitzverteilung über Listen: Stimmenüberschuß aller Direktmandate über den erfolglosen Bewerber mit dem höchsten Stimmenanteil durch Anzahl der Listensitze plus 1. Das um 1 erhöhte Ergebnis ist die Quote, mit der ein Bewerber als gewählt gilt. Restmandate für die Listen mit den größten Resten 2) Verhältniswahl starrer Liste und Einzelwahlvorschläge. 1 Stimme je Wähler; 2 Wahlkreise. Sitzverteilung: Gesamtstimmen im Wahlbereich minus Stimmen der Parteien unter Sperrklausel und Stimmen für Einzelbewerber durch Anzahl der Abgeordnete minus Zahl der gewählten Einzelbewerber. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen.

3) L W G v . 22.4.1955

Hamburg Vorl. Vf. v. 15.5.1946 Vf. v. 6.6.1952 1) VoLW Nr. 26 v. 13.4.; Nr. 28,30v. 15.5.; Nr. 31,32 v. 30.5.1946 und Nr.43 gültig ab 30.5.1946 für die Länder Bremen und Hamburg 2) L W G v . 18.8.1949

Wahlsystem

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

s. Baden

l ) Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 15 Wahlkreise. Sitzverteilung über Kreis- und Landeslisten nach Wahlzahlverfahren. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen. 2) Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 48 Wahlkreise. Sitzverteilung auf Landesebene nach der Methode d'Hondt (->S.48). Die mit relativer Mehrheit errungenen Direktmandate werden davon subtrahiert. Bei Uberhangmandaten erfolgt proportionaler Ausgleich. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen.

Wahl der Parlamente

290 Fortsetzung Groß-Tabelle G VI Bundesland Parlament Gesetzliche Grundlagen: Vf. ^Verfassung LWG = Landeswahlgesetz VoLW — V e r o r d n u n g f ü r LW WO -Wahlordnung

Erfordernisse für

Aktives Wahlrecht

Passives Wahlrecht

Wahlsystem

Niedersachsen Vorl. Vf. v. 13.4.1951 LWG v. 31.3.1947

Landtag 149 Abg. 4 Jahre

s. Baden

s. Baden

Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 95 Wahlkreise. Sitzverteilung auf Landesebene nach der Methode d'Hondt ( > S.48). Die mit relativer Mehrheit errungenen Direktmandate werden davon subtrahiert. Bei Überhangmandaten erfolgt proportionaler Ausgleich. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen oder 1 Direktmandat.

Nordrhein-Westfalen Vf. v. 28.6.1950 LWG v. 22.1.1947

Landtag s. Baden 150 Abg. plus 33V} der 150 Direktmandate 3 Jahre (ab 11.3.1950 4 Jahre)

s. Baden

Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r ; 150 Wahlkreise. 150 Direktmandate nach relativer Mehrheitswahl. Verteilung der restlichen Sitze über Landeslisten im Verhältnis zum Stimmenanteil der Parteien (Gesamtsitzzahl: 33% mehr als Direktmandate). Bei Überhangmandaten erfolgt proportionaler Ausgleich. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen.

Rheinland-Pfalz Vf. v. 18. 5.1947 1) LWG v. 27. 3.1947 2) LWG v. 7.12.1950

Landtag l)«-2) 100 Abg. 4 Jahre

s. Baden

s. Baden

l) Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 5 Wahlkreise. Sitzverteilung auf Wahlkreisebene nach Wahlzahlverfahren ( » S . 4 6 ) . 2) Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler; 7 Wahlkreise. Sitzverteilung auf Wahlkreisebene nach Wahlzahl verführen ( > S.46). Restmandate für die Listen mit den größten Resten. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen.

Saarland Vf. v. 15-12.1947 1) V über die Wahl zur Gesetzgeb. Versammlung v. 29.8.1947 2) LWG v. 18.11.1955

Landtag 1) 50 Abg. 5 J a h r e (vorgesehen alle 2 J a h r e 1/3 Erneuerung) 2) 50 Abg. 5 Jahre

Alle im Besitz der s. Baden bürgerlichen und politischen Ehrenrechte befindlichen Bürger über 20Tahre (Männer und Frauen

3) LWG v. 29.9.1960

1) Verhältniswahl starrer Liste. Listenverbindung unzulässig; lStimme je Wähler; 3Wahlkreise. Sitzverteilung auf Wahlkreisebene nach modifizierter Methode d'Hondt ( > S.48). Zunächst erhält jede Wahlliste nach der Division durch eins ein Mandat zugesprochen; erst dann erfolgen Division und Sitzzuteilung nach der Methode d'Hondt, indem die Stimmenzahlen der Wahllisten so lange durch die jeweils bereits erhaltene Zahl der Mandate plus eins dividiert werden, bis die Gesamtzahl der im Wahlkreis zu vergebenden Sitze erreicht ist. 2) Verhältniswahl starrer Liste. l S t i m m e je W ä h l e r ; 3 Wahlkreise. Sitzverteilung nach der Methode d ' H o n d t (->S.48). Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen. 3) Verhältniswahl starrer Liste. lStimme je Wähler; 3 Wahlkreise. Sitzverteilung nach der Methode d'Hondt ( » S.48). Zunächst werden nach der Methode d'Hondt die 50 Mandate auf Landesebene an die Parteien vergeben; sodann werden ebenfalls nach der Methode d'Hondt 40 der 50 Mandate entsprechend den Gesamtstimmenzahlen in den 3 Wahlkreisen auf diese verteilt; im 3. Zuteilungsverfahren werden die 40 Mandate auf die Wahlkreislisten der Parteien wiederum nach der Methode d'Hondt verteilt; sich ergebende Mandatsdifferenzen (Mandate der Parteien auf Landesebene abzüglich den in den Wahlkreisen erhaltenen Mandaten) werden durch die 10 restlichen Mandate über Landeswahlvorschläge der Parteien ausgeglichen.

291

Deutschland (Bundesrepublik)

Bundesland Parlament Gesetzliche Grundlagen: Vf. = Verfassung L W G = Landeswahlgesetz VoLW = V e r o r d n u n g f ü r LW WO »Wahlordnung Schleswig-Holstein Vf. v. 13.12.1949 l ) LWG v. 31.1.1947

2) LWG v. 27.2.1950

3) LWG v. 18.3.1966

Landtag 1) 70 Abg. zunächst 3 J a h r e , dann 4 Jahre

Erfordernisse für

Aktives Wahlrecht

Passives Wahlrecht

s. Baden

s. Baden

2) 69 Abg. 4Jahre

3) 73 Abg. 4Jahre

Wahlsystem

l) Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r ; 42 Wahlkreise. 42 Direktmandate nach relativer Mehrheit. 28 Sitze über Landeslisten nach der Methode d'Hondt (->S.48). Stimmenzahl p r o Partei: Stimmenüberschuß der Direktmandate über den erfolglosen Bewerber mit der höchsten Stimmenzahl plus Stimmenzahl aller erfolglosen Bewerber. Sperrklausel: mindestens 1 Direktmandat. 2) Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r ; 42 Wahlkreise. 42 Direktmandate nach relativer Mehrheitswahl. 23 Sitze über Landeslisten nach der Methode d ' H o n d t (-^S. 48). Stimmenzahl pro Partei: Stimmenüberschuß der Direktmandate über den erfolglosen Bewerber mit der höchsten Stimmenzahl plus Stimmenzahl aller erfolglosen Bewerber. Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen oder 1 Direktmandat; Ausnahme: Parteien nationaler Minderheiten. 3) Personalisierte Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r ; 44 Wahlkreise. 44 Direktmandate nach relativer Mehrheitswahl. Restmandate über Landesliste nach der Methode d ' H o n d t (-^S.48). Bei Überhangmandaten erfolgt kein Ausgleich. Sperrklausel: s.o.

Württemberg-Baden Vf. v. 24.9.1946 LWG v. 16.10.1946

Landtag 100 Abg. 4 Jahre

s. Baden

s. Baden

Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je Wähler. 26 Wahlkreise. 85 Sitze über Kreis- und 15 über Landeslisten nach Wahlzahlverfahren ( >S. 46). Sperrklausel: mindestens 5% der abgegebenen Stimmen.

Württemberg-Hohenzollern Vf. v. 20. 5.1947 LWG v. 2.4.1947

Landtag 60 Abg. 4 Jahre

s. Baden

s. Baden

Verhältniswahl starrer Liste. 1 Stimme je W ä h l e r ; 50 Wahlkreise. 50 Sitze über Kreis- und 10 über Landeslisten nach Wahlzahlverfahren (->S. 46).

dieser teilweise erheblichen Ungleichheit des Stimmenwertes erfolgte weder für die Wahl von 1953 noch für die Wahlen von 1957 und 1961, als nach der Wahlgesetzänderung gemäß Paragraph drei die Abweichung maximal 33V3 vom Bundesdurchschnitt betragen sollte (s. SystT.), eine Neueinteilung der Wahlkreise. Durch die Rückgliederung des Saarlandes im Jahre 1957 wurde nur die Zahl der Wahlkreise um fünf auf 247 erweitert. Erst als das Bundesverfassungsgericht 1963 die Wahlkreiseinteilung für verfassungswidrig erklärte, wurde die dringend notwendige Revision durchgeführt. Die Zahl der Wahlkreise wurde auf 248 erhöht (s. Tab. A 20). Von der Neueinteilung waren 152 Wahlkreise betroffen. In den Ländern Bremen, Hamburg, Hessen und Saarland blieb die Anzahl der Wahlkreise unverändert (s. Tab. A 20). In Niedersachsen wurde die Anzahl der Wahlkreise um vier, in Bayern und Schleswig-Holstein um je drei verringert; in Nordrhein-Westfalen erhöhte sie sich um sieben, in BadenWürttemberg um drei und in Rheinland-Pfalz um einen Wahlkreis.

292

Bundestagswahlsystem

Der Bundestag wird seit 1949 unverändert „nach den Grundsätzen einer mit der Personenwahl verbundenen Verhältniswahl" (Wg § 1) gewählt. Dieses System der „personalisierten Verhältniswahl" — in ähnlicher Weise mit zahlreichen Varianten bei einigen Landtagswahlen angewandt (s. Tab. G VI) — versucht Mehrheitswahl und Proportionalwahl, Personenwahl und Listenwahl zu kombinieren, indem jede Stimme in zwei Teilstimmen aufgespalten, diese dann gesondert ausgezählt und eine Hälfte der Abgeordneten auf Wahlkreisebene, die andere Hälfte über Landeslisten (1949 im Verhältnis 60 zu 40; 242 Abgeordnete in Wahlkreisen, 158 über Landeslisten) gewählt werden. Während zur Wahl des ersten Bundestages jeder Wähler nur eine Stimme hatte, verfügt er seit der Modifizierung des Wahlgesetzes von 1953 über zwei Stimmen, über eine „Erststimme" zur Wahl eines Direktmandats in Einerwahlkreisen — gewählt ist, wer die relative Mehrheit der Stimmen auf sich vereinigt —, sowie eine „Zweitstimme" für die Wahl einer starren Parteiliste auf Länderebene. Zur Berechnung der Mandatszahl der einzelnen Parteien wird jedoch ausschließlich der prozentuale Stimmenanteil der Parteien auf Länderbzw. seit der Wahlgesetzänderung von 1956 auf Bundesebene herangezogen. Das entscheidende Element bleibt so der Proporz. Berücksichtigt werden bei der Mandatszuteilung allerdings — mit Ausnahme von Parteien nationaler Minderheiten — nur die Parteien, die entweder fünf von Hundert der Stimmen oder eine bestimmte Zahl von Wahlkreismandaten erhalten haben. Die Sperrklausel — in das Wahlgesetz von den Ministerpräsidenten der Länder eingefügt — ist 1953 und 1956 erheblich verschärft worden. Während bei der ersten Bundestagswahl die Parteien nur in einem Bundesland fünf von Hundert der Stimmen oder ein „Direktmandat" zu erzielen brauchten, um Abgeordnete in den Bundestag entsenden zu dürfen, müssen sie seit 1953 im gesamten Bundesgebiet die Sperrklausel erreichen. 1956 wurde zudem die Zahl der Wahlkreismandate auf drei erhöht, so daß ζ. Z. — mit Ausnahme von Minderheitenparteien — nur die Parteien berücksichtigt werden, die im gesamten Bundesgebiet mindestens fünf von Hundert der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder mindestens drei Wahlkreismandate errungen haben. Nicht zuletzt die Sperrklausel hat in Verbindung mit anderen Entwicklungen im Parteiensystem die dem Verhältniswahlsystem in aller Regel immanente Parteienzersplitterung verhindert; jedoch stieg zunächst auch die Zahl der nicht verwerteten Stimmen an. So wurden bei der Wahl von 1953: 1 803 026 (6,5 v. H.) und 1957: 2 105 041 (6,9 v. H.) Stimmen nicht berücksichtigt. Bei den beiden letzten Bundestagswahlen ist sie jedoch auf 1961: 1 796 408 (5,7 v.H.) und 1965: 1 186 449 (3,6 v. H.) zurückgegangen (s. Tab. A21), da sich

Deutschland (Bundesrepublik)

293

die Anzahl der kandidierenden Parteien verringerte, die Sperrklausel allein durch ihre Existenz der Gründung neuer Parteien entgegenwirkte und zudem die Konzentration im Wahlverhalten erheblich zunahm. Die Sitzverteilung auf die Parteien erfolgte bei den Wahlen von 1949 und 1953 ausschließlich auf Länderebene nach der Methode d'Hondt (-»· S. 48 f.). Die Anzahl der jedem Bundesland zustehenden Mandate war vorher festgelegt; sie ergab sich aus dem Bevölkerungsanteil (s. Tab. A 21; A 23). Seit der Wahlgesetzänderung von 1956 ist unter Beibehaltung der Landeslisten die Bundesrepublik zu einem einheitlichen Wahlgebiet zusammengefaßt worden. Verbindungen der Landeslisten sind zulässig und üblich. Die Sitzverteilung wird in zwei Stufen jeweils nach der Methode d'Hondt durchgeführt. Zunächst werden im ersten Ermittlungsverfahren (s. Tab. A 24) alle auf die Landeslisten der Parteien, die die Sperrklausel erreicht haben, entfallenden gültigen Zweitstimmen addiert. Aufgrund dieser Gesamtzahl wird dann nach der Methode d'Hondt die jeder Partei im Bundestag zustehende Mandatszahl ermittelt. Im zweiten Zuteilungsverfahren errechnet man die Zahl der den Landeslisten einer Partei zustehenden Mandate: die Stimmenzahlen der Landeslisten werden dabei solange nach der Methode d'Hondt dividiert, bis die im ersten Ermittlungsverfahren errechnete Gesamtmandatszahl einer Partei auf Bundesebene erreicht ist (s. Tab. A 24). Erst dann erfolgt die Sitzverteilung auf die einzelnen Kandidaten. In Wahlkreisen errungene Mandate werden den Parteien von der im Lande erreichten Mandatszahl subtrahiert. Die restlichen Mandate werden den nicht im Wahlkreis gewählten Listenkandidaten zuerkannt, die auf der starren Landesliste am besten piaziert sind. Ubersteigt die Zahl der im Wahlkreis gewählten Bewerber einer Partei die Zahl der auf ihre Landesliste entfallenden Sitze, so bleiben ihr die sog. Überhangmandate erhalten. Ein proportionaler Ausgleich, wie er im Falle von Überhangmandaten bei den Landtagswahlen einiger Bundesländer (Baden-Württemberg, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen) durchgeführt wird, findet jedoch nicht statt. Das Höchstzahlverfahren der Methode d'Hondt, die Uberhangmandate und die Sperrklausel haben dazu geführt, daß die Mandatszahlen der Parteien nur äußerst selten dem prozentualen Stimmenanteil entsprachen. Es ergaben sich bei allen fünf Bundestagswahlen jedoch nur geringfügige Differenzen zwischen Stimmen und Mandaten. Wie Darstellung VII zeigt, war die CDU/CSU jeweils am meisten begünstigt. Bei den Wahlen von 1949 und 1953, als noch zehn bzw. sechs Parteien Mandate erhielten, erfolgte die Uberrepräsentation der drei stimmstärksten Parteien, CDU/CSU, SPD und FDP, wesentlich auf-

294

Wahlbewerbung und Kandidatenaufstellung

Darstellung V I I : Stimmen- und Mandatsanteil der Parteien bei den Bundestagswahlen v o n 1 9 4 9 — 1 9 6 5 60

m9

10

I» 20 10 0 60 50 W

"I s 30 •fc

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1953

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50 +3£

+ 1,0

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Stimmen

g

Mandate

*

ohne Mandat

+oj

1 nSriSrt?

CDU/CSU SPD FDP

Q

-0,2 -2,1 Π7Ι Ά. CDU/CSÜ SPD FDP DP KPD Sonstige

m

DP KPD Sonstige

1957

Γ -

A +2,2

I

20 +0,0 10 ΓΎΆ CDU/CSU SPD FDP DP 0

1961

19S5

+3,2 Μ

+1Λ

+1,8

1

+0,7

1

CDU/CSU SPD FDP

+0J y,

n

CDU/CSU SPD FDP

(Zu den exakten Zahlen siehe Tab. A 2 1 )

grund der Methode d'Hondt; seit der Wahl von 1957 beruht die Differenz von Stimmen und Mandaten hingegen in erster Linie auf der Wirkweise der Sperrklausel. Die Mandatszahl aller Parlamentsparteien — mit Ausnahme der DP — überstieg dabei ihren prozentualen Stimmenanteil. Im Hinblick auf die Wahlbewerbung ist durch die personalisierte Verhältniswahl ein bemerkenswerter Kompromiß geschaffen worden. Die Aufstellung der Kandidaten erfolgt in zwei getrennten Verfahren (s. SystT.). Die Bewerber auf den Landeslisten werden von Landesdelegiertenkonferenzen nominiert. Die Nomination des Wahlkreisbewerbers wird hingegen in geheimer Abstimmung entweder von den Mitgliedern selbst oder von einer Delegiertenkonferenz des Wahlkreises durchgeführt. Der Landesvorstand besitzt zwar ein Vetorecht, das aber durch eine neuerliche Abstimmung aufgehoben werden kann.

Deutschland (Bundesrepublik)

295

Die Methoden der Kandidatenaufstellung werden in den Ländern sowie in den Parteien unterschiedlich gehandhabt. Zudem hängt die Nomination selbst in sehr starkem Maße von den örtlichen Gegebenheiten ab, von der sozialen, wirtschaftlichen, sowie konfessionellen Struktur des Wahlkreises wie der einzelnen Partei im Wahlkreis, von der Chance der Partei, das Direktmandat zu gewinnen, u. a. m. Im wesentlichen sind es jedoch vier Kriterien, die die Auswahl des Wahlkreisbewerbers bestimmen: das Prestige durch ein bereits innegehabtes Mandat, die Anziehungskraft auf neue Wählerschichten, die fachliche Qualifikation und die Funktion in der Parteiorganisation. Der Einfluß der Bundes- und Landesvorstände auf die Auswahl der Wahlkreiskandidaten ist bei allen fünf Bundestagswahlen relativ gering gewesen. In der Regel machten die zentralen Parteigremien von ihrer Einspruchsmöglichkeit keinen Gebrauch; wo es doch geschah, sind sie in mehreren Fällen von den Wahlkreisdelegierten überstimmt worden. Dennoch können auch diese nicht losgelöst von den Interessen der Bundespartei handeln. Vor allem bei bekannten Bundespolitikern oder besonders einflußreichen Repräsentanten der verschiedenen innerparteilichen Interessengruppierungen wird deren Wunsch, in einem bestimmten Wahlkreis zu kandidieren, meist respektiert. Für das Verhältnis von Wahlkreis- und Listenkandidaten gilt, daß den Wahlkreiskandidaten in der Regel auch aussichtsreiche Listenplätze eingeräumt werden. So hatten sich z . B . 1957 von den 123 Listenabgeordneten der S P D 105 gleichzeitig auch im Wahlkreis beworben; noch eindeutiger ist dieses Verhältnis bei der C D U / C S U : von den 270 Abgeordneten kandidierten nur 54 nicht im Wahlkreis. 1965 haben von den 248 Listenabgeordneten 197 gleichzeitig auch im Wahlkreis kandidiert. Daraus folgt, daß keine deutliche Trennungslinie zwischen den im Wahlkreis sowie den über die Landeslisten gewählten Abgeordneten gezogen werden kann; Listen- wie Wahlkreisabgeordnete fühlen sich in gleichem Maße dem Wahlkreis, in dem sie kandidierten, verpflichtet, ob sie über den Wahlkreis oder über die Landesliste gewählt wurden. Die Auswahl der Listenkandidaten unterscheidet sich von Land zu Land und von Partei zu Partei. Hierbei ist vor allem zu berücksichtigen, daß die Chancen der Parteien, das Direktmandat zu gewinnen, in den Ländern recht unterschiedlich sind. So muß die Landesdelegiertenkonferenz der SPD in Hamburg versuchen, ihre Kandidaten gleichzeitig in den Wahlkreisen von den Wahlkreiskonferenzen nominieren zu lassen, da in Hamburg ζ. B. bei der Wahl von 1965 die SPD alle acht Wahlkreismandate und nur ein Listenmandat erhielt. In Bayern hingegen, wo die Sozialdemokraten 1965 nur in acht der 43 Wahlkreise die relative Mehrheit der Erststimmen erreichen konn-

296

Parteiensystem

ten, jedoch insgesamt 30 Mandate erzielten, muß die Partei darauf bedacht sein, die Kandidaten, die sie unbedingt gewählt sehen möchte, auf der Landesliste abzusichern. Dies gilt in noch weitaus stärkerem Maße für die kleineren Parteien, die nur geringe Chancen haben, Direktmandate zu gewinnen, während die Abgeordneten der CDU/ CSU in ihrer überwiegenden Mehrheit Wahlkreisabgeordnete sind (1949 waren von insgesamt 139 Abgeordneten 115 Wahlkreisabgeordnete; 1953: von 243 Abgeordneten 172; 1957: von 270 Abgeordneten 190;1961: von 242 Abgeordneten 156; 1965: von 245 Abgeordneten 154). Bei der Zusammenstellung der Landeslisten werden in der Regel ähnliche Maßstäbe wie bei der Auswahl der Wahlkreiskandidaten berücksichtigt; jedoch treten regionale Gesichtspunkte, die innerparteiliche Struktur und die Stellung der Interessenverbände innerhalb der Parteien in den Vordergrund. Zudem sind die Parteien bemüht, altersmäßig einen gewissen Ausgleich zu erreichen, die Trennung von Stadt und Land zu verhindern sowie den Frauen eine gewisse Anzahl von Mandaten einzuräumen (von den 36 weiblichen Abgeordneten des fünften Bundestages sind nur acht im Wahlkreis, 28 über die Landeslisten gewählt worden). Einige Bedeutung kommt auch der Fraktionsplanung zu; Sachverständige, Fachleute und Experten der verschiedensten Berufe, Wissenschaftsbereiche, Wirtschaftssparten können von den Parteien auf einen günstigen Listenplatz gesetzt werden. Trotz des Wahlsystems, dessen Kern, die Proportionalwahl, in der Regel dem Entstehen eines Parteienpluralismus nicht entgegenwirkt, sind Wahlverhalten und Parteiensystem der Bundesrepublik (s. Darst. VIII) von einem Konzentrationsprozeß bestimmt, der als „das deutsche Wahlwunder" bezeichnet wurde. Zunächst ergab im Vergleich zu den Landtagswahlen von 1946 bis 1948 die Wahl zum ersten Bundestag von 1949 eine zunehmende Parteienzersplitterung, die sich nadi der Aufhebung des Lizenzzwanges durch die „Alliierte Hohe Kommission" vom 14. Januar 1950 bei den folgenden Landtagswahlen (s. Tab. A 26) noch wesentlich verstärkte. Es entstanden etwa 30 neue Parteien, die mindestens bei einer Landtagswahl Kandidaten nominierten. Die Gefahr, daß sich erneut — wie im Kaiserreich und in der Weimarer Republik — ein vornehmlich an weltanschaulichen sowie sozialen und wirtschaftlichen Interessen orientiertes, heterogenes Vielparteiensystem herausbilden könnte, wurde vor allem durch die meist regional begrenzten Wahlerfolge der neugegründeten Parteien deutlich. So erreichte in Bayern die stark föderalistisch, teilweise sogar partikularistisch gesinnte „Bayern-Partei" (BP) bei der Bundestagswahl von 1949

Deutschland (Bundesrepublik)

29 7

298

Bestimmungsfaktoren des Parteiensystems

20,9 ν. H. der Stimmen und gewann elf der 47 Direktmandate Bayerns. Im norddeutschen Raum erhielt die DP in Bremen 18 v. H., in Niedersachsen 17,8 v. H., in Hamburg 13,1 v. H. und in SchleswigHolstein 12,1 v. H. der Stimmen. Mit der Bundestagswahl von 1953 begann hingegen die Konzentration im Parteiensystem. Während bei der Wahl von 1949 von 15 Parteien, die Listen oder Einzelbewerber nominiert hatten, noch zehn Parteien und ein Wahlblockbewerber Mandate erreichten, erhielten 1953 von 17 Gruppierungen nur noch sechs, 1957 von 14 nur vier, 1961 von neun nur drei, 1965 von zehn nur drei Parteien Mandate (s. Tab. A 21; Darst. IX). Die Konzentration zu einem wenn nicht Zweiparteien-, so doch „zweipoligen Parteiensystem" (D. Sternberger) vollzog sich in zwei Phasen. Während zunädist eine Konzentration im Wahlverhalten der bürgerlichen Bevölkerungsschichten auf die CDU/CSU einsetzte und das Parteiensystem bis etwa 1960 „durch eine strukturelle Asymmetrie zuungunsten der Sozialdemokratie gekennzeichnet" (W. Kaltefleiter) war, gelang der SPD mit der Anpassung an die Politik der CDU/CSU und dem Wandel zur Volkspartei der Einbruch in neue Wählerschichten, so daß seit der Bundestagswahl 1961 eine Wählerbewegung zwischen den beiden großen Parteien stattfindet. Diese Entwicklung erfolgte weitgehend unabhängig vom Wahlsystem, von dem mit Ausnahme der Sperrklausel nur geringfügige Wirkungen ausgingen. Die personalisierte Verhältniswahl ließ sowohl die Möglichkeit zur Herausbildung eines Vielparteiensystems als auch zur Konzentration auf drei Parteien offen. Daß sich die bei den Landtagswahlen von 1949 bis 1952 aufgetretene Parteienzersplitterung nicht fortsetzte, sondern vielmehr die Zahl der Parlamentsparteien kontinuierlich abnahm, der Stimmenanteil der beiden großen Parteien ständig wuchs und eine Partei bei den Wahlen von 1953 und 1957 die absolute Mehrheit der Mandate erzielen konnte (s. Tab. A 21), ist im wesentlichen das Verdienst der „Wählerschaft selbst gewesen, die diesen bedeutenden Strukturwandel des Parteiensystems bewirkt hat" (D. Sternberger). Maßgeblich beeinflußt wurde dieses Wahlverhalten von den verfassungsrechtlichen Regelungen des Regierungssystems und der Ausfüllung des institutionellen Rahmens in der lebenden Verfassung; die Verfassungswirklichkeit haben vornehmlich zwei grundsätzliche Entscheidungen der westdeutschen Politik vor oder kurz nach dem Entstehen der Bundesrepublik geprägt: die Gründung der CDU/CSU als interkonfessionelle Sammelpartei sowie die erste Bundestagswahl und die sich anschließende Bildung einer bürgerlichen Regierung unter Führung der CDU/CSU — ohne und damit zugleich gegen die Sozialdemokraten gerichtet.

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299

Die Wahl zum ersten Bundestag vom 14. August 1949 (s. Tab. A 21; Darst. IX) wurde vor allem von den Auseinandersetzungen der beiden großen Parteien beeinflußt. CDU/CSU und SPD, deren Stimmenanteil bei den Landtagswahlen von 1946 bis 1948 etwa gleich Darstellung IX: Stimmentwicklung der Parteien bei den Bundestagswahlen von

Anmerkung: ») KPD-Linie: nadi 1957 DFU (Zu den exakten Zahlen siehe Tab. A 21)

2

) DRP-Linie: nadi 1961 NPD.

300

Wirtschaftlicher Aufschwung/Parteiensystem

groß gewesen war (s. Tab. A 26), konnten beide hoffen, nach der Wahl als stimmstärkste Partei den Bundeskanzler zu stellen. Infolge der zunehmenden Parteienzersplitterung mußten jedodi beide erhebliche Stimmenverluste hinnehmen, die in erster Linie den regionalen und wirtschaftlichen Interessenparteien zugute kamen. Beide großen Parteien, die bei den Landtagswahlen noch 72,3 v. H. der Stimmen erzielt hatten, erreichten zusammen nur einen Stimmenanteil von 60,2 v. H . Stärkste Partei wurde die CDU/CSU, die 139 der 402 Mandate erhielt, während die SPD mit 131 Mandaten knapp geschlagen war. Die FDP folgte als drittstärkste Partei mit 52 Mandaten. Ähnlich wie im Wahlkampf standen auch bei den Beratungen über die Regierungsbildung wirtschaftspolitische Überlegungen im Vordergrund. Adenauer und die CDU/CSU entschieden sich vor allem deshalb gegen eine große Koalition mit den Sozialdemokraten und sprachen sich für ein bürgerliches Kabinett aus CDU/CSU, FDP, und DP aus, das mit 208 der 402 Mandate nur über eine knappe Mehrheit im Bundestag verfügte. Adenauer selbst wurde mit der kleinst möglichen Mehrheit von 202 Stimmen — unter Einschluß seiner eigenen Stimme — zum Bundeskanzler gewählt. Infolge dieser Entscheidung zugunsten einer bürgerlichen Regierung, die unter Führung der CDU/CSU bis zum Herbst 1966 bestehen blieb — zu Beginn der zweiten Wahlperiode mit FDP, BHE und DP; seit dem Ausscheiden von BHE und FDP in den Jahren 1955 und 1956 bis zum Ende der dritten Wahlperiode mit der DP; ab 1961 mit der FDP —, entstand im Parlament und in der innenpolitischen Diskussion zunächst eine scharfe Frontstellung zwischen Regierung und Opposition. In erster Linie die konträren wirtschaftspolitischen Zielsetzungen — auf der einen Seite „soziale Marktwirtschaft", auf der anderen Verstaatlichung und Planwirtschaft —, aber audi die gegensätzlichen außen-, national- und später wehrpolitischen Vorstellungen führten zu einer starken Polarisation des politischen Kräftefeldes, die sich sowohl auf das Parteiensystem als auch auf das Wahlverhalten nachhaltig auswirkte. Entscheidend bestimmt wurden Stabilität und Konzentration des Parteiensystems durch den wirtschaftlichen Aufschwung. Während der Wähler nach der Währungsreform und zu Beginn der ersten Wahlperiode des Bundestages von einem dauerhaften Erfolg der „sozialen Marktwirtschaft" noch keineswegs überzeugt war und seine Vorbehalte gegen die regierenden Parteien bei den Landtagswahlen von 1949 bis 1952 (s. Tab. A 26) in einem Ansteigen der Stimmenzahlen der Interessenparteien zum Ausdruck brachte, wirkte das einsetzende „Wirtschaftswunder" diesem weitgehend interessenbezogenen Wahlverhalten entgegen.

Deutschland (Bundesrepublik)

301

Deutlich wird dies vor allem durch einen Vergleich des Stimmenanteils des „Bundes der Heimatvertriebenen und Entrechteten" (GB/ BHE) bei den Bundes- und Landtagswahlen von 1950 bis 1957. Als Interessenvertretung der Vertriebenen waren die Wahlerfolge des BHE in ganz entscheidendem Maße von der durch den Krieg bedingten wirtschaftlichen und sozialen Konfliktsituation dieser Bevölkerungsgruppe begünstigt. Bei den Landtagswahlen von 1950 bis 1952 (s. Tab. A 26) lag der Anteil der BHE-Wähler an der Gesamtzahl der Flüchtlinge bei etwa einem Drittel. In Schleswig-Holstein, dem Bundesland mit dem größten Prozentsatz von Vertriebenen, wählten jedoch über zwei Drittel aller Vertriebenen den BHE, da die überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit der Integration dieser Bevölkerungsgruppe entgegenwirkte. Mit dem wirtschaftlichen Aufschwung, der nach demoskopischen Umfragen seit Ende 1952 von der Bevölkerung perzipiert wurde, setzte bei der Bundestagswahl vom 6. September 1953 der Stimmenrückgang der kleineren Parteien ein (s. Tab. A 21; Darst. IX). Audi der BHE, der 5,9 v. H . der Stimmen erreichte, verlor im Vergleich zu den Landtagswahlen bereits an Stimmen. Allerdings blieben die Verluste relativ gering, da sich die wirtschaftliche Situation der Vertriebenen nicht in demselben Ausmaß wie die der anderen Bevölkerungsgruppen verbesserte. Als die Flüchtlinge jedoch fast vollständig eingegliedert waren, konnte der BHE bei der Bundestagswahl von 1957 mit 4,6 v. H . der Stimmen die Sperrklausel nicht mehr überspringen (s. Tab. A 21). Nur in Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Bayern und Hessen lag der Stimmenanteil des BHE über fünf von Hundert. In den stärker urbanisierten und industrialisierten Bundesländern Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und in den zwei Stadtstaaten Bremen und Hamburg hingegen wurde der BHE trotz eines erheblich gestiegenen Anteils der Vertriebenen an der Gesamtbevölkerung dieser Länder zu einer unbedeutenden Splitterpartei. Ähnlich dem BHE nahm die wirtschaftliche Stabilität auch den radikalen Parteien und den anderen wirtschaftlichen Interessenparteien, wie DRP, SRP, WAV und KPD, Existenz- und Einflußmöglichkeiten (s. Tab. A 21; Tab A 26) und stärkte zugleich das Vertrauen der Bevölkerung in die Tätigkeit der Regierungsparteien und in das demokratisch-parlamentarische Regierungssystem. Die CDU/CSU ermöglichte die Konzentration im Parteiensystem. Ihre Zielsetzung ist bei christlicher Grundhaltung weitgehend an pragmatischen Gesichtspunkten orientiert. Das verhilft ihr dazu, für konservative wie liberale und fortschrittliche, sozial schwache wie wirtschaftlich starke, städtische wie ländliche Wählerschichten offen zu sein.

302

Mutation des Parteiensystems 1950—1960

Polarisation in Parteiensystem und Wahlverhalten sind jedoch noch von einer Reihe weiterer Faktoren bestimmt worden: Durch Aufnahme in die Regierung verstanden es Adenauer und die CDU/CSU, die kleinen Parteien an sich zu binden und als der größere der Partner von sich abhängig zu machen. Erleichtert wurde dies wesentlich durch die verfassungsmäßig starke Stellung des Bundeskanzlers, die es — im Gegensatz zu Weimar — kleinen, soziologisch gebundenen Parteien als Koalitionspartner fast unmöglich machte, ihre eigene politische Zielsetzung durchzusetzen. Erfolg oder Mißerfolg der Regierungspolitik wurden ausschließlich der großen Partei angerechnet. Die Koalitionspartner sah man vielfach nur noch als Anhängsel der CDU/CSU an. Zu dieser Beurteilung trugen auch die Wahlabsprachen bei, die zwar die Sperrklausel zu umgehen halfen, beim Wähler aber den Eindruck erweckten, nicht für eine selbständige Partei, sondern vielmehr für eine Koalition unter Führung der CDU/CSU gestimmt zu haben. Zudem hatte die Sperrklausel, deren psychologische Wirkung darin besteht, daß die Stimmabgabe für eine kleinere Partei ohne Einfluß auf die Parlamentszusammensetzung bleiben kann, zur Folge, daß die Mehrzahl der Wähler dieser Parteien und audi ihre Mandats- und Funktionsträger zur CDU/CSU wechselten. Vor allem aber Adenauer selbst hat maßgeblich zur Polarisation im innenpolitischen Kräftefeld beigetragen. Durch seine Fähigkeit des Vereinfachens und durch alternativ gestellte Fragen beschränkte er die Entscheidung des Wählers weitgehend auf ein „Entweder — Oder". Die Wahlen erhielten so einen stark plebiszitären Charakter. Sie waren, solange Adenauer Bundeskanzler war, zugleich und in erster Linie immer ein Votum für oder gegen ihn, erst dann eine Entscheidung für seine Partei und deren Programm. Deutlich wurde dies insbesondere bei der Wahl von 1961 (s. Tab. A 21; Darst. IX). Der Verlust der 1957 errungenen absoluten Mehrheit der Stimmen ging vor allem auf den Vertrauensschwund Adenauers in der Bevölkerung seit seiner vorübergehenden Kandidatur zum Bundespräsidenten und der zum Zeitpunkt der Wahl noch ungeklärten Nachfolgefrage zurück. Der von Adenauer weitgehend zur plebiszitärdemokratischen „Kanzlerdemokratie" ausgedehnten Stellung des Bundeskanzlers mußten sich auch seine Nachfolger und die sozialdemokratische Opposition anpassen. Als personelle Alternative präsentierte die SPD bei den Wahlen von 1961 und 1965 mit Willy Brandt einen Kanzlerkandidaten. Die CDU/CSU stellte bei der Wahl von 1965 Persönlichkeit und Verdienste Ludwig Erhards in den Vordergrund ihres Wahlkampfes; ihr Wahlsieg über die SPD beruhte

Deutschland (Bundesrepublik)

303

dabei wesentlich auf der erheblich größeren Popularität ihrer „Wahllokomotive" Erhard. Die Veränderungen im Parteiensystem bei den Bundes- und Landtagswahlen bis etwa 1960 betrafen — wie Tabelle VI zeigt — fast ausschließlich die CDU/CSU und die anderen bürgerlichen Parteien. Tabelle VI: Stimmenanteil der Parteigruppierungen bei den Bundes- und Landtagswahlen von 1949 bis 1960 BTW 1949

LTW 49—52

BTW 1953

LTW 53—56

BTW 1957

LTW 57—60

CDU/CSU

31,0

29,1 -1,9

45,2 + 14,2 / + 16,1

36,7 + 7,6 / — 8,5

50,2 + 5,0/ + 13,5

42,6 + 6,1 / — 7,6

bürgerliche Parteien (ohne CDU/CSU)

34,1

36,1 + 2,0

23,8 — 10,3/ — 12,3

27,5 — 8,6 / + 3,7

18,0 — 5,8/—

9,5

20,2 — 7,3 / + 2,2

SPD und KPD

34,9

34,8 -0,1

31,0 — 3,9/—

35,8 + 1 , 0 / + 4,8

31,8») + 0 , 8 / — 4,0

37,2») + 1,4 / + 5,4

3,8

Anmerkung: *) ohne KPD. (s. Tab. A 21; Tab. A 26)

Bei den Landtagswahlen nahm die Konzentration auf die CDU/CSU gegenüber der vorausgegangenen Bundestagswahl ab; der Stimmenanteil der kleineren Parteien erhöhte sich geringfügig. Dies ging im wesentlichen auf den weniger plebiszitären Charakter der Landtagswahlen und die vom Wähler allgemein erkannte unterschiedliche Bedeutung von Bundes- und Landespolitik, von Bundes- und Landtagswahlen zurück. Zudem standen bei Landtagswahlen neben der Bundespolitik auch regionale Probleme im Vordergrund, so daß sich die in einzelnen Bundesländern recht starken regionalen Parteien — der BHE in Schleswig-Holstein, die DP in Niedersachsen und in den Stadtstaaten, das Zentrum in Nordrhein-Westfalen, die BP und WAV in Bayern — auf Länderebene erheblich besser behaupten konnten. Der Stimmenrückgang der CDU/CSU bei Landtagswahlen veränderte aber die grundsätzliche Tendenz zur Konzentration nicht; die Unionsparteien erzielten im Vergleich zu den früheren Landtagswahlen jeweils einen beträchtlich höheren Stimmenanteil. Auch die bei Landtagswahlen größeren Stimmenanteile der SPD beruhten nicht auf einer Wählerbewegung zwischen den beiden großen Parteien; sie lagen vielmehr — wie die in der Regel fast konstanten absoluten sozialdemokratischen Stimmenzahlen bei Bundes- und

Wahlverhalten 1950—1960

304

Landtagswahlen zeigen — in der meist niedrigeren Wahlbeteiligung begründet, die nur in wenigen Ausnahmefällen mehr als 80 v. H . betrug. Bei den Bundestagswahlen jedoch sank nicht zuletzt infolge der höheren Wahlbeteiligung der Stimmenanteil der SPD. Die CDU/CSU hingegen profitierte in starkem Maße von der Zunahme der Wahlbeteiligung. Im Vergleich zur Bundestagswahl von 1949 stieg die Wahlbeteiligung bei den Wahlen von 1953 und 1957 um etwa vier bzw. zweieinhalb Millionen von 78,5 v. H . auf 85,8 v. H . bzw. 87,8 v. H . an; allerdings erweiterte sich audi der Wahlkörper von etwa 31 Millionen auf 33 bzw. 35,5 Millionen Wahlberechtigte. Darstellung X : Entwicklung der Wahlberechtigung u n d der Wahlbeteiligung bei den Bundestagswahlen v o n 1949—1965 tO

35

c S. 639) bei der Umsetzung von Stimmen in Mandate wird ein Ergebnis erreicht, das etwa dem Mandatsverhältnis der Parteien gleichkommt, wenn nach relativer Mehrheitswahl gewählt würde. Funktional-mechanische Gesichtspunkte liegen auch dem weiteren hier vorgebrachten Vorschlag zugrunde, übergroße Mehrheiten der stimmstärksten Partei durch eine Maximalbegrenzung bei 55 bis 60 v. H . der Mandate zu verhindern, um der unterlegenen Partei die verfassungsändernde Sperrminorität zu sichern. Fünftens: „Verhältniswahl" in kleinen Wahlkreisen, in Vierer- oder Dreierwahlkreisen. In einem solchen Vierer- oder Dreierwahlsystem erfolgt die Mandatsverteilung auf Wahlkreisebene nach der Methode d'Hondt (-> S. 48 f.) ohne proportionalen Ausgleich auf Bundes- oder Landesebene; beide Systeme bevorzugen große Parteien und erschweren kleinen Parteien den Einzug ins Parlament, sofern diese nicht über regionale Hochburgen, d. h. bei Wahl in Viererwahlkreisen über mindestens 15 v. H., bei Wahl in Dreierwahlkreisen über mindestens 20 v. H . der Stimmen verfügen. Beide Systeme unterscheiden sich jedoch, wie E. G. Wrage (in: Der Wähler, Heft 15/1968) aufgezeigt hat, in dem entscheidenden Punkt des mehrheitsbildenden Effektes. Bei zwei im Stimmenanteil etwa gleich großen Parteien, aber audi bei einem Dreiparteiensystem, in welchem zwei etwa gleich starke kleinere Parteien einer größeren gegenüberstehen, hätte das Viererwahlkreissystem zur Folge, daß in den meisten Wahlkreisen entweder jede der beiden großen Parteien zwei Mandate oder die beiden kleineren Parteien je eins und die große Partei zwei Mandate zugesprochen erhielten. Nur in wenigen Hochburgen würde sich eine drei zu eins Mandatsverteilung ergeben. Während das Viererwahlkreissystem somit nur in seltenen Fällen die Mehrheitsbildung im Parlament durch eine Partei ermöglicht — wenn dies der Fall sein sollte, dürfte die Mehrheit zudem aller Voraussicht nach nur wenige Mandate ausmachen —, ist bei der Wahl in Dreierwahlkreisen die

Wahlreformbedingungen

318

Tabelle VIII: Ergebnisse der Landtagswahlen 1967—1968 (nach der Bildung der großen Koalition) Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Wahl in: (23. 4. 1967) (23. 4. 1967) 2 394 692 1 695 789 Wahlberechtigte Wahlbeteiligung in °/o 78,3 der Wahlberechtigten 73,5 Stimmen in °/o 1962 in °/o

absolut CDU SPD FDP NPD DFU Sonstige Insgesamt

566 815 486 168 72 578 72 059 11 526 23 650 1 232 796

Wahl in: Wahlberechtigte Wahlbeteiligung in "In der Wahlberechtigten absolut CDU SPD FDP NPD DFU Sonstige

1 490 729 1 538 488 245 275 249 061 29 304 17 895

Insgesamt

3 570 752

46,0 39,4 5,9 5,8 0,9 2,0

45,0 39,2 7,9

100,0

100,0

1,2 4,4

Wahlberechtigte Wahlbeteiligung in °/o der Wahlberechtigten absolut



1 846 721

75,9

77,0

Stimmen in ®/o 1963 in °/o 41,7 43,1 6,9 7,0 0,8 0,5 100,0

37,7 44,9 8,8 —

0,6 8,0 100,0

5 625 654 70,6 Stimmen in °/o 1964 in °/o 46,2 37,3 13,1

100,0 Insgesamt 3 884 177 (Quelle: nach AdG, Jg. 1967/68)

100,0

1 718167 1 124 558 560 093 381 393 88 181 11 785

782 895 320 743 891

Bremen (1. 10. 1967) 533 604

44,2 29,0 14,4 9,8 2,3 0,3

CDU SPD FDP NPD DFU/DL Sonstige

862 679 153 127 22

Niedersachsen (4. 6.1967) 4 757 313

Baden-Württemberg (28. 4.1968)

Wahl in:

absolut



1,3 2,1

absolut 119 186 42 35 17 3

Stimmen in °/o 1963 in Vo 46,7 36,8 8,3 6,9 1,3

44,4 40,7 10,1 —

1,3 3,5



100,0

100,0

Stimmen in Vo 1963 in °/o

696 687 720 878 222 595

29,5 46,0 10,5 8,8 4,3 0,9

405 798

100,0

28,9 54,7 8,4 —

2,7 5,3 100,0

Deutschland (Bundesrepublik)

319

Mehrheitsbildung durch eine Partei die Regel. In der Mehrzahl der Wahlkreise dürfte beim Dreierwahlkreissystem — mit Ausnahme von wenigen extremen Hochburgen — das Ergebnis zwei zu eins lauten, da die zweitstärkste Partei bereits dann ein Mandat erhält, wenn sie mehr als ein Drittel der Stimmen der stimmstärksten Partei auf sich vereinigen kann. Die Verfechter des Dreierwahlsystems, das gegenwärtig vor allem bei der SPD Anklang findet, heben gegenüber der relativen Mehrheitswahl in Einerwahlkreisen folgende Vorzüge hervor: Aufrechterhaltung des Wettkampfes zwischen zwei Parteien auch in den Hochburgen, wodurch die „Verödung" bestimmter Regionen verhindert wird; Sicherung der verfassungsändernden Sperrminorität für die unterlegene Partei; Entscheidung der Wahl in den „empfindlichen" Wahlkreisen. Als Nachteil ist andererseits im Vergleich zur relativen Mehrheitswahl die Chance des Machtwechsels geringer. In der Diskussion um die Wahlreform spielt die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Wahlfragen eine nicht unerhebliche Rolle. Die Gegner eines mehrheitsbildenden Wahlsystems führen in aller Regel verfassungsrechtliche Bedenken an, da das Bundesverfassungsgericht in seinen Entscheidungen von der inneren Folgerichtigkeit eines Wahlsystems ausgeht und etwa innerhalb der Verhältniswahl eine Sperrklausel von mehr als fünf Prozent mit der verfassungsrechtlich gesicherten Chancengleichheit der Parteien für unvereinbar und demnach für verfassungswidrig erklärt hat. Für die „Mischsysteme" wird damit die Frage nach der Zuordnung zu Mehrheitswahl oder Verhältniswahl relevant, eine Frage, zu der die bisherige Rechtssprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts keine geeigneten Maßstäbe liefert. Diese Kriterien müssen aus einer neudurchdachten Wahlsystematik hervorgehen (->· S. 30 ff.). Der in der Regierungserklärung vom 13. Dezember 1966 enthaltenen Absicht, bereits für die Bundestagswahl von 1969 (oder zumindest für die Wahl von 1973 noch in der fünften Wahlperiode) ein mehrheitsbildendes Wahlsystem verfassungsrechtlich zu verankern, wurde nicht nachgekommen. Die Wahlreform scheiterte bislang wesentlich an der Haltung der Sozialdemokraten, die bei den Landtagswahlen seit Herbst 1966 teilweise erhebliche Stimmeneinbußen hinnehmen mußten. Dieser Abwärtstrend ließ sie — bestärkt durch Computer-Simulationen — befürchten, daß sie bei den nächsten Wahlen unter einem mehrheitsbildenden Wahlsystem einen geringeren Mandatsanteil erhalten würden als unter der geltenden personalisierten Verhältniswahl und daß sie nicht einmal mehr die Chance einer Regierungsbeteiligung hätten.

320

Blocksystem/Gründung der Einheitspartei

In der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) fanden nach dem Zweiten Weltkrieg Wahlen erst statt, als die Reorganisation der Verwaltung, die Ausbildung des Parteiensystems sowie die wirtschaftliche und soziale Umschichtung durch Sozialisierung und Bodenreform weit vorangeschritten waren. Zwischen den Westzonen und der sowjetischen Zone ergaben sich bereits zu Beginn des Wiederaufbaus des politischen Lebens gravierende Unterschiede. Im Gegensatz zu den Westalliierten schuf die „Sowjetische Militäradministration für Deutschland" (SMAD) schon im August 1945 einen weitgehend zentralistischen Verwaltungsaufbau, an dessen Spitze die 16 „Deutschen Zentralverwaltungen" standen (seit Juni 1947 teilweise zusammengefaßt in der „Deutschen Wirtschaftskommission" [DWK]). Diese Institutionen waren zunächst Hilfsorgane der sowjetischen Besatzungspolitik, entwickelten sich aber schon bald zum Vorläufer einer Zentralregierung, die nach den Gemeinde-, Kreis- und Landtagswahlen vom Herbst 1946 (s. u.) ihre entscheidenden Koordinierungs- und Planungskompetenzen behielt. Auch bei den Neu- und Wiedergründungen und dem organisatorischen Aufbau der Parteien verlief die Entwicklung durch die Bildung zentraler Parteigremien und der erst dann erfolgenden Gliederung in Unterorganisationen von oben nach unten. Zudem veranlaßte die sowjetische Militäradministration die vier Lizenzparteien, KPD, SPD, CDU und LDP, sich zum „Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien" zusammenzuschließen. Diese Einheitsfront, die in allen nach dem Zweiten Weltkrieg von sowjetischen Truppen besetzten Staaten gebildet wurde, determinierte in ganz entscheidendem Maße die Struktur des Parteiensystems. Das Prinzip der Blockpolitik beruhte auf der Einstimmigkeit der Beschlüsse aller im Block zusammengeschlossenen Parteien. Es schloß damit nicht nur das Wechselspiel von Regierung und Opposition aus, sondern erschwerte die eigenständige und unabhängige Politik der einzelnen Blockmitglieder und verhinderte zudem auch innerhalb der Parteienkoalition fast jegliche Opposition. Vorläufer des Blocksystems in der Sowjetzone waren die bereits kurz nach der Besetzung entstandenen und von der SMAD geförderten „antifaschistischen Ausschüsse", denen schon bald auf lokaler Ebene die Verwaltungsfunktionen übertragen wurden. Ebenso wie die Gemeindeorgane waren auch die Bezirks-, Länder- und Zonenverwaltungen zunächst meist paritätisch zusammengesetzt. Vor der Vereinigung von SPD und KPD stellte jede der vier Parteien in aller Regel ein Viertel der jeweiligen Ausschuß- und Regierungsmitglieder.

Deutschland (Sowjetische Besatzungszone)

321

Die Schlüsselpositionen — auf Länderebene: das Innen-, Wirtschafts-, Volksbildungs- und vielfach auch das Justizministerium — waren dabei in fast allen dieser ungewählten Exekutivorgane von Kommunisten besetzt, so daß diese bereits im Sommer und Herbst 1945 mit Hilfe der Blockpolitik über die entscheidenden Machtbasen verfügten. Die Bestrebungen, durch Fusion von SPD und KPD eine einheitliche Arbeiterpartei zu gründen, gingen auf die Erfahrungen in der Endphase der Weimarer Republik sowie den gemeinsamen Kampf in der Widerstandsbewegung zurück. Nach der Besetzung bildeten sich in allen vier Besatzungszonen auf lokaler Ebene gemeinsame Ausschüsse; vereinzelt wurde bereits im Sommer 1945 die Vereinigung zur „Sozialistischen Einheitspartei" vollzogen. Während die Sozialdemokraten in der sowjetischen Zone — im Gegensatz zu den Entscheidungen der Delegiertenkonferenzen in den Westzonen (s. o.) — für die Zusammenarbeit und die organisatorische Fusion beider Parteien eintraten, sprachen sich die Kommunisten — gemäß den sowjetischen Weisungen — gegen einen sofortigen Zusammenschluß aus. Die Voraussetzungen, die SPD ideologisch und organisatorisch dem Führungsanspruch der Kommunisten unterzuordnen, waren im Sommer 1945 noch nicht gegeben. Die Kommunisten änderten ihre Haltung jedoch, als sie in Österreich und Ungarn (s. S. 948, S. 1387 f.) deutliche Wahlniederlagen erlitten und auch in Deutschland aufgrund der allgemeinen Sympathie der sozialistischen Wähler für die SPD ein für sie negativer Wahlausgang zu erwarten war. Die KPD drängte jetzt auf eine schnelle Fusion und forderte vor allem auch ein gemeinsames Wahlprogramm mit gemeinsamen Kandidatenlisten. Der Widerstand der Sozialdemokraten, die die endgültige Entscheidung über den Zusammenschluß einem Reichsparteitag überlassen wollten, wurde durch das Eingreifen der SMAD mit Redeverboten, Abberufungen von Parteifunktionären und Verhaftungen gebrochen. Die Zwangsvereinigung von SPD und KPD zur „Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) auf dem Gründungsparteitag vom 19. bis 22. April 1946 erbrachte den Kommunisten trotz der geringeren Mitgliederzahl der KPD die paritätische Besetzung aller Positionen. Sie garantierte zudem auch die paritätische Auswahl der Kandidaten für die gemeinsame Liste bei den für Herbst 1946 vorgesehenen Wahlen. Die am 28. Juni 1946 von der SMAD veröffentlichte Wahlordnung, die von den Länder- und Provinzialregierungen in ihren grundlegenden Bestimmungen sowohl für die Gemeinde- als auch die Kreis- und Landtagswahlen übernommen wurde, sah mit dem 20. Oktober 1946 nur für die Kreis- und Landtagswahlen einen einheitlichen Wahltermin vor. Die Gemeindewahlen hingegen fanden im Land Sachsen am 21

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

322

Wahlordnung 1946/Gemeindewahlen

1. September, in Thüringen und in der Provinz Sachsen am 8. September sowie in Mecklenburg und in der Provinz Brandenburg am 15. September statt. Die SM AD und die SED hatten diese Termine in der Hoffnung gewählt, daß die Wahlen in Sachsen — der traditionellen Hochburg der sozialistischen Parteien im Kaiserreich und in der Weimarer Republik — die nachfolgenden Wahlen zugunsten der SED beeinflussen würden. Aktiv wahlberechtigt waren alle deutschen Staatsangehörigen (Männer und Frauen) über 21 Jahre, die die bürgerlichen und politischen Ehrenrechte besaßen. Ausgeschlossen vom Wahlrecht waren: 1) alle aufgrund des Gesetzes Nr. 10 des Alliierten Kontrollrats angeklagten oder bereits verurteilten Kriegsverbrecher; 2) alle Mitglieder der NSDAP und deren Gliederungen vom Ortsgruppenleiter bzw. den entsprechenden Organisationsgraden aufwärts; 3) „sonstige Aktivisten des Faschismus und Kriegsinteressenten, deren Namen der Gemeindebehörde auf Vorschlag der antifaschistisch-demokratischen Parteien der Gemeinden durch den Block der antifaschistisch-demokratischen Parteien namhaft gemacht werden" (§ 3 beider Wahlordnungen). Das passive Wahlrecht besaß jeder Wahlberechtigte, der das 23. Lebensjahr vollendet hatte und nicht Mitglied der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen gewesen war. Die Abgeordneten aller drei Repräsentationen wurden in allgemeiner, gleicher und geheimer Wahl unmittelbar bestellt; die Gemeindeparlamente für eine zweijährige, die Kreis- und Landtage für eine dreijährige Wahlperiode. Weder 1948 noch 1949 fanden jedoch Neuwahlen statt; die Wahltermine wurden vielmehr bis zur endgültigen Gleichschaltung um ein bzw. zwei Jahre verschoben. Die Mitgliederzahl der Landtage betrug 1946 im Land Sachsen 120, in der Provinz Sachsen 110, im Land Thüringen und in der Provinz Brandenburg je 100 sowie im Land Mecklenburg 90 Abgeordnete. Gewählt wurde nach Verhältniswahl starrer Liste. Listenverbindungen waren zulässig. Die Mandatszuteilung auf die Parteien wurde bei der Wahl aller drei Repräsentationskörperschaften nach der Methode d'Hondt (-»· S. 48 f.) durchgeführt. Sollte bei der Landtagswahl das Land jedoch in Wahlkreise eingeteilt werden (ζ. B. in der Provinz Sachsen), erfolgte die Stimmenverrechnung nach dem Wahlzahlverfahren (-> S. 46). Die Zahl der Mandate pro Wahlkreis ergab sich dann aus dem Verhältnis der im Wahlkreis abgegebenen gültigen Stimmen zu den insgesamt abgegebenen gültigen Stimmen des Landes. Jede Partei erhielt auf Wahlkreisebene soviel Mandate wie die Wahlzahl — ermittelt durch Division aller im Land abgegebenen gültigen Stimmen durch die Gesamtzahl der Mandate — in ihrer

Deutschland (Sowjetische Besatzungszone)

323

Stimmenzahl enthalten war. Die Reststimmen wurden den Landeswahlvorschlägen zugerechnet und im zweiten Zuteilungsverfahren auf Landesebene nach der Methode d'Hondt vergeben. Gemäß Paragraph 28 der Gemeindewahlordnung (entsprechend § 36 der Landeswahlordnung) konnten neben den drei lizenzierten Parteien, SED, CDU und LDP, audi die antifaschistisch-demokratischen Organisationen mit selbständigen Wahlvorschlägen an den Wahlen teilnehmen. Diesen Massenorganisationen, die weitgehend auf Initiative und unter Führung der Kommunisten entstanden, hatte die SED die Aufgabe zugedacht, den beiden anderen Parteien möglichst viele Stimmen zu entziehen. Das „System" der Massenorganisationen war jedoch im Herbst 1946 noch sehr bruchstückhaft; in allen fünf Ländern hatten für die Gemeindewahlen nur die „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe" (VdgB) und der „Demokratische Frauenbund" (DFD) Kandidatenlisten nominiert. Die Massenorganisationen bildeten für die CDU und LDP nur eine geringe Konkurrenz. Erheblich stärker benachteiligt hingegen waren die beiden Parteien durch die Bestimmung der Wahlordnung, die vorschrieb, daß die Wahlvorschläge von den vertretungsberechtigten Organen der Ortsgruppen der Parteien unterzeichnet sein mußten. Die örtlichen Dienststellen der sowjetischen Behörden verhinderten auf diese Weise durch Verzögerung oder Ablehnung der Registrierungs- oder Lizensierungsanträge in etwa der Hälfte der Gemeinden, in denen Ortsgruppen von CDU und LDP bestanden, die Teilnahme der beiden bürgerlichen Parteien. Von den über 4 200 CDU-Ortsgruppen konnten nur 2 082, von den über 2 200 LDP-Ortsgruppen nur 1 121 Wahlvorschläge einreichen. Zudem waren beide Parteien im Wahlkampf starken Behinderungen durch die sowjetischen Behörden ausgesetzt, während die SED tatkräftig unterstützt wurde. Die Gemeindewahlen ergaben deshalb auf Länderebene in allen fünf Ländern für die SED die absolute Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen (s. Tab. A 27). Die Durchschnittszahlen spiegelten jedoch die Einzelergebnisse nur verzerrt wider; vor allem in den größeren Städten erhielten CDU und LDP vielfach die Mehrheit der Stimmen, was sich aber infolge des Blocksystems nur geringfügig auf die personelle Zusammensetzung der Gemeindeverwaltungen auswirkte. Das Wahlergebnis der Gemeindewahlen entsprach keineswegs den Vorstellungen der SED und der Besatzungsmacht. Im Wahlkampf für die Kreis- und Landtagswahlen vom 20. Oktober 1946 waren die beiden bürgerlichen Parteien deshalb erneut stärksten Behinderungen ausgesetzt. Rede- und Versammlungsverbote und Verhaftungen von CDU- und LDP-Kandidaten, denen ihre angeblidie „faschistische"

324

Landtagswahlen 1946/Volkskongreßbewegung

Vergangenheit vorgeworfen wurde, erschwerten den Wahlkampf der bürgerlichen Parteien und sollten zudem auf die Bevölkerung psychologischen Druck ausüben. Wie bei den Gemeindewahlen waren auch jetzt wieder weder CDU noch LDP in allen Gebieten zugelassen; die CDU konnte in 15, die LDP sogar in 31 der über 70 Landkreise keine Kandidatenlisten nominieren. Die beiden Parteien erzielten jedoch im Vergleich zu den Kommunalwahlen in allen fünf Ländern erhebliche Stimmengewinne, während die SED ihre Stimmenzahl nur im Land Sachsen und in Thüringen geringfügig erhöhen konnte (s. Tab. A 28). Der Stimmentanteil der SED sank aber audi in diesen beiden Ländern aufgrund der höheren Wahlbeteiligung und dem starken Rückgang der ungültigen Stimmen unter 50 v. H . ab. In Brandenburg und in der Provinz Sachsen verloren die Kommunisten sogar die absolute Mehrheit der Mandate; in Mecklenburg, Thüringen und Sachsen erreichten sie diese nur mit Hilfe der Abgeordneten der Massenorganisationen, die meist zugleich auch Mitglieder der SED waren. Das Wahlergebnis veranlaßte die SED, die Gleichschaltung in der gesamten Sowjetzone auf allen staatlichen Bereichen in verstärktem Maße voranzutreiben. Bei der Bestellung der Länderregierungen diente diesem Ziel vor allem die Blockpolitik, durch die es gelang, eine Koalition der beiden nicht kommunistischen Parteien zu verhindern. In allen fünf Ländern erfolgte die Regierungsbildung auf der Grundlage des Blocksystems; die Verteilung der Ministerposten ergab sich dabei in der Regel aus den Fraktionsstärken. Die SED besetzte in vier der fünf Länder den Posten des Ministerpräsidenten; bei Stimmengleichheit im Kabinett gab deshalb meist die Stimme des Ministerpräsidenten den Ausschlag zugunsten der SED. Die Kommunisten versuchten zudem, die politisch relevanten Entscheidungen den gewählten Repräsentationskörperschaften zu entziehen und von ihnen kontrollierten außer- oder pseudoparlamentarischen Gremien zu übertragen. Aus diesem Grunde beriefen sie zum 6.17. Dezember 1947 den „Deutschen Volkskongreß für Einheit und gerechten Frieden" ein; die Notwendigkeit eines solchen Kongresses wurde von der SED vor allem mit der Viermächte-Außenministerkonferenz in London (25. November bis 15. Dezember 1947) motiviert, an der eine vom Volkskongreß entsandte „gesamtdeutsche" Delegation beratend teilnehmen sollte. Die Delegierten wurden von allen Parteien, Gewerkschaften, Massenorganisationen, Betrieben usw. bestellt, waren jedoch keineswegs in irgendeiner Form „demokratisch" gewählt. Von den 2 215 Mitgliedern des ersten Volkskongresses kamen nur 664 aus den drei Westzonen.

