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German Pages 284 Year 2020
Schriften zum Strafrechtsvergleich Band 10
Die verfassungsrechtliche Begrenzung und rechtspolitische Perspektive der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in Deutschland als zusätzlicher Schutzmechanismus Ein Vergleich mit der Rechtslage in den USA und in Südkorea
Von
Jinhwan Chang
Duncker & Humblot · Berlin
JINHWAN CHANG
Die verfassungsrechtliche Begrenzung und rechtspolitische Perspektive der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in Deutschland als zusätzlicher Schutzmechanismus
Schriften zum Strafrechtsvergleich Herausgegeben von Prof. Dr. Dr. Eric Hilgendorf, Würzburg und Prof. Dr. Brian Valerius, Bayreuth
Band 10
Die verfassungsrechtliche Begrenzung und rechtspolitische Perspektive der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht in Deutschland als zusätzlicher Schutzmechanismus Ein Vergleich mit der Rechtslage in den USA und in Südkorea
Von
Jinhwan Chang
Duncker & Humblot · Berlin
Die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg hat diese Arbeit im Jahre 2019 als Dissertation angenommen.
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© 2020 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: buchbücher.de gmbh, Birkach Printed in Germany ISSN 2364-8155 ISBN 978-3-428-15940-6 (Print) ISBN 978-3-428-55940-4 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706
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Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg im Breisgau. Sie wurde im Sommersemester 2019 von der Juristischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg als Dissertation angenommen. Die Literatur wurde bis Dezember 2018 ausgewertet. Für mich war die Erstellung dieser Arbeit eine Herausforderung und persönlich bereichernde Erfahrung zugleich. Den zahlreichen Personen, die mich in vielfältiger Art und Weise unterstützten, sowie den Weggefährten, die mich während der Promotionszeit begleiteten und mir Rückhalt gaben, möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich danken. Darüber hinaus gebührt der Baden-Württemberg Stiftung, dem deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) und der Dr.-Leo-Ricker-Stiftung Dank für die Finanzierung meiner Forschungsarbeiten. Mein besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater, Herrn Professor Dr. Hans-Jörg Albrecht, für seine hervorragende Unterstützung und sein persönliches Engagement bei der Betreuung dieser Arbeit. Durch seine konstruktiven Anmerkungen und Hinweise hat er entscheidend zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Ebenfalls bedanken möchte ich mich bei Herrn Professor Dr. Ulrich Sieber für die Erstellung des Zweitgutachtens und seine hilfreichen Anmerkungen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Prof. Dr. Jong-Dae Bae, Herrn Prof. Dr. ZaiWang Yoon und Herrn Prof. Dr. Seung-Hwan Jung von der Korea Universität, die mich fortwährend unterstützten und mir den Weg für das wissenschaftliche Arbeiten ebneten. Ein herzlicher Dank gebührt weiterhin meinen koreanischen Kollegen und Freunden in Deutschland, durch die ich meine Promotionszeit in schöner Erinnerung behalten werde. Zunächst möchte ich Dr. Sung-Eun Park danken, der durch motivierenden Zuspruch, stete Hilfsbereitschaft, fachliche Diskussionen und konstruktive Anregungen in hohem Maße zum Gelingen der Arbeit beitrug. Außerdem bedanke ich mich herzlich bei Hee-Young Park, Joong-Wook Park, Dae-Young Jeon, So-Hyun Park, Hyun-Joong Ryu, Jong-Woo Park und Gal Choi für die entgegengebrachte Freundschaft und das Vertrauen bei der Zusammenarbeit in Freiburg. Ich hoffe, dass sie in nächster Zeit ihre Promotionsverfahren gut abschließen können. Ebenfalls wünsche ich einen erfolgreichen Abschluss der Promotion von Hyun-Jun Lee, Hyun-Seok Lee und Myong-Soo Ko in Berlin sowie Sang-Hyun Shin in Münster.
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Vorwort
Mein ganz besonderer Dank gilt Prof. Ulf Märtens von der Korea Universität, der diese Arbeit sorgfältig Korrektur gelesen hat und mir eine freundliche und wertvolle Hilfe war. Meinen Eltern, Prof. Dr. Joong-Shik Chang und Jung-Ja An, danke ich von Herzen, dass sie mir diese Ausbildung ermöglichten und mich auf meinem bisherigen Lebensweg vorbehaltlos unterstützten, förderten und forderten, was die Basis für meine persönliche und berufliche Entwicklung bildet. Auch möchte ich mich bei meinem Bruder, Min-Hwan Chang, bedanken, der mich in jeder erdenklichen Hinsicht unterstützte. Ihre Geduld, Liebe und ihr Beistand halfen mir sehr bei meinen Dissertationsarbeiten. Mein größter Dank gilt an dieser Stelle meiner Frau Dr. Hyunjung Lee. Durch ihren stetigen Rückhalt, ihren Zuspruch und ihre Liebe hat sie im wesentlichen Maße zum Gelingen dieser Dissertation beigetragen. Ohne ihre Hilfe und Unterstützung wären mein Studium und das Zustandekommen der vorliegenden Arbeit nicht vorstellbar gewesen. Ihr widme ich diese Arbeit! Freiburg, im November 2019
Jinhwan Chang
Inhaltsverzeichnis Teil 1 Einleitung A. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung für gefährliche Straftäter in Deutschland
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B. Forschungsziel und Forschungsmethode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 C. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22
Teil 2 Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
24
Kapitel 1 Historische Übersicht
24
A. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Der erste Versuch von Ralph Schwitzgebel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2. Umsetzung in die Praxis durch Jack Love . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 3. Problem der Überbevölkerung im Gefängnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 II. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 1. Entwicklung von GPS-Technik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 2. „Jessica Lunsford Act“ in Florida . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3. Erweiterung auf andere US-Bundesstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 B. Südkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 1. Einfluss des US-amerikanischen kriminalpolitischen Trends der Ausweitung ambulanter Sanktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 2. Lernaufenthalt zum elektronischen Überwachungssystem . . . . . . . . . . . . . . . 34 3. Pilotprojekt und offizielle Einführung der nächtlichen Ausgangssperre mittels der elektronischen Stimmenerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35
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Inhaltsverzeichnis II. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 1. Eine Reihe schwerer sexueller Missbräuche und Ermordungen von Kindern
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2. Entstehung des Gesetzes zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung für gefährliche (Sexual)Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 a) Gesetzesentwurf zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung . . . . . . . . . . 37 b) Zusatzantrag des Justizministeriums . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 39 c) Verabschiedung des Gesetzes über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonders gefährlichen Straftätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 3. Verschärfung des Gesetzes zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung . . . . 41 a) Erste Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 b) Zweite Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 c) Dritte Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 d) Vierte Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 C. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Skeptische Stimme gegen das neue Instrument der elektronischen Überwachung in den 1990er Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 2. Heftige Diskussion auf der politischen Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 3. Hessisches Modellprojekt des „elektronisch überwachten Hausarrests“ . . . . . 52 4. Baden-württembergisches Strafvollzugsprojekt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 II. Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 1. Urteil des EGMR vom 17. 12. 2009 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2. Rasche Reaktion aus der Politik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 3. Weisung im Katalog der Führungsaufsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 4. Ausweitung der EAÜ auf Terrorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 D. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62
Kapitel 2 Kriminalpolitische Analyse
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A. Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten . . . . . . . . . . . . . 63 I. Sensibilisierung der Gesellschaft bezüglich sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 II. Neue Gesetzgebungen für gefährliche (Sexual)Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 III. EAÜ als ein ergänzendes Hilfsmittel der freiheitsentziehenden Unterbringung im Kampf gegen gefährliche (Sexual)Straftäter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 B. Entwicklung des Sicherheitstrends . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 I. Trend zur Sicherheitsgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74
Inhaltsverzeichnis
9
II Veränderte gesellschaftliche Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 1. Ökonomische Umwälzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 2. Rückzug des Staates . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 3. Sozio-kulturelle Veränderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 III. Erweiterungen der Sicherheitsdiskurse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Angst im Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 2. Massenmedien als Verstärkungsinstrument der Angst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 3. Endloses Sicherheitsbedürfnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 IV. Sicherheitsorientierte Kriminalrechtspolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 V. EAÜ als Ausdruck einer sicherheitsorientierten Kriminalrechtspolitik . . . . . . . . 88 C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91
Teil 3 Die verfassungsrechtliche Bewertung und rechtspolitischer Vorschlag der EAÜ 93
Kapitel 1 Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
93
A. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 II. Verschiedene Gesetzesmodelle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 1. Florida Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 2. Kalifornien Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 3. Massachusetts Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 4. Hybrid Modell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 III. Aktuelle Praxissituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 B. Südkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 106 II. Geltende Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 1. Anordnungsvoraussetzungen und erfasster Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . 107 2. Gefährlichkeitsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 110 3. Überwachungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 4. Überprüfung für die einstweilige Aussetzung der Anbringungsanordnung . . . 113 5. Kombination mit den anderen Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 6. Datenverwendung und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 III. Aktuelle Praxissituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116
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Inhaltsverzeichnis
C. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 I. Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 II. Geltende Rechtsvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Anordnungsvoraussetzungen und erfasster Personenkreis . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Gefährlichkeitsprognose und Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 122 3. Überwachungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 4. Gerichtliche Überprüfung der Fortdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 5. Kombination mit den anderen Weisungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 6. Datenverwendung und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 III. Aktuelle Praxissituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 D. Vergleichende Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 I. Personenkreis und Anwendungsgebiet in strafrechtlichen Sanktionen . . . . . . . . 130 II. Anordnungsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 III. Begutachtung der Gefährlichkeitsprognose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 IV. Überwachungsdauer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 V. Gerichtliche Überprüfungen für die vorläufige Aufhebung der Anbringungsanordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 VI. Datenverwendung und Datenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134
Kapitel 2 Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
135
A. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 I. Beschlüsse des LG Rostock und OLG Rostock . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 1. Sachverhaltsdarstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 2. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 II. Verfassungsbeschwerde – 2 BvR 916/11 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 III. Wissenschaftliche Diskussionslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 B. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 I. Recht auf Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 1. EAÜ und der Begriff „Search“ im Zusatzartikel IV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 2. „Reasonable Search“ oder „Unreasonable Search“? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 II. Recht auf ein faires Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 1. „Procedural Due Process“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 2. „Substantive Due Process“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 III. Rückwirkungsverbot und Verbot der Doppelbestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165
Inhaltsverzeichnis
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C. Südkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 I. Überprüfung des Übermaßverbotes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 1. Herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 2. Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 II. Verbot der Doppelbestrafung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 1. Herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 2. Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 III. Rückwirkungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 1. Herrschende Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 2. Mindermeinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182
Kapitel 3 Vergleichende Analyse
183
A. Diskussionspunkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 B. Argumentation und Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 I. Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 1. Verbot entwürdigender und unmenschlicher Behandlung . . . . . . . . . . . . . . . . 188 2. Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 3. Verzicht auf ein externes Sachverständigengutachten als willkürliche Behandlung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Recht auf Privatsphäre und Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 1. Prüfungsschema: Öffentliches Interesse vs. Grundrecht von Überwachten . . 199 2. Öffentliches Interesse am Schutz vor gefährlichen Straftätern . . . . . . . . . . . . 200 a) Schwere der Sexualstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 b) Rückfallwahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 c) Präventive Wirkung der EAÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Grundrecht der Überwachten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 a) Verletzungsgrad des Rechts auf Privatsphäre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 b) Verletzungsgrad des Rechts auf Freiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 4. Schlussfolgerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 C. Was in Deutschland ferner diskutiert werden sollte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Überwiegende öffentliche Interessen aufgrund der strukturellen Schwäche des Verhältnismäßigkeitsprinzips sowie der zunehmenden Sicherheitsstimmung in der Gesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Mangelnde Berücksichtigung des Sonderopfers von Überwachten . . . . . . . . . . . 208
12
Inhaltsverzeichnis Kapitel 4 Verfassungsrechtliche Rechtfertigung und rechtspolitischer Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers
210
A. Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Sonderopfertheorie und Anspruch auf Aufopferungsentschädigung . . . . . . . . . . 210 II. Sonderopfer bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung . . . . . . . . . . . . . . 211 III. Wird den Überwachten der EAÜ auch ein Sonderopfer auferlegt? . . . . . . . . . . . 213 B. Staatliche Pflichten infolge des Sonderopfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 I. Mindestanforderungen an die Anordnung und Vollstreckung der EAÜ . . . . . . . 215 1. Regelungskonzept des BVerfG für Sicherungsverwahrte als Erbringer eines Sonderopfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 215 2. Übertragung der 7 Prinzipien für Sicherungsverwahrung auf EAÜ . . . . . . . . 216 a) „Ultima-ratio“-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 b) Individualisierungs- und Intensivierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 c) Motivierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 d) Minimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 e) Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 f) Kontrollgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 II. Geldentschädigungsmöglichkeiten für die Sonderopfer im Maßregelrecht . . . . . 220 1. Kostentragung für die Vollstreckung der EAÜ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 220 2. Anspruch auf Schmerzensgeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 C. Überprüfung des derzeitigen rechtlicher Stands der EAÜ in Deutschland und Vorstellung eines rechtspolitischen Vorschlags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 I. „Ultima-ratio“-Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 II. Individualisierungs- und Intensivierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 224 III. Motivierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 IV. Minimierungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 V. Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 VI. Kontrollgebot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 VII. Kostentragungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228 VIII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 228
Inhaltsverzeichnis
13
Teil 4 Schlussfolgernde Zusammenfassung
229
Anhang 1 Gesetz über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern
234
Anhang 2 Urteil des Verfassungsgerichts der Republik Korea vom 27. 12. 2012
253
Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 II. USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 III. Südkorea . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 IV. Verzeichnis für koreanische Gesetze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 V. Bezeichnung der koreanischen Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 VI. Internetquellen (Zeitung und Report) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283
Abkürzungsverzeichnis a.F. AG ALR Art. Aufl. Az. Bd. BewHi BGBl. BGH BKA BRD BR-Drs. BR-PlPr. BT-Drs. BVerfG BVerfGE bzw. ca. CDCR CDU CEBC CILIP DBH ders. DGPPN EAStVollzG EAÜ EMRK etc. EuGH f./ff. FDC FDP Fn. FS GPS
alte Fassung Amtsgericht Allgemeines Landrecht für die Preußischen Staaten Artikel Auflage Aktenzeichen Band Zeitschrift Bewährungshilfe Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundeskriminalamt Bundesrepublik Deutschland Drucksache des Bundesrates Bundesrat – Plenarprotokolle Drucksache des Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise circa California Department of Corrections und Rehabilitation Christlich Demokratische Union Deutschlands Center for Evidence-Based Corrections Teil des Titels der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP; CILIP steht für „Civil Liberties and Police“, CSU (Christlich-Soziale Union in Bayern e. V.) Fachverband für Soziale Arbeit, Strafrecht und Kriminalpolitik DDR Deutsche Demokratische Republik derselbe Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde e. V. Gesetz über elektronische Aufsicht im Vollzug der Freiheitsstrafe (Landesrecht Baden-Württemberg) Elektronische Aufenthaltsüberwachung Europäische Menschenrechtskommission et cetera Europäischer Gerichtshof folgende/fortfolgende Florida Department of Corrections Freie Demokratische Partei Fußnote Festschrift Global Positioning System
Abkürzungsverzeichnis GÜL GÜLStV
15
Gemeinsame Überwachungsstelle der Länder Staatsvertrag über die „Einrichtung einer gemeinsamen Überwachungsstelle für elektronische Fußfesseln“ Hrsg. Herausgeber Hs. Halbsatz HZD Hessische Zentrale für Datenverarbeitung i.R.d. im Rahmen des/der i.S.d. im Sinne des i.V.m. in Verbindung mit KorEAÜG Gesetz über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern LBS Location Based Services (standortbezogener Dienst) LG Landgericht Lit. Buchstabe LT-Drs. Drucksache des Landtages NJW Neue juristische Wochenschrift (Zeitschrift) NK Neue Kriminalpolitik (Zeitschrift) Nr./No. Nummer NStZ Neue Zeitschrift für Strafrecht (Zeitschrift) o.ä. oder ähnliche OLG Oberlandesgericht OPPAGA Office of Program Policy Analysis and Government Accountability (Zeitschrift) PKS Bundeskriminalamt (Hrsg.): Polizeiliche Kriminalstatistik der Bundesrepublik Deutschland Prof. Professor PSB Bundesministerium des Inneren; Bundesministerium der Justiz (Hrsg.): Zweiter Periodischer Sicherheitsbericht, Berlin 2006 PTU Personal Tracking Unit RFID-Technik Radio-Frequenz-Identifikations-Technik Rn. Randnummer R&P Recht & Psychiatrie (Zeitschrift) S. Satz oder Seite sog. sogenannte/sogenannter/sogenanntes StGB Strafgesetzbuch StPO Strafprozessordnung StV Strafverteidiger (Zeitschrift) StVK Strafvollstreckungskammer StVollzG Strafvollzugsgesetz ThUG Therapieunterbringungsgesetz Tz Textziffer u. a. unter anderem u. ä. und ähnliches USA United States of America usw. und so weiter vgl. vergleiche vs. gegen VerfG Verfassungsgericht
16 Vol. z. B. ZIS ZRP ZStW
Abkürzungsverzeichnis Volume zum Beispiel Zeitschrift für internationale Rechtsdogmatik (Zeitschrift) Zeitschrift für Rechtspolitik (Zeitschrift) Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft(Zeitschrift)
Teil 1
Einleitung A. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung für gefährliche Straftäter in Deutschland Die staatliche Überwachung ist seit langem eines der wichtigsten Themen unserer Gesellschaft. Der britische Philosoph Jeremy Bentham, der Begründer des ethischen Utilitarismus, hat ein neues Gefängnissystem entworfen und dieses „Panopticon“ genannt. In Zusammenhang mit diesem Konzept hat Michel Foucault in seinem Buch „Überwachung und Strafe“ demonstriert, wie die Macht moderner Gesellschaften durch Sichtbarkeit den Menschen überwachen und disziplinieren kann. George Orwell hat ebenso in seinem Roman „1984“ vor der Gefahr des sog. „Big Brother“, also der staatlichen Rundumüberwachung, gewarnt. Diese panoptische Konstellation der Überwachung ist bereits deutlich ein Teil unseres alltäglichen Lebens geworden und gewinnt in einer weiterentwickelten Form zunehmend an Einfluss. Die rasante Entwicklung der Informationstechnik führt zur weiteren Ausweitung der menschlichen Sichtbarkeit und erhöht das Überwachungspotenzial stark. Dadurch könnte der Staat eine permanente allumfassende Überwachungskompetenz erreichen. Das Phänomen findet sich vor allem im Rahmen der Kriminalpolitik. Ein ausgezeichnetes Beispiel bezieht sich auf die sog. elektronische Überwachung von Straffälligen. Sie ist als Oberbegriff zu verstehen, welcher alle technisch-unterstützten Überwachungsmöglichkeiten auf dem Gebiet der Kontrolle von Straftätern umfasst.1 Da die elektronische Überwachung von Straftätern durch das Zusammenspiel der fortschreitenden elektronischen Technologie mit strafrechtlichen Sanktionen entstanden ist und sich noch in der Entwicklung befindet, gibt es zurzeit verschiedene Formen dieser Überwachungsform. Sie wird in etwa über 30 Ländern auf der Welt je nach dem Entwicklungszustand der elektronischen Technologie2 zu verschiedenen 1
Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 7. Die Klassifizierungskriterien der technischen Möglichkeiten der elektronischen Überwachung sind zwar nach der Literatur nicht ganz übereinstimmend, jedoch sind die technischen Systeme zur elektronischen Überwachung im Allgemeinen von der „ersten“ bis zur „dritten Generation“ zu unterscheiden, wobei die der ersten Generation lediglich eine Kontrolle der Anwesenheit von Überwachten leisten, solche der zweiten Generation jeden Schritt eines Menschen nachvollziehen und solche der dritten Generation bei einem Regelverstoß auch diesen sofort, z. B. durch einen Elektroschock, sanktionieren sollen. Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 35; Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 23. 2
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Teil 1: Einleitung
Zwecken und auf verschiedene Arten und Weisen im strafrechtlichen Sanktionssystem verwendet.3 Die elektronische Aufenthaltsüberwachung ist eine Art einer solchen elektronischen Überwachung. In Deutschland besteht die elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ) als eine Überwachungsform, die durch den § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB als neue Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht ins Gesetz eingeführt wurde. Die Bezeichnung „elektronische Aufenthaltsüberwachung (EAÜ)“ wurde vom Gesetzgeber als offizielle Bezeichnung gewählt.4 Nach dem Wortlaut des § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB kann „das Gericht die verurteilte Person für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen.“ Wie durch diese Norm festgestellt wird, überwacht die elektronische Aufenthaltsüberwachung rund um die Uhr die Anwesenheit, Abwesenheit bzw. Bewegung der gefährlichen Straftäter in der Gesellschaft. Sie erfolgt mithilfe von GPS-Technik und ergänzender Mobilfunktechnik (sog. „Location Based Services“), um eine Standortüberwachung auch in Bereichen zu gewährleisten, die aufgrund technischer Grenzen derzeit nicht per Satellit erfasst werden können (z. B. Untergeschoss, Tunnel, U-Bahn).5 Zur regelmäßigen Positionsbestimmung haben Betroffene am Fußknöchel ein wasserdichtes, schwarzes, manipulationssicheres Sendergerät zu tragen.6 Über dieses Sendergerät werden in regelmäßigen Abständen Informationen über den Aufenthaltsort des Trägers an eine 3 Der Anwendungsbereich elektronischer Überwachung im Strafverfahren erstreckt sich über mehrere Phasen des Verfahrens und dient der Erfüllung verschiedener Zwecke. Erstens ist sie im Ermittlungs- und Zwischenverfahren anzuwenden. Ein Straftäter kann, bevor er verurteilt ist, in Untersuchungshaft genommen oder stattdessen elektronisch überwacht werden. Die elektronische Überwachung wird dann eingesetzt – entweder als eine Form von Hausarrest oder als Auflage nach einer Entlassung gegen Kaution. Zweitens ist sie im Vollstreckungsverfahren anzuwenden. Dabei wird zur Vollstreckung einer verhängten Strafe die elektronische Überwachung auf 2 Arten eingesetzt. Die erste Art ist das Front Door Model (Eingangstürsystem). Es dient der Vermeidung des stationären Freiheitsentzugs. Durch die elektronische Überwachung wird bei diesem Modell vermieden, den Straftäter in einer Justizvollzugsanstalt unterzubringen. Die elektronische Überwachung kann anstelle kurzer Freiheitsstrafe als eigenständige Strafe verhängt werden oder sie dient der Umsetzung einer Strafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird. Die zweite Art ist das Back Door Model (Ausgangstürsystem). Es bezieht sich auf die Situation eines aus dem Justizvollzug entlassenen Straftäters. Dies geschieht in Fällen der Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe oder bei der Anordnung von Führungsaufsicht zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit. Vgl. Albrecht/Arnold/Schädler, Der hessische Modellversuch zur Anwendung der „elektronischen Fußfessel“, Darstellung und Evaluation eines Experiments, S. 466 – 469, Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 14, Weber, Der elektronisch überwachte Hausarrest und seine versuchsweise Einführung in der Schweiz. S. 8. 4 BT-Drs. 17/3403, S. 16 f. 5 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62. 6 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62.
Teil 1: Einleitung
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Überwachungszentrale übermittelt, die dort mit den Geodaten der angeordneten und im System vermerkten Gebots- und Verbotszonen abgeglichen werden.7 Im Hinblick auf die elektronische Überwachung im Strafrecht war Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Nachbarländern (z. B. England, Frankreich, Schweden) ein Nachzügler.8 In den 2000er Jahren wurden zwar Modellprojekte über die elektronische Überwachung in Hessen und Baden-Württemberg initiiert. Die elektronische Überwachung von Straftätern in Deutschland wurde jedoch für lange Zeit als kein ernsthaftes kriminalpolitisches Thema angesehen.9 Dies änderte sich jedoch mit der Entscheidung des EGMR vom 17. 12. 2009, wobei die rückwirkende Aufhebung der 10-Jahresgrenze bei erstmaliger Sicherungsverwahrung als konventionswidrig beurteilt wurde. Die Entscheidung hat großes Interesse bei Presse und Öffentlichkeit geweckt, weil aufgrund dieser Entscheidung bestimmte gefährliche (Sexual)Straftäter aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden mussten. Das stimmte die deutsche Bevölkerung besorgt, worauf der deutsche Gesetzgeber wiederum schnell reagieren musste. Im Folgenden wurde trotz der Kritik über mangelnde Erfahrungen ohne hinreichende Prüfung und Debatte in „rekordverdächtigem Tempo“10 die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht als spezielle Weisung eingeführt.11 So wurde sie für die gefährlichen Straftäter im Jahr 2011 zunächst ins StGB aufgenommen. 6 Jahre nach ihrer Einführung wurde sie aufgrund des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz unerwartet verschärft. Die Regierung hat, um ein höchst mögliches Maß an Sicherheit zu erreichen, aus dem Berliner Anschlag12 die Konsequenzen gezogen, dass extremistische Gefährder mit einer elektronischen Aufenthaltsüberüberwachung intensiv kontrolliert werden können, wenn die Behörden einen Anschlag für möglich halten. Zwar gab es einige kritische Töne dazu, jedoch trat ein entsprechendes Gesetz am 1. 7. 2017 in Kraft.
7 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62. 8 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 1. 9 Dünkel, in Harders, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, Vorwort, S. 7. 10 Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 311. 11 BT-Drs. 17/3403; BGBl. 2010, Teil I, S. 2300. 12 Bei dem Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche steuerte ein islamistischer Terrorist am 19. 12. 2016 gegen 20 Uhr einen Sattelzug in eine Menschenmenge auf dem Weihnachtsmarkt an der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, der auf dem Breitscheidplatz im Berliner Ortsteil Charlottenburg stattfand. Zuvor hatte der Täter den polnischen Fahrer des Sattelzugs erschossen und das Fahrzeug geraubt. Durch die Kollision mit dem Lkw starben 11 Besucher des Weihnachtsmarktes und weitere 55 Besucher wurden verletzt.
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Teil 1: Einleitung
B. Forschungsziel und Forschungsmethode Die unerwartete Einführung und schnelle Entwicklung der EAÜ haben zu vielen rechtlichen Diskussionen geführt. Von Anfang an fokussiert sich der Diskurs auf die Wirksamkeit der EAÜ, also auf die Frage, ob und inwieweit die EAÜ der Kriminalitätsbekämpfung und -prävention dienen kann. Es wurde teilweise vertreten, dass bei der Einführung der EAÜ Vorsicht und Sorgfalt geboten sei, da die Effektivität dieser neuen Maßnahme noch nicht abschließend geprüft wäre.13 Insbesondere hinsichtlich der Ausweitung der EAÜ im Rahmen der Führungsaufsicht wurde massiv bezweifelt, ob die EAÜ zur Abwehr terroristischer Gewalttaten geeignet ist.14 Trotzdem zögerte der deutsche Gesetzgeber nicht mit der Einführung und Erweiterung der EAÜ, weil er die punitivistisch bzw. präventivistisch geprägte Position nicht aufgeben wollte, welche schon mit der Ausweitung der Sicherungsverwahrung seit Ende der 1990er Jahre an politischem Momentum gewonnen hatte. Seinen Worten nach sei die EAÜ „kein Allheilmittel“, wohl aber ein „zusätzlicher Schutzmechanismus“, der eine präventive Wirkung haben könne.15 Während so die Effektivität der EAÜ im Blickpunkt stand, rückte es nicht in das Zentrum des Interesses des Gesetzgebers, wie schwer die Grundrechte der Überwachten durch die EAÜ beeinträchtigt würden bzw. welche alltäglichen Schwierigkeiten die EAÜ verursachen könnte. Dies hat vermutlich damit zu tun, dass in der heutigen Kriminalpolitik in Deutschland die präventiven und punitiven Strategien vorherrschend sind. Außerdem kann die EAÜ, auf den ersten Blick, im Vergleich zu anderen Maßregeln im StGB als eine weniger eingreifende Maßnahme angesehen werden, weil die EAÜ keine freiheitsentziehende, sondern allein eine freiheitseinschränkende Maßnahme darstellt. Bei dem Gesetzgebungsverfahren fokussierten sich deshalb die verfassungsrechtlichen Bedenken nur auf Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung der überwachten Personen durch die EAÜ.16 Jedoch sollten die Eingriffe in die Grundrechte der Überwachten nicht unterschätzt werden, weil die EAÜ folgenden 2 Eigenschaften besitzt. Erstens stellt die EAÜ eine völlig neue Form der Maßnahmen im StGB dar. Bisher existierte keine vergleichbare staatliche Überwachungsmaßnahme in Deutschland. Die EAÜ beschränkt sich nicht auf die bloße An- und Abwesenheitsfeststellung, sondern ermöglicht es, rund um die Uhr und in Echtzeit zu kontrollieren, wo die Betroffenen sich aufhalten, ihre Positionsdaten zu sammeln und diese automatisiert zu erheben, zu speichern bzw. anlassbezogen einzusehen. Darüber hinaus verursacht das Tragen der zur Überwachung notwendigen Technik eine Stigmatisierung der Überwachten in solchen Situationen, in denen sie nicht unter der Kleidung versteckt 13
Heuer, Stellungnahme zum Gesetzentwurf, S. 4. Die Grüne und Polizei kritisierten, dass die elektronische Fußfessel „kein wirksames Instrument gegen Anschläge“ ist. Süddeutsche Zeitung, 23. April 2017. 15 BR-PlPr. 878, S. 518C. 16 BT-Drs. 17/3403, S. 17 f. 14
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werden kann. Dies zeigt, dass die EAÜ nicht nur die Freiheit der Überwachten, sondern auch verschiedene Grundrechte einschränken könnte. Zweitens wird die EAÜ als eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht demjenigen auferlegt, welcher die für die Ausgangstat auferlegte Strafe schon verbüßt hat oder aus der Sicherungsverwahrung bereits entlassen wurde. Diese Täter sollten grundsätzlich als freie Menschen behandelt werden, weil ihre strafrechtliche Schuld durch das Verbüßen einer – schuldangemessenen – Haftstrafe bereits ausgeglichen wurde. Dennoch werden die Überwachten zum Wohle der Allgemeinheit erzwungenermaßen über das Strafende hinaus auf unbestimmte Zeit durch das elektronische Gerät am Fußknöchel rund um die Uhr überwacht, unter der Prämisse, dass sie wieder rückfällig werden könnten. Problematisch ist dabei, dass hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose ein Irrtum bei aller professionellen Sorgfalt prinzipiell nie auszuschließen.17 Deshalb entsteht die sog. Falsch-Positiv-Rate unvermeidlich, wobei Personen auf Grund unzureichender prognostischer Erkenntnisse zu Unrecht für gefährlich gehalten werden können. In einem solchen Fall wird das Grundrecht des Täters zugunsten der Allgemeinheit geopfert.18 Aufgrund dieser 2 Eigenschaften besteht die Gefahr, dass durch die EAÜ ein gravierender Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen vorliegen könnte. In einem Rechtsstaat dürfen Maßnahmen unter dem Vorwand der Sicherheit der Öffentlichkeit nicht grenzenlos erweitert werden, sondern sollen im Verhältnis zur Gewährleistung der Grundrechte der Bürger stehen. Darüber hinaus bleibt noch ein Problem hinsichtlich der Nachteile der EAÜ im Rahmen der Kriminalrechtspolitik, auch wenn eventuell die EAÜ als nicht verfassungswidrig angesehen werden könnte. Denn die Verfassungsmäßigkeit einer strafrechtlichen Sanktion garantiert nicht immer ihre Idealität. Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich die vorliegende Arbeit mit der verfassungsrechtlichen und kriminalpolitischen Diskussion über die EAÜ und wirft darauf einen kritischen Blick: Forschungsziel ist, die verfassungsrechtliche Grenze für die EAÜ in Deutschland festzulegen und rechtspolitische Vorschläge zur besseren Umsetzung des derzeitigen Standes der EAÜ anzubieten. Dafür werden in der vorliegenden Arbeit folgende Leitfragen aufgeworfen: (1) woher die EAÜ kommt, in Zusammenhang mit welcher kriminalpolitischen Stimmung sie sich entwickelt hat, (2) an welchen Grund- und Menschenrechten sich die EAÜ überhaupt messen lassen muss, (3) welche konkreten rechtlichen Voraussetzungen im Maßregelrecht müssen erfüllt sein, damit ein Grundrechtseingriff der überwachten Person durch die EAÜ als Maßregel gerechtfertigt wird und (4) spiegeln sich diese konkreten rechtlichen Voraussetzungen in den derzeitigen Regelungen der EAÜ in Deutschland wider? Wenn ja, inwieweit?
17 18
Dazu ausführlich, Rudolf Egg, Die unheimlichen Richter, C. Bertelsmann, S. 230 ff. Volckart/Grünebaum, Maßregelvollzug, S. 1.
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Teil 1: Einleitung
Um besser auf diese verfassungsrechtlichen und kriminalrechtspolitischen Fragen antworten zu können, ist es empfehlenswert, zunächst die entsprechenden Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts sowie die wissenschaftlichen Ergebnisse ausführlich zu analysieren. Gegen die EAÜ wurde eine Verfassungsbeschwerde schon im Jahr 2011 erhoben, aber das BVerfG hat bisher noch keine endgültige Entscheidung getroffen. Darüber hinaus ist die Zahl wissenschaftlicher Beiträge zu diesem Thema in Deutschland leider gering,19 weil die Verortung einer präventiven Maßnahme, wie der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, im Recht der Führungsaufsicht bislang nicht existierte. In der vorliegenden Arbeit wird deshalb eine rechtsvergleichende Studie zur Rechtslage in anderen Ländern durchgeführt, welche die EAÜ für gefährliche Straftäter früher als Deutschland eingeführt haben und damit auf relativ umfangreiche Erfahrungen und Forschungsergebnisse über die verfassungsrechtlichen und kriminalrechtspolitischen Probleme der EAÜ zurückgreifen können. Durch diese vergleichende Studie ist zu erkennen, was in Deutschland bezüglich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung und rechtspolitische Verbesserungsvorschlag der EAÜ berücksichtigt werden sollte. Dafür werden hier die USA und Südkorea als Gegenstand der rechtsvergleichenden Untersuchung gewählt, wo die Weisung der EAÜ im Falle von gefährlichen Straftätern sehr oft zum Einsatz kommt. In den beiden Ländern sind nicht nur die Funktionsweisen der EAÜ sehr ähnlich wie in Deutschland, sondern auch der Umstand, dass diese Weisungen erst nach der Verbüßung der Strafe für den Schutz der Allgemeinheit vor gefährlichen Straftätern zusätzlich erteilt werden kann. Es wird im folgenden Aufbau der vorliegenden Untersuchung deutlich, welche Aspekte vergleichend analysiert werden und wie die Ergebnisse der Analyse genutzt werden können.
C. Gang der Untersuchung Die Untersuchung gliedert sich in 4 Teile. Der erste Teil dient der Einführung in die Thematik. Hier werden der Hintergrund, das Ziel und die Methode des Forschungsprojekts vorgestellt. Anschließend wird im zweiten Teil ein Gesamtverständnis der EAÜ in allen 3 Ländern entwickelt. Im Kapitel 1 wird die historische Entwicklung der EAÜ nachgezeichnet, um einen Überblick in den 3 Ländern erlangen zu können. Im Kapitel 2 wird ausführlich analysiert, vor welchem kriminalpolitischen Hintergrund die EAÜ eingeführt und entwickelt wurde. Dadurch ist besser zu verstehen, welche Rolle die EAÜ als neue präventive Maßnahme spielt und warum in allen 3 Ländern ihre verfassungsrechtlichen sowie rechtspolitischen Probleme wichtig behandelt werden müssen. 19 Zu einer ausführlichen Darstellung des aktuellen Forschungsstand der EAÜ in Deutschland, Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 2 – 4.
Teil 1: Einleitung
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Im dritten Teil soll das verfassungsrechtliche sowie rechtspolitische Problem der EAÜ untersucht werden. Zunächst werden im Kapitel 1 die wesentlichen Inhalte der derzeitigen Gesetze bezüglich der EAÜ und ihre aktuelle praktische Umsetzung in den 3 Ländern dargestellt, verglichen und analysiert. Dadurch werden die Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der EAÜ in Deutschland und in den beiden anderen Ländern aufgezeigt. Die Untersuchung stellt eine Ausgangsbasis für die rechtsvergleichende Studie über das verfassungsrechtliche sowie rechtspolitische Problem der EAÜ dar, da ohne eine hinreichende Berücksichtigung dieser Besonderheiten von EAÜ in den verschiedenen Ländern die Ergebnisse der Untersuchungen in den USA und in Südkorea nicht deckungsgleich anzuwenden sind. Im Kapitel 2 wird die Diskussionslage über ihre Verfassungskonformität in den 3 Ländern mithilfe von Literatur und Entscheidungen vorgestellt. Darauf basierend wird im Kapitel 3 verglichen und analysiert, (1) an welchen Grundrechten sich die EAÜ in den 3 Ländern messen lässt, (2) welche Argumente für Pro und Contra hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit der EAÜ diskutiert werden und (3) welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Dadurch sind hilfreiche Gesichtspunkte für die Diskussion um eine verfassungsrechtliche Prüfung der deutschen EAÜ herauszufinden, obwohl das Ergebnis der Verfassungsmäßigkeitsprüfung der EAÜ in den USA und Südkorea aufgrund der Unterschiede bei den betroffenen Rechtsvorschriften, dem Prüfungsschema der Grundrechte und dem Prüfungsmaßstab des Verfassungsgerichts usw. auf die deutsche Verfassungsmäßigkeitsprüfung nicht unmittelbar übernommen werden kann. Das Kapitel 4 geht davon aus, dass die überwachten Personen in Deutschland ein Sonderopfer im Maßregelrecht erbringen. Daraus wird versucht, konkrete verfassungsrechtliche Kriterien für die Rechtfertigung der EAÜ abzuleiten. Darüber hinaus wird eine entsprechende rechtspolitische Empfehlung hergestellt. Abschließend werden im vierten Teil die Ergebnisse der vorangegangenen Teile zusammengefasst.
Teil 2
Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern Kapitel 1
Historische Übersicht In diesem Kapitel wird hauptsächlich in zeitlicher Reihenfolge dargestellt, wann die elektronische Überwachung in dem jeweiligen Land erstmals eingeführt und wie sie danach weiter entwickelt wurde. Zunächst wird auf die erste Entstehung und Evolution der elektronischen Überwachung näher eingegangen. Danach wird der Einführungsprozess der in der vorliegenden Arbeit zu behandelnden elektronischen Aufenthaltsüberwachung erläutert. Dadurch soll aufgezeigt werden, welche speziellen Merkmale Deutschland hinsichtlich der historischen Entwicklung der elektronischen Überwachung im Vergleich zu den beiden anderen Ländern aufweist.
A. USA I. Entstehung 1. Der erste Versuch von Ralph Schwitzgebel Weltweit gesehen hat die Geschichte der elektronischen Überwachung von Straftätern ungefähr in den 1960er Jahren begonnen. Ausgangsland war die USA.1 Dort versuchte Ralph Schwitzgebel zum ersten Mal die elektronische Überwachung im Alltagsleben anzuwenden.2 Schwitzgebel war Professor für Psychologie an der Harvard University. Er beabsichtigte die Anwendung der elektronischen Überwachung nicht nur im Bereich der Medizin für Herzpatienten, Geisteskranke und Epileptiker, sondern auch bei Straffälligen, da er diese Technik zur Resozialisierung von Straftätern in der Gesellschaft als geeignetes Mittel betrachtete.3 Er vermutete, dass ihr Verhalten durch sein elektronisch gesteuertes Wiedereingliederungsprogramm kontrolliert werden könne und diese Methode im Vergleich zur Freiheits1 2 3
Vgl. Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 30 Whitfield, Electronic Monitoring, Erfahrungen aus dem USA und Europa, S. 44. Wittstamm, Elektronischer Hausarrest? S. 34.
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strafe im Gefängnis humaner und sparsamer bezüglich der Kosten sein würde.4 Zur Konkretisierung seiner Gedanken erfand er eine batteriebetriebene Apparatur, die durch einen Sender alle 30 Sekunden elektronische Signale an verschiedene Empfangsstationen sendete, wobei die Genauigkeit des Systems von der Anzahl dieser Stationen abhing. Nachdem er ein Patent für das Gerät erlangt hatte, führte er 1969 ein Experiment an der Harvard University durch.5 Die 16 Teilnehmer der aus Psychiatriepatienten und Straftätern bestehenden Gruppe trugen das Gerät, durch welches ihr Bewegungsprofil erstellt werden konnte. Seine Überlegung war es, durch die permanente Überwachung unerwünschte Verhaltensweisen der Probanden zu unterbinden, ohne sie aus ihrem sozialen Umfeld zu reißen. Im Ergebnis führten von den 16 Teilnehmern nur 4 das Experiment bis zum Ende durch.6 Seine Studie war damit nicht unbedingt erfolgreich und daher wurde Schwitzgebels Erfindung damals nicht mehr erweitert.7 2. Umsetzung in die Praxis durch Jack Love Erst 14 Jahre später wurde erstmals die Idee der elektronischen Überwachung in die Praxis umgesetzt. Der Richter Jack Love im Bundesstaat New Mexico in den USA hatte im Sommer 1977 in einer Zeitung einen „Spiderman“-Comic gelesen und war bei der Lektüre auf die Idee gekommen, die in dem Comic vorgestellte elektronische Überwachungstechnik auch im Bereich des Strafvollzuges anzuwenden.8 Nach seiner Meinung würde sie auch und gerade in Bezug auf Kleinkriminelle nützlich sein, um das Problem der Überfüllung der Gefängnisse zu bewältigen. Grundlage des Gedankengangs war dabei Loves berufliche Erfahrung. Er hatte einmal eine Haftstrafe über 2 Kleinkriminelle verhängt, welche dann aufgrund der damaligen schlechten Zustände in der Strafanstalt ums Leben kamen.9 1983 beauftragte er Michael Gossm, einen Techniker einer Computerfirma, ein passendes technisches System zu entwickeln. Michael Gossm stellte erstmals als das erforderliche technische Gerät zum „tagging“ elektronische Fußbänder her, die aus einem Sender in der Größe einer Zigarettenschachtel bestanden, der am Fußgelenk befestigt wurde. Dies war Ausgangspunkt der sog. Radio-Frequenz-IdentifikationsTechnik10, die als erste Generation eines technischen Systems zur elektronischen 4
Reidlich, Die elektronische Überwachung, S 45. Haverkamp, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 43. 6 Ausführliche Beschreibung des Experiments in: Lindenberg, Das elektronische Halsband, S. 66 ff. 7 Wittstamm, Elektronischer Hausarrest? S. 33. 8 Wittstamm, Elektronischer Hausarrest? S. 31. 9 Haverkamp, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 43. 10 Das Radiofrequenz-System funktioniert wie folgt: Kennzeichnend für die Radiofrequenz-Technik der elektronischen Überwachung ist, dass Überwachte einen RadiofrequenzSender in der Größe einer Zigarettenschachtel am Arm- oder Fußgelenkt tragen. Dieser sendet Radiofunksignale an einen Empfänger, der in der Wohnung der Überwachten installiert ist. Der 5
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Überwachung angesehen wird. Mit diesen Prototypen unternahm Jack Love einen Selbstversuch über 3 Wochen und verhängte in Folge gegen einen Bewährungsbrüchigen erstmals die elektronische Überwachung für die Dauer eines Monats.11 Kurz darauf wurden in Palm Beach, Florida, in einem Pilotprojekt insgesamt 5 Kleinkriminelle12 zum Tragen des Apparates verurteilt. Das Projekt in Verbindung mit elektronisch überwachtem Hausarrest war erfolgreich. Aufgrund finanzieller und technischer Probleme konnte diese Anwendung aber nicht fortgesetzt werden.13 3. Problem der Überbevölkerung im Gefängnis Auch wenn der Versuch des Richters Jack Love im Bundesstaat New Mexico nicht fortgeführt wurde, diente er als Vorbild für weitere Versuche in den USA.14 Er wirkte allmählich auf die Entwicklung dieses Systems im Strafvollzug in den USA ein. Nach den ersten Einsätzen der Technik wurden ähnliche Systeme bis 1986 in 50 verschiedenen Hausarrestprogrammen in 21 US-Bundesstaaten eingeführt.15 Diese Ausweitung der elektronischen Überwachung ist auf die damalige bedenkliche Situation des Strafvollzugs in den USA zurückzuführen. Die USA wiesen bereits seit langem im Vergleich zu anderen Ländern eine hohe Gefangenenrate auf.16 Insbesondere seit Mitte der 1970er Jahre stiegen aufgrund der Veränderung verschiedener sozialer Faktoren sowie der demographischen Lage die Anzahl der Inhaftierten und die Gefängniskosten explosiv an und erreichten in den 1980er Jahren einen Höhepunkt.17 Im Jahr 1978 betrug die Gefangenenrate in den USA ca. 250 pro 100.000 Einwohner18 und verzeichnete von 1978 bis 1982 ein Wachstum von 34 %.19 Dieser Empfänger gibt die Signale des Senders mittels des privaten Telefonanschlusses an den Computer der zentralen Überwachungsstation weiter. Der Empfangsradius zwischen Sender und Empfänger beträgt gewöhnlich 30 bis 70 Meter. Entfernen sich daher die Überwachten aus dem Empfangsbereich, wird das Überwachungssignal unterbrochen und der Computer der zentralen Aufsichtsstelle löst ein Signal aus. In der Praxis wird diese Technik als Form von 2 Überwachungssystemen verwendet. Die Überwachungssysteme unterscheiden sich in der Weise, als dass beim Aktivsystem der Aufenthalt der Überwachten dauerhaft überwacht wird, hingegen erfolgt beim Einsatz des passiven Systems keine lückenlose Überwachung, sondern die Anwesenheit der Überwachten wird nur in bestimmten Zeitabständen überprüft. Vgl. Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 34. Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 19 – 20. 11 Gable, Journal of Criminal Justice 14, 1986, S. 169. 12 3 Personen waren Wirtschaftsstraftäter und die restlichen 2 Personen Trunkenheitstäter im Straßenverkehr. Gable, Journal of Criminal Justice 14, 1986, S. 169. 13 Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 30. 14 Haverkamp, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 43. 15 Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 30. 16 Harders, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 12. 17 Es ist aber umstritten, warum die Gefangenenpopulation damals so stark angestiegen ist. Näheres dazu: Blumstein/Wallman, The Recent Rise and Fall of American Violence, S. 4. 18 Vgl. Damals betrug der internationale Durchschnitt ca. 50 Gefangene pro 100.000 Einwohner (ost-und mitteleuropäische Staaten sowie Russland ausgenommen). Kaiser, Per-
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rasante Anstieg der Gefangenenpopulation wird schlechthin als das große Problem angesehen, welches den Strafvollzug der US-Bundesstaaten in die Krise bringt.20 Für viele Bundesstaaten wurde der elektronische Hausarrest für Kleinkriminelle als eine Lösung dieses Problems bewertet, weil dadurch das Problem der Überbevölkerung in den Gefängnissen gelöst werden könnte21 und damit auch Kosteneinsparungen im Strafvollzug erwartet wurden. Allerdings gab es auch Kritik von Bürgerrechtlern an der Verfassungsmäßigkeit bezüglich der Anwendung.22 Diese verfassungsrechtliche Kritik verhinderte jedoch die Verbreitung der neuen Alternative zum Gefängnis letztlich nicht. 1987 wurden bereits 826 Personen überwacht, 1994 stieg die geschätzte Anzahl der Überwachten auf 67.000.23 Bis heute ist diese Entwicklung nicht aufzuhalten, sodass nahezu jeder Staat in den USA die elektronische Überwachung praktiziert. Eine genaue Übersicht über die vielzähligen Programme und damit über die Anzahl der überwachten Personen ist aber wegen der rechtlichen Selbstständigkeit der einzelnen Bundesstaaten kaum möglich.24
II. Entwicklung 1. Entwicklung von GPS-Technik Die Technik der elektronischen Überwachung mittels GPS wurde ursprünglich in den USA zu militärischen Zwecken entwickelt. Sie diente der Standortbestimmung von Fahrzeugen und Schiffen.25 Das GPS-System verwendet 24 Satelliten im Erdorbit, die permanent Signale an auf der Erde befindliche Empfänger senden. Die übermittelten Signale (Positions- und Zeitdaten) ermöglichen eine Bestimmung des Standortes. Seit den späten 1970er Jahren durften die GPS-Satelliten, die nur für militärische Zwecke genutzt wurden, auch im privaten Sektor verwendet werden. Doch es gab noch keinen Versuch, die GPS-Technologie mit der elektronischen Überwachung für Straftäter zu kombinieren.26 Denn in den 1980er Jahren war das spektiven vergleichender Pönologie, S. 372. Ausführlich zu einer Erklärung und Darstellung von Gefangenenrate im internationalen Vergleich und den aktuellen Zahlen, Dünkel/Lappiseppälä/Morgenstern/van Zyl Smit, S. 1023 – 1118. 19 Clear/Cole, American Corrections. 1990, S. 233. 20 Harders, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S 12. 21 Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 30. 22 Beispielsweise wurden der Schutz des Einzelnen vor unrechtmäßigen Durchsuchungen und Beschlagnahmen von Privaträumen und Privatbesitz, der nomo tenetur Grundsatz, das Verbot der grausamen und unmenschlichen Bestrafung und der Gleichheitsgrundsatz erörtert. Vgl. Hofer/Meierhoefer, Home confinement: An envolving sanction in the Federal Criminal Justice System 1987. 23 Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 25. 24 Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 32. 25 Reidlich, Die elektronische Überwachung, S. 36. 26 Lilly/Nellis, Electronic monitoring in the United States of America, S. 32.
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nationale Telekommunikationsnetz der Vereinigten Staaten noch nicht vollständig etabliert, um die Tracking-Anlage der Einzelnen zu ermöglichen. Es konnte nur der Ort einer Person bestimmt werden, jedoch konnte die Bewegung nicht selbst überwacht werden.27 In den 1990er Jahren begann sich die GPS-Technologie rasant zu entwickeln, sodass sie mittels GPS-Ortsbestimmung im Alltagsleben – z.B. Autovermietung, Reiseplanung und Standortverfolgung bei Handyverlust – weit verbreitet wurde. Unter diesem Einfluss begann ebenfalls die Einführung der GPSTechnologie im Falle von Straftätern. Im Jahr 1994 erhielten US-Unternehmen wie auch kanadische Unternehmen finanzielle Unterstützung aus dem US-Justizministerium und begannen an GPS-Ortsbestimmung-Technologien für Kriminelle zu forschen. Die Justizvollzugsbehörde in New Mexico beauftragte die „Sandia National Laboratories“, ein 24-Stunden-Tracking-System zu entwickeln. Im Zuge dieser Bemühungen entwickelte die Firma Pro-Tech in Florida das erste Ortsbestimmungssystem mittels GPS-Technologie und wurde so zu einem führenden Unternehmen in diesem Bereich.28 Im Jahr 2001 wurde die US-amerikanische EAÜ in einigen US-Staaten für kleine Gruppen von Kriminellen (in der Regel weniger als 30 Personen) durchgeführt, während wissenschaftliche Forschungen diesbezüglich parallel durchgeführt wurden. Laut einigen dieser Studien in Florida diene die elektronische Überwachung mittels GPS als effektive Präventionsmaßnahme zur Verhinderung von Verbrechen. Im Vergleich zum elektronisch überwachten Hausarrest könne diese neue Methode eine Reihe von Vorteilen bieten, weil nicht nur die Anwesenheit oder Abwesenheit der Überwachten an einem Ort erfasst, sondern auch ihr Aufenthaltsort und ihre Bewegungen in Echtzeit verfolgt werden können.29 Allerdings gab es auch Kritik, wie etwa, dass die elektronische Überwachung mittels GPS mit dem Hausarrest vergleichbar teuer ist, den Weg in die Überwachungsgesellschaft auslösen werde und die Privatsphäre der Bürger verletzen würde, indem massive Informationsdaten mit der Entwicklung der Zukunftstechnologien kombiniert werden.30 2. „Jessica Lunsford Act“ in Florida Sexualverbrechen an Kindern in den 1990er Jahren erweckten breites öffentliches Interesse an der elektronischen Überwachung mittels GPS-Technologie und den damit zusammenhängenden raschen Gesetzgebungen.31 Damals gab es eine Reihe von Sexualverbrechen an Kindern, sodass solche Fälle durch die Medien in der Gesellschaft viel Aufmerksamkeit bekamen und viele empörte Bürger die Politiker zum Handeln aufforderten. In Washington D.C. wurden z. B. 3 Jungen von Wesley 27
Lilly/Nellis, Electronic monitoring in the United States of America, S. 32. Lilly/Nellis, Electronic monitoring in the United States of America, S. 32. 29 Padgett/Bales/Blomberg, An empirical test of the effectiveness and consequences of electronic monitoring S. 76 ff. 30 Renzema, The Scope of Electronic Monitoring Today, S. 9. 31 Melony, GPS and Electronic Surveillance of Sex Offenders, S. 166. 28
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Allan Dodd sexuell missbraucht und ermordet. Earl Shriner vergewaltigte einen 7jährigen Jungen und brachte ihn danach um. Diese Fälle führten im Rahmen einer ersten staatlichen Maßnahme zur Einführung des Gemeinschaftsschutzgesetzes 1990 („Community Protection Act of 1990“).32 1989 wurde in Minnesota Jacob Watterling entführt. Aus diesem Anlass wurde 1994 auf Bundesebene das Jacob Watterling Gesetz („Jacob Watterling Crimes Against Children and Sexuality Violent Offender Registration Act“) verabschiedet.33 Doch weiterhin geschahen Mordfälle und sexuelle Missbräuche an Kindern, wie Polly Klaas, Megan und Samantha, sodass in den Vereinigten Staaten noch härtere Rechtsvorschriften gegen Sexualverbrechen zustande kamen. Im Zuge dessen wurden Gesetze wie das 3-Strikes-Out Gesetz („Three Strikes, You’re Out Law“), die Registrierung von Sexualstraftätern und gemeinschaftliches Notifizierungsrecht („Sex Offender Registration and Community Notification Law“), das Sexuelle Predator-Gesetz („Sexual Predator Law“) und das obligatorische Kastrationsgesetz („Mandatory Chemical Castration Law“) usw. erlassen.34 Auch die Einführung der EAÜ gegen gefährliche Sexualstraftäter bezog sich gerade auf diese Entwicklung. 2005 ereignete sich der Tod eines 9-jährigen Mädchens aus Florida.35 Sie wurde von John Couey entführt, sexuell missbraucht und ermordet. Er war in der Vergangenheit wegen obszönem Verhalten vor dem Kindergarten für 4 Jahre im Gefängnis gewesen und somit bereits als Sexualstraftäter registriert. Er hatte jedoch nicht mitgeteilt, dass er gegenüber der Familie des Opfers eingezogen war. Er hat beim Bau einer Schule mitgearbeitet, und seine Vorstrafe wurde dabei nie bekannt. Vor diesem Hintergrund war es für ihn leicht, Jessica zu entführen. Nach der Tat begrub er das Opfer schließlich etwa 150 Meter von ihrem Elternhaus entfernt.36 Die Tat im Februar 2005 hatte wegen ihrer Brutalität in den USA besonderes Aufsehen verursacht. Dieser Fall erzeugte öffentliche Wut und man kam zu dem Schluss, dass nur mit der Registrierung von Sexualstraftätern Kinder vor solchen schweren Verbrechen nicht genügend geschützt wären. Als Reaktion entwarf der Senator Charles Dean in Florida das „Jessica Lunsford“ Gesetz (HB 1877), welches die 24-Stunden-Ortsbestimmung mittels GPS von Sexualstraftätern mit hohem Rückfallrisiko ermöglichte. Am 2. 5. 2005 wurde es von Floridas Gouverneur Jeb Bush unterzeichnet. Mit dem „Jessica Lunsford“ Gesetz hatte Florida die sowieso schon harten Strafen noch verschärft. Das „Jessica Lunsford“ Gesetz setzte eine Mindeststrafe von 25 Jahren für Personen fest, die Kinder unter 12 Jahren sexuell belästigen.37 Sollte das Opfer umgebracht worden sein, ist auch die Todesstrafe 32
Karen/Alissa, A Brief History of Major Sex Offender Laws, S. 55 – 56. Karen/Alissa, A Brief History of Major Sex Offender Laws, S. 56 – 57. 34 Siehe dazu näher, Teil 2, Kapitel 2, A. II. 35 Bales, A Quantitative and Qualitative Assessment of Electronic Monitoring, S. 24. 36 Mark Memmott, Girl’s death raises questions about tracking of sex offenders, USA TODAY, Mar. 25, 2005, at 4 A. 37 Florida Statute § 775.082. 33
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möglich.38 Bislang sah die Gesetzgebung bei derartigen Verbrechen Haftstrafen von bis zu 30 Jahren vor. Überdies war geplant, dass auch diejenigen bestraft werden konnten, die den Aufenthaltsort eines Sexualstraftäters kennen, diesen aber nicht bei der Polizei melden. Zusätzlich können Sexualstraftäter erst nach 30 Jahren, nicht wie zuvor nach 20 Jahren, ein Gesuch einreichen, aus der Liste der Täter entfernt zu werden. Die wirkliche Innovation war jedoch, dass die nach September 2005 verurteilten und auf Bewährung oder nach Ende der Haftstrafe freigelassenen Straftäter lebenslang elektronisch überwacht werden konnten.39 Mithin müssen sie eine elektronische Fußfessel oder ein ähnliches Gerät zur Bestimmung ihres Aufenthaltsortes tragen. So kann jederzeit festgestellt werden, ob sie ihre Auflagen einhalten, also sich z. B. von Kindergärten oder Schulen fern halten oder sich in der Nähe eines Tatorts befunden haben. 3. Erweiterung auf andere US-Bundesstaaten Der Jessica Lunsford Fall in Florida war auch ein direkter Auslöser für die Gesetzgebung bezüglich der EAÜ in anderen Staaten. Nachdem dieser Fall in den Vereinigten Staaten durch die Medien bekannt wurde, fühlten sich die Bürger anderer Staaten unruhig. In vielen Staaten sahen sich die Gesetzgeber deshalb gezwungen, das sog. „Jessica Lunsford Law“ zu entwerfen.40 In Kalifornien z. B., welches zu den Staaten mit den meisten Sexualstraftätern in den Vereinigten Staaten gehörte, wurde sofort das „Sexual Predator Punishment and Control Law“ entworfen. Der Gouverneur von Kalifornien Arnold Schwarzenegger, der in der Öffentlichkeit als Republikaner einen Ruf als starker Mann im Kampf gegen das Verbrechen innehatte, sprach seine Bereitschaft zur Unterstützung des Gesetzes aus.41 In einem Interview mit den Medien betonte er, dass Sexualstraftätern keine Toleranz gewährt werden dürfe und dass sie durch strenge Gesetze daran gehindert werden sollten, Verbrechen an der Gesellschaft zu begehen.42 Der Gesetzentwurf wurde am 10. 1. 2006 vom Senat und von den Versammlungsausschüssen abgelehnt, weil die Oppositionsmitglieder der Demokratischen Partei, die eine Mehrheit in Kalifornien hatten, sich dagegen aussprachen.43 Die Demokraten kritisierten zum einen die entstehenden Kosten, zum anderen, dass man hier eine Verfassungswidrigkeit nicht ausschließen 38
Florida Statute § 775.082. Florida Statutes § 947.1405, § 948.30, § 948.063. 40 Bales, A Quantitative and Qualitative Assessment of Electronic Monitoring, S. 24. 41 Peckenpaugh, Jessica’s Law Measures in California, S. 2. 42 „What kind of a society do we create here when you cannot even let the children go out on the playground, and you always have to worry about them getting abducted and sexually molested and all those things? … We have seen with sexual offenders and with sexual predators that they commit those crimes over and over. So how many more times should we give them the chance?“ Interview by Rick Roberts with Arnold Schwarzenegger, Governor, California, in San Diego, Cal. (Aug. 17, 2005) 43 Peckenpaugh, Jessica’s Law Measures in California, S. 2. 39
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könne, da nach dem Gesetzentwurf keine bestimmten Straftäter, sondern alle Sexualstraftäter unter EAÜ gestellt werden und es somit untergesagt sei, in einem bestimmten Umkreis, meist zwischen 300 und 800 Metern, von Schulen, Kindertagesstätten, Spielplätzen, Turnhallen, Schwimmbädern, Jugendzentrum und Parks zu wohnen, oft aber auch, dort einer Arbeit nachzugehen oder sich auch nur aufzuhalten.44 Jedoch akzeptierten die Bürger Kaliforniens diese Ablehnung nicht. Umgehend wurde eine Stimmzettelinitiative ins Leben gerufen und am 7. 11. 2006 fand eine Volksabstimmung statt. Hier wurde California Proposition 83 mit mehr als 70 % der stimmberechtigen Einwohner verabschiedet und am 1. 1. 2007 in Kraft gesetzt.45 Dadurch wurde das kalifornische Strafrecht in Section 3000 und 3004(b) „Californian Penal Code“ dahingehend abgeändert, als dass Straftäter während der Bewährungszeit und Sexualstraftäter lebenslänglich eine GPS-Sender-Fußfessel tragen müssen.46 Die GPS-Überwachung wurde nun rasch auf andere Bundesstaaten ausgeweitet. Auch im US-Bundesstaat Massachusetts hat im Jahr 2005 der republikanische Gouverneur Kerry Healey einen Gesetzesentwurf eingereicht, nach dem Straftäter mit einem GPS-Ortungssystem überwacht werden können. Dieser Gesetzentwurf wurde am 21. 9. 2006, am Tag nach dem das kalifornische EAÜ-Gesetz in Kraft gesetzt wurde, von der Legislative verabschiedet.47 Außerdem wurden im Jahr 2005 in Florida, Ohio und Missouri Gesetzgebungen erlassen, um eine lebenslange elektronische Überwachung für bestimmte Sexualstraftäter zu ermöglichen. Zurzeit erfreut sich die GPS-Überwachung zur Verbrechensbekämpfung in den USA wachsender Beliebtheit. Heute wird die EAÜ in den meisten US-Staaten zu verschiedenen Zwecken und auf verschiedene Arten und Weisen als fester Bestandteil des amerikanischen Sanktionssystems angewandt.48 Zugleich gab es auch auf Bundesebene Bemühungen zur Einführung der EAÜ, um Rückfälligkeit bei Sexualstraftätern nach Verbüßung der Freiheitsstrafe zu verhindern. Am 21. 7. 2005 entwarf der Kongressabgeordnete Hastings aus Florida in der 109. Legislaturperiode des Kongresses das Wirksame Sexualstraftäter Überwachungsgesetz („Sexual Predator Effective Monitoring Act; H.R. 3382“).49 Jedoch wurde dieser Gesetzantrag hinfällig, als die 109. Kongresssitzung beendet wurde.50 Stattdessen wurde, um die Kontrolle von Sexualstraftätern in den USA zu verschärfen, am 20. 7. 2006 das Adam Walsh Kinderschutz- und Sicherheitsgesetz 44 45 46 47 48 49
S. 23. 50
S. 25.
Peckenpaugh, Jessica’s Law Measures in California, S. 2. D’Orazio, the California Sexuality Violent Predator Statute, S. 16. Siehe dazu näher, Teil 3, Kapitel 1, A.II.2. 2006 Mass. Legis. Serv. 303 (West). Siehe dazu näher, Teil 3, Kapitel 1, A.II. Marisa, An ingenious solution to the threat pedophiles pose to California’s children, Marisa, An ingenious solution to the threat pedophiles pose to California’s children,
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(„The Adam Walsh Child Protection and Safety Act H.R. 4472“) vom US-Senat verabschiedet und am 27. 7. 2006 vom US-Präsidenten George W. Bush in Kraft gesetzt. Es sieht vor allem eine Registrierungspflicht mit DNA-Probe für Sexualstraftäter vor.51 Nach diesem Gesetz kann darüber hinaus die US-Bundesregierung den jeweiligen Staaten für maximal 3 Jahre sog. Jessica Lunsford und Sarah Lunde Zuschüsse finanzieren, um die Einführung der EAÜ in weiteren US-Bundesstaaten zu unterstützen.52 Dafür müssen die Staaten eine Infrastruktur für die Durchführung der EAÜ aufbauen.53 Zwar gibt es auf Bundesebene keine obligatorischen Rechtsvorschriften für die EAÜ, doch die US-Bundesregierung fördert durch diese finanzielle Unterstützung die Einführung der EAÜ in den Bundesstaaten.
B. Südkorea I. Entstehung 1. Einfluss des US-amerikanischen kriminalpolitischen Trends der Ausweitung ambulanter Sanktionen In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre beschäftigte sich zum ersten Mal das koreanische Justizministerium mit der Einführung der elektronischen Überwachung in die koreanischen strafrechtlichen Sanktionssysteme.54 Damals geriet die koreanische Bewährungshilfe mangels Personalkräften in Schwierigkeiten. Zum einen wurde der betroffene persönliche Anwendungsbereich von Jugendstraftätern auf Erwachsene infolge der Gesetzesreform zur Bewährungshilfe im Jahr 1997 erweitert, zum anderen gab es mehrere Verurteilungen auf Bewährung für Wirtschaftsstraftäter in der asiatischen Finanzkrise im Jahr 1997. Dies führte dazu, dass die Anzahl der Straffälligen mit Bewährungsauflagen unerwartet anstieg.55 Zwecks Problemlösung wurde im Mai 1998 eine nationale Konferenz mit dem Titel „Das aktuelle Problem und die Verbesserungsmöglichkeit der koreanischen Bewährungshilfe“ im koreanischen Justizministerium abgehalten, an welcher auch der Justizminister und der Leiter jeder Führungsaufsichtsstelle teilnahmen. Auf der Tagung wurde die elektronische Überwachung für Straftäter vorgestellt, wie sie in den USA angewandt
51 Adam Walsh, Child Protection and Safety Act of 2006, Pub. L. No. 109 – 248 § 102, 120 Stat. 587, 590 (codified in scattered sections of 42 U.S.C. and 18 U.S.C). 52 42 U.S.Code § 16981(a), (b). 53 42 U.S.Code § 16981(c). 54 Vgl. Hye-Jeong Kim, Übertragbarkeit bzw. Anwendbarkeit der elektronischen Überwachung in Korea, S. 25. 55 In Südkorea ist die Anzahl der Anordnung der Bewährung drastisch gestiegen: es waren 67.947 Fälle im Jahr 1996, 100.988 Fälle im Jahr 1997 und 135.216 Fälle im Jahr 1998, http:// www.index.go.kr/main.do.
Kap. 1: Historische Übersicht
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wurde. Auch wurden erstmalige praktische Erfahrungen mit ihr in Südkorea präsentiert, was einen Schwerpunkt der Konferenz ausmachte.56 Das koreanische Justizministerium richtete sein Augenmerk auf die neue Technik der elektronischen Überwachung. Es erwartete nämlich, dass durch die neue Technik der elektronischen Überwachung aus den USA das damalige Problem hinsichtlich des Personalmangels in koreanischen Bewährungshilfen gelöst werden könnte.57 Darüber hinaus rechnete das koreanische Justizministerium damit, dass in Zukunft die elektronische Überwachung als wirksames Mittel zur Verbesserung des strafrechtlichen Sanktionssystems eingesetzt werden könnte, weil sie den Vorteil besitzt, dass sie für verschiedene Zwecke und auf verschiedene Art und Weise im koreanischen strafrechtlichen Sanktionssystem ihre Verwendung finden kann. Ein weiterer Grund dafür stand im Zusammenhang mit der Förderung der nationalen ITIndustrie durch die koreanische Regierung.58 Unter dem Titel „Zukunftsplan für das 21. Jahrhundert in Korea“ legte die damalige koreanische Regierung besonderen Nachdruck auf die Entwicklung der nationalen IT-Industrie. Da die elektronische Überwachung mittels IT-Technologie funktioniert, wollte die koreanische Regierung diese Technik finanziell fördern, und das Justizministerium war damit einverstanden.59 Aufgrund der verschiedenen Vorteile der elektronischen Überwachung war in der Gesellschaft eine relativ positive Stimmung für die Einführung des neuen Instruments zu beobachten. Tatsächlich interessierten sich auch auf der Tagung im Mai 1998 beinahe alle Anwesenden für die neue Maßnahme und äußerten positive Erwartungen, obwohl es damals in Korea noch keine umfangreichen Erfahrungen mit dieser Maßnahme gegeben hatte, und die elektronische Überwachung für alle Beteiligten somit Neuland war.60 Die Befürworter hatten die Erwartung, dass sich durch
56 Um diese Situation in Korea besser zu verstehen, sollten zunächst die historische Verbindung mit US-amerikanischen strafrechtlichen Sanktionen hinsichtlich insbesondere der Bewährungshilfe und der damalige kriminalpolitische Trend in den USA betrachtet werden. Die koreanische Bewährungsstrafe wurde von Beginn an auf dem US-amerikanischen Bewährungshilfesystem aufgebaut und ist durch kontinuierlichen wissenschaftlichen Austausch und regelmäßigen Regierungskontakt mit den USA seitdem noch vom amerikanischen kriminalpolitischen Trend unmittelbar beeinflusst. Zur Entwicklung der koreanischen Bewährungshilfe: Yeongsu Han, Entstehung und Entwicklung des Gesetzes über die koreanische Bewährungshilfe, S. 21 – 61. 57 Yeong-Cheol Yoon, Ein kritischer Beitrag zum elektronischen Überwachungssystem in Korea, S. 202. 58 Yeong-Cheol Yoon, Ein kritischer Beitrag zum elektronischen Überwachungssystem in Korea, S. 202. 59 Hye-Jeong Kim, Übertragbarkeit bzw. Anwendbarkeit der elektronischen Überwachung in Korea, S. 25. 60 Hye-Jeong Kim, Übertragbarkeit bzw. Anwendbarkeit der elektronischen Überwachung in Korea, S. 25.
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die elektronische Überwachung die Personalkosten wie auch das Rückfallrisiko verringern könnten.61 Im Gegensatz zu dieser positiven Haltung der zuständigen Beamten in der Praxis waren in der wissenschaftlichen Ebene einige kritische Stimmen zu hören. Nach Ansicht Hyejeong Kims war die elektronische Überwachung eine typische entwürdigende ambulante Sanktion, die als Sinnbild einer repressiven Kriminalpolitik die Gefahr einer Verletzung der Menschenwürde barg und zur Disziplinierung der Gesellschaft durch staatliche Kontrolle führen würde.62 Vor diesem Hintergrund gründete im Jahr 1999 das koreanische Justizministerium ein Expertenteam, welches sich ausschließlich mit der Erforschung der elektronischen Überwachung befasste, um eine erfolgreiche Einführung des neuen Instruments in das koreanische strafrechtliche Sanktionssystem zu erreichen. 2. Lernaufenthalt zum elektronischen Überwachungssystem Da zur damaligen Zeit keine eigenen Forschungs- und Erfahrungsberichte über die elektronische Überwachung existierten, war das Expertenteam zunächst auf aktuelle Praxisfälle und die vielfältigen Erfahrungen aus den Ländern angewiesen, welche die elektronische Überwachung schon angewandt hatten. Als Teil ihres Forschungsvorhabens reiste daher das Expertenteam nach England, um sich einerseits detailliert über den elektronischen überwachten Hausarrest mittels Radiofrequenz-Technik zu informieren, zum anderen um mittels Interviews mit überwachten Personen und Bewährungshelfern empirische Daten zu dieser Technologie zu sammeln.63 Auf dieser Basis wurde der Forschungsbericht durch das Expertenteam erstellt und dem koreanischen Justizministerium übergeben. Im Bericht wurde darauf hingewiesen, dass aufgrund der verschiedenen Einsatzmöglichkeiten für alle Straftäter und mehr effektiver Rückfallverhinderung durch die Stärkung der Überwachung im Rahmen der Bewährungshilfe die elektronische Überwachung in Verbindung mit dem Hausarrest auch im koreanischen Strafrechtssystem wirkungsvoll angewandt werden könne, obwohl die Kosten-Nutzen-Rechnung über die Einführung der elektronischen Überwachung kompliziert sei, da keine einheitlichen Forschungsergebnisse aus dem Ausland vorliegen würden.64 Nach Prüfung des Berichts entschied sich das koreanische Justizministerium im Jahr 2000 aus Kostengründen und mangels dringender Notwendigkeit der Aus61 Hye-Jeong Kim, Überprüfung über die Anwendungsmöglichkeit der elektronischen Überwachung, S. 107 ff. 62 Hye-Jeong Kim, Übertragbarkeit bzw. Anwendbarkeit der elektronischen Überwachung in Korea, S. 25. 63 Koreanisches Justizministerium, Bericht über die elektronische Überwachung in England, S. 3 64 Koreanisches Justizministerium, Bericht über die elektronische Überwachung in England, S. 3.
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weitung der ambulanten Sanktionen gegen die Einführung einer elektronischen Überwachung, die als eine Alternative zur Freiheitsstrafe in Verbindung mit Hausarrest in den USA und England angewandt wurde.65 Stattdessen wurde als Weisung im Rahmen der Bewährungshilfe das elektronische Stimmenerkennungssystem bezüglich der nächtlichen Ausgangssperre eingeführt.66 Die neu eingeführte elektronische Stimmenerkennung bezog sich darauf, dass die nächtliche Ausgangssperre für Straftäter effektiver durchgeführt werden sollte. Nach dem damaligen koreanischen Gesetz zur Bewährungshilfe § 32 Abs. 3 Satz 1 Nummer 3 konnte das Gericht bei Bedarf dem Verurteilten für die Dauer der Bewährungszeit die Weisung der nächtlichen Ausgangssperre (22 Uhr bis 6 Uhr) erteilen, um die Begehung von Straftaten zu verhindern. Demgemäß waren die überwachten Personen gesetzlich dazu verpflichtet, auf Anrufe der Führungsaufsichtsstelle zur Überprüfung ihrer Anwesenheit persönlich zu antworten. Im Detail bedeutete dies, dass die überwachten Personen von einem Anrufbeantworter der Führungsaufsichtsstelle in bestimmten Zeitabständen (bis zu dreimal pro Nacht) kontaktiert wurden und zur Identifizierung auf Fragen persönlichen Inhalts antworten mussten. Dabei überprüfte der Bewährungshelfer mittels Stimmenerkennungssoftware, ob die Stimme des Empfängers mit seiner auf dem Computer bereits aufgenommenen Stimme übereinstimmte.67 3. Pilotprojekt und offizielle Einführung der nächtlichen Ausgangssperre mittels der elektronischen Stimmenerkennung Um eine bessere und genauere Anwendung der nächtlichen Ausgangssperre in Bezug auf Technik, Verfahren und Wirkung zu gewährleisten, hatte das koreanische Justizministerium vor der allgemeinen Einführung der elektronischen Stimmenerkennung auch ein Pilotprojekt zur Jugendbewährungshilfe eingeführt. Zur Vorbereitung dieses Pilotprojekts wurde zuerst im September 2002 die technische Einrichtung zur nächtlichen Ausgangssperre mittels der elektronischen Stimmenerkennung in der Führungsaufsichtsstelle in Seoul eingerichtet. Ab März 2003 wurden die Richtlinien für die Anwendung in der Praxis erlassen. Danach wurde von April 2003 bis Oktober 2004 das Pilotprojekt für 310 ausgewählte Straftäter in der Jugendbewährungshilfe Seoul durchgeführt.68 Im Ergebnis wurde dabei die nächtliche Ausgangssperre mittels elektronischer Stimmenerkennung im Hinblick auf die Rückfallverhinderung als überwiegend positiv bewertet.69 Aufgrund dieser Resultate 65 Youn-Oh Cho, Analysis of the Automated Voiceprint Recognition Curfew for Juvenile Probationers in Korea, S. 9. 66 Youn-Oh Cho, Analysis of the Automated Voiceprint Recognition Curfew for Juvenile Probationers in Korea, S. 10. 67 Vgl. Seong-Su Park, A Study on Introduction to Electronic Monitoring for the Probationer, S. 111. 68 Vgl. Il-Su Kim, A Study on Electronic Supervision for Criminals, S. 76. 69 Vgl. Il-Su Kim, A Study on Electronic Supervision for Criminals, S. 76.
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führte sie das koreanische Justizministerium im Jahr 2005 landesweit offiziell ein.70 Darüber hinaus wurde entschieden, dass der Anwendungsbereich nicht nur auf Jugendstraftäter, sondern auch auf Erwachsenenstraftäter, die wegen Diebstahl, Raub, Hausfriedensbruch, Sexualverbrechen usw. verurteilt worden waren, zu erweitern.71 Diese Erweiterung des Anwendungsbereichs und die häufige Anordnung dieser Weisung in der Praxis, welche aufgrund des Vertrauens auf einen positiven Effekt hinsichtlich der Rückfallverhinderung erfolgte, hatte zur Folge, dass seit 2005 die Anzahl der Überwachten, denen eine nächtliche Ausgangssperre mittels der elektronischen Stimmenerkennung auferlegt wurde, kontinuierlich anstieg.72 Gegenwärtig wird diese Weisung auf Jugend- und Erwachsenenstraftäter noch häufig angewandt. Insbesondere für erwachsene Sexualstraftäter kann sie zusammen mit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, die 2008 eingeführt wurde, vom Gericht gemeinsam angeordnet werden.73
II. Entwicklung 1. Eine Reihe schwerer sexueller Missbräuche und Ermordungen von Kindern Zwar wurde seit 2003 die nächtliche Ausgangssperre mittels der elektronischen Stimmenerkennung nach dem bereits genannten Pilotprojekt in das koreanische Sanktionssystem eingeführt. Dadurch reduzierte sich die Rückfallquote der betreffenden Straftäter während der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht. Doch wurde über die Einführung der neuen elektronischen Überwachung in ihren weiteren Formen, wie etwa elektronische Überwachung mittels GPS, aufgrund fehlender dringender Notwendigkeit auf wissenschaftlicher Ebene und von Seiten des koreanischen Justizministeriums lediglich im geringen Umfang diskutiert.74 Diese Situation änderte sich jedoch unerwartet. Auslöser hierfür war eine Reihe schwerer sexueller Missbräuche und Ermordungen von Kindern, die von September 2003 bis 2006 von Herrn Y und C begangen wurden.75 Ende des Jahres 2004 wurden diese grausamen Verbrechen durch die koreanischen Massenmedien veröffentlicht. Dadurch wurden diese Fälle zu einem großen Thema in der südkoreanischen Öffentlichkeit. Infolgedessen wurde in der Bevölkerung eine wachsende Angst vor 70 Vgl. Seong-Su Park, A study on introduction to electronic monitoring for the probationer, S. 112. 71 Vgl. Hyon-Mi Chong, Sexual crime prevention and electronic monitoring, S. 325. 72 Vgl. Hyon-Mi Chong, Sexual crime prevention and electronic monitoring, S. 325. 73 Vgl. Hyon-Mi Chong, Sexual crime prevention and electronic monitoring, S. 325. 74 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 93. 75 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 91 ff.
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Sexualgewaltverbrechen verzeichnet, und die Forderung nach Sicherheit und Verbrechensprävention stieg stark an. Außerdem hatte das Misstrauen der Menschen gegenüber der Sicherheitspolitik der Regierung bezüglich schwerer (Sexual)Verbrechen stark zugenommen.76 Ärger und Misstrauen in der Bevölkerung führten dazu, dass Politiker und der Gesetzgeber die aktuelle Situation als eine große Krise für die kommenden Abgeordneten- und Präsidentenwahlen einschätzten.77 Um dieses Problem zügig zu lösen, unternahmen das koreanische Parlament und die Regierung den Versuch, in kurzer Zeit eine ganze Reihe punitiver kriminalpolitischer Maßnahmen, die von der US-amerikanischen Kriminalpolitik unmittelbar übernommen wurden, neu einzuführen.78 Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2008 das Gesetz über die elektronische Aufenthaltsüberwachung mittels GPS gegen bestimmte gefährliche Sexualstraftäter zusammen mit dem Gesetz über die Bekanntmachung der persönlichen Informationen der Sexualstraftäter im Internet erlassen, wie auch eine Verlängerung der Freiheitsstrafe bei Sexualstraftaten beschlossen wurde.79 2. Entstehung des Gesetzes zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung für gefährliche (Sexual)Straftäter a) Gesetzesentwurf zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung Auf Seiten der koreanischen Politik war es die damalige Vorsitzende der konservativen Saenuri-Partei, Park Geun-hye (von 2013 bis 2017 Präsidentin von Südkorea), die als erste die Notwendigkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für gefährliche Sexualstraftäter erwähnte und einen entsprechenden Gesetzesentwurf vorschlug.80 Am 8. 4. 2005 betonte sie während ihrer Rede im koreanischen Parlament, dass die Einführung der EAÜ aus den USA als neuer Präventionsmaßnahme gegen schwere Sexualverbrechen notwendig sei. Nach Diskussionen in der Saenuri-Partei wurde von den 95 Abgeordneten der Gesetzentwurf zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung für gefährliche (Sexual)Straftäter schließ-
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Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/Man-Hyeong Heo, The Analysis of the Policy Formation Process of the Electronic Device Attachment System to Sexual Offenders against Children by Multiple Streams Model, S. 262. 77 Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/Man-Hyeong Heo, The Analysis of the Policy Formation Process of the Electronic Device Attachment System to Sexual Offenders against Children by Multiple Streams Model, S. 264 ff. 78 Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/Man-Hyeong Heo, The Analysis of the Policy Formation Process of the Electronic Device Attachment System to Sexual Offenders against Children by Multiple Streams Model, S. 264 ff. 79 Näheres dazu siehe Teil 2, Kapitel 2, A.II. 80 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 91.
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lich am 13. 7. 2005 vorgelegt.81 Vom 13. 9. 2005 bis zum 22. 12. 2006 fand die Anhörung zur Gesetzvorlage im Parlament insgesamt fünfmal statt. Bei der Anhörung nahmen die Leiter der 2 Führungsaufsichtsstellen in Seoul und in Gong-Ju als Redner teil, sowie ein Richter, ein Rechtsanwalt, ein Vertreter des Bürgervereins für Menschenrechte und 3 Professoren. Darüber hinaus beteiligten sich auch 30 Abgeordnete an den Diskussionen.82 Dabei wurden unter anderem die folgenden 3 Auffassungen vertreten: a) Die Leiter der 3 Führungsaufsichtsstellen äußerten sich dahingehend, dass nach US-amerikanischem Vorbild die elektronische Aufenthaltsüberwachung nach der Haftentlassung als neue Präventionsmaßnahme gegen schwere Sexualverbrechen möglichst sofort in das koreanische Sanktionssystem integriert werden sollte.83 Begründet wurde es damit, dass eine effektive Präventionsmaßnahme nach der Haftentlassung nicht vorhanden war, obgleich die grausamen Sexualverbrechen auch in der letzten Zeit noch oft begangen worden waren.84 b) Gegen diese Ansicht gab es Einwände, vorgetragen von 2 Professoren und einem Vertreter des Bürgervereins für Menschenrechte. Sie waren der Meinung, dass die zunächst positive Wirkung der GPS-Aufenthaltsüberwachung für gefährliche (Sexual)Straftäter selbst in den USA noch nicht klar bewiesen sei.85 Außerdem bestehe die Gefahr, dass durch diese Maßnahme die Menschenrechte verletzt würden und man somit gegen Art. 10 Abs. 1 des koreanischen Verfassungsrechts verstoßen würde.86 Darüber hinaus erhöhe sich die Anzahl der Überwachten durch die Ausweitung staatlicher Kontrolle im Rahmen der strafrechtlichen Sanktion, falls dieses neue Instrument eingeführt werden würde, was wiederum erhebliche finanzielle Kosten zulasten des Staates verursache.87 c) Die dritte Auffassung, die durch einen Richter, einen Rechtsanwalt und einen weiteren Professor vertreten wurde, lautete, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung auch auf andere Strafvollstreckungsverfahren angewandt werden solle.88 Die Vertreter dieser Ansicht setzten sich für die Einführung der GPS-Aufenthaltsüberwachung unter der Bedingung ein, dass ihr Anwendungsbereich sich nicht auf Täter schwerer Straftaten aus der vollzeitigen Haftentlassung erstrecke, sondern ausschließlich und nur für kurze Zeit auf Täter mit 81
Vgl. In Südkorea kann ein Gesetz mit der Zustimmung von mindestens 10 Abgeordneten des Parlaments entworfen werden. Das koreanische Parlament besteht aus 299 Abgeordneten (243 Direktmandate, 56 weitere Mandate). Die Anzahl der Abgeordneten der Saenuri-Partei betrug damals 121 und sie blieb die zweite stärkste Partei in Südkorea. 82 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 39. 83 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 39. 84 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 39. 85 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 42. 86 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 42. 87 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 43. 88 Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 46.
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Vergehen im Bereich der Strafaussetzung zur Bewährung und auf vorzeitig Entlassene zur Bewährung beschränkt werden solle.89 b) Zusatzantrag des Justizministeriums Während der Überprüfung des ersten Gesetzesentwurfs wurden 2 sexuelle Missbräuche an Kindern mit Todesfolge im Februar und Juli 2006 in Seoul begangen. Durch eine ausführliche Berichterstattung der Massenmedien erlangten beide Fälle großes Interesse in der breiten Öffentlichkeit. Als Folge änderte sich die gesellschaftliche Stimmung über die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberüberwachung für gefährliche Sexualstraftäter. Da diese Verbrechen vor allem an kleinen Kindern begangen wurden, war der Zorn der Bevölkerung gegen die Sexualverbrecher sehr groß.90 Die Stimmung in der Gesellschaft setzte die koreanische Regierung und das Parlament massiv unter Druck. Der Ruf nach verschärften Strafmaßnahmen gegen Sexualverbrecher wurde immer lauter. Auch die anderen Parteien, die am Anfang gegen den von der konservativen Partei Saenuri vorgeschlagenen ersten Gesetzesentwurf standen, hatten deshalb praktisch keine andere Wahl, als sich nun für den Gesetzesentwurf einzusetzen.91 Vor diesem Hintergrund gab das koreanische Justizministerium am 5. 12. 2006 im Parlament einen verschärften Gesetzentwurf ab. Er wurde im Vergleich zum Inhalt des ersten Gesetzesentwurfes wie folgt verändert. Zunächst erweiterte sich der Anwendungsbereich der elektronischen Aufenthaltsüberwachung für gefährliche Sexualstraftäter bei der Strafvollstreckung nicht nur auf vollzeitige Haftentlassene, sondern auch auf Entlassene mit Strafaussetzung zur Bewährung und auf vorzeitige Entlassene zur Bewährung.92 Außerdem müsse nach dem Verbesserungsantrag zur intensiveren Überwachung und Betreuung der Überwachten die EAÜ unbedingt in Verbindung mit Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht auferlegt werden.93 Im ersten Gesetzesentwurf hingegen sollte die EAÜ ohne Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht unabhängig angewandt werden.94
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Protokolle des Rechtsausschusses der koreanischen Nationalversammlung, S. 47. Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/Man-Hyeong Heo, The Analysis of the Policy Formation Process of the Electronic Device Attachment System to Sexual Offenders against Children by Multiple Streams Model, S. 264 ff. 91 Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/Man-Hyeong Heo, The analysis of the policy formation process of the electronic device attachment system to sexual offenders against children by multiple streams model, S. 264 ff. 92 Zusatzantrag des Justizministeriums hinsichtlich des Gesetzes über die elektronische Überwachung § 22 Abs. 1, 5. 12. 2006. 93 Zusatzantrag des Justizministeriums hinsichtlich des Gesetzes über die elektronische Überwachung § 28 Abs. 1. 94 Gesetzentwurf über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonders gefährlichen Straftätern § 4 Abs. 1. 90
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
c) Verabschiedung des Gesetzes über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonders gefährlichen Straftätern Am 2. 4. 2007 wurde der Zusatzantrag des Justizministeriums mit dem offiziellen Titel „Gesetz über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonders gefährlichen Straftätern“ im Parlament verabschiedet. An der namentlichen Abstimmung im Parlament zu diesem Gesetz nahmen 250 Abgeordneten von insgesamt 299 Abgeordneten teil.95 Die Abstimmung hatte folgendes Ergebnis: 217 Ja-Stimmen, 13 Nein-Stimmen und 20 Enthaltungen.96 Obwohl damit dieses Gesetz am 27. 4. 2007 erlassen wurde, sollte es aufgrund einer Zusatzbestimmung erst am 28. 10. 2008 in Kraft treten, da zur Gewährleistung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung eine Vorbereitungszeit hinsichtlich der technischen und organisatorischen Umsetzung benötigt wurde. Zur Vorbereitung wurde auch dieses Mal ein Expertenteam vom Justizministerium gebildet, welches aus 9 Spezialisten bestand. Um weitere wichtige Erfahrungen und Know-how hinsichtlich der konkreten Umsetzung der EAÜ mittels GPS zu sammeln, begab sich das Expertenteam auf eine fünfmonatige Forschungsreise, welche sie nach Florida und Kalifornien in den USA und nach England führte.97 Auf Basis der Ergebnisse dieser Reise wurde ein Forschungsbericht erstellt und dem koreanischen Justizministerium übergeben. Aufgrund der Ergebnisse beauftragte das koreanische Justizministerium im Oktober 2007 die Firma Samsung SDS als Hauptunternehmen zur technischen Umsetzung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung.98 Durch seine hochwertige IT-Technologie sowie durch partielle Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen brachte Samsung SDS Anfang des Jahres 2008 alle Vorbereitungen für die technische Anwendung der EAÜ zum Abschluss und stellte der Öffentlichkeit das mobile Gerät (die sog. Fußfessel) vor, welches wasserdicht und stoßfest war und zum kleinsten seiner Art weltweit gehörte. Nachdem die Entwicklung dieses technischen Systems nun erfolgreich vollzogen worden war, baute das Justizministerium im Juli 2008 die Zentrale der elektronischen Überwachungsstelle in Hwigyeong-dong in Seoul auf. Nach einer Probezeit von 2 Monaten wurde die elektronische Aufenthaltsüberwachung am 1. 9. 2008 offiziell in Betrieb genommen.99
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Sitzungsprotokoll der koreanischen Nationalversammlung, S. 14. Sitzungsprotokoll der koreanischen Nationalversammlung, S. 14. 97 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 70. 98 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 70. 99 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 71. 96
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3. Verschärfung des Gesetzes zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung a) Erste Reform Nachdem das Gesetz zur EAÜ im April 2007 verabschiedet worden war, wurde es innerhalb einer kurzen Zeit insgesamt viermal geändert. Dabei trat die erste Reform am 1. 9. 2008 in Kraft. Hintergrund waren auch diesmal Fälle von Kindesmissbrauch mit Todesfolge. So wurden im Dezember 2007 2 Mädchen im Alter von jeweils 9 und 11 Jahren in Anyang hintereinander entführt und später tot aufgefunden, nachdem sie Opfer einer Vergewaltigung geworden waren. Nach kurzer Zeit gab es in einer anderen Stadt (Ansan) wiederum eine versuchte Kindesentführung in Verbindung mit sexuellem Missbrauch. Sobald über die Fälle in den Massenmedien berichtet wurde, entstand eine Wut der Bevölkerung auf die Politiker. Der Zorn richtete sich vor allem gegen den Präsidenten und die Regierungspartei, die eine Führungsrolle in der Sicherheitspolitik übernehmen sollten. Um die empörten Reaktionen in der Öffentlichkeit abzuwiegeln, legten Präsident und Regierungspartei deshalb mit der ersten Veränderung des Gesetzes zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung das Datum des Inkrafttretens des Gesetzes vom 28. 10. 2008 auf 1. 9. 2008 vor und erhöhten das Höchstmaß der EAÜ von früher 5 Jahren auf nunmehr 10 Jahre.100 Darüber hinaus fügte der Gesetzgeber in § 9 Abs. 2 der neuen Fassung des Gesetzes hinzu, dass das Gericht gegenüber bestimmten Sexualstraftätern die EAÜ anordnen kann, in Verbindung mit den Weisungen, den Wohn- und Aufenthaltsort oder bestimmte Bereiche ohne Erlaubnis der Führungsaufsichtsstelle nicht zu verlassen und sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten, welche Gelegenheit oder Anreiz zu bestimmten Straftaten bieten könnten. Gemäß dem § 39 Gesetz zur EAÜ sind zudem Betroffene mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder mit einer Geldstrafe (von bis zu ca. 10.000 Euro) zu bestrafen, falls sie gegen diese spezielle Weisung verstoßen. b) Zweite Reform Kurz nach der ersten Reform schlugen die Abgeordneten der konservativen Saenuri-Partei, die sich auf die traditionell konservative Machtelite Südkoreas und auf die ländliche Bevölkerung stützt, noch einmal einen Gesetzesentwurf zur Änderung des Gesetzes zur elektronischen Aufenthaltsüberüberwachung für Sexualstraftäter vor.101 Dieser neue Gesetzesentwurf beruhte darauf, dass der Anwendungsbereich der EAÜ sich nach dem damals geltenden Gesetz nur auf bestimmte (schwere) Sexualstraftaten beschränkte, sodass die EAÜ auf die Kindesentführung, die tendenziell an einen weiteren sexuellen Missbrauch anknüpfen kann, nicht unmittelbar anzuwenden ist. Die Abgeordneten der Saenuri-Partei befürchteten, dass nach der 100
Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 100. 101 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 101.
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polizeilichen Kriminalstatistik die Rückfallquote bei Kindesentführung im Vergleich zu anderen schweren Straftaten, wie z. B. Mord und Raub, höher ist und sich häufig mit einem weiteren sexuellen Missbrauch verbindet.102 Diese Sorge beruhte darauf, dass kurz zuvor der Versuch einer Kindesentführung zu sexuellem Missbrauch stattgefunden hatte, die aufgrund der extremen Gewalt gegen das Kind eine besonders hohe Aufmerksamkeit auf sich zog.103 Anlässlich der Wut der Öffentlichkeit auf diesen Fall fand der Vorschlag zur Verschärfung der Maßnahme gegen schwere Straftaten auch in der Politik großen Beifall, sodass der neue Gesetzesentwurf im Parlament ohne Schwierigkeiten am 8. 5. 2009 verabschiedet wurde und sodann ab dem 9. 8. 2009 in Kraft trat. Dadurch wurde das Gesetz zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung für Sexualstraftäter teilweise wie folgt geändert. Zunächst wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes, der früher nur für Sexualstraftäter galt, auf Kindesentführer erweitert.104 Darüber hinaus veränderte sich konsequenterweise auch der offizielle Titel des Gesetzes von „Gesetz zur elektronischen Aufenthaltsüberüberwachung für Sexualstraftäter“ hin zu „Gesetz über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern“.105 Dies besagte, dass es in Zukunft gegebenenfalls nach dem Willen des Gesetzgebers auch auf andere Straftaten wie etwa Mord, Raub und Brandstiftung angewandt werden konnte.106 Zum Schluss verstärkte sich die Kontrolle der Überwachten. In § 9 Abs. 2 wurden neue spezielle Weisungen hinzugefügt, wie etwa Rehabilitationsprogramme abzuschließen oder an sonstigen Programme teilzunehmen, die erforderlich sind, um die Wiederholung von Straftaten zu verhindern oder um den Charakter und das Verhalten der Personen zu festigen und zu korrigieren. Außerdem wurde in § 14 Abs. 2 und Abs. 3 eingebracht, dass sich Straftäter innerhalb von 10 Tagen ab dem Datum, an dem die Vollstreckung der Strafe für den Fall der besonderen Straftat beendet oder ausgesetzt wird, bei der Führungsaufsichtsstelle melden und dort einen schriftlichen Bericht einreichen müssen, und dass sie im Voraus eine Erlaubnis bei der Bewährungshilfe beantragen müssen, wenn sie ihren Wohnsitz oder das Land verlassen möchten.
102 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 101. 103 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 100. 104 Der zweite Gesetzesentwurf über die elektronische Überwachung § 5 Abs. 2. 105 Der zweite Gesetzesentwurf über die elektronische Überwachung § 2. 106 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 70.
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c) Dritte Reform Die am 15. 4. 2010 im Parlament verabschiedete und dann am 17. 7. 2010 in Kraft getretene dritte Gesetzesreform gehört zu der radikalsten Änderung in der Gesetzesreformgeschichte zur elektronischen Aufenthaltsüberüberwachung. Durch diese Gesetzesänderung wurde der Inhalt des Gesetzes insbesondere in den folgenden 5 Aspekten zusätzlich verschärft. Zuerst ermöglichte diese Gesetzesänderung, die EAÜ für bestimmte Straftäter rückwirkend anzuwenden.107 Nach dem neu verfassten § 2 Abs. 1 der Zusatzbestimmung zu diesem Gesetz kann die Staatsanwaltschaft bei einem Gericht die Anordnung beantragen, dass eine bestimmte Person ein elektronisches Gerät tragen muss, wenn sie vor dem ersten Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. 9. 2008 entweder wegen einer sexuellen Straftat, Kindesentführung oder Mord zu einer Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verurteilt wurde und sich derzeit sich in einer Haftanstalt oder im Vollzug der Sicherungsverwahrung befindet oder nach ihrer Entlassung nicht mehr als 3 Jahre vergangen sind. Dabei muss es sich allerdings um einen Täter handeln, der die allgemeine Voraussetzung gemäß § 5 Abs. 1 des Gesetzes zur EAÜ erfüllt108 und dem ein besonders hohes Wiederholungsrisiko bescheinigt wird. Diese plötzliche Tendenz hin zu einer rückwirkenden Anwendung des Gesetzes war auf einen aufsehenerregenden schweren Sexualmissbrauch mit Todesfolge zurückzuführen, der trotz der Präventionsbemühungen der Regierung passierte.109 Im Februar 2010 wurde ein 13-jähriges Mädchen in Busan nach der Schule auf dem Nachhauseweg von einem Nachbarn, dem 33-jährigen K., entführt, vergewaltigt und anschließend im Wasserbehälter der Wohnung von K. tot aufgefunden. Nach Angaben der Polizei konnte der Mann damals ohne richterliche Kontrolle, wie etwa Bewährungshilfe bzw. Führungsaufsicht, ungehindert seine Tat begehen, obwohl er schon zweimal wegen Sexualdelikten vorbestraft worden war.110 Dies führte bei den empörten Bürgern zu der Ansicht, dass man solchen grausamen Verbrechen vorbeugen könne, wenn man auf verurteilte Straftäter intensive Überwachungsmaßnahmen wie die elektronische Aufenthaltsüberwachung anwenden würde.111 In der Sache war dies jedoch nicht möglich, weil nach der damaligen Fassung des Gesetzes die EAÜ nur für Straftäter anwendbar war, die ab Inkrafttreten des Gesetzes ein bestimmtes Verbrechen begangen hatten. Diese Sachlage wurde in der Öffentlichkeit
107 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 70. 108 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 72. 109 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 73. 110 Ein ausführlicher Bericht über den Fall, http://www.dailian.co.kr/news/view/195083. 111 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 76.
