Die Vereinbarkeit der deutschen Betrugsstrafbarkeit (§ 263 StGB) mit unionsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen 9783737001229, 9783847101222, 9783847001225


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German Pages [234] Year 2013

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Die Vereinbarkeit der deutschen Betrugsstrafbarkeit (§ 263 StGB) mit unionsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen
 9783737001229, 9783847101222, 9783847001225

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Osnabrücker Abhandlungen zum gesamten Wirtschaftsstrafrecht

Band 10

Herausgegeben von Hans Achenbach, Ralf Krack, Hero Schall, Roland Schmitz und Arndt Sinn

Cornelia Heim

Die Vereinbarkeit der deutschen Betrugsstrafbarkeit (§ 263 StGB) mit unionsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen

V& R unipress Universitätsverlag Osnabrück

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-8471-0122-2 ISBN 978-3-8470-0122-5 (E-Book) Veröffentlichungen des Universitätsverlags Osnabrück erscheinen im Verlag V& R unipress GmbH. Ó 2013, V& R unipress in Göttingen / www.vr-unipress.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Hinweis zu § 52a UrhG: Weder das Werk noch seine Teile dürfen ohne vorherige schriftliche Einwilligung des Verlages öffentlich zugänglich gemacht werden. Dies gilt auch bei einer entsprechenden Nutzung für Lehr- und Unterrichtszwecke. Printed in Germany. Druck und Bindung: CPI Buch Bücher.de GmbH, Birkach Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier.

Inhalt

Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Teil 1: Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung . . . . . . . . . . . . 1. Abschnitt: Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Entwicklung anhand der Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Der Anknüpfungspunkt bei der Warenverkehrsfreiheit . . . B. Konkretisierung des Verbraucherleitbildes des EuGH anhand ausgewählter Entscheidungen mit Verbraucherbezug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das »Informationsmodell« des EuGH . . . . . . . . . . 2. Konkretisierung des an den Verbraucher anzulegenden Maßstabes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Inhaltliche Ausgestaltung der Formel vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher . . . . . . . . . a) Die Gewichtung faktischer und normativer Kriterien . b) Konkretisierung der normativen Kriterien . . . . . . . c) Die adäquate Formulierung des Verbraucherschutzniveaus . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Die Berücksichtigung der Struktur der angesprochenen Personenkreise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Ausgewählte andere Grundfreiheiten . . . . . . . . . . . . . . A. Die Anwendungsbereiche der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Niederlassungsfreiheit, Art. 49, 54 AEUV . . . . . . 2. Die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV . . . . . . . .

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Inhalt

B. Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit . . 1. Darstellung ausgewählter Urteile mit Verbraucherbezug a) Das Verbraucherleitbild bei Gewinnspielen und Sportwetten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Das Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen . . c) Das Verbraucherleitbild im Markenrecht . . . . . . . . 2. Auswertung der dargestellten Urteile . . . . . . . . . . III. Der Zusammenhang zwischen der Ausweitung des Schutzbereiches einer Grundfreiheit und der Bedeutung des Verbraucherschutzargumentes . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt: Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht . . . . . . . . I. Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel . . . . . . . III. Die Maßgeblichkeit und Reichweite des Verbraucherleitbildes im Bereich täuschungsgeeigneter Handlungen für das Sekundärrecht insgesamt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Abschnitt: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse . . . . . Teil 2: Vorüberlegungen und Grundlagen zur Relevanz des unionsrechtlichen Verbraucherschutzverständnisses für den deutschen Betrugstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Abschnitt: Die bisherigen Ansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Die Ansicht Thomas’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Die Ansicht Kühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Die Ansicht Tiedemanns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Die Ansicht Danneckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Die Ansicht Heckers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Die Ansicht Soykas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII. Die Ansichten Hebenstreits und Satzgers . . . . . . . . . . . VIII. Die Ansicht Verghos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IX. Die Ansichten Eiseles und Boschs . . . . . . . . . . . . . . . X. Die Ansicht Ruhs’ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Fazit und Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes .

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Inhalt

2. Abschnitt: Die Bindung an das Unionsrecht . . . . . . . . . . . . . . I. Konstellationen möglicherweise bestehender unionsrechtlicher Beeinflussungen . . . . . . . . . . . . . . . . A. Rechtsnatur und Wirkung der möglicherweise die Anwendung des § 263 StGB beeinflussenden unionsrechtlichen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rein primärrechtlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . a) Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug . . . . b) Rein innerdeutsche Sachverhalte . . . . . . . . . . . . . 2. Sekundärrechtlicher Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . a) Verordnungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Richtlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Anwendungsvorrang oder unionsrechtskonforme Auslegung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts . . . . . . . a) Grundlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Die unmittelbare Wirkung . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die unionsrechtskonforme Auslegung . . . . . . . . . . C. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Prinzipiell fehlende Bindung des Strafrechts an unionsrechtliche Verbrauchererwartungen? . . . . . . . . . . . A. Fehlende Bindung wegen überragenden nationalen Verfassungsrechts? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtsgüterschutzprinzip und Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Das Rechtsgüterschutzprinzip als Gebot zur Sanktionierung durch Strafrecht . . . . . . . . . . . . . b) Der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot zur Anwendung von Strafnormen . . . . . . . . 2. Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Fehlende Bindung wegen divergierender Regelungszwecke?. 1. Die unterschiedlichen Regelungsinhalte von Betrugsstrafrecht und unionsrechtlichem Verbraucherschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die prinzipielle Irrelevanz der divergierenden Zwecke für die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Straflosigkeit unionsrechtlich zulässigen Verhaltens als ausreichende Berücksichtigung des Unionsrechts . . . .

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8 Teil 3: Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts auf die Anwendbarkeit und die Auslegung des Betrugstatbestandes . . . . . . . 1. Abschnitt: Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB . . . . . . . I. Die opferfreundliche Auslegung der aktiven Täuschung . . . . A. Die Täuschungshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Verkehrsanschauung – insbesondere bei der konkludenten Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Faktische und normative Bestimmung der Verkehrsanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der subjektive Ansatz der Rechtsprechung . . . . . . . 3. Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Verkehrsauffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Gewichtung faktischer und normativer Kriterien . b) Das Wechselspiel außerstrafrechtlicher Wertungen und strafrechtsautonomer Kriterien . . . . . . . . . . . . . . c) Konkretisierung der normativen Kriterien bei der konkludenten Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Die Untauglichkeit der Gegenentwürfe zum Kriterium der Verkehrsanschauung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das »berechtigte Vertrauen« . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die »Verletzung kommunikativer Verkehrssicherungspflichten« . . . . . . . . . . . . . . D. Der Tatsachenbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Unmögliche als Tatsache . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Rolle der Verkehrsauffassung bei der Auslegung des Tatsachenbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der wertneutrale Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . b) Die Einschränkung des Tatsachenbegriffs bei fehlender Irreführungseignung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Kritik an der Beachtlichkeit der Irreführungseignung . II. Ältere und neuere Tendenzen zur restriktiven Auslegung des Betrugstatbestandes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Die Täuschungshandlung als Verletzung von Wahrheitspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Restriktion des Betrugstatbestandes über Verantwortungsbereiche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . C. Restriktion des Betrugstatbestandes durch einschränkende Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale . . . . . . . . . 1. Restriktion durch erhöhte Anforderungen an den Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum . . .

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Inhalt

2. Teleologische Reduktion des Täuschungsbegriffes bzw. des Betrugstatbestandes insgesamt . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassung: Die aktive Täuschung . . . . . . . . . . . . IV. Die Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . V. Der Irrtum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abschnitt: Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben im Bereich aktiven Tuns . . . . . . . I. Die Vorgaben nach der Richtlinie 2005/29/EG . . . . . . . . . A. Die wettbewerbsrechtliche Eignungskomponente – insbesondere bei der unwahren Angabe . . . . . . . . . . . B. Die Bestimmung der angesprochenen Verkehrskreise und der »besonders schutzwürdigen Gruppe von Verbrauchern« 1. Der nach § 3 Abs. 2 Satz 2 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 2 b) der Richtlinie 2005/29/EG angesprochene Durchschnittsverbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der nach § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG angesprochene besonders schutzbedürftige Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . II. Fallgruppenauswertung als Ausgangspunkt zur Ermittlung der Notwendigkeit unionsrechtskonformer Auslegung . . . . . . . A. Wundermittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. BGHSt 34, 199: Liftingbad, Schlankpille und Haarverdicker . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Inhalt der Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung des Sachverhaltes auf der Grundlage des Unionsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Ausgewählte Regelungen des lebensmittelrechtlichen Täuschungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ausgewählte Regelungen über Arzneimittel und kosmetische Mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Abwandlung von BGHSt 34, 199: Wundermittel im Kern wirksam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Marktschreierische Anpreisungen . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertung nach nationalem Betrugsstrafrecht . . . . . 2. Bewertung auf der Grundlage des Unionsrechts . . . . . C. Kaffeefahrten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Bewertung nach nationalem Betrugsstrafrecht . . . . . 2. Bewertung nach der Richtlinie 2005/29/EG . . . . . . . D. Rechnungsähnliche Angebotsschreiben . . . . . . . . . . . 1. Bewertung nach nationalem Betrugsstrafrecht . . . . .

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10 2. Bewertung nach der Richtlinie 2005/29/EG . . . . . . . E. »Abofallen« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwingende Maßgeblichkeit des sekundären Unionsrechts für die Auslegung des Betrugstatbestandes in Einzelfällen? . . . . A. Die wettbewerbsrechtlich zulässige Täuschung im Sinne des § 263 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die wettbewerbsrechtlich zulässige und nach § 263 StGB von einer Irreführungseignung unabhängige Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die wettbewerbsrechtlich zulässige, aber nach der nationalen Verkehrsanschauung irreführungsgeeignete Täuschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Identität von nationaler Verkehrsanschauung und unionsrechtlicher Verbrauchererwartung? . . . . . . . . aa) Die inhaltlichen Maßstäbe . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Die Rolle außerstrafrechtlicher Regelungen zur Bestimmung der nationalen Verkehrsanschauung . . . b) Konsequenzen der eigenständigen Bestimmung der nationalen Verkehrsanschauung . . . . . . . . . . . . . c) Relativierung durch ähnliche Wertungskriterien . . . . d) Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Die Vermeidung von Kollisionen durch das Tatbestandsmerkmal des Schadens . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Voraussetzungen eines Vermögensschadens . . . . 2. Bewertung der innerhalb des Marktpreises liegenden Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Bewertung der über dem Marktpreis liegenden Gegenleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Der Einfluss der Höhe der geforderten Gegenleistung auf die Bestimmung der objektiv gezielt angesprochenen Verbrauchergruppe . . . . . . . . . . . b) Die »Abwägungsrelevanz« des Vermögensschadens nach der Rechtsprechung des EuGH . . . . . . . . . . . C. Die Vermeidung von Kollisionen durch die Tatbestandsmerkmale des Vorsatzes und der Bereicherungsabsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Zusammenfassung: Möglichkeiten der Kollision im Bereich sekundärrechtlicher Vorgaben bei aktivem Tun . . . . . . . . . 3. Abschnitt: Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben im Bereich des Unterlassens . . . . .