325

Deutschland (Sowjetische Besatzungszone) Tabelle IX: Zusammensetzung des ersten Volkskongresses Mitglieder

Mitglieder LDP CDU SPD

253 219 91

SED/KPD Massenorganisationen Parteilose

893 373 386

Anmerkung: die Angaben sind in den verschiedenen Quellen unterschiedlich. (Quelle: Schütze, s. BiblAng., S. 47)

In welchem Ausmaß der Volkskongreß von der SED beherrscht wurde, zeigten zum einen die einstimmige Billigung einer Entschließung zur „Deutschland-Frage", die im Wortlaut mit den Äußerungen des sowjetischen Außenministers Molotow auf der Londoner Konferenz übereinstimmte, sowie zum zweiten der Beschluß, die Volkskongreßbewegung zu einer dauernden Einrichtung zu machen. Mit dem Beginn der Volkskongreßbewegung verstärkten sich zugleich auch die Bestrebungen der SED und der SMAD — der weiterhin einzig und allein ausschlaggebenden politischen Madit — zur Gleichschaltung aller nichtkommunistischen Kräfte. Dies traf in erster Linie die beiden bürgerlichen Parteien, die durdi mannigfaltigen direkten und indirekten Druck auf allen Organisationsstufen an der Ausübung ihrer Tätigkeit gehindert wurden. Dabei wurden vor allem die Persönlichkeiten innerhalb der zentralen Parteigremien, die in irgendeiner Form an den einseitig auf die Schaffung einer kommunistischen Diktatur ausgerichteten Maßnahmen Kritik geübt hatten, aufgrund von meist haltlosen Anschuldigungen aus ihren Ämtern entfernt und durch der sowjetischen Militäradministration genehme Personen ersetzt. Nicht das Vertrauen der eigenen Parteimitglieder, sondern vielmehr das der Besatzungsmacht entschied über die personelle Zusammensetzung der Parteigremien. Sowohl die CDU — unter Vorsitz von Otto Nuschke — als auch die LDP — nach dem Tode von Wilhelm Külz (April 1948) unter Führung von Kastner und Diekmann — gerieten in völlige Abhängigkeit von der SED. Dem zweiten Volkskongreß, der am 18. März 1948 — dem säkularen Gedenktag der Märzrevolution — zusammentrat, gehörten 1 938 Delegierte (1 100 aus der SB2, 500 aus den Westzonen, der Rest aus Berlin) an. Die Teilnehmer aus der sowjetischen Zone, insbesondere die Mitglieder von CDU und LDP, waren durch „fortschrittlichere Elemente" ersetzt worden. Der zweite Volkskongreß schuf die endgültigen Voraussetzungen zur Bildung eines von den drei Westzonen separierten, vom Grundprinzip des „demokratischen Zentralismus" (s. u.) geprägten Staates, in-

326

A u s a r b e i t u n g der V e r f a s s u n g / D r i t t e r V o l k s k o n g r e ß

dem er aus seiner Mitte einen aus 400 Mitgliedern bestehenden „Deutschen Volksrat" bestellte. Diese nicht aus allgemeinen Wahlen hervorgegangene parlamentarische Körperschaft wurde zwischen den Tagungen des Volkskongresses sowohl zum exekutiven als auch zum legislativen Organ. Der Volksrat selbst bildete ein Präsidium, das wiederum für die laufenden Geschäfte ein ständiges Sekretariat ernannte und setzte zudem eine Reihe von Fachausschüssen ein. Diesen jeweils etwa 30 Mitglieder zählenden Ausschüssen für Verfassung, Wirtschaft, Kultur, Sozialpolitik, Friedensvertrag und Justiz fiel die Aufgabe zu, die Vorbereitungen zur Konstituierung der „Deutschen Demokratischen Republik" zu treffen. Am 19. März 1949 stimmte der Volksrat auf seiner sechsten Sitzung der vom Verfassungsausschuß unter Leitung von Otto Grotewohl ausgearbeiteten Verfassungsvorlage zu. Sie war im wesentlichen an dem bereits am 14. November 1946 (!) vom Zentralkomitee der SED gebilligten Entwurf orientiert, enthielt aber eine Reihe von Abänderungen, die vor allem den angestrebten zentralistischen durch einen teilweise föderativen Staatsaufbau ersetzten und den Bürgern die persönlichen Grundrechte garantierten (s. u.). Der Volksrat beschloß zudem die Verfassungsvorlage, die für ganz Deutschland Gültigkeit haben sollte, dem noch zu wählenden dritten Volkskongreß zur endgültigen Beschlußfassung vorzulegen. Vordergründig motiviert wurde das mit der bevorstehenden Verabschiedung des Grundgesetzes in den Westzonen (s. o.), die zu einer Notstandssituation geführt habe, in der der Volksrat selbst die Verantwortung nicht mehr allein tragen könne und nur eine durch Wahl vom Volk bestellte parlamentarische Körperschaft berechtigt sei, endgültige verfassungsrechtliche Entscheidungen zu fällen. Dies richtete sich vor allem gegen die nicht durch Referendum, sondern nur indirekt durch die Landtage der Westzonen vorgesehene Ratifizierung des Grundgesetzes. Zudem sollte die Wahl dem Herrschaftsystem der SED den Anschein demokratischer Legitimation verleihen. Bei der Wahl zum dritten Volkskongreß vom 15. und 16. Mai 1949, mit der gleichzeitig eine Volksabstimmung über die deutsche Einheit verbunden war, hatte der Wähler — im Gegensatz zu den Wahlen von 1946 — nicht die Möglichkeit, sich für separate Kandidatenlisten zu entscheiden; er konnte den gemeinsamen Wahlvorschlag des antifaschistisch-demokratischen Blocks nur in toto mit ja oder nein annehmen oder ablehnen. Die Zusammensetzung der Einheitsliste und damit zugleich die Verteilung der Mandate auf die Parteien und Massenorganisationen war somit bereits im vorhinein festgelegt. Außer den 1 525 Mitgliedern aus der Sowjetzone und Ost-Berlin

Deutschland (Sowjetische Besatzungszone)

327

Tabelle X : Zusammensetzung des dritten Volkskongresses Parteien*)

Abgeordnete

SED CDU LDP

450 225 225

N D P D

75

j-jjjj-j

Parteien") DFD VNN KB

Abgeordnete 50 50 50

ιlandwirtschaftliche j · j . f i-j.

Pjjj

tjQ

Genossenschaften

100

FDGB VdgB

50 50

Parteilose SPD (Ost-Berlin)

50 25

Insgesamt

1 525

Anmerkung: *) Die genauen Bezeichnungen der neugegründeten Parteien und Massenorganisation s. S. 330 f. (Quelle: Schultz, s. BiblAng., S. 23)

gehörten dem dritten Volkskongreß noch 616 Delegierte aus den Westzonen an, die unter direkter oder indirekter Einwirkung der westdeutschen K P D bestimmt, jedoch in keiner Weise gewählt worden waren. In der sowjetischen Zone und in Ost-Berlin selbst waren sowohl die Volksabstimmung als auch die Wahl zum Volkskongreß von massiven Manipulationen und Fälschungen begleitet, da schon am ersten Wahltag deutlich wurde, daß das Wahlergebnis keineswegs den Vorstellungen der SED entsprechen und möglicherweise die Zahl der J a Stimmen in einigen Gebieten geringer als die der ungültigen und Nein-Stimmen sein würde. Die Stadt- und Kreisverwaltungen sowie die Wahlkommissionen in den Wahllokalen wurden deshalb in der Regel von den kommunistischen Innenministern der Länder angewiesen, die Stimmauszählung nochmals durchzuführen; alle Stimmzettel, auf denen nidit ausdrücklich der Kreis für die Nein-Stimme angekreuzt war, sollten dabei als Ja-Stimmen gewertet werden. Als J a Stimme galten somit auch alle weißen und die Stimmzettel, die vollständig durchgestrichen oder beschrieben waren. Ungültig waren nur die Stimmen, die solche Bemerkungen enthielten, die „dem Grundgedanken für Einheit und gerechten Frieden" (Verfügung des Innenministers von Sachsen-Anhalt) widersprachen oder aber „eine demokratisch-feindliche Gesinnung erkennen" (Anweisung des mecklenburgischen Innenministers) ließen. Das so manipulierte Wahlergebnis wies dennoch 33,9 v. H . Nein-Stimmen aus; für die Einheitsliste wurden 66,1 v. H . der abgegebenen gültigen Stimmen errechnet. 6,6 v. H . der Stimmen waren ungültig (s. Tab. A 29).

328

Gründung der DDR/Verfassungssystem

Der dritte Volkskongreß der am 29. Mai 1949 zusammentrat, bestellte aus seiner Mitte erneut einen diesmal 330 Mitglieder zählenden Volksrat, dem nach dem schon mehrmals angewandten Verteilerschlüssel 90 Abgeordnete der SED, je 45 der CDU und LDP, je 15 der N D P D und des DBD, sowie 120 Abgeordnete der Massenorganisationen angehörten. Der Volkskongreß billigte zudem mit einer Gegenstimme die bereits verabschiedete Verfassung, wartete mit der Konstituierung der staatlichen Organe jedoch solange, bis in den Westzonen das Grundgesetz in Kraft getreten war. Am 7. Oktober 1949 konstituierte sich der deutsche Volksrat zur „Provisorischen Volkskammer", bestimmte als Termin für die Wahlen zur ersten ordentlichen Volkskammer, zu den Land- und Kreistagen und den Gemeindeparlamenten den 15. Oktober 1950 — der SED wurde so zur endgültigen Konsolidierung ihres totalitären Herrschaftssystems ein weiteres Jahre Zeit gelassen — und setzte zudem am gleichen Tage die nach Artikel eins für ganz Deutschland geltende Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft. Am 10. Oktober bildeten die fünf Landtage als zweite Kammer eine aus 34 Mitgliedern bestehende Länderkammer; gemeinsam mit der Volkskammer wählte sie am folgenden Tag Wilhelm Pieck zum ersten Präsidenten. Nach der Regierungsbildung am 12. Oktober 1949 waren alle zentralen staatlichen Organe konstituiert. Die erste Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik war nicht an der Stalin'schen Verfassung von 1936 orientiert, sondern vielmehr in einer Reihe von Bestimmungen der Weimarer Verfassung von 1919 nachgebildet. Sie berücksichtigte demnach demokratischparlamentarische Verfassungsprinzipien und enthielt einen Grundrechtskatalog, der die staatlichen Organe an die verfassungsmäßigen Grundsätze band. Die bürgerlichen Rechte waren jedoch insofern eingeschränkt, als „Boykotthetzte gegen demokratische Einrichtungen und Organisationen, Mordhetze gegen demokratische Politiker, Bekundungen von Glaubens-, Rassen-, Völkerhaß, militaristische Propaganda sowie Kriegshetze und alle sonstigen Handlungen, die sich gegen die Gleichberechtigung richten" (Art. 6), Verbrechen im Sinne des Strafgesetzbuches waren. Auch im institutionellen Bereich bestand eine weitgehende verfassungsrechtliche Übereinstimmung mit dem bürgerlich-demokratischen Verfassungs- und Institutionensystem. Artikel drei der Verfassung ging vom Prinzip der Volkssouveränität aus, die durch die Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts, die Möglichkeit des Volksbegehrens und Volksentscheids und das Petitionsrecht realisiert war. Allerdings wich die Verfassung vom Prinzip der Gewaltenteilung und der damit verbundenen Kontrolle der verschiedenen Staatsorgane

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untereinander ab. Höchstes Organ der Republik war die Volkskammer, deren Mitglieder auf die Dauer von vier Jahren auf der Grundlage des allgemeinen, gleichen und unmittelbaren Wahlrechts in geheimer Abstimmung gewählt wurden. In die Zuständigkeit der Volkskammer gehörten nach Artikel 63 der Verfassung die Gesetzgebung mit Gesetzesinitiative, die Beschlußfassung über den Staatshaushalt und den Wirtschaftsplan, die Wahl der Mitglieder des obersten Gerichtshofes — die Gerichte wurden auf allen Ebenen von der jeweiligen Volksvertretung gewählt — sowie gemeinsam mit der Länderkammer die Wahl des Präsidenten. Wählbar zum Präsidenten der Republik, der nur repräsentative Funktionen ausübte, war für eine vierjährige Amtsperiode — Wiederwahl war unbeschränkt zulässig — jeder Bürger, der das 35. Lebensjahr vollendet hatte. Nach dem Tode Wilhelm Piecks (7. September 1960) wurde das Präsidentenamt durch den kollektiven Staatsrat ersetzt. Dieser wird von der Volkskammer auf die Dauer von vier Jahren gewählt und ist ihr verantwortlich. Er besteht aus dem Vorsitzenden (seit 1960 Walter Ulbricht, gleichzeitig Erster Sekretär der SED), sechs Stellvertretern, 16 Mitgliedern und dem Sekretär. Der Staatsrat vertritt die Republik völkerrechtlich, erläßt Beschlüsse mit Gesetzeskraft, gibt allgemein verbindliche Auslegungen der Gesetze und bestimmt die Grundlagen der Regierungspolitik. Zu seinen weiteren Aufgaben gehören die Kontrolle der örtlichen Volksvertretungen und der Verwaltung sowie die Ratifizierung und Verkündigung internationaler Verträge. Zur Abberufung des Staatsrates ist ein Volkskammerbeschluß von zwei Drittel Mehrheit erforderlich. Die entscheidende Funktion des Parlamentes bestand zudem in der Wahl, Kontrolle und Entsetzung der Regierung. Die Regierung — gebildet aus Ministerpräsident und Fachministern — war der Volkskammer verantwortlich und konnte von dieser durch konstruktives Mißtrauensvotum gestürzt werden. Nach der Verfassungsnorm war ein parlamentarisches Regierungssystem ebenso angelegt wie ein Mehrparteiensystem; allerdings trug die Verfassung auch den Prinzipien des Blocksystems Rechnung. Die stärkste Fraktion der Volkskammer (in der Verfassungswirklichkeit also die SED) benannte den Ministerpräsidenten und alle Fraktionen des Parlamentes, die über mehr als 40 Abgeordnete verfügten, sollten proportional zu ihren Fraktionsstärken in der Regierung vertreten sein; sie mußten dieser aber nicht zwangsweise angehören, so daß das Blocksystem nicht verfassungsrechtlich verankert war. Gemäß dem Prinzip der Volkssouveränität räumte die Verfassung — trotz des föderativen Gliederungsprinzips — den Ländern und deren Institutionen nur geringe Rechte ein, so daß es sich keinesfalls

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Verfassungswirklidikeit/Demokratisdier Zentralismus

um einen föderalistischen Staatsaufbau handelte. Außer den in Artikel 112 der Verfassung festgelegten gesamtstaatlichen Bereichen, die ausschließlich in die Kompetenz der zentralen Staatsorgane fielen, konnten diese Organe zudem auch auf allen anderen Sachgebieten gesetzgeberisch tätig werden und einheitliche Gesetze erlassen. Das Gesetzgebungsrecht ging nur dann auf die Länder über, wenn die Organe der Republik davon keinen Gebrauch machten. Die Verfassung schuf jedoch ein Zweikammersystem. Die Länderkammer bestand aus Vertretern der einzelnen Länder, die von den Landtagen aus ihren Reihen proportional zu den Fraktionsstärken der Parteien und Massenorganisationen bestellt wurden; auf je 500 000 Einwohner entfiel ein Abgeordneter. Die Länderkammer besaß das Recht auf Gesetzesinitiative und konnte Einspruch gegen von der Volkskammer verabschiedete Gesetze erheben, die aber nach einem neuerlichen Beschluß der Volkskammer Rechtskraft erlangten. Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit entsprachen sich indes seit der Konstituierung der DDR weder im persönlichen Bereich des einzelnen Staatsbürgers — die Grundrechte waren faktisch ohne Bedeutung oder wurden zumindest einseitig zugunsten der SED interpretiert — noch im institutionellen. Entscheidend bestimmt wurde die materielle Verfassung — seit der Angleichung des Verfassungsrechts durch die Totalrevision der Verfassung vom 6. April 1968 auch die formelle Verfassung — durch die Existenz einer marxistisch-leninistischen Partei und ihre historische Aufgabe im Sinne des Marxismus-Leninismus. Da nach der Leninschen Staatstheorie die Arbeiterklasse und innerhalb der Arbeiterklasse die kommunistische Partei aufgrund ihres „geschichtlichen Wissens" allein und besser wissen, was zum Aufbau des Sozialismus notwendig und nützlich ist, spielen diese in Staat und Gesellschaft die führende Rolle. Konkret bedeutete dies, daß sich alle staatlichen Organe und privaten Organisationen unter die straffe Führung der SED unterordnen mußten. Ihre Funktionen erstrecken sich im wesentlichen nur darauf, die Politik der SED zu verdeutlichen und zu realisieren sowie Bindeglied (Transmissionsriemen) zu sein zwischen Partei und Bevölkerung. Diese Aufgabe erfüllt vor allem die am 4. Oktober 1949 als Nachfolgeorganisation des Blödes der antifaschistisch-demokratischen Parteien gegründete „Nationale Front des demokratischen Deutschlands". Mitglieder der Nationalen Front sind neben der SED die anderen beiden seit 1945 lizensierten Parteien, CDU und LDPD und die im Jahre 1948 auf Initiative und unter Führung der SED als bürgerliche „Konkurrenzparteien" entstandene „Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NDPD) und „Demokratische Bauernpartei Deutschlands" (DBD). Der Nationalen Front gehören

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zudem die zahlreichen, alle gesellschaftlichen Bereiche erfassenden Massenorganisationen an. Es sind dies: als Staatseinheitsgewerkschaft der „Freie Deutsche Gewerkschaftsbund" (FDGB), als Staatsjugendverband die „Freie Deutsche Jugend" (FDJ), der „Demokratische Frauenbund Deutschlands" (DFD), die „Gesellschaft der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft", die „Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe" (VdgB), der „Deutsche Kulturbund", die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN), die „Gesellschaft für Sport und Technik" (GST). Das Herrschaftssystem der Kommunisten beruhte im institutionellen Bereich — wie in den anderen sozialistischen Ländern auch — vor allem auf drei Prinzipien: der Gewaltenvereinigung, dem demokratischen Zentralismus und dem Blocksystem, die in ihrem Zusammenwirken und infolge der starken personellen Verzahnung von Parteiund Staatsämtern letztlich alle Macht in die Hände der zentralen Parteigremien der SED, in das Zentralkomitee, dessen Sekretariat und das Politbüro gelangen ließen. Durch eine Reihe von einfachen Gesetzen (s. BiblAng.) wurden Staatsaufbau und Verwaltung hierarchisch gegliedert (s. Darst. XIII). Durch das „Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der DDR" vom 23. Juli 1952 wurden die verfassungsrechtlich verankerten föderativen Strukturen beseitigt. Die Länder beschlossen dabei in gleichlautenden Gesetzen praktisch ihre eigene Auflösung und die Verwaltungsneugliederung in 14 Bezirke. Die Landtagsabgeordneten siedelten in die Bezirkstage über. Die Länderkammer blieb noch bis zum 8. Dezember 1958 weiter bestehen. Die Mitglieder der Länderkammer wurden daher 1954 und 1958 durch die Bezirkstage gewählt, wodurch deutlich werden sollte, daß die Bezirke als legitime Nachfolger der Länder angesehen wurden. Bezirkstag, Kreistag und Gemeindevertretung als legislative Organe der verschiedenen Ebenen sowie Bezirksrat, Kreisrat und Gemeinderat als entsprechende exekutive Organe sind seither aufgrund des demokratischen Zentralismus, gemäß dem alle staatlichen Institutionen gewählt werden (demokratisches Prinzip), den auf höherer Ebene stehenden Körperschaften untergeordnet (zentralistisches Prinzip). Die absolute Gewalt der zentralen Staatsorgane ist zudem durch den entscheidenden Faktor des demokratischen Zentralismus, die „zweifache Verantwortlichkeit", garantiert, da legislative und exekutive Körperschaften von höheren gesetzgebenden Institutionen abhängig sind, gleichzeitig aber ein höheres ausführendes Staatsorgan gegenüber einer niederen Legislative weisungsberechtigt ist.

332

Staatsaufbau/Wahlrecht

Darstellung XIII: Der Staatsaufbau der Deutschen Demokratischen Republik (gegliedert nach dem Prinzip des demokratischen Zentralismus)

(Quelle: Zusammengestellt u. a. nach Jahrbuch der Deutschen Demokratischen Republik, Jahrgang 1961, S. 38)

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Infolge der Gewaltenvereinigung und der hierarchischen Gliederung entstand eine Machtkonzentration, die systemtheoretisch die absolute Hoheit der Volkskammer bewirkte, zugleich aber in der Praxis dem Parlament jeglichen Einfluß nahm. Faktisdi ermöglichte dieser Staatsaufbau nämlich die absolute, von niemandem, auch von der Repräsentation selbst nicht kontrollierbare Herrschaft derjenigen Partei, die im Parlament die Mehrheit innehat. Der Gewinn der Mehrheit in den Repräsentationskörperschaften und damit die Alleinherrschaft der kommunistischen Partei wurden in erster Linie durch das Blocksystem realisiert. Blocksystem und Blockpolitik wirkten dabei in zweifacher Hinsicht; sie determinierten zum einen die Struktur des Parteiensystems sowie das Verhältnis der Blockmitglieder untereinander und verhinderten zum zweiten, daß sich bei der Bestellung der Repräsentationen konkurrierende Parteien gegenüberstehen, wodurch zugleich die Wahl einen dem bürgerlichdemokratischen Wahlbegriff unterschiedlichen Charakter erhielt. Wie in den meisten sozialistischen Ländern wurde auch in der DDR bisher vor jeder Wahl zur Volkskammer ein neues Wahlgesetz erlassen (s. BiblAng.). Mit Ausnahme des Wahlgesetzes vom 31. Juli 1963, das Wahlsystem, Wahlkreiseinteilung und Mandatszahl modifizierte, gehen alle Wahlgesetze auf das erste vom 9. August 1950 zurück und haben formal und faktisch nur geringfügige Änderungen herbeigeführt (zum heute gültigen Wahlrecht s. SystT.). Das aktive Wahlrecht besitzen seit 1950 alle Männer und Frauen deutscher Staatsangehörigkeit, die am Wahltag das 18. Lebensjahr vollendet und ihren ständigen Wohnsitz im Gebiet der DDR haben. Wählen kann aber nur derjenige, der in einer Wählerliste eingetragen ist oder einen Wahlschein besitzt. Vom aktiven Wahlrecht ausgeschlossen sind alle Bürger, die entmündigt sind, unter Vormundschaft stehen, an einem geistigen Gebrechen leiden oder nicht im Besitz der bürgerlichen Ehrenrechte sind. Außerdem kann durch Gerichtsbeschluß das Wahlrecht entzogen werden. Weitere Ausschließungsgründe vom aktiven Wahlrecht ergeben sich aus dem Paragraphen zwölf des „Staatsbürgerschaftsgesetzes der DDR" vom 20. Februar 1967, aufgrund dessen die Staatsbürgerschaft entzogen werden kann, wenn „sich der Bürger der Staatsbürgerschaft der DDR durch große Mißachtung der mit ihrer Verleihung übernommenen Verpflichtungen nicht würdig erweist". Als in der Ausübung des Wahlrechts behindert gelten Insassen von Heil- und Pflegeanstalten, Strafund Untersuchungsgefangene und Inhaftierte. Bürger der DDR, die sich am Wahltag im Ausland aufhalten, können in den diplomatischen Vertretungen wählen. Briefwahl ist nicht möglich. Wählbar ist jeder Bürger nach Vollendung des 21. Lebensjahres, der aktiv

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Wahlprinzipien/Wahlsystem

wahlberechtigt ist. Inkompatibilitäten bestehen nur für die Mitglieder der Wahlkreiskommissionen. Die Zahl der Abgeordneten war für die Wahl zur ersten ordentlichen Volkskammer durch die Verfassung auf 400 festgesetzt und wurde durch die Wahlgesetzänderung von 1963 auf 434 erweitert. Hinzu kamen seit 1954 noch 66 Berliner Abgeordnete, die aufgrund des besonderen Status von Berlin nicht direkt gewählt, sondern vom Magistrat Ost-Berlins delegiert wurden. Seit der Totalrevision der Verfassung im Jahre 1968 sollen jedoch auch die Berliner Abgeordneten unmittelbar bestellt werden. Bei den Wahlen zu den Volksvertretungen aller Ebenen werden zudem sog. Nachfolgekandidaten gewählt. Bis 1958 war ihre Zahl auf 100 festgelegt. Seit 1963 beträgt die Zahl der Nachfolgekandidaten etwa zwischen einem Viertel und einem Drittel der zu wählenden Abgeordneten. Diese Kooptation geht zurück auf das Volkssouveränitätsprinzip. Es soll dem Wähler die Möglichkeit gegeben werden, Abgeordnete, die sein Vertrauen verloren haben, auch während der Wahlperiode abberufen und durch neue Abgeordnete ersetzen zu können. Die gesetzlichen Bestimmungen über das Ende der Amtszeit eines Abgeordneten sehen deshalb neben dem Ende der Wahlperiode oder dem Erlösdien des Mandats durch Tod des Mandatsträgers oder Verlust der Wählbarkeit die freiwillige Mandatsniederlegung und die Abberufung des Abgeordneten vor. Die freiwillige Mandatsniederlegung muß jedoch von der Volksvertretung genehmigt werden. Die Abberufung kann einmal vorgenommen werden durch die Volksvertretung selbst oder auf Antrag der Wähler oder der Parteien und Massenorganisationen bei einer hierzu von den regionalen Ausschüssen der „Nationalen Front" (s. u.) einberufenen Wählerversammlung. Ein Antrag auf Abberufung kann gestellt werden, wenn ein Abgeordneter das Vertrauen seiner Wähler nicht rechtfertigt oder seine Pflicht mangelhaft erfüllt. Da über den Antrag die Volksvertretung entscheidet, in der der betreffende Abgeordnete sein Mandat innehat, bleibt der Einfluß des Wählers gering. Diese Bestimmungen stärken in der Praxis vielmehr die zentralen Organe der Parlamente, das Präsidium der Volkskammer und die ständigen Ausschüsse der örtlichen Volksvertretungen. Unter dem Deckmantel der Volkssouveränität bewirken sie bei der personellen Verzahnung von Partei- und Staatsämtern eine nicht unerhebliche Abhängigkeit des einzelnen Abgeordneten von den zentralen Gremien der SED. Das in der Verfassung von 1949 garantierte freie Mandat des Abgeordneten wird dadurch faktisch aufgehoben. Während der ersten Wahlperiode ζ. B. verloren durch Beschluß der Volkskammer 44 Abgeordnete ihr Mandat.

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335

Wahlrechtsgesetzgebung und Wahlpraxis in den sozialistischen Ländern decken sich in den Bestimmungen über Wahlperiode, Mitgliederzahl, Wahlkreiseinteilung, Wahlorganisation (s. SystT.) und in den Begriffen des engeren Wahlrechts „allgemein", „unmittelbar" und „gleich" im Hinblick auf den Zählwert der Stimme. Das Recht auf geheime Wahl allerdings wird ttotz der verfassungsrechtlichen Garantie schon durch die massive Propagierung der offenen Stimmabgabe vor den Wahlen in Frage gestellt. Die Inanspruchnahme des Wahlgeheimnisses sowie Wahl- und Stimmenthaltung stehen im Widerspruch zum sozialistischen Wahlbegriff und werden als staatsfeindliche Haltung angesehen. Artikel 51 der Verfassung von 1949 bestimmte als Wahlsystem die Verhältniswahl starrer Liste. Die Zuteilung der Mandate auf die Wahlvorschläge sollte im gesamten Wahlgebiet „entsprechend dem Verhältnis der auf die Wahlvorschläge entfallenden Zahl der Stimmen" (WG 1950/§ 46) erfolgen. Ein bestimmtes Verrechnungsverfahren — für das Proporzsystem an sich conditio sine qua non — sahen jedoch weder das Wahlgesetz noch die Durchführungsverordnung vor, da die Einheitsliste eine Verrechnung auf verschiedene Wahlvorschläge erübrigte. Seit der Wahlgesetzmodifikation von 1963 gilt — die SED folgte hierin dem Vorbild anderer osteuropäischer Staaten — die absolute Mehrheitswahl in Mehrmannwahlkreisen nach Listen. Erstmals angewandt wurde dieses Wahlsystem bei den Kreis- und Gemeindewahlen vom 10. Oktober 1965. Seither erfolgt die Wahlkreiseinteilung für jede Wahl durch den Staatsrat; sie soll die Verwaltungsgliederung in Bezirke und Kreise sowie die Bevölkerungszahl berücksichtigen. Bei den beiden letzten Wahlen von 1963 und 1967 war das Wahlgebiet in 67 Wahlkreise mit vier bis acht Abgeordneten und ein bis vier Nachfolgekandidaten eingeteilt. Die durchschnittliche Einwohnerzahl pro Wahlkreis betrug 1967 253 730, die durchschnittliche Zahl der Wahlberechtigten 173 134. Im größten Wahlkreis, Karl-Marx-Stadt (Chemnitz), lebten 302 418 Wahlberechtigte, im kleinsten, Merseburg, hingegen nur 96 601. In jedem Wahlkreis werden dabei mehr Kandidaten aufgestellt als Mandate zu vergeben sind. Der Wähler kann die ihm nicht genehmen Kandidaten streichen. Gewählt ist, wer mehr als 50 v. H . der gültigen Stimmen erhalten hat. „Erhält eine größere Zahl der Kandidaten mehr als 50 v. H . der gültigen Stimmen als Mandate im jeweiligen Wahlkreis vorhanden sind, entscheidet die Reihenfolge der Kandidaten auf dem Wahlvorschlag über die Besetzung der Abgeordnetenmandate und über die der Nachfolgekandidaten" (WO 1963 und 1967/§ 39). Die vom Wähler vorgenommenen Streichungen haben auf die Wahl der Kandi-

336

Blocksystem und Einheitsliste/Auswirkungen

daten also nur eine äußerst beschränkte Wirkung; die Summe der Streichungen auf den Stimmzetteln verändert die starre Liste erst dann, wenn ein Kandidat auf mehr als 50 v. H . der gültigen Stimmzettel ausgestrichen ist. Nachwahlen müssen stattfinden, wenn in einem Wahlkreis weniger Kandidaten, als Mandate zu besetzen sind, die erforderliche Stimmenmehrheit erreicht haben; dieser für die Konstruktion des Wahlsystems notwendigen Bestimmung kommt in der Wahlpraxis keine Bedeutung zu. Das seit 1963 gültige Wahlsystem setzt für die Wahlbewerbung nur eine Kandidatenliste voraus. Verfassungs- und Wahlgesetzgebung ermöglichten jedoch formell die Kandidatur separater Wahlvorschläge. So bestimmten Artikel 13 der Verfassung von 1949 und die Wahlgesetze von 1950 und 1954: „Wahlvorschlage für die Volkskammer dürfen nur die Vereinigungen aufstellen, die nach ihrer Satzung die demokratische Gestaltung des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens der gesamten Republik erstreben und deren Organisation das ganze Staatsgebiet umfaßt." Die Wahlgesetze gestatteten allerdings die Listenverbindung zu einer Einheitsliste. Auch das Wahlgesetz von 1963 (s. SystT.) erlaubt formell die Wahlbewerbung verschiedener Wahlvorschläge, diese müssen aber von den demokratischen Parteien und Massenorganisationen aufgestellt und können zu einem gemeinsamen Wahl Vorschlag der „Nationalen Front des demokratischen Deutschland" vereinigt werden. In der Praxis ist bisher bei den Wahlen zu allen Repräsentationskörperschaften seit der Gründung der DDR jeweils nur eine Einheitsliste der Nationalen Front aufgestellt worden. Blocksystem und Einheitsliste gehen zurück auf das Prinzip der Volkssouveränität. Nach der Theorie — u. a. entwickelt von A. Steiniger (s. BiblAng.) — soll mit dem Blocksystem der Antagonismus von Mehrheit und Minderheit überwunden werden und allen Parteien und politischen Gruppen die Möglichkeit gegeben werden, gemeinsam die Regierungspolitik auszuüben. Das Ziel des Blocksystems sei es somit, dem Ideal der Einstimmigkeit so nahe wie möglich zu kommen, um die Verschmelzung des Individualwillens im Gemeinschaftswillen zu erreichen. Faktisch jedoch besteht die Aufgabe von Blocksystem und Einheitsliste darin, das Herrschaftssystem der kommunistischen Partei im institutionellen Bereich sicherzustellen. Deutlich wird diese Wirkweise der Einheitsliste durch einen Vergleich der Mandatsverteilung nach den Landtagswahlen von 1946 und 1950, der aufzeigt, daß die SED die Mehrheit in den Landtagen im wesentlichen über die Einheitsliste erzielte. Der Einfluß der SED beschränkte sich jedoch nicht nur auf die Festlegung der Fraktionsstärken der Parteien und Massenorganisationen

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Tabelle XI: Mandatsverteilung in den Landtagen nach den Wahlen von 1946 und 1950 Länder Brandenburg Mecklenburg Thüringen Sachsen Sachsen-Anhalt Insgesamt

1946 Mandate SED»" CDU/LPD

1950 Mandate SED«1''·) CDU/LDP

Gesamtmandate

49 48 53 62 53

51 42 47 58 57

74 64 72 86 80

26 26 28 34 30

100 90 100 120 110

265

255

376

144

520

Anmerkungen: *) SED und Massenorganisationen; **) SED, NDPD, DBD und Massenorganisationen. (Quelle: Wahlen in der Sowjetzone, s. BiblAng., S. 34; vgl. Tab. A 28)

der Nationalen Front. Blocksystem und Einheitsliste gaben den Kommunisten zudem auch die Möglichkeit, die parteiinterne Kadidatenauswahl der anderen Mitglieder der Nationalen Front zu kontrollieren. Die Einheitsliste für Sachsen-Anhalt enthielt ζ. B. bei der Landtagswahl von 1950 keinen einzigen bei der Wahl von 1946 gewählten Abgeordneten mehr; von den 100 Abgeordneten des brandenburgischen Landtags kandidierten 1950 nur noch neun, in Mecklenburg von 90 Abgeordneten nur noch zehn. Die Einheitsliste hat zwangsläufig zur Folge, daß die Zusammensetzung der Volksvertretungen, die Verteilung der Mandate auf die Parteien und Massenorganisationen sowie die soziale Gliederung der Parlamente im vorhinein festgelegt sind. Die Wahl dient zwar — wie im bürgerlich-demokratischen Verfassungs- und Institutionensystem auch — zur Legitimation des Herrschaftssystems, mehr jedodi zur Festigung der Arbeiter- und Bauernmacht und der volksdemokratischen Ordnung; sie dient ferner gleichfalls zur Bestellung einer Repräsentation. Die Bestimmung von Machtträgern in der Regierung, die Auswahl zwischen verschiedenen konkurrierenden Wahlbewerbern oder gar eine Sachentscheidung über alternative politische Vorstellungen kann der Wähler mit seiner Stimmabgabe jedoch nicht treffen. Die Wahl bekommt somit in den sozialistischen Ländern nicht zuletzt aufgrund des Blocksystems und der Einheitsliste einen vom bürgerlich-demokratischen Wahlbegriff grundsätzlich verschiedenen Charakter. Dies wirkt sich vor allem auch auf die Funktionen aus, die die Wahl zwangsläufig erhalten und die ihr von kommunistischer Seite zugewiesen werden. 22 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

338

Funktionen der Wahl/Wahlbewegung

Dem eigentlichen Wahlakt kommt nur geringe Bedeutung zu. Das Wahlergebnis (Wahlbeteiligung, ungültige Stimmen und Gegenstimmen) ist nur insofern von Interesse, als es die Einheit der gesamten Bevölkerung, ihre Übereinstimmung mit der Politik der SED und der Nationalen Front sowie ihren Willen zum Aufbau des Sozialismus zu dokumentieren hat. Einen Gradmesser der öffentlichen Meinung stellt es jedoch infolge der weitgehend organisierten und öffentlichen Stimmabgabe nicht dar. Bei allen Wahlen zur Volkskammer lag die Wahlbeteiligung stets über 98 v. H., der Prozentsatz der für die Nationale Front abgegebenen gültigen Stimmen zwischen minimal 99,46 v. H . [1954] und maximal 99,95 v. H . [1963] (s. Tab. A 30). Die Stimmabgabe am Wahltag ist — auch nach kommunistischer Auffassung — im wesentlichen nur noch ein symbolischer Akt, der die Wahl beschließt. Im Mittelpunkt der Wahl in den sozialistischen Ländern stehen Wahlvorbereitung, Wahlbewegung, Kandidatenauswahl, Nomination und Wahlkampf; ihnen kommt erheblich mehr Gewicht zu als der Wahlentscheidung selbst. „Wahlen zu den Vertretungskörperschaften im sozialistischen Staat sind immer Höhepunkte im Leben des werktätigen Volkes. Sie sind Anlaß, Rückschau auf den bisher zurückgelegten Weg zu halten, über die bisherigen Resultate der gemeinsamen schöpferischen Arbeit bei der Gestaltung des neuen Lebens in der sozialistischen Gesellschaft Redienschaft abzulegen und zugleich den Blick nach vorn zu richten, um über die neuen Aufgaben, die gelöst werden müssen, Klarheit zu schaffen (O. Gotsche)." Die entscheidende Funktion der sozialistischen Wahl ist es, durch Agitation und Diskussion während der Wahlbewegung und des Wahlkampfes über zum Zeitpunkt der Wahl anstehende politische Fragen das Bewußtsein der Bevölkerung zu stärken und zu heben, und dadurch zur „Festigung der politisch-moralischen Einheit der Bevölkerung" (WgPräambel) beizutragen. Diesem Ziel dienen neben den Versammlungen vor allem die massenhaft ausgeführten Selbstverpflichtungen des Einzelnen wie der Betriebe und Organisationen, die vorzeitige Planerfüllung der Betriebsgruppen, die zusätzliche gesellschaftliche Aktivität der Jugendorganisationen u. a. m. Dieser vornehmlich sozio-ökonomischen Komponente innerhalb der Wahl, die als Nebenwirkung einen konkreten wirtschaftlichen Nutzeffekt hat, wird in letzter Zeit verstärkte Bedeutung beigemessen. In erster Linie als Wettbewerb durchgeführt, wird sie von kommunistischer Seite politisch im wesentlichen als Volksabstimmung interpretiert, die dokumentiere, „daß in der Deutschen Demokratischen Republik Staatsmacht und Volk eine unerschütterliche und sich immer mehr festigende Einheit bilden" (O. Gotsche).

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Das Hauptgewicht der Wahlbewegung liegt jedoch auch weiterhin auf den Wählervertreter- und Wählerversammlungen, die — wie der gesamte Wahlkampf — von den Organen der Nationalen Front durchgeführt werden. Während des Wahlkampfes des Jahres 1954 z.B. — er dauerte vom 28. Juli bis zum 17. Oktober — fanden 491 121 Versammlungen statt, zu denen bei einer Gesamtbevölkerung von etwa 17 Millionen Einwohnern knapp 15 Millionen (!) Teilnehmer erschienen; von diesen sprachen in den Diskussionen etwa zehn Prozent; es wurden etwa 52 000 Wünsche, Anregungen und Beschwerden vorgebracht. Die Versammlungen werden vielfach in den Betrieben, Fabriken, landwirtschaftlichen Genossenschaften und Wohnbezirken abgehalten. Im Bezirk Frankfurt/Oder fanden 1954 beispielsweise nur 634 öffentliche Versammlungen, jedoch 777 Betriebs-, 3 443 Kleinst- sowie 2 208 Haus- und Hofversammlungen statt. Die Wahlbewegung vollzieht sich in zwei Phasen: Sie setzt ein mit der Rechenschaftslegung der Abgeordneten und wird weitergegeführt mit der Kandidatenvorstellung bzw. -auswahl. Mit den Rechenschafts- wie den Vorstellungsversammlungen, die beide von der Wahlordnung gefordert werden, wird das Ziel verfolgt, Diskussionen von Abgeordneten und Kandidaten mit dem Wähler herbeizuführen, damit sie ihm ihre bisherigen gesellschaftlichen Tätigkeiten und Zielsetzungen erläutern; der Wähler soll seine eigenen Vorstellungen darlegen, damit der Abgeordnete sie dann bei seiner Arbeit berücksichtigen kann. Kritik von Seiten der Wähler wie Stellungnahmen der Abgeordneten und Kandidaten sind jedoch an die Grundlagen des Marxismus-Leninismus, die Erfordernisse des sozialistischen Gesellschaftssystems, die von den zentralen Gremien der SED aufgestellten Leitlinien und dem Wahlaufruf des Nationalrates der Nationalen Front gebunden. Die SED ist ferner bemüht, über diese Versammlungen eine engere Verbindung zwischen Wähler und Abgeordnetem zu erreichen. Dem Wähler soll das Gefühl gegeben werden, er werde von „eigenen" Abgeordneten repräsentiert. Der Rechenschaftslegung der Abgeordneten kommt zudem dadurdi gewisse Bedeutung zu, daß seit dem Wahlgesetz von 1963 bei jeder Wahl ein Drittel der bisherigen Abgeordneten durch neue ersetzt werden muß. Während der fünften Wahlperiode (seit 1967) gehören von den 434 Abgeordneten 168 der Volkskammer zum ersten Mal an, sieben Abgeordnete traten als Nachfolgekandidaten im Laufe der vierten Wahlperiode ins Parlament ein, 259 Abgeordnete sind mindestens seit Beginn der vierten Wahlperiode im Jahre 1963 Mitglieder der Volkskammer. Diese Bestimmung trägt ähnlich wie die über die Abberufung von Abgeordneten zur Kontrolle der SED über die einzelnen Abgeordneten bei; sie zeigt aber vor allem die unterge-

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Kandidatennominierung

ordnete Stellung des Parlamentes im politischen Entscheidungsprozeß auf. Als besonders demokratisch wird von kommunistischer Seite die Aufstellung und Prüfung der Kandidaten durch den Wähler selbst hervorgehoben. Nach Paragraph 27 der Wahlordnung von 1963 können die Wählervertreterkonferenen bzw. in kleinen Orten die Wählerversammlungen, die von den Organen der Nationalen Front einberufen werden, zum Wahlvorschlag der Nationalen Front und zur Reihenfolge, in der die Kandidaten auf der effektiv starren Liste aufgeführt sind, Stellung nehmen und Beschluß fassen. Sie „sind berechtigt, vorzuschlagen, Kandidaten von dem Wahlvorschlag abzusetzen". Ein Ablehnungsrecht haben jedoch weder die Wählervertreter noch die Wähler; über die Absetzung von Kandidaten entscheiden vielmehr die jeweils zuständigen zentralen Wahlkommissionen, d. h. bei Volkskammerwahlen die Wahlkommission der Republik, bei Bezirkstagswahlen die Bezirkswahlkommission (zur Bestellung der Wahlkommissionen s. SystT.). Von der kommunistischen Staatsrechtslehre wird dies keinesfalls als Beeinträchtigung der Rechte des Wählers angesehen, da die Wahlkommission wirklich vertrauensunwürdige Kandidaten, deren Abberufung gefordert worden ist, vom Wahlvorschlag streichen würde. Zudem wird — als wenig stichhaltiges Argument — angeführt, es bestünde die Gefahr, daß mehr oder minder zufällige Gremien, die in bezug auf Größe und soziale Gliederung der Gesellschaftsstruktur nicht entsprechen, über die Kandidaten urteilen könnten. Das Entscheidungsrecht der Wahlkommissionen verhindere dies. Während der Wahlbewegung zu den Kreis-, Stadt- und Gemeindewahlen im Jahre 1957 wurde bei einer Gesamtzahl von etwa 272 000 Kandidaten in 1 018 Fällen die Absetzung von den Wahl vorschlagen verlangt. Eine detaillierte Analyse über die Parteizugehörigkeit der Kandidaten, die tatsächlich erfolgte Absetzung usw. ist nur sehr schwer möglich. Kandidaten der SED scheinen jedoch — wenn überhaupt — in wesentlich geringerem Umfang als Kandidaten der übrigen Mitglieder der Nationalen Front abberufen worden zu sein. Im allgemeinen jedoch bleibt die Möglichkeit des Wählers, Kandidaten abzulehnen und damit die Abberufung herbeizuführen, gering und ist zudem der — wenn auch eingeschränkten — Kontrolle der SED unterworfen. Obwohl die Kandidatenaufstellung formell erst mit den Wählervertreter· und Wählerversammlungen abgeschlossen ist, so unterliegt ebenso wie die Wahlbewegung auch die eigentliche Auswahl der Kandidaten und damit zugleich der Abgeordneten der Kontrolle der SED. Die Überwachung der Kandidatennomination ergibt sich aus der

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341

führenden Rolle der Arbeiterklasse und der kommunistischen Partei in der Gesellschaft. „Entsprechend dem Wesen der Diktatur der Arbeiterklasse und der damit verwirklichten Volksherrschaft (sie!) bleibt die führende Rolle der Partei der Arbeiterklasse auch innerhalb des Nominierungsrechtes die Kernfrage, weil ohne sie eine dauerhafte Verwirklichung der Volksherrschaft undenkbar ist und es nur den tatsächlichen Verhältnissen entspricht, wenn sie in der politischen Struktur unserer Volksvertretungen zum Ausdruck kommt (E. Poppe)." Die Einflußnahme der Kommunisten auf die Kandidatennomination der anderen Parteien der Nationalen Front ist in erster Linie über die von der SED beherrschten Sekretariate der Nationalen Front gegeben. Die nur selten erfolgenden Abberufungen von Kandidaten lassen zudem vermuten, daß sich die Parteien in der Regel schon vor oder während der Auswahl ihrer Kandidaten die Zustimmung der SED einholen. Welches Gremium die Kandidatenauswahl der Mitglieder der Nationalen Front überwacht, kann jedoch nicht mit Sicherheit gesagt werden. Die Aufstellung der SED-Kandidaten und die der Massenorganisationen wird direkt von der zuständigen Kaderabteilung des Zentralkomitees der SED (bis 1958 die Abteilung „Leitende Organe" [LO]) gelenkt. Besonderer Wert wird bei der Kandidatenauswahl zudem auf die soziale Zusammensetzung der Repräsentationskörperschaften gelegt. Die Volksvertretungen sollen weitestgehend ein Spiegelbild der sozialen Gliederung der Gesellschaft sein. Nur über die „Abbildung" des Volkes in den Parlamenten — so argumentiert man von kommunistischer Seite — könnten das Prinzip der Volkssouveränität verwirktlicht und die Identität der staatlichen Organe mit dem Tabelle X I I : Soziale Herkunft der Volkskammerabgeordneten 1 9 5 4 — 1 9 6 9 2. Wahlperiode (1954-- 1 9 5 8 ) Arbeiter Bauern Angestellte Handwerker u. Gewerbetreibende Intelligenz Sonstiger Herkunft

222η 262"·')





Insgesamt

400

466

39 63

43 78

38 38

40 43

3. Wahlperiode (1958-- 1 9 6 3 )

1 \

244 31

286 36

85

99

36 4

41 4

1

400

466

4. Wahlperiode (1963-- 1 9 6 7 )

5. Wahlperiode (seit 1967)

245 48 57

283 52 70

283 41 56

287 44 71

52 21 11

59 23 13

48 27 11

52 34 12

500

434

500

434

Anmerkung: *) Die Kolonnen jeweils ohne die Berliner Abgeordneten; **) die Kolonnen jeweils einschließlich der Berliner Abgeordneten. (Quelle: Statistisches Jahrbuch der DDR, Jahrgang 1 ff., Berlin (Ost) 1956 ff.)

Parlamentsstruktur/Verfassung von 1968

342

Volk hergestellt werden. Da der Anteil der gesellschaftlichen Gruppen am Aufbau des Sozialismus zu berücksichtigen ist, bilden die Angehörigen der Arbeiterklasse — wie Tabelle zwölf zeigt — die stärkste soziale Gruppe in der Volkskammer. Ähnliche Überlegungen und Maßstäbe bestimmen auch die Altersstruktur der Volksvertretungen. Vor allem in jüngster Zeit hat die steigende Bedeutung der jüngeren Generation im wirtschaftlichen Bereich auch zur stärkeren Repräsentation in der Volkskammer geführt. Eine gewisse Rolle mag jedoch auch die Tatsache spielen, daß die jüngere Bevölkerung, die nur wenig Vergleichsmöglichkeiten hat, zudem zum großen Teil bereits kommunistisch erzogen ist, dem sozialistischen Gesellschaftssystem und der Politik der SED gegenüber wenn auch nicht unkritisch, so doch wesentlich positiver eingestellt ist als die ältere Generation. Seit Beginn der fünften Wahlperiode ergibt sich folgende altersmäßige Gliederung der Volkskammer: 66 (12,2 v. H.) der 500 Abgeordneten (unter Einschluß der Berliner Abgeordneten) sind unter 30 Jahre, 164 (32,8 v. H.) zwischen 31 und 40 Jahre, 148 (29,6 v. H.) zwischen 41 und 50 Jahre, 78 (15,6 v. H.) zwischen 51 und 60 Jahre und nur 44 (8,8 v. H.) Abgeordnete über 60 Jahre alt. Nach der Einheitsliste hatte die Volkskammer folgende Zusammensetzung: Tabelle X I I I : Fraktionelle Gliederung der Volkskammer 1 9 5 0 — 1 9 6 9 Parteien

1. Wahlperiode ( 1 9 5 0 - -1954) absolut in °/o

SED LDPD CDU NDPD DBD FDGB FDJ DFD VVN Kulturbund VdgB/Genossensdiaften SPD-Berlin

110 66 67 35 33 49 25 20 19 24

25,0 15,0 15,0 7,5 7,5 10,0 5,0 3,7 3,7 5,0

12 6

2,6

Insgesamt

466*)



100,0*»·)

2. u. 3. Wahlperiode ( 1 9 5 4 - -1963) in °/o absolut 117 52 52 52 52 53 29 29 —

25,00 11,25 11,25 11,25 11,25 11,25 6,25 6,25 —

4. u. 5. Wahlperiode ( 1 9 6 3 - •1971) in °/o absolut 127 52 52 52 52 68 40 35 —

18

3,75

22

12

2,50





466*)



100,00»)



500*)

25,4 10,4 10,4 10,4 10,4 13,6 8,0 7,0 —

4,4 — —

100,0*)

Anmerkungen: *) U n t e r Einsdiluß der Berliner Abgeordneten; **) ohne die Berliner Abgeordneten. (Quelle: Zusammengestellt nach Statistisches Jahrbuch der D D R , Jahrgänge 1, 4, 10, Handbuch der Volkskammer, 5. Wahlperiode, Richert, s. BiblAng., S. 201 f., Doernberg, s. BiblAng., S. 691 f.)

343

Deutschland (DDR)

Die in Tabelle X I I I aufgeführten Mandatszahlen der Parteien und Massenorganisationen bieten jedoch nur ein verzerrtes Bild der Fraktionszusammensetzung der Volkskammer. Tatsächlich verfügt die SED stets über die absolute Mehrheit der Mandate. Sie erreicht die Mandatsmehrheit in erster Linie über die von ihr beherrschten und kontrollierten Massenorganisationen. Während der zweiten Wahlperiode waren von den 120 Abgeordneten der Massenorganisationen 108 zugleich Mitglieder der SED; nach den Wahlen von 1963 und 1967 gehörten von 144 Abgeordneten sogar 107 bzw. 126 der SED an. Bezieht man diese Abgeordneten mit ein, so verfügte die SED bei einer Gesamtmandatszahl der Volkskammer von 400 Abgeordneten 1954 über 208 Mandate, 1958 über 207 sowie 1963 und 1967 bei einer Gesamtmandatszahl von 434 Abgeordneten über 217 bzw. 236 Mandate. Mit der durch Volksentscheid gebilligten Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik von 1968 ist das Verfassungsrecht der materiellen Verfassung angeglichen worden. Ähnlich wie nach der To-

Volksentscheid v o m 6. April 1968 absolut Stimmberechtigte Abgegebene Stimmen Stimmenthaltungen gültige Stimmen Ja-Stimmen Nein-Stimmen ungültige Stimmen Stimmenthaltungen, ungültige Stimmen, Nein-Stimmen

in °/o der Stimmberechtigten

in °/o der abgegebenen Stimmen

12 208 986 11 970 889 238 097 11 946 536 11 536 803 409 733 24 353

98,05 1,95 97,84 94,49 3,35 0,21

99,79 96,37 3,42 0,21

672 183

5,51

(Quelle: Zusammengestellt nach AdG 1968, S. 13.848)

talrevision der Verfassung in der Tschechoslowakei (1960) und in Rumänien (1965) sind somit audi in der DDR die Grundstrukturen des kommunistischen Herrschaftssystems, die Gewaltenvereinigung, der demokratische Zentralismus und das Blocksystem, verfassungsrechtlich verankert. Dies hat jedodi zu keinerlei grundsätzlichen Veränderungen im Staatsaufbau geführt; Funktionen und Einfluß der einzelnen Staatsorgane sowie ihr Verhältnis zueinander sind weitest-

344

Wahl der Parlamente

gehend erhalten geblieben. Nach der Verfassungsnorm ist die Volkskammer weiterhin „das oberste staatliche Machtorgan der Deutschen Demokratischen Republik" und „enscheidet in ihren Plenarsitzungen über die Grundfragen der Staatspolitik" (Art. 48). In der Verfassungspraxis indes ist alle politische Macht unverändert im Staatsrat konzentriert, der infolge der Gewaltenvereinigung und des demokratischen Zentralismus alle relevanten gesetzgebenden und ausführenden Funktionen ausübt. Die führende Rolle der SED als marxistisch-leninistische Partei innerhalb des Staates, der Nationalen Front und innerhalb der Arbeiterklasse wird von der Verfassung anerkannt und ausdrücklich betont. Gewährleistet wird die unumschränkte Herrschaft der SED durch die enge personelle Verzahnung von Partei- und Staatsämtern; die Wahlen zu den Volksvertretungen sind auch weiterhin ausschließlich auf die Erhaltung und Sicherung der bestehenden Machtverhältnisse gerichtet. Im Gegensatz zu einigen anderen sozialistischen Ländern sind die innenpolitischen Strukturen nach wie vor von straffen stalinistisch-bürokratischen Regierungspraktiken geprägt. Dies geht nicht zuletzt auf die besondere Situation der D D R innerhalb der osteuropäischen wie vor allem der gesamteuropäischen politischen Konstellationen zurück, die die SED-Führung aus innen- und außenpolitischen Überlegungen heraus zu einer starken Anlehnung an die Politik der Sowjetunion zwingen. Größere außenpolitische Selbständigkeit — wie sie ζ. B. Rumänien praktiziert — oder innenpolitische Demokratisierungsprozesse — wie sie zeitweilig in Polen und Ungarn oder jüngst in der Tschechoslowakei stattfanden — bedrohen das Herrschaftssystem der kommunistischen Partei in der D D R in viel stärkerem Maße als in anderen sozialistischen Ländern. Aus diesem Grunde haben die verschiedenen staatlichen Institutionen sowie die Massenorganisationen und Parteien der Nationalen Front, die ebenso wie der Staatsaufbau entsprechend dem demokratischen Zentralismus hierarchisch gegliedert sind, nur äußerst geringe Eigenverantwortlichkeiten. Ihre Aufgaben bleiben audi heute noch im wesentlichen darauf beschränkt, die politischen und gesellschaftlichen Ziele der SED der Bevölkerung zu verdeutlichen, um auf diese Weise als Transmissionsriemen zum Aufbau des Sozialismus beizutragen.