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scharf kritisiert, und man gelangte letztlich zu dem Ergebnis der rückwirkenden Anwendung des Gesetzes zur EAÜ durch eine dritte Gesetzesveränderung. Darüber hinaus wurde durch diese dritte Gesetzesreform das Höchstmaß der EAÜ wiederum stark erhöht. Als das Gesetz zur EAÜ im Jahr 2007 zum ersten Mal im Parlament verabschiedet wurde, betrug die maximale Dauer der EAÜ 5 Jahre. Innerhalb von nur 3 Jahren erhöhte sich diese Höchstdauer jedoch aufgrund der Forderungen der Bevölkerung nach Sicherheit und Prävention durch 2 aufeinander korrigierte Gesetzesveränderungen von 5 Jahren auf 10 Jahre, und danach auf 30 Jahre.112 Eine weitere Ausdehnung betraf auch die Mindestdauer der EAÜ. Mit der dritten Gesetzesveränderung wurde sie verdoppelt (von 1 Jahr auf 2 Jahre), wenn eine bestimmte Straftat gegen eine Person im Alter unter 13 Jahren begangen worden war.113 Eine weitere wichtige Änderung durch die dritte Reform lag insofern vor, als dass die Voraussetzungen für die Anordnung der EAÜ erleichtert wurden.114 Als erstes wurde der Inhalt des § 5 Abs. 1 Nr. 1 geändert. Nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 der alten Fassung des Gesetzes konnte die EAÜ dann angeordnet werden, wenn der Beschuldigte wegen einer vorsätzlichen sexuellen Straftat mehr als zweimal zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden war und die Gesamtstrafe nicht unter 3 Jahren lag sowie innerhalb von 5 Jahren ab dem Zeitpunkt, an dem der Beschuldigte diese Strafe dann verbüßt hatte oder von der Vollstreckung der Strafe befreit wurde, wiederholt ein Sexualdelikt begangen hat. Dasselbe gilt jedoch in der neuen Fassung, wenn der Beschuldigte innerhalb von 10 Jahren ab dem Zeitpunkt, an dem er zu einer Freiheitsstrafe für die Begehung von Sexualstraftaten verurteilt wurde und diese dann verbüßt hat oder von der Vollstreckung der Strafe befreit wurde, ein Sexualdelikt wiederholt begangen hat. Das bedeutet, dass in der neuen Fassung als Voraussetzungen für Anordnung der EAÜ die Anzahl der Vortrafen von mindestens zweimal auf nur einmal reduziert und die Forderung bezüglich einer Gesamtstrafe von mehr als 3 Jahren in der alten Fassung fallengelassen wurde.115 Zweitens wurde das in § 5 Abs. 1 Nr. 4 genannte Alter des minderjährigen Opfers von 13 auf 16 Jahre erhöht.116 Das heißt, dass gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 4 in der neuen Fassung des Gesetzes nun die Staatsanwaltschaft bei einem Gericht beantragen kann, dass es anordnet, eine bestimmten Person, welche ein Sexualdelikt an einer Person im Alter von unter 16
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Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution velopment of GPS Tracking System in South Korea, S. 104. 113 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution velopment of GPS Tracking System in South Korea, S. 105. 114 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution velopment of GPS Tracking System in South Korea, S. 104. 115 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution velopment of GPS Tracking System in South Korea, S. 104. 116 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution velopment of GPS Tracking System in South Korea, S. 104.
and proposals for future deand proposals for future deand proposals for future deand proposals for future deand proposals for future de-
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Jahren begangen hat, zum Tragen eines elektronischen Überwachungsgerätes zu verpflichten. Außerdem wurde der persönliche Anwendungsbereich des Gesetzes noch einmal weiter ausgedehnt.117 Diese Änderung erstreckte sich nun auch auf Mord (einschließlich der Tötung). Grund war die besondere Schwere des Morddeliktes, obgleich seine Rückfallquote nach der polizeilichen Kriminalstatistik im Vergleich zu anderen schweren Verbrechen nicht sonderlich hoch ist.118 Die betreffenden Vorschriften wurden in § 5 Abs. 3 der neuen Fassung des Gesetzes hinzugefügt. § 5 Abs. 3 beinhaltete, dass „die Staatsanwaltschaft bei einem Gericht beantragen kann, dass es anordnet, an einer bestimmten Person ein elektronisches Gerät anzubringen, die einen Mord oder ein Tötungsdelikt begangen hat und von der angenommen wird, dass durch sie ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für Mord oder Tötungsdelikte besteht. Die Staatsanwaltschaft muss jedoch eine Anbringungsanordnung für eine Person beantragen, die zu einer Freiheitsstrafe oder einer schwereren Strafe für die Begehung von Mord oder Tötungsdelikten verurteilt wurde und diese dann verbüßt hat oder von der Vollstreckung der Strafe befreit wurde und dann wiederholt die Straftat begangen hat.“. Ferner sollte auch berücksichtigt werden, dass zwingende gesetzliche Vorschriften bezüglich der Bewährungshilfe neu ergänzt wurden.119 Vor dieser dritten Gesetzesänderung konnte die EAÜ von dem Gericht unabhängig von einer Einbindung von Bewährungshelfern angeordnet werden. Dagegen gab es folgende scharfe Kritik: Ohne eine intensive Kontrolle und eine Betreuung durch nachhaltigen Kontakt mit dem Bewährungshelfer wäre die effektive Rückfallverhinderung nicht möglich.120 Dementsprechend hat der Gesetzgeber in § 9 Abs. 3 der neuen Fassung des Gesetzes hinzugefügt, dass alle Straftäter, die durch eine Anbringungsanordnung der EAÜ verurteilt worden sind, für die Anbringungsdauer immer auf Bewährung gesetzt werden müssen. d) Vierte Reform Im Hinblick auf die vierte Gesetzesänderung war auffällig, dass sie nicht vor dem Hintergrund besonders grausamer Straftaten, welche in der Öffentlichkeit große Bestürzung hervorgerufen hatten, vorgenommen wurde.121 Der Hintergrund war 117
Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 104. 118 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 104. 119 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 105. 120 Hye-Jeong Kim, Das wirksame Aufsichtssystem gegen verbüßte Sexualstraftäter, S. 163. 121 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 76.
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vielmehr, dass das Justizministerium von der positiven Wirkung der Rückfallverhinderung durch EAÜ äußerst überzeugt war.122 Laut der vom Justizministerium veröffentlichten Kriminalstatistik betrug die Rückfallquote von unter der elektronischen Aufenthaltsüberwachung stehenden Sexualstraftätern bei gleichen Delikten in der Zeit vom 1. 9. 2008 bis zum 31. 12. 2012 nur 2 %, während für die Dauer von 5 Jahren (vom 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2008) vor der Einführung der EAÜ die Rückfallquote von Sexualstraftätern bei 14 % gelegen hatte.123 Auch wenn die Rückfallquote der Sexualstraftäter, die im gleichen Zeitraum unter der EAÜ eine andere Straftat außerhalb von Sexualstraftaten begangen hatten, dazu gezählt wurde, so wuchs die Rückfallquote insgesamt nur auf 2 % an.124 Zudem war hinsichtlich von Mord- oder Totschlagsdelikten niemand von denjenigen, die seit der Weiteranwendung der EAÜ im Jahr 2010 aufgrund von Mord oder Totschlag die elektronische Fußfessel tragen mussten, bis Dezember 2012 rückfällig geworden.125 Im Vergleich dazu betrug die Rückfallquote von Mördern für die Dauer von 5 Jahren (vom 1. 1. 2004 bis 31. 12. 2008) vor dem Inkrafttreten des Gesetzes zur EAÜ 10 %.126 Mit dieser aktuellen Statistik propagierte das koreanische Justizministerium durch die Massenmedien, dass die EAÜ sich als ein sehr effektive Mittel zur Rückfallverhinderung erwiesen habe, obschon von vielen Wissenschaftlern die Meinung vertreten wurde, dass wegen des kurzen Zeitraums und der relativ kleinen Anwendungszahl der EAÜ dieser Bericht noch nicht offiziell repräsentativ sein könne, um eine aussagekräftige Prognose zu treffen.127 Infolgedessen vergrößerten sich Hoffnung und Vertrauen der Öffentlichkeit in die EAÜ. Anhand einer Meinungsumfrage, die ein Meinungsforschungsinstitut unter rund 1000 Menschen im Alter von über 19 Jahren im Zeitraum 30./31. 8. 2012 durchgeführte, zeigte sich, dass etwa 90 % der Befragten die Anwendung der EAÜ auf gefährliche Sexualstraftäter befürwortete und 87 % der Befragten sich sogar neben Mördern für die erweiterte Anwendung der EAÜ auf Räuber und Brandstifter einsetzen.128 Auf Basis dieser öffentlichen Stimmung hatte sich das Justizministerium entschieden, wegen Raubes verurteilte Straftäter in den Anwendungsbereich des EAÜ vornehmlich einzuschließen, weil nach der polizeilichen Kriminalstatistik von 2005 bis 2011 die Rückfallquote bei Raubdelikten im Vergleich zu Mord, Kindesentführung oder Brandstiftung besonders hoch war.129 122 Vgl. Hung-Seob Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 106. 123 Vgl. White paper on crime in Korea 2012. 124 Vgl. White paper on crime in Korea 2012. 125 Vgl. White paper on crime in Korea 2012. 126 Vgl. White paper on crime in Korea 2012. 127 Vgl. Yeong-Su Han, The effective criminal sanction against the serious violent offenders, S. 194. 128 Gallup Report for Sex offense in Korea 4. 9. 2012. 129 Die Ergebnisse der Rückfallquote bei Verbrechen lauten: Raub (28 %), sexueller Missbrauch (15 %), Entführung von Minderjährigen (15 %), Mord/Totschlag (10 %) und Brandstiftung (7 %), White paper on crime in Korea 2012.
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Dementsprechend schlug das Justizministerium einen neuen Gesetzesentwurf vor, welcher ohne weitere Änderungen im 19. Parlament am 18. 12. 2012 verabschiedet wurde und so dann am 19. 6. 2014 in Kraft trat. So wurden wegen Raubes Verurteilte in den Anwendungsbereich der EAÜ hinzugefügt. Hinzu kam, dass durch die vierte Reform das in § 5 Abs. 1 Nr. 4 genannte Alter des minderjährigen Opfers, das bereits durch die dritte Reform von 13 Jahre auf 16 Jahre erhöht wurde, nun noch einmal auf 19 Jahre angehoben wurde. Das entsprach der Intention des Gesetzgebers, den Schutz der Jugend unter 19 Jahren vor den sexuellen Verbrechen zu verstärken.130 Außerdem wurde ein weiterer Punkt in § 5 Abs. 1 Nr. 5 neu eingefügt, nämlich dass die Staatsanwaltschaft eine Anbringungsanordnung der EAÜ für eine Person beantragen kann, die gegen eine Person ein Sexualdelikt begangen hat, welche unter körperlichen oder psychischen Störungen leidet, um Personen aus diesem sozial schwächeren Kreisen zu schützen.131 Zum Schluss hat der Gesetzgeber mit der vierten Gesetzesänderung auch neue Vorschriften für die Bewährungshilfe nach der vollständigen Verbüßung der Strafhaft in § 21 – 2 bis 8 geschaffen. Dadurch wurde auch der offizielle Name des Gesetzes von Gesetz über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern hin zu Gesetz über die Bewährungshilfe und die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern geändert.132 Nach § 3 des koreanischen Gesetzes zur Bewährungshilfe kann sie nur für eine Person angeordnet werden, die von dem Gericht a) gemäß § 59 – 2 des koreanischen StGBs zur Verwarnung mit Strafvorbehalt verurteilt oder b) gemäß § 62 – 2 des koreanischen StGBs zur Strafaussetzung auf Bewährung verurteilt oder c) gemäß § 73 – 2 des koreanischen StGBs zur Aussetzung des Strafrestes verurteilt oder d) gemäß § 32 Abs. 1 Nr. 4 sowie 5 des koreanischen Jugendgerichtsgesetzes (JGG) zu bestimmten Weisungen verurteilt wurde. Demgemäß gab es im Falle von Straftätern, die ihre Strafhaft vollständig verbüßt hatten, keine rechtliche Möglichkeit, Bewährungshilfe anzuordnen.133 Sie kam also nur für Straftäter in Betracht, bei denen zusammen mit der Strafaussetzung zur 130 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 80. 131 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS tracking system in South Korea, S. 107. 132 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS tracking system in South Korea, S. 106. 133 Vgl. Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 79 – 80.
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Bewährung oder mit Aussetzung des Strafrestes die EAÜ angeordnet wurde, nicht jedoch für Straftäter, bei denen nach Entlassung aus der Strafhaft die EAÜ angeordnet wurde. Der Gesetzgeber hatte die Vorschriften als unzureichende Regelung betrachtet und abgeändert, um eine effektivere Rückfallverhinderung zu verwirklichen. Infolgedessen hatte er zuerst mit der dritten Reform verändert, dass eine Bewährungshilfe für die Dauer der EAÜ unbedingt bestehen müsse.134 Danach hatte der Gesetzgeber durch die vierte Reform hinzugefügt, dass für bestimmte Personen, nämlich die einmal entweder ein Sexualverbrechen, eine Entführung eines Minderjährigen, einen Mord oder einen Raub begangen hatten und von denen angenommen wurde, dass ein Wiederholungsrisiko für die gleichen Straftaten bestehen würde, die Bewährungshilfe nach der vollständigen Verbüßung der Strafhaft angeordnet werden könne, auch wenn die betreffenden Personen die Voraussetzungen für die Anordnung der EAÜ nicht erfüllen und somit die EAÜ nicht angeordnet werden könne.135
C. Deutschland I. Entstehung 1. Skeptische Stimme gegen das neue Instrument der elektronischen Überwachung in den 1990er Jahren Seitdem die von den USA ausgehende elektronische Überwachung in einigen europäischen Ländern zum Einsatz kam136, wurde diese Maßnahme auch in Deutschland aufgrund des wissenschaftlichen Einflusses aus anderen Ländern zunächst in einem wissenschaftlichen Rahmen diskutiert. Im Jahr 1988 hat Feltes in einem futuristischen Szenario über die Kriminalität im 21. Jahrhundert die unterschiedlichen Funktionsweisen einer elektronischen Überwachung anhand der Erfahrungen aus den USA erstmals in Deutschland vorgestellt.137 Ab diesem Zeitpunkt wurde der Einsatz der elektronischen Überwachung als eine Form eines „elektronisch überwachten Hausarrests“ in der deutschen Rechtswissenschaft verstärkt 134
Vgl. Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 78. 135 Vgl. Hung-Seob, Lee, The Review of 5 years’ evolution and proposals for future development of GPS Tracking System in South Korea, S. 106. 136 Nachdem sich die elektronische Überwachung in den USA durchgesetzt hatte, wird das Instrument mittlerweile über Kanada auch in Europa adaptiert. Dabei zählen Schweden, Niederlande und Großbritannien zu den ersten Ländern in Europa, die die elektronische Überwachung eingeführt haben. Vgl. Weber, Der elektronisch überwachte Hausarrest und seine versuchsweise Einführung in der Schweiz, S. 62. 137 Feltes, Kriminalität und soziale Kontrolle im 21. Jahrhundert. Ein futuristisches Szenario vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen, Bewährungshilfe 1988, S. 93 ff.
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thematisiert.138 Zu Beginn herrschte eine starke Abwehrhaltung gegenüber der Einführung des neuen Instruments. Die elektronische Überwachung wurde wegen des Funktionsmerkmals der Überwachung durch fremde elektronische Technologie als erster Schritt auf dem Weg in den Orwellschen Überwachungsstaat angesehen.139 Diese kritische Stimmung zeigte sich deutlich auf dem 59. Deutschen Juristentag im Jahr 1992 in Hannover.140 Auf dieser Tagung befand Dölling die elektronische Überwachung in Form einer ambulanten Sanktion als negative Maßnahme, da er sie als ein eingriffsintensives Instrument ansah. Seiner Meinung nach war der elektronisch überwachte Hausarrest zwar nicht viel mehr in die Rechte des Verurteilten eingreifend als eine Freiheitsstrafe, jedoch gehöre er zu einer stark einschneidenden Form der ambulanten Sanktion.141 Auch Schöch lehnte die Einführung des elektronischen Hausarrestes als selbstständige Sanktion ab. Er behauptete, dass die elektronische Überwachung allenfalls als ergänzende Sanktion für einen begrenzten Zeitraum in Betracht zu ziehen sei, sofern dadurch nachweisbar Freiheitsentzug vermieden werde.142 Hilger und Pfeiffer standen der elektronischen Überwachung ebenfalls skeptisch gegenüber. Hilger befürchtete, dass eine Einführung in die strafrechtliche Sanktion zu einem „Anstieg der Haftbefehle“ führen könne.143 Pfeiffer sah die Maßnahme als weniger humane, entwürdigende moderne Prangerstrafe an, sodass er davon abriet, überhaupt Modelltests der elektronischen Überwachung durchzuführen.144 Aufgrund der Verletzbarkeit der Menschenwürde des Straffälligen vertrat Robra auch eine kritische Haltung zum Thema, obwohl er die elektronische Überwachung im Zuge einer U-Haft-Vermeidung auf freiwilliger Basis für durchaus erwägenswert befand.145 So erschien die elektronische Überwachung in den Augen mancher Anwesenden als ein Symbol für eine repressive Kriminalpolitik, welche sich durch eine härtere Sanktionierung und ein engmaschiges Kontrollnetz auszeichne.146 Das hatte zur Folge, dass bei der Abstimmung auf dem 59. Deutschen Juristentag von insgesamt 66 gültigen Stimmen 62 gegen die Einführung der elektronischen Überwachung abgegeben wurden.147 138 Vgl. Bohlander, ZfStrVo 1991, S. 293 ff.; Brüchert, NK 1/2002, S. 32 ff.; Garstka, DuD 1988, S. 64; Märkert/Heinz, der kriminalist 1999, S. 345 ff.; Reindl, BewHi 1999, S. 73 ff. 139 Feltes, BewHi 1988, S. 93 ff.; Lemke, in DBH 1990, S. 183; Schall, in DBH 1990, S. 360. 140 Dünkel, Neue Kriminalpolitik 1989, S. 8; Dölling, ZStW 1992, S. 286; Weigend, GA 1992, S. 363; vgl. auch die ablehnenden Stellungnahmen in der Diskussion am 59. Deutschen Juristentag in Band II (Sitzungsberichte), S. 122 ff. 141 Dölling 1992, S. 286. 142 Schöch in: Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, Band I(Gutachten), S C101. 143 Hilger 1992, S. 145. 144 Pfeiffer 1992, S. 123. 145 Robra 1992, S. 17. 146 Dölling 1992, S. 286. 147 Laun 2002, S. 156; Beschluss auf dem Deutschen Juristentag 1992 in Hannover. In: Verhandlungen des 59. Deutschen Juristentages, S. 191, Band II.
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2. Heftige Diskussion auf der politischen Ebene Die Haltung auf dem Juristentag hatte auf die politische Diskussion bezüglich der Einführung der elektronischen Überwachung in der Bundesrepublik Deutschland durchaus Einfluss.148 Anfänglich wurde sie auch unter Politikern negativ bewertet, da viele Politiker befürchteten, dass Straftäter durch das neue Instrument zum bloßen Objekt in einem überwachten Raum degradiert und damit in seiner Menschenwürde verletzt würde.149 Jedoch legte sich seit etwa 1995 aufgrund der internationalen positiven Erfahrungen mit der elektronischen Überwachung, insbesondere in den Niederlanden und Schweden, die skeptische Stimmung auf der politischen Ebene allmählich.150 Im Jahr 1997 überlegten einige Abgeordnete in Baden-Württemberg und Niedersachsen, ein „Hausarrest-System“ aus dem Ausland auch in Deutschland einzuführen, weshalb sie sich bei der Landesregierung über die Anwendbarkeit des elektronisch überwachten Hausarrestes erkundigten.151 Auch die damalige Hamburger Justizsenatorin Peschel-Gutzeit hielt nach einem Informationsaufenthalts in Schweden im Januar 1997 den dortigen elektronisch überwachten Hausarrest für eine vorteilhafte Alternative zum Freiheitsentzug von Straffälligen und forcierte die Entwicklung eines Konzeptes zur Umsetzung in Deutschland.152 Dieser Standpunkt wurde auf der 68. Justizministerkonferenz am 11./12. 6. 1997 offiziell erörtert. Im Anschluss wurde beschlossen, die Erfahrungen anderer Länder mit der elektronischen Überwachung vor der Einführung in Deutschland ausführlich zu überprüfen, um eine Übertragung der in anderen Staaten durchgeführten Modelle auf die Bundesrepublik Deutschland ohne Berücksichtigung auf die jeweiligen Besonderheiten der eigenen Rechtslage zu vermeiden.153 Dementsprechend konstituierten die Länder Berlin, Baden-Württemberg, Brandenburg, Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und SchleswigHolstein Anfang 1998 eine Arbeitsgruppe, welche über mögliche Anwendungsbereiche der elektronischen Überwachung auf sanktions- und vollstreckungsrechtlicher Ebene diskutierte.154 Im März 1999 legte diese Arbeitsgruppe ihren Abschlussbericht vor, welcher durch Änderung des Strafvollzugsgesetzes einen zeitlich begrenzten Modellversuch des elektronisch überwachten Hausarrests befürwortete.155
148
Vgl. Harders, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 76. Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 161. 150 Redlich, Die elektronische Überwachung, S. 92. 151 Landtag von Baden-Württemberg, Kleine Anfrage und Antwort des Justizministeriums, Drs. 12/1043, S. 1; Niedersächsischer Landtag, Kleine Anfrage mit Antwort, Drs.13/2579, S. 2 f. 152 Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 162. 153 Top II. 15 des Beschlusses der 68. Konferenz der Justizministerinnen und -minister vom 11. bis 12. 6. 1997 in Saarbrücken. 154 Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Elektronisch überwachter Hausarrest“, S. 3. 155 Abschlussbericht der Arbeitsgruppe „Elektronisch überwachter Hausarrest“, S. 9. 149
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Infolge der positiven Auseinandersetzung der Arbeitsgruppe veröffentlichte der Rechtsausschuss des Bundesrats eine Stellungnahme, die einer Durchführung von befristeten Pilotprojekten positiv gegenüberstand.156 Daraufhin wurde am 9. 7. 1999 ein Gesetzesantrag in den Bundestag eingebracht, der eine Ermächtigungsgrundlage für die Bundesländer schaffen sollte, um eine Vollzugsvariante der elektronischen Überwachung in einem auf 4 Jahre befristeten Pilotprojekt zu erproben.157 Am 7. 10. 1999 fand im Bundestag die Beratung über den vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurf statt. In der ersten Lesung traten die unterschiedlichen Auffassungen der politischen Lager zu Tage. Bezüglich dieser kriminalpolitischen Einschätzung der deutschen Parteien über den elektronisch überwachten Hausarrest war es auffällig, dass man die jeweils vertretenen Meinungen nicht unbedingt bestimmten politischen Lagern zuordnen konnte.158 Die Parteien spalteten sich nicht in klare Lager auf. Vielmehr ließen sich erhebliche Unterschiede zwischen Politikern gleicher Partei sowie auch zwischen Bundes- und Landesebene der Parteien beobachten.159 Die damalige Hamburger Justizsenatorin Peschel-Gutzeit (SPD) äußerte, mit der Fußfessel ließen sich, „die sozialen Nebenfolgen des Gefängnisaufenthaltes vermeiden“.160 Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll (FDP) argumentierte gleichermaßen. Er sagte, dass sich „manche kriminelle Karriere, die durch einen Gefängnisaufenthalt begünstigt würde, verhindern ließe“.161 Auch der damalige bayerische Justizminister Alfred Sauter (CSU) setzte sich für einen Modellversuch ein.162 Im Gegensatz dazu argumentierte der Justizminister von Sachsen Steffen Heitmann (CDU) wie folgt: „Es wird kaum jemand verstehen, dass man künftig seine Strafe zu Hause vor dem Fernseher mit einer Büchse Bier in der Hand absitzen kann.“163 Auch der hessische Justizminister Wagner (CDU) brachte eine ähnliche Meinung in einem Interview zum Ausdruck, indem er sagte, dass „Strafvollzug nicht darin bestehen solle, dass jemand den ganzen Tag im Wohnzimmer bequem bei einer Flasche Bier sitzt und sich das Fernsehprogramm reinzieht.“164 Darüber hinaus überwiegte auch bei der Partei Bündnis 90/Die Grünen eine ablehnende Haltung165, 156
Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 78., Harders, S. 78. Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 10. 7. 1999 „Bundesrat spricht sich für Modellversuche mit Fußfesseln aus“, S. 2. 158 Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, Studien zur Erprobung einer umstrittenen Maßnahme. 2004, S. 69. 159 Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 168. 160 Mayer, 2004, S. 69. 161 Mayer, 2004, S. 69. 162 Mayer, 2004, S. 69. 163 Mayer, 2004, S. 69. 164 Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung vom 2. 5. 1999 S. 9. 165 Die Grünen in Baden-Württemberg sprachen sich auf Länderebene für eine Erprobung der elektronischen Überwachung aus. Vgl. Landtag von Baden-Württemberg, 12. Wahlperiode, 30. Sitzung vom 16. 7. 1997, S. 2244 f. 157
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wenn auch aus anderen Gründen als bei den Unionsparteien. Während die CDU/CSU den elektronisch überwachten Hausarrest aufgrund der schwachen Eingriffsintensität vom punitiven Standpunkt her ablehnte, begründete der rechtspolitische Sprecher der Grünen Beck die ablehnende Stellungnahme wegen einer befürchteten Verletzung der Menschenwürde der Straftäter. Wenn sie zu Hause „wie ein Tiger im Käfig“ gehalten würden, könne es nach seiner Meinung zu Aggressionen etwa gegenüber Kindern führen.166 Der vom Bundesrat eingebrachte Gesetzentwurf wurde zwar nach der Diskussion an den Rechts- und Innenausschuss überwiesen, jedoch scheiterte seine Verabschiedung innerhalb der 14. Wahlperiode am Widerstand des damaligen Regierungskoalitionspartners Bündnis 90/Die Grünen. Danach wurde der Gesetzesentwurf nicht erneut in den Bundestag eingebracht. 3. Hessisches Modellprojekt des „elektronisch überwachten Hausarrests“ Trotz des Scheiterns der Gesetzesinitiative verfolgte das Land Hessen seine Pläne hinsichtlich der Durchführung eines Modellversuchs zur elektronischen Überwachung konsequent weiter, da seine Konzeption ohne Änderung der gesetzlichen Grundlagen umgesetzt werden konnte.167 Somit wurde ab dem 2. 5. 2000 das auf den Zeitraum von 2 Jahren begrenzte erste Modellprojekt zur Anwendung des elektronisch überwachten Hausarrestes aufgrund eines Erlasses des Hessischen Justizministeriums zur Haftvermeidung, zunächst nur im Land- und Amtsgerichtsbezirk Frankfurt am Main, eingesetzt.168 Der erste Modellversuch wurde nach seiner Beendigung als großer Erfolg gewertet.169 Während der 2 Jahre konnten ca. 4.400 Hafttage und infolgedessen 368.000 Euro gespart werden.170 Das hessische Justizministerium beabsichtigte daher, den elektronisch überwachten Hausarrest in ganz Hessen einzuführen.171 So wurde er seit 2003 schrittweise auf alle hessischen Landgerichtsbezirke ausgedehnt. Der Einsatz der elektronischen Überwachung in Hessen war am Anfang a) als Weisung im Rahmen einer Strafaussetzung zur Bewährung oder eines Strafrestes zur Bewährung, auch im Gnadenwege, oder
166
Mayer, 2004, S. 69. Elektronische Fußfessel und Prävention – ein Widerspruch?, Fünfsinn S. 3. in: Kerner, Hans Jürgen u. Marks, Erich (Hrsg.), Internetdokumentation des Deutschen Präventionstages. Hannover 2010. 168 Zum Modellversuch Albrecht/Arnold/Schädler, ZRP 2000, S. 467 f. 169 Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, S. 343 ff. 170 Reidlich, Die elektronische Überwachung, S. 111. 171 Hessisches Ministerium der Justiz, Presseinformation 168/2002 vom 14. 11. 2002. 167
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b) als Weisung innerhalb einer Führungsaufsicht, oder c) als Auflage bei der Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls vorgesehen. Diese 3 Einsatzgebiete konnten auf die bestehenden gesetzlichen Regelungen in den §§ 56 ff., 68 ff. StGB und § 116 Abs. 1 Nr. 3 StPO gegründet werden.172 Nachdem die Gesetzgebungskompetenz durch die Föderalismusreform im Jahr 2006 auf dem Gebiet des Strafvollzuges vom Bund auf die Länder übertragen wurde, eröffneten sich damit für die Länder neue Anwendungsgebiete für die elektronische Überwachung.173 In Hessen führte der Landesgesetzgeber seit dem 1. 1. 2008 gemäß § 16 Abs. 3 Hessisches Jugendstrafvollzugsgesetz (HessJStVollzug) den Einsatz der elektronischen Überwachung als Weisung im Rahmen einer Entlassungsvorbereitung neu ein.174 Demgemäß können Jugendliche nun bis zu 6 Monate vor der regulären Entlassung unter der Weisung eines elektronisch überwachten Hausarrests entlassen werden. Mit dem hessischen Modellprojekt wurde konzeptionell davon ausgegangen, dass die mithilfe der Fußfessel bewirkte technische Überwachung dann eingesetzt werden solle, „wenn zur Vermeidung künftiger Straffälligkeit und damit zur Resozialisierung des Verurteilten eine regelmäßige, straffreie und sinnvolle Lebensführung trainiert, durch die engere Kontrolle während der Bewährungsüberwachung eine ansonsten negative Sozialprognose für den Verurteilten verbessert und hierdurch als „letzte Chance“ mittels einer eingriffsintensiven Weisung eine ansonsten notwendige unbedingte Freiheitsstrafe vermieden werden kann“.175 Zielgruppe waren dabei insbesondere solche Straftäter, denen es an Eigenverantwortung und Selbstdisziplin mangelte, sodass sie sich an die Vorgaben des Gerichts hielten, also solche Straftäter, die bislang nicht zu einer Strukturierung ihres Tagesablaufs in der Lage waren, sodass ihnen entweder der Widerruf der Bewährung oder von vornherein die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung drohten.176 Deshalb war Kern des Modellprojekts der detaillierte und individuelle Tagesplan für die einzelnen Probanden, der An- und Abwesenheitszeiten festlegte, die wiederum durch die elektronische Fußfessel überprüft wurden.177 Die Kontrolle wurde dabei rund um die Uhr durchgeführt. Hierfür wurde ein Bereitschaftsdienst bei der Bewährungshilfe des Landesgerichts Frankfurt am Main eingerichtet, der automatisiert von der hessischen Zentrale für Datenverarbeitung per SMS über festgestellte Verstöße informiert wurde. Es erfolgte keine elektronische Überwachung außerhalb der Wohnung. Das Modellprojekt beinhaltete kein GPS-System, sondern ein Radiofrequenzsystem. Es 172
Fünfsinn, Elektronische Fußfessel und Prävention – ein Widerspruch?, S. 3. Müller-Dietz, Gesetzgebungszuständigkeit für den Strafvollzug, S. 156. 174 Harders, Die elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 79. 175 Albrecht/Arnold/Schädler, Der hessische Modellversuch zur Anwendung der „elektronischen Fußfessel“, ZRP 2000, S. 467. 176 Albrecht/Arnold/Schädler, ZRP 2000, S. 467. 177 Eilzer, Elektronische Fußfessel „als Erfahrungshintergrund für die Elektronische Aufenthaltsüberwachung“, S. 20. 173
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konnte daher nicht festgestellt werden, wo sich die Probanden befanden, sobald sie die Wohnung verlassen hatten. Allerdings war der hessische elektronisch überwachte Hausarrest nicht zwangsläufig. Die Einwilligung der Betroffenen und die Einwilligung der Mitbewohner werden für nahezu alle Einsatzbereiche vorausgesetzt.178 Das hessische Modellprojekt wurde in den ersten 4 Jahren vom Max-PlanckInstitut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg wissenschaftlich begleitet. Die Begleituntersuchung zeigte positive Ergebnisse, obwohl sie wegen der begrenzten Dauer noch keine genaue Aussage beinhalten konnten, ob die langfristig gesetzten Ziele auch tatsächlich erreicht würden. Nach dem Abschlussbericht vom Max-Planck-Institut (MPI) 2004 war es in ca. 10 % aller Fälle zu einem vorzeitigen Abbruch der Maßnahme wegen Widerrufs der Bewährung bzw. der Wiederinvollzugssetzung des Haftbefehls gekommen.179 Hingegen wurde in 90 % der Fälle die Maßnahme erfolgreich beendet.180 4. Baden-württembergisches Strafvollzugsprojekt Im Jahr 2006 wurde durch die Föderalismusreform die Gesetzgebungszuständigkeit auf dem Gebiet des Strafvollzuges, die vorher nach Art. 74 Nr. 1 GG zur Materie der konkurrierenden Gesetzgebung gehörte, vom Bund auf die Länder übertragen.181 Damit konnte nun jedes deutsche Bundesland eigene Strafvollzugsgesetze erlassen, die grundsätzlich auch die elektronische Überwachung betreffen konnten. Auf dieser Grundlage verabschiedete Baden-Württemberg im Juli 2009 das „Gesetz über elektronische Aufsicht im Vollzug der Freiheitsstrafe“ (EAStVollzG). Damit war Baden-Württemberg zu diesem Zeitpunkt das erste Bundesland mit einer landesgesetzlichen Regelung zum elektronisch überwachten Hausarrest.182 Bei der Planung und Durchführung bediente sich Baden-Württemberg in weiten Teilen bei den Erfahrungen des hessischen Modellprojekts, jedoch stimmte der Hauptanwendungsbereich in Baden-Württemberg nicht mit dem in Hessen völlig überein. Während der elektronisch überwachte Hausarrest in Hessen in erster Linie als Weisung im Rahmen einer Straf(-rest-)aussetzung zur Bewährung und als weniger einschneidende Maßnahme bei der Aussetzung des Vollzugs eines Haftbefehls angeordnet wurde, war das Hauptanwendungsgebiet in Baden-Württemberg hingegen der Vollzug der Freiheitsstrafe und Sicherheit: Weiterentwicklung des Strafvollzuges183, Senkung der Kosten und Schonung der Kapazitäten im Straf178
Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, 35 ff. Fünfsinn, Elektronische Fußfessel und Prävention – ein Widerspruch? S. 4. 180 Mayer, Modellprojekt elektronische Fußfessel, insb. S. 343 ff. 181 Ratzel/Wulf, Elektronische Aufsicht im Vollzug der Freiheitsstrafe, Der baden-württembergische Modellversuch, FS 6/2010, S. 336 ff. 182 Gesetzblatt des Landes Baden Württemberg (GBl.) 2009. S. 360. 183 LT-Drs. 14/4670, S. 11. 179
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vollzug184 und Erhöhung der Sicherheit der Bevölkerung185 bei gleichzeitiger Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes.186 Das EAStVollzG regelt 2 Arten der „elektronischen Aufsicht“. Die erste wird mit einem Hausarrest kombiniert und die zweite findet gerade ohne einen solchen statt.187 Der Hausarrest unter elektronischer Aufsicht in Baden-Württemberg war nach § 2 II EAStVollzG für 2 Gruppen von Gefangenen vorgesehen.188 Gefangene, die zwar zu keiner Freiheitsstrafe verurteilt wurden, aber sich dennoch im Gefängnis befanden, weil sie ihre Geldstrafe nicht bezahlen konnten (Ersatzfreiheitsstrafe), ließen sich mittels einer elektronischen Fußfessel von zu Hause aus überwachen. Außerdem konnten Gefangene, die kurz vor ihrer Haftentlassung standen und auf ihre Freiheit vorbereitet werden sollten, künftig unter elektronische Aufsicht gestellt werden. Im zweiten Abschnitt des Gesetzes wurde mit § 9 EAStVollzG die elektronische Aufsicht ohne Hausarrest geregelt. Diese sollte gemäß § 9 I EAStVollzG bei vollzugsöffnenden Maßnahmen wie dem Freigang, dem Ausgang oder der Freistellung aus der Haft genutzt werden, um diese durch technische Möglichkeiten zu überwachen und zu begleiten.189 So sollen laut Gesetzesbegründung auch Gefangene, bei denen im Normalfall die Voraussetzungen nicht vorliegen, die Möglichkeit einer vollzugsöffnenden Maßnahme erhalten.190 Die Voraussetzungen für die Anordnung des Hausarrests mit elektronischer Aufsicht regelt § 4 EAStVollzG.191 Dazu gehört zunächst nach Lit. a) das Einverständnis der Überwachten, das schriftlich erteilt werden muss. Zudem müssen auch gemäß Lit. d) alle dem Hausstand angehörigen Personen ihr schriftliches Einverständnis erteilen, damit der Hausarrest mit elektronischer Aufsicht durchgeführt werden kann. Im Sinne des Lit. b) ist es eine zusätzliche wesentliche Voraussetzung, dass den Überwachten eine geeignete feste Unterkunft zur Verfügung steht. Die Überwachten müssen zudem auch nach Lit. b) den Mitarbeitern Zugang zu ihrer Wohnung gewähren. Die Wohnung muss darüber hinaus über einen angeschlossenen Telefonapparat verfügen, damit die Überwachungstechnik vollständig genutzt werden kann (Lit. c). Außerdem müssen die Überwachten nach Lit. f) einen im Vorhinein vereinbarten Tages- und Wochenplan einhalten.192 Der Vollzugsplan konnte neben Arbeit, Ausbildung, Freizeit und Sport die Teilnahme an Einzel- oder Gruppentherapien sowie Erziehungs- und Schulungsprogrammen vorsehen. Das Land Baden-Württemberg fordert dabei im Sinne 184
LT-Drs. 14/4670, S. 16. LT-Drs. 14/4670, S. 15. 186 LT-Drs. 14/4670, S. 16 f. 187 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 33. 188 Hochmayr, Elektronisch überwachter Hausarrest zur Regelung in Deutschland und Österreich, S. 537. 189 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 35. 190 LT-Drs. 14/4670, S. 21. 191 LT-Drs. 14/4670, S. 19 f. 192 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, 2015, S. 34. 185
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des § 7 EAStVollzG eine sinnvolle Beschäftigung von mindestens 20 Stunden pro Woche.193 Zudem waren Weisungen möglich, wo sich der Gefangene aufhalten müsse, ob er sich in ärztliche Betreuung zu begeben habe oder ob er auf Alkohol oder andere Drogen verzichten müsse.194 Das baden-württembergische Gesetz war gemäß § 16 EAStVollzG zunächst auf 4 Jahre befristet. Gemäß § 14 EAStVollzG muss vor dem Ablauf dieser Frist die Tauglichkeit dieser Neuregelungen unter Beteiligung des Innenministeriums evaluiert werden.195 Ab dem 1. 10. 2010 starte daher ein entsprechendes Modellprojekt am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht.196 An dem Modellversuch nahmen die Justizvollzugsanstalten Heilbronn, Heimsheim, Rottenburg, Stuttgart und Ulm teil. Der Modellversuch lief vom 1. 10. 2010 bis zum 31. 12. 2012. Dabei kam es zwar zu keinen gravierenden Zwischenfällen, auch gab es keine Fluchtversuche. Jedoch konnte das Modellprojekt nicht weiter verfolgt werden, da es der baden-württembergische SPD-Justizminister Rainer Stickelberger im Jahr 2013 einstellte197, weil er die Teilnehmerzahl als zu niedrig und die Projektkosten als zu hoch erachtete.198 Nach der Auswertung des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg lagen tatsächlich während des Modellversuchs die Kosten für die technische Aufsicht und die psychosoziale Betreuung bei 170.000 Euro199, während am Anfang die Gesamtkosten für den Modellversuch etwa auf 85.000 Euro eingeschätzt wurden.200 Pro Teilnehmer und Tag waren bei dem gescheiterten Versuch also Kosten von rund 30 Euro angefallen. Auch war die Anzahl der Teilnehmer deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben.201 Nach der Erklärung von Stickelberger war das Tragen einer elektronischen Aufsicht in der Praxis keine Alternative zu einer Ersatzfreiheitsstrafe.202 Es fand sich während des gesamten Zeitraums des Modellversuchs nur ein einziger Gefangener, der dafür geeignet gewesen sei. Die anderen Teilnehmer des Projekts seien Freigänger oder Gefangene in der Entlassungsphase, die unter Hausarrest standen. So ist in Baden-Württemberg über 2014 hinaus kein elektronisch überwachter Hausarrest durchgeführt worden. 193
LT-Drs. 14/4670, S. 20. LT-Drs. 14/4670, S. 19 f. 195 Hochmayr, Elektronisch überwachter Hausarrest, Gegenwart und Zukunft in Deutschland und Österreich, S. 13. 196 Wößner/Schwedler, Elektronische Aufsicht im Vollzug der Freiheitsstrafe in BadenWürttemberg, Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung, BewHi 2/2013, S. 130. 197 Schwäbische Zeitung, Stickelberger beendete das Kapitel Fußfessel und will bewährte Instrumente nutzen. 198 Wößner/Schwedler, BewHi 2/2013, S. 142. 199 Wößner/Schwedler, BewHi 2/2013, S. 74. 200 LT-Drs. 14/4670, S. 12 f. 201 Wößner/Schwedler, BewHi 2/2013, S. 142. 202 Stuttgarter Nachrichten vom 22.05.13, Elektronische Fußfessel, Modellversuch ist gescheitert. 194
Kap. 1: Historische Übersicht
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II. Entwicklung 1. Urteil des EGMR vom 17. 12. 2009 Seit 2011 ereignete sich eine neue große Veränderung in der deutschen elektronischen Überwachung von Straftätern. Ein bisher dem deutschen Strafrecht unbekanntes Instrument, nämlich die elektronische Aufenthaltsüberwachung mittels GPS-Technik, wurde eingeführt. Dies war jedoch nicht das Ergebnis einer breiten rechtspolitischen Diskussion über das Für und Wider entsprechender Maßnahmen. Ihre plötzliche Einführung im Gesetz hing vielmehr eng mit der besonderen Situation zusammen, in der sich die Sicherheits- und Rechtspolitik in Deutschland im Jahr 2010 befand, nachdem das Urteil des EGMR im Fall M. gegen die Bundesrepublik Deutschland am 10. 5. 2010 ergangen war.203 Mit dieser Entscheidung war die Vollstreckung von sog. Altfällen204 in der Sicherungsverwahrung in Deutschland wegen eines Verstoßes gegen Art. 5 Abs. 1 und 7 Abs. 1 EMRK als menschenrechtskonventionswidrig erklärt worden. Aufgrund der Rechtskraft des Urteils des EGMR am 10. 5. 2010 wurde M entlassen.205 In der Folge kam es in ähnlich gelagerten Fällen zu Entlassungen.206
2. Rasche Reaktion aus der Politik Diese Entlassungsfälle führten zu aufgeregten kriminalpolitischen Diskussionen. Mit aufsehenerregenden Schlagzeilen und medienwirksamen Auftritten von Bürgerinitiativen und Bürgermeistern wurden die hauptsächlich wegen Sexualstraftaten verurteilten Sicherungsverwahrten in ein stimmungsaufgeheiztes Umfeld entlassen, sorgte doch die dämonisierende Medienberichterstattung, die das allgemeine Klima der Furcht vor Sexualstraftätern schürte, für den Eindruck, dass hochgradig gestörte „Sexualmonster“ mit hoher Rückfallgefahr auf die Bevölkerung losgelassen würden.207 Um die aufgeregte kriminalpolitische Stimmung zu beruhigen, musste die Bundesregierung auf die entstandene rechts- und sicherheitspolitische Drucksituation kurzfristig reagieren. Am 29. 10. 2010 begann das Gesetzgebungsverfahren mit der Beratung des Bundestages in der ersten Lesung. Im Laufe der Wochen danach wurden Experten angehört. Im Folgenden wurde eine Beschlussempfehlung aus203 Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 311. 204 Es handelt sich um Personen, gegen die eine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung vor dem 31. 1. 1998 erstmals angeordnet wurde und seit mehr als 10 Jahren vollstreckt wird. 205 OLG Frankfurt, Beschluss vom 24. 6. 2010 – 3 Ws 485/10 (= NStZ 2010, 573) 206 Bei diesen Parallelfällen handelte es sich um die Betroffenen, bei denen eben wie bei M. die Sicherungsverwahrung unter Verstoß gegen Art. 5 I und Art. 7 I EMRK länger als 10 Jahre anhielt, weil rückwirkend die 10-jährige Höchstdauer der erstmaligen Anordnung der Sicherungsverwahrung vollstreckt wurde. 207 Mandera, Führungsaufsicht bei ehemaligen Sicherungsverwahrten. S. 1.
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
gesprochen und der Bericht des Rechtsausschusses herausgegeben. Schon am 2. 12. 2010 wurde das „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ in zweiter und dritter Lesung vom Bundestag beraten und – nach nur 36 Tagen – am 3. 12. 2010 vom Bundesrat beschlossen.208 Mit dem am 1. 1. 2011 in Kraft getretenen „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ handelte der deutsche Gesetzgeber ersichtlich mit einer Art Doppelstrategie.209 Zum einen handelte er mit der Zielsetzung, Entlassungen mithilfe eines neuen Therapieunterbringungsgesetzes (ThUG) doch noch zu verhindern oder sogar wieder rückgängig zu machen. Zum anderen, wo dies wegen der notwendigerweise engen Anordnungsvoraussetzungen nicht möglich war, mit dem Bestreben, das Instrumentarium für die Überwachung der sich in Freiheit befindlichen ehemaligen Sicherungsverwahrten effizienter zu gestalten. Kurz nach der Entscheidung des EGMR wurde im Hinblick auf die zweite Sicherheitsstrategie die Dauerobservation durch die Polizei angewandt, mit der ein Großteil der aus der Sicherungsverwahrung entlassenen Sexualstraftäter rund um die Uhr überwacht wurde. Hierzu mussten bis zu 25 Polizeibeamte pro Person und Tag eingesetzt werden, sodass aufgrund des hohen Personalaufwands und der hohen Kosten die Polizeiüberwachung nicht dauerhaft zu gewährleisten war.210 Zudem wurde kritisiert, dass die polizeiliche Dauerobservation gegen den im Rechtsstaatsprinzip enthaltenen Vorbehalt des Gesetzes gemäß Art. 20. III GG verstoßen würde, da keine klare Rechtsgrundlage für eine derartige Dauerobservation ersichtlich war und diese auch nicht auf polizeirechtliche Normen gestützt werden konnte.211 Vor diesem Hintergrund wurde auf der 81. Justizministerinnen- und Justizministerkonferenz am 23. 6. 2010 eine EAÜ als Unterstützung der polizeilichen Arbeit neu debattiert. Auf der Konferenz herrschte überwiegend eine positive Einstellung zu diesem Instrument in fast allen Parteien212, weil es sich bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung um eine mildere freiheitsbeschränkende Maßnahme handelte, welche nicht nur das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bediente, sondern auch der Menschenrechtskonvention und dem Grundgesetz entsprechen würde.213 208
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – Die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 45. Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht S. 311. 210 „Wenn 300 Gefährder aus der Haft entlassen werden sollte, kostet die Überwachung den Staat bis zu 600 Millionen Euro“ sagt der Chef der deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt. Die Welt vom 16. 8. 2010. 211 Hierzu eine ausführliche Begründung, Rohrbach, Die Entwicklung der Führungsaufsicht unter besonderer Berücksichtigung der Praxis in Mecklenburg-Vorpommern; BVerfG, Beschluss vom 8.11.12, Az. 1 BvR 22/12, abgedruckt in: LKV 2013, 30, NJW-Spezial 2013, 24. 212 Vgl. 81. Konferenz der Justizministerinnen und Justizminister v. 23./24. 6. 2010 in Hamburg, TOP II. 2 Nr. 5; TOP II. 1 Nr. 2. 213 Drenkhahn/Morgenstern, Dabei soll es auf den Namen nicht ankommen – Der Streit um die Sicherungsverwahrung, S. 183. 209
Kap. 1: Historische Übersicht
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Dabei wurde allerdings hinsichtlich der Sicherheitsaspekte die elektronische Aufenthaltsüberwachung nur als ein ergänzendes Instrument betrachtet. Von Anfang an dachten die Justizministerinnen und Justizminister, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung sicherlich kein Allheilmittel sei. In der ersten Lesung vor dem Bundestag stellte die Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger noch einmal fest, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung die „Sicherungsverwahrung nicht ersetzt, sondern ein Hilfsmittel, eine Unterstützung in angemessenen Situationen sein kann“.214 Sie betonte ferner, dass die elektronische Aufenthaltsüberwachung „kein Ersatz für eine Verwahrung“215 sei, aber „eine Möglichkeit, die schwere Arbeit der Polizei zu entlasten und die Sicherheit der Bürger zu erhöhen“216. Es dürfe nicht der Eindruck erweckt werden, dass „mit diesem Instrument eine Möglichkeit zur Gewährleistung hundertprozentiger Sicherheit“217 geschaffen werde. In der zweiten und dritten Lesung vor dem Bundestag fanden nur Diskussionen bezüglich der Reform des Sicherungsverwahrungsrechts und der Einführung des ThuG statt, während über die Einführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung nicht gesprochen wurde.218 Vor dem Bundesrat stellte sich die Debatte über die EAÜ ähnlich dar. Obwohl die Senatorin Gisela von der Aue (SPD) die Wirksamkeit der Prävention durch die elektronische Überwachung bezweifelte219, sprach sich die Mehrheit der Redner für die Einführung der EAÜ aus. So wurde das Gesetzgebungsverfahren bezüglich der EAÜ ohne größeren Disput durchgeführt, und das drauf folgende „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ trat am 1. 1. 2011 in Kraft.220 3. Weisung im Katalog der Führungsaufsicht Durch das „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ wurde die EAÜ als Weisung in den Katalog der Führungsaufsicht (§ 68b I S. 1 Nr. 12 StGB) eingefügt und damit ein Teil des Maßregelrechts. Die Gründe für die Implementierung der EAÜ als Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht beziehen sich darauf, die Gesellschaft verstärkt vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Der Gesetzgeber wollte die Anwendung der EAÜ nicht nur auf die sog. Altfälle beschränken, sondern sie auch zukünftig für die Gruppe der 214
BT-PlPr. 17/69, S. 7438 A. BT-PlPr. 17/69, S. 7442 A. 216 BT-PlPr. 17/69, S. 7442 A, 7451D. 217 BT-PlPr. 17/69, S. 7451D. 218 BT-PlPr. 17/87, S. 8585B ff. 219 Sie behauptete wie folgt: „Die Annahme, dass hiermit Straftaten verhindert werden könnten, scheint mir nach wie vor mehr als zweifelhaft. […] ungeachtet aller technischen Schwierigkeiten ist es in der Tat offensichtlich, dass die Fußfessel Betroffene physisch nicht an der Begehung einer neuen Straftat hindern kann.“ BR-PlPr. 878, S. 515C. 220 BGBl. 2010, Teil I, S. 2300. 215
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
gefährlichen Straftäter öffnen.221 Da alle betroffenen Personen nach ihrer Entlassung aus der Strafhaft oder der Sicherungsverwahrung aufgrund ihrer fortbestehenden Gefährlichkeit sowieso unter Führungsaufsicht gemäß § 68 StGB gestellt werden würden, wurde vom Gesetzgeber hiermit die Führungsaufsicht verstärkt.222 Durch die Einführung der EAÜ fand eine Teilreform des Führungsaufsichtsgesetzes statt. Zunächst wurde die EAÜ als strafbewehrte Weisung gemäß § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB neu ausgestaltet. Nach dem Wortlaut der Weisung kann das Gericht verurteilte Personen für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Außerdem implementierte der Gesetzgeber die Anordnungsvoraussetzungen in § 68b I S. 3 StGB. Sie beziehen sich im Grunde auf das strafrechtlich relevante Vorverhalten der zu überwachenden Personen, welches zu der Einschätzung führen kann, dass diese auch nach ihrer Entlassung weiterhin eine Gefahr im strafrechtlichen Sinne sind. Somit legt § 68b I S. 3 StGB fest, was im Rahmen der Gefährlichkeitsprognose bewertet wird.223 Begleitet wurde die Änderung des § 68b I StGB von der Einführung des § 463a IV StPO, der nicht nur Fragen der Datenerhebung und Speicherung der durch die Überwachung gewonnenen Informationen regelt, sondern auch in § 463a IV S. 2 Nr. 1 – Nr. 5 StPO festlegt, zu welchen Zwecken diese Daten überhaupt eingesehen und verwendet werden dürfen. Neben § 68b StGB wurden Änderungen in § 68 c und d StGB vorgenommen. Da die in Rede stehende Zielgruppe „eine erhöhte Betreuungs- und Überwachungsintensität“ aufweist224, soll § 68c III StGB um die Möglichkeit erweitert werden, die Führungsaufsicht nach Ablauf der Höchstfrist bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen auf unbestimmte Zeit zu verlängern.225 § 68d II StGB soll zudem eine Höchstfrist von 2 Jahren für die regelmäßige Überprüfung des Vorliegens der Voraussetzungen zur Durchführung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung durch das zuständige Gericht enthalten.226
4. Ausweitung der EAÜ auf Terrorismus Nachdem die EAÜ im Jahr 2011 in das StGB erstmalig aufgenommen wurde, nahm die Intensität des gesellschaftlichen Interesses wie auch die Kritik an der EAÜ allmählich ab. Somit etablierte sich ihre Stellung in der deutschen Strafjustiz. Sie stand jedoch 6 Jahre später nach ihrer Einführung durch ein unerwartetes, tragisches Ereignis wieder im Blickpunkt von Öffentlichkeit und Politik. Am 19. 12. 2016 fand 221 222 223 224 225 226
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – Die elektronische Aufenthaltsüberwachung, 2016, S. 48. Bezjak in: Elektronische Überwachung von gefährlichen Tätern, S. 12. Vgl. Teil 3, Kapitel 1, C.II.2. BT-Drs. 17/3403, S. 39. BT-Drs. 17/3403, S. 2, 39. BT-Drs. 17/3403, S. 39.
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ein islamistisch-motivierter Terroranschlag227 auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz statt. 12 Menschen starben dabei und etwa 55 Besucher wurden schwer verletzt. Aus diesem Anlass diskutierten im Folgenden viele Bundespolitiker den Einsatz der EAÜ bezüglich der Überwachung islamistischer Gefährder. Beim Bundestag wurde daher ein Gesetzentwurf der Bundesregierung eingereicht, der den Einsatz einer EAÜ bei Haftentlassenen aus dem Terrorumfeld ermöglicht. Zwar gab es dazu Kritik aus den Reihen der Parteien Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen, nämlich dass die EAÜ für Extremisten wirkungslos sei und somit eine solche Symbolpolitik nicht zu mehr Sicherheit führen würde. Jedoch begrüßten die großen Fraktionen von CDU/CSU und SPD die Pläne überwiegend. SPD-Justizminister Heiko Maas und Innenminister Thomas de Maizière von der CDU erklärten wie folgt: „Es ist klar, dass die EAÜ kein Allheilmittel ist. Sie ist aber ein wichtiges Instrument, um die Überwachung von gefährlichen Personen zu erleichtern. Wir erfassen mit dieser Vorschrift all diejenigen, die bisher unter den Begriff des Gefährders fallen.“228 Nach diesen Kontroversen beschloss das Kabinett schließlich im Mai 2017 das Gesetz, das dem Bundeskriminalamt (BKA) eine elektronische Aufenthaltsüberwachung gestattet, wenn es Hinweise auf einen möglichen Anschlag gibt.229 Das entsprechende Gesetz trat am 1. 7. 2017 in Kraft.230 Durch diese Gesetzesreform wurden die Voraussetzungen zur Anordnung einer EAÜ erweitert. Diese Erweiterung der EAÜ soll rechtstechnisch durch die Aufnahme der (schweren) Vergehen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (§ 89a Abs. 1 – 3 StGB), der Terrorismusfinanzierung (§ 89c Abs. 1 – 3 StGB), des Unterstützens einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 S. 1 Alt. 1 i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB) sowie des Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer in- oder ausländischen terroristischen Vereinigung (§ 129a Abs. 5 S. 2 i.V.m. § 129b Abs. 1 StGB) in den Katalog der für die EAÜWeisung maßgeblichen Taten bewerkstelligt werden.231 227 Der Berliner Attentäter Anis Amri war als Gefährder eingestuft und ausreisepflichtig. Er konnte aber nicht abgeschoben werden, weil sein Heimatland Tunesien ihm lange keine Papiere ausgestellt hatte. https://www.welt.de/politik/ am 21. 12. 2016. 228 Drucksache 18/11162. 229 Bundeskriminalamtgesetz, § 20z, Abs. 1: Das Bundeskriminalamt kann eine Person dazu verpflichten, ein technisches Mittel, mit dem der Aufenthaltsort dieser Person elektronisch überwacht werden kann, ständig in betriebsbereitem Zustand am Körper bei sich zu führen und dessen Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen, wenn 1) bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass diese Person innerhalb eines übersehbaren Zeitraums auf eine zumindest ihrer Art nach konkretisierte Weise eine Straftat nach § 4a Absatz 1 Satz 2 begehen wird, oder 2) deren individuelles Verhalten eine konkrete Wahrscheinlichkeit dafür begründet, dass sie innerhalb eines übersehbaren Zeitraums eine Straftat nach § 4a Absatz 1 Satz 2 begehen wird, um diese Person durch die Überwachung und die Datenverwendung von der Begehung dieser Straftaten abzuhalten. 230 BGBI. I, S. 1612. 231 Kinzig, Stellungnahme zum Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern (BT-Drs. 18/ 11162), S. 1.
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
D. Zusammenfassung Betrachtet man die verschiedenen Situationen in den 3 Ländern, so lässt sich zusammenfassend feststellen, dass im Hinblick auf die historische Entwicklung der elektronischen Überwachung die folgenden Merkmale vorliegen: Erstens wurde in Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern später mit dem elektronisch überwachten Hausarrest mittels Radiofrequenz-System als erste Form der elektronischen Überwachung begonnen. Unter den 3 Ländern erfolgte die Entstehung der elektronischen Überwachung zunächst von den Vereinigten Staaten aus. Danach wurde sie in Südkorea sowie in Deutschland vorgestellt. Deutschland war auch im Vergleich zu anderen europäischen Nachbarländern wie Schweden, England, Frankreich, Niederlande usw. ein Nachzügler. In Deutschland wurde die elektronische Überwachung, nachdem positive Erfahrungen und Forschungsergebnisse des neuen Instruments von den anderen europäischen Ländern veröffentlicht wurden, erst ab etwa dem Jahr 2000 in einigen Bundesländern probeweise durchgeführt. Der Grund dafür liegt darin, dass in Deutschland wegen der Befürchtung vor der Eskalation des Orwellschen Überwachungsstaats und der Verletzung der Menschenwürde durch eine fremde elektronische Technologie überwiegend negative Ansichten über den Einsatz der elektronischen Überwachung vorherrschten. Zweitens war die elektronische Aufenthaltsüberwachung mittels GPS-Technik sowohl in Deutschland als auch in den USA und in Südkorea zu einem anderen Zweck als dem elektronisch überwachten Hausarrest mittels Radiofrequenz-System vorgesehen. Die EAÜ der 3 Länder wurde ohne hinreichende Prüfung und Debatte schnell eingeführt, um die Allgemeinheit vor der Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten durch gefährliche Straftäter zu schützen, während der elektronisch überwachte Hausarrest mittels Radiofrequenz-System dazu dienen sollte, eine Freiheitsstrafe für geringfügige Straftäter zu vermeiden. Die EAÜ wurde ebenfalls in USA zuerst begonnen. Danach wurde sie in Südkorea und Deutschland in folgender Reihenfolge eingeführt: Nach mehreren Mordfällen von Sexualverbrechern an Minderjährigen gegen Ende der 1990er Jahre wurde in den USA der „Jessica Lunsford Act (JLA)“ umgesetzt, womit eine 24-stündige Überwachung von gefährlichen Sexualstraftätern rechtlich möglich wurde. Auch in Südkorea rief eine Reihe schwerer sexueller Missbräuche an Kindern einen großen Unmut unter den Bürgern hervor, sodass die elektronische Aufenthaltsüberwachung als eine von mehreren Vorbeugungsmöglichkeiten vor Sexualstraftaten im Jahr 2007 zum Einsatz kam. In Deutschland wurde die EAÜ erst im Jahr 2011 durch die Reform des Sicherungsverwahrungsrechts eingeführt. Sie trat bezüglich der Überwachung von Straftätern in Kraft, welche aufgrund des EGMR-Urteils aus der Haft oder aus der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, jedoch weiterhin als gefährlich eingestuft werden. Drittens wurde die EAÜ nach ihrer Einführung in den 3 Ländern gemeinsam ausgebaut bzw. verschärft, um vermeintliche Schutzlücken zu schließen. Dieses
Kap. 2: Kriminalpolitische Analyse
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Vorgehen wurde vor allem in Südkorea am umfangsreichsten beobachtet. Das Gesetz zur elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Südkorea wurde nach der ersten Verabschiedung im Jahr 2007 innerhalb der nächsten 5 Jahre insgesamt viermal reformiert. Durch die Reformen wurde die Anbringungsdauer der EAÜ verlängert, ihr Anwendungsbereich vergrößert und die Voraussetzungen ihrer Anordnung erleichtert. Nach dieser Gesetzgebung besteht sogar eine Rückwirkung des Gesetzes. Auch in den Vereinigten Staaten fand die EAÜ seit ihrer Ersteinführung in Florida im Jahr 2005 in weiteren Bundesstaaten schnell Verbreitung. Zurzeit wird die EAÜ in den meisten US-Staaten angewandt. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die EAÜ ungefähr 6 Jahre nach ihrer Einführung aufgrund des Terroranschlags auf dem Berliner Breitscheidplatz verschärft. Durch diese Gesetzesänderung von 2017 wurde ihr Anwendungsbereich erweitert und eine Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberüberwachung erleichtert. Kapitel 2
Kriminalpolitische Analyse Der beschriebene historische Entwicklungsprozess zeigt, dass die EAÜ der 3 Länder sich von dem bereits bestehenden elektronisch überwachten Hausarrest unterscheidet und ebenso hinsichtlich des Hintergrundes der Einführung anders als der elektronisch überwachte Hausarrest zur Prävention von gefährlichen (Sexual) Straftätern neu eingeführt wurde. Ein solches neues Präventionsinstrument im Strafrecht kann nicht isoliert vom kriminalpolitischen Klima erfasst werden, in dem sie entstanden und entwickelt worden ist. In diesem Kapitel wird mithin versucht, den kriminalpolitische Hintergrund der Einführung und die Entwicklung der EAÜ in den 3 Ländern zu analysieren.
A. Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten I. Sensibilisierung der Gesellschaft bezüglich sexueller Gewalt gegen Kinder und Jugendliche Die Einführung und Entwicklung der EAÜ in den USA, Südkorea und Deutschland liegt vor allem der kriminalpolitischen Diskussion darüber zugrunde, wie die Gesellschaft vor gefährlichen, schweren (Sexual)Straftätern zu schützen ist. Der direkte Ausgangspunkt, der zu dieser kriminalpolitischen Debatte führte, war sexueller Missbrauch an Kindern und Jugendlichen. Seit Ende der 1990er Jahre ereigneten sich in den 3 Ländern eine Reihe schwerer Verbrechen an Kindern und
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
Jugendlichen.232 Diese kontinuierlichen Ereignisse von Schwerverbrechen an Kindern und Jugendlichen in den 3 Ländern erweckten großes Interesse und Wut in der Bevölkerung.233 Bei diesen Verbrechen stehen die Opfer im Mittelpunkt, die nicht in der Lage sind, sich gegen den Anderen zu wehren und die unter dem besonderen Schutz der Gesellschaft stehen.234 Jede sexuelle Gewalt ist zwar grausam und schmerzlich, doch bei einem solchen sexuellen Missbrauch folgen besondere, negative Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen sowie traumatische Erfahrungen, welche ein friedliches und gesundes Familienleben zerstören. Aus diesem Grund sympathisierten die meisten Bürger mit dem Schmerz und der Trauer und glauben, dass Sexualverbrechen an Kindern und Jugendlichen in der Gesellschaft als ein sehr dringendes und wichtiges Problem behandelt werden muss.235 Für diese Sensibilisierung der Gesellschaft spielte außerdem ein besonderer Faktor eine Rolle, nämlich dass die Mehrheit der Täter dieser grausamen sexuellen Missbräuche von Kindern und Jugendlichen bereits für die gleiche Straftat vorbestraft war, und nach statistischen Angaben solche Sexualverbrecher ein hohes Rückfallrisiko innehaben.236 Diese Tatsache wurde von den Bürgern erkannt, sowie dass die Kriminalrechtspolitik der gegenwärtigen Regierung gegen gefährliche Verbrecher gescheitert war und ihr nicht mehr vertraut werden konnte. Dies führte sofort zu einer starken Kritik an der gegenwärtigen Kriminalpolitik gegen Sexualstraftäter und einem direkten Impuls für den Staat, mit einer verstärkten Kriminal232
Repräsentative Fälle: In den USA wurden die jungen Mädchen Megan, Samantha und Jessica jeweils 1994, 2002 und 2005 sexuell missbraucht und ermordet. In Südkorea wurde im Jahr 2001 ein 4-jähriges Kind (weiblich) nach sexuellem Missbrauch enthauptet und die Gliedmaßen wurden abgeschnitten. 2006 wurden die 11-jährige Hyejin und 9-jährige Yeseul entführt und ermordet. Im Dezember 2008 wurde ein 8-jähriges Mädchen sexuell missbraucht. Im Februar 2010 wurde ein Mädchen aus ihrem Haus entführt, sexuell missbraucht und ermordet. Im Juni 2010 wurde ein Kind in der 2. Klasse in ihrer Grundschule in Busan entführt und sexuell missbraucht. In Deutschland wurde 1995 ein junges Mädchen von Dutroux aus Belgien sexuell missbraucht und ermordet. 1996 wurde ein Mädchen namens Nathalie Astner in Bayern sexuell missbraucht und ermordet. Mord an Kim Kerkow 9. 1. 1997. Mord an Carla Suditu 22. 1. 1998. Mord an Christina Nytsch 16. 3. 1998. 233 Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in Deutschland, Albrecht, Sicherheit und Prävention in strafrechtlichen Sanktionensystemen in: Wegsperren? Freiheitsentziehende Maßnahmen gegen gefährliche, strafrechtlich verantwortliche Täter S 431.; Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in Südkorea, Ho-Joong Lee, Social Security and Criminal Law S. 281.; Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in den USA, Franklin E. Zimring, An american travesty, University of Chicago Press, 2004, S. 26. 234 Levenson, Sex offender residence restrictions, S. 268. 235 Vgl. Garland, The Culture of Control, S. 14, 236 Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in Deutschland, Albrecht, Sexual Offender Laws and Treatment in Europe. S. 3. zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in den USA, Friedman, et al, Sexual Offenders: How to Create a More Deliberative Sentencing Process, zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in Südkorea, Soo-Jung Lee/Kyong-Ok Kim, Correct Understanding on Recidivism Rate of Sex Offences and Searching for the Preventive Strategies of Recidivism, S. 83 – 99.
Kap. 2: Kriminalpolitische Analyse
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politik gegen gefährliche Kriminelle zu reagieren. Die meisten politischen Parteien, die diese Forderungen aufgrund anstehender Wahlen nicht ignorieren konnten, folgten dieser Tendenz und begannen, die sog. Bekämpfung von Sexualstraftaten anzukündigen und entsprechend zu reagieren. In der Folge wurden in den 3 Ländern in kurzer Zeit mehrere entsprechende Gesetze neu verabschiedet oder teilweise geändert.
II. Neue Gesetzgebungen für gefährliche (Sexual)Straftäter International heißt es allgemein, dass es etwa 5 gesetzgeberische Maßnahmen gegen gefährliche (Sexual)Straftäter gibt:237 1. Ausweitung der Freiheitsstrafe (insbesondere in Form der unbestimmten und lebenslangen Freiheitsstrafe), 2. unbefristete Sicherungsverwahrung im Anschluss an eine Freiheitsstrafe, die an die Feststellung von Gefährlichkeit anknüpft, 3. Einweisung in Behandlungseinrichtungen, die auf eine durch eine psychische oder seelische Störung bedingte Gefährlichkeit gestützt wird, 4. besondere Behandlungsprogramme für Sexualstraftäter im Strafvollzug und (chemische) Kastration, 5. besondere Überwachungs- und Betreuungsprogramme nach der Entlassung aus freiheitsentziehenden Sanktionen sowie weitere Maßnahmen wie die Veröffentlichung der Täterdaten im Internet oder in amtlichen Dokumenten. Die USA sind für ihre sehr strenge, geradezu gnadenlose Kriminalrechtspolitik gegenüber gefährlichen (Sexual)Straftätern auf der ganzen Welt bekannt. In den Vereinigten Staaten wurde die erste, dritte, vierte und fünfte Präventionsmaßnahme genutzt.238 Im Hinblick auf die erste Maßnahme ist das repräsentative Beispiel in den Vereinigten Staaten das „Three Strikes Law“, dessen Begriff vom Baseball kommt. Nach dessen Regeln scheidet ein Schlagmann nach dem dritten Fehlschlag („Strike“) aus und darf bis zur nächsten Runde nicht mehr am Spielgeschehen teilnehmen. Nach diesem Gesetz wird gegen Straftäter, die bereits zweimal wegen eines Verbrechens („Felony“) verurteilt worden waren, bei einer weiteren Verurteilung automatisch und zwingend eine lebenslange Haftstrafe verhängt.239 Hierbei spielt es für die Anwendung des Gesetzes auch keine Rolle, wie lange die beiden
237 Albrecht, Strafrecht, Sicherheit und Sicherungsverwahrung: Internationale Entwicklungen. S. 185. 238 Silverman, United States of America, S. 365 – 428, in: Wegsperren? Freiheitsentziehende Maßnahmen gegen gefährliche, strafrechtlich verantwortliche Täter. 239 Dazu ausführlich, Tyler/Boeckmann, Three strikes and you are out, but why? S. 237 – 265.
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früheren Delikte zurückliegen.240 Eine vorzeitige Entlassung bei guter Führung im Gefängnis ist meistens erst nach 25 Jahren möglich.241 Die „Three Strikes“-Gesetze für Sexualtäter wurden in einigen Staaten sogar auf „Two Strikes“ oder sogar auf „One Strike“ ausgeweitet. Danach ist es möglich, gegen einen Sexualverbrecher bei Vorliegen besonders erschwerender Umstände schon nach einmaliger Tatbegehung eine lebenslange Freiheitsstrafe mit einer Mindeststrafzeit von 25 Jahren zu verhängen.242 Für bestimmte Straftäter wird neben der Strafe auch die dritte Maßnahme verwendet. Ein verwandtes Beispiel ist das sog. „Sexual Predator Law“ (Raubtiergesetze). Es wurde seit etwa den 1990er Jahren in verschiedenen Bundesstaaten erlassen. Eine Vorläufergesetzgebung besteht in den „Sexuelle-Psychopathen-Gesetzen“ der 1930er Jahre. Die diesen Gesetzen zugrunde gelegte Annahme war, dass die betreffenden Straftäter zwar verrückt, aber nicht schlecht („mad, not bad“) seien, dass sie eine Behandlung bräuchten und bald als geheilt wieder in die Gesellschaft entlassen werden könnten.243 So war diese erste Generation der Psychopathengesetze anstelle von Strafe durch Behandlungsoptimismus und Unterbringung zur Behandlung gekennzeichnet.244 Doch mit der Zeit veränderte sich der Blick des Gesetzgebers und auch der Öffentlichkeit auf den Behandlungsgedanken, und diese Gesetze wurden zum Teil wieder zurückgenommen. Man hielt sie insgesamt für missglückt, da sie vage formuliert seien und keine richtige Ausfilterung von gefährlichen Straftätern erlaubten, indem es gewalttätige Vergewaltiger von Kindern, Exhibitionisten und Voyeure über einen Kamm scherte.245 Deshalb wurde ein Instrument gefordert, welches es ermöglichte, höchst Rückfallgefährdete und unverbesserliche Hangtäter („Sexual Predators“) für immer oder zumindest so lange wegzuschließen, bis man sicher sein konnte, dass diese Täter nie wieder eine Gefahr darstellen würden. Mit diesen „Sexual Predators Laws“ soll also sichergestellt werden, dass gefährliche (rückfallgefährdete) Sexualstraftäter nach Verbüßung der Freiheitsstrafe in sichere Verwahrung genommen werden können, die auf einer zivilrechtlichen Einweisung in eine psychiatrische Klinik basiert.246 Nach dem Gesetz 240
Der Supreme Court hat entschieden, dass 25 oder mehr Jahre Haft für die dritte Straftat nicht grob überzogen und damit keine grausame oder ungewöhnliche Bestrafung gemäß dem 8. Zusatzartikel seien. Dazu siehe United States Supreme Court EWING v. CALIFORNIA, (2003) No. 01 – 6978. 241 Chen, Impacts of „Three Strikes and You’re out“ on Crime Trends in California and Throughout the United States, S. 345. 242 § 667.61 Cal. Penal Code. 243 LaFond, Washington’s Sexually Violent Predator Law, S. 661. 244 Vgl. Lieb,/Matson, Sexual Predator Commitment Laws in the United States. 245 Hacker, Frederick J./Frym, Marcel: The Sexual Psychopath Act in Practise: A critical discussion, S. 770. 246 Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale zwischen „Sexual Psychopathy Laws“ und „Sexual Predators Laws“ sind: Erstens, Die Einweisung in die Anstalt im sexual predators Gesetz erfolgt erst nach einer Verbüßung der Freiheitsstrafe. Nach den „Psychopathy Laws“ erfolgte die Einweisung alternativ zur Freiheitsstrafe. Zweitens, Die neuen „Predator Statutes“
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können die betroffenen Personen unter bestimmten Umständen247 – auch wenn ihnen eine Freiheitsstrafe erlassen wurde – in einer Justizvollzugsanstalt festgesetzt werden, bis diagnostiziert worden ist, dass das Rückfallrisiko völlig verschwunden ist. Das Gesetz wird derzeit in 20 Staaten, darunter Arizona, Kalifornien, New York und Florida, umgesetzt. Als Behandlungsmaßnahme kann in den USA auch die chemische Kastration angewandt werden. Im Zuge der Verschärfung und Neuverabschiedung von Gesetzen gegenüber Sexualstraftätern in den 1990er Jahren wurde in Kalifornien die chemische Kastration für bestimmte Sexualstraftäter zum ersten Mal eingeführt.248 Im darauf folgenden Jahr folgten 13 weitere Staaten mit derartigen Gesetzen.249 Später kamen noch Alabama, Georgia, Iowa, Montana und Wisconsin hinzu, sodass davon ausgegangen werden kann, dass mindestens ein Drittel aller Bundesstaaten Kastrationsgesetze statuiert hat.250 Die Reichweite der Kastrationsgesetze variiert von Bundesstaat zu Bundesstaat. Überwiegend gemeinsam ist den Gesetzen jedoch, dass sie nicht als Strafe, sondern als Behandlungsmaßnahme nach dem Vollzug aufgrund vorzeitiger Entlassung als Bewährungsauflage anstatt weiterem Vollzug der Freiheitsstrafe fungieren.251 In Kalifornien wird z. B. die Behandlung mit Depozielen im Wesentlichen auf die Rückfall- und Hangtäter ab, wohingegen die „Psychopathy Laws“ schon auf Ersttäter anwendbar sind. Drittens, Straftäter, welche in eine „Sexual Predator“-Einrichtung eingewiesen werden, werden erst, wenn sie als ungefährlich beurteilt werden, entweder wieder entlassen oder einer weniger einschneidenden Sanktion, wie z. B. „Supervision“ (Führungsaufsicht), zugeführt. Verurteilte nach „Psychopathy Laws“ hingegen konnten, wenn sie bei einer Behandlung gescheitert sind, zu einer erneuten Entscheidung an das Ausgangsgericht zurückverwiesen werden, um dort zu einer Freiheitsstrafe in einer normalen Vollzugsanstalt verurteilt zu werden. Vgl. Rüdiger Gaenslen, Die Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, S. 143. 247 Dafür müssen folgende Voraussetzungen erfüllt werden: 1) eine bestimmte sexuelle Straftat wird begangen, 2) es wird als „a mental abnormality“ oder „personality disorder“ diagnostiziert, 3) es existiert ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen „a mental abnormality“ oder „personality disorder“ und Wiederholungsgefahr. Vgl. Kansas Statutes § 59 – 29a02 (a). 248 Gesetz vom 17. Sept.1996, ch. 596, § 2, 1996 Cal. Stat. 92 (kodifiziert im CAL. PENAL CODE § 645 (West 1997)). 249 Arizona, Colorado, Florida, Louisiana, Hawaii, Michigan, Mississippi, Missouri, New Jersey, New York, Oregon, Tennessee und Texas, siehe H.R. 8, Reg. Sess. (Ala. 1997); H.R. 2216, 43rd Leg., 1st Reg. Sess. (Ariz. 1997); H.R. 1133, 61st Leg., 1st Reg. Sess. (Colo. 1997); FLA. STAT. § 794.0235(1) (a) (1997); LA. REV. STAT. ANN. § 15.538(C) (West 1997); S. 215, 19th Leg. (Haw. 1997); H.R. 4307, 89th Leg., Reg. Sess. (Mich. 1997); S. 2465, Reg. Sess. (Miss. 1997); H.R. 753, 89th Leg., 1st Reg. Gen. Assembly (Mo. 1997); S. 1568, 207th Leg., 1st Ann. Sess. (N.J. 1996); S. 4925, 220th Leg., Ann. Sess. (N.Y. 1997); H.R. 3672, 69th Leg. Assembly (Or. 1997); H.R. 482, 100th Gen. Assembly (Tenn. 1997); H.R. 483, 100th Gen. Assembly (Tenn. 1997); H.R. 585, 100th Gen. Assembly (Tenn. 1997); S. 1152, 100th Gen. Assembly (Tenn. 1997); S. 1153, 100th Gen. Assembly (Tenn. 1997), Texas Senate Bill No. 123 (1997). 250 Alabama Mulls Chemical Castration Bill, The Associated Press, March 20, 2000. 251 Dazu ausführlich: Gaenslen, Die Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, S. 171 ff.
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Provera (Medroxyprogesteron Acetat, MPA) auf richterliche Anordnung nach Strafrestaussetzung zur Bewährung als Auflage angeordnet, wenn das Opfer bei der Sexualstraftat noch keine 13 Jahre alt war.252 Der Straftatenkatalog umfasst sämtliche sexuellen Handlungen außer denjenigen, die von Angehörigen begangen wurden (Inzest). Die Kastration kann schon nach der ersten Verurteilung angeordnet werden.253 Der bedingt Entlassene erhält die Behandlung so lange, bis das „Department of Corrections“ der Vollstreckungskammer glaubhaft macht, dass sie nicht mehr länger notwendig ist. Der bedingt Entlassene muss über die möglichen Nebenwirkungen der Behandlung aufgeklärt werden. Darüber hinaus können in den meisten Staaten Straftäter, die aus einer langfristigen Freiheitsstrafe oder Behandlungseinrichtung entlassen wurden, kontinuierlich überwacht werden, indem die elektronische Überwachung in Verbindung mit verschiedenen Bewährungsprogrammen zur Vermeidung von Rückfällen durchführt wird. In den USA kann zudem bei gefährlichen Sexualstraftätern die Veröffentlichung von persönlichen Informationen angeordnet werden. Seit 2005 gibt es eine offizielle, vom Justizministerium geführte Website254, auf der alle gefährlichen Straftäter registriert sind. Jeder hat auf die Daten auf dieser Website Zugriff. Diese Seite zeigt Eltern und anderen besorgten Bürgern, wie weit von ihnen entfernt der nächste Täter lebt, oder wie viele Häuser, in denen Sexualstraftäter wohnen, ihr Kind auf dem Weg zur Schule passiert. Aufgelistet ist dort neben Namen, Daten und Details zur Verurteilung oft auch ein Foto der Sexualstraftäter. Man gibt die eigene Adresse ein und sieht, wo und wie viele ehemalige Häftlinge in der Nachbarschaft leben. In manchen Staaten werden Verurteilung wegen Sexualstraftaten sogar auf dem Führerschein vermerkt.255 In Florida steht z. B. „Sexual Predator“ lebenslang auf dem Führerschein der Sexualstraftäter. Darüber hinaus trat am 31. 10. 2017 ein neues Gesetz, das sog. „International Megan’s Law“ in Kraft. Nach diesem Gesetz soll ein entsprechender Hinweis auf die Tat auch in den Reisepass von registrierten Sexualstraftätern gedruckt werden, um weiteren Straftaten vorzubeugen bzw. um Sex-Tourismus zu verhindern.256 Diese „Amerikanisierung des Sexualstrafrechts“ fand auch in Deutschland statt. Ähnlich wie in den USAwird auch in Deutschland vor allem die freiheitsentziehende Maßnahme als Hauptmittel zur Verhütung von Sexualverbrechen verschärft. Bemerkenswert dabei ist jedoch, dass anders als in den USA keine Freiheitsstrafe, sondern die Sicherungsverwahrung Anwendung findet, weil das deutsche Strafrecht die sog. Zweispurigkeit des Strafrechts beinhaltet, die zwischen Strafe und Maß252
CAL. Penal Code § 645. CAL. Penal Code § 645. 254 Dazu ausführlich: Lisa/Mary, Sex Offender Registration and Community Notification, Sex Offender Laws -failed policies, new directions. 255 Butcher/Mineka/Hooley, Klinische Psychologie, 13. Auflage, S. 565. 256 H.R. 515 (114th): International Megan’s Law to Prevent Child Exploitation and Other Sexual Crimes Through Advanced Notification of Traveling Sex Offenders. 253
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regeln der Besserung und Sicherung streng unterscheidet.257 Die Sicherungsverwahrung ist seit Mitte der 1990er Jahre das wichtigste Präventionsinstrument des Sexualverbrechens geworden. Durch die Änderung des Strafrechtsgesetzes wurden die vorbehaltene Sicherungsverwahrung und die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt, wodurch sich die Zahl der unter Sicherungsverwahrung gestellten Personen drastisch erhöhte.258 Zusätzlich zur Sicherungsverwahrung werden in Deutschland auch die erwähnten Methoden 3 und 5 eingesetzt. Z. B. wurden durch das am 1. 1. 2011 in Kraft getretene „Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen“ das Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) und die elektronische Aufenthaltsüberwachung neu ausgestaltet.259 Deren Ziel war es, die nach dem EGMR-Urteil vom 17. 12. 2009 zur Sicherungsverwahrung vermeintlich entstehenden Sicherheitslücken zu schließen und die zu entlassenden Personen engmaschig und effizient zu überwachen. Nach § 1 ThUG wird die Unterbringung von Personen, die wegen eines Verbotes der rückwirkenden Verschärfungen nicht länger in Sicherungsverwahrung untergebracht werden dürfen, aber an einer psychischen Störung leiden und infolgedessen mit hoher Wahrscheinlichkeit das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung anderer Personen erheblich beeinträchtigen werden, in einer geeigneten geschlossenen Einrichtung ermöglicht. Die chemische Kastration als weitere Behandlungsmaßnahme ist im Gesetz nicht ausdrücklich geregelt. In der Praxis ist sie zwar auf freiwilliger Basis zugelassen, als einziges Medikament, mit dem sich das Hormon Testosteron fast auf Kastrationsniveau absenken lässt, ist Androcur zu nehmen.260 Jedoch kann die chemische Kastration nicht mit Zwang angeordnet werden, da dies § 56 c Abs. 3 Nr. 1 StGB verbietet. Die elektronische Aufenthaltsüberwachung wurde als strafbewehrte Weisung gemäß § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB zur Überwachung von Straftätern eingeführt, die aus der Haft oder der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, jedoch weiterhin als gefährlich eingestuft werden. Für freigelassene gefährliche Straftäter wurde auch der Internetpranger im Jahr 2010 mit Verweis auf die USA von einem Unionspolitiker vorgeschlagen, jedoch wurde der Vorschlag von der Bundesregierung abgelehnt, da ein solches Vorgehen hinsichtlich des persönlichen Datenschutzes verfassungsrechtlich höchst problematisch erscheint.261 257
„Der Bezugspunkt der Strafe wird dabei gemeinhin in einer in der Vergangenheit liegenden Straftat und in der Schuld des Täters gesehen, während die Maßregeln der Besserung und Sicherung an die Gefährlichkeit des Täters anknüpfen und auf Schutz in der Zukunft ausgerichtet sind.“ Vgl. Albin Eser, Zur Entwicklung von Maßregeln der Besserung und Sicherung als zweite Spur im Strafrecht, S. 214 f. 258 Pfister, Wolfgang, Die Maßregel der Sicherungsverwahrung – Gesetzliche Entwicklungen und Stand der Rechtsprechung in: Sicherungsverwahrung – wissenschaftliche Basis und Positionsbestimmung 2012, S. 3 – 14. 259 BT-Drs. 17/3403, S. 1; zum gesetzgeberischen Willen auch Kinzig, in: NJW 2011, S. 181. 260 Gaenslen, Die Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, S. 177, 178. 261 http://www.zeit.de/politik/deutschland/2010-08/Internet-Straftäter.
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In Südkorea herrscht eine Mischung aus der US- und deutschen Kriminalrechtspolitik vor. Das koreanische Recht gehört wie Deutschland zum kontinentaleuropäischen Rechtskreis, sodass das koreanische Strafrecht auf einer Zweispurigkeit des Strafrechts basiert, welches zwischen Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung unterscheidet.262 Jedoch ist die koreanische Kriminalpolitik für Sexualverbrechen stark von der US-Strafrechtspolitik beeinflusst, sodass diese Zweispurigkeit des Strafrechts nicht strikt eingehalten wird. Diese Situation hat zu einer gleichzeitigen Verschärfung von Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung geführt. Zunächst wurden durch die Änderung des „Gesetzes über die Bestrafung von sexuellen Verbrechen und Schutz der Opfer“ die Strafrahmen bezüglich sexueller Verbrechen erhöht. Straftäter, die nach Artikel 297 des koreanischen Strafgesetzbuches eine Vergewaltigung an Kindern unter 13 Jahren, Vergewaltigung mit schwerer Körperverletzung oder Vergewaltigung mit Todesfolge begangen haben, werden jeweils zu einer Freiheitsstrafe von länger als 7 Jahren, zu lebenslanger Freiheitsstrafe oder zum Tode verurteilt.263 Außerdem wurde durch die Änderung des Strafgesetzes vom 31. 3. 2010 das Höchstmaß der Freiheitsstrafe von 15 Jahren (25 Jahre im Fall einer zusätzlichen Strafe) auf 30 Jahre (50 Jahre im Fall einer zusätzlichen Strafe) erhöht, sodass bei Sexualverbrechen unter bestimmten Umständen eine Freiheitsstrafe von 50 Jahren möglich ist.264 Auch im Hinblick auf das Maßregelrecht gab es große Veränderungen. Vor allem gibt es die Methode Nr. 2, die zur Sicherungsverwahrung gehört, in Südkorea zurzeit nicht mehr. In Korea wurden die Maßregeln der Besserung und Sicherung einschließlich der Sicherungsverwahrung als strafrechtliche Sanktion neben der Strafe in den 1970er Jahren zum ersten Mal eingeführt, um den Schutz der staatlichen Sicherheit vor gefährlichen Staatsverbrechern, insbesondere vor kommunistischen politischen Überzeugungstätern zu gewährleisten.265 Der Sicherungsverwahrung fehlten jedoch von Anfang an die gesetzgeberisch grundlegenden Bestimmungen und die Legitimation in der Praxis. Von den damaligen diktatorischen Machthabern wurde die Sicherungsverwahrung hauptsächlich als ein effektives Mittel benutzt, politische Gegner zu unterdrücken. Sie wurde aufgrund solcher historischen Erfahrungen im Jahr 2005 durch das vom Parlament initiativ angetragene „Gesetz über die Abschaffung des Sozialschutzgesetzes“ abgeschafft.266 Seit 2010 kündigte das koreanische Justizministerium offiziell die Absicht an, sie wieder einführen zu wollen, um die Gesellschaft vor gefährlichen Kriminellen zu schützen. Doch aufgrund des Widerstandes innerhalb der Bevölkerung, die den Missbrauch der Si262
Korea Legislation Research Institute, Einführung in das koreanische Recht S. 5. Hye-Jeong Kim, Überlegung für Maßnahme über Sexualdelikte, S. 371. 264 Hye-Jeong Kim, Überlegung für Maßnahme über Sexualdelikte, S. 371. 265 Sang-Min Park, Die strafrechtliche Behandlung gefährlicher Straftäter: Ein deutschkoreanischer Vergleich. S. 9. 266 Il-Su Kim, Wiederbelebung und Einführung der Sicherungsverwahrung ins KStGB, S. 359 f. 263
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cherungsverwahrung durch die Militärdiktatur in der Vergangenheit erlebt hatte, wird sie nicht wieder eingeführt.267 Die abgeschaffte Sicherungsverwahrung wurde durch die neu eingeführten Maßregeln der Besserung und Sicherung ersetzt. Zuerst wurde das Gesetz über die Unterbringung in der Therapieverwahrung als Alternativgesetz eingeführt.268 Das Gesetz bezweckt die Rückfallverhinderung und die Resozialisierung durch eine entsprechende Erziehung, Besserung sowie Therapie für die Täter, die eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit bzw. der verminderten Schuldfähigkeit, der Alkohol- bzw. Drogenabhängigkeit oder der psychosexualen Störung begangen haben.269 Das Gericht ordnet gemäß § 2 Therapieverwahrungsgesetz die Unterbringung in einer Therapieanstalt an, wenn eine Therapie erforderlich ist, eine Rückfallgefahr begründet ist und der Täter eine Straftat begeht, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist, und wenn er wegen einer seelischen Störung nicht bestraft wird oder eine Strafmilderung erhält (Nr. 1), die Straftat in Verbindung mit seinem Drogen- oder Alkoholmissbrauch begangen hat (Nr. 2) oder eine psychosexuelle Störung aufweist und eine Katalogtat (Sexualdelikt) begangen hat (Nr. 3). Die Formen der Therapieverwahrung bei Personen mit seelischen Störungen oder mit Drogenmissbrauch sind also der deutschen Therapieunterbringung oder der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus oder einer Entziehungsanstalt ähnlich. Zweitens wurde in Südkorea im Jahr 2010 ein Gesetz eingeführt, welches die chemische Kastration von Sexualstraftätern erlaubt. Das „Gesetz über die medikamentöse Behandlung von Sexualstraftätern, die aufgrund des Sexualtriebes Delikte begangen haben“ bezweckt, Rückfälle bei Sexualgewaltstraftaten durch medikamentöse Behandlung zu verhindern und die Resozialisierung zu fördern.270 Anwendbar ist das Gesetz bei Patienten mit „Perversionen“, die eine Sexualgewaltstraftat begangen haben und bei denen die Gefahr festgestellt wird, dass sie diese Straftat wieder begehen werden.271 Die „medikamentöse Behandlung gegen den Sexualtrieb“, also die sog. chemische Kastration, ist eine gegen die Auswirkungen eines abnormen Geschlechtstriebes gerichtete Behandlung, durch welche die sexuelle Funktion eines Mannes dauernd funktionsunfähig gemacht oder die Psyche des Mannes beeinflusst werden kann.272 Diese Behandlung muss nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft angezeigt sein, um bei den Betroffenen, 267
Ho-Joong Lee, Social Security and Criminal Law, S. 284 – 285. Sang-Min Park, Die strafrechtliche Behandlung gefährlicher Straftäter, S. 147 – 148. 269 § 1 Therapieverwahrungsgesetz. 270 § 1 Sexualtriebbehandlungsgesetz. 271 Der Ausdruck „Patient mit Perversion“ im Sinne dieses Gesetzes umfasst die Personen, die gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 3 Therapieverwahrungsgesetz eine psychosexuelle Störung aufweisen und das Sexualdelikt begehen sowie die wegen des Hanges zu Sexualgewaltstraftaten ihr Verhalten nicht selbst kontrollieren können (§ 1 Sexualtriebbehandlungsgesetz). 272 § 2 Nr. 3 Sexualtriebbehandlungsgesetz. 268
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die das neunzehnte Lebensjahr vollendet haben sollen273, schwerwiegende Krankheiten, Nebenwirkungen oder Leiden, die mit ihrem abnormen Geschlechtstrieb zusammenhängen, zu verhüten, zu heilen oder zu lindern.274 Die Anordnung der Maßnahme bedarf keiner Einwilligung der verurteilten Personen. Drittens können diejenigen, die von der Freiheitsstrafe oder Unterbringung in der Therapieverwahrung freigelassen wurden, der elektronischen Aufenthaltsüberwachung und der Bekanntmachung unterliegen. Durch das „Gesetz über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern“ wurde die EAÜ eingeführt. Damit werden bestimmte Straftäter, bei denen Rückfallgefahr besteht, nach der Verbüßung der Freiheitsstrafe für höchstens 30 Jahre durch ein Satellitenortungssystem geortet, d. h. Bewegungen und Aufenthalt an bestimmten Orten bzw. bei Personen werden überwacht. Die Veröffentlichung der Täterdaten im Internet ist im „Gesetz über den Sexualschutz von Kindern bzw. Jugendlichen“ (Jugendsexualschutzgesetz) und im „Sondergesetz über die Bestrafung der Sexualstraftaten“ (Sexualdeliktsondergesetz) vorgesehen. Nach diesen Gesetzen müssen sich die Sexualstraftäter nicht nur bei den Behörden registrieren lassen, sondern ihre Informationen werden auch im Internet und mit der Post an einen bestimmten Personenkreis weitergegeben. Die Sexualstraftäter, die registriert werden, müssen dem Direktor der örtlichen Polizei (oder bei der Unterbringung in einer Therapieanstalt ihrem Direktor) innerhalb von 30 Tagen nach der Verurteilung die folgenden persönlichen Informationen vorlegen: Name, Einwohnereintragungsnummer, Adresse, Beruf sowie Arbeitsadresse, Körpergröße und Gewicht, Registrierungsnummer des eigenen Autos sowie ein Foto.275 Diese Daten über die begangenen Sexualstraftaten werden dann an eine staatliche Behörde weitergeleitet.276 Die Registrierungsdauer beträgt nach § 45 Abs. 1 Sexualstraftatsondergesetz 20 Jahre. Damit kann jeder Bürger sich im Internet darüber informieren, ob in seiner Nachbarschaft ehemalige Sexualstraftäter wohnen.
III. EAÜ als ein ergänzendes Hilfsmittel der freiheitsentziehenden Unterbringung im Kampf gegen gefährliche (Sexual)Straftäter Mit Blick auf diese Bekämpfung von sexueller Gewalt in den 3 Ländern lässt sich Folgendes erkennen: Erstens wurde in allen 3 Ländern für gefährliche (Sexual) Straftäter anstatt einer Behandlungsmaßnahme bzw. Besserungsmaßnahme hauptsächlich die punitive Kriminalpolitik umgesetzt. In den USA wurden die sog. „Three Strikes Laws“ und das „Sexual Predator Law“ neu verabschiedet. Darüber hinaus 273 274 275 276
§ 4 Abs. 1 Sexualtriebbehandlungsgesetz. § 3 Nr. 1 Sexualtriebbehandlungsgesetz. § 43 Abs. 1 sowie 2 Sexualdeliktsondergesetz. § 44 Abs. 1 Sexualdeliktsondergesetz.
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wurden „das Gesetz über die chemische Kastration“, „die EAÜ-Gesetze“ und Gesetze bezüglich der „öffentlichen Bekanntmachung“ erlassen. Gesetze dieser Art mit fast identischem Inhalt (abgesehen von den „Three Strikes Laws“) wurden ebenfalls in Südkorea eingeführt. Dabei wurde auch das Strafmaß der Freiheitsstrafen gegen Sexualstraftäter allgemein erhöht. In Deutschland wurde aufgrund der sog. Zweispurigkeit des Strafrechts statt der Freiheitstrafe die Sicherungsverwahrung stark verschärft, und das Therapieunterbringungsgesetz (ThUG) sowie die EAÜ wurden zur Deckung der Lücken der Sicherungsverwahrung eingeführt. Zweitens wurde bei dieser Umsetzung der punitiven Kriminalpolitik für gefährliche Straftäter vor allem ein Schwerpunkt auf die freiheitsentziehende Unterbringung als sicheres Mittel zur Prävention vor weiteren Sexualstraftaten gelegt. In den USA wurde jede freiheitsentziehende Maßnahme für Sexualstraftaten durch die „Three Strikes Laws“, sowie das „Sexual Predator Law“ verstärkt. In Südkorea und Deutschland wurden ebenfalls die Freiheitsstrafe und die Sicherungsverwahrung für gefährliche (Sexual)Straftäter verschärft. Diese freiheitsentziehende Unterbringung hat eine breite öffentliche Unterstützung in allen 3 Ländern gewonnen. Sie stellt sich als die am meisten bevorzugte Maßnahme zum Schutz der Allgemeinheit dar, indem sie zumindest während der Unterbringung eine ideale Präventionswirkung gewährleistet. Da die Gesetzgeber zügig auf die öffentliche Erwartung zum Schutz der Allgemeinheit reagieren mussten, haben sie folglich vor allem solch freiheitsentziehende Maßnahmen als Lösung ausgewählt. Drittens wurde die EAÜ in den 3 Ländern nicht als ein Ersatzmittel für die freiheitsentziehende Maßnahme, sondern als ein diese ergänzendes Hilfsmittel eingeführt. Da in einem Rechtsstaat kein Sexualstraftäter allein der Einfachheit halber lebenslang im Gefängnis bzw. in einer Maßregelvollzugsanstalt untergebracht werden darf, müssen die gefährlichen Straftäter irgendwann schließlich entlassen werden. Damit könnten sie wieder eine Bedrohung für die Allgemeinheit darstellen. Unter Anwendung der früheren Gesetze der 3 Länder gab es nur die Maßnahmen, bei denen sich die Entlassenen zu bestimmten Zeiten einer Beratung durch den Bewährungshelfer unterziehen oder bestimmte Weisungen in ihrem Alltag beachten mussten. Jedoch reichten diese Maßnahmen allein nicht aus, um die Angst der Bürger zu mindern. Die EAÜ wurde in allen 3 Ländern gerade zum Zweck der Deckung dieser Sicherheitslücken neu eingeführt. Dadurch beabsichtigten die Gesetzgeber in den 3 Ländern, die Allgemeinheit bestmöglich vor gefährlichen Straftätern zu schützen, also mithilfe neuer Technologien die Sexualstraftäter über ihre Haftentlassung hinaus umfassend zu kontrollieren. Die EAÜ stellt daher in einem engmaschigen Sicherheitsnetz einen weiteren Mosaikstein dar.277 Selbstredend war den Gesetzgebern aller 3 Länder bewusst, dass die Präventionswirkung der EAÜ limitiert ist und sie deshalb kein Allheilmittel für den Schutz der Allgemeinheit darstellen kann. Man nahm an, dass die EAÜ allein zwar nicht alle Straftaten von gefährlichen Straftätern verhindern kann, sie jedoch als Teil eines Maßnahmenbündels einen 277
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 70.
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Beitrag für mehr Sicherheit leistet.278 Allerdings ist die konkrete Bedeutung der EAÜ im strafrechtlichen Sanktionssystem als das ergänzende Hilfsmittel von Land zu Land entsprechend der rechtlichen Lage unterschiedlich. In Südkorea wurde z. B. das Recht der Sicherungsverwahrung abgeschafft, was zu einer erhöhten Erwartungshaltung des Gesetzgebers an die EAÜ im Maßregelrecht geführt hat.279 Tatsächlich wurde die EAÜ in Südkorea nach ihrer ersten Einführung im Jahr 2007 innerhalb der nächsten 5 Jahre durch insgesamt 4 Reformen wiederholt verschärft, womit die Anzahl der Überwachten anstieg.280 Demgegenüber ist in Deutschland die Sicherungsverwahrung das Hauptinstrument zur Bekämpfung der gefährlichen Straftäter, sodass die Aufmerksamkeit und Bedeutung der EAÜ im deutschen Maßregelrecht zurzeit relativ gering ist.281
B. Entwicklung des Sicherheitstrends I. Trend zur Sicherheitsgesellschaft Zwar ist es einleuchtend, dass „die Bekämpfung von gefährlichen Sexualstraftätern“ ein wesentlicher Punkt für die Erklärung der Situation ist, warum die EAÜ in den 3 Ländern eingeführt wurde. Doch reicht der alleinige Blick darauf nicht aus, um ein detailliertes Verständnis über den kriminalrechtspolitischen Einführungshintergrund und die Rolle der EAÜ in den 3 Ländern zu gewinnen. Denn sexueller Missbrauch an Kindern ist keine neue Form des Verbrechens, sondern existiert schon seit langer Zeit. Zudem ist es schwer zu behaupten, dass Wut der Bevölkerung über gefährliche Sexualstraftäter erst ab den 1990er Jahren beobachtet wurde. Es fehlt also an einer klaren Erklärung, mit welchem Hintergrund die Sicherheit gegenüber gefährlichen Straftätern in den 3 Ländern im Vergleich zu früher besonders thematisiert wurde, und damit verbunden die punitive Kriminalpolitik durch die Öffentlichkeit tatkräftig unterstützt wurde. Dies kann im Zusammenhang mit der damaligen vorherrschenden Stimmung in den 3 Ländern besser verstanden werden. Diesbezüglich ist vor allem auffällig, dass nach der wissenschaftlichen Literatur in allen 3 Ländern seit etwa den 1990er Jahren ein Trend hin zu mehr Sicherheit in der Gesellschaft stattfand.282 Unter dem sog. Trend zur Sicherheitsgesellschaft wird im Allgemeinen verstanden, dass aufgrund der Veränderung verschiedener sozialer Strukturen in 278
Vgl. Teil 2, Kapitel 1, C.II.3. Vgl. Teil 2, Kapitel 2, A.II. 280 Vgl. Teil 2, Kapitel 1, B.II.3. 281 Vgl. Bulletin der Bundesregierung Nr. 21 – 2 vom 17. 2. 2017. 282 Zur amerikanische Lage, Garland, Kultur der Kontrolle, Simon, Governing through Crime, Zur Deutschen Lage, Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, Groenemeyer, Wege der Sicherheitsgesellschaft, Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, Zur koreanischen Kriminalrechtspolitik, Il-Su Kim, The criminal policy in a transitional period: aesthetics of paradox, Chun-Soo Yang The Modern Secure Society and Legal Control. 279
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einer Gesellschaft die Verunsicherung einen zentralen Stellenwert erlangt und das Streben nach umfassender Sicherheit anderen Zielvorgaben übergeordnet und zum Wert an sich wird.283 Da die Entwicklung der Kriminalrechtspolitik der 3 Länder gerade durch eine Verbindung mit dieser sozialen Tendenz durchgeführt wurde284, wird hier nun zunächst die Entwicklung des Sicherheitstrends der 3 Länder dargestellt. Doch muss im Voraus darauf hingewiesen werden, dass ausführliche Vergleiche und Analysen in Bezug auf Veränderungen in den sozialen Bedingungen der 3 Länder zu umfangreich sind, mithin außerhalb des Forschungsumfangs liegen. Hier werden vielmehr nur grundlegende Veränderungen der gesellschaftlichen Strukturen in den jeweiligen Ländern aufgezeigt, die eine wichtige Grundlage für die Entwicklung von Kriminalrechtspolitik bildeten.