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4. Abschnitt: Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit primärrechtlichen Vorgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Abschnitt: Unionsrechtskonforme Auslegung oder Anwendungsvorrang? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Unionsrecht und ausdrückliche Täuschung . . . . . . . . . . . II. Unionsrecht und konkludente Täuschung bzw. Täuschung durch Unterlassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Abschnitt: Die Vereinbarkeit der unionsrechtskonformen Auslegung und des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts mit übergeordneten Prinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Art. 103 Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Das »Gleichheits- und Gerechtigkeitsproblem« . . . . . . . . . III. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Zusammenfassung der Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Vorwort

Die Arbeit wurde im Wintersemester 2012/2013 vom Fachbereich Rechtswissenschaften der Universität Osnabrück als Dissertation angenommen. Sie entstand im Wesentlichen während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin an den strafrechtlichen Lehrstühlen von Herrn Prof. Dr. Roland Schmitz in Bayreuth und Osnabrück. Die Untersuchung befindet sich nach einer Aktualisierung auf dem Stand von Anfang Juni 2013. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Roland Schmitz, der die Arbeit betreut hat. Seine fortwährende Bereitschaft zum Fachgespräch und seine konstruktive Kritik begleiteten mein Promotionsvorhaben. Ich danke ihm zudem für die vielen Freiräume, die er mir sowohl hinsichtlich meiner Tätigkeit an seinen Lehrstühlen als auch bei der Erstellung dieser Arbeit gewährt hat. Frau PD Dr. Ingke Goeckenjan danke ich sehr für ihre freundschaftliche Unterstützung, ihre inhaltlichen Anregungen und das beschwerliche Korrekturlesen. Weiterhin danke ich Herrn Prof. Dr. Ralf Krack für die Erstellung des Zweitgutachtens. Den Herausgebern der »Osnabrücker Abhandlungen zum gesamten Wirtschaftsstrafrecht« danke ich für die Aufnahme der Arbeit in diese Schriftenreihe. Besonders bedanken möchte ich mich außerdem bei meinen Eltern, die mich stets uneingeschränkt unterstützt und mir ein sorgenfreies Studium ermöglicht haben. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet. Meinem Ehemann danke ich für die vielen aufmunternden Worte und die Selbstverständlichkeit, mit der er mir bei der Verwirklichung all meiner Pläne zur Seite steht. München, im Juni 2013

Einleitung

Die Auslegung jedes einzelnen Tatbestandsmerkmales des deutschen Betrugsdelikts (§ 263 StGB) wird seit jeher bereits aus rein nationaler Perspektive kontrovers diskutiert. Mit der zunehmenden Bedeutung des Unionsrechts für die gesamte nationale Rechtsordnung muss nunmehr zusätzlich die Frage aufgeworfen werden, inwieweit unionsrechtliche Grundsätze und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen die Betrugsstrafbarkeit nach deutschem Recht beeinflussen.1 Die Zeiten sind vorbei, in denen die deutsche Wissenschaft und Rechtsprechung die Augen vor den Einflüssen des Unionsrechts auf das Strafrecht verschließen konnten2 oder sich sogar aktiv hartnäckig dagegen sträubten, diese anzuerkennen3. Die Strafrechtswissenschaft beginnt allmählich, sich dieses neue Aufgabengebiet mit seinen vielen Facetten ergebnisoffen zu erschließen.4 Unionsrechtlich wird die Reichweite des Schutzes der Verbraucher vor Irreführungen in weiten Teilen durch das sogenannte Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers bestimmt. In der deutschen strafrechtlichen Literatur mehren sich daher die Stimmen, die aus diesem unionsrechtlichen Leitbild folgern, der »exquisit 1 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 289 ff.; Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 320 ff.; Vergho, wistra 2010, 86 ff.; Soyka, wistra 2007, 127 ff.; Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (782 ff.); Thomas, NJW 1991, 2233 (2237); Tiedemann in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, 2000, 551 (555); Satzger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 263 Rn. 11, 66 ff. 2 Dies stellten z. B. fest: Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 5 f., 152; Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (789 f.); Rönnau, wistra 1994, 203 f. 3 Um diese Ignoranz vor den Einflüssen des Unionsrechts aufzuzeigen, wird häufig zitiert: LG Bonn, Vorinstanz zu BGH NJW 1991, 1622: »(glaubt) (d)ie Kammer dem Angeklagten nicht, dass er bei seinen steuerlichen Fachkenntnissen auch nur im entferntesten davon ausging, dass die deutsche Strafgesetzgebung durch Europäische Gemeinschaftsrichtlinien außer Kraft gesetzt wird.« Vgl. Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 5. 4 Vgl. z. B. die Werke von Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001.

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Einleitung

Dumme«5 könne von nun an aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht mehr durch § 263 StGB geschützt sein.6 Diesem Verständnis liegt die Annahme zu Grunde, dass das Unionsrecht von Verbrauchern generell ein höheres Maß an eigenverantwortlichem, kritischem Denken und Handeln verlange und deshalb durchgehend einen restriktiveren Schutz vor Täuschungen gewähre als die (frühere) deutsche Gesetzgebung. Eine solche Annahme erscheint auch plausibel, wenn man bedenkt, dass das dominierende Ziel der Union die Verwirklichung des Binnenmarktes ist, vor dem grundsätzlich auch der Verbraucherschutz zurückzutreten hat. Das Unionsrecht möchte Verbraucher grundsätzlich als informierte, aufmerksame und verständige Akteure im europäischen Binnenmarkt verstanden wissen, die durch ihre Marktentscheidungen Marktintransparenzen auflösen und dadurch einen wesentlichen Beitrag zur Verwirklichung des Gemeinsamen Marktes leisten.7 Insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts können zu weitreichende nationale Irreführungsverbote zum Schutz der Verbraucher als Verstoß gegen Grundfreiheiten oder Sekundärrecht der Union einzuordnen und deshalb unionsrechtswidrig sein.8 Vor diesem Hintergrund vollzog sich in der deutschen wettbewerbsrechtlichen Rechtsprechung seit den 90er Jahren ein Wandel des Verbraucherverständnisses.9 Jahrelang wurde nämlich zur Beurteilung einer wettbewerbsrechtlichen Irreführungseignung der Maßstab des »flüchtigen und unkritischen« Verbrauchers angelegt. Danach sollte eine Irreführungseignung bereits dann anzunehmen sein, wenn eine »nicht unerhebliche Anzahl« von in der Regel ca. 10 – 15 % der angesprochenen Verbraucher (sog. Relevanzschwelle) bei oberflächlicher Wahrnehmung einer Werbeangabe einer Fehlvorstellung unterlag.10 Dieses Verständnis verträgt sich jedoch nicht mit der den Verbrauchern vom Unionsrecht zugedachten Rolle. Folglich orientiert sich die deutsche Rechtsprechung im Wettbewerbsrecht nunmehr jedenfalls im Grundsatz an dem vom Gerichtshof der Europäischen Union etablierten Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsver-

5 So bezeichnet von: Schüler-Springorum, in: Festschrift für R. Honig, 1970, 201 (212); Samson, JA 1978, 469 (471). 6 Soyka, wistra 2007, 127 (133); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (706, 713); Dannecker, Wiverw 1996, 190 (210); Satzger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 263 Rn. 11, 66 ff.; für den Bereich der Produktwerbung: Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 325. 7 Siehe unten Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. a), b). 8 Siehe unten Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. a), b) und 2. Abschnitt III. 9 Ulbrich, WRP 2005, 940 (944 ff.); Fezer, WRP 1999, 991 (993). 10 Wiedenmann, Verbraucherleitbilder und Verbraucherbegriff, 2004, S. 215; Fezer, WRP 1999, 991 (993).

Einleitung

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brauchers.11 Seit der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG ist der Maßstab des Durchschnittsverbrauchers ausdrücklich in § 3 Abs. 2 UWG verankert. Aus dieser Entwicklung folgt nun jedoch nicht, dass jener Maßstab auf alle Bereiche des nationalen Rechts und damit auch auf den Betrugstatbestand ohne Untersuchung des jeweiligen Regelungsgefüges zu übertragen wäre. Denn zum einen ist es denkbar, dass sich das Unionsrecht selbst nur unter bestimmten Voraussetzungen an der Maßstabsfigur des Durchschnittsverbrauchers orientiert. Zum anderen könnten Besonderheiten der nationalen Betrugsstrafbarkeit einen abweichenden Maßstab rechtfertigen. Bestimmen lässt sich der mit dem Unionsrecht vereinbare Schutzumfang vor betrügerischen Verhaltensweisen daher nur auf der Grundlage einer genauen Analyse der Mechanismen des unionsrechtlichen Verbraucherschutzes im Bereich der Irreführungen. Diese ist Gegenstand des ersten Teils dieser Arbeit. Hierbei kommt der Rechtsprechung des Gerichtshofs (EuGH) als höchstem Gericht des Gerichtshofs der Europäischen Union eine Schlüsselfunktion zu. Für die deutsche Strafrechtswissenschaft recht befremdlich, muss sie aufgrund ihres case-law-Charakters wie verbindliches Gesetzesrecht begriffen werden.12 Befasst man sich mit dem unionsrechtlichen Verbraucherschutz, taucht unweigerlich die Frage nach dem europäischen Verbraucherbegriff als solchem auf. Es stellt sich also mit anderen Worten die Frage, wer überhaupt Verbraucher im Sinne des Unionsrechts ist und deshalb von den Grundsätzen und Regelungen zum Verbraucherschutz tangiert wird. Eine Antwort hierauf lässt sich nicht ohne Kenntnis der genauen Inhalte eben dieser Grundsätze und Regelungen eindeutig finden. Denn erst wenn das unionsrechtliche Verbraucherschutzniveau ermittelt ist, kann – neben anderen Einflüssen – festgelegt werden, welche Personenkreise es erfasst. Die Frage des Verbraucherbegriffes stellt sich somit nachgelagert zu der Frage des Verbraucherleitbildes.13 Sie soll in dieser Arbeit außer Betracht bleiben. Denn als vom maßgeblichen Verbraucherleitbild abhängige Frage bringt sie für die Untersuchung des Einflusses unionsrechtlicher Maßstäbe der Verbrauchererwartung auf den deutschen Betrugstatbestand abstrakt keinen Erkenntnisgewinn. Dass sich die Vorrangwirkung des Unionsrechts auch auf das Strafrecht erstrecken muss, ist mittlerweile allgemein anerkannt.14 Die Darstellung hierzu 11 Seit: BGH, GRUR 2000, 619 (621) – Orientteppichmuster; Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 210; Helm, Festschrift für W. Tilmann, 2003, 135 (144). 12 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 2. 13 Im Ansatz ebenso: Mesˇkic´, Europäisches Verbraucherrecht, 2008, S. 49 ff.; Denkinger, Der Verbraucherbegriff, 2007, S. 109 ff. 14 EuGH, Rs. 8 – 77 – Sagulo, Urteil v. 14. 7. 1977, 1977 Slg. 1495 Rn. 6; EuGH, Rs. 271/82 – Auer, Urteil v. 22. 9. 1983, 1983 Slg. 2727 Rn. 19; EuGH, Rs. 63/83 – Kirk, Urteil v. 10. 7. 1984, 1984 Slg. 2689; Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 2, 10; Satzger, Europäisie-