Deutschland

345

Nachtrag der Redaktion Gegen Ende der fünften Wahlperiode hat die Wahlsystemfrage wesentlich an Aktualität verloren; die Einführung eines mehrheitsbildenden Wahlsystems ist in entscheidendem Maße vom Ausgang der Bundestagswahl vom 28. September 1969 und der darauffolgenden Regierungsbildung abhängig. Im Mittelpunkt der verfassungspolitischen Diskussionen stehen gegenwärtig u. a. auch der Wahlmodus des Bundespräsidenten, die Reform der parlamentarischen Arbeit sowie vor allem die Frage des Wahlalters. Vom Parlamentarischen Rat im Jahre 1949 im Artikel 38 des Grundgesetzes auf 21 Jahre für das aktive und 25 Jahre für das passive Wahlrecht festgelegt, wird heute vielfach die Herabsetzung des Wahlalters auf 18 bzw. 23 Jahre gefordert. Für diese Änderung spricht in erster Linie die Angleichung des aktiven Wahlrechts an die Wehrfähigkeit. Sie würde jedoch zugleich eine Diskrepanz zwischen Wahlalter und Volljährigkeit bewirken, so daß audi die Herabsetzung der Volljährigkeit erwogen wird. Als erstes Bundesland hat Hamburg durch Gesetz vom 17. März 1969 für die Bürgerschaftswahl 1970 das Wahlalter auf 18 Jahre für das aktive Wahlrecht und 23 Jahre für die Wählbarkeit gesenkt. Im Vergleich zur Bundestagswahl vom Herbst 1969 werden damit in Hamburg etwa 60 000 Bürger zusätzlich wahlberechtigt. Obwohl sich alle Parteien für die Herabsetzung des Wahlalters auf Bundesebene ausgesprochen haben, dürfte die Realisierung vom Wahlverhalten dieser Jungwähler mitbeeinflußt werden, so daß der Bürgerschaftswahl in Hamburg im Hinblick auf das Wahlalter besondere Bedeutung zukommen wird.

346

Wahl der Parlamente

Anhang Wahlstatistik Tabelle A 1: Berufsständisdie Zusammensetzung der Deutschen Nationalversammlung von 1848 1. Geistige und freie Berufe Universitätsprofessoren Lehrer Geistliche Advokaten Arzte Bibliothekare Verleger, Buchhändler Schriftsteller

Abg. 49 57 33 66 18 5 6 43

2. Staats- und Gemeindediener

Abg.

3. Wirtschaftsstände

16 3 157

Landwirte Kaufleute Handwerker

Offiziere Diplomaten Richter, Staatsanwälte Höhere Verwaltungsbeamte Bürgermeister Mittlere Beamte

118 20 11

325

Insgesamt

277

Insgesamt

Insgesamt

Abg.

Davon akademisch gebildet

277

Geistige und freie Berufe Staats- und Gemeindediener Berufslose

Geistige und freie Berufe Staats- und Gemeindediener Wirtschaftsstände Berufslose

325 110 118

Insgesamt

830

(Quelle: Huber, VGe. Bd. 2, S. 610 f.)

Insgesamt

Abg. 60 46 4

110 Abg. etwa 250 etwa 275 etwa 25

etwa 550

Deutschland

347

Tabelle A 2: Fraktionsbildung in der Deutschen Nationalversammlung von 1848 Fraktion Cafe Milani

etwa 40 Mitglieder

Fraktion Casino (rechtes Zentrum)

über 120 Mitglieder

(konservativ, teilweise auch konfessionell katholisch) (Großbürgertum, bürgerliche akademische Intelligenz)

Fraktionen Württemberger je 30-40 Mitglieder Hof, Landsberg, Westendhalle (linkes Zentrum)

(Kleinbürgertum, fortschrittliche akademische Intelligenz)

Fraktionen Deutscher Hof, Nürnberger Hof (bestand nur-zeitweilig),

(radikal-demokratisches und republikanisches Kleinbürgertum)

Donnersberg

über 40 Mitglieder 11 Mitglieder etwa 45 Mitglieder

(Quelle: Schilfert, s. BiblAng., S. 118 ff.)

Tabelle A 3 : Berufsständisdie Zusammensetzung der Preußischen Nationalversammlung von 1848 Großgrundbesitz Großbürgertum Intelligenz beamtet Professoren Lehrer Geistliche Richter

27 Mitglieder 10 220 193 5 21 51 68

„ „

(Quelle: Schilfert, s. BiblAng., S. 401)

Staatsbeamte freiberuflich Kleinbürgertum Beamte freiberuflich Arbeiter ohne Beruf

48 27

Mitglieder 129

44 85 2 7

„ „ „

348

Wahl der Parlamente

Tabelle A 4 : Die Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus von 1849—1866 1849

1855

1858

in % in % in % Zahl der l.Abt. 153 803 ( 4,7) 146 028 ( 5,0) 149 612 ( 4,8) Urwähler 2. Abt. 409 945 (12,6) 403 841 (13,9) 418 540 (13,4) 3. Abt. 2 691 950 (82,7) 2 358 287 (81,8) 2 550 853 (81,8) Insgesamt 3 255 698 (100) 2 908 156 (lOO) 3 119 005 (lOO) Abg. 1. Abt. 84 169 (55,4) 57 756 (39,6) 75 162 (50,2) Stimmen 2. Abt. 183 226 (44,7) 109 895 (27,2) 155 329 (37,l) 3. Abt. 770 529 (28,6) 299 302 (12,7) 472 522 (18,5) Insgesamt 1 037 924 (31,9)

1861

466 953 (16,1)

1862

703 013 (22,6)

1863

1866

in °/o in % in % in % Zahl der l . A b t . 159 200 ( 4,7) 160 570 ( 4,7) 158 173 ( 4,4) 152 808 ( 4,2) Urwähler 2. Abt. 453 737 (13,5) 461 063 (13,3) 453 515 (12,8) 448 876 (12,3) 3. Abt. 2 750 000 (84,8) 2 828 870 (81,9) 2 937 477 (82,5) 3 034 943 (83,5) Insgesamt 3 362 937 (lOO) Abg. l.Abt. Stimmen 2. Abt. 3. Abt. Insgesamt

88 443 (55,8) 191 798 (42,4) 636 019 (23,0)

3 450 503 (100) 97 832 (61,0) 221 656 (48,0) 863 013 (30,5)

3 549 065 (lOO 90 790 (57,0) 202 709 (44,0) 803 954 (27,3)

3 636 627 (100) 92 242 (60,4) 213 243 (47,5) 839 382 (27,6)

916 260 (27,2) 1 182 501 (34,3) 1 097 453 (30,9) 1 144 867 (30,6)

Zahl der l . A b t . Wahl2. Abt. manner 3. Abt.

21 399 22 758 21 399

22 219 23 746 22 219

22 273 23 711 22 273

23 121 24 254 23 121

Insgesamt

65 556

68 184

68 257

70 496

leistung !· Abt. 7-12 496 Taler in den 2. Abt. 2- 1 604 Taler einzelnen 3. Abt. 1505 Taler Wahlbez.

9-13 165 Taler 2- 1 604 Taler 1388 Taler

3- 13 165 Taler 2- 2 260 Taler 1340 Taler

4- 11 692 Taler 1- 2 322 Taler 1- 1 005 Taler

(Quelle: Zs. d. königlich Preußischen Statistischen Büreausjg. 1862,1865,1867; s. BiblAng.)

349

Deutschland

Tabelle A 5: Mandatsverteilung im Preußischen Abgeordnetenhaus von 1858—1919 1858 Konservative Fraktionen Fraktion der Konservativen Fraktion Vincke Fraktion Mathis Fraktion Grabow Fraktion der Konstitutionellen linkes Zentrum Fortschrittspartei Katholische Fraktion Polen Bei keiner Fraktion

Fraktion der Konservativen Freikonservative Altliberale Linkes Zentrum Nationalliberale Fortschrittspartei Sezessionisten Zentrum Polen Bei keiner Fraktion

Konservative Partei Freikonservative Partei Nationalliberale Partei Deutsche Freisinnige Partei Freisinnige Vereinigung Freisinnige Volkspartei Fortschrittliche Volkspartei Zentrum Sozialdemokraten Polen Bei keiner Fraktion

47 — 151 44 — — — 57 18 35

1861

1862

1863

14

11

35

91 48 104 54 23 18

19 96 133 28 22 43

106 141 26 26 18

1866

1867

1870

1873

1876

1879

119 17 24 53

125 48 15 35 99 48

114 41 11

30 35 3

41 35

110 51

123 49

174 68

169 63

-

95

-

-

15 21 8

-

17 45

-

-

-

-

-

58 19 17

88 18 16

89 15 21

85 38 19*) 97 19 14

1882

1885

1888

1893

1898

1903

1908 1913*")

122 57 66 53")

133 62 72 40

129 64 86 29

144 65 84

144 58 75

143 59 79

152 60 65

-

-

-

-

-

-

-

6 14

10 26

8 24

8 28

-

-

-

-

-

-

-

99

98

98

95

-

-

-

-

-

-

18 18

15 13

15 12

17 8

13 7

13 10

-

100

-

97

148 54 71 -

-

;

104 7 15 4

102 10 12 3

Anmerkungen: *) Seit 1880 Abspaltung von den Nationalliberalen. **) Am Ende der Amtsperiode. ***) Stand am 1. Oktober 1913, unter Berücksichtigung der bereits erfolgten Veränderungen. (Quelle: Gagel, s. BiblAng., S. 176 f.; Statistisches Jahrbuch für den preußischen Staat, Bd. 11, Berlin 1914, S. 632 ff.; Bd. 12, Berlin 1915, S. 632 ff.)

Wahl der Parlamente

350

Tabelle A 6: Mandatsverteilung im konstituierenden und ordentlichen Reichstag des Norddeutschen Bundes nadi den Wahlen v o m 12. Februar und 31. August 1867

Wahlen vom 12. 2.1867 Mandate in % Konservative Partei Freikonservative Partei Altliberale Partei Nationalliberale Partei Freie Vereinigung Fortschrittspartei Sozialdemokraten Konstitutionelle Vereinigung Polen Dänen Deutsche Volkspartei Bei keiner Fraktion Insgesamt

59 39 27 80 14 19 1 18 13 2 -

25 297

19,8 13,2 9,1 26,9 4,7 6,4 0,3 6,1 4,4 0,7 -

8,4 100

(Quelle: Huber, VGe. Bd. 3, S. 648; Dix, s. BiblAng., S. 21)

Wahlen vom 31. 8.1867 Mandate in % 64 34 15 78 13 29 3 21 11 1 4 24 297

21,5 11,6 5,0 26,2 4,4 9,8 1,0 7,0 3,8 0,3 1,4 8,0 100

Deutschland

351

Tabelle A 7 : Wahlkrciseinteilung im Deutschen Reich von 1871—1912

Einwohner Wahlkreise pro Land (1.12.1871)

Länder

Preußen Bayern Sachsen Württemberg Baden Hessen Mecklenburg-Schwerin Hamburg Oldenburg Braunschweig Sachsen-Weimar Sachsen-Anhalt

236 48

Sachsen-Meiningen Sachsen-Coburg-Gotha Sachsen-Altenburg Bremen Lippe Mecklenburg-Strelitz

2 2 1 1 1 1 1 1 1 1 1 1

Reuß jüngere Linie Schwarzburg-Rudolfstadt Schwarzburg-Sondershausen Waldeck Lübeck Reuß ältere Linie Schaumburg-Lippe Elsaß-Lothringen Insgesamt

23 17 14 9 6 3 3 3 3 2

1 15 397

Wahlberechtigte (3.3.1871)

24653 897') 4 744 831") 954 397') 4 852 026') 2 556 244 472 874 1 818 539 354 103 1461 562 301 936 852 894 170 388 557 897 338 974 314 777') 311 764 286 183 203 437 187 957 174 339 142 122 122 402 111 135 96 982 89 032 75 67 56 52

523

191 224 158 45 094 32 059 1 549 738

115 615 73 738 59 578") 60 191 59 853 40 028

Einwohner (1.12.1900) 34 472 509 6 176 057 4 202 216 2 169 480 1867 944 1 119 893 607 770 768 349 399 180 464 333 362 873 316 085

38 868 34 841 29 684 21 954 21 403

250 731 229 550 194 914 224 882 138 952 102 602 139 210

19 619 17 219 15 435 14 394 9 520 10 256

Wahlberechtigte (16.6.1903)

Einwohner

7 641 896

40165 219 6 887 291 4 806 661 2 437 574 2 142 833 1 282 051 639 958 1 014 664 483 042 494 339

1 372 685 909 846 483 360 419 160 259 512 144 817 192 937 90 491 104 741 83 620 69 688 54 128 51 846 43 605 53 480 30 902 23 461

93 059 80 898 57 918 96 775 68 396

30 603 20 332 18 273 12 321 22 427 15 234

43 132 1 7 1 9 470

(1.12.1910)

417 149 331 128 278 762 257 177 216 128 299 526 150 937 106 442 152 752 100 702 89 61 116 72

917 707

Wahlberechtigte (12.1.1912) 8 890 149 1 510 460 1 055 921 548 415 478 765 293 069 150 256 261177 106 290 112 216 97 75 60 58

049 287 344 432

47 74 34 24

529 449 648 588

34193 21975 20 576 13 661 26 932

9 556 372 327

599 769 46 652 1874 014

16 765 10 709 417 581

41010 150') 7 656 203" ) 56 367 178 12 531 248

64 925 993

14 441436

9 075 6 403 327 025")

Anmerkungen: *)Ohne Militär in Frankreich; **) 1874; (Quelle: Statistik des Deutschen Reiches, s. BiblAng.)

*)ohne Elsaß-Lothringen.

Wahl der Parlamente

352

Tabelle A 8: Ergebnisse der Wahlen zum Reichstag des Deutschen Reiches nach Stimmen und Mandaten 1871—1912 Wahlen:

10. J a n u a r 1874

3. März 1871')

W a h l b e r e c h t i g t e in T a u s e n d in % der B e v ö l k e r u n g

7 656,2 19,4

8 523,4 20,8

A b g e g e b e n e Stimmen in T a u s e n d in % der W a h l b e r e c h t i g t e n

4 148,0 52,0

5 219,9 61,2

Stimmen in T a u s e n d in % Deutsch-Konservative Deutsche Reichspartei Deutsche Reformpartei Wirtsch. Vereinigung Zentrum Nationalliberale Liberale V e r e i n i g u n g Fortschrittspartei Freisinnige Partei Freisinnige Volkspartei Liberale Reichspartei Deutsche V o l k s p a r t e i Sozialdemokraten Bayerischer B a u e r n b u n d Bund der L a n d w i r t e Elsässer Weifen Polen Dänen Antisemiten Sonstige

549,7 346,9

13,3 8,4

-

700,4 1176,6 -

-

17,0 28,5

Mandate abs. in % 57 37

14,4 9,3

Stimmen in Tausend in % 360,0 375,5

Mandate in« abs.

7,0 7,2

22 33

5,5 8,3 -

-

-

-

-

-

-

-

-

-





91 155

22,9 39,0

61 125

15,4 31,5

-

8,3

46

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

6,6 0,5 3,0

30 1 2

7,5 0,2 0,5

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

2.1 4,3 0,4

9 13 1

2,3 3,3 0,2

4,5 1,8 3,8 0,4

15 4 14 1

3,8 1,0 3,5 0,3

-

-

-

-

-

-

-

-

79,1

1.9

-

-

46.3

0,9

-

-

-

273,9 18,7 124,7

85,3 176,3 18,2

Wahlen:

11,6

-

27,9 29,7

-

342,4

-

1 446,0 1 542,5 447,5

53,9 21,7 352,0

234,5 92,1 198,4 19,9

-

-

8,6

49

-

-

-

— —

3 1 9

1,0 0,4 6,8

28. Oktober 1884

21. Februar 1887

W a h l b e r e c h t i g t e in Tausend in % der B e v ö l k e r u n g

9 383,1 20,7

9 769,8 20,9

A b g e g e b e n e Stimmen in Tausend in % der W a h l b e r e c h t i g t e n

5 681,7 60,5

7 570,7 77,5

Stimmen in Tausend in % Deutsch-Konservative Deutsche Reichspartei Deutsche Reformpartei Wirtsch. Vereinigung Zentrum Nationalliberale Liberale V e r e i n i g u n g Fortschrittspartei Freisinnige Partei Freisinnige Votkspartei Liberale Reichspartei Deutsche Volkspartei Sozialdemokraten Bayerischer Bauernbund Bund der Landwirte Elsässer Weifen Polen Dänen Antisemiten Sonstige

861,1 387,7

15,2 6,9

Mandate abs. in% 78 28

19,6 7,1

Stimmen in Tausend in % 1147,2 736,4

15,2 9,8

80 41

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

22,6 17,6

99 51

24,9 12,8

1 516,2 1 678,0

20,1 22,2

0,8 0,3 2,3

Mandate abs. in%

-

1 282,0 997,0

12,3

98 99

20,2 10,3 — -

24,7 24,9

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

997,0

17,6



-

-



67 —

16,9 -

-

-

-

1,7 9,7

7 24

1,8 6,0

-

-

-

-









2,9 1,7 3,6 0,3

15 11 16 1

3,8 2,8 4,0 0,3

-

-

-

-

12,7

0,2

-

-

95,9 550,0

165,6 96,4 203,2 14,4

973,1

88,8 763,1

32

8,1

-

-

— _



-



-



12,9

1,2 10,1

11

2,8

-

-

-

-









3,1 1,5 2,9 0,2 0,2 0,6

15 4 13 1 1 2

3,8 1,0 3,3 0,2 0,2 0,5

233,7 112,8 220,0 12,4 11,6 47,6

A n m e r k u n g : ' ) alle Angaben für 1871 ohne Elsaß-Lothringi:n, das zum Zeitpunkt der W a h l noch nicht zum Deutschen Reich gehörte.

Deutschland

353

10. J a n u a r 1877

30. J u l i 1878

8 943,0 20,9

9 128,3 21,4

9 088,8 20,1

5 422,6 61,6

5 780,9 63,4

5 118,4 56,3

Stimmen

Mandate

in Tausend in %

abs.

in %

40 38

10,1

23,4 32,2 3,3

27. O k t o b e r 1881

Stimmen in T a u s e n d

Mandate

in %

830,8

16,3

12,6

379,3

7,5

50 28

23.7 24.8 2,5 6,5

1 182,9 746,6 429,2

23,2 14,6 8,4 12,8

25,2 11,8 11,6

649,3

100 47' 46 60

0,8 2,3

103,4 312,0

6,1

9 12

2.3 3,0

153,0 86,7 194,9 14,4

3,0 1,7 3,8 0,3

15 10 18 2

3,8 2,5 4,5 0,5

15,3

0,3

-

-

in %

749,5 785,8

13,0 13,6

59 57

14,9 14,4

1 328,1

23,1

94

1486,8

25,8

; 99 l 10

385,1

6,7

9.8

1 341,3

24,8

1604,3

29,7

417,8

7,8

93 f 128 l Β 35

44,9 493,3

0,8 9,1

4 12

1,0 3,0

66,1 437,1

7,6

200,0 97,2 216,2 17,3

3,7 1,8 4,0 0,3

15 4 14 1

3,8 1,0 3,5 0,3

178,9 102,6 210,1 16,1

3,1 1,8 3,6 0,3

15 10 14 1

3,8 2,5 3,5 0,3

16,1

0,3

-

-

14,7

0,3

-

-

9,6

20. Februar 1890

1,1

15. J u n i 1893

10 145,9

21,9

7 261,6 71,5

7 702,3 72,4

7 786,7 68,1

Mandate in 96

895,1 482,3

12,4 6,7

73 20

18,4 5,0

1 342,1 1177,8

18,6 16,3

106 42

1159,9

16,0 -

7,1

11,1 4,5

56 23

14,0 5,8

53

24,1 13,3

1455,1 971,3

18,8 12,5

102 46

25,8 11,6

3,4 8,6

13 24

3,3 6,1

195,7 558,3

2,5 7,2

12

3,0 7,3

2,2 23,3 0,9

11 44 4

2,8 11,1

108,5 2 107,1 140,3 110,4 107,4 105,2 244,1 15,4 284,3 146,8

1,4 27,2 1,8

8 56 5 6 10 9 14 1

1 038,3 438,4

13,5 5,7

72 28

18,0

26,7 10,6

1 468,5 997,0

19,1 13,0

96

66

16,6





258,5 666,4

10 35

2,5 8,8

-

-

-

-

-

-

-

1,4 1,6 3,4 0,2 0,7 1,0

10 11 16 1 5 2

2,5 2,8 4,0 0,3 1,3 0,5

23

in %

859,2 343,6

in %

-

101,1 112,7 246,8 13,7 47,5 74,6

abs.

abs.

-

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

114,7 101,8 229,5 14,4 263,9 62,8

Mandate

Stimmen in %

in %

166,8 1 786,7 66,3

2,0 19,7

Mandate

Stimmen in T a u s e n d

.. 15,1

11441,1

21,5

abs.

7,1

16. J u n i 1898

10 628,3

Stimmen

147,6 1427,3

2,0

21,7

in Tausend in %



26

in T a u s e n d

Mandate abs.

abs.

526,0 426,6

7.9

Stimmen in %

in %

1,0

-

-

-

1,5 1,3 3,0 0,2 3,5 0,8

8 7 19 1 16 1

2,0 1,8 4,8 0,3 4,0 0,3

in T a u s e n d

1,4 1,3 1,3 3,1 0,2 3,7 2,0

29

13 7

2,0 14,0 1,3 1,5 2,5 2,3 3,5 0,3 3,3 1,8

Wahl der Parlamente Fortsetzung Tabelle A 8: Wahlen:

16. Juni 1903

Wahlberechtigte in Tausend in% der Bevölkerung

12 531,2 22,2

Abgegebene Stimmen in Tausend in % der Wahlberechtigten

9 533,8 76,1 Stimmen in Tausend in %

Deutsch-Konservative Deutsche Reichspartei Deutsche Reformpartei Wirtsch. Vereinigung Zentrum Nationalliberale Liberale Vereinigung Fortschrittspartei Freisinnige Partei Freisinnige Volkspartei Liberale Reichspartei Deutsche Volkspartei Sozialdemokraten Bayerischer Bauernbund Bund der Landwirte Hsässer Weifen Polen Dänen Antisemiten Sonstige

948,5 333,4

10,0 3,5

Mandate abs. in % 54 21

-

-

-

-

-

-

1875,3 1 317,4

19,7 13,8

100 51

13,6 5,3 -

25,2 12,8

-

-

-

-

-

-

-

-

2,6 5,7

9 21

2,3 5,3

-

-

243,2 538,2 -

91,2 3 010,8 111,4 118,8 101,9 94,3 347,8 14,8 244,5 97,5

(Quelle: Statistik des Deutschen Reiches, s. BiblAng.)

1,0 31,7 1,2 1,2 1,0 0,9 3,7 0,2 2,6 1,2

6 81 4 4 9 6 16 1 11 3

-

1,5 20,3 1,0 1,0 2,3 1,5 4,0 0,3 2,8 0,8

Deutschland

355

25. J a n u a r 1907

14 441,4

11303,5 84,7

12 260,6

22,2 84,2

Stimmen

Mandate

471,9 -

104,6

in 96

in Tausend

in %

abs.

in %

9,4 4,0

60

15,0

9,2

6,0

43 14

10,8

24

1 126,3 367,2

-

-

-

5

2 179,8

0,9 19,4

1 630,6

14,5

105 54

359,3 736,0

3,2

14

3,5

6,5

28

7,0

-

-

-

-

138,6 3 259,0 75,3 119,4 103,6 78,2

Mandate

Stimmen

abs.

in Tausend i n « 1 060,2

12. J a n u a r 1912

13 352,9 22,0

1,3 26,6 13,5

51,9 304,6 1 996,8 1 662,7

3,0 0,5

3 10

3,5 0,8

2,5 16,4

91

2,5 22,8

13,6

45

11,3

'

~

12,2 42 10,6 1 497,0 F o r t s c h r i t t l i c h e Volkspartei

1,2 28,9 0,6

7

1,8

43 1

10,8

4250,4

34,8

110

27,7

0,3

48,2

0,4

2

0,5

1,0

8

29,8

0,2

2

0,5

0,9 0,7

7 1

2,0 1,8

1,3 0,8

3,9

9 5 18

2,3

20 1

162,0 84,6 441,6

453,9 15,4

0,1

248,5 219,1

2,1 2,7

'

16 3

0,3 5,0 0,3 4,0 0,8

17,3

3,6 0,1

-

-

167,1

l -

-

2

1,4

1,3 4,5 0,3 0,5

Tabelle A 9 : Zählwert und Erfolgswert bei den Wahlen zum Reichstag 1871-—1912 Wahljahr

Durchschnitt

Konservative

Nationalliberale

Zentrum

Fortschritt

Sozialdemokraten

Insgesamt 1871 1874

10 000

9 600

9 300

11 500

7 400

62 000

13 000

16 400

10 000

16 000

1877 1878

13 500 14 500

13 150 13 000

11 500 13 800

14 000

9 100 12 000

14 100

14 800

39 000 41 000 48 500

1881

12 300

16 200

11 800

10 800

26 000

1884

14 300

16 600 11 000

19 600

13 000

14 000

1887

19 000 18 000

14 300

17 000

15 500

30 400

23 000 69 400

12 300

28 000

12 700

17 600

40 800

16 000

14 400

18 800

15 300

21000

27 700 19 200

40 600

1903

19 000 24 000

15 300 14 300

17 600

25 800

18 800

37 200

1907

28 350

30 200

20 800

1912

30 750

17 700 28 500

25 600 26 300

37 000

29 900

35 600

1890 1893 1898

(Quelle: Huber, VGe. Bd. 3, S. 875)

37 600 75 800 38 600

356

Wahl der Parlamente

Tabelle A 10: Wahlkreiseinteilung, Einwohner, Wahlberechtigte, Wahlbeteiligung Wahlkreise

Einwohner

Wahlberechtigte

8.10.1919

6. 6.1920

absolut

in«

2 229 290 1 902 509

1255 802 1354 724

989 310

78,8

11

2 Berlin

1075 496

79,4

3 Potsdam II

1 487 582

1 087 856

851412

78,3

15 12

4 Potsdam I

1 626 257

1047 926

857 300

81,8

11

5 Frankfurt/Oder

956 108

764 963

80,0

6 Pommern

1 558 993 1 786 986

1054 905

845 524

80,2

9 10

7 Breslau

1801 612

1 095 622

887 914

81,0

10

8 Liegnitz

1 180 633

706136

576 613

81,7

7

1 307 865

742 959

515 113

69,3

1 576 766

991 867

830 178

83,7

5 10

11 Merseburg

1 340 084

691 400 1 062 793

10

2 096 959

827 311 1 291 212

83,6

12 Thüringen

82,3

13

13 Schleswig-Holstein 14 Weser-Ems

1 507 621

934 444

729 329

78,0

1417 510

821 140

651 946

79,4

9 7

15 Osthannover

1 Ostpreußen

9 Oppeln 10 Magdeburg

Wahlbeteiligung

Mandate

1 003 044

595 302

486 995

81,8

5

16 Südhannover-Braunschweig 1 814 664

1154 956

85,3

13

17 Westfalen-Nord

2198 390

1198 372

985 436 1010 063

84,3

18 Westfalen-Süd

2 548 276

1422 231

1 177 166

82,3

13 16

19 Hessen-Nassau

2 306121

1419 932

1 139 894

80,3

16

20 Köln-Aachen

1 972 541

1232 222

858 382

69,7

11

21 Koblenz-Trier

1 201 682

690 028

531 837

22 Düsseldorf-Ost

1 916 591

1 199 311

979 098

77,1 81,6

13

23 Düsseldorf-West 24 Oberbayern-Schwaben

1660 418

915 161

8

1418 077

720 253 1 129 798

78,7

2 418 380

79,7

16

6

25 Niederbayern-Oberpfalz 26 Franken

1 351 690

724 185

505 296

69,8

5

2416 837

1 423 039

1 079 916

75,9

15

27 Pfalz

871 416 1734 444

500 155

367 392

73,5

1120 081

881 373

78,7

3 12

638 066

12

28 Dresden-Bautzen 29 Leipzig 30 Chemnitz-Zwickau

1 156 388

739 416

1 772 466

1114 212

893 251

86,3 80,2

31 Württemberg

2 589 524

1 528 663

1 171 705

76,6

14

32 Baden

2 208 503

1 302 279

950 242

73,0

12

33 Hessen-Darmstadt

1 290 988

788 557

594 531

75,4

7

34 Hamburg

1 050 359 886 289

756 932

564 123

538 651

469 473

74,5 87,2

4

59 189 678

35 949 774

28 463 581

79,2

354

35 Mecklenburg Insgesamt

(Quelle: Statistik des Deutschen Reiches, s. BiblAng.)

7

7

Deutschland

357

und Mandatszahl pro Wahlkreis im Deutschen Reich von 1919—1933 Einwohner

Wahlberechtigte

16.6.1925'

4.5.1924

Wahlbeteiligung Mandate Wahlberechtigte absolut

in %

Wahlbeteiligung Mandate

31.7.1932')

absolut

in %

2 256 349

1 307 110

1 040 367

79,6

12

1441 506

1 145 303

79,5

1 966173

1451 214

1 103 274

76,0

11

1 149 723

80,6

16

1 605 804

1 138 445

881 255

77,4

8

1 425 917 1 381 679

1 131 166

81,9

15

1 752 082

1 130 531

892 288

78,9

10

1495 435

1 271 548

85,0

18

1 625 010

1016 153

829 880

81,7

8

1 119 890

943 493

84,2

12

1 878 781

1 122 838

907 989

11

1 301 555

1073 858

82,5

14

1 897 172

1 166 501

959 220

80,9 82,2

10

1 313 024

1 136 363

86,5

16

1 235 156

747 724

617 549

82,6

5

864 184

732 382

86,6

8

1 379 278

779 386

462 620

59,4

5

894 563

703 237

78,6

9 14

15

1 645 559

1 047 938

887 321

84,7

11

1 156 666

1 027 305

88,8

1412 694

868 464

730 217

84,1

9

996 435

849 573

1 376 271

1 124 377

81,7

13

1 583 114

1 354 974

85,3 85,6

11

2 228 262 1 566 859

989 586

764 391

77,2

1141 392

1 001 060

87,7

14

1 500 582

873 289

667 548

76,4

9 6

1043 711

880 982

8 4,4

12

1 053 622

637 383

512 018

80,3

4

742 036

625 756

84,3

7

1919165

1 220 468

1 024 364

13

1 392 986

1 247 710

89,6

18

2 349 694

1 293 418

1 087 694

83,9 84,1

13

1686 643

1449 158

85,9

21

2721 367

1 602 062

1 311 806

81,9

16

1712 936

1 498 735

87,5

21

2426 309

1 533 987

1 221 697

79,6

17

1 760 446

1 491 980

84,8

20

18

2123 412

1 322 525

927 202

70,1

12

1 541 691

1 243 865

80,7

18

1 252 632

715 498

557 731

78,0

81,5

1312 713

993 595

75,1

855 567 1494 997

697 644

2064 131

5 11

1 273 101

85,2

9 18

1801 988

1016 083

781 265

76,9

10

1 240 080

1 059 645

85,4

14

2544 163

1 504 255

972 944

64,3

13

1 791 450

1429 539

79,8

20

1 385 031

776 787

454 394

58,5

4

638 507

2 518 645

1 521 988

1 116 265

73,3

14

863 813 1735 877

1488 458

73,9 85,7

21

931 755

527 552

379 146

71,9

637 381

555 917

87,2

7

1854 181

1 202 773

81,1

3 12

1 356 861

1 172 801

86,4

16

8

1 307 312

839 901

975 920 706 350

84,1

7

937 105

841812

89,8

11

1 830 827

1 137 865

928 063

81,6

12

1 323 135

1 179 813

89,2

16

2652 075

1 588 597

1 237 485

77,9

1 836 387

1415 849

77,1

2 312 462

1402 059

952 292

67,9

15 12

1619114

1 283 202

79,3

19 17

1 347 279

836 367

74,1 78,4

979 018

853 616

87,2

12

804 119

619 943 630 438

6

1 152 523

7

908 358

765 059

84,2

9

912 285

563 133

450 472

80,0

4

654 264

548 947

83,9

6

62410619

38374 983

29709 380

77,4

338 44211 216

37 162 081

84,1

500

Anmerkung: *) für 1932 liegt keine statistische Einwohnererhebung vor; die Einwohnerzahl 1932 deshalb wie 1925

358 Tabelle A 1 1 :

Wahl der Parlamente Ergebnisse der Wahlen im Deutschen Reich nach Stimmen 19. Januar 1919

Ö.Juni 1920

Wahlberechtigte in Tausend in % der Bevölkerung

37 362,1 63,1

35 949,8 60,7

Abgegebene Stimmen in % der Wahlberechtigten

30 524,8 83,0

28 463,6 79,2

Wahlen:

Stimmen in Tausend i n « Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei ( N S D A P ) Deutsch Nationale Volkspartei ( D N V P ) Konservative Volkspartei Christlich-sozialer Volksdienst Landbund Landvolkpartei Deutsche Bauernpartei Volksrechtspartei Deutsche Volkspartei ( D V P ) Wirtschaftspartei Deutsch Hannoversche Partei Bayerische Volkspartei ( B V P ) Zentrum (1919: C V P ) Deutsche Demokratische Partei ( D D P ; ab 1930: Deutsche Staatspartei) Sozialdemokraten ( S P D ) Unabhängige Sozialdemokraten ( U S P D ) Kommunistische Partei ( K P D ) Sonstige Insgesamt Wahlen:

-

3 121,5



-

10,3

44

-

-

-







-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

15,1

-

-

-

-



-

0,9 0,2 -

-

-

-

-

-

-

4,5 1,0 0,2

3 919,4 218,6 319,1 1 238,6

-

91

21,6

3 845,0

75 163") 22

17,8 38,7 5,2

8,3 21,7 17,9

0.5

2 333,7 6 104,4 5 046,8 589,5 332,1

421") 100,0

28 196,3

100,0

-

30 400,3

100,0

2

14. September 1930

Abgegebene Stimmen in Tausend in % der Wahlberechtigten

35 225,8 82,0

6 409,6 2 458,2 290,6 870,1 193,9 1 108,7 339,6 271,4

18,3 7,0 0,8 2,5 0,6 3,2

2,1 1,1

-

459

44 211,2 70,9 37 162,1 84,1 Mandate

107 41 4 14

Stimmen in Tausend in % 37,3 5,9

230 37

-

-

-

1,0 0,8 4,5 3,9 0,4 3,0 11,8

30 23 3 19 68

1 322,4 8 577,7 11,9 4 592,1 242,2

3,8 24,5

20 143

371,8 7 959,7

-

-

-

13,1 0,8

77

34 970,9

100,0

577

3 19 6 -

-

Mandate

13 745,7 2 177,4 364,5 96,9 90,6 137,1 40,8 436,0 146,9 46,9 1192,7 4 589,4

1 578,2 1 362,3 144,3 1059,1 4 127,9

39 102 84 4

31-Juli 1932

68,9

Stimmen in Tausend i n «

-

65 4 5 21 64

1,1 4,4 13,6

18,5 37,9 7,6 -

--

13,9 0,8

19,7

0,5

-

-

5 641,8 11509,0 2 317,3 -

-

71

-

5 979,7

131,8

Mandate

-

19 4 1

42 957,7

Insgesamt

-

4 249,1

-

4,4

Stimmen in Tausend in %

10,5

-

-

1345,6 275,8 77,3

Wahlberechtigte in Tausend in % der Bevölkerung

Nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei ( N S D A P ) Deutsch Nationale Volkspartei ( D N V P ) Konservative Volkspartei Christlich-sozialer Volksdienst Landbund Landvolkpartei Deutsche Bauernpartei Volksrechtspartei Deutsche Volkspartei ( D V P ) Wirtschaftspartei Deutsch Hannoversche Partei Bayerische Volkspartei ( B V P ) Zentrum Deutsche Demokratische Partei ( D D P ; ab 1930: Deutsche Staatspartei) Sozialdemokraten ( S P D ) Unabhängige Sozialdemokraten ( U S P D ) Kommunistische Partei ( K P D ) Sonstige

Mandate abs. in %

und

0,1 1,2 0,4

3 2 1 2 1 7 2

0,1 3,2 12,5

22 75

1,0 21,6

4 133

1,0 0,3 0,2 0,4

-



-

5 355,3 130,7

14,5 0,3

89

36 882,4

100,0

608

-

Anmerkungen: *)lnsgesamt 165 Mandate, da zwei Abgeordnete zusätzlich durch die W a h l des Ostheeres bestellt wurden;") die Gesamtzahl erhöht sich somit aur 423.

Deutschland

359

Mandaten 1919—1933 4. Mai 1924

7. Dezember 1924

20. Mai 1928

38 374,9 62,5

38 987,4 62,5

41 224,7 67,6

29 709,4 77,4

30 703,6 78,8

31165,8 75,6

Stimmen in Tausend in% 1918,3 5 696,5

6,5 19,5

574,9

Mandate

Stimmen in Tausend in %

32 95

907,9 6 209,2

499,6

3,0 20,5

Mandate

810,1 4 381,6

2,6 14,2

12 73

8

199,5 581,8 481,3 483,2 2 679,7 1 397,1 195,6 945,6 3 712,2

0,6 1,9 1,6 1,6 8,7 4,5 0,6 3,1 12,1

3 10 8 2 45 23 3 16 62

1 505,7 9 152,9 20,8 3 264,8 941,3

4,9 29,8 0,1 10,6 3,1

25 153

30 753,2

100,0

491

2,0

10

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1,6

-

-

-

2 694,4 693,6 319,8 946,6 3 914,4

9,2 2,4 1,1 3,2 13,4

45 10 5 16 65

3 051,3 1 006,3 262,8 1135,1 4 120,9

10,1 3,3 0,9 3,7 13,6

51 17 4 19 69

1655,1 6 008,9 235,1 3 693,3 930,8

5,7 20,5 0,8 12,6 3,1

28 100

6,3 26,0 0,3 9,0 1,7

32 131

62 4

1921,3 7 886,3 99,2 2 711,8 500,1

29281,8

100,0

472

30 311,9

100,0

493

-

6. November 1932

44 664,8 71,2

35 758,3 80,6

39 658,3 88,8

Stimmen in Tausend in %

-

45 -

5. März 1933

44 374,1 71,1

Mandate

Stimmen in Tausend in %

Mandate

11 737,0 2 959,1

33,1 8,3

196 52

17 277,3 3 136,9

43,9 8,0

288 52

403,7 105,2 46,4 149,0 46,2 660,9 110,3 63,9 1095,4 4 230,5

1.2 0,3 0,1 0,4 0,1 1,9 0,3 0,2 3,1 11,9

5 2

383,9 83,8

1,0 0,2

4 1

3

114,1

11 1 1 20 70

47,7 1073,6 4 425,0

0,1 2,7 11,2

18 74

336,4 7 247,9

1,0 20,4

2 121

334,3 7 181,3

0,9 18,3

5 120

5 980,2 298,5

16,9 0,8

100

4 847,9 5,0

12,3

81

-

-

35 470,8

100,0

584

39 343,3

100,0

647

-

-

-

-

-

-

432,2 -

-

2

0,3

-

-

2

1,1 '

-

( Q u e l l e : Statistik des Deutschen Reiches, s. B i b l A n g . )

Mandate

14 103

-

-

Stimmen in Tausend in %

-

-

54 2

360

Wahl der Parlamente

Tabelle A 12: Verteilung der Mandate auf die Parteien, sowie die durchschnittliche Stimmenzahl der Parteien pro Mandat und Mandatsverteilung nach der seit 1920 gültigen automatischen Methode bei der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung v o m 19. Januar 1919 DNVP

Durchschnittliche Stimmenzahlen. pro Mandat Tatsächliche Mandatsverteilung (nach d'Hondt) Mandatsverteilung nach d'Hondt ohne Listenverbindung Mandatsverteilung nach der seit 1920 gültigen automatischen Methode

DVP

WirtDt. schafts- Hann. partei Partei

CVP

DDP

70 942 70 823 68 781 63 681 65 716 75 224

44

19

4

42

17

4

43

18

3

SPD

USPD

70 607

105 331

Schi.- Braunsclnv. Holst. LandesBauern- wahlverband verband

57 913

91

75

163

22

-

87

75

174

22

-



84

79

162

32



1

1

(Quelle: Milatz, s. BiblAng., S. 37; Statistik des Deutschen Reiches, s. BiblAng.)

56 858

1

-



Deutschland

361

Tabelle A 1 3 : Verteilung der Mandate auf die Parteien durch die drei Ermittlungsverfahren bei der Wahl v o m 4. Mai 1924 an Hand der v o n den Kreiswahlausschüssen und dem Reichswahlaussdiuß ermittelten Ergebnisse

Partei

Gesamt- Mandate Wahlkreis- Manstimmen im verbands- date Wahlstimmen kreis

NSDAP DNVP Landbund DVP Wirtschaftspartei Deutsche Hannoversche Partei BVP Zentrum DDP SPD KPD Deutsche Soziale Partei USPD Bund der Geusen Christlich-Soziale Volksgemeinschaft Deutsche Arbeitnehmerpartei Freiwirtschaftsbund Haeusserbund Nationale Freiheitspartei Minderheitenparteien Republikanische Partei Partei der Mieter Sozialistischer Bund Sonstige Insgesamt

1918 310 5 696 574 2 694 693 319 946

368 938 317 606 792 648

3 914 379 1655 049 6 008 713 3 693 139 333 423 235 141 59 222 124 451 36 291 36 24 62 119

013 451 071 736

45 45 26 17

722 920 418 068

29281186

13 79 7 31 3 4 14 52 9 84 42 -

-

338

1 138 956 154 834 513

310 368 938 317 606

79 792 106 648 794 379 1 115 049 968 713 1173 139 333 423 235 141 59 222 124 451 36 291 36 24 62 119

013 451 071 736

45 45 26 17

722 920 418 068

9 001 186

8

Reichs- Manwahlvor- date schlag

6

658 776 94 354 393 79 106 434

310 368 938 317 606 792 648 379

13 9 10 2

335 428 573 213

049 713 139 423

-

235 141 59 222

3 1 8 2 -

-

-

62

124 36 36 24 62 119

451 291 013 451 071 736

45 45 26 17

722 920 418 068

5281186

11 13 2 6 5 1 2 7 6 7 10 2 -

-

72

unverwer- Gesamttete Rest- ιmandate stimmen 28 26 4 24

310 368 938 317

93 606") 19 792 16 648 14 5 8 3 93

379 049 713 139 423')

235 141") 59 222 124 451") 36 291 36 24 62 119 45 45 26 17

013 451 071") 736") 722 920 418 068

1171186

Anmerkungen: *) Gemäß W G A r t . 32 können im 3. Ermittlungsverfahren nur soviele Mandate an eine Partei verteilt werden, wie sie bereits erhalten hat. **) Gemäß W G A r t . 32 können im 3. Ermittlungsverfahren nur die Parteien berücksichtigt werden, die bereits Mandate erhalten haben. (Quelle: Zusammengestellt nach der Statistik des Deutsdien Reiches, s. BiblAng.)

32 95 10 45 10 5 16 65 28 100 62 4 -

-

472

Wahl der Parlamente

362

Tabelle A 14: Zahl der sich bewerbenden und der Parteien, die Mandate erhielten oder nicht erhielten, sowie die nicht verwerteten Stimmen bei den Wahlen im Deutschen Reich von 1919—1933 Wahlen vom

u

-o ju

s

19. Jan. 6. Juni 4. Mai 7. Dez. 20. Mai 14. Sept. 31. Juli 6. Nov. 5. März

1919 1920 1924 1924 1928 1930 1932 1932 1933

υ υ « =3 c

SS S

S = Λ-3 J3 Ε 'S C U

' S 4> c c-s rt ' S ' S PU J i t>

19 24 29 27 35 32 42 36 15

10 10 12 11 15 15 14 13 11

S t i m m e n , die a u f die Parteien entfielen, die M a n d a t e erhielten

absolut

30 383 285') 27 864 261 28 448 682 29 686 840 29 906 199 34 464 641 36 713 407 35 199 193 39 290 526

£

oS

in 96

c x •H 4J Έ w Ol -73

99,9 98,9 97,2 98,0 97,2 98,3 99,6 99,3 99,9

9 14 17 16 20 17 28 23 4

S t i m m e n , die auf P a r t e i e n entfielen, die keine Mandate erhielten

absolut

in %

17 059 332 071 832 504 597 554 832 563 493 165 168 947 271 595 52 776

0,0 1,1

2,8 2,0 2,8 1,7 0,4 0,7 0,0

Reststimmen

Reststimmen ι und Stimmen der Parteien, die kein Mandat erhielten

Parteien unter Fraktionss t ä r k e (15) u n d deren Mandatszahl insgesamt

1133 567") 1 150 626 474 261*") 806 332 338 682 1 171 186 256 252 853 806 716 199 1 548 762 548 040'·'·) 136 315 412 822 523 503*'·') 316410 481 588"··) 610 525 663 301

Anmerkungen: *) Die Zahlen dieser Tabelle an Hand der von den Kreiswahlausschüssen und dem Reichswahlausschuß ermittelten Ergebnissen. **) Mandatsverteilung nach der Methode d ' H o n d t ; als Reststimmen aufgeführt: die Stimmen der Parteien, die in den Wahlkreisen bereits bei der Division durch eins nicht verwertet wurden. ***) Mandatsverteilung seit 1920 nach der automatischen Methode. »•«-»•) Die Abweidiungen gegenüber der Summe, gebildet aus den Stimmen der Parteien, die keine Mandate erhalten haben und den Reststimmen, ergeben sidi dadurch, daß sich die meisten Splitterparteien den großen Parteien f ü r das dritte Ermittlungsverfahren angeschlossen haben, ohne jedoch ein Mandat erhalten zu können. (Quelle: Zusammengestellt nach Statistik des Deutschen Reiches, s. BiblAng.)

4 3 4 3 7 5 8 7 5

7 13 29 26 40 30 22 25 14

Deutschland

363

Tabelle A 15: Entwicklung der Interessenparteien bei den Wahlen im Deutschen Reich von 1919—1933

Wahlen v o m

19. Jan. 6. Juni 4. Mai 7. Dez. 20. Mai 14. Sept. 31.Juli 6. Nov. 5. März

1919 1920 1924 1924 1928 1930 1932 1932 1933

sich bewerbende Interessenparteien

davon erhielten Mandate

6 6 8 11 17 14 19 16 3

2 3 3 3 7 6 6 5 3

Stimmen

Mandatszahl

absolut

in %

353 050 626 504 1 588 337 1768 738 3 466215 4 037 680 894 782 832187 581 886

1,2 2,1 5,5 5,8 10,8 11,6 2,4 2,4 1,5

NSDAP*) Mandate

Stimmen

5 von 421 9 von 459 25 von 472 29 von 493 51 von 491 68 von 577 11 von 608 12 von 584 7 von 647

-

-

-

-

-

-

1 918 329 907 915 810127 6409 610 13 745 680 11 737 021 17 277 328

6,5 3,0 2,6 18,3 37,3 33,1 43,9

32 14 12 107 230 196 288

Anmerkung: *) Im Vergleich zur Entwicklung der Interessenparteien werden die Stimmenund Mandatszahlen der NSDAP angegeben; zur Interpretation s. HistT/S. 269 ff. (Quelle: Statistik des Deutschen Reiches, s. BiblAng.)

364

Wahl der Parlamente

Tabelle A 16: Die Wahlen zum Reichspräsidenten von 1925 und 1932 Wahl vom 29. März/26. April 1925 I. Wahlgang Wahlberechtigte Abgegebene gültige Stimmen in % der Wahlberechtigten

39 226138 26 866106 68,5 Stimmen

Kandidaten Ludendorff (Völkisch) Dr.Jarres ( D N V P und D V P ) Dr. Marx ( Z e n t r u m ) Dr. Held (BVP) Dr. Hellpach ( D D P ) Braun ( S P D ) Thälmann ( K P D ) Sonstige

absolut

in %

285 793 10 416 658 3 887 734 1007 450 1 568 398 7 802 497 1871815 25 761

1,1 38,8 14,5 3,7 5,8 29,0 7,0

II. W a h l g a n g Wahlberechtigte Abgegebene gültige Stimmen in % der Wahlberechtigten

39414316 30 351 813 77,0

Kandidaten v. Hindenburg (Kandidat der Rechten) Dr. Marx (Kandidat der Mitte und der SPD) Thälmann ( K P D ) Sonstige

Stimmen absolut

in %

14 655 641 13 751 605 1931151 13416

48,5 45,2 6,3

Wahl vom 13. März/10. April 1932 I. Wahlgang Wahlberechtigte Abgegebene gültige Stimmen in % der Wahlberechtigten

43 949 681 37 648 317 85,6

Kandidaten Hitler ( N S D A P ) Duesterberg (Stahlhelm) v. Hindenburg (Kandidat der Mitte und der SPD) Thälmann ( K P D ) W i n t e r (Inflations-Geschädigte) Sonstige

Stimmen absolut

in %

11 339 446 2 557 729 18 651497 4 938 341 111423 4 881

30,1 6,8 49,6 13,2 0,3

II. Wahlgang Wahlberechtigte Abgegebene gültige Stimmen in % der Wahlberechtigten

44 063 958 36 490 761 82,9

Kandidaten Hitler ( N S D A P ) v. Hindenburg (Kandidat der Mitte und der SPD) Thälmann ( K P D ) Sonstige (Quelle: Huber, Dokumente, s. BiblAng., Bd. 3, S. 157 f.)

Stimmen absolut

in %

13 418 547 19 359 983 3 706 759 5 472

36,8 53,0 10,2

Deutschland

365

Tabelle A 1 7 : Die Zusammensetzung des Reichsrates der Weimarer Republik Länder 1. Preußen: 13 (14) Regierungsvertreter, 13 Provinzialvertreter 2. Bayern

26 (27) 11 7 4

3. Sachsen 4. W ü r t t e m b e r g 5. 6. 7. 8.

Länder

Stimmen

Baden Thüringen Hessen Hamburg

3 2 2 2

Stimmen

9. 10. 11. 12. 13. 14.

Mecklenburg-Schwerin Oldenburg Braunschweig Anhalt Bremen Lippe

15. 16. 17. 18.

Lübeck Mecklenburg-Strelitz Schaumburg-Lippe Waldeck

1 1 1 1 1 1 1 1 1 (1)

(1919- 1926) (1926 - 1928) (1928 - 1933)

Insgesamt

67 68 66

(Quelle: Huber, Dokumente, s. BiblAng., Bd. 3, S. 163)

Tabelle A 1 8 : Die Reichstagswahlen im Deutschen Reith v o n 1933—1938 Wahlen v o m

Wahlberechtigte

abgegebene Stimmen

für N S D A P

u n g ü l t i g e und Gegenstimmen

Mandate

absolut

in %

absolut

in %

absolut

12. November 1933

45 178 701

43 053 473

95,3

39 655 224

92,1

3 398 249

45 455 217

45 002 702

99,0

44 462 458

98,8

540 244

7,9 1,2

661

29. März 10. April

49 493 028") 49 279 104 2 532 863") 2 497 604

99,5

48 751 587

99,0

527 517

1,0

813

98,9

2 464 681

98,6

32 923

1,4

1936 1938

4. Dezember 1938

in %

741 41'")

*)Zahlen unter Einschluß Österreichs *') Ergänzungswahlen im Sudetengebiet " ' ) G e s a m t m a n d a t s z a h l des R e i c h s t a g e s b e t r ä g t somit 854 A b g e o r d n e t e ( Q u e l l e : Statistik des Deutschen Reiches s. BiblAng.; AdG jeweiliger J a h r g a n g )

Tabelle A 1 9 : Die Volksabstimmungen im Deutschen Reich von 1 9 3 3 — 1 9 3 8 12. November 1933

absolut Stimmberechtigte abgegebene Stimmen g ü l t i g e Stimmen u n g ü l t i g e Stimmen Ja-Stimmen Nein-Stimmen

45 178 701 43 492 735 42 735 059 757 676 40 633 852 2 101 207

19. August 1934

in %

absolut

96,3 98,3 1,7 95,1 4,9

45 552 059 43 568 886 42 695 218 873 668 38 394 848 4 300 370

in % 95,6 98,0 2,0 89,9 10,1

10. April 1938 i m Deutschen Reich absolut 45 073 303 44 872 702 44 808 096 69 606 44 362 667 440 429

in % 99,5 99,8 0,2 99,0 1,0

(Quelle: Statistik des Deutschen Reiches s. BiblAng.; A d G jeweiliger Jahrgang)

10. April 1938 in Österreich absolut 4 474 138 4 460 778 4 455 5 4 443 11

015 763 208 807

in% 99,7 99,8 0,2 99,7 0,3

366

Wahl der Parlamente

Tabelle A 20: Wahlkreiseinteilung, Wahlberechtigte, Wahlbeteiligung Wahlen zum Deutschen Bundestag von 1949, 1957 und 1965

bei

den

Μ August 1949 Wahlkreise

Land

Wahlberechtigte

Wahlbeteiligung absolut

Baden Baden-Wü rttemberg Bayern Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Saarland Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Württemberg- Hohenzollern Insgesamt

7 -

47 3 8 22 34 66 15 -

813 924 -

5 984 175 379 839 1 141 214 2 906 239 4 425 610 8 681 794 1 900 797 -

570 239 -

4 851 576 310 980 926 435 2 247 390 3 439 964 6 909 719 1 513 756 -

70,1 -

81,1 81,9 81,2 77,3 77,7 79,6 79,6 -

14 20 6

1 731 022 2 517 274 725 732

1 825 339 469 196

82,7 72,5 64,7

242

31207 620

24495 614

78,5

(Quelle: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, s. BiblAng.)

1 431 020

in %

Deutschland

367

15. September 1937 Wahlkreise

Wahlberechtigte

19. September 1965

Wahlbeteiligung absolut

in %

Wahlkreise

Wahlberechtigte

Wahlbeteiligung absolut

in %

33 47 3 8 22 34 66 15 5 14

4 860 309 6 240 499 467 250 1 328 657 3 214 856 4 438 885 10407 006 2 237 023 659 971 l 548 961

4 097 575 5 470 347 414 498 1 185 178 2 863 092 3 950 248 9 148 928 1 976 225 589 578 1 367 225

84,3 87,7 88,7 89,2 89,1 89,0 88,0 88,3 89,3 88,3

36 44 3 8 22 30 73 16 5 11

5 425 126 6 752 276 529 730 1 392 994 3 516 041 4 748 325 11322 627 2 403 771 736 239 1 687 266

4 598 715 5 803 004 452 799 1 202 934 3 073 037 4 145 849 9 920 068 2114 311 656 496 1448 994

84,8 85,9 86,1 86,4 .87,4 87,3 87,6 88,0 89,2 85,9

247

35403 417

31072 894

87,8

248

38 510 395

33416 207

86,8

368

Wahl der Parlamente

Tabelle A 21: Ergebnisse der Wahlen zum Deutschen Bundestag 1949—1965 nach Stimmen und Mandaten Wahlen:

14. August 1949

Wahlberechtigte in % der Bevölkerung Abgegebene Stimmen in % der Wahlberechtigten Ungültige Stimmen in % der abgegebenen Stimmen

6. September 1953

31 207 620 68,4 24 495 614 78,5 763 216 3,1

33 202 287 67,5 28 479 550") 85,8 928 278 3,3

Mandate Stimmen absolut in % absolut in % Christlich Demokratische Union/ Christlich Soziale Union (CDU/CSU) Sozialdemokraten (SPD) Freie Demokratische Partei/ Deutsche Volkspartei (FDP/DVP) Deutsche Partei (DP) Gesamtdeutscher Block BHE Gesamtdeutsche Partei (GdP) Zentrum Bayernpartei (BP) Kommunistische Partei (KPD) Deutsche Friedensunion (DFU) Deutsche Reichspartei (DRP) Nationaldemokratische Partei (NPD) Wirtschaftliche Aufbauvereinigung Sonstige Insgesamt

Stimmen Mandate in % absolut in % absolut

7 359 084 6 934 975

31,0 29,2

139 131

34,6 32,6

12 443 981 7 944 943

45,2 28,8

243 151

49,9 31,0

2 829 920 939 934

11,9 4,0

52 17

12,9 4,2

2 629 163 896 128 1616 953

9,5 3,3 5,9

48 15 27

9,8 3,1 5,7

-

-

-

-

-

-

-

727 505 986 478 1 361 706 -

429 031 -

-

3,1 4,2 5,7

!0 17 15

2,5 4,2 3,7

-

-

-

1,8

5

1,2

-

217 078 465 641 607 860

0,8 1,7 2,2

-

-

-

-

-

-

-

1,1

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

295 739

-

-

-

681 888 1481 877

2,9 6,2

12 4

3,0 1,1

433 786

1,5

23732 398

100,0

402') 100,0

27 551 272

100,0

3 " 0 0,5

487

Anmerkungen: *) Sitzverteilung bei allen Wahlen ohne die Berliner Abgeordneten (s. Tab. A 22). **) Die Zahlen beziehen sich für alle Wahlen von 1953—1965 auf die Zweitstimmen. ***) Darunter ein Abgeordneter der CDU, der über die Landesliste des Zentrums gewählt worden ist.

100,0

369

Deutschland

15. September 1957

17. September 1961

35 403 4 1 7 " " ) 68,5 31 072 894 87,8 1 167 466 3,8 Stimmen absolut in %

19. September 1965 38 510 395 67,5 33 416 207 86,8

37 440 715 69,0 32 849 624 87,7 1 298 723 4,0

Mandate absolut in %

Stimmen absolut in %

795 765 2,4

Mandate absolut in %

Stimmen absolut in %

15 008 399

50,2

270

54,4

14 298 372

48,5

15 524 068

47,6

31,8

169

34,0

11 427 355

45,3 36,2

242

9 495 571

190

38,0

12 813 186

39,3

2 307 135

7,7

41

8,2

4 028 766

12,8

67

13,5

3 096 739

1 007 282

3,4 4,6

17

3,4

-

-

-

-

-

86 112

0,3

-

-

186 210

0,5











1,0

-

-







150 089

0,5





29905 428

100,0

497

100,0

1 374 066 -



308 564 —

245 202

49,4 40,7

9,5

49

9,9

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

2,8

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

















1,9 0,8





-

-









52 757

0,2





31550 901

100,0

499

100,0

870 756

609 918 262 977

*) Die Zahlen für alle Wahlen einschließlich des Saarlandes

(Quelle: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, s. BiblAng.)

24

Mandate absolut in %

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

434 182

1,3





-

-

-

664 193

2,0





88 074

0,3

-

-

32 620 442

100,0

-

496

100,0

Wahl der Parlamente

370

Tabelle A 22: Parteizugehörigkeit der Berliner Abgeordneten im Bundestag von 1949—1965

CDU SPD FDP (LDP) Freie deutsche Volkspartei ( F D V ) Insgesamt

1949

1953

1957

1961

1965

5 9 5

6 11 5

9 13

6 15 1

-

-

7 12 2 1 22 Sitze

22 Sitze

19 Sitze

22 Sitze

-

-

22 Sitze

(Quelle: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, s. BiblAng.)