II Veränderte gesellschaftliche Strukturen 1. Ökonomische Umwälzungen Ökonomische Umwälzungen in den USA, Deutschland und Südkorea zeigten sich mit dem Aufkommen des Neoliberalismus, der eine neue Wirtschaftsstruktur und einen veränderten Arbeitsmarkt mit sich brachte.285 Die neoliberalen Wirtschaftskonzepte basieren im Wesentlichen auf 3 Grundprinzipien:286 1. der Autonomie des Individuums; 2. der Annahme, dass der Markt die effizienteste und daher ideale Form der Verteilung von Gütern und zur Lösung von sozialen Problemen darstellt; 3. dem Verständnis, dass der Staat ein potenzielles Hindernis für individuelle Freiheiten und Markteffizienz darstellt. Würden Bedürftigen staatliche Transferleistungen gewährt oder die Arbeitsbedingungen zum Schutz von abhängig Beschäftigten reguliert werden, könnten sich dadurch die Wettbewerbsbedingungen verzerren, weil Benachteiligungen für diejenigen möglich wären, die keinen Profit davon haben.287 Diese kapitalistischen Anforderungen des Neoliberalismus schafften ein neues Idealbild eines Arbeiters im Arbeitsmarkt. Statt einer homogenen, normalisierten Masse rückt zunehmend der
283 Dazu ausführlich, Groenemeyer, Wege der Sicherheitsgesellschaft, Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft. 284 Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 147 ff.; Garland Kultur der Kontrolle, S. 258 ff.; Ho-Joong Lee, Social Security and Criminal Law, S. 275 ff. 285 Garland, Kultur der Kontrolle 2001, 160 ff., Singelnstein/Stolle, 18 ff. Seun-Guk An, From the Crisis of Fordism to Post-Fordism in World Capitalism, S. 61 – 78. 286 Hackworth, Die „Reform“ des öffentlichen Wohnungsbaus als „Rache“ an den städtischen Armen. S. 17. 287 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 20.
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flexible, kreative, individualisierte Arbeitnehmer in den Mittelpunkt.288 Das Versprechen aus der Zeit des fordistischen Wohlfahrtsstaates, bei einem zeitweiligen Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt wieder darin integriert zu werden, zumindest jedoch sozial abgesichert zu sein, wurde rückgängig gemacht. Heutzutage kann der Verlust des Arbeitsplatzes bewirken, langanhaltend von der Möglichkeit der sozialen Reproduktion durch eigene Arbeit abgetrennt zu sein oder keine andere Wahl zu haben, als die eigene Arbeitskraft zu wesentlich schlechteren Konditionen am Arbeitsmarkt anzubieten.289 Diese Veränderungen waren keineswegs nur vorübergehender Natur. Sie setzten sich weiterhin unabhängig von der positiven konjunkturellen Entwicklung in den USA, Deutschland und Südkorea fort. Dank eines stabilen Aktienmarktes und niedriger Arbeitslöhne ergab sich ein hoher Beschäftigungsgrad in den Vereinigten Staaten. In Deutschland zeigte sich ab dem Jahr 2000 im Vergleich zu den 1990er Jahren nach der Wiedervereinigung auch ein relativ hohes Wirtschaftswachstum, welches durch eine Verstärkung der Wettbewerbsfähigkeit seitens der Unternehmen, marktfreundliche Maßnahmen der Regierung und einen Anstieg des Exporthandels bedingt war.290 Zugleich erholte sich Südkorea schnell von der Asienkrise von 1997. Infolgedessen vertieften sich soziale, ethnische und geschlechtsspezifische Spaltungsprozesse auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen, wie sich an einer auseinanderdriftenden Lohnskala und einer zunehmenden Ungleichheit zwischen einzelnen Regionen, auch im Weltmaßstab, zeigte.291 So mussten etwa die Arbeitnehmer im ersten Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts Reallohnverluste hinnehmen, die vor allem die unteren Einkommensklassen betrafen. Gleichzeitig haben Einkommen und Vermögen der Oberschicht überdurchschnittlich zugenommen. Während somit zwischen 2000 und 2009 die Reichen reicher, die Ärmeren hingegen nicht nur mehr, sondern auch ärmer geworden sind, ist gleichzeitig ein Abschrumpfen der Mittelschicht zu beobachten.292
288
Fisahn, Repressive Toleranz und der „Pluralismus“ der Oligarchien. In: PROKLA 2008, S. 365. 289 Kronauer, Exklusion. Die Gefährdung des Sozialen im hoch entwickelten Kapitalismus. 290 Vgl. Elekdag/Muir: Trade Linkages, Balance Sheets, and Spillovers – The GermanyCentral European Supply Chain. 291 Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme. Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts. S. 388. 292 Zur ausführlichen Statistik in den USA: https://data.oecd.org/inequality/income-inequali ty.htm, Institute for Policy Studies, 2015. „Income Inequality.“, http://inequality.org/income-ine quality.htm, zur ausführlichen Statistik in Südkorea: Nak-Nyeon Kim, „Top Incomes in Korea: 1933 – 2010: Evidence from Income Tax Statistics,“ 2014 – 03. Zur ausführlichen Statistik in Deutschland, Goebel/Gornig,; Häußermann, Polarisierung der Einkommen: Die Mittelschicht verliert. Wochenbericht des DIW Berlin Nr. 24/2010. Berlin.
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2. Rückzug des Staates Parallel zu den ökonomischen Transformationsprozessen haben sich auch die Rolle und die Politik der 3 Länder allmählich verändert.293 Das zeigt sich z. B. in einem bis heute andauernden Prozess einer ökonomischen Liberalisierung294, die zunächst entscheidend von den konservativen Regierungen in den USA, die ab den 1980er Jahren an die Macht kamen, realisiert wurde. Mit zeitlicher Verschiebung sowie in differierender Charakteristik fand sie auch Eingang in die Politik von Deutschland und Südkorea. Diese Prozesse einer wirtschaftlichen Liberalisierung basieren auf der bereits beschriebenen neoliberalen Wirtschaftstheorie. Die neoliberalen Konzepte wurden zwar in keinem Land originalgetreu umgesetzt. Sie haben jedoch bis heute wesentlichen Einfluss auf die Regierungspolitik in vielen Staaten. Die Regierungen der USA, Deutschlands und Südkoreas waren dabei keine Ausnahme. Auch wenn das jeweilige Ausmaß des neoliberalen Einflusses sich in den 3 Ländern unterscheidet, veränderten sie sich zunehmend vom Sozialstaat zum Wettbewerbsstaat.295 Der Wettbewerbsstaat strebt dabei vor allem danach, gute Bedingungen für ökonomische Prozesse zu schaffen.296 Als modellhaft können dafür der Übergang von einer mehr nachfrage- hin zu einer eher angebotsorientierten Wirtschafts- und Sozialpolitik sowie der Umbau des Sozial- und Wohlfahrtsstaates in den Industrieländern angesehen werden. In diesem Zusammenhang erfolgte z. B. in den vergangenen Jahren eine Verschärfung der Voraussetzungen für staatliche Transferleistungsansprüche und eine Minimierung der Bezugszeiten. Auch wurde die staatliche Organisation der Renten- und Krankenversicherung zum Teil privatisiert. Ferner erfolgten eine Integration von marktwirtschaftlichen Strukturelementen in das Sozialsystem, die Einführung von „Workfare“-Projekten und die Ausweitung des Niedriglohnsektors.297 Zusätzlich wurden Bereiche, die früher in den Händen der staatlichen Verwaltung lagen, wie die Wasser-, Energie- und Gesundheitsversorgung sowie Rente und Bildung, der Kapitalverwertung durch Privatisierung und Kommodifizierung zugängig gemacht. Damit erhielt der Markt in größerem Umfang Regulierungskompetenzen. Die Lebensbedingungen zahlreicher Menschen wurden durch diese Ent293 USA, Garland, Kultur der Kontrolle 2001, 160 – 163. Südkorea, Jae-Jin Yang, 60 Years of South Korean Welfare Policies: Institutionalization of the Developmentalist Welfare Regime, S. 327~349, Deutschland: Kannankulam, Konjunkturen der inneren Sicherheit – vom Fordismus zum Neoliberalismus. In: PROKLA 2008, S. 414 ff. 294 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 20. 295 Vgl. Kreutz, Vom Sozialstaat zum Wettbewerbsstaat – Zur neoliberalen Systemveränderung in Deutschland, Gwang- il Lee, Generation und development of neoliberalism in Korea, 2008, S. 28 – 51. 296 Hebberecht, Kapitalismus, Staat, Zivilgesellschaft und Strafgesetzgebung in der Spätmoderne. S. 138 f. 297 Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft, S. 147 f.
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wicklung merklich beeinträchtigt. Zeitgleich entledigt sich die globalisierte Wirtschaft in grundlegenden Punkten einer Steuerung durch die weiterhin nationalstaatlich veranlagte Politik.298 Ein solcher Prozess verlief in Südkorea aufgrund der Hilfsprogramme des IWF (Internationaler Währungsfonds), die an Verpflichtungen bezüglich der Reformpolitik gebunden waren, ruckartig in einer kurzen Periode.299 Während der Asienkrise im Jahr 1997 fiel die Währungsreserve in Südkorea rasant auf 3.9 Mrd. US-Dollar, sodass Südkorea kurz vor dem Staatsbankrott stand. Die Bedingungen der Finanzhilfe beinhalteten grundlegende Umstrukturierungsmaßnahmen seitens der koreanischen Regierung. Als Resultat wurden zahlreiche öffentliche Betriebe privatisiert und eine große Anzahl von Arbeitnehmern verloren schlagartig ihre Arbeitsplätze. Gleichzeitig wurden die staatliche Sozialhilfe und das soziale Sicherungssystem teilweise abgebaut.300 Schließlich konnte die koreanische Regierung die Finanzhilfe des IWF in Höhe von 19,5 Mrd. US-Dollar im Jahr 2001 voll zurückzahlen, doch die wirtschaftliche Macht des Staates ging größtenteils auf den globalisierten Kapitalmarkt über. 3. Sozio-kulturelle Veränderungen Im sozio-kulturellen Gesellschaftsbereich spiegeln sich die ökonomischen und politischen Änderungen im Abbau der bis dahin dominierenden Medien von sozialer Integration wie der Kleinfamilie oder weiteren sozialen Beziehungsgeflechten wider, weil sie der von der Ökonomie geforderten Mobilität preisgegeben werden mussten.301 Der Einzelne ist jetzt auf sich selbst angewiesen. Das soziale Sicherheitsnetz löst sich auf. In einer Zeit, in der die gesellschaftliche Solidarität an und für sich überaus gefragt wäre, weil die individuelle Lebensgewissheit vor dem Hintergrund von unwägbaren Arbeitsverhältnissen mehr und mehr verloren geht, werden Vorsorge für die Arbeitslosigkeit oder das Alter als individuelle Problemlage aufgefasst.302 Das führt gemeinsam mit der Neuordnung der Wirtschafts- und Arbeitsbeziehungen sowie der sozialen Sicherungssysteme zu einer beträchtlichen sozialen Ausdifferenzierung der Gesellschaft. Infolgedessen werden die wirtschaftlichen und politischen Eliten in ihrem sozialen Ursprung homogener, während sich aber auch die Entstehung einer neuen Unterschicht feststellen lässt.303 Außerdem treten im Zuge der der sozio-kulturellen Veränderungen verschiedene Wertvorstellungen auf, und der Individualismus wurde verstärkt. Dies geht auf den Übergang von der Moderne zur Spät- oder Postmoderne zurück, der Anfang 1970 in 298 299 300 301 302 303
Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 21. Kyung-Sook Hwang, Korean Society’s Changes after IMF Crisis, S, 355 – 378. Jeong-Sun Ryu, Welfare Demand and Change of Life after IMF Crisis, S. 6 – 10. Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 148. Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 148. Bauman, Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. S. 102 ff.
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Frankreich und USA begann.304 Während sich die Moderne durch eine Säkularisierung der Gesellschaft kennzeichnen lässt, die sich im europäischen Rahmen ideengeschichtlich besonders in der Aufklärung äußerte sowie ein rationales und humanes Menschen- und Gesellschaftsbild erzeugte, werden durch die Postmoderne Hybridität, Differenz sowie die Aufgabe von traditionellen Bindungen und eines allgemeinen Gemeinschaftsgefühls in den Vordergrund gestellt.305 Die Massengesellschaft, die mit dem Wohlfahrtsstaat fordistischer Prägung entstanden war, lässt sich durch eine Homogenisierung der Lebensstile kennzeichnen, die gleichzeitig mit einer Individualisierung und Privatisierung des Alltagslebens verbunden war. Diese Massengesellschaft erfährt eine umfängliche Pluralisierung und Ausdifferenzierung der Lebensgestaltungen und Wertvorstellungen.306 Überaus klar reflektiert sich dieser Wandel in den Beziehungsstrukturen zwischen den Geschlechtern und Generationen. So ging z. B. die Bedeutung der bürgerlichen Kleinfamilie, die sich durch die soziokulturelle Einfügung der Arbeiterklasse in die bürgerliche Gesellschaft zum Standardmodell der westlichen Gesellschaften entwickelt hat, beträchtlich zurück, was sich in einem deutlichen Anstieg der Scheidungsraten und der Haushalte von Alleinstehenden widerspiegelt.307 Des Weiteren änderten sich die Konsum- und Erlebnisgrundformen und wurden damit zu einem Spiegelbild für das anwachsende Distinktionsbewusstsein. Massenmedien – wie hauptsächlich Fernsehen und Internet – bestimmen in einem wesentlich größeren Ausmaß unsere Wahrnehmung der sozialen Welt. Soziale Beziehungen zwischen Menschen werden durch Informationstechnologien beeinträchtigt, was einen sozialen Desintegrationsschub und eine unübersehbare Individualisierung verursacht.308 Eine weitere Veränderung der Gesellschaft in den 3 Ländern ist die zunehmende gesellschaftliche kulturelle Heterogenität. Sie wurde durch einen erheblichen Zuwachs der Immigrationsanzahl hervorgerufen. Insbesondere während und nach den 1990er Jahren stieg sie in den USA und in Deutschland durch die Globalisierung der Kapital-, Waren- und Arbeitsmärkte sowie die Internationalisierung der Produktion an.309 Hingegen gab es in Südkorea bis in die 1990er Jahre nur wenige Immigranten. Deren Anzahl nahm aber stetig ab Beginn des 21. Jahrhunderts aufgrund des wirtschaftlichen Strukturwandels und der Globalisierung zu.310 Männliche Arbeiter aus Südostasien und China kamen nach Korea, wo sie höhere Löhne als in ihrem Hei304
Morel, Soziologische Theorie. Abriss der Ansätze ihrer Hauptvertreter. S. 285 ff, Kaiser, Moderne und postmoderne Kriminalpolitik als Probleme des Strukturvergleichs, S. 1361. 305 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 22. 306 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 22. 307 Garland, Kultur der Kontrolle, S. 163, Singelnstein/Stolle, S. 22. Hyun-Suk, Jeong, The Relationship between Divorce Rates and Socioeconomic and Demographical Factor, S. 51 – 67. 308 Bauman, Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. S. 88. 309 Widgren/Stacher, Internationale Wander- und Fluchtbewegungen – eine globale Herausforderung, S. 453 ff. 310 Dazu ausführlich http://www.immigration.go.kr/HP/IMM80/index.do.
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matland erhalten konnten. Ebenfalls stieg die Anzahl weiblicher Immigranten an, die zum Zweck der Eheschließung mit koreanischen Männern in den ländlichen Regionen Koreas einreisten.311 Der Anstieg der Immigration verursachte in den jeweiligen Ländern gesellschaftliche und kulturelle Konflikte.312 Integrationsprobleme und Armut wurden wichtige Themen der Gesellschaft, wobei sich Befürworter und Gegner dieser Immigrationspolitik gegenüberstanden. Die Abneigung gegen Ausländer wurde dabei von der Gegenseite durch Konservatismus und Ethnonationalismus in Verbindung mit Religiosität, Patriotismus und Autorität zum Ausdruck gebracht.
III. Erweiterungen der Sicherheitsdiskurse 1. Angst im Alltag Veränderungen der sozialen Strukturen sind immer eng mit dem Bewusstsein der Gesellschaft verbunden. Die Erkenntnis über die Prekarität der eigenen Existenz bewirkt eine gesellschaftliche Ungewissheit im Alltag. Sie betrifft nicht nur allein die ökonomisch Ausgeschlossenen. Auch diejenigen, die vom sozialen Ausschluss nur bedroht werden oder sich bedroht fühlen, sind davon berührt.313 Die Zunahme der allgemeinen Angst im Alltagsleben kann durch Umfragen und Beiträge der analysierten Literatur leicht bestätigt werden. Laut einer von der Versicherungswirtschaft seit 1991 in Auftrag gegebenen jährlichen Umfrage haben z. B. in der deutschen Bevölkerung die Ängste vor einer Verschlechterung der gesamtgesellschaftlichen Lage oder der persönlichen Lebenssituation in den vergangenen 20 Jahren erheblich zugenommen.314 Nach einem starken Anstieg in der ersten Hälfte der 1990er Jahre hatte sich die Häufigkeit der Nennung „große Angst“ zunächst auf hohem Niveau gehalten. In den Jahren 2003 bis 2005 sowie 2010 wurden sodann neue Höchstwerte ermittelt. Über die Jahre hinweg standen dabei soziale und wirtschaftliche Sorgen im Vordergrund. Im Falle der Vereinigten Staaten hat sich seit den 1970er Jahren die Angst der Bevölkerung als Ergebnis von Veränderungen der sozialen Struktur aufgetan, und diese alltägliche Angst hat sich aufgrund von 2 Ereignissen in der jüngeren Vergangenheit wieder erhöht. Einerseits ist hier die Rede von den Ereignissen des 11. 9. 2001, die weltweit Aufmerksamkeit erregten. Die Terroranschläge in New York und Washington gipfelten in den Vereinigten Staaten in einer Zunahme der Feindseligkeit 311 Gong-Ja Chang, Globalization and woman’s citizenship: marriage migration of women from China and Southeast Asia to Korea, S. 107 ff. 312 Vgl. Mills (Hrsg.), Arguing Immigration: Are New Immigrants a Wealth of Diversity or a Crushing Burden? Hollinger, Postethnic America: Beyond Muticulturalism. 313 Singelnstein/Stolle, S. 23. Bauman, Verworfenes Leben. Die Ausgegrenzten der Moderne. 20 f. 314 http://www.ruv.de/de/presse/r_v_infocenter/studien/aengste-der-deutschen.jsp.
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gegenüber der islamischen Kultur und Angst vor Terrorismus.315 Diese Tendenz dauert noch bis heute, 10 Jahre später, an. Nach einer Umfrage, die von der New York Times und CBS News im Jahr 2015 durchgeführt wurde, sind etwa 80 % der Amerikaner immer noch feindlich gegenüber der islamischen Kultur eingestellt. Außerdem empfinden sie wegen der vermeintlich drohenden terroristischen Verbrechen ein Gefühl der Unruhe (Beunruhigung) in ihrem täglichen Leben.316 Das zweite Ereignis war die Finanzkrise, die in den Jahren 2007 und 2008 auftrat. Die „Subprime Mortgage Crisis“ im Jahr 2007 hat dazu geführt, dass viele Unternehmen in Konkurs gingen und noch gehen, was zu einem massiven Anstieg der Arbeitslosigkeit und einem Sturz der Immobilienpreise geführt hat. Diese Wirtschaftskrise hat die alten Ängste der Amerikaner zum Vorschein gebracht und ist noch heute zu beobachten. 317 In Südkorea ist diese alltägliche Angst seit der asiatischen Wirtschaftskrise von 1997 stark angestiegen.318 Die Ängste im Alltagsleben bestehen insofern fort, als dass sich seit 2000 70 – 80 % der Bevölkerung jeden Tag verunsichert fühlen. Nach einer Umfrage im Jahr 2015, die sich auf 1.000 Erwachsene im Alter zwischen 19 bis 59 Jahren erstreckte, hatten 78 % aller Befragten alltägliche Angst (sehr oft 11 %, ein wenig 67 %).319 Diese Ängste waren bei Frauen mit 81 % größer als bei Männern mit 74 %, während die Ängste unter den Befragten zwischen 40 und 49 Jahren größer waren als bei anderen.320 Darüber hinaus war das Gefühl allgemeiner Angst größer, je niedriger das Niveau der eigenen sozialen Schicht war. Es wurde festgestellt, dass das Einkommensniveau und der soziale Status Auswirkungen auf die Ausprägung der täglichen Angst haben. Diese erhöhte Angst im Alltag der Menschen in den 3 Ländern hat sich gleichermaßen auf die Angst vor Verbrechen übertragen. Traditionsgemäß war die Angst vor dem Verbrechen in der Vergangenheit eine der häufigsten Sorgen, die die Bürger in ihrem täglichen Leben beschäftigten.321 In den Vereinigten Staaten ist die Angst vor dem Verbrechen seit dem Ereignis am 11. 9. 2001 stark angestiegen.322 In Korea war, laut einer Umfrage des Nationalen Statistischen Amtes, die alle 2 Jahre seit 2000 315
Stearns, American Fear, The Causes and Consequences of High Anxiety S. 21 ff. http://www.ibtimes.com/americans-fear-terrorism-its-peak-911-new-poll-says-2221155. The poll surveyed 1,275 adults over the phone from Dec. 4 – 8, 2015. The pool of respondents included 431 Republicans and 384 Democratic primary voters. 317 Vgl. Reavis, The Global Financial Crisis of 2008: The Role of Greed, Fear, and Oligarchs. 318 Vgl. Taeh-Heong, Kim; Increased anxiety in Korea. 319 Vgl. https://www.trendmonitor.co.kr/. 320 Young Lan- Kim, The Structure of Social Risks in Korea: Are Social Risks Democratic or Hierarchical? S. 71 ff. 321 Vgl. Boers, Kriminalitätsfurcht. Ein Beitrag zum Verständnis eines sozialen Problems, S. 65 – 82; Hefendehl, Wie steht es mit der Kriminalitätsfurcht und was hat der Staat damit zu tun? Zugleich ein Beitrag zur Tauglichkeit. 322 Garland, Kultur der Kontrolle, S. 54. 316
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durchgeführt wird, die Angst vor Verbrechen stetig höher als andere Angstfaktoren. Im Durchschnitt fühlten sich 55 – 65 % der Befragten ängstlich.323 In Deutschland zeigt die Forschung, dass die Angst vor Verbrechen in den letzten Jahrzehnten 25 – 30 % betrug, was im Vergleich zu Korea und den Vereinigten Staaten ein niedrigerer Wert ist.324 In jüngsten Umfragen in Deutschland sagten im Durchschnitt 40 % der Befragten, dass sie Angst vor Verbrechen hätten.325 Im ZDFPolitbarometer vom April 2007 gaben mehr als 60 % der Befragten an, dass es nicht genug Maßnahmen für die Bekämpfung der Kriminalität gebe.326 2. Massenmedien als Verstärkungsinstrument der Angst Die Auswirkungen durch Berichte der Massenmedien auf die Öffentlichkeit werden im Alltag immer größer, da der Massenmedienansatz durch die rasante Entwicklung der Internet-Kommunikationstechnologie vielfältiger und einfacher geworden ist. In der Vergangenheit waren die Nachrichten nur über TV, Radio, Zeitungen und Zeitschriften verfügbar. Doch da sich die Kommunikationstechnik rasch entwickelt hat, ist es nun möglich, Nachrichten in neuer Form zu übermitteln. Z. B. ist es für die Menschen in den Großstädten Deutschlands, der USA und Südkoreas nicht ungewöhnlich, morgens in der U-Bahn zu sitzen und Nachrichten auf ihren Smartphones zu lesen. Auch das Surfen im Internet gehört mittlerweile zum Alltag. So erhalten wir täglich viele Informationen und tauschen aufgrund der Berichterstattung Meinungen zu öffentlichen Angelegenheiten aus. Das gilt auch für Verbrechen. Wird z. B. ein schweres Verbrechen begangen, so berichten die Medien darüber, wodurch die Gesellschaft über dieses Verbrechen informiert wird. Darüber hinaus äußern viele Menschen durch diese Medien ihre Meinungen und Ärger über solche Verbrechen.327 Außerdem führt die rasante Entwicklung der Internet-Kommunikationstechnologie dazu, dass die Zahl der Massenmedien ansteigt. Die dadurch verursachte kommerzielle Konkurrenz unter den Medien ermöglicht eine verstärkte mediale Sensations- und damit auch Angstberichtserstattung. In dieser Hinsicht sind Nachrichten über Gewalt und Verbrechen ein sehr beliebtes Thema.328 Denn die Be323
http://kostat.go.kr/. Reuband, Dimensionen der Punitivität und sozialer Wandel. Eine Bestandsaufnahme bundesweiter Umfragen zur Frage steigender Punitivität in der Bevölkerung. In: Neue Kriminalpolitik, S. 144 ff. 325 PSB 2006, S. 496 ff. 326 https://www.presseportal.de/pm/7840/973270. 327 Markantonatou, Die Umsetzung des Neuen Öffentlichen Managements in der Kriminalpolitik, S. 162 ff., Reichertz, Die Medien als selbständige Akteure, S. 25 – 31. 328 Vgl. Beale, „The News Media’s Influence on Criminal Justice Policy: How MarketDriven News Promotes Punitiveness“, William and Mary Law Review, Vol. 48. No. 2, College of William and Mary School of Law, 2006, S. 426 – 427. Hyung-Min Park/Min-Ah Lee, A Study of Media Report on Homicide and Suicide in Korea, S. 23. 324
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richterstattung garantiert hohe Einschaltquoten, da dieses Nachrichtenmaterial anregend und sensationell ist, sodass die Aufmerksamkeit der Zuschauer leicht angezogen werden kann.329 Um eine hohe Einschaltquote zu erreichen, befassen sich die meisten Medien hauptsächlich mit individuellen Persönlichkeiten und der Privatsphäre der Straftäter, die nicht direkt mit der Straftat zusammenhängen, anstatt sich auf rationale Expertenanalysen und langfristige Gegenmaßnahmen zu konzentrieren. Die Medien interviewen z. B. die Familien der Kriminellen und der Menschen um sie herum und heben damit absichtlich hervor, dass der Straftäter in der Vergangenheit schon viele soziale Probleme hatte. Dadurch werden die Verbrecher zu „Monstern“ stilisiert, die von der Gesellschaft isoliert werden müssen, und die Verunsicherung der Bevölkerung wird vorangetrieben.330 3. Endloses Sicherheitsbedürfnis Durch die zunehmende Angst der Bürger und das anhaltende Unbehagen gewinnt in den 3 Ländern Sicherheit als gesellschaftlicher Wert an Bedeutung. Die Umstrukturierung des Sicherheitskonzepts, das auf der Existenz der Angst eines Individuums beruht, wirkt sich auf die Stärke des Wunsches des Bürgers nach Sicherheit aus.331 Je mehr wir die existenzielle Angst auf der individuellen Ebene empfinden, desto stärker ist das Bedürfnis nach egoistischem, exklusivem Schutz vor Gefahr.332 In dieser Situation konzentrieren sich die Bürger vor allem zuerst auf Risikofelder, die möglichst einfach zu kontrollieren sind.333 Einer dieser repräsentativen Bereiche ist die Sicherheit vor dem Verbrechen. Viele Bürger glauben, dass Kriminalität mit strenger Kriminalpolitik relativ leicht zu kontrollieren sei, während z. B. die Angst vor dem sozialen Abstieg mit einer großen Veränderung der sozialen Struktur verbunden ist, und deshalb ist es schwer, auf individueller Ebene die Angst zu überwinden.334 Dabei ist es bemerkenswert, dass ein solches Bedürfnis nach Kriminalprävention scheinbar endlos ansteigt, unabhängig von der objektiven Statistik und der tatsächlichen Verbrechenslage. Nach dem Empfinden der Bürger hat sich die Sicherheitslage im Vergleich zur Vergangenheit verschlechtert. Tatsächlich sind die Kriminalitätsraten in den 1990er und 2000er Jahren sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Korea und 329
Yong-Gyu Park, A Study on the History of Newspaper Crime Reports in Korea, S. 158. Zur „kriminellen Wirklichkeit der Medien“ siehe Frehsee, Der Rechtsstaat verschwindet. Strafrechtliche Kontrolle im gesellschaftlichen Wandel von der Moderne zur Postmoderne. Gesammelte Aufsätze. Herausgegeben von Wolfgang Schild. Berlin, S. 400 ff. 331 Hassemer, Sicherheitsbedürfnis und Grundrechtsschutz: Umbau des Rechtsstaats? S. 314. 332 Robert, Bürger, Kriminalität und Staat. S. 63 ff. 333 Legnaro, Aus der neuen Welt: Freiheit, Furcht und Strafe als Trias der Regulation. S. 207. 334 Singelnstein/Stolle, S. 40; Bauman, Liquid Fear, S. 155 ff.; Ho-Joong Lee, Social Security and Criminal Law, S. 273. 330
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Deutschland aber eher gleich geblieben oder in bestimmten Bereichen zurückgegangen, wie etwa in den USA, wo die Kriminalitätsrate bezüglich aller Straftaten seit den 1990er Jahren sogar gesunken ist.335 Diese Kriminalitätsverminderung ist insbesondere bei schweren Delikten zu beobachten. Die Statistik in den USA zeigt z. B. im Jahr 2010 bezüglich Mord und Totschlag 5 Delikte pro 100.000 Einwohner, während im Jahr 1990 die Anzahl von Mord und Totschlag 10 Delikte pro 100.000 Einwohner betrug.336 Die Kriminalität bei Raub und Diebstahl ist von 1990 bis 2010 um mehr als 50 % gesunken.337 Auch die koreanische Kriminalitätsstatistik zeigt ein ähnliches Bild. Im Jahr 2010 betrug die Zahl aller Straftaten 1.784.953 Fälle, während sich 2.321.580 Straftaten im Jahr 2001 ereigneten.338 Die Zahl schwerer Delikte wie Mord und Totschlag sowie Körperverletzungsdelikte, Sexualdelikte, Entführungsdelikte oder Brandstiftung ist von 2000 bis 2012 von 576.654 auf 427.002 gesunken.339 Betrachtet man die strukturelle Verteilung polizeilich erfasster Kriminalität in Deutschland, so machen Eigentums- und Vermögensdelikte, wie insbesondere Diebstahl und Betrug, einen Anteil von mehr als 60 % aus, welche von minderschweren Fällen geprägt sind.340 Demgegenüber hat die in der Öffentlichkeit für Verunsicherung sorgende Gewaltkriminalität nur einen Anteil von etwa 3 % an den erfassten Straftaten.341 Besonders eindrücklich zeigt sich die bestehende Diskrepanz zwischen öffentlicher Wahrnehmung und erfasster Kriminalität gerade bei Sexualdelikten gegenüber Kindern. Im Gegensatz zur öffentlichen Meinung sind vollendete Sexualmorde an Kindern in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter zurückgegangen – von etwa 10 Fällen pro Jahr in den 1970er Jahren auf durchschnittlich 3 Fälle pro Jahr in den 1990er Jahren.342 Der Wunsch der Bürger nach absoluter Sicherheit, der sich aus einer subjektiven Angst ergibt, ist ein unerreichbares Ideal. Denn eine totale Sicherheit vor Bedrohungen und Risiken ist grundsätzlich nicht möglich.343 Die ständige Diskussion um Risikokontrolle und Gefahrenabwehr selber vergrößert schon die Empfindlichkeit für akute Bedrohungslagen, denen der Bürger vermeintlicherweise ausgesetzt ist. Durch das Streben nach absoluter Sicherheit wird paradoxerweise eher ein Unsicherheitsgefühl produziert.344 Es handelt sich also um einen sich selbst reprodu335
FBI Uniform Crime Reports 2010 (https://ucr.fbi.gov/crime-in-the-u.s/2010/crime-inthe-u.s.-2010/about-cius). 336 Bureau of Justice Statistic (https://www.bjs.gov/index.cfm?ty=nvat,). 337 Bureau of Justice Statistic (https://www.bjs.gov/index.cfm?ty=nvat). 338 Whitepaper of Police (http://www.police.go.kr/portal/main/contents.do?menuNo= 200135). 339 Hye-Kyung Kim, Social safety, Social control and reflexive Criminal Law, S. 157 ff. 340 PSB 2006, S. 196 ff.; Oberwittler/Reinecke, Kriminalität. S. 50 ff. 341 PSB 2006, S. 59 f., S. 73 ff. 342 PSB 2006, S. 96 ff. 343 Singelnstein/Stolle, S. 43 ff. 344 Bauman, Flüchtige Zeiten. Leben in der Ungewissheit. S. 17 ff, S. 135 f.; Kreissl, Öffentliche Inszenierung von Sicherheitsfragen. S. 329.
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zierenden Kreislauf, in dem die Sicherheit ein ständig erstrebtes, aber nie erreichbares Ideal darstellt.345
IV. Sicherheitsorientierte Kriminalrechtspolitik Die Schaffung einer sozialen Stimmung, in der die Bürger zunehmend subjektive Angst fühlen und der Wert der „Sicherheit“ wichtiger wird, hat das Schaffen höchstmöglicher Sicherheit für die Allgemeinheit durch präventive Maßnahmen in den Mittelpunkt der Kriminalpolitik der 3 Länder gestellt. In diesem Prozess wurden vor allem die folgenden kriminalpolitischen Merkmale gemeinsam beobachtet.346 Zunächst wurde „das Konzept des Risikomanagements“ im Umgang mit der gefährlichen Straftätergruppe hervorgehoben. Dieses Risikomanagement wurde erstmals verwendet, als im späten 19. Jahrhundert Armut, Krankheit, Arbeitslosigkeit usw. in der westlichen Gesellschaft zu einem großen sozialen Problem wurden.347 Damals wurden diese Probleme als soziale Risiken betrachtet. Zur Lösung wurde ein Sozialversicherungssystem als ein kollektives System eingeführt, welches den Lebensunterhalt eines Individuums garantierte.348 Im Sozialversicherungssystem spielte der Begriff des Risikos eine Schlüsselrolle, der die berechenbare Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts darstellt. Der auf der Berechnung von Wahrscheinlichkeiten basierte Begriff des Risikos wird nun auf der Grundlage des zunehmenden Bedarfs an Kriminalprävention für gefährliche Straftäter eingesetzt. Das Begehren, sich gegenüber denjenigen abzusichern, die als „Risikoträger“ eingestuft werden, nimmt in einem veränderten gesellschaftlichen Klima zu. Wer sich zur „wohlanständigen“ Mehrheit rechnen darf, muss gleichermaßen das Risiko einer sozialen Talfahrt befürchten und kann sich nicht gewiss sein, fortwährend am Wohlstand teilzuhaben.349 Eine erste Stufe zur Bekräftigung der eigenen Inklusion ist es, die ansteigende Minderheit der „Risikoträger“ – „Fremde“, „Gefährliche“ oder „Arme“ – nicht mehr in den eigenen Reihen zu tolerieren.350 Dabei wird die Dichotomie zwischen Anpassung und Abweichung, Gut und Böse, Inkludierten und
345 Singelnstein/Stolle, S. 122, Albrecht, Der Weg in die Sicherheitsgesellschaft. S. 147 ff. Hye-Kyung Kim, Social safety, Social control and reflexive Criminal Law, S. 149 ff. 346 Vgl. Zur Deutschen Kriminalrechtspolitik, Albrecht, Sicherheit und Prävention in strafrechtlichen Sanktionensystemen. S. 442 ff. Zur koreanischen Kriminalrechtspolitik, Il-Su Kim, The criminal policy in a transitional period, S. 15 ff. Ho-Joong Lee, Social Security and Criminal Law, S. 275 ff. Zur amerikanischen Kriminalrechtspolitik, Simon/Feeley, True Crime. The New Penology and Public Discourse on Crime. S. 147 – 180, Simon, Governing Through Crime. How the War on Crime Transformed. Garland, Kultur der Kontrolle, S. 258 ff. 347 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 34 – 35. 348 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 34 – 35. 349 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 36. 350 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 36.
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Exkludierten zu einem zentralen Unterscheidungsmerkmal.351 Auf der Basis dieser zivilgesellschaftlichen Stimmung werden gefährliche Straftäter, die eine hohe Rückfall- und Wiederholungswahrscheinlichkeit für besonders schwere Delikte haben, ohne Schwierigkeiten als Gegenstand des Risikomanagements angesehen. Zweitens geht es um eine möglichst frühzeitige Feststellung von Risiken durch die neue Technologie. Die Risikodetektion ermöglicht ein Eingreifen, bevor Schädigungen oder Normverstöße sich realisieren können. Das heißt, dass die Kontrolle nun im Vorfeld konkreter Gefahren oder Schädigungen ansetzt und nicht erst der Eintritt eines Normverstoßes oder einer Gefahrenlage abgewartet werden soll.352 Dabei spielt die jüngste rasante Entwicklung der Informations- und Überwachungstechnologie eine große Rolle.353 Die technologischen Innovationen bieten immer wieder neue Möglichkeiten der Überwachung und Kontrolle. So sind z. B. nun Maßnahmen wie Videoüberwachung an öffentlichen Orten354, bestimmte Einsatzformen von RFID-Chips355, verdachtsunabhängige Personen- und Zutrittskontrollen, Biometrie356 und algorithmengestützte Alarmierung bei Szenen abweichenden Verhaltens357 allgemein zu beobachten. Die Entwicklungsmöglichkeiten der Kombination aus neuer Technologie und Risikodetektion erscheinen grenzenlos. Mittels neuerer Kontrolltechniken, die in den vergangenen Jahren entwickelt wurden, soll über das Verhalten und äußere Kennzeichen von Personen erkannt werden, ob sie eine Straftat begehen möchten.358 Über solch eine Risikodetektion, die eine Beziehung zur Bestrebung von „Gedankenlesen“ herstellt, sollen z. B. Anschläge auf Flughäfen verhindert werden.359 Während in den ersten Anwendungen dieser Art noch Sicherheitspersonal eingesetzt wurde, das Personen auf Mimik und Körpersprache hin observieren und ggf. anreden sollte, sind die aktuellen Bestrebungen darauf fokussiert, dass Computer und Kameras das „Gedankenlesen“ durchführen und es damit automatisieren.360 Die neue Technologie wird sogar durch eine Verbindung moderner Datenverarbeitung immer leistungsfähiger. Dies ermöglicht die Erhebung und Auswertung von umfassenden Datensätzen über Personen und 351 Singelnstein/Stolle, S. 36. Opitz, Jenseits von Gut und Böse. Foucault und die Dispositive der Sicherheit. S. 52. 352 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S 79. 353 Schmidt-Semisch, Risiko, S. 222. 354 Stolle/Hefendehl, Gefährliche Orte oder gefährliche Kameras? Die Videoüberwachung im öffentlichen Raum, S. 257 – 272. 355 Eisenberg/Singelnstein, Zur Unzulässigkeit der heimlichen Ortung per „stiller SMS“, S. 62 – 67. 356 Hornung, Reisepässe mit Biometrie und RFID-Chips – Bausteine einer neuen Identifizierungsinfrastruktur? S. 139 – 158. 357 Siehe Nogala, Erscheinungs- und Begriffswandel von Sozialkontrolle eingangs des 21. Jahrhunderts, S. 111 – 131. 358 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 80. 359 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 80. 360 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 80.
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Sachverhalten. Besonders in den letzten Jahren hat sich die präventive Kontrolle durch die Zusammenschaltung und den Ausbau von Datenbänken, in denen verschiedene Daten der Bürger gesammelt werden, verbreitet. Die Anzahl der Datenbanken nimmt auch in den 3 Ländern beständig zu und ist damit im Moment noch schwer zu überblicken.361 Drittens wird auf diejenigen, die als gefährliche Gruppen eingestuft werden, hauptsächlich die Punitivität mit mehr Strafe, die gestärkten Maßregeln der Besserung und Sicherung und eine sozialen Ausgrenzungspolitik angewandt anstatt Resozialisierung durch Behandlung und intensive Betreuung.362 Dies kann im Vergleich mit der früheren Kriminalpolitik der 3 Länder verdeutlicht werden. In den 1960er und 1970er Jahren wurde in den westlichen Gesellschaften die soziale Kontrollstrategie mit dem Namen „Penal-Welfare State“ hervorgehoben.363 Zu diesem Zeitpunkt wurde der Fortschrittsglaube, der beinhaltete, dass die materiellen Errungenschaften der Gesellschaft stetig wachsen würden und die materiellen Resultate durch eine rationale Verteilung zum Wohl aller Menschen eingesetzt werden könnten, von vielen Menschen unterstützt. In diesem fordistischen Wohlfahrtsstaat war die Idee dominant, dass soziale Probleme wie Armut, Krankheit und Arbeitslosigkeit hauptsächlich durch die Strukturprobleme sozialer Art verursacht würden. Demnach wurde gefordert, dass der Staat in die Probleme aktiv eingreifen sollte.364 Diese Grundidee trifft auch auf abweichendes Verhalten und Verbrechensprävention zu.365 Ursachen für Devianz und Delinquenz wurden nur zum Teil im Individuum selbst verortet und den gesellschaftlichen Verhältnissen Bedeutung zugemessen, sodass auf Kriminalität oder Abweichungen von gesellschaftlichen Normen mit Unterstützung und Angeboten zur Reintegration reagiert wurde.366 Doch gilt in den heutigen Sicherheitsgesellschaften dieser Gedanke nicht mehr. Die Sicherheit der Bevölkerung gewann massiv an Priorität und es stellte sich eine Abwertung ehemals fixer Betreuungs- und Hilfeziele ein. Es herrschte eine zunehmende Resozialisie361 Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in Deutschland, Bunyan, „Verfügbarkeit“: Binnenmarkt für Polizeidaten S. 21 – 28.; Holzberger, …was nicht zusammen gehört. Polizei und Geheimdienste kooperieren gegen Ausländer. S. 60 – 65. Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in den USA, Gellman, A better way to approach privacy policy in the United States, establish a non-regulatory privacy protection board, S. 1183 – 1226. Zu einer ausführlichen Darstellung der Situation in Südkorea, siehe Seung-Hwan Jung, Safe society and the procedures of investigation, S. 88 ff. 362 Zu der Strafrechtspolitik in den USA siehe: Pratt, The new punitiveness. Trends, theories, perspectives; zur Strafrechtspolitik Deutschlands siehe Sack, Wie die Kriminalpolitik dem Staat aufhilft. Governing through Crime als neue politische Strategie; zur Strafrechtspolitik Südkoreas, Il-Su Kim, Punitivistische Grundtendenzen der gegenwärtigen Kriminalpolitik? S. 519 ff. 363 Siehe den Überblick bei Eifler 2002; Kunz 2011, S. 103 ff. 364 Lemke, Eine Kritik der politischen Vernunft. Foucaults Analyse der modernen Gouvernmentalität. S. 190. 365 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 25. 366 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 25.
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rungsskepsis und das Ideal der Resozialisierung wich zumindest in Bezug auf gefährliche Straftäter dem Gedanken des Wegschließens und der damit verbundenen Überwachbarkeit.367 Dies ist insbesondere in den Vereinigten Staaten umfangreich zu beobachten. Das Gefängnis in den Vereinigten Staaten wird, wie der Slogan „Strafe pur, ohne rhetorischen Firlefanz“ zeigt368, hauptsächlich als Mittel der Selektion zur „Unschädlichmachung“ („Incapacitation“) von Straftätern eingesetzt.369 Deswegen sind die USA führend bei der Problematik überfüllter Gefängnisse. Laut einer Statistik des „International Centre for Prison Studies“ des Kings College in Großbritannien aus dem Jahr 2015 macht die US-Bevölkerung zwar nur etwa 5 % der Weltbevölkerung aus, aber die Gefangenenrate in US-Gefängnissen ist im Vergleich zu anderen Ländern sehr hoch, indem etwa 25 % aller Gefängnisinsassen weltweit in den USA zu finden sind.370 Darüber hinaus betrieben die USA mehrere CIA-Geheimgefängnisse wie etwa das Gefängnis in Guantanamo Bay, welche als eine extreme Form des Ausschlusses nach 9/11 für Folter und Menschenrechtsverletzungen berühmt-berüchtigt wurden. Die CIA-Geheimgefängnisse waren ein Black Project, das während der Regierungszeit von George W. Bush im Rahmen des sog. „Krieg gegen den Terror“ stattfand. Sie werden von den USA betrieben, liegen aber außerhalb des USStaatsgebietes und existieren offiziell nicht. Die Geheimgefängnisse wurden 2009 mit einem Erlass des neugewählten US-Präsidenten Barack Obama aufgelöst, jedoch sollen sich noch heute ungefähr 1000 Personen in Gefangenschaft befinden, wovon viele bis heute keinen rechtsstaatlichen Prozess bekommen haben.371
V. EAÜ als Ausdruck einer sicherheitsorientierten Kriminalrechtspolitik Die meisten der bisher erwähnten kriminalpolitischen Merkmale der Sicherheitsgesellschaft werden bei der Entstehung der EAÜ und der Verschärfung nach ihrer Einführung offensichtlich. Von Anfang an wurde die EAÜ in den 3 Ländern eingeführt, um gerade die gefährliche Straftätergruppe, die aufgrund festgestellter Gefährlichkeit als potenzielles Risiko für die Bevölkerung eingestuft wird, effektiv zu kontrollieren. Zudem wurde die EAÜ in den 3 Ländern für eine höhere Ge367
Zur ausführlichen Situation in Südkorea, Ho-Joong Lee, Social Security and Criminal Law, S. 281 ff, zur ausführlichen Situation in den USA, Zimring, An american travesty, S. 26 zur ausführlichen Situation in Deutschland, Reckling/Wittmann, Betreuung und Kontrolle gefährlicher Straftäter, S. 4. 368 Sack, Prävention – ein alter Gedanke in neuem Gewand, S. 517. 369 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 89 – 90. 370 http://www.prisonstudies.org/world-prison-brief. 371 Bericht über die CIA-Geheim- und Foltergefängnisse 15. 10. 2015, Florian Rötzer. Dazu ausführlich https://www.heise.de/tp/features/Bericht-ueber-die-CIA-Geheim-und-Foltergefaeng nisse3376047.html.
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währleistung von Schutz und Sicherheit vor gefährlichen Straftätern nach ihrer Einführung ausgebaut bzw. verschärft. Die EAÜ ist also in das Konzept des Risikomanagements für die gefährliche Straftätergruppe eng eingebunden. Die Anordnung einer EAÜ in den 3 Ländern ist nur bei Straftätern möglich, die „der schweren Kriminalität“ zuzuordnen sind, und bei denen auch nach Verbüßung einer Haftstrafe oder dem Vollzug einer Sicherungsverwahrung die begründete Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie erneut schwere Straftaten begehen werden.372 Darüber hinaus verwendet die EAÜ eine Überwachungsstrategie mithilfe der neuesten GPS-Technologie, um den Risikofaktor möglichst frühzeitig festzustellen und zu kontrollieren. Die GPS-Technik bietet grundsätzlich die Möglichkeit, rund um die Uhr und in Echtzeit zu kontrollieren, wo sich die Betroffenen sich aufhalten. Die Überwachten sind verpflichtet, einen Sender zu tragen, über ihre seine Position festgestellt werden kann. Vor Beginn der EAÜ werden die Daten betreffend den jeweils überwachten Personen in das Computersystem der Überwachungszentrale eingespeist, unter anderem auch die „Geodaten der Gebots- und Verbotszonen“, die für die jeweiligen Überwachten festgelegt wurden.373 Kommt es zu einem Verstoß, sei es durch das Betreten oder das Verlassen einer Gebots- oder Verbotszone, durch das Manipulieren oder Zerstören der Sendeeinheit oder durch das Nichtladen des Akkus, wird ein Alarm ausgelöst und die Geodaten werden an die Überwachungszentrale übermittelt.374 So soll die EAÜ als Mittel der dauerhaften staatlichen Überwachung im Rahmen einer effizienten Rückfallrisikokontrolle im Falle von gefährlichen Sexualtätern dienen, die aufgrund festgestellter Gefährlichkeit als potenzielles Risiko für die Bevölkerung eingestuft werden. Darüber hinaus rechnen viele Wissenschaftler damit, dass in der Zukunft die Überwachungsfunktion der EAÜ in Verbindung mit den schnell voranschreitenden technischen Entwicklungen viel stärker sein wird als heute.375 So könnte, anstatt ein elektronisches Gerät am Fußknöchel zu tragen, wie es momentan praktiziert wird, die Position der Betroffenen festgestellt werden, indem elektronische Chips in den Körper der Überwachten implantiert werden. Es könnte zudem möglich sein, eine Überwachungsstrategie zu verwirklichen, die durch die Veränderungen im menschlichen Körper – wie eine Zunahme der Herzfrequenz – einen Versuch der Straftat erkennt und diese Daten umgehend der Polizei mitteilt, um das eventuelle Verbrechen möglichst zu verhindern.376 Neben der Überwachungsstrategie bezieht sich die EAÜ in den 3 Ländern auf die Ausschlussstrategie in Verbindung mit Punitivität. Der Ausschluss zielt nicht vorrangig darauf ab, Einstellungen oder Verhaltensweisen zu verändern. Vielmehr dient
372 373 374 375 376
Näheres dazu, Teil 3, Kapitel 1. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 96. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 96. Lilly/Nellis, Electronic monitoring in the United States of America, S. 22 ff. Lilly/Nellis, Electronic monitoring in the United States of America, S. 26 f.
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
er der Risikoabwehr und der Vergeltung.377 Ein wesentlicher Teil von Ausschlussstrategien besteht darin, Personen oder Personengruppen aufgrund ihrer Klassifizierung als unerwünscht oder potenziell „gefährlich“ von bestimmten Orten und Räumen fernzuhalten.378 Die EAÜ soll zwar auch teilweise der Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienen, jedoch scheinen die Kontroll- und Sicherheitsaspekte durch den Ausschluss deutlich schwerer zu wiegen, da der EAÜ die Gefahr der sozialen Isolierung sowie Stigmatisierung innewohnt. Für die Durchführung der EAÜ müssen die überwachten Personen die notwendige Überwachungstechnik permanent am Körper tragen. Problematisch ist hierbei, dass im Alltag die Gefahr besteht, dass Dritte die Überwachungstechnik am Körper der Verurteilten entdecken und die überwachten Personen deshalb als Kriminelle identifizieren können. Da die EAÜ bereits großes mediales Interesse gefunden hat, ist durch die Berichterstattung der Allgemeinheit bekannt geworden, dass die EAÜ bei gefährlichen Straftätern angeordnet wird. Somit ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Dritte bei der Entdeckung den Rückschluss auf eine kriminelle Vergangenheit und bestehende Gefährlichkeit des Trägers ziehen. In diesen Fällen sind negative Reaktionen zu erwarten. Eine Stigmatisierung oder Ausgrenzung der überwachten Personen ist dann mehr als wahrscheinlich und im schlechtesten Fall könnte darauf auch eine dauerhafte soziale Ausgrenzung oder Isolierung folgen.379 Dagegen lässt sich allerdings einwenden, dass die Überwachungstechnik im Regelfall unter der Kleidung getragen wird und somit für die Öffentlichkeit im Alltag nicht sichtbar ist. Wenn die überwachten Personen im Sommer jedoch eine Kleidung tragen, die ihre Beine nicht vollständig bedeckt, oder an verschiedenen Freizeitaktivitäten wie z. B. Schwimmen oder einem Saunabesuch teilnehmen möchten, ist die Wahrscheinlichkeit, dass Dritte von der Überwachungstechnik Notiz nehmen, sehr hoch.380 Auch das Knüpfen neuer Kontakte, das Eingehen neuer Beziehungen und Freundschaften oder der Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses kann deshalb sehr erschwert oder behindert werden. Eventuell kann sogar die Familie der Überwachten durch die Aufmerksamkeit anderer Leute Schwierigkeiten im Alltagsleben erfahren und somit von der Gesellschaft isoliert werden. Diese Stigmatisierungen oder Ausgrenzungen der überwachten Personen sowie ihrer Familien widerspricht gerade dem Resozialisierungsinteresse, da dieses beinhaltet, dass der Täter nach Verbüßung der Strafe oder nach Beendigung des Maßregelvollzuges wieder Teil der Gesellschaft werden soll, wozu auch gehört, ohne Anfeindungen leben zu können.381
377 Vgl. Wehrheim, Kontrolle durch Abgrenzung – Gated Communities in den USA. S. 108 – 128. Wehrheim, Die überwachte Stadt – Sicherheit, Segregation und Ausgrenzung. 378 Singelnstein/Stolle, Die Sicherheitsgesellschaft, S. 89. 379 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 205. 380 Anna Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 205. 381 Anna Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 205.
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C. Zusammenfassung Sowohl in Deutschland als auch in den USA und Südkorea liegen der Hintergrund der Einführung und die weitere Entwicklung der EAÜ zunächst im Zusammenhang mit der Bekämpfung gefährlicher (Sexual)Straftaten. In den 3 Ländern wird seit etwa den 1990er Jahren eine Reihe von folgenden gemeinsamen Trends beobachtet: a) Schwere sexuelle Missbräuche von Kindern und Jugendliche passieren kontinuierlich. b) Berichte über diese Verbrechen werden von den Medien permanent thematisiert und dementsprechend verbreitet. c) In der Bevölkerung wächst Unruhe und Empörung, sodass die Regierung sich zum Handeln mittels präventiver Maßnahmen gezwungen sieht. d) Als Reaktion kommt es zu verschiedenen Arten punitiver Gesetzgebung seitens der Politik, die nicht aufgrund einer angemessenen wissenschaftlichen Diskussion, sondern vielmehr auf dem Druck der Öffentlichkeit basieren. e) Als eines der Resultate einer solchen Gesetzgebung wird die EAÜ eingeführt. Auf diese Art und Weise wurde das Sexualstrafrecht in den 3 Ländern seit den 1990er Jahren grundlegend reformiert. So wurde in Deutschland zunächst das Recht der Sicherungsverwahrung massiv verstärkt. Durch die Änderung des Strafrechts wurde die vorbehaltene Sicherungsverwahrung und die nachträgliche Sicherungsverwahrung eingeführt und der Anwendungsfall der Sicherungsverwahrung in der Praxis drastisch erhöht. Darüber hinaus wurden durch das Gesetz zur Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung und zu begleitenden Regelungen das Therapieunterbringungsgesetz und die elektronische Aufenthaltsüberwachung als Weisung im Führungsaufsichtsrecht neu ausgestaltet. Bei diesen neuen Gesetzgebungen gegen gefährliche (Sexual)Straftäter in Deutschland ist auffällig, dass lediglich die Maßregeln der Besserung und Sicherung verschärft wurden, es im Bereich der Strafen jedoch es keine Veränderungen gab. Die Sicherungsverwahrung, die Therapieunterbringung und die EAÜ gehören alle zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung. Dies beruht auf der sog. Zweispurigkeit des deutschen Strafrechts, die zwischen Strafe und Maßregeln der Besserung und Sicherung unterscheidet. Dass so das dualistische Sanktionssystem in der Praxis streng eingehalten wird, ist bei diesen 3 Ländern nur in Deutschland zu beobachten. Im Hinblick auf neue Gesetzgebungen gegen gefährliche (Sexual)Straftäter ist eine weitere Auffälligkeit, dass in allen 3 Ländern die freiheitsentziehende Unterbringung eine breite öffentliche Unterstützung gewonnen hat, weil zumindest während der Unterbringung eine ideale Präventionswirkung gewährleistet wird. Die EAÜ wurde von Anfang an nicht als Ersatz für die freiheitsentziehende Unterbringung, sondern nur als ergänzendes Hilfsmittel dafür eingeführt. Sie überwacht den gefährlichen (Sexual)Straftäter umfassend über seine Haftentlassung hinaus. Man mag in ihr also den Willen des Gesetzgebers der 3 Länder erkennen, durch eine
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Teil 2: Gesamtverständnis der EAÜ in den 3 Ländern
technisch gestützte, strenge Kontrolle die Allgemeinheit bestmöglich vor gefährlichen Straftätern zu schützen. Allerdings ist es von Land zu Land je nach konkreter Rechtslage unterschiedlich, inwieweit die EAÜ als das ergänzende Hilfsmittel im strafrechtlichen Sanktionssystem genutzt wird. Im südkoreanischen Maßregelrecht wurde z. B. das Recht der Sicherungsverwahrung abgeschafft, und nur das Therapieverwahrungsgesetz verblieb als einziges freiheitsentziehendes Unterbringungsmittel. Dies hat zu einer erhöhten Erwartungshaltung des Gesetzgebers an die EAÜ im Maßregelrecht geführt. Demgegenüber ist in Deutschland die Sicherungsverwahrung das Hauptinstrument zur Bekämpfung gefährlicher Straftäter, sodass die Aufmerksamkeit und Bedeutung der EAÜ im deutschen Maßregelrecht zurzeit relativ gering ist. Der Hintergrund sowie die Rolle der EAÜ in den 3 Ländern sind auch im Zusammenhang mit der sicherheitsorientierten Kriminalpolitik besser zu verstehen. In den 3 Ländern wurde seit den 1990er Jahren aufgrund der allmählichen Veränderung der verschiedenen gesellschaftlichen Bedingungen und damit einer zunehmenden existenziellen Angst der Bürger die Forderung nach einer absoluten Sicherheit verstärkt. Diese Entwicklung spiegelt sich auch in der Kriminalpolitik wider. Ziel der sicherheitsorientierten Kriminalpolitik war die Erreichung höchstmöglicher Sicherheit für die Allgemeinheit. Dazu konzentrierte sich die sicherheitsorientierte Kriminalpolitik auf die strenge Kontrolle durch Risikomanagement für die Gruppe, die aufgrund festgestellter Gefährlichkeit als potenzielles Risiko für die Bevölkerung eingestuft wird. Dafür wurde hauptsächlich die Punitivität mit mehr Strafe, strengere Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie eine Politik der sozialen Ausgrenzung aus der Gesellschaft angewandt, anstatt einer Politik der Resozialisierung durch eine Behandlung und intensive Betreuung. Die EAÜ der 3 Länder wurde gerade vor diesem kriminalpolitischen Hintergrund eingeführt. Sie dient in Verbindung mit Überwachungsstrategie sowie Ausschlussstrategie der stärkeren Kontrolle der gefährlichen (Sexual)Straftäter, denen die Freiheitsstrafe oder Maßregelvollzug erlassen wurden.
Teil 3
Die verfassungsrechtliche Bewertung und rechtspolitischer Vorschlag der EAÜ Das Strafrecht soll einerseits dem Sicherheitsbedürfnis der Öffentlichkeit Rechnung tragen, andererseits darf es aber auch nicht die verschiedenen Grundrechte der Individuen vernachlässigen. Diese beiden Interessenslagen muss das Strafrecht angemessen abwägen. Jedoch geht in diesem Spannungsverhältnis von Freiheit und Sicherheit die kriminalpolitische Tendenz in allen 3 Ländern immer mehr hin zur Sicherheit, wie im Teil 2 schon erwähnt wurde. Somit wird das Strafrecht funktionalisiert, um auf Sicherheitsbedürfnisse zu reagieren und auf Kosten von Freiheit so viel Sicherheit wie möglich zu erreichen. Die unerwartete Einführung sowie schnelle Entwicklung der EAÜ in Deutschland ist auch vor diesem Hintergrund zu verstehen. In diesem Teil wird deshalb die verfassungsrechtliche Begründung und Begrenzung der EAÜ in Deutschland untersucht. Dafür ist zunächst ein Blick auf die konkrete Fallgestaltung über die Verfassungsbeschwerde sowie wissenschaftliche Diskussionslage in Deutschland zu werfen. Anschließend wird erörtert, an welchen Grund- und Menschenrechten in den US-amerikanischen und koreanischen Rechtsprechungen sowie Literaturen sich die EAÜ messen lässt und welche Argumente und Schlussfolgerungen hinsichtlich der Verfassungskonformität der EAÜ herangezogen werden. Dabei sollen insbesondere die Begründungen der Debatten ausführlich analysiert werden. Durch eine vergleichende Analyse wird untersucht, was in Deutschland bezüglich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der EAÜ und rechtspolitischer Verbesserungsvorschläge berücksichtigt werden sollte. Kapitel 1
Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation Um die verfassungsrechtlichen sowie rechtspolitischen Probleme der EAÜ anzugehen, muss zunächst die konkrete aktuelle rechtliche Ausgestaltung und die technische Umsetzung der EAÜ in der Praxis untersucht werden. In diesem Kapitel werden deshalb die wichtigen Inhalte der derzeitigen Gesetze über die EAÜ sowie ihre aktuelle Anwendung in den USA, Südkorea und Deutschland dargestellt, verglichen und analysiert. Dadurch ist zu erkennen, welche Unterschiede und Ge-
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
meinsamkeiten die deutschen Normen über die EAÜ im Verhältnis zu EAÜ-Gesetzen in den USA und Südkorea aufweisen. Die Untersuchung stellt eine Ausgangsbasis für die rechtsvergleichende Studie über das verfassungsrechtliche sowie rechtspolitische Problem der EAÜ dar.
A. USA I. Einführung Das angloamerikanische Rechtssystem wird hauptsächlich vom britischen Recht beeinflusst und somit nimmt das Common-Law-System an, das sich auf maßgebliche richterliche Urteile der Vergangenheit – sog. Präzedenzfälle – stützt (Fallrecht) und auch durch richterliche Auslegung weitergebildet wird (Richterrecht).1 Allerdings gibt es unter dem Common-Law-System auch Gesetzesrecht, das vom Kongress erstellt wurde, und seine Bedeutung wird immer größer und größer. In den Vereinigten Staaten wird zurzeit das Recht aus 4 Rechtsquelltypen abgeleitet: Verfassungsrecht, Verwaltungsverordnungen, Gesetz, Richterrecht (Rechtsprechung).2 Darunter ist die wichtigste Rechtsquelle die amerikanische Verfassung. Seitdem die Bundesverfassung der Vereinigten Staaten in Kraft trat, gilt sie als höchste Rechtsquelle zusammen mit den Bundesgesetzen und den völkerrechtlichen Verträgen, an denen die Vereinigten Staaten beteiligt sind. Diese stellen die Basis, aber auch die Beschränkungen für das gesamte Bundesrecht und das Recht in den 50 Bundesstaaten dar.3 Alles Recht, das versucht, die Bestimmungen der Bundesverfassung zu brechen, ist gegenstands- und wirkungslos. Wenn z. B. der Kongress ein Gesetz verabschiedet, das mit der Verfassung nicht vereinbar ist, so kann der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten das Gesetz als verfassungswidrig einstufen und es damit als nichtig erklären.4 Die Vereinigten Staaten sind kein Einheitsstaat, sondern ein Bundesstaat, der aus 50 Staaten besteht. Bei der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem USamerikanischen Sexualstrafrecht hat man daher das Problem, dass es sich um das Recht aus 50 Bundesstaaten handelt und es gegebenenfalls nicht immer in Gesetzen statuiert ist.5 In allen 50 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika müssen sich entlassene Sexualstraftäter registrieren lassen. In Verbindung damit wird die elektronische Aufenthaltsüberwachung von Personen, die nach Verbüßung einer Haftstrafe wegen eines Sexualverbrechens entlassen werden, in allen Staaten außer
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Vgl. Samuel, Common law, S. 145 – 160. Vgl. Clark: Introduction to the Law of the United States. 2. Auflage. Blumenwitz/Fedtke, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 24. Blumenwitz/Fedtke, Einführung in das anglo-amerikanische Recht, S. 36. Vgl. Gaenslen, Die Behandlung rückfallgefährdeter Sexualstraftäter, S. 140.
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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New Hampshire angewandt.6 Die konkrete rechtliche Ausgestaltung ist, je nach Willen des Kongresses des jeweiligen Bundesstaates, unterschiedlich. Daher ist es unmöglich, einheitlich zu erklären, wie die EAÜ-Gesetze in den USA festgelegt sind. In der vorliegenden Arbeit werden die folgenden 4 repräsentativen Modelle der EAÜ in den Vereinigten Staaten vorgestellt: 1. Florida Model, 2. Kalifornien Model, 3. Massachusetts Model, 4. Hybrid Model. Die US-amerikanischen Bundesstaaten Florida, Kalifornien und Massachusetts werden als die Staaten bewertet, welche die elektronische Aufenthaltsüberwachung am schnellsten eingeführt und eigene gesetzliche Bestimmungen über die EAÜ gegen Sexualstraftäter als Erste geregelt haben.7 Seitdem wählten viele andere Staaten eines dieser 3 Modelle als Vorbild, wenn sie die EAÜ einführten. Staaten, die nicht das Gesetzesmodell dieser 3 Staaten annehmen, werden als Hybrid Modell kategorisiert, welches die Gesetze über die EAÜ der verschiedenen Staaten mischt und dadurch ihr eigenes Gesetzesmodell aufbaut.
II. Verschiedene Gesetzesmodelle 1. Florida Modell Der Staat Florida ist der erste Staat in den Vereinigten Staaten, in dem das sog. „Jessica Lunsford“ Gesetz erlassen wurde. Da die EAÜ mit der strafrechtlichen Sanktion gegen gefährliche Sexualstraftäter zusammenhängt, ist sie im „Florida Statutes Title XLVII. Criminal Procedure and Corrections“ vorgeschrieben. Die Verhängung der EAÜ ist im „Florida Statutes Chapter 948.30“ geregelt, welches sich auf US-Probation für Sexualstraftäter nach Ihrer Entlassung aus dem Gefängnis bezieht. Demgemäß unterliegen Personen, welche ein bestimmtes Sexualvergehen gemäß „Florida Statues Chapter 7948, 800.049, 827.07110, 847.0135 (5)11, 847.014512“ begangen haben und aus dem Gefängnis entlassen wurden, einer 6
Meloy/Coleman, GPS monitoring of sex offenders, S. 243 – 266. Dante, Tracking the Constitution – the Proliferation and Legality of Sex-Offender GPSTracking Statutes, S. 1172 ff. 8 Sexual Battery. 9 Lewd or lascivious offenses committed upon or in the presence of persons less than 16 years of age. 10 Sexual performance by a child. 11 Computer pornography. 12 Selling or buying of minors. 7
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
elektronischen Aufenthaltsüberwachung.13 Wenn Personen eine dieser bestimmten Straftaten begangen haben, erfüllen sie automatisch die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ. Dabei ist eine individuelle Risikoeinschätzung der Sexualstraftäter nicht erforderlich.14 In Florida wird die EAÜ durch das Gericht angeordnet. Es hängt vom Zeitpunkt der Begehung der Straftaten ab, ob und inwiefern der Richter das Ermessen über die Anordnung der EAÜ ausüben kann. Wenn der Verbrecher eine bestimmte Straftat zwischen dem 1. 10. 1997 und dem 31. 8. 2005 begangen hat, sollte die EAÜ nicht zwingend sein, sondern liegt im Ermessen des Gerichts.15 Das Gericht kann keine Anordnung der EAÜ auferlegen, wenn es zu dem Schluss kommt, dass der Verurteilte keine EAÜ benötigt.16 Allerdings muss das Gericht gegenüber dem Verurteilten die EAÜ anordnen, wenn er gegen andere Weisungen während der Bewährungszeit verstößt, obwohl vom Gericht anfänglich keine EAÜ angeordnet wurde.17 Darüber hinaus ist das Gericht auch verpflichtet, gegen Verurteilte, die nach dem am 1. 9. 2005 in Kraft getretenen „Jessica Lundford“ Gesetz eine bestimmte Straftat begangen haben, die Anordnung der EAÜ unbedingt auszusprechen.18 Die Überwachungsdauer der EAÜ wird grundsätzlich vom Gericht festgelegt. Da die EAÜ in Florida immer in Verbindung mit US-Probation oder Community Control Anwendung findet, wird die EAÜ normalerweise während der Bewährungszeit durchgeführt.19 Die Gerichte müssen jedoch gegen die Täter, die 18 Jahre oder älter sind und Sexualverbrechen20 gegen Kinder unter 12 Jahren begangen haben, mindestens 25 Jahre Freiheitsstrafe aussprechen. Die Verurteilten müssen außerdem nach ihrer Freilassung aus dem Gefängnis zur lebenslangen EAÜ in Verbindung mit
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Florida Statutes § 948.30 (2). Dante, Tracking the Constitution-the Proliferation and Legality of Sex-Offender GPSTracking Statutes, S. 1177 – 1180. 15 Florida Statutes § 948.30 (2). 16 Florida Statutes § 948.30 (2) (e): Electronic monitoring when deemed necessary by the community control or probation officer and his or her supervisor, and ordered by the court at the recommendation of the Department of Corrections. 17 Florida Statutes § 948.063. 18 Florida Statutes § 948.30 (3): Effective for a probationer or community controller whose crime was committed on or after September 1, 2005, and who (a) Is placed on probation or community control for a violation of chapter 794, s. 800.04 (4), (5), or (6), s. 827.071, or s. 847.0145 and the unlawful sexual activity involved a victim 15 years of age or younger and the offender is 18 years of age or older; (b) Is designated a sexual predator pursuant to s. 775.21; or (c) Has previously been convicted of a violation of chapter 794, s. 800.04 (4), (5), or (6), s. 827.071, or s. 847.0145 and the unlawful sexual activity involved a victim 15 years of age or younger and the offender is 18 years of age or older, the court must order, in addition to any other provision of this section, mandatory electronic monitoring as a condition of the probation or community control supervision. 19 Florida Statutes § 948.30 (3). 20 lewd and lascivious molestation. 14
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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US-Probation oder Community Control verurteilt werden.21 Florida ist einer von 11 Staaten, die lebenslange elektronische Überwachung für bestimmte Sexualstraftäter auferlegen.22 In Florida wird die Vollstreckung der EAÜ in der Praxis durch die Strafvollzugsbehörde (The Department of Corrections in Florida) durchgeführt.23 Dabei müssen die Überwachten, sofern möglich, für die Kosten der Installation und den Betrieb der EAÜ aufkommen. Die Strafvollzugsbehörde kann die Überwachten von den Kosten nur unter den Voraussetzungen gemäß Abschnitt 948.09 (3) befreien.24 Darüber hinaus kann die Strafvollzugsbehörde dem Gericht eine frühere Beendigung der Bewährungszeit empfehlen, wenn sich der Proband auf eine zufriedenstellende Weise bewährt hat, kein Verstoß gegen die Weisungen festgestellt wurde und alle vom Gericht auferlegten finanziellen Sanktionen erfüllt wurden.25 Dieses Florida Modell wurde in 14 Bundesstaaten der Vereinigten Staaten eingeführt.26 Diese Staaten haben, basierend auf dem „Jessica Lunsford Act“ in Florida, die EAÜ seit 2006 eingeführt, sodass die Gesetze über die EAÜ in den 14 Staaten dem Jessica Lunsford Act Florida ähnlich sind.27 Allerdings ist am Beispiel einiger Staaten zu beobachten, dass dem Florida Modell bestimmte Regelungen hinzugefügt wurden. So gibt es in Alabama eine Regelung, welche bestimmt, dass die Dauer der EAÜ mindestens 10 Jahre beträgt.28 In South Carolina können alle Überwachten vom Gericht eine einstweilige Beendigung der EAÜ beantragen, wenn 10 Jahre seit dem Beginn des Vollstreckungsbeschluss über die EAÜ vergangen sind, und nachgewiesen werden kann, dass der Täter nicht mehr gefährlich ist.29 Wird der Antrag abgelehnt, können die Betroffenen alle 5 Jahre den Antrag erneut stellen.30
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Florida Statutes § 948.012 (4). Andere Staaten sind Kalifornien, Georgia, Kansas, Louisiana, Michigan, Missouri, North Carolina, Oregon, Rhode Island und Wisconsin. Näheres dazu, The Florida Legislature OPPAGA, S. 9. 23 Florida Statutes § 948.11. 24 Florida Statutes § 947.1405 (7). (b). 5. 25 Florida Statutes § 948.04 (3). 26 ALA. Code § 15 – 20 – 26.1; AlaskaL Stat. § 12.55.100 (f); ARIZ. Rev. Stat. § 13 – 902(G); DEL. Code Ann. tit. 11, § 4121(u) ; IDAHO Code Ann. §§ 18 – 8308(3), 20 – 219(2); ILL. COMP. STAT. Ann. 5/5 – 8 A-6; IOWA Code § 692 A.124 (1); LA. Rev. Stat. Ann. § 15:560.4(A); MONT. Code Ann. § 46 – 18 – 206; N.M. Stat. Ann. § 31 – 21 – 10.1(E); S.C. Code Ann. § 23 – 3 – 540; S.D. CODIFIED LAWS §§ 23 A-27 – 12.1, 24 – 15 A-24; VA. Code Ann. § 19.2 – 303; W. VA. Code Ann. § 62 – 11D-3(a). 27 Dante, Tracking the Constitution-the Proliferation and Legality of Sex-Offender GPSTracking Statutes, S. 1176. 28 ALA. Code § 15 – 20 – 26.1. 29 S.C.Code Ann. § 23 – 3 – 540(B), (D), (G) (1). 30 S.C.Code Ann. § 23 – 3 – 540(H) 22
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
2. Kalifornien Modell Die EAÜ in Kalifornien wurde im Jahr 2006 durch Gesetzesvorschlag Nr. 83 mit dem Titel „The Sexual Predator Punishment and Control Act“ eingeführt. Vorbild dafür war Florida, wo ein ähnliches Gesetz bereits im Jahr 2005 in Kraft trat. Dabei ist interessant, dass die Kalifornier mit großer Mehrheit (über 75 %) dafür stimmten, dass zu Gefängnisstrafen verurteilte Sexualstraftäter nach ihrer Freilassung bis zu ihrem Tod unter permanenter Beobachtung durch ein GPS-System stehen und dadurch hatte Kalifornien nun das strengste Modell in den USA im Hinblick auf die EAÜ gegen Sexualstraftäter.31 Der Anwendungsbereich der EAÜ im Kalifornien Modell ist breiter als in anderen Staaten. Der Gegenstand der EAÜ sind Personen, die aufgrund der registrierbaren Sexualdelikte nach § 290 Abs. C des kalifornischen Strafgesetzbuches (CAL Penal Code) verurteilt oder nach § 3000 oder 3000.1 des kalifornischen Strafgesetzbuches im Gefängnis festgehalten und als U.S. Parole bedingt entlassen wurden.32 Das Spektrum der „registrierbaren Sexualdelikte“, die im kalifornischen Strafgesetzbuch 290 C festgelegt wurden, ist sehr weit gefasst, sodass dies auf die meisten Sexualdelikte zutrifft.33 Dies ist vergleichbar mit der Tatsache, dass in Florida nur auf Straftäter, die sexuellen Missbrauch und sexuelle Ausbeutung an Kindern begangen haben, die Anordnung der EAÜ angewandt wird.34 Darüber hinaus gilt der Anwendungsbereich der kalifornischen EAÜ nicht nur für Sexualstraftäter, sondern auch für gewalttätige Straftäter sowie Mörder, da sie ebenfalls zu der Gruppe ge31
Dante, Tracking the Constitution-the Proliferation and Legality of Sex-Offender GPSTracking Statutes, S. 1177. 32 CAL. Penal Code § 3004 (b): Every inmate who has been convicted for any felony violation of a „registerable sex offense“ described in subdivision (c) of Section 290 or any attempt to commit any of the above-mentioned offenses and who is committed to prison and released on parole pursuant to Section 3000 or 3000.1 shall be monitored by a global positioning system for life. 33 The commission of the following offenses requires post-incarceration GPS tracking: murder „committed in the perpetration, or an attempt to perpetrate, rape,“ CAL. Penal Code § 290(c) (Deering 2010), sodomy, Id. § 286, lewd or lascivious acts, Id. § 288, oral copulation involving children, Id. § 288(a), penetration by a foreign object involving children, Id. § 289, kidnapping, Id. § 207, „kidnapping for gain or to commit robbery or rape,“ Id. § 209, if the intent was to violate any of the previously listed sections plus „[r]ape, duress, or menace,“ Id. § 261, voluntarily aiding or abetting a person in committing these acts, Id. § 264.1, „[a]ssault with intent to commit mayhem or specified sex offenses, Id. § 220, [a]ssault of a person under 18 years of age with intent to commit specified sex offenses,“ Id., excluding „assault to commit mayhem,“ Id. § 243.3, various aforementioned offenses involving the use of force or violence, Id. § 290(c), „any offense involving lewd or lascivious conduct,“ Id., while „contributing to delinquency of [a] minor,“ or „[l]uring [a] minor under 14 away from home,“ Id. § 272, or any felony violation involving the sending of „harmful matter to [a] minor by telephone messages, electronic mail, Internet, or commercial online service,“ Id. § 288.2. In addition, the statute covers „any statutory predecessor that includes all elements“ of any of the enumerated penal code sections, or conspiracy to commit any of the listed offenses. Id. § 290(c). 34 Vgl. S. 79.
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hören, die nach Artikel 3000 oder 3000.1 des kalifornischen StGB verurteilt wurden und als US-Parole bedingt entlassen wurden. In Kalifornien muss die Strafvollzugsbehörde („California Department of Corrections and Rehabilitation“) das Risiko eines Rückfalls von Sexualstraftätern bewerten, bevor sie auf Bewährung entlassen werden können.35 Dabei kommen als Prognoseinstrumente Static-99R (static risk), JSORRAT-II (static risk-juveniles), SRA-FV (dynamic risk) und LS/CMI (violence risk) zur Anwendung.36 Wenn Sexualstraftäter nach der Risikobewertung als Straftäter mit hohem Risiko eingestuft werden, müssen sie während der Bewährungszeit an einem geeigneten Sexualstraftäterbehandlungsprogramm teilnehmen.37 Außerdem müssen ab dem 1. 1. 2009 alle Sexualstraftäter mit hohem Risiko, die auf Bewährung aus der Haft entlassen werden, ein GPS-Überwachungsgerät tragen, es sei denn, ein Gericht entscheidet, dass eine solche Überwachung für bestimmte Personen nicht erforderlich ist.38 CAL. Penal Code § 3004 (b) regelt ausdrücklich, dass die Dauer der EAÜ für gefährliche Straftäter lebenslang ist.39 Daher kann ein Gericht die Überwachungsdauer, je nach Straftäter, nicht unterschiedlich bestimmen. Allerdings gibt es im Rahmen der Vollstreckung der EAÜ eine Möglichkeit, die lebenslange Überwachung auszusetzen. Die Vollstreckung der EAÜ in Kalifornien wird durch die Strafvollzugsbehörde („California Department of Corrections and Rehabilitation“) durchgeführt. Der Direktor in der Strafvollzugsbehörde hat die Befugnis, die elektronische Überwachung von Personen nach seinem Ermessen zu widerrufen.40 Die Überwachten in Kalifornien sind verpflichtet, alle Kosten für die Überwachung selbst zu tragen.41 Streit gab es in Kalifornien von Anfang an offenbar darüber, wer die Kosten für die Umsetzung der EAÜ aufbringen muss. Gouverneur Arnold Schwarzenegger hat dabei die Auferlegung auf Kosten zulasten der betroffenen Straftäter für gerechtfertigt erachtet, sodass die Überwachten in Kalifornien $ 200 für die Ausrüstung der EAÜ sowie mindestens $ 5 pro Tag für die Durchführung bezahlen müssen.42 Die Überwachten dürfen bestimmte Gebiete nicht verlassen oder nicht betreten, z. B. im Rahmen eines bestimmten Radius um den Wohnort des Opfers oder um
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CAL. Penal Code, § 290.04, § 290.09. Sex offender risk scores are used: 1) Pre-sentencing by a judge, 2) To determine need for community notification, 3) To determine supervision level, 4) To inform treatment decisions, Dazu ausführlich, State Authorized Risk Assessment Tool for Sex Offenders Review Committee, Sex Offender Risk Assessment in California October 11, 2011, S. 1 – 6. 37 CAL. Penal Code, § 3004, 3010. 38 CAL. Penal Code, § 1202.8(b). 39 CAL. Penal Code § 3004 (b). 40 CAL. Penal Code § 1210.13, § 3010.6. 41 CAL. Penal Code § 3004 (c). 42 Kilgore, Electronic Monitoring is not the answer, S. 20. 36
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Einrichtungen herum, die von Kindern besucht werden.43 Darüber hinaus dürfen die Überwachten in Kalifornien nicht allzu nahe beieinander wohnen. Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass dadurch die kriminelle Assoziation unter Gleichgesinnten verhindert werden kann. Ferner müssen die Wohnungen der Straftäter lebenslang von Schulen, Parks oder Kinderspielplätzen weit entfernt sein.44 Damit wird es für die Überwachten schwierig, überhaupt eine Wohnung in dicht besiedelten Regionen oder Städten wie San Francisco zu finden. Dies führt wiederum dazu, dass Sexualstraftäter gegen ihren Willen nur in bestimmten Bereichen, wie etwa unter einer Brücke, leben müssen.45 Dieses kalifornische Modell wird als das zweithäufigste Rechtsmodell in den USA angesehen und wird derzeit in 7 Staaten akzeptiert.46 Die Rechtsvorschriften der EAÜ in diesen Staaten unterscheiden sich grundsätzlich nicht viel voneinander. Jedoch wurden in einigen Staaten altersbedingte Regelungen hinzugefügt. In Michigan z. B. wird die lebenslange EAÜ nur angewandt, wenn der Täter 17 Jahre oder älter und das Opfer unter 13 Jahre alt ist.47 In Missouri wird eine lebenslange elektronische Überwachung auf Sexualstraftäter angewandt. Das Gericht kann jedoch die Anordnung der EAÜ beenden, wenn der Täter das 65. Lebensjahr erreicht hat.48 3. Massachusetts Modell In Massachusetts wurde am 21. 9. 2006, also einen Tag nach dem das kalifornische EAÜ-Gesetz in Kraft trat, eine gesetzliche EAÜ-Regelung verabschiedet.49 Die EAÜ in Massachusetts wird auf die meisten Sexualstraftaten angewandt. „Mass. Gen. Laws ch. 265, § 47“ regelt, dass die EAÜ auferlegt werden muss, wenn eine sexuelle Straftat nach § 178c des Penal Code in Massachusetts State begangen worden ist.50 43
Meloy/Coleman, GPS monitoring of sex offenders, S. 248. Lieb/Kemshall/Thomas, Post-release controls for sex offenders in the U.S. and UK, S. 226 – 232. 45 Miller, Jessica’s Law: Effort to Keep Abusers Away; Zoning Out Sex Offenders; Proposal Would Ban Them From Living in Many Urban Areas, Sacramento Bureau/The Press-Enterprise, Jan 1, 2006, at A1. 46 GA. Code Ann. § 42 – 1 – 14(e); MD. Code ANN. Crim. Proc. § 11 – 723(c)(1)(i), (d)(3)(i); MICH. COMP. Laws Serv. § 750.520n (1); MO. Rev. Stat. § 217.735; N.C. Gen. Stat. § 14 – 208.40, 208.40 A(c); R.I. Gen. LawS § 11 – 37 – 8.2.1; WIS. Stat. § 301.48. 47 MICH. Comp. Laws Serv. § 750.520n (1). 48 MO. Rev. Stat. § 217.735, § 559.106(4). 49 2006 Mass. Legis. Serv. 303 (West). 50 Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178C: „indecent assault and battery on a child under 14,“ Mass. Gen. Laws ch. 265, § 13B; „indecent assault and battery on a mentally retarded person,“ Id. § 13F, „indecent assault and battery on a person age 14 or over,“ Id. § 13H, rape, Id. § 22, „rape of a child under 16 with force,“ Id. § 22 A, „rape and abuse of a child,“ Id. § 23, „assault with intent to commit rape,“ Mass. Gen. Laws ch. 265, § 24, „assault of a child with intent to commit rape,“ Id. § 24B, „kidnapping of a child,“ Id. § 26, „enticing a child under the age of 16 for the 44
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Diese Regelung gilt jedoch nicht für jugendliche Sexualstraftäter und für Personen, die zwar eine sexuelle Straftat nach § 178c des Penal Code in Massachusetts State begangen haben, aber vor Inkrafttreten der Regelung auf Bewährung entlassen worden sind. Im Hinblick auf die Anordnung der EAÜ ist auffällig, dass im Massachusetts Modell dem Gericht bei der Entscheidung über die Anwendung der EAÜ ein größeres Ermessen zukommt als im Vergleich zu anderen Modellen.51 Das Gericht kann die Bewährungsdauer sowie Überwachungsdauer der EAÜ bestimmen, während die EAÜ jedoch für bestimmte Sexualstraftäter nach dem Kalifornien Modell grundsätzlich lebenslang durchgeführt werden muss. Das Ermessen des Gerichts wird allerdings auf null reduziert52, wenn, wie im Florida Modell, die betroffenen Straftäter mehrmals gegen die Weisungen zur Bewährung verstoßen haben.53 Dann muss er in der GPS-Überwachung in Verbindung mit „Community Parole Supervision“ lebenslang stehen. Die EAÜ im Massachusetts Modell wird in Verbindung mit der Bewährung (USProbation) angeordnet, sodass in Massachusetts die EAÜ während der Bewährungszeit erfolgt.54 Das Gericht entscheidet über die entsprechende Bewährungsdauer auf Basis des individuellen Risikos des Täters für die Gesellschaft. Dabei legt die Kommission für Sexualstraftäter („Sex Offender Registry Board“) dem Gericht die konkreten Informationen bezüglich der Gefährlichkeit des Täters dar.55 Die Kommission für Sexualstraftäter wurde am 21. 9. 2006 gegründet. Sie besteht aus 7 Experten56, die vom Gouverneur für 6 Jahre ernannt werden. Sie sammelt Inforpurposes of committing a crime,“ Id. § 26C, „enticing away a person for prostitution or sexual intercourse,“ Mass. Gen. Laws ch. 272, § 2, „drugging persons for sexual intercourse,“ Id. § 3, „inducing a minor into prostitution,“ Id. § 4 A; „living off or sharing earnings of a minor prostitute,“ Id. § 4B, „second and subsequent adjudication or conviction for open and gross lewdness and lascivious behavior,“ Id. § 16, „incestuous marriage or intercourse,“ Id. § 17, „disseminating to a minor matter harmful to a minor,“ Id. § 28, „posing or exhibiting a child in a state of nudity,“ Id. § 29 A, „dissemination of visual material of a child in a state of nudity or sexual conduct,“ Id. § 29B, „possession of child pornography,“ Id. § 29C, „unnatural or lascivious acts with a child under 16,“ Id. § 35 A, „aggravated rape,“ Mass. Gen. Laws ch. 277, § 39, any of the aforementioned offenses involving a child, Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178C, any of the aforementioned offenses that is categorized as a „sexually violent offense“ under Massachusetts law, Id., and any attempt to commit any of the enumerated sex offenses or a „like violation“ under another jurisdiction’s laws, Id. 51 Dante, Tracking the Constitution-the Proliferation and Legality of Sex-Offender GpsTracking Statutes, S. 1182. 52 Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178H. 53 Mass. Gen. Laws ch. 127, § 133D1/2. 54 Mass. Gen. Laws ch. 265, § 47. 55 Mass. Gen. Laws ch. 265, § 47. 56 Der Ausschuss müssen gehören: 1 Person mit Erfahrung und Kenntnissen auf dem Gebiet der Strafjustiz, die als Vorsitzender fungiert; mindestens 2 lizenzierte Psychologen oder Psychiater mit besonderen Kenntnissen in der Beurteilung und Bewertung von Sexualstraftätern und mit Kenntnissen des forensischen Systems der psychischen Gesundheit; mindestens 1 li-
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mationen über alle registrierten Sexualstraftäter57 und prognostiziert eine eventuelle Wiederholungsgefahr.58 Die Risiken werden von der Stufe 1 (geringes Rückfallrisiko) 59 bis zur Stufe 3 (hohes Rückfälligkeitsrisiko)60 beurteilt.61 Auch in Massachusetts müssen alle Kosten, die mit dem Betrieb der EAÜ verbunden sind, grundsätzlich von den Überwachten getragen werden.62 Die Kosten betragen ungefähr $ 200 für den Gerätekauf, $ 4.30 für ein 1-Track-System und $ 5.50 für ein 2-Track-System.63 4. Hybrid Modell Viele Bundesstaaten in den Vereinigten Staaten nahmen zwar die Modelle aus Florida, Kalifornien und Massachusetts an, aber nicht alle Staaten folgten diesen 3 Staaten nach. Einige Staaten haben die Gesetze über die EAÜ der verschiedenen Staaten kombiniert und dadurch eigene Gesetzesmodelle entwickelt. So gilt die EAÜ in Arkansas nur für Sexualstraftäter, die ein sehr hohes Rückfälligkeitsrisiko aufweisen. Dabei ist interessant, dass in Arkansas die EAÜ auf Sexualstraftäter über einen Zeitraum von mindestens 10 Jahren angewandt werden muss, und dem Gericht nach 10 Jahren das Ermessen zusteht, ob aufgrund der Beurteilung der Wiederholungsgefahr die EAÜ für einen längeren Zeitraum erfolgen soll.64 In Nevada ist dem Leiter des Bewährungsamtes die Befugnis eingeräumt, die Risiken von Sexualstraftätern einzeln zu beurteilen und dem Richter die Überwachungsdauer der EAÜ vorzuschlagen.65 In New Jersey ist ein Richter verpflichtet, gegenüber bestimmten Sexualstraftätern der US-Probation nach eine Freiheitsstrafe zu verhängen. Es liegt dabei jedoch im Ermessen des Richters, ob auch die EAÜ angeordnet wird.66 Der Staat New York hat im Jahr 2007 ein „Office of Sex Offender Management“ eingerichtet, um das Risiko von Sexualstraftätern zu beurteilen. Dort wird entschieden, ob die EAÜ während der Bewährungszeit angewandt werden soll.67 In den Bunzenzierter Psychologe oder Psychiater mit besonderen Kenntnissen in der Beurteilung und Bewertung von Sexualstraftätern einschließlich jugendlicher Sexualstraftäter und mit Kenntnissen des forensischen Systems der psychischen Gesundheit; mindestens 2 Personen mit mehr als 5 Jahren Ausbildung und Erfahrung in Bewährung; mindestens 1 Person, die Sachkenntnis oder Erfahrung mit Opfern sexuellen Missbrauchs hat. Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178K (1). 57 Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178 D. 58 Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178 L. 59 Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178K (2) (a). 60 Mass. Gen. Laws ch. 6, § 178K (2) (c). 61 Mass. Gen. Laws ch. 265, § 47. 62 Mass. Gen. Laws ch. 265, § 47. 63 Electronic Monitoring Program Fact Sheet, 2014, S. 2. 64 ARK. Code. Ann. § 12 – 12 – 923(a) (1). 65 NEV. Rev. Stat. § 176 A.410 (1), (2) (b) – (c). 66 N.J. Stat. Ann. § 2C:43 – 6.4(a), § 30:4 – 123.91(c). 67 N.Y. Penal. Law § 837-r (1), (2) (d).
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desstaaten Tennessee und Washington hat eine „U.S Probation Commission“ die Befugnis, individuell das Risiko von Straftätern einzuschätzen und zu entscheiden, ob die EAÜ angewandt werden soll.68 Darüber hinaus gibt es Bundesstaaten, die noch keine konkreten Gesetzvorschriften bzw. Richtlinien über die Anordnung der EAÜ erlassen haben.69 In der Praxis dieser Bundesstaaten ist den Richtern oder dem Bewährungsamt ein großer Ermessensspielraum eingeräumt, um die Anforderungen an die elektronische GPS-Überwachung zu spezifizieren.70
III. Aktuelle Praxissituation Im Hinblick auf die konkrete Funktionsweise des GPS-Tracking-Systems für elektronische Aufenthaltsüberwachung ist nach der Anzahl der am Körper der Überwachten zu tragenden Geräten zwischen einem einteiligen GPS-TrackingSystem (1-Track)71 und einem zweiteiligen GPS-Tracking-System (2-Track)72 zu differenzieren. In den USA werden gegenwärtig beide Modelle eingesetzt, wobei es je nach Bundesstaat unterschiedlich ist, welches technische Modell in der Praxis angewandt wird. Während in Kalifornien und Massachusetts hauptsächlich das 68
TENN. Code. Ann. § 40 – 39 – 302(b); WASH. Rev. Code. Ann. § 9.94 A.704(5). COLO. Rev. Stat. § 18 – 1.3 – 204(2)(a)(XIV.5); CONN. Gen. Stat. § 53a-30(a)(14); D.C. Code § 22 – 1211; HAW. Rev. Stat. § 353G-7(a)(4)(D); HAW. Rev. Stat. § 706 – 624(2)(p); MISS. Code ANN. § 99 – 19 – 84; NEB. Rev. Stat. § 83 – 174.03; N.D. Cent. Code § 12.1 – 32 – 07(3)(f); OHIO Rev. Code Ann. § 2929.13(L); 42 PA. CONS. Stat. § 9798.3; TEX. GOV T Code Ann. § 508.221; UTAH Code ANN. § 77 – 18 – 1(8)(a)(vi); WYO. Stat. Ann. § 7 – 13 – 1102. 70 Dante, Tracking the Constitution-the Proliferation and Legality of Sex-Offender GPSTracking Statutes, S. 1188. 71 1-Track-System erfordert lediglich das Tragen der GPS-Sendeeinheit am Fußgelenk. Die Lage der Betroffenen wird durch die Kommunikation zwischen dem am Fußgelenk angebrachten Gerät und dem Satelliten bestimmt. Sofern ein einteiliges GPS-System eingesetzt wird, ist in der Wohnung die Installation einer sog. „Wohnungseinheit“ notwendig, um die Übertragung von Positionsdaten innerhalb des Wohnraums auszuschließen und auf diese Weise die Überwachung auf eine bloße Aufenthaltsfeststellung zu Hause zu beschränken. Vgl. Haverkamp/Schwedler/Wößner, Die elektronische Aufsicht von als gefährlich eingeschätzten Entlassenen, S. 10. 72 2-Track-System hat neben der GPS-Sendeeinheit am Fußgelenk zusätzlich einen Transmitter, welches eine Form wie ein Handy hat, eine sog. Personal Tracking Unit (PTU). Die Position der Personen wird durch diese PTUs identifiziert. Beim 2-Track-System ist das Gerät am Fußgelenk dafür verantwortlich, dass die PTU immer im Besitz der betroffenen Personen ist. Wenn der Abstand zwischen dem Gerät und der PTU etwa 2 m übersteigt, werden zum einen ein für die Überwachten wahrnehmbarer Vibrationsalarm aktiviert sowie zum anderen die Daten automatisiert über die Überwachungszentrale an die zuständigen Stellen (z. B. Polizei, Bewährungshilfe, Führungsaufsicht) weitergeleitet, um einen telefonischen Kontakt oder eine eventuell erforderliche Festnahme der Überwachten zu ermöglichen. Da der Transmitter auf eine Station in der Wohnung gelegt wird, werden bei dem zweiteiligen GPS-System keine Positionsdaten der Probanden innerhalb des Wohnbereichs weitergegeben. Vgl. BT-Drs. 17/ 3403, S. 35 f. 69
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1-Track-System verwendet wird, kommt in Florida das 2-Track-System zur Anwendung.73 Da die EAÜ in den Vereinigten Staaten in Verbindung mit US-Probation oder Community Control verwendet wird, erfolgt die Vollstreckung der EAÜ in der Praxis durch das Bewährungsamt. Als repräsentatives Beispiel für ein solches Bewährungsamt lassen sich das „Florida Department of Corrections (FDC)“ in Florida, das „California Department of Corrections und Rehabilitation (CDCR)“ in Kalifornien und die „Division of the Massachusetts Probation“ in Massachusetts anführen. Diese Abteilungen sind zwar für die Vollstreckung der EAÜ verantwortlich, jedoch bearbeiten sie nicht alle Aufgaben im Zusammenhang mit der Kontrolle und Beratung der betroffenen Straftäter. Denn diese Abteilungen schließen aufgrund von Kosteneinsparungen mit privaten Unternehmen einen Konsignationsvertrag ab.74 Das Unternehmen „3M electronic Monitoring“ hat z. B. in Florida durch einen solchen Vertrag seit Einführung der EAÜ nicht nur alle elektronischen Geräte zur Umsetzung der EAÜ bereitstellt, sondern darüber hinaus auch 2 Zentralstellen in Jacksonville und Odessa (Pasco County), beide in Florida gelegen, geschaffen.75 In diesen Zentralstellen wird die Kontrolle der Straftäter vorgenommen. Ein 3M-Überwachungssystem in den Zentralstellen ist 24 Stunden am Tag und 7 Tage in der Woche in Betrieb und liefert eine nahezu Echtzeit-Grafik des Ortes und der Bewegung der Betroffenen ab. Zudem registriert das System unterschiedliche Geschwindigkeiten und kann abhängig von der Geschwindigkeit der Bewegung bestimmen, ob der Täter läuft, mit dem Fahrrad fährt oder sich in einem Auto bewegt.76 Darüber hinaus wird die Position der Betroffenen immer in Echtzeit gespeichert. 3M-Mitarbeiter beobachten an den Computern, ob sich die Überwachten an die Bewährungsregeln, wie etwa das Verbot des Zugangs zu bestimmten Bereichen, oder an das Kontaktverbot zu bestimmten Personen halten. Bei Bedarf können 3M- und FDC-Mitarbeiter auch mit dem Anschluss ihres Smartphones oder Computers die Informationen bestätigen und weitergeben.77 Dadurch können sie immer die jüngsten Bewegungen der Überwachten kontrollieren und überprüfen, ob sie jeden Tag ihre Bewährungsauflagen erfüllen, wie z. B. zur Arbeit gehen, an Behandlungsprogrammen teilnehmen oder die Ausgangssperre einhalten. Verletzen die Überwachten 73
Gies, GPS Supervision in California, S. 13 – 14. Um auf den drastischen Zuwachs der Anzahl der Gefängnisinsassen und das dadurch verursachte Kostenproblem zu reagieren, schloss die US-amerikanische Regierung seit dem Jahr 1980 Verträge mit privaten Unternehmen wie GEO Group, Corrections Corporation of America, BI Incorporated, 3M Electronic Monitoring ab, damit sie einen Teil der Vollstreckung der strafrechtlichen Sanktionen übernehmen. Die privaten Unternehmen führen nicht nur Unterkünfte für illegale Einwanderer, sondern auch Vollzugsanstalten (Gefängnisse). Dazu ausführlich, Fulcher, Hustle and Flow: Prison Privatization Fueling the Prison Industrial Complex S. 594 ff. 75 OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 10. 76 OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 10. 77 OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 10. 74
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die Regeln, schlägt das System Alarm, auf den die Mitarbeiter reagieren.78 3MMitarbeiter senden dabei eine SMS an die PTU („Personal Tracking Unit“), welche die elektronisch überwachten Personen zu jeder Zeit bei sich tragen müssen, oder sie machen einen Sprachanruf zur Identifizierung der Situation. Alle Aktivitäten dieser 3M Mitarbeiter werden in einem mit dem FDC geteilten Computersystem gespeichert, und die FDC Mitarbeiter bestätigen diese Inhalte regelmäßig.79 Erfolgt allerdings für einige schwere Fälle ein spezieller Warnalarm, handeln die Bewährungshelfer der FDC direkt anstelle der 3M-Mitarbeiter. Wenn z. B. der Träger versucht, die Fußfessel abzunehmen, begeben sich die Bewährungshelfer der FDC zusammen mit der Polizei sofort zum Ort des Geschehens. Nach einem Bericht werden ca. 70 % aller Warnalarme von den 3M-Mitarbeitern in der Zentralstelle gelöst, die restlichen 30 % von den Bewährungshelfern der FDC.80 Laut Stand vom 30. 9. 2015 stehen insgesamt 4.274 Personen in Florida unter EAÜ, von denen 3.088 (72 %) offiziell beim „Florida Department of Law Enforcement (FDLE)“ registriert sind.81 Die durchschnittliche Überwachungsdauer der 3.088 Personen im FDLE betrug 9 Jahre, wobei sie sich bei 1 % über weniger als 2 Jahre und bei 24 % über länger als 10 Jahre erstreckte.82 1 %, d. h. etwa 28 Straftäter, werden auf Lebenszeit überwacht.83 Laut einem Bericht von „Pew Charitable Trusts“ vom September 2016 werden in den Vereinigten Staaten nach Stand Dezember 2015 ungefähr 125.000 Menschen elektronisch überwacht.84 Unter diesen beträgt die Anzahl der Überwachten durch EAÜ mittels GPS 88.172, die restlichen 37.706 werden mithilfe des RF („Radio Frequency“) überwacht.85 Das ist nur ein kleiner Bruchteil der 4.65 Millionen auf Bewährung Entlassenen in den Vereinigten Staaten.86 Auffällig ist jedoch, dass die Anzahl der Überwachten mittels GPSTechnik in den letzten 10 Jahren stark angestiegen ist.87 Deren Anzahl betrug im Jahr 2005 nur 2.897, jedoch vergrößerte sich ihre Anzahl von 2005 bis 2015 um das dreißigfache, während sich die Anzahl der Überwachten mittels RF-Technik in der
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te 42. 82
OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 11. OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 11. OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 11. OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 9, Fußno-
OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 9. OPPAGA Report No. 15 – 16, Sex Offender Registration and Monitoring, S. 9. 84 Pew Charitable Trusts, Issue brief, Use of Electronic Offender-Tracking Devices Expands Sharply, S. 2. 85 Pew Charitable Trusts, Issue brief, Use of Electronic Offender-Tracking Devices Expands Sharply. S. 3. 86 Bureau of Justice Statistics, Correctional Populations in the United States, 2014 (December 2015) 87 Pew Charitable Trusts, Issue brief, Use of Electronic Offender-Tracking Devices Expands Sharply. S. 3. 83
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gleichen Zeit von 50.132 auf 37.706 verringerte.88 Mit dem drastischen Anstieg der Anzahl der Überwachten zeigt sich in der Praxis das Problem, dass die Bewährungshelfer überarbeitet sind.89 In vielen Studien in den USA wurde schon vorgeschlagen, dass zur effektiven Kontrolle die Anzahl der elektronisch überwachten Personen pro Bewährungshelfer auf maximal 20 beschränkt werden sollte.90
B. Südkorea I. Einführung Im Gegensatz zur Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten ist Südkorea kein Bundesstaat, der von Staaten gebildet wird, sondern ein Zentralstaat. Deshalb wird das vom Abgeordnetenhaus in Seoul verabschiedete Recht landesweit angewandt.91 Das koreanische Rechtssystem akzeptierte nicht das amerikanische „Common Law“, sondern das deutsche kontinentaleuropäische Recht, welches auf Gesetze und dementsprechende Auslegungen abstellt und weniger auf Rechtsprechung. Im Bereich des materiellen Rechts sind parlamentarische Gesetze die wichtigsten Rechtsquellen. Richterrecht wird im Gegensatz zu Amerika in Südkorea nicht als eigenständige Rechtsquelle anerkannt.92 Die konkreten Ausgestaltungen aller Gesetze können durch das jeweilige Gesetzbuch bestätigt werden. Das koreanische Strafrecht umfasst, wie das deutsche Strafrecht, ein zweispuriges Sanktionssystem, welches zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung unterscheidet. Die Maßregeln der Besserung und Sicherung von Südkorea bestehen aus freiheitsentziehenden Maßregeln und freiheitsbeschränkenden Maßregeln. Als die Maßregeln der Besserung und Sicherung im Jahr 1980 in das koreanische Strafrechtssystem eingeführt wurden, gab es die Sicherungsverwahrung als freiheitsentziehende Maßregel. Sie wurde jedoch im Jahr 2005 abgeschafft. Gegenwärtig gibt es also nur die Therapieunterbringung als freiheitsentziehende Maßregel im Katalog der Maßregeln zur Besserung und Sicherung.93 Ein repräsentatives Beispiel für freiheitsbeschränkende Maßregeln ist die koreanische Bewährung.94 Die koreanische EAÜ wurde als Instrument zur Stärkung dieses koreanischen Bewährungssystems eingeführt. 88
Pew Charitable Trusts, Issue brief, Use of Electronic Offender-Tracking Devices Expands Sharply. S. 3. 89 Vgl. Bishop, The Challenges of GPS and sex offender management. 90 Bulman, Sex Offenders Monitored by GPS Found to Commit Fewer Crimes, S. 25. 91 Korea Legislation Research Institute, Einführung in das koreanische Recht, S. 5 ff. 92 Korea Legislation Research Institute, Einführung in das koreanische Recht S. 6. 93 Vgl. Teil 2, Kapitel 2, A.II. 94 Bemerkenswert ist es, dass die koreanische Bewährung beide Merkmale der Bewährungshilfe und der Führungsaufsicht in Deutschland besitzen. In Deutschland unterscheidet sich die Führungsaufsicht von der Bewährungshilfe. Die Führungsaufsicht wird auf Basis der
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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Anders als in Deutschland ist das Gesetz über die EAÜ in Südkorea nicht im koreanischen StGB, sondern in einem Sondergesetz mit dem Titel „Gesetz über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern“ (nachfolgend „korEAÜG“ genannt) geregelt.95 Dieses Sondergesetz verdrängt das allgemeine Gesetz nach dem Lex-specialis-Grundsatz.96 Deswegen tritt das Strafgesetz hinter dem Gesetz über die EAÜ zurück. Das korEAÜG wurde seit dem ersten Gesetzentwurf im Jahr 2007 viermal geändert und besteht zurzeit aus 6 Kapiteln und 39 Artikeln. Alle Inhalte des derzeitig gültigen korEAÜG sind im Anhang dieser Arbeit in die deutsche Sprache übersetzt.97
II. Geltende Rechtsvorschriften 1. Anordnungsvoraussetzungen und erfasster Personenkreis Gemäß Artikel 1 dieses Gesetzes hat der koreanische Gesetzgeber die EAÜ mit dem Zweck eingeführt, die Resozialisierung von besonderen Straftätern zu fördern und den Schutz der Bürger vor diesen besonderen Straftaten zu erhöhen. Um dieses Ziel zu erreichen, wurde die koreanische EAÜ in folgende 3 strafrechtliche Gebiete neu aufgeteilt: 1. nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe98, 2. im Fall einer Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe oder einer vorläufigen Beendigung der koreanische Therapieunterbringung99, 3. der Fall der Aussetzung der Strafvollstreckung.100 Allerdings ist der Personenkreis der EAÜ nicht auf alle Verbrechen, sondern nur auf bestimmte Verbrechen beschränkt. Als das Gesetz über die EAÜ erstmals erlassen wurde, wurden nur sexuelle Gewaltverbrechen berücksichtigt. Jedoch wurde durch entsprechende Gesetzesveränderungen der Deliktskreis auf Entführung bzw. Entziehung Minderjähriger, Raub und Tötungsdelikte, die sowohl im koreanischen StGB als auch in Sondergesetzen geregelt sind, ausgeweitet. Mit der Intention des Gesetzgebers können die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ in die nachfolgenden 6 Fälle unterteilt werden. „negativen Legalprognose“ aus dem Vollzug für die lange Freiheitsentziehung entlassender Personen verwendet, während die Bewährungshilfe eingeführt wurde, um die durch die „positiv Prognose“ negativen Auswirkungen der Strafe zu reduzieren. 95 Moon-Ho Song, Das koreanische Verfassungsgericht und die strafrechtliche Zweispurigkeit, S. 2. 96 Lex specialis derogat legi generali. 97 Siehe Anhang 1. 98 korEAÜG KAPITEL II. 99 korEAÜG KAPITEL III. 100 korEAÜG KAPITEL IV.