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Einleitung

beschränkt sich deshalb darauf, die Regelungsmechanismen und Voraussetzungen aufzuzeigen, die zu einer Maßgeblichkeit des unionsrechtlichen Verbraucherschutzes für die Auslegung und Anwendung des § 263 StGB führen können.15 Hierbei wird sich zeigen, dass die Grundvoraussetzung einer zwingenden unionsrechtlichen Überlagerung des Betrugsdelikts eine echte Kollision der unionsrechtlichen mit den nationalen Regelungen zum Täuschungsschutz ist.16 Neben der Analyse des Unionsrechts ist folglich eine vertiefte Auseinandersetzung mit der deutschen Betrugsdogmatik unumgänglich, um echte Kollisionen überhaupt ermitteln zu können. Die dogmatische Auseinandersetzung mit dem deutschen Betrugstatbestand ist daher die erste Aufgabe des dritten Teils dieser Arbeit.17 Hierbei wird sich zeigen, dass Kollisionen mit dem Unionsrecht jedenfalls theoretisch möglich sind. Daher ist in einem nächsten Schritt zu klären, ob und unter welchen allgemeingültigen Voraussetzungen Konfliktlagen tatsächlich auftreten können. Hierzu werden als Ausgangspunkt unterschiedlichste Fallgestaltungen mit Bezügen zum Sekundärrecht untersucht.18 Eine große Bedeutung wird dabei der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern zukommen.19 Aus den Ergebnissen der Einzelfallbetrachtung wird im Anschluss allgemeingültig abgeleitet, ob das Unionsrecht zu einer von der bisherigen Interpretation des § 263 StGB abweichenden zwingt.20 Nur wenn echte Konfliktlagen feststellbar sein sollten, stellt sich im Anschluss die Frage nach deren dogmatischer Einordung zur Erzielung unionsrechtskonformer Ergebnisse.21

15 16 17 18 19 20 21

rung des Strafrechts, 2001, S. 164 f.; Dannecker, JURA 2006, 173; Gärditz, wistra 1999, 293 (294); Rönnau, wistra 1994, 203 (208). Siehe unten Teil 2, 2. Abschnitt, I. Siehe unten Teil 2, 2. Abschnitt, I. B. 1. a) und b); vgl. auch Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 10; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 478. Siehe unten Teil 3, 1. Abschnitt. Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt, II. Siehe unten Teil 1, 2. Abschnitt, I. und Teil 3, 2. Abschnitt, I. Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. ff. Siehe unten Teil 3, 5. Abschnitt, 6. Abschnitt.

Teil 1: Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

Sowohl aus nationaler als auch aus unionsrechtlicher Perspektive verdienen Verbraucher aufgrund ihrer strukturellen Unterlegenheit, die zu geringerer Verhandlungsmacht und gewöhnlich unvollständigem Marktüberblick führt, grundsätzlich bis zu einem gewissen Grad Schutz gegenüber Geschäftshandlungen von Unternehmern.10 Die Reichweite dieses Schutzes hängt wesentlich davon ab, welche Funktion dem Verbraucher im Marktgeschehen von der Gesetzgebung zugedacht wird. Dahinter verbirgt sich die Idee einer bestimmten berechtigten Erwartungshaltung der Verbraucher gegenüber den Inhalten geschäftlicher Handlungen. Unionsrechtlich erfährt diese berechtigte Verbrauchererwartung durch das sogenannte Leitbild vom »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher« eine Konkretisierung.

1. Abschnitt: Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH Seinen Ursprung findet das europäische Verbraucherleitbild im Primärrecht und zwar in der Gestalt seiner Ausformung durch den EuGH. Basierend auf seiner Rechtsprechung gibt es mittlerweile zwar eine Vielzahl sekundärrechtlicher Bestimmungen, die einen Schutz der Verbraucher vor Irreführung (mit-) regeln und vom EuGH ebenfalls anhand dieser Maßstabsfigur ausgelegt werden. Genannt seien beispielsweise Regelungen im Bereich des Wettbewerbs10 BVerfG v. 19. 10. 1993, NJW 1994, 26 (38 f.); Art. 114 Abs. 3 AEUV (ex.-Art. 95 Abs. 3 EGV), Art. 169 Abs. 1 AEUV (ex.-Art. 153 Abs. 1 EGV).

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

rechts11, des Lebensmittelrechts12 sowie Kennzeichnungs- und Etikettierungspflichten13 und das Recht der Heilmittelwerbung14. Es gibt jedoch nur eine Richtlinie und eine Verordnung, die das vom EuGH entwickelte Verbraucherleitbild ausdrücklich in Bezug nehmen. Dies sind die Richtlinie 2005/29/EG des europäischen Parlaments und des Rates vom 11. 5. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und die Verordnung EG Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. 12. 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel (sog. Health-Claims-Verordnung). In einen rechten Kontext einordnen lässt sich das Verbraucherleitbild aufgrund seiner geschichtlichen Entwicklung jedoch auch hier erst auf der Grundlage einer genaueren Analyse seiner Verankerung im Primärrecht. Das Ziel des Verbraucherschutzes wird in Art. 4 Abs. 2 f), 169 AEUV ausdrücklich genannt. Nach Art. 169 Abs. 1 AEUV leistet die Union zur Förderung der Interessen der Verbraucher und zur Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus einen Beitrag zum Schutz der Gesundheit, der Sicherheit und der wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher sowie zur Förderung ihres Rechtes auf Information, Erziehung und Bildung von Vereinigungen zur Wahrung ihrer Interessen. Nach Art. 114 Abs. 3 AEUV geht die Kommission in ihren Vorschlägen zur Verwirklichung des Binnenmarktes hinsichtlich des Verbraucherschutzes von einem hohen Schutzniveau aus. Allein aus der sich aus diesen Vorschriften ergebenden Verankerung des Verbraucherschutzgedankens entwickelte sich das europäische Verbraucherleitbild in der heute diskutierten Form jedoch nicht. Denn die Zielvorgabe der Verwirklichung des Binnenmarktes und die damit zusammenhängende Gewährleistung der Grundfreiheiten einerseits (Art. 4 Abs. 2 a), 26 Abs. 2 AEUV) sowie das Streben nach einem hohen Verbraucherschutzniveau andererseits bergen unmittelbar ein erhöhtes 11 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v.11. 05. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern (…). 12 Z.B. Art. 16 der Verordnung (EG) 178/2002 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 28. 1. 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts (…); Art. 48 der Verordnung (EG) Nr. 1493/1999 des Rates v. 17. 5. 1999 über die gemeinsame Marktorganisation für Wein. 13 Z.B. Art. 2 Abs. 1 lit. a) der Richtlinie 2000/13/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln sowie Werbung hierfür ; Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 76/ 768/EWG des Rates v. 27. 07. 1976 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über kosmetische Mittel. 14 Art. 87 Abs. 3 Spiegelstrich 2 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates v. 6. 11. 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (in der Fassung der RL 2004/27/EG) (str., vgl. dazu ausführlicher : Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 260 ff.).

Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH

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Konfliktpotential und stecken gleichzeitig den Rahmen möglichen und erwünschten Verbraucherschutzes ab. Innerhalb dieses Spannungsfeldes hatte der EuGH in der Vergangenheit immer wieder zu entscheiden. Vor diesem Hintergrund hat er das europäische Verbraucherleitbild maßgeblich aus den Grundfreiheiten entwickelt.15

I.

Die Entwicklung anhand der Warenverkehrsfreiheit, Art. 34 AEUV

Der bedeutsamste Einfluss auf das heutige Verständnis des europäischen Verbraucherleitbildes kommt der Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit nach Art. 34 AEUV zu.16 A.

Der Anknüpfungspunkt bei der Warenverkehrsfreiheit

Nach Art. 34 AEUV sind mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen sowie alle Maßnahmen gleicher Wirkung zwischen den Mitgliedstaaten verboten. Auslegungsschwierigkeiten bereitet vor allem der Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung. Was darunter zu verstehen ist, hat der EuGH in mehreren Urteilen konkretisiert. Nach seiner »Dassonville-Formel« soll darunter jede Handelsregelung der Mitgliedstaaten fallen, »die geeignet ist, den innergemeinschaftlichen Handel unmittelbar oder mittelbar, tatsächlich oder potentiell zu behindern«.17 Im konkreten Fall stellte der EuGH fest, dass ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit vorliegt, wenn ein Mitgliedstaat für die Einfuhr von Scotch Whiskey eine Echtheitsbescheinigung verlangt, die sich der Importeur eines in einem anderen Mitgliedstaat ordnungsgemäß befindlichen echten Erzeugnisses schwerer zu beschaffen vermag als der Importeur, der das gleiche Erzeugnis unmittelbar aus dem Ursprungsland einführt. Mit dieser Interpretation hat der EuGH die Warenverkehrsfreiheit von einem Diskriminierungsverbot zu einem umfassenden Beschränkungsverbot erweitert. Nach der »Dassonville-Formel« hat die Warenverkehrsfreiheit somit aufgrund der sehr weitreichenden Definition der Maßnahme gleicher Wirkung einen sehr erheblichen Anwendungsbereich. Durch die Cassis-Entscheidung des EuGH erfuhr dieser Anwendungsbereich eine erste einschränkende Konkretisierung auf der Rechtfertigungsebene. Trotz Fehlens eines Recht15 Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S. 117 (für das Wettbewerbsrecht); Lettl, GRUR 2004, 449 (453). 16 Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003, S. 40; Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S. 193 f; Höland, Liber amicorum Norbert Reich, 1997, 195 (201). 17 EuGH, Rs. 8/74 – Dassonville, Urteil v. 11. 7. 1974, 1974 Slg. 837, 853 Rn. 5.