Tabelle A 23: Verteilung der Mandate auf die Bundesländer bei den Bundestagswahlen von 1949 und 1953 Bevölkerung in Tausend (31.12.1949) Sitze Baden Baden-Württemberg Bayern Bremen Hamburg Hessen Niedersachsen Nordrhein-Westfalen Rheinland-Pfalz Schleswig-Holstein Württemberg-Baden Württemberg-Hohenzollern Insgesamt

1 276,1 -

in %

11

2,7

-

-

9 157,9 544,0 1 558,4 4 279,9 6 790,4

78 4

12988,3 2 907,8 2 649,1 3 825,5 1 123,9

109 25 23 33 10

19,5 1,0 3,2 9,0 14,5 27,3 6,3 5,8 8,2 2,5

47193,6

400

100,0

13 36 58

Bevölkerung in Tausend (30.9.1953) Sitze

(Quelle: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, s. BiblAng.)

-

6 818,3 9 168,0 604,8 1 715,0 4 468,0 6 617,4 14177,8 3 216,3 2 362,1

-

67 91 6 17 44 66 138 31 24

in % -

13,8 18,8 1,2 3,5 9,1 13,7 28,5 6,4 5,0

-

-

-

-

-

-

484

100,0

49147,7

Deutschland

371

Tabelle A 24: Die Verteilung der Mandate auf die Parteien (1. Zuteilungsverfahren) und innerhalb der Parteien (hier nur die SPD) auf die Landeslisten (2. Zuteilungsverfahren), jeweils nach der Methode d'Hondt, bei der Bundestagswahl von 1965 Erstes Zuteilungsverfahren SPD

CDU Sitzfolge

Teiler

Höchstzahl

1 2

12813 186 6 406 593

1 3

1 2

12387 562 6193 781

2 4

201 202

63 747 63 431

492 494

195 196

63 525 63 201

203 204

63 119 62 809

497*) 499*)

197 198

62 881 62 563

Teiler

Höchstzahl

FDP

CSU Sitzfolge

Teiler

Höchstzahl

Sitzfolge

1 2

3 136 506 1 568 253

8 18

493 495

48 49

65 343 64 010

480 490

498*) 501')

50

62 730

500')

Sitzfolge

Teiler

Teiler

Höchstzahl

Sitzfolge

1 2

3 096 739 1548 369

10 20

48 49

64 515 63 198

486 496

Zweites Zuteilungsverfahren Schleswig-Holstein ~ ·, TeiIer

Höchstzahl

-r ·,

TelIer

Höchstzahl

Bremen

Niedersachsen

Hamburg

Sitzfolge

Höchstzahl

Sitzfolge

Teiler

Höchstzahl

Sitzfolge

1 2

549 901 274 950

19 41

1 2

572 859 286 429

18 39

1 2

1614 540 807 270

4 11

1 2

215 487 107 443

55 114

8

68 737

182

9

63 651

197

26

62 097

202

3

71 829

174

Nordrhein-Westfalen

Hessen

Teiler

Höchstzahl

Sitzfolge

Teiler

1 2

4149 910 2 074 955

1 2

1 2

1 366 010 683 007

66

62 877

198

21

65 048

Bayern Teiler 1 2

30

Höchstzahl

Höchstzahl

Rheinland-Pfalz Sitzfolge 7 15

191

Saarland Sitzfolge

Teiler

Höchstzahl

Sitzfolge

1869 467 934 733

3 9

1 2

250 797 125 398

47 97

62 315

201

4

62 699

200

Teiler

Höchstzahl

Baden-Württemberg

Sitzfolge

»r ·.

Teilet

Höchstzahl

Sitzfolge

1 2

754 175 377 087

12 29

1 2

1470 040 735 020

5 13

12

62 847

199

23

63 914

195

Nachfolgende 5 Höchstzahlen in den Ländern') Hessen Nordrhein-Westfalen Baden-Württemberg Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen

Anmerkung: *) Die nidit mehr zum Zug gekommenen Höchstzahlen (Quelle: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, s. BiblAng.)

Teiler

Höchstzahl

Sitzfolge

22 67 24 9 68

62 091 61938 61251 61 100 61028

203 204 205 206 207

Wahl der Parlamente

372

Tabelle A 25: Ergebnisse der Wahlen zur Stadtverordnetenversammlung von Groß-Berlin und zum Abgeordnetenhaus von West-Berlin 1946—1967 nach Stimmen und Mandaten 20. Oktober 1946') Wahlberechtigte Abgegebene Stimmen in % der Wahlberechtigten

5. Dezember 1948"

2 307 122 2 128 677 92,3

1 580 575 1369 492 86,3

Mandate Stimmen absolut in % Sozialdemokraten ( S P D ) 1 015 609 Christlich Demokratische Union ( C D U ) 462 425 Liberaldemokratische Partei (LDP) 194 722 Freie Demokratische Partei/Demokratische Volkspartei (FDP/DVP) — Gesamtdeutscher Block B H E Deutsche Partei ( D P ) Gesamtdeutsche Partei (GdP) 412582 Sozialistische Einheitspartei ( S E D ) — Sonstige Insgesamt

2 085 338

48,7 22,2

Mandate Stimmen absolut in % 858 461 258 664 214 145

76·") 26 17

9,3

63 29 12





-

-







-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

64,5 19,4 16,1

26

-

-

-

-

-

-

-

-

100,0

130

19,8

1 331 270

100,0

130

Anmerkungen: *) Wahl in Groß-Berlin * * ) Wahl nur in West-Berlin * * * ) Unter Einschluß der für den Ostsektor übernommenen Mandate (SPD: 16, C D U : 7, L D P : 3, S E D : 11) 17. Februar 1963

12. März 1967

1 748 588 1 572 027 89,9

1 720 688 1482 608 86,2

Wahlberechtigte Abgegebene Stimmen in % der Wahlberechtigten

Sozialdemokraten ( S P D ) Christlich Demokratische Union ( C D U ) Liberaldemokratische Partei (LDP) Freie Demokratische Partei/Demokratische Volkspartei (FDP/DVP) Gesamtdeutscher Block B H E Deutsche Partei ( D P ) Gesamtdeutsche Partei (GdP) Sozialistische Einheitspartei ( S E D ) Sonstige Insgesamt

Mandate Stimmen absolut in %

Mandate Stimmen absolut in %

962 197 448 459

829 955 480 192

-

61,9 28,8

89 41

-

-

7,9

10



-



-

-

-

-

1,4

-





100,0

140

123 382

20 929 —

1 554 967

-

104 014

56,9 32,9 —

81 47 —

9

7,1







-

-

-



-

-





29 934 15 540

2,0



1,1



1459 635

100,0

(Quelle: Berliner Statistik, Sonderheft 17, Berlin 1952; Statistische Berichte des Statistischen Bundesamtes Wiesbaden 1957; Statistik des Statistischen Bundesamtes, Die Wahl zum fünften Deutschen Bundestag 1965, H e f t 1, Stuttgart 1964; A d G 1967, S. 13041)

137

373

Deutschland

3. Dezember 1950

5. Dezember 1954

1 664 221 1 504 580 90,4 Stimmen absolut in %

7. Dezember 1958

1 694 896 1 555 511 91,8 Mandate

1 757 842 1 632 540 92,9

Stimmen Mandate absolut in %

Mandate Stimmen absolut in %

654 211 361150

44,7 24,7

61 34

684 906 467 117

44,6 30,4

64 44

850 127 609 097

52,6 37,7

337 589 31 918 53 810

23,0 2,2 3,7

32

197 204 39 236 75 321

12,8 2,6 4,9

19

61 119

3,8

-

-

-

-



-

-

25 892

1,7

1464 470

100,0

-

127

-

78 55



-

-

-

-

-

-

-

-

53 912 31 572 10 681

3,3 1,9 0,7

-

1 616 508

100,0

-

-

41375 30 734

2,7 2,0

-

1 535 893

100,0

-

127

-

-

133

Wahl der Parlamente

374

Tabelle A 26: Ergebnisse der Landtags- und Bundestagswahlen von 1946—1965 (in Prozent) LTW 19461948 CDU/CSU 35,5 SPD 36,8 FDP/DVP 9,5 DP 2,6 GB/BHE GdP Zentrum 3,4 BP KPD 9,6 DFU DRP 0,3 NPD WAV 1,3 Sonstige 1,0 Insgesamt 100

BTW 1949

LTW 1949 1952

BTW 1953

LTW 19531956

BTW 1957

LTW 19571960

BTW 1961

LTW BTW 1961- 1965 1965

31,0 29,2 11,9 4,0

29,1 31,3 11,8 2,1 7,5

45,2 28,8 9,5 3,3 5,9

36,7 33,0 11,0 1,7 7,5

50,2 31,8 7,7 3,4 4,6

42,6 37,2 7,7 2,7 5,1

45,3 36,2 12,8

43,4 41,3 8,2 0,4

-

-

47,6 39,3 9,5 -

-

-

-

2,8 0,3

2,7 0,3 1,5

-

-

-

-

-

-

-

3,1 4,2 5,7

2,3 6,0 3,5

0,8 1,7 2,2

1,0 4,3 2,8

0,3 0,5

0,3 2,4

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

-

1,8

0,8

1,1

0,5

1,0

1,2

1,9 0,8

1,4 0,4

-

-

-

-

-

-

-

-

-

2,0

2,9 6,2

0,9 4,7

-

-

-

-

-

-

-

1,5

1,5

0,5

0,8

0,2

0,4

0,3

100

100

100

100

100

(Quelle: s. Tab. A 21; Kaltefleiter, s. BiblAng., S. 102)

100

100

100

-

-

1,3

100

Deutschland

375

Tabelle A 27: Die Gemeindewahlen in der Sowjetischen Besatzungszone v o m 1. bis 15. September 1946 Provinz Sachsen

Brandenburg

Mecklenburg

Thüringen

Sachsen

Wahlberechtigte Abgg. gültige Stimmen

1 620 192 1 368 867

1 159 162 1 073 868

1 775 475 1 489 861

3 547 575 2 996 364

2 089 151

in % der abgeg. Stimmen ungültige Stimmen in % der abgeg. Stimmen

n.b. n.b. n.b.

90,7 100 544 9,3

92,0 135 014 8,0

90,2 325 978 9,8

84,4 385 824 15,6

Stimmen absolut in %

Stimmen absolut in %

Stimmen absolut in %

820 600 59,9 259 038 18,9 236 287 17,3

677 177 69,6 162 730 16,7 102 540 10,5

752 396 270 882 383 046

50,5 18,2 25,7

83 537

5,6

SED CDU LDP Sonstige (Massenorganisationen)

52 942

3,9

30 877

3,2

Stimmen absolut in %

Stimmen absolut in %

1 608 851 53,7 655 147 21,9 671 271 22,4

1 234 120 59,1

61 065

325 109 15,5 487 889 23,4

2,0

42 033

2,0

(Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R , 1. Jahrgang, Berlin 1956, S. 87; Sdiachtner, s. BiblAng., S. 77; AdG 1946/47)

Tabelle A 28: Die Landtagswahlen in der Sowjetischen Besatzungszone v o m 20. Oktober 1946 Brandenburg

Mecklenburg

Wahlberechtigte

1655 980

1 301 703

Abgeg. gültige Stimmen in % der abgeg. Stimmen

1458 574 96,2

1 107 303 94,4

ungültige Stimmen in % der abgeg. Stimmen

57413 3.8

65 628 5,6

SED CDU LDP Sonstige (Massenorganisationen)

Thüringen 1911 682 1657 196") 95,5 78001 4,5

Sachsen

Provinz Sachsen

3 803 416

2 695 416

3 251 839 93,5

2 323 601 94,2

166269 6,5

144 363 5,8

Stimmen ManStimmen ManStimmen Man· Stimmen Man Stimmen absolut in % date absolut in % date absolut in % date absolut in % date absolut in%

Mandate

634 786 422 206 298 311 83 271

43,9 44 30,6 31 20,6 20 4,9

5

547 663 377 808 138 572 43 260

49,5 45 34,1 31 12,5 11 3,9

3

816864 313 824 471415 55 093

49,3 50 18,9 19 28,5 28 3,3

3

1 595 281 756740 806 163 93 655

49,1 59 23,3 28 24,8 30 2,8

3

1063889 507 397 695 685

45,8 21,8 29,9

51 24 33

56630

2,5

2

Anmerkungen: *) Die Zahlen divergieren in den verschiedenen Quellen (Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R , 1. Jahrgang, Berlin 1956, S. 87; Schachtner, s. BiblAng. S. 77, AdG 1946/47; Schütze, s. BiblAng., S. 40)

376

Wahl der Parlamente

Tabelle A 29: Die Wahl z u m III. Volkskongreß v o m 15. u n d 16. Mai 1949 Wahlberechtigte Abgegebene Stimmen Gültige Stimmen ungültige Stimmen

13 533 071 12 887 234 12 024 221 863 013

95,2% 93,4% 6,6%

7 943 949 4 080 272

66,1 % 33,9%

Ja-Stimmen (für die Einheitsliste des „Blocks der antifaschistisch-demokratischen Parteien") Nein-Stimmen (Quelle: Schachtner, s. BiblAng., S. 78; Schulz, s. BiblAng., S. 23)

Tabelle A 30: Die Wahlen z u r Volkskammer der Deutschen Demokratischen Republik von 1950 bis 1967 Wahlen vom

Wahlberechtigte

19. Okt. 1950 17. Okt. 1954 16. Nov. 1958 20. Okt. 1963 2. Juli 1967

12 325 186 12 085 380 11 848 602 11 621 158 11 341 729

abgegebene Stimmen absolut in % 12 139 932 11 892 849 11 707 715 11 533 859 11 208 816

98,53 98,51 98,90 99,25 98,82

für „Nationale Front" absolut in %

Gegenstimmen absolut in %

12 088 745 11 892 877 n.b. n.b. 11 197 265

35 544 n.b. n. b. n. b. 8 005

99,72 99,46 99,87 99,95 99,93

ungültige U.Gegenstimmen

0,28 n. b. 0,13 0,05 0,07

(Quelle: Statistisches Jahrbuch der D D R , 1. Jahrgang, Berlin 1956; 4. Jahrgang (1959); 10. Jahrgang (1965); A d G jeweiliger Jahrgang; Schachtner, s. BiblAng. S. 78)

51 187 63972 n.b. n.b. 10 751

Deutschland

II. Systematischer

377 Teil

Bundesrepublik Deutschland Gesetzliche Grundlagen: Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, in: Wahlgesetz vom 7. Mai 1956 in: BGBl. I S. 383; Wahlgesetzänderung vom Bundesgesetzblatt (BGBl.) S. 1. 14. Februar 1964 in: BGBl. I S. 61; Wahlgesetzänderung vom 16. März 1965 in: BGBl. I S. 65; Bundeswahlordnung vom 8. April 1965, in: BGBl. I S. 240; Wahlprüfungsgesetz vom 12. März 1951 in: BGBl. I S. 166. Parlament: Deutscher Bundestag. Der Bundesrat nach seinen Befugnissen als Organ des Bundes zweite Kammer, nach Zusammensetzung und Abstimmungsmodus ein ständiger Kongreß von den Landesregierungen entsandter Minister (GG Art. 51). Wahlrecht zum Deutschen Bundestag: Mitgliederzahl: 518 (Wg § 1). Darunter 22 Abgeordnete des Landes Berlin, die — solange der Sonderstatus der Stadt Berlin der vollen Anwendung des Wahlgesetzes entgegensteht — vom Abgeordnetenhaus von Berlin gewählt werden (Wg § 54). Die gesetzliche Mitgliederzahl kann geringfügig überoder unterschritten werden, durch Überhangsmandate, Listenerschöpfung, nicht mehr durchgeführte Wiederholungs- oder Ersatzwahlen, bei Mandatsverlust infolge Parteiverbots. Wahlperiode: Vier Jahre (GG A n . 39). Vorzeitige Auflösung: Ist unter erschwerten Bedingungen möglich. Der Bundespräsident kann den Bundestag auflösen, wenn dieser nicht mit absoluter, sondern nur mit relativer Mehrheit einen Bundeskanzler wählt (GG Art. 63). Er kann ihn außerdem auf Vorschlag des Bundeskanzlers auflösen, wenn die Mehrheit diesem auf seinen Antrag hin nidit das Vertrauen ausspricht und keinen anderen Bundeskanzler wählt (GG Art. 68). Das Wahlrecht ist allgemein, unmittelbar, frei, gleich und geheim (GG Art. 38). Aktives Wahlrecht: Alle Bürger, die das 21. Lebensjahr vollendet haben (GG Art. 38; Wg § 12). Ausschließungsgründe: Bei Entmündigung oder bei Verlust des Wahlrechts durch Aberkennung der bürgerlichen und politischen Rechte durch Gerichtsurteil (Wg § 13). Passives Wahlrecht: Alle Bürger, die das aktive Wahlrecht besitzen und das 25. Lebensjahr vollendet haben (GG Art. 38; Wg § 16). Inkompatibilität: Besteht für den Bundespräsidenten (GG Art. 55), für Bundesverfassungsriditer (GG Art. 94) und für die Beamten und Richter sowie Angestellten des öffentlichen Dienstes (GG Art. 137 und Gesetz vom 4. 8. 1953, BGBl. I, S. 777). Diese Personen können rechtswirksam gewählt werden, müssen jedoch bei Annahme der Wahl aus ihrem Amte ausscheiden.

378

Wahl der Parlamente

Wahlpflicht: besteht nicht. Wahlsystem: Personalisierte Verhältniswahl. Die Wahl der Abgeordneten erfolgt aufgrund von Wahlvorschlägen, zur Hälfte in Wahlkreisen nach Kreiswahlvorschlägen, zur Hälfte nach Landeswahlvorsdilägen (Landeslisten) (Wg § 1). Verbindung mehrerer Landeslisten derselben Partei ist zulässig und üblich (Wg § 7). Jeder Wähler hat zwei Stimmen, eine Erststimme für die Wahl eines Wahlkreisabgeordneten, eine Zweitstimme für die Wahl einer starren Landesliste (Wg § 6). Im Wahlkreis ist gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinigt (Wg § 5). Für die Verrechnung der 496 Mandate auf die einzelnen Parteien gilt ausschließlich das Proportionalwahlsystem. Berücksichtigt werden allerdings — mit Ausnahme von Parteien nationaler Minderheiten — nur die Parteien, die im gesamten Bundesgebiet mindestens fünf v. H. der abgegebenen gültigen Zweitstimmen erhalten oder mindestens drei Wahlkreise errungen haben (Wg Art. 6). Die Mandatszuteilung auf die Parteien erfolgt in zwei Stufen, jeweils nach der Methode d'Hondt (-> S. 48 f.). Zunächst werden im ersten Ermittlungsverfahren alle auf die einzelnen Landeslisten einer Partei entfallenen gültigen Zweitsimmen addiert. Aufgrund dieser Gesamtzahl aller für eine Partei im Bundesgebiet abgegebenen gültigen Zweitstimmen wird nach der Methode d'Hondt die jeder Partei zustehende Mandatszahl ermittelt (s. Tab. A 24). Um die Anzahl der auf die einzelnen Landeslisten einer Partei zu verteilenden Mandate zu errechnen, werden im zweiten Zuteilungsverfahren die Stimmenzahlen aller Landeslisten einer Partei solange nach der Methode d'Hondt dividiert, bis die im ersten Zuteilungsverfahren ermittelte Gesamtmandatszahl einer Partei auf Bundesebene erreicht ist (s. Tab. A. 24). In Wahlkreisen errungene Mandate werden der Partei bei der Verteilung der ihr im Lande zustehenden Sitze angerechnet. Übersteigen diese die Zahl der auf die Landesliste entfallenden Mandate, bleiben sie dennoch erhalten (sog. Überhangsmandate). Ein proportionaler Mandatsausgleich findet nicht statt. Zahl der Wahlkreise: 248 (Wg § 54). Wahlkreiseinteilung erfolgt durch die vom Bundespräsidenten ernannte ständige Wahlkreiskommission (Wg § 3). Ländergrenzen müssen, Stadt- und Landkreisgrenzen sollen berücksichtigt werden. Die Abweichung von der durchschnittlichen Bevölkerungszahl der Wahlkreise soll nicht mehr als 337s v. H. betragen. Eine unabhängige Wahlkreiskommission hat die Veränderungen der Bevölkerungszahlen zu beobachten und im Laufe des ersten Jahres nach Zusammentritt des Bundestages einen Bericht mit Vorschlägen über Änderungen der Wahlkreiseinteilung zu erstatten (Wg § 3). Wahlbewerbung: Kreiswahlvorschläge können von Parteien und Wählergruppen dem Wahlkreisleiter bis spätestens zum 34. Tag vor der Wahl, 18 Uhr, schriftlich eingereicht werden (Wg § 20). Der Kreiswahlvorschlag darf nur den Namen dieses Bewerbers enthalten. Jeder Bewerber kann nur in einem Wahlkreis und nur auf einem Wahlvorsdilag benannt werden, er muß schriftlich seine Zustimmung erteilen. Kreiswahlvorschläge von Parteien müssen vom satzungsgemäß zuständigen Landesvorstand unterzeichnet sein. Parteien, die im Bundestag oder in einem Landtag seit deren letzter Wahl

Deutschland

379

nicht ununterbrochen mindestens fünf Mitglieder aufweisen, können Wahlvorschläge nur einreichen, wenn sie einen nach demokratischen Grundsätzen gewählten Vorstand, eine schriftliche Satzung und ein schriftliches Programm nachweisen und wenn der Kreiswahlvorschlag außerdem von mindestens 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises persönlich und handschriftlich unterzeichnet ist. Das Erfordernis der 200 Unterschriften entfällt, wenn es sich um einen Kreiswahlvorschlag von Parteien nationaler Minderheiten handelt. Andere Wahlvorschläge müssen von mindestens 200 Wahlberechtigten des Wahlkreises persönlich und handschriftlich unterzeichnet sein. Die Kreiswahlvorschläge müssen den Namen der Partei oder ein Kennwort enthalten (Wg § 21). Der Bewerber einer Partei muß in einer Versammlung der wahlberechtigten Mitglieder der Partei im Wahlkreis oder in einer Versammlung der von den wahlberechtigten Mitgliedern der Partei im Wahlkreis aus ihrer Mitte — nicht früher als ein Jahr vor dem Wahltag — gewählten Vertreter in geheimer Abstimmung gewählt worden sein. Gegen den Beschluß einer Mitglieder- oder Vertreterversammlung kann der Landesvorstand der Partei oder eine andere hierfür in der Parteisatzung vorgesehene Stelle Einspruch erheben. In diesem Falle ist die Abstimmung zu wiederholen, ihr Ergebnis ist endgültig. Mit dem Kreiswahlvorschlag ist eine Niederschrift über die Wahl des Bewerbers einzureichen, die Angaben über O r t und Zeit der Versammlung, Form der Einladung, Zahl der erschienenen Mitglieder enthält. Der Leiter der Versammlung und zwei weitere Mitglieder haben an Eides statt zu versichern, daß die Aufstellung des Bewerbers in geheimer Abstimmung erfolgt ist (Wg § 22). Der Kreiswahlausschuß entscheidet am 30. Tag vor der Wahl über die Zulassung der Kreiswahl vorschlage (Wg § 27). Landeslisten können nur von Parteien eingereicht werden. Sie müssen vom satzungsgemäß zuständigen Landesvorstand unterzeichnet sein. Parteien, die im Bundestag oder in einem Landtag seit der letzten Wahl nicht ununterbrochen mindestens fünf Mitglieder aufweisen, müssen außerdem von eins vom Tausend der Wahlberechtigten bei der letzten Bundestagswahl, jedoch höchstens von zweitausend Wahlberechtigten persönlich und handschriftlich unterzeichnete Unterschriften aufweisen. Das Erfordernis zusätzlicher Unterschriften gilt nicht für Landeslisten von Parteien nationaler Minderheiten. Die Landeslisten müssen den Namen der einreichenden Partei enthalten. Die Namen der Bewerber müssen in erkennbarer Reihenfolge aufgeführt sein. Ein Bewerber kann nur in einem Land und auf einer Liste vorgeschlagen werden, er muß schriftlich seine Zustimmung erteilen. Im übrigen gelten für die Nominierung der Bewerber die gleichen Vorschriften wie bei den Kreiswahlvorschlägen (Wg § 28). Wahlkosten: Der Bund (Bundesinnenministerium) erstattet den Ländern zugleich für ihre Gemeinden die durch die Wahl veranlaßten notwendigen Ausgaben durch einen festen, nach Gemeindegrößen abgestuften Betrag je Wahlberechtigten, der mit Zustimmung des Bundesrates festgesetzt wird (Wg § 51). Dabei handelt es sich um die in Durchführung des Wahlgesetzes und der Wahlordnung entstandenen Kosten. Die Kosten f ü r die Wahl zum fünften Deutschen Bundestag am 19. September 1965 betragen insgesamt 8 955 000,— DM.

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Wahlkampfbeschränkung: Der Wahlkampf unterliegt ausschließlich den allgemeinen gesetzlichen Vorschriften (Versammlungsgesetz, Pressegesetz, Strafgesetz, Polizeigesetz, Straßenverkehrsgesetze). In jüngster Zeit gehen die großen politischen Parteien dazu über, Wahlkampfvereinbarungen zu treffen. Wahlorganisation: Wahlbehörden: Der Bundeswahlleiter, vom Bundesinnenminister ernannt, und der Bundeswahlausschuß, bestehend aus dem Wahlleiter als Vorsitzenden und sechs von ihm berufenen Wahlberechtigten als Beisitzer für das Wahlgebiet, ein Landeswahlleiter und ein Landeswahlausschuß für jedes Land, ein Kreiswahlleiter und ein Kreiswahlausschuß für jeden Wahlkreis, ein Wahlvorsteher und ein Wahlvorstand für jeden Wahlbezirk und ein Wahlvorsteher und ein Wahlvorstand für jeden Wahlkreis zur Feststellung des Briefwahlergebnisses. Der Landeswahlleiter, Kreiswahlleiter und Wahlvorsteher werden von der jeweiligen Landesregierung oder durch eine von ihr bestimmte Stelle ernannt. Die Wahlvorstände bestehen aus dem Wahlvorsteher als dem Vorsitzenden und drei bis acht von ihm berufenen Wahlberechtigten als Beisitzer. Bei der Berufung der Beisitzer sollen die im jeweiligen Bereich vorhandenen Parteien nach Möglichkeit berücksichtigt werden (Wg § 8, § 9). Wählerverzeichnisse: Für jeden Wahlbezirk von den Gemeindebehörden aufgestellt (Wg § 18). Sie müssen vom 21. bis zum 14. Tag vor der Wahl zur allgemeinen Einsicht öffentlich ausgelegt sein. (Wg § 18). Spätestens am Tage vor der Auslegung benachrichtigt die Gemeindebehörde jeden Wahlberechtigten. Jeder kann innerhalb der Auslegefrist bei der Gemeindebehörde Einspruch erheben. Gegen die Entscheidung der Gemeindebehörde ist Einspruch beim Kreiswahlleiter möglich (Wg § 18). Wahltermin: Bei Neuwahl muß die Wahl im letzten Vierteljahr der laufenden Wahlperiode stattfinden (GG A n . 39). Bei vorzeitiger Auflösung spätestens nach 60 Tagen (GG Art. 39). Wahltermin im ganzen Lande einheitlich; findet an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag statt (Wg § 17). Wahllokal: Je eines pro Wahlbezirk; wird von der Gemeindebehörde bestimmt, meistens Rathäuser, Schulen, Verwaltungsgebäude u. a. (WO § 42). Wahlzeit: 8 bis 18 Uhr. Nur in besonderen Einzelfällen kann der Landeswahlleiter einen früheren Beginn festsetzen oder den Schluß bis höchstens 21 Uhr ausdehnen (WO § 43). Stimmabgabe: Geheim und persönlich mittels amtlichen Stimmzettel und amtlidien Umschlag. In jüngster Zeit wird die Benutzung von Stimmzählgeräten häufiger (Wg § 35). Brief wähl: Ist zulässig (Wg § 15). Wer sich aus wichtigen Gründen am Wahltag außerhalb seines Wahlbezirkes aufhält, nach Ablauf der Auslegefrist seine Wohnung in einen anderen Wahlkreis verlegt, infolge Krankheit, hohen Alters den Wahlraum nicht aufsuchen kann, erhält auf schriftlichen oder mündlichen Antrag von der Gemeindebehörde einen Wahlschein (WO

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§ 22). Wahlscheine können im allgemeinen bis zum Tag vor der Wahl 12 Uhr beantragt werden (WO § 24). Will der Wahlberechtigte nicht in einem anderen Wahlbezirk seines Wahlkreises, sondern durch Briefwahl wählen, erhält er einen amtlichen Stimmzettel seines Wahlkreises, einen amtlichen Wahlumschlag und eine Siegelmarke zu dessen Verschluß, einen Wahlbriefumschlag. Der Wähler hat diese Unterlagen dem Kreiswahlleiter so rechtzeitig zurückzusenden, daß sie spätestens am Wahltag um 18 Uhr eingegangen sind (WO § 25). Schutz der Wahlhandlung: Im Wahlraum ist jede Beeinflussung der Wähler durch Wort, Ton, Schrift oder Bild verboten (Wg § 33). Stimmauszählung: In jedem Wahlbezirk unmittelbar nach Ablauf der Wahlzeit durch den Wahlvorstand (Wg § 37, W O § 36). Das Ergebnis wird mündlich bekanntgegeben und dem Kreiswahlleiter gemeldet. Der Kreiswahlleiter ermittelt — unter Einbeziehung des Ergebnisses der Briefwahl — (WO § 72) das vorläufige Wahlergebnis im Wahlkreis und teilt es dem Landeswahlleiter mit. Dieser meldet das Ergebnis dem Bundeswahlleiter weiter. Der Bundeswahlleiter ermittelt das vorläufige Wahlergebnis im Wahlgebiet (Wg § 41, § 42, W O § 68). Auszählungskontrolle: Der Kreiswahlausschuß hat das Recht, die Ergebnisse des Wahlvorstandes nachzuprüfen (Wg § 40, W O § 73). Wahlanfechtung: Jeder Wahlberechtigte, Gruppen von Wahlberechtigten, jeder Landeswahlleiter, der Bundeswahlleiter und der Bundestagspräsident können binnen eines Monats schriftlich beim Bundestag Einspruch gegen die Wahl einlegen (WPrüfG § 2). Wahlprüfung: Ist Sache des Bundestages, Beschwerde an das Bundesverfassungsgericht ist zulässig (GG Art. 41).

Bestellung und Zusammensetzung des Bundesrates: Der Bundesrat besteht aus 45 Mitgliedern der Regierungen der Länder. Sie werden von den Landesregierungen ernannt, beauftragt, bevollmächtigt und abberufen. Jedes Land hat mindestens drei Stimmen (ζ. Z. Bremen, Hamburg, Saarland); Länder mit mehr als zwei Millionen Einwohnern haben vier (ζ. Z. Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein und Berlin); Länder mit mehr als 6 Millionen Einwohnern haben fünf Stimmen (ζ. Z. Baden-Württemberg, Bayern, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen). Jedes Land kann soviele Mitglieder entsenden wie es Stimmen hat, diese können nur einheitlich abgegeben werden (GG Art. 51).

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382 Deutsche Demokratische Republik Gesetzliche

Grundlagen:

Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968 in: Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR GBl.) Teil 1/ 1968, S. 199. Wahlgesetz zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik vom 31. Juli 1963 in: DDR GBl. Nr. 8/1963 I S. 97; Wahlgesetzänderung vom 13. September 1965 in: DDR GBl. Nr. 13/1965 I S. 207; vom 2. Mai 1967 in: DDR GBl. 1/1967 S. 57; Wahlordnung vom 31. Juli 1963 in: DDR GBl. Nr. 8/1963 I S. 99; Wahlordnung vom 2. Juli 1965 in: DDR GBl. Nr. 11/1965 I S. 143; Wahlkreiseinteilung vom 31. Juli 1963 in: DDR GBl. Nr. 8/1963 I S. 107; vom 2. Mai 1967 in: DDR GBl. 1/1967 S. 60. Parlament: Volkskammer (VfsArt. 48). Länderkammer der DDR aufgelöst durch das Gesetz über die Auflösung der Länderkammer vom 8. Dezember 1958 (DDR GBl. 1/1958, S. 867). Mitgliederzahl: 500 (VfsArt. 54). Wahlperiode: Vier Jahre (VfsArt. 54, Wg § 1). Vorzeitige Auflösung: Durch Besdiluß der Volkskammer, wobei die Zustimmung von 2/s der gesetzlichen Zahl der Mitglieder erforderlich ist (VfsArt. 64). Das Wahlrecht ist allgemein, gleich, direkt, frei und geheim (VfsArt. 54, Wg § 1). Aktives Wahlrecht: Alle Bürger, die das 18. Lebensjahr vollendet haben (VfsArt. 22, Wg § 2). Ausschließungsgründe: Bei Entmündigung oder bei Verlust des Wahlrechts durch Aberkennung der bürgerlichen und politischen Rechte durch Gerichtsurteil (Wg § 4). Passives Wahlrecht: Alle Bürger, die das aktive Wahlrecht besitzen und das 21. Lebensjahr vollendet haben. Für örtliche Volksvertretungen bereits ab 18 Jahren (VfsArt. 22, Wg § 3). Abberufung von Abgeordneten: Erfolgt durch die Volkskammer (Wg § 19), wenn „die Wähler, in von den zuständigen Ausschüssen der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands ordnungsgemäß einberufenen Wählerversammlungen . . d i e Abberufung beantragen (VfsArt. 57, Wg § 19). Wahlpflicht: Besteht nicht. Wahlsystem: Absolute Mehrheitswahl in Mehrmann Wahlkreisen nach Listen (Wg § 9, WO § 14). In jedem Wahlkreis können mehr Kandidaten aufgestellt werden als Mandate zu vergeben sind (WO § 24, § 39). Der Wähler kann die ihm nicht genehmen Kandidaten streichen. Gewählt ist, wer mehr als 50 v. H. der gültigen Stimmen erhält (WO § 39). „Erhält eine größere Anzahl der Kandidaten mehr als 50 v. H. der gültigen Stimmen als Mandate im jewei-

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ligen Wahlkreis vorhanden sind, entscheidet die Reihenfolge der Kandidaten auf dem Wahlvorschlag über die Besetzung der Abgeordnetenmandate und über die Nachfolgekandidaten" (WO § 39). Entscheidend ist also nicht die Reihenfolge der Kandidaten mit den größten Stimmenzahlen. Nicht gewählt sind die Kandidaten, die weniger als 50 v. H . der gültigen Stimmen erhalten haben, d. h., deren Namen von über 50 v. H. der Wähler gestrichen worden sind. „Erreichen in einem Wahlkreis weniger Kandidaten die erforderliche Stimmenmehrheit als Mandate ausgeschrieben sind, muß in den betreffenden Wahlkreisen innerhalb von drei Monaten eine Nachwahl stattfinden" (WO § 49). Zahl der Wahlkreise: 67, mit vier bis acht Abgeordneten je nach Größe des Wahlkreis (WO 1963 bzw. 1967 Anhang). Die Wahlkreiseinteilung erfolgt unter Berücksichtigung der Bevölkerungszahl durch den Staatsrat (Wg § 9). Durchschnittliche Zahl der Einwohner in einem Wahlkreis: 253 730 (V. Wahlperiode); durchschnittliche Zahl der Wahlberechtigten in einem Wahlkreis: 173 134 (V. Wahlperiode). Kein Wahlbezirk = Stimmenbezirk soll mehr als 2500 Einwohner umfassen. Bildung der Wahlbezirke muß spätestens 50 Tage vor dem Wahltermin von den Räten der Städte, Stadtbezirke und Gemeinden bekanntgemacht werden (WO § 15). Wahlbewerbung: „Die Wahlvorschläge für die Volkskammer, die Bezirkstage, die Kreistage, die Stadtverordnetenversammlungen, die Stadtbezirksversammlungen und die Gemeindevertretungen stellen die demokratischen Parteien und Massenorganisationen auf. Sie haben das Recht, ihre Vorschläge zu dem gemeinsamen Vorschlag der Nationalen Front des demokratischen Deutschlands zu vereinigen" (Wg § 16). Wahlkampf: Wahlen und Wahlkampf stellen „Höhepunkte im gesellschaftlichen Leben unserer Republik" dar, und sollen zur „Stärkung unseres Staates und der Festigung der politisch-moralischen Einheit der Bevölkerung" (WgPräambel) dienen. Zu diesem Zweck sind die Kandidaten verpflichtet, sich den Wählern in Wählerversammlungen vorzustellen (WgPräambel, W O § 27).

Wahlorganisation Wahlbehörden: a) Wahlkommission der Deutschen Demokratischen Republik (Wahlkommission der Republik) (WO § 1), zusammengesetzt aus dem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter und bis zu 35 weiteren Mitgliedern (WO § 2), die bestellt werden vom Staatsrat aufgrund von Vorschlägen der Parteien und Massenorganisationen sowie von Vorschlägen „von Versammlungen in Betrieben, Genossenschaften und militärischen Verbänden" (WO § 2). Mitglieder können aber nur sein: „Vertreter der in der Nationalen Front des Demokratischen Deutschlands vereinigten Parteien und Massenorganisationen" sowie „hervorragende Vertreter der Arbeiterklasse, der Genossen-

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schaftsbauern, der Intelligenz, der bewaffneten Kräfte und der übrigen werktätigen Schichten" (WO § 2). b) Wahlkommission für jeden Bezirk, Kreis, Stadt, Stadtbezirk, Gemeinde (WO § 1), zusammengesetzt aus dem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter, dem Sekretär und bis zu 14 weiteren Mitgliedern (WO § 4), die wie die zentrale Wahlkommission bestellt werden (WO § 4). c) Wahlkommission für jeden Wahlkreis (WO § 1), zusammengesetzt aus dem Vorsitzenden, seinem Stellvertreter, dem Sekretär und vier bis 14 weiteren Mitgliedern (WO § 9), die wie die zentrale Wahlkommission bestellt werden (WO § 9). Wählerverzeichnisse: Für jeden Stimmbezirk, für jede Wahl von den Räten der Städte, Stadtbezirke und Gemeinden angelegt (WO § 16). Gegen die Wählerliste kann Einspruch erhoben werden. Gegen die Entscheidung der Gemeindebehörden ist Einspruch bei der Wahlkreiskommission möglich (WO § 20). Wahltermin: Bei Neuwahl findet die Wahl spätestens am 60. Tage nach Ablauf der Wahlperiode statt (VfsArt. 64). Bei vorzeitiger Auflösung spätestens nach 45 Tagen (VfsArt. 64). Wahltermin im ganzen Lande einheitlich, findet an einem Sonntag oder gesetzlichen Feiertag statt und wird vom Staatsrat bestimmt (VfsArt. 72). Wahllokal: Je eines für einen Wahlbezirk, von den Gemeindebehörden bestimmt, meistens Rathäuser, Schulen, Verwaltungsgebäude u. a. (WO § 39). Wahlzeit: 7 bis 20 Uhr. In Ausnahmefällen Verlängerung bis 22 Uhr, muß durch die Kreis- bzw. Stadtwahlkommission festgelegt werden (WO § 35). Stimmabgabe: §35).

Geheim und persönlich mittels amtlichem Stimmzettel (WO

Briefwahl: Ist unzulässig. Inhaber von Wahlscheinen aber können in jedem Wahllokal und in den von der Wahlkommission der Republik eingerichteten Sonderwahllokalen wählen; allerdings nur am Tage der Wahl (WO §22). Stimmauszählung: In den Stimmbezirken = Wahllokalen erfolgt öffentlich unmittelbar nach Ablauf der Wahlzeit durch den Wahlvorstand, der das Ergebnis der Wahlkreiskommission meldet, diese leitet es der Wahlkommission der Republik weiter (WO § 40—45). Auszählungskontrolle: Die Wahlkreiskommission hat das Recht, die Ergebnisse des Wahlvorstandes nachzuprüfen (WO § 44). Wahlanfechtung: Einspruch gegen die Gültigkeit der Wahl kann binnen zwei Wochen nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses vom Nationalrat der Nationalen Front und den betreffenden Ausschüssen der Nationalen Front eingelegt werden (Wg § 18). Wahlprüfung: Durch die Volkskammer (Wg § 18). Bei Ungültigkeitserklärung der Wahl durch die Volkskammer müssen binnen drei Monaten im Wahlkreis Neuwahlen stattfinden (Wg § 18, WO § 49).

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Bibliographie 1.

Quellen:

a)

Verfassungsgesetzgebung:

Ordnung für sämtliche Städte der Preußischen Monarchie vom 19. November 1808, preußische Gesetzessammlung 1806—1810, S. 324; Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815, Corpus Juris Confoederationis Germanicae, 101 ff.; Protokoll der Wiener Konferenzen vom 12. Juli 1834, in: Klüberj Welcher: Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, 2. Aufl., 1845, S. 350 ff. Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849, Reichsgesetzblatt (RGBl.) 1849, S. 101 ff.; Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 5. Dezember 1848, preußische Gesetzessammlung 1848, S. 375 ff.; Verfassungsurkunde für den preußischen Staat vom 31. Januar 1850, preußische Gesetzessammlung 1850, S. 17 ff.; Verfassung des Norddeutschen Bundes vom 16. April 1867, Bundesgesetzblatt (BGBl.) 1867, S. 2 ff. Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, RGBl. 1871, S. 63 ff.; Abänderungen vom 19. März 1888, RGBl. 1888, S. 110 ff.; 28. Oktober 1918, RGBl. 1918, S. 1273; Gesetz betreffend die Einführung der Verfassung des Deutschen Reiches in Elsaß-Lothringen vom 25. Juni 1873, RGBl. 1873, S. 161; Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12. November 1918, RGBl. 1918, S. 1303; Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919, RGBl. 1919, S. 169. Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, RGBl. 1919, S. 1383 ff.; Abänderungen vom 27. Oktober 1922, RGBl. 1922/1, S. 801; 15. Dezember 1923, RGBl. 1923/1, S. 1185; Gesetz über die Vertretung der Länder im Reichsrat vom 24. März 1921, RGBl. 1921, S. 440; Notverordnungen zum Schutz von Volk und Staat und gegen Verrat am deutschen Volk und hochverräterische Umtriebe (beide) vom 28. Februar 1933, RGBl. 1933/1, S. 83; Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat (Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 1933, RGBl. 1933/1, S. 141; Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933, RGBl. 1933/1, S. 479; Gesetz über den Neubau des Reiches vom 30. Januar 1934, RGBl. 1934/1, S. 75, Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates vom 14. Februar 1934, RGBl. 1934/1, S. 89; Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom I. August 1934, RGBl. 1934/1, S. 747. Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949, BGBl. 1949, S. 1 ff. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949, Gesetzblatt der Deutschen Demokratischen Republik (DDR GBl.) 1949, S. 4 ff.; Abänderungen vom 26. September 1955, D D R GBl. 1955, S. 653; I I . Dezember 1958, D D R GBl. 1958, S. 865; 12. September 1960, D D R GBl. 1960/1, S. 505; Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der 25

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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D D R vom 23. Juli 1952, D D R GBl. 1952, S. 621 ff.; Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17. Januar 1957, D D R GBl. 1957, S. 565 ff.; Gesetz über die Auflösung der Länderkammer der D D R vom 8. Dezember 1958, D D R GBl. 1958/1, S. 867; Erlaß des Staatsrates der D D R zu den Ordnungen über die Aufgaben und Arbeitsweise der örtlichen Volksvertretungen vom 28. Juni 1961, D D R GBl. 1961/1, S. 52 ff.; Gesetz über die Staatsbürgerschaft der D D R vom 20. Februar 1967, D D R GBl. 1967/1, S. 3 ff. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968; D D R GBl. 1968/1, S. 199 ff. Zu den Verfassungen der deutschen Bundesstaaten und Länder s. Tabellen G I — G VI. b)

Wahlgesetzgebung:

Wahlgesetzliche Bestimmungen des Frankfurter Vorparlamentes vom 31. März bis 4. April 1848, in: Stenogr. Ber. über die Verhanlungen der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., hrsg. v. F. Wigard, 2. Aufl. 1848, Bd. 1, S. 172 ff.; Beschlüsse des Deutschen Bundestages über die Wahl der deutschen Nationalversammlung vom 30. März und 7. April 1848, in: Protokolle der Bundesversammlung 1848, 26. Sitzung § 209 und 29. Sitzung § 238; Wahlgesetz für die Wahl zum Volkshaus vom 12. April 1849, RGBl. 1849, S. 79 ff.; Wahlgesetz f ü r die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammlung vom 8. April 1848 (gleichzeitig Wahlgesetz f ü r die Wahl zur Frankfurter Nationalversammlung in Preußen), preußische Gesetzessammlung 1848, S. 89 ff.; Wahlgesetze f ü r die Wahl der 1. und 2. Kammer in Preußen vom 5. und 6. Dezember 1848, preußische Gesetzessammlung 1848, S. 375 ff.; Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten der 2. Kammer vom 30. Mai 1849 (Dreiklassenwahlrecht), preußische Gesetzessammlung 1849, S. 205 ff.; Verordnung wegen der Bildung der 1. Kammer vom 12. Oktober 1854, preußische Gesetzessammlung 1854, S. 541 ff. Wahlgesetz für den konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 15. Oktober 1866, f ü r Preußen, preußische Gesetzessammlung 1866, S. 623 ff.; Wahlgesetz für den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869, BGBl. 1869, S. 145 ff. Wahlreglement vom 28. Mai 1870, BGBl. 1870, S. 275 ff., Abänderungen vom 27. Februar 1871, RGBl. 1871, S. 35 ff., vom 24. Januar 1872, RGBl. 1872, S. 38 ff., vom 20. Juni 1873, RGBl. 1873, S. 144 f., vom 1. Dezember 1873, RGBl. 1873, S. 374 ff., vom 25. Dezember 1876, RGBl. 1876, S. 275, vom 16. Mai 1891, RGBl. 1891, S. 111, vom 29. April 1903, RGBl. 1903, S. 202, vom 18. Februar 1906, RGBl. 1906, S. 317, vom 22. Juli 1913, RGBl. 1913, S. 597. Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstages und die Verhältniswahl in großen Wahlkreisen vom 24. August 1918, RGBl. 1918, S. 1079. Verordnung über die Wahlen zur verfassunggebenden deutschen Nationalversammlung vom 30. November 1918, RGBl. 1918, S. 1345 ff.; Wahlord-

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nung vom 30. November 1918, RGBl. 1918, S. 1352 ff.; Abänderung vom 19. Dezember 1918, RGBl. 1918, S. 1441 ff. Reichswahlgesetz vom 27. April 1920, RGBl. 1920, S. 627 ff.; Neufassung vom 6. März 1924, RGBl. 1924/1, S. 159 ff.; Abänderung vom 13. März 1924, RGBl. 1924/1, S. 173; Reidiswahlordnung vom 1. Mai 1920, RGBl. 1920/1, S. 173; Reichsstimmordnung vom 14. März 1924, RGBl. 1924/1, S. 173 und 646; Abänderungen vom 3. November 1924, RGBl. 1924/1, S. 726; 17. März 1925, RGBl. 1925/1, S.21; 14. Mai 1926, RGBl. 1926/1, S. 224; 5. Dezember 1929, RGBl. 1929/1, S.208; 24. Juli 1930, RGBl. 1930/1, S. 353; 19. Oktober 1933, RGBl. 1933/1, S. 746; 13. März 1936, RGBl. 1936/1, S. 164. Gesetz über die Volksabstimmung vom 14. Juli 1933, RGBl. 1933/1, S. 479; Wahlgesetzänderung vom 3. Juli 1934, RGBl. 1934)% S. 350; Gesetz über die Vertretung des Saarlandes vom 30. Januar 1935, RGBl. 1935/1, S. 68; Wahlgesetzänderung vom 7. März 1936, RGBl. 1936/1, S. 133; Wahlgesetzänderung vom 18. März 1938, RGBl. 1938/1, S. 258. Wahlgesetz für den Deutschen Bundestag vom 15. Juni 1949, BGBl. 1949/1, S.21 ff.; Wahlgesetz vom 8. Juli 1953, BGBl. 1953/1, S. 470 ff.; Wahlgesetz vom 7. Mai 1956, BGBl. 1956/1, S. 383 ff.; Abänderungen vom 23. Dezember 1956, BGBl. 1956/1, S. 1011; vom 14. Februar 1964, BGBl. 1964/1, S. 61 ff.; vom 8. April 1965, BGBl. 1965/1, S. 65; Wahlprüfungsgesetz vom 12. März 1951, BGBl. 1951/1, S. 166. Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten durch die Bundesversammlung vom 25. April 1959, BGBl. 1959/1, S. 230. Wahlordnung für die Gemeinde-, Kreis- und Landtagswahlen vom Herbst 1946, veröffentlicht von der Sowjetischen Militäradministration für Deutschland (SMAD) am 28. Juni 1946, im Wortlaut von Länder- und Provinzialregierungen übernommen, so für die Provinz Sachsen: Wahlordnung für die Gemeindewahlen vom 3. Juli 1946, Verordnungsblatt (VOBl.) für die Provinz Sachsen, 2. Jg. 1946, S. 277 ff.; Durchführungsverordnungen vom 18. Juli und 31. August 1946, VOBl. für die Provinz Sachsen, 2. Jg. 1946, S. 329/S. 377; Wahlordnung für die Landtags- und Kreistagswahlen vom 14. September 1946, VOBl. für die Provinz Sachsen, 2. Jg. 1946, S. 412 ff.; Durchführungsverordnungen vom 28. September 1946, VOBl. für die Provinz Sachsen, 2. Jg. 1946, S. 427 f. Wahlgesetz für die Volkskammer vom 9. August 1950, DDR GBl. 1950/11, S. 743 ff.; Wahlgesetz vom 4. August 1954, DDR GBl. 1954/11, S. 667 ff.; Wahlgesetz vom 24. Dezember 1958, DDR GBl. 1958/1, S. 677 ff.; Wahlgesetz zu den Volksvertretungen der Deutschen Demokratischen Republik vom 31. Juli 1963, DDR GBl. 1963/1, S. 97 ff.; Abänderung vom 13. September 1965, DDR GBl. 1965/1, S. 207; vom 2. Mai 1967, DDR GBl. 1967/1, S. 57; Wahlordnungen vom 16. August 1950, DDR GBl. 1950/11, S. 749 ff.; vom 6. August 1954, DDR GBl. 1954/11, S. 677 ff.; vom 31. Juli 1963, DDR GBl. 1963/1, S. 99 ff.; vom 2. Juli 1965, DDR GBl. 1965/1, S. 143 ff.; Wahlkreiseinteilung vom 31. Juli 1963, DDR GBl. 1963/1, S. 107 ff.; vom 2. Mai 1967, DDR GBl. 1967/1, S. 60.

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Zu den Wahlgesetzen der deutsdien Bundesstaaten und Länder s. Tabellen G I — G VI. c)

Wahlstatistik:

1. Kaiserreich (1871—1912): Für die Wahlen 1871, 1874, 1877, 1878 und 1881 in: Statistik des Deutschen Reiches, Erste Reihe, Bd. 8 (S. 11/73), Bd. 14 (S. V/1), Bd. 37 (S. VI/1/40/76), Bd. 53 (S. I I I / l ) ; für die Wahlen 1884, 1887 und 1890 in: Monatshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Jg. 1885 (S. 1/105), Jg. 1887 (S. IV/1), Jg. 1890 (S. IV/23); für die Wahlen 1893, 1898, 1903 und 1907 in: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Jg. 1893 (S. IV/1), Jg. 1898 Ergänzungsheft III, Jg. 1899 Ergänzungsheft I, Jg. 1900 (S. IV/235), Jg. 1903 (S. II/226/S. 111/41) Ergänzungsheft IV, Jg. 1904 Ergänzungsheft I, Jg. 1905 (S. IV/102), Jg. 1907 (S. 1/92), Jg. 1907 Ergänzungshefte I, I I I und IV, Jg. 1911 (S. 11/218); für die Wahl 1912 in: Statistik des Deutsdien Reiches, Bd. 205 (3 Hefte). Für die Wahlen zum Preußischen Abgeordnetenhaus in: Zeitschrift des königlich preußischen Statistischen Bureaus Bd. 2 (1862), S. 77 ff.; Bd. 5 (1865), S. 41 ff.; Bd. 7 (1867), S. 236 ff.; 23. Ergänzungsheft zur Zeitschrift des königlich preußischen statistischen Landesamtes, Berlin 1903; 30. Ergänzungsheft, Berlin 1909; 33. Ergänzungsheft, Berlin 1916. II. Weimarer Republik und Drittes Reich (1919—1938): Für die Wahl 1919 in: Vierteljahreshefte zur Statistik des Deutschen Reiches, Jg. 1919 Ergänzungsheft I; für die Wahl 1920 in: Statistik des Deutsdien Reiches, Bd. 291 (1922); für die Wahlen 1924/1 und 1924/11 in: Statistik des Deutsdien Reiches, Bd. 315 (1928); für die Wahl 1928 in: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 372 (1930); für die Wahl 1930 in: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 382 (1932); für die Wahlen 1932/1, 1932/11 und 1933/1 in: Statistik des Deutsdien Reiches, Bd. 434 (1935); für die Wahlen 1933/11, Volksabstimmungen 1933 und 1934 in: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 449 (1935); für die Wahl 1936 in: Statistik des Deutschen Reiches, Bd. 497 (1937); für die Wahl und Volksabstimmung 1938 in: AdG, Jg. 1938, 3835. III. Bundesrepublik (1949—1965): Für die Wahlen 1949, 1953, und 1957 in: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 10 (1952), Bd. 100, 2 Hefte (1954), Bd. 200, 4 Hefte (1957—1961); für die Wahl 1961 in: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 8, 4 Hefte (1962—1964); für die Wahl 1965 in: Statistik der Bundesrepublik Deutschland, Fachserie A, Bevölkerung und Kultur, Reihe 8, 9 Hefte (1964—1967). 2.

Quellenpublikationen:

Mit den Dokumenten zur deutschen Verfassungsgeschichte, hrsg. von E. R. Huber liegt jetzt für den Zeitraum von 1803 bis 1933 eine allgemein zu-

Deutschland

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gängliche Quellenedition vor, die die Verfassungs- und Wahlgesetzgebung weitgehend erfaßt; die folgenden Angaben verweisen deshalb in aller Regel nur auf diese Publikation. E. R. Huber, Hrsg.: Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Bd. 1: Deutsche Verfassungsdokumente 1803—1850, Stuttgart 1961 (im folgenden abgekürzt: Dok. I); Bd. 2: Deutsche Verfassungsdokumente 1851—1918, Stuttgart 1964 (Dok. II); Bd. 3: Dokumente der Novemberrevolution und der Weimarer Republik 1918—1933, Stuttgart/Berlin/Köln/Mainz 1966 (Dok. I I I ) ; dort audi jeweils ein Fundstellenverzeichnis mit weiterführenden Angaben über Quellensammlungen. Preußische Städteordnung vom 19. November 1808, in: Stier-Somlo, F., Hrsg.: Handbuch des kommunalen Verfassungsrechts in Preußen, systematisch f ü r Wissenschaft und Praxis dargestellt, 2. Aufl., Mannheim/Berlin 1928; ferner auch: Die preußische Städteordnung von 1808, Textausgabe mit einer Einführung von A. Krebsbach, Hrsg., Stuttgart 1957; Deutsche Bundesakte vom 8. Juni 1815, in: Dok. I, S. 75 ff.; Wiener Schlußakte vom 15. Mai 1820, in: Dok. I, S. 81 ff.; Wiener Konferenzen von 1834, in: Dok. I, S. 123 ff.; Verfassung des Deutschen Reiches vom 28. März 1849, in: Dok. I, S. 304 ff.; Preußische Verfassung vom 5. Dezember 1848, in: Dok. I, S. 385 ff.; Preußische Verfassung vom 31. Januar 1850, in: Dole. I, S. 401 ff.; Verfassung des Norddeutschen Bundes, in: Dok. II, S. 227 ff. Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871, in: Dok. II, S. 289 ff.; Gesetz betreffend die Einführung der Verfassung des Deutschen Reiches in Elsaß-Lothringen, in: Dok. II, S. 347. Aufruf des Rates der Volksbeauftragten an das deutsche Volk vom 12. November 1918, in: Dok. III, S. 6; Gesetz über die vorläufige Reichsgewalt vom 10. Februar 1919, in: Dok. III, S. 69; Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, in: Dok. I I I , S. 129 ff.; Notverordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933, in: Dok. III, S. 602; Gesetz zur Behebung der N o t von Volk und Staat (Ermächtigungsgesetz) vom 24. März 1933, in: Dok. III, S. 604; die Notverordnung und das Ermächtigungsgesetz u. a. auch in: Hof er, W., Hrsg.: Der Nationalsozialismus, Dokumente 1933—1945, Fischer-Bücherei N r . 172, Frankfurt/M. 1957, S. 53 bzw. S. 57; Gesetz gegen die Neubildung von Parteien vom 14. Juli 1933, ebenda, S. 61; Gesetz über den Neubau des Reiches vom 30. Januar 1934, ebenda, S. 63; Gesetz über die Aufhebung des Reichsrates vom 14. Februar 1934, ebenda, S. 64; Gesetz über das Staatsoberhaupt des Deutschen Reiches vom 1. August 1934, ebenda, S. 70. Grundgesetz f ü r die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 u. a. in: Sartorius: Verfassung und Verfassungsgesetze der Bundesrepublik, 30. Aufl., München 1968, lose Blattsammlung mit Ergänzungslieferungen, enthält u. a.: Grundgesetz, Reidisverfassung von 1871, Weimarer Reichsverfassung, Gesetz über die Wahl des Bundespräsidenten, Bundeswahlgesetz, Bundeswahlordnung, Wahlprüfungsgesetz, Geschäftsordnungen des Bundestages und des Bundesrates, das Parteiengesetz vom 24. Juli 1967. Grundgesetz und andere Verfassungsgesetze auch in: Burhenne, W.: Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland mit den Verfassungen der Länder,

390

Wahl der Parlamente

Bielefeld 1962, lose Blattsammlung mit Ergänzungslieferungen; Lecbner, H./Hüllshoff, K.: Parlament und Regierung, Textsammlung, 2. Aufl., München 1958; Füßlein, R. W.: Deutsche Verfassungen. Grundgesetz und deutsche Landesverfassungen mit Änderungen und Nachträgen, 3. Aufl., Berlin/Frankfurt/M. 1961; Mayer-Tasch, S. 38 ff. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 7. Oktober 1949 u. a. in: Albrecht, G., Hrsg.: Dokumente zur Staatsordnung der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) 1959; Hochbaum H. U., Hrsg.: Staats- und verwaltungsrechtliche Gesetze der Deutschen Demokratischen Republik, Berlin (Ost) 1958; Draht, M.: Verfassungsrecht und Verfassungswirklichkeit in der Sowjetischen Besatzungszone, 4. Aufl., Bonn 1956; Maurauch, R./Rosenthal, W.: Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, München 1959; Schulz W.: Die Verfassung der „Deutschen Demokratischen Republik", Entstehung, Inhalt, Entwicklung (Sonderband des Instituts für Ostrecht/München), Frankfurt/M./Herrenalb 1959; Mampel, S.: Die volksdemokratische Ordnung in Mitteldeutschland, Texte zur verfassungsrechtlichen Situation mit einer Einleitung des Verf., 3. Aufl., Frankfurt/M./Berlin 1967. Gesetz über die weitere Demokratisierung des Aufbaus und der Arbeitsweise der staatlichen Organe in den Ländern der D D R vom 23. Juli 1952, in: Mampel. a . a . O . , S. 113; Gesetz über die örtlichen Organe der Staatsmacht vom 17. Januar 1957, ebenda, S. 131; Gesetz über die Staatsbürgerschaft der D D R vom 20. Februar 1967, ebenda, S. 174. Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. April 1968, in: Müller-Römer, D., Hrsg.: Ulbrichts Grundgesetz, die sozialistische Verfassung der D D R , Köln 1968. Beschlüsse des Frankfurter Vorparlamentes vom 31. März und 1.—4. April 1848 sowie die Beschlüsse des Bundestages über die Wahl der deutschen Nationalversammlung vom 30. März und 7. April 1848, in: Dok. I, S. 269 ff.; Wahlgesetz f ü r die Wahl zum Volkshause vom 12. April 1849, Dok. III, S. 324 ff.; Wahlgesetz für die zur Vereinbarung der preußischen Staatsverfassung zu berufende Versammulng vom 8. April 1848, in: Schilfert, G.: Sieg und Niederlage des demokratischen Wahlrechts in der deutschen Revolution 1848/49, Berlin (Ost) 1952, S. 345 f.; Wahlgesetze für die Wahl der 1. und 2. Kammer in Preußen vom 5. und 6. Dezember 1848, in: Dok. I, S. 395 f.; Verordnung betreffend die Ausführung der Wahl der Abgeordneten der 2. Kammer vom 30. Mai 1849 (Dreiklassenwahlrecht), in: Dok. I, S. 398 ff.; Verordnung wegen der Bildung der 1. Kammer vom 12. Oktober 1854, in: Dok. I, S. 418 ff.; Wahlgesetz f ü r den konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 15. Oktober 1866, in: Dok. II, S. 225 f. Wahlgesetz f ü r den Reichstag des Norddeutschen Bundes vom 31. Mai 1869 (zugleich Wahlgesetz f ü r das Kaiserreich), in: Dok. II, S. 243 ff.; Gesetz über die Zusammensetzung des Reichstages und die Verhältniswahl in großen Wahlkreisen vom 24. August 1918, in: Dok. II, S. 479 ff. Reichswahlgesetz vom 27. April 1920, in zahlreichen Handbüchern und Kommentaren zum deutschen Staatsrecht (s. u.), u. a. audi in: Triepel, H., Hrsg.: Quellensammlung zum deutschen Staatsrecht, 4. Aufl., Tübingen

Deutschland

391

1926; Ruthenberg, Ο., Hrsg.: Verfassungsgesetze des deutschen Reiches und der deutschen Länder nach dem Stande vom 1. Februar 1926, Berlin/ Frankfurt/M. 1926; leider nicht in Dok. III; neuerdings auch in: Milatz, Α.: Wähler und Wahlen (s. u.), S. 41 ff.; Gesetz über die Wahl des Reichspräsidenten, ebenda, S. 51 ff. Bundeswahlgesetze von 1949, 1953 und 1956 mit den Abänderungen in zahlreichen Handbüchern und Kommentaren zum Verfassungs- und Staatsrecht der Bundesrepublik, u. a. auch in: Feneberg, H.: Bundeswahlgesetz, Kommentar, 4. Aufl., München 1961; Ellwein, Th.: Das Regierungssystem . . . (s. u.), 2. Aufl., S. 566 ff.; Recht und Organisation der Parlamente, hrsg. v. Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft, 2 Bde., Bielefeld 1958, lose Blattsammlung mit Ergänzungslieferungen, enthält u. a. die Verfassungen, Wahlgesetze, Wahlordnungen und Geschäftsordnungen der Parlamente des Bundes und der Länder; sowie vor allem grundlegend: Seifert, Κ. H.: Das Bundeswahlgesetz, Bundeswahlordnung und wahlrechtliche Nebengesetze Berlin/Frankfurt/M. 1957, Ergänzungsheft 1961, 2. völlig neubearbeitete Auflage, Berlin/Frankfurt/M. 1965. Die Wahlgesetze für die Volkskammer von 1950, 1954 und 1958, die nur geringfügig voneinander abweichen, u. a. in: Albrecht, G., Hrsg.: Dokumente zur Staatsordnung..., a . a . O . ; Hochbaum, H. U., Hrsg.: Staats- und verwaltungsrechtliche Gesetze..., a . a . O . ; Wahlgesetz zu den Volksvertretungen der DDR von 1963 mit seinen Abänderungen von 1965 und 1967, in: Mampel, S.: Die volksdemokratische O r d n u n g . . . , a . a . O . , S. 115 ff.; Handbuch der Volkskammer, 5. Wahlperiode (s. u.), S. 17 ff.; dort auch Wahlordnung, Wahlkreiseinteilung und Geschäftsordnung der Volkskammer; die Geschäftsordnung auch in: Mampel, S.: Die volksdemokratische Ordnung . . . , a. a. O., S. 119 ff.