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Erstens ist der Fall, dass Straftäter die in Artikel 2.1 des korEAÜG vorgeschriebene besondere sexuelle Straftat begangen haben101 und nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe entlassen werden. Wenn dabei aber angenommen wird, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für ein Sexualdelikt besteht, und ein Regelungsfall der folgenden Unterabsätze einschlägig ist, kann die Staatsanwaltschaft beim Richter die Anordnung der EAÜ beantragen:102 a) Personen, die zu einer Freiheitsstrafe für die Begehung von Sexualstraftaten verurteilt wurden und innerhalb von 10 Jahren nach der Vollstreckung der Strafe oder Befreiung von der Vollstreckung der Strafe ein Sexualdelikt wiederholt begangen haben; b) Personen, die ein Sexualdelikt wiederholt begangen haben, aber bereits ein elektronisches Gerät im Sinne dieses Gesetzes für die Begehung von Sexualdelikten trugen; c) Personen, für die eine Tendenz zur Begehung von Sexualdelikten aufgrund ihrer wiederholten Begehung befunden wurde; d) Person, die ein Sexualdelikt an einer minderjährigen Person unter 19 Jahren begangen haben; e) Personen, die gegen eine Person, welche unter einer körperlichen oder psychischen Störung leidet, ein Sexualdelikt begangen haben. Nach den Bedingungen in a), b) und c) müssen die betroffenen Personen eine Vorstrafe für Sexualdelikte haben, damit ein Staatsanwalt eine EAÜ fordern kann. Es gibt hiervon jedoch Ausnahmen. Diese Ausnahmen sind in d) und e) definiert. Der koreanische Gesetzgeber legt fest, dass eine EAÜ bei Personen angewandt werden kann, die Sexualdelikte an einer Person unter 19 Jahren oder an einer Person mit einer körperlichen oder psychischen Störung begangen hat, auch wenn die Täter wegen Sexualdelikten nicht vorbestraft sind. Dies stellt einen Ausdruck des Willens des koreanischen Gesetzgebers dar, einen besseren Schutz der Allgemeinheit vor Sexualdelikten für Kinder und Jugendliche und sexuelle Gewaltverbrechen gegen Behinderte zu gewährleisten.103
101 Vergewaltigung (§ 297 kStGB), sexuelle Nötigung (§ 298 kStGB) und sexuelle Nötigung und Vergewaltigung mit Körperverletzung (§ 301 kStGB) bzw. mit Todesfolge (§ 301 – 2 kStGB); sexueller Missbrauch von Widerstandsunfähigen (§ 299 kStGB), von Minderjährigen (§ 302 kStGB), von Schutzbefohlenen (§ 303 Abs. 1 kStGB) und Gefangenen (§ 303 Abs. 2 kStGB); Gewohnheitsverbrecher der Sexualstraftaten (§ 305 – 2 kStGB); Raubvergewaltigung (§ 339 kStGB); Vergewaltigung bzw. sexuelle Nötigung von Kindern bzw. Jugendlichen (§ 7 Jugendsexualschutzgesetz). 102 korEAÜG Artikel 5 (1). 103 Vgl, Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon; A Study on the Effect and Suggestions of GPS Electronic Monitoring Program, S. 63. f, Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/ManHyeong Heo, The Analysis of the Policy Formation Process of the Electronic Device Attachment System to Sexual Offenders against Children by Multiple Streams Model, S. 262 ff.
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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Zweitens: Die Straftäter haben den Raub nach koreanischem StGB begangen und werden nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe entlassen. In diesem Fall kann unter der Annahme, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für Raub besteht und sie unter die Regelung der folgenden Unterabsätze fallen, die Staatanwaltschaft beim Richter die Anordnung der EAÜ beantragen104: a) Personen, die innerhalb von 10 Jahren nach der Vollstreckung der Strafe oder der Befreiung von der Vollstreckung der Strafe wiederholt ein Raubdelikt begangen haben und zu einer Freiheitsstrafe dafür verurteilt wurden; b) Personen, die wiederholt ein Raubdelikt begangen haben und bereits ein elektronisches Gerät im Sinne dieses Gesetzes für die Begehung von Raubdelikten trugen; c) Personen, für die eine Tendenz zur Begehung von Raubdelikten, aufgrund ihrer wiederholten Begehung, befunden wurde. Die Voraussetzung einer EAÜ-Anordnung bei Raub ist sehr ähnlich zu derjenigen von Sexualdelikten. Allerdings kann der Staatsanwalt hierbei, anders als in den Fällen von Sexualverbrechen, keine EAÜ-Anordnung beantragen, wenn die Straftäter keine Vorstrafe haben. Drittens ist der Fall, dass Straftäter einen Mord oder eine Entführung begangen haben und nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe entlassen werden. Bei diesem Fall ist die Voraussetzung für die Anordnung der EAÜ im Vergleich zu anderen Fällen erleichtert. Der Staatsanwalt kann beim Richter bereits eine Anordnung der EAÜ beantragen, wenn nur ein Wiederholungsrisiko besteht.105 Andere zusätzliche Voraussetzungen sind nicht notwendig.106 Für Rückfallstraftäter muss der Staatsanwalt unbedingt eine Anbringungsanordnung beantragen.107 Dies liegt daran, dass der koreanische Gesetzgeber Mord oder Entführung als schwerere Straftaten erachtet als Raub oder Sexualdelikte.108 Im ersten, zweiten und dritten Fall hat der Staatsanwalt grundsätzlich ein Ermessen, ob er die Anordnung der EAÜ beim Richter beantragt, sofern die Voraussetzungen der EAÜ vorliegen. Die endgültige Beurteilung der EAÜ-Anordnung liegt jedoch beim Gericht. Sie ist nicht vom Antrag der Staatsanwaltschaft abhängig. Das Gericht hat hier freies Ermessen. Es muss also nicht eine unbedingte obligatorische EAÜ auferlegen. Der EAÜ-Antrag wird zurückgewiesen, wenn das Gericht feststellt,
104
korEAÜG Artikel 5 (4). korEAÜG Artikel 5 (2). 106 korEAÜG Artikel 5 (2), (3). 107 korEAÜG Artikel 5 (2), (3). 108 Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An Evaluation Study on the Electronic Monitoring, S. 166. 105
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dass der Anbringungsantrag des Staatsanwalts unbegründet ist.109 Das Gericht hat sogar die Befugnis, den Staatsanwalt aufzufordern, einen EAÜ-Antrag zu stellen.110 Viertens ist der Fall, dass Straftäter die bereits genannten Straftaten – Sexualverbrechen, Raub, Mord, Kindesentführung – begangen haben, und der Rest der Strafe bei zeitiger Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt wird. In diesem Fall müssen grundsätzlich die betroffenen Personen während der Bewährungszeit – unabhängig davon, ob es ein Rückfallrisiko gibt – unter EAÜ gestellt werden, um die Durchführung der Weisungen zu gewährleisten.111 Die Personen werden nur dann ausnahmsweise keine elektronische Fußfessel tragen, wenn die für die Aussetzung der Reststrafe zuständige Prüfungskommission zu dem Ergebnis kommt, dass die EAÜ nicht notwendig ist.112 Fünftens ist der Fall, dass Straftäter, welche ein Sexualverbrechen, Raub, Mord oder Kindesentführung begangen haben, während der Vollstreckung der koreanischen Therapieunterbringung unter die vorläufige Beendigung der Vollstreckung gestellt werden. Bei diesem Fall beginnt gemäß Artikel 32 des derzeitigen koreanischen Therapieunterstützungsgesetzes die obligatorische koreanische Bewährung. Es ist auch möglich, dass während der Bewährungszeit die EAÜ auferlegt wird, um sicherzustellen, dass die Überwachten den Weisungen der Bewährung entsprechen.113 Im letzten Fall geht es um Straftäter, welche eine der genannten besonderen Straftaten begangen haben, und bei denen die Strafvollstreckung unter Auflage der Bewährung ausgesetzt wird. In diesem Fall kann die Bewährungsbehörde während der Bewährung einen EAÜ-Auftrag ausstellen, um sicherzustellen, dass Straftäter die Weisungen der Bewährung einhalten.114 2. Gefährlichkeitsprognose Gemäß korEAÜG Artikel 6 Abs. 1 kann die Staatsanwaltschaft die Leiter der Bewährungsbehörden auffordern, die Wiederholungsgefahr von Straftätern zu prognostizieren, sofern dies als notwendig erscheint.115 Beim Antrag des Staatsanwalts müssen die Mitarbeiter der Bewährungsbehörden unverzüglich untersuchen, ob bei den betroffenen Straftätern die Wiederholungsgefahr besteht, und das Untersuchungsergebnis dem Staatsanwalt mitteilen.116 Der Staatsanwalt wird in seiner Be109 110 111 112 113 114 115 116
korEAÜG Artikel 9 (4). korEAÜG Artikel 5 (6). korEAÜG Artikel 22 (1). korEAÜG Artikel 22 (1). korEAÜG Artikel 23 (1). korEAÜG Artikel 28 (1). korEAÜG Artikel 6, Abs. 1. korEAÜG Artikel 6, Abs. 2, Abs. 3.
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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urteilung hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr durch diesen Bericht bei der Prüfung unterstützt. Darüber hinaus muss der Staatsanwalt bei der Anbringungsordnung der EAÜ die Ergebnisse aus anderen externen Expertengutachten über den Verdächtigen berücksichtigen, wenn es notwendig erscheint.117 Das korEAÜG ordnet jedoch nicht zwingend an, dass das Gericht diese Ergebnisse berücksichtigen muss, wenn es entscheidet, ob ein Wiederholungsrisiko im Falle von Straftätern vorliegt. Da es so jedoch keine konkrete Verfahrensregelung für die Beurteilung hinsichtlich einer Wiederholungsgefahr gibt, bleibt unklar, auf welchen Grundlagen das Gericht das Wiederholungrisiko beurteilt. Es besteht somit sogar eine größere Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht eventuell vom EAÜ-Anbringungsantrag des Staatsanwaltes abhängig ist. Dies wird von einigen Wissenschaftlern kritisiert.118 3. Überwachungsdauer Die Dauer der EAÜ hängt davon ab, welche strafrechtliche Sanktion verhängt wird. Die Rechtsvorschriften für die Dauer der EAÜ im Fall einer Aussetzung des Strafrestes bei zeitiger Freiheitsstrafe und im Fall einer vorläufigen Beendigung der koreanische Therapieunterbringung und Aussetzung der Strafvollstreckung sind relativ einfach. Denn das korEAÜG regelt, dass der Verurteilte in diesen strafrechtlichen Sanktionen der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers unterstehen soll119, und die Dauer der EAÜ in Verbindung damit, also für die Bewährungszeit, durchgeführt werden soll.120,121 Jedoch sind die Rechtsvorschriften zur Überwachungsdauer im Falle der Anordnung der EAÜ nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe komplizierter. Dabei wird die Frist vom Gericht bestimmt. Sie kann mindestens auf 1 Jahr, höchstens auf bis zu 30 Jahre angesetzt werden. Bemerkenswert ist, dass sich die konkrete Überwachungsdauer auf die Straftaten der Überwachten bezieht. Hier gibt es 3 Kategorien: a) Haben die Überwachten eine Straftat begangen, die im Höchstmaß die Todesstrafe oder eine lebenslange Freiheitsstrafe zur Folge haben kann, müssen die Täter 10 Jahre bis 30 Jahre elektronisch überwacht werden.
117
korEAÜG Artikel 6, Abs. 4. Hyon-Mi Chong, Sexual Crime Prevention and Electronic Monitoring: A Study on the act of electronic device attachment for tracking Location of specific crime offenders S. 336; Hye-Jeong Kim, Überprüfung des Gesetz zum Anziehen des elektronische Fußfessel zur Lageverfolgung der bestimmten Sexualstraftätern, S. 661. 119 korEAÜG Artikel 9 Abs. 3. 120 korEAÜG Artikel 22 (1). 121 korEAÜG Artikel 23 (1), Artikel 28 (1). 118
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
b) Haben die Überwachten eine Straftat begangen, für die eine Mindeststrafe von 3 Jahren Freiheitsentzug oder mehr vorgesehen ist, müssen die Täter über einen Zeitraum von 3 bis 20 Jahren elektronisch überwacht werden. c) Haben die Überwachten eine Straftat begangen, deren Mindeststrafe weniger als 3 Jahre vorsieht, müssen die Täter 1 Jahr bis 10 Jahre elektronisch überwacht werden.122 Im Falle einer Straftat gegen eine Person im Alter von unter 19 Jahren wird die genannte Mindestdauer der Anbringung zeitlich verdoppelt.123 So wird im Falle der Anordnung der EAÜ nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe die Dauer der EAÜ endgültig danach entschieden, welche Straftaten die Straftäter begangen haben, bei denen die Anordnung der EAÜ in Betracht kommt. Je schwerer folglich die (gesetzliche) Strafandrohung ist, desto länger ist die Dauer der Anbringung, was ein besonderes Merkmal im Vergleich zu anderen koreanischen Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, da die Dauer der anderen koreanischen Maßregeln nur in Verbindung mit der zukünftige Rückfallgefahr angeordnet werden kann. Die Regelungen für die Überwachungsdauer waren bei der ersten Gesetzgebung nicht festgelegt. Sie wurde aufgrund der Forderung der Bürger nach einer Verlängerung der EAÜ später per Gesetzesänderung neu hinzugefügt.124 Einige Wissenschaftler behaupten deshalb, dass bei der Anordnung der EAÜ die begangene Tat nur im Hinblick auf eine Einschätzung für die künftige Gefährlichkeit des Täters betrachtet und nicht – wie hier gesetzlich bestimmt – aufgrund der Länge der Strafe bestimmt werden sollte.125 Der Strafcharakter der EAÜ zeigt sich auch in § 9 Abs. 2 des korEAÜG. Demgemäß wird die Anbringungsdauer der EAÜ um die Hälfte der Höchstdauer der schwersten Straftat erhöht, wenn die Anbringungsanordnung aufgrund verschiedener besonderer Straftaten beantragt wird. Dann kann bei bestimmten Tätern nach der Verbüßung der Freiheitsstrafe eine EAÜ für die Dauer von höchstens 45 Jahren angeordnet werden. Diese Regelungen entsprechen denen der Strafbemessung bei Realkonkurrenz (§ 38 Abs. 1 Nr. 2 kStGB) und bei Idealkonkurrenz (§ 40 kStGB).126
122
korEAÜG Artikel 9 (1). korEAÜG Artikel 9 (1). 124 Vgl. Teil 2, Kapitel 1, B.II.3. 125 Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An Evaluation study on the electronic monitoring, S. 211. 126 San-Min Park, Die strafrechtliche Behandlung gefährlicher Straftäter, S. 156. 123
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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4. Überprüfung für die einstweilige Aussetzung der Anbringungsanordnung Die Anordnung der EAÜ setzt sich grundsätzlich bis zum Ablauf der erwähnten Zeit fort. Hiervon gibt es jedoch eine Ausnahme im Falle der einstweiligen Aussetzung der Anbringungsanordnung. Gemäß Artikel 17 des korEAÜG kann nach Ablauf von 3 Monaten ab dem Beginn des Vollstreckungsbeschlusses über die EAÜ der Leiter des Bewährungsamtes oder die von der Anbringung betroffenen Personen sowie ihre gesetzlichen Vertreter eine einstweile Aussetzung der Anbringungsanordnung beantragen. Dabei müssen die Antragsteller das Antragsformular mit den für die Prüfung des Antrags zu verwendenden Informationen übermitteln.127 Ist der Antrag gestellt, so entscheidet die Prüfungskommission des Justizministeriums, ob die Anbringungsanordnung der EAÜ vorläufig aufgehoben werden kann.128 Die Prüfungskommission besteht, einschließlich des Vorsitzenden, aus 5 bis 9 Mitgliedern.129 Den Vorsitz übernimmt der koreanische Generalstaatsanwalt.130 Die übrigen Mitglieder setzen sich aus Richtern, Staatsanwälten, Anwälten, dem Leiter der Bewährungsbehörde, dem Leiter der Justizvollzugsanstalt und Professoren der Rechtswissenschaft zusammen.131 Die Sitzung der Kommission findet mit der Mehrheit der Mitglieder statt. Ihre Beschlüsse werden mit der Stimmenmehrheit genehmigt.132 Bei der Prüfung der einstweiligen Aussetzung müssen die Meinungen von Experten wie Bewährungshelfer, Psychologen, klinische Psychologen und andere Gutachter berücksichtigt werden.133 Dabei ist die Persönlichkeit des Verurteilten, seine Lebensführung, Einhaltung des Anlegens der elektronischen Fußfessel und Rückfallgefahr zu prüfen. Darauf aufbauend kann die Prüfungskommission die einstweilige Aussetzung der EAÜ-Anbringung entscheiden, wenn festgestellt wird, dass die Rückfallgefahr des Täters nicht mehr besteht, und damit eine EAÜ nicht mehr als notwendig erscheint.134 Wird der Antrag abgelehnt, kann er nach 3 Monaten ab dem Zeitpunkt der Ablehnung erneut gestellt werden.135 Darüber hinaus kann die Entscheidung der Aussetzung auf Antrag des Direktors der Bewährungsstelle durch die Prüfungskommission widerrufen werden, wenn sie feststellt, dass eine Rückfallgefahr des Täters gegeben ist, da er z. B. eine bestimmte neue Tat begangen hat oder sich der Aufsicht und Leitung der Bewährungshelferin oder des Bewährungshelfers entzieht.136 127 128 129 130 131 132 133 134 135 136
korEAÜG Artikel 17 (3). korEAÜG Artikel 17, 18. Gesetz über die koreanische Bewährungshilfe Artikel 7, Abs. 1. Gesetz über die koreanische Bewährungshilfe Artikel 7, Abs. 2. Gesetz über die koreanische Bewährungshilfe Artikel 7. Abs. 3. Gesetz über die koreanische Bewährungshilfe Artikel 12. korEAÜG Artikel 18 (1). korEAÜG Artikel 18 (4), Präsidialdekret für korEAÜ 17 (1). korEAÜG Artikel 17 (2). korEAÜG Artikel 19.
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5. Kombination mit den anderen Weisungen Wenn eine EAÜ-Anbringung in Korea angeordnet wird, kann das Gericht nach § 9 – 2 des Gesetzes über die EAÜ dem Verurteilten für die Dauer des Anlegens oder für eine kürzere Zeit mindestens eine von folgenden Weisungen erteilen:137 - in der Nacht bzw. zu bestimmten Zeit nicht auszugehen (Nr. 1), - einen bestimmten Ort bzw. Bereich nicht zu betreten oder nicht zu verlassen (Nr. 2), - sich nicht der verletzten Person oder bestimmten Personen zu nähern (Nr. 3), - ein therapeutisches Programm für bestimmte Straftäter zu absolvieren (bis zu 500 Stunden) (Nr. 4), - sonstige notwendige Weisungen zur Verhinderung weiterer Straftaten und zur Besserung des Verurteilten (Nr. 5). Es ist möglich, nur eine dieser Anweisungen zu verhängen oder mehrere Weisungen gleichzeitig aufzuerlegen.138 Der Verurteilte soll darüber hinaus nach der Beendigung der Freiheitsstrafe oder der Therapieverwahrung für die Dauer der EAÜ der Bewährungshilfe nach dem „Gesetz über die Bewährungshilfe“, also der Aufsicht und Leitung einer Bewährungshelferin oder eines Bewährungshelfers, unterstehen.139 Die Bewährungshelferin oder der Bewährungshelfer soll den Betroffenen zwecks Verhinderung der Rückfallgefahr und zwecks Resozialisierung unterstützend und betreuend zur Seite stehen.140 Bei Weisungsverstößen oder bei der Verweigerung der Mitwirkung an der Nachbetreuung im Rahmen der Bewährungshilfe kann das Gericht die Verlängerung der Maßnahmendauer bis zu einem Jahr oder die Hinzufügung bzw. Änderung der Weisungen anordnen.141 6. Datenverwendung und Datenschutz Als die EAÜ zum ersten Mal eingeführt wurde, gab es Kontroversen über eine mögliche Verletzung der Privatsphäre durch die EAÜ. Um diesen Bedenken zu begegnen, hat der koreanischen Gesetzgeber gesonderte gesetzliche Bestimmungen über die Nutzung und Speicherung von Daten erlassen. Gemäß Artikel 16 des korEAÜG sollen alle Daten, die durch EAÜ gesammelt werden, nur in begrenztem Umfang verwendet werden. Die Empfangsdaten dürfen nicht zur Überprüfung oder Untersuchung bereitgestellt oder veröffentlicht werden, mit Ausnahme der in den folgenden Unterabsätzen vorgesehenen Fälle: 137 138 139 140 141
korEAÜG Artikel 9.2 (1). korEAÜG Artikel 9.2 (1). korEAÜG Artikel 9.3 und Artikel 12 i.V.m. Artikel 13. korEAÜG Artikel 15 Abs. 1. korEAÜG Artikel 14.2 Abs. 1.
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1. wenn sie als Gegenstand einer Ermittlung oder einer Verhandlung auf Grundlage eines Verdachts, dass die von der Anbringung betroffenen Personen eine besondere Straftat begangen haben, verwendet werden, 2. wenn sie von einem Bewährungshelfer verwendet werden, um für Anleitung und Unterstützung zu sorgen, 3. wenn sie von der koreanischen Bewährungsprüfungskommission gemäß Artikel 5 des Gesetzes über die koreanische Bewährungshilfe und Führungsaufsicht verwendet werden, um die vorläufige Aufhebung einer Anbringungsanordnung und deren Widerruf zu prüfen. Sofern ein Staatsanwalt oder ein justizieller Polizeibeamter gemäß Nr. 1 die Empfangsdaten überprüfen und untersuchen möchte, muss er im Voraus eine Erlaubnis vom zuständigen Amtsgericht erhalten.142 Im Fall, dass aufgrund eines dringenden Anlasses zunächst keine Erlaubnis erteilt werden kann, erfolgt die unmittelbare Erlaubnis nach dem Ersuchen um die Überprüfung und Untersuchung der Empfangsdaten, und sie wird an den Leiter der Bewährungsbehörde gesendet.143 Die Aufbewahrungsfrist der gesammelten Daten ist nicht dauerhaft. Nach Artikel 16 Absatz 2 des korEAÜG werden die Daten in den folgenden Fällen verworfen, wenn 1. eine strafrechtliche Verurteilung in Verbindung mit einer Anbringungsanordnung nach Artikel 81 des Strafgesetzes ihre Wirkung verliert; 2. eine strafrechtliche Verurteilung in Verbindung mit einer Anbringungsanordnung aufgrund einer Begnadigung ihre Wirkung verliert; 3. 5 Jahre vergangen sind, seit die von einer Anbringung eines elektronischen Geräts betroffenen Personen die Anbringungsdauer beendet haben, ohne dass diese Maßregel ausgesetzt oder die Personen zu einer härteren Strafe verurteilt sowie zur Anbringung eines elektronischen Geräts nach diesem Gesetz verpflichtet wurden. Darüber hinaus muss jeder Datenabruf mit Zeitpunkt und Namen des Mitarbeiters protokolliert werden. Diese Protokollierungspflicht soll der nachträglichen Kontrolle dienen, um feststellen zu können, ob Kenntnisnahme und Verwendung der Daten ordnungsmäßig abgelaufen und durch eine berechtigte Person erfolgt sind.144
142 143 144
korEAÜG Artikel 16 Abs. 4 Satz 1. korEAÜG Artikel 16 Abs. 5. Präsidialdekret für korEAÜ 17 (4).
116
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III. Aktuelle Praxissituation Die technische Ausgestaltung der elektronischen Überwachung mit GPS-System stellt sich so dar, dass in Korea kein 1-Track-System, sondern ausschließlich nur ein 2-Track-System verwendet wird.145 Samsung SDS hat diesbezüglich zu Beginn der elektronischen Überwachung ein Gerät hergestellt, doch seit 2011 produziert und liefert die koreanische Telekom-Firma SK-Telekom alle Geräte. Das koreanische 2Track-System besteht aus den folgenden 3 unabhängigen Geräten:146 Das erste Gerät ist ein tragbares Tracking-Gerät. Es ist wie ein Handy geformt und wiegt etwa 1 kg bis 1,5 kg. Es sendet die Position der Überwachten kontinuierlich an die Steuerungszentrale in der Bewährungsbehörde. Auch empfängt das Gerät Sprachanrufe und Textnachrichten. Wenn sich die Überwachten z. B. einem verbotenen Bereich nähern, empfangen sie automatisch eine Warntextnachricht und in einigen Fällen wird sogar eine Sprachverbindung zum Bewährungshelfer hergestellt. Das tragbare Tracking-Gerät hat eine wasserdichte Funktion. Der vordere Teil hat, ähnlich einem gängigen Mobiltelefon, ein LCD-Fenster. In diesem Fenster können die Überwachten sehen, ob sie sich in einem aufrufbaren Bereich befinden, wie auch den Ladestand der Batterie des Gerätes überprüfen. Die Batterie im tragbaren Tracking-Gerät hält bis zu 25 Stunden. Daher müssen die Überwachten das Gerät jeden Tag aufladen, Verstöße gegen diese Pflicht werden sanktioniert. Das zweite Gerät wird am Fußgelenk befestigt. Die sog. elektronische Fußfessel bestätigt, dass sich die Überwachten innerhalb von 2 Metern um das tragbare Tracking-Gerät befinden. Die Fußfessel sendet alle 40 Sekunden ein Signal an das tragbare Tracking-Gerät. Das am Fußgelenk befestigte Gerät ist ebenfalls wasserdicht und wiegt weniger als 140 Gramm. Die Betriebstemperatur des Befestigungssystems beträgt zwischen -20 8C und +50 8C, sodass es nicht beim Duschen oder im Alltag stört. Das Material besteht aus Urethan und verstärktem Edelstahl, um es zu erschweren, das Gerät zu beschädigen oder abzunehmen. Die Batterie hält bis zu 2 Jahre ab dem ersten Gebrauch und muss also nicht, wie das tragbare TrackingGerät, täglich aufgeladen werden. Das dritte Gerät dient der Hausüberwachung. Es ist im Haus der Überwachten installiert und bestätigt, ob die Überwachungspersonen zu Hause sind oder nicht, indem sie eine Funkfrequenz (RF) -Kommunikation mit dem Fußgelenkbefestigungsgerät durchführt. Für alle Maßnahmen im Zusammenhang mit der elektronischen Überwachung durch die GPS-Technik ist das koreanische Justizministerium zuständig. Im Gegensatz zu den USA liefern private Unternehmen nur die Geräte, nehmen aber nicht
145
Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 240. 146 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 241 – 246.
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am sonstigen Betrieb der EAÜ teil.147 Das Justizministerium hat zentrale Kontrollzentren in Seoul und Daejeon eingerichtet, um die elektronische GPS-Überwachung effizient zu betreiben und zu verwalten. Zum Zeitpunkt des Beginns der EAÜ wurde zunächst nur ein Kontrollzentrum in Seoul etabliert, ein weiteres danach in Daejeon, da die Anzahl der Personen, die sich unter elektronischer Überwachung befinden, allmählich anstieg. Diese beiden Zentren arbeiten für verschiedene Regionen des Landes. Seoul ist für die Bereiche Seoul, Incheon, Daegu, Gyeonggi, Gangwon und Gyeongbuk zuständig, Daejeon für die Bereiche Daejeon, Busan, Ulsan, Gwangju, Chungbuk, Chungnam, Gyeongnam, Jeonbuk, Jeonnam und die Region Jeju. Das Kontrollzentrum in Seoul bearbeitet rund 60 % aller Fälle. Für die übrigen 40 % der Fälle ist das Daejeon Kontrollzentrum verantwortlich.148 In beiden Zentren gibt es einen Kontrollraum, in dem man auf einem Bildschirm immer über die Position der Überwachten informiert wird. Die Bewegungen der Personen werden dabei durch rote Punkte angezeigt, jede Minute aktualisiert und automatisch gespeichert. Diese Bewegungen werden jedoch nicht immer vom Kontrollpersonal beobachtet. Normalerweise wird nur die Standortinformation gespeichert. Erst wenn der Warnalarm von den Überwachten ausgelöst wird, etwa weil er sich einem verbotenen Bereich nähert, reagiert das Kontrollpersonal. Insgesamt arbeiten 26 Personen im Seouler Kontrollzentrum und 16 Personen im Kontrollzentrum in Daejeon.149 Direkter Kontakt mit den Überwachten sowie Beratung und Management werden von den Bewährungsbüros regional durchgeführt. Zurzeit gibt es landesweit insgesamt 56 Bewährungsstationen mit rund 1.600 Mitarbeitern. Darunter befassen sich nur 169 Personen mit der Arbeit über die EAÜ.150 Sie treffen sich regelmäßig mit den überwachten Personen und beraten sie. Wenn ein Notfall auftritt, erhalten sie Anweisungen vom Kontrollzentrum und werden sodann mit der Polizei vor Ort eingesetzt. Als das Justizministerium im Jahr 2008 mit der GPS-elektronischen Überwachung begann, galt ein Personalschlüssel von weniger als 10 Überwachten pro Mitarbeiter. Da jedoch die Anzahl der Überwachten im Laufe der Zeit stark anstieg, standen nicht ausreichend viele Arbeitskräfte zur Verfügung. Es gab deshalb viele Beschwerden des zuständigen Personals151, und neues Personal wurde eingestellt, um
147
Vgl. Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An Evaluation Study on the Electronic Monitoring, S. 280, Fußnote 102. 148 Ders. S. 279. 149 Ders. S. 279 – 280. 150 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 181. 151 Dazu ausführlich, Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/ Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An Evaluation Study on the Electronic Monitoring, S. 314 ff.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
das Problem zu lösen, jedoch nicht in ausreichendem Maße.152 Die Zahl der elektronisch Überwachten stieg von 188 Personen im Jahr 2008 auf etwa 2.650 Personen, die mittels GPS-Elektronik überwacht wurden, im Dezember 2015 an.153 Die kumulative Zahl an Personen, die die elektronische Überwachung abgeschlossen haben, liegt bei etwa 5.000 Personen. Die rasche Zunahme der Zahl der Überwachten ist auf die Erweiterung der Tatbestände, die Verlängerung des Zeitraums des Anhangs und die rückwirkende Antragsgenehmigung durch insgesamt 4 Revisionen des Gesetzes zurückzuführen.154 Im Oktober 2016 sind etwa 80 % der elektronisch Überwachten sexuelle Gewalttäter, 15 % haben Raubüberfälle begangen und 5 % sind Kindesentführer.155 Nach den Statistiken des Justizministeriums ist bei sexuellen Gewaltkriminellen der durchschnittliche Zeitraum für die Befolgung der Weisung betreffend der EAÜ stetig ansteigend. Die Durchschnittsdauer betrug 2,5 Jahre im Jahr 2008, 4,3 Jahre im Jahr 2009, 7,5 Jahre im Jahr 2011, 9,5 Jahre im Jahr 2012, 9,9 Jahre im Jahr 2013, 10,3 Jahre im Jahr 2013 und 10,4 Jahre im Jahr 2014.156
C. Deutschland I. Einführung Deutschland ist eine Bundesrepublik, der sich aus mehreren Bundesländern zusammensetzt, ähnlich wie die Vereinigten Staaten von Amerika. Anders als die USA zählt das deutsche Recht aber zu den Rechtsordnungen des kontinentaleuropäischen Rechtskreises.157 In den meisten Rechtsordnungen des kontinentaleuropäischen Rechtskreises werden Rechtsnormen systematisch den folgenden 4 Bereichen zugeordnet: Verfassungsrecht, Öffentliches Recht, Strafrecht und Privatrecht. Deutschland ist dabei keine Ausnahme. Allerdings kann man in Deutschland zusammenfassend auch zwischen 2 Rechtsgebieten unterscheiden: das öffentliche Recht, zu dem auch das Verfassungsrecht und das Strafrecht gehören, sowie das Privatrecht, zu dem auch das Zivilrecht und das sonstige Privatrecht oder Sonderprivatrecht (Handelsrecht, Mietrecht und andere Bereiche sowie teilweise das Arbeitsrecht) gehören.158 Als Rechtsnormen gelten im deutschen Recht Verfassungsnormen, die in den Artikeln des Grundgesetzes sowie der Landesverfassungen ge152 Yeong-Su Han/Ho-Seong Kang/Hung-Seob Lee, Die elektronische Überwachung in Korea, S. 201. 153 Hye-Jeong Kim, Study on the Improvement of Electronic Monitoring System in Korea, S. 11 – 13. 154 Ders. S. 11 – 13. 155 Ders. S. 11 – 13. 156 Ders. S. 11 – 13. 157 Florian Timm, Einführung in das Deutsche Recht, S. 7 ff. 158 Timm, Einführung in das Deutsche Recht, S. 9 ff.
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regelt sind, einfachgesetzliche Normen, wie z. B. das BGB oder das StGB, Verordnungen und Satzungen des öffentlichen Rechts.159 Das strafrechtliche Sanktionssystem in Deutschland beinhaltet die Zweispurigkeit des Strafrechts, welche zwischen Strafen und Maßregeln der Besserung und Sicherung unterscheidet. Alle Strafe und Maßregeln sind im Strafgesetzbuch geregelt. § 61 StGB beschreibt die Arten der Maßregeln der Besserung und Sicherung. Die in § 61 festgelegten Maßregeln unterscheiden zwischen den verschiedenen freiheitsentziehenden Maßnahmen, wie der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus, in einer Entziehungsanstalt oder in der Sicherungsverwahrung, und weiteren freiheitsbeschränkenden Maßnahmen, wie etwa der Führungsaufsicht. Die Führungsaufsicht existiert in Deutschland seit den 1970er Jahren und hat ihren Ursprung in der sog. Polizeiaufsicht.160 Sie kann nach der Verbüßung einer Haft- oder Jugendstrafe sowie nach einer Sicherungsverwahrung angeordnet werden und soll für Täter mit einer „schlechten Sozialprognose“ eine Unterstützung bei der Wiedereingliederung in die Gesellschaft darstellen, indem die Täter begleitet und überwacht werden.161 Die Führungsaufsicht soll „durch Überwachung und Kontrolle an der Begehung weiterer Taten hindern und durch ambulante Betreuung und Hilfe bei der Bewältigung psychosozialer Schwierigkeiten in die Lage versetzen, außerhalb geschlossener Einrichtungen ein Leben ohne Straftaten zu führen“.162 Um dieses Ziel besser zu erreichen, kann das Gericht Weisungen gemäß § 68b StGB anordnen. Sie dienen also der Unterstützung bei der Resozialisierung, dem Schutz der Gesellschaft sowie der Kontrolle des Verurteilten.163 Die EAÜ in Deutschland wurde als Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht eingeführt: Sie wurde als einwilligungsunabhängige strafbewehrte Weisung ausgestaltet und in § 68b I S. 1 Nr. 12 in das Strafgesetzbuch aufgenommen. Die Einführung führte auch zu weiteren Änderungen im Strafgesetzbuch und in der Strafprozessordnung. In § 68b I S. 3, S. 4 StGB wurden wesentliche Voraussetzungen für die Weisung implementiert. Neben den Änderungen im Strafgesetzbuch wurde mit § 463a IV StPO auch eine begleitende strafprozessuale Norm geschaffen, die sich insbesondere mit der Durchführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung sowie dem Umgang mit den erlangten Daten und deren Verwendung beschäftigt.
159 Allerdings gibt es neben Rechtsnormen noch einige andere Rechtsquellen. So haben z. B. Urteile des Bundesverfassungsgerichts in den Fällen des § 31 Abs. 2 BVerfGG Gesetzeskraft. Ob anderen Gerichtsurteilen der Status einer Rechtsquelle zukommt (so genanntes Richterrecht), ist umstritten und wird im deutschen anders als im angelsächsischen Rechtskreis (Case Law) traditionell eher verneint. Das ungeschriebene Gewohnheitsrecht gehört ebenfalls zur Rechtsordnung. Vgl. Hermann Avenarius: Die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland. Eine Einführung. Bundeszentrale für politische Bildung. 160 Kwaschnik, Die Führungsaufsicht im Wandel, S. 31 ff. 161 Fischer, StGB § 68 Rn. 2. 162 Schneider, Die Reform der Führungsaufsicht, S. 441 – 442. 163 Pflieger, in: HK, GS, § 68b Rn. 1.
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II. Geltende Rechtsvorschriften 1. Anordnungsvoraussetzungen und erfasster Personenkreis Obwohl die EAÜ als Weisung der Führungsaufsicht als zwölfte Weisung in Artikel 68b des deutschen Strafgesetzbuches eingeführt wurde, ergeben sich im Vergleich zu anderen Weisungen eindeutige Merkmale. Die EAÜ hat größere direkte Auswirkungen auf das Leben der betroffenen Personen in der Gesellschaft als jede andere Weisung. Der deutsche Gesetzgeber legte daher strengere Anordnungsvoraussetzungen als bei anderen Weisungen fest, um den Grund- und Menschenrechten sowie der Strafbewehrtheit der Weisung gerecht zu werden.164 Nach § 68b Abs. 1 S. 3 StGB n.F. müssen die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ kumulativ vorliegen und beziehen sich auf die kriminelle Vergangenheit, Persönlichkeitsstruktur und die daraus resultierende festzustellende Gefährlichkeit der Straftäter. Die konkreten Voraussetzungen einer Anordnung sind in § 68b Abs. 1 Satz 3 StGB geregelt. Die EAÜ ist demgemäß nur zulässig, wenn a) die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist (Nr. 1), b) die Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe oder die Unterbringung wegen einer oder mehrerer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art verhängt oder angeordnet wurde (Nr. 2), c) die Gefahr besteht, dass die verurteilten Personen weitere Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art begehen werden (Nr. 3), d) die Weisung erforderlich erscheint, um die verurteilten Personen durch die Möglichkeit der Datenverwendung nach § 463a Absatz 4 Satz 2 der Strafprozessordnung, insbesondere durch die Überwachung der Erfüllung einer nach Satz 1 Nummer 1 oder 2 auferlegten Weisung, von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 Absatz 3 Satz 1 genannten Art abzuhalten (Nr. 4). § 68b I S. 3 Nr. 1 StGB beinhaltet Einschränkungen durch die Länge der (Gesamt) Freiheitsstrafe oder den Vollzug einer Maßregel. Er begrenzt die Anordnung der EAÜ auf solche Täter, die eine Freiheits- oder Gesamtfreiheitsstrafe, die zum Eintritt der Führungsaufsicht geführt hat, mit einer Mindestdauer von 3 Jahren verbüßen mussten. Diese zeitliche Begrenzung, die an § 66 II, III StGB angelehnt ist, hat den Zweck, dass nur Straftäter von der EAÜ erfasst werden können, die bereits eine gewisse kriminelle Karriere hinter sich haben und aufgrund der Schwere ihrer Taten zumindest 3 Jahre im Strafvollzug verbringen mussten.165 Daneben kann die Führungsaufsicht auch durch Erledigung einer Maßregel eingetreten sein und die Anordnung der EAÜ deshalb in Frage kommen. Bei Maßregelerledigung gibt § 68b I 164
Groß, in: Münchener Kommentar, StGB, § 68b Rn. 25. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c.; Groß, in: MüKo, StGB, § 68b Rn. 25. 165
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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S. 3 Nr. 1 StGB abweichend zur Verbüßung der Haftstrafe keine zeitliche Begrenzung vor. Dies hat den Grund, dass „für die erfassten Fälle der Erledigung einer freiheitsentziehenden Maßregel […] mangels Schuldfähigkeit des Täters die Verhängung einer Begleitstrafe ganz ausscheiden oder wegen verminderter Schuldfähigkeit nur eine deutlich gemilderte Begleitstrafe in Betracht kommen kann“.166 § 68b I S. 3 Nr. 2 StGB begrenzt den für eine EAÜ in Frage kommenden Personenkreis durch den direkten Verweis auf § 66 III S. 1 StGB und den dort normierten Deliktskatalog.167 Nur wenn die durch § 68b I S. 3 Nr. 1 StGB erforderliche Freiheits- oder Gesamtfreiheitsstrafe bzw. die Unterbringung im Maßregelvollzug wegen einer oder mehrerer Straftaten der in diesem Katalog genannten Delikte verhängt bzw. angeordnet wurde, ist die Anordnung der EAÜ zulässig.168 Um dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gerecht zu werden, soll eine Begrenzung des Personenkreises auf „Täter der schweren Kriminalität“ stattfinden.169 Im § 66 III S. 1 StGB werden die folgenden Delikte direkt genannt: 1. §§ 174 bis 174c StGB: Sexueller Missbrauch von Schutzbefohlenen, Gefangenen, behördlich Verwahrten, Hilfsbedürftigen, unter Ausnutzung der Amtsstellung oder eines Beratungs-, Behandlungs- oder Betreuungsverhältnisses, 2. § 176 StGB: Sexueller Missbrauch von Kindern, 3. § 179 I bis IV StGB: Sexueller Missbrauch widerstandsunfähiger Personen, 4. § 180 StGB: Förderung sexueller Handlungen Minderjähriger, 5. § 182 StGB: Sexueller Missbrauch von Jugendlichen, 6. § 224 StGB: Gefährliche Körperverletzung, 7. § 225 I oder II StGB: Misshandlung Schutzbefohlener oder der Versuch dessen wegen einer vorsätzlichen Straftat nach § 323a StGB, insofern die im Rausch begangene Tat eine der vorgenannten rechtswidrigen Taten ist. § 66 III S. 1 StGB beinhaltet zudem einen weiteren Verweis, nämlich auf § 66 I Nr. 1 a, b StGB.170 Dieser benennt als Anordnungsvoraussetzung der Sicherungsverwahrung die Begehung folgender Anlassstraftaten: 1. Straftaten gegen das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung, 2. Friedensverrat, Straftaten gegen die öffentliche Ordnung, Raub oder Erpressung sowie gemeingefährliche Straftaten,
166 167 168 169 170
BT-Drs. 17/3403, S. 36. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 102. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c. BT-Drs. 17/3403, S. 36. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 102.
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3. Straftaten, die unter das Völkerstrafgesetzbuch oder das Betäubungsmittelgesetz fallen. So soll nach dem deutschen gesetzgeberischen Willen eine Begrenzung des Personenkreises auf Gewalt- und Sexualstraftaten stattfinden, mit welchen die Rechtsgüter Leib, Leben, Freiheit und sexuelle Selbstbestimmung geschädigt werden können.171 Diesbezüglich gab es eine Modifikation der Voraussetzungen. Durch das 53. StÄG – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftaten – mit Wirkung ab dem 1. 7. 2017 ist § 68b I S. 5 eingefügt worden. Danach genügt abweichend von Satz 3 Nr. 1 eine Freiheits- oder Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren, wenn diese wegen einer oder mehrerer Straftaten verhängt worden ist, die unter den Ersten oder Siebenten Abschnitt des Besonderen Teils des Strafgesetzbuches fallen. Zu den in Satz 3 Nummer 2 bis 4 genannten Straftaten gehört auch eine Straftat nach § 129a Absatz 5 Satz 2, auch in Verbindung mit § 129b Absatz 1. Damit sollen insbesondere Taten nach §§ 89a172, 89c173, und 129a174 in den Bereich von I S. 1 Nr. 12 und S. 3 miteinbezogen werden.175 2. Gefährlichkeitsprognose und Erforderlichkeit Hinsichtlich der 4 Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ gibt es neben den genannten formellen Voraussetzungen(§ 68b I S. 3 Nr. 1, Nr. 2 StGB) die materiellen Voraussetzungen, die in den zum Zeitpunkt der Anordnung in den Merkmalen der Täter bestehen.176 Durch die materiellen Voraussetzungen werden die Merkmale der „Gefährlichkeit“ von Straftätern und der „Erforderlichkeit“ der Weisung definiert. Nach § 68b I S. 3 Nr. 3 StGB muss eine näher zu bestimmende Gefahr vorliegen, wegen der es nach § 68b I S. 3 Nr. 4 StGB erforderlich erscheint, die elektronische Aufenthaltsüberwachung anzuordnen.177 § 68b I S. 3 Nr. 3 StGB enthält 2 wesentliche Informationen. Zum einen muss die Gefahr bestehen, dass die verurteilten Personen erneut straffällig werden, zum anderen muss sich diese Straffälligkeit erneut auf Straftaten der in § 66 III S. 1 StGB genannten Art – also insbesondere schwere Taten wie Gewalt- und Sexualdelikte – beziehen, damit die Anordnung einer elektronischen Aufenthaltsüberwachung in Betracht kommt.178 Besteht hingegen lediglich die Gefahr, dass „andere, weniger schwere Straftaten“ begangen werden könnten, kann die elektronische Aufent171 172 173 174 175 176 177 178
BT-Drs. 17/3403, S. 17. § 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. § 89c Terrorismusfinanzierung. § 129a Bildung terroristischer Vereinigungen. BT-Drs. 18/11162, S. 5 f., S. 10 f. Fischer, StGB, § 68b Rn. 14a. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 104. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 105.
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haltsüberwachung nicht angeordnet werden.179 Für die Feststellung dieser Gefahr ist eine Prognose notwendig, die eine Gesamtwürdigung des Täters, seiner Persönlichkeit, seiner Taten und seines Verhaltens während des Strafvollzugs oder der Unterbringung beinhalten muss.180 Es muss keine konkrete Kenntnis eines bestimmten Deliktes vorliegen.181 Nicht ausreichend ist jedoch die auf bloßen Statistiken beruhende Möglichkeit der Begehung eines Gewalt- oder Sexualdeliktes.182 Notwendig ist das Vorliegen einer „begründeten Wahrscheinlichkeit“.183 Die „Gefährlichkeitsprognose“ muss für die Anordnung einer EAÜ also nicht nur negativ ausfallen, sondern sich bereits konkret auf eine Gefahr ausrichten, nämlich die Gefahr der erneuten Begehung einer schweren Straftat.184 Eine Besonderheit hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose ist, dass für die Beurteilung der Gefährlichkeit der Betroffenen kein Sachverständiger bestellt werden muss. Der deutsche Gesetzgeber nahm an, dass der Eingriff der EAÜ nicht vergleichbar mit jenem einer freiheitsentziehenden Maßregel sei.185 Somit kann das zuständige Gericht die durch die Personen drohenden Gefahren grundsätzlich ohne Bestellung eines Sachverständigen feststellen.186 Dies kann in der Praxis unter anderem auf der Grundlage fachärztlicher schriftlicher Stellungnahmen vorgenommen werden.187 Diesbezüglich wird in der Literatur behauptet, dass aufgrund des Amtsaufklärungsgrundsatzes die Einholung eines Sachverständigengutachtens erforderlich sei.188 § 68b I S. 3 Nr. 4 StGB soll für die Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sorgen.189 Enthalten sind hierbei 2 wesentliche Merkmale, die es zu beachten gilt: Zum einen geht es um die Bestimmung des Merkmals der „Erforderlichkeit“ und zum anderen um das Mittel, mit dem das Ziel des Abhaltens von Straftaten erreicht
179 Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 313. 180 Jehle, in: SSW, StGB, § 68b Rn. 16. 181 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c. 182 Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB § 68b Rn. 14c. 183 BT-Drs. 17/3403, S. 37. 184 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 105. 185 In einer freiheitsentziehenden Maßregel sehe das Gesetz die zwingende Beteiligung eines Gutachters vor. BT-Drs. 17/3403, S. 37. 186 Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 313. 187 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 63. 188 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 106; Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 63; Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c. Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 313. 189 Heuchemer, in: BeckOK, StGB, § 68b Rn. 15.4.
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werden soll.190 Gemäß § 68b I S. 3 Nr. 4 StGB muss die EAÜ als „Weisung erforderlich (und geeignet)“ erscheinen, um die verurteilten Personen von der Begehung weiterer Straftaten der in § 66 III S. 1 StGB genannten Art abzuhalten. Durch die Forderung einer „konkreten Erforderlichkeit der Maßnahme“ erhöht der Gesetzgeber die Zulässigkeitsvoraussetzungen im Gegensatz zu den anderen Weisungen aus § 68b I S. 1 StGB.191 Darüber hinaus nennt § 68b I S. 3 Nr. 4 StGB auch die Art und Weise, wie der Verurteilte nach Meinung des Gesetzgebers davon abgehalten werden soll, erneut straffällig zu werden: nämlich durch die bestehende Möglichkeit der Datenverarbeitung nach § 463a IV S. 2 StPO. § 463a IV StPO beinhaltet 5 „Verwertungsbegrenzungen“, die bestimmen, in welcher Weise die durch die EAÜ gewonnenen Daten überhaupt genutzt werden dürfen.192 Die Erwähnung der begleitenden strafprozessualen Norm hat auch eine begrenzende Funktion. § 68b I S. 3 Nr. 4 StGB sieht nämlich vor, dass die in § 463a IV StPO genannten Verwertungsformen für die Erhebung und Nutzung der Positionsdaten geeignet sein müssen, die überwachten Personen von der weiteren Begehung der in § 66 III S. 1 StGB genannten Straftaten abzuhalten.193 § 68b I S. 1 Nr. 4 StGB zeigt weitere Fallkonstellationen, in denen die EAÜ angeordnet werden darf.194 Besonders hervorgehoben wird die Überwachung aufenthaltsbezogener Weisungen gemäß § 68b I S. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB durch die EAÜ. Damit gibt der Gesetzgeber nicht nur vor, wie die verurteilten Personen von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werden sollen, sondern nennt eine bevorzugte Anwendungsgruppe für die EAÜ, nämlich die Kombination mit den aufenthaltsbezogenen Weisungen aus § 68b I S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 StGB. Die EAÜ soll nach dem Willen des Gesetzgebers folglich dazu geeignet sein, die Weisung, den Wohnoder Aufenthaltsort oder einen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis zu verlassen (§ 68b I S. 1 Nr. 1 StGB), oder die Weisung, sich nicht an einem Ort aufzuhalten, der Anreiz bzw. Gelegenheit für die Begehung weiterer Straftaten bieten könnte (§ 68b I S. 1 Nr. 2 StGB), zu überwachen.195 Der Gesetzgeber erhofft sich so eine nachhaltigere und effektivere Kontrollierbarkeit dieser Weisungen, als das bislang durch stichprobenartige Kontrollen der Fall war.196
3. Überwachungsdauer Da die EAÜ in Deutschland eine Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht bedeutet, ist die Dauer der EAÜ auch eng mit der Dauer der Führungsaufsicht 190 191 192 193 194 195 196
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 106. Groß, in: MüKo, StGB, § 68b Rn. 25. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 107. Fischer, StGB, § 68b Rn. 14a. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 107. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c. BT-Drs. 17/3403, S. 17.
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verbunden. § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB regelt, dass das zuständige Gericht die verurteilten Personen für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen kann, die für eine elektronische Überwachung ihres Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Also stellt sich mithin die Frage, wie lange die Dauer der Führungsaufsicht sein muss. Dies ist in § 68c StGB geregelt. Bei der Dauer einer Führungsaufsicht ist grundsätzlich zwischen der Möglichkeit einer befristeten Anordnung und der einer unbefristeten Anordnung zu unterscheiden.197 § 68c I StGB enthält als Grundregel die befristete Anordnung der Führungsaufsicht und bestimmt, dass sie mindestens 2 Jahre und höchstens 5 Jahre andauern kann. Wird über die Dauer nicht explizit entschieden, gilt automatisch die Höchstfrist von 5 Jahren.198 Abweichend zu § 68c I StGB beinhaltet § 68c II, III StGB verschiedene Ausnahmeregelungen zur Überschreitung der Höchstdauer durch Anordnung einer unbefristeten Führungsaufsicht. Gemäß § 68c III Nr. 2 StGB ist es möglich, die Führungsaufsicht dann unbefristet anzuordnen, wenn sich aufgrund eines Verstoßes gegen eine Weisung (§ 68b I, II StGB) oder aufgrund anderer bestimmter Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung weiterer erheblicher Straftaten gegeben ist und entweder § 68c III Nr. 2a StGB oder § 68c III Nr. 2b StGB positiv vorliegt.199 Für die Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung ist § 68c III Nr. 2b StGB maßgeblich. Durch diese Norm ist es möglich, die Führungsaufsicht bei Personen unbefristet zu verlängern, die unter elektronischer Aufenthaltsüberwachung stehen, wenn ein Weisungsverstoß bekannt wird oder sich konkrete Anhaltspunkte ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 68c III Nr. 2b StGB gegeben ist.200
4. Gerichtliche Überprüfung der Fortdauer Nach § 68d I S. 1 Nr. 12 StGB kann das zuständig Gericht während der Dauer der Führungsaufsicht die Weisung einer EAÜ nachträglich anordnen, ändern oder aufheben. Dies gilt selbstverständlich auch für eine neue Weisung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Wie bereits erwähnt, hat der deutsche Gesetzgeber wegen der im Vergleich zu den sonstigen Weisungen des § 68b Abs. 1 StGB größeren Eingriffsintensität für die gerichtliche Überprüfung der EAÜ eine zusätzliche Sicherung in § 68d Abs. 2 S. 1 eingefügt. Demnach hat das Gericht spätestens vor Ablauf von 2 Jahren von Amts wegen zu prüfen, ob die Weisung aufzuheben ist. Aufzuheben ist die Weisung dann, wenn es der Fortsetzung der Überwachungsmaßnahme nicht mehr bedarf oder wenn deren Voraussetzungen nicht mehr 197 198 199 200
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 127. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68c Rn. 1. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 127. BT-Drs. 17/3403, S. 19.
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vorliegen. Dabei ist insbesondere maßgeblich, dass die in § 68b Abs. 1 S. 3 Nr. 3 oder 4 StGB genannten Bedingungen nicht mehr vorliegen.201 Erhebliches Gewicht wird dabei stets auch der Frage beigemessen, ob eine weitere Fortdauer der Überwachung noch verhältnismäßig ist.202 An der aktuellen 2-jährigen gerichtlichen Überprüfungsfrist wird kritisiert, dass sie zeitlich zu weit gefasst sei. Anne Bräuchle und Jörg Kinzig argumentieren, dass die EAÜ eine eingriffsintensive Weisung ist, und dass diese Periode auf 1 Jahr reduziert werden solle, da vollständig erforscht werden kann, ob sich die unter EAÜ gestellte Person in einem Jahr geändert hat.203 5. Kombination mit den anderen Weisungen Die als zwölfte Weisung im § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB neu eingebrachte EAÜ wird zu präventiven Zwecken auferlegt. Neben dieser rein spezialpräventiven Überwachungsmöglichkeit bestehen auch Kombinationslösungen, mit denen auf bestimmte Betreuungsbedürfnisse der überwachten Personen reagiert werden kann. Das Gesetz nennt die Kombination der EAÜ mit den aufenthaltsbezogenen Weisungen aus § 68b I S. 1 Nr. 1, Nr. 2 StGB explizit.204 § 68b I S. 1 Nr. 1 StGB beinhaltet das Gebot, den Wohn- oder Aufenthaltsort oder einen anderen bestimmten Bereich nicht ohne Erlaubnis der Aufsichtsstelle zu verlassen. Die Weisung aus § 68b I S. 1 Nr. 2 StGB hingegen verbietet, sich an einem bestimmten Ort aufzuhalten, der Anreiz zur Begehung weiterer Straftaten bieten könnte. Ihre Einhaltung war jedoch bislang nur stichprobenartig zu kontrollieren.205 Durch den Einsatz der EAÜ kann nun die Einhaltung der aufenthaltsbezogenen Weisungen besser kontrolliert werden, da die Ge- oder Verbotszonen in die Computer der Überwachungsstelle eingespeist und die Positionsdaten im Rahmen der Datenerhebung und -verarbeitung mit diesen abgeglichen werden und bei einem Weisungsverstoß Alarm ausgelöst wird.206 Darüber hinaus kann nach dem Willen des Gesetzgebers die EAÜ auch mit dem Kontaktverbot mit einem Opfer (§ 68b I S. 1 Nr. 3 Var. 1 StGB) der überwachten Personen bzw. gegen einzelne Personen und Personengruppen kombiniert werden, die kriminogene Reize auf die überwachten Personen haben können (§ 68b I S. 1 Nr. 3 Var. 2, 3 StGB.).207
201
BT-Drucks. 17/3403, S. 63. Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 315. 203 Bräuchle/Kinzig, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht – Kurzbericht S. 19. 204 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 111. 205 BT-Drs. 17/3403, S. 17. 206 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 111. 207 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62. 202
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6. Datenverwendung und Datenschutz Da die EAÜ den Standort der Personen 24 Stunden am Tag durch elektronische Geräte überwacht, ist die Gefahr hoch, dass gegen das Recht auf Privatsphäre der betroffenen Personen verstoßen wird. Daher hat der deutsche Gesetzgeber mithilfe des GÜLStV (Staatsvertrag über die „Einrichtung einer gemeinsamen Überwachungsstelle für elektronische Fußfesseln“) und des Strafprozessgesetzes vorgehabt, die Positionsdaten der unter EAÜ gestellten Person stark zu schützen. Somit regeln Art. 3 und Ar. 4 GÜLStV die datenschutzrechtlichen Bestimmungen. Gemäß Art. 3 III GÜLStV muss die GÜL die gewonnenen Daten gegen unbefugte Kenntnisnahme Dritter schützen. Diese Daten dürfen nur dann eingesehen werden, wenn Anlass dazu besteht, z. B. durch einen Weisungsverstoß.208 Gemäß Art. 4 GÜLStV ist eine Übermittlung personenbezogener Daten an die HZD nur dann erlaubt, wenn es ausnahmsweise erforderlich ist oder die überwachten Personen eingewilligt haben. Weitere Regelungen zum Datenschutz und darüber hinausgehende Schutzbestimmungen mit Relevanz für die Durchführung der EAÜ sind im § 463a IV StPO enthalten, nämlich in § 463a IV S. 1Hs. 1 StPO209, der die Rechtsgrundlage für das Erheben und Speichern der durch die EAÜ gewonnenen Positionsdaten enthält.210 Diese Rechtsgrundlage ermöglicht die Speicherung aller erhobenen Daten. Einen Sonderfall dieser weiten Datenerhebungs- und Speicherungsbefugnis aus § 463a IV S. 1 Hs. 1 StPO stellt der Wohnbereich der überwachten Personen dar. Gemäß § 463a IV S. 1 Hs. 2 StPO211 soll der Wohnraum der überwachten Personen ein von der Datenerhebung ausgenommener Raum sein, um dem grundrechtlich besonders geschützten Bereich gerecht zu werden.212 So soll den überwachten Personen ihr Recht auf einen innersten Rückzugsraum bzw. der Kernbereich privater Lebensführung und ihre Intimsphäre gewährt werden, in dem sie keiner Kontrolle des Staates ausgesetzt ist.213 § 463a IV S. 2 StPO regelt die Verwendung und Zweckbindung der erhobenen Daten. Gemäß § 463a IV S. 2 StPO dürfen die Daten ohne Einwilligung der betroffenen Personen nur verwendet werden, soweit dies für die folgenden Zwecke erforderlich ist: 1. zur Feststellung des Verstoßes gegen eine Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 12 des Strafgesetzbuches, 208
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 86. „Die Aufsichtsstelle erhebt und speichert bei einer Weisung nach § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB mithilfe der von der verurteilten Person mitgeführten technischen Mittel automatisiert Daten über deren Aufenthaltsort sowie über etwaige Beeinträchtigungen der Datenerhebung“. 210 BT-Drs. 17/3403, S. 43. 211 „Soweit es technisch möglich ist, ist sicherzustellen, dass innerhalb der Wohnung der verurteilten Person keine über den Umstand ihrer Anwesenheit hinausgehenden Aufenthaltsdaten erhoben werden.“ 212 BT-Drs. 17/3403, S. 44. 213 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 116. 209
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
2. zur Ergreifung von Maßnahmen der Führungsaufsicht, die sich an einen Verstoß gegen eine Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 12 des Strafgesetzbuches anschließen können, 3. zur Ahndung eines Verstoßes gegen eine Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 12 des Strafgesetzbuches, 4. zur Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung Dritter, 5. zur Verfolgung einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches genannten Art. So soll erreicht werden, dass die Aufsichtsstelle nur dann vom Aufenthaltsort der Betroffenen Kenntnis erlangt, wenn dies zur Erfüllung eines der gesetzlich vorgesehenen Verwendungszwecke erforderlich ist.214 § 463a IV S. 3 StPO enthält in Verbindung mit § 463a IV S. 1 StPO die Automatisierung der Verarbeitung der erhobenen Daten. Demgemäß sollen die Datenerhebung und die Verarbeitung der Daten automatisiert erfolgen, um die überwachten Personen vor einer unzulässigen Überwachung durch die Aufsichtsstelle zu schützen.215 § 463a IV S. 5 StPO betrifft die Löschung der durch die EAÜ gesammelten Positionsdaten. Demgemäß sind die Aufenthaltsdaten 2 Monate nach ihrer Erhebung und Speicherung zu löschen, wenn sie nicht für die gesetzlich vorgesehenen Zwecke verwendet werden. Wenn sie für einen der in § 463a IV S. 2 StPO genannten Zwecke benötigt werden, ist eine Speicherung über 2 Monate hinaus möglich.216 Eine Speicherung ohne einen dieser Verwendungszwecke „auf Vorrat“ lässt die Regelung nicht zu.217 Bei strafprozessualer Nutzung der Daten gelten die Regelungen zur Datenverarbeitung für Zwecke eines laufenden oder künftigen Strafverfahrens, §§ 483 ff. StPO.218 § 463a IV S. 6 StPO bestimmt, dass jeder Datenabruf mit Zeitpunkt und Namen des Mitarbeiters zu protokollieren ist. Diese Protokollierungspflicht soll der nachträglichen Kontrolle dienen, um feststellen zu können, ob sich Kenntnisnahme und Verwendung der Daten im Rahmen der Zweckbindung nach Satz 2 bewegt haben und durch eine berechtigte Person erfolgt sind.219 Damit kommt dieser Pflicht auch eine
214 Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 314. 215 BT-Drs. 17/3403, S. 46. 216 BT-Drs. 17/3403, S. 47. 217 BT-Drs. 17/3403, S. 47. 218 BT-Drs. 17/3403, S. 47. 219 BT-Drs. 17/3403, S. 48.
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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präventive Bedeutung zu.220 Die protokollierten Daten sind spätestens nach 12 Monaten zu löschen.221 Nach § 463a IV S. 8 StPO ist darüber hinaus auch die Tatsache der Kenntnisnahme der Daten und ihre Löschung zu dokumentieren. Diese Regelung dient gemeinsam mit § 463a IV S. 1 Hs. 2, S. 7 StPO dem Schutz des Wohnraums. Sollte ein Ausschluss der Erhebung von Wohnraumdaten aus technischen Gründen nicht möglich sein, dient § 463a IV S. 8 StPO der Dokumentation der Erhebung nach der Kenntnisnahme der Existenz der Daten. Der Zeitpunkt ist absichtlich auf die Kenntnisnahme der Existenz gelegt worden, damit die Aufsichtsstelle nicht verpflichtet ist, regelmäßig zu überprüfen, ob Wohnraumdaten angefallen sein könnten.222 Die Aufsichtsstelle hat die gewonnenen Daten auch gerade nicht regelmäßig zu sichten, um eine Löschung zu ermöglichen.223
III. Aktuelle Praxissituation Die technische Ausgestaltung der GPS-elektronischen Überwachung in Deutschland beruht auf einem 1-Tack-System. Die Überwachten tragen ein Band mit einem GPS-Empfänger und einem Modul für Mobilfunk oberhalb des Fußknöchels. Diese Maschine am Knöchel ist etwa 15 Zentimeter lang und 180 Gramm schwer. Außerdem ist sie wasserfest, manipulationssicher und für Allergiker geeignet.224 In kurzen Abständen gibt dieses Fußband Signale an eine Überwachungszentrale ab, die dort automatisch mit den Standortsdaten und im System vermerkten Gebots- und Verbotszonen abgeglichen werden. In Deutschland ist für die Durchführung der EAÜ die Gemeinsame elektronische Überwachungsstelle der Länder (GÜL) zuständig.225 Die an der IT-Stelle der Hessischen Justiz in Bad Vilbel angesiedelte GÜL nahm am 1. 1. 2012 ihren Betrieb auf. Insgesamt 16 Personen sind in der GPS-elektronischen Überwachung tätig. Nach der Präambel des Staatsvertrages ist es der Zweck und die Aufgabe der GÜL, die eingehenden Ereignismeldungen, insbesondere zu Weisungsverstößen oder einer Beeinträchtigung der Datenerhebung, jederzeit entgegenzunehmen.226 Im Büro der GÜL gibt es einen Bildschirm, auf dem gegebenenfalls der Standort der Überwachten visualisiert werden kann, und dessen Standortsinformationen in den Daten gespeichert werden. Abhängig vom Ergebnis der Bewertung der Positionsdaten kontaktiert die GÜL die Überwachten, informiert die zuständigen Stellen der Länder (Polizei, Bewährungshilfe, Führungsaufsichtsstelle) 220
BT-Drs. 17/3403, S. 48. StPO § 488 III S. 5. 222 BT-Drs. 17/3403, S. 44. 223 BT-Drs. 17/3403, S. 44. 224 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62. 225 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62. 226 Vgl. Präambel Abs. 2 ElektÜberwStStVtr. 221
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
zwecks Einleitung von Maßnahmen oder veranlasst eine Überprüfung der Funktionstüchtigkeit bzw. einen Austausch des GPS-Gerätes.227 Im Fall einer Alarmmeldung arbeiten Polizei und GÜL zusammen. Die Polizei kann zum einen beim Eingang einer Meldung eingreifen, wenn eine Deeskalation oder ein Aufklären der Situation durch die GÜL nicht möglich oder erfolglos ist. Zum anderen ist ein polizeiliches Eingreifen im Falle der Gefahrenabwehr oder zur Strafverfolgung möglich. In diesen Fällen kann die Polizei auf die von der GÜL gesammelten und verwalteten Daten zugreifen und sie für die Verfolgung oder das Auffinden der überwachten Personen nutzen.228 Von den bislang insgesamt 15.032 Ereignismeldungen bei der elektronischen Aufenthaltsüberwachung zogen 739 eine Polizeiunterrichtung nach sich.229 Von der EAÜ wird in Deutschland derzeit quantitativ nur in geringem Umfang Gebrauch gemacht. Am Stichtag 31. Dezember 2016 unterlagen 88 Probanden in elf Bundesländern der elektronischen Aufenthaltsüberwachung, 63 davon wegen eines Sexual- und 25 wegen eines Gewaltdelikts. Hiervon waren 20 Überwachungen wegen Untersuchungshaft o. ä. unterbrochen.230
D. Vergleichende Zusammenfassung I. Personenkreis und Anwendungsgebiet in strafrechtlichen Sanktionen Die EAÜ wird in den USA, Südkorea und Deutschland nicht bei Kleinkriminellen angewandt, sondern bei Straftätern, die schwere Verbrechen begangen haben. Der spezifische Personenkreis der EAÜ ist von Land zu Land, in den USA sogar von Bundesstaat zu Bundesstaat, unterschiedlich. Dennoch sind schwere Gewalt- und Sexualstraftäter in allen 3 Ländern die Hauptadressaten der EAÜ. Diesbezüglich ist auffällig, dass sich in Deutschland die EAÜ nicht nur an schwere Gewalt- und Sexualstraftäter richtet, sondern auch das islamistische Gefährden fällt in den Anwendungsbereich der EAÜ. Die EAÜ wurde in den 3 Ländern eingeführt, um gefährliche Straftäter, die aus dem Gefängnis oder der Maßregelvollzugsanstalt entlassen worden sind, intensiv zu kontrollieren. Deshalb zeichnen sich alle 3 Länder durch den Einsatz der EAÜ in Kombination mit Bewährungshilfe oder Führungsaufsicht in ihrem Strafrechtssystem aus. Die EAÜ wird in den USA in Kombination mit „U.S. Probation“ und „U.S. Parole“ durchgeführt sowie in Korea in Kombination mit der koreanischen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht. In Deutschland ist die EAÜ eine von 12 227 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 62. 228 Hessisches Ministerium der Justiz, Justizministerin Eva Kühne-Hörmann zieht Bilanz. 229 Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 2. Januar 2017. 230 Pressemitteilung des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 2. Januar 2017.
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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Weisungen der Führungsaufsicht, die nach Beendigung der Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung durchgeführt wird.
II. Anordnungsvoraussetzungen Die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ in allen 3 Ländern stehen in direktem Zusammenhang mit folgenden Faktoren: 1. Vorstrafe der besonderen Straftat, 2. Rückfälligkeitsgefahr, 3. Alter der Opfer und Dauer der Freiheitsstrafe. Welche dieser 3 Faktoren für die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ entscheidend ist, wird in den 3 Ländern unterschiedlich geregelt. In den Vereinigten Staaten hat jeder Bundesstaat, der die EAÜ übernimmt, seine eigenen gesetzlichen Bestimmungen. In manchen Staaten wie Florida wird die EAÜ unabhängig vom Prüfungsergebnis des individuellen Rückfallrisikos des Täters zwingend nach der Vorstrafe angeordnet, wenn er eine schwere Sexualstraftat begangen hatte. In Kalifornien ist zur Anordnung der EAÜ neben den Vorstrafen der schweren Gewalt- und Sexualstraftaten eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit erforderlich. Einige Staaten bestimmen auch noch weitere Faktoren als Anordnungsvoraussetzung der EAÜ, wie etwa das Alter des Opfers. So kann ein Gericht in Michigan nur dann eine lebenslange EAÜ ausstellen, wenn der Täter 17 Jahre oder älter und das Opfer unter 13 Jahre alt ist. Die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ in Südkorea sind die Rückfallwahrscheinlichkeit und die Verbüßung von Vorstrafen der schweren Gewaltstraftaten und Sexualstraftaten. Dies ist ähnlich zu den Voraussetzungen in Deutschland. Die Anordnungsvoraussetzungen der deutschen EAÜ gelten, wenn Straftäter a) eine in § 66 Absatz 3 Satz 1 StGB geregelte Straftat begehen und b) eine Wiederholungsgefahr besteht sowie c) die Führungsaufsicht auf Grund der vollständigen Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder Gesamtfreiheitsstrafe von mindestens 3 Jahren oder auf Grund einer erledigten Maßregel eingetreten ist. Im Vergleich der Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ in den 3 Ländern ist zu erkennen, dass in den Vereinigten Staaten, wenn auch von Staat zu Staat unterschiedlich, die Anforderungen bezüglich der Anordnung der EAÜ am Geringsten sind. Denn in einigen US-Staaten reicht es für die EAÜ aus, eine besondere Straftat zu begehen, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Einer Wiederholungsgefahr bedarf es nicht.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
III. Begutachtung der Gefährlichkeitsprognose In den Vereinigten Staaten sind, wie bereits erwähnt, in vielen Bundesstaaten Urteile über das Wiederholungsrisiko der Straftat keine wesentliche Voraussetzung für die Anordnung der EAÜ. Daher gibt es in diesen Staaten keine zwingende Voraussetzung für eine gesonderte Risikobewertung der Rückfälligkeit, wenn ein Gericht die EAÜ anordnet. In Staaten, in denen für die Anordnung der EAÜ eine Bewertung des Wiederholungsrisikos der Straftat gefordert ist, wird ein Prognoseinstrument wie „Static-99“ verwendet, um hinsichtlich der betreffenden Personen zu bewerten, ob sie als gefährlicher Sexualstraftäter in Betracht kommen. Im korEAÜG gibt es keine Vorschrift, wonach der Richter den Prüfbericht des externen Sachverständigen berücksichtigen muss, um das Rückfallrisiko der Überwachten genauer zu bestimmen. Nach dem korEAÜG muss jedoch die Staatsanwaltschaft bei der Anbringungsordnung über EAÜ, sofern es notwendig erscheint, die Ergebnisse des externen Sachverständigengutachtens über die Überwachten berücksichtigen. Bei Beurteilung des Rückfallrisikos durch den Sachverständigen wird als Prognoseinstrument hauptsächlich KSORAS („Korea Sex Offender Risk Assessment Scale-Situational Crime Prevention“) verwendet. Auch in Deutschland gibt es keine gesetzliche Pflicht über die Einholung eines Sachverständigengutachtens bei der Anordnung der EAÜ. Nur im Einzelfall kann das Gericht zur Beauftragung eines Sachverständigen verpflichtet sein. Dabei werden als Prognoseinstrumente die PCL-R („Psychopathy-Checklist-Revised“), der HCR-20 („Historical-Clinical-Risk 20“), der SVR-20 („Sexual-Violence-Risk 20“) und STATIC 99 angewandt.
IV. Überwachungsdauer Da in den USA jeder Bundesstaat über eigene Regeln bezüglich der EAÜ verfügt, ist auch die Dauer der Überwachung von Personen je nach Bundesstaat unterschiedlich. In vielen Bundesstaaten wird die EAÜ lebenslang angeordnet. In Florida oder Massachusetts wird die EAÜ während der Bewährungszeit durchgeführt. Im US-Bundesstaat Arkansas wird die EAÜ für mindestens 10 Jahre angeordnet. Wird die EAÜ in Korea angeordnet, nachdem die Strafvollstreckung vollständig beendet worden ist, kann das Gericht den Zeitraum von 1 Jahr bis auf 30 Jahre festlegen. Im Falle der Aussetzung des Strafrestes bei Freiheitsstrafe und der vorläufigen Beendigung der koreanischen Therapieunterbringung wird die EAÜ während der Zeit der koreanischen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht durchgeführt. Die deutsche EAÜ ist eine Weisung der Führungsaufsicht, weshalb die Überwachungsdauer der Dauer der Führungsaufsicht entspricht. Die Dauer der deutschen Führungsaufsicht beträgt in der Regel 2 bis 5 Jahre. Allerdings kann es davon Ausnahmen geben, so etwa wenn nach 5-jähriger Führungsaufsicht immer noch die
Kap. 1: Gegenwärtige rechtliche Ausgestaltung sowie Praxissituation
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Rückfälligkeitsgefahr besteht. Die Dauer kann dann auf unbestimmte Zeit erweitert werden. Gleiches gilt für die EAÜ, wenn ein Weisungsverstoß bekannt wird oder sich konkrete Anhaltspunkte ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch die Begehung erheblicher Straftaten im Sinne des § 68c III Nr. 2b StGB gegeben ist. Wenn man die Überwachungsdauer der EAÜ zwischen den 3 Ländern vergleicht, ist zu erkennen, dass die Bestimmungen in einigen US-Bundesstaaten streng geregelt sind. In 11 Bundesstaaten, einschließlich Kalifornien, wird die EAÜ auf bestimmte Sexualstraftäter lebenslang verhängt, was auch in der Realität so praktiziert wird. In Deutschland ist ebenfalls die lebenslange EAÜ theoretisch möglich. Im Gegensatz zu einigen US-Bundesstaaten, kann ein deutsches Gericht jedoch die EAÜ von Anfang an anordnen. Grundsätzlich liegt die Überwachungsdauer zwischen 2 bis 5 Jahren und unterscheidet sich von einigen US-Staaten dadurch, dass die Verlängerung der Dauer möglich ist, wenn die betroffenen Personen den Weisungen in diesem Zeitraum nicht folgen, oder wenn am Ende immer noch eine Wiederholungsgefahr besteht. In Korea hingegen kann keine lebenslange EAÜ verhängt werden. Die maximale Dauer beträgt 30 Jahre, aber es existiert noch kein Fall, bei dem die Überwachungsdauer auf 30 Jahre verhängt wurde. Es ist jedoch zu festzustellen, dass die Dauer der EAÜ in der Praxis in Korea zunimmt. Im Jahr 2008, als die erste EAÜ eingeführt wurde, belief sich die Überwachungsdauer auf 2,5 Jahre, aber ab 2014 betrug die durchschnittliche Dauer der EAÜ 10,4 Jahre, womit sich die Dauer der Maßnahme in 6 Jahren vervierfacht hat.
V. Gerichtliche Überprüfungen für die vorläufige Aufhebung der Anbringungsanordnung In meisten Bundesstaaten der USA existiert keine vorläufige Aufhebung der Anbringungsanordnung der EAÜ. Doch in einigen Ländern ist es ausnahmsweise möglich, dass die Richter vor dem Ende der Frist der EAÜ die EAÜ aufheben können. In Missouri wird z. B. eine lebenslange EAÜ gegen Straftäter angeordnet, die eine bestimmte Straftat begangen haben. Hat der Täter jedoch das 65. Lebensjahr erreicht, so kann das Gericht das Rückfälligkeitsrisiko überprüfen und die lebenslange EAÜ aufheben. In Korea können die unter EAÜ gestellten Personen, ihre gesetzlicher Vertreter oder die Leiter der zuständigen Bewährungsbehörden nach Ablauf von 3 Monaten, nachdem die Anbringungsanordnung vollstreckt wurde, die Aufhebung der EAÜ beantragen. Die Prüfungskommission ist nicht das Gericht, das die Anbringungsordnung der EAÜ ausgesprochen hat, sondern besteht aus mindestens 5 bis 9 Experten, die sich aus Richtern, Staatsanwälten, Anwälten, dem Leiter der Bewährungsbehörde, dem Leiter der Justizvollzugsanstalt und Professoren der Rechtswissenschaft zusammensetzen. Die Aufhebung wird mit der Mehrheit der Mitglieder der Kommission genehmigt, wenn keine Gefährlichkeit der betroffenen Personen zu erkennen ist. In einem solchen Fall wird die Anordnung der EAÜ sofort aufgehoben.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Im Falle einer Ablehnung hingegen kann der Aufhebungsantrag wiederum ab 3 Monaten nach Ablehnung neu gestellt werden. In Deutschland hat das Gericht spätestens vor Ablauf von 2 Jahren zu prüfen, ob sie aufzuheben ist. Aufzuheben ist sie dann, wenn es der Fortsetzung der Überwachungsmaßnahme nicht mehr bedarf oder wenn deren Voraussetzungen nicht mehr vorliegen. Die Regel bezüglich der Aufhebung der EAÜ ist ebenfalls in den USA die Strengste ihrer Art unter den 3 Ländern. In vielen US-Staaten wird die Aufhebung nicht umgesetzt. In Korea ist grundsätzlich festgelegt, dass der Antrag auf die Aufhebung der EAÜ nach 3 Monaten ihrer Vollstreckung möglich ist. Allerdings besteht das Problem, dass es fast keinen Fall gibt, bei dem die Aufhebung der EAÜ gegen gefährliche Sexualstraftäter in die Praxis umgesetzt wurde. Von den insgesamt 2.868 Personen, die bis April 2015 aufgrund von Sexualdelikten unter EAÜ gestellt wurden, gibt es 120 Personen, die den Aufhebungsantrag gestellt haben, worunter es nur 9 Fälle gibt, bei denen der Antrag genehmigt wurde. Die geringe Zahl der Antragsteller und der Erlaubnis könnte auf die übermäßig strengen Normen zurückzuführen sein, die aufgrund der Stimmung der Gesellschaft im Falle einer erneuten Straftat von Betroffenen gebildet wurden. In Deutschland gibt es noch keine offiziellen Statistiken darüber, wie viele Prozent der Aufhebungsanträge genehmigt werden.
VI. Datenverwendung und Datenschutz Die meisten US-Bundesstaaten spezifizieren nicht ausdrücklich, wie lange Daten, die im Wege der EAÜ gesammelt wurden, gespeichert und wie sie zum Datenschutz begrenzt genutzt werden können.231 Dies wird vermutlich auf das geringe Bewusstsein in der Gesellschaft zurückzuführen sein, dass die Standortsinformationen von gefährlichen Sexualstraftätern zu schützen sind.232 Nach einem Bericht haben in der Praxis die meisten privaten Unternehmen hinsichtlich der EAÜ viele Positionsdaten der Überwachten gesammelt und die Daten für eine lange Zeit gespeichert. „Satellite Tracking of People“ (STOP), welche die größte Firma für „Electronic Monitoring“ in den USA ist, hat z. B. mitgeteilt, dass sie diese Daten für mindestens 7 Jahre speichert.233 In Korea hingegen sieht das korEAÜG explizit die Positionsdatenverwendung und den Datenschutz. Diese Daten werden ohne Zustimmung der Überwachten nur zum Zwecke der Beaufsichtigung durch den Bewährungshelfer oder zur Verwendung in polizeilichen Ermittlungen verwendet. Außerdem benötigen die Polizei, die Staatsanwaltschaft und andere Ermittlungsbehörden die Erlaubnis des Gerichts, um 231 232 233
Kilgore, Electronic Monitoring is not the answer. 2015, S. 19. Kilgore, Electronic Monitoring is not the answer. 2015, S. 19. Kilgore, Electronic Monitoring is not the answer. 2015, S. 19.
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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diese Daten zu verwenden. Auch werden die gesammelten Daten nicht dauerhaft gespeichert, sondern 5 Jahre nach dem Ende der EAÜ gelöscht. In Deutschland sieht die StPO die Speicherung und Nutzung von Daten aus der EAÜ wie folgt vor: Gemäß § 463a Abs. 4 StPO kann die Verwendung der Daten nur zur 1. Feststellung des Verstoßes gegen eine Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 12 des Strafgesetzbuches, 2. Ergreifung von Maßnahmen der Führungsaufsicht, die sich an einen Verstoß gegen eine Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 12 des Strafgesetzbuches anschließen können, 3. Ahndung eines Verstoßes gegen eine Weisung nach § 68b Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 2 oder 12 des Strafgesetzbuches, 4. Abwehr einer erheblichen gegenwärtigen Gefahr für das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder die sexuelle Selbstbestimmung Dritter, 5. Verfolgung einer Straftat der in § 66 Absatz 3 Satz 1 des Strafgesetzbuches genannten Art ohne Zustimmung der Überwachten zustande kommen. Die Vorschriften zur Datenspeicherung sind in Deutschland unter den 3 Ländern am strengsten. Die Aufenthaltsdaten in Deutschland sind 2 Monate nach ihrer Erhebung und Speicherung zu löschen, wenn sie nicht für die gesetzlich vorgesehenen Zwecke verwendet werden. Die Speicherzeit von 2 Monaten ist sehr kurz im Vergleich zu denjenigen in den USA und Korea. Damit soll das Datenschutzrecht der unter EAÜ gestellten Personen vollzogen werden. Kapitel 2
Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern A. Deutschland In Deutschland stellte sich bereits während der Diskussion um den elektronisch überwachten Hausarrest die Frage nach der Vereinbarkeit dieser Form der elektronischen Überwachung mit den Grund- und Menschenrechten.234 Neben dem Vorwurf, dass man sich auf direktem Weg zum gläsernen Menschen bzw. zum Orwellschen Überwachungsstaat befände, wurde dem elektronisch überwachten Hausarrest eine zumindest freiheitsbeschränkende Wirkung attestiert und eine 234
Dazu ausführlich, Schlömer 1998; Hudy 1999; Haverkamp 2002; Mayer 2004.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
eventuelle Betroffenheit der grundgesetzlich geschützten Menschenwürde thematisiert.235 Zwar wurde die Kritik in Bezug auf die Vereinbarkeit des elektronisch überwachten Hausarrests mit den Grund- und Menschenrechten nicht auf die elektronische Aufenthaltsüberwachung unmittelbar angewandt. Denn sowohl Durchführung als auch Überwachungstechnik und -reichweite unterscheiden sich bei beiden Überwachungsformen elementar. Jedoch gibt es noch Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der neuen Maßnahme der EAÜ. In der Tat ist gegen die EAÜ im Jahr 2011 Verfassungsbeschwerde beim BVerfG eingelegt worden.236 Eine Entscheidung steht bisher noch aus. Sie könnte eine sehr wichtige Rolle spielen, um die heutige Diskussionslage über die Verfassungsmäßigkeit der EAÜ in Deutschland zu verstehen. Deshalb ist es nützlich, zunächst einen Blick auf die Fallgestaltung und die Entscheidungsgründe zu werfen, die zur Einlegung der Verfassungsbeschwerde beim BVerfG geführt haben.
I. Beschlüsse des LG Rostock und OLG Rostock Am 26. 1. 2011 ordnete die Strafvollstreckungskammer des LG Rostock die EAÜ an.237 Der Beschwerdeführer legte Beschwerde gegen diese Anordnung beim OLG Rostock ein.238 Das OLG wies die Beschwerde als im Wesentlichen unbegründet zurück, da eine gemäß § 453 II S. 2 StPO erforderliche Gesetzeswidrigkeit in diesem Fall nicht vorläge. Daraufhin wendete sich der Beschwerdeführer an das BVerfG. 1. Sachverhaltsdarstellung239 Der Beschwerdeführer wurde mit Urteil des damaligen Bezirksgerichts Neubrandenburg vom 24. 2. 1992 wegen Mordes und gefährlicher Körperverletzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 14 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Wegen einer in der Untersuchungshaft begangenen Gefangenenmeuterei verhängte das Landgericht Neubrandenburg mit Urteil vom 28. 7. 1993 gegen den Beschwerdeführer unter Einbeziehung der Einzelstrafen aus dem vorgenannten Urteil und Auflösung der aus dieser gebildeten Gesamtfreiheitsstrafe eine neue Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren. Darüber hinaus wurde der Beschwerdeführer wegen seiner Beteiligung an einer im Oktober 1995 begangenen, mit mehrfacher Geiselnahme verbundenen Gefangenenmeuterei durch Urteil des Landgerichts Rostock vom 28. 10. 1996 zu einer weiteren Freiheitsstrafe von 5 Jahren verurteilt. Beide Freiheitsstrafen waren 235
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 131. Neben 2 BvR 916/11 sind auch 2 BvR 636/12 und 2 BvR 2633/11 beim zweiten Senat zur Entscheidung anhängig. 237 LG Rostock, Beschluss vom 26. 1. 2011. 12 – Az. StVK 328/10. 238 OLG Rostock, Beschluss vom 28. 3. 2011 – Az. I Ws 62/11. 239 Die Sachverhaltsdarstellung ist dem Beschluss des OLG Rostock vom 28. 3. 2011 zu entnehmen. 236
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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am 27. 1. 2011 vollständig vollstreckt. Dementsprechend ist der Beschwerdeführer an diesem Tag aus der JVA Waldeck entlassen worden. Zuvor hatte das Landgericht Neubrandenburg mit Beschluss vom 27. 10. 2010 im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 17. 12. 2009 und der bisherigen Rechtsprechung des 4. Strafsenates des Bundesgerichtshofes hierzu (u. a. Beschluss vom 12. 5. 2010 – 4 StR 577/09 -) „die Eröffnung des Verfahrens zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung“ aus rechtlichen Gründen abgelehnt. Über die hiergegen gerichtete Revision der Staatsanwaltschaft wird der Bundesgerichtshof erst nach einer für Mitte des Jahres 2019 zu erwartenden Entscheidung des dortigen Großen Senates für Strafsachen beschließen, die sich wiederum an der bevorstehenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur nachträglichen Sicherungsverwahrung orientieren dürfte. Bemühungen der Staatsanwaltschaft, gegen den Beschwerdeführer vor seiner Haftentlassung einen Unterbringungsbefehl nach § 275a Abs. 6 StPO n.F. zu erwirken, sind ohne Erfolg geblieben. Mit Beschluss vom 13. 1. 2011 hat die zuständige Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Rostock entschieden, dass die nach § 68 f Abs. 1 StGB kraft Gesetzes eintretende Führungsaufsicht nicht entfällt, und die Dauer der Führungsaufsicht auf 5 Jahre festgesetzt. Zugleich hat sie den Beschwerdeführer für die Dauer der Führungsaufsicht der Aufsicht und Leitung der für seinen Wohnsitz zuständigen Bewährungshilfe unterstellt und ihm umfangreiche Weisungen erteilt. Im Hinblick auf die zum 1. 1. 2011 in Kraft getretene Neufassung des § 68b Abs. 1 StGB, der jetzt unter Ziffer 12 als Weisung auch die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes vorsieht, hat die Staatsanwaltschaft Neubrandenburg am 14. 1. 2011 eine entsprechende Ergänzung des vorgenannten Beschlusses beantragt. Auf diesen Antrag hat die Strafvollstreckungskammer mit Beschluss vom 26. 1. 2011 den Beschwerdeführer angewiesen, „für die Dauer der seitens der forensischen Ambulanz für notwendig erachteten Behandlungs-/Gesprächstermine, längstens jedoch für die Dauer der Führungsaufsicht, die für eine elektronische Überwachung seines Aufenthaltsortes erforderlichen technischen Mittel ständig in betriebsbereitem Zustand bei sich zu führen und deren Funktionsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen“. Gegen die Entscheidung der StVK vom 26. 1. 2011 legte der Beschwerdeführer Beschwerde vor dem OLG Rostock ein, über die am 28. 3. 2011 entschieden wurde.
2. Entscheidungsgründe Das OLG Rostock hat aus den nachfolgend genannten Gründen die Unbegründetheit der Beschwerde bestätigt. Erstens wird der Beschwerdeführer vom OLG immer noch als gefährlich eingestuft. Bei seiner Argumentation hinsichtlich einer bestehenden Gefahr, dass erneut Straftaten der in § 66 III S. 1 StGB genannten Art zu befürchten seien, bezog sich das OLG einerseits auf die kriminelle Vergangenheit des Beschwerdeführers und andererseits auf dessen gewalttätiges Verhalten während des
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Vollzuges. Das Gericht hat festgestellt, dass der Beschwerdeführer im HEADSProgramm des Landes Thüringen, welches gefährliche Straftäter erfasst und in Gefährlichkeitsgrade einstuft, in der Stufe der höchsten Gefährlichkeit eingeordnet wurde. Darüber hinaus hat das OLG auch berücksichtigt, dass er nach der aktuellen BGH-Rechtsprechung sogar für die nachträgliche Sicherungsverwahrung in Betracht käme. Dabei gab es unterschiedliche Ansichten im Hinblick auf den Prüfungsprozess der Gefährlichkeitsprognose. Für die Anordnung der EAÜ ist die Einholung eines Sachverständigengutachtens nach aktueller Gesetzeslage nicht notwendig. Das OLG Rostock sah jedoch ein solches als unnötig an, da die dem Gericht vorliegenden Erkenntnisse bereits für eine Bewertung der Gefährlichkeit ausreichen würden. Zweitens vertrat das OLG Rostock die Ansicht, dass die mit der Beschwerde angegriffene Weisung im Sinne von § 68b Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 StGB erforderlich sei, da mit der EAÜ andere Weisungen effektiver kontrolliert werden könnten. Dem Beschwerdeführer sind in mehrfacher Hinsicht Weisungen betreffend seines Wohn-, Aufenthalts- und Tätigkeitsortes erteilt worden. Änderungen des Wohnortes oder des Arbeitsplatzes mussten gemeldet werden, zudem durfte der Beschwerdeführer nicht jede Tätigkeit ausüben und mit bestimmten Personen keinen Kontakt aufnehmen. Laut Gericht sei die EAÜ geeignet, die Erfüllung dieser Weisungen zu überwachen. Zudem vertrat das Gericht die Auffassung, dass nach der Begründung des Gesetzentwurfs240 die EAÜ grundsätzlich auch zu rein spezialpräventiven Zwecken ohne Verknüpfung mit einer anderen Weisung zulässig sei. Es betonte, dass die EAÜ neben der Kontrollmöglichkeit aufenthaltsbezogener Weisungen der Führungsaufsicht auch eine Unterstützung zur Stärkung der Selbstkontrolle der Überwachten darstelle bzw. den Anreiz für die Betroffenen erhöhe, psychologisch vermittelte, nachhaltig wirkende Verhaltenskontrollen zu erlernen und zu verfestigen. Drittens vertrat das OLG die Ansicht, dass die EAÜ auch keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung des Beschwerdeführers stelle. Die Grenze der Zumutbarkeit sei unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls sowie der besonderen Verhältnisse der verurteilten Personen und ihrer Interessen zu beurteilen. Diesbezüglich hat das OLG Rostock einen Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit gesetzt. Demgemäß dürfen dem Verurteilten – unter besonderer Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes – keine Weisungen gegeben werden, die seine ganze Lebensführung beeinträchtigen, wenn er lediglich von unbedeutenden Straftaten abgehalten werden soll oder nur eine geringfügige Straftat begangen hat. Darüber hinaus muss die EAÜ in einem Mindestmaß stützend wirken und darf die Resozialisierungspotenziale der verurteilten Personen nicht aus reinen Überwachungsinteressen heraus überfordern oder gefährden. Das OLG Rostock hat darauf verwiesen, dass die EAÜ zwar einerseits die Betroffenen bei „intimeren Kontakten“, beim Sport oder bei vergleichbaren Tätigkeiten behindern könnte, jedoch das Tragen der für die EAÜ notwendigen elektronischen Mittel „im Vergleich 240
Vgl. BT-Drucksache 17/3403 S. 17 f., S. 35 ff.
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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zur gebotenen polizeirechtlichen Beobachtung eine wesentlich mildere Maßnahme“ darstelle.241 Andererseits wurde betont, dass der Beschwerdeführer schon schwere Straftaten begangen und somit aufgrund seiner Gefährlichkeit mit Einschnitten in der Lebensführung zu rechnen habe und diese hinnehmen müsse.
II. Verfassungsbeschwerde – 2 BvR 916/11 Der Beschwerdeführer legte mithilfe seines Rechtsbeistandes Verfassungsbeschwerde beim BVerfG ein. Gleichzeitig wurde auch ein Antrag auf einstweilige Anordnung beim BVerfG gestellt, um eine schnelle Entscheidung herbeizuführen und die grundrechtliche Belastung des Beschwerdeführers zu minimieren. Während die Verfassungsbeschwerde am 4. 6. 2011 zur Entscheidung angenommen wurde, diese jedoch bis heute noch aussteht, wurde bereits am 20. 5. 2011 der Erlass der einstweiligen Anordnung vom BVerfG abgelehnt. Der Beschwerdeführer rügt eine Reihe von Grund- und Menschenrechten, die durch die Anordnung und Existenz der elektronischen Aufenthaltsüberwachung verletzt werden würden. Dabei geht es um die Menschenwürde (Art. 1 GG), das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), die Berufsfreiheit (Art. 12 GG) sowie den Bestimmtheitsgrundsatz (Art. 103 Abs. 2 GG) und das Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit der Pflicht des Staates zur Resozialisierung (Art. 20 III GG und § 2 Abs. 1 StVollzG). Die Beschlüsse über den Erlass einer einstweiligen Anordnung, die das BVerfG hinsichtlich der laufenden Verfahren bzgl. der EAÜ zu entscheiden hatte, geben keinen eindeutigen Hinweis auf den Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache.242 Zwar wurden diese Anträge in der Regel abgelehnt, jedoch ist keine Tendenz für das Hauptverfahren erkennbar. Im Beschluss heißt es zwar, der „Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung des Rechtsanwalts Roubicek für das Verfahren über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt, weil die Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (vgl. §§ 114, 121 ZPO)“.243 Andererseits wird aber auch festgestellt, dass „die Verfas-
241
Eine solche sog. 24-Stunden-Observation durch die Polizei wurde als erste Reaktion auf das Urteil des EGMR vom 17. 12. 2009 in verschiedenen Fällen auf der Grundlage der jeweils geltenden landesrechtlichen polizeilichen Generalklausel angeordnet. Das Heranziehen der Generalklausel wurde jedoch vom BVerfG zumindest als dauerhafte Lösung für unzulässig erklärt; es müsse eine eigenständige Rechtsgrundlage geschaffen werden. Vgl. BVerfG, Urteil vom 04.05.11 2 BvR 2365/09, 740/10, 2333/08, 1152/10, 571/10, abgedruckt, in: NStZ 2011, S. 453. 242 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 135. 243 BVerfG, Beschluss vom 12. 12. 2013 – Az. 2 BvR 636/12, abgedruckt, in: BeckRS 2014, 46314.