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

fertigungsgrundes nach Art. 34 AEUV sind danach solche nichtdiskriminierenden und damit nur beschränkenden mitgliedstaatlichen Regelungen als Eingriffe in Art. 36 AEUV gerechtfertigt, die notwendig sind, um zwingenden Erfordernissen des Allgemeinwohls gerecht zu werden.18 Mittlerweile wird sogar teilweise vertreten, dass die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe zumindest auch für indirekte Diskriminierungen gelten müssen.19 Da diese Frage aber keine Auswirkungen auf den Inhalt des Leitbildes, sondern nur auf dessen Reichweite hat, soll sie an dieser Stelle nicht beantwortet werden. In dem Kriterium des zwingenden Erfordernisses des Allgemeinwohles liegt die Relevanz dieser Entscheidung des EuGH für die Entwicklung des Maßstabes unionsrechtlicher Verbrauchererwartungen. Denn als Beispiel eines solchen Allgemeininteresses nennt er unter anderem den Verbraucherschutz. Die Zulässigkeit und Grenzen des Rechtfertigungsgrundes »Verbraucherschutz« werden maßgeblich durch das zugrunde gelegte Verbraucherleitbild festgelegt. Die Rechtfertigung eines Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit durch Erwägungen des Verbraucherschutzes ist somit Einfallstor für die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH. Mittlerweile gilt nach gefestigter Rechtsprechung des EuGH im Rahmen der Beschränkungsverbote für alle Grundfreiheiten ein vierstufiger Rechtfertigungsstandard.20 Danach müssen »nationale Maßnahmen, die die Ausübung der durch den Vertrag garantierten grundlegenden Freiheiten behindern oder weniger attraktiv machen können, vier Voraussetzungen erfüllen: Sie müssen in nichtdiskriminierender Weise angewandt werden, sie müssen aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt sein, sie müssen geeignet sein, die Verwirklichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten, und sie dürfen nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.«21

Weitere Voraussetzung für die Zulässigkeit mitgliedstaatlicher Regelungen ist, dass keine (spezielleren) unionsrechtlichen (sekundärrechtlichen) vollharmonisierenden Regelungen entgegenstehen.22 18 EuGH, Rs. 120/78- Rewe (»Cassis de Dijon), Urteil v. 20. 2. 1979, 1979 Slg. 649, 662 Rn. 8. 19 Dazu ausführlich: Arndt/Fischer/Fetzer, Europarecht, 10. Aufl. 2010, Rn. 459; für eine sehr zurückhaltende Anwendung: Leible/T. Streinz in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, 42. Lief. September 2010, Art. 34 AEUV Rn. 99. 20 EuGH, Rs. C-55/94 – Gebhard, Urteil v. 30. 11. 1995, 1995 Slg. I-4165 Rn. 37; EuGH, Rs. C-424/ 97 – Haim, Urteil v. 4. 7. 2000, 2000 Slg. I-5123 Rn. 57; EuGH, Rs. C-108/96 – Mac Quen, Urteil v. 1. 2. 2001, 2001 Slg. I-837 Rn. 26; EuGH, Rs. C-243/01 – Gambelli, Urteil v. 6. 11. 2003, 2003 Slg. I-13031 Rn. 65; EuGH, Rs. C-234/03 – Contse, Urteil v. 27. 10. 2005, 2005 Slg. I-9315 Rn. 25; EuGH, Rs. C-330/03 – Colegio de Ingenieros, Urteil v. 19. 1. 2006, 2006 Slg. I-801 Rn. 30; Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012, Rn. 811. 21 EuGH, Rs. C-55/94 – Gebhard, Urteil v. 30. 11. 1995, 1995 Slg. I-4165 Rn. 37. 22 EuGH, Rs. C-324/99 – Daimler Chrysler, Urteil v. 13. 12. 2001, 2001 Slg. I-9897 Rn. 32; EuGH

Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH

23

Durch die sogenannte Keck-Rechtsprechung erfolgte eine Eingrenzung des Anwendungsbereiches der Warenverkehrsfreiheit, indem die Definition der Maßnahme gleicher Wirkung eingeschränkt wurde.23 Zur Ermittlung des Verständnisses des EuGH vom Verbraucher kommt der »Keck-Restriktion« zunächst keine Bedeutung zu, da Fragen des Verbraucherschutzes nicht die Eröffnung des Anwendungsbereiches, sondern die Rechtfertigungsebene betreffen. Zur Bestimmung der Inhalte des unionsrechtlichen Verbraucherschutzniveaus kann sie somit nichts beitragen. Denknotwendig ist jedoch die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Warenverkehrsfreiheit Voraussetzung für die Relevanz des Verbraucherleitbildes, soweit der Verbraucherschutz Element der Rechtfertigungsprüfung eines Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit ist.24 Zur Ermittlung des Verständnisses des EuGH vom Verbraucher ist nun zu untersuchen, unter welchen Voraussetzungen er eine Rechtfertigung aus Gründen des Verbraucherschutzes anerkennt. B.

Konkretisierung des Verbraucherleitbildes des EuGH anhand ausgewählter Entscheidungen mit Verbraucherbezug

Inwieweit eine verbraucherschützende mitgliedstaatliche Regelung als verhältnismäßiger Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit anerkannt wird, muss unter zwei unterschiedlichen Blickwinkeln untersucht werden. Zum einen muss gefragt werden, welche verbraucherschützende Maßnahme für die jeweilige Gegenseite die mildeste unter mehreren möglichen ist. Hier hat der EuGH mit dem sogenannten »Informationsmodell« eine klare Richtung vorgegeben, wann eine Einschränkung der Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes zulässig sein kann und wann eben nicht. Zum anderen hängt die Frage des vom EuGH zugestandenen Verbraucherschutzniveaus davon ab, welcher Grad an Selbstschutz einem Personenkreis unter Berücksichtigung gegenläufiger Interessen als zumutbar auferlegt wird. Dies ergibt sich aus dem Maßstab, der an den Verbraucher als Figur im Marktgeschehen angelegt wird.

Rs. C-322/01 – Doc Morris, Urteil v. 11. 12. 2003, 2003 Slg. I-14887 Rn. 64; Ohly in Piper/Ohly/ Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 10. 23 EuGH, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 – Keck und Mithouard, Urteil v. 24. 11. 1993, 1993 Slg. I-6097. 24 Da diese – rein europarechtliche – Frage der Eröffnung des Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten sehr komplex ist, sich in ähnlicher Weise für alle Grundfreiheiten stellt und keine unmittelbaren Auswirkungen auf den Inhalt des Verbraucherleitbildes hat, wird sie in dieser Arbeit nur fragmentarisch behandelt, vgl. Teil 1, 1. Abschnitt, III.

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

1. Das »Informationsmodell« des EuGH Zur Beschreibung des sogenannten Informationsmodells des EuGH ist auf die Entscheidung Cassis de Dijon zurückzukommen.25 Hier befasste sich der EuGH mit der Frage, ob die deutsche Festsetzung eines Mindestweingeistgehaltes für Trinkbranntweine gegen die Warenverkehrsfreiheit (heute Art. 34 AEUV) verstieß, da sie zur Folge hatte, dass traditionelle Erzeugnisse anderer Mitgliedstaaten, deren Weingeistgehalt unter der festgesetzten Grenze lag, in der Bundesrepublik Deutschland nicht in Verkehr gebracht werden konnten. Neben – fadenscheinigen – gesundheitlichen Erwägungen26 brachte die Bundesregierung vor, die Festsetzung eines Mindestweingeistgehaltes sollte die Verbraucher vor unlauterem Wettbewerb der Hersteller oder Händler alkoholischer Getränke schützen. Sie begründete dies damit, dass Weingeist aufgrund seiner hohen Abgabenbelastung der mit Abstand teuerste Bestandteil der Getränke sei und somit Hersteller von Getränken mit hohem Alkoholgehalt benachteiligt würden. Denn Verbraucher würden eher auf die günstigeren Produkte mit geringerem Weingeistgehalt zugreifen, da ihnen der geringere Alkoholgehalt nicht immer bewusst sei.27 Die gesetzliche Festsetzung eines Mindestweingeistgehaltes sei daher als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit unter anderem aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt. Hierzu führte das Gericht aus, dass eine angemessene Unterrichtung der Käufer sich ohne Schwierigkeiten auch erreichen ließe, indem man die Angabe von Herkunft und Alkoholgehalt auf der Verpackung des Erzeugnisses vorschreibt. Dies beeinträchtige die Warenverkehrsfreiheit in geringerem Maße als ein generelles Einfuhrverbot. Gleichzeitig sei der Schutz des Verbrauchers vor einem Irrtum über die Zusammensetzung des erworbenen Produktes gewährleistet. Das Allgemeininteresse des Verbraucherschutzes überwiege daher in diesem Fall nicht die Erfordernisse des freien Warenverkehrs.28 Damit hat der EuGH in diesem Fall das Spannungsverhältnis zwischen der Warenverkehrsfreiheit und dem Verbraucherschutz als Rechtfertigungsgrund zugunsten ersterer gelöst. Gleichzeitig hat er zwangsläufig eine Grenze verbraucherschützender mitgliedstaatlicher Regelungen formuliert und sich damit auch zum denkbaren Umfang zulässigen Verbraucherschutzes geäußert:29 25 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. A. 26 Das zentrale Argument der Bundesregierung war, dass Erzeugnisse mit einem niedrigeren Weingeistgehalt schneller zu Gewöhnung führten als solche mit einem höheren, vgl. EuGH, Rs. 120/78 – Rewe (»Cassis de Dijon«), Urteil v. 20. 2. 1979, 1979 Slg. 649, 662 Rn. 10. 27 EuGH, Rs. 120/78 – Rewe (»Cassis de Dijon«), Urteil v. 20. 2. 1979, 1979 Slg. 649, 662, Rn. 12. 28 EuGH, Rs. 120/78 – Rewe (»Cassis de Dijon«), Urteil v. 20. 2. 1979, 1979 Slg. 649, 662, Rn. 13. 29 Methodisch vergleichbar ist diese Vorgehensweise mit der Frage, ob eine Körperverletzungshandlung wegen Notwehr gerechtfertigt ist. Selbst wenn dies nicht der Fall ist, ist das nur durch die Prüfung der Voraussetzungen der Notwehr begründbar.

Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH

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Bevor aus Gründen des Verbraucherschutzes die Einfuhr eines Erzeugnisses von den Mitgliedstaaten verboten werden kann, haben sie zu prüfen, ob ein ausreichender Schutz der Verbraucher nicht auch durch Informationen gewährleistet werden kann. Dieser Rechtsprechung liegt somit die Erkenntnis zu Grunde, dass der Verbraucher in der Lage ist, sich selbstverantwortlich zu informieren. Nur kurze Zeit später stellte der EuGH einschränkend klar, dass die Mitgliedstaaten auch in der Auferlegung von Informationspflichten zum Schutz der Verbraucher vor Irrtümern nicht völlig frei sind. Aus dem Urteil Fietje ergibt sich, dass die Pflicht zur Umetikettierung eines Erzeugnisses nur dann zulässig ist, wenn die Angaben auf dem ursprünglichen Etikett für die Verbraucher einen Informationsgehalt haben, welcher nicht gleichwertig zu demjenigen ist, der sich aus der vom jeweiligen nationalen Gesetzgeber vorgeschriebenen Bezeichnung ergibt. Dies war in der genannten Rechtssache nicht der Fall und die Pflicht zur Umetikettierung somit nicht mit Art. 28 EG (heute Art. 34 AEUV) vereinbar.30 Damit hatte auch hier der Verbraucherschutz vor der Warenverkehrsfreiheit zurückzutreten. Die Möglichkeiten rechtfertigender Eingriffe aus Gründen des Verbraucherschutzes wurden weiter eingegrenzt. Der EuGH entschied daraufhin regelmäßig, dass zwecks Verwirklichung des Binnenmarktes und als Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips der Information der Verbraucher als milderes Mittel gegenüber Warenverkehrsbeschränkungen Vorrang einzuräumen ist.31 Folgende Entscheidungen können exemplarisch als weiterer Beleg dafür gelten, dass der EuGH eine angemessene Etikettierung und damit Information häufig als ausreichend erachtet, um Irreführungen zu verhindern32 : Mit Urteil vom 10. 11. 1982 erklärte der EuGH eine belgische Vorschrift, die die Vermarktung von Margarine nur in Würfelform erlaubte, um eine Verwechselungsgefahr mit Butter auszuschließen, für mit Art. 28 EGV (heute Art. 34 AEUV) unvereinbar. Der Schutz des Verbrauchers könne durch eine angemessene Etikettierung erreicht werden.33 Am 13. 3. 1984 entschied der EuGH, dass eine deutsche Vorschrift, die die Nutzung von Bocksbeutelflaschen nur für Qualitätsweine aus bestimmten deutschen Anbaugebieten gestattet, die Einfuhr von Weinen nicht verhindern

30 EuGH, Rs. 27 – 80 – Fietje, Urteil v. 16. 12. 1980, 1980 Slg. 3839; in der Sache ähnlich: EuGH Rs. C-369/89 – Piageme/Peeters, Urteil v. 18. 6. 1991, 1990 Slg. I-2971 Rn. 13 ff. 31 Meyer, WRP 1993, 215 (220, 221, 224). 32 Die folgenden Entscheidungen sind teilweise aus Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 50 f. entnommen. 33 EuGH, Rs. C-261/81 – Margarine, Urteil v. 10. 11. 1982, 1982 Slg. 3961, Rn. 17, 19.

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

darf, die in anderen Mitgliedstaaten üblicherweise in identischer oder ähnlicher Form abgefüllt werden.34 Entsprechend gekennzeichnet darf in Deutschland Bier in den Verkehr gebracht werden, das nicht dem deutschen Reinheitsgebot entspricht.35 Einen weiteren Aspekt brachte der EuGH mit der Entscheidung Pall vs. Dahlhausen ein, indem er entschied, dass die Verwendung des Symbols Ò in einem Staat, in dem das jeweilige Warenzeichen nicht eingetragen ist, keinen Eingriff in Art. 28 EGV (heute Art. 34 AEUV) aus Gründen des Verbraucherschutzes rechtfertigt, da sich Verbraucher mehr für die Eigenschaften einer Ware als dafür interessierten, in welchem Staat das Warenzeichen eingetragen ist. Falls im Einzelfall doch ein Interesse bestünde, gebe es schließlich die Möglichkeit im öffentlichen Register die Rechtslage hinsichtlich des betreffenden Warenzeichens zu prüfen. Hieraus kann für den Umfang der den Unternehmen auferlegten Informationspflichten entnommen werden, dass sie jedenfalls solche Gesichtspunkte nicht betreffen, die dem Verbraucher für gewöhnlich eher unwichtig sind.36 Mit dem Urteil GB-INNO-BM folgte eine weitere Erwägung. Der EuGH entschied, dass das belgische Verbot des Hinweises auf zeitlich begrenzte Preisnachlässe sowie die früheren Preise einen Verstoß gegen Art. 28 EGV (heute Art. 34 AEUV) darstellt. Eine derartige Regelung könne nicht unter dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sein. Es handele sich schließlich um Vorschriften, die dem Verbraucher den Zugang zu bestimmten Informationen verwehrten, obwohl die Union die Unterrichtung der Verbraucher als wesentliches Mittel zu deren Schutz betrachte.37 Das Vorenthalten von Information kann somit nie aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt werden. In der Clinique-Entscheidung38 beurteilte der EuGH, ob es einen Verstoß gegen die damaligen Art. 30 und 36 EGV (heute Art. 34 und 36 AEUV) darstellt, wenn ein Mitgliedstaat Einfuhr und Vertrieb eines in anderen Mitgliedstaaten rechtmäßig vertriebenen kosmetischen Produktes mit dem Namen »Clinique« mit der Begründung verbietet, die Verbraucher würden dieses für ein medizinisches Produkt halten und somit irregeführt werden. Da das Produkt ausschließlich in Parfümerien und Kosmetikabteilungen, nicht aber in Apotheken erhältlich sei, sah der EuGH das Verbot auch hier nicht als gerechtfertigt an. Er hält eine ausreichende Verbraucherinformation somit selbst dann für gewähr34 35 36 37

EuGH, Rs. 16/8 – Bocksbeutel, Urteil v. 13. 3. 1984, 1984 Slg. 1299, Rn. 30. EuGH, Rs. 178/84 – Reinheitsgebot, Urteil v. 12. 3. 1987, 1987 Slg. 1227, Rn. 53 f. EuGH, Rs. C-238/89 – Pall vs. Dahlhausen, Urteil v. 13. 12. 1990, 1990 Slg. I-4827. EuGH, Rs. 362/88 – GB-INNO-BM, Urteil v. 7. 3. 1990, 1990 Slg. I-667; ähnlich: EuGH, Rs. C126/91 – Yves Rocher, Urteil v. 18. 5. 1993, Slg. 1993 Rn. 13 ff. = WRP 1993, 615 (616). 38 EuGH, Rs. C-315/92 – Clinique, Urteil v. 02. 02. 1994, 1994 Slg. I-317.

Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH

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leistet und gleichzeitig ausreichend, wenn sich nur durch äußere, nicht unmittelbar mit der Produktaufmachung zusammenhängende Umstände eine Irreführung vermeiden lässt.39 Letztlich entschied der EuGH, dass die Vermarktung von anstatt mit Butter mit Pflanzenfett hergestellter Sauce b¦arnaise und Sauce hollandaise nicht verboten werden darf, wenn das Zutatenverzeichnis korrekt ist. Auch eine nationale Regelung, die eine zusätzliche Etikettierung verlangt, ist nicht zulässig.40 Alle diese Entscheidungen des EuGH lassen, zumindest implizit, auf eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung schließen. Regelungen zum Verbraucherschutz verfolgen zwar einen legitimen Zweck, deren konkrete Ausgestaltung jedoch an den Maßstäben der Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit zu messen ist.41 Dabei mutet und traut der EuGH dem Verbraucher als Akteur im europäischen Binnenmarkt zu, sich erforderliche Informationen zu verschaffen und diese zu verwerten. Das Ausmaß von Informationen, welche ohne explizite Anfrage des Verbrauchers zur Verfügung zu stellen sind, ist ebenfalls der Verhältnismäßigkeitsprüfung unterworfen. Äußere Umstände der Produktvermarktung können als solche ausreichende Informationen für den Verbraucher enthalten. Für den Verbraucher in der Regel unwichtige Sachverhalte brauchen nicht pauschal mitgeteilt zu werden. Das Vorenthalten von Informationen kann im Übrigen nie aus Gründen des Verbraucherschutzes gerechtfertigt sein. 2. Konkretisierung des an den Verbraucher anzulegenden Maßstabes Die bisherigen Ausführungen bezogen sich darauf, dass den Verbraucher gewisse Informationsobliegenheiten treffen, bezogen sich also auf ein erwartbares Verhalten des Verbrauchers. Im Folgenden soll das Verständnis des EuGH von der Figur des Verbrauchers als solcher beschrieben werden. Da es für die Ermittlung des allgemeinen Verständnisses des EuGH vom Verbraucher letztlich irrelevant ist, ob der konkrete Sachverhalt allein anhand der Warenverkehrsfreiheit oder zusätzlich anhand einschlägiger Richtlinien und Verordnungen zu beurteilen ist, werden Urteile der letztgenannten Art im Sinne einer möglichst umfassenden Darstellung im Folgenden mit in die Betrachtung einbezogen. Nach dem aufgezeigten Informationsmodell des EuGH hat der Verbraucher jedenfalls im Grundsatz willig und fähig zu sein, sich zu informieren. Hieraus folgt normativ zwingend, dass dieser sich kontinuierlich informierende Ver-

39 Ebenso: von Wild, Der »vernünftige Verbraucher«, 1998, S. 141 f. 40 EuGH, Rs. C-51/94 – Sauce hollandaise, Urteil v. 26. 10. 1995, 1995 Slg. I-3599, Rn. 41. 41 Ähnlich z. B. Höland, Liber amicorum Norbert Reich, 1997, 195 (206 f.).

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braucher aufgrund seiner Lebenserfahrung über einen gewissen Informationsstand verfügt. Der Maßstab des »durchschnittlich informierten Verbrauchers« wurde daher im Rahmen der Auslegung der in Art. 1 der Richtlinie 65/65 des Rates vom 26. 01. 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten enthaltenen Definition des Arzneimittels für diesen Regelungsbereich bereits 1983 durch mehrere Urteile gesetzt. Im Urteil »van Bennekom« entschied der EuGH, dass ein Erzeugnis nicht nur dann Arzneimittel sei, wenn es ausdrücklich so benannt ist, sondern auch dann, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher auch nur schlüssig, aber mit Gewissheit der Eindruck entsteht, es handele sich um ein solches.42 Die Figur des durchschnittlich informierten Verbrauchers wurde in der Folge in mehreren Entscheidungen zur Bestimmung des Vorliegens eines Arzneimittels herangezogen.43 Ob bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher der Eindruck entstehe, es handele sich um ein Arzneimittel, beurteile sich anhand verschiedener Indizien. Relevant könnten beispielsweise die äußere Form des Produkts (Tabletten, Pillen, Kapseln), die Bezeichnung des Produkts als Mittel mit therapeutischen Wirkungen oder die Aufmachung von Verpackung und Beipackzettel sein.44 Auf andere Fragen und Rechtsgebiete wurde die Formel vom durchschnittlich informierten Verbraucher jedoch erst mit dem Urteil Gut Springenheide45 übertragen. Im Urteil Mars46 stellte der EuGH erstmals die Maßstabsfigur eines verständigen Verbrauchers auf. Er entschied über die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes. Konkret ging es um die Frage der Irreführungseignung eines auf der Verpackung optisch größer gestalteten Aufdrucks »+10 %« auf einem Schokoriegel als es der tatsächlichen Mehrmenge von 10 % entsprach. Der EuGH entschied, dass »von verständigen Verbrauchern erwartet werden kann, dass sie wissen, dass zwischen der Größe von Werbeaufdrucken, die auf eine Erhöhung der Menge des Erzeugnisses hinweisen, und dem Ausmaß dieser Erhöhung nicht notwendig ein Zusammenhang besteht.«47 Er verneinte folglich eine Irreführungseignung unter Zugrundelegung des Maßstabes eines verständigen Verbrauchers. 42 EuGH, Rs. 227/82 – Van Bennekom, Urteil v. 30. 11. 1983, 1983 Slg. 1983, 3883 Rn. 18. 43 EuGH, Rs. C-369/88 – Delattre, Urteil v. 21. 3. 1991, 1991 Slg. I-1487 Rn. 40, 58; EuGH, Rs. C60/89 – Monteil und Samonni, Urteil v. 21. 3. 1991, 1991 Slg. I-1547 Rn. 23 f.; EuGH, Rs. C219/91 – Ter Voort, Urteil v. 28. 10. 1992, 1992 Slg. I-5485. 44 EuGH, Rs. 227/82 – Van Bennekom, Urteil v. 30. 11. 1983, 1983 Slg. 1983, 3883 Rn. 19; EuGH, Rs. C-369/88 – Delattre, Urteil v. 21. 3. 1991, 1991 Slg. I-1487 Rn. 40; EuGH, Rs. C-219/91 – Ter Voort, Urteil v. 28. 10. 1992, 1992 Slg. I-5485 Rn. 27. 45 Siehe dazu sogleich, Fn. 60. 46 EuGH, Rs. C-470/93 – Mars, Urteil v. 06. 07. 1995, 1995 Slg. I-1923. 47 EuGH, Rs. C-470/93 – Mars, Urteil v. 06. 07. 1995, 1995 Slg. I-1923 Rn. 24.