Weitere Quelleneditionen51·): Menzel, E.jGroh, F./Hecker, H.: Bibliographie der deutschen Verfassungstexte seit 1806, Verfassungsregister 1: Deutschland, 1954. Klüber, ]. L./Welker, Th.: Wichtige Urkunden für den Rechtszustand der deutschen Nation, 2. Aufl., 1845; Wigard, F.: Stenogr. Ber. über die Verhandlungen der deutschen konstituierenden Nationalversammlung zu Frankfurt a. M., 9 Bde., 1848/49; Bleich, E.: Verhandlungen der Versammlung zur Vereinbarung der preußischen Verfassung, 2 Bde., 1848/49; Zachariä, Η. Α.: Die deutschen Verfassungsgesetze der Gegenwart (1855) mit Fortsetzungen von 1858 und 1862; Bergsträsser,L.: Die Verfassung des Deutschen Reiches von 1849, mit Vorentwürfen, Gegenvorschlägen und Modifikationen bis zum Erfurter Vorparlament, 1913. *) Weitere Angaben über Quelleneditionen zum Staats- und Verfassungsrecht bei Huber, Dokumente . . . im Fundstellenverzeichnis der 3 Bde. sowie zur allgemeinen Geschichte in den Handbüchern zur deutschen Geschichte (BiblAng. s. u.).

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Wahl der Parlamente

Stoerk, F.jRauchhaupt, W. v.: Handbudi der deutschen Verfassungen, 2. Aufl., 1913; Binding, Κ.: Die deutschen Staatsgrundgesetze in diplomatisch getreuem Abdruck ,10 Teile, 1893/1915; Altmann, W.: Ausgewählte Urkunden zur deutschen Verfassungsgeschichte seit 1806, 2 Teile, 1898. Rauchhaupt, W. v.: Handbudi der Deutschen Wahlordnungen und Geschäftsordnungen, 1916. Matthias, E./Morsey, R.: Der Interfraktionelle Ausschuß 1917/18, 2 Bde., 1959; Kolb, E.: Quellen zur Geschichte der Rätebewegung in Deutschland 1918/19, Bd. 1, 1968. Stier-Somlo, F.: Deutsches Reichs- und Landesstaatsrecht, 1924; Triepel, H.: Quellensammlung zu deutschen Reichsstaatsrecht, 4. Aufl., 1926. Jellinek, W.: Die deutschen Landtagswahlgesetze, 1926. Salomon, F.: Die deutsdien Parteiprogramme, 1. Aufl., Leipzig/Berlin 1907; 5. Aufl., hrsg. v. W. Mommsen und G. Franz, Leipzig/Berlin 1931; Mommsen, W.: Deutsche Parteiprogramme, 1. Aufl., München 1960, 2. Aufl., München 1964; Treue, W.: Deutsche Parteiprogramme 1861—1961, 3. Aufl., Göttingen 1961; Flechtheim, Ο. K.: Dokumente zur parteipolitischen Entwicklung in Deutschland seit 1945, 5 Bde., Berlin 1962 ff.; Matthias, E./Pihardt, E.: Die Reichstagsfraktion der deutsdien Sozialdemokratie 1898— 1918,, 2 Teile, Düsseldorf 1966; Weher, H.: Der deutsche Kommunismus. Dokumente, Köln 1963. Parlamentshandbücher des Reichstages und des Bundestages für jede Legislaturperiode seit 1871, hrsg. vom Präsidium des Reichs- bzw. Bundestages; Handbuch der Volkskammer der Deutsdien Demokratischen Republik, 2.—5. Wahlperiode, hrsg. vom Präsidium der Volkskammer, Berlin (Ost) 1957—1967. 3. Auswahl aus dem

Schrifttum*):

PolGesdi.: H a n d b ü c h e r : Gebhardt, B.: Handbudi der deutsdien Gesdiidite, neu hrsg. v. H. Grundmann, 4 Bde., 8. Aufl., Stuttgart 1954—1960; Russow, P., Hrsg.: Deutsche Gesdiidite im Oberblick, 2. Aufl., Stuttgart 1962; Handbudi der deutsdien Gesdiidite. Begründet v. O. Brandt, fortgeführt v. A. O. Meyer, neu hrsg. s

v. L. Just, 5 Bde., Darmstadt/Konstanz 1954 ff. (dort auch jeweils weiterführende Literaturangaben). Vor

1918

Schnabel, F.: Deutsche Gesdiidite im 19. Jahrhundert, 4 Bde., 2. und 3. Aufl., Freibung 1951—1954.

) Die folgende Auswahlbibliographie beschränkt sidi in den Abschnitten zur allgemeinen Gesdiidite, zur Verfassungs- und Parteiengeschichte sowie zum Parlamentarismus vorwiegend auf die Angabe von Handbüdiern, übergreifenden Gesamtdarstellungen, Aufsatzsammlungen und einigen Spezialarbeiten; sie kann zwangsläufig keine Vollständigkeit anstreben. Weiterführende Literaturangaben in den angeführten Handbüdier (insbesondere bei Gebhard, Handbuch der deutschen Geschichte), bei Huber, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789 sowie in den gekennzeichneten Werken; die Angaben zu Wahlrecht, Wahlsystem und Wahlsoziologie sind etwas weiter gefaßt, erheben jedoch ebenfalls keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Deutschland Mann, G.: Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Frankfurt 1960. Naumann, F.: Demokratie und Kaisertum. Ein Handbuch für innere Politik, 3. und 4. Aufl. Berlin 1904. Meinecke, F.: Weltbürgertum und N a tionalstaat, 7. Aufl., München 1928. ders.: Das Zeitalter der deutschen Erhebung, Neudruck der 6. Aufl., Göttingen 1958. Conze, W.: Staat und Gesellschaft in der frührevolutionären Epoche Deutschlands, in: H Z 186 (1958), S. 1 ff. ders., Hrsg.: Staat und Gesellschaft im deutschen Vormärz 1815—1848, Stuttgart 1962. Koselleck, R.: Staat und Gesellschaft in Preußen 1815—1848, Köln/Berlin 1966. ders.: Preußen zwischen Reform und Revolution. Allgemeines Landrecht, Verwaltung und soziale Bewegung von 1791 bis 1848, Stuttgart 1967. Valentin, V.: Geschichte der deutschen Revolution 1848/1849, 2 Bde., Berlin 1930. Stadelmann, R.: Soziale und politische Geschichte der Revolution von 1848, München 1948. Droz, ].: Les revolutions allemandes de 1848, Paris 1957. Schieder, Th.: Staat und Gesellschaft im Wandel unserer Zeit, München 1958. Böhme, H., Hrsg.: Probleme der Reichsgründerzeit 1848—1879, Köln/Berlin 1968 (dort S. 481 ff. auch weiterführende Literaturangaben). Härtung, F.: Deutsche Geschichte 1871 bis 1919, 6. Aufl., Stuttgart 1952. 1918—1933 Rosenberg, Α.: Die Entstehung der deutschen Republik 1871—1918, Berlin 1928; Neudruck hrsg. v. K. Kersten unter dem Titel: Entstehung der Weimarer Republik, 1961. ders.: Geschichte der Deutschen Republik, Karlsbad 1935; Neudruck hrsg. v. K. Kersten unter dem Titel: Geschichte der Weimarer Republik, Frankfurt/M. 1962.

393 Ryder, A. ].: The German Revolution of 1918. Α Study of Socialism in War and Revolt, Cambridge 1967. Eyck, E.: Geschichte der Weimarer Republik, 2 Bde., Zürich / Stuttgart 1954/ 1956. Eschenburg, Th.: Die improvisierte Demokratie. Gesammelte Aufsätze zur Weimarer Republik, München 1963. Hermens, F. A. / Schieder, Th., Hrsg.: Staat, Wirtschaft, Politik in der Weimarer Republik, Festschrift für H . Brüning, Berlin 1967. Sontheimer, K.: Antidemokratisches Denken in der Weimarer Republik. Die politischen Ideen des deutschen Nationalismus zwischen 1918 und 1933, München 1962. Schulz, G.: Zwischen Demokratie und Diktatur. Verfassungspolitik und Reichsreform in der Weimarer Republik, Bd. 1: Die Periode der Konsolidierung und der Revision des Bismarckschen Reichsaufbaus 1919—1930, Berlin 1963. Bracher, K. D.: Die Auflösung der Weimarer Republik, 4. Aufl., Villingen 1964 (grundlegend). Conze, W.: Brünings Politik unter dem Druck der großen Krise, in: H Z 199 (1964), S. 529 ff. Conze, W. / Rjtupach, H., Hrsg.: Die Staats- und Wirtschaftskrise des Deutschen Reiches 1929—1933, Stuttgart 1967. Bracher, K. D. / Sauer, W. / Schulz, G„ Hrsg.: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, 2. Aufl., Köln u. Opladen 1962 (dort auch weiterführende Literaturangaben). Jasper, G., Hrsg.: Von Weimar zu Hitler 1930—1933, Köln/Berlin 1968 (dort S. 507 ff. auch weiterführende Literaturangaben). Schneider, H.: Das Ermächtigungsgesetz vom 24. März 1933, in: V j H Z Bd. 1 (1953), S. 197 ff. Bracher, K. D.: Deutschland zwischen Demokratie und Diktatur. Beiträge zur

394 neueren Politik und Geschichte, Bern / München / Wien 1964. BRD Ebsworth, R.: Restoring Democracy in Germany, London 1960. Golay, ]. F.: The Founding of the Federal Republic of Germany, 2. Aufl., Chicago 1965. Merkl, P. H.: The Origin of the West German Republic, New York 1963; dtsch.: Die Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, Stuttgart 1965. Pollock, J. K., Hrsg.: German Democracy at Work, New York 1955. Allemann, F. R.: Bonn ist nicht Weimar, Köln/Berlin 1956. Hiscocks, R.: Democracy in Western Germany, 3. Aufl., London 1963. Heidenheimer, A. ].: The Governments of Germany, New York 1961. Esdoenburg, Th.: Staat und Gesellschaft in Deutschland, 6. Aufl., Stuttgart 1963. Grosser, Α.: Die Bonner Demokratie, Düsseldorf 1960. Dahrendorf, R.: Gesellschaft und Demokratie in Deutschland, München 1965. DDR Dtthnke, H.: Stalinismus in Deutschland. Die Geschichte der Sowjetischen Besatzungszone, Berlin (West) 1955. Lukas, R.: Zehn Jahre sowjetische Besatzungszone, Düsseldorf 1955. Friedrieb, C. J. / Kissinger, H.: The Soviet Zone of Germany, New Haven 1956. Schütze, Η.: „Volksdemokratie" in Mitteldeutschland, 2. Aufl., Hannover 1964. Richert, E.: Das zweite Deutschland. Ein Staat, der nicht sein darf, Gütersloh 1964 (auch: Fischer Bücherei, Bd. 722). Frank, H.: Zwanzig Jahre Zone. Kleine Geschichte der DDR, München 1965. Dubs, R.: Freiheitliche Demokratie und totalitäre Diktatur. Eine Gegenüberstellung am Beispiel der Schweiz und der Sowjetzone Deutschlands (DDR), Frauenfeld 1966.

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Deutschland

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FINNLAND

I. Historischer

Teil

Als 1809 die schwedische Provinz Finnland infolge der Niederlage Schwedens im Krieg gegen Rußland dem Zarenreich angegliedert wurde, stand das finnische Volk der russischen Oberherrschaft keineswegs ablehnend gegenüber. Zar Alexander I. betonte nämlich die Sonderstellung Finnlands innerhalb seines Machtbereiches, indem er dem neuen Groß für stentum die alte schwedische Verfassung von 1772 („Regeringsform") mit ihrer Ergänzung von 1789 („Vereinigungsund Sicherheitsakte") beließ, die in Schweden selbst bereits 1809 abgeschafft wurde; sie blieb in Finnland bis 1919 in Kraft. Dem Großfürstentum wurde damit die innere Autonomie zugesichert. Das wurde durch die Einberufung des Landtags dokumentiert, in dem nach schwedischem Vorbild vier Stände vertreten waren: Adel, Geistlichkeit, Stadtbürger und Bauern. Der Landtag hatte das alleinige Recht neuer Steuerbewilligung und teilte mit dem Monarchen die gesetzgebende Gewalt. Der Zar erreichte durch diese Zugeständnisse eine schnelle Befriedung des neu errungenen Gebietes; außerdem wußte er das finnische Beispiel als Zeichen seiner liberalen Gesinnung im westlichen Europa darzustellen. Die Bedeutung dieser konstitutionellen Regierungsweise wurde allerdings dadurch gemindert, daß der Monarch, dem nach der Verfassung allein die Einberufung des Landtags vorbehalten war, die Ständevertretung in den folgenden Jahrzehnten nicht einberief. Die erneute Einberufung des Landtags nach 54jähriger Pause im Jahre 1863 durch Zar Alexander II. erfolgte wiederum mit einem Seitenblick auf die Westmächte, die von den Unruhen in Polen abgelenkt werden sollten. Inzwischen hatte sich die politische Aktivität von Teilen derfinnischenBevölkerung verstärkt, und der Landtag war gewillt, die ihm gebotene Gelegenheit zur Reform der überholten Verfassung zu nutzen. So wurde 1869 eine neue Landtagsordnung als „unveränderliches Grundgesetz" angenommen, das als wichtigste Bestimmung die Festsetzung der Periodizität des Landtags (Zusammentritt mindestens alle fünf Jahre) enthielt. Das Ständesystem wurde beibehalten (s. Tab. A l ) , jedoch auf eine breitere Basis gestellt. Im Adelsstand wurde die Einteilung in Klassen aufgehoben. Die Lehrer der Universität sowie der höheren Schulen erhielten das Recht, Vertreter in den geistlichen Stand zu entsenden, dem zuvor lediglich die Bischöfe sowie Abgeordnete der Geistlichkeit der evangelisch-luthe-

414

Landtagsordnung von 1869/PoIitische Strömungen

rischen Kirche angehört hatten. Im Bürgerstand wurde ein graduiertes Wahlrecht eingeführt, das von der Zahlung von Gemeindesteuern abhängig war. In den meisten Städten war die Stimmenzahl der Einzelnen auf ein Maximum von zehn Stimmen begrenzt, eine einheitliche Regelung lag nicht vor. Während die Abgeordneten der Stadtbürger in direkter Wahl bestellt wurden, war die Wahl zum Bauernstand mittelbar, indem die einzelnen Kommunen zunächst Elektoren wählten. Wahlberechtigt waren die Eigentümer selbständiger Grundstücke, die Inhaber allgemeiner Krongüter sowie die Pächter von Domänengütern. Die nach der Jahrhundertmitte in Finnland vorherrschenden politischen Richtungen stießen jetzt auch im Landtag aufeinander, ohne daß jedoch sofort feste Parteiorganisationen entstanden. Zunächst war eine am westeuropäischen Vorbild geprägte liberale Haltung dominierend, der einsetzende Sprachenstreit teilte dann die Bevölkerung auch politisch in zwei Gruppen: in„ Svekomanen" und „Fennomanen". Die schwedische Sprache war noch immer im öffentlichen Leben vorherrschend, obwohl die schwedischsprechende Bevölkerung nur etwa zehn Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachte. Die Fennomanen kämpften für die Gleichberechtigung der finnischen Sprache, wobei sie gleichzeitig eine soziale Besserstellung der finnisciisprechenden Bevölkerung anstrebten. Im Landtag führte der Sprachenstreit zu den ersten Parteibildungen Finnlands. Die Fennomanen eroberten die Stände der Geistlichkeit und der Bauern. Dagegen war der Adel unbestritten svekomanisch gesinnt. Da sich die Führer der ehemals liberalen Gruppe fast ausnahmslos den Svekomanen anschlossen, besaßen diese auch ein Übergewicht im Bürgerstand. Aber je mehr das Wahlverfahren in den Städten demokratisiert wurde, desto geringer wurde der Einfluß des hauptsächlich svekomanischen Patriziats. Als aber die Fennomanen schließlich um die Jahrhundertwende die Mehrheit im Bürgerstand errangen und mit den Stimmen von drei Kammern die Landtagsbeschlüsse diktieren konnten, besaß diese Tatsache durch die inzwischen verschärfte zaristische Herrschaft keine praktische Bedeutung mehr. Die panslawistische Bewegung in Rußland hatte die Autonomie Finnlands schon immer bekämpft und war in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erstarkt. Nach dem Regierungsantritt Zar Nikolaus II. begann eine verschärfte Russifizierungspolitik gegenüber Finnland; die finnische Autonomie wurde wiederholt mißachtet. Die Haltung gegenüber Rußland entwickelte sich zum entscheidenden Kriterium der Parteienbildung. Den Anhängern einer Politik des Nach-

Finnland

415

gebens standen die Konstitutionellen gegenüber, die um die alten Rechte kämpften und zum Widerstand gegen Rußland aufriefen. Die Svekomanen (teilweise als Erben der Liberalen) übernahmen den bedingungslosen Konstitutionalismus, die Fennomanen spalteten sich in „Altfinnen", die die Nachgiebigkeitspolitik vertraten, und „Jungfinnen", die die „Finnische konstitutionelle Partei" gründeten. Im Gefolge der Industrialisierung wuchs der Anteil der städtischen Arbeiterschaft von (1860 bis 1890) 4,9 auf 10,6 Prozent. Auch in Finnland rückte deshalb die soziale Frage in den Vordergrund der Politik. Die „Sozialdemokratische Partei Finnlands" wurde 1903 gegründet, stellte sich jedoch den folgenden Landtagswahlen nicht, da sie eine Beteiligung an einem ständischen Landtag als mit ihrem Programm unvereinbar ansah. In diesem nahm die Forderung nach dem allgemeinen Wahlrecht für Männer und Frauen über 21 Jahren zu einem reformierten Landtag (Ein- oder Zweikammersystem) einen vorrangigen Platz ein. Sie war bereits auf dem Kongreß der Arbeiterbewegung im Jahre 1899 erhoben worden und hatte die anfängliche Forderung nach (nur) einer Verringerung des Zensus zum VierständeLandtag (noch 1896) abgelöst. Im Gründungsparteiprogramm von 1903 setzten sich die Sozialdemokraten zudem für die Einführung der Verhältniswahl ein. Die ersten Parteibildungen gingen also in Finnland im wesentlichen von drei Problemen aus; der Sprachen- oder Nationalitätenfrage, der Einstellung gegenüber Rußland und der sozialen Frage. Die gleichzeitige große Bedeutung dieser Probleme einerseits und ihre Überschneidungen andererseits führten zu differenzierten Parteiungen, so daß sich bereits vor Schaffung eines repräsentativen Verfassungsstaates deutlich Ansätze zu einem Vielparteiensystem zeigten. Die russische Revolution von 1905 griff auch auf Finnland über. Der Zar wurde gezwungen, die gesetzmäßigen Verhältnisse in Finnland wiederherzustellen und den Landtag einzuberufen, der die Aufgabe erhielt, eine Landtags- und Stimmrechtsreform durchzuführen. Der kaiserliche Gesetzesvorschlag für einen aus allgemeinen und gleichen Wahlen hervorgehenden Ein-Kammer-Landtag wurde 1906 von allen vier Ständen angenommen. Der alte Ständelandtag schaffte sich damit selbst ab, die Gelegenheit zu einer tiefgreifenden Reform wurde ergriffen. Gleichzeitig mit der neuen „Landtagsordnung'* wurde ein Wahlgesetz angenommen, das im wesentlichen noch heute Gültigkeit hat. Seit 1906 besteht der finnische Landtag aus einer einzigen Kammer mit 200 Mitgliedern, die in direkter Wahl gewählt werden. Die Wahlperiode betrug zuerst drei Jahre und umfaßt seit 1954 vier Jahre.

416

Landtagsordnung und Wahlen von 1906

Jeder Staatsbürger über 24 Jahre (seit 1944: 21 Jahre) erhielt das aktive und passive Wahlrecht, wobei zum erstenmal in Europa auch die Frauen stimmberechtigt wurden. Dazu hatte wesentlich die in den vorausgegangenen Jahren einsetzende Frauenbewegung beigetragen, die auch bald Anschluß an die politischen Parteien, besonders an die Sozialdemokratische Partei, gefunden hatte. Mit der Ausweitung des Wahlrechts stieg die Zahl der Wahlberechtigten von etwa 125 000 auf etwa 1 125 000. Vor dem Hintergrund des bereits bestehenden differenzierten Parteiensystems und auf Grund des allgemein vorherrschenden Modells einer Volksvertretung, in welcher die Vielfalt der Meinungen und Meinungsgruppen in der Wählerschaft soweit als möglich berücksichtigt sein sollte, wurde das Verhältniswahlsystem mit Verrechnung auf Wahlkreisebene nach der Methode d'Hondt (-»- S. 48 f.) eingeführt. Das Proporzsystem wurde vor allem, nachdem ein Zweikammersystem nicht durchzusetzen war, von den sozialen und politischen Minderheiten, namentlich der Schwedischen Volkspartei, als Garant der Repräsentation im Landtag angesehen. Wesentlicher Gesichtspunkt bei den Beratungen über das geeignete Verhältniswahlsystem war, den Einfluß der Parteien gering zu halten und den Wählern eine Auswahlmöglichkeit unter einer Vielzahl von Kandidaten zu geben. Die Landtagsordnung teilte das Land in 16 (maximal 18, minimal 12) Wahlkreise unterschiedlicher Größe und läßt nur in besonderen Fällen Ausnahmen vom Verhältniswahlsystem zu. So entsandte der dünn besiedelte Wahlkreis Lappland bis zur Neueinteilung der Wahlkreise nach dem Zweiten Weltkrieg lediglich einen Abgeordneten, der nach relativer Mehrheit gewählt wurde; seit 1951 wird nach demselben Wahlsystem der Vertreter der Aland-Inselgruppe, deren autonome Sonderstellung gesondert betrachtet wird (s. u.), ermittelt. In den anderen 15 Wahlkreisen werden die übrigen 199 Abgeordneten nach Verhältniswahl bestellt, die auf einem komplizierten System von Wahlbündnissen und abgestufter Stimmgebung beruht. In den Wahlkreisen verschiedener Größe konnte der Wähler höchstens für drei Kandidaten stimmen. Jede Kandidatenliste (Stimmgruppe), die mit anderen Stimmgruppen im Wahlkreis ein Wahlbündnis eingehen konnte, umfaßte deshalb drei Bewerber. Ihre Reihenfolge konnte der Wähler verändern, indem er Ziffern vor die Namen der Kandidaten schrieb. Nach der Reihenfolge der Bewerber auf den Listen richteten sich die (graduierten) Stimmenwerte. Der erste Be-

Finnland

417

werber einer Stimmgruppe erhielt — als sogenannte Vergleichungszahl — die volle Zahl der auf eine Liste entfallenen Stimmen, der zweite die Hälfte, der dritte ein Drittel. Im Wahlbündnis, das höchstens so viele Bewerber umfassen konnte, wie Mandate im Wahlkreis zu vergeben sind, entschieden über die Reihenfolge der Kandidaten die Vergleichungszahlen der einzelnen Bewerber in ihren Stimmgruppen. Kandidierte eine Person auf mehreren Listen, wurden ihre verschiedenen Vergleichungszahlen addiert und die Summe diente als Vergleichungszahl der Kandidaten untereinander innerhalb eines Wahlbündnisses. Entsprechend der so ermittelten Reihenfolge fielen den Bewerbern von der Gesamtsumme der auf ein Wahlbündnis entfallenden Stimmen ein Eintel, die Hälfte, ein Drittel, ein Viertel usw. zu. Nach diesen neuen Vergleichungszahlen aller Wahlbündnisse und auch der nicht-verbundener Stimmgruppen wurden die Mandate im Wahlkreis vergeben. Vakanzen wurden besetzt, indem erneut die Vergleichungszahlen in der Stimmgruppe des ausgeschiedenen Abgeordneten entschieden, aushilfsweise die höchste Vergleichungszahl des Wahlbündnisses und schließlich des Wahlkreises. Nur in den Einmannwahlkreisen fanden Nachwahlen statt. Die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und des Proporzsystems hatte umfangreiche Veränderungen im Parteiensystem zur Folge. Die um fast das zehnfache vergrößerte Wählerschaft wandte sich bei einer Wahlbeteiligung von 70,7 Prozent weniger als erwartet den Parteien des alten Ständetages zu, als vielmehr vor allem den Sozialdemokraten, die mit 37 Prozent der Stimmen und 80 Mandaten als stärkste Partei aus den ersten Landtagswahlen hervorgingen. Während sich die Altfinnen mit 59 Mandaten noch halten konnten, sanken besonders die Jungfinnen mit 26 Mandaten und die „Schwedische Volkspartei", die sich aus der schwedischsprachigen Gruppe formiert hatte, mit 24 Mandaten in ihrer Bedeutung stark ab. Auffallend war, daß die Arbeiterpartei, die 1906 bereits 100 000 Mitglieder und damit fast ein Drittel ihrer Wählerschaft umfaßte, vor allem auf dem Lande dominierte. Deutlich zeigte sich auch die wahlgeographische Konzentration der Schwedischen Partei in den Städten; dort konnte sie mehr Stimmen erreichen als Jung- und Altfinnen zusammen. Zu diesen Parteien traten noch zwei weitere hinzu, die ihre Mandatsgewinne wesentlich auf die Verhältniswahl zurückführen konnten: die „Christlich gesinnte Arbeiterschaft" mit zwei Sitzen und der „Bund der Agrarier" mit neun Sitzen, der später zur stärksten bürgerlichen Partei wurde. Allerdings gab das Wahlsystem den kleinen Parteien keine ihrem Stimmenanteil entsprechende Mandatszahl. Es begünstigte die größeren Parteien, eine Wirkweise, die vor allem auf die Verrechnung der Stimmen auf Wahlkreisebene zurückzuführen ist. 27 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

418

Verfassung von 1919

Tabelle I : Wahlen zum finnischen Landtag von 1907 in °/o Stimmen

Parteien Sozialdemokraten Finnische Partei Jungfinnische Partei Schwedische Partei Bauernbund Christi. Arbeiterpartei Insgesamt (Quelle:

o/o Stimmen %> Stimmen in d. Stadt a. d. Land Mandate

37,0 27,3 13,7 12,6 5,8 3,6 100

33,3 20,2 13,1 26,3 0,3 6,8 100

37,6 28,5 13,7 10,5 6,7 3,0 100

80 59 26 24 9 2 200

Mandate in °/o 40,0 29,5 13,0 12,0 4,5 1,0 100

Allardt/Pesonen, s. BiblAng.)

Im verfassungspolitischen Bereich blieb die Reform von 1906 auf halbem Wege stecken. Der Zar besaß ein absolutes Vetorecht und hatte uneingeschränkte Vollmacht zur Auflösung der Volksvertretung. Das siegreiche Vordringen der Reaktion in Rußland führte zu einer verstärkten Anwendung dieser Rechte. Zahlreich waren die Verstöße gegen die Autonomie Finnlands (besonders in der Militärfrage), die das Ziel verfolgten, Finnland ins russische Reich einzugliedern. So wurden die Jahre bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges von einem fortgesetzten Kampfe der Finnen um ihre konstitutionellen Rechte geprägt. Die russische Revolution brachte auch für Finnland weitreichende Änderungen. Da der Zar die einzige Verbindung Finnlands mit Rußland darstellte, sah man diese nach dem Sturz des Herrscherhauses als aufgehoben an. Der Landtag übernahm die höchste Gewalt und erklärte Finnland für selbständig. Die russische provisorische Regierung griff jedoch weiterhin in die politischen Angelegenheiten des Landes ein. Nach der Oktoberrevolution brach im Jahre 1919 auch in Finnland der Bürgerkrieg aus, den hier schließlich die „Weißen" gegen die „Roten" siegreich beendeten. Der Gegensatz zwischen Alt- und Jungfinnen war nach der Trennung von Rußland hinfällig geworden. Anhänger beider Parteien bildeten die „Nationale Sammlungspartei" (Kansallinen Kokoomus). Das eigentliche Erbe der Altfinnen trat eine zweite, 1919 neugegründete Partei an, die „Nationale Fortschrittspartei" (Kansallinen Edistyspolue), die als Partei der Mitte links von der Sammlungspartei zu stehen kam. Beide Gruppen erreichten bei den Landtagswahlen von 1919 in etwa den Stimmenanteil, der früher auf die „finnischen" Parteien entfallen war. Die Sozialdemokraten, die bei den Wahlen von 1916 mit 47,3 Prozent der Stimmen 51,5 Prozent der Mandate erhalten hatten — das einzige Mal in der finnischen Parlamentsgeschichte,

Finnland

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daß eine Partei die absolute Mandatsmehrheit errang —, blieben mit 80 Mandaten die stärkste Partei. Ihre Stimmenverluste auf dem Lande hatte vor allem die Agrarpartei aufgefangen, die nun zur zweitstärksten Partei wurde. Neben diesen vier Parteien besaßen weiterhin die Schwedische Volkspartei und die „Christliche Arbeiterpartei" Mandate im Landtag (Wahlergebnis s. Tab. A 3), dessen Hauptaufgabe es war, dem Lande eine neue Verfassung zu geben. Während des Bürgerkrieges war der Ruf nach einem starken Staatsoberhaupt laut geworden und hatte 1918 zur Wahl des Prinzen Friedrich Karl von Hessen zum finnischen König geführt, der jedoch nach der deutschen Niederlage verzichtete. Im neuen Parlament waren die Anhänger der Monarchie in der Minderheit. Am 17. Juli 1919 erhielt Finnland seine heute gültige Verfassung („Regeringsform") und wurde Republik. Die Langlebigkeit dieser Verfassung, die als einzige der konstitutionellen Schöpfungen der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg noch heute gültig ist, wurde des öfteren auf die „vernünftige" Teilung der Staatsgewalt zwischen Parlament, Präsident und Regierung zurückgeführt, auf eine Milderung des Parlamentarismus durch ein „gouvernement presidentiel". Wesentlich aber war, daß die sozialen und politischen Hintergründe in Finnland für das Funktionieren der Verfassung günstiger waren als in der Weimarer Republik; vor allem von da her bestimmte sich das unterschiedliche Schicksal der in ihrer Grundstruktur ähnlichen Verfassungen. Die finnisdie Bevölkerung stand nach dem Ende des Bürgerkrieges dem neuen Staate und der neuen Verfassung größtenteils zustimmend gegenüber, wobei natürlich die eben errungene Selbständigkeit eine wesentliche Rolle spielte. Zudem nahmen soziale Spannungen in dem von der Bevölkerungszahl her kleinen Agrarlande (1920 etwa drei Millionen Einwohner), in dem sich die Industrie lediglich auf den Süden beschränkte und die Städter keine 20 Prozent der Gesamtbevölkerung ausmachten (1900: 12,3 °/o, 1930: 20,6 %), keine schärferen, die Verfassungsbasis in Frage stellenden Ausmaße an. Nadi der neuen Verfassung von 1919 wurde das Parlament von „Landtag" in „Reichstag" (finnisch: Eduskunta, schwedisch: Riksdag) umbenannt, das Wahlgesetz von 1906 wurde beibehalten. Das schon in den Anfängen des finnischen Parlamentarismus angelegte Vielparteiensystem setzte sidbi im Reichstag fort. Das Regierungssystem ist geprägt von der starken Stellung des indirekt vom Volke gewählten Präsidenten der Republik, der unabhängig vom Reichstag diesem gegenübersteht. Von seinem Vertrauen ist die Regierung ebenso abhängig wie von dem des Reichstags. Dabei stärkten die Differenzen zwischen den einzelnen Parteien seine Position. Der Präsident der Republik besitzt darüber hinaus das Recht, den

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Präsidentenwahl/Parteiensystem

Reichstag aufzulösen und Neuwahlen anzuordnen. Seine Amtsdauer beträgt sechs Jahre. Die Präsidentenwahl ähnelt formal der amerikanischen: die Wählerschaft ermittelt nach denselben Bestimmungen wie bei der Reichstagswahl 300 Wahlmänner, die die eigentliche Wahl vollziehen. Dazu sind zwei Wahlgänge vorgesehen, in denen die absolute Mehrheit erreicht werden muß; andernfalls findet eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen auf sich vereinigten. D a auch im Wahlmännerkollegium die Parteienzersplitterung vorherrschend ist und in der Regel alle Parteien einen eigenen Kandidaten nominieren, kann zumeist erst in der Stichwahl eine Entscheidung herbeigeführt werden. Zweimal (1931 und 1956) wurde der Präsident mit nur 151 gegen 149 Stimmen gewählt, so daß der Losentscheid vermieden werden konnte. Die Wahlmänner sind in Finnland (im Gegensatz zu den USA) bei ihrer Stimmabgabe völlig ungebunden. Daraus ergibt sich u. a., daß die Anzahl der Bürger, die sich mittelbar durch die Elektorenwahl für den schließlich gewählten Kandidaten aussprach, immer relativ gering war (17 bis 37°/o). Dies führte zu einer schwachen Beteiligung an den Wahlmännerwahlen, die vor dem Kriege bei durchschnittlich 48,3 Prozent lag. Erst als sich nach dem Zweiten Weltkrieg die Präsidentschaftskandidaten bereits aktiv um die Stimmen der Urwähler bemühten und dadurch die Wähler in direkter Weise auf die Wahl eines Präsidenten Einfluß nehmen konnten, steigerte sich die Wahlbeteiligung von 63,8 °/o im Jahre 1950 auf 73,4 °/o im Jahre 1956. Allerdings erfolgten von den bisherigen zwölf Präsidentenwahlen nur sieben nach dem normalen Verfahren. Den ersten Präsidenten wählte 1919 der Reichstag, ebenso wurde 1946 verfahren. Bei den Wahlen von 1940 und 1943 fungierten als Wähler dieselben Wahlmänner wie 1937. Schließlich wurde Marschall K . G. Mannerheim 1944 auf Grund eines Sondergesetzes ohne Wahl Präsident. Die Diskussion über die Zweckmäßigkeit der indirekten Präsidentenwahl wurde nach dem Zweiten Weltkrieg immer leidenschaftlicher geführt. In jüngster Zeit mehren sich die Stimmen, die sich für eine direkte Wahl des Staatsoberhauptes aussprechen. Nach Artikel zwei der Regeringsform nimmt an der Ausübung der höchsten Regierungsgewalt neben dem Präsidenten der Republik der Staatsrat (Kabinett) teil, der sich aus einem Ministerpräsidenten und der erforderlichen Anzahl von Ministern zusammensetzt. Ausdrücklich betont Artikel 36 der Verfassung die Ministerverantwortlichkeit gegenüber dem Parlament. Infolge des Vielparteiensystems war meist die Bildung von Regierungskoalitionen erforderlich. Parlamentarische Mehrheiten waren nicht leicht zustandezubringen; nahezu die Hälfte aller finnischen Regierungen stellten Minderheitsregierungen dar. Die

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Finnland

vielfältigen Parteieninteressen führten zu häufigen Regierungskrisen, so daß zwischen 1919 und 1968 51 Regierungen mit einer durchschnittlichen Amtsdauer von elf Monaten gebildet wurden. Dabei mußte viermal (1922, 1924, 1957/58 und 1963) auf Regierungen außerparlamentarischer Fachbeamter zurückgegriffen werden. Kritik an der Regierungsinstabilität ist nur vereinzelt verbunden mit Kritik am Proporzsystem, das die Existenz eines „stabilen Vielparteiensystems" in Finnland sichert. Nicht nur gehörten stets sechs Parteien dem Reichstag an: Die Stärkeverhältnisse der Parteien sind über ein halbes Jahrhundert hinweg relativ konstant geblieben. Markante Einschnitte im Parteiensystem gehen auf Parteienverbote zurück. Insgesamt hat die Linke kontinuierlich ihren Mandatsanteil auf Kosten der Rechten vergrößern können und ist heute annähernd so stark wie Rechte und Mitte zusammen. Darstellung

/ /

I: Der finnische Reidistag

/ /

,\ \ \ \ \ ΥΗ

/

1919—1966

Bauernbund (Zentrumsp)

~7 7"

S /

> \

Haiion. Sammlung {Konservative) Schwed. Volksp.

1919 22 2

Stimmen

in °/o Man. in °/o

433 528 21,6 527 094 26,2 7,9 158 323

43 54 13

21,5 27,0 6,5

450 506 23,2 450 212 23,2 114 617 5,9

50 25,0 48 24,0 8 4,0

507 124 448 930 146 005

22,0 19,5 6,3

47 38 13

23,5 19,0 6,5

502 635 21,2 645 339 27,2 6,5 153 259

41 55 9

483 958 24,1 257 025 12,8 140 130 7,0

53 24 13

26,5 12,0 6,5





48 24,0 29 13,5 14 7,0 3 1,5





448 297 130 83 18

528 409 23,0 346 638 15,9 147 655 6,4 100 396 4,4 76 841 4 ) 3,4

53 32 14 2 1

26,5 16,0 7,0 1,0 0,5

503 326 141 61 35

49 24,5 26 13,0 6,0 12 3,5 7 0,5 1





0,4

8 199

364 23,1 004 15,3 888 6,7 947 1,7 607 0,9



2 914 838 2 301 998

2 606 258 1 954 397

2 526 969 2 008 257 200

28

Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1



200

047 928 688 274 876 5 )

21,2 13,8 6,0 2,6 1,5

2 370 046 200

200

20,5 27,5 4,5

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Wahl der Parlamente

II. Systematischer Teil Gesetzliche Grundlagen: „Regeringsform" (Verfassung = RF) vom 17. 7. 1919; „Riksdagsordning" (Reidistagsordnung = RO) vom 13. 1. 1928; Wahlgesetz vom 30. 6. 1955 mit Abänderungen ( = WG)" (Änderungen s. Bibliographie). Parlament: Reichstag (finn.: Eduskunta, sdiwed.: Riksdag) Einkammerparlament (RO § 2). Mitgliederzabi: 200 (RO § 2). Wahlperiode: 4 Jahre (RO § 3). Vorzeitige Auflösung: Ist durdi den Präsidenten der Republik möglich (RO § 3). Die Neuwahl erfolgt am 1. Sonntag des Monats, der nach Ablauf von 60 Tagen nach dem Auflösungstag zuerst beginnt. Wahlrechtsgrundsätze: Das Wahlrecht ist allgemein, unmittelbar, gleich und geheim. Aktives Wahlrecht: Besitzen die Männer und Frauen, die finnische Staatsbürger sind und ihr 21. Lebensjahr vollendet haben (RO § 6). Ausschließungsgründe: Vom Wahlrecht sind Personen ausgeschlossen, die unter Vormundschaft stehen; die in den letzten drei Jahren in der Einwohnerrolle als finnische Staatsbürger nicht aufgeführt wurden; die wegen Landstreicherei zu Arbeitshaus verurteilt wurden, bis zum 3. Jahr nach der Entlassung; die ihr Wahlrecht durch Richterspruch verloren haben, ihre bürgerlichen Ehrenrechte aberkannt bekamen oder für unwürdig erklärt wurden, dem Lande zu dienen oder für einen anderen zu handeln; die wegen Stimmenkaufs verurteilt wurden, bis zum 6. Jahr nach der Verkündung des Urteils (RO § 6). Passives Wahlrecht: Es gelten dieselben Bedingungen wie für das aktive Wahlrecht, jedoch sind die im aktiven Militärdienst stehenden Personen ausgeschlossen (RO § 7). Inkompatibilitäten: Mit dem Abgeordnetenmandat unvereinbar ist das Amt des Justizkanzlers, die Mitgliedschaft beim Obersten Gerichtshof und beim Obersten Verwaltungsgericht sowie die Funktion des Justizbeauftragten des Reichstags (RO § 9). Wahlpflicht: Besteht nicht. Wahlannahmepflicht: Es besteht Wahlannahmepflidit; eine Befreiung ist nur durch ein gesetzliches Hindernis oder wegen eines vom Reichstag zugelassenen Grundes möglich (RO § 10). Wahlsystem: Verhältniswahl mit Verteilung der Mandate auf Wahlkreisebene. Zahl der Wahlkreise: Mindestens 12 — höchstens 18 (RO § 4 ) ; seit 1906 stets 16. Gemäß lokaler Verhältnisse sind Einmannwahlkreise möglich, so der Wahlkreis Aland; hier entscheidet die relative Mehrheit. In den übrigen 15 Wahlkreisen sind ζ. Z. zwischen 9 und 21 Sitze zu vergeben. Die Neu-

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Verteilung der Sitze auf die Wahlkreise erfolgt alle 10 Jahre durch die Regierung gemäß der letzten Volkszählung und wurde zuletzt 1965 vorgenommen (Gesetz Nr. 681/1965). Darstellung des Wablverfahrens: Bei der Wahl sind ausschließlich offizielle gedruckte Stimmzettel des Standardformates 148 X 210 mm zu verwenden, die die im Wahlkreis zugelassenen Kandidatenlisten nebst deren weiteren Kombinationen (Wahlbündnissen) enthalten (WG § 42). Jeder Wähler darf für eine Liste ( = einen Kandidaten) stimmen, wobei er die im Wahlzettel eingetragene Nummer der von ihm erwählten Liste in den dafür vorgesehenen Kreis einträgt. Da jeder Wähler nur für einen Kandidaten votieren darf, die Anzahl der in den Wahlkreisen zu wählenden Abgeordneten jedoch zwischen 9 und 21 liegt, müßten nach dem bisherigen System größere Parteien ihre Wählerstimmen auf lediglich einen Kandidaten verschwenden oder aber unter Gefährdung eines günstigen Wahlausganges auf mehrere freistehende Listen zersplittern. Zur Vervollständigung des Proportionalwahlsystems bietet das Gesetz den Ausweg der Bildung von Verbänden „zweiter Potenz", von Wahlbündnissen, die aber höchstens so viele Kandidaten umfassen dürfen, als Abgeordnete im ganzen Wahlkreis zu wählen sind. Während innerhalb des Bündnisses die besonderen Listen bestehen bleiben und jeder Wähler nur für eine Liste stimmt, tritt das Wahlbündnis den übrigen einfachen oder zusammengesetzten Verbindungen gegenüber als geschlossenes Ganzes auf. Bei der Feststellung des Wahlresultates wird zunächst die Reihenfolge der Kandidaten des Wahlbündnisses gemäß der erzielten Stimmenzahlen bestimmt. Anschließend wird eine Ausgleichung vorgenommen, indem die Kandidaten als von sämtlichen Wählern, die für dieses Wahlbündnis gestimmt haben, in dieser Reihenfolge aufgestellt angesehen werden. Der somit erste Kandidat erhält dann die volle Stimmenzahl aller auf das Bündnis entfallenen Stimmen zugeschrieben, der zweite Kandidat die Hälfte der Gesamtstimmenzahl, der dritte ein Drittel, der vierte ein Viertel usw. Die so entstandenen Stimmenzahlen nach dem Verhältnis von 1, V2, Vs, V4, Vs usw. werden „Vergleichungszahlen" genannt.

Abgeg. Stimmen

Liste

' Bündnis I

Π

Bündnis II

9 000 12 000 7 500 10 8 7 5 4

000 000 000 000 000

Gesamtstimmenzahl 9 000 19 500

Vergleidiungszahl 9 000 19 500 9 750 32 000 16 000

32 000

10 666 8 000 6 500

Möglicherweise stellt die Vergleichungszahl eines Kandidaten, die er in einer Stimmgruppe erhalten hat, seinen endgültigen Platz in der Reihenfolge der

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Wahl der Parlamente

Kandidaten des Wahlkreises noch nicht dar. Dieselbe Person könnte in zwei oder mehr unabhängigen Listen oder audi Wahlverbänden als Kandidat aufgestellt sein. Dann ergibt sich die endgültige Vergleichungszahl dieses Kandidaten durch Addition seiner verschiedenen Vergleichungszahlen (WG § 90). Um Wahlmißbräuchen vorzubeugen, ist gesetzlich festgelegt, daß die durch Zusammenrechnung mehrerer Vergleichungszahlen entstandene neue Vergleichungszahl nicht größer sein darf als die Zahl, die der Kandidat erhalten hätte, wenn sämtliche in Frage kommenden Stimmgruppen ein einziges Wahlbündnis gebildet hätten (WG § 91). Sobald die Stimmzettel eines Abstimmungsbezirkes beim Zentralausschuß eingelaufen sind, sollen die Umschläge in Gegenwart sämtlicher Mitglieder des Ausschusses geöffnet werden und die Stimmzettel gezählt und nach Stimmgruppen geordnet werden. Stimmzettel, die f ü r ungültig befunden werden, werden ausgesondert und in einem versiegelten Umschlag verwahrt (WG § 87). Nach den oben angeführten Grundsätzen der Stimmenberechnung werden sämtliche Kandidaten nach der Höhe ihrer Vergleichungszahl geordnet, und der Zentralausschuß erklärt am 15. Tag nach dem zweiten Wahltag die ersten von ihnen in der Anzahl der zu wählenden Abgeordneten f ü r gewählt und fertigt unverzüglich jedem Gewählten eine Vollmacht aus (WG § 96). Ist ein Kandidat in zwei oder mehr Wahlkreisen gewählt, so soll er in dem Wahlkreis sein Abgeordnetenmandat antreten, in dem er die höchste Vergleichungszahl errang. Die Vakanz eines derart Abgegangenen wird durch den Kandidaten mit der nächsthöchsten Vergleichungszahl im Wahlkreis besetzt (WG § 93). Die Bekanntmachung des Wahlausganges durch den Zentralausschuß soll die Angabe enthalten, wer im Falle des Abganges eines Gewählten dessen Stelle einnehmen soll. Neuwahlen finden unter keinen Umständen statt; die einzige Ausnahme bildet der Einmannwahlkreis Aland (WG § 94). Wahlbewerbung: Die Anmeldung der Wahl Vorschläge erfolgt bis spätestens 40 Tage vor der Wahl beim Zentralausschuß des betreffenden Wahlkreises und muß von mindestens 30 Wahlberechtigten unterschrieben sein, die einen „Wählerverein" bilden und deren Wahlvorschlag als „Kandidatenliste" bezeichnet wird. Eine solche „Liste" darf lediglich einen Kandidaten sowie einen Ersatzmann enthalten, deren Bereitschaft zur Übernahme der Abgeordnetenfunktion ein Bevollmächtigter des Wählervereins versichert. Auch bezeugt der Bevollmächtigte, daß die Unterzeichneten eigenhändig unterschrieben haben und wahlberechtigt sind. Die Angabe eines allgemeinen Zieles oder einer Devise des Wählervereins auf der Liste ist zulässig (WG §§ 2 4 - 2 6 ) . Es besteht die Möglichkeit, daß sich zwei oder mehr Wählervereine zu einem Wahlbündnis vereinigen, jedoch darf die gesamte Kandidatenzahl des Bündnisses die im betreffenden Wahlkreis zu bestimmende Abgeordnetenzahl nicht übersteigen, und ein Wählerverein darf nur einem Wahlbündnis angehören. Dem Zentralausschuß ist von derartigen Vereinigungen Meldung zu erstatten (WG § 30).

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Die Prüfung der Wählbarkeit wird vom Zentralausschuß vorgenommen. Wahlorganisation: Wahlbehörden: In jedem Wahlkreis wird ein „Zentralaussdiuß" eingesetzt, wobei der Vorsitzende, zwei Mitglieder und ein Ersatzmann von der Regierung ernannt werden, sowie zwei Mitglieder und ein Ersatzmann von den Stadtbevollmächtigten der Provinzhauptstadt gewählt werden (WG § 3). Jeder Wahlkreis zerfällt in Stimmbezirke. Auf dem Lande dürfen diese nicht mehr als 1500 Einwohner zählen, als Wahlbehörde fungiert hier ein Wahlausschuß von vier Mitgliedern, die vom Gemeinderat am 10. Januar des Jahres, in dem die vierjährige Legislaturperiode zu Ende geht, ernannt werden. In den Städten ist der Magistrat Wahlausschuß; Städte über 3000 Einwohnern werden in die nötige Anzahl Stimmbezirke eingeteilt, der Magistrat teilt sich in die Wahlausschüsse, notfalls unter Zuziehung geeigneter Personen (WG §§ 4—6). Wählerverzeichnisse: Vorläufige Wählerverzeichnisse werden von den Wahlausschüssen auf Grund der Einwohnermeldelisten unter Aufnahme aller im betreffenden Bezirk wohnhaften Personen über 21 Jahre angefertigt. Außerdem werden vier Nachtragsverzeichnisse für jedes der folgenden Jahre erstellt, in denen die Personen aufgenommen werden, die in den betreifenden Jahren das 21. Lebensjahr vollenden. In diese Wählerverzeichnisse sind audi alle Personen aufzunehmen, die das Wahlrecht nicht besitzen, jedoch unter Angabe des Verlustes des Wahlrechts und der Ursachen (WG § 11). Die bei den Wahlen zu benutzenden Wählerverzeichnisse entstehen durch eine Revision der angefertigten Listen durch den Wahlausschuß am 15. Januar, wobei die nötigen Streichungen und Ergänzungen vorgenommen werden (WG § 12). Wahlrechtsschutz: Zum Schutze des Wahlrechts des Bürgers müssen bei der Prüfung der Wählerverzeichnisse durch die Wahlkommissionen der Kronslebusmann (ländlicher Polizeibeamter und öffentlicher Ankläger) und der Stadtfiskal (öffentlicher Ankläger in den Städten) anwesend sein (WG § 12). Gegen vermuteten unberechtigten Ausschluß aus der Wählerliste sowie gegen ungerechtfertigte Aufnahme einer Person kann jeder Bürger Einspruch erheben, über den vom Landeshauptmann entschieden wird. Berufung ist beim Obersten Verwaltungsgericht möglich (WG § 13). Einspruchsverjahren: Die Wählerverzeichnisse liegen vom 15. bis 21. Januar zur allgemeinen Einsicht aus, bis zum 22. Januar können schriftlich Berichtigungsanträge an den Vorsitzenden des Wahlausschusses gestellt werden (WG § 13). Die Einsprüche werden vom betreffenden Landeshauptmann geprüft und entschieden, gegen diese Entscheidungen kann beim Obersten Verwaltungsgericht im Wege der Provinzialverwaltung Beschwerde eingelegt werden (WG § 14). Wahltermin: Die Reichstagswahl findet am dritten Sonntag und folgenden Montag im März statt (WG ·§ 43). Wahlzeiten: Die Wahllokale sind am Sonntag von 12 bis 20 Uhr und am Montag von 9 bis 20 Uhr geöffnet.

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Wahl der Parlamente

Wahllokal: Die Sorge für die Bereitstellung geeigneter Räume zur Durchführung der Wahl obliegt in jedem Abstimmungsbezirk der Wahlkommission (WG § 44). Der Wähler ist bei der Wahl nicht an den Stimmbezirk gebunden, in dessen Wahlliste er eingetragen ist. Aus praktischen Gründen kann er nicht nur an einem fremden Abstimmungsort innerhalb seines Wahlkreises auf Grund eines Auszuges aus der Wählerliste, in die er eingetragen ist, sein Stimmrecht ausüben, sondern auch in einem fremden Wahlkreis. In diesem Falle erhält er dort den Stimmzettel des fremden Wahlkreises und trägt den von ihm gewählten Kandidaten in den freien Raum ein; bevor ein solcher Stimmzettel in die Wahlurne geworfen wird, soll der Name des zuständigen Wahlkreises auf der äußeren Seite des Wahlzettels angebracht werden (WG § 53). Stimmabgabe: Die Stimmabgabe erfolgt persönlich, wobei die Wahlkommission darauf zu achten hat, daß niemand einen Wahlzettel erhält, ehe er für wahlberechtigt befunden wurde. Die Wahlen sind geheim. Schutz der Wahlhandlung: Im Wahllokal dürfen keine Reden gehalten werden sowie keine Aufrufe an die Wähler angeschlagen oder verteilt werden (WG § 49). Vor der Abstimmung muß der Vorsitzende der Wahlkommission den Anwesenden zeigen, daß die Wahlurne leer ist. Bei Unterbrechungen der Wahl muß die Urne mit dem Siegel mindestens von drei Anwesenden verschlossen und in sichere Verwahrung gebracht werden (WG § 48). Strafbar macht sich, wer die Wahlfreiheit durch Bestechung oder Verleitung beeinträchtigt oder einen Wahlberechtigten an der Ausübung seines Rechtes hindert. Beamte, die ihre Position zur Beeinflussung der Wahl ausnützen, werden entlassen (RO § 5). Brief wähl: Ist möglich (WG § 23). Seit 1955 besteht für den finnischen Staatsbürger auch die Möglichkeit, seine Stimme im Ausland oder im Krankenhaus abzugeben (WG §§ 61—82). Stimmauszählung: Nach Schließung des Wahllokales werden die Stimmzettel von der Wahlkommission der Urne entnommen, ungeöffnet gezählt und in einen Umschlag gelegt, der von mindestens drei Mitgliedern der Wahlkommission versiegelt wird. Wahlzettel anderer Wahlkreise werden sofort aussortiert und in anderen Umschlägen verwahrt. Die Umschläge werden mit den Adressen der Zentralkommissionen der betreffenden Wahlkreise versehen und abgesendet (WG § 56). Die Stimmauszählung erfolgt auf Wahlkreisebene. Sobald die Wahlzettel bei der Zentralkommission eingelaufen sind, werden sie in Gegenwart sämtlicher Mitglieder der Kommission geöffnet, geordnet und gezählt (WG § 87). Ungültige Stimmen werden ausgeschieden und in einem versiegelten Umschlag verwahrt. Die Stimmen sind ungültig, wenn der Wähler mehr als eine Kandidatenliste bezeichnet hat; wenn die Eintragung unleserlich ist; wenn die Listennummer auf der Rückseite des Wahlzettels notiert ist; wenn der Stimmzettel mit einem besonderen Zeichen oder einer Namensunterschrift

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versehen ist; wenn ein anderer Wahlzettel verwendet wurde als der offizielle; wenn der Wahlzettel nicht abgestempelt ist (WG § 88). Auszählungskontrolle: Bei den Sitzungen der Zentralkommissionen betreffend Zählung der Stimmzettel und Feststellung des Wahlausganges haben die Vertreter der Wählervereine das Recht, anwesend zu sein (WG § 103). Nach der Auszählung werden sämtliche Wahlzettel in Umschläge gelegt, die von der Zentralkommission versiegelt und bis nach der nächsten Wahl aufbewahrt werden. Gleichermaßen werden sämtliche Berechnungen als Anlagen versiegelt und verwahrt (WG § 98). Im Protokoll, das bei den Sitzungen der Zentralkommission geführt wird, sind besonders audi die Anzahl ungültiger Wahlzettel sowie die Namen der Gewählten unter Angabe der Stimmen- und Vergleichungszahlen aufzunehmen (WG § 100). Wahlanfechtung: Die Anfechtung der Wahl ist jedem Bürger möglich und muß schriftlich spätestens 15 Tage nach der Verkündung des Wahlergebnisses beim Landeshauptmann eingereicht sein. Gegen den Entscheid des Landeshauptmanns kann beim Obersten Verwaltungsgericht Berufung eingelegt werden (WG §§ 105 ff.). Wahlprüfung: Die Uberprüfung der Vollmachten der gewählten Abgeordneten erfolgt durch vom Präsidenten der Republik beauftragte Personen vor der ersten Sitzung des neuen Reichstags. Die weitere Wahlprüfung obliegt dem Reichstag (RO §§ 23 f.). Bibliographie 1. Quellen: Regeringsform von 1772; Vereinigungs- und Sicherheitsakte von 1789; Landtagsordnung vom 15. April 1869; Landtagsordnung für das Großfürstentum Finnland vom 20. Juli 1906; Wahlgesetz für das Großfürstentum Finnland vom 20. Juli 1906; Gesetz vom 22. Juli 1918; Regeringsform vom 17. Juli 1919; Gesetz über die Selbstverwaltung für Aland vom 6. Mai 1920; Gesetz, enthaltend verschiedene Bestimmungen, betreffend die Bevölkerung der Landschaft Aland, vom 11. August 1922; Gesetz über das Prüfungsrecht des Reichstags vom 25. November 1922; Reichstagsgesetz vom 25. November 1922; Reichstagsordnung vom 13. Januar 1928; Gesetz vom 18. November 1930; Wahlgesetz vom 31. Januar 1935 mit Änderungen vom 31. Mai 1938 und 19. Dezember 1947. Selbstverwaltungsgesetz für die Landschaft Aland von 1951. Wahlgesetz vom 18. April 1952; Wahlgesetz vom 30. Juni 1955, mit Abänderungen vom 28. Mai 1958, 9. Dezember 1960 und 30. Dezember 1965. 2. Quellenpublikationen: Vfs-Text in: JöR, Bd. 11; Dareste I, Toivola, U. (ed.), The Finland year book 1947, Helsinki 1947, S. 389—408; Die Verfassung Finnlands — Helsinki 1961; Brorsen, W., Die Verfassung Finnlands, Tübingen 1951; Mayer-Tasch, S. 87 ff.; Merikoski, V., Pricis du droit public de la Finlande, Ius Finlandiae I, Helsinki 1954; Mirkine-Guetzevitch, Bd. I; Reichstagsordnung, in: ZaöR, Bd. I und Helsinki 1962. WGText in: Medielin, L., in: Jahrbuch der internationalen Vereinigung für vergleichende Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre, Bd. 8, 2. Abt., 4. Teil, Berlin 1910; Lavagna, C., s. u., Florenz 1946.