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sungsbeschwerde zwar weder von vornherein unzulässig noch offensichtlich unbegründet“ sei.244
III. Wissenschaftliche Diskussionslage In Deutschland hat die wissenschaftliche Diskussion über die konkreten Inhalte der EAÜ sowie ihre Verfassungskonformität gerade erst begonnen, während die Verfassungswidrigkeit der Sicherungsverwahrung als eine Bekämpfungsmaßnahme gegen (Sexual)Kriminalität schon in den letzten 10 Jahren sehr intensiv debattiert wurde. Dies könnte möglicherweise damit zu tun haben, dass die EAÜ erst vor kurzem eingeführt wurde, und dass über die genannte Verfassungsbeschwerde noch nicht entschieden ist, sowie auch dass die EAÜ nicht als stationäre Sanktion, sondern als eine ambulante Maßnahme verstanden wird. Dies bedeutet allerdings nicht, dass über verfassungsrechtliche Probleme der EAÜ in Deutschland überhaupt nicht diskutiert wird. Einige Regelungen zur EAÜ wurden in einigen Kommentaren zum StGB bzw. StPO in Frage gestellt.245 Zudem haben ebenfalls einige Aufsätze Kritik daran geübt und Verbesserungsvorschläge eingereicht.246 Darüber hinaus wurden eine Dissertation und kurze Berichte veröffentlicht, die sich auf die verfassungsrechtliche Überprüfung der EAÜ konzentrieren. Zur grundrechtlichen Frage bezüglich der EAÜ von gefährlichen Straftätern existieren derzeit 3 Studien. Im Jahr 2012 ist eine erste Publikation mit dem Thema „Verfassungsmäßigkeit und Effektivität der elektronischen Fußfessel“ erschienen.247 Hier wurde eine kurze Betrachtung der Verfassungsmäßigkeit der EAÜ als Ersatzmaßnahme für Sicherungsverwahrung dargestellt, gleich nach der Einführung der EAÜ in Deutschland. Die Arbeit beschäftigt sich mit der Verletzungsmöglichkeit der Menschenwürde (Art. 1 I GG), des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG), der persönlichen Freiheit (Art. 2 II S. 2 GG), des Fernmeldegeheimnisses (Art. 10 GG), der Freizügigkeit (Art. 11 GG), der Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG) und der allgemeinen Gleichbehandlung (Art. 3 I GG). Allerdings fehlt bei dieser Arbeit aufgrund ihrer vergleichsweise geringen Seitenanzahl eine konkrete Begründung dafür, warum diese Grundrechte der Überwachten nicht verletzt werden.248 244
46314. 245
Rn. 8.
BVerfG, Beschluss vom 12. 12. 2013 – Az. 2 BvR 636/12, abgedruckt, in: BeckRS 2014, Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c, Pollähne, in: HK, StPO, 463a
246 Brauneisen, Die elektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, Haverkamp, Rita/Schwedler, Andreas/Wößner, Gunda, Die elektronische Aufsicht von als gefährlich eingeschätzten Entlassenen, R&P 2012/30. 247 Önel, Verfassungsmäßigkeit und Effektivität der elektronischen Fußfessel, Jahrbuch des Kriminalwissenschaftlichen Instituts der Leibniz Universität Hannover. Band 1 – 2012, S. 26 – 31. 248 Önel, Verfassungsmäßigkeit und Effektivität der elektronischen Fußfessel, S. 26 – 31.
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Im Jahr 2014 wurde eine erste Dissertation nach der EAÜ-Einführung veröffentlicht.249 Immo Harders setzt sich in seiner Dissertation mit verfassungsrechtlichen Aspekten der elektronischen Überwachung auseinander. Darin werden die Menschenwürde (Art. 1 GG), das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG), das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 2 Abs. 2 GG), der Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit, das Fernmeldegeheimnis (Art. 10 GG), die Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 GG), die Freizügigkeit (Art. 11 GG) und der Verzicht auf Einwilligung des Probanden angesprochen.250 Hinsichtlich der elektronischen Aufenthaltsüberwachung wird jedoch die damit zusammenhängende Problematik nur teilweise diskutiert, weil ein Schwerpunkt dieser Arbeit hauptsächlich auf dem elektronisch überwachten Hausarrest liegt. Im Jahr 2015 wurde eine zweite Dissertation über die Verfassungsmäßigkeit der EAÜ veröffentlicht.251 Darin erfolgte eine detaillierte Untersuchung der Vereinbarkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung mit den Grund- und Menschenrechten. Die Arbeit beschäftigt sich zuerst mit der konkreten rechtlichen Ausgestaltung und der technischen Umsetzung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung. Anschließend wird die Verletzungsmöglichkeit der Menschenwürde, der Privatsphäre und der Freiheit der Überwachten untersucht. Bei der Überprüfung der Vereinbarkeit wurde die Frage erörtert, inwieweit die EAÜ die Grund- und Menschenrechte der überwachten Personen einschränkt und ob solche Einschränkungen gegebenenfalls gerechtfertigt sein könnten.252 In dieser Dissertation wurden mit dem Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab das Interesse der überwachten Personen und das Interesse des Schutzes der öffentlichen Sicherheit – gleichbedeutend mit dem Schutz der Individualrechtsgüter der Allgemeinheit – gegeneinander abgewogen. Es wurde diesbezüglich behauptet, dass durch die EAÜ intensiv in die verschiedenen Grundrechte der überwachten Personen eingegriffen würde. Jedoch sei dieser Eingriff im Ergebnis verhältnismäßig, weil die Überwachten, die als besonders gefährlich gelten, mit einer gewissen Eingriffsintensität rechnen müssen.
B. USA Hinsichtlich der verschiedenen Präventionsmaßnahmen („Civil Commitment, Registration and Community Notification, Residence and Mobility Restrictions“) gegen gefährlichen Sexualverbrecher gibt es auch in den USA eine Diskussion darüber, ob sie gegen die nachstehend genannten, verfassungsrechtlichen Prinzipien 249 250 251 252
Harders, Elektronische Überwachung von Straffälligen. Harders, Elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 165 – 210. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, Kapitel 7.
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verstoßen würden. Dazu gehören „Protection from Unreasonable Search and Seizure“ (Schutz vor ungerechtfertigter Durchsuchung und Beschlagnahmung)253, „Principle of Double Jeopardy“ (Verbot der doppelten Strafverfolgung)254, „Prohibition of Cruel and Unusual Punishment“ (Verbot von grausamer und ungewöhnlicher Bestrafung)255, „Protection from Unjustified Invasion of Privacy“ (Verbot ungerechtfertigter Verletzung der Privatsphäre), „Ex Post Facto Clause“ (Rückwirkungsverbot)256, „Principle of Equal Protection“ (Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz)257 und „Substantive258 and Procedural259 Due Process“ (Recht auf ein faires Verfahren) usw. Bisher hat kein Gericht die Präventionsmaßnahmen selbst für nichtig erklärt.260 Die EAÜ stellt hier keine Ausnahme dar. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten261 hat noch nicht endgültig entschieden, ob die EAÜ-Gesetze in den jeweiligen Staaten für verfassungswidrig gehalten werden. Er hat zwar im Mai 2015 im Fall „TORREY DALE GRADY vs. NORTH CAROLINA“ entschieden, dass sich das „Lifetime GPS Monitoring of Sex Offenders“ (lebenslange EAÜ im Fall von Sexualstraftätern) auf „Search“ im Zusatzartikel IV („Fourth Amendment“) der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika bezieht, aber er hat keine Schlussfolgerung gezogen, ob die Überwachung einen Verstoß gegen diesen Zusatzartikel 253 254
367. 255
Doe v. Poritz, 662 A.2d 367 (N.J. 1995). Byron M. v. Whittier, 46 F. Supp. 2d 1032, 1035 – 36 (C.D. Cal. 1998); Poritz, 662, A.2d
People v. Leroy, 828 N.E. 2d 769, 784 (Ill. App. Ct. 2005); State v. Seering, 2003 WL 21738894, at 13 – 14 (Iowa Dist. Ct. Apr. 30, 2003). 256 Seering, 2003 WL 21738894, at *10 – 12; Smith v. Doe, 538 U.S. 84 (2003). 257 Leroy, 828 N.E.2d at 778; Poritz, 662 A.2d at 413 – 15. 258 Doe v. Moore, 410 F.3rd 1337 (11th Cir. 2005); Leroy, 828 N.E.2d at 776 – 77; Seering, 2003 WL 21738894, at 4 – 9. 259 Leroy, 828 N.E.2d at 778; Seering, 2003 WL 21738894, at *9 – 10. 260 Megan A. Janicki, Better seen than herded, S. 297 – 298. 261 Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten (englisch Supreme Court of the United States) ist das oberste rechtsprechende Staatsorgan der Vereinigten Staaten. Neben diesem Obersten Bundesgericht existieren auch Supreme Courts in jedem einzelnen Bundesstaat. Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten ist das einzige amerikanische Gericht, das explizit in der Verfassung der Vereinigten Staaten vorgesehen ist. Zusätzlich richtete der Kongress 13 Bundesberufungsgerichte (Federal Courts of Appeals) und – eine Stufe darunter – 94 Bundesbezirksgerichte (Federal District Courts) ein. Der Supreme Court tagt in Washington, D.C., die anderen Bundesgerichte sind landesweit verteilt. Bundesgerichte befassen sich mit Fällen, die die Verfassung, Bundesrecht, Bundesverträge und Seerecht betreffen oder bei denen ausländische Bürger oder Regierungen oder die amerikanische Bundesregierung selbst Partei sind. Von wenigen Ausnahmen abgesehen werden nur Rechtsmittel gegen Entscheidungen der unteren Gerichte vom Supreme Court behandelt, wobei das amerikanische Rechtssystem keine strikte Abgrenzung zwischen Berufung und Revision kennt. Bei den meisten dieser Fälle geht es um die Verfassungsmäßigkeit von Handlungen der Exekutive und von Gesetzen, die vom Kongress oder von den Bundesstaaten verabschiedet wurden. Dazu ausführlich Kau, United States Supreme Court und Bundesverfassungsgericht, S. 52 ff.
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darstellt.262 Allerdings gibt die EAÜ immer wieder Anlass zu Diskussionen über die Verfassungswidrigkeit. Demzufolge kommen die US-Bezirksgerichte bei den Entscheidungen zu anderen Ergebnissen. So hat zuletzt am 21. 9. 2015 das US-Bezirksgericht von Wisconsin („UNITED STATES DISTRICT COURT EASTERN DISTRICT OF WISCONSIN“) das Wisconsin Landesgesetz Section 301.48 zur EAÜ (Wis. Stat. § 301.48) als verfassungswidrig beurteilt.263 Diese Entscheidung wurde aber am 29. 1. 2016 im Berufungsverfahren vom Bundesberufungsgericht der Vereinigten Staaten für den siebten Gerichtsbezirk („United States Court of Appeals for the Seventh Circuit“) abgeändert, nämlich dass das Landesgesetz verfassungsmäßig sei.264 Aufgrund dieser unterschiedlichen Entscheidungen des erst- und zweitinstanzlichen Gerichts wird erwartet, dass der Oberste Bundesgerichtshof eine Entscheidung über die EAÜ fällt.265 Für die mögliche Verfassungswidrigkeit der EAÜ kommen überhaupt die nachstehenden 3 Fragen in Betracht:266 1. Verstößt die EAÜ gegen den Zusatzartikel IV („Fourth Amendment“)? 2. Verletzt die EAÜ das Recht auf ein faires Verfahren („Procedural Due Process“ sowie „Substantive Due Process“)? 3. Verstößt die EAÜ gegen das Rückwirkungsverbot („Ex Post Facto Clause“) und gegen das Verbot der Doppelbestrafung („Principle of Double Jeopardy“)?
I. Recht auf Privatsphäre 1. EAÜ und der Begriff „Search“ im Zusatzartikel IV Eines der stärksten Argumente für die Verfassungswidrigkeit der EAÜ ist die Kritik, dass das Gesetz für die EAÜ gegen den Zusatzartikel IV verstößt.267 Der Zusatzartikel IV der Verfassung der Vereinigten Staaten („The Fourth Amendment“ oder „Amendment IV“)268 schützt die Bürger vor einer Verletzung ihrer Privatsphäre 262
Torrey Dale Grady vs. North Carolina, 575 U.S. 2015. Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, Eastern District of Wisconsin. Case No. 12-CV-1198, 2015. 264 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, 7th Circuit Court of Appeals No. 15 – 3225, 1/29/ 16. 265 Megan A. Janicki, Better seen than herded, S. 297 – 298. 266 Dante, Tracking the constitution – the proliferation and legality of sex-offender GPStracking statutes, S. 1192 ff.; Thomson, A comprehensive strategy targeting recidivist criminals with continuous real-time GPS monitoring, S. 26 ff. 267 Dante, Tracking the Constitution-the Proliferation and Legality of Sex-Offender GPSTracking Statutes, S. 1205. 268 The right of the people to be secure in their persons, houses, papers, and effects, against unreasonable searches and seizures, shall not be violated, and no warrants shall issue, but upon 263
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durch den Staat und spricht dafür, dass das Recht des Volkes zugunsten der Sicherheit der Personen und der Wohnung, der Urkunden und des Eigentums nicht durch willkürliche Durchsuchung, Verhaftung und Beschlagnahme verletzt werden dürfe.269 Nach diesem Artikel könnte die EAÜ zu einer schweren Verletzung der Privatsphäre der betroffenen Personen führen, da sie die Polizei über ihren Aufenthalt informieren müssen, auch wenn sie sich in einem grundrechtlich geschützten Bereich, z. B. in einer Wohnung, befinden. Bezüglich dieser verfassungsrechtlichen Frage ist zunächst umstritten, ob die Sammlung der Positionsdaten durch die Installation der Fußfessel am Körper ohne Einwilligung der betroffenen Personen als eine „Search“ im Sinne des „Fourth Amendment“ angesehen werden kann. Dies war auch der Schwerpunkt bei der Entscheidung für „Torrey Dale Grady vs. North Carolina“. Torrey Dale Grady wurde in erster Instanz im Jahr 1997 wegen des schweren sexuellen Missbrauchs und im Jahr 2006 wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Als er im Jahr 2006 entlassen wurde, beabsichtigte der Superior Court von New Hanover County die Anordnung der EAÜ, weil Grady als Gewohnheitsverbrecher betrachtet wurde.270 Grady ging gegen die Anordnung der EAÜ in Berufung.271 Als Hauptargument hat er den Fall United States vs. Jones272 erwähnt. Bei dem Fall ging es darum, dass die Ermittler ohne gültige richterliche Genehmigung heimlich ein Gerät mit GPS-Empfänger und Mobilfunk-Sender an einem Auto angebracht und ein Bewegungsprofil erstellt hatten.273 Im Jahr 2004 hatte die Polizei den Verdacht, dass Antoine Jones, welcher der Inhaber einer Diskothek im „District of Columbia“ war, Betäubungsmittel verkaufen würde. Im Ermittlungsverfahren hatte die Polizei aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses vom Gericht erster Instanz am Auto des Verdächtigens ein GPS-Gerät installiert. Rechtlich problematisch waren das Verfallsdatum und der Anwendungsbereich des Durchsuchungsbefehls. Nach dem konkreten Inhalt des Durchsuchungsbefehls sollte die Untersuchung inprobable cause, supported by oath or affirmation, and particularly describing the place to be searched, and the persons or things to be seized. 269 Weeks v. United States, 232 U.S. 383, 392 (1914). 270 N. C. Gen. Stat. Ann. §§ 14 – 208.40(a) (1), 14 – 208.40B (2013). 271 State v. Grady, 367 N.C. 523, 762 S. E. 2nd 460 (2014). 272 United States v. Jones, 132 S. Ct. 945 (2012). 273 Im Jahr 2004 hat die Polizei daran gezweifelt, dass Antoine Jones, welcher der Inhaber von der Diskothek im District of Columbia ist, ein Betäubungsmittel verkauft. Im Ermittlungsverfahren hat die Polizei aufgrund eines Durchsuchungsbeschlusses vom Gericht erster Instanz auf dem Auto des Verdächtigen das GPS-Gerät installiert. Das Problem lag jedoch an der Dauer und dem Anwendungsbereich des Durchsuchungsbefehls. Nach dem konkreten Inhalt des Durchsuchungsbefehls sollte die Untersuchung innerhalb von 10 Tagen im District of Columbia durchgeführt werden. Die Polizei hat aber erst nach 10 Tagen nicht im District of Columbia, sondern in Maryland das GPS-Gerät auf dem Auto des Verdächtigen installiert. Aufgrund dessen hat sie das Auto des Verdächtigen mit dem GPS-Gerät 28 Tage beobachtet und das Versteck des Betäubungsmittels in Maryland gefunden. Mit diesem Beweis hat sie im Oktober 2005 Jones festgenommen und ihn wegen des Besitzes und der Verbreitung des Betäubungsmittels (Verstoß gegen 21 U.S.C. § 841 – § 846) angeklagt.
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nerhalb von 10 Tagen im District of Columbia durchgeführt werden. Das GPS-Gerät wurde aber erst nach 10 Tagen auf dem Auto des Verdächtigens installiert und zwar nicht im District of Columbia, sondern in Maryland. Im Folgenden wurde das Auto des Verdächtigen mit dem GPS-Gerät 28 Tage lang beobachtet und das Versteck der Betäubungsmittel in Maryland schließlich gefunden. Jones wurde sodann im Oktober 2005 festgenommen und wegen des Besitzes und der Verbreitung des Betäubungsmittels (Verstoß gegen 21 U.S.C. § 841 – § 846) unter Verweis auf die so vorgefundene Beweislage angeklagt. Der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten urteilte, dass es sich um ein „Search“ im Sinne des 4. Zusatzartikels der US-Verfassung gehandelt habe, als die Polizei zur Überwachung des Verdächtiges an seinem Auto die GPS-Sender heimlich installierte. Alle 9 Richter des Obersten Gerichtshofs stimmten zu, dass die geheime Installation der GPS-Sender durch die Polizist einen „Search“ darstelle. Ferner entschieden sie, dass die Überwachung mittels GPS als unangemessene Durchsuchung gegen den 4. Zusatzartikel der US-Verfassung verstoße und daher rechtswidrig sei. Auf der Basis dieser Entscheidung argumentierte Grady, dass auch die Anbringung der Fußfessel am Körper ohne Einwilligung als unangemessenes „Search“ im Sinne des „Fourth Amendment“ verstanden werden müsse, wenn die Installation eines GPS-Senders an einem Auto schon als unangemessenes „Search“ angesehen würde. „The North Carolina Court of Appeals“ und „The North Carolina Supreme Court“ lehnten seine Berufung allerdings ab und ordneten gegen ihn eine lebenslange EAÜ an.274 Die Gründe sind wie folgt: Erstens unterscheidet sich diese Sache wesentlich von Fall „United States v Jones“. Denn sie bezieht sich nur auf die tägliche Sammlung der Information über den Aufenthaltsort der betroffenen Person, während es beim Fall „United States vs. Jones“ um die besondere Situation der Verdunkelungsgefahr des Verdächtigens geht. 275 Zweitens gilt die EAÜ in North Carolina als „Civil Regulatory Scheme“ und daher kann the „Fourth Amendment“ nicht unmittelbar angewandt werden.276 Die Entscheidungen wurden jedoch vom Obersten Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten im März 2015 einstimmig unter Aufhebung des Urteils verworfen und das Verfahren wurde an das Gericht des ersten Rechtszuges zurückverwiesen.277 Zuerst hat das Gericht bestätigt, dass die Installation der GPS-Sender am Auto des Verdächtigens und die Wahrnehmung des Geruchs mit dem Suchtmittelspürhund vor dem Haustür den „Search“ am „Fourth Amendment“ orientiert werden muss.278 Dabei wurde erläutert, dass es darauf ankommt, ob die Regierung zur Erlangung der Information ohne Einwilligung der betroffenen Person in die verfassungsrechtlich 274 275 276 277 278
State vs. Grady, 367 N.C. 523, 762 S. E. 2nd 460 (2014). State vs. Jones, 750 S. E. 2nd 883, 886 (2013). State vs. Jones, 750 S. E. 2nd 883, 885 – 886 (2013). Grady vs. North Carolina 575 US No. 14 – 593 (2015). United States Supreme Court, Torrey Dale Grady vs. North Carolina (2015), S. 3.
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geschützte Privatsphäre eindringt. Nach dieser Entscheidung seien das Auto und der Platz vor der Haustür eine verfassungsrechtlich geschützte Privatsphäre. Daher entsprach die Sammlung der Information durch Eindringen in die Privatsphäre ohne Einwilligung der betroffenen Person einem „Search“ im Sinne des „Fourth Amendment“. Demgemäß kam das Gericht zu der Ansicht, dass auch ein Anlegen eines Gerätes am verfassungsrechtlich geschützten Körper des Menschen ohne dessen Einwilligung konsequenterweise als „Search“ verstanden werden muss.279 Der Oberste Bundesgerichtshof bestätigte, dass der Begriff des „Search“ im Sinne des Zusatzartikels IV der Verfassung nicht in Zusammenhang damit steht, zu welchem Zweck die Regierung die Informationen sammelt, und dass der Schutzbereich des Zusatzartikels nicht nur strafrechtliche Maßnahmen, sondern auch zivilrechtliche bzw. verwaltungsrechtliche Maßnahmen umfasst. Der Bundesgerichtshof hat als Begründung die Fälle „Ontario vs. Quon“280 und „Camara vs. Municipal Court of City and County of San Francisco“281 angeführt und hat auch geurteilt, dass z. B. ein Bauinspektor, welcher ein Gebäude für eine Einhaltungsprüfung der zivilrechtlichen Sicherheitsvorschriften betreten hat, einen „Search“ im Sinne des Zusatzartikel IV durchgeführt hat. 2. „Reasonable Search“ oder „Unreasonable Search“? Obwohl der Bundesgerichtshof entschieden hat, dass diese Sammlung der Aufenthaltsdaten und ihre weitere Verwendung durch die EAÜ den „Search“ Begriff erfüllt, hat er allerdings keine Entscheidung darüber getroffen, ob eine solche Sammlung und Benutzung der Aufenthaltsdaten endgültig gegen den Zusatzartikel IV verstößt, weil dieser nicht jede „Search“ verbietet, sondern ausschließlich „Unreasonable Searches“. Die Durchsuchung gemäß den Gesetzen über die EAÜ in North Carolina muss sowohl ein „Reasonable Search“ als auch „Unreasonable Search“ sein, damit sie als verfassungswidrig erklärt wird. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass es bei der Beurteilung der „Reasonableness“ darauf ankommt, die Gesamtheit der Umstände zu berücksichtigen. Dazu gehören die Natur und der Zweck des „Search“, bzw. die Reichweite der über die berechtigte Erwartung hinausgehenden Privatsphärenverletzung.282 Der Bundesgerichtshof hat auch den Fall „Samson vs. California“283 (wobei die Durchsuchung der Straftäter auf Bewährung ohne ihre Kenntnis als „Reasonable“ angesehen wurde) und den Fall „Vernonia School Dist. 47 J vs. Acton“284 (stichprobenartiger 279
United States Supreme Court, Torrey Dale Grady vs. North Carolina, (2015), S. 5. Ontario vs. Quon, 560 U. S. 746, 755 (2010). 281 Camara vs. Municipal Court, 387 U.S. 523, 534 (1967). 282 United States Supreme Court, TORREY DALE GRADY v. NORTH CAROLINA, (2015), S. 5. 283 Samson v. California, 547 U. S. 843 (2006). 284 Vernonia School Dist. 47 J v. Acton, 515 U. S. 646 (1995). 280
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Drogentest bei studentischen Sportlern) als wichtige Präzedenzfälle angeführt. Allerdings hat der Bundesgerichtshof im North Carolina Fall keine Entscheidung darüber getroffen, ob bei einer lebenslangen EAÜ eine „Reasonable Search“ oder eine „Unreasonable Search“ vorliegt, weil dieser Streitpunkt in den Entscheidungen der unteren Instanzen nicht berücksichtigt wurde. Der Bundesgerichtshof musste ihn also auch nicht in Betracht ziehen. Dieser Streitpunkt wurde später beim US-Bezirksgericht von Wisconsin („United States District Court Eastern District of Wisconsin“)285 und im Berufungsverfahren vom Bundesberufungsgericht der Vereinigten Staaten für den siebten Gerichtsbezirk („United States Court of Appeals for the Seventh Circuit“)286 als Kernfrage verhandelt.287 Der erstinstanzliche Gerichtshof hat entschieden, dass es sich bei der Wisconsin-EAÜ um eine „Unreasonable Search“ handelt und daher ein Verstoß gegen den Zusatzartikel IV vorliegt. Die erste Begründung bezog sich darauf, dass die EAÜ ohne jeglichen Durchsuchungsbefehl durchgeführt wurde. Sie stützte sich auf die 2 Entscheidungen des Bundesgerichtshofs: „Vernonia School Dist. 47 J vs. Acton“288 und „Skinner vs. Railway Labor Executives’ Ass’n“289. In diesen 2 Präzedenzfällen hat der Bundesgerichtshof geurteilt, dass, erstens, bei einer „Reasonable Search“ grundsätzlich ein Durchsuchungsbefehl notwendig ist, da „Search“ im Sinne des Zusatzartikels IV eine Ausübung staatlicher Macht für die Ermittlung der Beweise darstellt, und somit das bürgerliche Recht auf Privatsphäre schwer beeinträchtigt werden könnte. Zweitens müsse die Polizei dem Richter einen Beweis für eine hinreichende Wahrscheinlichkeit vorlegen, dass die Betroffenen ein Verbrechen begangen haben bzw. die Beweise verbergen, um einen solchen Durchsuchungsbefehl zu erreichen. Bei der EAÜ in Wisconsin lag weder ein Durchsuchungsbefehl 285 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, Eastern District of Wisconsin. (2015). 286 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225 (2016). 287 Michael J. Belleau, der wegen des zweimaligen sexuellen Missbrauchs von Kindern zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt wurde, wird im Jahr 2005 aus der Strafvollzugsanstalt entlassen. Im Jahr 2004 wurde er jedoch aufgrund der Therapieunterbringung („Civil Commitment“) in das Sandy Ridge Secure Treatment Center verlegt, weil ihn das Gericht nach dem Wis. Stat. ch. 980 als sexuell gefährliche Person angesehen hat. Er litt an einer psychischen Störung, durch die sich die Wiederholungsgefahr erhöhen kann. Er wurde aufgrund des Gutachtens eines Psychologen im Jahr 2010 freigelassen, weil er darin nicht mehr als eine gefährliche Person betrachtet wurde. Das Bundesland Wisconsin hat im Jahr 2006 ein Gesetz (Wis. Stat. § 301.48) verabschiedet. Nach dem Gesetz sollen die Personen, die von der Unterbringungsanstalt für einen gefährlichen Sexualstraftäter freigelassen werden, das GPS-Gerät bei sich für ihr ganzes Leben tragen. Dieses Gesetz galt für jeden gefährlichen Sexualstraftäter, der aus der Unterbringungsanstalt am 1. 1. 2008 oder später entlassen wurde. Daher musste Michael J. Beleau auch durch das GPS-Gerät für sein restliches Leben überwacht werden. Er hat dagegen geklagt, dass das Gesetz für die Anordnung der GPS-Überwachung in Wisconsin gegen den Zusatzartikel IV und gegen das ex post facto (Rückwirkungsverbot) verstoßen könnte. 288 Vernonia School Dist. 47 J v. Acton 515 U. S. 646 (1995). 289 Skinner v. Railway Labor Executives’ Ass’n, 489 U. S. 602, 619 (1989).
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vor, noch wurden die Voraussetzungen zum Erlangen eines Durchsuchungsbefehls erfüllt. Der Logik der genannten Entscheidungen folgend konnte daher die Sammlung der Aufenthaltsdaten aufgrund einer EAÜ gemäß der Gesetze in Wisconsin den Begriff „Reasonable Search“ nicht erfüllen, obwohl die EAÜ dem Erlangen von Beweisen dient, in dem sie lebenslang umfangreiche Aufenthaltsdaten des Betroffenen (nicht nur über seine Bewegungen in der Öffentlichkeit, sondern auch über alle anderen Bewegungen) sammelt und speichert, sowie diese Informationen sodann dem Kriminalamt bzw. dem Bewährungshelfer mitteilt. Die zweite Begründung des erstinstanzlichen Gerichtshofs behandelte die Wichtigkeit der Privatsphäre. In diesem Fall hat die Landesregierung von Wisconsin behauptet, dass bei der EAÜ gegen Sexualstraftäter ein Durchsuchungsbefehl nicht unbedingt erforderlich sei, da sie eine Kontrolle darstellt, die den für den Schutz der Gesellschaft vor Sexualstraftätern benötigten „besonderen Umständen“ („Special Needs“) entspricht. Der erstinstanzliche Gerichtshof hat diese Auffassung nicht von vornherein abgelehnt, sondern in Betracht gezogen. Er hat eingeräumt, dass der Oberste Bundesgerichtshof bei der Beurteilung der Durchsuchung als die „Reasonable Search“ eine Ausnahme zugelassen hat.290 Dabei ist kein Vorliegen eines Durchsuchungsbefehls erforderlich, und es muss für sein Erlangen keine hinreichende Wahrscheinlichkeit angezeigt werden, falls die „besonderen Umstände“ vorliegen würden. Allerdings hat der erstinstanzliche Gerichtshof geurteilt, dass auch, wenn solche „besondere Umstände“ existieren, zusätzlich eine Gesamtwürdigung erforderlich ist, um die EAÜ als eine „Reasonable Search“ im Sinne des Zusatzartikels IV zu bewerten. Bei dieser Gesamtwürdigung muss einerseits berücksichtigt werden, inwieweit die Privatsphäre des Betroffenen verletzt wird, andererseits wie dringend und groß das mit der EAÜ verbundene öffentliche Interesse zugunsten des Wohls der Allgemeinheit ist.291 In diesem konkreten Fall hat der erstinstanzliche Gerichtshof entschieden, dass das Interesse des Michael J. Belleau bezüglich des Rechts auf Privatsphäre das Interesse der Allgemeinheit in Bezug auf den Schutz der Gesellschaft überwiegt.292 Die konkreten Gründe für die Entscheidung lauten wie folgt: Erstens soll M. J. Belleaus Erwartung an den Schutz seiner Privatsphäre dem eines jeden anderen Bürgers entsprechen. Michael J. Belleau hat seine Strafe ohne eine Entlassung auf Bewährung vollständig verbüßt und wurde danach aufgrund seiner psychischen Störung in eine Psychiatrie („Civil Commitment“) untergebracht. Später wurde er aufgrund eines Mangels an Gefährlichkeit bezüglich der Begehung weiterer Sexualdelikte entlassen. Daher hat er allen Grund zu erwarten, dass seine Privatsphäre wie die der anderen Bürger auch geschützt wird. Allerdings kann der 290
Griffin v. Wisconsin, 483 U.S. 868, 873 (1987), Vernonia Sch. Dist. 47 J v. Acton, 515 U.S. 646, 653 (1995). 291 Chandler v. Miller, 520 U.S. 305, 314 (1997). 292 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, Eastern District of Wisconsin (2015), S. 39 – 42.
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Gerichtshof nach der vollen Verbüßung der Strafe trotzdem eine zusätzliche Weisung anordnen. So kann der Gerichtshof den Betroffenen den Besitz von Schusswaffen oder den Kontakt mit den Opfern untersagen293, wenn Straftäter ein schweres Verbrechen wie Mord oder Raub begangen haben. Die Verbote dieser Art beeinträchtigen aber nicht direkt den Schutzbereich des Zusatzartikels IV. Kein Gerichtshof hat die Entscheidung getroffen, dass nach einer vollen Verbüßung der Strafe die Erwartung auf Privatsphäre wegen ehemaliger Kriminalität eingeschränkt werden müsse. Die Polizei muss bei der Verhaftung von vorbestraften Verbrechern oder bei der Durchsuchung ihrer Häuser nach wie vor eine „hinreichende Wahrscheinlichkeit“ nachweisen, um einen Haft- bzw. Durchsuchungsbefehl zu erlangen.294 Folglich darf die Erwartung des Michael J. Belleau an den Schutz seiner Privatsphäre nicht allein aufgrund seiner früheren Sexualkriminalität beschränkt werden. Zweitens wäre die Beeinträchtigung der Privatsphäre von Michael J. Belleau durch EAÜ zu groß und würde unverhältnismäßig lang andauern. Er muss bis zum Tod unter der EAÜ bleiben und würde wieder ins Gefängnis kommen, falls er die Fußfessel beschädigt oder die Anweisungen nicht befolgt. Er ist auch verpflichtet, jeden Tag den Akku des Überwachungsgeräts für eine Stunde zu Hause aufzuladen und immer darauf Acht zu geben, dass die Fußfessel in der Öffentlichkeit nicht sichtbar wird, um eine daraus folgende soziale Stigmatisierung zu vermeiden. Diese Lebensumstände verursachen eine große Unbequemlichkeit im täglichen Leben. Darüber hinaus statten die durch EAÜ gesammelten Daten die Regierung mit der Möglichkeit aus, die konkreten Bewegungen des Betroffenen minutiös zu überprüfen. In Verbindung mit Daten über weitere Lebensumstände des Betroffenen erlaubt dies der Polizei private konkrete Rückschlüsse auf seinen Haushalt, seine politische Stellung, sein Berufsleben, seine Religion oder auch sein Sexualleben zu ziehen.295 Drittens muss nachgewiesen werden, dass die Durchführung einer EAÜ die Sexualkriminalität erfolgreich verhindern kann. Weitere Erörterungen über die Frage sind erforderlich, ob die zusätzliche Anordnung der EAÜ unter dem Namen des „Civil Regulatory“ nach der Verbüßung der Strafe und nach der Entlassung aus der „Civil Commitment“ verfassungsmäßig ist. Selbstverständlich ist es eine Pflicht des Staates, die Öffentlichkeit vor Straftätern zu schützen. Die Notwendigkeit der Prävention, z. B. im Falle von sexuellen Straftaten gegen Kinder, wird niemand bestreiten. Es kommt aber darauf an, dass der Staat die individuellen Grundrechte nicht uneingeschränkt verletzen darf. Wie schon im Fall „City of Indianapolis vs. Edmond“296 festgestellt wurde, kann die Schwere der allgemeinen Gefährdung nicht allein jegliche präventive Maßnahmen der Polizei rechtfertigen, sondern es muss konkret eine gesonderte spezielle Gefahr vorliegen. In diesem Fall konnte nicht 293 294 295 296
Green vs. Berge, 354 F. 3rd 675, 680 (7th Cir. 2004). Trask vs. Franco, 446 F. 3rd 1036, 1043 – 1044 (10th Cir. 2006). Riley vs. California, 134 S. Ct. 2473, 2490 (2014). City of Indianapolis vs. Edmond, 531 U.S. 32, 42 (2000).
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nachgewiesen werden, ob eine solche spezielle Gefahr bei Michael J. Belleau vorliegt. Er war bereits 72 Jahre alt und wurde aus der „Civil Commitment“ entlassen, als seine Rückfallwahrscheinlichkeit als unwahrscheinlich eingestuft wurde. Konventionell sanktioniert die amerikanische Verfassung die Freiheitseinschränkung der Bürger nur in den folgenden Fällen: 1. bei Untersuchungshaft297, 2. bei (Freiheits)Strafe298, 3. bei Unterbringung von Personen in einer Krankenhauseinrichtung299, welche wegen einer psychischen Störung eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen. Die Verfassung erlaubt diesbezüglich auch den Freiheitsentzug derjenigen, welche sich aufgrund psychischer Erkrankungen nicht kontrollieren können und daher ein erhöhtes Potenzial zeigen, ein weiteres Sexualverbrechen zu begehen.300 Allerdings wird über die zusätzliche Anordnung der EAÜ unter dem Namen des „Civil Regulatory“ noch nicht genug diskutiert. Da die zusätzliche Anordnung der EAÜ eine enorme Erweiterung der Staatsgewalt der Regierungen der Bundesstaaten darstellt, ist eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung notwendig. Bevor eine solche erfolgt, sollte die Anordnung der EAÜ einer fundierten Prüfung unterzogen werden. Gegen diese Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichtshofs hat der Bundesstaat Wisconsin Beschwerde eingelegt. Der Bundesberufungsgerichtshof der Vereinigten Staaten für den siebten Gerichtsbezirk („United States Court of Appeals for the Seventh Circuit“) hat im Unterschied zum erstinstanzlichen Gerichtshof einstimmig die Entscheidung getroffen, dass die Wisconsin-EAÜ den Begriff „Reasonable Search“ erfüllt. Zunächst nahm der zweitinstanzliche Gerichtshof die Position ein, dass die Wisconsin-EAÜ eine Ermittlung ausgehend von „besonderen Umständen“ („Special Needs“) darstellt. Daher sei dabei kein Durchsuchungsbefehl erforderlich. Der zweitinstanzliche Gerichtshof hat ebenso wie der erstinstanzliche Gerichtshof bestätigt, dass sich diese „besonderen Umstände“ auf die Durchsuchungen beziehen, welche in Ausnahmefällen mit besonderer Notwendigkeit durchgeführt werden. Die besonderen Umstände müssen dabei über ein normales Maß hinausgehen.301 Solche besonderen Umstände liegen nicht vor, wenn eine Maßnahme durch ihren Hauptzweck allein die hinreichenden Beweismittel bezüglich der Tatbegehung sammeln kann, oder wenn dieser Hauptzweck sich nicht völlig von einem generellen Zweck („Kriminalitätskontrolle“) unterscheiden lässt.302 Der zweitinstanzliche Gerichtshof 297 298 299 300 301 302
United States vs. Salerno, 481 U.S. 739, 755 (1987). Rummel vs. Estelle, 445 U.S. 263, 268 (1980). Foucha vs. Louisiana 504 U.S. 71 (1992). Kansas vs. Hendricks, 521 U.S. 346 (1997), Kansas v. Crane, 534 U.S. 407 (2002). Vernonia Sch. Dist. 47 J v. Acton, 515 U.S. 646, 653 (1995). City of Indianapolis v. Edmond, 531 U.S. 32, 42, 44 (2000).
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hat allerdings, anders als der erstinstanzliche, die Entscheidung getroffen, dass die Wisconsin-EAÜ den Begriff der Suche ausgehend von den „besonderen Umständen“ erfüllt, weil die Maßnahme der Überwachung für einen besonderen Zweck durchgeführt wurde. Bei dieser Entscheidung hat sich der Gerichtshof auf das Urteil des „In Green vs. Berge“303 gestützt, wobei die Sammlung von DNA-Profilen von Schwerverbrechern gemäß der Landesgesetze von Wisconsin als eine Durchsuchung unter besonderen Umständen angesehen wurde.304 Der Grund für das Urteil im Fall „In Green vs. Berge“ war jener, dass der Hauptzweck der Sammlung von DNAProfilen nicht in der Suche nach Beweisen für die allgemeine Kriminalität, sondern vielmehr in der Erhebung zuverlässiger Daten besteht, welche die Identifizierung von Schwerverbrecher ermöglichen.305 Laut des zweitinstanzlichen Gerichtes gilt das Gleiche für die Wisconsin-EAÜ. Das heißt, die Überwachung konzentriert sich nicht auf das Erlangen von Beweisen in Bezug auf eine bestimmte Straftat bzw. deren Ermittlung, sondern dient dem Präventionszweck der Sexualkriminalität, indem es die Verbrecher in Kenntnis setzt, dass sie unter staatlicher Überwachung stehen und falls sie ein anderes Verbrechen begehen, sie dann mithilfe der gesammelten Daten sofort ermittelt werden können.306 Freilich hat das zweitinstanzliche Gericht eingeräumt, dass die durch die EAÜ gesammelten Daten später im Strafprozess als Beweismittel Anwendung finden könnten, aber es hat auch betont, dass eine solche Anwendung nicht den Hauptzweck der EAÜ darstellt.307 Laut dem Gericht sei die EAÜ zur Prävention von Kriminalität selbst eingeführt worden.308 Der zweite Streitpunkt in der zweiten Instanz lag darin, ob die EAÜ den Begriff „Reasonable Search“ erfüllt. Der Bundesberufungsgerichtshof der Vereinigten Staaten für den siebten Gerichtsbezirk („United States Court of Appeals for the Seventh Circuit“) hat behauptet, dass sie, obwohl die EAÜ eine Suche ausgehend von „besondere[n] Umstände[n]“ darstellt, einer weiteren Prüfung unterzogen werden muss, um die Überwachung endgültig als „Reasonable Search“ anzusehen. Bei der Prüfung wird eine Interessensabwägung durchgeführt: zwischen dem individuellen Interesse bezüglich des Rechts auf Privatsphäre und dem Allgemeinwohl der Öffentlichkeit, welche vom Schutz vor Sexualstraftätern profitiert.309 In dieser Prüfung hat der zweitinstanzliche Gerichtshof, anders als der erstinstanzliche Gerichtshof, entschieden, dass das öffentliche Interesse der Allgemeinheit bezüglich des Schutzes vor Michael J. Belleau dessen individuelles Interesse bezüglich des Rechts auf die Achtung seiner Privatsphäre überwiegt.
303 304 305 306 307 308 309
In Green v. Berge, 354 F. 3rd 675 (7th Cir. 2004). Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225 (2016), S. 20. In Green vs. Berge, 354 F. 3rd 675 at 678. Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 20. Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 20. Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 20. Chandler vs. Miller, 520 U.S. 305, 314 (1997).
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Der erste Grund für die Entscheidung war jener, dass Belleaus Erwartung an sein Recht auf Privatsphäre als weniger wichtig erachtet wurde als das von anderen Bürgern. Der zweitinstanzliche Gerichtshof hat zwar eingeräumt, dass Michael J. Belleaus Recht auf Privatsphäre durch die EAÜ verletzt würde310 und der Grad einer solchen Verletzung, aufgrund ihrer zeitlichen Unbegrenztheit, gravierender sei als einer, der durch andere, unter „besondere[n] Umstände[n]“ erlaubte Maßnahmen311 hervorgerufen werden kann. Allerdings sei Belleaus Recht auf Privatsphäre wegen seiner Vorstrafe als Schwerverbrecher in diesem Fall insgesamt eingeschränkt. Diese Entscheidung stützt sich auf ein Urteil des Obersten Gerichtshofs. Dieser hatte bereits geurteilt, dass das Recht auf Privatsphäre von auf Bewährung entlassenen Personen („Parolees and Probationers“) eingeschränkt werden darf.312 Laut der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs können die auf Bewährung Entlassenen („Parolees and Probationers“) sehr invasiven Durchsuchungen ausgesetzt werden. So können sie ohne konkreten Verdacht körperlich durchsucht, und ihre Häuser ohne Durchsuchungsbefehl jederzeit betreten werden.313 Bezüglich dieser Entscheidung hat Michael J. Belleau argumentiert, er sei kein auf Bewährung Entlassener. Daher träfe die Entscheidung nicht auf ihn zu. Diese Sicht wurde vom Gericht allerdings nicht geteilt. Der zweitinstanzliche Gerichtshof hat unter Bezugnahme auf den Fall „Green vs. Berge“314 entschieden, dass die Erwartung bezüglich eines Rechts auf Privatsphäre der Schwerverbrecher irgendwo zwischen der von auf Bewährung Entlassenen und der von normalen Bürgern liegt. Darüber hinaus hat er erläutert, dass das Gleiche für Sexualstraftäter gilt, über die nach Verbüßung der Strafe die zusätzliche Sanktion der öffentliche Bekanntmachung bzw. „Civil Commitment“ verhängt wurde.315 Der zweite Grund für die Entscheidung lag darin, dass sich der Eingriff an Belleaus Privatsphäre durch eine EAÜ als ausreichend zumutbar darstellt. In Bezug auf die Zumutbarkeit der EAÜ hat der zweitinstanzliche Gerichtshof betont, dass die Überwachung keine freiheitsentziehende, sondern eine freiheitsbeschränkende Maßnahme verkörpert. Daher sei der Eingriff durch die EAÜ nicht schwerwiegender als der durch eine Freiheitsstrafe oder durch „Civil Commitment“.316 Das Gericht stellte in seinem Urteil ebenfalls fest, dass die EAÜ, im Vergleich zu einer Totalüberwachung wie z. B. der 24-Stunden-Polizeiobservation, keine gravierendere 310
Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S 21. Michigan Dept. of State Police vs. Sitz, 496 U.S. 444 (1990), (sobriety checkpoints); Skinner vs. Railway Labor Executives’ Ass’n, 489 U.S. 602 (1989) (drug testing for railway employees involved in train accidents); New York vs. Burger, 482 U.S. 691 (1987) (administrative inspection of a closely regulated business). 312 Samson vs. California, 547 U.S. 843, 850 (2006); United States vs. Knights, 534 U.S. 112, S. 119 – 121 (2001). 313 Samson vs. California, 547 U.S. at 852. 314 Green vs. Berge, 354 F. 3rd 675 (2004) at 680. 315 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 22. 316 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 22. 311
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Gefährdung für die Privatsphäre darstellt.317 Allerdings hat der zweitinstanzliche Gerichtshof bestätigt, dass es, wenn die Polizei Herrn Belleau jederzeit folgt und Aufnahmen von ihm anfertigt, durch ein Fenster in sein Schlafzimmer schaut oder in der Nachbarschaft Erkundigungen über ihn einholt, dann ein Verstoß gegen den Zusatzartikel IV wäre318, wie es bereits der Oberste Gerichtshof schon gesehen hatte.319 Nach Ansicht des zweitinstanzlichen Gerichtshofs erfasst die EAÜ ausschließlich die Standorte, aber untersucht nicht, was die Überwachten an diesen Orten machen würden: „Die Polizei kann die EAÜ nicht eigenmächtig einsetzen. Nur mit der entsprechenden Rechtfertigung kann sie auf die Aufenthaltsinformationen zugreifen. Darüber hinaus überprüft der Bewährungshelfer die Informationen nicht in Echtzeit, sondern nur einmal täglich. Abgesehen von der Tatsache, dass Herr Belleau das Überwachungsgerät anziehen und seine Batterie jeden Tag aufladen muss, kann Herr Belleau gehen, wohin er will. Außerdem wird die EAÜ beendet, sobald er den Bundesstaat Wisconsin verlässt.“ Weiter liegt die Entscheidung darin begründet, dass die Rückfallquote bei Sexualstraftaten gegen Kinder sehr hoch ist.320 Außerdem verursachen Sexualstraftäter einen besonders schwerwiegenden Schaden, weshalb die Regierung verpflichtet ist, der Sexualkriminalität in besonderen Maßen präventiv entgegenzuwirken. Alle 3 Richter haben besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass mit der EAÜ im Bundesstaat Wisconsin meistens pädophile Sexualstraftäter unter Überwachung gestellt werden. Wenn unschuldige, schutzlose Opfer von einer Straftat bedroht sind, ist das Schutzinteresse bezüglich der Straftatprävention erheblich größer.321 Die Tatsache, dass Herr Belleau ein Pädophiler ist, war von entscheidender Bedeutung. Die Richter haben die Erkenntnisse von Psychologen ernst genommen, nach denen die pädophile Neigung selten geheilt werden kann. Herr Belleau hat dagegen behauptet, dass er nun 73 Jahre alt werde und daher „zu alt“ sei, seiner pädophilen Neigung zu folgen. Darüber hinaus hat der Psychologe eingeschätzt, dass die Rückfallwahrscheinlichkeit von Belleau zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus der „Civil Commitment“ 16 % darstellt und zum Zeitpunkt des Urteils im Schnellverfahren („Summary Judgement Order“) nur 8 % betrug. Trotzdem wurde dieser Einwand zurückgewiesen, weil die Untersuchungsergebnisse den Richter davon überzeugt haben, dass die meisten Männer ihre sexuelle Fähigkeit behalten, bis sie etwa 80 Jahre alt sind, und selbst wenn sie sie verlieren, die Kinder immer noch sexuell belästigen können.322 Außerdem waren die Richter der Annahme, dass die Einschätzung des Psychologen nur 317
Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 10. Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, S. 10. 319 Kyllo vs. United States, 533 U.S. 27, S. 33 – 36 (2001), Katz vs. United States, 389 U.S. S. 347, S. 361 (1967), United States vs. Jones, 132 S. Ct. 945, S. 954 – 956 (2012). 320 U.S. Dept. of Justice, Bureau of Justice Statistics, Recidivism of Sex Offenders Released from Prison. 321 McKune vs. Lile, 536 U.S. 24, S. 32 – 33 (2002). 322 Lindau et al., A Study of sexuality and health among older adults in the United States, 357 New England Journal Medicine, S. 762 – 774 (Aug. 23, 2007). 318
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die statistisch ausgewiesenen Informationen (z. B. das Alter des Täters, die Zahl früherer Straftaten, die Art der Opfer, etc.) berücksichtige323 und daher die Realität nicht richtig wiederspiegle. In Wirklichkeit liegt die Dunkelziffer der Sexualstraftaten, die tatsächlich gegen Kinder begangen werden, viel höher.324 Anhand dieser Überlegungen entschied der zweitinstanzliche Gerichtshof, trotz der Wichtigkeit des Schutzes der Privatsphäre, dass die EAÜ nicht verfassungswidrig ist.
II. Recht auf ein faires Verfahren Neben der Frage der Privatsphäre ist auch das Recht der überwachten Personen auf „Due Process“-Regeln ein Diskussionspunkt. Die Frage, ob die elektronische Aufenthaltsüberwachung in das Recht auf körperliche Unversehrtheit oder die Bewegungsfreiheit eines Menschen wesentlich eingreife, wurde in der amerikanischen Rechtsprechung hauptsächlich in Verbindung mit der „Due Process“-Normen verhandelt.325 Der amerikanische 5. und 14. Verfassungszusatz verbieten, dass jemand ohne „Due Process of Law“ (rechtsstaatliches Verfahren) verurteilt wird. Es gewährt prozeduralen und inhaltlichen Schutz. Der „Procedural Due Process“ (angemessener prozeduraler Rechtsprozess) garantiert den Anspruch auf faire und unparteiische Rechtsverfahren, die anhand etablierter Regeln und Prinzipien funktionieren.326 Hinter dem „Substantive Due Process“ (angemessener substantieller Rechtsprozess) verbirgt sich das Prinzip, dass Gesetze und Verordnungen nur den legitimen Regierungszwecken dienen und weder willkürlich noch unfair sein dürfen.327 1. „Procedural Due Process“ Im Fall „State vs. Stines“ wurde verhandelt, ob die Anordnung der GPS-Überwachung gegen den „Procedural Due Process“ verstößt.328 Der Sachverhalt ist im angefochtenen Urteil wie folgt beschrieben: Das im Jahr 2007 verabschiedete neue Gesetz in North Carolina (N.C. Gen.Stat. § 14 – 208.40 A, N.C. Gen.Stat § 12 – 323 DeClue/Zavodny, „Forensic Use of the Static-99R: Part 4. Risk Communication“ 1 Journal of Threat Assessment & Management, S. 145 – 149. 324 Finkelhor/Hammer/Sedlak, „Sexually Assaulted Children: National Estimates & Characteristics,“ Juvenile Justice Bulletin 8. 325 Thomson, A Comprehensive Strategy Targeting Recidivist Criminals with Continuous Real-Time GPS Monitoring: Is Reverse Engineering Crime Control Possible? Engage Volume 12, Issue 3, November 2011, S. 27. 326 Kilman/George, The Constitution of the United States of America: Analysis and interpretation. 2010, S. 122 ff. 327 Kilman/George, The Constitution of the United States of America: Analysis and interpretation. 2010, S. 169 ff. 328 State vs. Stines, 683 S. E. 2nd 411 (N.C. Ct. App. 2009).
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208.40B) hat geregelt, dass ab 2007 derjenige, der wegen des sexuellen Missbrauchs von Kindern strafrechtlich verurteilt wird, nach seiner Entlassung für den Rest seines Lebens mit einem GPS-Gerät überwacht werden muss. Der Angeklagte Stephen Jack Stines wurde wegen der zweimaligen sexuellen Belästigung von Kindern zu 5 Jahren Freiheitsstrafe verurteilt. Im Januar 2007 wurde er nach der Vollendung seiner Freiheitsstrafe entlassen. Damals hat das Gericht die GPS-Überwachung gegen ihn nicht angeordnet. Am 15. 2. 2008 hat die US-amerikanische Gefängnisbehörde („Department of Correction“) festgelegt, dass aufgrund der neuen Rechtslage Stephen Jack Stines unter die GPS-Überwachung gestellt werden müsse. Die Behörde hat Stines anschließend offiziell in einem Brief darüber informiert, dass er zur Anordnung der GPS-Überwachung gegen ihn an der Anhörung des Gerichts teilnehmen solle. Dem Brief fehlte es aber an einem konkreten Grund. Nach der Anhörung im Juni 2008 ordnete das Gericht erster Instanz eine lebenslange GPSÜberwachung gegen Stines an. Dagegen legte dieser Berufung beim zweitinstanzlichen Gerichtshof ein. Er vertrat dabei die Ansicht, dass die Anordnung der GPSÜberwachung gegen das Rückwirkungsverbot und den „Procedural Due Process“ verstoßen würde. Denn die konkreten Gründe für die Anordnung der GPS-Überwachung wurden ihm von der US-amerikanischen Gefängnisbehörde nicht schriftlich mitgeteilt, obwohl das Gericht nicht die GPS-Überwachung angeordnet hatte, als er im Januar 2007 entlassen wurde. In Bezug auf seine Rechtsansicht hat das Appellationsgericht in North Carolina lediglich die Verletzung des „Procedural Due Process“ überprüft, jedoch nicht einen möglichen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot, da es einige Monate zuvor im Fall „State vs. Bare“ bereits entschieden hatte, dass das Gesetz für die GPS-Überwachung in North Carolina nach dem Willen des Gesetzgebers nicht als Strafe, sondern als „Civil Regulatory Scheme“ aufgefasst wird und folglich nicht gegen das Rückwirkungsverbot verstößt.329 In seiner Entscheidung für den Fall „State vs. Stines“ hat das Berufungsgericht in North Carolina vor allem bestätigt, dass nach der bisherigen Rechtsprechung der „Procedural Due Process of Law“ im 14. Verfassungszusatz nur dann überprüft werden könne, wenn das Leben, die Freiheit oder das Eigentum des Bürgers durch die Staatsgewalt verletzt werde.330 In diesem Fall hat das Gericht also überprüft, ob durch die unerwartete Anordnung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung die Freiheit von Stephen Jack Stines beeinträchtigt, und ob der Prozess der Anordnung verfassungsgemäß durchgeführt wird. In Bezug auf die Einschränkung der Freiheitsrechte vertrat der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten in ständiger Rechtsprechung, dass die körperliche Haft (z. B. das Gefängnis) eindeutig die elementarste
329
State vs. Bare, 677 S. E. 2nd 518 (2009). Henry vs. Edmisten, 315 N.C. 474, 480, 340 S. E. 2nd 720, 725 (1986), Peace v. Employment Sec. Comm’n, 349 N.C. 315, 322, 507 S. E. 2nd 272, 278 (1998). Wilkinson v. Austin, 545 U.S. 209, 221 (2005). 330
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Beeinträchtigung der Freiheitsrechte darstellt.331 Nach seiner Entscheidung beschränkt sich der Begriff der „Freiheit“ nicht nur auf die Befreiung von der körperlichen Haft.332 Allerdings wurde nicht das konkrete Kriterium aufgezeigt, mit dem sich die Beeinträchtigung der Freiheitsrechte durch elektronische Überwachung mittel GPS messen lässt.333 Um dies zu prüfen, hat das Appellationsgericht in North Carolina deshalb den Fall „Commonwealth vs. Cory“334 ins Auge gefasst. Darin hat das Oberste Gericht in Massachusetts („Massachusetts Supreme Judicial Court“) aus den folgenden 3 Gründen entschieden, dass durch die GPS-Überwachung die Freiheitsrechte des Betroffenen beeinträchtigt werden.335 Erstens wird die körperliche Freiheit durch die lebenslange Anbringung des GPS-Geräts am Körper des Betroffenen eingeschränkt. Die Anbringung des Geräts am Körper des Betroffenen unter Zwang, d. h. ohne seine Einwilligung, reduziert eindeutig seine körperlichen Freiheitsrechte, weil er dadurch körperlich belastet und in seinem Selbstbestimmungsrecht beschränkt wird. Zweitens wird die Verhaltensfreiheit des Betroffenen durch die ständige GPS-Überwachung beeinträchtigt. Das GPS-Gerät überwacht rund um die Uhr den Ort des Betroffenen und speichert die gewonnenen Positionsdaten. Der Betroffene fühlt sich mithin unter intensiver Überwachung. Dieser psychische Druck verursacht Beeinträchtigungen im Verhalten. Drittens kann die Freiheit des Betroffenen wieder eingeschränkt werden, wenn er gegen die Einhaltungspflicht für die Verwirklichung der GPS-Überwachung verstößt. Eine Geld- oder Freiheitsstrafe wird z. B. verhängt, wenn der Betroffene das an seinem Fußknöchel angebrachte GPS-Gerät zerstört oder die Kontaktaufnahmeversuche der zuständigen Behörde ignoriert. Das Appellationsgericht in North Carolina hat den Argumenten des Obersten Gerichts in Massachusetts zugestimmt. Aus diesem Grund hat es geurteilt, dass die wegen der Bewährungshilfe bereits beschränkte Freiheit von Stephen Jack Stines durch die GPS-Überwachung zusätzlich beeinträchtigt wird.336 Da der Bundesberufungsgerichtshof des Bundesstaates North Carolina das Vorliegen der Verletzung der Privatsphäre von Betroffenen bestätigt hat, wurde weiter geprüft, ob das „Due Process“-Prinzip bei dieser Freiheitsentziehung gewahrt ist. Laut den Entscheidungen des Obersten Bundesgerichtshofs der Vereinigten Staaten sei es bei der Beachtung des „Procedural Due Process“-Prinzips von entscheidender Bedeutung, ob die Regierung dem Betroffenen die Umstände seiner Freiheitsentziehung sowie die Gründe dafür detailliert mitgeteilt bzw. ihm die Möglichkeiten
331
Bolling vs. Sharpe, 347 U.S. 497, 499 (1954). Saenz v. Roe, 526 U.S. 489, 499 (1999). Saenz vs. Roe, 526 U.S. 489, 499 (1999). 333 Thomson, A Comprehensive Strategy Targeting Recidivist Criminals with Continuous Real-Time GPS Monitoring: Is Reverse Engineering Crime Control Possible? S. 27. 334 Commonwealth vs. Cory, 454 Mass. 559, 911 N.E. 2nd 187 (2009). 335 Commonwealth vs. Cory, 454 Mass. at 570, 911 N.E. 2nd at 196. 336 State vs. Stines, 683 S. E. 2nd 411 (N.C. Ct. App. 2009). 332
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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eingeräumt hat, seine Einwände vorzubringen.337 Der Bundesstaat North Carolina hat behauptet, dass der „Procedural Due Process“ Grundsatz eingehalten wurde, weil dem Betroffenen der Termin und Ort der Verhandlung mitgeteilt wurde. Auch wurde er darüber informiert, dass er gemäß dem neuen Gesetz N.C. Gen.Stat. § 14 – 208.40(a) unter EAÜ gestellt werden würde. Diese Ansicht teilte der Bundesberufungsgerichtshof allerdings nicht. Bei der Prüfung unter Beachtung des „Procedural Due Process“ hat er die entsprechenden Maßstäbe angewandt, die der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall „Mathews vs. Eldridge“338 festgelegt hatte. Laut dem Obersten Bundesgerichtshof sollen dabei die folgenden 3 Punkte beachtet werden: 1. die Art des betroffenen Grundrechts und die Erheblichkeit seiner Verletzung; 2. die Abwägung zwischen der möglicherweise ungerechtfertigten Interessensgefährdung des Betroffenen durch die aktuelle Vorgehensweise und ihrem Interessensschutz, der durch die Einführung neuer Vorgehensweisen bzw. einer Verstärkung der gegebenen Vorgehensweisen gesichert werden kann; 3. das Interesse der Regierung, z. B. bezüglich zusätzlicher Finanz- und Verwaltungskosten, die bei der Einführung neuer Vorgehensweisen bzw. einer Verstärkung der gegebenen Vorgehensweisen, entstehen würden.339 Der Bundesberufungsgerichtshof hat den Fall anhand dieser Maßstäbe ausführlich geprüft und kam zu der Entscheidung, dass die Anordnung der EAÜ in diesem Fall gegen das „Procedural Due Process“-Prinzip verstößt. Das Gericht bestätigte zunächst, dass die Freiheit des Angeklagten durch die lebenslange EAÜ eingeschränkt wird und eine solche Einschränkung besonders ernsthaft berücksichtigt werden sollte, weil das Freiheitsrecht, unter anderen bürgerlichen Rechten, von ausgesprochener Bedeutung sei. Dieser Umstand spielte eine sehr wichtige Rolle bei der Beurteilung, ob die Mitteilung über die EAÜ, die von der Vollzugsbehörde an Stephen Jack Stines übermittelt wurde, einen Verstoß gegen den Grundsatz darstellt. Hier findet die folgende Formel Anwendung: Je wichtiger das beeinträchtigte Grundrecht und je stärker der Eingriff darin ist, desto strenger muss die Prüfung unter Beachtung des „Procedural Due Process“-Grundsatzes durchgeführt werden.340 Das Berufungsgericht hat besonderes Augenmerk darauf gelegt, dass die Vollzugsbehörde in der Mitteilung keine konkreten Gründe angeführt hat, warum Stines unter die EAÜ gestellt werden sollte. Der Angeklagte hätte zumindest darüber informiert werden müssen, welche Voraussetzung er gemäß N.C. Gen.Stat. § 14 – 208.40(a) für den Einsatz der EAÜ bezüglich seiner Vorstrafe genau erfüllt hat bzw. weswegen ein 337 Peace, 349 N.C. at 322, 507 S. E. 2nd at 278. In re Lamm, 116 N.C.App. 382, 386, 448 S. E. 2nd S. 125, S. 128 – 129 (1994), aff’d per curiam, 341 N.C. 196, 458 S. E. 2nd 921 (1995), cert. denied, 516 U.S. 1047, 116 S. Ct. 708, 133 L. Ed. 2nd 663 (1996). 338 Mathews vs. Eldridge, 424 U.S. 319, 334 – 35, 96 S. Ct. 893, 903, 47 L. Ed. 2nd 18, 33 (1976). 339 Mathews vs. Eldridge, 424 U.S. at 334 – 335. 340 Mathews vs. Eldridge, 424 U.S. at 334 – 335.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Anhörungsverfahren bezüglich eines Einsatzes der EAÜ gegen ihn eingeleitet wird. Das Berufungsgericht hat auch bestätigt, dass in diesem Fall keine Möglichkeit für ein anderes Anhörungsverfahren bestand. Außerdem hätte es keine zusätzlichen Finanz- und Verwaltungskosten verursacht, die genannten konkreten Informationen in der ersten Mitteilung schriftlich festzuhalten. Nach allen Überlegungen kam man zu dem Ergebnis, dass die Mitteilung der Vollzugsbehörde gegen den „Procedural Due Process“-Grundsatz verstoßen habe und eine neue Anhörung notwendig sei, um die Durchführung einer EAÜ anzuordnen. Trotz dieser Entscheidung des Berufungsgerichtshofs haben fast alle EAÜMaßnahmen in den meisten Bundesstaaten der grundrechtlichen Herausforderung des „Procedural Due Process“ mehr oder weniger standgehalten.341 Die Gründe hierfür lagen darin, dass durch die EAÜ überhaupt keine bzw. eine nur sehr geringe Freiheitseinschränkung vorläge und sie sich damit dem „Due Process“-Prinzip gegenüber als irrelevant darstellten:342 „Das EAÜ-Gerät am Fußgelenk selbst verursacht keine erhebliche Freiheitseinschränkung. Den Betroffenen könnte es zunächst unangenehm sein, aber nach einiger Zeit nähme man das Gerät als weniger einschränkend wahr.“. „Das EAÜ-Gerät führt keinen nennenswerten körperlichen Schaden herbei, deshalb ist es nicht als eine strafende Sanktion zu werten.“. „Das Tragen des EAÜ-Gerätes behindert die Bewegung gar nicht.“. „In der Tat handelt es sich lediglich um eine Maßnahme, die den Einsatz der langfristigen Bewährung kostengünstiger und effektiver macht.“. 2. „Substantive Due Process“ Neben der Diskussion darum, ob die EAÜ gegen das Prinzip des „Procedural Due Process“ verstößt, wird auch kontrovers diskutiert, ob sie ebenso das Prinzip des „Substantive Due Process“ verletzt. Laut dem Obersten Gerichtshof findet der 14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten nicht nur im Prozessrecht, sondern auch im materiellen Recht Anwendung. Die „grundlegenden Rechte („Fundamental Rights“)“ der Bürger werden durch die Zusatzartikel gegen arbiträre Ausübung der staatlichen Macht geschützt, obwohl die Artikel diese Rechte nicht ausdrücklich bestimmen.343 Der Gerichtshof hat bisher entschieden, dass die Ehefreiheit, das Recht auf Elternschaft und Kindererziehung, das Recht auf eheliche Privatsphäre („Marital Privacy“), die Freiheit von körperlichem Zwang, das Recht
341 Siehe, Stop Child Predators, The Constitutionality of GPS Tracking of Sex Offenders (2007), abrufbar unter: http://www.stopchildpredators.org/pdf/SCP_PR041707.pdf. Siehe, Erin Murphy, Paradigms of Restraint, S. 1351 – 1358. 342 Dazu ausführlich, Thomson, A Comprehensive Strategy Targeting Recidivist Criminals with Continuous Real-Time GPS Monitoring: Is Reverse Engineering Crime Control Possible? S. 27 – 28. 343 Daniels vs. Williams, 474 U.S. 327, 331, 106 S.Ct. 662, 88 L.Ed. 2nd 662 (1986), County of Sacramento v. Lewis, 523 U.S. 833, 840, 118 S.Ct. 1708, 140 L.Ed. 2nd 1043 (1998).
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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auf Schwangerschaftsunterbrechung usw. zu diesen „grundlegenden Rechten“ gehören, die mit „grundlegenden Freiheitsinteressen“ verbunden sind.344 Der Gerichtshof hat allerdings noch keine Entscheidung darüber getroffen, ob das Freiheitsrecht, welches durch die EAÜ beeinträchtigt wird, als eines dieser „grundlegenden Rechten“ zu betrachten ist. Dieses Problem wurde jüngst vom Obersten Bundesgericht von South Carolina näher untersucht.345 Hier, im Fall „State vs. Dykes“, standen die Landesgesetze von South Carolina („South Carolina Code of Laws“) 23 – 3 – 540(C) und 23 – 3 – 540(H) im Zentrum der Diskussion. Das Landesgesetz 23 – 3 – 540(C) ordnete an, dass diejenigen, welche für schwere Sexualkriminalität verurteilt worden sind bzw. welche eine/n oder mehrere/n Minderjährige/n unter 16 Jahren sexuell ausgebeutet haben, ohne gerichtliche Einschätzung wegen individueller Gefährlichkeit pflichtmäßig unter lebenslange EAÜ gestellt werden müssen. Außerdem regelt § 23 – 3 – 540(C), dass das Gericht gegen die Personen, die vor dem Inkrafttreten des Gesetzes über die EAÜ wegen der genannten Sexualverbrechen verurteilt wurden und während der Entlassung auf Bewährung und der Bewährungshilfe (Supervision) den Weisungspflichten nicht nachkommen, eine lebenslange EAÜ anordnen muss. Das Landesgesetz 23 – 3 – 540(H) hatte die weitere Einschätzung für die Aufhebung der EAÜ grundsätzlich nicht ermöglicht.346 Fraglich war, ob die Landesgesetze das Prinzip des „Substantive Due Process“ gemäß dem 14. Zusatzartikel verletzen. Frau Dykes, die Berufungsklägerin, wurde wegen Geschlechtsverkehrs mit einer 14-jährigen Minderjährigen gemäß dem Bundesgesetz von South Carolina 16 – 15 – 140347 angeklagt. Sie hat sich schuldig bekannt und wurde schließlich zu 3 Jahren Gefängnis und zu 5 Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Als sie entlassen wurde, teilte man ihr mit, dass sie unter lebenslange Überwachung gestellt wird, falls sie gegen die Weisungen der Bewährungshilfe verstoßen würde. Schon nach kurzer Zeit verstieß sie mehrfach gegen die Weisungen.348 Folglich forderte die Landesregierung von South Carolina gemäß dem 344 Foucha vs. Louisiana, 504 U.S. 71, 80 (1992), Reno v. Flores, 507 U.S. 292, 301 – 01 (1993). Washington vs. Glucksberg, 521 U.S. 702, 720, 117 S.Ct. 2258, 138 L.Ed. 2nd 772 (1997). 345 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) 744 S. E. 2nd 505. 346 Vgl. Dagegen wird dem Gericht ein Ermessensspielraum für die Anordnung der EAÜ eingeräumt, wenn die Personen wegen der Vollendung oder des Versuchs von anderen sexuellen Verbrechen außer der Sexualkriminalität erster Klasse und sexueller Belästigung an Minderjährigen unter 16 Jahren alt verurteilt sind. (S.C.Code Ann. § 23 – 3 – 540(B), (D), (G) (1)) Darüber hinaus können diese Personen 10 Jahre später die Aufhebung der EAÜ vor dem Gericht verlangen, wenn sie ihren Weisungspflichten problemlos nachkommen und dadurch bewiesen wird, dass die EAÜ nicht mehr nötig ist. Wenn das Gericht hierbei die Aufhebung der EAÜ ablehnt, können die Personen alle 5 Jahre wieder die Aufhebung der EAÜ verlangen. 347 Lewd act on minor; Sexueller Missbrauch von Kindern. 348 Sie knüpft noch einen Kontakt mit den ehemaligen Gefängnisinsassen, die sie im Gefängnis kennengelernt hat, obwohl es durch die Weisung verboten ist. Sie hat sogar später mit ihnen zusammengewohnt und gegen das Alkohol-Verbot verstoßen. Außerdem ist sie zum verpflichteten Beratungstermin mehrfach nicht erschienen und verlässt ohne Gespräch oder Meldung an die Aufsichtsbehörde den Ort, wo sie bleiben soll.
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Landesgesetz 23 – 3 – 54(C) vom zuständigen Gericht die Anordnung der EAÜ. Dagegen hat Frau Dykes eingewandt, dass das Landesgesetz, was bedingungslos eine lebenslange EAÜ im Fall des Einweisungsverstoßes anordnet, gegen die Prinzipien des „Substantive Due Process“ sowie des „Procedural Due Process“ bzw. gegen das Rückwirkungsverbot, den Gleichbehandlungsgrundsatz sowie das Verbot der ungerechtfertigten Durchsuchung und Beschlagnahmung verstoßen würde. Die Berufungsklägerin betonte ausdrücklich, dass sie keine Rückfallgefahr aufweise, weshalb keine Anordnung der EAÜ erforderlich sei. Frau Dykes berief sich darauf, dass das Vorliegen ihrer einmaligen früheren Straftat allein ihre Rückfallgefahr nicht beweisen könne. Außerdem sei eine Sachverständige in Anbetracht der Gesamtumstände zu dem Schluss gekommen, dass sie nur eine geringe Gefahr darstelle. Hierzu könne die Regierung von South Carolina keinen Gegenbeweis anführen. Der erstinstanzliche Landesgerichtshof („Circuit Court“) hat den Standpunkt vertreten, dass Frau Dykes gegen die Anweisungen vorsätzlich verstoßen hatte, obwohl ihr die Folgen solcher Verstöße schon mitgeteilt worden waren. Er stellte weiterhin fest, dass eine rechtliche Pflicht der Regierung besteht, Frau Dykes ohne eine Einschätzung ihrer Rückfallgefahr unter EAÜ zu stellen. Gegen diese Entscheidung hat Frau Dykes eine Beschwerde eingelegt. Am 9. 5. 2012 hat das Berufungsgericht („Supreme Court of South Carolina“) entschieden, dass der S.C. Code Ann 23 – 3 – 540(C) gegen das vom 14. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten enthaltene Prinzip des „Substantive Due Process“ verstößt.349 Am 22. 5. 2013, etwa 1 Jahr später, hat es auch bei der Wiederaufnahme des Verfahrens350 das Ergebnis seiner Entscheidung nicht geändert.351 Allerdings weicht der Inhalt dieses Urteil von 2013 im Vergleich zum Urteil von 2012 teilweise ab: 3 von insgesamt 5 Richtern kamen zum Ergebnis, dass nicht Art. 23 – 3 – 540(C) von South Carolina, sondern Art. 23 – 3 – 540(H) von South Carolina gegen das Prinzip des „Substantive Due Process“ verstößt, während 2 weitere Richter ebenso wie bei dem Urteil von 2012 der Ansicht waren, dass Art. 23 – 3 – 540(C) von South Carolina gegen das Prinzip des „Substantive Due Process“ verstößt. Die konkreten Streitpunkte und die Hauptargumente beider Ansichten waren dabei wie folgt: Zunächst stellte sich die Frage, ob das betroffene Recht in diesem Fall zu den grundlegenden Rechten („Fundamental Rights“) gehört. Die Beachtung des Prinzips des „Substantive Due Process“ wird nur dann geprüft, wenn dies bejaht wird. Für die Entscheidung wurden sowohl für die Mehrheitsmeinung als auch für die Minder-
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State vs. Dykes, Decided: May 09, 2012, No. 27124. Dieses Urteil enthält keinen ausführlichen Grund für die Wiederaufnahme des Verfahrens. Unter Berücksichtigung des im Vergleich zu dem Urteil von 2012 veränderten Inhalts des Urteils kann man lediglich vermuten, dass einige Richter den Gesetzestext falsch ausgelegt und angewandt haben. 351 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) 744 S. E. 2nd 505. 350
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heitsmeinung die entsprechenden Präzedenzfälle352 berücksichtigt. Im Fall „Washington vs. Glucksberg“ hat der Oberste Bundesgerichtshof entschieden, dass das Gericht bei der Anerkennung eines Rechts als ein grundlegendes Recht im Sinne des 14. Zusatzartikel die größtmögliche Sorgfalt walten lassen soll, damit der Inhalt des geschützten Rechts nicht wegen der persönlichen Präferenzen der zuständigen obersten Richter geändert wird. Der Gerichtshof hat daher für die Wahrung der Objektivität eine zweistufige Prüfung („Two-Part Test“) eingeführt.353 Bei der ersten Stufe dieser Prüfung werde eine sorgfältige Beschreibung („Careful Description“) des betroffenen Rechts vorgenommen, von welchem behauptet wird, es sei ein grundlegendes Recht. Wenn das betroffene Recht begrifflich festgelegt ist, findet anschließend in der zweiten Stufe eine finale Einschätzung statt. Die entscheidenden Maßstäbe lauten dabei: Das Recht ist in der Geschichte bzw. in der Tradition der Vereinigten Staaten tief verankert oder das Recht ist schon in dem Begriff des Freiheitsrechts so implizit inbegriffen, dass beim Verzicht auf ein solches Recht keine Freiheit bzw. keine Gerechtigkeit herrschen würde. Infolge dieser zweistufigen Prüfung hat die Mehrheitsmeinung im Fall „State vs. Dykes“ das diskutierte Recht als das Recht auf „in Ruhe gelassen zu werden“ beschrieben und hat entschieden, dass es nicht zu den grundlegenden Rechten („Fundamental Rights“) gehört.354 Die Gründe dafür lagen darin, dass Dykes eine verurteilte Sexualstraftäterin ist, und dass die EAÜ eine zivilrechtliche Strafsanktion darstellt. Die Logik der Mehrheitsmeinung lässt sich wie folgt darlegen: 1. Der Gesetzgeber von South Carolina hat erklärt, dass er die EAÜ als eine zivilrechtliche Sanktion eingeführt hat, um die Öffentlichkeit vor Straftätern zu schützen bzw. um die Vollziehung der betroffenen Gesetze in der Praxis effizienter zu machen.355 2. Laut des Obersten Bundesgerichts soll diese Intention des Gesetzgebers geachtet werden, solange es keine eindeutigen Beweise dafür gibt, dass die Sanktion den beabsichtigten Zweck nicht erfüllt. Der Oberste Bundesgerichtshof hat dies wiederholt bestätigt.356 3. Die EAÜ wurde vom Gerichtshof auch als eine zivilrechtliche Sanktion angesehen, da es keinen Grund gibt, sie, anders als es die Meinung des Gesetzgebers ist, als eine strafrechtliche Sanktion zu erachten. 352
Moore vs. City of E. Cleveland, 431 U.S. 494, 544, 97 S.Ct. 1932, 52 L.Ed. 2nd 531 (1977), Reno vs. Flores, 507 U.S. 292, 302, 113 S.Ct. 1439, 123 L.Ed. 2nd 1 (1993), Washington vs. Glucksberg, 521 U.S. 702, 117 S.Ct. 2258, 138 L.Ed. 2nd 772 (1997), County of Sacramento vs. Lewis, 523 U.S. 833, 840, 118 S.Ct. 1708, 140 L.Ed. 2nd 1043 (1998), In re Treatment & Care of Luckabaugh, 351 S.C. 122, 140, 568 S. E. 2nd 338, 347 (2002). usw. 353 Washington vs. Glucksberg, 521 U.S. 702 (1997). at 720 – 721. 354 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 506. 355 S.C.Code Ann. § 23 – 3 – 400. 356 Hudson vs. United States, 522 U.S. 93, 100, 118 S.Ct. 488, 139 L.Ed. 2nd 450 (1997), Smith vs. Doe, 538 U.S. 84, 123 S.Ct. 1140, 155 L.Ed. 2nd 164 (2003).
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4. Die zivilrechtliche Sanktion stellt eine solche dar, die für den Schutz der Gesellschaft eingeführt wurde. Sie hat in der langen Geschichte der Vereinigten Staaten Anerkennung gefunden. 5. Deshalb kam das Gericht zur Mehrheitsmeinung, dass das Recht auf „in Ruhe gelassen zu werden“ der Sexualstraftäter, deren Opfer Kinder waren, nicht dem Recht gleichkommt, welches in der Geschichte bzw. in der Tradition der Vereinigten Staaten tief verankert ist.357 Die Minderheitsmeinung dagegen ging von einem anderen Ansatz aus. Sie argumentierte unter der Prämisse, dass Dykes Rechtsstellung als Sexualstraftäterin ihr die Ausübung ihrer grundlegenden Rechte nicht untergraben dürfe. Ebenso wurde hervorgehoben, dass die Verfassung der Vereinigten Staaten solches Recht nicht anerkennt, welches nur einer speziellen sozialen Schicht zur Verfügung steht, da die Verfassung nur das Recht regele, das allen Bürgern zur Verfügung steht. Nach der Mindermeinung berücksichtigt die herrschende Meinung die Tatsache nicht, dass sich eine Formulierung, die ein Recht mit der sozialen Position des Rechtsträgers verbindet, als problematisch darstellt.358 Eine solche Formulierung könne das Maß einer Rechtsverletzung nicht rechtsgemäß in Betracht ziehen und der Fokus der Diskussion würde sich allein auf die Rechtfertigungsbehauptung der Regierung konzentrieren.359 Die Mindermeinung hat allerdings eingeräumt, dass sich Dykes Rechtsstellung als verurteilte Sexualstraftäterin auf ihre grundlegenden Rechte auswirken kann. Sie hat aber betont, dass solche Auswirkungen nicht bei der ersten Stufe der Prüfung, sondern erst bei der zweiten Stufe berücksichtigt werden sollen. Infolgedessen hat die Mindermeinung ausgeführt, dass das im Fall diskutierte Recht nichts damit zu tun hat, ob Dykes eine Sexualstraftäterin ist. So wurde das im Fall zu prüfende Recht als die Freiheit aller Bürger vor der permanenten ständigen Überwachung aufgefasst. Die Mindermeinung hat ferner angenommen, dass das Recht auf die Freiheit vor der permanenten ständigen Überwachung zu den grundlegenden Rechten gehört.360 Diesbezüglich berücksichtigte sie die Meinungen der Richter Alito und Sotomayor im Fall „United States vs. Jones“. Die Richter Alito und Sotomayor warnten davor, dass der Begriff der Privatsphäre der Bürger durch Überwachungstechnologie, die eine totale Überwachung im Alltag ermöglicht, bedroht ist.361 Ihrer Ansicht nach könne der Staat durch die unwiderrufliche Auferlegung der lebenslangen EAÜ bestimmte Personen für ihr gesamtes restliches Leben zwangsweise überwachen, während mittels einer Durchsuchung im Sinne des 4. Zusatzartikel der US-Verfassung nur für einen bestimmten Zeitraum überwacht werden kann. Unter Berücksichtigung dieser Begründung kam die Mindermeinung zu dem Ergebnis, dass das Recht auf die Freiheit vor permanenter Überwachung zu den 357 358 359 360 361
State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 507. State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 515. State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 514. State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 515. United States vs. Jones, 132 S.Ct. at 957.
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grundlegenden Rechten gehört, weil Freiheit und Gerechtigkeit nicht mehr existieren, wenn die Regierung die genaue Position einer Person in ihrem Alltag ihr ganzes Leben lang durchgehend überwachen kann.362 Der zweite Streitpunkt ist die Frage, ob der durch die Anordnung der lebenslangen EAÜ verursachte Eingriff in das grundlegende Recht gerechtfertigt werden kann. Als Maßstab dieser Prüfung wurden die entsprechenden Präzedenzfälle des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten angewandt. Demzufolge ist eine strenge Prüfung („Strict Scrutiny“) vorzunehmen, wenn das beanspruchte Recht als das verfassungsrechtlich geschützte grundlegende Recht betrachtet wird.363 Um der strengen Prüfung zu genügen, muss die Maßnahme der EAÜ der Erreichung der legitimen, dringenden Staatsziele dienen sowie zur Erreichung des angestrebten Zwecks tauglich und erforderlich sein.364 Hingegen ist der „Rational Basis Test“ anzuwenden, wenn das beanspruchte Recht nicht als das verfassungsrechtlich geschützte grundlegende Recht angesehen wird.365 Dabei ist die zu prüfende Maßnahme dann verfassungsgemäß, wenn sie überhaupt etwas zur Erreichung des legitimen Staatsziels beitragen kann. Aufgrund der herrschenden Meinung, dass Dykes das in Frage stehende Recht als das Recht auf „in Ruhe gelassen zu werden“ („Right to be let alone“) aufgefasst und es nicht als grundlegendes Recht im Sinne von Verfassungsrecht verstanden hat, wurde statt der strengen Prüfung der „Rational Basis Test“ durchgeführt.366 Nach sorgfältiger Überprüfung des S.C.Code Ann. § 23 – 3 – 400 ging die herrschende Meinung dahin, dass der Gesetzgeber die EAÜ eingeführt hat, nicht etwa um Sexualstraftäter zu bestrafen, sondern um die Allgemeinheit vor Straftätern mit hoher Wiederholungsgefahr zu schützen bzw. um in der Praxis die Vollziehung des Gesetzes hinsichtlich der Sexualstraftäter effizienter zu machen. In Anbetracht dieser Absicht des Gesetzgebers hat die herrschende Meinung ausgeführt, dass Artikel 23 – 3 – 540(c) von South Carolina, der besagt, dass es bei bestimmten Sexualstraftätern ohne gerichtliche Einschätzung bezüglich der individuellen Gefährlichkeit pflichtmäßig ist, eine lebenslange EAÜ anzuordnen ist, die Anforderungen des „Rational Basis Test“ erfüllt, da Artikel 23 – 3 – 540(c) von South Carolina zur Erreichung des legitimen Staatsziels ausreichend beiträgt. Die herrschende Meinung der Richter hat aber den Artikel 23 – 3 – 540 (H) von South Carolina als verfassungswidrig beurteilt, der die weitere gerichtliche Einschätzung für die Aufhebung 362
State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 520. Washington vs. Glucksberg, 521 U.S. 702 (1997). at 721 – 722. 364 If the interest infringed upon is a fundamental right, the statute must be „narrowly tailored to serve a compelling state interest.“ Reno vs. Flores, 507 U.S. 292, 302, 113 S.Ct. 1439, 123 L.Ed. 2nd 1 (1993); In re Treatment & Care of Luckabaugh, 351 S.C. 122, 140, 568 S. E. 2nd 338, 347 (2002). 365 In Re Treatment & Care of Luckabaugh, 351 S.C. 122, 140, 568 S. E. 2nd 338, 347 (2002). 366 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 507. 363
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der EAÜ grundsätzlich nicht ermöglicht.367 Denn gemäß Artikel 23 – 3 – 540 (H) müssen selbst die Personen, deren Wiederholungsgefahr nicht mehr besteht, noch anhand des GPS-Gerätes überwacht werden, und dies widerspricht dem Zweck des Gesetzgebung, die Allgemeinheit vor Sexualstraftätern mit hoher Wiederholungsgefahr zu schützen. Im Gegensatz zur herrschenden Meinung hat die Mindermeinung das umstrittene Recht Dykes als das Recht auf „Freiheit vor der permanenten ständigen Überwachung verstanden“, und es damit als das „grundlegende Recht („Fundamental Right“)“ angesehen. Daher wurde hierbei die strenge Prüfung angewandt: Als Ausgangspunkt der Argumentation hat die Mindermeinung angenommen, dass Sexualstraftäter mit einer hohen Rückfallquote eine große Gefahr für die Gesellschaft darstellen. Sie stimmte auch mit der Meinung des Obersten Gerichtshofs368 überein, dass der Schutz der Allgemeinheit vor Gewalt- und Sexualstraftaten im wichtigen Staatsinteresse liegt. Die Mindermeinung hat weiterhin bestätigt, dass laut einer Statistik, die in mehreren Entscheidungen angeführt wurde, die meisten Opfer Minderjährige sind. Darüber hinaus sei eine hohe Rückfallquote bei Sexualstraftätern zu erwarten, anders als bei anderen Straftätern.369 Daraus folgend hat die Mindermeinung eingeräumt, dass bei der Interessenabwägung unter strenger (gerichtlicher) Prüfung die Rechtsstellung von Frau Dykes als Sexualstraftäterin für wichtig erachtet werden muss.370 Allerdings war eine solche Berücksichtigung der Rechtsstellung sowie der Statistik über Sexualdelikte für die Mindermeinung alleine nicht ausreichend, um die Anforderungen der strengen Prüfung zu erfüllen. Sie kam zu der Ansicht, dass eine konkrete individuelle Prüfung zusätzlich gefordert werden müsse, dahingehend ob die betroffenen Sexualstraftäter die Tat tatsächlich erneut begehen werden. Der Grund lag darin, dass es ansonsten zu einem ungerechten Ergebnis kommt, wobei die Sexualstraftäter lebenslang unter Überwachung gestellt werden müssen, wenngleich sie ihre Strafe schon vollständig abgesessen haben und keine bzw. eine niedrige Rückfallwahrscheinlichkeit aufweisen. Dies würde eine schwerwiegende Verletzung der Freiheit der Betroffenen darstellen, ohne dass es dem Schutz der Öffentlichkeit dient.371 Deshalb kam die Mindermeinung zu dem Schluss, dass Art. 23 – 3 – 540 (C) von South Carolina, der ohne gerichtliche Einschätzung für individuelle Gefährlichkeit eine pflichtmäßige lebenslange EAÜ regelt, gegen das Prinzip des „Substantial Due Process“ verstößt.372 Anders als die Mehrheitsmeinung hat die Mindermeinung die Zulässigkeit des 23 – 3 – 540 (H) als keinen Gegenstand der Entscheidung angesehen, da nicht nur Frau Dykes die Klage gegen Art. 23 – 3 – 540 (C) eingereicht hat, sondern auch der Eingriff in das grund367
State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 509, 510. McKune vs. Lile, 536 U.S. 24, 32, 122 S.Ct. 2017, 153 L.Ed. 2nd 47 (2002). 369 State vs. Walls, 348 S.C. 26, 31, 558 S. E. 2nd 524, 526 (2002), McKune vs. Lile, 536 U.S. 24, 32, 122 S.Ct. 2017, 153 L.Ed. 2nd 47 (2002). 370 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 522. 371 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 522. 372 State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) at 522. 368
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legende Recht von Frau Dykes durch Art. 23 – 3 – 540 (C) unmittelbar verursacht wurde.373
III. Rückwirkungsverbot und Verbot der Doppelbestrafung Der Streit über das Rückwirkungsverbot („Ex Post Facto Clause“) hinsichtlich der EAÜ beschäftigt sich mit der Frage, ob die EAÜ auch für Sexualstraftäter Anwendung finden kann, die vor dem Inkrafttreten der betroffenen Gesetze Straftaten begangen haben. Art. I. § 10 cl. 1 der Verfassung der Vereinigten Staaten sieht ein Rückwirkungsverbot („Ex Post Facto Prohibition“) vor. Es verbietet grundsätzlich, dass bei staatlichen Akten an vergangenes Handeln nun eine andere Folge geknüpft wird, d. h., es darf keine andere Strafe ausgesprochen werden, als zum Zeitpunkt der strafbaren Handlung vorgesehen war.374 Das Prinzip gilt nur für Strafen, findet dagegen keine Anwendung bei zivilrechtlichen Sanktionen („Civil Sanction“). Folglich kommt es darauf an, welchen Rechtscharakter die EAÜ aufweist.375 Dies betrifft auch die Fragestellung, ob die EAÜ gegen das Prinzip des Doppelbestrafungsverbots376 verstößt. Das Prinzip könnte nicht angewandt werden, wenn die EAÜ nicht als eine Strafe, sondern als eine zivilrechtliche Sanktion anzusehen wäre.377 Zwar hat der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten bisher noch keine explizite Entscheidung über den Rechtscharakter der EAÜ getroffen, aber der Streit darum geht auf der erstinstanzlichen sowie der zweitinstanzlichen Ebene in den Bundesstaaten weiter. Einige Gerichte der Bundesstaaten haben den strafrechtlichen Charakter der EAÜ angenommen378, die anderen haben die EAÜ als eine zivilrechtliche Sanktion deklariert.379 Bei diesen Entscheidungen war die Präzedenz 373
State vs. Dykes, 403 S.C. 499 (2013) Fußnote 10. Weaver vs. Graham, 450 U.S. 24, 28 (1981) (quoting Cummings v. Missouri, 4 Wall. 277, 325 – 326, 1866). 375 BLACK’S LAW DICTIONARY 620 (8th ed. 2004). 376 Im US-Strafrecht kann niemand, der von einer Jury von 12 Geschworenen freigesprochen worden ist, für ein und dieselbe Straftat in derselben Gerichtsbarkeit erneut angeklagt werden. Die Staatsanwaltschaft hat bei einem Freispruch keine Revisionsmöglichkeiten, selbst wenn der Freigesprochene die Tat danach offen zugibt. Allerdings darf unabhängig von einem Prozess auf Bundesstaats-, d. h. Einzelstaatsebene (state), auch die Bundesregierung (Federal Government) Anklage erheben. 377 Kansas vs. Hendricks, 521 U.S. 346 (1997). 378 Doe vs. Schwarzenegger, 476 F. Supp. 2nd 1178, 1180 – 1181 (E.D. Cal. 2007) (holding that the California monitoring statute was only to be applied prospectively and noting that applying it retroactively would „raise serious ex post facto concerns“). Commonwealth vs. Cory, 911 N.E. 2nd 187 (Mass. 2009). Riley vs. N.J. State Parole Bd., No. A-1004 – 09T1 (N.J. Super. Ct. App. Div. Sept. 22, 2011). Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, Eastern District of Wisconsin. Case No. 12-CV-1198, 2015. 379 Doe vs. Bredesen, 507 F. 3rd 998, 1000 (6th Cir. 2007) (holding that retroactive application of the Tennessee monitoring statute does not violate the Ex Post Facto Clause because the statute is non-punitive), and State vs. Bare, 677 S. E. 2nd 518, 528 (N.C. Ct. App. 2009) (holding 374
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
„Smith vs. Doe“380 von zentraler Bedeutung, wobei der Oberste Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten nicht nur die öffentlichen Sexualstraftäter-Register selbst, sondern auch die rückwirkende Erstreckung von vor ihrer Einführung verurteilten Personen billigte. In diesem Fall hat das oberste amerikanische Gericht festgestellt, dass eine Verhängung von restriktiven Maßnahmen bei gefährlichen Sexualstraftätern eine legitime, nicht-strafrechtliche Maßnahme sei und die Verbreitung von zutreffenden Informationen nicht einer weiteren Bestrafung für dieselbe Tat gleichkomme. Nichts weise darauf hin, dass es sich bei der öffentlichen Sexualstraftäterregistrierung um etwas anderes als ausschließlich eine zivilrechtliche Regulierung zum Schutz der Öffentlichkeit handele. Im Laufe der Argumentation hat der Bundesgerichtshof ein zweistufiges Prüfungsschema entwickelt, um festzustellen, ob die fragliche Sanktion einen strafrechtlichen Charakter besitzt oder eine zivilrechtliche Sanktion darstellt.381 Auf der ersten Stufe wird geprüft, ob die Absicht des Gesetzgebers deutlich ist. Wenn die Absicht ausdrücklich (anhand des Wortlauts des Gesetzes) geäußert wurde, dann muss sie, laut des Bundesgerichtshofs, bevorzugt behandelt werden, es sei denn, es besteht ein sehr überzeugender Einwand. Falls es vom Gesetzgeber vorgesehen wäre, die Sanktion als eine Strafe anzusehen, dann würde folglich die Rückwirkung des betroffenen Gesetzes verweigert. Dagegen würde die Prüfung auf der zweiten Stufe fortgesetzt, wenn es die Absicht des Gesetzgebers wäre, die Sanktion als eine zivilrechtliche Sanktion zu verhängen, oder wenn die Absicht unklar ist. Bei dieser zweistufigen Prüfung wird der im Fall „Kennedy vs. Mendoza-Martinez“382 entwickelte „Mendoza-Martinez-Test“ häufig durchgeführt, um den Strafcharakter eines Gesetzes zu messen. Nach diesem Test müssen folgende Voraussetzungen vorliegen, um ein Gesetz als strafrechtlich zu qualifizieren:383 Das Gesetz ist danach Strafrecht, wenn 1. die Sanktion eine positive Behinderung oder Zurückhaltung beinhaltet, 2. das Gesetz aus historischer Sicht als strafrechtlich betrachtet werden kann, 3. es nur bei dem Betroffenen Schuld-/Unrechtsbewusstsein voraussetzt, 4. seine Ausführung die traditionellen Ziele von Bestrafung (Vergeltung und Abschreckung) fördert, 5. das Verhalten, auf das es angewandt wird, schon einen Straftatbestand erfüllt, 6. es eine rationale Verbindung zu einem rechtmäßigen alternativen Zweck hat, 7. es als exzessiv im Verhältnis zu dem alternativen Zweck angesehen werden muss. that retroactive application of the North Carolina monitoring statute does not violate the Ex Post Facto Clause because it is a civil regulatory scheme and no more punitive than sex-offender registration). Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225 (2016). 380 Smith vs. Doe, 538 U.S. 84 (2003). 381 Smith vs. Doe, 538 U.S. 84, 92 (2003). 382 Kennedy vs. Mendoza-Martinez, 372 U.S. 144 (1963), 383 Kennedy vs. Mendoza-Martinez, 372 U.S. at 168 – 169, Smith vs. Doe, 538 U.S. at 97.
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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Da die Gesetzgeber in den meisten Bundesstaaten den Rechtscharakter der EAÜ nicht ausdrücklich geregelt hatten, wurde mittels des „Mendoza-Martinez-Tests“ die Entscheidung getroffen, ob die EAÜ eine Strafe oder eine zivilrechtliche Sanktion darstellt. Die Gerichte, die die EAÜ nicht als eine Strafe angesehen haben384, gingen davon aus, dass die EAÜ zunächst keine positive Behinderung bzw. Beeinträchtigung verursache. Wenn man dennoch eine Behinderung bzw. Beeinträchtigung annehmen möchte, so wäre dies nur eine schwache und mittelbare – im Vergleich zu einer Strafe.385 Die Sanktion wird nur zusätzlich für das Ziel der „effektiven Verfolgung“ auferlegt, obwohl die Überwachten das elektronische Gerät immer am Körper tragen und es täglich für etwa eine Stunde aufladen müssen. Mithilfe technischer Entwicklungen (z. B. Minimalisierung des EAÜ-Geräts bzw. längere Betriebsdauer des Akkus) werden sich diese Bürden sogar verringern. Zweitens unterscheide sich die EAÜ aus historischer Sicht von herkömmlichen Strafen. Die GPSTechnologie ist eine relativ neue Technologie und bei der Umsetzung der EAÜ erforderlich. Es sei ein großes Missverständnis, die EAÜ als eine stigmatisierende Strafe wie einen „Scarlet Letter“ (scharlachroter Buchstabe) anzusehen, weil eine solche Strafe für die Öffentlichkeit sichtbar wäre und sogar die Erkennung intendiert.386 Dagegen wurde das EAÜ-Gerät von Anfang an mit unauffälligem Design hergestellt. Die elektronische Fußfessel ist nur dann erkennbar, wenn der Tragende z. B. durch einen Metalldetektor geht, eine kurze Hose trägt oder ein öffentliches Schwimmbad bzw. eine Sauna besucht. Diese Umstände sind allerdings keine alltäglichen und somit vermeidbar. Drittens ziele die EAÜ nicht auf Vergeltung, sondern auf Prävention ab. Der Schutz der Öffentlichkeit ist bereits durch die vielen Entscheidungen als ein gerechtfertigter Zweck anerkannt. Der Hauptzweck der EAÜ liegt nicht darin, Sexualstraftäter zu bestrafen, sondern Kinder vor Sexualstraftätern zu schützen.387 Das zuständige Gericht erlaubt den Sexualstraftätern, Bittbriefe vorzulegen, in denen nachgewiesen wird, dass die Betroffenen keine Gefahr mehr für die Öffentlichkeit sind. Es geht davon aus, dass die EAÜ keine Strafe darstellt. Schließlich stelle die EAÜ ein rationales und taugliches Mittel zum Zwecke der Prävention dar. Die konventionelle Bewährung könne nicht effektiv auf Sexualstraftäter einwirken, die eine hohe Rückfallquote zeigen und besonders großen Schaden verursachen. Die EAÜ könne zusammen mit der Bewährung die Wirksamkeit der Präventionsmaßnahmen erhöhen.388 Dagegen haben die Gerichte, welche die EAÜ als strafrechtliche Sanktion angesehen haben, eine andere Entscheidung getroffen, obwohl sie bei der Prüfung auch 384 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225 (2016). State vs. Bare, 677 S. E. 2nd 518, 528 (N.C. Ct. App. 2009), Doe vs. Bredesen, 507 F. 3rd 998, 1000 (6th Cir. 2007). 385 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225, S. 27 (2016). 386 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225, S. 26. (2016). 387 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225, S. 27. (2016). 388 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall, No. 15-3225, S. 28. (2016).
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
den „Mendoza-Martinez-Test“ genutzt haben. Sie gründeten ihre Entscheidung auf die folgenden Argumente: Erstens rufen die EAÜ-Gesetze eine positive Behinderung oder Beeinträchtigung hervor, weil durch den Einsatz der EAÜ die Betroffenen ganztägig, unabhängig von ihrer Zustimmung, ein GPS-Gerät am Körper tragen müssen, und somit ihre Aufenthaltsorte jederzeit ermittelt werden.389 Die elektronische Fußfessel verursacht körperlich ein großes Unbehagen bei den Tragenden und belastet sie mit Problemen im Familienleben bzw. im Berufsleben. Sie müssen das elektronische Gerät täglich aufladen und immer mit ihrem Bewährungshelfer in Kontakt bleiben. Es könnte mit Freiheitsstrafe geahndet werden oder ihnen könnte ein Bußgeld auferlegt werden, wenn sie diese Anforderungen nicht erfüllen.390 Außerdem ist ihnen das Betreten bestimmter Bereiche verboten, womit ihre Bewegungsfreiheit eingeschränkt wird.391 Zweitens finden die EAÜ-Gesetze auch für schon verurteilte Straftaten Anwendung. Sie ordnen für bestimmte Sexualstraftäter an, unter EAÜ gestellt zu werden. Die EAÜ wird meistens in Zusammenhang mit Bewährung oder Aufsicht eingesetzt und die Einsatzfrist bezieht sich auch häufig auf die Bewährungszeit. Alle diese Merkmale zeigen, dass die EAÜ nur abhängig von früheren Straftaten eingesetzt wird.392 Drittens dienen die EAÜ-Gesetze der Abschreckung, welches eines der herkömmlichen Ziele des Strafrechts darstellt. Das Hauptziel der EAÜ-Gesetze liegt darin, neue Taten durch Abschreckung mithilfe der Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit zu verhindern.393 Viertens stellt zwar die EAÜ eine relative junge Sanktion dar, jedoch ist sie aus historischer Sicht als eine traditionelle Strafe anzusehen. Als Beispiele könnten genannt werden: Es muss für eine gewisse Zeit auffällige (markierte) Kleidung getragen werden, um dadurch jemanden zu stigmatisieren.394 Außerdem müssen die Überwachten zwangsläufig die Gebühr für die Überwachungsanlage selbst bezahlen (ungefähr 50$ pro Monat). Eine solche Gebühr stimmt mit einer traditionellen Strafgebühr überein.395 Fünftens sind die EAÜ-Gesetze nicht rational begründbar als zweckdienliche Präventivmaßnahme einzustufen. Vor allem ist es fraglich, warum nur die Sexualstraftäter unter elektronische Überwachung gestellt werden. Zwar können die Sexualstraftäter die Opfer schädlich beeinträchtigen, allerdings gilt das Gleiche auch für andere Straftäter wie in Mordfällen, in Raubfällen oder beim Terrorismus.396 Viele EAÜ-Gesetze der 389
Commonwealth vs. Cory, 911 N.E. 2nd 187 (Mass. 2009). Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, consin. Case No. 12-CV-1198, S. 22. 2015. 391 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, consin. Case No. 12-CV-1198, S. 26. 2015. 392 Commonwealth vs. Cory, 911 N.E. 2nd 187 (Mass. 2009). 393 Commonwealth vs. Cory, 911 N.E. 2nd 187 (Mass. 2009). 394 Commonwealth vs. Cory, 911 N.E. 2nd 187 (Mass. 2009). 395 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, consin. Case No. 12-CV-1198, S. 24, 2015. 396 Michael J. Belleau vs. Edward F. Wall and Denise Symdon, consin. Case No. 12-CV-1198, S. 29, 2015. 390
Eastern District of WisEastern District of Wis-
Eastern District of WisEastern District of Wis-
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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Bundesstaaten haben ebenfalls eine konkrete und individuelle Prüfung der Rückfallgefahr ausgeschlossen und eine bedingungslose Anordnung der EAÜ vorgeschrieben, wenn bestimmte Straftaten vorgefallen sind. Eine vorläufige Aufhebung ist auch verboten. Dies überschreitet das erforderliche Maß für die Zielerreichung, die Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern zu schützen.397 Diese Argumentation wurde schon vom Bundesgerichtshof der Vereinigten Staaten im Fall „Kansas vs. Hendricks“398 anerkannt, nach welchem das „Civil Commitment“ nur bei den Gefährdern mit ernsten Verhaltensstörungen bzw. mit psychischen Störungen eingesetzt werden darf, um die verfassungsrechtliche Rechtsmäßigkeit des „Civil Commitment“ zu sichern. Folglich konstituiert es keine zivilrechtliche Sanktion, sondern eine Strafe, Personen unter die schwer beeinträchtigenden EAÜ für die Sicherheit der Öffentlichkeit zu stellen, wenn sie keine bzw. nur eine geringe Gefährlichkeit zeigen.