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In der das heutige Verbraucherleitbild auf europäischer Ebene prägenden Entscheidung Gut Springenheide stellte der EuGH erstmals ausdrücklich die Formel vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher auf.48 Im zugrundeliegenden Fall hatte das deutsche Bundesverwaltungsgericht zu entscheiden, ob die Bezeichnung »6-Korn-Eier« irreführend ist, wenn der Futteranteil aus den sechs zur Fütterung verwandten Getreidearten nur 60 % der Futtermischung beträgt. Dies hing nach der Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts von der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1907/90 des Rates vom 26. 6. 1990 über bestimmte Vermarktungsnormen für Eier ab. Hinsichtlich der Frage, welcher Maßstab zur Ermittlung einer Irreführungsgefahr für Verbraucher hierbei anzulegen ist, hat das Gericht dem EuGH folgende drei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: »1. Ist für die nach Artikel 10 Abs. 2 Buchst. e der Verordnung (EWG) Nr. 1907/90 erforderliche Beurteilung, ob werbewirksame Angaben geeignet sind, den Käufer irrezuführen, die tatsächliche Erwartung der angesprochenen Verbraucher zu ermitteln, oder liegt der vorgenannten Regelung ein objektiver, allein juristisch zu interpretierender Käuferbegriff als Maßstab zugrunde? 2. Für den Fall, dass es auf die tatsächliche Verbrauchererwartung ankommt, stellen sich folgende Fragen: a) Ist die Auffassung des aufgeklärten Durchschnittsverbrauchers oder die des flüchtigen Verbrauchers maßgeblich? b) Lässt sich der Anteil der Verbraucher prozentual festlegen, der erforderlich ist, um eine maßgebliche Verbrauchererwartung zu begründen? 3. Für den Fall, dass es auf einen objektivierten, allein juristisch zu interpretierenden Käuferbegriff als Maßstab ankommt, stellt sich die Frage, wie dieser Begriff zu bestimmen ist.«49

Zunächst stellt der EuGH fest, dass eine auf die Ernährung der Tiere bezogene Angabe nicht unter den Geltungsbereich der vom Bundesverwaltungsgericht genannten Verordnung fiele, da diese nur Angaben über die Haltungsarten regele. Im Folgenden benennt er die Kriterien für die Feststellung einer Irreführungseignung und versteht diese allgemein, d. h. übergreifend auf sämtliche Regelungsbereiche, in denen das Verbraucherleitbild von Relevanz sein kann und damit auch für die Fälle der Verhältnismäßigkeitsprüfung eines Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit:50 48 EuGH, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Urteil v. 16. 07. 1998, 1998 Slg. I-4657, Rn. 31. 49 BVerwG, Az. 3 C 26/94, Vorlagebeschluss v. 8. 2. 1996, Sammlung lebensmittelrechtlicher Entscheidungen, Band 33, 197 (198). 50 EuGH, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Urteil v. 16. 07. 1998, 1998 Slg. I-4657, Rn. 23 ff.; vgl. hierzu auch Reese, WRP 1998, 1035 (1036).

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Er äußert sich dahingehend, dass die drei Fragen des Bundesverwaltungsgerichts zusammen zu beantworten seien und weist darauf hin, dass er selbst zur Feststellung einer Irreführungseignung auf die mutmaßliche Erwartung eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstelle, ohne ein Sachverständigengutachten einzuholen oder eine Verbraucherbefragung in Auftrag zu geben. Er stellt weiterhin fest, dass für die nationalen Gerichte in der Regel das Gleiche gelte, diese aber nicht gehindert seien, bei Vorliegen besonderer Umstände ein Sachverständigengutachten einzuholen oder eine Verbraucherbefragung durchzuführen. In der Folge hat der EuGH in einer Vielzahl weiterer Urteile die Maßstabsfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zur Bestimmung einer Irreführungseignung herangezogen.51 3.

Inhaltliche Ausgestaltung der Formel vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher Neben der Festlegung des EuGH auf den »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher« lässt sich im Urteil Gut Springenheide eine vage Wegweisung für eine Vielzahl in diesem Zusammenhang in Deutschland diskutierter Problemkreise erkennen. a) Die Gewichtung faktischer und normativer Kriterien Durch die Aufteilung der Vorlagefrage in drei Unterfragen griff das Bundesverwaltungsgericht den in Deutschland währenden Streit darüber auf, ob für die Bestimmung einer Irreführungsgefahr nach der Rechtsprechung des EuGH auf eine »normierte Verkehrsauffassung« oder aber auf die tatsächliche Verkehrsauffassung der angesprochenen Verkehrskreise abzustellen ist.52 Diese Sichtweisen wurden überwiegend in einem Ausschließlichkeitsverhältnis gesehen. Die Ausführung des EuGH, seine eigene Vorgehensweise bestehe in einer selbst vorgenommenen Bewertung, in der er auf die mutmaßliche Erwartung 51 Vgl. z. B. EuGH, Rs. C-303/97 – Sektkellerei Kessler, Urteil v. 28. 1. 1999, 1999 Slg. I-513 Rn. 36 f.; EuGH, Rs. C-220/98 – Est¦e Lauder, Urteil v. 31. 1. 2000, 2000 Slg. I-117 Rn. 27 ff.; EuGH, Rs. C-465/98 – Darbo, Urteil v. 4. 4. 2000, 2000 Slg. I-2321; EuGH, Rs. C-299/99 – Philips, Urteil v. 18. 6. 2002, 2002 Slg. I-5475 Rn. 63 ff.; EuGH, Rs. C-99/01 – Linhart und Biffl, Urteil v. 24. 10. 2002, 2002 Slg. I-9375 Rn. 31; EuGH, verb. Rs. C-53/01 bis C-55/01 – Linde, Winward und Rado, Urteil v. 8. 4. 2003, 2003 Slg. I-3161; EuGH, Rs. C-358/01 – Reinigungsmittel mit Bleichlauge, Urteil v. 6. 11. 2003, 2003 Slg. I-13145. 52 Vgl. dazu z. B. Ulbrich, WRP 2005, 940 (941); Deutsch, GRUR 1996, 541 (546); GRUR 1997, 44 (45) (hinsichtlich der Auslegung der früheren Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG); Fezer, WRP 1995, 671 (672); Gloy, Festschrift für R. Vieregge, 1995, S. 297 (314); Gloy, Festschrift für W. Erdmann, 2002, 811 (815, 818).

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eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abstelle, wobei er aber die Möglichkeit der Einholung eines Sachverständigengutachtens oder einer Verbraucherbefragung nicht prinzipiell ausschließe, lieferte auf die gestellte Frage aus deutscher Sicht sicherlich keine befriedigende Antwort. So wurde diese Aussage des EuGH in der Literatur von manchem Autor unter Berücksichtigung des Vorlagebeschlusses des Bundesverwaltungsgerichts als »Abkehr von der normativen Verkehrsauffassung« interpretiert53, von anderen Autoren hingegen genau das Gegenteil, nämlich die ausdrückliche Bestätigung eines normativen Maßstabes erkannt.54 Um klären zu können, worum es in der skizzierten Diskussion eigentlich geht und wie sie aufzulösen ist, ist nun vertieft auf die der »Leitbilddiskussion« zugrundeliegende europarechtliche Dogmatik einzugehen. Dies soll zunächst auf der Ebene des Primärrechts und hier insbesondere anhand der Warenverkehrsfreiheit geschehen. In sämtlichen bisher in dieser Arbeit zitierten Entscheidungen diente das Verbraucherleitbild als Maßstab innerhalb der Prüfung der Rechtfertigung eines Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes. Primärziel der jeweiligen Entscheidungen des EuGH war also nie die Überprüfung eines aus europarechtlicher Sicht ausreichenden Verbraucherschutzniveaus, sondern vielmehr die Kontrolle der bestmöglichen Erreichung des Zieles eines funktionierenden Binnenmarktes unter dem Blickwinkel der möglicherweise ausnahmsweisen Zulässigkeit eines Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes.55 Aus dieser Erkenntnis folgt unmittelbar, dass eine Diskussion über das »richtige« Verbraucherleitbild nicht sinnvoll aus seinem eigentlichen Kontext herausgelöst erfolgen kann. Genauer formuliert ging es dem EuGH nie darum, festzulegen, welchen Verbraucherschutzstandard das Europarecht gebietet, sondern vielmehr darum, welches Verbraucherschutzniveau ein funktionierender Binnenmarkt vor dem Hintergrund des Angleichungs- und Harmonisierungsaspektes »ertragen« kann.56 Man mag diesen Vorrang des Binnenmarktgedankens (Art. 26 II AEUV)57 vor sämtlichen anderen Belangen für bedenklich halten oder nicht, letztlich ist er in der derzeit geltenden Fassung des AEUV vorgegeben. So sieht etwa Leible58 das Leitbild eines »verständigen und informierten Wirtschaftsbürgers« als einzige Möglichkeit, den Verbraucher53 Groeschke/Kiethe, WRP 2001, 230 (231); Gloy, Festschrift für W. Erdmann 2002, 811 (821). 54 Ulbrich, WRP 2005, 940 (942); Scherer, GRUR 2000, 273 (275); Scherer, WRP 1999, 991 (992); Vgl. auch Fezer, WRP 1995, 671 (675) zum Urteil »Mars«. 55 Beater, GRURInt. 2000, 963 (971). 56 Beater, GRURInt. 2000, 963 (969); Meyer, WRP 1993, 215 (221). 57 Vgl. z. B. Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 9. 58 Leible, EuZW 1998, 528 (529).