440 3. Auswahl aus dem Schrifttum: VR/VfsGesch. Seitkari, O.: Edustuslaitoksen uudistus 1906, In: Suomen kansanedustuslaitoksen historia (Finnische Reidistagsgeschidite), Yuosa, Helsinki 1958, Bd. 5. Erich, R.: Das Staatsrecht des Großfürstentums Finnland, In: ÖRGeg., Bd. 18, 1912. Erich, R.: In: JöR Bd. 2 (1908), Bd. 7 (1913), Bd. 11 (1922), Bd. 12 (1923), Bd. 20 (1932). Janssen, ]. M.: Die Verfassungsentwicklung in Finnland seit 1939, In: JöR N.F. Bd. 6 (1957), S. 285—318. Hakkila, E.: Suomen tasavallan perustuslait (Die Grundgesetze des finnisdien Reiches), Helsinki 1939. Ilvessalo, ].: Suomi ja Weimarin Saksa (Finnland und die Weimarer Republik), Helsinki 1959. Nousiainen, ].: Soumen poliittinen järjestelmä (Das politische System Finnlands), Porvoo 1959, 2. Aufl. 1963. Wuorinen, ]. H.: A History of Finland, New York 1965. PartGesdi. Borg, Ο.: Suomen puolueet ja puolueohjelmat 1880—1964 (Finnlands politische Parteien und Parteiprogramme, 1880—1964), Porvoo-Helsinki 1965. Krusius-Ahrenberg, L.: Les partis et la situation politique actuelle en Finlande; in: RFSP, Bd. 3 (1953), S. 533 ff. Hodgson, John Η.: Communism in Finland. A history and interpretation, Princeton 1967. ReprStud./WrStud./WsStud./WSoz. Renvall, P.: Die Repräsentation des finnischen Volkes vor der staatlichen Autonomie, in: Der Staat, Bd. 6 (1967), S. 327—340. Bericht des Wahlreformkomitees von 1906: Representationsreformkomitens betänkande, Konitebetänkande 1906.

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FRANKREICH

I. Historischer Teil Der drohende Staatsbankrott und die allgemeine Unzufriedenheit über die politische und wirtschaftliche Entwicklung zwangen Ludwig XVI. dazu, im Frühjahr 1789 die Generalstände einzuberufen, die seit 1614 nicht mehr getagt hatten. Zu diesem Zweck griff man auf die alten Wahlverfahren zurück, die im 15. und 16. Jahrhundert entstanden waren. Doch mußte der König unter dem Druck der öffentlichen Meinung dem dritten Stand doppelt so viele Vertreter zugestehen wie Adel und Geistlichkeit zusammen. Diese Forderung hatte Abbe Sieyes in seiner Schrift „Qu'est-ce que le tiers etat?" erhoben; für ihn war der dritte Stand allein der Repräsentant der nationalen Souveränität. Zugleich verlangte er innerhalb der Versammlung die Abstimmung nach Köpfen, nicht nach Ständen, wie es der Tradition entsprochen hätte. Damit wollte er dem Bürgertum gegenüber Adel und Geistlichkeit das ihm gemäße Gewicht verschaffen. Diese Forderung, der der König und die ersten beiden Stände nicht nachzugeben bereit waren, führte schließlich zum Ausbruch der Revolution, indem sich der dritte Stand als „Assemblee Nationale" bezeichnete und sich die verfassunggebende Gewalt zusprach. Damit hatte die Monarchie in Frankreich endgültig ihre absolute Macht verloren. Kurz nach dem Zusammentritt der Stände trafen noch 20 Vertreter aus kleineren Orten Frankreichs, die zu keinem der Wahlbezirke gehört hatten, und aus den Kolonien ein. Zwar hatte der König diese nicht aufgefordert zu wählen, doch erkannte die Versammlung die Neuhinzugekommenen an. So begann die Vertretung der Kolonien in französischen Parlamenten. Wenn nicht ausdrücklich anders vermerkt, gelten alle im folgenden wiedergegebenen Wahlbestimmungen nur für Frankreich. In die Generalstände entstandte der Adel 270, der Klerus 291 und der dritte Stand 584 Vertreter. Die Wahl vollzog sich in den alten Verwaltungs- und Gerichtsbarkeitseinheiten, den „bailliages" und den „5έηεϋωυ55έε5". Jeder Wahlbezirk hatte in etwa so viele Vertreter, wie es dem Anteil der Bevölkerung entsprach. Die Angehörigen der einzelnen Stände wählten ihre Vertreter getrennt; dabei durften Adel und Geistlichkeit nur Männer ihres eigenen Standes bestellen. Das Bürgertum war an diese Auflage nicht gebunden. Der erste und der zweite Stand wählten ihre Vertreter zum größten Teil direkt in örtlichen Versammlungen. Alle Männer von Adel über 25 Jahre konnten

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Erste Nationalversammlung/Verfassung von 1791

an ihnen teilnehmen; für Frauen und Minderjährige, die dem Adel angehörten, nahm ein Beauftragter das Stimmrecht wahr. Die Wahlversammlungen des Klerus setzten sich aus den begüterten Geistlichen, den Beauftragten der Männer- und Frauenklöster und denen der weltlichen und geistlichen Orden beiderlei Geschlechts zusammen. Die Vertreter des Bürgertums wurden indirekt gewählt. Doch war das Wahlrecht ziemlich ausgedehnt, da alle Männer über 25 Jahre, die direkte Steuern zahlten, das Stimmrecht besaßen. In den kleinen Wahlbezirken gehörten die Elektoren sofort der Wahlversammlung an, die die Vertreter der Generalstände bestellte, in den größeren dagegen wählten die Elektoren aus ihrer Mitte Delegierte, die dann an der Wahlversammlung teilnahmen. Ihre Zahl betrug ein Viertel der anwesenden Elektoren. Die Elektoren wurden offen und mündlich bestellt, die Vertreter der Generalstände in geheimer Abstimmung. Gewählt wurde nach Köpfen und nach absoluter Mehrheit mit drei Wahlgängen. Im dritten fand eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hatten. Innerhalb Frankreichs gab es allerdings zensitäre Sonderregelungen. So mußten die Wahlberechtigten in Paris mindestens sechs Pfund direkte Steuern zahlen oder bestimmten Berufsgruppen angehören. Auf diese Weise wurde ein großer Teil der männlichen erwachsenen Bevölkerung der Hauptstadt vom Wahlrecht ausgeschlossen. Die Wahlen von 1789 waren die freiesten, die in Frankreich vor 1848 stattfanden. Weder unterstützte die Regierung bestimmte Kandidaten, noch übte sie Druck auf die Wähler aus. Die meisten der Gewählten des dritten Standes waren örtliche Honoratioren. Die Vertreter der Generalstände waren an ein imperatives Mandat gebunden, an die in den Wahlversammlungen redigierten „Cahiers de doleances"; dies wurde durch die Umwandlung der Stände in die Nationalversammlung aufgehoben. Mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verkündete die erste Assemblee Nationale die Grundlage einer politischen Philosophie, die nicht nur die Struktur des französischen Staates, sondern auch der anderen europäischen Länder aufs tiefste verändern sollte. Die Erklärung enthielt zwei Prinzipien, die ihre Verfasser als entscheidend für ein gutes Regierungssystem ansahen: die nationale Souveränität und die Gewaltenteilung. Die Souveränität besaß ihrer Meinung nach weder der König noch die einzelnen Individuen, die das Volk bilden, so wie es Rousseau verkündet hatte, sondern die Nation, die als ein von der Gesamtheit der Bürger unterschiedliches Wesen angesehen wurde. Aufgrund dieser Lehre konnten die Männer der Nationalversammlung die absolute Monarchie und die reine Demokratie ab-

Frankreich

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lehnen, welch letzterer sie als unmittelbarer Demokratie aufs höchste mißtrauten. So umgingen sie bei der Ausarbeitung der Verfassung von 1791 die verschiedenen Prozeduren direkter Volksregierung, hauptsächlich das Referendum, und richteten eine Regierung auf ausschließlich repräsentativer Basis ein. Die Verfassung sah strikte Gewaltentrennung vor. Der König war Chef der Exekutive, während die einzige Kammer die legislative Gewalt besaß. Zwischen Ministeramt und Abgeordnetenmandat bestand Inkompatibilität. Der König verfügte nur über ein suspensives Veto, die Kammer konnte von ihm weder vertagt noch aufgelöst werden. Audi erlaubte die Verfassung nur eine strafrechtliche Verantwortung der allein vom König abhängigen Minister. Die gesetzgebende Körperschaft, so wollten es Sieyes und die Mehrheit in der Nationalversammlung, sollte ausschließlich dem wahren Willen der Nation Ausdruck und Stimme verleihen, nicht aber den Einzelinteressen des Volkes oder der "Wählerschaft. Daher verbot die Verfassung nicht nur jedes imperative Mandat, die Abgeordneten waren zugleich die Repräsentanten der gesamten Nation, nidht der einzelnen Departements, in denen sie gewählt wurden. Das Wahlrecht war eine Funktion, mit der die Nation nur ihre würdigsten Bürger beauftragte, und es war indirekt, um die Unabhängigkeit der Repräsentanten von den Wählern zu sichern. Einige extreme Revolutionäre, unter anderem Robespierre, die Anhänger der Rousseau'schen Theorien waren, verlangten dagegen das allgemeine Wahlrecht, und zwar nicht nur für Männer, sondern auch für die Frauen. Diese Forderung wurde jedoch bis zum Zweiten Weltkrieg von der französischen politischen Linken nie wieder erhoben, da sie bei allgemeinem Frauenstimmrecht einen zu großen Einfluß der Kirche im Staat befürchtete. Kurz nach ihrem Zusammentritt reorganisierte die Nationalversammlung die Verwaltungsstruktur Frankreichs, indem sie die Hierarchie von Gemeinde, Kanton, Arrondissement und Departement einführte. Damit entstand die Grundlage für alle folgenden Wahlkreiseinteilungen. Wenige Zeit später verabschiedete die Versammlung ihr erstes Wahlgesetz, das ohne große Änderung in die Verfassung von 1791 übernommen wurde. Erhebliche Eigentumsqualifikationen für die Wahlberechtigung und vor allem für die Elektoren waren darin vorgesehen. Von den insgesamt 26 Millionen Einwohnern Frankreichs waren 4,4 Millionen als aktive Bürger wahlberechtigt. 2,5 bis 3 Millionen erwachsene männliche Einwohner waren als passive Bürger vom Wahlrecht ausgeschlossen. Der Anteil der als Elektoren wählbaren Männer an der Gesamtbevölkerung war in den Departements verschieden; am ungünstigsten war dieses Verhältnis in Paris, das schon

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Wahlrecht von 1791/Verfassung von 1793

dadurch, daß es nur eine geringere Zahl von Abgeordneten wählte, benachteiligt war, eine Diskriminierung, die sich audi in späteren Wahlgesetzen wiederfindet. Jeder Aktiv-Bürger besaß das aktive Wahlrecht. Aktiv-Bürger war, wer das 25. Lebensjahr vollendet hatte, die französische Staatsbürgerschaft besaß, ein Jahr in seiner Heimatgemeinde gewohnt hatte, eine direkte Steuer im Wert von mindestens drei örtlichen Arbeitstagen im Jahr zahlte, einen Eid auf den König und die Verfassung geschworen hatte, der Nationalgarde angehörte und nicht im LohnDienst-Verhältnis stand. Wählbar als Elektoren waren die wahlberechtigten Bürger, die Eigentümer, Nutznießer oder Mieter eines Anwesens waren, das ein jährliches Einkommen im Wert von mindestens 100 bis 400 örtlichen Arbeitstagen erbrachte, je nach seiner Lage in großen oder kleinen Gemeinden oder auf dem flachen Land. Im Wahlgesetz von 1789 war nur ein Zensus von zehn örtlichen Arbeitstagen vorgesehen gewesen. Zum Abgeordneten war jeder Wahlberechtigte in dem Departement wählbar, in welchem er wohnte. Für die Wählbarkeit war ein Zensus von einer Silbermark vorgeschrieben. Die Wahlperiode sollte zwei Jahre betragen. Kein Abgeordneter durfte jedoch länger als zwei Legislaturperioden hintereinander der Nationalversammlung angehören. Nach einer Unterbrechung von zwei Jahren war eine Wiederwahl möglich. Die Wahlberechtigten bestellten pro Kanton in Primärversammlungen die Elektoren, und zwar je einen auf 100 Wahlberechtigte, einen weiteren auf folgende 50 bis 150. Die Elektoren eines jeden Departements wählten dann die diesem Departement zustehenden Abgeordneten und ein Drittel dieser Zahl an Ersatzmännern. Gewählt wurde nach absoluter Mehrheit mit drei Wahlgängen. Im letzten fand eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im zweiten die meisten Stimmen erhalten hatten. Ob die Wahl offen oder geheim sein sollte, regelte die Verfassung nicht. Die Nationalversammlung bestand aus 745 Mitgliedern, von denen 247 in den 83 Departements gewählt wurden. Jedes Departement bestellte drei Abgeordnete, Paris nur einen. Weitere 249 Mandate wurden nach der Zahl der Wahlberechtigten verteilt, indem die Gesamtzahl der Aktiv-Bürger Frankreichs durch 249 geteilt wurde. Jedes Departement erhielt so viele Abgeordnete, wie die Anzahl seiner Wahlberechtigten diesen Quotienten enthielt. Die restlichen 249 Sitze wurden entsprechend den direkten Steuerleistungen vergeben. Die Summe der in Frankreich gezahlten direkten Steuern wurde ebenfalls durch 249 dividiert, und jedes Departement erhielt weiterhin so viele Abgeordnete, wie die Summe seiner direkt gezahlten Steuern diesen

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Quotienten enthielt. Die Vertretung der Kolonien wurde noch nicht geregelt. Das Prinzip der Gewaltenteilung wurde schon nach wenigen Monaten zur Fiktion. In den Auseinandersetzungen zwischen dem König und der im Herbst 1791 gewählten Versammlung konnte diese einen eindeutigen Sieg erringen. Im März 1792 zwang sie den König durch ein Anschuldigungsdekret gegen den Außenminister, dessen Friedenspolitik von der Mehrheit der Versammlung, den „Girondisten", abgelehnt wurde, alle seine Minister zu entlassen und als Nachfolger Männer der Gironde zu wählen. Schließlich beendete die Nationalversammlung den Konflikt zwischen beiden Organen mit der Absetzung des Königs. Sie erklärte die Abschaffung der Monarchie und verkündete „que la Republique fran9aise est une et indivisible". Die Proklamierung der Republik erforderte eine neue verfassunggebende Versammlung. Für die Wahl zum Konvent wurde das Verfahren von 1791 beibehalten, doch wurde das Wahlrecht auf etwa sieben Millionen Wahlberechtigte erweitert. Wähler und Elektoren mußten einen Zivileid leisten, daß sie die Freiheit und Gleichheit aufrecht erhalten und bereit sein würden, für deren Verteidigung zu sterben. Auf diese Weise wollte der Gesetzgeber die Royalisten von der Wahl fernhalten. Aktiv wahlberechtigt war jeder männliche Einwohner über 21 Jahre, der seit mindestens einem Jahr in seiner Heimatgemeinde wohnte und in keinem bezahlten Abhängigkeitsverhältnis stand. Wählbar als Elektor und Abgeordneter waren alle Wahlberechtigten über 25 Jahre. Im Konvent blieben Anzahl und Verteilung der Sitze unverändert, doch entsandten die Kolonien zusätzlich 34 Abgeordnete. Später wurden dann allerdings vier weitere Sitze für das Mutterland geschaffen. Die in den Revolutionskriegen eroberten Gebiete erhielten 23 Abgeordnete. Zwar wurde die vom Konvent im Juni 1793 verabschiedete Verfassung bis zum Frieden suspendiert und schließlich 1795 durch eine neue abgelöst. Ihr Text hat aber für die französische Verfassungs- und Wahlrechtsgeschichte einige Bedeutung erlangt. War 1791 jede direkte Beteiligung des Volkes an Regierung oder Gesetzgebung vom Verfassungsgeber ausgeschlossen worden, so versuchte die Verfassung von 1793, die direkte Demokratie zu verwirklichen, getragen von dem Geist Rousseaus, der jede Repräsentation als Verfälschung des allgemeinen Volkswillens angesehen hatte. Das souveräne Volk, das heißt die Gesamtheit der französischen Bürger (Art. 7), sollte jedes Gesetz einem Referendum unterwerfen können, die legislative Körperschaft jährlich wählen und sogar an der Bestellung der Exekutive

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Wahlrecht von 1793/Direktorialverfassung von 1795

beteiligt werden. Selbst das Widerstandsrecht fehlte nicht. Das allgemeine Wahlrecht für alle männlichen Einwohner war schließlich die Konsequenz, die die Verfassungsgeber aus ihren Demokratievorstellungen zogen. Wahlberechtigt war jeder männliche Einwohner über 21 Jahre, der seit mindestens sechs Monaten in einem Kanton lebte, ebenso alle Ausländer, wenn sie bestimmte Bedingungen erfüllt hatten. Wählbar war jeder Wahlberechtigte über 21 Jahre, und zwar in ganz Frankreich. Die Bevölkerung bildete die alleinige Basis der nationalen Repräsentation. Die Abgeordneten sollten in Einmannwahlkreisen, die eine Bevölkerung von 39 000 bis 41 000 Einwohner enthalten sollten, bestellt werden. Die Wahlversammlungen pro Kanton eines jeden Wahlkreises durften nicht mehr als 600 und nicht weniger als 200 Mitglieder aufweisen. Die Wahl der Abgeordneten sollte nadi absoluter Mehrheit mit Stichwahl erfolgen. Die Abstimmung konnte je nach Wunsch der Wähler geheim oder öffentlich sein. Nachwahlen waren vorgesehen. Die Verfassung wurde einem Referendum unterworfen, bei dem sich etwa fünf von sieben Millionen Stimmberechtigten der Stimme enthielten. Im Grunde war die neue Verfassung unanwendbar; ihre Schöpfer hatten auch kaum die Absicht, ihr zur Gültigkeit zu verhelfen. Sie war ein Werk revolutionärer Propaganda, ein politisches Manöver, um die Befürchtungen der Provinz wegen der Gewaltakte in Paris zu beschwichtigen. In der Zeit vom September 1792 bis zum November 1795 regierte tatsächlich der Konvent, das klassische Beispiel einer Versammlungsregierung. Allerdings gelang es Robespierre für etwa anderthalb Jahre, über den Wohlfahrtsausschuß die politische Macht in seinen Händen zu konzentrieren. Nach seinem Sturz im Juli 1794 arbeitete der Konvent eine neue Verfassung aus, die zugleich die Diktatur eines einzelnen, das heißt die Monarchie, und die Diktatur der Versammlung verhindern sollte. Als Schranke gegen eine allzu große Machtentfaltung wurde das Zweikammersystem eingeführt; dem „Rat der Fünfhundert" (Conseil des Cinq Cents) stand der „Rat der Alten" (Conseil des Anciens) mit 250 Mitgliedern gegenüber. Ein fünfköpfiges Direktorium übte die Regierung aus; alljährlich wurde ein Mitglied ausgewechselt. Der Rat der Fünfhundert schlug die Direktoriumsmitglieder vor, der Rat der Alten wählte sie. Zwischen Abgeordnetenmandat und Direktorenamt bestand Inkompatibilität. Die Trennung der Funktionen zwischen Regierung und den beiden Kammern war vollständig. Das Direktorium konnte weder an den Sitzungen der beiden Räte teilnehmen, noch sie auflösen oder vertagen. Die Kammern hatten ihrerseits, außer durch die Wahl der

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Direktoren, keinen Einfluß auf die politische Führung. Die Mitglieder des Direktoriums konnten nur strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. Die Verfassung von 1795 hob das allgemeine Wahlrecht wieder auf und kehrte zur indirekten Wahl und zum Eigentumszensus zurück. Die Zahl der Wahlberechtigten sank von sieben auf fünf Millionen, etwa ein Viertel der erwachsenen männlichen Bevölkerung war vom Wahlrecht ausgeschlossen. Ausdrücklich wurde geheime Wahl vorgeschrieben (Art. 31). Die neue Verfassung wurde ebenfalls einem Referendum unterworfen, ehe sie in Kraft trat. Aktiv wahlberechtigt war jeder männliche Einwohner über 21 Jahre, der direkte Steuern zahlte. Außerdem sollten ab Jahr XII (1803) der Republik die jungen Leute nachweisen, daß sie lesen und schreiben und ein Handwerk ausüben konnten. Wählbar als Elektor war jeder Wahlberechtigte über 25 Jahre, der Eigentümer, Nutznießer oder Mieter eines Anwesens war, das je nach seiner örtlichen Lage ein jährliches Mindesteinkommen im Wert von 100 bis 200 Arbeitstagen brachte. Die Elektoren konnten erst nach einem zeitlichen Intervall von zwei Jahren erneut gewählt werden. Wählbar für den Rat der Fünfhundert war jeder Wahlberechtigte, der das 30. Lebensjahr vollendet hatte und seit mindestens zehn Jahren in Frankreich wohnte. Doch genügte bis zum Jahr VII (1798) der Republik das Alter von 25 Jahren. Wählbar für den Rat der Alten war jeder Wahlberechtigte über 40 Jahre, der seit mindestens 15 Jahren in Frankreich wohnte, verheiratet oder verwitwet war. Die Mitglieder beider Kammern durften diesen während nur zwei aufeinanderfolgenden Legislaturperioden angehören, erst nach einer Unterbrechung von zwei Jahren waren sie dann wiederwählbar. Gewählt wurde nach absoluter Mehrheitswahl. Erst im dritten Wahlgang genügte die relative Mehrheit der Stimmen. In den Kantonen bildeten die Wahlberechtigten Primärversammlungen, die nicht weniger als 450 und nicht mehr als 900 Mitglieder umfassen durften. Jede Wahlversammlung bestellte einen Elektor auf 200 Wahlberechtigte, auf folgende 100 bis 300 einen weiteren. Die Elektorenversammlungen der Departements wählten die Mitglieder beider Räte gleichzeitig. Wähler und Elektoren mußten einen Treueid auf die Republik und die Verfassung leisten. Der Rat der Fünfhundert und der Rat der Alten trennten sich erst nach ihrer Wahl. Die Verteilung der Sitze erfolgte nach der Bevölkerungszahl. Von den 750 Abgeordneten wurden 711 in Frankreich und 39 von den Kolonien bestellt, wobei 25 Vertreter der Kolonien im Rat der Fünfhundert, 14 im Rat der Alten saßen. Ab 1797 wurde deren Zahl jedoch verringert, auf 14 im Rat der Fünfhundert, auf neun im Rat der Alten. Die Legislaturperiode beider Kammern betrug drei Jahre mit jährlicher Drittelerneuerung, was eine gewisse

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Staatsstreich Napoleons/Konsularverfassung von 1799

Kontinuität in der Zusammensetzung beider Kammern sichern sollte. Wenn beide Räte je um zwei Drittel ihrer Mitglieder durch außerordentliche Umstände reduziert würden, sollten Nachwahlen stattfinden. Die Verfassung von 1795 beendete jedoch die politischen Wirren in Frankreich nicht: Seit 1797 wurde der Staatsstreich zu einem normalen Mittel der Machtausübung, sei es, daß die Direktoren die Räte zwangen, die Wahl von Royalisten oder Jakobinern zu annullieren, sei es, daß die Räte die Demission unliebsamer Direktoren durchsetzen konnten. Teils folgte dies aus der zu strikt durchgeführten Gewaltentrennung, teils aus den tiefen Gegensätzen zwischen den einzelnen politischen Richtungen, die ein ordnungsgemäßes Funktionieren der Institutionen verhinderten. Nach vier Jahren war das Regierungssystem so diskreditiert, daß Napoleon Bonaparte mit Hilfe des Abbe Sieyes, der seit 1799 Direktoriumsmitglied war, einen eigenen Staatsstreich vorbereiten konnte, der dann zu seiner Diktatur führte. Die Wahlpraxis in der Zeit der Revolution war von einer außerordentlich hohen Stimmenthaltung gekennzeichnet. Sie lag zum Teil in der Korruption und Einschüchterung der Wähler durch die Kandidaten und Parteigänger aller politischen Richtungen begründet. Selbst als gesetzlich geheime Wahlen vorgeschrieben waren, wurden die Wähler häufig gezwungen, öffentlich abzustimmen. Bürgern mit politischen Meinungen, die der jeweiligen Regierung nicht genehm waren, wurde das Wahlrecht entzogen. So schloß das Direktorium 1789 diejenigen von der Wahl aus, die durch Geburt oder Heirat mit Franzosen verwandt waren, die Frankreich aus politischen Gründen verlassen hatten. Nach jeder Wahl wurde zudem willkürlich die Bestellung einiger Minderheitsabgeordneter für ungültig erklärt. Zwischen 1799 und 1815 erließ Napoleon verschiedene Verfassungen, die alle auf dem von Abbe Sieyes verkündeten Prinzip beruhten, daß das Vertrauen von unten, die Macht dagegen von oben kommen müsse. Unter diesem Aspekt wurde 1799 das allgemeine Wahlrecht für Männer über 21 Jahre fast vollständig wieder eingeführt, so daß es etwa sechs Millionen Wahlberechtigte gab. Zugleich schufen die Verfassungen sehr komplizierte indirekte Wahlsysteme, die die Bestellung regierungsfreundlicher Abgeordneter garantierten. Zudem nutzte Napoleon radikal-demokratische Praktiken wie Plebiszite und Referenden auf scheindemokratische Weise zu entschieden antidemokratischen Zwecken. Sein Regierungsstil wurde zum Vorbild der cäsaristischen Diktatur auf plebiszitärer Grundlage. Die Verfassung von 1799, an deren Ausarbeitung Bonaparte maßgeblich beteiligt war, sah eine starke Exekutive vor. Drei Konsuln

F r a n k r e i c h (I. R e p u b l i k )

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übten die Regierung aus, doch verfügte der erste Konsul, Bonaparte, über entscheidende Vorrechte, so daß die politische Madit tatsächlich in seinen Händen konzentriert war. Die Amtsdauer der Konsuln war auf zehn Jahre beschränkt; sie waren allerdings ständig wiederwählbar. Der Regierung stand eine schwache und geteilte Legislative gegenüber. Die Aufsplitterung der gesetzgeberischen Funktionen auf drei verschiedene Institutionen lief letztlich auf deren gegenseitige Blokkierung hinaus. Damit fiel dem ersten Konsul auch in diesem Bereich die letzte Entscheidung zu. Der „Staatsrat" (Conseil d'Etat), der vom ersten Konsul ernannt wurde, redigierte auf dessen ausschließliche Initiative hin die Gesetzesprojekte. Beide Kammern wurden indirekt gewählt: Das „Tribunat" diskutierte die Vorlagen, die „legislative Körperschaft" (Corps legislatif) stimmte ohne Debatte darüber ab. Gesetzesinitiative besaßen beide Kammern nicht. Die Aufgabe, über die Verfassung zu wachen, hatte der „Senat conservateur". Aktiv wahlberechtigt war jeder männliche Bürger über 21 Jahre, soweit er nicht in einem bezahlten Abhängigkeitsverhältnis stand, wenn er seit mindestens einem Jahr in seiner Heimatgemeinde wohnte, wählbar jeder Wahlberechtigte. Die wahlberechtigten Bürger eines jeden Arrondissements wählten aus ihrer Mitte ein Zehntel ihrer Anzahl als kommunale Notabein (kommunale Liste), aus denen die öffentlichen Verwaltungsbeamten der Arrondissements hervorgehen mußten. Die kommunalen Notabein wählten auf Departementsebene wiederum aus ihrer Mitte ein Zehntel ihrer Anzahl (departementale Liste) als Kandidaten für die öffentlichen Ämter des Departements. Die Mitglieder der departementalen Liste bestellten ein weiteres Zehntel aus ihrer Mitte (nationale Liste) als Kandidaten für die nationalen öffentlichen Ämter. Die nationale Liste umfaßte für ganz Frankreich etwa 5000 Personen, aus denen der Senat die Abgeordneten beider Kammern, des Tribunats und der legislativen Körperschaft, bestellte. In allen drei Ebenen galt relative Mehrheitswahl. Die Wahlberechtigten konnten alle drei Jahre die Listen auffüllen oder verändern, doch durften die Namen nur mit absoluter Mehrheit von der Liste gestrichen werden. Ob die Wahl geheim oder öffentlich sein sollte, verschwieg die Verfassung. Die Mitglieder des Senats, die mindestens 40 Jahre alt sein mußten, wurden auf Lebenszeit bestellt, die Anzahl der Senatoren durfte nicht höher als 80 sein. Die ersten 60 Mitglieder ernannte der erste Konsul, die übrigen wurden vom Senat kooptiert. Je einen Kandidaten schlugen das Tribunat und die legislative Körperschaft vor, den dritten der erste Konsul, wobei sich zwei oder alle drei Organe auf einen Kandidaten einigen konnten. 29 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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Verfassungsänderungen von 1802, 1804 und 1815

Das Tribunat umfaßte 100 Mitglieder, die mindestens 25 Jahre alt sein mußten. Die Mitglieder dieser Kammer konnten ständig wiedergewählt werden, so lange sie auf der nationalen Liste standen. Die Legislaturperiode dauerte fünf Jahre mit jährlicher Erneuerung eines Fünftels seiner Mitglieder. Der legislativen Körperschaft gehörten 300 Mitglieder an, die mindestens 30 Jahre alt sein mußten. Die Legislaturperiode betrug ebenfalls fünf Jahre mit jährlicher Erneuerung von einem Fünftel der Mitglieder. Diese konnten jedoch erst nach einer Unterbrechung von einem Jahr erneut bestellt werden. Nach der Verfassung sollte jedes Departement durch ein Mitglied in dieser Kammer vertreten sein, doch wählte der Senat in Wirklichkeit eine große Anzahl von Abgeordneten, die aus Paris und Umgebung stammten. Die Vertretung der Kolonien wurde unter Napoleon wieder abgeschafft. Die Verfassung wurde einem Referendum unterworfen, das zu einem Plebiszit für Bonaparte wurde, da die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung sich nach der Unruhe und dem Terror der Revolutionszeit von diesem die Wiederherstellung der staatlichen Ordnung erhoffte. Nach den Friedensschlüssen von Luneville (1801) und Amiens (1802) erreichte die Popularität Bonapartes ihren Höhepunkt, so daß dieser aufgrund eines weiteren Plebiszits das Konsulat auf Lebenszeit übernehmen konnte. Zugleich modifizierte er die Verfassung von 1799, um seine Machtstellung noch zu vergrößern. Der Senat wurde nun völlig von ihm abhängig. Die Bevölkerung erhielt nur einen scheinbaren Einfluß auf die Zusammensetzung dieser Versammlung: die departementalen Wahlkollegien schlugen Kandidaten vor, unter denen der erste Konsul drei auswählen mußte. Er konnte jedoch von nun an selbst Senatoren ernennen, deren Anzahl allerdings 120 nicht übersteigen durfte. Dafür sollte der Senat über das Recht verfügen, die Verfassung durch Senatsbeschlüsse (senatus-consultes) zu vervollständigen und gegebenenfalls die beiden gesetzgebenden Kammern aufzulösen. Das Tribunat, in dem sich bis dahin eine gewisse Opposition gezeigt hatte, wurde auf 50 Mitglieder reduziert. Dagegen erhöhte die Verfassungsänderung die Legislaturperiode auf sechs Jahre mit Halberneuerung alle drei Jahre. Die Tribunatsmitglieder wurden in einzelne Sektionen unterteilt. Die legislative Körperschaft, deren Mitglieder nun proportional zur Bevölkerung verteilt wurden, konnte nur noch von der Regierung einberufen und vertagt werden; ebenso entschied diese über die Sitzungsdauer. Der Wahlmodus wurde geringfügig geändert, um der Kritik zu begegnen, daß das System von 1799 den Wählern zu wenig Freiheit

Frankreich (I. Kaiserreich)

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gelassen habe. Die Modifizierung blieb jedoch ohne Bedeutung, da Napoleon sein eigenes System mißachtete, indem er den Senat zwang, Abgeordnete zu wählen, die nicht auf den Vorschlagslisten standen. Die Wahlberechtigten eines jeden Kantons bestellten auf je 500 Einwohner ein Mitglied des Arrondissements-Wahlkollegiums und auf je 1000 Einwohner ein Mitglied des Departements-Wahlkollegiums, die in dem jeweiligen Arrondissement oder Departement wohnen mußten. Ihre Zahl durfte im Arrondissement nur zwischen 120 und 200, im Departement nur zwischen 200 und 300 liegen. In die departementalen Wahlversammlungen konnten nur die 600 größten Steuerzahler des Departements gewählt werden. Beide Wahlkollegien wurden auf Lebenszeit bestellt, doch konnten sie unter bestimmten Bedingungen von der Regierung aufgelöst werden. Die Mitglieder der Wahlkollegien wurden einzeln nach absoluter Mehrheit mit drei Wahlgängen bestellt. Im letzten Wahlgang fand eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im zweiten die meisten Stimmen erhalten hatten. Der erste Konsul konnte die Wahlversammlungen der Arrondissements um zehn, die der Departements um 20 Mitglieder vergrößern. Außerdem ernannte er die Präsidenten aller Wahlkollegien, einschließlich der kantonalen Primärversammlungen. Die Wahlversammlungen der Arrondissements präsentierten je zwei Personen für die Liste, aus der der Senat die Mitglieder des Tribunats auswählte, die departementalen Kollegien je zwei Personen für die Liste der Senatskandidaten. Die Wahlversammlungen der Arrondissements und der Departements wählten jeweils zwei Kandidaten für die Liste, aus der der Senat die Mitglieder der legislativen Körperschaft bestimmte. Die Verfassungsänderung vom 18. Mai 1804, die aus der Republik ein Kaiserreich machte, modifizierte erneut die drei Versammlungen. Die Senatoren wurden vom Kaiser selbst ernannt, und zwar nach den von den departementalen Wahlkollegien zusammengestellten Listen. Außerdem waren Prinzen und große Würdenträger von Rechts wegen Senatoren. Dafür erhielt der Senat die Aufgabe, über die individuelle und die Pressefreiheit zu wachen; auch konnte er Wahlhandlungen annullieren, die er für unrechtmäßig hielt. Die gesetzgebende Körperschaft durfte von nun an Gesetzesvorlagen diskutieren. Ihre Mitglieder waren ohne zeitlichen Intervall ständig wiederwählbar, doch wurde das Mindestalter 1807 auf 40 Jahre erhöht. Das Tribunat durfte nicht mehr als Vollversammlung tagen; seine Legislaturperiode wurde auf zehn Jahre verlängert. Ein Senatsbeschluß vom August 1807 löste diese Kammer dann endgültig auf. Eine neue Verfassung erließ Napoleon nach seiner Rückkehr von der Insel Elba. Mit ihr wollte der Kaiser den Bestrebungen nach mehr Freiheit und größerer Demokratisierung Rechnung tragen. Obwohl

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Napoleonische Verfassungsreform und Charta von 1814

die Verfassung von 1815 das gesamte Regierungssystem im Vergleich zu 1804 veränderte, wurde sie doch als Zusatzakte zur Verfassung des Kaiserreiches erklärt, um wenigstens äußerlich die Kontinuität zu wahren. Der Kaiser blieb zwar Chef der Exekutive, doch mußten Regierungsakte von den Ministern gegengezeichnet sein. Ministeramt und Abgeordnetenmandat waren miteinander vereinbar; auch waren die Minister verantwortlich, doch sagte die Zusatzakte nicht, vor wem. Zwei Kammern, eine erbliche „Pairskammer" (an Stelle des Senats) und eine „Repräsentantenkammer"(Chambre des Representants) sollten mit dem Kaiser die Funktion der Gesetzgebung teilen. Diese Zusatzakte entsprach in etwa der Charte, die Ludwig XVIII. bei seiner Rückkehr nach Frankreich im Juni 1814 erlassen hatte. Das aktive Wahlrecht blieb unverändert, das Mindestalter für die Wählbarkeit wurde auf 25 Jahre gesenkt. Die auf Lebenszeit bestellten Wahlkollegien wurden beibehalten. Doch bekamen die kantonalen Primärversammlungen das Recht, die Wahlkollegien der Arrondissements und Departements jährlich um die freigewordenen Sitze aufzufüllen. Die Abgeordneten gingen jetzt unmittelbar aus den Wahlversammlungen hervor. Das Wahlsystem, absolute Mehrheitswahl mit drei Wahlgängen, wurde beibehalten. Die Repräsentantenkammer sollte 629 Mitglieder haben, von denen 368 von den Wahlkollegien der Arrondissements (einer pro Arrondissement) und 238 von den departementalen Wahlversammlungen bestellt wurden, die letzteren entsprechend der Bevölkerungszahl. 23 weitere Abgeordnete sollten die departementalen Wahlversammlungen, in 13 regionale Versammlungen vereinigt, nach Kandidatenlisten der Handelskammern und der vereinigten beratenden Berufsorganisationen wählen. Die Abgeordneten konnten in ganz Frankreich bestellt werden, doch war in diesem Fall ein Ersatzmann zu wählen, der in dem entsprechenden Arrondissement oder Departement wohnte. Die Legislaturperiode sollte fünf Jahre dauern, vollständige Erneuerung war vorgesehen. Die Mitgliedschaft in der Pairskammer war erblich, doch wurden die ersten Mitglieder vom Kaiser ernannt. Prinzen und hohe Würdenträger Frankreichs hatten von Rechts wegen einen Sitz in dieser Kammer. Die beiden Kammern wurden im Mai 1815 bestellt; doch schon im Juni des gleichen Jahres wurde Napoleon endgültig zur Abdankung gezwungen. Die allgemeine Tendenz der napoleonischen Verfassungen und Verfassungsänderungen war die Stärkung der Macht des ersten Konsuls und später des Kaisers wie der von ihm abhängigen Institutionen. Die Organe aber, die auch nur einen Schatten von Unabhängigkeit bewahren konnten, wurden in der Folgezeit mehr und mehr geschwächt;

Frankreich (Restauration)

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so wurde das Tribunat 1807 völlig aufgelöst. Audi die legislative Körperschaft verlor im Laufe der Jahre an Bedeutung, ihre jährlichen Sitzungsperrioden wurden immer kürzer, und im Jahre 1812 traten die Abgeordneten überhaupt nicht zusammen. Der Senat dagegen blieb das gefügige Instrument des Kaisers, bis er 1814 Napoleon dann eigenmächtig absetzte. Die gesamte politische Macht lag beim Kaiser, der alle Funktionen an sich zog und durch Dekrete auch in solche Bereiche der Gesetzgebung eingriff, die ihm die Verfassung ausdrücklich entzogen hatte. Kurz nach seiner ersten Rückkehr nach Frankreich erließ Ludwig XVIII. eine Verfassung (Charte constitutionnelle), die zwar durch die 100 Tage Napoleons außer Kraft gesetzt wurde, dann aber bis 1830 gültig blieb. Die Charte negierte die auch von Napoleon wenigstens äußerlich anerkannte nationale Souveränität und begriff das Königtum als eine Institution, die unabhängig von der Nation existiere. So stellte die Verfassung von 1814 auch keinen Vertrag zwischen König und Nation dar, sondern beruhte auf dem monarchischen Prinzip. Auf Grund königlichen Wohlwollens wurden dem Volk bestimmte Freiheiten und Garantien zugestanden. Die Charte sah eine konstitutionelle Monarchie vor, in der der König zugleich Staatsoberhaupt und Chef der Exekutive war. Die Minister konnte er dem Parlament entnehmen; Regierungsamt und Abgeordnetenmandat waren vereinbar. Die Verantwortlichkeit der Minister gegenüber dem Parlament bestand nach der Charte nur in strafrechtlichem Sinne (Art. 13, 54). Die Gesetzgebung teilte der König mit zwei Kammern, der „Pairskammer" und der „Abgeordnetenkammer" (Chambre des deputes). Das Wahlrecht wurde von der Charte stark eingeschränkt; ihre Bestimmungen galten jedoch zum Teil erst ab 1817. Die beiden ersten Abgeordnetenkammern der Restaurationszeit wurden nach einem Verfahren bestellt, das auf den Bestimmungen von 1802 beruhte. So wurden die napoleonischen Wahlkollegien einberufen, allerdings ersetzte die Regierung die von Napoleon zusätzlich ernannten Mitglieder durch eigene. Die Wahlversammlungen der Arrondissements designierten so viele Kandidaten, wie dem Departement auf Grund seiner Bevölkerungszahl zustanden. Die departementalen Wahlkollegien wählten die Abgeordneten, von denen die Hälfte aus den Kandidatenlisten der Arrondissements hervorgehen mußten. Gewählt wurde nadi absoluter Mehrheit mit drei Wahlgängen; im letzten fand eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im zweiten Wahlgang die meisten Stimmen erhalten hatten. An den Wahlversammlungen mußte zumindest die Hälfte plus eins der Mitglieder teilgenommen

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Wahlgesetze yon 1817 und 1820

haben, damit die Wahl gültig war. Wählbar war 1815 jeder Wahlberechtigte, der das 25. Lebensjahr vollendet hatte und jährlich mindestens 1000 Franken direkte Steuern zahlte; 1816 wurde das Wählbarkeitsalter auf 40 Jahre erhöht. Die Legislaturperiode der Kammer betrug nach der Charte fünf Jahre mit jährlicher Fünftelerneuerung. Die Kammer von 1815 hatte 402 Mitglieder, jedoch wurde die Zahl nach dem Friedensvertrag wegen der verlorenen Gebiete auf 395 reduziert. 1816 verringerte die Regierung die Anzahl der Abgeordneten auf 258. Die Mitglieder der Pairskammer wurden vom König ernannt; die Pairswürde galt auf Lebenszeit oder war erblich. Die 1815 gewählte Abgeordnetenkammer war dem König zu „royalistisch" (chambre introuvable), d. h. restaurativ, so daß er sie ein Jahr später auflöste. Die neue Kammer erwies sich als liberaler und leichter beeinflußbar; so wurde 1817 ein neues Wahlgesetz verabschiedet, das den Bedingungen der Charte entsprach. Mit ihm konnten sich die Liberalen, die für einen hohen Zensus, aber direkte Wahl eintraten, gegen die Royalisten durchsetzen, die ein sehr ausgedehntes, jedoch indirektes Wahlrecht forderten, weil sie auf die konservative Einstellung der bäuerlichen Massen zählten. Aktiv wahlberechtigt war jeder männliche Bürger, der eine direkte jährliche Steuer von mindestens 300 Franken zahlte und das 30. Lebensjahr vollendet hatte. Das passive Wahlrecht besaß jeder Wahlberechtigte, der jährlich mindestens 1000 Franken direkte Steuern zahlte und 40 Jahre alt war. Sollten in einem Departement jedoch weniger als 50 Bürger diesen Bedingungen entsprechen, so war ihre Zahl durch die nächsten Höchstbesteuerten aufzufüllen. Zur Wahl der Abgeordneten versammelten sich die Wähler im Hauptort des Departements. Wies die Versammlung mehr als 600 Personen auf, wurde sie geteilt. Gewählt wurde nach absoluter Mehrheitswahl und Listen in drei Wahlgängen. Die Listen durften nicht mehr Namen enthalten, als Abgeordnete pro Departement zu bestellen waren. Jeder Wähler verfügte über die gleiche Anzahl von Stimmen, Panaschieren war erlaubt, Kumulieren nicht. In den ersten beiden Wahlgängen war der Kandidat gewählt, der die absolute Mehrheit und mindestens ein Viertel plus eins der Stimmen der versammelten Wahlberechtigten erhalten hatte. Für den dritten Wahlgang wurde eine Liste derjenigen Kandidaten aufgestellt, die im zweiten die meisten Stimmen erhalten hatten, doch durfte die Liste nicht mehr als doppelt so viele Namen enthalten, als noch Sitze zu vergeben waren. In diesem Wahlgang genügte die relative Mehrheit. Das Wahlgesetz ließ offen, ob die Wahl geheim oder öffentlich sein sollte, doch erforderte die Listenwahl wahrscheinlich geheime Abstimmung. Mindestens die Hälfte der zu wählenden Abgeordneten mußte in dem Departement wohnen, in dem sie

Frankreich (Restauration)

455

bestellt wurden. Kandidaturen in mehreren Wahlkreisen waren allerdings erlaubt, doch mußte der Abgeordnete nach seiner Wahl entscheiden, welches Departement er vertreten wollte. Nachwahlen waren vorgesehen. Die Anzahl der Abgeordneten blieb wie 1 8 1 6 auf 258 begrenzt. Der von der Charte geforderte Steuerzensus für das aktive und passive Wahlrecht (Art. 38/40) beschränkte die Zahl der eingeschriebenen Wahlberechtigen auf etwa 100 000, die der Wählbaren auf knapp 20 000. Die große Mehrheit des Wahlkörpers waren Landbesitzer, die ihr Vermögen während der Revolution erworben hatten. Den liberalen Forderungen eines großen Teiles dieser Schicht kam Ludwig XVIII. in der Verfassungspraxis entgegen. Der König, der die englischen politischen Institutionen bewunderte und deren Regeln getreu nachzuahmen sich bemühte, ernannte nur Minister, die das Vertrauen der Abgeordnetenkammer besaßen, während diese ihrerseits versuchte, über Adressen an den König, Berichte über Petitionen und in den Budgetdiskussionen die Minister auf ihre Politik festzulegen. Dieses Zusammenspiel zwischen Krone und Parlament wurde jedoch dadurch gekennzeichnet, daß die Regierung über die lokale Verwaltung, die Präfekten, die Wahlergebnisse beeinflußte und so die Repräsentation in den Kammern weitgehend zu ihren Gunsten lenkte. Der Nachfolger Ludwigs, Karl X . (1824—1830), brach mit der Praxis formaler parlamentarischer Mehrheitsregierungen. Erst die Revolution von 1830 führte dann erneut zu dieser Regierungsweise. Der ständige Wahlerfolg der Linken, das heißt der entschiedenen Anhänger des parlamentarischen Systems, veranlaßte die Regierung im Jahre 1820 zur Verabschiedung eines neuen Wahlgesetzes, das den reichsten Wählern eine besondere Vertretung sicherte. Außerdem wurde das Land in Einmannwahlkreise eingeteilt, da die Bestimmung von 1817, daß die Wähler sich im Hauptort des Departements versammeln mußten, zu einer beträchtlichen Wahlenthaltung geführt hatte. Zugleich hoffte die Regierung, die kleinen örtlichen Wahlversammlungen besser beeinflussen zu können. Dafür wurde ausdrücklich geheime Wahl vorgeschrieben, eine Bestimmung, die von nun an in den Wahlgesetzen nicht mehr fehlte. Während Wahlrecht und Wählbarkeit unverändert blieben, wurde die Zahl der Abgeordneten auf 430 erhöht; davon wählten die Höchstbesteuerten eines jeden Departements 172 in departementalen Wahlversammlungen. Ihre Anzahl durfte nicht mehr als ein Viertel der Wahlberechtigten insgesamt ausmachen. Auf diese Weise war den Reichen die Wahl von zwei Fünfteln der Kammermitglieder vorbehalten, zugleich waren sie an der Wahl der restlichen

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Charte von 1830/Wahlrechtsentwicklung

drei Fünftel ebenfalls beteiligt. Für die Bestellung dieser Abgeordneten wurde das Land in 258 Einmannwahlkreise eingeteilt, die im allgemeinen den Arrondissements entsprechen sollten. In den Departements jedoch, die 1817 nur einen Abgeordneten bestellt hatten oder in denen die Zahl der Wahlberechtigten nicht mehr als 300 betrug, sollten sich die Wähler weiterhin im Hauptort des Departements versammeln. Dieselbe Bestimmung galt für Departements, die in nur fünf Arrondissements unterteilt waren und die nicht mehr als 400 Wahlberechtigte aufwiesen. Die Wahlkreiseinteilung bevorzugte die ländlichen Gebiete gegenüber den Städten, da in den ländlichen Arrondissements die Einwohnerzahl oft erheblich geringer war als in den städtischen. Das Wahlsystem, absolute Mehrheitswahl mit drei Wahlgängen, wurde beibehalten, doch war für die Wahl eines Abgeordneten in den ersten beiden Wahlgängen außer der absoluten Mehrheit ein Drittel der gültigen Stimmen der versammelten Wahlberechtigten erforderlich. Im dritten Wahlgang fand eine Stichwahl statt, wobei die relative Mehrheit genügte. Nachwahlen waren innerhalb von zwei Monaten vorgesehen. Die Legislaturperiode der Abgeordnetenkammer wurde im Jahre 1824 durch Gesetz auf sieben Jahre erhöht, zugleich war vollständige Erneuerung vorgesehen. Doch wartete Karl X. das Ende der Legislaturperiode nicht ab; 1827 und 1830 löste er die Kammer auf. Die Wahlgesetzänderung von 1820 hatte zwar die Linke schwächen, aber nicht zerstören können. 1827 erhielt sie die absolute Mehrheit in der Kammer (170 von 258 in den Einmannwahlkreisen plus 172), die 1830 noch anstieg (247 von 258 plus 172), trotz des Druckes der Verwaltung auf die Wähler, für Ultramonarchisten zu stimmen. Die Revolution von 1830 zwang Karl X. abzudanken; sein Nachfolger wurde Louis Philippe, Herzog von Orleans. Eine neue Verfassung wurde von der Abgeordnetenkammer ausgearbeitet, die sich aber von ihrer Vorgängerin nicht wesentlich unterschied. Louis Philippe mußte allerdings die Souveränität der Nation anerkennen. Die Verfassung von 1830 beruhte nicht mehr auf der monarchischen Legitimität, sondern auf einem Vertrag zwischen König und Nation. Der König blieb nach der neuen Charte Oberhaupt des Staates und Chef der exekutiven Gewalt. Die Funktion der Gesetzgebung teilte er mit zwei Kammern: Pairskammer und Abgeordnetenkammer. Die Mitglieder der Pairskammer wurden vom König auf Lebenszeit ernannt, die erbliche Pairswürde wurde abgeschafft. Doch durften nur Angehörige bestimmter sozialer Kategorien zum Pair bestellt werden, etwa Abgeordnete, Botschafter, Mitglieder des Institut de France, hohe Verwaltungsbeamte, Industrielle, Bankiers usw.