C. Südkorea In Südkorea ist die Verfassungsmäßigkeit der EAÜ seit ihrer Einführung im Jahr 2008 stets ein umstrittenes Thema. Anders als in anderen Ländern wurden in Südkorea innerhalb kurzer Zeit durch mehrere Gesetzesänderungen der Anwendungsbereich und die Überwachungsdauer der EAÜ massiv erweitert. Dies hat zu Streitigkeiten über die Verfassungswidrigkeit der EAÜ geführt. Schließlich wurde im Juli 2010 eine Verfassungsbeschwerde über das „Gesetz über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern (korEAÜG)“ eingelegt.399 Am 27. 12. 2012 hat das koreanische Verfassungsgericht400 über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes geurteilt.401 Es hat die EAÜ für gefährliche Straftäter für verfassungsgemäß erklärt. Das Ergebnis fiel jedoch knapp aus. Denn das koreanische Verfassungsgericht setzt sich aus 9 Richtern einschließlich des Präsidenten zusammen. Um ein Gesetz als verfassungswidrig zu erklären, sind die Stimmen von mindestens 6 Richtern notwendig. Im vorliegenden 397
Commonwealth vs. Cory, 911 N.E. 2nd 187 (Mass. 2009). Kansas vs. Hendricks, 521 U.S. 346 (1997). 399 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, Der ganze Originaltext der Entscheidung des koreanischen Verfassungsgerichts wurde im Anhang 2 der vorliegenden Arbeit in die deutsche Sprache übersetzt. 400 Das koreanische Verfassungsgericht wurde im September 1988, angeregt vom wachsenden Bedürfnis der Bürger nach Schutz der Grundrechte, Kontrolle der staatlichen Macht und sozialer Integration, gegründet. Es ist zuständig für die Prüfung von Gesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit, das Anklageverfahren für hochgestellte Staatsbeamte, die Auflösung politischer Parteien, die Klärung der Kompetenzstreitigkeiten und die Verfassungsbeschwerde. Gegen die Entscheidung des Verfassungsgerichts kann keine Berufung eingelegt werden, und sie ist bindend für alle staatlichen Behörden und lokalen Regierungsvertretungen. Dazu ausführlich Sun Choi, Fundamental Problems of the Appointment System of the Constitutional Court Justices, S. 93 ff. 401 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2012 HunBa 393. 398
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Fall hatten nur 4 von 9 Verfassungsrichtern das Gesetz als verfassungsmäßig betrachtet, während es die anderen 5 Richter für verfassungswidrig hielten. Das bedeutet, dass es während der Entscheidungsfindung ernsthafte Meinungsunterschiede zwischen den Richtern gab. In Verbindung mit dieser Entscheidung wurden manche wissenschaftlichen Publikationen zu diesem Themengebiet veröffentlicht. In diesen Publikationen wurde viel Kritik geübt und verschiedene Gesetzänderungen wurden gefordert.402 Die folgenden 3 Streitpunkte standen im Zentrum der Diskussion: 1. Werden verschiedene betroffene Grundrechte der Überwachten durch die EAÜ wesentlich verletzt? 2. Ist die EAÜ eine Strafe oder eine Maßregel zur Besserung und Sicherung? Wenn sie als Strafe angesehen würde, verstößt sie gegen das Verbot der Doppelbestrafung? 3. Verstößt die Rückwirkung der EAÜ aufgrund des neuen veränderten Gesetzes gegen das Rückwirkungsverbot?
I. Überprüfung des Übermaßverbotes Durch Art. 10 bis 39 sind im koreanischen Verfassungsrecht verschiedene Grundrechte des Bürgers verankert. Gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 des koreanischen Verfassungsrechts können die Grundrechte der Bevölkerung nur dann eingeschränkt werden, wenn dies für die nationale Sicherheit, die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung und die öffentliche Wohlfahrt erforderlich ist (Schranke). Allerdings darf nach § 37 Abs. 2 Satz 2 des koreanischen Verfassungsrechts in keinem Fall ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden (Schranke-Schranke). Das grundlegende Schema sowie die Stufe der Grundrechtsprüfung im koreanischen Verfassungsrecht funktioniert so ähnlich wie in Deutschland. Bei der Prüfung der Gleichheitsrechte wird hauptsächlich der Grundsatz des Willkürverbots als Prüfungsinstrument angewandt und bezüglich der anderen Grundrechte wird eine Verhältnismäßigkeitsprüfung durchgeführt.403 Die Verhältnismäßigkeitsprüfung umfasst die Prüfung des legitimen Zwecks, der Geeignetheit, der Erforderlichkeit 402 Vgl., in: Young Lee, A critical analysis on the constitutionality of the bylaws provisions in electronic monitoring act; Bo-Hack, Suh, Review of the constitutional court decision on supplementary provision Article 2 (1) of the Act on attachment of electronic device for position tracking on a specific criminal; Yeon-Hwa Chang, A study on the legal characteristic of electronic device attachment system for tracking location and its application to the principle of retroactive prohibition; Kyong Je Kim, Probleme der verfassungsmäßigen Entscheidung über die Zusatzbestimmung des rückwirkenden Anziehens der sog. elektronischen Fußfessel; BooHa Lee, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwachung, Chnag Sup Lee, A Study on the legal character of attachment order of electronic device for position tracking and the principle of non-retroactivity of punishment; Seong-Don Kim, Rückwirkungsverbot und Maßregeln zur Besserung und Sicherung. 403 Hae-Won, Kim, Prüfungsstruktur und Prüfungsintensität des allgemeinen Gleichheitsgrundsatzes, S. 176 ff.
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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und der Angemessenheit. Einerseits wird die EAÜ zum Schutz der öffentlichen Sicherheit eingeführt, andererseits greift sie etwa in das allgemeine Persönlichkeitsrecht im koreanischen Verfassungsrecht gemäß § 10404, in die körperliche Unversehrtheit gemäß § 12 Abs. 1405, in die Freizügigkeit gemäß § 14406 und in das Recht auf Privatsphäre gemäß § 17407 ein. 408 Es wird also untersucht, ob durch die Anordnung der EAÜ die im Art. 37 Abs. 2 S. 2 der koreanischen Verfassung garantierten wesentlichen Grundrechte der Überwachten verletzt werden. Hier ist darauf hinzuweisen, dass bei dieser Prüfung in Korea die Verstöße gegen die jeweilige Grundrechte im Zusammenhang mit dem Art. 37 Abs. 2 S. 2 pauschal geprüft werden, also anders als in Deutschland, wo sie einzeln behandelt werden. Dies hat damit zu tun, dass bei den koreanischen Prüfungsschemata bezüglich der Verstöße gegen die Freiheit und Privatsphäre der Betroffenen kein großer rechtsdogmatischer Unterschied vorliegt.
1. Herrschende Ansicht Das koreanische Verfassungsgericht wie auch der Oberste Gerichtshof Koreas409 verneinen, dass die EAÜ wesentliche Inhalte der Grundrechte der Betroffenen verletzt.410 Das entspricht auch der herrschenden Lehre.411 Zur Begründung wird wie folgt ausgeführt: Die Prüfung des legitimen Zwecks der EAÜ bereitet zunächst keine rechtlichen Schwierigkeiten. Die EAÜ hat die konkreten Zwecke, nämlich gefährliche schwere Straftäter mittels GPS engmaschiger zu überwachen, ihre Weisungsverstöße effektiver zu kontrollieren und auf diese reagieren zu können, Straftäter von weiteren Straftaten abzuhalten sowie gefahrenabwehrend zu wirken und schwere Straftaten verhindern zu können. Die Zwecke entsprechen dem Schutz 404 Koreanisches Verfassungsrecht § 10: Allen Bürgern sollen die Würde und der Wert des Menschen zugesichert werden und ihnen das Recht zustehen, nach Glück zu streben. Es ist die Pflicht des Staates, die grundlegenden und unantastbaren Menschenrechte der Menschen zu bestätigen und zu garantieren. 405 Koreanisches Verfassungsrecht § 12 Abs. 1: Alle Bürger sollen persönliche Freiheit genießen. Niemand darf verhaftet, inhaftiert, durchsucht, beschlagnahmt oder verhört werden, es sei denn, es ist gesetzlich vorgesehen. Keine Person darf bestraft werden, unterliegt vorbeugenden Beschränkungen oder Zwangsarbeit, es sei denn, sie ist durch ein Gesetz oder ohne rechtliches Verfahren autorisiert. 406 Koreanisches Verfassungsrecht § 14: Alle Bürger sollen die Freiheit des Aufenthalts und der Bewegung genießen. 407 Koreanisches Verfassungsrecht § 17: Alle Bürger sollen ein unantastbares Recht auf Privatsphäre genießen. 408 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393. 409 KorOGH, Urteil vom 10. 9. 2009, 2009DO6061 410 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393. 411 Vgl. Cheol-Ho Jeong/Young-Bok Kwon, A study on the legitimacy of the electronic monitoring system tracing specific offender’s positional information, S. 262 – 264. Shin-Kyo Jeong, the utilization of electronic monitoring in protective supervision, S. 135 – 136.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
der öffentlichen Sicherheit, sodass die EAÜ offensichtlich einem legitimen Zweck dient.412 Darüber hinaus ist die EAÜ geeignet, diese Zwecke zu erfüllen. Denn es ist erwiesenermaßen möglich, die Bürger vor bestimmten Straftaten zu schützen, indem am Körper potenzieller Straftäter ein elektronisches Gerät angebracht wird, welches die Verfolgung ihrer Standorte und Bewegungen ermöglicht.413 Eine effektivere Kontrolle und Gefahrenabwehr sowie die Aufklärung von schweren Straftaten zum Zweck der Sicherheitserhöhung können durch die elektronische Aufenthaltsüberwachung mithin gewährleistet werden. Auch eine Abschreckung potenzieller Straftäter durch die Erhöhung der Entdeckungswahrscheinlichkeit ist gegeben. Dazu sind die notwendigen Positionsdaten zu erheben und in den Fällen der gesetzlich geregelten Verwendungszwecke zu verwenden. Sowohl die kontrollierende Komponente als auch die präventive werden also gefördert. Für die Erforderlichkeit einer Maßnahme darf kein milderes, gleich geeignetes Mittel ersichtlich sein.414 Die EAÜ genügt dieser Anforderung. Denn es bestehen unterschiedliche Methoden, die Gesellschaft vor gefährlichen, schweren Straftätern zu schützen, wie etwa freiheitsentziehende Maßnahmen, freiheitsbeschränke Maßnahmen, medizinische Maßnahmen, soziale Erziehung usw. Im Vergleich zur EAÜ erscheinen medizinische Maßnahmen wie auch soziale Erziehung unter Umständen als das mildere Mittel. Jedoch steht nicht fest, ob sie einen solchen Präventionseffekt gewährleisten, wie ihn die EAÜ garantiert. Dem Gesetzgeber ist deshalb ein Ermessen eingeräumt, eine von den erwähnten verschiedenen Maßnahmen auszuwählen.415 Man kam zu der Ansicht, dass es vor Einführung der EAÜ keine ausreichende effektive Maßnahme zur Verhinderung zukünftiger Sexualstraftaten gab416, weshalb unter Berücksichtigung der Forderung des Volkes, die Gesellschaft vor den gefährlichen Straftätern stärker zu schützen, die EAÜ als Präventionsmittel eingeführt wurde. Um die Grundrechte der Betroffenen so wenig wie möglich einzuschränken, hat der Gesetzgeber bei der Verabschiedung des Gesetzes eine unbefristete EAÜ nicht erlaubt und auch die Dauer der Speicherung der durch GPSTechnologie gesammelten Positionsdaten auf maximal 5 Jahre begrenzt.417 Solche Daten dürfen nur für die Ermittlung gegen Überwachte benutzt werden. Außerdem 412 Entscheidung des KorVerfG, vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, S. 61 – 62. 413 Entscheidung des KorVerfG, vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, S. 61 – 62. 414 Vgl, Chang-Soo Jin, The review of the constitutional cases related with the principle of proportionality, S. 19 – 21. 415 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 31. 10. 2002. 99 HunBa 76, Die Entscheidungssammlung, Entscheidungen des koreanischen Verfassungsgerichts 14 – 2, S. 410, S. 433 – 438. 416 Ji-Su Kim/Min-Gon Kim/Jeong-Cheol Lee/Man-Hyeong Heo, The analysis of the policy formation process of the electronic device attachment system to sexual offenders against children by multiple streams model, S. 265. 417 Vgl. Teil 3, Kapitel 1, B.II.6.
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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können Straftäter gemäß Art. 17 korEAÜG 3 Monate nach der Anbringung der elektronischen Fußfessel beantragen, die vorläufige Aussetzung der Anbringungsanordnung der EAÜ zu überprüfen.418 Somit ist die EAÜ erforderlich. Zum Schluss ist die EAÜ auch angemessen. Unter dem Begriff „Angemessenheit“ im Sinne der Definition des koreanischen Verfassungsgerichts und des Obersten Gerichtshofs ist zu verstehen, dass Mittel und Zweck zueinander in einem vernünftigen Verhältnis stehen.419 Die Angemessenheitsprüfung beabsichtigt also einen angemessenen Ausgleich zwischen der Schwere der grundrechtlichen Beeinträchtigung und der Bedeutung des mit der Maßnahme verfolgten öffentlichen Belanges. Dabei ist zu berücksichtigen, dass gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 des koreanischen Verfassungsrechts die Grundrechte der Personen nur aus besonders wichtigen Gründen eingeschränkt werden dürfen. Es steht außer Zweifel, dass durch die EAÜ Grundrechte wie das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die körperliche Unversehrtheit, die Freizügigkeit und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung beeinträchtigt werden. Durch die EAÜ werden die Daten über den Aufenthaltsort und die Bewegungen der Betroffenen rund um die Uhr der Überwachungszentralstelle übermittelt. Das Verschaffen, Speichern und Gebrauchen dieser Daten auf der einen Seite steht in enger Beziehung zur Verletzung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung auf der anderen Seite. Zudem wirkt sich das Anlegen der Fußfessel in Verbindung mit bestimmten Weisungen auf die Kleiderwahl und die Bewegungsfreiheit aus. Schließlich kann das Tragen der Fußfessel an sich ein beschämendes und verletzendes Gefühl auslösen, sodass das Allgemeine Persönlichkeitsrecht schwer eingeschränkt wird. Diese Einschränkungen sind aber nicht so gravierend, dass der Wesensgehalt des Grundrechts verletzt wird. Dies kann im Verhältnis zu anderen freiheitsentziehenden Maßnahmen einfach bestätigt werden. Die Überwachten können sich, abgesehen von den vom Gericht untersagten Gebieten, überall frei bewegen und können auch jedermann, mit Ausnahme von bestimmten Personen wie etwa Opfer oder Kinder, treffen, während Straftäter in Maßregelvollzugseinrichtungen gar keine Bewegungsfreiheit haben. Auch im Hinblick auf die Privatsphäre werden zwar durch die ständige GPSÜberwachung ihre Positionsdaten erhoben und gespeichert, jedoch beschränken sich solche Eingriffe ins Privatleben darauf, dass die gesammelte Daten nur zum Zweck der Kriminalprävention verwendet werden dürfen und sie nach einer bestimmten Zeitspanne gelöscht werden müssen.420 Andererseits ist der durch die EAÜ verfolgte Zweck sehr eindeutig. Die Prävention von schweren Verbrechen hat in jedem Fall eine besonders gewichtige Bedeutung. Denn schwere Verbrechen rufen für die Opfer und deren Familie schlimme körperliche und seelische Folgen hervor. Diese Folgen 418
Vgl. Teil 3, Kapitel 1, B.II.3. KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 29. 5. 2008. 2006 HunBa 85, Die Entscheidungssammlung, Entscheidungen des koreanischen Verfassungsgerichts 20 – 1, S. 115, S. 131 – 132. 420 Vgl. Teil 3, Kapitel 1, B.II.6. 419
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
halten zum Teil lebenslang an und sind nicht leicht zu heilen. Des Weiteren gefährden schwere Verbrechen nicht nur die individuelle Sphäre, sondern auch die öffentliche Ordnung. Wenn die Regierung die Allgemeinheit nicht richtig vor schweren Straftätern schützen würde, so wäre die Sicherheit der Bürgers nicht gewährleistet. Nach einer Statistik des Justizministeriums besteht bei schweren Straftaten, insbesondere Sexualstraftaten, immer eine erhöhte Rückfallquote.421 Daher ist der Schutz der Gesellschaft vor solchen schweren Straftätern dringend notwendig. Daraus ergibt sich, dass das öffentliche Interesse am Schutz vor gefährlichen, schweren Straftätern die Grundrechte der betroffenen Personen überwiegt, wobei die EAÜ eine zumutbare Maßnahme darstellt. 2. Mindermeinung Die Mindermeinungen des koreanischen Verfassungsgerichts und der Literatur haben auch ebenso wie herrschende Meinung angenommen, dass die Gesetze und Vorschriften der EAÜ einem legitimen Zweck dienen und sowohl geeignet als auch erforderlich sind. Jedoch haben sie die EAÜ nicht als ein angemessenes Mittel angesehen, weil die EAÜ zu wesentlichen Beeinträchtigungen verschiedener Grundrechte der Betroffenen führen würde.422 Die Mindermeinungen des koreanischen Verfassungsgerichts und der Literatur stellen hierbei darauf ab, dass die Überwachten im alltäglichen Leben durch die Anordnung der EAÜ mehr zu erleiden haben, als die herrschende Meinung erkennt. Die Vertreter der Mindermeinung sind der Ansicht, dass der Träger der elektronischen Fußfessel nicht nur in seiner Kleiderwahl oder seiner Bewegungsfreiheit beeinträchtigt ist, sondern auch in seiner körperlichen Freiheit, in seiner Privatsphäre und in seiner allgemeinen Handlungsfreiheit. Seine Menschenrechte werden durch das zwangsweise Anlegen des Gerätes also schwer eingeschränkt. Zur Begründung werden die folgenden 7 Punkte angeführt: 1. Die EAÜ wird zwangsweise angeordnet. 2. Die Überwachten müssen die elektronische Fußfessel 24 Stunden am Tag tragen. 3. Die Daten über den Aufenthaltsort werden ständig übermittelt, sodass der Staat den Überwachten stets lokalisieren kann. 421
Vgl. Kriminalstatistik im Justizministerium, aus https://www.ioj.go.kr/. Vgl. Entscheidung des KorVerfG, vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, Ansicht eines Richters (Du-Hwan Song) zur Verfassungswidrigkeit; dazu siehe Anhang 2; Bo Hack Suh, Review of the constitutional court decision on supplementary provision article 2 (1) of the Act on attachment of electronic device for position tracking on a specific criminal, S. 107 – 142; Kyong Je Kim, Probleme der verfassungsmäßigen Entscheidung über die Zusatzbestimmung des rückwirkenden Anziehens der sog. elektronischen Fußfessel, S. 165 – 194; Hye-Jin Park, A Critical Study on „the Act on attachment of electronic device for position tracking on specific sexual crime offenders“ Korean Journal of Criminology, S. 225 – 251; JongSe Kim, Constitutional consideration about retroactive application of electronic device attachment order, S. 61 – 81. 422
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4. Die Bewegungsfreiheit der Betroffenen wird aufgrund der Anordnung vom Gericht, wie Annäherungsverbot zu bestimmten Personen und Zutrittsverbot eines bestimmten Orts, beschränkt. 5. Die mögliche Sichtbarkeit des elektronischen Geräts am Fußknöchel könnte zur Stigmatisierungen durch die Öffentlichkeit führen, durch welche sich die überwachten Personen gedemütigt fühlen könnten. 6. Dies macht es unmöglich, dass die Überwachten als Mitglieder in der Gesellschaft ein normales Leben führen können. Zwar wird angeführt, dass es sich bei der elektronischen Fußfessel um einen kleinen unscheinbaren und nicht auf den ersten Blick erkennbaren Gegenstand handelt. Jedoch bestehen Situationen im Alltag, bei denen es zu einer Kenntnisnahme der Überwachungstechnik durch Dritte kommt. Gerade im Sommer, etwa wenn die überwachte Personen Kleidung tragen möchte, die die Beine nicht vollständig bedeckt, oder auch bei verschiedenen Freizeitaktivitäten (z. B. Schwimmen, Saunabesuch) ist die Wahrscheinlichkeit, dass von der Überwachungstechnik Notiz genommen wird, sehr hoch. Auch das Knüpfen neuer Kontakte, das Eingehen neuer Beziehungen und Freundschaften oder der Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses kann deshalb erschwert oder behindert werden. 7. Zudem kann sich dieser Zustand auf einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren erstrecken. Diese Ansicht stützt sich überwiegend auf die im Dezember 2013 veröffentlichte empirische Untersuchung des koreanischen kriminologischen Instituts. Bei dieser Untersuchung wurden Interviews und Umfragen mit 420 überwachten Sexualtätern und 320 Sexualstraftätern, die auf Bewährung ohne EAÜ ausgesetzt sind, durchgeführt.423 Die Zielgruppe der Untersuchung umfasste auch Bewährungshelfer, Staatsanwälte, welche die EAÜ beantragten, und die Richter, die den Antrag zu prüfen hatten. Laut der Untersuchung erschwert die EAÜ den Überwachten die normale Lebensführung, und sie hatten auch große Furcht vor Stigmatisierung. Die Ergebnisse der Untersuchung können wie folgt zusammengefasst werden: 50 % aller EAÜ-Überwachten wollen ihre Familien nicht von der EAÜ unterrichten. Im Vergleich zu den Straftätern auf Bewährung ohne EAÜ, bei denen nur 30 % so antworteten, ist dieses Ergebnis relativ hoch.424 Darüber hinaus erfahren etwa 25 % der elektronisch Überwachten familiäre Schwierigkeiten und ihre Familienbeziehungen verschlechterten sich. Diese Situation wurde nur bei 9 % der Straftäter auf Bewährung ohne Überwachung beobachtet.425 74 % aller Überwachten glauben, 423 Näheres dazu: Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/HuiGap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring, S. 457 ff. 424 Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring, S. 458 – 459. 425 Ders. S. 458 – 459.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
dass die elektronische Überwachung auch für die gesamte Familie Belastungen ähnlich einer Strafe verursacht.426 Bei den Überwachten ohne elektronische Überwachung gaben hingegen nur 36,5 % eine solche Belastung an.427 23 % aller Überwachten sind nach Beginn der elektronischen Überwachung umgezogen, da sie Stigmatisierungen vermeiden wollten, indem ihre Überwachung den Nachbarn bekannt wird.428 So haben die Ergebnisse der Untersuchung betont, dass, anders als der allgemeinen Vorstellung entsprechend, die psychologische Angst der Überwachten davor viel größer ist, dass ihre Überwachung öffentlich gemacht wird. 55 % der befragten Straftäter, welche unter Bewährung ohne EAÜ standen, antworten, dass sie „Angst vor der Entdeckung ihrer rechtlichen Situation“ hätten, während 84 % der Befragten, die unter elektronischer Überwachung standen, befürchten, dass von einem Nachbarn entdeckt würde, dass sie Träger einer EAÜ sind.429 Aufgrund der Aufdeckungsgefahr der Überwachungstechnik am Knöchel äußerten einige der Befragten sogar gegenüber dem Richter, dass sie lieber eine doppelt so lange Freiheitstrafe in Kauf nehmen würden, als eine elektronische Fußfessel zu tragen.430 Es gab auch einen Fall, bei dem der Träger einer elektronischen Fußfessel sich ein Bein gebrochen hatte und sich nicht im Krankenhaus behandeln lassen wollte, weil er sich vor der Identifizierung als Überwachter fürchtet.431 Das Tragen der EAÜ verursacht auch eine große Behinderung im Berufsleben. 73 % der Befragten unter elektronischer Überwachung sagten aus, dass sie sich stets darum bemühen würden, die elektronische Fußfessel vor Arbeitskollegen zu verstecken.432 63 % der Befragten unter elektronischer Überwachung, die beruflich tätig sind, teilten mit, dass sie Angst vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes aufgrund der EAÜ haben.433 Hingegen befürchten nur 27 % der befragten Straftäter ohne EAÜ, dass sie Angst davor hätten, aufgrund der Entdeckung ihrer Bewährungsstrafe gekündigt zu werden. Die Kritik der Mindermeinung bezieht sich auch auf die Selbstmordgefahr bei elektronisch überwachten Straftätern.434 Die EAÜ könne auf keinen Fall gerechtfertigt sein, wenn hinreichend bewiesen wird, dass die EAÜ der Überwachten un426
Ders. S. 460 – 462. Ders. S. 460 – 462. 428 Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring, S. 460 – 462. 429 Ders. S. 481 – 482. 430 Ders. S. 482. 431 Ders. S. 482. 432 Ders. S. 471 – 478. 433 Ders. S. 471 – 478. 434 Dazu ausführlich: Sung-Chil Lee/Choong-Sub Kim, A study on the stress and suicide of offenders who have placed on GPS electronic monitoring, S. 262 ff. 427
Kap. 2: Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern
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mittelbar einen Selbstmord beeinflusse, da durch den Selbstmord das Recht auf Leben der Betroffenen entzogen wird. Die Mindermeinung weist darauf hin, dass sich seit der Einführung der EAÜ im Jahr 2008 bereits einige elektronisch Überwachte aufgrund der genannten Probleme umgebracht haben. Im Juli 2011 fand der Selbstmord einer überwachten Person erstmals statt.435 Dies gab Anlass zur Diskussion, weil der Betroffene damals einen Abschiedsbrief hinterließ, in dem er angab, aufgrund der Anordnung der EAÜ kein normales Leben mehr führen zu können. Seitdem kam es häufiger zu Selbstmord aufgrund von Stress durch die EAÜ. Dem vom Justizministerium im Jahr 2015 veröffentlichten Bericht zufolge begingen bis zum Jahr 2015 25 Personen von insgesamt 4590 elektronisch Überwachten (0.5 %) Selbstmord, was in etwa 20-mal höher ist als die durchschnittliche Suizidrate (0.03 %.) innerhalb der Gesamtbevölkerung.436 Die Mindermeinung nimmt ferner an, dass die Suizidrate der elektronisch Überwachten in Zukunft weiter steigen würde, weil sich durch Gesetzesänderungen die Tragedauer der EAÜ verlängert hat.437
II. Verbot der Doppelbestrafung In rechtsgeschichtlicher Perspektive bezieht sich die Diskussion in Südkorea hinsichtlich einer Doppelbestrafung durch die EAÜ auf die Abschaffung der Sicherungsverwahrung im Jahr 2005. Da in der damaligen Sicherungsverwahrung das sog. Abstandsgebot, nach welchem sich der Vollzug der Unterbringung der Sicherungsverwahrung vom Vollzug der Strafhaft deutlich unterscheiden soll, nicht berücksichtigt wurde, stieß die Sicherungsverwahrung auf die Kritik zahlreicher Wissenschaftler.438 Vor diesem Hintergrund wurde die Sicherungsverwahrung in Korea nicht durch eine Entscheidung des Verfassungsgerichts, sondern durch eine Gesetzesänderung im Parlament abgeschafft. Der koreanische Gesetzgeber hat jedoch kurze Zeit später zum effektiven Schutz vor bestimmten gefährlichen Straftätern die EAÜ als Ergänzungsmaßnahme der abgeschafften Sicherungsverwahrung eingeführt, sodass es auch bei der Einführung der EAÜ Zweifel an einem Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung gegeben hat.439
435
Sung-Chil Lee/Choong-Sub Kim, A study on the stress and suicide of offenders who have placed on GPS electronic monitoring, S. 260. 436 Crime prevention policy bureau CPPB statistics 2015 (http://www.cppb.go.kr). 437 Vgl. Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring, S. 594 ff. 438 Vgl. Il-Su Kim, Wiederbelebung und Einführung der Sicherungsverwahrung ins KStGB, S. 359 f. 439 Hye-Jin Park, A Critical Study on „the Act on attachment of electronic device for position tracking on specific sexual crime offenders“, S. 233.
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1. Herrschende Ansicht Diesbezüglich hat die herrschende Meinung innerhalb der koreanischen Rechtsprechung wie auch die herrschende Lehre stets behauptet, dass die Maßregeln der Besserung und Sicherung wie die Sicherungsverwahrung, die Bekanntmachung oder die chemische Kastration für gefährliche Sexualstraftäter mit dem Verbot der Doppelbestrafung nicht vereinbar seien.440 Dies wurde auch bei der Entscheidung des koreanischen Verfassungsgerichts über die EAÜ vom 27. 12. 2012 noch einmal bestätigt.441 Demgemäß soll das Prinzip des Verbots der Doppelbestrafung im Art. 13 Abs. 1442 der koreanischen Verfassung nur eine wiederholte Strafe aufgrund derselben Tat, aber nicht die Auferlegung zusätzlicher anderer strafrechtlichen Maßnahmen nach Verbüßen der Freiheitsstrafe verbieten.443 Denn ansonsten würde die geltenden zusätzlichen Maßnahmen, wie Maßregeln der Sicherung und Besserung, gegen das Prinzip des Verbots der Doppelbestrafung verstoßen, und dies steht mit dem Wille des Gesetzesgebers im Widerspruch.444 Die herrschende Rechtsprechung und die herrschenden Meinung sind der Ansicht, dass zwar die Strafe und die Maßregeln der Sicherung und Besserung zu den strafrechtlichen Sanktionen gehören, jedoch beide Maßnahmen grundlegend unterschiedlich sind. Die Strafe ist eine Sanktion, die an eine in der Vergangenheit liegende Straftat und festgestellte Schuld anknüpft.445 Die Strafe hat daher ihren Schwerpunkt im Aspekt der Vergeltung. Die Maßregel hingegen stellt auf eine Gefährlichkeitsprognose ab. Sie dient dem Schutz der Allgemeinheit und kann deshalb auch anstelle oder neben einer Strafe angeordnet werden. Auch aus historischer Sicht wurde die Maßregel zur Besserung der Rechtsbrecher ins Leben gerufen, bei denen zu befürchten war, dass die Verhängung einer Strafe nicht zum gewünschten individuellen Besserungserfolg führen würde.446 Nach der herrschenden Rechtsprechung und der herrschenden Meinung in der Literatur kommt es auf 440
Siehe KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 14. 7. 1989, 88 HunGa 5; Entscheidung vom 21. 3. 2001, 99 HunBa 7; Entscheidung vom 14. 7. 1989, 88 HunGa 5; Entscheidung vom 1. 4. 1991, 89 HunMa 17; Entscheidung vom 28. 11. 1996, 95 HunBa 20; Entscheidung vom 27. 11. 1997, 92 HundBa 28; Entscheidung vom 21. 3. 2001, 99 HunBa 7; Entscheidung vom 24. 7. 2003, 2001 HunGa 25; Entscheidung vom 26. 3. 2009, 2007 HunBa 50. 441 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393. 442 Koreanisches GG § 13 Abs. 1: No citizen shall be prosecuted for an act which does not constitute a crime under the statute in force at the time when it was committed, nor shall he/she be punished over again for the criminal act for which he/she has been once punished. 443 Entscheidung des KorVerfG vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, S. 65 ff. 444 Cheol-Ho Jeong/Young-Bok Kwon, A study on the legitimacy of the electronic monitoring system tracking specific offender’s positional information, S. 260. 445 Il-Su Kim, Wiederbelebung und Einführung der Sicherungsverwahrung ins KStGB, S. 356. 446 Il-Su Kim, Wiederbelebung und Einführung der Sicherungsverwahrung ins KStGB, S. 356.
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den Zweck und Inhalt des betreffenden Gesetzesentwurfs an, ob eine strafrechtliche Maßnahme zu einer Strafe oder einer Maßregel der Besserung und Sicherung zählt.447 Die EAÜ wird als Maßregel der Besserung und Sicherung angesehen, weil § 1 des „Gesetzes über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern“ vorsieht, dass der Hauptzweck der EAÜ zur Verhinderung der Wiederholung von Straftaten und dem Schutz der Gesellschaft vor gefährlichen Straftätern dient.448 Darüber hinaus regeln § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1, § 6 Abs. 4 und § 9 Abs. 1 in diesem Gesetz eine Gefährlichkeitsprognose für Straftäter, die als wichtiges Merkmal des Maßregelrechts betrachtet wird. Dies unterscheidet sich vom Charakter einer Strafe, die aufgrund von Vergeltungsaspekten verhängt wird.449 Aus diesem Grund wird nach der herrschenden Rechtsprechung und Meinung in der Literatur die EAÜ nicht als Strafe, sondern als eine Maßregel der Besserung und Sicherung betrachtet. Somit verstößt die EAÜ nicht gegen das Prinzip des Doppelbestrafungsverbots. 2. Mindermeinung Dagegen behauptet die Mindermeinung innerhalb des koreanischen Verfassungsgerichts wie auch in der Literatur, dass das aktuelle Gesetz über die EAÜ nicht mit dem Grundsatz des Doppelbestrafungsverbots vereinbar sei.450 Sie führen zur Begründung wie folgt aus: 1. Der Begriff der „Bestrafung“ im Sinne des Art. 13 Abs. 1 der koreanischen Verfassung soll sowohl die Strafe im Strafrecht als auch die Maßnahme strafrechtlichen Charakters beinhalten.451 Ansonsten wird der Anwendungsbereich des Doppelbestrafungsverbots so eng ausgelegt, dass die unmittelbare Einschränkung des Grundrechtsschutzes des Volkes verursacht wird.452 447 Entscheidung des KorVerfG, vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, S. 65 ff. 448 KorOGH, Urteil vom 10. 9. 2009, 2009DO6061. 449 KorOGH, Urteil vom 10. 9. 2009, 2009DO6061 450 Vgl. Entscheidung des KorVerfG vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, Ansicht eines Richters (Du-Hwan Song) zur Verfassungswidrigkeit; Kyong Je Kim, Probleme der verfassungsmäßigen Entscheidung über die Zusatzbestimmung des rückwirkenden Anziehens der sog. elektronischen Fußfessel, S. 165 – 194; Hye-Jin Park, A critical study on „the Act on attachment of electronic device for position tracking on specific sexual crime offenders“, S. 225; Boo-Ha Lee, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwachung, S. 143 ff. 451 Seung-Dae Kim, Review on the constitutional interpretation of Korean double jeopardy clause, S. 376 – 406; Kyeong-Cheol Park, A constitutional review on the recent approaches to the sex offence – centering around the registration and notification of convicted sex offender, S. 36. 452 Boo-Ha Lee, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwachung, S. 146.
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2. Es handelt sich nicht nur um ein formelles, sondern auch um ein materielles Kriterium, wenn beurteilt wird, ob eine strafrechtliche Maßnahme eine Strafe oder eine Maßregel der Besserung und Sicherung ist. Es sollte also sowohl der Zweck oder der Hintergrund des Gesetzes als auch sein Inhalt und die praktische Auswirkung einer Sanktion auf die Betroffenen berücksichtigt werden. Je stärker sich die Sanktion auf die körperliche Freiheit auswirkt, je näher kommt sie einer Strafe.453 Diesbezüglich haben die Mindermeinung des koreanischen Verfassungsgerichts und der Literatur zugestimmt, dass der Hauptzweck des Gesetzes zur EAÜ zweifellos in der Spezialprävention von gefährlichen Straftätern besteht. Jedoch haben sie behauptet, dass das Gesetz zur EAÜ auch auf einen anderen Zweck des Schuldausgleichs abzielt.454 Sie haben zur Begründung die Verschärfung der EAÜ herangezogen: Durch eine Gesetzesänderung des korEAÜG wurde der Anwendungsbereich immer mehr erweitert und gilt nun für die meisten schweren Straftäter wie Räuber, Mörder, sexuelle Straftäter oder Entführer. Dies ist so auszulegen, dass der Gesetzgeber einerseits, anders als bei Kleinkriminellen, die schweren Straftäter über die bereits auferlegte Strafe hinaus stärker zur Verantwortung zieht, und dass andererseits der Gesetzgeber die Gesellschaft von der Begehung schwerer Straftaten abschreckt, indem gegen solche Straftäter die EAÜ angeordnet wird.455 Auch ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Dauer einer EAÜ verdeutlicht den Zweck. Am Anfang konnte eine EAÜ nur für einen Zeitraum von maximal 5 Jahren angeordnet werden. Noch bevor dieses Gesetz angewandt werden konnte, wurde die Höchstdauer im Zuge eines Falles von sexuellem Missbrauch an Kindern auf 10 Jahre verlängert. Es folgte sogar nach nicht einmal 2 Jahren eine weitere Verlängerung auf 30 Jahre. Dabei richtet sich die anzuordnende Dauer nach der Schwere und der Art der Tat. Das bedeutet, dass der Gesetzgeber nicht nur aufgrund der Wiederholungsgefahr, sondern auch aufgrund der Schuld die Überwachungsdauer einer EAÜ bestimmt.456 Diese Gesichtspunkte lassen den Schluss zu, dass nicht mehr die Verhinderung weiterer Straftaten im Vordergrund steht, sondern eine an die Schwere der vorangegangenen Tat geknüpfte weitergehende Verurteilung derselben Tat. 453 Boo-Ha Lee, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwachung, S. 146. 454 Vgl. Boo-Ha Lee, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwachung, S. 149. 455 Vgl. Entscheidung des KorVerfG vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, Ansicht eines Richters (Du-Hwan Song) zur Verfassungswidrigkeit; Kyong Je Kim, Probleme der verfas-sungsmäßigen Entscheidung über die Zusatzbestimmung des rückwirkenden Anziehens der sog. el-ektronischen Fußfessel, S. 165 – 194; Hye-Jin Park, A Critical Study on „the Act on attachment of elec-tronic device for position tracking on specific sexual crime offenders“, S. 225; Boo-Ha Lee, Die ver-fassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwa-chung, S. 143 ff. 456 Park san min, Die strafrechtliche Behandlung gefährlicher Straftäter, S. 156 ff.
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Aus diesen Gründen kam die Mindermeinung innerhalb des koreanischen Verfassungsgerichts und der Literatur zum Ergebnis, dass die EAÜ einen starken strafrechtlichen Charakter innehabe und sie daher gegen das Doppelbestrafungsprinzip verstoßen würde. Wurde also eine EAÜ angeordnet, so sind die Auswirkungen teilweise gravierender als bei anderen Strafen, wie z. B. einer Geldstrafe.
III. Rückwirkungsverbot Der Streit um die Verfassungswidrigkeit der Rückwirkung der EAÜ steht in engem Zusammenhang mit der am 15. 4. 2010 im Parlament verabschiedeten und sodann am 17. 7. 2010 in Kraft getretenen dritten Gesetzesreform.457 Dadurch wurde das Gesetz über die EAÜ dahingehend geändert, dass eine EAÜ an bestimmte Straftäter auch rückwirkend angeordnet werden kann, die vor dem ersten Inkrafttreten des Gesetzes vom 1. 9. 2008 entweder wegen einer sexuellen Straftat, einer Kindesentführung oder einem Mord zu einer Freiheitsstrafe oder Sicherungsverwahrung verurteilt wurden und sich derzeit in einer Haftanstalt oder im Vollzug der Sicherungsverwahrung befinden oder sogar, wenn seit ihrer Entlassung nicht mehr als 3 Jahre vergangen sind Die rückwirkende Anwendung der EAÜ wurde von vielen Wissenschaftlern stark kritisiert, weil § 13 Abs. 1458 der koreanischen Verfassung sowohl eine rückwirkende Anwendung von Straftatbeständen als auch die rückwirkende Verhängung einer Strafe absolut verbietet.459 Diesbezüglich sind 2 Punkte umstritten: Der erste Punkt bezieht sich auf den strafrechtlichen Charakter der Anordnung einer EAÜ. Hierbei ist es problematisch, ob die EAÜ als neue Sanktion im Begriff „Strafe“ im Artikel 13 der koreanischen Verfassung eingeschlossen ist. Sofern die EAÜ als der Begriff der „Strafe“ im Sinne des Art. 13 Abs. 1 der koreanischen Verfassung angesehen wird, verstößt die rückwirkende Anwendung der EAÜ gegen das Prinzip des Rückwirkungsverbots. Beim zweiten Punkt geht es um die zeitliche Geltung der EAÜ. Es ist unklar, wann im Gerichtsprozess die Anordnung der EAÜ entschieden werden sollte, also ob nach dem Gesetz zu entscheiden ist, welches zur Zeit der Entscheidung gilt, oder nach dem Gesetz, welches zur Zeit der Tat galt. Da der erste Punkt bereits beim Streit über das Verbot der Doppelbestrafung erörtert wurde, wird hier nur auf den zweiten Punkt eingegangen. Anders als § 2 Abs. 6 im deutschen StGB460 existiert im koreanischen StGB keine konkrete Vor457
Vgl. Teil 2, Kapitel 1, B.II.3.c). Koreanisches GG § 13 Abs. 1: No citizen shall be prosecuted for an act which does not constitute a crime under the statute in force at the time when it was committed, nor shall he/she be punished over again for the criminal act for which he/she has been once punished. 459 KorVerfG Plenum 16. 2. 1996, Hunga 2, Urteilssammlung 8 – 1, S. 51, S. 83. 460 Über Maßregeln der Besserung und Sicherung ist, wenn gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nach dem Gesetz zu entscheiden, das zur Zeit der Entscheidung gilt. 458
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
schrift zur zeitlichen Geltung für die Anordnung von Maßregeln der Besserung und Sicherung. Es kommt also darauf an, wie die Rechtslage von der Rechtsprechung und der Literatur ausgelegt wird. 1. Herrschende Ansicht Der koreanische Oberste Gerichtshof, das koreanische Verfassungsgericht und die herrschende Meinung in der Literatur sind der Ansicht, dass für die Anordnung der EAÜ das zum Zeitpunkt der Urteilsfindung maßgebliche Recht gelten sollte. Nach ihrer Meinung dient die EAÜ in ihrer Zielsetzung nicht dem Schuldausgleich.461 Sie sei die rein präventionsorientiert normierte Maßregel.462 Um der auf die Zukunft gerichteten Prävention bestmöglich Rechnung zu tragen, ist hinsichtlich der Anordnung der EAÜ nicht auf den Zeitpunkt der Straftat, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen. Infolgedessen sei die rückwirkende Anwendung der EAÜ aufgrund des neu gefassten Gesetzes zum Zeitpunkt der Urteilsfindung zulässig. Die herrschende Ansicht habe jedoch auch betont, dass sich rückwirkende Regelungen am allgemeinen rechtstaatlichen Vertrauensschutzgebot messen lassen müssen, obwohl bei der Anordnung der EAÜ das im Entscheidungszeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist. Hinsichtlich des allgemeinen rechtstaatlichen Vertrauensschutzgebots sei eine Interessenabwägung möglich, während „nulla poena sine lege praevia“ (strafrechtliches Rückwirkungsverbot) ein absolutes, abwägungsfeindliches Prinzip ist. Es ist deshalb bei der Prüfung der Frage, ob die rückwirkende Anwendung der EAÜ gegen das allgemeine rechtstaatliche Vertrauensschutzgebot verstößt, eine Interessensabwägung durchzuführen: zwischen dem Interesse der Überwachten an Rechtssicherheit sowie ihrem Vertrauensschutz und dem Allgemeinwohl der Öffentlichkeit, welche vom Schutz vor Sexualstraftätern profitiert. Nach der herrschenden Ansicht überwiegt der Schutz der Allgemeinheit gegenüber dem Interesse der Überwachten, da Überwachte eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit haben. 2. Mindermeinung Nach dem sog. Tatzeitprinzip muss sich die strafrechtliche Sanktion am Gesetz orientieren, welches zur Zeit der Tat galt. Deshalb dürfen Gesetze, die zu einem späteren Zeitpunkt (z. B. zum Zeitpunkt der Urteilsfindung) erlassen wurden, nicht auf einen früher stattgefundenen Sachverhalt angewandt werden. Nach der Mindermeinung des koreanischen Verfassungsgerichts und der Literatur müsse bei 461
KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, KorOGH, Urteil vom 10. 9. 2009, 2009DO6061. 462 KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, KorOGH, Urteil vom 10. 9. 2009, 2009DO6061.
Kap. 3: Vergleichende Analyse
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Anordnung der EAÜ grundsätzlich das Tatzeitrechtsprinzip angewandt werden.463 Dann habe die EAÜ für die Überwachten die gleiche einschneidende Wirkung, selbst wenn die EAÜ offiziell neben den Strafen stehen und rein präventiven Zielen dienen soll. Kapitel 3
Vergleichende Analyse A. Diskussionspunkte Für die Verfassungsmäßigkeitsprüfung bezüglich der EAÜ in Deutschland muss zuerst festgestellt werden, welche Grundrechte der Überwachten beeinträchtigt werden könnten. Diesbezüglich wird vor allem die im Kapitel 1 erwähnte Verfassungsbeschwerde (2 BvR 916/11) in Betracht kommen. Dabei behauptete der Beschwerdeführer, dass die EAÜ seine Menschenwürde (Art. 1 GG), das Recht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 2 I GG i. V. m Art. 1 I GG), das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 2 II GG) und seine Berufsfreiheit (Art. 12 GG) beeinträchtige. Seinen Angaben nach stellt die EAÜ sowohl einen Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz und das Gesetzlichkeitsprinzip (Art. 103 II GG) dar, wie auch gegen das Rechtstaatsprinzip mit der Pflicht zur Resozialisierung (Art. 20 III GG und § 2 I StVollzG). Da in der Sache noch eine Entscheidung aussteht, ist zurzeit also noch nicht geklärt, ob diese vom Beschwerdeführer vorgebrachten Aspekte durch das Bundesverfassungsgericht tatsächlich geprüft werden.464 Davon abgesehen haben einige Oberlandesgerichte („OLG“) in anderen Fällen bezüglich der EAÜ schon ausdrücklich bestätigt, dass durch die EAÜ die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), das allgemeine Persönlichkeitsrecht sowie das Recht auf informelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) beeinträchtigt werden können.465 Ebenso wird in der Literatur allgemein anerkannt, dass die EAÜ die Menschenwürde, das Recht auf Privatsphäre, die körperliche Unver463 Vgl. Entscheidung des KorVerfG vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82, 2011 HunBa 393, Ansicht eines Richters (Du-Hwan Song) zur Verfassungswidrigkeit; Bo Hack Suh, Review of the constitutional court decision on supplementary provision article 2 (1) of the Act on attachment of electronic device for position tracking on a specific criminal, S. 125; Kyong Je Kim, Probleme der verfassungsmäßigen Entscheidung über die Zusatzbestimmung des rückwirkenden Anziehens der sog. elektronischen Fußfessel, S. 165 – 194; Hye-Jin Park, A Critical Study on „the Act on attachment of electronic device for position tracking on specific sexual crime offenders“, S. 225; Boo-Ha Lee, Die verfassungsrechtliche Bewertung der Rückwirkung im Gesetz zum Anziehen der elektronischen Überwachung, S. 143 ff. 464 Das Bundesverfassungsgericht muss sich nicht den Ansprüchen des Beschwerdeführers verpflichten und kann selbst entscheiden, welche Punkte in einem Fall zu behandeln sind. 465 OLG München, Beschluss v. 24. 6. 2015 – 1 Ws 405/15 – 407/15, OLG Nürnberg, Beschluss vom 8. 5. 2014 – 2 Ws 38/14.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
sehrtheit und die allgemeine Handlungsfreiheit der Betroffenen beeinträchtigen kann. Dass in den Urteilen der Oberlandesgerichte und in der Literatur solche Grundrechtseingriffe jeweils als bestehend angesehen werden, geht auf die folgenden Besonderheiten der EAÜ zurück: Erstens bietet die EAÜ grundsätzlich die Möglichkeit, rund um die Uhr und in Echtzeit zu kontrollieren, wo die Betroffenen sich aufhalten. Dadurch kann die Aufsichtsstelle Positionsdaten von überwachten Personen erheben, speichern und gegebenenfalls verwenden. Aus den gewonnenen Daten kann die Fortbewegungsgeschwindigkeit der Personen ermittelt und sogar ein Bewegungsprofil erstellt werden. Dies stellt offensichtlich einen Eingriff in die Privatsphäre der Überwachten dar. Zweitens wirkt sich die Durchführung der EAÜ als staatliche Überwachungsmaßnahme auf das Freiheitsempfinden sowie die Freiheitsausübung der überwachten Personen aus. Die Überwachten werden permanent einem gewissen (Überwachungs) Druck ausgesetzt. Dadurch können sie zu einer übermäßigen Eigenkontrolle veranlasst werden, die einem Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit entspricht. Darüber hinaus hindert die EAÜ insbesondere in Verbindung mit einer weiteren Anordnung aufenthaltsbezogener Weisungen die überwachten Personen daran, die ihnen grundrechtlich zustehende Freiheit in allen geschützten Facetten auszuleben. Drittens wird das EAÜ-Gerät für eine lange Zeit (gegebenenfalls dauerhaft) rund um die Uhr an einem Körperteil der Betroffenen angebracht. Das stete Tragen des Gerätes am Körper ist dazu geeignet, bei den Überwachten ein unangenehmes Gefühl hervorzurufen und kann auch zu einer psychologischen Belastung führen. Nach längerer Tragedauer kann die Fessel sogar Hautreizungen verursachen, was eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit der Überwachten impliziert. Viertens kann die von den überwachten Personen unfreiwillig getragene Überwachungstechnik in den Situationen zu Stigmatisierungen führen, in denen die technischen Geräte nicht unter der Kleidung versteckt werden können. Darüber hinaus können die überwachten Personen durch die EAÜ zu einem bloßen Objekt der Staatsgewalt herabgewürdigt oder als Mittel gegen sich selbst eingesetzt werden. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob ein Verstoß gegen die Menschenwürde vorliegt. Diese Probleme hinsichtlich der EAÜ werden auch bei den Diskussionen in den USA sowie in Südkorea untersucht, da sich die rechtliche Ausgestaltung sowie die Funktionsweise der EAÜ in allen 3 Ländern nicht stark unterscheiden. In den USA wird geprüft, ob die EAÜ gegen den Zusatzartikel IV („Fourth Amendment“) und die „Due Process“-Norm („Procedural Due Process“ sowie „Substantive Due Process“) verstößt. Aus einer rechtsvergleichenden Perspektive stimmt der Schutzbereich des Zusatzartikel IV in den USA mit demjenigen der Privatsphäre in Deutschland fast überein. Bei der „Due Process“-Norm handelt es sich um den Schutz der allgemeinen Handlungsfreiheit und der körperlichen Unversehrtheit. In Südkorea wird die EAÜ in Bezug auf die folgenden Rechte verfassungsrechtlich
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geprüft: allgemeines Persönlichkeitsrecht (§ 10 des koreanischen Verfassungsrechts), körperliche Unversehrtheit (§ 12 Abs. 1 des koreanischen Verfassungsrechts), Freizügigkeit (§ 14 des koreanischen Verfassungsrechts) und Recht auf Privatsphäre (§ 17 des koreanischen Verfassungsrechts). Allerdings bestehen auch einige Unterschiede zwischen Deutschland und den beiden anderen Ländern. Die Möglichkeit des Verstoßes gegen die Menschenwürde durch die EAÜ kommt nur in Deutschland in Betracht. Demgegenüber werden das Rückwirkungsverbot sowie das Verbot der Doppelbestrafung in Zusammenhang mit der EAÜ in Deutschland noch nicht berücksichtigt, obwohl sie in beiden Ländern als einer der Schwerpunkte in der verfassungsrechtlichen Diskussion angesehen werden. Ein konkreter Grund dafür, warum anders als in Deutschland in Südkorea und in den USA auf die Frage bezüglich einer in Betracht kommenden Verletzung der Menschenwürde durch die EAÜ nicht direkt eingegangen wird, konnte in den Entscheidungen der Gerichte bzw. in der Literatur nicht gefunden werden. Dies kann möglicherweise damit zu tun haben, dass die 3 Länder hinsichtlich der Menschenwürde ein unterschiedliches verfassungsrechtsdogmatisches System haben. In Deutschland ist die Beachtung der Menschenwürde in Art. 1 GG ausdrücklich vorgesehen.466 Art. 1 I GG bildet die Grundlage aller Grundrechte und überwiegt als höchster und bedeutendster Verfassungswert alle anderen Rechte.467 Es ist zwar umstritten, ob Art. 1 I GG überhaupt ein Grundrecht als solches darstellt. Jedoch wird nach der herrschenden Meinung der Grundrechtscharakter des Art. 1 I GG bejaht, da es zu einem widersinnigen Ergebnis führe, wenn diese Norm der Verfassung keinen subjektiv-öffentlichen Charakter hätte.468 Das BVerfG benutzt Art. 1 Abs. 1 GG oft als konkreten verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab.469 Demgegenüber ist in der US-amerikanischen Verfassung keine ausdrückliche Vorschrift bezüglich der Menschenwürde vorhanden, und es gibt auch keine festgelegte Verfassungsrechtsdogmatik hinsichtlich der Menschenwürde.470 Der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten hat die Frage einer Verletzung der Menschenwürde meistens in Verbindung mit anderen Grundrechten geprüft.471 Das Gleiche gilt auch für Südkorea. Zwar ist der Schutz der Menschenwürde in Südkorea anders als in den USA in Art. 10 Abs. 1 der koreanischen Verfassung geregelt. Dieser Artikel spielt jedoch 466
Laut Art. 1 I GG ist die Würde des Menschen unantastbar. BVerfGE 93, 266 (293); Jarass/Pieroth, GG, Art. 1, Rz. 5. 468 Manssen, StaatsR II, § 9., Rz. 208; Jarass/Pieroth, GG, Art. 1, Rz. 3. 469 Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit bei Fällen, in denen eine Verletzung der Menschenwürde geprüft wurde, des Öfteren auf die sog. Objektformel abgestellt, Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 1 Rn. 36.; Hufen, JuS 1/2010, 1 (2). 470 George Wright, „Dignity and Conflicts of Constitutional Values: The Case of Free Speech and Equal Protection“, San Diego Law Review Vol. 43 (2006), p. 528; Vicki Jackson, „Constitutional Dialogue and Human Dignity: States and Transnational Constitutional Discourse“, MONT. Law Review Vol. 65 (2004), S. 15 – 17. 471 Maxine Goodman, „Human Dignity in Supreme Court Constitutional Jurisprudence“, NEB Law Review Vol. 84 (2005), S. 740. 467
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tendenziell bei Entscheidungen des koreanischen Verfassungsgerichts als unmittelbarer verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab keine Rolle, da der Begriff der Menschenwürde sehr vage und abstrakt ist.472 Das koreanische Verfassungsgericht hat dementsprechend auch in seiner Entscheidung vom 27. 12. 2012 über die Verfassungsmäßigkeit der EAÜ die Menschenwürde als Prüfungsmaßstab nicht angewandt. In Südkorea und in den USA ist fraglich, ob die neu eingeführte Maßnahme der EAÜ nicht als Maßregel der Besserung und Sicherung („a Non-Punitive Civil Regulatory Scheme“ in den USA), sondern als Strafe zu betrachten ist. Dies beruht auf der Ansicht, dass die EAÜ, inhaltlich gesehen, im Vergleich zu einer Strafe, keine weniger stark eingreifende Maßnahme darstellt. Diese Frage stellt sich hauptsächlich im Rahmen der Prüfung nach dem Rückwirkungsverbot („Ex Post Facto Clause“) und dem Verbot der Doppelbestrafung („Principle of Double Jeopardy“). Denn die EAÜ würde gegen das Prinzip des Rückwirkungs- sowie des Doppelbestrafungsverbots verstoßen, wenn die EAÜ als eine Strafe anzusehen wäre. Demgegenüber wird die Frage in Deutschland noch nicht unmittelbar erörtert. Der Grund könnte darin liegen, dass bereits in einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichts dieselbe Frage bezüglich der Sicherungsverwahrung bzw. Therapieunterbringung erschöpfend diskutiert wurde, und dass die Argumente und Begründungen in dieser Entscheidung auch für die Debatte über die EAÜ gelten könnten. Der EGMR hatte mit dem Urteil vom 17. 12. 2009 entschieden, dass es gegen Art. 7473 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) verstoße, wenn ein Sicherungsverwahrter, der unter Geltung des früheren § 67d Abs. 1 StGB a.F. mit maximal 10 Jahren Sicherungsverwahrung rechnen musste, nachträglich aufgrund einer Gesetzesänderung (§ 67d Abs. 3 dtStGB) zu einer unbegrenzten Sicherungsverwahrung gezwungen wird.474 Entscheidend bei diesem Urteil war die Auffassung des Gerichtshofs, dass eine Sicherungsverwahrung als eine „Strafe“ anzusehen sei. Diesbezüglich war die Bundesregierung zwar der Meinung, dass das deutsche Strafgesetzbuch im Hinblick auf den Zweck und den Inhalt die Sicherungsverwahrung klar von Strafen unterscheide, welche als Reaktion auf rechtswidrige Handlungen verhängt werden. Jedoch setzte sich diese Ansicht nicht durch. Im Lichte der Rechtsprechung des EGMR hat das Bundesverfassungsgericht auch mit dem Urteil vom 4. 5. 2011 die gesetzlichen Regelungen zur Sicherungsverwahrung
472 Myung- Jae Kim, Die Argumentation um die Menschenwürde in der Judikatur des koreanischen Verfassungsgerichtes, S. 236. 473 Art. 7 (Keine Strafe ohne Gesetz): Niemand darf wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach innerstaatlichem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Es darf auch keine schwerere als die zur Zeit der Begehung angedrohte Strafe verhängt werden. 474 Vgl. EGMR, Urt. v. 17. 12. 2009 – 19359/04 (M. ./. Deutschland) = NJW 2010, 2495; StV 2010, 181.
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für verfassungswidrig erklärt.475 Das Bundesverfassungsgericht begründete dies damit, dass sich die deutsche Sicherungsverwahrung in ihrer Vollstreckung kaum von einer Haftstrafe unterscheide. Das Bundesverfassungsgericht forderte, dass zwischen dem Vollzug der Freiheitsstrafe und der Sicherungsverwahrung ein qualitativer Unterschied bestehen müsse, um die Sicherungsverwahrung nicht als Strafe, sondern als Maßregel der Besserung und Sicherung erkennbar zu machen (sog. Abstandsgebot). Im Ergebnis ist nicht zu erwarten, dass die EAÜ als Strafe angesehen und damit aufgrund des Rückwirkungsverbots sowie des Doppelbestrafungsverbots als verfassungswidrig bewertet wird. Denn bei der EAÜ liegt schon ein qualitativer Unterschied zur Freiheitsstrafe vor, somit wird dem Abstandsgebot gefolgt. Die EAÜ stellt keine stationäre, sondern eine ambulante Maßnahme dar. Wenngleich der Aufenthaltsort von Betroffenen durch die EAÜ überwacht wird, bleibt es ihm doch grundsätzlich überlassen, wohin er sich bewegt. Die EAÜ unterscheidet sich also im Hinblick auf ihre Vollstreckung wesentlich von der Sicherungsverwahrung als freiheitsentziehende Maßnahme. Deshalb ist die EAÜ in Deutschland höchstwahrscheinlich nicht als eine Strafe anzusehen. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der EAÜ die Thematik der Privatsphäre und der persönlichen Freiheit in allen 3 Ländern berücksichtigt wird. Doch kommt die Menschenwürde als Prüfungsmaßstab nur in Deutschland in Betracht, während in Deutschland das Rückwirkungsverbot sowie das Verbot der Doppelbestrafung in Zusammenhang mit der EAÜ noch nicht berücksichtigt werden. Theoretisch gesehen kann sich auch in Deutschland das Problem des Rückwirkungsverbots sowie des Verbotes der Doppelbestrafung stellen. Doch würde dieses Problem bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung der EAÜ in Deutschland als nicht wichtig angesehen werden. Denn sehr ähnliche Diskussionen fanden schon in Deutschland bezüglich der Sicherungsverwahrung statt, und demgemäß würde man die EAÜ in Deutschland unproblematisch nicht als Strafe ansehen. Auf Basis dieser Ergebnisse wird im nächsten Abschnitt darauf eingegangen, welche Argumente hinsichtlich der Menschenwürde, des Rechts auf Privatsphäre und des Freiheitsrecht in den 3 Ländern diskutiert werden, und welche Schlussfolgerungen daraus gezogen werden. Auf dieser Grundlage ist sodann zu klären, was hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der EAÜ in Deutschland berücksichtigt werden sollte.
475 BVerfG, 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09: Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung, in: NJW 2011, S. 1936 ff.
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B. Argumentation und Schlussfolgerung I. Menschenwürde Im Hinblick auf die Frage zur Vereinbarkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung mit der Menschenwürde werden in Deutschland hauptsächlich folgende 3 Punkte untersucht:476 a) ob die Durchführung der EAÜ die überwachten Personen in ihrem Eigenwert als Menschen herabwürdigen könnte, indem sie diese Personen zum bloßen Objekt des Staates degradiert oder als Mittel gegen sich selbst einsetzt; b) ob ein Zwang zur Mitwirkung an der Durchführung der elektronischen Aufenthaltsüberwachung dazu führen könnte, dass die überwachten Personen an ihrer eigenen Überführung mitwirken müssen und damit ein Verstoß gegen den „nemo-tenetur“-Grundsatz vorliegt; c) ob der Verzicht auf ein Sachverständigengutachten über die anhaltende Gefährlichkeit der zukünftig zu überwachenden Personen als eine willkürliche Missachtung der Würde des Menschen angesehen werden müsste. 1. Verbot entwürdigender und unmenschlicher Behandlung Da in Deutschland durch Medienberichte allgemein bekannt ist, dass (Sexual) Straftäter unter EAÜ mittels Fußfessel gestellt werden, führt eine Aufdeckung der Überwachungstechnik zu einer Stigmatisierung sowie zu einem Erniedrigungs- bzw. Demütigungsgefühl bei den Betroffenen. Dieses Problem ist nicht zu unterschätzen. Die Schwere ist leicht vorstellbar, wenn man daran denkt, welche Bilder von Sexualstraftätern in der Öffentlichkeit vorherrschen, und wie die Öffentlichkeit reagiert, falls sie jene als Kollegen oder Nachbarn antrifft. Dadurch könnte das Knüpfen neuer Kontakte, das Eingehen neuer Beziehungen und Freundschaften oder der Beginn eines neuen Arbeitsverhältnisses sehr erschwert oder behindert werden. Da der Mensch insbesondere ein soziales Wesen ist und deshalb sein Leben nicht allein führen kann, können solche Stigmatisierungen sowie ein Erniedrigungs- bzw. Demütigungsgefühl die grundsätzliche Basis der menschlichen Existenz gefährden. Deshalb wird das Problem der Herabwürdigung des Menschen aufgrund von Stigmatisierung, schwerer Erniedrigung und Demütigung durch die EAÜ in Deutschland hinsichtlich der Menschenwürde diskutiert. Anders als in Deutschland wird die Frage, ob die Menschenwürde durch die EAÜ verletzt werden kann, wie bereits erwähnt, weder in den USA noch in Südkorea unmittelbar diskutiert.477 Allerdings steht zwar auch in den USA und in Südkorea das Problem der Stigmatisierung, schweren Erniedrigung und Demütigung durch die EAÜ in der verfassungsrechtlichen Diskussion. In beiden Ländern wird das Problem 476 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 146 ff. Harders, Elektronische Überwachung von Straffälligen, 2014, S. 193 ff. 477 Siehe S. 166 – 167.
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jedoch im Rahmen anderer Grundrechte behandelt. In den USA stellt sich diesbezüglich die Frage, ob die EAÜ eine Strafe darstellt und die Privatsphäre der Überwachten beeinträchtigt, welche der 4. Zusatzartikel der Verfassung der Vereinigten Staaten gewährleistet. In Südkorea kommt die Herabwürdigung des Menschen durch die EAÜ in Bezug auf das allgemeine Persönlichkeitsrecht (§ 10 des koreanischen Verfassungsrechts) in Betracht.478 In allen 3 Ländern wird ein Verstoß gegen das Verfassungsrecht durch Stigmatisierung, schwere Erniedrigung und Demütigung in Bezug auf die EAÜ verneint. In der deutschen Literatur wird allgemein angenommen, dass die EAÜ nicht in den Schutzbereich der Menschenwürde eingreift.479 In den USA und in Südkorea ist die Rechtsprechung der Meinung, dass die EAÜ zwar eine Stigmatisierung und eine schwere Erniedrigung und Demütigung hervorrufen kann, aber diese grundrechtlichen Eingriffe durch das Überwiegen des öffentlichen Interesses am Schutz vor gefährlichen Straftätern gerechtfertigt werden können.480 In der konkreten Begründung dafür haben die 3 Länder gemein, dass es entscheidend darauf ankommt, wie Überwachte die Stigmatisierung erfahren und wie tiefgehend ihr Erniedrigungs- bzw. Demütigungsgefühl ist. Dabei soll auch berücksichtigt werden, wie hoch die Wahrscheinlichkeit der Sichtbarkeit der Überwachungstechnik für die Öffentlichkeit im Alltag ist. Danach könnten zwar Überwachte durch das Anbringen der Fußfessel und deren Aufdeckung eine Stigmatisierung, schwere Erniedrigung oder Demütigung erfahren. Dies wird aber weder als ein Verstoß gegen die Menschenwürde oder als eine beschämende Strafe – wie etwa ein „scharlachroter Buchstabe“ – noch als eine wesentliche Beeinträchtigung der Privatsphäre bzw. des Persönlichkeitsrechts verstanden. Der Grund dafür liegt darin, dass gemäß dem EAÜ-Gesetz aller 3 Länder die Überwachungstechnik nicht am Handgelenk, sondern am Fußgelenk angebracht wird. Dies soll bedeuten, dass sie im Regelfall unter der Kleidung versteckt werden kann und somit grundsätzlich im Alltag nicht für die Öffentlichkeit sichtbar ist. Die herrschende Meinung in der Literatur und in der Rechtsprechung in den 3 Ländern besagt, dass zwar die Überwachungstechnik gegebenenfalls, z. B. beim Tragen einer kurzen Kleidung im Sommer oder beim Schwimmbadbesuch, erkannt werden könne, aber dies nur der Ausnahmefall sei, den die Überwachten leicht vermeiden könnten. Denn sie könnten selbst entscheiden, ob sie eine kurze Kleidung tragen oder das Schwimmbad besuchen. Es könne ihnen zwar Unannehmlichkeiten verursachen, keine kurze Kleidung zu tragen oder das Schwimmbad nicht zu besuchen, jedoch stelle es keine unzumutbaren Anforderungen an die Lebensführung der überwachten Personen dar. Trotz dieser gemeinsamen Begründung gibt es allerdings auch andere Meinungen hierzu. In diesem Zusammengang stellt sich die Mindermeinung des koreanischen 478 Vgl. Myung- Jae Kim, Die Argumentation um die Menschenwürde in der Judikatur des koreanischen Verfassungsgerichtes, S. 243. 479 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 148 – 149. 480 Vgl. Teil 3, Kapitel 2, B. und C.
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Verfassungsgerichts und der Literatur besonders auffällig dar,481 da sie teilweise den Argumentationen im deutschen Diskurs entgegensteht. Ihrer Ansicht nach seien zunächst die grundrechtlichen Beeinträchtigungen durch die EAÜ, nämlich Stigmatisierung, schwere Erniedrigung sowie Demütigung, gravierender als sie in der deutschen Literatur angenommen werden. Diese Auffassung basiert auf einer empirischen Studie, welche besagt, dass sich Überwachte durch die EAÜ im täglichen und beruflichen Leben tief erniedrigt bzw. gedemütigt fühlen können und eine sehr große Angst vor der Stigmatisierung haben.482 Darüber hinaus wurde festgestellt, dass die durchschnittliche Selbstmordrate der Überwachten 20-mal höher war als die derjenigen, die kein GPS-Gerät tragen. Außerdem könne laut der Mindermeinung die Kenntnisnahme der Umwelt von der Überwachungstechnik einfacher und häufiger stattfinden, als es erwartet würde. Auch abgesehen von extremen Situationen wie etwa Schwimmbad- oder Saunabesuch könne das GPS-Gerät bei anderen verschiedenen Freizeitaktivitäten wahrscheinlich von Anderen erkannt werden, da die Technik nicht allzu klein ist und trotz des Versteckens unter Kleidung noch erkennbar bleibt. Einer Umfrage zufolge haben tatsächlich 47 % der Überwachten die Erfahrung gemacht, dass das Gerät von Anderen entdeckt wurde und somit ein Gefühl der Scham entstand.483 Diesbezüglich betont die Mindermeinung, dass diese Erfahrung der Überwachten wiederholt auftreten könne, da eine Anordnung der EAÜ in Südkorea bis zu 30 Jahre andauern kann. Dadurch könne sich eine Negativerfahrung der Betroffenen in gravierendem Maße summieren.484 Zwischen Südkorea und Deutschland liegt bei der Funktionsweise sowie der Größe der Überwachungstechnik kein Unterschied vor.485 Daher kann die Argumentation der südkoreanischen Mindermeinung zum großen Teil auch im deutschen Diskurs über den Verstoß gegen die Menschenwürde in Betracht gezogen werden. Abgesehen von ihrer Überzeugungskraft fehlt der Argumentation in der deutschen Literatur eine empirische Studie. Diese Argumentation beruht auf bloßen Annahmen und Vermutungen. Es ist daher zu empfehlen, auch im deutschen Diskurs eine empirische Forschung durchzuführen. Aus der Mindermeinung des koreanischen Verfassungsgerichts und der Literatur kann man aber auch nicht unmittelbar die Schlussfolgerung ziehen, dass die deutsche EAÜ gegen Art. 1 GG verstößt. Denn die 2 Länder unterscheiden sich hinsichtlich der Kultur sowie der Lebensbedingungen der Überwachten voneinander, sodass sich die genannte empirische Studie in Südkorea für den deutschen Diskurs nur als ein 481
Siehe, S. 156 – 159. Vgl. Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An Evaluation Study on the Electronic Monitoring. 483 Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring S. 481 ff. 484 Siehe S. 157. 485 Vgl. Teil 3, Kapitel 1, D. 482
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Referenzfall darstellen kann. Außerdem ist die Sonderstellung der Menschenwürde im deutschen Grundgesetz zu beachten.486 Nach einer vorzugswürdigen Ansicht ist ein Eingriff in dieses Grundrecht grundsätzlich verboten, weshalb eine Interessenabwägung im Rahmen der Menschenwürde, anders als bei der Prüfung anderer Grundrechte, als unerlaubt angesehen wird.487 Um die Menschenwürde vor einer Trivialisierung und einem inflationären Gebrauch zu schützen, soll der Schutz nämlich nur auf bestimmte Fälle beschränkt werden.488 Ob die Stigmatisierung und die Erniedrigung bzw. die Demütigung durch die EAÜ zu diesen bestimmten Fällen gehören, kann nicht endgültig festgelegt werden. Falls in einer weiteren empirischen Untersuchung festgestellt wird, dass die deutsche EAÜ die Wiedereingliederung der Überwachten in die Gesellschaft schwer behindert bzw. sich die durchschnittliche Selbstmordquote unter den Überwachten als stark erhöht zeigt, dann könnte sie als ein Verstoß gegen die Menschenwürde angesehen werden und sich als verfassungswidrig darstellen. 2. Verstoß gegen die Selbstbelastungsfreiheit Der Grundsatz, dass niemand gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten („nemo tenetur se ipsum accusare“), zählt zu den Grundprinzipien eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens.489 Dieser Grundsatz beinhaltet einerseits das Recht, sich nicht durch eine eigene Aussage zu belasten, und andererseits das Recht, nicht aktiv an einer eigenen Überführung und Verurteilung mitwirken zu müssen.490 Hinsichtlich der Menschenwürde wird in Deutschland infrage gestellt, ob die EAÜ gegen diesen Grundsatz verstößt, indem überwachte Personen durch das Tragen der Überwachungstechnik dazu gezwungen werden, beweiserhebliches Material an staatliche Behörden zu liefern, welches gegebenenfalls im Rahmen eines Strafverfahrens gegen sie verwendet werden kann.491 Der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“ ist ebenfalls in den USA und in Südkorea als eines der wesentlichen strafrechtlichen Prinzipien anerkannt. In den 486 Im Grundgesetz nimmt die Menschenwürde aus Art. 1 GG eine Sonderstellung ein. Sowohl seine Position an der Spitze der Verfassung als auch der besondere Schutz, den die Grundsätze des Art. 1 GG durch die sog. Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG erlangen, belegen, dass Achtung und Schutz der Menschenwürde die zentrale Grundlage der Verfassung sind. Vgl. Epping, Grundrechte, S. 288. 487 Vgl. BVerfGE 107, 275 (284) (Schockwerbung II); 109, 279 (314) (Großer Lauschangriff). 488 Hufen, JuS 1/2010, 1 (2). 489 BGHSt 58, 301 (304). 490 Uhle, in: Merten/Papier, HdGr, Bd. V, § 129 Rn. 99. 491 Die Frage wurde in Deutschland schon beim Einsatz des elektronisch überwachten Hausarrests aufgebracht. Sie wurde dabei mehrheitlich verneint, da der elektronisch überwachte Hausarrest sich auf die Anwesenheitsfeststellung in der Wohnung der überwachten Person beschränke. Dazu ausführlich: Hudy, Elektronisch überwachter Hausarrest, S. 216 ff.; Haverkamp, Elektronisch überwachter Hausarrestvollzug, S. 190 f.
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USA ist dieser Grundsatz im Zusatzartikel V zur Verfassung der Vereinigten Staaten enthalten, im Verfassungsrecht von Südkorea ist er durch den Artikel 12 garantiert. Auf die Frage, ob die EAÜ gegen den „nemo-tenetur“-Grundsatz verstößt, wird jedoch in beiden Ländern nicht eingegangen. Sie wird weder unter Bezugnahme auf die Menschenwürde noch auf andere Grundrechte thematisiert. Der Grund dafür ist bisher in der Literatur nicht geklärt.492 In der Diskussion in Deutschland wird eine Verletzung der Selbstbelastungsfreiheit durch die EAÜ verneint.493 Der Grund dafür liege darin, dass überwachte Personen nicht gezwungen werden, beweiserhebliche Daten an die Strafverfolgungsbehörden zu übermitteln, da der Staat sie nicht zwingt, erneut straffällig zu werden.494 Der Begründung nach sei maßgeblich, dass überwachte Personen die Entscheidungsfreiheit haben, erneut schwere Straftaten im Sinne des § 66 III S. 1 StGB zu begehen. Denn beweiserhebliche Daten werden unter den Verwendungsvoraussetzungen des § 463a IV StPO dann zu ihrer eigenen Überführung nicht genutzt, wenn überwachte Personen keine schweren Straftaten erneut begehen. Da die überwachten Personen so eigenverantwortlich und selbstbestimmt über ihr Handeln entscheiden können, liege kein Eingriff in den „nemo-tenetur“ Grundsatz vor. Darüber hinaus wird auch die Meinung vertreten, dass sich überwachte Personen bereits der staatlichen Überwachung bewusst sind, und deshalb hinsichtlich der Selbstbelastungsfreiheit keine List oder Täuschung durch den Staat vorliege.495 Allerdings sind diese Begründungen nicht überzeugend. Die erste Behauptung basiert auf der folgenden Logik: Die Entscheidungsfreiheit, ob man eine bestimmte Straftat begeht, bezieht sich auf den Beginn eines Strafverfahrens. Ein Strafverfahren würde nicht eröffnet und beweiserhebliche Daten zur Überführung somit nicht genutzt werden, wenn überwachte Personen keine schwere Straftat erneut begehen. Es liege also keine Verletzung des „nemo-tenetur“-Grundsatzes vor, wenn die Entscheidungsfreiheit der Überwachten gewährleistet wird. 492 Die Frage kann in beiden Ländern ebenso wie in Deutschland gestellt werden, weil die Funktionsweise der EAÜ in jenen zwei Ländern nicht anders als in Deutschland ist: In beiden Ländern werden im Rahmen der EAÜ in kurzen Abständen Positionsdaten erhoben, die es ermöglichen, den Standort oder die Bewegungsgeschwindigkeit von überwachten Personen zu erkennen und damit ein Bewegungsprofil sowie eine Bewegungsprognose zu erstellen. Durch diese erhobenen und gespeicherten Positionsdaten kann ein Aufschluss über eine erneute Straffälligkeit, die Anwesenheit an einem Tatort sowie Tatortnähe und Weisungsverstöße gewonnen werden. Dies wird in einem Strafprozess auf verschiedene Weise gegen die betroffenen Überwachten verwendet. Man könnte deshalb auch in beiden Ländern argumentieren, dass die Straftäter durch ihre Überwachung in einem Strafverfahren Gefahr laufen, ihrerseits die Beweise für während der Überwachungszeit begangene Regelverstöße bzw. Straftaten zu erbringen. 493 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 160; Önel, Verfassungsmäßigkeit und Effektivität der elektronischen Fußfessel, S. 26; Harders, Elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 197 – 202. 494 Vgl. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 157 – 160. 495 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 160.
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Die Entscheidungsfreiheit der überwachten Personen ist jedoch nicht unmittelbar dafür relevant, ob der „nemo-tenetur“-Grundsatz durch die Anordnung der EAÜ verletzt wird. Dieser Grundsatz setzt schon den Beginn eines Strafverfahrens voraus, da seine Definition lautet, dass niemand in einem Strafverfahren gezwungen werden darf, sich selbst zu belasten. Deshalb muss der „nemo-tenetur“-Grundsatz immer dann Anwendung finden, wenn ein solcher Zwang in einem Strafverfahren vorliegt, unabhängig davon, ob die überwachten Personen eine Entscheidungsfreiheit für eine neue Straftatbegehung haben. Die Entscheidungsfreiheit ist im Übrigen nicht nur den Überwachten, sondern auch allen anderen Bürgern gewährt. Sie stellt also kein besonderes Merkmal für überwachte Personen dar. Eine Befreiung vom „nemo-tenetur“-Grundsatz aufgrund der Entscheidungsfreiheit würde für alle Bürger gelten. Sollte die Entscheidungsfreiheit so die Anwendung des „nemo-tenetur“-Grundsatzes ausschließen, könnte kein Raum für die Anwendung dieses Grundsatzes bestehen, und er wäre somit in der Praxis untauglich. Des Weiteren hat der Umstand, dass sich Überwachte bezüglich der Erhebung ihrer Daten durch die EAÜ sowie ihrer möglichen Verarbeitung bewusst sind, und bei dieser Datenerhebung und -verarbeitung keine List bzw. Täuschung vorliegt, nicht unmittelbar mit der Frage zu tun, ob der „nemo-tenetur“-Grundsatz durch eine Anordnung der EAÜ verletzt wird. Denn ein solcher Umstand wird nicht als ein wesentlicher Faktor bei der Einhaltungsprüfung des Grundsatzes angesehen. Nach herrschender Meinung besagt der Grundsatz „nemo tenetur se ipsum accusare“, dass von einem Beschuldigten weder ein aktives Tun noch eine aktive Beteiligung an seiner eigenen Überführung im Rahmen eines Strafverfahrens verlangt werden darf.496 Daraus ergeben sich die Merkmale „Zwang“ und „aktives Tun bzw. aktive Beteiligung“ als Prüfungsmaßstab dieses Grundsatzes. Obwohl die Überwachten über die Erhebung der Daten durch die EAÜ sowie ihre mögliche Verarbeitung informiert sind, wird der „nemo-tenetur“-Grundsatz als verletzt angesehen, wenn solche Merkmale vorliegen. Dies wird noch deutlicher, wenn man sich folgende Situation vor Augen hält, in welcher der Staat alle Bürger verpflichten würde, jeden Tag alle Tätigkeiten zu dokumentieren sowie diese Daten per E-Mail mitzuteilen, wobei im Falle der Nichtbefolgung Bußgeld oder sogar Strafe drohen würden. Außerdem würde der Staat den Bürgern im Voraus ankündigen, also ohne List und Täuschung, dass diese Berichte in der Zukunft in einem Strafverfahren als Beweise zu ihren Lasten genutzt werden können. Die Polizeibehörden würden in einem Strafverfahren die aus den Berichten gewonnenen Informationen zur Überprüfung der Straftaten der Betroffenen nutzen. In diesem Beispiel kann man nicht davon ausgehen, dass aufgrund der vorherigen Ankündigung kein Verstoß gegen den „nemo-tenetur“-Grundsatz vorliegt. 496
BVerfGE 56, 37 (49).; BGH, Urteil vom 9. 4. 1986 – Az.: 3 StR 551/85, abgedruckt, in: NJW 1986, 2261 (2263); Meyer-Goßner/Schmitt, Strafprozessordnung, § 81a Rn. 11; Ellbogen, Kriminalistik 8 – 9/2006, S. 544; Engländer, Das nemo-tenetur-Prinzip als Schranke verdeckter Ermittlungen, S. 163; Verrel, Die Selbstbelastungsfreiheit im Strafverfahren, S. 158 ff., 278 f.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Die EAÜ ist von einer Einwilligung der Überwachten unabhängig, da die Weisungen nach § 68b I S. 1 StGB vom zuständigen Gericht angeordnet werden. Es liegt also nahe, dass, anders als bei Straftätern ohne elektronische Aufenthaltsüberwachung, Überwachte durch die EAÜ dazu „gezwungen“ werden, ihre Aufenthaltsinformationen an eine Überwachungsstelle zu übermitteln. Allerdings ist fraglich, ob das zweite Merkmal „aktives Tun bzw. aktive Beteiligung“ hier vorliegt. Da die Positionsdaten automatisch von einer Sendeeinheit unmittelbar an staatliche Behörden weitergeleitet und verwendet werden, besteht im Rahmen dieses Prozesses weder ein aktives Tun noch eine aktive Beteiligung der Überwachten. Der „nemotenetur“-Grundsatz schützt die Beschuldigten ausschließlich vor dem Zwang, sich aktiv belasten zu müssen, nicht aber vor jeglicher Mitwirkung am Strafverfahren.497 Damit ist der Zwang zur passiven Duldung von Ermittlungsmaßnahmen im Rahmen der Strafprozessordnung zulässig. § 463a IV S. 2 Nr. 5 StPO regelt ausdrücklich, dass die durch eine elektronische Aufenthaltsüberwachung gewonnenen Daten genutzt werden dürfen, um eine der in § 66 III S. 1 StPO genannten Straftaten zu verfolgen. Insofern tragen die überwachten Personen eine Duldungspflicht bezüglich der Verfolgungsmaßnahmen. Die Nutzung ihrer Positionsdaten in einem Strafverfahren ist somit gerechtfertigt. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die EAÜ nicht gegen die Selbstbelastungsfreiheit von überwachten Personen verstößt. Denn Überwachte werden zwar durch das Tragen der Überwachungstechnik dazu gezwungen, beweiserhebliches Material an die staatlichen Behörden zu liefern, jedoch sind sie nicht dazu gezwungen, an ihrer eigenen Überführung und Verurteilung aktiv teilzunehmen. 3. Verzicht auf ein externes Sachverständigengutachten als willkürliche Behandlung? § 68b I S. 3 Nr. 3 StGB regelt in Deutschland, dass die Anordnung der EAÜ nur zulässig ist, wenn die Gefahr besteht, dass die verurteilten Personen weitere Straftaten der in § 66 III S. 1 genannten Art begehen könnte. Dabei ist die Wahrscheinlichkeit der Begehung einer solchen Straftat durch eine Gefahrenprognose festzustellen. Hinsichtlich dieser Prognose ist auffällig, dass der deutsche Gesetzgeber keine generelle Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens vor der Anordnung einer EAÜ vorgesehen hat. Aufgrund dieser Regelung kann deshalb das zuständige Gericht die durch die überwachten Personen drohende Gefahr ohne schriftliche Stellungnahme eines Sachverständigen wie etwa eines Facharztes feststellen. Bezüglich dieses Verzichts auf eine gesetzliche Vorgabe zur Einholung eines Sachverständigengutachtens stellt sich die Frage, ob eine Gefahr durch das Gericht ausführlich bewertet werden kann.498 Zudem ist in diesem Zusammenhang auch 497
BGHSt 45, 367 (368); Beulke, Strafprozessrecht, Rn. 127. Haverkamp/Schwedler/Wößner, Führungsaufsicht mit satellitengestützter Überwachung, S. 63. Stree/Kinzig, in: Schönke/Schröder, StGB, § 68b Rn. 14c. Brauneisen, Die 498
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fraglich, ob der Verzicht auf ein Sachverständigengutachten als eine willkürliche staatliche Handlung gegen die Menschenwürde der überwachten Personen verstößt.499 Bei der Erörterung dieser Fragen kann man die gesetzlichen Regelungen zur Einholung eines Sachverständigengutachtens in den USA und in Südkorea heranziehen, da die Einschätzung der Gefährlichkeit und Rückfallwahrscheinlichkeit in diesen beiden Ländern ebenfalls als wichtiger Faktor bei der Entscheidung über die Anordnung der EAÜ betrachtet wird. Nach dem Gesetzesmodell des US-Bundesstaats Kalifornien muss die Strafvollzugsbehörde („California Department of Corrections and Rehabilitation“) pflichtgemäß die Erstellung einer Prognose über die Gefährlichkeit von Sexualstraftätern vornehmen, die auf Bewährung aus der Haft entlassen werden. Dabei kommt hauptsächlich das sog. aktuarische Prognoseinstrument Static-99 zur Anwendung.500 Dieses fokussiert sich auf die Beurteilung des Rückfallrisikos auf der Basis statistischer und nicht veränderbarer Faktoren, welche die Berücksichtigung der Weiterentwicklung von Betroffenen ausschließt.501 Die Risikobeurteilung bei Static-99 erfolgt anhand der folgenden Risikofaktoren:502 - frühere Sexualstraftaten, - frühere Verurteilungen, - Schuldsprüche wegen Sexualdelikten ohne Körperkontakt, - Verwandtschaftsgrad, - Beziehungsstatus mit dem Opfer, - Geschlecht des Opfers, - Alter des Täters u. ä. Dadurch wird bei jedem Sexualstraftäter untersucht, wie gefährlich er ist und ob er aufgrund des hohen Rückfallrisikos unter Überwachung gestellt werden muss. Auf der Basis dieses Ergebnisses prüft letztlich das Gericht, ob ein besonderer Grund vorliegt, auf eine Anordnung der EAÜ zu verzichten. Im US-Bundesstaat Massachusetts klassifiziert „The Sex Offender Registry Board (SORB)“ alle Sexualstraftäter je nach Risikograd in 3 Kategorien, wobei die Kategorie 1 die am wenigsten Gefährlichen und die Kategorie 3 die Gefährlichsten umfasst. Das „SORB“ besteht aus 7 Experten, unter denen sich mindestens 2 Psyelektronische Überwachung des Aufenthaltsortes als neues Instrument der Führungsaufsicht, S. 313. 499 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung S. 153 ff. 500 Vgl. Official publication of the California SARATSO Review and Training Committees, Sex Offender Risk Assessment in California. 501 Eher/Rettenberger/Schilling/Pfäfflin, Validität oder praktischer Nutzen? Rückfallvorhersagen mittels Static 99 und SORAG. Eine prospektive Rückfallstudie an 275 Sexualstraftätern, S. 79 – 88. 502 Näheres dazu: Hanson/Thornton, Improving actuarial risk assessment for sex offenders.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
chologen bzw. Psychiater befinden müssen. Bei dem Massachusetts-Modell finden Static-99, Static 2002-R oder VASOR („Vermont Assessment of Sex Offender Risk“) Anwendung, und das Ergebnis wird vom Gericht bei der Entscheidung berücksichtigt, ob eine Anordnung der EAÜ erforderlich ist. Im Unterschied zum kalifornischen Ansatz und Massachusetts-Modell basiert die Anordnung der EAÜ in Florida ohne eine umfassende Prüfung des Rückfallrisikos unmittelbar nur auf den ehemaligen Straftaten der Betroffenen. In Hinblick darauf gibt es 2 Varianten. Falls die Straftaten innerhalb des Zeitraums von Oktober 1997 bis August 2005 begangen worden sind, entscheidet das Gericht entsprechend der Empfehlung der Aufsichtsbehörde, ob die EAÜ für die Betroffenen angeordnet werden muss.503 In anderen Fällen, nämlich wenn die Straftaten nach dem Inkrafttreten des „Jessica Lunsford“ Gesetzes (nach dem 1. 9. 2005) begangen worden sind, existiert kein Entscheidungsspielraum für das Gericht. In diesem Fall wird die EAÜ ausnahmslos angeordnet.504 In beiden Fällen existieren keine Regelungen darüber, ob und wie das Rückfallrisiko zu evaluieren ist. Im Ergebnis besteht in den USA keine ausdrückliche Regelung, welche das Gericht zur Berücksichtigung einer Begutachtung durch externe Sachverständige verpflichtet. Jedoch wird die Beurteilung der Gefährlichkeit von Sexualstraftätern in vielen amerikanischen Bundesstaaten (außer in Florida) schon durch eine Aufsichtsbehörde meistens mithilfe des aktuarischen Prognoseinstruments Static-99 pflichtmäßig durchgeführt, falls die Sexualstraftäter auf Bewährung aus der Haft entlassen werden. Das Ergebnis wird einem Gericht übermittelt. Deshalb berücksichtigt das Gericht diese Resultate bei der Entscheidung über die Anordnung der EAÜ. In Südkorea wird ebenso wie in Deutschland der Verzicht auf eine gesetzliche Vorgabe zur Einholung eines Sachverständigengutachtens diskutiert. Als das korEAÜG erlassen wurde, bestand dabei keine Regelung, nach welcher bei der Beurteilung des Rückfallrisikos ein Sachverständigengutachten eingeholt werden muss. Kritisch wurde diesbezüglich die Meinung vertreten, dass diese Gutachten zu einer präziseren Beurteilung der Gefährlichkeit der Betroffenen unbedingt eingeholt werden müssten, und der Staatsanwalt505 sowie das Gericht diese Gutachten zwingend zu berücksichtigen hätten. Trotzdem wurde das korEAÜG nur zum Teil reformiert. Bezüglich der Beurteilung der Gefährlichkeit durch das Gericht erfolgte bisher keine Gesetzesänderung. Deshalb steht die Berücksichtigung eines externen Sachverständigengutachtens immer noch im Ermessen des Richters. Demgegenüber erfolgte eine Gesetzesänderung hinsichtlich der Beurteilung des Rückfallrisikos durch den Staatsanwalt. Zurzeit sieht § 6 Abs. 5 des korEAÜG vor, dass der 503
Florida Statutes § 948.30 (2) (e). Florida Statutes § 948.30 (3). 505 In Südkorea fordert keine Aufsichtsbehörde bzw. Kommission für Sexualstraftäter (wie in den USA), sondern der Staatsanwalt eine Anordnung der EAÜ an und das Gericht entscheidet dies endgültig. Dazu siehe Teil 3, Kapitel 1, B.II.2. 504
Kap. 3: Vergleichende Analyse
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Staatsanwalt bei der Anbringungsordnung der EAÜ das Ergebnis des psychiatrischen Gutachtens bzw. anderer Expertengutachten berücksichtigen muss, wenn es notwendig erscheint. Demgemäß ist der Staatsanwalt verpflichtet, für die Beurteilung der Gefährlichkeit der überwachten Personen eine Begutachtung durch einen Sachverständigen zu veranlassen. Er hat jedoch aufgrund des Bedingungssatzes „wenn es notwendig erscheint“ einen eigenen Entscheidungsspielraum. Da das korEAÜG kein konkretes Kriterium für die Ausübung dieses Entscheidungsspielraums festlegt, wird die Möglichkeit nicht ausgeschlossen, dass der Staatsanwalt die Pflicht zur Berücksichtigung einer Begutachtung durch externe Sachverständige tatsächlich ganz vernachlässigt.506 Nach alldem besteht bei der Anordnung der EAÜ vom Gericht, nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA und in Südkorea, keine Pflicht zur Einholung des Gutachtens. Allerdings liegt zwischen diesen Ländern auch ein Unterschied vor. Während eine Strafvollzugsbehörde in den USA und – zumindest wenn es notwendig erscheint – ein Staatsanwalt in Südkorea ein Expertengutachten bezüglich der Gefährlichkeit der überwachten Personen zwingend berücksichtigen muss, besteht in Deutschland keine entsprechende Regelung. Der deutsche Gesetzgeber hält eine gesetzliche Pflicht zur Einholung eines Sachverständigengutachtens aufgrund der fehlenden „Vergleichbarkeit der Eingriffsqualität von elektronischer Überwachung und freiheitsentziehender Maßregel“ – bei der letzteren ist die Einholung eines solchen Gutachtens Pflicht – für überflüssig.507 Diese Begründung ist nicht vertretbar: Die EAÜ gehört ebenso wie eine freiheitsentziehende Maßregel zu den Maßregeln der Besserung und Sicherung. Denn die Anknüpfung der Anordnung der EAÜ an eine fortbestehende Gefahr gemäß § 68b I S. 3 Nr. 3 StGB zeigt die Parallelen zu den freiheitsentziehenden Maßregeln. Darüber hinaus greift die EAÜ wie eine freiheitsentziehende Maßregel in verschiedene Grundrechte der überwachten Personen ein. Die Möglichkeit der verschiedenen Grundrechtsverletzungen durch die EAÜ wurde schon in anderen Teilen der vorliegenden Arbeit mehrmals erwähnt.508 Bemerkenswert ist, dass der Gesetzgeber bereits bei Einführung der EAÜ diese Möglichkeit selbst eingestanden hat. Er hat mehrfach betont, dass die EAÜ, anders als eine andere Weisung im Rahmen der Führungsaufsicht, einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte der Betroffenen (insbesondere in das Recht auf informelle Selbstbestimmung) darstellen kann, und daher bei ihrem Einsatz eine strikte Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erforderlich ist.509 Folglich hat der Gesetzgeber für die EAÜ strengere Anordnungsvorrausetzungen als für die anderen Weisungen in § 68b Abs. 1 S. 3 StGB vorgesehen.510 506 507 508 509 510
Siehe Teil 3, Kapitel 1, B.II.2.; Anhang 1, Art. 5, Art 6, Art 7. BT-Drs. 17/3403, S. 37. Vgl. Teil 3, Kapitel 2. BT-Drs. 17/3403, S. 17 f. Vgl. Teil 3, Kapitel 1, C.II.1.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens hält auch die deutsche Rechtsprechung für verzichtbar.511 Sie hat zwar betont, dass sich eine Gefährlichkeitsprognose hinsichtlich der Anordnung der EAÜ nicht lediglich auf eine statistische Rückfallwahrscheinlichkeit stützen darf, sondern – wie bei der Unterbringung in Sicherungsverwahrung – eine Gesamtwürdigung des Täters und seiner Straffälligkeit unter Berücksichtigung der Erkenntnisse aus dessen Strafvollzug beinhalten muss. Nach der Rechtsprechung sei aber die Einholung eines aktuellen forensischpsychiatrischen Gutachtens dabei nicht erforderlich, wenn sich aus den vorliegenden Erkenntnissen eine hinreichende Beurteilungsgrundlage für die Gefährlichkeitsprognose ergibt.512 Es besteht kein Zweifel, dass die Gefährlichkeitsprognose eine unabdingbare Grundlage für die zulässige Anordnung einer Maßregel der Besserung und Sicherung ist. Denn nur aufgrund einer Gefährlichkeitsprognose wird für eine ungewisse Zeit zum Wohle der Allgemeinheit in die Grundrechte der Betroffenen intensiv eingegriffen, obwohl diese schon durch Strafverbüßung ihre Schuld abgegolten haben. Die Gefährlichkeitsprognose ist aber mit verschiedenen Schwierigkeiten konfrontiert, unter denen sich das Problem der Prognoseunsicherheit besonders auffällig darstellt. Insbesondere werden Überwachte nach langem Freiheitsentzug entlassen. Für diese Personen kann eine sog. Falsch-Positiv-Beurteilung immer entstehen, bei welcher sie aufgrund unzureichender prognostischer Erkenntnisse zu Unrecht für gefährlich gehalten werden. Um dieses Problem möglichst zu vermeiden, ist es deshalb erforderlich, eine zwingende gesetzliche Regelung zu einem strengeren Verfahren für die Gefährlichkeitsbeurteilung zu schaffen. Diesbezüglich haben mehrere Wissenschaftler schon angemerkt, dass hohe Erwartungen an die Prognosegenauigkeit nur durch die Erarbeitung von Mindeststandards bezüglich der Gefährlichkeitsprognose sowie die stetige Verbesserung zahlreicher Prognoseinstrumente erfüllt werden können.513 Die Gefährlichkeitsprognose sollte daher nicht dem freien Ermessen des Richters überlassen bleiben, sondern sich immer auf eine Begutachtung durch einen fachärztlichen Sachverständigen berufen können. Dabei sollte ein Sachverständiger seine Entscheidung in schriftlicher Form ausführlich erklären bzw. begründen, indem nicht bloß auf der Basis von intuitiven Eingebungen, sondern aufgrund allgemein anerkannter Prognoseinstrumente eine Einschätzung getroffen wird. Außerdem wäre es besser, die Beteiligung von mehreren (mindestens 2) Sachverständigen gesetzlich vorzusehen. Sollte das Gericht die EAÜ ohne solch eine präzise 511 OLG Rostock, Beschluss vom 28. 3. 2011, Az. 1 Ws 62/11, juris, dort Rn. 23; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 2. 10. 2013, Az. 1 Ws 160/13, juris, dort Rn. 39; OLG Hamburg, Beschluss vom 5. 11. 2013, Az. 2 Ws 190/13, juris, dort Rn. 25; KG Berlin, Beschluss vom 23. 1. 2014, Az. 2 Ws 11/14, juris, dort Rn. 17; OLG Nürnberg, Beschluss vom 8. 5. 2014, Az. 2 Ws 37 – 38/14, juris, dort RN. 33; OLG München, Beschluss vom 24. 6. 2015, Az. 1 Ws 405 407/15, juris, dort RN. 48. 512 OLG Rostock, Beschluss vom 28. 3. 2011, Az. 1 Ws 62/11, juris, dort RN. 23. 513 Haverkamp/Schwedler/Wößner, Die elektronische Aufsicht von als gefährlich eingeschätzten Entlassenen, S. 11, 18.
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gesetzliche Regelung zur Gefährlichkeitsprognose anordnen können, verbleiben immer Zweifel hinsichtlich der Zulässigkeit der Anordnung der EAÜ, da das Problem der Prognoseunsicherheit weiterhin existiert. Der Gesetzgeber sollte daher die Einholung von mindestens einem Sachverständigengutachten für das Gericht verpflichtend vorschreiben. Der Verzicht auf eine gesetzliche Vorgabe zur Einholung eines Sachverständigengutachtens bedeutet jedoch nicht automatisch, dass eine willkürliche staatliche Behandlung vorliegt, welche gegen die Menschenwürde verstoßen würde. Staatliche Willkür ist nämlich nicht alleine eine fehlerhafte richterliche Entscheidung, sondern vielmehr das Treffen einer Entscheidung ohne Vorliegen eines sachlichen Grundes.514 Das BVerfG hat diesbezüglich festgestellt, dass „ein Richterspruch willkürlich ist, wenn er unter keinem denkbaren Aspekt rechtlich vertretbar ist, und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht“ sowie „im Verhältnis zu der Situation […] tatsächlich und eindeutig unangemessen ist“.515 Nach der aktuellen Regelung ist das Gericht zum Einholen eines Gutachtens nicht verpflichtet, jedoch kann es eine Begutachtung von externen Sachverständigen immer berücksichtigen. Darüber hinaus ist nach der Rechtsprechung die Anordnung einer EAÜ, welche auf einer bloßen statistischen Möglichkeit für die Begehung eines Gewalt- oder Sexualdeliktes beruht, rechtlich nicht zulässig. Vielmehr muss das Gericht die Persönlichkeit, die Taten und das Verhalten während des Strafvollzugs oder der Unterbringung der überwachten Personen insgesamt berücksichtigen.