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schutz mit einer freiheitsbasierten Rechtsordnung, deren Wirtschaftsverfassung von Markt und Wettbewerb bestimmt ist, in Einklang zu bringen. Betrachtet man das Verbraucherleitbild nun aus diesem Blickwinkel, lässt sich folgendes feststellen: Sämtliche die Warenverkehrsfreiheit beschränkenden, durch einen Schutzzweck legitimierten nationalen Maßnahmen müssen vom Verhältnismäßigkeitsprinzip gedeckt sein.59 Die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Regelung beinhaltet notwendigerweise eine wertende Abwägung gegensätzlicher Interessen. Infolgedessen muss ein aus dieser Verhältnismäßigkeitsprüfung erwachsenes Verbraucherleitbild zwingend wertende Elemente beinhalten. Deshalb ist dem Versuch zu widersprechen, dem EuGH ein rein tatsächliches Verkehrsverständnis zu unterstellen. Ein Täuschungs- oder Irreführungsschutz der Verbraucher, der sich allein an tatsächlichen Auffassungen, Wahrnehmungen und Einstellungen der jeweils nationalen Verbraucher zum Ist-Zeitpunkt orientiert ohne seine Auswirkungen auf den Binnenmarkt wertend in Form einer Abwägung zu berücksichtigen, kann aus europarechtlicher Sicht nicht genügen. Nur die in der Maßstabsfigur des Verbraucherleitbildes zum Ausdruck kommende Normativität kann dem europarechtlichen Verständnis von der Freiheit des Binnenmarktes gerecht werden.60 Sollte es für die Verwirklichung eines funktionierenden Binnenmarktes notwendig sein, sind Irreführungen und Täuschungen der Verbraucher im Einzelfall hinzunehmen.61 In mittelfristiger Perspektive sind Verbraucher dann gezwungen, ihre Gewohnheiten zu ändern, damit sich ihre Irrtümer nicht wiederholen.62 Das europäische Recht verlangt vom Verbraucher »Entwicklungsoffenheit und kritische Prüfung«63. Dies liegt nicht zuletzt auch daran, dass vorgeblich unveränderbare Verbrauchergewohnheiten von den einzelnen Mitgliedstaaten häufig als Argumente der Rechtfertigung nationalprotektionistischer Maßnahmen missbraucht werden. Nach Höland zeigt sich der EuGH daher hinsichtlich des Argumentes der Tradition im Hinblick auf den Verbraucherschutz und das Verbraucherleitbild »wenig beeindruckbar«.64 Überspitzt formuliert könnte man behaupten, die vom EuGH kreierte Maßstabsfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers sei in Bezug auf die Warenverkehrsfreiheit nichts anderes als ein Appell an die 59 Meyer, WRP 1993, 215 (220). 60 Fezer, WRP 1995, 671 (674). 61 Im Übrigen ist diese Notwendigkeit im Hinblick auf ein funktionierendes Wirtschaftsleben jedenfalls für den Bereich der Werbung aus deutscher Sicht nichts Neues, vgl. Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 90. 62 Beater, GRURInt. 2000, 963 (968); Höland, Liber amicorum Norbert Reich, 1997, 195 (205); Meyer, WRP 1993, 215 (222). 63 Meyer, WRP 1993, 215 (224). 64 Höland, Liber amicorum Norbert Reich, 1997, 195 (203 f.).

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rechtssetzenden und rechtsanwendenden Organe der Mitgliedstaaten, nicht allzu leichtfertig und ungeprüft Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes für gerechtfertigt zu halten. Im Übrigen ist die Verkehrsauffassung auch auf nationalstaatlicher Ebene beispielsweise im Lebensmittelrecht in einer Vielzahl von Einzelregelungen stark normativiert, eine Diskrepanz zwischen normativer und tatsächlicher Verkehrsauffassung mithin zugunsten von Rechtsklarheit und Wettbewerbsfreiheit akzeptiert.65 Zwar mag – wie beispielsweise von Gloy aus rein verbraucherschützender Perspektive kritisiert – ein normatives Verständnis der Verbrauchererwartung langfristig dazu führen, dass weniger der Schutz der einzelnen Verbraucher, für die das Irreführungsverbot besteht, in den Blickpunkt rückt, sondern vielmehr auf »Sollvorstellungen eines abstrakten Verbrauchers« abgestellt wird.66 Das Primärziel des Unionsrechts, nämlich die Verwirklichung des Binnenmarktes, gestattet eine rein verbraucherschützende Perspektive jedoch nicht. Auch Gloy erkennt sowohl die Maßstabsfigur des Durchschnittsverbrauchers67 als auch die Notwendigkeit richterlicher Bewertung und Interessenabwägung sowie insbesondere die Überprüfung des Einflusses der Warenverkehrsfreiheit im Einzelfall68 an. Hiermit bekennt er sich zu einer Normativierung des Verbraucherverständnisses im zweiten Schritt. Indirekt ist damit das zuvor von ihm kritisierte Abstellen auf die »Sollvorstellungen eines Verbrauchers« verbunden. Beizupflichten ist Gloy aber insoweit, als aus der Bejahung eines normativen Gehalts des Verbraucherleitbildes nicht gefolgert werden sollte, dass die Verkehrsauffassung allein wertend und ohne jeden Blick auf tatsächliche Gegebenheiten zu ermitteln wäre. Auch der EuGH möchte die beiden vom Bundesverwaltungsgericht genannten Möglichkeiten nicht im Sinne einer Ausschließlichkeit verstanden wissen. Vielmehr stellt das tatsächliche Verständnis der Verbraucher mit all seinen empirischen Komponenten die Basis für eine normative Ermittlung der Verbrauchererwartung dar.69 Denn die Annahme des normativen Gehaltes des Begriffes der Verkehrsauffassung steht seiner Anknüpfung an tatsächliche Umstände nicht entgegen.70 Selbstverständlich haben Richter bei Unklarheiten darüber, wie der Verbraucher tatsächlich auffasst, die Möglichkeit, Verkehrsbefragungen und Sachverständigengutachten in Auftrag 65 66 67 68 69 70

Vgl. die Beispiele bei Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 37 ff. Gloy, Festschrift für W. Erdmann, 2002, S. 811 (825 f.). Gloy, Festschrift für W. Erdmann, 2002, S. 811 (826). Gloy, Festschrift für W. Erdmann, 2002, S. 811 (828). Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 42 f. Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 69; Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, 36 f., 42 a.E., 55 f.; Fezer, WRP 1995, 671 (676); Tilmann in Festschrift für H. Piper, 1996, 481 (489); ebenso für die »Verwechselungsgefahr«: Seibt, GRUR 2002, 465 (472); mit stärkerer Gewichtung des tatsächlichen Elements: Helm, Festschrift für W. Tilmann, 2003, 135 (143).

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zu geben. Häufigkeit und Intensität von Irreführungen werden oft nur so feststellbar sein. Des Öfteren wird diese tatsächliche Auffassung und damit auch das Ausmaß möglicher Täuschung in die normative Gesamtbewertung einfließen müssen. Durch eine vorherige tatsächliche Feststellung kann eine normative Bewertung wesentlich fundierter und an den Realitäten orientiert erfolgen. b) Konkretisierung der normativen Kriterien Möchte man allerdings die normative Komponente des Verbraucherleitbildes mit einem konkreteren Inhalt füllen, fällt auf, dass in der Literatur größtenteils allein darauf hingewiesen wird, dass eben die tatsächliche Verkehrsauffassung nicht maßgeblich sei und der Richter wertend zu ermitteln habe, wie der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Verbraucher in der konkreten Situation zu entscheiden habe.71 Diese Äußerungen verkennen zum einen, dass auch das Verbraucherleitbild des EuGH auf einer empirischen Basis fußt.72 Zum anderen wird nur wenig diskutiert, welche Wertungen der Rechtsanwender in seine Beurteilung einfließen lassen muss.73 In dem bisher weitgehenden Fehlen74 einer rechtsgebiets- bzw. fallbezogenen wissenschaftlichen Auseinandersetzung darüber, welche Wertungen jeweils zur Ausfüllung der Formel vom »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher« heranzuziehen sind, könnte derzeit die eigentliche Schwierigkeit dieser Maßstabsfigur bei ihrer einzelfallbezogenen Anwendung liegen. Vergho beispielsweise ist zwar dahingehend zuzustimmen, dass mit dem europarechtlichen Verbraucherleitbild ein gemischt empirisch-normatives Modell einhergeht. Seine Aussage, bei einer rein normativen Betrachtungsweise sei der jeweils Betroffene allein dem Richter ausgeliefert, da es keine Möglichkeit eines Beweisverfahrens mehr gäbe,75 ist jedoch nur so lange zutreffend, wie kein austariertes geschriebenes oder ungeschriebenes Wertungssystem existiert, mittels dessen Irreführungsgefahren zu ermitteln sind: Hierzu sollte man sich darauf besinnen, dass die Funktion der Maßstabsfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ursprünglich allein darin bestand, die Rolle des Verbrau71 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 97; Omsels, GRUR 2005, 548 (558). 72 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 41 ff. 73 Vgl. die Einschätzung bei Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 65 f., 68, 96. 74 Eine Ausnahme sind insoweit z. B. die Arbeiten von Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003 und von Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 75 ff. wobei Letzterer seine Untersuchungsergebnisse nicht als Konkretisierung des vom EuGH entwickelten Verbraucherleitbildes, sondern als Abweichung versteht. 75 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 97.