Frankreich (Julimonardiie)

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Das Wahlrecht zur Abgeordnetenkammer, die 459 Mitglieder zählte, blieb stark beschränkt, audi wenn es im Vergleich zu 1817 erweitert wurde. Aktiv wahlberechtigt war jeder männliche Bürger über 25 Jahre, wenn er mindestens 200 Franken direkte Steuern jährlich zahlte. Sollte es in einem Arrondissement weniger als 150 Wahlberechtigte geben, so war ihre Zahl durch die nächsten Höchstbesteuerten aufzufüllen. Wahlrecht hatte außerdem jedes Mitglied des Institut de France, das wenigstens 100 Franken direkte Steuern zahlte, und Offiziere im Ruhestand, die eine Pension von mindestens 1200 Franken im Jahr bezogen und die seit drei Jahren in einem Arrondissement ihren festen Wohnsitz hatten. Wählbar war jeder Wahlberechtigte, der mindestens 500 Franken direkte Steuern im Jahr zahlte und 30 Jahre alt war. Sollten jedoch in einem Departement weniger als 50 Personen diese Bedingung erfüllen, war ihre Zahl durch die nächsten Höchstbesteuerten zu ergänzen. Das ganze Land wurde in 459 Einerwahlkreise eingeteilt, die in etwa den Arrondissements entsprachen. Die Einwohnerzahl der einzelnen Wahlkreise war unterschiedlich, ebenso die Zahl der Wahlberechtigten. Das Wahlsystem blieb ähnlich wie in der Zeit der Restauration; in den ersten beiden Wahlgängen war die absolute Mehrheit und ein Drittel der abgegebenen gültigen Stimmen der versammelten Wahlberechtigten erforderlich. Im dritten fand eine Stichwahl zwischen den beiden Kandidaten statt, die im zweiten die meisten Stimmen erhalten hatten. Die Hälfte der Abgeordneten mußte in dem Departement wohnen, in dem sie gewählt wurden, doch war eine Kandidatur in mehreren Wahlkreisen erlaubt. Die Wahl sollte geheim sein, die Legislaturperiode fünf Jahre betragen; Nachwahlen waren vorgesehen. Die starke Beschränkung des Wahlrechts war für das weniger begüterte Bürgertum und die politische Linke ein Anlaß ständiger Kritik an der Julimonarchie. Im Vergleich zur Zeit vor der Revolution von 1830 stieg die Zahl der Wahlberechtigten von rund 100 000 auf 172 000 (bei 32 Millionen Einwohnern) im Jahre 1832 an. Im Jahre 1845 gab es 240 000 Wahlberechtigte bei 35 Millionen Einwohnern. Die Wahlberechtigten gehörten auch unter Louis-Philippe in ihrer großen Mehrheit zu den Landbesitzern, auf deren konservative besitzbürgerliche Einstellung die Regierung zählte. Denn der Bourgeoisie als dem „ juste milieu" sollte der politische Einfluß vorbehalten bleiben, um so zugleich die Aristokratie und die Masse des Volkes von der politischen Macht auszuschließen. Anders als Karl X. mußte Louis-Philippe die parlamentarische Regierungsweise akzeptieren. Der König konnte nicht mehr gegen den Willen der Mehrheit in der Abgeordnetenkammer einen Minister be-

458

Februarrevolution und Verfassung von 1848

rufen oder im Amte halten. Die Verantwortlichkeit der Minister (Artikel 12) wurde als politische Verantwortung gegenüber der Kammer interpretiert. Ein Mißtrauensvotum der Abgeordneten zwang die Minister zum Rücktritt. Zu gleicher Zeit erlangte die zweite Kammer das Recht zur Interpellation und damit ein bedeutsames Mittel zur politischen Kontrolle der Regierung. Die Abgeordneten begannen, sich zu mehr oder minder festen politischen Gruppierungen zusammenzuschließen, um ihre Aufgaben besser ausüben zu können; zudem wurden die Kabinette zusehends homogener, das Amt des Ministerpräsidenten entstand und gewann an Autorität. Allerdings konnte sich der König eine starke politische Stellung bewahren, da die Minister nicht nur das Vertrauen der Kammer, sondern auch das seine besitzen mußten. Zudem fand vor allem das langjährige Ministerium Guizot Wege zur Korrumpierung der parlamentarischen Repräsentation. Nicht nur das Ministeramt, sondern sämtliche öffentlichen Funktionen des Staates waren mit dem Abgeordnetenmandat vereinbar. Die Regierung unterstützte Kandidaturen von Staatsbeamten und übte auf sie als Parlamentarier bei Abstimmungen einen erheblichen Druck aus, indem sie Beförderungen versprach oder mit beruflichen Nachteilen drohte. Von 459 Abgeordneten waren zeitweilig bis zu 200 Beamte. Der Druck auf die Beamten-Parlamentarier und die zu schmale Basis des Wahlrechts, das die Regierung nicht erweitern wollte, führten auf die Dauer zu einer immer stärker werdenden Opposition in weiten Kreisen der Bevölkerung. Die aufkommenden sozialistischen Ideen verstärkten noch die politischen Kräfte, die schließlich in der Februarrevolution von 1848 das Ende der Julimonarchie herbeiführten. Das erste Ziel der provisorischen Regierung war die Einberufung einer verfassunggebenden Versammlung. Für deren Wahl wurde durch Dekret vom 5. März 1848 das allgemeine Wahlrecht für Männer über 21 Jahre eingeführt und zum erstenmal in Frankreich wirklich angewandt. Die Zahl der Wähler stieg sprunghaft von 240 000 auf etwa 8,2 Millionen, von 0,7 auf 23,1 Prozent der Bevölkerung (s. Tab. A l ) . Zugleich wurde die Vertretung der Kolonien wiederhergestellt, die von 1799 bis 1848 keine Abgeordneten in französische Parlamente geschickt hatten. Aktiv wahlberechtigt war jeder männliche Einwohner über 21 Jahre, der seit mindestens sechs Monaten in seiner Heimatgemeinde wohnte. Soldaten und Seeleute im Dienst waren ebenfalls wahlberechtigt. Wählbar war jeder Wahlberechtigte über 25 Jahre. Die Departements bildeten die Grundlage der Wahlkreiseinteilung. Auf 40 000 Einwohner sollte ein Abgeordneter bestellt werden. In jedem Wahlkreis konnten sich die Kandidaten einzeln oder als Mit-

Frankreich (II. Republik)

459

glieder einer Liste aufstellen lassen. Jeder Wähler verfügte über so viele Stimmen, wie Abgeordnete zu wählen waren. Er stimmte für Kandidaten, nicht f ü r Listen, Panaschieren war erlaubt, Kumulieren jedoch nicht. Gewählt war jeder Kandidat, der die relative Mehrheit und mindestens 2000 der abgegebenen gültigen Stimmen erhalten hatte. War diese letzte Bedingung nicht erfüllt, sollte am zweiten Sonntag nach der Verkündung der Wahlresultate ein zweiter Wahlgang stattfinden, in dem die relative Mehrheit genügte. Kandidaturen in mehreren Wahlkreisen waren erlaubt, doch mußte der Abgeordnete nach seiner Wahl bekannt geben, welchen Wahlkreis er vertreten wollte. Die Wahl war geheim. Der verfassunggebenden Nationalversammlung gehörten 900 Mitglieder an; davon wurden 884 in Frankreich, vier in Algerien und zwölf in den übrigen Kolonien (Martinique: drei; Guadeloupe: drei; Reunion: drei; Guyane: eins; Senegal: eins; Indes fran5aises: eins) gewählt. Die Versammlung wies eine erhebliche republikanische Mehrheit auf: von den 900 Abgeordneten waren etwa 500 gemäßigte und 100 sozialistische Republikaner, 200 Orleanisten (Anhänger der Dynastie Louis-Philippes) und 100 Legitimisten (Anhänger der Bourbonen). Die Versammlung verabschiedete im November 1848 eine Verfassung, die Frankreich zur Republik erklärte. Im übrigen nahm sie die Tradition von 1792/1793 wieder auf, schaffte das Zweikammersystem ab und führte eine strikte Gewaltenteilung ein. Die Nationalversammlung übte die Funktion der Gesetzgebung allein aus. Ihr gegenüber stand ein Präsident, der zugleich Staatsoberhaupt und Chef der Exekutive war und der in allgemeiner, direkter Wahl bestellt wurde. Für seine Wahl war die absolute Mehrheit und mindestens zwei Millionen der abgegebenen Stimmen erforderlich. Waren diese Bedingungen nicht erfüllt, bestellte die Versammlung den Präsidenten, und zwar unter den fünf Kandidaten, die die meisten Stimmen erhalten hatten. Audi für diese Wahl war absolute Mehrheit vorgeschrieben mit unbegrenzt vielen Wahlgängen. Die Amtszeit des Präsidenten dauerte vier Jahre, er war erst nach einer Unterbrechung von vier Jahren wiederwählbar. Die Verfassung sah keinen Weg vor, um Konflikte, die zwischen Präsident und Nationalversammlung auftreten konnten, beizulegen. Der Präsident durfte weder die Versammlung auflösen, noch konnte diese den Chef der Exekutive stürzen. Die Regierungsakte des Präsidenten mußten allerdings von den Ministern gegengezeichnet werden, die er aus der Mitte der Versammlung ernennen konnte. Im März 1849 wurde das erste Wahlgesetz der Republik verabschiedet. Aktives Wahlrecht und Wählbarkeit blieben wie 1848. Das Wahl-

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Wahlgesetz von 1850/Staatsstreich/Verfassung von 1852

system wurde ebenfalls beibehalten, doch war für den ersten Wahlgang neben der relativen Mehrheit mindestens ein Achtel der gültigen Stimmen der eingeschriebenen Wahlberechtigten erforderlich. Wurden Sitze in der Nationalversammlung wegen Demission, Tod, Mehrfachkandidaturen oder aus anderen Gründen frei, sollten innerhalb von 40 Tagen Nachwahlen stattfinden. Die Wahl war geheim. Die Nationalversammlung hatte 750 Mitglieder, davon wurden vier in Algerien und sieben in den übrigen Kolonien gewählt. Die Legislaturperiode dauerte drei Jahre bei vollständiger Erneuerung. Die im Jahre 1849 gewählte Nationalversammlung bestand im Gegensatz zur verfassunggebenden Versammlung aus einer großen Mehrheit monarchischer und bonapartistischer Abgeordneter (etwa 500) und nur aus 80 gemäßigten und 180 sozialistischen Republikanern. Die Erfolge extremer Sozialisten in einigen Nachwahlen in Paris erschreckten diese konservative Mehrheit und ließen sie fürchten, daß das allgemeine Männerwahlrecht die sozialistische Revolution begünstigen könnte. So wurde 1850 ein neues Wahlgesetz verabschiedet, dessen Ziel es war, dem mobilen städtischen Proletariat das Wahlrecht zu entziehen. Von den zehn Millionen eingeschriebenen Wählern von 1849 verloren drei Millionen wieder ihr Wahlrecht. Wahlberechtigt war jeder männliche Bürger über 21 Jahre, der seit mindestens drei Jahren in seiner Heimatgemeinde wohnte. Außer der relativen Mehrheit brauchte jeder Kandidat mindestens ein Viertel der gültigen Stimmen der eingeschriebenen Wähler. Nachwahlen sollten innerhalb von sechs Monaten stattfinden. Die Einschränkung des Wahlrechts und andere politische Entscheidungen erweckten in weiten Teilen der Bevölkerung eine starke Opposition gegen das Parlament, die auch von Louis Napoleon Bonaparte genährt wurde, der 1849 zum Präsidenten der Republik gewählt worden war. Bereits am 2. Dezember 1851 wagte er den Staatsstreich und ließ sich kurze Zeit darauf durch ein Plebiszit die Vollmacht geben, eine neue Verfassung auszuarbeiten, die dann am 14. Januar 1852 verabschiedet wurde. Am 7. November 1852 stellte Louis Napoleon das Kaiserreich wieder her, nachdem er dazu in einem weiteren Plebiszit die überwältigende Zustimmung der Bevölkerung erhalten hatte. Napoleon III. übernahm, allerdings mit einigen Veränderungen, die Institutionen der Konsularverfassung von 1799. Staatsoberhaupt und Chef der Exekutive war der Kaiser, der die Minister eines keineswegs homogenen Kabinetts ernannte und absetzte. Zwischen Ministeramt und Abgeordnetenmandat bestand Inkompatibilität. Der Kaiser besaß allein die Gesetzesinitiative. Die Verfassung sah ein Zweikammersystem vor. Wie 1799 gab es einen Senat, der über die Verfassungs-

Frankreich (II. Kaiserreich)

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mäßigkeit der Gesetze wachte, und eine legislative Körperschaft, die die Gesetzesprojekte diskutierte und verabschiedete. Doch war ihr Recht, Veränderungen vorzunehmen, erheblich begrenzt. Der Kaiser konnte sie nach freiem Ermessen einberufen, vertagen und auflösen und ernannte im übrigen ihre Präsidenten und Vizepräsidenten. Das allgemeine, geheime und direkte Wahlrecht, wie es von 1848 bis 1850 bestanden hatte, führte Louis Napoleon durch ein Dekret vom Februar 1852 wieder ein; die Vertretung der Kolonien hob er dagegen auf. Zur legislativen Körperschaft war jeder männliche Bürger über 21 Jahre aktiv wahlberechtigt, der seit mindestens sechs Monaten in seiner Heimatgemeinde wohnte. Soldaten und Seeleute im Dienst durften nicht mehr wählen. Wählbar war jeder Wahlberechtigte über 25 Jahre. Jedes Departement erhielt einen Abgeordneten auf 35 000 Wahlberechtigte, einen weiteren, wenn die Restzahl mindestens 25 000 betrug. Durch einen Senatsbeschluß wurde diese 1857 auf 17 500 gesenkt. Die Departements wurden in so viele Wahlkreise eingeteilt, wie Abgeordnete zu bestellen waren. Gewählt wurde nach absoluter Mehrheit mit einem zweiten Wahlgang. Für den ersten war neben der absoluten Mehrheit mindestens ein Viertel abgegebener gültiger Stimmen der eingeschriebenen Wähler erforderlich. Im zweiten Wahlgang genügte die relative Mehrheit. Im Gegensatz zu der bis dahin angewandten absoluten Mehrheitswahl war die Kandidatur im zweiten Wahlgang unbeschränkt (Romanische Mehrheitswahl). Es konnten selbst Personen aufgestellt werden, die sich im ersten Wahlgang nicht beworben hatten. Kandidaturen in mehreren Wahlkreisen waren möglich. Nachwahlen sollten innerhalb von sechs Monaten stattfinden. Das Dekret schrieb geheime Wahlen vor, doch wurde diese Bestimmung vielfach mißachtet. Die gesetzgebende Körperschaft besaß 1852 261 Abgeordnete, 1857 stieg ihre Zahl auf 267, 1863 auf 283 und 1869 auf 292. Die Legislaturperiode dauerte sechs Jahre, bei vollständiger Erneuerung. Der Senat zählte 150 Mitglieder, die vom Kaiser auf Lebenszeit ernannt wurden. Sah sich die legislative Körperschaft verfassungsrechtlich bereits erheblichen Einschränkungen unterworfen, so versuchte die Regierung noch, über die Wahlkreiseinteilung und die offiziellen Kandidaturen jede mögliche Opposition zu unterdrücken und die Wahl regierungsfreundlicher Abgeordneter zu sichern. Unter den Kandidaten eines jeden Wahlkreises bezeichneten die Präfekten denjenigen, der das Vertrauen der Regierung besaß. Diese offiziellen Kandidaten wurden dann von der Verwaltung tatkräftig unterstützt. Der Staat übernahm einen Teil

462

Wahlpraxis/Ende Kaiserreich/Politische Strukturen

ihrer Propagandaausgaben, stellte Plätze für Plakate zur Verfügung und anderes, während den Oppositionskandidaten alle nur möglichen Schwierigkeiten bereitet wurden. Offizielle Kandidaturen hatte es in Frankreich schon im I. Kaiserreich, in der Restauration, der Julimonardiie und in der II. Republik gegeben, doch wandte die Verwaltung unter Napoleon III. ihre Druckmittel in viel stärkerem Maße an, so daß die Bewerbung von Oppositionskandidaten praktisch aussichtslos war. Das Wahlgeheimnis wurde vielfach nicht geachtet, und die Wähler wurden gezwungen, öffentlich abzustimmen. 1852 gab es daher nur acht nicht offizielle Abgeordnete in der Kammer, 1857 wurden nur vier in der Provinz und fünf in Paris gewählt. Alle Abgeordneten mußten den Treueid auf den Kaiser und die Verfassung schwören, was die Abgeordneten der Opposition zum Meineid oder zur Demission zwang. Ein Senatsbeschluß von 1858 forderte dann den Treueid bereits von den Kandidaten, da die Demission einiger Abgeordneter großes Aufsehen erregt hatte. Das allgemeine Wahlrecht konnte somit die Stellung Napoleons nicht ernstlich gefährden. Doch fehlte es dem Kaiser, anders als Napoleon I., am Willen zur absoluten Macht. Im Laufe seiner Regierungszeit begann sich die Diktatur zu mildern. Zu Beginn der sechziger Jahre räumte der Kaiser beiden Kammern einige Vorrechte ein; unter anderem konnten ihre Sitzungen in Zukunft öffentlich sein. 1869 erhielt die legislative Körperschaft die Gesetzesinitiative, zugleich wurde die Inkompatibilität zwischen Ministeramt und Abgeordnetenmandat bzw. Senatsmitgliedschaft aufgehoben. Der Senat entwickelte sich dabei mehr und mehr zu einer wirklichen zweiten Kammer; er konnte schließlich eine neue Lesung der Gesetze verlangen, Änderungen vorschlagen oder gegen Gesetzesprojekte stimmen, die die Abgeordneten gebilligt hatten. Ungeachtet dieser liberalen Reformen wurde die Praxis der offiziellen Kandidaturen beibehalten, 1863 sogar noch verschärft. Zeitungen, Wahlversammlungen und die Wahlkomitees der oppositionellen KanT a b e l l e l : Wahlergebnisse nach Stimmen Kaiserreich (1857, 1863, 1869)

Jahr

Regierung Stimmen Mandate abs. in % abs. in°/o

und Mandaten

unter

dem

Zweiten

GesamtΟ ρ ροsitiο η Stimmen Mandate zahl der abs. in °/o abs. in°/o Mandate

1857

5 471 000

89,1

262

98,1

665 000

10,9

5

1,9

267

1863

5 355 000

74,2

250

88,3

1 860 000

25,8

33

11,7

283

1869

4 455 000

55,0

200

68,5

3 643 000

45,0

92

31,5

292

(Quelle: Campbell, s. BiblAng., S. 68)

Frankreich (III. Republik)

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didaten wurden vielfach verboten. Die Regierung ging so weit, Bürgermeister abzusetzen, in deren Gemeinden die offiziellen Kandidaten nicht die Mehrheit erhalten hatten. Auch nutzte sie die Wahlkreisänderungen, die alle fünf Jahre stattfinden sollten, um die Stimmen der regierungsfeindlichen Wähler zu zersplittern. Dennoch stiegen Stimmen und Mandate der Opposition, ähnlich wie sich auch die Wahlbeteiligung mit der Zunahme oppositioneller Kandidaten bei den Wahlen von 1852: 62 Prozent auf 1869: 78 Prozent erhöhte. Doch blieb die Opposition beträchtlich unterrepräsentiert. Die liberalen Reformen mündeten in der Verfassung vom 21. Mai 1870, die sogar die Entwicklung zur parlamentarischen Regierungsweise hätte ermöglichen können. Die Minister sollten verantwortlich sein (Art. 19), was als politische Verantwortung gegenüber der Abgeordnetenkammer interpretiert wurde. Allerdings behielt der Kaiser das Recht, über Plebiszite und Referenden direkt an das Volk zu appellieren. Der Sturz des Kaiserreichs als Folge des deutsch-französischen Krieges von 1870/1871 verhinderte jedoch die Erprobung der neuen Verfassung. Die Auseinandersetzung um Staatsform und Regierungssystem, die die Jahrzehnte zwischen 1789 und 1870 beherrscht hatte, hinterließ in Frankreich tiefe politische Gegensätze. Auch der Bereich übereinstimmender institutioneller Vorstellungen der nach 1870 auftretenden politischen Gruppierungen war eng begrenzt. Unbestritten war das allgemeine Männerwahlrecht, das seit 1848 und 1852 fester Bestandteil des französischen öffentlichen Rechts ist. Jede neue politische Ordnung mußte es übernehmen. Weiterhin bestand allgemein ein tiefes Mißtrauen gegen jede Art von unmittelbarer Demokratie. Die Forderung nach direktem Einfluß des Volkes auf Regierung und Gesetzgebung hatte fast ausschließlich der politischen Rechten und den Bonapartisten gedient, denen sich nach 1875 ein großer Teil der Monarchisten anschloß. Die Erfahrung der Versammlungsregierung zur Zeit des Konvents und die Entwicklung des Präsidialsystems nach 1848, das in der Diktatur geendet hatte, ließen das parlamentarische System als das einzig mögliche erscheinen, da es eine Machtkonzentration zugunsten der Regierung oder des Parlaments zu verhindern imstande schien. Die historisch herausgebildete Parlamentsstruktur schuf allerdings besondere verfassungspolitische Schwierigkeiten. Die starke Betonung des Repräsentativgedankens frühliberaler Prägung hatte zur Folge, daß der Parteibegriff weitgehend negativ bestimmt war. Parlamentarische Gruppen waren zwar nach 1815 entstanden und hatten gelegentlich sogar Fraktionszwang ausüben können. Doch lief dies der Auffassung zuwider, daß der Abgeordnete völlig unab-

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Wahl von 1871

hängiger Repräsentant der gesamten Nation sein müsse; die parlamentarischen Gruppen wurden deshalb keinesfalls offiziell anerkannt. Auch wollten Wähler und Gewählte, zwischen denen sich im Laufe der Zeit eine enge Bindung herausgebildet hatte, nicht, daß zentrale politische Parteien oder Organisationen in den Wahlkampf eingriffen, der eine ausschließlich lokale Angelegenheit blieb. Diese Voraussetzungen erschwerten das Entstehen organisierter und disziplinierter Parteien bis weit ins 19. Jahrhundert hinein. Die absolute Mehrheitswahl mit ihren zwei oder drei Wahlgängen förderte noch die Unabhängigkeit der Abgeordneten von zentralen parteipolitischen Gremien, da der erste Wahlgang keine Wahlbündnisse erforderte, der zweite und dritte jedoch genügend Spielraum zu individuellen Absprachen bot. Die Unfähigkeit französischer Parlamente, Mehrheiten hervorzubringen, die stabile Regierungen hätten bilden können, wurde von 1815 bis 1848 durch den Druck der Regierung auf Wähler und Abgeordnete teilweise aufgehoben, in der III. Republik dagegen zum auffallendsten Merkmal des parlamentarischen Systems französischer Prägung. Nach dem Sturz des Kaiserreiches entstand eine „Regierung der nationalen Verteidigung", die so schnell wie möglich in dem noch besetzten Frankreich Neuwahlen durchführen ließ. Sie griff dabei auf das Wahlgesetz vom 15. März 1849 zurück, da die provisorische Regierung sich von Wahlmodus und Wahlen des Kaiserreiches, die als „cäsaristisch" galten, betont absetzen wollte. Zugleich erhielten Seeleute und Soldaten im Dienst wieder das Wahlrecht, die Vertretung der Kolonien wurde erneut eingeführt. Die einzige Änderung gegenüber 1849 bestand darin, daß der zweite Wahlgang vier Tage nach der Bekanntgabe der Wahlergebnisse stattfinden sollte. Doch waren in Frankreich bei den Wahlen vom Februar 1871 keine zweiten Wahlgänge erforderlich. Die Nationalversammlung sollte 768 Mitglieder haben, davon 753 für Frankreich und 15 für Algerien und die übrigen Kolonien (Algerien sechs, Martinique zwei, Guadeloupe zwei, Reunion zwei, Guyane ein; Senegal und Indes franjaises ebenfalls je ein Mitglied). Doch zogen statt dessen nur 687 Abgeordnete in die Nationalversammlung ein, darunter noch 30 Elsässer und Lothringer, von denen 23 nach dem Friedensvertrag demissionierten. Die übrigen blieben, weil die Abgeordneten ganz Frankreich und nicht einen Gebietsteil vertreten sollten. Mehr als die Hälfte der Abgeordneten in der neu gewählten Nationalversammlung waren Monarchisten. Da sie sich jedoch in drei Gruppen spalteten, in Orleanisten und in gemäßigte und radikale Legitimisten,

Frankreich (III. Republik)

465

konnte die republikanische Minderheit unter Thiers und Gambetta schließlich die Proklamierung der Republik durchsetzen. Die Nachwahlen, die ersten schon im Juli 1871, zeigten überaus deutlich, daß die Monarchisten schnell ihre Wählermehrheit verloren. Die wirksame Unterdrückung des Aufstands der Kommune in Paris durch den Präsidenten der Republik, Thiers, hatte das Vertrauen der Provinz und der bürgerlichen Schichten in die Republik gefestigt. Die vielen Nachwahlen, in denen jedesmal das gesamte Departement zur Urne mußte, waren wegen der häufigen Mehrfachkandidaturen erforderlich. Im Februar 1871 war Gambetta in neun Departements, Thiers sogar in 26 gewählt worden. Die ständigen Wahlsiege vor allem radikaler Republikaner und Anhänger Gambettas beunruhigten die monarchistische und konservative Kammermehrheit, so daß sie im Februar 1873 das Wahlgesetz änderte und zur absoluten Mehrheitswahl mit zweitem Wahlgang zurückkehrte (RomanischeMehrheitswahl). Gewählt war jeder Kandidat, der die absolute Mehrheit und mindestens ein Viertel abgegebener gültiger Stimmen der eingeschriebenen Wahlberechtigten pro Wahlkreis erhalten hatte. Waren diese Bedingungen nicht erfüllt, fand 14 Tage später ein zweiter Wahlgang statt, in dem die relative Mehrheit genügte. Ausschlaggebend für den Wechsel des Wahlsystems war, daß die Monarchisten sidi vielfach unfähig gezeigt hatten, gemeinsame Listen aufzustellen. In einem zweiten Wahlgang glaubten sie eher in der Lage zu sein, sich gegen die Republikaner zusammenzuschließen. Doch konnte die Wahlsystemänderung ihre Verluste an Stimmen und Sitzen bei den folgenden Nachwahlen nicht aufhalten (s. Tab. A 4). Die Uneinigkeit der Monarchisten hinsichtlich des Thronprätendenten war auch der Grund dafür, daß die Verfassungsdebatte immer wieder aufgeschoben wurde. Im Mai 1873 setzte die konservative Mehrheit Thiers ab und wählte Marschall MacMahon zum Präsidenten der Republik, da er die Interessen der Monarchisten besser wahrzunehmen versprach. Dieser Erfolg der Rechten führte zu einem engeren Zusammenschluß der gemäßigten und radikalen Republikaner, wobei Gambetta maßgeblichen Einfluß erlangte. 1874/1875 erzwangen sie schließlich die Wiederaufnahme der Diskussion um die Verfassungsgesetze, da das Provisorium nicht unbegrenzt dauern durfte, sollte nicht eine neue Revolution heraufbeschworen werden. So konnten endlich im Februar 1875 die Verfassungsgesetze verabschiedet werden, die ohne wesentliche Änderung bis zum Ende der III. Republik in Kraft blieben. 30 Sternberger-Vogel. Parlamente 1,1

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Wahlgesetze für Abgeordnetenhaus und Senat von 1875

Hierfür hatten die Republikaner unter Gambettas Einfluß dem notwendigen taktischen Kompromiß zugestimmt, indem sie eine zweite Kammer akzeptierten, obwohl diese ihrer Meinung nach der republikanischen Tradition zuwiderlief. Ein Senat, der die orleanistische Pairskammer ersetzen sollte, entsprach jener konservativ-liberalen Gruppe von Orleanisten in der Nationalversammlung, die bereit waren, sich mit der Republik abzufinden, sofern in deren Verfassung nur genügend konservative Elemente eingebaut waren. Ganz im Sinne dieser Vorstellungen erhielt der Präsident der Republik eine Machtstellung, die in etwa der des Königs in der Julimonarchie entsprach. Er sollte der Chef der Exekutive sein, der die Minister ernannte und entließ und mit der Zustimmung des Senats die Abgeordnetenkammer (Chambre des deputes) auflösen konnte. Doch wurden die Befugnisse des Präsidenten dahingehend eingeschränkt, daß seine Regierungsakte von den zuständigen Ministern gegengezeichnet sein mußten, die einzeln und in ihrer Gesamtheit beiden Kammern politisch verantwortlich waren. Ministeramt und Abgeordnetenmandat waren miteinander vereinbar, die Rolle des Ministerpräsidenten sah die Verfassung nicht vor. Die starke Stellung des Präsidenten der Republik, der von beiden Kammern gemeinsam auf sieben Jahre gewählt wurde, sollte nach dem Willen der Orleanisten verhindern, daß das Parlament sich zum mächtigsten Organ im Staate entwickelte und die Regierung völlig seinem Willen unterwerfe. Letztlich stand die Angst vor der Versammlungsregierung hinter der Verfassungskonstruktion von 1875. Das Wahlsystem für die Abgeordnetenkammer wurde erneut geändert; man kehrte zu den Einerwahlen in Arrondissements zurück. Die Monarchisten und Konservativen glaubten, daß die Einigung auf einen Kandidaten im zweiten Wahlgang ihnen leichter gelingen werde als die Zusammenstellung einer gemeinsamen Liste. Außerdem hielten sie den Einfluß der lokalen Notabein und der Geistlichkeit in den Einmannwahlkreisen für wirksamer als im Rahmen des Departements. Schließlich hofften sie auf die konservative Einstellung der ländlichen Bevölkerung, die noch durch die Wahlkreiseinteilung begünstigt wurde. Aber auch die radikalen Republikaner sprachen sich für das neue Wahlsystem aus, da sie ihre größte Wählerzahl in den Städten hatten, die durch die konservative ländliche Bevölkerung in den Departements oft überstimmt worden war. Der größte Teil der gemäßigten Republikaner — zu denen seit 1875 auch Gambetta und seine Anhänger, die „Opportunisten" gehörten — zog dagegen das alte Wahlsystem vor. Den Soldaten und Seeleuten im Dienst wurde das Stimmrecht wieder entzogen; sie durften nur zur Urne gehen, wenn sie auf Urlaub in ihrem Heimatort waren.

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Jedes Arrondissement erhielt einen Abgeordneten. Überstieg die Einwohnerzahl jedoch 100 000, wurde auf folgende oder angebrochene 100 000 ein weiterer Abgeordneter bestellt. In diesem Fall wurde das Arrondissement in Wahlkreise eingeteilt. Für die Wahl der Abgeordneten war die absolute Mehrheit und mindestens ein Viertel abgegebener gültiger Stimmen der eingeschriebenen Wähler erforderlich. Im zweiten Wahlgang genügte die relative Mehrheit, er fand 14 Tage nach dem ersten statt. Nachwahlen wurden innerhalb von drei Monaten durchgeführt. Die Wahlkreiseinteilung benachteiligte die Städte erheblich, da viele Arrondissements weniger als 100 000 Einwohner hatten. Das stärker bevölkerte Nordfrankreich erhielt so für 19 Millionen Einwohner 220 Abgeordnete, der Süden für 16 Millionen 280 Abgeordnete. Die Abgeordnetenkammer zählte 1875 533 Mitglieder, davon wurden 526 in Frankreich, drei in Algerien und vier in den übrigen Kolonien (Martinique, Guadeloupe, Reunion, Indes fran^aises) gewählt. Die Legislaturperiode dauerte vier Jahre. Dem Senat gehörten 300 Mitglieder an. 75 Senatoren wurden von beiden Kammern gemeinsam, der Nationalversammlung, auf Lebenszeit bestellt. Die Wahl erfolgte nach Listen und nach absoluter Mehrheit mit unbegrenzt vielen Wahlgängen. Die übrigen Senatoren wurden von departementalen Wahlkollegien gewählt, die sich aus den Abgeordneten, den Generalräten (Departementsversammlung), den Arrondissementsräten und den Delegierten der Gemeinderäte zusammensetzten. Diese Delegierten (einer pro Gemeinderat) wurden von den Gemeinderäten unter den Wahlberechtigten der Gemeinde gewählt, die nicht schon Mitglied des Wahlkollegiums waren. Für diese Wahl war die absolute Mehrheit vorgeschrieben, erst im dritten Wahlgang genügte die relative Mehrheit. Wurden in einem Departement zwei und mehr Senatoren bestellt, war Listenwahl erforderlich. Jeder Wahlberechtigte verfügte über so viele Stimmen, wie Senatoren gewählt werden sollten. Panaschieren war erlaubt, Kumulieren nicht. Gewählt war der Kandidat, der die absolute Mehrheit und mindestens ein Viertel abgegebener gültiger Stimmen der Wahlberechtigten erhalten hatte. Im dritten Wahlgang reichte die relative Mehrheit. Mehrfachkandidaturen waren erlaubt; innerhalb eines Monats mußten für die wegen Mehrfachkandidaturen frei gebliebenen Sitze Nachwahlen stattfinden. Sank die Anzahl der Senatoren eines Departements um mehr als die Hälfte, sollten innerhalb von drei Monaten Nachwahlen abgehalten werden. Die Legislaturperiode der 225 in den Departements bestellten Abgeordneten dauerte neun Jahre mit Drittelerneuerung alle drei Jahre. Das Mutterland wählte 218, Algerien drei und die übrigen Kolonien vier Senatoren. Deren Mindestalter mußte 40 Jahre betragen.

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Verfassungsentwicklung nach 1876

Der Kampf der Verfassungsorgane um die Vorherrschaft im Verfassungssystem endete nach harten politischen Auseinandersetzungen in den Jahren 1875 bis 1877/1879 mit dem Sieg des Parlaments. Einmal hatte die dem Präsidenten der Republik auferlegte Verpflichtung, seine Regierungsakte gegenzeichnen zu lassen, die Wirkung, daß die politische Macht bald auf den Ministerrat und seinen Präsidenten (President du conseil des ministres) überging. War das Kabinett einmal gebildet, hing es nicht mehr vom Präsidenten der Republik, sondern von den Kammern ab und war diesen verantwortlich. Zum Wendepunkt aber, der das politische Schwergewicht endgültig auf die Kammern verlagerte, wurde der 16. Mai 1877. Präsident MacMahon entließ an diesem Tage eine Regierung, die das Vertrauen der republikanischen Mehrheit in der Abgeordnetenkammer besaß und ließ einen Monat später Neuwahlen ausschreiben, um eine konservative Kammermehrheit zu erhalten. Trotz des Druckes der Verwaltung auf Wähler und Kandidaten, der an die Zeit des II. Kaiserreiches erinnerte, verloren die Republikaner kaum Sitze. Seit diesem Zeitpunkt war die Kammerauflösung in der III. Republik diskreditiert; sie galt fortan als eine Art Staatsstreich. Bis zum Jahre 1939 wurde in Frankreich kein Parlament mehr vor Ablauf der Wahlperiode aufgelöst. Damit waren der Präsident und in der Folgezeit der Ministerpräsident einer ihrer wirksamsten Prärogativen beraubt, die zur Bildung stabiler parlamentarischer Regierungen unentbehrlich sind. Die Regierung geriet in die einseitige Abhängigkeit des Parlaments. Dem Präsidenten oblagen zunehmend nur Funktionen repräsentativer Natur. Immerhin konnte er aber infolge des Vielparteiensystems, das keine homogenen oder stabilen Parlamentsmehrheiten und folglich audi keinen Führer der Parlamentsmehrheit kannte, durch die Personenauswahl für das Amt des Ministerpräsidenten einen gewissen politischen Einfluß geltend machen. Wann immer jedoch ernsthafte Konflikte zwischen den Kammern und dem Präsidenten entstanden, mußte dieser vor Ablauf seiner Amtszeit demissionieren. Zugunsten der Machtstellung des Parlaments wirkte audi, daß die öffentliche Meinung in Frankreich in zwei fast gleich große Blöcke gespalten war, in eine monarchistisch-katholische Rechte und eine republikanische, antiklerikale Linke. Die Republikaner waren deshalb auf die extreme Linke angewiesen, wollten sie die nötige Mehrheit in der Abgeordnetenkammer für ihre Regierungen finden. Die extremen Republikaner hingen aber der Versammlungsregierung an, und es gelang ihnen auf die Dauer, die Entwicklung des Regierungssystems entscheidend mitzubestimmen. Kabinette konnten sich durchschnittlich kaum länger als ein knappes Jahr im Amt halten. Doch war die politische Stabilität des Regierungs-

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systems größer, als es den Anschein hatte, da in der Regel mit Regierungswechseln keine Änderung der parlamentarischen Mehrheit verbunden war. Ein gestürzter Ministerpräsident bildete oft die nachfolgende Regierung oder kam später selbst wieder zum Zuge. Häufig benutzten die Kabinette ihre Demission als ein Mittel, um durch die Neubildung der Regierungsmannschaft Gesetzestexte in den Kammern durchzubringen, die diese bisher abgelehnt hatten. Einzelne Minister konnten sich zudem lange Zeit im Amt halten. Da die Forderung nach demokratisch-konstitutioneller Regierungsweise bis 1870 ein Kampfmittel gegen die jeweiligen Machtinhaber gewesen war, verloren die republikanischen Wähler und Abgeordneten auch in der III. Republik nicht ihr Mißtrauen gegenüber der Regierung in Paris und der zentralen Verwaltung. Ihnen entgegenzuwirken und bei ihnen die Interessen seiner Wähler geltend zu machen, war Hauptaufgabe eines jeden Parlamentariers. Zudem wurde das parlamentarische System nach 1876 einseitig dahingehend interpretiert, daß es ausschließlich der Kontrolle der Regierung zu dienen habe. Die Instabilität der Kabinette galt lange Zeit nicht als Zeichen der Unwirksamkeit des Regierungssystems, sondern dafür, daß die Abgeordneten ihrer Pflicht nachkamen. Eine starke Regierung in einem demokratischen Staat schien im Frankreich der III. Republik ein Widerspruch in sich. Als Folge dieser Entwicklung schlossen sich die ursprünglich parlamentarisch gesinnten Orleanisten mehr und mehr der antirepublikanischen und antiparlamentarischen bonapartistischen und legitimistischen Richtung an, da sie durch die Verfassung von 1875 die Vormachtstellung des Parlaments hatten unterbinden wollen. Das Wahlsystem war audi unter der III. Republik keine geheiligte Spielregel der Demokratie. Da in Frankreich frühzeitig die Auswirkungen verschiedener Wahlsysteme auf das Parteiensystem erkannt wurden, änderten die jeweiligen parlamentarischen Mehrheiten das Wahlsystem unter taktisch-politischen Gesichtspunkten — außer in der Zeit von 1889 bis 1919 — häufig zu Ende einer Wahlperiode. Im Mittelpunkt der Kammerdebatten stand dabei meist die Frage, ob nach Listen in Departements oder in Einmannwahlkreisen gewählt werden sollte. Die absolute Mehrheitswahl mit ihrem zweiten, keinen Bedingungen unterworfenen Wahlgang entsprach nicht nur den Wünschen der Parteien, sondern auch den Bedingungen der französischen Parteienstruktur. Die Aufsplitterung der einzelnen politischen Richtungen, oft nur aus persönlichen Gründen, aus Antipathie oder Sympathie für den einen oder anderen Politiker, ließ ein Wahlsystem notwendig erscheinen, das im ersten Wahlgang zwar die Stärke der jeweiligen Gruppierung deutlich machte, ohne jedoch dadurch die Zusammensetzung des neuen Parlaments endgültig festzulegen. Zwar wurde

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Wahlsystemdiskussion und R e f o r m von 1 8 8 4 / 1 8 8 5

vor und kurz nach dem Ersten Weltkrieg die Verhältniswahl heftig diskutiert, doch hatte sie keine ernsthafte Realisierungschance. Einerwahl oder Listenwahl, diese Frage entschied die Mehrheit der Kammer nach der gegebenen politischen Situation. Da die Listenwahl engere Bündnisse zwischen den einzelnen Parteien erforderte als die Einerwahl, waren Republikaner und Monarchisten, Linke und Rechte Anhänger des einen oder anderen Systems, je nachdem, ob sie sich unter sich einigen konnten oder nicht. Auf die Dauer begünstigte jedoch die Einerwahl die Linke, da diese, abgesehen von der ersten Periode der III. Republik, meist erhebliche Schwierigkeiten hatte, gemeinsame Listen aufzustellen, ein Faktum, das bis heute seine Gültigkeit in Frankreich behalten hat. So zersplittert die Parteien auch im ersten Wahlgang auftreten mochten, im zweiten unterwarfen nicht nur sie, sondern auch die Wähler sich der Disziplin, den Kandidaten ihrer Richtung zu unterstützen, der die meisten Stimmen erhalten hatte. Diese vor allem bei den Linksparteien stark ausgeprägte Haltung, die „discipline republicaine", führte dazu, daß Wähler Kandidaten, für die sie im ersten Wahlgang gestimmt hatten, verließen, auch wenn diese ihre Kandidatur aufrecht erhielten. Es zeigte sich sogar, daß die Wahlbeteiligung im zweiten Wahlgang häufig größer war als im ersten. Nach der Wahl des Republikaners Grevy zum Präsidenten im Jahre 1879 und der ersten Drittelerneuerung des Senats, bei der die Republikaner auch in dieser Kammer die Mehrheit gewannen, wurde die Verfassungs- und Wahlsystemdiskussion wieder aufgenommen. Durch Rückkehr zur Listenwahl und eine Senatsreform wollte Gambetta, der Führer der gemäßigten Republikaner, der sich abzeichnenden Instabilität der Kabinette und der damit verbundenen Machtlosigkeit der Regierung entgegenwirken. Gambetta machte die Einerwahl für das Abbröckeln der republikanischen Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und für das Ubergewicht der extremen Linken über die gemäßigten Republikaner verantwortlich. Zugleich vertrat er die Ansicht, daß die Listenwahl die Parteiorganisation und -disziplin fördern und die allzu enge Bindung der Abgeordneten an ihren Wahlkreis einschränken werde. Nach Einführung der Listenwahl beabsichtigte Gambetta, in den folgenden allgemeinen Wahlen von 1881 in mehreren Departements zugleich zu kandidieren, um sich so zum Führer einer großen republikanischen Partei zu machen, die eine stabile Regierung mit ihm als Ministerpräsidenten gewährleistet hätte. Doch scheiterte dieses Vorhaben am Senat, der einer Änderung des Wahlsystems nicht zustimmte. Als der Versuch Gambettas, durch eine Verfassungsreform die zweite Kammer weitgehend zu entmachten, fehlschlug, war damit die Parlamentsvorherrschaft in der III. Republik besiegelt; alle späte-

Frankreich (III. Republik)

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ren Verfassungs- und Wahlrechtsänderungen betrafen nicht mehr den Kern des Regierungssystems. Kurze Zeit nach dem Tod Gambettas griff die republikanische Mehrheit die Idee der Senatsreform jedoch wieder auf, allerdings nicht mehr in der Absicht, die Macht der zweiten Kammer zu mindern, da sie den Senat nach der Drittelerneuerung von 1882 endgültig beherrschten. Aus demselben Grund gaben die Radikalen um 1900 und die Sozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Opposition gegen die zweite Kammer auf. Durch die Wahlreform von 1884, die auf eine Erweiterung der Zahl der Senatswähler hinauslief, wollte die republikanische Regierung die Autorität der zweiten Kammer eher noch vergrößern. Die Verfassungsrevision von 1884 bestand darin, daß das 1875 geschaffene Wahlsystem für den Senat seines Verfassungscharakters beraubt und im Wege der ordentlichen Gesetzgebung in der Absicht verändert wurde, den Senat zugleich dem Einfluß der extremen Linken und der extremen Rechten zu entziehen. Die 75 von beiden Kammern auf Lebenszeit gewählten Senatoren sollten in Zukunft wie die übrigen von den Departements bestellt werden. Gleichzeitig wurde die Anzahl der Senatoren pro Departement verändert und die Gemeinden erhielten eine in etwa ihrer Größe entsprechende Zahl von Wahlberechtigten in den departementalen Wahlversammlungen. Gemeinderäte mit zehn Mitgliedern wählten einen Delegierten, für 12 Mitglieder gab es zwei Delegierte, für 16 Mitglieder drei Delegierte, für 21 Mitglieder sechs Delegierte, für 23 Mitglieder neun Delegierte, für 27 Mitglieder zwölf Delegierte, für 30 Mitglieder 15 Delegierte, für 32 Mitglieder 18 Delegierte, für 34 Mitglieder 21 Delegierte, für 36 und mehr Mitglieder 24 Delegierte. Paris erhielt 36 Delegierte. Hatte der Gemeinderat mehr als einen Delegierten zu wählen, mußte die Wahl nach Listen erfolgen. Gewählt war der Kandidat, der in den ersten beiden Wahlgängen die absolute Mehrheit erhalten hatte; im dritten genügte die relative Mehrheit. Das Wahlsystem für die Senatoren blieb unverändert. Die kleinen Gemeinden zwischen 600 und 5000 Einwohnern wurden durch dieses Verfahren sowohl in bezug auf die Städte wie auf das flache Land bevorzugt. Im Jahre 1885 entschlossen sich die gemäßigten Republikaner, das wenige Jahre zuvor von Gambetta geforderte Wahlsystem für die Abgeordnetenkammer einzuführen, dem dieses Mal audi der Senat zustimmte. Das Gesetz sah Listenwahl nach Departements vor. Auf je 70000 oder angebrochene 70 000 Einwohner sollte ein Abgeordneter bestellt werden. Dodi erhielt jedes Departement zumindest drei Sitze. Jeder Wähler verfügte über so viele Stimmen, wie Abgeordnete pro Wahlkreis zu bestellen waren. Panaschieren war erlaubt, Kumulieren

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Wahlreform von 1889/Verhältniswahldiskussion

nicht. Für die Wahl eines Abgeordneten waren die absolute Mehrheit und mindestens ein Viertel abgegebener gültiger Stimmen der eingeschriebenen Wähler erforderlich. Im zweiten Wahlgang genügte die relative Mehrheit. Die Anzahl der Abgeordneten der Kolonien war für die Wahlen von 1881 erhöht worden, das Wahlgesetz übernahm diese Regelung. Algerien erhielt sechs, die übrigen Kolonien zehn Abgeordnete (Martinique zwei; Guadeloupe zwei; Reunion zwei; Guyane einen, Indes fran^aises einen, Senegal und Codiinchines ebenfalls je einen). Familien, die einst über Frankreich geherrscht hatten, wurde das passive Wahlrecht entzogen. Nach diesem System wurde jedoch nur einmal, 1885, gewählt, da nun der III. Republik ihre erste große Gefahr drohte: der Boulangismus. Die Rechte, Monarchisten und Bonapartisten, sammelte sich um den ehemaligen republikanischen Kriegsminister Boulanger, dessen Programm einer Verfassungsrevision ihren antiparlamentarischen und antirepublikanischen Vorstellungen entgegenkam und über dessen Popularität sie die Macht im Staat zurückzuerobern hofften. Die Forderung nach der völligen Trennung von Legislative und Exekutive, einer starken Regierung und vor allem nach dem Einkammersystem bewirkte jedoch, daß sich auch ein Teil der radikalen und extremen Republikaner der boulangistischen Richtung anschloß. Durch die Listenwahl, verbunden mit der Möglichkeit, in mehreren Wahlkreisen zu kandidieren, verwandelte Boulanger 1888 und 1889 einige Nachwahlen in Plebiszite für seine Person. Kurz vor den allgemeinen Wahlen von 1889 verabschiedete daher die gemäßigt republikanische Mehrheit in der Abgeordnetenkammer und im Senat ein neues Wahlgesetz, das wieder Einerwahl vorsah, außerdem die Mehrfachkandidaturen verbot, im übrigen aber in seinen Bestimmungen dem Wahlsystem von 1875 glich. Die Anzahl der Abgeordneten für die Kolonien blieb wie 1885. Dank dieses Wahlsystems und dank der unsicheren und zwiespältigen Haltung des ehemaligen Kriegsministers kurz vor den Wahlen gelang es den Republikanern, den Boulangismus abzuwehren. Die antiparlamentarische Rechte erlitt eine entscheidende Niederlage, von der sie sich erst nach dem Ersten Weltkrieg wieder erholte. Die absolute Mehrheitswahl in Einmannwahlkreisen blieb nun länger in Kraft als je ein anderes Wahlsystem. Um die Jahrhundertwende entstand aber bereits eine erneute Reformbewegung mit dem Ziel, durch die Einführung der Verhältniswahl der Instabilität der Regierung und der mangelnden Organisation der Parteien entgegenzuwirken. Die Verhältniswahl, so glaubten ihre Anhänger, werde den Zusammenschluß verwandter politischer Gruppie-

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Frankreich (III. Republik)

rungen begünstigen und damit stabile Mehrheiten im Parlament hervorbringen, wodurch zugleich die gelegentlich recht unnatürlichen Wahlbündnisse in den einzelnen Wahlkreisen, die die absolute Mehrheitswahl hervorbrachte, hinfällig würden. Außerdem sollte die Wahl „gerecht" sein und jeder politischen Meinung die Stärke in der Abgeordnetenkammer sichern, die ihr nach ihrer Anhängerschaft zukam. Soweit es ihren Interessen entsprach, machten sich die Parteien diese Forderung zu eigen. Die Rechte war unter der absoluten Mehrheitswahl stets nicht entsprechend ihrem Stimmenanteil an den Parlamentsmandaten beteiligt gewesen. Eine ähnliche Disproportion von Stimmen und Mandaten trat auch bei den folgenden Wahlen auf (s. Tab. A 4). Tabelle II: Stimmen und Mandate bei den Wahlen zur Abgeordnetenkammer 1876—1889 1885

Mandate Mandate in °/o

1889

Mandate Mandate in °/o Stimmen in °/o

1881

Mandate Mandate in °/o Stimmen in °/o

1877

Mandate Mandate in °/o Stimmen in °/o

Mandate Mandate in °/o Stimmen in °/o

Gruppierungen

1876

Stimmen in °/o

Jahr

Konservative 44,3 155 29,5 45,6 208 39,5 25,9 96 17,7 43,9 202 35,5 36.5 168 30,0 Boulangisten

8,9

42 7,5

Republikaner 55,7 371 70,5 54,4 318 60,5 74,1 445 82,3 56,1 367 64,5 54.6 350 62,5 Mandate insgesamt:

526

526

541

569

560

(Quelle: Campbell, s. BiblAng., S. 73 ff.)

Der Forderung der Rechten nach einer gerechteren Repräsentation schlossen sich die Rallierten und der rechte Flügel der gemäßigten Republikaner, die „Federation republicaine", an. Deren linker Flügel, die „Alliance democratique", war in dieser Frage gespalten, da ein Teil fürchtete, daß die Verhältniswahl den Block der Linken sprengen werde, der andere sich dagegen gerade diese Wirkung erhoffte, weil er nicht im Rahmen dieses Blockes gezwungen sein wollte, für soziale Reformen zu stimmen, die er nicht billigte. Radikale und Radikalsozialisten waren geschlossen Gegner der Verhältniswahl, da keine andere Partei von der Einerwahl so begünstigt wurde wie sie. In den zweiten Wahlgängen nämlich gewannen sie ihre Sitze, weil rechts von ihr die Alliance democratique, links von ihr die Sozialisten zu ihren Gunsten verzichteten. Trotzdem waren die Radikalen in der Diskussion um die Änderung des Wahlsystems gespalten, da ein Teil von ihnen f ü r die Mehrheitswahl nach Listen in Mehrmannwahlkreisen eintrat.

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Wahlreform und Wahlen von 1919

Die Sozialisten dagegen waren Anhänger der Verhältniswahl, nicht weil sie glaubten, dadurch die Anzahl ihrer Sitze steigern zu können, sondern um sich von der Notwendigkeit zu befreien, Wahlbündnisse mit der bürgerlichen Linken eingehen zu müssen. Sie hätten ihr Programm so ohne Einschränkung vor den Wählern verteidigen können, denn die Verhältniswahl hätte die Abgeordneten und Kandidaten in erster Linie von der Partei abhängig gemacht. Die Einführung der Verhältniswahl scheiterte vor dem Ersten Weltkrieg an der radikalen Mehrheit des Senats, bis dieser 1919 seine Zustimmung zu einem neuen Wahlsystem nicht mehr verweigern konnte. Doch hatte der Senat die Anhänger der Proportionalwahl zu solchen Konzessionen gezwungen, daß das neue Wahlsystem in Wirklichkeit eine — wenn auch außerordentlich komplizierte — Mehrheitswahl darstellte. Es ermöglichte zwar Minderheiten, Sitze zu erhalten, die sonst der Mehrheit zugefallen wären, aber es begünstigte große Wahlbündnisse, die die Parteien zu schließen versuchten, um die Mehrheitsprämie und damit die Gesamtzahl der Sitze eines Wahlkreises zu gewinnen. Insofern, als erneut alles auf das taktische Verhalten der Parteien ankam, funktionierte es teilweise unberechenbar. Außerdem ließ sich mit der Anzahl der Kandidaten einer Liste, die zwar die Anzahl der zu wählenden Abgeordneten nicht übersteigen durfte, jedoch geringer sein konnte, manipulieren, etwa, wenn zwei verwandte Parteirichtungen zwei unvollständige Listen statt einer vollständigen aufstellten. Grundlage der Wahlkreiseinteilung waren die Departements. Auf je 75 000 Einwohner oder angebrochene 75 000 über 37 500 sollte ein Abgeordneter gewählt werden. Departements, die mehr als sechs Abgeordneten zu bestellen hatten, konnten in zwei oder mehr Wahlkreise unterteilt werden, doch erhielt jedes Departement zumindest drei Abgeordnete. Die Kandidaturen waren individuell oder an Listen gebunden, diese durften nicht mehr Namen enthalten, als Sitze pro Wahlkreise zu vergeben waren. Individuelle Kandidaturen wurden wie Listen behandelt. Der Einzelkandidat mußte jedoch von mindestens 100 Wählern seines Wahlkreises durch beglaubigte Unterschriften unterstützt werden. Jeder Wähler hatte so viele Stimmen, wie Abgeordnete pro Wahlkreis zu wählen waren; Panaschieren war erlaubt, Kumulieren nicht. Die Stimmenverrechnung erfolgte in drei Stufen. Jeder Kandidat, der die absolute Mehrheit erhalten hatte, war gewählt. Blieben noch Sitze frei, sollte so verfahren werden: Zuerst berechnete man den Wahlquotienten, indem man die Anzahl der Wähler eines Wahlkreises, abzüglich der ungültig abgegebenen Stimmen, durch die Anzahl der zu wählenden Abgeordneten dividierte. Danach bestimmte man den

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Durchschnitt einer jeden Liste, indem die Anzahl der Stimmen, die die Kandidaten dieser Liste erhalten hatten, durch die Anzahl der Kandidaten dieser Liste geteilt wurde. Jeder Liste wurden so viele Sitze zugesprochen, wie ihr Durchschnitt den Wahlquotienten enthielt. Waren noch immer nicht alle Sitze vergeben, so erfolgte die Restverteilung nach dem größten Durchschnitt einer jeden Liste. Gewählt waren die Kandidaten der Liste, die die meisten Stimmen erhalten hatten. Der Einzelkandidat, wenn er nicht die absolute Mehrheit erreicht hatte, wurde erst dann in die Berechnung miteinbezogen, wenn Listenkandidaten, die mehr Stimmen als er erhalten hatten, schon gewählt waren. Doch galten die Kandidaten nur dann als gewählt, wenn die Anzahl ihrer Stimmen höher war als die Hälfte des Durchschnitts der Liste, der sie angehörten. Lag die Wahlbeteiligung eines Wahlkreises unter 50 Prozent oder enthielt keine Liste den Wahlquotienten, sollte 14 Tage später ein zweiter Wahlgang stattfinden, in dem die relative Mehrheit genügte, falls wieder keine Liste den Wahlquotienten erreichte. Doch mußte 1919 nur in einem einzigen Wahlkreis in Frankreich ein zweiter Wahlgang durchgeführt werden. Nachwahlen sollten innerhalb von drei Monaten stattfinden. Doch bestimmte ein Gesetz vom Febraur 1920, daß in Wahlkreisen, die zwischen vier und zwölf Abgeordnete zu bestellen hatten, zumindest zwei Sitze frei geworden, in Wahlkreisen, die mehr als zwölf Abgeordnete wählten, drei Sitze frei geworden sein mußten, bevor Nachwahlen abgehalten werden durften. Im Oktober 1919 wurde die Mitgliederzahl des Senats von 300 auf 314 erhöht, da Elsaß-Lothringen wieder französisch geworden war; die Abgeordnetenkammer erhielt 24 neue Mitglieder. Bei den Wahlen von 1919 (zum exakten Wahlergebnis s. Tab. A 5) bildeten die Radikalen in mehr als der Hälfte der Wahlkreise ein Wahlbündnis mit den Konservativen (Bloc national), das in einem Drittel der Wahlkreise alle Mandate gewann. Die Sozialisten, bereits an Stimmen weit unterlegen, wurden durch das Wahlsystem auf die Hälfte dezimiert. Während der Bloc national mit 33,4 Prozent der Stimmen 44,8 Prozent der Mandate erzielte und mit den niditverbundenen Listen der Rechten insgesamt 79,9 Prozent der Mandate besaß, erreichten die Sozialisten mit 22,7 Prozent der Stimmen nur 11,1 Prozent der Mandate. Bei den folgenden Wahlen des Jahres 1924 (s. Tab. A 5) trat die Wirkweise des Wahlsystems noch deutlicher zutage. Dazu war allerdings das Wahlgesetz in einigen Punkten modifiziert worden, um insbesondere verwandten Parteirichtungen die Möglichkeit zu nehmen, mit der Anzahl der Kandidaten zu manipulieren. Jede Liste mußte nun so viele Namen enthalten, wie Abgeordnete pro

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Wahlreform von 1927 und Wahlen von 1928—1932

Wahlkreis zu bestellen waren. Ein zweiter Wahlgang sollte nur dann stattfinden, wenn keine Liste den Wahlquotienten erreicht oder weniger als ein Drittel der Wahlberechtigten gewählt hatte. Während die Rechte die Wahlbündnisse von 1919 nicht zu erneuern vermochte, trat nun die Linke bis auf die Kommunisten geschlossen auf. Das „Cartel des Gaudies" konnte zwar mit 38,1 Prozent der Stimmen die Rechte nidit ganz erreichen, die insgesamt 39,5 Prozent der Stimmen auf sich vereinigte, überflügelte sie aber mit 46,8 gegenüber 40,3 Prozent deutlich im Mandatsanteil. Der Vorteil der vereinigten Linken ging allerdings zu Lasten der Mitte und der extremen Linken, da die Vor- und Nachteile der Rechten und Linken in den einzelnen Wahlkreisen sich insgesamt ausglichen. Radikale, Radikalsozialisten und Sozialisten erreichten mit ihrer gemeinsamen Liste in 28 Wahlkreisen alle 129 Mandate, von denen bei proportionaler Verteilung die Rechte 44 Mandate erhalten hätte. Die Rechte war in gleicher Weise in 18 Wahlkreisen mit insgesamt 90 Sitzen erfolgreich, von denen die Linke nach Proporz 22 Mandate gewonnen hätte. In den restlichen 51 Wahlkreisen traten weniger große Disproportionen auf, aber nur in acht von ihnen herrschte ein gleiches Verhältnis von Stimmen und Mandaten vor. Ein zweiter Wahlgang war im übrigen nirgends notwendig. Obwohl die Mehrheit des Cartel des Gauches 1926 zerfiel, fanden sich Radikale, Radikalsozialisten und Sozialisten 1927 erneut zusammen, um für die Wahlen von 1928 eine Änderung des Wahlsystems herbeizuführen. Die Einerwahl wurde wieder eingeführt. Die Sozialisten traten nun für das Wahlsystem von 1875 ein, das sie ehemals heftig bekämpft hatten, da ihr Interesse an Wahlbündnissen mit der bürgerlichen Linken gewachsen war, seitdem sich die Kommunisten als extreme Linke etabliert hatten. Die Uneinigkeit von Radikalen und Sozialisten gegenüber der Regierung Poincare gestattete es ihnen nicht, gemeinsame Listen aufzustellen, so daß die Beibehaltung des Wahlsystems von 1919/1924 einen Wahlerfolg von vornherein verhindert hätte. Die Einerwahl aber ließ wenigstens Spielraum zu gegenseitigen persönlichen Wahlabsprachen der einzelnen Kandidaten. Die Arrondissements bildeten die Grundlage der Wahlkreiseinteilung, die so vorgenommen wurde, daß sichere Wahlkreise für die ausscheidenden Abgeordneten entstanden. Dieser willkürliche Maßstab kam audi darin zum Ausdruck, daß beträchtliche Differenzen in der Wahlkreisgröße auftraten: der kleinste Wahlkreis besaß 22 338, der größte aber 137 718 Einwohner. Insgesamt waren die ländlichen Gebiete gegenüber den städtischen, besonders den Gebieten mit starker Arbeiterschaft, überrepräsentiert. Algerien erhielt neun Mandate; die übrigen Kolonien wählten weiterhin zehn Abgeordnete. Der zweite Wahlgang sollte eine Woche nach dem ersten stattfinden.

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Die Wahlen von 1928 (s. Tab. A 5) erfüllten die Hoffnungen der Linken nicht, vor allem weil die Kommunisten ihre Kandidaturen in den zweiten Wahlgängen, von denen 422 bei insgesamt 612 zu vergebenden Mandaten stattfanden, aufrecht erhielten. Die Kommunisten erreichten zwar mit 11,37 Prozent der Stimmen nur 2,36 Prozent der Mandate, womit ein Zweck der Wahlreform erfüllt wurde. Aber sie minderten durch die Ablehnung von Wahlbündnissen die Chancen der übrigen Linksparteien in den zweiten Wahlgängen. Entscheidend war aber auch, daß die radikale Wählerschaft in großer Zahl dort, wo ein radikaler Kandidat zugunsten eines Sozialisten im zweiten Wahlgang verzichtet hatte, nicht sozialistisch, sondern für die Rechte und die RechteMitte stimmte. Diese Gruppen, die sich gegen den Wahlsystemwechsel ausgesprochen hatten, profitierten somit am meisten von der Einerwahl, da sie sich tatsächlich den Bedingungen des Wahlsystems anzupassen wußten und unter Einschaltung einer nationalen interparteilichen Kommission in aller Regel in den zweiten Wahlgängen nur einen Kandidaten nominierten. Mit zusammen 46 Prozent der Stimmen erhielten sie 55 Prozent der Mandate. Dieser Wahlsieg und die starken Gegensätze innerhalb der Linksparteien veranlaßten die Rechte, die Einführung der relativen Mehrheitswahl zu betreiben, von der sie sich erhebliche Mandatsgewinne auf Kosten der Linken versprechen konnte, wenn die rechten Gruppierungen sich bereits beim ersten Wahlgang auf nur einen Kandidaten im Wahlkreis einigten. Zudem wollte sie die Herausbildung eines Zweiparteiensystems begünstigen, um eine größere Regierungsstabilität zu erreichen. Die Kammermehrheit der Rechten fand aber den Widerstand des Senats, der die Wahlsystemreform als einen Angriff auf die geheiligten Fundamente der Republik wertete und die Einführung der relativen Mehrheitswahl für die Wahlen von 1932 vereitelte. Danach blieb das Wahlsystem bis zum Ende der III. Republik nun unverändert. Wie sehr im bestehenden Wahlsystem der Ausgang der Wahlen von den Wahlbündnissen abhing, vor allem auch vom („disziplinierten") Wahlverhalten in den zweiten Wahlgängen, zeigten die beiden letzten Wahlen unter der III. Republik von 1932 und 1936 (s. Tab. A 5). Die Rechte verlor 1932 nur 0,5 Prozent der Stimmen, büßte aber 11,6 Prozent der Mandate ein. Vier Jahre später bildeten die Linksparteien eine Volksfront, die mit 57 Prozent der Stimmen 64 Prozent der Mandate gewann. Erstmals konnten die Sozialisten prozentual erheblich mehr Mandate als Stimmen erringen. Besonders deutlich wird der entscheidende Einfluß des wahltaktischen Verhaltens der Parteien im absoluten Mehrheitswahlsystem in der Stimm- und Man-

Politische Parteien und Gruppierungen

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datsentwicklung der kommunistischen Partei. Bei nach 1928 unverändertem Wahlsystem traten, wie Darstellung I zeigt, erhebliche Veränderungen in der Relation von Stimmen und Mandaten auf, je nachdem, ob sich die Partei zu Bündnissen mit der gemäßigten Linken bereitfand oder nidit. Darstellung I: 1924—1936

Stimmen und Mandate der kommunistischen Partei in Frankreich

25 _ I I = Stimmen 20 S15

£

cfciO ί 0

SM

im

11,37

I = Mandate 15,67 8,36

2,36 1,92 Eza_ \Z2L· 1928 1932

1936

Wahljahre

(Quelle: nach Duverger, Die politischen Parteien, Tübingen 1959, S. 328)

Die politischen Gruppierungen zu Beginn der III. Republik waren Ausdruck der unversöhnlichen Feindschaft zwischen den zumeist antiklerikalen Republikanern und den katholischen Monarchisten. Zwar begannen gemäßigte Konservative, die ehemaligen Orleanisten, und gemäßigte Republikaner gegen Ende der achtziger Jahre und zu Beginn der neunziger Jahre zusammenzuarbeiten, während sich der Riß zwischen gemäßigten und radikalen Republikanern als Folge ihrer unterschiedlichen Einstellung zur Kirche vertiefte, so daß während der neunziger Jahre die Herausbildung zweier großer Parteien möglich erschien. Doch brachen der Panama-Skandal und die Dreyfus-Affäre die latenten Konflikte zwischen Gegnern und Anhängern der Republik wieder auf, wodurch sich das Vielparteiensystem endgültig verfestigte. Im Jahre 1891 forderte Papst Leo X I I I . die französischen Katholiken auf, sich mit der Republik zu versöhnen, weil er die Interessen der Kirche von den politischen Zielen der monarchistischen und bonapartistischen Parteien trennen wollte. Ein großer Teil der Katholiken und des Klerus wiedersetzte sich dieser Versöhnung (ralliement) und blieb den politischen Rechtsgruppierungen verbunden. Wenige Versuche, den Gegensatz zwischen Kirche und Republik zu überwinden, wurden vor dem Ersten Weltkrieg mit der „Action liberale populaire" und um 1924 durch die Gründung der „Demokratischen Volkspartei" (Parti democrate populaire) unternommen, christlich-demokratische Parteien, die aber beide kaum politische Bedeutung gewannen. Die ursprüngliche Opposition der Monarchisten gegen die Republik verwandelte sich allmählich unter dem Einfluß der Bonapartisten, die

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seit 1875 wiedererstarkt waren, in Antiparlamentarismus, der in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen stark autoritär-faschistische Züge erhielt. Die Agitation der antidemokratischen Ligen, etwa der „Action franjaise" oder des „Croix de feu", zwischen 1924 und 1926 und 1934 bewies, wie wenig die Rechte auch nach dem Ersten Weltkrieg bereit war, das Regierungssystem der III. Republik zu akzeptieren. Die radikalen Republikaner, seit 1901 „Parti republicain radical et radical-socialiste", haben das Regierungssystem der III. Republik entscheidend geprägt. Ursprünglich zur extremen Linken zugehörig, glitten die Radikalen allmählich zur Mitte hinüber, als sie die Wähler auf dem flachen Land zu gewinnen begannen. Zwischen den beiden Weltkriegen zählten sie zur linken Mitte; das heißt, die Radikalen blieben weiterhin auf politische Reformen bedacht, lehnten jedoch wirtschaftliche und soziale Eingriffe, wie die Sozialisten sie forderten, entschieden ab, ohne allerdings auf ihre Wahlbündnisse mit den Sozialisten zu verzichten. Der „Sozialistischen Partei" (Section franjaise de l'Internationale Ouvriere / SFIO), die 1905 durch den Zusammenschluß mehrerer kleinerer sozialistischer Gruppen gegründet worden war, gelang es neben den Kommunisten als einziger politischen Gruppe, nicht nur eine straffe Parteiorganisation aufzubauen, sondern ihre Abgeordneten dem Fraktionszwang zu unterwerfen; alle anderen Parteien waren darin mehr oder minder erfolglos. Waren die Sozialisten vor dem Ersten Weltkrieg noch Sozialrevolutionär, so entwickelte sich die SFIO in der Zeit zwischen 1919 und 1939 allmählich zu einer (entsprechend der französischen Terminologie) „radikalen" Partei, die in ihrer politischen Tätigkeit, ganz im Sinne ihrer Wähler, auf revolutionäre Maßnahmen verzichtete. Doch blieben die Sozialisten auch nach der Abspaltung der Kommunisten 1920 ihrem revolutionären und marxistischen Wortschatz treu, so daß sich bei ihnen wie bei den Radikalsozialisten dasselbe Phänomen zeigte: politische Wirklichkeit und Ideologie brachen mehr und mehr auseinander. Die Haltung der Kommunisten, grundsätzlich gegen jede Regierung zu stimmen, vergrößerte die Schwierigkeiten, denen sich die Linke nach dem Ersten Weltkrieg gegenübersah. Hatten die Parteien seit 1900 in der Abgeordnetenkammer und im Senat größeren Einfluß erlangt, so sollten sie doch nicht zur Stabilität des Regierungssystems beitragen. Im Gegenteil, Parteikongresse der Radikalsozialisten etwa, die oft nur von einer Minderheit besucht wurden, zwangen gelegentlich ihre eigenen Minister, aus der Regierung auszutreten, was dann meist den Sturz des gesamten Kabinetts zur Folge hatte.