II. Recht auf Privatsphäre und Freiheit 1. Prüfungsschema: Öffentliches Interesse vs. Grundrecht von Überwachten Bei der Frage, ob die EAÜ in die Grundrechte der Überwachten wesentlich eingreift, stellt sich das Prüfungsschema aller 3 Länder nicht allzu unterschiedlich dar. Dabei wird in Deutschland und in Südkorea auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz (sog. allgemeine Schranken-Schranken) zurückgegriffen, während in den USA das allgemeine Abwägungsprinzip als zentraler Maßstab genutzt wird. Trotz der unterschiedlichen Bezeichnung haben jedoch beide Prüfungsmaßstäbe fast denselben Inhalt. Die Abwägung zwischen den betroffenen Rechtsgütern in den USA entspricht der Prüfung der Angemessenheit im Rahmen der deutschen Verfassungsmäßigkeitsprüfung. In allen 3 Ländern werden folgende gegenüberstehende Interessen in die Abwägung eingebracht, nämlich das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit auf der einen Seite und das Interesse der überwachten Personen auf der anderen. Im Hinblick 514 515
Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 153. BVerfGE 83, 82 (84); BVerfGE 86, 59 (62 f.).
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auf diese Interessenabwägung sind die Rechtsprechung sowie die Literatur aller 3 Länder der Meinung, dass das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gegenüber dem betroffenen Grundrecht der überwachten Personen überwiegt. Dabei werden primär die folgenden 4 Punkte betrachtet: 1. Wie schwer wird das Opfer durch eine solche Sexualstraftat verletzt? 2. Wie wahrscheinlich es ist, dass Überwachte in der Zukunft wieder eine Sexualstraftat begehen? 3. Wie gut dient die EAÜ der Prävention dieser Straftat? 4. Wie tief greift die EAÜ in die betroffenen Grundrechte der Überwachten ein? Anhand des ersten, zweiten und dritten Punktes ist zu beurteilen, wie groß das öffentliche Interesse am Schutz vor gefährlichen (Sexual)Straftätern durch die EAÜ ist. Demgegenüber bezieht sich der vierte Punkt auf die Beurteilung des schutzwürdigen Interesses der überwachten Personen. 2. Öffentliches Interesse am Schutz vor gefährlichen Straftätern a) Schwere der Sexualstraftaten Beim ersten Punkt haben Rechtsprechung und Literatur der 3 Länder ohne Ausnahme angenommen, dass der Schutz vor gefährlichen (Sexual)Straftätern unbedingt notwendig ist, da ihre eindeutig negativen Auswirkungen für die Opfer schon mehrmals durch verschiedene Untersuchungen bewiesen worden sind. Diesbezüglich wird insbesondere betont, dass die staatliche Verantwortlichkeit für den Schutz von Kindern gegen Sexualverbrechen größer ist als die Pflicht zur Prävention anderer Kriminalität, da Sexualverbrechen gegen Kinder zu besonders erheblichen Schäden führen. b) Rückfallwahrscheinlichkeit Hinsichtlich des zweiten Punkts basieren die Ansichten in Rechtsprechung und Literatur darauf, dass Sexualstraftäter im Allgemeinen eine hohe Rückfallquote aufweisen. Man hat anhand von bisherigen empirischen Untersuchungen, zumeist aus den USA, festgestellt, dass die Rückfallquote bei Sexualstraftätern höher ist als bei anderen Straftätern. Dabei wird insbesondere betont, dass die Rückfallquote bei Sexualkriminalität gegen Kinder besonders hoch, und sogar ihre Prävention durch Therapie sehr schwierig ist. Es gibt jedoch einige Fälle, bei denen Gerichte neben diesen allgemein anerkannten Erkenntnissen die individuellen Umstände der zu überwachenden Personen berücksichtigten, und infolgedessen die Rückfallwahrscheinlichkeit anders als sonst üblich beurteilt hat. Die Gerichte berücksichtigten z. B. die Umstände, dass sich Betroffene in stark fortgeschrittenem Alter befanden oder für einen langen Zeitraum in einer Vollzugsanstalt inhaftiert worden waren,
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sodass ihre Rückfallgefahr zum Zeitpunkt der Entlassung als sehr niedrig eingeschätzt wurde. c) Präventive Wirkung der EAÜ Hinsichtlich des dritten Punktes ist man sich in den 3 Ländern darüber einig, dass der EAÜ eine präventive Wirkung zukommt, da dadurch Überwachte psychisch stark unter Druck gesetzt werden. Aufgrund ihrer Kenntnis von der Überwachung befürchten sie ihre Festnahme bei einem Fehlverhalten und sehen deshalb von einer weiteren Tatbegehung ab. Neben diesem theoretischen Ansatz wird die Wirksamkeit der EAÜ in den USA und in Südkorea auch durch empirische Erkenntnisse belegt.516 Die Rechtsprechung der amerikanischen Gerichte basierte darauf, dass die unter EAÜ-Gestellten eine niedrigere Rückfallquote aufweisen als solche Straftäter, die ohne EAÜ auf Bewährung verurteilt wurden. In Südkorea wird, sowohl in Urteilen als auch in der Literatur, häufig eine Statistik aus dem koreanischen Justizministerium zitiert, in welcher der Unterschied bezüglich der Rückfallquote zwischen EAÜÜberwachten und Nicht-Überwachten aufgezeigt wird. Ihr zufolge ist die Rückfallquote im Falle der Überwachten erheblich niedriger. Im deutschen Diskurs werden dagegen bei der Begründung der Wirksamkeit der EAÜ keine konkreten empirischen Daten angeführt. Dies hat möglicherweise damit zu tun, dass die EAÜ in Deutschland erst vor relativ kurzer Zeit eingeführt worden ist, und deshalb die bisherige Anzahl der Überwachten nicht groß genug ist, um daraus aussagekräftige Erkenntnisse abzuleiten.517 3. Grundrecht der Überwachten a) Verletzungsgrad des Rechts auf Privatsphäre Hinsichtlich der EAÜ wird das Recht auf Privatsphäre in allen 3 Ländern als eines der wichtigsten Grundrechte der Überwachten anerkannt, da die Privatsphäre in einem demokratischen Rechtsstaat ein wesentliches Element für die freie Entfaltung des Individuums sowie die Ausübung anderer Grundrechte darstellt. Demnach soll das Recht auf Privatsphäre dem Einzelnen die Befugnis gewährleisten, selbst über 516
Siehe in den USA: Bales et al., A quantitative and qualitative assessment of electronic monitoring. 2010; Padgett/Bales/Blomberg, Under surveillance: an empirical test of the effectiveness and consequences of electronic monitoring; In Südkorea: Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring. 517 Zur einzigen empirischen Untersuchung in Deutschland: Bräuchle/Kinzig, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung im Rahmen der Führungsaufsicht, Kurzbericht über die wesentlichen Befunde einer bundesweiten Studie mit rechtspolitischen Schlussfolgerungen; Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht. Eine Studie zur Rechtsdogmatik und Rechtswirklichkeit, S. 77 – 161.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Preisgabe und Verwendung der persönlichen Daten zu bestimmen. Das heißt, dass der Einzelne grundsätzlich selbst entscheiden können muss, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden. Die Rechtsprechung sowie die Literatur aller 3 Länder sind sich darin einig, dass die informationelle Selbstbestimmung der betroffenen Personen durch die EAÜ höchstwahrscheinlich verletzt werden kann, indem die EAÜ die Positionsdaten der Betroffenen erhebt, speichert und gegebenenfalls zur weiteren Verwendung bereitstellt. Dabei werden vor allem die folgenden Tatsachen hervorgehoben: Der Staat kann ohne Einwilligung von überwachten Personen ihre Positionsdaten rund um die Uhr erheben, und diese Aufenthaltsinformationen sind sodann für einen bestimmten Zeitraum jederzeit abrufbereit. Auf der Basis dieser Daten können nicht nur der aktuelle Standort der überwachten Personen ermittelt, sondern auch ihre Bewegungsgeschwindigkeit und ihr Bewegungsprofil erfasst sowie eine Bewegungsprognose erstellt werden. Aus der Zusammenfügung und Analyse der erhobenen Positionsdaten können nicht nur die Bewegung, sondern auch die persönlichen Präferenzen (z. B. Hobbys, Vorlieben, Rückkehrzeitpunkt von der Arbeit usw.) abgeleitet werden. Es wird jedoch auch allgemein vertreten, dass die informationelle Selbstbestimmung beim Vorliegen eines überwiegenden Allgemeininteresses aufgrund einer gesetzlichen Regelung beschränkt werden kann. Allerdings muss diese Beschränkung wiederum verhältnismäßig sein. Deswegen soll es bei der Beurteilung, wie schwer durch die EAÜ die informationelle Selbstbestimmung der überwachten Personen verletzt wird, auf die Dauer und Intensität der EAÜ sowie die konkrete Art der Verwendung der gewonnenen Daten ankommen. Für die Zumutbarkeit der EAÜ spricht sich die herrschende Meinung in den 3 Ländern mit der folgenden Begründung aus: Die EAÜ ist keine totale Überwachung. Sie sammelt grundsätzlich nur die bloßen Aufenthaltsinformationen und beobachtet nicht die gesamten Aktivitäten der Betroffenen. Daher hat der Eingriff in die Privatsphäre nicht das Niveau einer sehr erheblichen Verletzung der Privatsphäre erreicht, was der Fall wäre, wenn der Staat durch die EAÜ, wie bei der Überwachung durch einen anwesender Polizeibeamten, rund um die Uhr die Überwachten verfolgen, ins Fenster hineinblicken oder auf ähnlich totalerfassende Weise Informationen über sie sammeln würde. Die Speicherung dieser gesammelten Aufenthaltsinformationen sowie ihre weitere Verwendung sind auch durch diverse Regelungen eingeschränkt. Die Aufenthaltsinformationen der Überwachten werden nicht in Echtzeit auf einem Bildschirm gezeigt, sondern es kann nur dann durch eine Überwachsbehörde auf sie zugegriffen werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Darüber hinaus werden die Daten nach einer bestimmten Zeit gelöscht. Gegen die Zumutbarkeit der EAÜ spricht sich eine Mindermeinung des koreanischen Verfassungsgerichts und der US-amerikanische Gerichte aus. Danach stellt die EAÜ eine erhebliche Verletzung der informationellen Selbstbestimmung dar, weil sie ohne Einwilligung der Betroffenen angeordnet wird. Falls Überwachte
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das Überwachungsgerät am Fußknöchel beschädigen oder Anweisungen nicht befolgen, werden sie wieder inhaftiert. Außerdem dauert der Eingriff durch die EAÜ sehr lange an. Darüber hinaus können durch die gesammelten Aufenthaltsinformationen konkrete Bewegungen der Betroffenen in Schritten von einer Minute detektiert werden, was ermöglicht, die überwachten Personen engmaschig zu kontrollieren. In der Tat kann die Polizei durch eine weitere ausführliche Analyse der erhobenen Positionsdaten problemlos private Informationen der Betroffenen zum Familienleben, zur politischen Einstellung, zur Religionszugehörigkeit, zum Sexualleben usw. erheben. Diese Diskussion wird insbesondere in Deutschland ausführlicher geführt. Der Eingriff in die Privatsphäre wird nicht nur außerhalb, sondern auch innerhalb der Wohnung der Überwachten in Betracht genommen.518 Schon bei der Einführung der EAÜ-Maßnahme bestanden in Deutschland dahingehend Bedenken, dass die Verletzung des Rechts auf Privatsphäre der überwachten Personen auch innerhalb der privatesten Rückzugsräume, nämlich innerhalb der eigenen Wohnräume, stattfinden könnte.519 Somit wurde hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Diskussion über die EAÜ neben dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus dem Art. 2 I GG auch das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung gemäß Art. 13 GG mit in Frage gestellt. Denn die Bewegungen der Überwachten können auch in der Wohnung erkannt werden und das Überwachungspersonal muss gegebenenfalls für die Aufstellung sowie die ständige Überprüfung der „Home-Unit“ die Wohnräume betreten.520 Um diese Bedenken zu entkräften, hat der deutsche Gesetzgeber die Regelung des § 463a Abs. 4 StPO erlassen.521 Sie gewährleistet, dass innerhalb der Wohnung der verurteilten Person keine über ihre Anwesenheit hinausgehenden Aufenthaltsdaten erhoben werden. Dazu soll eine „Home-Unit“ eingerichtet werden, welche die Erhebung von Wohnraumdaten technisch unterbindet. Trotzdem kritisieren viele Wissenschaftler, dass der Gesetzgeber keine explizite Rechtsgrundlage für das Betreten der Wohnräume durch das Überwachungspersonal oder entsprechend beauftragte Personen geschaffen hat.522 Zudem bestehen weiterhin Zweifel, ob das gesetzgeberische Ziel, die unzulässige Rundumüberwachung auszuschließen, allein durch die Regelung § 463a Abs. 4 StPO tatsächlich erreicht werden kann.523 Im Unterschied zum deutschen Grundgesetz liegt im amerikanischen Verfassungsrecht keine Regelung vor, welche die Unverletzlichkeit der Wohnung separat garantiert. Stattdessen wird sie im 4. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten 518
Vgl. Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 162 ff. BT-Drs. 17/3403, S. 44. 520 Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 166. 521 Vgl. Teil 3, Kapitel 1, C.II.6. 522 Brauneisen, Die elektronische Überwachung, S. 313; Harders, Elektronische Überwachung von Straffälligen, S. 204; Kaiser, Auf Schritt und Tritt – die elektronische Aufenthaltsüberwachung, S. 172. 523 Pollähne, in: HK, StPO, § 463a Rn. 8; Brauneisen, Die elektronische Überwachung, S. 313. 519
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Staaten durch das Recht auf informationelle Selbstbestimmung umfassend geschützt. Angesichts des Eingriffs in die Privatsphäre durch die EAÜ liegt der Streitpunkt in den USA darin, ob das obligatorische Anbringen der Fußfessel als „Search“ im Sinne des 4. Zusatzartikels anzusehen ist. Wenn dies der Fall wäre, wäre es wiederum fraglich, ob sich das obligatorische Anbringen der Fußfessel als „Reasonable“ oder „Unreasonable“ darstellt. Dabei wird aber die mögliche Verletzung des Rechts auf Privatsphäre der Überwachten speziell innerhalb der eigenen Wohnräume nicht problematisiert. Das Gleiche gilt auch für Südkorea, obwohl das koreanische Verfassungsrecht neben dem Rechts auf informationelle Selbstbestimmung im Artikel 17 auch die Unverletzlichkeit von Wohnräumen im Artikel 16 gewährleistet. Bei der Einführung der EAÜ-Gesetze kam der Eingriff in die Privatsphäre der Betroffenen innerhalb ihrer Wohnungen nicht in Betracht. Ebenso haben sich bisher weder der Oberste Gerichtshof in Südkorea noch das koreanische Verfassungsgericht mit der Zulässigkeit der EAÜ bezüglich des Artikels 16 beschäftigt. Stattdessen hat man bisher ausschließlich den Artikel 17 als Prüfungskriterium angenommen. b) Verletzungsgrad des Rechts auf Freiheit Freiheit ist Selbstbestimmung sowie Entwicklung und Verwirklichung eines eigenen Willens. Da die Freiheit elementar für einen demokratischen Rechtsstaat ist, wird auch die Freiheit in den 3 Ländern als eines seiner wichtigsten Güter anerkannt. Hinsichtlich des Freiheitsrechts der überwachten Personen stellt sich die Frage, ob durch die EAÜ ihre körperliche Unversehrtheit, Freizügigkeit sowie allgemeine Handlungsfreiheit wesentlich verletzt werden. Die Rechtsprechung sowie die Literatur aller 3 Länder sind sich darin einig, dass die Möglichkeit eines Eingriffs in das Freiheitsrecht offensichtlich ist. Denn die körperliche Unversehrtheit von überwachten Personen wird eingeschränkt, indem das EAÜ-Gerät für eine lange Zeit (gegebenenfalls dauerhaft) rund um die Uhr an ihrem Körper angebracht ist. Solch eine stetige Ausstattung mit einem Überwachungsgerät kann bei Überwachten ein unangenehmes Gefühl hervorrufen und zu einer psychologischen Belastung führen. Nach langer Zeit kann die Fessel sogar Hautreizungen verursachen. Auch beschränkt die EAÜ in Verbindung mit weiteren Anordnungen aufenthaltsbezogener Weisungen die Freizügigkeit sowie die allgemeine Handlungsfreiheit der Überwachten. Diese Anweisungen verbieten den Überwachten z. B. bestimmte Personen, wie etwa Opfer oder Komplizen, zu treffen bzw. bestimmte Orte, wie die Wohnung des Opfers oder den Tatort, zu besuchen. Aufgrund der Existenz solcher Verbotszonen werden überwachte Personen auch in ihrer Bewegungsfreiheit in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld beeinträchtigt. In den USA ist sogar die häusliche Niederlassung in Bereichen der Städte verboten. Darüber hinaus werden die Überwachten immer einem gewissen Überwachungsdruck ausgesetzt. Durch diesen Druck können sie zu einer übermäßigen Eigenkontrolle veranlasst werden, die einem Eingriff in die körperliche Bewegungsfreiheit entspricht.
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Jedoch wird in allen 3 Ländern dieser Eingriff in die Freiheitsrechte der Überwachten nicht als eine wesentliche Verletzung angesehen, und damit sei er zu rechtfertigen. Denn die EAÜ stellt keine freiheitsentziehende Maßnahme im Strafvollzug, sondern eine freiheitseinschränkende Maßnahme im Alltagslebensraum dar. Sie ist im Vergleich zu einer freiheitentziehenden Maßnahme zum Schutze der Allgemeinheit, die nach der Rechtsprechung der 3 Länder schon als verfassungskonform anerkannt ist, weniger eingreifend. 4. Schlussfolgerung Bei dieser Interessenabwägung stimmen die herrschenden Meinungen der 3 Länder überein, dass das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gegenüber den betroffenen Grundrechten der überwachten Personen (das Recht auf Privatsphäre und das Freiheitsrecht) überwiegt, und daher der Eingriff durch die EAÜ verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden kann. Allerdings fehlt bei dieser Bewertung eine konkrete Begründung dafür, warum das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gegenüber den Grundrechten der Betroffenen Vorrang genießen soll. Darüber hinaus wird auch nicht unmittelbar diskutiert, unter welcher rechtlichen Ausgestaltung der EAÜ (z. B. hinsichtlich der Frist einer Anordnung der EAÜ und der Speicherungsfrist bezüglich der Aufenthaltsdaten) diese 2 miteinander kollidierenden Interessen harmonisiert werden können. Wie bei der verfassungsrechtlichen Überprüfung von anderen präventiven Maßnahmen in den 3 Ländern wird auch hierbei die gleiche Argumentation wiederholt vorgebracht: Angesichts der Vorbestrafung und der Statistik zur Rückfallquote stellt sich das individuelle Rückfallrisiko der Überwachten als sehr hoch dar. Diese möglichen Straftaten können zu erheblichen Personenschäden führen. Die EAÜ könnte diese Schäden verhindern. Daher müssen die Überwachten sie trotz der verschiedenen Eingriffe in ihre Grundrechte akzeptieren. Demgegenüber ist die EAÜ nach der Mindermeinung des koreanischen Verfassungsgerichts und des Gerichts in den USA nicht zu rechtfertigen. Denn die Maßnahme kann ohne Einwilligung der Betroffenen für eine sehr lange Zeit (max. 30 Jahre) angeordnet werden, und die Eingriffe in die Grundrechte sowie die Schwierigkeiten im täglichen Leben der Überwachten stellen sich als viel größer dar, als es in der Mehrheitsmeinung eingeschätzt wird. Allerdings bleibt hier die Frage ebenso unbeantwortet, welche konkreten rechtlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssten, um einen Eingriff in die Grundrechte der überwachten Personen durch die EAÜ als präventive Maßnahme zu rechtfertigen.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
C. Was in Deutschland ferner diskutiert werden sollte I. Überwiegende öffentliche Interessen aufgrund der strukturellen Schwäche des Verhältnismäßigkeitsprinzips sowie der zunehmenden Sicherheitsstimmung in der Gesellschaft Die EAÜ wurde als eine eingriffsintensive präventive Maßnahme eingeführt, um die Allgemeinheit effektiv vor schweren Straftätern zu schützen. Es ist daher nachvollziehbar, bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung der EAÜ in den 3 Ländern als Prüfungsfaktoren die schon genannten folgenden 4 Punkte auszuwählen: 1. Wie schwer wird das Opfer durch eine solche Sexualstraftat verletzt? 2. Wie wahrscheinlich ist es, dass Überwachte in der Zukunft wieder eine Sexualstraftat begehen? 3. Wie gut dient die EAÜ der Prävention diesen Straftaten? 4. Wie tief greift die EAÜ in die betroffenen Grundrechte der Überwachten ein? Darüber hinaus ist auch überzeugend, dass hinsichtlich der Betroffenheit des öffentlichen Interesse die ersten 3 Punkte zur Beurteilung herangezogen werden, wie auch, dass zur Beurteilung des schutzwürdigen Interesses der Überwachten der Eingriff in die Menschenwürde, das Recht auf Privatsphäre, die körperliche Unversehrtheit, die Freizügigkeit und die allgemeine Handlungsfreiheit überprüft werden. Die EAÜ kann aber nicht nur durch die Ergebnisse der gesonderten Evaluation hinsichtlich der 4 Punkte verfassungsrechtlich gerechtfertigt werden. Zur Beurteilung der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der EAÜ muss auch eine Gesamtwürdigung erfolgen, in welcher die Ergebnisse der Bewertung aller Punkte zusätzlich abgewogen werden. Dabei ist unter Anwendung eines geeigneten Prüfungsmaßstabs eine möglichst ausführliche Güterabwägung vorzunehmen. Als Prüfungsmaßstab wurde hierfür in den 3 Ländern das Verhältnismäßigkeitsprinzip angewandt. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip liegt der Gedanke zugrunde, dass staatliche Gewalt dafür Sorge tragen muss, stets ein angemessenes Verhältnis zwischen dem angestrebten Zweck und der zur Zweckerreichung ergriffenen Maßnahme herbeizuführen. Seine Komponenten der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Zumutbarkeit gelten als Maßstäbe gerechter Behandlung und angemessener Belastung der Bürger durch die staatliche Maßnahme. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit stellt jedoch seiner Struktur nach ein hochkomplexes und justierungsbedürftiges Instrument dar.524 Denn, wie eine Ansicht zugespitzt formuliert, müsse für die Anwendung 524 Hassemer, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als Grenze strafrechtlicher Eingriffe, S. 121 – 126. Neumann, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, Mediating Principles, Nomos, 2006. S. 129.
Kap. 3: Vergleichende Analyse
207
dieses Prinzips zuvor einer „Gleichung mit 3 Unbekannten“ gelöst werden, in welcher konkret das nicht vorgegebene Gewicht der einen Einsatzgröße im Verhältnis zu dem nicht vorgegebenen Gewicht einer anderen Einsatzgröße nach einem nicht vorgegebenen Maßstab zu bestimmen sei.525 Gerade wegen der daraus resultierenden Entscheidungsspielräume soll sich, nach einer Ansicht in der Literatur, die Skepsis gegenüber einer strafrechtsbegrenzenden Kraft des verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips teilweise bis zur Resignation steigern.526 Dieses Problem findet sich auch bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der EAÜ in den 3 Ländern. Die Ergebnisse der Bewertungen, in denen der Eingriffsgrad der EAÜ sowie die zu verhindernde Gefahr für die Allgemeinheit beurteilt werden, differenzieren je nach zu überprüfendem Recht aufgrund der Entscheidungsspielräume, obwohl die Entscheidungen auf den gleichen Rechtsvorschriften bezüglich der EAÜ basierten. So befand das Gericht in einem Urteil, dass der Eingriff durch die EAÜ nach aktueller gesetzlicher Regelung sehr erheblich sei, sodass die Notwendigkeit des Grundrechtsschutzes der Überwachten gegenüber dem Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit überwiege. Auf derselben gesetzlichen Grundlage entschied ein anderes Gericht, dass die Eingriffsintensität mittels GPS nicht besonders intensiv sei. Darüber hinaus waren die Bewertungen zum Ausmaß der Beeinträchtigung der Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit unterschiedlich. Des Weiteren wurde nicht näher diskutiert, welche konkreten Maßstäbe bei der Beurteilung, ob das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit mit den Eingriffen in die Grundrechte der Betroffenen durch die EAÜ im Verhältnis steht, zu Grunde gelegt werden müssen, insbesondere hinsichtlich der Ebene der Angemessenheitsprüfung. Auffällig ist in diesem Zusammenhang, dass das deutsche Strafrecht zur Konkretisierung der Angemessenheitsprüfung im § 62 ausdrücklich die Prüfungsfaktoren des Verhältnismäßigkeitsprinzips im Maßregelrecht konkretisiert, während in den USA und in Südkorea kein entsprechendes Pendant existiert.527 Demgemäß darf eine Maßregel der Besserung und Sicherung, wie etwa die EAÜ, nicht angeordnet werden, wenn sie „zur Bedeutung der vom Täter begangenen und zu erwartenden Taten sowie zu dem Grad der von ihm ausgehenden Gefahr außer Verhältnis steht.“ Trotzdem stellt es sich wegen der strukturellen Schwächen des Verhältnismäßigkeitsprinzips immer noch als schwierig dar, von dieser Regelung einen klaren Maßstab abzuleiten. Nach dem Wortlaut dieses Gesetzes bilden die angegebenen Bezugsgrößen eine Konjunktion. Danach würde es genügen, dass die Maßregel in 525
130. 526
Neumann, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, S. 129 –
Neumann, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, S. 130. Da die Maßregeln der Besserung und Sicherung tief in Grundrechte der Betroffenen eingreifen, betont § 62 den als allgemeines Rechtsprinzip ohnehin von Verfassungs wegen geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nochmals besonders und stellt ihn im sachlichen Kodifikationszusammenhang den sonstigen Voraussetzungen für die Anordnung der Maßregeln voran, um ihm besonderen Nachdruck zu verleihen. Vgl. dazu BVerfGE 16 202, 70 312, 90 28, 109 175. 527
208
Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Bezug auf die begangene Tat oder die zu erwartenden Taten oder zum Grad der vom Täter ausgehenden Gefahr verhältnismäßig ist. In der Literatur ist diese Interpretation jedoch auf folgende Kritik gestoßen:528 Da Maßregeln nach ihrer Funktion zukunftsorientiert sind, wäre eine Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Maßnahme allein im Hinblick auf die begangene Tat nicht sinnvoll. Andererseits wäre die Begrenzungsfunktion des Gewichts der begangenen Anlasstaten gleich Null, wenn die Verhältnismäßigkeit hinsichtlich der zu erwartenden Taten allein genügen würde. Nach der herrschenden Meinung seien daher 3, in § 62 genannte, voneinander zu unterscheidende Kriterien insgesamt zu prüfen.529 Der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich ausgeführt, dass „die Zulässigkeit der Maßregel nicht nach ihrem Verhältnis zu jedem einzelnen Kriterium beurteilt werden darf“, sondern dass „alle Merkmale insgesamt zu würdigen und zur Schwere des mit der Maßregel verbundenen Eingriffs ins Verhältnis zu setzen sind.“530 Damit aber sei die Anwendung des Verhältnismäßigkeitsprinzips nicht mehr rational beherrschbar, da es nicht mehr in einzelne Prüfungs- und Argumentationsschritte aufzulösen wäre. Ulfrid Neumann hat die Situation so beschrieben, dass „die Argumentation […] in einem schwarzen Loch der Klasse Gesamtwürdigung [kollabiert].“531 Wegen dieser strukturellen Schwäche des Verhältnismäßigkeitsprinzips als Prüfungsmaßstab wird dem Gesetzgeber ein großer Ermessensspielraum gegeben. Vor diesem Hintergrund werden die zu mehr Sicherheit eingeführten neuen präventiven Maßnahmen, zu denen die EAÜ gehört, höchstwahrscheinlich als verfassungsgemäß betrachtet. Denn, wie bereits im Teil II. ausgeführt, wird in Deutschland im Spannungsfeld von Freiheit und Sicherheit das Sicherheitsinteresse immer mehr betont. Der Sicherheitstrend mit dem vornehmlichen Ziel der Bekämpfung von Kriminalität manifestierte sich zunehmend im Denken der Politik und wurde so bereits fester Bestandteil verschiedener Parteiprogramme. Aufgrund dieses politischen Trends, der ein Sicherheitsbedürfnis innerhalb der Gesellschaft bedient (siehe hierzu Kapitel 2, Teil 2 in dieser Arbeit), ist es schwer vorstellbar, dass die Gerichte hinsichtlich der Prüfung der EAU aufgrund der Interessensabwägung konträr zum Gesetzgeber entscheiden.
II. Mangelnde Berücksichtigung des Sonderopfers von Überwachten Die EAÜ wird in den 3 Ländern erst nach vollständigem Ablauf der Freiheitsstrafe angewandt. Zu diesem Zeitpunkt haben die Straftäter die ihnen für ihre Ausgangstat auferlegte Strafe bereits verbüßt, wodurch ihre strafrechtliche Schuld 528 529 530 531
Vgl. Schönke/Schröder, Strafgesetzbuch Kommentar 29. Auflage § 62 Rn. 5. Fischer, Strafgesetzbuch, 65. Auflage 2018, § 62 Rn. 3. BGH 24, 134 f.; StV 99, 489; NJW 01, 3560, 3562; 4 StR 291/10. Neumann, Das Verhältnismäßigkeitsprinzip als strafbegrenzendes Prinzip, S. 132.
Kap. 3: Vergleichende Analyse
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abgegolten ist. Dennoch werden Überwachte zum Wohl der Allgemeinheit gezwungenermaßen über die Bestrafung hinaus auf unbestimmte Zeit durch das elektronische Gerät am Fußknöchel rund um die Uhr kontrolliert, weil angenommen wird, dass sie wieder hinsichtlich eines schweren Delikts rückfällig werden könnten, wenn sie am Ende der Strafe in Freiheit entlassen werden. Diese Prognose kann aber nicht fehlerfrei sein, da sie stets mit Unvorhersehbarkeit verbunden ist. Deshalb besteht immer noch die Möglichkeit, dass auch ohne eine EAÜ die Überwachten keine schweren Straftaten mehr begehen würden. Doch wird die Last der Fehlprognosen gemäß den aktuellen Regelungen der EAÜ in den 3 Ländern nur den Überwachten auferlegt. Diese besondere belastende Stellung der überwachten Personen wurde bei der verfassungsrechtlichen Prüfung der EAÜ in den 3 Ländern zwar zur Sprache gebracht, jedoch nicht näher berücksichtigt. Die Diskussion darüber könnte aber eine entscheidende Bedeutung für die verfassungsrechtliche Prüfung der EAÜ haben. Denn diese Diskussion kann zur Frage führen, ob die Überwachten wie auch die Sicherungsverwahrten in Deutschland als sog. Sonderopfer angesehen werden sollten, deren Grundrecht zu Gunsten des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit aufgeopfert wird. Wenn die Überwachten der EAÜ als Sonderopfer betrachtet werden, muss daraus eine Pflicht des Staates abgeleitet werden, die Belastung der Überwachten zu minimieren, wie auch ihnen die Chance für eine volle Wiederherstellung ihrer Freiheit aktiv anzubieten. Damit können die Mindestbedingungen zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der EAÜ festgelegt werden. Wie bereits erwähnt, wurden bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung der EAÜ in den 3 Ländern die Freiheitsrechte der Überwachten und bestimmte Lebensbereiche, also bestimmte Rechtsgüter gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt schützen, hauptsächlich behandelt. Da sich das Sonderopferproblem jedoch auf die Ungleichbehandlung der Überwachten gegenüber den üblichen Bürger bezieht, kann die Diskussion über Sonderopfer zusätzlich zu berücksichtigende Aspekte hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung der EAÜ eröffnen. Vor diesem Hintergrund soll dieses Sonderopferproblem im nächsten Kapitel näher untersucht werden.
210
Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Kapitel 4
Verfassungsrechtliche Rechtfertigung und rechtspolitischer Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers A. Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit I. Sonderopfertheorie und Anspruch auf Aufopferungsentschädigung In Deutschland wurde die Sonderopfertheorie durch den Bundesgerichtshof im Jahr 1952 eingeführt.532 Sie ist als ein dogmatischer Grundsatz zur Entschädigung wegen des enteignenden Eingriffs im deutschen Staatshaftungsrecht zu verstehen. Der enteignende Eingriff liegt vor, wenn das Eigentum aufgrund rechtmäßigen Verwaltungshandelns und durch den Eintritt nicht vorhergesehener atypischer Nebenfolgen dieses Verwaltungshandelns derartig stark beeinträchtigt wird, dass es dem betroffenen Eigentümer nicht zumutbar ist, diesen Eingriff entschädigungslos hinzunehmen.533 Da der Eigentümer dabei durch solch eine hoheitliche Maßnahme im Vergleich zu anderen Bürgern in gleicher Lage ungleich belastet wird (Gleichheitsproblem)534, wird ihm ein Sonderopfer zum Wohle der Allgemeinheit auferlegt, womit er auch einen entsprechenden Entschädigungsanspruch erhält.535 Der Entschädigungsanspruch geht grundsätzlich auf Geldersatz. Ausnahmsweise kann die Entschädigung eventuell auch durch Übereignung eines gleichwertigen Grundstücks erfolgen.536 Im Mittelpunkt dieser Sonderopfertheorie steht der Auf532 BGHZ 6, 270 ff.; BFH, NJW 1960, 619. Die Sonderopfertheorie wurde durch die Theorie von der Situationsgebundenheit des Bundesgerichtshofs sowie die Schweretheorie des Bundesverwaltungsgerichts ergänzt und fortentwickelt. Vgl. BGHZ 91, 20 ff., BVerwG, Urteil vom 27. 6. 1957, Az. I C 3.56, BVerwGE 5, 143. 533 Seiler In: Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch. Drittes Buch: Sachenrecht. 1996, Vorbemerkungen zu §§ 903 ff.; Rnr. 18 ff., 35 ff.; 44. Dazu ausführlich, Arnauld, Enteignender und enteignungsgleicher Eingriff heute. In: VerwArch. Bd. 93, 2002, S. 394 – 417. 534 Ein Sonderopfer ist dann nicht gegeben, „wenn das Gesetz für alle Bürger oder einen unbestimmten Kreis von ihnen eine gleiche Pflichtenlage geschaffen habe und von ihnen in gleicher Weise ein Tun, Dulden oder Unterlassen verlange, mithin dem einzelnen ein von den übrigen nicht gefordertes Opfer nicht auferlege“ BGH v. 29. 5. 1962 – I ZR 137/61, NJW 1962, 1505. 535 BGHZ 94, 373; Herrmann: Eigentum und Aufopferung „dem Wohle des gemeinen Wesens“: Über die entschädigungsrechtliche Anspruchsgrundlage und ihre dogmatische Vereinfachung S. 601 ff. 536 Vgl. Benkendorff: Schmerzensgeld außerhalb des Schadensersatzrechts: eine Untersuchung zur Anwendbarkeit des § 253 Abs. 2 BGB im Rahmen einer Geschäftsführung ohne
Kap. 4: Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers 211
opferungsanspruch, der auf dem Rechtsgedanken der §§ 74, 75 der Einleitung zum Preußischen Allgemeinen Landrecht von 1794 beruht. Die §§ 74, 75 lauten: „Einzelne Rechte und Vorteile der Mitglieder des Staats müssen den Rechten und Pflichten zur Beförderung des gemeinschaftlichen Wohls, wenn zwischen beiden ein wirklicher Widerspruch (Kollision) eintritt, nachstehen (§ 74).“ „Dagegen ist der Staat demjenigen, welcher seine besonderen Rechte und Vorteile dem Wohle des gemeinen Wesens aufzuopfern genötigt wird, zu entschädigen gehalten (§ 75).“ Demnach bedeutet die Aufopferung, dass ein Bürger im Interesse des Allgemeinwohls einer besonderen Belastung ausgesetzt ist. Nach dem in §§ 74, 75 enthaltenen Aufopferungsgedanken muss den Betroffenen ein Ausgleichanspruch gewährt werden. Dieser Gedanke liegt heute allen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsansprüchen zugrunde. Der Anwendungsbereich des Aufopferungsanspruchs nach § 75 ALR erstreckt sich nicht nur auf den Fall einer Enteignung, sondern auch auf den zwingenden Eingriff gegen Leben, Gesundheit oder die persönliche Bewegungsfreiheit.537
II. Sonderopfer bei den Maßregeln der Besserung und Sicherung Über die Sonderopfer im deutschen Strafrecht wird bereits seit langem hinsichtlich der Rechtfertigung der Maßregeln der Besserung und Sicherung diskutiert538, während im südkoreanischen und amerikanischen Diskurs bezüglich der Prüfung von freiheitsentziehenden Maßregeln kein entsprechendes Pendant existiert. Die Strafe dient dem Schuldausgleich der Betroffenen. Demgegenüber stellen in Deutschland die Maßregeln der Besserung und Sicherung zukunftsorientierte Gefahrenabwehrmaßnahmen dar. Da sie ebenfalls wie die Strafe mit einer erheblichen Freiheitseinbuße verbunden sind, bedürfen sie einer Rechtfertigung. In Hinblick darauf wird als überzeugender Rechtfertigungsansatz das Prinzip des überwiegenden Interesses angeführt.539 Straftätern muss nach der vollständigen Strafverbüßung grundsätzlich eine Möglichkeit gewährt werden, ihre Freiheit ohne Einschränkungen zu entfalten, da sie durch die Strafverbüßung bzw. Schuldunfähigkeit ihre Schuld völlig ausgeglichen haben und sich damit nach dem Schuldprinzip in der gleichen rechtlichen Position wie andere Bürger befinden. Diesbezüglich garantiert das deutsche Grundgesetz das Abwehrrecht von Straftätern als Bürger gegen den Staat. Die grundrechtlich normierten Freiheiten und Rechtsgüter, die der Disposition der Auftrag sowie im Falle des zivilrechtlichen Aufopferungsanspruchs nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB. S. 35 ff. 537 Wittern/Baßlsperger, Verwaltungs- und Verwaltungsprozessrecht. S. 298. 538 Mayer, Strafrechtsreform für heute und morgen, S. 41 – 42; Nowakowski, Zur Rechtsstaatlichkeit der vorbeugenden Maßnahmen, S. 106. 539 Roxin, Strafrecht AT I S. 97 f., Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 34.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Einzelnen überlassen sind, müssen vor staatlichen Eingriffe geschützt werden, d. h. der Staat ist verpflichtet, diesen Freiraum zu beachten, und der Bürger kann etwaige Eingriffe abwehren.540 Demgegenüber gibt das deutsche Grundgesetz auch allen anderen Bürgern im Gemeinwesen einen Anspruch auf ein positives Tun des Staates, um die Grundrechtsausübung zu gewährleisten.541 Denn es gibt heutzutage durchaus Lebensbereiche, in denen der Einzelne auf das vorherige Tätigwerden des Staates angewiesen ist, als Grundlage dafür das Grundrecht überhaupt ausüben zu können. Aus den Grundrechten als Leistungsrechten ergeben sich Schutzpflichten des Staates, bei prognostizierten schweren Straftaten tätig zu werden.542 Zwischen den Freiheitsrechten des Individuums und den Sicherheitsinteressen der Allgemeinheit besteht daher ein Spannungsverhältnis. Vor diesem Hintergrund erlangen die Maßregeln der Besserung und Sicherung ihre Rechtfertigung nur dadurch, dass ihre Anordnung zum Schutze der Allgemeinheit erforderlich ist. Nach dem Prinzip des überwiegenden Interesses ist dabei eine Rechtsgüterabwägung zwischen den Freiheitsrechten der Betroffenen und dem Sicherheitsbedürfnis der Allgemeinheit vorzunehmen.543 Bei der Abwägung soll das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gegenüber dem Freiheitsinteresse der Betroffenen überwiegen, wenn die Betroffenen mit Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen werden, die schwerer wiegen als die Einschränkung der Freiheit, die der Gefahrverursacher auf sich zu nehmen hat.544 Doch stößt dieser Rechtfertigungsansatz auf Kritik, dass er die Maßregeln bei der Gruppe der sog. „False Positives“, d. h. bei Personen, die aufgrund unzureichender prognostischer Erkenntnisse zu Unrecht für gefährlich gehalten werden, nicht begründen kann.545 In dieser Situation wird den betroffenen Personen die Last der Gefahrenabwehr, nämlich der oft jahrelang andauernde Freiheitsentzug, aufgebürdet, während alle anderen Bürger nur die Vorteile der Sicherheit genießen.546 Damit wird den Untergebrachten ein erhebliches Sonderopfer zum Wohle der Allgemeinheit auferlegt.547 Ihre Stellung als Sonderopfer im Maßregelrecht wurde auch durch das Bundesverfassungsgericht festgestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung vom 4. 5. 2011 540
Epping, Grundrecht, S. 5. Epping, Grundrecht, S. 53. 542 Vgl. BVerfGE 39, 1 ff.; BVerfGE 88, 203 ff. weitere Nachweise auf Rechtsprechung und Literatur bei Badura, Staatsrecht, S. 107 ff.; Calliess, Die grundrechtliche Schutzpflicht im mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis, S. 322; Alexy, Theorie der Grundrechte, S. 410 ff. 543 Nowakowski, Zur Rechtsstaatlichkeit der vorbeugenden Maßnahmen, S. 98, 103 ff.; Baltzer, Die Sicherung des gefährlichen Gewalttäters, S. 46; Becker, Die freiheitsentziehenden Maßregeln des neuen Strafrechts, S. 83. 544 Roxin, Strafrecht AT I, S. 97 f.; Kaiser, Befinden sich die kriminalrechtlichen Maßregeln in der Krise? S. 48 f. 545 Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 37, 596 f. 546 Mushoff, Strafe-Maßregel-Sicherungsverwahrung, 2008, S. 255. 547 Pollähne, in: Maßregelvollzugsrecht 4. Auflage 2018, Rn. B36. Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 98. 541
Kap. 4: Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers 213
über die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung bestätigt, dass „der in der Sicherungsverwahrung liegende Eingriff in das Freiheitsgrundrecht äußerst schwerwiegend ist, weil er ausschließlich präventiven Zwecken dient und dem Betroffenen – da der Freiheitsentzug stets nur auf einer Gefährlichkeitsprognose, nicht aber auf dem Beweis begangener Straftaten beruht – im Interesse der Allgemeinheit ein sog. Sonderopfer auferlegt“.548 Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht bejaht, dass auch die Anordnung und der Vollzug der Maßregeln der Besserung und Sicherung gemäß §§ 63, 64 StGB in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt für die betroffenen Personen ein Sonderopfer darstellen können. Der Grund liege darin, dass die der Maßregelanordnung zugrundeliegende Störung oder Erkrankung schicksalhaft und die aus ihr abzuleitende Gefährlichkeit kein vom Untergebrachten beherrschbares Persönlichkeitsmerkmal ist.549
III. Wird den Überwachten der EAÜ auch ein Sonderopfer auferlegt? Wie schon erwähnt, ist in Deutschland schon unumstritten anerkannt, dass den Untergebrachten im freiheitsentziehenden Maßregelvollzug ein Sonderopfer für die Sicherheit der Allgemeinheit auferlegt wird. Demgegenüber hat die Frage, ob auch durch EAÜ überwachte Personen als Sonderopfertrachtet werden, noch keine große Aufmerksamkeit erlegt. Sie wird bisher nur teilweise in der Literatur erwähnt. Bemerkenswert sind dabei die Ansätze von Prof. Kinzig und Anne Bräuchle. Prof. Kinzig äußerte in einem Interview, dass Überwachte der EAÜ grundsätzlich freie Mensch darstelle, da sie ihre Strafe schon völlig verbüßt haben. Nach seiner Meinung muss deshalb die Anordnung der EAÜ die Resozialisierung unterstützend wirken und darf nicht allein aus reinen Überwachungsaspekten die Resozialisierung gefährden.550 Ferner geht Anne Bräuchle davon aus, dass aufgrund des erheblich grundrechtseingreifenden Charakters der EAÜ die Überwachten auch als Sonderopfer angesehen werden können.551 548 BVerfG, 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09: Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung. 549 Beschluss vom 27. 3. 2012, 2 BvR 2258/09. 550 „Man muss ja sagen, diese Menschen haben ihre Strafe verbüßt. Die Schuld ist auch getilgt. Also grundsätzlich sind das freie Menschen. Und man will natürlich auch erreichen, dass die resozialisiert werden. Also neben dieser Überwachung spielt auch Betreuung eine Rolle und die darf in diesem ganzen Setting nicht zu kurz kommen.“ Deutschlandfunk Kultur, 26. 4. 2018, Titel mit Überwachen und Resozialisieren. 551 Allerdings wird auf diesen Punkt nicht näher eingegangen, da dies keinen Schwerpunkt ihrer Dissertation darstellt. Dabei besteht nur folgendes Argument: „Es wäre allerdings auch durchaus möglich, die EAÜ mit ihrem schwerpunktmäßig überwachenden Charakter als ein Sonderopfer ähnlich der Sicherungsverwahrung zu verstehen.“ Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, S. 36.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
Wie schon in den Abschnitten A.I. und A.II. erwähnt wurde, hat der Begriff „Sonderopfer“ mit der Wahrung der Gleichheit zwischen den Bürgern zu tun und ihm liegt der Aufopferungsgedanke zu Grunde. Um die Frage zu beantworten, ob den Überwachten der EAÜ auch ein Sonderopfer aufzuerlegen ist, muss daher geprüft werden, ob die Überwachten zum Wohl der Allgemeinheit gezwungenermaßen aufgeopfert werden. Nach der Literatur soll eine Aufopferung vorliegen, wenn a) durch einen (rechtmäßigen oder rechtswidrigen, gezielten oder ungezielten) hoheitlichen Eingriff b) nicht vermögenswerte Rechte (Leben, Gesundheit, körperliche Unversehrtheit und Freiheit im Sinne körperlicher Bewegungsfreiheit – Eingriffe in das Eigentum werden durch Art. 14 Abs. 3 GG geregelt) unmittelbar beeinträchtigt werden, und c) der Eingriff durch das Allgemeinwohl motiviert ist, und damit die Verletzung des Rechtsguts über das hinausgehen muss, was anderen zugemutet wird (Ungleichbehandlung der Betroffenen).552 Die Anordnung der EAÜ erfüllt die folgenden Grundvoraussetzungen des Aufopferungsbestandes: Zunächst wird die EAÜ durch eine gerichtliche Entscheidung angeordnet und ist als strafbewehrte Weisung gemäß § 68b I S. 1 Nr. 12 StGB ausgestaltet. Deshalb zählt die Anordnung der EAÜ zum hoheitlichen Eingriff. Darüber hinaus werden die Grundrechte der überwachten Personen durch die Anordnung der EAÜ unmittelbar beeinträchtigt. Allerdings stellt die EAÜ keine freiheitsentziehende, sondern allein eine freiheitseinschränkende Maßnahme dar. Insofern erscheint die Eingriffsintensität der EAÜ hinsichtlich des Freiheitsrechts geringer als die der Sicherungsverwahrung bzw. der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus. Dennoch ist es offensichtlich, dass durch die EAÜ sowohl die körperliche Bewegungsfreiheit eingeschränkt als auch die körperliche Unversehrtheit, das allgemeine Persönlichkeitsrecht und die informationelle Selbstbestimmung schwer beeinträchtigt werden. (siehe Kapitel 2 „Verfassungsrechtliche Diskussionslage in den 3 Ländern“). Schließlich wurde die EAÜ als Gefahrenabwehrmaßnahme eingeführt, um ausschließlich die Sicherheit der Allgemeinheit besser zu gewährleisten. Gemäß § 68b I S. 1 Nr. 12, S. 3 StGB tritt die Maßnahme der EAÜ nach der vollständigen Strafverbüßung bzw. nach der Beendigung der freiheitsentziehenden Maßregeln ein. In beiden Fällen muss es den Überwachten grundsätzlich möglich sein, ihre Freiheit ohne Einschränkungen entfalten zu können, da ihre strafrechtliche Schuld durch das Verbüßen einer Haftstrafe bereits ausgeglichen wurde. Doch werden die Überwachten zum Wohle der Allgemeinheit erzwungenermaßen über das Strafende hinaus auf unbestimmte Zeit durch das elektronische Gerät am Fußknöchel rund um die Uhr kontrolliert, und zwar unter der Prämisse, dass sie wieder schwer rückfällig werden könnten. Dabei existieren hinsichtlich der Gefährlichkeitsprognose ebenso wie im Fall der freiheitsentziehenden Maßregeln die sog. „falschen Positiven“, wobei die Ungefährlichen um der Sicherheit der Allgemeinheit willen ihre Grundrechts-
552
Peine, Allgemeines Verwaltungsrecht 11. Auflage, S. 307.
Kap. 4: Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers 215
beeinträchtigungen dulden müssen. Insoweit werden die Überwachten im Verhältnis zu den übrigen Bürgern ungleich stärker belastet. Vor diesem Hintergrund wird der Schluss gezogen, dass dem Überwachten durch die EAÜ auch ein Sonderopfer auferlegt wird.
B. Staatliche Pflichten infolge des Sonderopfers I. Mindestanforderungen an die Anordnung und Vollstreckung der EAÜ 1. Regelungskonzept des BVerfG für Sicherungsverwahrte als Erbringer eines Sonderopfers Aus dem Verständnis der Überwachten als Sonderopfer für die Allgemeinheit ergeben sich Ansprüche auf Entschädigung, welche der Schadensbeseitigung bzw. dem Schadensausgleich dient. Als Restitutionsleistungen kann zuvorderst in Betracht kommen, die Belastung der Überwachten zu minimieren und durch staatliche Hilfe zur sozialen Wiedereingliederung möglichst vollständige Freiheit im Alltagsleben ohne EAÜ zurückzuerlangen. Denn das Sonderopfer muss aufgrund ungleicher Behandlung des Opfers möglichst klein gehalten werden.553 Wichtig ist dabei, dass diese Anforderung sich nicht nur auf eine abstrakte Erklärung beschränken darf, sondern dass aus ihr ein klares, einheitliches Regelungskonzept als Rechtfertigungskriterium der EAÜ ausgestaltet werden muss. In Deutschland besteht aber noch kein entsprechendes Gesamtkonzept. Zur Lösung dieses Problem kann man sich jedoch an ähnlich gelagerten Fällen orientieren. Diesbezüglich könnte man vor allem die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsmäßigkeit der Sicherungsverwahrung am 4. 5. 2011 heranziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Entscheidung ausgeführt, dass, weil dem Untergebrachten im Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit gleichsam ein Sonderopfer auferlegt wird, die Sicherungsverwahrung nur dann zu rechtfertigen ist, „wenn der Gesetzgeber bei ihrer Ausgestaltung dem besonderen Charakter des in ihr liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung und dafür Sorge trägt, dass über den unabdingbaren Entzug der äußeren Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden.“554 Um das durch den Gesetzgeber auszugestaltende Regelungskonzept für die Sicherungsverwahrung zu konkretisieren, hat das Bundesverfassungsgericht folgende 7 Prinzipien vorgeschlagen:
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Kinzig, Die Sicherungsverwahrung auf dem Prüfstand, S. 98; Bode, Konkurrenz freiheitsentziehender Unterbringungen, S. 41. 554 BVerfG, 4. 5. 2011 – 2 BvR 2365/09: Verfassungswidrigkeit der Regelungen zur Sicherungsverwahrung.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
1. Die Sicherungsverwahrung darf nur als letztes Mittel angeordnet und vollzogen werden. 2. Alle Möglichkeiten zur Reduzierung der Gefährlichkeit des Täters müssen bereits während des Strafvollzugs ausgeschöpft werden („Ultima-ratio-Prinzip“).555 3. Es muss spätestens zu Beginn der Sicherungsverwahrung eine umfassende Behandlungsuntersuchung stattfinden, die wissenschaftliche Anforderungen erfüllt und in einen Vollzugsplan mündet. 4. Insbesondere im therapeutischen Bereich müssen alle Möglichkeiten ausgeschöpft werden, z. B. ein individuell zugeschnittenes Therapieangebot (Individualisierungs- und Intensivierungsgebot).556 Hierzu ist die Mitwirkung der Betroffenen durch gezielte Motivationsarbeit zu fördern (Motivierungsgebot).557 5. Der äußere Vollzugsrahmen muss einen deutlichen Abstand zum regulären Strafvollzug erkennen lassen. Eine vollständige räumliche Ablösung vom Strafvollzug ist jedoch nicht erforderlich (Trennungsgebot).558 6. Die gebotene Konzeption muss Vollzugslockerungen vorsehen und Vorgaben zur Entlassungsvorbereitung enthalten. Entlassungsvorbereitungen sind mit planmäßigen Hilfen für die Phase nach der Entlassung zu verzahnen (Minimierungsgebot).559 7. Dem Untergebrachten ist ein Rechtsanspruch auf Durchführung der zur Reduzierung seiner Gefährlichkeit gebotenen Maßnahmen einzuräumen. Er ist bei der Wahrnehmung seiner Interessen zu unterstützen (Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot).560 Schließlich ist die Fortdauer der Sicherungsverwahrung mindestens jährlich gerichtlich zu überprüfen. Anhaltspunkte für eine Aussetzungsreife gebieten eine unverzügliche gesonderte Überprüfung (Kontrollgebot).561 2. Übertragung der 7 Prinzipien für Sicherungsverwahrung auf EAÜ Diese 7 Prinzipien des BVerfG erwuchsen aus dem Verständnis, dass, da die (nur) durch das Sicherungsbedürfnis der Allgemeinheit entstandene Sicherungsverwahrung dem Untergebrachten ein Sonderopfer im Interesse der Allgemeinheit auferlegt, 555 556 557 558 559 560 561
BVerfGE 128, 326, 379 Tz. 112. BVerfGE 128, 326, 379 f. Tz. 113. BVerfGE 128, 326, 380 Tz. 114. BVerfGE 128, 326, 380 f. Tz. 115. BVerfGE 128, 326, 381 f. Tz. 116. BVerfGE 128, 326, 382 Tz. 117. BVerfGE 128, 326, 382 Tz. 118.
Kap. 4: Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers 217
zu ihrer Rechtfertigung ein freiheitsorientierter und therapiegerechter Vollzug als verfassungsrechtliche Mindestanforderungen durchgeführt werden muss. Die EAÜ wurde ausschließlich zum Zweck der Sicherung der Allgemeinheit gegen besonders gefährliche Täter eingeführt und stellt ebenso wie die Sicherungsverwahrung eine eingriffsintensive Maßregel nach der Strafverbüßung dar. Damit können Überwachte, ähnlich wie Sicherungsverwahrte, als Erbringer eines Sonderopfers angesehen werden.562 Deshalb sind auch hinsichtlich der Rechtfertigung der EAÜ die vom BVerfG entwickelten 7 Prinzipien grundsätzlich in Betracht zu ziehen. Da die EAÜ jedoch keine stationäre Maßnahme wie Sicherungsverwahrung ist, sondern lediglich eine ambulante Maßnahme darstellt, können die 7 Prinzipien nicht direkt auf die EAÜ übertragen werden. Allerdings wäre es möglich, durch ihre teilweise analoge Anwendung eine Orientierung bei der Entwicklung konkreter Rechtfertigungskriterien der EAÜ zu erhalten. Da diesbezüglich die EAÜ nicht in der Justizvollzuganstalt, sondern innerhalb der Gesellschaft durchgeführt wird, ist für die EAÜ bereits das Trennungsgebot unter den 7 Prinzipien erfüllt. Im Folgenden wird deshalb untersucht, wie die anderen 6 Prinzipien auf die EAÜ angewandt werden können. a) „Ultima-ratio“-Prinzip Die EAÜ darf unter den verschiedenen Weisungen der Führungsaufsicht nur als ein letztes Mittel zur Anwendung kommen. Falls nämlich die Sicherheit der Allgemeinheit durch andere Weisungen der Führungsaufsicht ausreichend gewährleistet wird, darf die EAÜ nicht angeordnet werden. Das „Ultima-ratio“-Prinzip kann ebenso beim Verhältnis der EAÜ zu anderen Maßregeln der Besserung und Sicherung angewandt werden. Die EAÜ beginnt erst nach der Verbüßung einer Strafe oder Beendigung einer freiheitsentziehenden Maßregel. Schon im Vollzug einer Strafe oder während anderer freiheitsentziehender Maßregeln muss versucht werden, durch unterschiedliche Resozialisierungsprogramme die Gefährlichkeit der Betroffenen zu mindern. Diesbezüglich muss insbesondere gewährleistet werden, dass erforderliche psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Behandlungen, die oftmals auch bei günstigem Verlauf mehrere Jahre in Anspruch nehmen, zeitig beginnen, mit der gebotenen hohen Intensität durchgeführt und möglichst vor dem Eintritt der Führungsaufsicht völlig abgeschlossen werden. Nur wenn trotz dieses Versuchs die Betroffenen zur Zeit der Entlassung ein hohes Rückfallrisiko aufweisen, kann die EAÜ angeordnet werden. Allerdings ist dabei der Anwendungsbereich der EAÜ nur auf schwere Straftäter zu beschränken.
562
Vgl. Teil 3, Kapitel 4, A.III.
218
Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
b) Individualisierungs- und Intensivierungsgebot Die EAÜ darf nicht als ein Mittel genutzt werden, das lediglich zugunsten der Sicherheit der Allgemeinheit die Überwachten unter Beobachtung stellt und sie von der Gesellschaft ausschließt. Den Interessen der Überwachten muss durch eine freiheitsorientierte und therapiegerechte Vollstreckung der EAÜ Rechnung getragen werden, welche den allein präventiven Charakter der Maßregel sowohl gegenüber den Überwachten als auch gegenüber der Allgemeinheit deutlich macht. Hierzu muss schon vor dem Einsatz dieses Mittels ein umfassendes, den modernen wissenschaftlichen Anforderungen entsprechendes Betreuungsprogramm bereitstehen, das es den Überwachten ermöglicht, die vollständige Freiheit möglichst bald zurückzugewinnen. In diesem Programm müssen unterschiedliche Maßnahmen für die effektivste soziale Wiedereingliederung zur Verfügung stehen. Dabei sind vor allem die individuellen Faktoren, die für die Gefährlichkeit des Überwachten maßgeblich sind, eingehend zu analysieren. Auf dieser Grundlage sind entsprechende Maßnahmen auszuwählen, die das Rückfallrisiko der Überwachten deutlich senken. Als Beispiele können berufliche Aus- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen, psychiatrische bzw. sozialtherapeutische Behandlungen sowie Maßnahmen zur Ordnung der finanziellen und familiären Verhältnisse in Betracht kommen. Da für die effektive Umsetzung dieser Maßnahmen eine Zusammenarbeit der unterschiedlichen Stellen wie der Führungsaufsichtsstelle, des Gerichts, der Polizei, der Ausbildungsstätte, und des Krankenhauses erforderlich ist, muss ein umfassendes Verwaltungssystem hinsichtlich der Planung und der Koordination gegründet werden. c) Motivierungsgebot Die unbestimmte Dauer der EAÜ sowie die Stigmatisierungsmöglichkeit können schwerwiegende psychische Auswirkungen haben, welche die Überwachten demotivieren und sie in Lethargie bzw. Passivität führen können. Diese Effekte erschweren ihre Resozialisierung erheblich. Um dies zu vermeiden, sind Anreizsysteme mit besonderen Vergünstigungen notwendig. Den Überwachten ist diesbezüglich vor allem durch ein Behandlungs- und Betreuungsangebot zu begegnen, welches nach Möglichkeit eine realistische Entlassungsperspektive eröffnet. Die Bereitschaft der Überwachten zur Mitwirkung an ihrer Behandlung ist durch gezielte Motivationsarbeit zu wecken und zu fördern. Es muss hierzu gewährleistet werden, ein Punktesystem auf der Basis der Beteiligung bzw. des Verhaltens der Überwachten beim Resozialisierungsprogramm einzuführen, das eine Aussage darüber trifft, wie weit die Resozialisierung der Betroffenen vorangeschritten ist und welches ferner auch als Maßstab bei der Beurteilung hinsichtlich einer Aufhebung der EAÜ genutzt werden kann.
Kap. 4: Vorschlag hinsichtlich der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers 219
d) Minimierungsgebot Unter dem Minimierungsgebot versteht man, dass die aus der Durchführung der EAÜ resultierenden Nachteile möglichst gering zu halten sind. Zunächst muss hinsichtlich des Datenschutzes für die Überwachten aus dem Gesetz klar erkennbar sein, in welchen Fällen eine Datenerhebung stattfindet, welche Daten genau erhoben werden, zu welchen Zwecken diese gespeichert und unter welchen Voraussetzungen sie verwendet werden dürfen sowie zu welchem Zeitpunkt sie wieder gelöscht werden. Darüber hinaus muss zwecks einer Reduzierung der Stigmatisierungsgefahr der Überwachten aufgrund möglicher Sichtbarkeit der Überwachungstechnik eine Verkleinerung wie auch eine Verbesserung der Akku-Ladezeiten technisch gewährleistet werden. Außerdem muss den Überwachten immer ein Verfahren bereitstehen, in welchem eine Lockerung der Bedingungen der EAÜ beantragt werden kann. Das Konzept der EAÜ muss nämlich eine vorübergehende Aufhebung vor einer vollständigen vorsehen. Dabei ist einer freiheitlichen Ausrichtung zu folgen, nach der eine Lockerung der EAÜ-Bedingungen nicht ohne tatsächlichen oder zwingenden Grund versagt werden darf, also nicht etwa auf der Grundlage pauschaler Wertungen oder mit dem Hinweis auf eine nur abstrakte Flucht- oder Missbrauchsgefahr. Um sicherzustellen, dass Entscheidungen diesbezüglich auf der Grundlage objektiver, realistischer Risikobewertungen getroffen werden, und um der Gefahr übervorsichtiger oder voreingenommener Beurteilungen vorzubeugen, bietet sich z. B. die Einrichtung unabhängiger Gremien aus vollzugserfahrenen Fachleuten an, die beratend tätig werden und entsprechende Empfehlungen aussprechen können. e) Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot Den Überwachten muss ein effektiv durchsetzbarer Rechtsanspruch auf Durchführung der Maßnahmen eingeräumt werden, die zur Reduktion seiner Gefährlichkeit geboten sind. Ebenso müssen den Überwachten zu jeder Zeit Hilfskräfte zur Verfügung stehen, welche die Überwachten im Bedarfsfall unterstützen können. Bedarf für eine insbesondere psychologische Unterstützung kann etwa dann entstehen, wenn die Überwachten in soziale Schwierigkeiten geraten, etwa weil aufgrund der Überwachung Schwierigkeiten in den Beziehungen zu Familie, Freunden oder Kollegen auftreten. f) Kontrollgebot Verfahrensrechtlich muss eine strenge Kontrolle durch das Gericht ausgeübt werden. Hierzu ist zunächst bei der Anordnung der EAÜ hinsichtlich der Bewertung der Gefährlichkeit der Betroffenen eine möglichst strenge Überprüfung der Bewertung vorzunehmen. Darüber hinaus muss es auch gewährleistet sein, dass die Fortdauer der EAÜ in möglichst schnellen Abständen gerichtlich überprüft wird. Die Führungsaufsichtsstelle hat der zuständigen Strafvollstreckungskammer hierfür re-
220
Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
gelmäßig einen Sachstandsbericht abzugeben. Enthält er Anhaltspunkte für die Aussetzungsreife der EAÜ, ist von Amts wegen unverzüglich eine gesonderte Überprüfung durchzuführen. Diese strenge Kontrolle ist mit zunehmender Dauer des Vollzugs weiter zu intensivieren. Das gilt sowohl für die Zeitdauer der Intervalle zwischen den gerichtlichen Überprüfungen als auch für die von Amts wegen erforderliche Kontrolle der Führungssaufsichtstelle und die qualitativen Anforderungen an die Sachverhaltsaufklärung in Bezug auf deren inhaltliche Substantiierung.
II. Geldentschädigungsmöglichkeiten für die Sonderopfer im Maßregelrecht 1. Kostentragung für die Vollstreckung der EAÜ Als Restitutionsleistungen für Überwachte als Sonderopfer kann in zweiter Linie eine Geldentschädigung in Betracht kommen, weil sie in den meisten Fällen hinsichtlich eines Schadensersatzes als nützliches Mittel zur Verfügung gestellt werden kann. Bisher stellt der Diskurs über die Geldentschädigung für Sonderopfer beim Vollzug der Maßregel der Besserung und Sicherung darauf ab, ob Kosten für die Resozialisierung vom Staat übernommen werden müssen oder von den Betroffenen selbst.563 Beim Vollzug der Sicherungsverwahrung sind berufliche Aus- bzw. Weiterbildungsmaßnahmen und psychiatrische bzw. sozialtherapeutische Behandlungen erforderlich. Ebenso müssen bei der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus und in einer Entziehungsanstalt gemäß §§ 63, 64 StGB entsprechende Heil- und Krankenbehandlung vorgenommen werden. Diesbezüglich hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich erklärt, dass die Kosten für die Behandlungen vom Staat übernommen werden müssen.564 Denn der Staat darf die Freiheit der im Maßregelvollzug Untergebrachten nicht unbegrenzt verweigern, sei es auch zur Gefahrenabwehr für die Allgemeinheit, und bleibt dazu verpflichtet, durch die verschiedenen Vollzugsmaßnahmen eine Wiedereingliederung in die Gesellschaft zu ermöglichen. In der Literatur wird ebenfalls in eine ähnliche Richtung gewiesen. So müssten verschiedene Resozialisierungsprogramme entsprechend für jeden Untergebrachten aktiv konzipiert und angewandt werden, ohne dass bei der Umsetzung Aufwand bzw. Kosten die maßgeblichen Faktoren bilden.565 Unumstritten ist die Übernahme der Kosten für die Resozialisierung durch den Staat bei den freiheitsentziehenden Maßregeln.566
563
Vgl. Pollähne, in: Maßregelvollzugsrecht 4. Auflage 2018, Rn. B 41, B 42. Vgl. BVerfGE 128, 326, 379 f. Tz. 113. 2 BvR 2258/09. 565 Vgl. Müller et al., Standards für die Behandlung im Maßregelvollzug nach §§ 63 und 64 StGB, Interdisziplinäre Task-Force der DGPPN. 566 Pollähne, in: Maßregelvollzugsrecht 4. Auflage 2018, Rn. B 40, B 41, B 42. 564
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Noch nicht abschließend geklärt ist aber, ob die Kosten für Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht vom Probanden oder von der Staatskasse zu tragen sind.567 Die Problematik stellt sich als besonders relevant bei der Konsumkontrollweisung nach § 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 10 StGB dar. Auch bei der Therapieweisung (§ 68b Abs. 2 StGB) und der Vorstellungsweisung (§ 68b Abs. 1 S. 1 Nr. 11 StGB) kann die Übernahme von (Fahrt)Kosten eine Rolle spielen.568 In dieser Frage gibt es bisher noch keine Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, aber es liegen dazu Urteile der Landesgerichte vor. Einige Urteile bejahen eine Kostenübertragung auf die Betroffenen, da sich die Pflicht der Kostentragung nach dem allgemeinen Verursacherprinzip richten müsse.569 Nach dieser Meinung sind Betroffene bereits „Störer“ im Sinne des polizeirechtlichen Gefahrenabwehrrechts. Deshalb sind die Kosten grundsätzlich von den Verurteilten als Veranlasser zu tragen. Demgegenüber gab es die Auffassung des OLG Dresden, nach welcher die Kosten, die aufgrund führungsaufsichtsrechtlicher Weisungen zur Lebensführung von Verurteilten entstehen, grundsätzlich die Staatskasse zu tragen habe, da hierbei der polizeiliche Präventionsaspekt im Vordergrund stehe.570 Da sich die EAÜ ebenfalls als eine Weisung der Führungsaufsicht darstellt, ist dabei gleichfalls fraglich, wer die Kosten hinsichtlich der Vollstreckung der EAÜ übernehmen muss. Diesbezüglich wird in der Literatur behauptet, dass ausschließlich der Staat die Kosten übernehmen müsse, weil ansonsten das Merkmal der Zumutbarkeit gemäß § 68b Abs. 3 StGB571 nicht gegeben sei.572 In Hinblick darauf besteht noch keine Rechtsprechung. Das Gericht könnte aber zu Lasten des Staates entscheiden, da der Gesetzgeber schon im Gesetzesentwurf bezüglich der EAÜ die Übernahme der Kosten durch den Staat vorgegeben hatte.573 Da Überwachte als Erbringer eines Sonderopfers anzusehen sind, müssen ihre Beeinträchtigungen durch die Maßnahme in allen Bereichen minimiert werden. Es lässt sich zu Recht annehmen, dass der Staat die Kosten für die Umsetzung der EAÜ komplett übernimmt. Darüber hinaus muss der Staat ebenso die Kosten für die Bildung bzw. die Therapie während der EAÜ übernehmen, weil er dazu verpflichtet
567 Vgl. ausführlich zu der Problematik: Baur, Die reformierte Führungsaufsicht. Eine rechtshistorische, dogmatische und rechtstatsächliche Untersuchung, S. 368 ff. 568 Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, S. 35. 569 Vgl. OLG Brandenburg, Beschluss vom 11. 04. 2011, Az. 1 Ws 53/11, juris, dort RN. 11; OLG Jena, Beschluss vom 16. 05. 2011, Az. 1 Ws 74/11, juris, dort RN. 14; OLG München, Beschluss vom 19. 07. 2012, Az. 1 Ws 509/12, 1 Ws 511/12, juris, dort Rn. 14. 570 Vgl. OLG Dresden Beschluss vom 27. Mai 2008, 2 Ws 256/08. 571 68b Abs. 3 StGB: Bei den Weisungen dürfen an die Lebensführung der verurteilten Person keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden. 572 Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, S. 36. 573 BT-Drs. 17/3403, S. 3, S. 21.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
ist, die Überwachten durch Resozialisierung schnellstmöglich in die Lage zu versetzen, ihre vollständige Freiheit entfalten zu können. 2. Anspruch auf Schmerzensgeld Laut dem strengen Ausgleichsanspruch für Sonderopfer könnte eine Kostentragungspflicht des Staates bezüglich der Koten der EAÜ wie auch der Resozialisierungskosten nicht ausreichend sein, da die Überwachten an den Resozialisierungsprogrammen obligatorisch teilnehmen müssen. Wenngleich diese Programme zur Ungefährlichkeit der Betroffenen und zu ihrer Wiedereingliederung in die Gesellschaft dienen können, stellen sie aus der Sicht der Betroffenen doch eine Maßnahme dar, die unabhängig von ihrem Willen zwangsmäßig stattfindet. Dies wird noch problematischer, da dabei keine absolute Sicherheit vorliegt, dass die Betroffenen eine weitere Straftat begehen werden. In diesem Zusammenhang könnte ein Schmerzensgeldanspruch als ein direkter Ausgleichanspruch auf einen staatlichen Eingriff betrachtet werden. Im Hinblick darauf ist die geänderte Rechtsprechung des BGH zu beachten. Der BGH hat in seiner früheren Grundsatzentscheidung aus dem Jahr 1956 ausgeführt, aus der Gesamtbetrachtung der Rechtsordnung ergebe sich, dass Ersatz für immaterielle Schäden grundsätzlich nicht geschuldet werde.574 Danach gebe es nur in jeweils ausnahmsweise ausdrücklich gesetzlich normierten Fällen einen Ersatzanspruch auch für Nichtvermögensschäden.575 Die Entscheidung wurde jedoch am 7. 9. 2017 dahingehend geändert, dass der Anspruch auf Entschädigung für hoheitliche Eingriffe aufgrund rechtmäßigen Behördenhandelns in die Rechtsgüter Leben, körperliche Unversehrtheit oder Freiheit (sog. Aufopferung) auch einen Schmerzensgeldanspruch umfasst.576 Der für das 574
Hierfür führte der BGH die folgenden Argumente an: 1) § 253 I BGB enthalte die gesetzgeberische Wertung, dass ein Ausgleich in Geld nur für Vermögensschäden verlangt werden kann. 2) Sofern der Gesetzgeber ausnahmsweise auch bei Nichtvermögensschäden einen Ausgleich in Geld vorgesehen habe, handle es sich hierbei um Tatbestände, bei denen einem Drittem durch ein vermeidbares schuldhaftes Handeln Schaden zugefügt worden sei, was den Genugtuungsgedanken ausdrückt. 3) Auch wenn im Rahmen der §§ 74, 75 EinlALR der Schutz verfassungsgemäßer Rechte genannt wird, könne die klare Wertung, von der der Gesetzgeber in § 253 I BGB ausgegangen sei, nicht übergangen werden. III ZR 175/54, BGHZ 20, 61, 68 ff.; NJW 1956, 629 NJW 1956, 629. 575 Eine entsprechende Bestimmung fehle für den allgemeinen Aufopferungsanspruch, der sich gewohnheitsrechtlich aus §§ 74, 75 der Einleitung des Allgemeinen Landrechts für die Preußischen Staaten vom 1. 6. 1794 entwickelt habe. Vgl. Wittern/Baßlsperger, Verwaltungsund Verwaltungsprozessrecht, S. 298. 576 Anlass dafür bot den Karlsruher Richtern ein Fall aus Hessen: Am 23. 10. 2010 wurde dort aus einem fahrenden PKW ein Schuss auf ein Döner-Restaurant abgegeben. Im Zuge der darauf folgenden Fahndung nach dem Schützen entdeckte eine Polizeistreife auf einem Tankstellengelände das mutmaßliche Tatfahrzeug. Im Verkaufsraum der Tankstelle entdeckten sie zudem neben einem Tankstellenmitarbeiter noch einen weiteren Mann. Weil auch die grobe Personenbeschreibung der gesuchten Personen auf die beiden passte, gingen die Polizeibeamten davon aus, dass es sich bei ihnen um die Tatverdächtigen handle. Nachdem eine weitere
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Recht der öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen zuständige III. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat in diesem Urteil ausgeführt, dass von einem Willen des Gesetzgebers, die Ersatzpflicht im Schadensersatz- und Entschädigungsrecht bei Eingriffen in immaterielle Rechtsgüter wie Leben, Freiheit oder körperliche Unversehrtheit grundsätzlich auf Vermögensschäden zu beschränken, nicht mehr ausgegangen werden kann, da die im Urteil vom 13. 2. 1956 dargestellte Gesetzeslage sich zwischenzeitlich grundlegend geändert habe.577 Vor dieser Entscheidung hat der BGH hinsichtlich der Entschädigung im Maßregelrecht auf der Grundlage der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverfassungsgerichtes nur für solche Straftäter, die zu Unrecht unter Sicherungsverwahrung standen, einen Anspruch auf Geldentschädigung als vorliegend betrachtet.578 Nach der Rechtsprechungsänderung des BGH besteht jedoch nun zumindest theoretisch die Möglichkeit, dass alle im Maßregelvollzug untergebrachten wie auch überwachten Straftäter gemäß 68b I S. 1 Nr. 12 einen Geldentschädigungsanspruch aus ihrer Aufopferung verlangen können, weil trotz der völligen Verbüßung ihrer Strafe ihre immateriellen Rechtsgüter wie Freiheit oder körperliche Unversehrtheit durch hoheitliches Handeln in Form einer rechtmäßigen gerichtlichen Entscheidung unmittelbar beeinträchtigt werden. Da allerdings diesbezüglich bisher keine entsprechende Rechtsprechung sowie Gesetze bestehen, wurde noch nicht festgestellt, ob für die Betroffenen ein Schmerzensgeldanspruch aus Ausopferung im Maßregelrecht tatsächlich besteht. Eine tiefergehende Diskussion zu dieser Thematik ist mithin erforderlich.
Streifenwagenbesatzung zur Verstärkung eingetroffen war, liefen die Polizeibeamten in den Tankstellenverkaufsraum. Da sie vermuteten, der Mann und der Mitarbeiter führten eine Schusswaffe mit sich, forderten sie zur Eigensicherung beide auf, die Hände hoch zu nehmen, brachten sie zu Boden und legten ihnen Handschellen an. Dabei erlitt der spätere Kläger eine Schulterverletzung. Es stellte sich alsbald heraus, dass er und der Mitarbeiter mit dem Schuss auf das Restaurant nichts zu tun hatten, woraufhin ihnen die Handfesseln wieder abgenommen wurden. Der Mann verlangte Ersatz des aufgrund der Verletzung erlittenen Vermögensschadens und ein Schmerzensgeld. BGH, Urt. v. 7. 9. 2017 – III ZR 71/17. 577 Mit dem Zweiten Gesetz zur Änderung schadenersatzrechtlicher Vorschriften vom 19. 7. 2002 und der hierdurch bewirkten Ausweitung des Schmerzensgeldanspruchs infolge der Änderung des § 253 BGB habe der Gesetzgeber den Grundsatz, auf den der Senat sein Urteil von 1956 gestützt habe, verlassen. Dies ergebe sich auch aus der Änderung der Vorschriften über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen im Jahr 1971, nach denen für zu Unrecht erlittene Haft eine Entschädigung auch für Nichtvermögensschäden gewährt werde. Zudem habe mittlerweile eine Vielzahl von Bundesländern Bestimmungen eingeführt, nach denen Ersatz auch des immateriellen Schadens bei Verletzung des Körpers oder der Gesundheit infolge präventiv-polizeilicher Maßnahmen geschuldet werde. Vgl. BGH, Urt. v. 7. 9. 2017 – III ZR 71/17. 578 Der Bundesgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 19. 9. 2013 ausgeführt, dass das Land Baden-Württemberg 4 Straftätern Schadensersatz wegen nachträglich verlängerter Sicherungsverwahrung zahlen muss. Vgl. Urteil – III ZR 405/12; III ZR 406/12; III ZR 407/12; III ZR 408/12.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
C. Überprüfung des derzeitigen rechtlicher Stands der EAÜ in Deutschland und Vorstellung eines rechtspolitischen Vorschlags Die bisher berücksichtigten staatlichen Mindestpflichten gegenüber den Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers müssen eingehalten werden, da die derzeitige Regelung über EAÜ ansonsten als verfassungswidrig erscheint. Um die Verfassungsmäßigkeit der EAÜ in Deutschland zu überprüfen, soll deshalb im Folgenden untersucht werden, ob die aktuellen Regelungen der EAÜ diese staatlichen Mindestpflichten erfüllen.
I. „Ultima-ratio“-Prinzip Da die EAÜ stark in die Grundrechte der Überwachten eingreift, schreibt das StGB vor, dass die EAÜ, anders als andere Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht, erst dann angeordnet werden darf, wenn die hierfür besonderen gesetzlichen Anordnungsvoraussetzungen erfüllt sind.579 Für die Anordnung der EAÜ müssen gemäß § 68b Abs. 1 S. 3 StGB die Voraussetzungen erfüllt werden, dass die zu Überwachenden die im § 66 Abs. 3 Satz 1 StGB genannten Verbrechen begangen haben und auch in der Zukunft Straftaten dieser Art wiederholt begehen könnten. Die EAÜ kann erst nach dem Abschluss des Vollzugs der Strafe oder der Sicherungsverwahrung angeordnet werden. Da dem Strafvollzugsgesetz und der Rechtsprechung des BGH zufolge bereits im Strafvollzug oder im Maßregelvollzug ein intensives Resozialisierungsprogramm durchgeführt werden muss, ist die EAÜ ausschließlich für Personen mit erhöhtem Rückfallrisiko als letztes Mittel anzuordnen.580 Im Ergebnis ist also das „Ultima-ratio“-Prinzip beim Einsatz der EAÜ erfüllt.
II. Individualisierungs- und Intensivierungsgebot Der § 68b StGB regelt neben der EAÜ ebenso andere Weisungen. Demgemäß kann das Gericht Überwachte für die Dauer der Führungsaufsicht oder für eine kürzere Zeit anweisen, sich zu bestimmten Zeiten oder in bestimmten Abständen bei einer Ärztin oder einem Arzt, einer Psychotherapeutin oder einem Psychotherapeuten, oder einer forensischen Ambulanz vorzustellen (§ 68b Abs. 1 Nr. 11 StGB). 579
Vgl. Teil 3, Kapitel 1, C.II.1. § 2 Aufgaben des Vollzuges: Im Vollzug der Freiheitsstrafe sollen die Gefangenen fähig werden, künftig in sozialer Verantwortung ein Leben ohne Straftaten zu führen (Vollzugsziel). Vgl. grundlegend BVerfGE 35, S. 202 ff. (Lebach); 98, S. 169 ff. (Arbeitsentlohnung); 116, S. 69 ff. (Jugendstrafvollzug). Zur Sicherungsverwahrung, BVerfGE 35, 202, 236; BVerfG NJW 2006, S. 2093 ff.; BVerfG, Beschluss v. 26. 10. 2011 – 2 BvR 1539/09; BVerfG, 23. 5. 2013 – 2 BvR 2129/11. 580
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Darüber hinaus kann das Gericht den Überwachten weitere Weisungen erteilen, welche sich auf Ausbildung, Arbeit, Freizeit, die Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse oder die Erfüllung von Unterhaltspflichten beziehen (§ 68b Abs. 2 StGB). Bei dieser Anordnung der Weisungen wertet der Richter die charakterlichen Eigenschaften der Überwachten aus und erlegt ihnen darauf basierend entsprechende Weisungen auf. Dadurch können die Überwachten während der Dauer der EAÜ jederzeit psychiatrische, psycho- oder sozialtherapeutische Betreuung sowie Behandlung bekommen, die für ihre Resozialisierung unbedingt notwendig sind. Die Mindestanforderungen des Individualisierungs- und Intensivierungsgebots erscheinen somit als erfüllt. Doch sollte die Unterstützung für die Resozialisierung von Überwachten verstärkt werden. Gemäß § 68b StGB finden diese Anforderungen nicht nur für Überwachte sondern auch für solche Straftäter Anwendung, die ohne EAÜ auf Bewährung entlassen werden. Da Überwachte ein Sonderopfer erbringen, sollten die konkreten Maßnahmen für die Verwirklichung des Ziels der Resozialisierung nicht durch das richterliche Ermessen, sondern anhand bindender Regelungen durchgeführt werden. Darüber hinaus sollte gleich von Anfang der EAÜ an ein umfassendes, intensives Konzept für eine zügigere Wiederherstellung der kompletten Freiheit der Überwachten durch eine Reduzierung der Gefährlichkeit erarbeitet werden.
III. Motivierungsgebot Bewährungshelfer sowie Führungsaufsichtsstellen prüfen permanent den Resozialisierungsprozess und verfassen Berichte über den Zustand, ob und wie die Weisungen umgesetzt werden. Falls die Überwachten diese Weisungen nicht befolgen, wird gegen sie wieder eine Strafe bzw. ein Bußgeld gemäß § 145a StGB verhängt. Sofern sie demgegenüber die Weisungen befolgen, wird dies im Bericht der Bewährungshelfer sowie Führungsaufsichtsstellen als positives Merkmal bewertet, das später bei der Entscheidung über die (vorläufige) Aufhebung der EAÜ betrachtet wird. Folglich ist das Motivierungsgebot gewahrt.
IV. Minimierungsgebot Um durch die EAÜ gewonnenen Positionsdaten der betroffenen Personen zu schützen, hat der deutsche Gesetzgeber § 463a IV StPO erneut geändert. § 463a IV StPO enthält nun die Bestimmungen zur Erhebung, Speicherung und Verwendung der durch die Überwachung gewonnenen Positionsdaten von betroffenen Personen. Durch diese Bestimmungen wurden wichtige Begrenzungen geschaffen, die die Rechte der überwachten Personen auf verschiedene Weise absichern und enge Re-
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
geln für die Erhebung, Speicherung und Verwendung sowie den Umgang mit den erlangten Informationen vorgeben.581 Darüber hinaus soll in der Praxis zum Datenschutz der Überwachten keine Echtzeitüberwachung betrieben werden.582 Nach Erklärung von Hans-Dieter Amthor von der „Gemeinsamen elektronischen Überwachungsstelle der Länder (GÜL)“ kennt die GÜL die Namen der Überwachten nicht, sondern hat nur eine Nummer.583 Zudem kann die GÜL in der Regel nicht erkennen, wo sich welche Probanden gerade befinden.584 Die Mitarbeiter der GÜL bestätigen nur dann die Bewegungsposition der Überwachten auf einem großen Bildschirm, wenn der Warnalarm aufgrund einer Bewegung außerhalb des erlaubten Bereiches ausgelöst wird. Deshalb ist hinsichtlich des Datenschutzes das Minimierungsgebot ausreichend gewahrt.585 Auch wird ein Bestreben hin zu einer Minimierung der Möglichkeit der Stigmatisierung durch eine Verkleinerung der technischen Überwachungsgeräte immer mehr verwirklicht. Aktuell bekommen Überwachte neue Fesseln, welche 150 Gramm statt 180 Gramm wiegen, wasserfest sind und mit einem Akku ausgestattet sind, der sich kabellos aufladen lässt und bis zu 50 Stunden lang leistungsfähig sein soll.586 Hinsichtlich einer Lockerung der Vollstreckungsauflagen der EAÜ steht den Überwachten immer die Gelegenheit der (vorläufigen) Aufhebung der EAÜ zur Verfügung. Generell kann die EAÜ höchstens bis zu 5 Jahre angeordnet werden. Doch muss nach spätestens 2 Jahren geprüft werden, ob die Probanden die Voraussetzungen für die Überwachung noch erfüllen.
V. Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot Die Mitarbeiter der Bewährungshilfe bleiben durchgehend im Kontakt mit den Überwachten, um über ihre Schwierigkeiten im Alltag unterrichtet zu sein und zur Überwindung dieser Probleme beizutragen. Nach dem empirischen Bericht von Anne Bräuchle haben in der Praxis die Mitarbeiter eines polizeilichen Risikoprogramms teilweise auch diese betreuenden Aufgaben übernommen. Die verschiedenen an der EAÜ beteiligten Akteure arbeiten eng zusammen, um das Rückfallrisiko der Überwachten zu mindern und ihre Resozialisierung zu sichern.587 Somit sind Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot gewahrt. Allerdings bleibt noch Raum 581
Vgl. Teil 3, Kapitel 1, C.II.6. Eilzer, in: Elektronische Überwachung gefährlicher Täter, S. 25. 583 Eilzer, in: Elektronische Überwachung gefährlicher Täter, S. 25. 584 Hessisches Ministerium der Justiz, Justizminister Hahn zieht Bilanz. 585 Hessisches Ministerium der Justiz, Justizminister Hahn zieht Bilanz. 586 Vgl. Teil 3, Kapitel 1, C.III. 587 Vgl. Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, S 161. 582
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für einige rechtspolitische Verbesserungsvorschläge. Primär sollten die Anzahl der Mitarbeiter erhöht und mehrere praxisnahe Fortbildungsprogramme für bessere Betreuung geboten werden. Diese Punkte wurden insbesondere in einer empirischen Studie aus Südkorea als entscheidende Erfolgsfaktoren berücksichtigt.588 Auch in dem Bericht von Anne Bräuchle findet dies Erwähnung.589
VI. Kontrollgebot Gemäß § 68b StGB kann die EAÜ nur auf richterlichen Beschluss angeordnet werden. Ebenso prüft das Gericht eine Fortdauer der EAÜ und ordnet diese gegebenenfalls an. Das Kontrollgebot ist durch das Wirken des Gerichts insofern verwirklicht. Doch sollte zum Zwecke einer verfahrensrechtlich strengeren Kontrolle die derzeitige Regelung über die Beurteilung der Gefährlichkeitsprognose und die gerichtliche Überprüfungsfrist für Aufhebungen der EAÜ-Weisung geändert werden. Gemäß der aktuellen Regelung muss bei einer Anordnung der EAÜ wie auch bei einer Anordnung über die Fortdauer der EAÜ in Betracht kommen, dass die Betroffenen trotz der vollständigen Verbüßung der Strafe bzw. der Maßregel der Sicherung und Besserung ein Rückfallrisiko für die bestimmten Verbrechen aufweisen, und dass der Rückfall durch die EAÜ verhindert werden kann.590 Dabei ist, anders als bei der Anordnung einer Sicherungsverwahrung, eine Bewertung der Gefährlichkeit durch einen externen Sachverständigen keine gesetzliche Voraussetzung. Eine solche Bewertung findet nur dann statt, wenn das Gericht sie für erforderlich hält. Unter Berücksichtigung der Stellung der Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers ist die derzeitige Rechtslage nicht angemessen. Der Sonderopferstatus der Überwachten kann ausschließlich durch eine möglichst präzise Prognose ihrer Gefährlichkeit gegenüber der Allgemeinheit gerechtfertigt werden. Diese Prognose stellt daher das sehr entscheidende Element zur Rechtfertigung der EAÜ dar. Insofern muss sie so gründlich wie möglich ausgeführt werden. Infolgedessen sollte die Teilnahme der externen Experten an dieser Prognose eine zwingende Anforderung werden. Ihre Gutachten sollten dabei sowohl auf die Gefahr der Begehung der genannten Katalogstraftaten als auch auf die Möglichkeit eingehen, die Überwachten durch die Positionsdatenverwendung von der Begehung von Straftaten abzuhalten. In Deutschland hat das Gericht spätestens nach Ablauf von 2 Jahren zu prüfen, ob die EAÜ aufzuheben ist. Diese Zeitspanne erscheint aber als zu lang, insbesondere 588 Ji-Seon Kim/Da-Hye Chang/Jeong-Myeong Kim/Ho-Sung Kang/Hui-Gap Moon, Yeong-Su Han/Seong-Eon Kim, Community-based management of sex offenders in Korea (II) – An evaluation study on the electronic monitoring, S. 278 ff. 589 Vgl. Bräuchle, Die elektronische Aufenthaltsüberwachung gefährlicher Straftäter im Rahmen der Führungsaufsicht, S. 158 – 159. 590 StGB § 68b Abs. 1, S. 3.
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Teil 3: Die verfassungsrechtliche Bewertung der EAÜ
im Verhältnis zur jährlichen Überprüfungsfrist des § 463a Abs. 2 S. 4 StPO (Ausschreibung zur Beobachtung anlässlich polizeilicher Kontrollen). Vergleichsweise beträgt diese Frist in Südkorea nur 3 Monate.591 Es ist deshalb empfehlenswert, spätestens vor Ablauf von 6 Monaten die Aufhebungsmöglichkeit prüfen zu lassen.
VII. Kostentragungspflicht Der deutsche Gesetzgeber hat schon im Gesetzesentwurf hinsichtlich der zu erwartenden Ausgaben für die Anschaffung, Wartung und Einrichtung der Überwachungsgeräte sowie für Personal die Übernahme der Kosten durch den Staat erwähnt. In der Praxis sind grundsätzlich alle damit verbundenen Kostenbelastungen von den zuständigen Bundesländern zu tragen.592 Insofern ist die Kostentragungspflicht durch den Staat gegeben. Hinsichtlich der Frage, wer die Kosten einer Therapie zu tragen hat, wenn Verurteilte einer Therapieweisung nachkommen, enthält § 68b Abs. 2 Satz 2 und 3 StGB keine Regelung. Inwieweit Verurteilte oder die Staatskasse für diese Kosten aufzukommen haben, ist zurzeit in der Rechtsprechung umstritten. Laut mancher Urteile sollen den Betroffenen aufgrund des Veranlassungsprinzips die Kosten übertragen werden, laut anderer soll der Staat sie übernehmen, solange die Betroffenen diese Anweisungen befolgen. Der Staat ist dazu verpflichtet, die Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers durch Resozialisierung schnellstmöglich in die vollständige Freiheit zu entlassen. Deshalb wäre die Kostentragungspflicht durch den Staat im Falle von Sonderopfern nicht vollständig beachtet, wenn die Überwachten die Kosten hinsichtlich der Therapieweisung bzw. Nachsorgeweisung selbst tragen müssten.
VIII. Fazit Nach den bisherigen Überlegungen werden die staatlichen Mindestpflichten gegenüber den Überwachten als Erbringer eines Sonderopfers erfüllt. Deshalb ist die derzeitige Regelung der EAÜ in Deutschland nicht verfassungswidrig. Allerdings bleibt noch Raum für einige rechtspolitische Verbesserungsvorschläge. Insbesondere sollte die aktuelle Rechtslage Verbesserungen schaffen hinsichtlich der Unterstützung der Resozialisierung der Überwachten, der Einholung eines externen Sachverständigengutachtens, besserer Personalressourcen und der Zeitspanne für die Prüfung über die Fortdauer der EAÜ.
591 592
Vgl. Teil 3, Kapitel 1, B.II.4. Vgl. https://www.justiz-bw.de/,Lde/2007651/?LISTPAGE=2007161.
Teil 4
Schlussfolgernde Zusammenfassung Der elektronisch überwachte Hausarrest mittels der Radio-Frequenz-Identifikations-technik beschränkt sich auf die Anwesenheitsüberprüfung in der Wohnung der Überwachten. Demgegenüber beobachtet die EAÜ mithilfe von GPS-Technik und ergänzender Mobilfunktechnik rund um die Uhr nicht nur die Anwesenheit, sondern auch die Bewegung der Überwachten in der Gesellschaft. Deshalb weist die EAÜ mehr Überwachungsspielraum als der elektronisch überwachte Hausarrest auf. Diese EAÜ wurde gegen Ende der 1990er Jahre in USA zuerst eingeführt und kam in Südkorea im Jahr 2007 zum Einsatz. Im Hinblick auf die EAÜ ist Deutschland im Vergleich zu den USA sowie Südkorea ein Nachzügler. In Deutschland wurde die EAÜ erst am 1. 1. 2011 im Zuge der Reform des Sicherungsverwahrungsrechts und als direkte Reaktion auf das Urteil des EGMR vom 17. 12. 2009 eingeführt. Der kriminalpolitische Hintergrund hinsichtlich der Einführung der EAÜ in Deutschland ist sehr ähnlich wie in den USA und in Südkorea. Die EAÜ der 3 Länder wurde ohne hinreichende Prüfung und Debatte schnell eingeführt, um die Allgemeinheit vor der Begehung schwerer Gewalt- oder Sexualstraftaten durch gefährliche Straftäter zu schützen. In allen 3 Ländern wurde seit etwa den 1990er Jahren durch die Veränderung verschiedener gesellschaftlichen Bedingungen im globalisierten, neoliberal geprägten Kapitalismus eine existentielle Verunsicherung des Bürgers verstärkt. Damit wurde in der Kriminalpolitik ein Trend hin zu mehr Sicherheit in der Gesellschaft deutlich. Zur Gewährleistung der Sicherheit von Interessen der Allgemeinheit hat in allen 3 Ländern die freiheitsentziehende Unterbringung eine breite öffentliche Unterstützung gewonnen, weil zumindest während der Unterbringung die Sicherheit der Bevölkerung vor gefährlichen Straftätern gewährleistet wird. Diesbezüglich hat in Deutschland hauptsächlich die Sicherungsverwahrung eine solche Rolle gespielt. Durch die Verschärfung der Sicherungsverwahrung wurden seit 1998 immer mehr gefährliche Straftäter inhaftiert. Die EAÜ wurde zur intensiven Überwachung von Straftätern eingeführt, die aus der Haft oder der Sicherungsverwahrung entlassen werden müssen, jedoch weiterhin als gefährlich eingestuft werden. Deshalb stellt die EAÜ kein Ersatzmittel für die freiheitsentziehende Unterbringung, sondern einen zusätzlichen Schutzmechanismus in Verbindung mit punitiver Kriminalpolitik dar. Anstatt einer Resozialisierung durch Behandlung und intensive Betreuung konzentriert sich die EAÜ auf die strenge Kontrolle durch Risikomanagement für die gefährlichen Straftäter. Allerdings ist es von Land zu Land je nach konkreter Rechtslage unterschiedlich, inwieweit die EAÜ im strafrechtlichen Sanktionssystem genutzt wird. In Deutschland ist wegen der
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Teil 4: Schlussfolgernde Zusammenfassung
Sicherungsverwahrung die Aufmerksamkeit und Bedeutung der EAÜ im deutschen Maßregelrecht bisher relativ gering ist, während die EAÜ in den USA sowie in Südkorea schon sehr häufig angewandt wurde. Die Personenkreise der EAÜ in Deutschland, Südkorea und den USA sind ähnlich. In allen 3 Ländern findet die EAÜ hauptsächlich gegenüber schweren Gewaltstraftätern bzw. Sexualstraftätern, die aus der Haft entlassen werden, Anwendung. Anders als in Südkorea und den USA gibt es in Deutschland die Besonderheit, dass die EAÜ auch für terroristische Straftäter angeordnet werden kann. Bei der Einführung im Jahr 2011 war der Personenkreis der EAÜ nur auf die schweren Gewaltstraftäter bzw. Sexualstraftäter beschränkt, aber er wurde durch eine Gesetzesänderung im Jahr 2017 ebenso auf Straftäter erweitert, die mit terroristischen Straftaten in Verbindung stehen. Die Anordnungsvoraussetzungen der EAÜ in Deutschland sind die Rückfallwahrscheinlichkeit und die Verbüßung von Vorstrafen der schweren Gewaltstraftaten, Sexualstraftaten und terroristischen Straftaten. Dies entspricht den Voraussetzungen in Südkorea. Allerdings kann die EAÜ in mehreren Staaten der USA unabhängig vom Prüfungsergebnis des individuellen Rückfallrisikos der Täter zwingend nach der Vorstrafe angeordnet werden, wenn sie eine schwere Sexualstraftat begangen hatten. Die Dauer der EAÜ erstreckt sich in Deutschland grundsätzlich von 2 Jahren bis zu 5 Jahren. In mehreren amerikanischen Staaten wird die EAÜ lebenslang angeordnet, während in Südkorea die Maßnahme maximal für 30 Jahre verhängt werden kann. Obwohl sich die Dauer in Deutschland in der Regel relativ kurz darstellt, ist eine dauerhafte EAÜ in Ausnahmefällen möglich, wenn sich aus einem Verstoß gegen eine Weisung (§ 68b I, II StGB) oder aufgrund anderer bestimmter Tatsachen konkrete Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine Gefährdung der Allgemeinheit durch potenzielle erhebliche Straftaten gegeben ist. In Deutschland wird die Bewertung für die vorläufige Aufhebung der Anbringungsanordnung der EAÜ wesentlich mehr und häufiger als in den USA, aber seltener als in Südkorea, ausgeführt. Das deutsche Gericht hat spätestens vor dem Ablauf von 2 Jahren zu prüfen, ob die Anordnung der EAÜ aufzuheben ist. Dagegen kann die Prüfung in manchen Staaten der USA erst ausgeführt werden, wenn die Überwachten älter als 65 Jahre sind. In den meisten Staaten bestehen sogar überhaupt keine Vorschriften und daher ist eine vorläufige Aufhebung grundsätzlich unmöglich. Demgegenüber können Überwachte nach dem Ablauf von 3 Monaten einen Antrag auf Aufhebung der EAÜ stellen, sei es, dass dieser in der Praxis nur selten bewilligt wird. Unter den 3 Ländern sind die Vorschriften zum Datenschutz hinsichtlich der EAÜ in Deutschland am strengsten: Gemäß § 463a IV S. 2 StPO ist die Verwendung der Positionsdaten geeignet und erforderlich, die Überwachten künftig von Straftaten abzuhalten. Darüber hinaus sind die durch die EAÜ gesammelten Positionsdaten besonders gegen unbefugte Einsicht- oder Kenntnisnahme zu schützen. Die Da-
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tenerhebung und die Verarbeitung der Daten muss automatisiert erfolgen und die Daten sind 2 Monate nach ihrer Erhebung und Speicherung zu löschen, wenn sie nicht für die gesetzlich vorgesehenen Zwecke verwendet werden. In Südkorea liegen ebenso datenschutzrechtliche Vorschriften vor, die die Erhebung, Speicherung und Verwendung von Aufenthaltsdaten regeln. Allerdings ist ihre Schutzkraft nicht so intensiv wie in Deutschland. So müssen die Aufenthaltsdaten der Überwachten erst nach dem Ablauf von 5 Jahre nach der Beendigung der EAÜ gelöscht werden. Demgegenüber haben die meisten amerikanischen Staaten diesbezüglich keine datenschutzrechtlichen Regelungen festgesetzt. Hinsichtlich der Funktionsweise des GPS-Tracking-Systems für die EAÜ ist nach der Anzahl der am Körper der Überwachten zu tragenden Geräte zwischen einem einteiligen (1-Track) und einem zweiteiligen GPS-Tracking-System (2-Track) zu differenzieren. Das 1-Track-System wurde in Deutschland eingeführt, während Südkorea das 2-Track-System wählte. In den USA finden beide Systeme Anwendung. In den USA wurden teilweise private Einrichtungen mit dem Betrieb der EAÜ beauftragt, um den Betriebsaufwand niedrig zu halten. Darüber hinaus müssen die Überwachten grundsätzlich die Kosten für die Einstellung bzw. Verwaltung übernehmen. Dagegen wird die EAÜ in Deutschland und in Südkorea direkt von öffentlichen Stellen betrieben. Sie tragen diese Kosten selbst. Im Vergleich zu den USA und Südkorea stellt sich die Anzahl der Überwachten in Deutschland als sehr gering dar: hier waren es 94 Menschen (Dezember 2017), während diese Zahl in den USA bis zu 90.000 und in Südkorea bis zu 3.000 beträgt (Dezember 2015). Allerdings steigt die Anzahl in Deutschland ebenso wie in diesen Ländern ständig. Da die EAÜ unabhängig vom Willen der Überwachten nach Verbüßung ihrer Strafen zwangsweise angeordnet wird und sie rund um die Uhr beobachtet, stellt sich in den 3 Ländern gemeinsam die Frage, ob die Überwachung nicht verfassungswidrig ist. Diesbezüglich wurde in Deutschland bereits eine Verfassungsbeschwerde erhoben, aber das BVerfG hat noch keine Entscheidung getroffen. In Südkorea und in den USA bestehen demgegenüber bereits Urteile. Bei der Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der EAÜ wird hauptsächlich die Thematik der Privatsphäre und der persönlichen Freiheit berücksichtigt. Bemerkenswert ist, dass allein in Deutschland die Menschenwürde als ein Prüfungsmaßstab betrachtet wird. Dagegen kommen das Rückwirkungsverbot und das Verbot der Doppelbestrafung, die in den USA und in Südkorea in Zusammenhang mit der EAÜ als wichtige Punkte diskutiert worden sind, nicht in Betracht. Theoretisch gesehen kann sich auch in Deutschland dieses Problem des Rückwirkungsverbots sowie des Verbotes der Doppelbestrafung stellen. Doch würde dieses Problem bei der Verfassungsmäßigkeitsprüfung der EAÜ in Deutschland als nicht wichtig angesehen werden. Denn sehr ähnliche Diskussionen fanden schon in Deutschland bezüglich der Sicherungsverwahrung statt, und demgemäß würde man die EAÜ in Deutschland höchstwahrscheinlich nicht als Strafe ansehen.