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Wahlgeographie um 1900/Politische Entwicklung nach 1919

Die wahlgeographische Struktur Frankreichs zu Beginn der III. Republik war wie folgt gekennzeichnet: Die Rechte (Konservative) herrschte im Westen Frankreichs vor, die Linke (Republikaner) im Osten. Allerdings besaßen die Republikaner in fast allen Städten des Landes die Mehrheit. Eine weitere Abweichung von der Nord-Süd-Achse trat im Zentralmassiv auf, wo die Rechte über starke Positionen im Südosten, die Linke im Nordwesten verfügte. In den Jahren nach 1870 drangen die Republikaner, später die Radikalen, mehr und mehr in die ländlichen Gebiete Frankreichs vor, besonders im Süden, während die Rechte sich im Nordosten des Landes etablierte. Um 1900 dominierten im Norden die Konservativen; der Süden, mit Ausnahme des südlichen Teils des Zentralmassivs, war den Republikanern und Radikalen zugefallen. Die Sozialisten gewannen zwischen 1900 und 1914 die Industriegebiete im Norden, im Pas-de-Calais und in den Pariser Vororten; nach 1919 kamen die elsässischen Industriegebiete hinzu. Zugleich eroberte die SFIO ehemals radikale Positionen im oberen Loiretal und im Ostteil des Mittelmeerbeckens. Die Radikalen dagegen gewannen den Westen und Südwesten. Nach dem Ersten Weltkrieg prägte sich diese Entwicklung deutlicher aus: Zwischen 1920 und 1936 drangen die Sozialisten mehr und mehr in den Süden (Midi) vor, wo die Radikalen zwischen 1900 und 1914 ihre Hochburgen besessen hatten, 1936 gewannen sie den Westen und Südwesten, die radikalen Positionen von 1920. Um die gleiche Zeit wurden die Kommunisten Nachfolger der Sozialisten in den Pariser Vororten, im Norden, in den Industriegebieten des Elsaß, in Mittelfrankreich und an der Mittelmeerküste. Außerdem gewannen die Kommunisten einige ländliche Departements, so Lot-et- Garonne und Cher. Die Rechte behielt ihre Positionen, die sie schon zu Beginn des Jahrhunderts inne gehabt hatte, weitgehend bei: den Nordwesten, den Nordosten, das Kernstück des Zentralmassivs und vereinzelte Bastionen im äußersten Südwesten und äußersten Südosten. Dabei läßt sich in großen Zügen eine Übereinstimmung zwischen den wahlgeographischen Positionen der Rechten und den ländlichen Gegenden Frankreichs feststellen, in denen die Bevölkerung strenggläubig katholisch ist, wobei allerdings der politische Konservatismus des Nordens stärker ausgeprägt war als der Prozentsatz praktizierender Katholiken, während sich im Süden das umgekehrte Phänomen zeigte. Diese Beziehung hat auch nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Gültigkeit nicht ganz verloren, lockerte sich jedoch wesentlich durch die rapide Abnahme der Landbevölkerung. Nach dem Ersten Weltkrieg wurden die Parteien mit wirtschaftlichen Problemen, internationalen Konflikten und mit den aus der Indu-

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strialisierung und aus den Nachkriegswirren resultierenden Schwierigkeiten konfrontiert, die an sie und ihre Zusammenarbeit weit höhere Anforderungen stellten als vor 1914. Der Teil der gemäßigten Republikaner, der am wenigstens zu sozialen Reformen bereit war, schloß sich mehr und mehr der Rechten an, so daß diese einen wesentlich größeren politischen Einfluß gewinnen konnte als vor 1914. Zugleich vertiefte sich der Riß zwischen den Parteien der Linken. Eine ernsthafte Zusammenarbeit zwischen Radikalsozialisten und Sozialisten war so lange nicht möglich, als die ersteren nicht zu wirtschaftlichen und sozialen Reformen bereit waren, die letzteren aber bis 1935 dem Beschluß des Internationalen Arbeiterkongresses von Amsterdam (1905) treu blieben, der sozialistischen Parteien die Teilnahme an bürgerlichen Regierungen untersagte. Dennoch hielten beide Parteien an ihren Wahlbündnissen fest, die Radikalsozialisten, um nicht nach rechts abgedrückt zu werden, die Sozialisten vor allem, um den Erfolgsbedingungen des Wahlsystems zu entsprechen. So sind die Regierungsverhältnisse zwischen 1919 und 1939 dadurch gekennzeichnet, daß die Rechte nach Wahlsiegen (1919, 1928) die Regierung bis zum Ende der Wahlperiode tragen konnte, auch wenn es sich dabei keineswegs um stabile Kabinette handelte. Errang die Linke in den Wahlen die Mehrheit (1924, 1932, 1936), zerbrach regelmäßig nach zwei Jahren das Bündnis zwischen Radikalen, Radikalsozialisten und Sozialisten; die Radikalen schlössen sich dann jeweils den Gemäßigten und Konservativen an. Die Legislaturperiode endete mit einer Regierung, die, auf das neue Bündnis gestützt, von der Linken abgelehnt wurde. Nur die Bedrohung der Republik durch die wachsende faschistische Bewegung in Frankreich vermochte 1936 die Linke in der Volksfront zu einen. Sobald die Gefahr jedoch gebannt war, brachen die Gegensätze zwischen Radikalsozialisten, Sozialisten und Kommunisten unvermindert wieder auf, zumal die letzteren auch nach 1936 im Grunde nicht bereit waren, Regierungsverantwortung zu übernehmen. Zur wachsenden Instabilität der Regierungen trug während der Zwischenkriegszeit auch der Senat bei, indem er seinerseits bald Regierungen zu stürzen begann. Entsprechend seiner politischen Zusammensetzung versuchte der Senat mit allen Mitteln, eine Politik zu betreiben, die die gemäßigten Kräfte zusammenfaßte, die extreme Linke einschließlich der Sozialisten und die extreme Rechte aber in die Opposition drängte. Damit wandte er sich gegen jede Tendenz zu einem Zweiparteiensystem, gegen eine klare Trennung von „rechts" und 31 Sternberger-Vogel, Parlamente 1,1

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Vidiy/Risistance/Konstituanten 1945/1946

„links" und gegen ein Wechselspiel zwischen Regierungsmehrheit und Opposition. Der gesteigerten Aktionsunfähigkeit des Parlaments suchte die Regierung seit 1934 durch ein Vollmachtenregime Herr zu werden. Sie ließ sich das Recht geben, durch den Erlaß von Dekreten mit Gesetzeskraft (decrets-lois) einen Teil der legislativen Aufgaben zu erfüllen, um zumindest die dringendsten politischen Probleme zu lösen. Da diese Praxis jedoch nicht zur Stabilität der einzelnen Kabinette beitrug, blieben viele Reformen des sozialen und wirtschaftlichen Bereiches im Ansatz stecken. Die Bevölkerung verlor schließlich das Vertrauen in ein politisches Personal und ein Regierungssystem, die so wenig in der Lage waren, den nationalen Anforderungen zu entsprechen. Den Belastungen des Zweiten Weltkrieges konnte die III. Republik erst recht nicht standhalten. Im Juni 1940 erhielt Marschall Philippe Petain von beiden Kammern die Vollmacht, eine neue Verfassung zu schaffen. Die Regierung Petain zog sich während des Zweiten Weltkrieges nach Vichy zurück, wo sie mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung begann. Zu gleicher Zeit bildete General Charles de Gaulle zuerst in London, später in Algier, ein Widerstandszentrum zur Befreiung Frankreichs; er erkannte das Vichy-Regime nicht an. Im Juni 1944 wandelte er das „Comite franfais de la Liberation nationale", dessen Präsident er war, in die provisorische Regierung der Republik mit ihm selbst als Regierungschef um. In einer Fülle von Ordonnanzen und Dekreten bereitete de Gaulle von Algier aus das politische Leben Frankreichs nach der Befreiung vor. Mit dem Einzug der provisorischen Regierung in Paris (August 1944), die inzwischen vom Ausland wie von der französischen Resistance als rechtmäßig angesehen wurde, verlor die Regierung Petain schließlich jede politische Zustimmung und hörte damit faktisch zu bestehen auf. Sobald es de Gaulle nach Kriegsende politisch möglich und günstig erschien, ließ er Neuwahlen ausschreiben. Zugleich hatten die Wähler in einem Referendum darüber zu entscheiden, welche Funktion die neue Kammer ausüben sollte. Drei Möglichkeiten standen zur Wahl: die Rückkehr zur Verfassung von 1875, die Wahl einer unbeschränkt verfassunggebenden Versammlung oder die Wahl einer zeitlich und politisch begrenzten Konstituante. Die Regierung setzte sich offen für die dritte Lösung ein. Auch die Wähler entschieden sich im Referendum vom Oktober 1945 mit großer Mehrheit (s. Tab. A 6) gegen die ersten beiden Vorschläge. Die neugewählte Versammlung, deren Mandat auf sieben Monate festgelegt war, schuf eine Verfassung, die jedoch zum ersten Mal in der französischen Verfassungsgeschichte am 5. Mai 1946 von der Bevölkerung zurückgewiesen wurde, da der Entwurf ein

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Regierungssystem vorsah, das sich in hohem Maße der Versammlungsregierung näherte. Auf der Grundlage dieses Entwurfs arbeitete die im Juni ebenfalls auf sieben Monate gewählte zweite verfassunggebende Versammlung ein neues Projekt aus, das dann im Oktober 1946 mit knapper Mehrheit (s. Tab. A 6) von den Wählern gebilligt wurde. Für die Wahlen zu den verfassunggebenden Versammlungen hatte die provisorische Regierung einige Wahlgesetzänderungen verordnet, die den Beginn der IV. Republik entscheidend beeinflußten. So wurden jetzt die Frauen wahlberechtigt; außerdem durften Soldaten und Seeleute im Dienst wieder wählen. Infolge der Wahlrechtsänderung verdoppelte sich die Zahl der Wahlberechtigten von 11 768 491 im Jahre 1936 auf 24 622 862 im Jahre 1945. Das Frauenstimmrecht wurde nidit nur von den Rechtsparteien, die dessen Einführung zum Teil schon in der III. Republik gefordert hatten, begrüßt; auch die Sozialisten und Kommunisten überwanden ihre traditionelle Abneigung gegen die Frauen als Wählerinnen, deren „klerikale" und konservative Einstellung sie bis dahin gefürchtet hatten. Nur die Radikalen blieben Gegner des Frauenwahlrechts. Tatsächlich stimmten die Frauen 1945 und in den späteren Wahlen stärker als die Männer für katholische und konservative Parteien. Die christlich-demokratischen „Volksrepublikaner" (Mouvement Republicain Populaire, MRP) verdankten ihre großen Wahlerfolge nach dem Zweiten Weltkrieg in erster Linie den Frauen. Meinungsumfragen lassen vermuten, daß 1945/1946 etwa 60 Prozent der MRP-Wähler Frauen, 60 Prozent der kommunistischen Wähler dagegen Männer waren. Audi das Wahlredit in den französischen Kolonien wurde ausgedehnt. Während jedoch in den vier überseeischen Departements (Martinique, Guadeloupe, Reunion, Guyane) seit 1848 bzw. 1870 das allgemeine und gleiche Männerwahlrecht auch für die Eingeborenen galt, erhielten die überseeischen Territorien und Algerien auch nach dem Zweiten Weltkrieg nur eine reduzierte Vertretung und durften zum Teil nicht an den Referenden teilnehmen. Neben dem Frauenwahlrecht war die Einführung der Verhältniswahl die entscheidendste Veränderung, die die provisorische Regierung vornahm. Die Wahl zur verfassunggebenden Versammlung sollte nach de Gaulles Ansicht nach einem Wahlsystem erfolgen, das allen politischen Richtungen eine ihrer Stimmstärke in der Wählerschaft entsprechende parlamentarische Repräsentation sichern würde. Das entsprach damals zugleich den Wünschen fast aller Parteien, da seit neun Jahren keine Wahlen mehr stattgefunden hatten und die politischen Gruppen sich über ihre Anhängerschaft im unklaren waren. Die Parteien sahen in

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Wahlrecht in Mutterland und Kolonien

der Verhältniswahl eine Art gegenseitiger Versicherung, daß keine von ihnen aufgrund des Wahlsystems benachteiligt würde. Insbesondere aber bedeutete das Proporzsystem eine Abwehr möglicher Wahlbündnisse zwischen Kommunisten und Sozialisten, denen sich die letzteren sonst kaum hätten entziehen können. Aktiv wahlberechtigt waren alle männlichen und weiblichen Einwohner, die das 21. Lebensjahr vollendet hatten. Franzosen, die Mitglied der Ehrenlegion, Träger der Militärmedaille, des Befreiungskreuzes, persönliche Träger des Kriegskreuzes und Träger der Resistancemedaille waren, durften nach einem Gesetz von 1946 mit 18 Jahren wählen. Wählbar war jeder Wahlberechtigte, der das 25. Lebensjahr vollendet hatte. Im Oktober 1946 wurde das Wählbarkeitsalter auf 23 Jahre gesenkt. Die Wahl vollzog sich auf Departementsebene. Nationale Listen und eine Verrechnung der Reststimmen auf nationaler Ebene waren nicht vorgesehen. Jedes Departement wählte auf 100 000 Einwohner einen Abgeordneten, einen weiteren, wenn die Restzahl mindestens 25 000 betrug. Zwei Abgeordnete bestellte jedes Departement unabhängig von seiner Einwohnerzahl. Erhielt ein Departement mehr als neun Abgeordnete, wurde es in Wahlkreise unterteilt, die jeweils drei bis neun Sitze zu vergeben hatten. Die Wahl erfolgte nach starren Listen; jede Liste mußte so viele Namen enthalten, wie Abgeordnete pro Wahlkreis zu bestellen waren. Der Wähler konnte nur einer Liste seine Stimme geben, die Reihenfolge der Kandidaten durfte er nicht verändern. Die Berechnung der Mandate erfolgte nach dem Wahlzahlverfahren (Wahlquotienten; S. 46). Falls noch nicht alle Mandate vergeben waren, wurde in der Zweitzuteilung nach der Regel des größeren Durchschnitts (-»• S. 52 f.) verfahren. Für diese Berechnung wurde die Anzahl der Stimmen, die eine Liste erhalten hatte, durch die Anzahl der bereits gewonnenen Mandate plus eins dividiert. Die Liste mit dem größten Durchschnitt erhielt den weiteren Sitz. Die Methode des größten Durchschnitts, die nun angewandt wurde, bis alle Mandate vergeben waren, begünstigte ebenso wie die ausschließliche Mandatsverrechnung in den Wahlkreisen die großen Parteien (s. Tab. A 7). In die verfassunggebenden Versammlungen entsandte Frankreich 522 Mitglieder, die Kolonien 64 Abgeordnete. In den vier überseeischen Departements Guadeloupe, Guyane, Martinique und Reunion, in Indes fran5aises und in Algerien galt das allgemeine Wahlrecht, doch wurden in Algerien doppelte Wahlkollegien geschaffen. Zu dem ersteren Kollegium gehörten alle französischen Bürger beiderlei Geschlechts, assimilierte Eingeborene und Eingeborene mit besonderen

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intellektuellen oder bürgerlichen Qualifikationen (Diplome, öffentliche Funktionen, Dekorationen). Im zweiten Kollegium sammelten sich die übrigen Eingeborenen. Die zahlenmäßige Differenz zwischen den beiden Wahlkörpern, die die gleiche Anzahl von Abgeordneten bestellten, wurde noch dadurch verstärkt, daß die Europäer im ersteren die absolute Mehrheit besaßen. Tatsächlich war außerdem ein großer Teil der Muselmanen vom Wahlrecht ausgeschlossen, da die algerische Versammlung niemals das Wahlrecht regelte, wie es ihre Aufgabe gewesen wäre, teils weil die Europäer nicht die Zahl der eingeborenen Wähler erhöhen wollten, teils, weil konservative Muselmanen sich gegen eine zu schnelle Emanzipation der Frau wandten. In den übrigen überseeischen Territorien Comores, Cote franfaise des Somalis, Nouvelle Caledonie, Polynesie francaise, St.-Pierre-et-Miquelon (gehören noch zu Frankreich), Cote d'Ivoire, Dahomey, Guinee, Haute-Volta, Mauritanie, Niger, Senegal, Soudan, Moyen-Congo, Oubangui-Chari, Tschad, Madagascar, ab Oktober 1946 Cameroun, Togo und Cochinchine (inzwischen unabhängig geworden) besaßen alle französischen Bürger beiderlei Geschlechts das Wahlrecht, ebenso die Eingeborenen beiderlei Geschlechts, wenn sie gewisse Fähigkeitsnachweise erbringen konnten. Einige Territorien wählten wie Algerien in doppelten Wahlkollegien. 1951 wurde das Wahlrecht in den überseeischen Territorien erweitert, und zwar im Hinblick auf soziale und familiäre Kriterien. Familienväter, die das steuerliche Minimum zahlten, Mütter von zwei Kindern usw. erhielten das Wahlrecht. Die Zahl der Wahlberechtigten (1946 waren es 1,5 Millionen in Schwarzafrika) vervierfachte sich zwischen 1946 und 1951. Unter dem Drude der Massen der Eingeborenen und als Folge des Indochina- und Algerienkrieges wurde 1956 das allgemeine Wahlrecht in den überseeischen Territorien eingeführt und die doppelten Wahlkollegien wurden aufgehoben. 1957 gab es zehn Millionen Wahlberechtigte in Schwarzafrika. Die Verhältniswahl war einer der wesentlichen Gründe für eine völlige Veränderung der französischen Parteienstruktur nach dem Zweiten Weltkrieg. Große, straff organisierte und disziplinierte Parteien, deren oberste Gremien über Kandidaten und Abgeordnete eine erhebliche Autorität besaßen, beherrschten die verfassunggebenden Versammlungen. Die starren Listen ließen die Kandidaten von den Parteien völlig abhängig werden. Zudem verhinderte die kurze Dauer des Mandats persönliche Beziehungen zwischen Wählern und Gewählten. Diese Veränderung ging audi mit darauf zurück, daß die bereits unter der III. Republik gut organisierten und disziplinierten Parteien erheblich an Stimmen gewannen. Kommunisten und Sozialisten, die sich in der Resistance das Vertrauen eines großen Teiles der Bevölkerung erworben hatten, erhielten 1945 und 1946 die Hälfte aller Mandate.

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Verfassung von 1946/Regierungssystem

Die Volksrepublikaner, die ebenfalls aus der Resistance hervorgegangen waren und eine Versöhnung zwischen christlichem und sozialistischem Gedankengut anstrebten, stellten ein weiteres Viertel der Abgeordneten. Diese drei Parteien schlossen sich zu einer Koalition zusammen, die de Gaulle die Möglichkeit nahm, die Verfassungsdebatte zu bestimmen, was ihn schließlich im Januar 1946 zum Rücktritt bewog. Im Herbst desselben Jahres forderte er die Wähler öffentlich auf, gegen den zweiten Verfassungsentwurf zu stimmen. Damit begann die Opposition de Gaulles und seiner Anhänger gegen die IV. Republik. Die drei Koalitionspartner dagegen versuchten, die Mängel der III. Republik zu überwinden, deren Hauptursache für sie in dem allzu großen Individualismus des französischen politischen Personals gelegen hatte. Bei den Radikalen und der Rechten war die Parteidisziplin nicht größer als vor dem Krieg, doch stellten sie jetzt nicht mehr 70 Prozent, sondern nur noch ein Viertel der Abgeordneten. Das Regierungssystem nach der Verfassung von 1946 unterschied sich nicht wesentlich von dem der III. Republik. Der Präsident der Republik wurde auf sieben Jahre in gemeinsamer Sitzung beider Kammern mit absoluter Mehrheit gewählt. Im Gegensatz zu 1875 sah die Verfassung die Rolle des Ministerpräsidenten (President du conseil des ministres) vor, dem ein Teil der Rechte, die das Staatsoberhaupt nominell in der III. Republik besessen hatte, übertragen wurde. Tatsächlich konnte jedoch der Präsident in der Zeit nach 1946 einen größeren politischen Einfluß ausüben als seine Vorgänger. Das Zweikammersystem, das die Sozialisten und Kommunisten im ersten Verfassungsentwurf abgeschafft hatten, wurde auf Drängen der Volksrepublikaner beibehalten, nur unter anderer Benennung der Organe. Die Abgeordnetenkammer hieß nun „Nationalversammlung", der Senat „Rat der Republik". Seine politischen Rechte wurden im Vergleich zu 1875 erheblich vermindert. Der Rat der Republik besaß nur noch beratende Funktion; an seine Beschlüsse war die Nationalversammlung nicht gebunden. Das Übergewicht des Parlaments im Verfassungssystem war auch für die IV. Republik kennzeichnend. Obwohl die Verfassungsgeber Regelungen getroffen hatten, die einer Stabilisierung der Regierung dienen sollten, führten diese Bestimmungen weniger zu diesem Ziel als zu einer Machtsteigerung der Nationalversammlung. So bedurfte der vom Präsidenten designierte Ministerpräsident der Zustimmung der absoluten Mehrheit der gesetzlichen Kammermitglieder, bevor er seine Kabinettsliste zusammenstellte. Auf diese Weise sollte die Mehrheit der Abgeordneten an die Person des Regierungschefs gebunden werden. In der Praxis stellten jedoch die Ministerpräsidenten nach der Regierungsbildung häufig zum zweiten Mal die Vertrauensfrage und wurden

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dann gelegentlich gestürzt. Die Einflußnahme der Nationalversammlung auf die Auswahl der Minister wuchs dadurch erheblich. Konnte der Ministerpräsident laut Verfassung nur durch die absolute Mehrheit der gesetzlichen Kammermitglieder zum Rücktritt gezwungen werden, so demissionierten die Regierungschefs häufig auch dann, wenn sie nur die relative Mehrheit gegen sich hatten. Die komplizierte Regelung der Vertrauensfrage nahm der Regierung schließlich ein Mittel, das in der III. Republik oft dazu verwandt worden war, um für Regierungsvorlagen die nötige Mehrheit in der Kammer zu finden. So war die Regierungsinstabilität in der IV. Republik nach kurzer Zeit noch größer als in ihrer Vorgängerin. Die Tendenz, die Macht der Regierung einzuschränken, die der Tradition der französischen Linken entsprach, zeigte sich ebenfalls in den institutionellen Regelungen, die die Auflösung der Nationalversammlung betrafen. Die Voraussetzungen dazu (zwei Kabinettskrisen innerhalb von 18 Monaten im Rahmen der von der Verfassung fixierten Bestimmungen) machten die Auflösung eher von der Kammer als von der Regierung abhängig. Trotzdem wagte der radikalsozialistische Ministerpräsident Edgar Faure, nachdem die von der Verfassung vorgeschriebenen Bedingungen erfüllt waren, die Kammer am 1. Dezember 1955 aufzulösen, ein Ereignis von großer Tragweite, da die letzte Kammerauflösung in Frankreich auf das Jahr 1876 zurückging. Die politische Macht der Regierung wuchs, weil die Nationalversammlung ihrem Machtanspruch infolge ihrer Zersplitterung nicht gerecht werden konnte. Die steigende Bedeutung der Außenpolitik, die vielfältigen innenpolitischen Aufgaben der Nachkriegszeit und die Kriege in Indochina und Algerien ließen den Ministerpräsidenten zur wichtigsten Figur im Regierungssystem der IV. Republik werden, da Entscheidungen getroffen werden mußten, zu denen das Parlament infolge seiner inneren Schwäche nicht fähig war. Der Regierungschef war schließlich gezwungen, zur Praxis der decrets-lois zurückzukehren, obwohl die Verfassung dies ausdrücklich untersagte (Art. 13). Die Nationalversammlung wurde auf fünf Jahre gewählt. Sie sollte 627 Mitglieder haben: 544 für Frankreich, 30 für Algerien, neun für die überseeischen Departements und 43 für die überseeischen Territorien. Ab 1956 zählte sie jedoch nur noch 596 Abgeordnete, da die 30 Vertreter Algeriens nicht mehr gewählt wurden und die Regierung den Sitz von Indes fran£aises abgeschafft hatte. Das Wahlsystem wurde im großen und ganzen beibehalten. Die einzigen Änderungen betrafen die Verrechnungsmethode und die Form der Liste. Die Verrechnung der Stimmen sollte in einem einzigen Verfahren nach dem größten Durchschnitt (-*• S. 52 f.) erfolgen. Durch

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Rat der Republik 1946/47/Verfassungsentwicklung

Einführung der lose gebundenen Liste erhielt der Wähler die Möglichkeit, die Reihenfolge der Kandidaten auf einer Liste zu verändern. Allerdings sollte die Listenveränderung nur berücksichtigt werden, wenn mindestens die Hälfte der Wähler von diesem Recht Gebrauch gemacht hatten; tatsächlich war dies nie der Fall. In den überseeischen Departements und Territorien, die nur einen Abgeordneten wählten, galt die relative Mehrheitswahl. Der Rat der Republik wurde nach einem Wahlsystem gewählt, das außerordentlich kompliziert — ebenfalls auf der Verhältniswahl beruhte und dazu führte, daß die zweite Kammer 1946/1947 eine der Nationalversammlung ähnliche Zusammensetzung aufwies. Doch galt dieses Wahlsystem ausdrücklich nur für die erste Wahl des Rats der Republik. Er umfaßte 315 Mitglieder; davon wählte Frankreich 200, die Nationalversammlung 50, die algerischen Departements 14, die überseeischen Departements 7 und die überseeischen Gebiete 44. Das Mindestalter der Ratsmitglieder mußte 35 Jahre betragen. Die Dauer der Legislaturperiode wurde erst 1948 festgelegt, und zwar auf sechs Jahre mit Halberneuerung alle drei Jahre. Die Ratsmitglieder des Mutterlandes wurden von departementalen Wahlkollegien bestellt, die sich aus den Abgeordneten, den Generalräten und den Delegierten der einzelnen Kantone zusammensetzten. Die Delegierten wurden direkt nach Verhältniswahlsystem mit starren Listen gewählt, die Berechnung erfolgte nach dem größten Durchschnitt. Auf 300 eingeschriebene Wähler kam ein Delegierter, auf angebrochene 300 ein weiterer. Die Wahl der Ratsmitglieder in den departementalen Wahlkollegien erfolgte ebenfalls nach der Verhältniswahl, wenn dem Departement mindestens zwei Ratsmitglieder zustanden. War das nicht der Fall, genügte die relative Mehrheit. Jedes Departement erhielt auf 500 000 Einwohner oder angebrochene 500 000 ein Ratsmitglied. Da nach dieser Aufteilung die Zahl von 200 nicht erreicht war, wurden die restlichen Sitze auf nationaler Ebene verrechnet (s. Tab. A 8). Die von den einzelnen Parteien in den Departements erhaltenen Sitze und Stimmen bildeten die Grundlage der Restverteilung, die nach dem größten Durchschnitt erfolgte. Anschließend wurden diese restlichen Sitze folgendermaßen unter die Departements verteilt: Die nichtgewählten Einzelkandidaten und die Listen der einzelnen Parteien wurden nach ihrem Stimmanteil geordnet, wobei sich der Stimmenanteil der Listen aus dem Quotienten der von dieser Liste erhaltenen Stimmen, dividiert durdi die Zahl der schon erhaltenen Abgeordneten plus eins, ergab. Die Sitze wurden nun entsprechend diesem Stimmanteil auf die einzelnen Listen der jeweiligen Departements verteilt oder den Einzelkandidaten vergeben. Doch durfte kein Departement

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mehr als ein Ratsmitglied auf 250 000 oder angebrochene 250 000 Einwohner haben. War dieses Maximum erreicht, wurde der Sitz der Liste oder an den Einzelkandidaten derselben Partei mit dem nächstfolgenden höchsten Stimmanteil gegeben. Die Wahl der 50 Ratsmitglieder in der Nationalversammlung fand ebenfalls nach Verhältniswahlsystem statt, abgesehen von acht, die die Auslandsfranzosen vertreten sollten. In den überseeischen Departements und Territorien galt mit Ausnahme von Algerien absolute Mehrheitswahl mit zweitem Wahlgang. Die algerischen Ratsmitglieder wurden wie in Frankreich gewählt, allerdings ohne Restverrechnung auf nationaler Ebene. Nach dem Zweiten Weltkrieg fand die Republik als Staatsform Frankreichs bei den Parteien allgemein Anerkennung. Die großen Erfolge der Volksrepublikaner zeigten, daß die Versöhnung zwischen Katholiken und Republik endgültig vollzogen war. Das Verfassungssystem dagegen geriet, vor allem nachdem im Zuge der wachsenden internationalen Spannungen die Koalition zwischen Kommunisten, Sozialisten und Volksrepublikanern aufgelöst worden war, in heftige Auseinandersetzungen. Die Rechte, die sich um de Gaulle in der „Sammlungsbewegung des französischen Volkes" (Rassemblement du peuple franfais, RPF) zusammenfand und allmählich dem MRP einen großen Teil der Wähler entzog, verharrte in ihrer systemfeindlichen Opposition, nährte den Antiparlamentarismus, die weitgehende Ablehnung politischer Parteien und ihres Einflusses auf die Regierung sowie die Forderung nach einer starken Regierung. Die Kommunisten zogen sich nach 1947 ebenfalls vollständig in die Opposition zurück und isolierten sich oder wurden in solchem Maße isoliert, daß sie keinerlei Wahlbündnisse mit der bürgerlichen oder sozialistischen Linken schließen konnten. Die Bedrohung von rechts und links führte zwar zwischen 1947 und 1951 zu einem stärkeren Zusammenschluß von Sozialisten, Volksrepublikanern, Radikalen und Gemäßigten (rechte Mitte), doch konnten auch sie ihre traditionellen Gegensätze nicht überwinden. Die Schulfrage trieb den MRP mehr und mehr zu einem Bündnis mit den Gemäßigten, obwohl er bei der Lösung wirtschaftlicher Probleme häufig mit den Sozialisten übereinstimmte. Radikale und Sozialisten waren sich zwar in der Schulfrage einig, entfremdeten sich aber wegen der Wirtschaftsprobleme. Der steigende Einfluß der Radikalen und Gemäßigten — verbunden mit dem Abgleiten der Parteien und Wähler nach rechts — hatte schließlich die Schwächung des französischen Parteiensystems insgesamt zur Folge, so daß sich zu Beginn der fünfziger Jahre — auch unter der Verhältniswahl — bald wieder dieselben Phänomene zeigten, die charakteristisch für die III. Republik gewesen waren. Die Fraktionsdisziplin lockerte sich, die Abgeordneten gewan-

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Wahlreform Rat der Republik von 1948

nen bis zu einem gewissen Grad ihre Unabhängigkeit zurück, während sich zugleich ihre Bindung an Wähler und Wahlkreise vertiefte. Der Wahlkampf wurde zu einer Angelegenheit der departementalen Parteienverbände, die nach lokalen, nicht nach zentralen Gesichtspunkten Wahlbündnisse vereinbarten. Bereits 1951 wurden auch Abgeordnete wiedergewählt, die in der Zwischenzeit die Partei gewechselt hatten. Die Wahlerfolge der Sammlungsbewegung des französischen Volkes in lokalen Wahlen 1947 und 1948 und die Bedrohung von seiten der Kommunisten ließen die Koalitionspartner, die sich als „troisieme force" bezeichneten, die Diskussion um eine Reform des Wahlsystems wieder aufnehmen. Sie schlugen eine erste Bresche in das Verhältniswahlsystem der IV. Republik, indem sie für den Rat der Republik 1948 ein zweigeteiltes Wahlsystem schufen, das in den ländlichen Gebieten Frankreichs die Mehrheitswahl vorsah. Dadurch wurden die Sozialisten, die auf dem Lande — die Radikalen verdrängend — einen festen Wählerstamm gefunden hatten, begünstigt (zur Zusammensetzung des Rats der Republik s. Tab. A 9). Der zweiten Kammer sollten 320 Mitglieder angehören: 246 wählte Frankreich, die überseeischen Departements Martinique, Guadeloupe, Guyane und Reunion sieben, Algerien 14, die überseeischen Territorien 44, die französischen Bürger in Tunesien zwei und die Nationalversammlung drei für die französischen Bürger in Marokko, einen für die Franzosen in Indochina und drei weitere für alle übrigen Auslandsfranzosen. Die Ratsmitglieder wurden von departementalen Wahlkollegien bestellt, die sich aus den Abgeordneten, den Generalräten und den Delegierten der Gemeinderäte zusammensetzten. Gemeinderäte in Gemeinden unter 9000 Einwohnern wählten einen Delegierten für Gemeinderäte mit elf Mitgliedern, drei Delegierten für Gemeinderäte mit 13 Mitgliedern, fünf für Gemeinderäte mit 17 Mitgliedern, sieben für Gemeinderäte mit 21 Mitgliedern und 15 für Gemeinderäte mit 23 Mitgliedern. In den Gemeinden mit mehr als 9000 Einwohnern wie in den Gemeinden des Departements Seine besaßen alle Gemeinderatsmitglieder das Wahlrecht für die zweite Kammer. In Gemeinden mit mehr als 45 000 Einwohnern bestellte der Gemeinderat weitere Delegierte, und zwar einen auf 5000 Einwohner oder angebrochene 5000 von 45 000 an aufwärts. In den Gemeinden, die weniger als 15 Delegierte zu wählen hatten, galt absolute Mehrheitswahl mit drei Wahlgängen, wenn mehr als ein Delegierter zu bestellen war, Listenwahl. In den Gemeinden, die mehr als 15 Delegierte in das Wahlkollegium entsandten, war Verhältniswahl mit starren Listen, Verrechnung der Stimmen nach dem Wahlzahlverfahren (Wahlquotienten; -> S. 46) und Restverteilung nach der Regel des größten Restes vorgeschrieben. Jedes Departement

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erhielt auf 154 000 Einwohner ein Ratsmitglied, auf 250 000 oder angebrochene 250 000 ein weiteres. In den Departements, die weniger als vier Ratsmitglieder zu bestellen hatten, das waren 79 von 90, erfolgte die Wahl nach Mehrheitswahl und gegebenenfalls nach Listen. Im ersten Wahlgang war die absolute Mehrheit und mindestens ein Viertel der abgegebenen gültigen Stimmen der Wahlberechtigten erforderlich, im zweiten genügte die relative Mehrheit. In den Departements, die mehr als vier oder vier Ratsmitglieder bestellten, galt Verhältniswahl mit Berechnung nach dem größten Durchschnitt. Nachwahlen sollten innerhalb von drei Monaten stattfinden, wenn ein Sitz frei geworden war, jedoch nur in den Departements, in denen das Mehrheitswahlsystem angewandt wurde; in den anderen rückte der nächste Listenkandidat nach. Dieses Wahlsystem begünstigte die ländlichen Gebiete Frankreichs nicht nur in der Zusammensetzung der Wahlkollegien, sondern auch bei der Bestellung der Mitglieder der zweiten Kammer. Die Verhältniswahl in den stark bevölkerten großen Departements ermöglichte es den ländlichen Minderheiten, wenigstens ein Ratsmitglied zu wählen, während die Mehrheitswahl die städtischen Minderheiten in den vorwiegend ländlichen Departements jeder Aussicht auf Vertretung beraubte. In Algerien und den überseeischen Departements galt dasselbe Verfahren, doch bestellten alle Wahlkollegien weniger als vier Ratsmitglieder, so daß die Verhältniswahl nicht angewandt wurde. Die Wahlkollegien der überseeischen Departements und Frankreichs unterschieden sich allerdings von denen Algeriens. In den überseeischen Territorien wurden die Ratsmitglieder von den Territorial- oder Provinzialversammlungen gewählt. Waren weniger als drei Ratsmitglieder zu bestellen, galt die absolute Mehrheitswahl mit zweitem Wahlgang, sonst Verhältniswahl mit starren Listen, Berechnung von Wahlquotienten und Restverteilung nach der Regel des größten Restes. Die Ratsmitglieder, die die Franzosen in Tunesien vertreten sollten, wurden von den französischen Mitgliedern tunesischer Gemeinderäte und der Zentralversammlung gewählt, die übrigen Vertreter der Auslandsfranzosen wählte die Nationalversammlung. Heftiger als das Wahlsystem für den Rat der Republik diskutierten die regierungstragenden Parteien eine Reform des Wahlsystems für die Nationalversammlung, dessen Ziel es sein sollte, die Mandatszahl von Kommunisten und Gaullisten zu reduzieren. Diese Debatte war um so schwieriger, als die Volksrepublikaner für die Beibehaltung der Verhältniswahl eintraten, teils um die Parteidisziplin aufrecht zu erhalten, teils weil sie fürchteten, Sozialisten und Radikale könnten sich bei einem Mehrheitswahlsystem gegen die „klerikalen" Volksrepublikaner zusammenschließen. Die Radikalen und Gemäßigten traten

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Wahlreform Nationalversammlung und Wahlen von 1951

dagegen für die Einerwahl nach Arrondissements ein, während die Sozialisten in dieser Frage unentschlossen waren. So kam es schließlich zu einem Kompromiß, der die Verhältniswahl bewahrte, jedoch die Koalitionspartner in einer Weise begünstigte, die selbst in Frankreich als anstößig empfunden wurde. Das Gesetz sah wahlgesetzliche Sonderbestimmungen für die beiden Pariser Departements Seine und Seine-et-Oise vor, in denen die Kommunisten und Gaullisten die beiden stärksten Parteien waren. Außer in diesen beiden Departements konnten die Parteien Wahlbündnisse schließen. Erhielt eine Liste oder Listenverbindung die absolute Mehrheit in einem Departement, so fielen ihr sämtliche Sitze zu. Innerhalb der Listenverbindung wurde dann die Mandatsverteilung nach dem Verhältniswahlsystem mit Berechnung nach dem größten Durchschnitt vorgenommen. Erreichte keine Liste oder Listenverbindung die absolute Mehrheit, wurden die Mandate nach Verhältniswahl und der Methode des größten Durchschnitts (-»- S. 52 f.) vergeben. Dieses Verrechnungsverfahren begünstigt die großen Parteien bzw. Listenverbindungen. Zugleich sah das Gesetz eine Fünf-Prozent-Klausel vor. Der Wähler durfte nicht nur die Reihenfolge der Kandidaten auf einer Liste ändern, sondern auch Panaschieren, doch sollten diese Veränderungen nur berücksichtigt werden, wenn mindestens die Hälfte der Wähler von diesem Recht Gebrauch gemacht hatten. Dasselbe Verfahren galt in Algerien. In den beiden Pariser Departements Seine und Seine-et-Oise war Verhältniswahl ohne Mehrheitsprämie und Listenverbindung vorgeschrieben. Panaschieren und die Abgabe von Vorzugsstimmen waren jedoch erlaubt. Die Verrechnung der Stimmen erfolgte nach dem Wahlzahl verfahren (Wahlquotienten; -> S. 46) und der Methode des größten Überrestes, die die kleinen Parteien begünstigt. Dasselbe System wurde in den überseeischen Departements Martinique, Guadeloupe und Reunion angewandt. In Guyane, wo nur ein Abgeordneter zu wählen war, galt die relative Mehrheitswahl, während die übereseeischen Territorien weiter nach dem Wahlsystem von 1946 wählten. Nachwahlen sollten innerhalb von zwei Monaten stattfinden, und zwar nach absoluter Mehrheitswahl mit zwei Wahlgängen. Bei den Wahlen von 1951 erreichte dieses Wahlsystem den von seinen Urhebern gewünschten Erfolg. In 38 Wahlkreisen konnten die Listenverbindungen der Koalitionspartner die Mehrheitsprämie erringen. Aber auch das unterschiedliche Verrechnungsverfahren wirkte entsprechend den Vorausberechnungen. Im Gebiet Paris konnte, wie Tabelle III zeigt, ein übergroßer Vorteil der beiden stärksten Parteien verhindert werden, wohingegen auf dem Lande die stimmstärkste Gruppe, die Listenverbindungen der Koalitionspartner, ihren Mandatsanteil wesentlich steigern konnten.

493

Frankreich (IV. Republik)

Tabelle III: Stimmen und Mandate bei den Wahlen zur französischen Nationalversammlung von 1951, getrennt nach den angewandten Wahlsystemen Gebiet Paris Parteien

RPF Gemäßigte Radikale u. a. MRP Sozialisten Kommunisten Andere Insgesamt

Stimmen in °/o

Mandate

27,9 7,5 11,1 7,6 10,2 32,1 3,8 100,0

Rest Frankreich Mandate in °/o

Stirnmen in °/o

22 4 8 8 8 25 0

29,3 5,3 10,7 10,7 10,7 33,3 0,0

20,7 15,2 9,7 13,4 15,3 24,8 1,0

82 83 69 74 86 75 0

17,5 17,7 14,7 15,8 18,3 16,0

75

100,0

100,0

469

100,0

Mandate

Mandate in °/o

0,0

(Quelle: Campbell, s. BiblAng., S. 121)

Insgesamt erreichten die Kommunisten zwar 25,9 Prozent und die Gaullisten 21,7 Prozent der Stimmen, aber nur 17,8 respektive 19,6 Prozent der Mandate (s. Tab. A 7). Besonders die Kommunisten waren durch das Wahlsystem benachteiligt: Sie benötigten 52 129 Wählerstimmen, um ein Mandat zu erhalten, die Gaullisten 38 556, wohingegen die anderen Parteien nur zwischen 24 500 und 30 500 Stimmen brauchten. Unter den Koalitionspartnern profitierten vor allem die Gemäßigten und Radikalen vom Wahlsystem. Die langsame Aufsplitterung der Sammlungsbewegung des französischen Volkes, die mehr und mehr von den Gemäßigten aufgesogen wurde, und die Abnahme der Bedrohung von rechts führten jedoch zum Auseinanderbrechen der Koalition der „troisieme force". Die Sozialisten zogen sich für eine Zeitlang in die Opposition zurück, während nun ein Teil der Gaullisten die Regierung unterstützte. Indes zeigte der Erfolg des Poujadismus, einer faschistisch autoritären Bewegung vor allem des Kleinbürgertums, bei den Wahlen von 1956, daß die Unzufriedenheit der Bevölkerung mit dem Regierungssystem der IV. Republik und den politischen Parteien unvermindert groß war. Nach Stimmen differierte das Wahlergebnis von 1956, sieht man von den Parteiveränderungen auf der Rechten ab, nur geringfügig von dem von 1951. Dagegen ergaben sich in den Mandaten, wie Darstellung II zeigt, größere Verschiebungen. Mit dem gleichen Stimmenanteil wie 1951 erzielten die Kommunisten statt bisher 17,8 nun 26,7 Prozent der Mandate. Dieser Veränderung lag zugrunde, daß die Parteien der Mitte nicht in gleicher Weise wie 1951 in allen Wahlkreisen Listenverbindungen eingingen: Sie erreichten deshalb nur in zehn Wahl-

494

Wahlen von 1956/Politische Entwicklung

kreisen die absolute Mehrheit der Stimmen und damit die Mehrheitsprämie. Das Wahlergebnis von 1956 zeigte, daß im bestehenden Wahlsystem große Bedeutung der Wahltaktik der Parteien zukam und der Preis einer Zersplitterung der Mitte der Verlust des Vorteils war, den das Wahlsystem Wahlbündnissen bot. Darstellung II: Stimmen und Mandate (in Prozent) bei den Wahlen zur französischen Nationalversammlung 1951 und 1956 (ohne Splitter)

igg-j

30



=

Stimmen

"* Mandate 25,9

25

21,7

1% 6

,20 '10

Ii

10,0

5

0 RPF

a

Ra ik e

*0llservative

17,3

iL 1

11,0

\15

f / υ. Andere

15J 7 S. 46); 3. Vergabe wei-

Wahl der Parlamente

518

Tabelle A 3 : Die Wahlsysteme Frankreichs 1848—1968 im Überblick (Fortsetzung)

Gesetzliche Grundlage

Wahlsystem

Wahlkreiseinteilung

Zahl der Wahlgänge

Form der Liste

Zahl der Stimmen / Verrechnungsverfahren / Besonderheiten

terer Restmandate an die Listen mit dem größten Durchschnitt an Stimmen auf einen gewählten Kandidaten. In den Wahlkreisen, in denen die Wahlbeteiligung unter 50°/o lag oder keine Liste die Wahlzahl erreichte, ist ein zweiter Wahlgang erforderlich. Zur Wahl genügt nun die relative Mehrheit. WG v. 21. 7. 1927

Absolute Mehrheitswahl

Einerwahlkreise; jedes Arrondissement ein Wahlkreis; jedes Dep. zumindest 3 Sitze

zwei ohne Liste Jeder Wähler hat eine Stimme. WahlNeben der absoluten Mehrheit ist gänge zur Wahl im ersten Wahlgang ein (wie 1852) Viertel abgegebener gültiger Stimmen der eingeschriebenen Wähler erforderlich.

Ord.v. 17. 8. 1945

Verhältniswahl

1 Mandat auf 100 000 E. Mehrmannwahlkreise; jedes Dep. zumindest 2 Sitze; bei mehr als 9 Sitzen Aufteilung eines Dep. in zwei Wahlkreise; Regel: 3 bis 9 Abg. pro Wahlkreis

ein Wahl- starre gang Liste

Ges. v. 5.10. 1946

Ges. v. 9. 5. 1951

»

Verhältniswahl mit Prämie für stimmstärkste Liste im Wahlkreis,

i

1

Jeder Wähler hat eine Stimme. Stimmenverredinung nach dem Wahlzahlverfahren (-*• S. 46). Restmandate nach der Methode des größten Durchschnitts K S . 52 f.).

lose gebundene Liste

Verrechnung der Stimmen in einem Zuteilungsverfahren nach der Methode des größten Durchschnitts S. 52 f.).

freie Liste (Panaschieren) Möglichkeit von Listen-

Jeder Wähler hat eine Stimme. Stimmenverrechnung: Teilung des Wahlgebietes. Pariser Region (Departements Seine und Seine-etOise): Mandatsverteilung nach dem Wahlzahlverfahren (-*- S. 46);

Frankreich

519

Tabelle A 3: Die Wahlsysteme Frankreichs 1848—1968 im Überblick (Fortsetzung)

Gesetzliche Grundlage

Wahlsystem

Wahlkreiseinteilung

Zahl der Wahlgänge

wenn sie die absolute Mehrheit erreicht

Ord. v. 13.10. Absolute 1958 Mehrheitswahl

Ges. v. 29. 12. 1966

Einerwahlzwei kreise Wahl465 Mandate gänge werden entsprechend der Bevölkerungszahl den einzelnen Dez.zugeteilt; 470 Mandate (seit 1966)

Form der Liste

Zahl der Stimmen / Verrechnungsverfahren / Besonderheiten

Verbindungen im Dep. (außer Pariser Region)

Restmandate nach der Methode des größten Durchschnitts (-»- S. 52 f.). Restliches Frankreich: Bei Gewinn der absoluten Mehrheit der abgegebenen Stimmen durch eine Liste (oder Listenverbindung) fielen dieser Liste alle Wahlkreismandate zu; andernfalls Mandatszuteilung nach der Methode des größten Durchschnitts ( - • S. 52 f.). Berücksichtigung nur der Parteien, die 5 °/o der abgegebenen gültigen Stimmen erhielten.

Einzelkandidatur

Jeder Wähler hat eine Stimme. Neben der absoluten Mehrheit ist zur Wahl im ersten Wahlgang ein Viertel abgegebener gültiger Stimmen der eingeschriebenen Wähler erforderlich. U m am zweiten Wahlgang teilnehmen zu können, muß ein Kandidat im ersten Wahlgang mindestens 5 ·/» der abgegebenen Stimmen erreicht haben. Am zweiten Wahlgang kann nur teilnehmen, wer im ersten Wahlgang mindestens 10®/o gültiger Stimmen (bezogen auf die Zahl der eingetragenen Wahlberechtigten) erhalten hat.

Wahl der Parlamente

520

Tabelle A 4 : Stimmen und Mandate bei den Wahlen zur französischen Nationalversammlung 1871—19141) 1871 Mandate abs.

18752) Mandate abs.

Stimmen in °/o

abs.

Republikaner

242

356

55,7

Konservative

415

371

Insgesamt

687»)

727

1876

in «/ο

Stimmen in °/o

abs.

in °/o

371

54,4

70,5

318

60,5

44,3

155

45,6

29,5

208

39,5

100,0

526

100,0

100,0

526

100,0

1881

1885

Stimmen in °/o

abs.

in %

Republikaner

74,1

445

Konservative

25,9

96

Insgesamt

100,0

Mandate

541

1877

Mandate

abs.

82,3

56,1

367

17,7

43,9

202

100,0

100,0

1889

Mandate

Stimmen in °/o

569

Mandate

Stimmen in °/o

abs.

in °/o

64,5

54,6

350

62,5

35,5

36,5

168

30,0

8,9

42

7,5

100,0

560

100,0

in%

100,0

Mandate

Anmerkungen: ') Wahlergebnisse für das Mutterland. Der Einfachheit halber gibt Campbell f ü r die Wahlen bis 1889 nur die Aufteilung der Mandate zwischen Republikanern und Konservativen an (Ausnahme: Boulangisten), da die exakte Zugehörigkeit der Abgeordneten zu einzelnen parlamentarischen Gruppierungen zu bestimmen infolge des fluktuierenden Charakters der politischen Gruppen äußerst schwierig ist. Im übrigen unterscheiden sich die Zahlenangaben in den verwandten und den anderen, zu Rate gezogenen Quellen teilweise beträchtlich, so daß mögliche Fehler nicht ausgeschlossen werden können. ! ) 1875 fand zwar keine Wahl statt; doch hatte sich die Sitzverteilung durch die häufigen Nachwahlen stark verändert. Für 1875: Frankreich mit Kolonien. 3) 30 Elsaß-Lothringer legten nach Friedenssdiluß ihr Mandat nieder, so daß die Gesamtmandatszahl dann 657 betrug. 4) Auch unter den Namen: „Alliance ^publicaine dimocratique", „Entente republicaine", „Concorde nationale". 5 ) Ralliierte, gründeten die „Action l ^ r a l e populaire", 1910 von den Konservativen aufgezogen. e ) Gespalten in „Konservative" (14,1 %> der Stimmen, 83 Mandate [14,4 %]) und „Nationalisten" (14,2 »/ο der Stimmen, 62 Mandate [10,8 °/o]). (Quellen: Campbell, s. BiblAng., passim; Charnay, Gouault, Dupeux, Duverger, sämtlich s. Bibl.Ang.)

Frankreich

521 1893 Stimmen in °/o

abs.

Sozialisten

8,5

Radikalsozialisten

1898

Mandate in °/o

Stimmen in °/o

abs.

31

5,4

11,3

2,4

10

1,7

Unabhängige Radikale

20,5

143

Linksrepublikaner

45,3

Liberale Konservative und Unabhängige

Insgesamt

in °/o

Stimmen in °/o

abs.

in %>

55

9,6

10,4

45

7,9

9,6

82

14,4

10,1

75

13,0

25,3

17,9

98

17,2

16,8

117

20,3

279

49,3

41,5

235

41,2

29,7

175

30,4

6,5

27

4,7

6,9

35

6,1

4,6

18

3,1

16,8

76

13,4

12,8

65

11,4

28,3')

145

25,2

100,0

566

99,8

100,0

570

99,9

99,9

575

99,9

1906

in °/o

Stimmen in °/o

abs.

53

9,2

13,3

2,3

18

3,1





28,5

in%>

75

13,0

16,9

103

17,6

4,1

25

4,3















3,9

27

4,6

239

41,6

20,1

145

25,0

17.9

137

23,4

7,9

39

6,8

18,4

105

18,1

16,8

96

16,4

8,0

52

9,0 | 22,5

137

23,6

28,5

150

25,6

| 20,9

91

15,7

15,6

73

12,4

0,6

2

0,3

0,4

99,9

580

100,0

100,0

Sozialist. Republikan.

4

Republikanische Union ] Liberale 5 )

14,0

67

11,7

Konservative und Unabhängige

29,2

107

18,6

Andere

Insgesamt

0,1 100,0



575



100,0

Mandate

Mandate abs.

Unabhängige Sozialisten

Linksrepublikaner

1914

in °/o

10,0

Unabhängige Radikale

Mandate

Stimmen in 0 /»

abs.

Radikalsozialisten

1910

Mandate

Stimmen in Vo

Sozialisten

1902

Mandate

)



586

100,0

Wahl der Parlamente

522

Tabelle A 5: Stimmen und Mandate bei den Wahlen zum französischen Abgeordnetenhaus 1919—1936 Wahlen 1919

Stimmen

Mandate

Wahlen 1924

in Tsd. in °/o

abs.

in °/o

Getrennte Rechts-Listen

2 050

26,9

202

33,1

Bloc National

2 542

33,4

273

44,8

Gemischte Listen der Mitte

458

6,0

12

2,0

Getrennte radikale Listen

841

11,0

55

9,0

Sozialisten

1 728

22,7

68

11,1

Insgesamt

7 619

100,0

610

100,0

Wahlen 1928 und 1932

Stimmen in Tsd. in °/o

abs.

in »/o

Rechte

3 519

229

40,3

Mitte

1 020

11,5

47

8,3

Linkskartell

3 394

38,1

266

46,8

Kommunisten

876

9,8

26

4,6

Verschiedene

89

1,0



8 898

99,9

Ingsgesamt

Stimmen

Mandate

2 083

22,1

125

21,0

2 211

23,4

128

21,5

19,2

155

26,0

2 160

23,1

151

25,5

2 145

22,9

169

28,5

Radikalsozialisten

1 655

17,7

113

19,1

1 817

Verschiedene Insgesamt

Mandate in °/o

Rechte-Mitte

Kommunisten

100,0

abs.

Rechte

Unabh. Sozialisten

568



in °/o in Tsd. in °/o

abs.

Sozialisten

39,5

Stimmen

in Tsd. in °/o

Sozial. Republikaner

Mandate

410

4,4

40

6,7

504

5,3

36

6,0

1 698

18,2

101

17,0

1 950

20,7

129

21,6

82

0,9

5

0,8

78

0,9

11

1,9

1 064

11,4

14

2,4

795

8,4

12

2,0

136

1,4

0

9 350

100,0

593

4



100,0

Wahlen 1936

9 442





100,0

Stimmen

596



100,0

Mandate

in Tsd. in °/o

abs.

in %

Nationale Front

4 110

42,4

215

36,0

Radikalsozialisten

1 418

14,6

109

18,2

729

7,5

55

9,2

Sozialisten

1 928

19,9

147

24,6

Kommunisten

1 487

15,4

16

0,2

9 688

100,0

Sozial. Rep. u. a.

Verschiedene Insgesamt

(Quellen: wie zu Tab. A 4)

72

12,0





598

100,0

Frankreich

523

Tabelle A 6: Ergebnis der Referenden der Jahre 1945—1946 21. Oktober 1945

5. Mai 1946

13. Okt. 1946

Gegenstand

2 Fragen )

Verfassungsentwurf der am 21. Okt. 1945 gewählten Versammlung

Verfassungsentwurf der am 2. Juni 1946 gewählten Versammlung

Stimmberechtigte

24 622 862

24 657 128

24 905 538

Abgegebene Stimmen

19 645 284

19 895 411

17 129 645

4 968 578

4 761 717

7 775 893

20,1

19,3

Referendum vom . . .

1

Enthaltungen Enthaltungen in °/o

Ja-Stimmen Nein-Stimmen Weiße Stimmzettel oder ungültige Stimmen

Ja-Stimmen in °/o

31,2

Frage 1:

Frage 2:

17 957 868

12 317 882

9 109 771

9 002 287

670 672

6 217 512

10 272 586

7 790 856

1 025 744

1 064 890

513 054

336 502

a)

a)

b)

72,9 96,4

Nein-Stimmen in °/o

2,7

3,6

Weiße Stimmzettel oder ungültige Stimmen in °/o

4,1

-

a)

b)

a)

66,3

36,9

47,0

36,0

53,5

25,4 33,7

41,6

53,0

31,2

46,5

2,0

-

1,3

-

50

4,3

b)



b)

Anmerkungen: ') Text der Fragen: 1. Wollen Sie, daß die jetzt gewählte Versammlung verfassunggebend sein soll? 2. Billigen Sie, daß die öffentlichen Gewalten bis zum Inkrafttreten der neuen Verfassung entsprechend dem Gesetzentwurf organisiert werden, dessen Text auf der Rückseite dieses Wahlscheines wiedergegeben ist? a) Prozent der Wahlberechtigten; b) Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen. (Quelle: Goguel/Grosser, Politik . . . , s. BiblAng., S. 304 ff.)

Wahl der Parlamente

524

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