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Hinsichtlich der Frage zur Vereinbarkeit der EAÜ mit der Menschenwürde wiegt die Stigmatisierung, Erniedrigung und Demütigung der überwachten Personen nicht schwer genug, um als Eingriff in die absolut geltende Menschenwürde gelten zu können. Auch verstößt die EAÜ nicht gegen die Selbstbelastungsfreiheit von überwachten Personen. Denn Überwachte werden zwar durch das Tragen der Überwachungstechnik dazu gezwungen, beweiserhebliches Material an die staatlichen Behörden zu liefern, jedoch sind sie nicht dazu gezwungen, an ihrer eigenen Überführung und Verurteilung aktiv teilzunehmen. Auch bedeutet der Verzicht auf eine gesetzliche Vorgabe zur Einholung eines Sachverständigengutachtens keine willkürliche staatliche Behandlung, da das Vorgehen des Gerichts anhand objektiver Maßstäbe und auf Basis entsprechender Empfehlungen und Berichte entscheidet. Bei Prüfungen der Verfassungswidrigkeit der EAÜ in Zusammenhang mit dem Recht auf Privatsphäre und Freiheit werden in den 3 Ländern gemeinsam das Schutzinteresse der Betroffenen und das öffentliche Interesse gegeneinander abgewogen. Bei der Bewertung von öffentlichem Interesse wurden die Schwere der Sexualstraftaten, die Rückfallwahrscheinlichkeit und die präventive Wirkung der EAÜ betrachtet. Auf Seite des Grundrechtsinteresses der Betroffenen stand die Eingriffsintensivität der EAÜ im Fokus. Aus dieser Interessenabwägung kommt die Mehrheitsauffassung der 3 Länder zum Ergebnis, dass die EAÜ trotz ihres erheblichen Eingriffs in die Grundrechte aufgrund des überwiegenden Allgemeinheitsinteresses gerechtfertigt werden kann und verfassungsgemäß ist. Demgegenüber ziehen die Mindermeinungen des koreanischen Verfassungsgerichts und der amerikanischen Rechtsprechung die Schlussfolgerung, dass die Eingriffsintensität der EAÜ im Vergleich zu dem dadurch gesicherten Allgemeinheitsinteresse unverhältnismäßig und daher die EAÜ verfassungswidrig ist. Wenngleich das Verhältnismäßigkeitsprinzip als Prüfungsmaßstab in den 3 Ländern eine wichtige Rolle spielt, hat das Prinzip eine strukturelle Schwäche. Der Grundsatz erlaubt dem Gesetzgeber einen zu großen Ermessensspielraum, welcher direkt unter dem sozialen Druck von einer endlosen Sehnsucht nach Sicherheit steht und dadurch die bürgerliche Freiheit immer noch auf die leichte Schulter genommen wird. Um diese strukturelle Schwäche zu beseitigen und eine angemessene Balance zwischen Interessen zu fördern, müssen noch konkretere Prüfungsmaßstäbe entwickelt werden. Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Arbeit vorgeschlagen, dass die von der EAÜ Überwachten ähnlich wie bei einer Sicherungsverwahrung als Sonderopfer zum Wohle der Allgemeinheit zu verstehen sind. Denn die EAÜ wird als eine intensive, zusätzliche Maßnahme nach einer völligen Verbüßung einer Strafe infolge einer nicht fehlerfreien Beurteilung angeordnet. Hierbei kann das Rechtsinstitut der Entschädigung in Betracht kommen, die der Schadenbeseitigung bzw. dem Schadenausgleich dient. Folglich müssen die folgenden 6 Mindestanforderungen an eine Anordnung bzw. eine Vollstreckung der EAÜ beachtet werden: das „Ultima-ratio“-Prinzip, das Individualisierungs- und Intensivierungsgebot, das
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Motivierungsgebot, das Minimierungsgebot, das Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot und das Kontrollgebot. Ebenso müssen die Kosten der EAÜ vom Staat getragen werden. In Deutschland sind diese Anforderungen beachtet, daher ist die EAÜ nicht verfassungswidrig. Einige rechtspolitische Verbesserungsvorschläge sind denkbar. Insbesondere können eine effektivere Resozialisierung der Überwachten, eine pflichtmäßige Einholung eines externen Sachverständigengutachtens, bessere Personalressourcen und die Verkürzung der Zeitspanne für die Prüfung der Fortdauer der EAÜ vorgeschlagen werden. Darüber hinaus könnte diskutiert werden, ob ein Anspruch auf Schmerzensgeld aufgrund psychischer Belastungen durch die EAÜ besteht.
Anhang 1
Gesetz über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern [Datum des Inkrafttreten 19. 6. 2014] [Act Nr. 11558, 12. 12. 2012, teilweise Ergänzung] Übersetzt von Jinhwan Chang KAPITEL I Allgemeine Bestimmungen Artikel 1 (Zweck) Dieses Gesetz dient der Förderung von Resozialisierung der besonderen Straftäter, indem ihnen nach ihrer Haftentlassung durch koreanische Bewährungshilfe und Führungsaufsicht zur Verhinderung der Wiederholung von Straftaten belehrt, gepflegt und geholfen werden. Außerdem dient das Gesetz dem Schutz der Bürger vor diesen besonderen Straftaten durch zusätzliche Maßnahmen, indem ein elektronisches Gerät an den Körpern der besonderen Straftäter angebracht wird, das die Verfolgung ihrer Standorte und Bewegungen ermöglicht. Artikel 2 (Begriffsbestimmung) Die in diesem Gesetz verwendeten Begriffe werden wie folgt definiert: 1. Der Begriff „besondere Straftaten“ bezeichnet alle Sexualstraftaten, Delikte bei der Entführung Minderjähriger sowie alle Tötungsdelikte und Raubdelikte; 2. Der Begriff „Sexualstraftat“ bezeichnet jede Straftat der folgenden Straftatbestände: (1) Straftaten nach den Artikeln 297, 298, 299, 300, 301, 301 – 2, 302, 303 und 305 des Strafgesetzes, welche Vergewaltigung und unsittliche Handlungen betreffen, die im Kapitel XXXII Teil II aufgeführt werden, und Straftaten nach Artikel 339, 340 Absatz 3 und 342 des Strafgesetzbuchs, welche Diebstahl und Raub betreffen, die im Kapitel XXXVIII Teil II aufgeführt werden; (2) Straftaten nach den Artikeln 3 bis 10 und Artikel 15 (beschränkt auf die Versuchsstrafbarkeit nach Artikel 3 bis 9) des Gesetzes über besondere Fälle der Bestrafung bei Sexualstraftaten; (3) Straftaten nach Artikel 7 des Gesetzes über den Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexuellem Missbrauch; (4) Straftaten nach den Punkten (1) bis (3), die einer erhöhten Bestrafung aufgrund eines anderen Gesetzes unterliegen.
Anhang 1: Gesetz über die koreanische Bewährung
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3. Der Begriff „Delikt bei der Entführung Minderjähriger“ bezeichnet einen der folgenden Straftatbestände: (1) Straftaten nach den Artikeln 287, 288, 289, 290, 291, 292, 294, 296, 324 – 2 und 336 des Strafgesetzbuches begangen zu Lasten eines Minderjährigen; (2) Straftaten nach Artikel 5 – 2 des Gesetzes über erhöhte Bestrafung bei besonderen Straftaten gegen Minderjährige; (3) Straftaten nach den Punkten (a) und (b), die einer erhöhten Bestrafung aufgrund eines anderen Gesetzes unterliegen; 3 – 2. Der Begriff „Tötungsdelikt“ bezeichnet jede Straftat der folgenden Straftatbestände: (1) Straftaten nach Artikel 88 und 89, welche Aufruhr nach Kapitel I Teil II des Strafgesetzbuches betreffen, Straftaten nach den Artikeln 250, 251, 252, 253, 254 und 255, welche Tötungsdelikte nach Kapitel XXIV Teils II des selben Gesetzes betreffen, Straftaten nach Artikel 301 – 2 alter Fassung des Strafgesetzes, welche Vergewaltigung und unsittliche Handlungen nach Kapitel XXXII Teil II desselben Gesetzes betreffen, Straftaten nach Artikel 324 – 4 und 324 – 5 alter Fassung des Strafgesetzbuches, welche Nötigung nach Kapitel XXXVII Teil II betreffen, und Straftaten nach Artikel 338, Artikel 340 Absatz 3 (beschränkt auf Fälle mit Todesfolge) und Artikel 342, welche Diebstahl und Raub nach Kapitel XXXVIII Teil II des selben Gesetzes betreffen; (2) Straftaten nach Artikel 9 Absatz 1 und Artikel 15 des Gesetzes über besondere Fälle der Bestrafung bei Sexualstraftaten (beschränkt auf die Versuchsstrafbarkeit nach Artikel 9 Abs. 1); (3) Straftaten nach Artikel 5 – 2 (2) 2 (beschränkt auf die Versuchsstrafbarkeit nach Absatz (2) 2 desselben Artikels) und Absatz (6) desselben Artikels des Gesetzes über erhöhte Bestrafung besonderer Straftaten; (4) Straftaten nach den Punkten (1) bis (3), die einer erhöhten Bestrafung aufgrund eines anderen Gesetzes unterliegen; 3 – 3. Der Begriff „Raubdelikt“ bezeichnet jede Straftat der folgenden Straftatbestände: (1) Straftaten nach den Artikeln 333 bis 343 des Strafgesetzbuchs, welche Diebstahl und Raub betreffen, die im Kapitel XXXVIII Teil II des selben Gesetzes aufgeführt werden; (2) Straftaten nach Artikel 3 Absatz 2 und Artikel 15 des Gesetzes über besondere Fälle der Bestrafung bei Opfern solcher Sexualstraftaten; (3) Straftaten nach den Punkten (a) und (b), die einer erhöhten Bestrafung aufgrund eines anderen Gesetzes unterliegen; 4. Der Begriff „elektronisches Positionsbestimmungsgerät“ (im Folgenden als „elektronisches Gerät“) bezeichnet ein Ortungsgerät, dessen Lage und Bewegung sich durch Übertragung und Rückverfolgung von Funkwellen nachweisen lässt, welche durch Präsidialdekret festgelegt werden. Artikel 3 (Staatliche Verantwortung) Bei der Umsetzung dieses Gesetzes soll der Staat darauf achten, dass keine Menschenrechte der Bürger unberechtigt verletzt werden. Artikel 4 (Anwendungsbereich) Solange die verurteilte Person unter 19 Jahre alt ist, kann kein elektronisches Gerät im Sinne dieses Gesetzes an ihr befestigt werden.
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Anhang 1: Gesetz über die koreanische Bewährung KAPITEL II Anbringung eines elektronischen Geräts nach der vollständigen Verbüßung der Freiheitsstrafe
Artikel 5 (Antragung bzgl. Tragepflicht eines elektronischen Gerätes – Anbringung) 1. Die Staatsanwaltschaft kann bei einem Gericht beantragen, dass es anordnet, an einer bestimmten Person ein elektronisches Gerät anzubringen, die unter die Regelung der folgenden Unterabsätze fällt und von der angenommen wird, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für Sexualdelikte besteht (im Folgenden als „Anbringungsanordnung“ bezeichnet): (1) eine Person, die zu einer Freiheitsstrafe für die Begehung von Sexualstraftaten verurteilt wurde und innerhalb von 10 Jahren nach der Vollstreckung der Strafe oder nach der Befreiung von der Vollstreckung der Strafe ein Sexualdelikt wiederholt begangen hat; (2) eine Person, die ein Sexualdelikt wiederholt begangen hat und bereits ein elektronisches Gerät im Sinne dieses Gesetzes für die Begehung von Sexualdelikten trug; (3) eine Person, für die eine Tendenz zur Begehung von Sexualdelikten aufgrund ihrer wiederholten Begehung (einschließlich derjenigen Fälle, in denen die Person in einem rechtskräftigen Urteil für schuldig gesprochen wurde) befunden wurde; (4) eine Person, die ein Sexualdelikt an Minderjährigen unter 19 Jahren begangen hat; (5) eine Person, die gegen eine Person, die unter einer körperlichen oder psychischen Störung leiden, ein Sexualdelikt begangen hat. 2. Die Staatsanwaltschaft kann bei dem zuständigen Gericht beantragen, dass es anordnet, an einer bestimmten Person ein elektronisches Gerät anzubringen, die eine Entführung eines Minderjährigen begangen hat und von der angenommen wird, dass durch sie ein besonders hohes Wiederholungsrisiko derselben Straftat besteht. Die Staatsanwaltschaft muss jedoch eine Anbringungsanordnung für eine Person beantragen, die zu einer Freiheitsstrafe oder einer schwereren Strafe für die Begehung von Straftaten bei der Entführung Minderjähriger verurteilt wurde und diese dann verbüßt hat oder von der Vollstreckung der Strafe befreit wurde und dann wiederholt die Straftat begangen hat. 3. Die Staatsanwaltschaft kann bei einem Gericht beantragen, dass es anordnet, an einer bestimmten Person ein elektronisches Gerät anzubringen, die ein Tötungsdelikt begangen hat und von der angenommen wird, dass durch sie ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für Tötungsdelikte besteht. Die Staatsanwaltschaft muss jedoch eine Anbringungsanordnung für eine Person beantragen, die zu einer Freiheitsstrafe oder einer Strafe für die Begehung von Tötungsdelikten verurteilt wurde und diese dann verbüßt hat oder von der Vollstreckung der Strafe befreit wurde und dann wiederholt die Straftat begangen hat. 4. Die Staatsanwaltschaft kann bei dem zuständigen Gericht beantragen, dass es anordnet, an einer bestimmten Person ein elektronisches Gerät anzubringen, die die Regelung der folgenden Unterabsätze fällt und von der angenommen wird, dass durch sie ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für Raubdelikt besteht: (1) eine Person, die innerhalb von 10 Jahren nach der Vollstreckung der Strafe oder nach der Befreiung von der Vollstreckung der Strafe ein Raubdelikt wiederholt begangen hat, die zu einer Freiheitsstrafe für die Begehung von Raubdelikt verurteilt wurde; (2) eine Person, die ein Raubdelikt wiederholt begangen hat, die bereits ein elektronisches Gerät im Sinne dieses Gesetzes für die Begehung von Raubdelikt trug;
Anhang 1: Gesetz über die koreanische Bewährung
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(3) eine Person, für die eine Tendenz zur Begehung von Raubdelikten, aufgrund ihrer wiederholten Begehung (einschließlich derjenigen Fälle, in denen die Person in einem rechtskräftigen Urteil für schuldig gesprochen wurde), befunden wurde. 5. Die in den Absätzen 1. bis 4. genannten Anträge für eine Anbringungsanordnung müssen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung der Berufungsinstanz des betreffenden Strafverfahrens eingereicht werden. 6. Erscheint es im konkreten Fall aufgrund der Ergebnisse der Hauptverhandlung notwendig, kann das Gericht die Staatsanwaltschaft auffordern eine entsprechende Anbringungsanordnung zu beantragen. 7. Es ist unzulässig, eine Anbringungsanordnung nach den Absätzen 1. bis 4. zu beantragen, wenn im konkreten Fall bereits 15 Jahre vergangen sind, ohne dass das Urteil nach seinem Erlass rechtskräftig geworden ist. Artikel 6 (Untersuchung) 1. Die Staatsanwaltschaft kann, wenn es notwendig erscheint, eine Anbringungsanordnung zu beantragen, den Leiter der koreanischen Bewährungshilfe, welche für den Wohnsitz des Verdächtigen oder den Ort der zuständigen Staatsanwaltschaft zuständig ist, um die Untersuchung der Motive des Verbrechens, der Beziehung zum Opfer, des psychischen Zustands, der Gefahr der Wiederholung von Straftaten und anderer notwendigen Dinge über den Verdächtigen ersuchen. 2. Der Leiter der koreanischen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht setzt nach dem Empfang eines Untersuchungsersuchens nach Absatz 1. einen Bewährungshelfer ein, der diese Untersuchung durchführt. 3. Der nach Absatz 2. eingesetzte Bewährungshelfer beginnt unverzüglich die von der anordnenden Staatsanwaltschaft als erforderlich betrachteten Angelegenheiten zu untersuchen und legt der Staatsanwaltschaft den Untersuchungsbericht vor. 4. Die Staatsanwaltschaft kann vom Leiter nach Absatz 1 Auskunft über den aktuellen Zustand der Untersuchung verlangen. 5. Bei der Anbringungsordnung soll sich die Staatsanwaltschaft, wenn es notwendig erscheint, auf die Ergebnisse des psychiatrischen Gutachtens und anderer Expertengutachten über den Verdächtigen beziehen. Artikel 7 (Zuständigkeit bei einem Antrag auf Anbringungsanordnung) 1. Die Zuständigkeit für einen Anbringungsanordnungsantrag liegt bei derselben Stelle, welche in einem Fall der besonderen Straftat gleichzeitig die erste verhandelt hat. 2. Das Gerichtsverfahren der ersten Instanz über den Fall eines Anbringungsanordnungsantrags fällt unter die Zuständigkeit einer Kammer eines Bezirksgerichts (einschließlich der Kammer einer Zweigstelle dieses Gerichts, was auch im Folgenden gilt). Artikel 8 (Inhaltliche Form eines schriftlichen Anbringungsanordnungsantrags usw.) 1. Ein schriftlicher Anbringungsanordnungsantrag muss Folgendes beinhalten: (1) Name der Person, für die die Anbringungsanordnung beantragt wird (im Folgenden als „Person, für die die Anbringungsanordnung beantragt wird“ bezeichnet), und andere Beschreibungen, um die Person, für die die Anbringungsanordnung beantragt wird, zu identifizieren;
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(2) Tatsachen, die den Antrag rechtfertigen; (3) geltende gesetzliche Bestimmungen; (4) andere Inhalte, die durch Präsidialdekret gefordert werden. 2. Das Gericht sendet, nach Eingang eines Antrags auf Anbringungsanordnung, unverzüglich eine Kopie des schriftlichen Antrags auf Anbringungsanordnung an die Person, für die der Anbringungsanordnung beantragt wird, oder ihren Rechtsanwalt. In den Fällen, in denen der Antrag gleichzeitig mit der Verfolgung der besonderen Straftat erfolgt, soll die Kopie nicht später als 5 Tage vor Beginn des ersten Tages der Gerichtsverhandlung abgeschickt werden. Wurde der Antrag während der Hauptverhandlung des Falles der besonderen Straftat eingereicht, soll die Kopie nicht später als 5 Tage vor dem nächsten Verhandlungstag abgeschickt werden. Artikel 9 (Urteil usw. über die Anbringungsanordnung) 1. Wenn das Gericht einen Anbringungsanordnungsantrag für begründet erachtet, muss es eine Anbringungsanordnung in Form eines Urteils erlassen und für die Anbringung eine Dauer, die unter einen der folgenden Absätzen fällt, festsetzen. Im Fall einer Straftat gegen eine Person unter 19 Jahren wird die Mindestdauer der Anbringung von den folgenden Absätzen verdoppelt: (1) besondere Straftaten mit der Höchststrafe wie Todesstrafe oder lebenslange Freiheitsstrafe: 10 Jahre bis 30 Jahre; (2) besondere Straftaten, für die die Mindeststrafe eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren oder mehr vorsieht (ausgenommen sind besondere Straftaten nach Unterabsatz (1)): 3 Jahre bis 20 Jahre; (3) besondere Straftaten, für die die Mindeststrafe eine Freiheitsstrafe von weniger als 3 Jahren vorsieht (ohne die besonderen Straftaten nach Absatz (1) oder (2)): 1 Jahr bis 10 Jahre. 2. Wird eine Anbringungsanordnung für verschiedene besondere Straftaten gleichzeitig beantragt, wird die Anbringungsdauer um die Hälfte der Höchstdauer der schwersten Straftat erhöht, wobei sie nicht die Summe der Höchstdauer jeder einzelnen Straftat übersteigen darf. Sofern eine Handlung aus mehreren besonderen Straftaten besteht, wird die Anbringungsdauer für die schwerste Straftat verhängt. 3. Einer Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde, wird während der Anbringungsdauer eine Bewährungshelferin oder ein Bewährungshelfer bestellt (nach dem Gesetz über Bewährung usw.). 4. Das Gericht weist den Anbringungsanordnungsantrag in Urteilsform in einem der folgenden Fälle zurück: (1) wenn erachtet wird, dass der Anbringungsantrag unbegründet ist; (2) wenn Unschuld, Freispruch oder Zurückweisung (mit Ausnahme von Fällen, in denen eine medizinische Behandlung und Verwahrung aufgrund der Geisteskrankheit angeordnet ist) in Bezug auf den Fall der besonderen Straftat durch ein Urteil oder eine andere Entscheidung von öffentlichen Maßnahmen ergeht; (3) wenn eine Geldstrafe in Bezug auf den Fall der besonderen Straftat verhängt wird; (4) wenn in Bezug auf den Fall der besonderen Straftat die Strafe ausgesetzt oder die Strafvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird (mit Ausnahme von Fällen, in denen die Anbringungsanordnung bezüglich eines elektronischen Geräts gemäß Artikel 28 (1) geboten ist).
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5. Das Urteil über den Fall eines Anbringungsanordnungsantrags wird zusammen mit dem Urteil über den die besondere Straftat betreffenden Fall ausgesprochen. 6. Die Urteilsgründe für den Erlass einer Anbringungsanordnung sollen Tatsachen, Beschreibung der Beweismittel und anwendbare Vorschriften enthalten, welche die Voraussetzungen für das Urteil bilden. 7. Der Erlass einer Anbringungsanordnung soll nicht die Bewertung der Schuldfähigkeit des Falles der besonderen Straftat positiv beeinflussen. 8. Wenn ein Rechtsmittel oder ein Rechtsmittelverzicht sowie eine Rücknahme des Rechtsmittels in Bezug auf das Urteil über eine besonderen Straftat eingereicht wurde, gilt das entsprechend auch in Bezug auf das Urteil über den Anbringungsanordnungsantrag als eingereicht. Dies gilt auch in den Fällen, in denen ein Antrag auf Wiedereinsetzung des Rechtsbehelfs oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens sowie auf ein außerordentliches Rechtsmittels eingereicht wurde. 9. Unberührt von Absatz 8., kann die Staatsanwaltschaft oder eine Person, für die die Anbringungsanordnung beantragt wird, und eine nach Artikel 340 oder 341 der Strafprozessordnung genannte Person ein Rechtsmittel, einen Verzicht oder eine Rücknahme des Rechtsmittels in Bezug auf die Anbringungsanordnung einreichen, getrennt von dem betroffenen Fall der besonderen Straftat. Dies gilt auch in den Fällen, in denen ein Antrag auf Wiedereinsetzung des Rechtsbehelfs oder auf Wiederaufnahme des Verfahrens oder auf ein außerordentliches Rechtsmittel eingereicht wurde. Artikel 9.2 (Weisungen) 1. Beim Erlass einer Anbringungsanordnung nach Art. 9 (1) setzt das Gericht eine Überwachungsdauer an, die im Rahmen der Anbringungsdauer liegt, und kann mehr als eine Überwachungspflicht unter den folgenden Weisungen auferlegen. Es wird aber vorausgesetzt, dass die Überwachungsdauer des Überwachungsgegenstands nach Unterabschnitt (5) in einem Zeitrahmen von 500 Stunden bestimmt wird: (1) Beschränkung auf einen bestimmten Zeitabschnitt wie in der Nacht; (2) Verbot, einen bestimmten Ort oder Bereich zu betreten; (3) Beschränkung des Wohnsitzes; (4) Annäherungsverbot zu bestimmten Personen, einschließlich der Opfer; (5) Abschließen eines Rehabilitationsprogrammes für besondere Straftäter; (6) andere erforderliche Weisungen, um die Wiederholung von Straftaten zu verhindern und den Charakter und das Verhalten der Person zu festigen und zu korrigieren, welche unter eine Anbringungsanordnung gestellt wird. 2. gestrichen. Artikel 10 (Mitteilung des Gerichts bezüglich einer Anbringungsanordnung) 1. Das Gericht schickt, wenn es eine Anbringungsanordnung gemäß Artikel 9 erlässt, eine beglaubigte Kopie des Urteils an den Leiter der koreanischen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht, in deren Zuständigkeitsbereich der Wohnsitz der Person, die durch die Anbringungsanordnung verurteilt wurde – im Folgenden als „Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde“ bezeichnet –, fällt, innerhalb von 3 Tagen ab dem Zeitpunkt, an dem das Urteil rechtskräftig wurde.
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2. Der Leiter einer Justizvollzugsanstalt, einer Jugendstrafanstalt, einer Arrestanstalt sowie einer Einrichtung der medizinischen Behandlung und Verwahrung oder einer Militärstrafanstalt (im Folgenden als „Leiter einer Justizvollzugsanstalt, usw.“ bezeichnet) teilt die Freilassung einer Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde, spätestens 5 Tage vor der Freilassung dem Leiter der koreanischen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht mit, in deren Zuständigkeitsbereich der Wohnsitz dieser Person liegt. Artikel 11 (Pflichtverteidiger, usw.) Die Artikel 282 und 283 der Strafprozessordnung gelten auch für die Fälle eines Anbringungsanordnungsantrags. Artikel 12 (Vollstreckungsvollzug) 1. Eine Anbringungsanordnung wird von einem Bewährungshelfer unter der Leitung der Staatsanwaltschaft vollstreckt. 2. Die Leitung nach Absatz 1 wird schriftlich durchgeführt, begleitet von einer beglaubigten Kopie des betreffenden Urteils. Artikel 13 (Vollstreckung einer Anbringungsanordnung) 1. Die Vollstreckung der Anbringungsanordnung erfolgt durch das Anbringen eines elektronischen Geräts am Körper der Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde, unmittelbar vor ihrer Freilassung zu dem Zeitpunkt, an dem der Strafvollzug für den Fall einer besonderen Straftat beendet ist oder ausgesetzt wird, oder zu dem die Person während des Strafvollzugs auf Bewährung gesetzt wurde oder die Durchführung der medizinischen Behandlung und Verwahrung endgültig oder vorübergehend abgeschlossen wurde. Im Fall einer Anbringungsanordnung gegen eine Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde und deren Strafvollzug und Durchführung der medizinischen Behandlung und Verwahrung nicht aufgrund einer besonderen Straftat, sondern aufgrund einer anderen Straftat sich fortsetzt, erfolgt die Vollstreckung der Anbringungsanordnung, nachdem der Strafvollzug aufgrund der anderen Straftat beendet ist, erlassen wurde oder auf Bewährung entlassen wurde, oder nachdem die Durchführung der medizinischen Behandlung und Verwahrung endgültig oder vorübergehend abgeschlossen wird. 2. Die Vollstreckung einer Anbringungsanordnung soll ausgeführt werden, ohne die körperliche Unversehrtheit zu beeinträchtigen. 3. Wenn mehrere Anbringungsanordnungen vorliegen, sind sie in der festgelegten Reihenfolge zu vollstrecken. 4. Die Vollstreckung einer Anbringungsanordnung wird in einem der folgenden Fälle ausgesetzt: (1) wenn die Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde, während der Vollstreckung der Anbringungsanordnung wegen der Vollstreckung eines Haftbefehls aufgrund der Begehung einer anderen Straftat in Gewahrsam genommen wird; (2) wenn die Person, gegen die eine Anbringungsanordnung erlassen wurde, während der Vollstreckung der Anbringungsanordnung einer Vollstreckung einer Freiheitsstrafe ohne Gefängnisarbeit oder einer härteren Bestrafung aufgrund der Begehung einer anderen Straftat unterliegt; (3) wenn die Strafaussetzung zur Bewährung oder die vorläufige Beendigung der Vollstreckung während des Zeitraums, für den ein elektronisches Gerät an einer Person angebracht
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wird, die von der Strafaussetzung zur Bewährung oder der vorläufigen Beendigung der Vollstreckung betroffen ist, widerrufen wird oder außer Kraft tritt. 5. im Hinblick auf eine Anbringungsanordnung, deren Vollstreckung gemäß Absatz 4 ausgesetzt wird, wird die Restlaufzeit nach den folgenden Einstufungen vollstreckt: (1) in Fällen gemäß Absatz 4 Nr. 1 wird die Restlaufzeit vollstreckt von dem Zeitpunkt, an dem die Haft aufgehoben oder die Nichtvollstreckung der Freiheitsstrafe ohne Gefängnisarbeit oder einer härteren Bestrafung rechtskräftig wird; (2) In den Fällen nach Absatz 4 Nr. 2, wird die Restlaufzeit vollstreckt von dem Zeitpunkt, an, in dem die Vollstreckung der Strafe beendet oder ausgesetzt oder zur Bewährung ausgesetzt wird; (3) In den Fällen des Absatzes 4 Nr. 3, wird die Restlaufzeit vollstreckt von dem Zeitpunkt, an, in dem die Vollstreckung der Strafe oder die medizinische Behandlung und Verwahrung beendet wird. 6. Andere erforderliche Inhalte für die Vollstreckung und Aufhebung der Anbringungsanordnungen werden durch Präsidialdekret angeordnet. Artikel 14 (Obliegenheiten der von der Anbringung betroffenen Person) 1. Jeder Person, an der ein elektronisches Gerät angebracht worden ist (im Folgenden als „von der Anbringung betroffene Person“ bezeichnet), ist es während des Zeitraums, in dem das elektronische Gerät angebracht ist, verboten, das elektronische Gerät zu beschädigen oder von ihrem Körper nach ihrem Ermessen abzunehmen, das Gerät zu stören, die empfangenen Daten zu verändern oder anderweitig deren Verwendung zu behindern. 2. Innerhalb von 10 Tagen ab dem Datum, an dem die Vollstreckung der Strafe für den Fall der besonderen Straftat beendet oder ausgesetzt oder an dem die Freilassung zur Bewährung in Bezug auf diesen Fall beginnt, muss sich jede von der Anbringung betroffene Person bei der koreanischen Bewährungshilfe und Führungsaufsicht melden, in deren Zuständigkeitsbereich der Wohnsitz der Person liegt, und dort einen schriftlichen Bericht darüber einreichen. 3. Jede von der Anbringung betroffene Person muss im Voraus eine Erlaubnis bei der Bewährungshilfe beantragen, wenn sie ihren Wohnsitz ändert, länger als 7 Tage im Inland reist oder die Republik Korea verlassen möchte. Artikel 14 – 2 (Verlängerung der Anbringungsdauer, usw.) 1. Wenn eine von der Anbringung betroffene Person unter einen der folgenden Unterabsätze fällt, kann das Gericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Ersuchen des Leiters der zuständigen Bewährungshilfe entscheiden, die Anbringungsdauer im Umfang von einem Jahr zu verlängern oder einen Überwachungsgegenstand nach Art. 9 Abs. 1 hinzufügen oder zu verändern: (1) wenn gegen einen Überwachungsgegenstand nach Artikel 32 des Gesetzes über die Bewährungshilfe usw. ungerechtfertigt verstoßen wird; (2) wenn die Person ungerechtfertigt keinen Bericht einreicht und so gegen Art. 14 Abs. 2 verstoßen wird; (3) wenn die Person ungerechtfertigt ihren Wohnsitz ändert, ohne Genehmigung eine Inlandsreise macht oder ohne Genehmigung die Republik Korea verlässt sowie fälschlich die Genehmigung erhalten hat und so gegen Art. 14 Abs. 3 verstößt.
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2. In Fällen, in denen andere Veränderungen eintreten, die nicht in den Unterabsätzen des Art. 14 Abs. 3 geregelt sind, kann das Gericht, wenn es dies für begründet hält, auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Ersuchen des Leiters der zuständigen Bewährungshilfe entscheiden, dass Überwachungsgegenstände nach Art. 9 Abs. 3 hinzugefügt, verändert oder aufgehoben werden. Artikel 15 (Obliegenheiten des Bewährungshelfers) 1. Der Bewährungshelfer soll mit der erforderlichen Anleitung und Unterstützung dafür sorgen, dass die Wiederholung einer Straftat der von der Anbringung betroffenen Person verhindert wird und deren Resozialisierung erleichtert wird. 2. Der Bewährungshelfer kann während des Zeitraums, in dem das elektronische Gerät angebracht ist, erforderliche Maßnahmen, wie medizinische Behandlung oder Psychotherapie an einer medizinischen Einrichtung in der Nähe vom Wohnsitz der von der Anbringung betroffenen Person, ergreifen, um die Wiederholung der Straftat und übermäßiges Leid aufgrund von Beschämung zu verhindern. 3. Der Bewährungshelfer kann, wenn es nötig erscheint, vor der Vollstreckung der Anbringungsanordnung den Leiter der Haftanstalt usw. um Dokumente ersuchen, die nach Artikel 63 (Unterweisung), Artikel 64 (Resozialisierungsprogramm) und Artikel 107 (Bestrafung) des Gesetzes über Strafvollstreckung und Behandlung der Gefangenen bezüglich des Verhaltens der von der Anbringung betroffenen Person während der Strafvollstreckung oder medizinischen Behandlung und Verwahrung abgefasst werden, und mit der Person ein Interview durchführen. In einem solchen Fall sollen die Leiter der Haftanstalt usw. mit dem Bewährungshelfer kooperieren. Artikel 16 (Speicherung, Verwendung, Vernichtung usw. von Empfangsdaten) 1. Der Leiter der Bewährungshilfe empfängt die Funkwellen, die vom elektronischen Gerät, welches an einer von der Anbringung betroffenen Person angebracht ist, ausgesendet werden und speichert die relevanten Daten (im Folgenden als „Empfangsdaten“ bezeichnet). 2. Empfangsdaten dürfen nicht zur Überprüfung oder Untersuchung bereitgestellt oder veröffentlicht werden, mit Ausnahme der in den folgenden Unterabsätzen vorgesehenen Fälle: (1) wenn sie als Gegenstand einer Ermittlung oder einer Verhandlung auf Grundlage eines Verdachts, dass die von der Anbringung betroffenen Person eine besondere Straftat begangen hat, verwendet werden; (2) wenn sie von einem Bewährungshelfer verwendet werden, um für Anleitung und Unterstützung zu sorgen; (3) wenn sie von der Bewährungsprüfungskommission gemäß Artikel 5 des Gesetzes über die Bewährungshilfe usw. (im Folgenden als „Prüfungskommission“ bezeichnet) verwendet werden, um die vorläufige Aufhebung einer Anbringungsanordnung und deren Widerruf zu prüfen. 3. (gestrichen) 4. Wenn der Staatsanwalt oder der justizielle Polizeibeamte Empfangsdaten überprüft und untersucht, muss er eine Erlaubnis vom entsprechenden Amtsgericht (einschließlich Militärgericht) erhalten. Im Fall, dass er aufgrund eines dringenden Anlasses keine Erlaubnis erhalten kann, erfolgt die unmittelbare Erlaubnis nach dem Ersuchen um die Überprüfung und Untersuchung der Empfangsdaten und wird an den Leiter der Bewährungshilfe gesendet.
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5. Der Staatsanwalt oder der justizielle Polizeibeamte muss die gemäß Absatz 4 aufgrund eines dringenden Anlasses erhaltenen Empfangsdaten unmittelbar vernichten und den Leiter der Bewährungshilfe darüber benachrichtigen, wenn das Amtsgericht die Erlaubnis vom Amtsgericht ablehnt. 6. Der Leiter der Bewährungshilfe muss Empfangsdaten in jedem der folgenden Fälle vernichten: (1) wenn eine strafrechtliche Verurteilung in Verbindung mit einer Anbringungsanordnung nach Artikel 81 des Strafgesetzes ihre Wirkung verliert; (2) wenn eine strafrechtliche Verurteilung in Verbindung mit einer Anbringungsanordnung aufgrund einer Begnadigung ihre Wirkung verliert; (3) wenn 5 Jahre vergangen sind, seit die von einer Anbringung eines elektronischen Geräts betroffene Person die Anbringungsdauer beendet hat, ohne dass diese Maßregel ausgesetzt wurde oder die Person zu einer härteren Strafe verurteilt wurde sowie zur Anbringung eines elektronischen Geräts nach diesem Gesetz verpflichtet wurde. 7. Andere erforderliche Angelegenheiten für die Speicherung, Verwendung, Vernichtung usw. von Empfangsdaten werden durch Präsidialdekret angeordnet. Artikel 16 – 2 (Zur-Verfügung-Stellung von persönlichen Daten der von der Anbringung betroffenen Person) 1. Der Leiter der Bewährungshilfe kann die persönlichen Daten, welche die von der Anbringung betroffene Person gemäß Artikel 14 Absatz 2 angegeben hat, einem Ermittlungsorgan, wie dem Leiter des Polizeiamts, welches für den Wohnsitz der von der Anbringung betroffenen Person zuständig ist, zur Verfügung stellen, damit die persönlichen Daten zum Zwecke der Verbrechensverhütung und Ermittlung verwendet werden. 2. Das Ermittlungsorgan, welches gemäß Absatz 1 die persönlichen Daten der von der Anbringung betroffenen Person erhalten hat, kann dem Leiter der Bewährungshilfe Fakten, die während der Verbrechensverhütung und Ermittlung entstanden sind und für die Beaufsichtigung der von der Anbringung betroffenen Person hilfreich erscheinen, zur Verfügung stellen. 3. Der Leiter der Bewährungshilfe hat dem Ermittlungsorgan mitzuteilen, wenn die von der Anbringung betroffene Person eine Straftat begeht oder der Verdacht für eine Straftat erheblich ist. 4. Wird eine von der Anbringung betroffene Person vom Ermittlungsorgan verhaftet oder festgenommen, ist das dem Leiter der Bewährungshilfe, die für den Wohnsitz der von der Anbringung betroffenen Person zuständig ist, mitzuteilen. 5. Andere erforderliche Inhalte für Zur-Verfügung-Stellung sowie Verwaltung und Verfahren der Mitteilung gemäß Absatz 1 bis 4 werden durch Präsidialdekret angeordnet. Artikel 17 (Anträge für die vorläufige Aufhebung der Anbringungsanordnung) 1. Der Leiter der Bewährungshilfe oder die von der Anbringung betroffene Person sowie ihr gesetzlicher Vertreter kann eine vorläufige Aufhebung der Anbringungsanordnung bei der Prüfungskommission, die für entsprechende Bewährungshilfe zuständig ist, beantragen. 2. Der Antrag nach Abs. 1 gilt nach Ablauf von 3 Monaten, nachdem die Anbringungsanordnung vollstreckt wurde, als eingereicht. Wird der Antrag abgelehnt, kann er 3 Monate nach dieser Ablehnung erneut eingereicht werden.
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3. Bei Einreichung des Antrags auf vorläufige Aufhebung gemäß Abs. 2 sollen Quellen, die der Überprüfung der vorläufigen Aufhebung dienen, angefügt werden. Artikel 18 (Prüfung und Entscheidung über die einstweilige Aussetzung der Anbringungsanordnung) 1. Bei der Prüfung der einstweiligen Aussetzung berücksichtigt die Prüfungskommission Gutachten von Bewährungshelfer und Sachverständigen über den Charakter und die Lebensgewohnheiten von der Anbringung betroffener Personen sowie den Umsetzungsstand der Anbringungsanordnung und das Risiko, dass eine Person erneut in den besonderen Fällen straffällig wird. 2. Soweit es erforderlich ist, um die einstweilige Aussetzung zu überprüfen, kann die Prüfungskommission den Leiter der entsprechenden Bewährungshilfe anweisen, die erforderlichen Angelegenheiten zu überprüfen oder direkt eine von der Anbringung betroffene Person oder andere betroffene Personen vorladen, befragen oder überprüfen. 3. Der Leiter der Bewährungshilfe überprüft unmittelbar nach Eingang einer Anweisung nach Absatz 2 die erforderlichen Angelegenheiten und teilt dies der Prüfungskommission mit. 4. Die Prüfungskommission kann die einstweilige Aussetzung der Anbringungsanordnung beschließen, wenn zu erwarten ist, dass bei der von der Anbringung betroffenen Person kein Wiederholungsrisiko der Begehung einer Straftat besteht, da ihre Neigung Straftaten zu begehen, insoweit berichtigt wurde, dass es nicht notwendig ist, weiterhin die Anbringungsanordnung zu vollstrecken. In solchen Fällen kann die Prüfungskommission die von der Anbringung betroffene Person dazu veranlassen, dass sie regelmäßig über die Details ihrer Aufenthaltsveränderung an den Leiter der Bewährungshilfe berichtet. 5. Wenn die Prüfungskommission gegen die einstweilige Aussetzung der Anbringungsanordnung entscheidet, muss sie die Gründe dafür in der schriftlichen Entscheidung angeben. 6. Wenn eine Anbringungsanordnung gemäß Abs. 4 vorläufig aufgehoben wird, gelten die nach Art. 9 Abs. 3 angeordnete Bewährungshilfe und die gemäß Art. 9 Abs. 2 auferlegte Überwachungspflicht sowie die nach Art. 61 Abs. 3 angeordnete Bewährungshilfe des Gesetzes über besondere Fälle der Bestrafung bei Sexualstraftaten als vorläufig aufgehoben. Artikel 19 (Widerruf der einstweiligen Aussetzung) 1. Wenn eine Person, für die eine Anbringungsanordnung vorläufig aufgehoben wurde, eine besondere Straftat begeht oder die Details ihrer Aufenthaltsveränderung nicht berichtet, sowie wenn von der Person auf andere Weise zu erwarten ist, dass eine Wiederholungsgefahr für die Begehung einer Straftat besteht, kann der Leiter der entsprechenden Bewährungshilfe einen Antrag bei der zuständigen Prüfungskommission für den Widerruf der einstweiligen Aussetzung einreichen. In solchen Fällen widerruft die Prüfungskommission die vorläufige Aufhebung, wenn von dieser Person zu erwarten ist, dass bei ihr eindeutig ein Risiko besteht, dass sie erneut straffällig wird. 2. Jede Person, für die eine vorläufige Aufhebung nach Abs. 1 widerrufen wird, trägt das elektronische Gerät während der verbleibenden Durchführungsdauer der Anbringungsanordnung. In solchen Fällen wird die Dauer der einstweiligen Aussetzung nicht in die Durchführungsdauer der Anbringungsanordnung einbezogen.
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Artikel 20 (Abschluss der Vollstreckung der Anbringungsanordnung) Die Vollstreckung einer gemäß Artikel 9 ergangenen Anbringungsanordnung muss in jedem der folgenden Fälle abgeschlossen werden: (1) wenn die Durchführungsdauer der Anbringungsanordnung abgelaufen ist; (2) wenn eine die Anbringungsanordnung begleitende strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer Begnadigung ihre Wirkung verliert; (3) gestrichen; (4) wenn in Bezug auf eine Person, für die die Anbringungsanordnung vorläufig aufgehoben wurde, die verbleibende Durchführungsdauer der Anbringungsanordnung ohne Widerruf der vorläufigen Aufhebung abgelaufen ist. Artikel 21 (Verjährung der Anbringungsanordnung) 1. Jede von einer Anbringungsanordnung betroffene Person wird von der Vollstreckung der Anbringungsanordnung befreit, wenn die Verurteilung wegen einer besonderen Straftat, die mit der Anbringungsanordnung verbunden ist, verjährt ist, ohne dass eine solche Anordnung vollstreckt wurde, nachdem das betreffende Urteil rechtskräftig wurde. 2. Die Verjährung einer Anbringungsanordnung wird durch die Festnahme der von der Anbringungsanordnung betroffenen Person unterbrochen. KAPITEL II-2 Bewährungshilfe nach der Haftentlassung Artikel 21 – 2 (Antrag für eine Anordnung der Bewährungshilfe) 1. Der Staatsanwalt kann beim Gericht beantragen, dass es anordnet, gemäß dem Gesetz über Bewährung usw. einer Person einen Bewährungshelfer zu bestellen (im Folgenden als „Anordnung der Bewährungshilfe“ bezeichnet), für die auf eine Regelung der folgenden Unterabsätze zutrifft: (1) eine Person, die ein Sexualdelikt begangen hat, und von der zu erwarten ist, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für Sexualdelikte besteht; (2) eine Person, die einen Minderjährigen entführt hat, und von der zu erwarten ist, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für die Entführung von Minderjährigen besteht; (3) eine Person, die ein Tötungsdelikt begangen hat, und von der zu erwarten ist, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für ein Tötungsdelikt besteht; (4) eine Person, die ein Raubdelikt begangen hat, und von der zu erwarten ist, dass ein besonders hohes Wiederholungsrisiko für ein Raubdelikt besteht. 2. Nimmt das Gericht bezüglich des Falles, bei dem der Anbringungsanordnungsantrag gestellt wurde, an, dass stattdessen die Anordnung der Bewährungshilfe erforderlich sei, kann es dem Staatsanwalt um den Antrag auf eine Anordnung der Bewährungshilfe ersuchen. Artikel 21 – 3 (Urteil über eine Anordnung der Bewährungshilfe) Das Gericht soll der Person, die auf eine Regel der Unterabsätze von Artikel 21 – 2 Nr. 1 zutrifft und einer Freiheitstrafe ohne Gefängnisarbeit oder einer härteren Bestrafung unterliegt, sowie von der angenommen wird, dass der Antrag für Anordnung der Bewährung erforderlich sei, die Anordnung der Bewährungshilfe in Höhe von mehr als 2 Jahren und weniger als 5 Jahren erlassen.
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Artikel 21 – 4 (Weisungen) Beim Erlass der Anordnung der Bewährungshilfe nach Artikel 21 – 3 setzt das Gericht Weisungen an, die auf eine Regel der Unterabsätze von Art. 9 – 2 Abs. 1 zutreffen. Dabei darf die Weisung gemäß Art. 9 – 2 Abs. 1 Satz. 4 300 Stunden nicht überschreiten. Artikel 21 – 5 (Vollstreckung der Anordnung der Bewährungshilfe) Die Vollstreckung der Anordnung der Bewährungshilfe erfolgt unmittelbar vor der Freilassung der Person zu dem Zeitpunkt, an dem der Strafvollzug für den Fall einer besonderen Straftat beendet ist oder ausgesetzt wird, oder an dem die Person während des Strafvollzugs auf Bewährung gesetzt wurde oder die Durchführung der medizinischen Behandlung und Verwahrung endgültig oder vorübergehend abgeschlossen wurde. Im Fall einer Anordnung der Bewährung gegen eine Person, gegen die eine Anordnung der Bewährung erlassen wurde und deren Strafvollzug und Durchführung der medizinischen Behandlung und Verwahrung sich nicht aufgrund einer besonderen Straftat, sondern aufgrund einer anderen Straftat fortsetzen, erfolgt die Vollstreckung der Anordnung der Bewährung, nachdem der Strafvollzug aufgrund der anderen Straftat beendet, erlassen oder auf Bewährung befreit wird, oder nachdem die Durchführung der medizinischen Behandlung und Verwahrung endgültig oder vorübergehend abgeschlossen wird. Artikel 21 – 6 (Obliegenheit der unter Bewährungshilfe gestellten Person) 1. Innerhalb von 10 Tagen ab dem Datum, an dem die Vollstreckung der Strafe für den Fall der besonderen Straftat beendet oder ausgesetzt wird sowie die Freilassung zur Bewährung in Bezug auf diesen Fall beginnt, muss sich jede unter Bewährungshilfe gestellte Person bei der Bewährungshilfe melden, in deren Zuständigkeitsbereich der Wohnsitz der Person liegt, und dort einen schriftlichen Bericht darüber einreichen. 2. Jede unter Bewährungshilfe gestellte Person muss im Voraus eine Erlaubnis bei der Bewährungshilfe beantragen, wenn sie ihren Wohnsitz ändern, länger als 7 Tage im Inland reisen oder die Republik Korea verlassen möchte. Artikel 21 – 7 (Verlängerung der Bewährungszeit usw.) 1. Verstößt die unter Bewährungshilfe gestellte Person ohne gerechtfertigten Grund gegen die Auflage, die nach Artikel 21 – 4, 32 des Gesetzes über Bewährung oder 21 – 6 zu beachten ist, kann das Gericht eine der folgenden Entscheidung treffen, die auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Ersuchen des Leiters der zuständigen Bewährungshilfe erfolgt: (1) Verlängerung der Bewährungszeit und Anbringung des elektronischen Geräts im Umfang von einem Jahr; (2) Zusätzliche Weisungen oder deren Änderung gemäß Artikel 21 – 4. 2. Die beiden Maßnahmen im Absatz 1 können gleichzeitig erlassen werden. 3. In Fällen, in denen andere Veränderungen eintreten, die nicht in Artikel 21 – 4 geregelt sind, kann das Gericht, wenn es dies für begründet hält, auf Antrag der Staatsanwaltschaft nach Ersuchen des Leiters der zuständigen Bewährungshilfe entscheiden, dass Weisungen nach Artikel 21 – 4 hinzugefügt, verändert oder aufgehoben werden. Artikel 21 – 8 (Bestimmung der Anwendung) Bezüglich der unter Bewährungshilfe gestellten Person werden Bestimmungen von Art. 5 Abs. 5 und 7, Art. 6 bis 8, Art. 9 Abs. 2 bis 9, Art. 10 bis 12, Art. 13 Abs. 3 bis 6, Art. 15 und
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Art. 17 bis 21 angewandt. Dabei gelten „Anbringungsanordnung“ als „Anordnung der Bewährungshilfe“, „Anbringungsdauer“ als „Bewährungszeit“, „eine Person, für die die Anbringungsanordnung beantragt wird“ als „eine Person, für die die Anordnung der Bewährungshilfe beantragt wird“, „von der Anbringung betroffene Person“ als „unter Bewährungshilfe gestellte Person“ und „Anbringung des elektronischen Geräts“ als „Bewährungshilfe“. KAPITEL III Aussetzung des Strafrestes, vorläufige Aussetzung der Vollstreckung und die Anbringung von elektronischen Geräten Artikel 22 (Aussetzung des Strafrestes und Anbringung von elektronischen Geräten) 1. Eine Person, die nicht von einer Anbringungsanordnung nach Art. 9 betroffen ist, eine besondere Straftat begangen hat und unter Bewährungshilfe gestellt wird, nachdem sie zur Bewährung entlassen wurde, muss während der Bewährungszeit ein elektronisches Gerät tragen, um die Durchführung der Weisungen zu gewährleisten – ausgenommen jedoch, wenn die Prüfungskommission gegen die Anbringung des elektronischen Geräts entscheidet. 2. Die Prüfungskommission unterrichtet unverzüglich nach Absatz 1 den Leiter einer Bewährungshilfe, welche für den Wohnsitz der von der Anbringung betroffenen Person zuständig ist, über Angelegenheiten, die für die Anbringung des elektronischen Geräts erforderlich sind, einschließlich der Identität der unter Bewährung stehenden Person. 3. Der Leiter einer Justizvollzugsanstalt teilt dem Leiter der Bewährungshilfe, die für den Wohnsitz der Person, die zur Bewährung entlassen wird, zuständig ist, die tatsächliche Aussetzung zur Bewährung nicht später als 5 Tage vor dieser Aussetzung mit. Artikel 23 (Vorläufige Aussetzung der Vollstreckung und die Anbringung von elektronischen Geräten) 1. Die medizinische Behandlung und der beratende Verwahrungsausschuss nach Art. 37 des medizinischen Behandlungs- und Verwahrungsgesetzes (im Folgenden als „medizinische Behandlung und beratender Verwahrungsausschuss“ bezeichnet) können anordnen, dass entweder eine Person, die nicht von einer Anbringungsanordnung nach Art. 9, sondern von einer medizinischen Behandlung und Verwahrung betroffen ist, und eine besondere Straftat begangen hat und während der Vollstreckung der medizinischen Behandlung und Verwahrung unter die vorläufige Beendigung der Vollstreckung gestellt wird oder für eine Behandlung beauftragt wird, oder eine Person, die von Sicherung und Verwahrung betroffen ist und während der Vollstreckung der Sicherung und Verwahrung (im Folgenden als „Person, die unter die vorläufige Beendigung der Vollstreckung gestellt wird,“ bezeichnet) vorläufig aus dem Gefängnis entlassen wurde, ein elektronisches Gerät für eine bestimmte Zeit trägt, die nicht die Bewährungszeit überschreitet, um die Umsetzung der Überwachung der Angelegenheiten nach dem medizinischen Behandlungs- und Verwahrungsgesetz sowie Sozialschutzgesetz (es wird auf das in Kraft getretene Gesetz Bezug genommen, bevor es durch das Gesetz Nr. 7656 aufgehoben wurde.) zu gewährleisten. 2. Die medizinische Behandlung und der beratende Verwahrungsausschuss unterrichten den Leiter der Bewährungshilfe, die für den Wohnsitz der von dieser Entscheidung betroffenen Person zuständig ist, über den Erlass der Entscheidung, eine elektronische Vorrichtung gemäß Absatz 1 anzubringen. 3. Der Leiter der medizinischen Behandlungs- und Verwahrungsanstalt, der Leiter der Sicherungs- und Verwahrungsanstalt oder der Gefängnisdirektor sollen dem Leiter der Be-
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währungshilfe, die für den Wohnsitz der von der vorläufigen Beendigung der Vollstreckung betroffenen Person zuständig ist, bis spätestens 5 Tage vor der vorläufigen Beendigung, Beauftragung oder vorläufigen Haftentlassung darüber eine Mitteilung machen. Artikel 24 (Anbringung von elektronischem Gerät) 1. Die Anbringung eines elektronischen Gerätes wird von einem Bewährungshelfer durchgeführt. 2. Das elektronische Gerät wird unmittelbar vor der Entlassung in die Freiheit zum Zeitpunkt unter einem der folgenden Unterabsätze angebracht: (1) Zeitpunkt der Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung; (2) Zeitpunkt der vorläufigen Beendigung der Vollstreckung oder der Beauftragung zur Behandlung sowie der vorläufigen Entlassung aus dem Gefängnis: Ist die Person, die von der vorläufigen Beendigung der Vollstreckung betroffen ist, gleichzeitig von einer medizinischen Behandlung, Verwahrung und Bestrafung betroffen, wird das elektronische Gerät an dem Zeitpunkt angebracht, an dem die Strafvollstreckung beendet wurde oder sie von dieser befreit wurde, wenn die Strafe noch nicht zu verbüßen ist. 3. Wird gegen eine Person während der Vollstreckung der Anbringung eines elektronischen Geräts ein Haftbefehl erlassen, weil sie gegen eine Weisung verstößt, die während der Bewährungszeit zu beachten ist, wird die Vollstreckung der Anbringung ausgesetzt. In einem solchen Fall wird die Restlaufzeit ab dem Zeitpunkt vollstreckt, an dem die Prüfungskommission die vom Leiter der zuständigen Bewährungshilfe beantragte Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung ablehnt oder der Justizminister die von der Prüfungskommission beantragte Genehmigung ablehnt. Artikel 25 (Beendigung der Vollstreckung der Anbringung) Die Vollstreckung der Anbringung eines elektronischen Geräts gemäß den Art. 22 und 23 wird in einem der folgenden Fälle beendet: (1) wenn die vorgesehene Bewährungszeit abgelaufen ist oder die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung ihre Wirkung verliert oder widerrufen wird; (2) wenn die Zeit der Anbringung für die Person, die unter die vorläufige Beendigung der Vollstreckung gestellt wird, abgelaufen oder die Zeit der Bewährungshilfe abgelaufen ist; (3) wenn die strafrechtliche Verurteilung aufgrund einer Begnadigung oder eines Straferlasses ihre Wirkung verliert; (4) gestrichen. Artikel 26 (Verwendung der Empfangsdaten) Der Bewährungshelfer kann die Empfangsdaten zum Zweck der Bereitstellung von Beratung, Betreuung und Unterstützung der nach dem Gesetz über die Bewährungshilfe usw. unter Bewährung gestellten Person verwenden, einschließlich zum Zweck der Ermittlung, ob die zu beachtenden Weisungen umgesetzt wurden. Artikel 27 (entsprechende Anwendung) Im Hinblick auf die Anbringung von elektronischem Gerät gelten gemäß diesem Kapitel die Art. 13 Abs. 2, Abs. 4 Nr. 1, Abs. 5 Nr. 1, Abs. 6, Art. 14 und Art. 15 bis 19.
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KAPITEL IV Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung und Anbringungsanordnung Artikel 28 (Aussetzung der Strafvollstreckung zur Bewährung und Anbringungsanordnung) 1. Wird einer Person, die eine besondere Straftat begangen hat, unter der Bedingung, dass die Strafvollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird, ein Bewährungshelfer bestellt, kann das Gericht anordnen, dass sie ein elektronisches Gerät für einen bestimmten Zeitraum trägt, der nicht die Bewährungszeit überschreitet, um die Umsetzung der Weisungen zu gewährleisten. 2. Das Gericht kann während der Umsetzung der Anbringungsanordnung nach Absatz 1 die erforderlichen Maßnahmen – einschließlich der medizinischen Behandlung in einer nahe gelegenen medizinischen Einrichtung, beratenden Behandlung bei einer eingerichteten Beratungsstelle usw. – ergreifen, um die von der Anbringungsanordnung betroffene Person davon abzuhalten, erneut straffällig zu werden. 3. Das Gericht kann, wenn es notwendig erscheint, eine Anbringungsanordnung nach Absatz 1 zu erlassen, den Leiter der Bewährungshilfe, welche für den Wohnsitz des Beschuldigten oder am Gerichtsstandort zuständig ist, auffordern, die notwendigen, den Beschuldigten betreffenden Angelegenheiten – einschließlich der Motive für die Straftat, die Beziehung zum Opfer, den psychischen Zustand und die Wiederholungsgefahr für eine Straftat – zu untersuchen. Artikel 29 (Vollstreckung der Anbringungsanordnung) 1. Die Anbringungsanordnung wird vollstreckt, sobald ein Gerichtsurteil die Anbringung eines elektronischen Geräts rechtskräftig anordnet. 2. Wenn gegen eine Person während der Vollstreckung einer Anbringungsanordnung ein Haftbefehl wegen eines Verstoßes gegen zu beachtende Weisungen erlassen wird, wird die Vollstreckung der Anbringungsanordnung ausgesetzt. In einem solchen Fall wird die Restlaufzeit ab dem Zeitpunkt vollstreckt, an dem die Staatsanwaltschaft einen vom Leiter der zuständigen Bewährungshilfe beantragten Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung ablehnt oder an dem das Gericht einen von Staatsanwaltschaft beantragten Widerruf der Aussetzung der Strafvollstreckung ablehnt. Artikel 30 (Beendigung der Vollstreckung der Anbringungsanordnung) Die Vollstreckung einer Anbringungsanordnung nach Art. 28 wird in einem der folgenden Fälle beendet: (1) wenn der Ausführungszeitraum der Anbringungsanordnung abgelaufen ist; (2) wenn die Aussetzung der Strafvollstreckung ihre Wirkung verliert oder widerrufen wird; (3) wenn das Strafurteil, dessen Vollstreckung ausgesetzt wird, durch Straferlass seine Wirkung verliert; (4) gestrichen. Artikel 31 (entsprechende Anwendung) Im Hinblick auf Anbringungsanordnungen gelten gemäß diesem Kapitel Art. 6, 9 Abs. 5 bis 7, Art. 10 Abs. 1, Art. 12, 13 Abs. 2, 4 Nr. 1, Abs. 5. Nr. 1 und Abs. 6, Art. 14, 15 Abs. 1, Art. 16 bis 19 und Art. 26.
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Anhang 1: Gesetz über die koreanische Bewährung KAPITEL V Zusätzliche Bestimmungen
Artikel 32 (Berechnung des Zeitraums zur Anbringung vom elektronischen Gerät) 1. Der Zeitraum der Anbringung eines elektronischen Geräts beginnt mit dem Zeitpunkt der Vollstreckung. Dabei wird der erste Tag als ganzer Tag ohne Rücksicht auf die Anzahl der tatsächlich vergangenen Stunden angerechnet. 2. Der Zeitraum, den die von der Anbringung betroffene Person etwa durch die Beschädigung oder die Trennung von ihrem Körper behindert hat, wird nicht in den Zeitraum der Anbringung des elektronischen Geräts eingerechnet. Dabei darf der Zeitraum, für den eine unter Bewährungshilfe gestellte Person ein elektronisches Gerät zu tragen hat, nicht die Bewährungszeit überschreiten. Artikel 32 – 2 (Beauftragung eines Bewährungshelfers mit umfassenden Aufgaben bei der Vollstreckung einer Anbringungsanordnung, usw.) Der Leiter einer Bewährungshilfe beauftragt einen Bewährungshelfer aus dem Kreis dieser Bewährungshilfe mit umfassenden Aufgaben bei folgenden Angelegenheiten: (1) Ermittlungen bezüglich eines Verdächtigen, die für einen Anbringungsanordnungsantrag und Anordnung der Bewährungshilfe erforderlich sind; (2) Vollstreckung der Anbringungsanordnung und der Anordnung der Bewährungshilfe; (3) Einführung von notwendigen Maßnahmen, um die Wiederholung von Straftaten durch eine von einer Anbringung betroffenen Person sowie eine unter Bewährungshilfe gestellten Person zu verhindern und ihre Resozialisierung zu erleichtern; (4) Anleitung, Betreuung und Unterstützung der von der Anbringung betroffenen Person sowie der unter der Bewährungshilfe gestellten Person, wie z. B. die Gewährleistung der Ausführung der zu beachtenden Weisungen in Übereinstimmung mit dem Gesetz über die Bewährungshilfe. Artikel 33 (Gesetzliche Fiktion als vorläufige Aufhebung der Anbringung vom elektronischen Gerät) Die vorläufige Aufhebung der Bewährungszeit gilt als die vorläufige Aufhebung der Anbringung eines elektronischen Geräts. Artikel 34 (Sonderregeln für Personen, die dem Militärgesetz unterliegen) Bei der Anwendung dieses Gesetzes in Bezug auf eine Person, die einem Absatz von Art. 2 des Militärgerichtsgesetz unterliegt, werden bezüglich der Aufgaben in diesem Gesetz die Aufgaben eines Gerichts durch ein Militärgericht, die eines Staatsanwalts durch einen Militärstaatsanwalt, die eines justiziellen Polizisten durch einen militär-justiziellen Polizisten und diejenigen eines Leiters einer Justizvollzugsanstalt durch einen Leiter einer Militärstrafanstalt durchgeführt. Artikel 35 (entsprechende Anwendung von anderen Gesetzen) Sofern nicht an anderer Stelle in diesem Gesetz erwähnt, gelten die Bestimmungen der Strafprozessordnung und des Gesetzes über die Bewährungshilfe entsprechend dem Geltungsbereich dieses Gesetzes in dem Umfang, der nicht gegen den Rechtscharakter dieses Gesetzes verstößt.
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KAPITEL VI Strafvorschriften Artikel 36 (Strafvorschriften) 1. Wenn eine Person, die verpflichtet ist, das elektronische Gerät anzubringen, dieses vom Körper der von der Anbringung betroffenen Person ablöst, oder ein solches elektronisches Gerät ohne gerechtfertigten Grund beschädigt, wird sie mit einer Freiheitsstrafe für eine begrenzte Laufzeit von nicht weniger als 1 Jahr bestraft. 2. Wenn eine Person, die verpflichtet ist, das elektronische Gerät anzubringen, eine Straftat nach Absatz 1 nach dem Empfang, der Aufforderung oder dem Versprechen von Geld oder einem Wertgegenstand begeht, wird sie mit einer Freiheitsstrafe für eine begrenzte Laufzeit von nicht weniger als 2 Jahren bestraft. 3. Wenn eine Person, die mit der Verwaltung der Empfangsdaten beschäftigt ist, gegen Art. 16 Nr. 2 verstößt, wird sie mit einer Freiheitsstrafe für eine begrenzte Laufzeit von nicht weniger als 1 Jahr bestraft. Artikel 37 (Strafvorschriften) 1. Jede Person, die falsche Angaben gegenüber einem Amt oder einem Amtsträger macht oder eine Straftat gemäß Artikel 152 Abs. 1 des Strafgesetzes mit der Absicht begeht, dass für eine andere Person eine Anbringungsanordnung oder Anordnung der Bewährung erlassen wird, wird mit einer Freiheitsstrafe für nicht mehr als 10 Jahre bestraft. 2. Jede Person, die in Bezug auf einen Anbringungsanordnungsantrag oder Antrag der Anordnung der Bewährungshilfe nach Kapitel II eine Straftat gemäß Artikel 154, 233 oder 234 des Strafgesetzes (ausgenommen ist das Erstellen eines falschen ärztlichen Attests) mit der Absicht begeht, einer Person, für die eine Anbringungsanordnung oder Anordnung der Bewährungshilfe beantragt wurde, zu schaden, wird mit einer Freiheitsstrafe mit oder ohne Gefängnisarbeit für nicht mehr als 10 Jahre bestraft. In solchen Fällen, kann die Aussetzung dieser Maßregel gleichzeitig um bis zu 10 Jahre erweitert werden. Artikel 38 (Strafvorschriften) Wenn die von der Anbringung eines elektronischen Geräts betroffene Person während des Zeitraums, in dem das elektronische Gerät angebracht ist, das elektronische Gerät beschädigt oder von ihrem Körper nach ihrem Ermessen abnimmt, das Gerät stört oder die empfangenen Daten verändert sowie anderweitig deren Verwendung behindert und somit Art. 14 (einschließlich von Fällen, in denen Entsprechendes nach den Art. 27 und 31 gilt) verletzt, wird ihr eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als 7 Jahren oder eine Geldstrafe, die 20 Millionen Won nicht überschreiten darf, auferlegt. Artikel 39 (Strafvorschriften) 1. Wenn die von der Anbringung betroffene Person oder unter Bewährungshilfe gestellte Person gegen die Weisung, die nach Art. 9 – 2 Abs. 1 Nr. 3 oder Nr. 4 zu beachten ist, ohne gerechtfertigten Grund verstößt, wird sie mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 3 Jahren oder mit einer Geldstrafe von bis zu 10 Millionen Won belegt. 2. Wenn die von der Anbringung betroffene Person oder unter Bewährungshilfe gestellte Person gegen die Weisung, die nach Art. 32 Abs. 2 oder 3 des Gesetzes über Bewährung usw. zu beachten ist, ohne gerechtfertigten Grund verstößt und demnach gegen Art. 38 desselben Gesetzes verstößt und daher ermahnt wird, wiederum gegen diese Auflage – Art. 32 Abs. 2 oder
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Abs. 3 – ohne gerechtfertigten Grund verstößt, kann ihr eine Freiheitsstrafe von bis zu 1 Jahr oder eine Geldstrafe von bis zu 5 Millionen Won auferlegt werden. 3. Wenn eine von der Anbringung betroffene Person oder unter Bewährungshilfe gestellte Person gegen die Weisung, die nach Art. 9 – 2 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 2, Nr. 2 – 2, Nr. 5 zu beachten ist, ohne gerechtfertigten Grund verstößt, kann sie mit einer Geldstrafe von bis zu 10 Millionen Won belegt werden.
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Urteil des Verfassungsgerichts der Republik Korea vom 27. 12. 2012 Übersetzt von Jinhwan Chang
A. Sachverhalte I. Fall 1
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Am 20. 10. 2006 wurde der Beschwerdeführer A vom Lokalgerichtshof Daejeon wegen Vergewaltigung sowie Verstößen gegen das Opferschutzgesetz zu einer 4-jährigen Haftstrafe verurteilt. Nach verbüßter Haftstrafe wurde er am 6. 8. 2010 wieder entlassen. Der zuständige Staatsanwalt hatte am 26. 7. 2010 beim Lokalgerichtshof Chungju die Überwachung von A mit einer elektronischen Fußfessel nach § 2 Abs. 1 der Zusatzbestimmung zum Gesetz über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern (im Folgenden „Zusatzbestimmung“) beantragt. Dieses Gesetz wurde im April 2010 dahingehend geändert, dass eine elektronische Überwachung auch rückwirkend angeordnet werden kann, selbst wenn nach der Beendigung der Vollstreckung der Strafe noch keine 3 Jahre vergangen sind. Das Gericht hat sodann beim Verfassungsgericht einen Antrag auf Prüfung der Verfassungsmäßigkeit der Norm gestellt. II. Fall 22 Beschwerdeführer B wurde am 15. 11. 2007 vom Oberlandesgericht Seoul u. a. wegen Vergewaltigung zu einer Haftstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Bevor er am 12. 8. 2010 aus der Haft entlassen wurde, hat das Lokalgericht von Süd-Seoul die elektronische Überwachung für 10 Jahre gem. § 2 der Zusatzbestimmung beschlossen. Nach erfolgloser Beschwerde hat B am 23. 12. 2011 eine Verfassungsbeschwerde eingelegt. B. Ansicht der Beschwerdeführer Zwar stellt die elektronische Aufenthaltsüberwachung einen Mechanismus zum Schutze der Bevölkerung vor Sexualstraftaten dar. Da jedoch Grundrechte wie die körperliche Freiheit sowie Persönlichkeitsrechte des Trägers betroffen sind, kommt sie einer Strafe gleich. Nach dem in § 13 Abs. 1 der Verfassung der Republik Korea (im Folgenden „Verfassung“) verankerten Gesetzlichkeitsprinzip muss auch diese Maßregel diesem Prinzip entsprechen und darf nicht rückwirkend angewandt werden.
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KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunGa 82. KorVerfG Plenum, Entscheidung vom 27. 12. 2012, 2010 HunBa 393.
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Vorliegend wird jedoch die Zusatzbestimmung auf einen vor ihrem Inkrafttreten liegenden Sachverhalt angewandt und stellt somit einen Verstoß gegen § 13 Abs. 1 Verfassung dar. Zudem werden dadurch der Vertrauensschutz, dass bei Gesetzesänderungen keine nachteiligen Rückwirkungen in Kraft treten dürfen, sowie Grundrechte des Betroffenen verletzt. C. Ansicht der 4 Richter für die Verfassungsmäßigkeit
§ 13 Abs. 1 Verfassung verbietet sowohl eine rückwirkende Anwendung von Straftatbeständen als auch eine rückwirkende Verhängung einer Strafe (siehe VerfG 16. 2. 1996, Hunga 2, Urteilssammlung 8 – 1, 51, 83 etc.). Um jedoch festzustellen, ob im vorliegenden Fall überhaupt das Gesetzlichkeitsprinzip berührt wird, müssen die Begriffe „Straftat“ und „Strafe“ näher bestimmt werden. Es ist der Charakter der Anordnung einer elektronischen Überwachung nach der Zusatzbestimmung zu bestimmen, ob es sich um eine Maßregel oder um eine Strafe handelt, und ob im jeweiligen Fall eine rückwirkende Anwendung möglich ist.
Eine Strafe ist eine Sanktion, die nach allgemeiner Ansicht an eine in der Vergangenheit liegende Straftat und festgestellte Schuld anknüpft. Eine Maßregel dagegen stellt auf eine Gefährlichkeitsprognose ab. Sie soll somit Straftaten vorbeugen und dient dem Schutz der Allgemeinheit. Letztere Sanktion kann auch anstelle oder neben einer Strafe angeordnet werden. Auch aus historischer Sicht wurde die Maßregel zur Besserung der Rechtsbrecher ins Leben gerufen, bei denen zu befürchten war, dass die Verhängung einer Strafe nicht zum gewünschten Erfolg führen würde. Beide Maßnahmen gehören zu den strafrechtlichen Sanktionsmöglichkeiten. Doch hat die Strafe ihren Schwerpunkt im Aspekt der Vergeltung. Bei der Maßregel zur Besserung und Sicherung steht die Vorbeugung weiterer Straftaten im Vordergrund. Durch den stetigen Zuwachs von Möglichkeiten weiterer Maßnahmen, z. B. Bewährungsstrafen oder Sozialstunden, verwischen sich die Grenzen der Maßregel und der Strafe. Für die Einordnung einer neuen Sanktion kann somit nicht lediglich darauf abgestellt werden, ob an eine in der Vergangenheit begangene schuldhafte Straftat oder an eine Gefährlichkeitsprognose angeknüpft wird. Dennoch kann nicht bestritten werden, dass beide Maßnahmen grundlegend unterschiedlich sind. In Deutschland bestimmt § 2 Abs. 6 StGB, dass über Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zur Zeit der Entscheidung gilt. In den USA wird das nachträgliche Auferlegen von strengen Bewährungsauflagen nicht als Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot angesehen und verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Strafe und Maßregeln.
Die Anordnung einer EAÜ bezweckt den Schutz der Bevölkerung vor weiteren Straftaten und die Resozialisierung des Sexualstraftäters, § 1 Gesetz über die EAÜ (im Folgenden „EAÜG“). Eine EAÜ kann von der Staatsanwaltschaft für bestimmte Sexualstraftäter beim zuständigen Gericht beantragt werden, wenn zu befürchten ist, dass ein Rückfallrisiko besteht (§ 5 Abs. 1 EAÜG). Die Staatsanwaltschaft kann zur Bestimmung des Rückfallrisikos
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weitere Ermittlungen nach § 6 Abs. 1 EAÜG sowie psychiatrische Gutachten nach § 6 Abs. 4 EAÜG beantragen und muss die Ergebnisse der Gutachten berücksichtigen. Die Möglichkeit der Anordnung einer EAÜ hängt somit von dem Grad des Rückfallrisikos ab. Bei der Beurteilung müssen die Staatsanwaltschaft und das Gericht die wissenschaftlichen Ergebnisse der Sachverständigen zugrunde legen und das Wesen sowie die Schwere der Straftat bestimmen, um über das Vorliegen der Voraussetzungen einer EAÜ und deren Dauer zu entscheiden (§ 9 Abs. 1 EAÜG). Die Anordnung einer EAÜ darf sich bei der Strafbemessung nicht mildernd auswirken (§ 9 Abs. 7 EAÜG). Auch ist das Strafmaß der Sexualstraftat von der nachfolgenden Anordnung und Festsetzung der Dauer einer EAÜ zu trennen. Denn beide Mittel haben verschiedene Ziele und Voraussetzungen, sodass sich die Anordnung einer EAÜ nicht strafmildernd auswirken darf 1947, 2009 5). Im Gesetz(siehe Oberstes Gerichtshof Urteil vom 14. 5. 2009 2009 gebungsverfahren der Zusatzbestimmung wurde diskutiert, ob die Anordnung der EAÜ in einem Gesetz über die Bewährung erfasst sein sollte. Dies hätte zur Folge, dass sie als eine Art der Bewährung bzw. als der Bewährung sehr ähnlich angesehen worden wäre. Es wurde diskutiert, ob „nach Abschluss des Strafvollzugs oder bei Aussetzung der Freiheitsstrafe die Anordnung der EAÜ als Bewährung erfolgen“ könne. Zwar hat sich der Gesetzgeber bei der Gesetzesänderung im Jahr 2010 dagegen entschieden. Dennoch wurde beschlossen, dass der Betroffene durch die Anordnung der EAÜ auch dem Gesetz über die Bewährung unterliegt (§ 9 Abs. 3 EAÜG). 2 wesentliche Elemente der Bewährung im genannten Sinn sind der Aspekt der Kontrolle und der Hilfe. Der Bewährungshelfer soll sowohl die Einhaltung der Bewährungsauflagen kontrollieren als auch Hilfestellung bei der Resozialisierung leisten. Die EAÜ dient somit der Kontrolle und auch der Hilfestellung. Daher unterscheidet sich die EAÜ nach dem EAÜG in ihrer Zielsetzung sowie den Voraussetzungen von einer Strafe und ist als Maßregel zur Besserung und Sicherung anzusehen.
Anders als die Strafe stützt sich die Maßregel auf eine Zukunftsprognose. Da hier nicht auf den Zeitpunkt der Straftat, sondern auf den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung abzustellen ist und demnach geltendes Recht angewandt wird, ist nicht von einer Rückwirkung auszugehen. Unter Berücksichtigung der vielfältigen und weiten Anwendungsmöglichkeiten darf nicht allein mit der Begründung, dass es sich bei der EAÜ um eine Maßregel handelt, eine Rückwirkung bejaht oder verneint werden. Denn so könnte das Rückwirkungsverbot im Strafrecht umgangen werden. Sowohl das Rechtstaatsprinzip als auch das Prinzip der Gesetzlichkeit gebieten bei solch einer Einschränkung der körperlichen Freiheit und bei Berücksichtigung des Strafcharakters dieser Maßregel, das Rückwirkungsverbot zu beachten. Wie bereits erläutert, stehen die Besserung des Straftäters, die Verhinderung weiterer Straftaten und der Schutz der Allgemeinheit im Vordergrund. Die EAÜ beinhaltet weder einen Freiheitsentzug noch eine Arbeitsverpflichtung. Zwar ist eine Beschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit oder des allgemeinen Persönlichkeitsrechts nicht ausgeschlossen, doch werden durch die EAÜ nur Daten über die Position übermittelt und nicht über ein bestimmtes Verhalten des Betroffenen, sodass er tatsächlich nicht daran gehindert ist, eine beliebige Handlung vorzunehmen. Auch kann er sich frei bewegen, solange er nicht seinen Wohnsitz verlegt oder das Land verlässt.
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Die übermittelten Daten dürfen zudem nur vor Gericht in seiner Sache, von seinem Bewährungshelfer zum Zwecke der Kontrolle und Hilfe und vom Bewährungskomitee zur Verschärfung/Beendigung der EAÜ verwendet werden. Eine anderweitige Veröffentlichung oder Verwendung ist nicht erlaubt. In solch einem Fall ist das Gericht gehalten, unverzüglich eine Durchsuchung und Beschlagnahme anzuordnen (§ 16 Abs. 2 und 4 EAÜG). Um eine flexible Durchführung zu gewährleisten, kann gem. § 17 Abs. 1 und 2 EAÜG alle 3 Monate eine Aufhebung der Anordnung beantragt werden. Ergibt eine erneute Prüfung, dass kein Rückfallrisiko mehr besteht, ist die EAÜ zu beenden (§ 18 Abs. 4 EAÜG). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die EAÜ gerade der Besserung und Sicherung sowie dem Schutz der Allgemeinheit dient und nicht eine bestimmte Handlung verbietet, kann kein Strafcharakter angenommen werden. Es handelt sich somit nicht um eine Konsequenz, die auf eine Tat folgt und eine Vergeltung bezweckt, sodass das Rückwirkungsverbot nicht angewandt werden kann. Daher stellt es keine Verletzung des Rückwirkungsverbotes dar, Personen einzubeziehen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Zusatzbestimmung noch nicht erfasst waren.
– Die verfassungsrechtlichen Grenzen bezüglich einer Maßregel zur Besserung und Sicherung – Auch wenn die Ausweitung des Personenkreises keinen Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot darstellt, führt eine grenzenlos rückwirkende Anwendung der EAÜ zu verfassungsrechtlichen Problemen, da Grundrechte von Betroffenen berührt werden. Eine EAÜ kann somit nur innerhalb der Grenzen der Rechtsstaatlichkeit angeordnet werden. So sind der Vertrauensschutz der betroffenen Personen, die Schwere und Art der Einschränkung und das öffentliche Interesse an der Durchführung der Maßnahme unter Berücksichtigung des Übermaßverbots abzuwägen.
Die Fußfessel übermittelt in Echtzeit und über 24 Stunden Daten über den Aufenthaltsort und die Bewegungen von Betroffenen. So wird das Recht auf informationelle Selbstbestimmung durch das Verschaffen, Speichern und Gebrauchen der Daten berührt. Zudem wirkt sich das Anlegen der Fußfessel auf die Kleiderwahl und die Bewegungsfreiheit aus. Schließlich kann das Tragen der Fußfessel an sich ein beschämendes und verletzendes Gefühl auslösen, sodass das allgemeine Persönlichkeitsrecht betroffen ist (§ 10 Verfassung). Die Anordnung der EAÜ verletzt somit den Gefesselten in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung, in seiner Privatsphäre sowie in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.
(a) Legitimer Zweck des Gesetzes und die Geeignetheit der Maßnahme Vor der Gesetzesänderung gab es keine effektive Maßnahme zur Verhinderung zukünftiger Sexualstraftaten. So wurde der Kreis auch auf Personen erstreckt, die sich noch im Strafvollzug befinden und Personen, deren Strafe vollständig vollstreckt wurde und noch keine 3 Jahre zurückliegt. Die Vorbeugung von weiteren Straftaten und der Schutz der Allgemeinheit vor Sexualstraftaten sind legitime Ziele. Die Statistik zeigt, dass nach Einführung der EAÜ als Maßregel die Rückfallquote bezüglich einer Sexualstraftat von 15 % (2005 – 2009) auf 2 % zurückgegangen ist. Im Zeitraum vom 16. 7.
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2010 bis Februar 2012 wurde die Anordnung einer EAÜ bei 216 Personen abgelehnt. Von dieser Personengruppe sind 47 Personen (22 %) rückfällig geworden. 9 Personen (4 %) haben dabei erneut eine Sexualstraftat begangen. Im selben Zeitraum lag die Rückfallquote bei Trägern einer Fußfessel bei 3 % (2 % haben dabei erneut eine Sexualstraftat begangen). Der Unterschied ist demnach gravierend und der prozentuale Anteil einer wiederholten Sexualstraftat äußerst gering. Somit ist diese Maßnahme auch geeignet das legitime Ziel zu erreichen. (b) Das mildeste Mittel und Angemessenheit Die Zusatzbestimmung ist rückwirkend auch auf Personen anwendbar, deren Strafe bereits zum Zeitpunkt des Inkrafttretens vollzogen war. Als Maßregel bezweckt die EAÜ jedoch nicht die Vergeltung für eine begangene Tat, sondern dient der Verhinderung weiterer Straftaten und knüpft an den Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung an. Der Betroffene kann sich daher nicht auf ein schutzwürdiges Vertrauen berufen, dass zum Tatzeitpunkt dieser Zusatzbestimmung noch nicht galt. Es besteht zudem kein Unterschied zwischen Personen, deren Strafe bereits vollzogen wurde und Personen, deren Entlassung noch ansteht. Die Entscheidung über ein Rückfallrisiko wird vom Gericht gefällt und betrifft Inhaftierte, welche 3 Monate oder kurz vor Ihrer Entlassung stehen, aber auch Personen, deren Strafe bereits vollzogen wurde. Ein Antrag auf Anordnung einer EAÜ ist nach der am 15. 4. 2010 geänderten Zusatzbestimmung, die 15. 7. 2010 in Kraft trat, innerhalb eines Jahres zu stellen. Dies stellt keine Verletzung eines schutzwürdigen Vertrauens dar. Schließlich wird das Opfer derart massiv in seiner Selbstbestimmung verletzt, dass es sich im Einzelfall weder körperlich noch psychisch von den Folgen erholt. Insbesondere Kinder leiden dauerhaft unter diesem traumatischen Erlebnis und können kein „normales“ Leben führen. Daher überwiegt das öffentliche Interesse am Schutz von Frauen und Kindern vor solchen Taten. In der Vergangenheit gab es bereits Möglichkeiten zur Veröffentlichung von Identitäten von Sexualstraftätern, der EAÜ und weiterer Maßnahmen. Diese waren jedoch nicht auf bereits entlassene Häftlinge, deren Rückfallquote sehr hoch ist, anwendbar. Daher ist es gerade im öffentlichen Interesse, den Personenkreis zu erweitern und einen effektiven Schutz der Allgemeinheit zu gewährleisten. Nach Abwägung der betroffenen Interessen ist das Mittel auch als angemessen anzusehen. (c) Zwischenergebnis Festzuhalten ist, dass die Zusatzbestimmung nicht gegen das Übermaßverbot verstößt. D. Ansicht der 4 Richter für eine teilweise Verfassungsmäßigkeit Es wird die Ansicht des Gerichts geteilt, dass im vorliegenden Fall die rückwirkende Anwendung der Zusatzbestimmung grundsätzlich keine Verletzung des § 13 Abs. 1 Verfassung darstellt. Doch muss zumindest vor Vollzug der Strafe eine Vorschrift für die Anordnung einer Maßregel vorhanden sein. Diese Zusatzbestimmung regelt jedoch, dass auch Personen erfasst sind, deren Strafvollzug noch keine 3 Jahre zurückliegt. Dieser Umstand stellt einen Verstoß gegen die Verfassung dar. Zunächst ist anzuführen, dass der Sexualstraftäter, gegen den ein Urteil gefällt wurde und der seine Strafe verbüßt hat, darauf vertrauen kann, dass sein Verfahren endgültig beendet wurde.
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Er kann sich auf Vertrauensschutz berufen, denn es stehen weitaus weniger einschneidende Maßnahmen zur Verfügung wie zum Bespiel die Teilnahme an einem Therapieprogramm. Die Anordnung einer EAÜ stellt also nicht das mildeste Mittel dar. Personen, deren Urteile wegen eines Sexualdelikts bereits verkündet worden und die bis dato nicht von einer Anordnung einer EAÜ betroffen waren, wurden nun über die Zusatzbestimmung erfasst. Der Kreis wurde auf noch inhaftierte Personen und Personen ausgeweitet, deren Beendigung des Strafvollzugs vor maximal 3 Jahre erfolgt ist. Unter Beachtung des Charakters der EAÜ als Maßregel ist es möglich, bereits vor, aber auch nach der Haftentlassung, im Rahmen einer Anordnungsprüfung eine Prognose über ein Rückfallrisiko zu erstellen. Da es sich bei der EAÜ um eine Maßregel handelt, ist diese Vorgehensweise legitim. Allerdings ist das Vertrauen eines bereits Entlassenen, der seine Haftstrafe verbüßt hat und wieder resozialisiert wurde, dass wegen dieser Tat keine weiteren Konsequenzen folgen, schutzwürdig. Gerade im Hinblick auf den Umstand, dass der Gesetzgeber fast 2 Jahre nach Einführung einer EAÜ diese Zusatzbestimmung verabschiedet hat, spricht für ein schutzwürdiges Vertrauen des Betroffenen. Zudem ist zu beachten, dass durch die Übermittlung der Daten, die durch den Staat gesammelt und gespeichert werden und so die Grundrechte des Gefesselten beeinträchtigen, die Anordnung einer EAÜ einer Strafe gleichkommt. Auch führt diese Regelung zu einer großen Rechtsunsicherheit für die Betroffenen. Denn dem Gesetzgeber zufolge kann aufgrund einer in der Vergangenheit liegenden Tat für einen unbegrenzten Zeitraum immer wieder eine Prüfung der Wiederholungsgefahr erfolgen. Der Schutz der Allgemeinheit kann vorliegend nicht das Interesse der Betroffenen überwiegen. Denn zu berücksichtigen ist, dass erst 1 Jahr und 7 Monate nach Einführung der EAÜ – aufgrund eines schrecklichen Ereignisses – die Zusatzbestimmung ins Leben gerufen worden ist. Eine Abwägung der Interessen der Allgemeinheit, vor Wiederholungstaten geschützt zu werden, und dem Interesse der Betroffenen an Rechtssicherheit und sowie deren Vertrauensschutz führt zu dem Ergebnis, dass Letzteres gewichtiger erscheint. So ist die rückwirkende Einbeziehung von „Personen, deren Strafvollzug noch keine 3 Jahre zurückliegt“ rechtswidrig und stellt einen Verstoß gegen das Übermaßverbot nach § 37 Abs. 2 Verfassung dar. E. Ansicht eines Richters für die Verfassungswidrigkeit
Nach dem Gesetzlichkeitsgrundsatz „nullum crimen, nulla poena sine lege“ gibt es kein Verbrechen und keine Strafe ohne Gesetz. Nur so kann der Bürger bereits vorher wissen, welche Handlungen welche Strafen zu Folge haben, und vor willkürlicher Strafrechtsverfolgung durch den Staat beschützt werden. Dies gebietet das Rechtstaatsprinzip. Weiterhin besagt der Vorbehalt des Gesetzes, dass nur durch schriftlich fixierte Gesetze eine Strafe angedroht werden kann. Dieses Prinzip ist in § 12 Ab. 1 Verfassung verankert und erfasst neben Strafen und Maßregeln zur Sicherung und Besserung auch die Arbeitsverpflichtung. Zudem bestimmt das Rückwirkungsverbot in § 13 Abs. 1 Verfassung, dass die begangene Tat bereits zum Tatzeitpunkt mit Strafe bedroht gewesen sein muss.
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(1) Nach § 13 Abs. 1 Verfassung kann keine Handlung eine „Strafe“ zu Folge haben, wenn diese nicht bereits bei Ausführung mit „Strafe“ bedroht war. Dabei ist der Begriff der „Strafe“ zu klären. Die in § 41 StGB normierten Strafen sind: Todesstrafe, Freiheitsstrafe mit und ohne Arbeitspflicht, Entzug bzw. Ruhen einer Zulassung, Geldstrafe, Haftstrafe bis zu 30 Tagen, Bußgeld sowie Beschlagnahme. Die Strafe i.S.d. § 13 Verfassung geht jedoch darüber hinaus, denn eine Vorschrift aus dem StGB kann nicht den Anwendungsumfang in der Verfassung bestimmen. Denn neue Arten von Strafen, die nicht in § 41 StGB normiert sind, wären dann nicht vom Rückwirkungsverbot betroffen. Das Rückwirkungsverbot, das Rechtssicherheit schaffen und vor staatlicher Willkür schützen soll, könnte seine Wirkung nicht entfalten. (2) Die herrschende Meinung hat bereits erkannt, dass aufgrund der Vielzahl von neuen Maßregelungen die Grenzen zur Strafe immer mehr verwischen. Auf Maßregeln, die ihrem Wesen nach einer Strafe ähneln, muss das Rückwirkungsverbot anwendbar sein. Das Verfassungsgericht der Republik Korea hat bereits zur Frage der Sicherheitsverwahrung nach dem nun abgeschafften Gesetz zum Schutz der Gesellschaft entschieden (Verfassungsgericht 14. 7. 1989, 88 Hunga 5 u. a., Urteilssammlung 11, 69, 81): „§ 12 Abs. 1 Verfassung bestimmt, dass ohne ein formelles Gesetz, welches in einem ordentlichen Gesetzgebungsverfahren entstanden ist, keine Strafe, Maßregel oder Arbeitspflicht ergehen kann. Es sind sowohl die Strafe als auch die Maßregel erfasst. Maßregeln und die Sicherungsverwahrung als freiheitsentziehende Maßnahmen gegen Wiederholungstäter haben Strafcharakter, sodass auch auf diese der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes gem. § 13 Abs. 1 Verfassung anzuwenden ist. Eine Sicherungsverwahrung kann nur aufgrund bereits ergangenen Rechts angeordnet werden.“ (3) Folglich ist auf Maßnahmen, die nicht im Strafgesetzbuch normiert sind, die jedoch Strafcharakter besitzen, das Rückwirkungsverbot gem. § 13 Verfassung anzuwenden.
(1) Um über das Vorliegen eines Strafcharakters einer Maßregel zu entscheiden, sind 2 Aspekte maßgeblich. Zum einen ist der Zweck einer Maßregel zu klären. Zum anderen muss die Auswirkung dieser Maßregel auf den Betroffenen untersucht werden. Eine Strafe verfolgt einerseits das Ziel, ein bestimmtes Verhalten zu sanktionieren und zu verurteilen. Andererseits soll es auch abschrecken und vor den Konsequenzen warnen. Vereint eine Maßnahme diese beiden Aspekte, ist ein Strafcharakter zu bejahen und muss zum Zeitpunkt der Tathandlung bereits normiert sein. Denn nur so kann sich die Warnfunktion überhaupt entfalten. Je stärker sich eine Sanktion auf die körperliche Freiheit auswirkt, desto mehr kommt sie einer Strafe nahe. (2) Früher war eine EAÜ nur für Sexualstraftäter vorgesehen. Durch eine Gesetzesänderung des EAÜG wurden nun auch Entführer von Minderjährigen, Mörder und Personen erfasst, die wegen versuchten Mordes oder Raubes verurteilt worden sind. Damit soll nicht nur eine Wiederholungstat verhindert werden. Die Schwere der Tat gebietet es, über die bereits auferlegte Strafe hinaus den Täter zu verurteilen und ihn zur Verantwortung zu ziehen. Dabei soll auch die Allgemeinheit vor Fehlverhalten gewarnt werden. Auch ein Blick auf die Entwicklungsgeschichte der Dauer einer EAÜ verdeutlicht den Zweck. Am Anfang konnte eine EAÜ nur für einen Zeitraum von maximal 5 Jahren angeordnet
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werden. Noch bevor dieses Gesetz angewandt werden konnte, erschütterte ein Fall die Nation, sodass dies als Anlass genommen wurde, die maximale Dauer auf 10 Jahre zu verlängern. Eine weitere Verlängerung auf 30 Jahre folgte nach nicht einmal 2 Jahren. Dabei richtet sich die anzuordnende Dauer nach der Schwere und Art der Tat. Diese Gesichtspunkte legen den Schluss zu, dass nicht mehr die Verhinderung weiterer Straftaten im Vordergrund steht, sondern eine an die Schwere der vorangegangen Tat geknüpfte weitergehende Verurteilung derselben Tat. Somit ist die EAÜ im Wesen eine Strafe. (3) Nun sind die Folgen für den Betroffenen zu untersuchen. Die Fußfessel wird „zwangsweise“ angelegt und der Gefesselte muss diese über 24 Stunden am Tag tragen. Zudem werden „Daten über den Aufenthaltsort“ übermittelt, sodass der Staat ihn stets lokalisieren kann. Der Träger ist nicht bloß in seiner Kleiderwahl oder seiner Bewegungsfreiheit beeinträchtigt, sondern seine körperliche Freiheit wird durch das zwangsweise Anlegen des Gerätes tatsächlich eingeschränkt. Es geht nicht darum, dass die Person die Fußfessel bei sich führen muss, sondern dass diese zwangsweise angelegt wird. Dies stellt eine Beeinträchtigung der körperlichen Freiheit dar. Der Umstand, dass es sich um einen kleinen, unscheinbaren und nicht auf den ersten Blick erkennbaren Gegenstand handelt, ändert nichts an der Tatsache, dass eine Einschränkung vorliegt. Auch kann nicht bestritten werden, dass es sich bei der ständigen Übertragung von Daten über den Aufenthaltsort um eine Verletzung der Privatsphäre sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit handelt. Denn dies wirkt sich auch auf die Handlung der Person aus. Wurde eine EAÜ angeordnet, so sind die Auswirkungen teilweise gravierender als bei anderen Strafen wie z. B. einer Geldstrafe. Zudem kann sich dieser Zustand auf einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren erstrecken. (4) Unter Berücksichtigung des Zwecks und der Auswirkungen einer EAÜ ist festzuhalten, dass diese den Charakter einer Strafe besitzen.
(1) Im vorliegenden Fall wurde durch die Anwendung der Zusatzbestimmung gegen das Rückwirkungsverbot aus § 13 Abs. 1 Verfassung verstoßen. Die Zusatzbestimmung bezieht sich auf Personen, die aufgrund einer Sexualstraftat bereits in Haft sind und noch mehr/weniger als 6 Monate vor ihrer Entlassung stehen, deren Strafe ausgesetzt wurde und die bereits entlassen worden sind, wobei die Entlassung noch keine 3 Jahre zurückliegen darf. All diese Personengruppen eint, dass die Tatbegehung vor Inkrafttreten der Zusatzbestimmung liegt. Somit kann es bei der Anwendung des Rückwirkungsverbotes keine Unterschiede geben und die gesamte Norm verstößt gegen das besagte Verbot. (2) Die Verfassung gibt dem Gesetzgeber einerseits das Recht Gesetze zu erlassen, setzt ihm andererseits aber auch Grenzen. Das Rückwirkungsverbot stellt solch eine Grenze dar. Auch wenn eine Maßnahme dringend erforderlich erscheint, kann eine Strafe nicht ohne bereits ergangenes Gesetz folgen. Dies soll Klarheit und Rechtssicherheit schaffen und vor Willkür schützen. Das Rechtsstaatsprinzip gebietet die Einhaltung der verfassungsrechtlich verankerten Grenzen, auch wenn der Druck der Gesellschaft steigt.
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Die Zusatzbestimmung verstößt gegen das Rückwirkungsverbot in § 13 Abs. 1 Verfassung. F. Entscheidung Die erforderliche Mehrheit von mindestens 6 Stimmen für eine Verfassungswidrigkeit konnte nicht erreicht werden, sodass die Zusatzbestimmung im Ergebnis verfassungsmäßig ist.
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IV. Verzeichnis für koreanische Gesetze Gesetz über die koreanische Bewährung sowie die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonderen Straftätern [ ] Gesetz über die koreanische Bewährungshilfe [
]
Gesetzentwurf über die elektronische Aufenthaltsüberwachung von besonders gefährlichen Straftätern § 4 Abs. 1. [ 4 1 ] Kor Sexualdeliktsondergesetz.[
]
Kor Sexualtriebbehandlungsgesetz.[ Kor Therapieverwahrungsgesetz. [
] ]
Zusatzantrag des Justizministeriums hinsichtlich des Gesetzes über die elektronische Überwachung § 22 Abs. 1, 5. 12. 2006 [ , 22 1 ]
V. Bezeichnung der koreanischen Rechtsprechung Die Entscheidungen von Koreanischen Gerichten sind in der vorliegenden Arbeit wie folgt bezeichnet: [Gericht], [Entscheidungsart] vom [Entscheidungsdatum], [Aktenzeichen]
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Stichwortverzeichnis Anordnungsvoraussetzungen 107, 120, 131 Aufopferungsentschädigung 210 Ausgleichsanspruch 222 Ausgrenzungspolitik 87
Persönliche Freiheit 183 Präventionsmaßnahme 65, 141 Privatsphäre 143, 194, 201 Punitive Kriminalpolitik 73, 74, 87
Chemische Kastration
Rechtsschutz- und Unterstützungsgebot 216 Risikomanagement 85, 86, 89, 92 Rückwirkungsverbot 142, 155, 165
65, 67
Datenschutz 114, 127, 134 Due Process 154 – 165 elektronisch überwachter Hausarrest 27, 28, 34, 48 – 56 elektronisches Stimmenerkennungssystem 35 Führungsaufsicht 59 Führungsaufsichtsstelle
35, 38, 41
Gefährlichkeitsprognose
110, 122, 132
Individualisierungs- und Intensivierungsgebot 224 Jacob Watterling Crimes against Children and Sexuality Violent Offender Registration Act 29 Jessica Lunsford Act 28 Kontrollgebot 227 Kostentragungspflicht
228
Massenmedien 82 Mendoza-Martinez-Test 166 Menschenwürde 139, 183, 188 – 199 Minimierungsgebot 216, 219 Motivierungsgebot 225 Neoliberalismus
75
Sachverständigengutachten 194 – 199 Schmerzensgeld 222 Selbstbelastungsfreiheit 141, 191 Sexual Predator Law 66, 73 Sicherheitsbedürfnis 83 Sicherheitstrends 74, Sicherungsverwahrung 57 – 59, 65, 69, 74, 91 Sonderopfer 220 Stigmatisierung 90, 149, 167 Terrorismus 60 – 63, 80 Therapieunterbringungsgesetz Three Strike Law 29, 65, 72 Überwachungsdauer Ultima-ratio-Prinzip
69, 71
111, 124, 132 216, 224,
Verbot der Doppelbestrafung 143, 165, 177 Verfassungsbeschwerde 139, 183 Verhältnismäßigkeit 206 – 208 willkürliche Behandlung Wohlfahrtsstaat 77, 87 Zweispurigkeit
70, 119
194