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chers als Akteur im europäischen Binnenmarkt zu konkretisieren76 und zu verhindern, dass überragende Wertungen des Unionsrechts allzu leichtfertig zu Gunsten eines (häufig nur vermeintlichen) Verbraucherschutzes in den Hintergrund gedrängt werden. »Normativ« bedeutet somit nichts anderes, als dass bei der Überprüfung einer Täuschung(s-) bzw. Irreführung(sgefahr) für den Verbraucher alle im jeweiligen Kontext relevanten europarechtlichen Wertungsmomente zu ermitteln und zu gewichten sind. Im Rahmen einer Abwägung dieser Wertungsmomente gegeneinander ist dann das höchstmögliche einer Verhältnismäßigkeitsprüfung standhaltende – auch von Art. 169 AEUV erwünschte – Verbraucherschutzniveau zu ermitteln.77 Die Folge dieser Erkenntnis ist, dass dem Leitbild des »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers« aufgrund seiner mannigfaltigen und vielgestaltigen Verwendung in den unterschiedlichsten Rechtsgebieten keine starre, auf alle Fälle anwendbare und fixe Begriffsdefinition zugedacht werden kann.78 Das Wort »normativ« drückt in diesem Zusammenhang nichts anderes aus. So formuliert etwa Ahrens79 im Hinblick auf die Irreführungsgefahr einerseits und die Verwechselungsgefahr andererseits: »Wegen der unterschiedlichen Funktionen der Figur des Durchschnittsverbrauchers in den unterschiedlichen Einsatzbereichen kann man trotz Wortlautidentiät nicht von einem einheitlichen Leitbild sprechen.« Höland stellt fest, dass das Unionsrecht aufgrund der Vielfalt der Lebensbereiche keinen Verbraucherbegriff kenne, der einheitlich allen Regelungsbereichen zugrunde zu legen wäre. Dennoch hätten sich verallgemeinerbare Leitbilder durchgesetzt.80 Aus dieser Sichtweise resultiert jedoch ebenfalls, dass eine weitergehende allgemeingültige Konkretisierung des Verbraucherleitbildes an der Vielfalt der Lebens- und Regelungsbereiche, in die das Unionsrecht hineinwirkt, scheitern muss. Aus diesem Grund ist auch die Kritik Reeses81, der EuGH habe es in seinem Urteil Gut Springenheide versäumt, das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers mit inhaltlichen Wertungsbegriffen auszufüllen und zu konkretisieren anstatt diese Maßstabsfigur als »konturenlosen und praktisch nicht operablen Rechtsbegriff« relativ inhaltsleer stehen zu lassen, größtenteils unberechtigt. Einzig eine deutlichere Erklärung des Gerichtshofes, dass das konkrete Verbraucherschutzniveau im Einzelfall anhand einer Abwägung aller dem jeweiligen Rege76 Fezer, WRP 1995, 671 (676); vgl. oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. 3. a), b). 77 Lettl, GRUR 2004, 449 (454). 78 Vgl. auch Groeschke/Kiethe, WRP 2001, 230, die einen »situationsadäquaten Maßstab« fordern. 79 Ahrens, WRP 2000, 812 (816). 80 Höland, Liber amicorum Norbert Reich, 1997, 195 (212). 81 Reese, WRP 1998, 1035 (1041).

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lungsbereich zugrundeliegenden Wertungen zu bestimmen ist, wäre wünschenswert gewesen. Solche abstrakten Wertungen können beispielsweise aus folgenden Fragestellungen resultieren: Inwieweit ist die Privatautonomie beider Parteien zu berücksichtigen?82 Richtet sich die Handlung an eine Einzelperson oder an einen unbestimmten Personenkreis? Lassen sich Aussagen über die Adressatenstruktur treffen? Welche Auswirkungen hätte eine Fehlentscheidung des Verbrauchers auf seinen Lebensbereich? Kann der Verbraucher auch anders als durch Verbote geschützt werden? Welcher Art ist das betroffene Produkt und welche Risiken sind mit seinem Erwerb verbunden?83 Selbstverständlich lässt sich darüber streiten, ob es dem EuGH nicht möglich gewesen wäre, das europäische Verbraucherschutzniveau griffiger zu umschreiben. Da dies nicht geschehen ist, sind die nationale Rechtsprechung und Wissenschaft nun aufgefordert, in sich konsistente und gefestigte Auslegungskriterien für diesen auslegungsbedürftigen und -fähigen84 Rechtsbegriff des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu entwickeln und damit mittelfristig für Rechtssicherheit in den einzelnen Rechtsgebieten zu sorgen.85 Hierbei sollte beachtet werden, dass die isolierte Betrachtung des Verbraucherleitbildes ohne Einbettung in seinen Sinnzusammenhang unweigerlich zu einer vermeintlichen Inhaltsleere des Wortes »normativ« und damit zu Missverständnissen führt. Das Europarecht fordert keine Absenkung des in den einzelnen Mitgliedstaaten bestehenden Verbraucherschutzes als Selbstzweck. Eine derartige Politik wäre als starker Eingriff in die gesetzgeberische Gestaltungsfreiheit der Mitgliedstaaten auch nicht zu rechtfertigen. Rechtfertigen lässt sich eine Absenkung von Schutzstandards nur mit übergeordneten Zielen, vorliegend vor allem dem Binnenmarktgedanken.86 Das Urteil »Gut Springenheide« lässt daher weder eine rein normative noch eine rein tatsächliche Bestimmung der Verkehrsauffassung als jeweils einziges Mittel zu. Vielmehr legitimiert es eine normative Bestimmung des Verbraucherschutzniveaus unter Berücksichtigung und Auswertung der tatsächlichen Auffassungen der angesprochenen Verkehrskreise.87

82 Vgl. generell zum Stellenwert der Privatautonomie Dreher, JZ 1997, 167 (177); Schünemann in Festschrift für H.E. Brandner, 1996, S. 279 (282 ff.). 83 Vgl. hierzu z. B. die Unterteilung nach Erfahrungs-, Such- und Vertrauensgütern bei Groeschke/Kiethe, WRP 2001, 230 (234). 84 Insoweit a. A. Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 68. 85 Vgl. zur leider bisher uneinheitlichen Rechtsprechung des BGH, Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 62 ff.; zur Frage der Rechtssicherheit ders. S. 58, 61. 86 Beater, GRURInt 2000, 963 (964). 87 Ähnlich: Ahrens, WRP 2000, 812 (814); Reese, WRP 1998, 1035 (1042).

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c) Die adäquate Formulierung des Verbraucherschutzniveaus Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass auf die teilweise sehr emotional geführte Diskussion darüber, ob der EuGH nur in der deutschen Fassung vom »verständigen« Verbraucher spreche bzw. es sich gar um einen Übersetzungsfehler handele sowie auf die Diskussion darüber, ob das Wort »durchschnittlich« sich nur auf »aufmerksam« oder auch auf »informiert« beziehe,88 in dieser Arbeit nicht vertieft eingegangen werden soll. Jedenfalls erscheint es vermessen, dem EuGH zu unterstellen, er hielte seit der Entscheidung Gut Springenheide und damit seit dreizehn Jahren in den deutschen Fassungen seiner zahlreichen Urteile zum Verbraucherleitbild hinsichtlich des Wortes »verständig« an einem Übersetzungsfehler fest.89 Eine abstrakte Diskussion um eine adäquate Formulierung des Verbraucherleitbildes vermag insgesamt keinen Erkenntnisgewinn zu bringen, da es für die Ermittlung des maßgeblichen Verbraucherschutzniveaus im Einzelfall auf die den konkreten Regelungszusammenhängen zugrundeliegenden Wertungen ankommt. Es ist außerdem zu vermuten, dass der EuGH selbst mit seiner Wortwahl keine derart akribischen Festsetzungen treffen wollte. Die Worte »durchschnittlich«, »informiert«, »aufmerksam« und »verständig« dienen als Orientierungshilfe für eine fundierte Abwägung. So kann die Frage, von welchem Informationsstand des Verbrauchers ein Unternehmer ausgehen darf oder inwieweit er annehmen darf, dass Produktinformationen wahrgenommen werden, ebenso als Abwägungsparameter einfließen wie die Frage, wie kritisch ein Verbraucher für gewöhnlich mit den zur Verfügung stehenden Informationen umgeht.90 Für diese Sichtweise streitet, dass der EuGH selbst das Verbraucherleitbild in der deutschen Sprache nicht immer identisch formuliert, in der englischen und französischen Sprache hingegen schon. In den meisten Entscheidungen ist in der deutschen Übersetzung die Rede vom »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher«91. In neueren Entscheidungen findet sich aber auch der »normal informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher«92 oder der »normal informierte und angemessen aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher«93. Im Englischen hingegen ist durchgehend die Rede vom »average consumer (who is) reasonably well-informed and reasonably observant and 88 Vgl. z. B. Lettl, GRUR 2004, 449 (453); Sack, WRP 1999, 399 (400); ausführlich: Helm, WRP 2005, 931 ff.; Helm, Festschrift für W. Tilmann, 2003, 135 ff. 89 In jüngster Zeit: EuGH, Rs. C-281/10 P. – PepsiCo, Urt. v. 20. 10. 2011, Rn. 47; abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm. 90 Vgl. im Einzelnen Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 22 ff. 91 Z.B.: EuGH, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Urteil v. 16. 7. 1998, 1998 Slg. I-4657 Rn. 13. 92 EuGH, Rs. 104/01 – Libertel, Urteil v. 6. 5. 2003, 2003, Slg. I-3793, Rn. 46. 93 EuGH, Rs. C-329/02 P. – Sat. 1, Urteil v. 16. 9. 2004, Slg. I-8317 Rn. 24.

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circumspect«94, im Französischen vom »consommateur moyen, normalement inform¦ et raisonnablement attentif et avis¦«95. Besonders deutlich wird die Tatsache, dass der EuGH der genauen Formulierung des Verbraucherleitbildes keine weitere Bedeutung beimisst in einem Urteil, in welchem es um die Anwendung der Richtlinie 2005/29/EG ging.96 Diese Richtlinie nimmt in der deutschen Fassung in ihrem Erwägungsgrund 18 den »Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist (…) als Maßstab.« In der deutschen Fassung seines Urteils stellt der EuGH dies zunächst fest, indem er die genannte Passage der Richtlinie zitiert, und erklärt dann in der nächsten Randnummer, er selbst stelle auf die »Wahrnehmung des normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ab«.97 Für den EuGH ist dies kein Widerspruch, sondern exakt dasselbe Leitbild. Vergleicht man diese Urteilspassage nämlich mit der englischen und der französischen Urteilsfassung, stellt man fest, dass es dort im Gegensatz zur deutschen Fassung keinen Unterschied in der Formulierung des Leitbildes nach der Richtlinie 2005/29/EG und nach der Rechtsprechung des EuGH gibt: Im Englischen heißt es: »That directive (erg.: 2005/29/EG) takes as a benchmark the average consumer, who is reasonably well informed and reasonably observant and circumspect (…). The Court has already held that (…) the national courts must take into account the perception of an average consumer who is reasonably well informed and reasonably observant and circumspect.«98

Im Französischen heißt es: «Cette directive (erg. : 2005/29/EG) prend comme critÀre d’¦valuation le consommateur moyen qui est normalement inform¦ et raisonnablement attentif et avis¦ (…). La Cour a d¦j— jug¦ que (…) les juridictions nationales doivent prendre en consid¦ration la

94 EuGH, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Urteil v. 16. 7. 1998, 1998 European Court Reports I-4657 Rn. 13; EuGH, Rs. 104/01 – Libertel, Urteil v. 6. 5. 2003, 2003 European Court Reports I-3793, Rn. 46; EuGH, Rs. C-329/02 P. – Sat. 1, Urteil v. 16. 9. 2004, 2004 European Court Reports I-8317 Rn. 24. 95 EuGH, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Urteil v. 16. 7. 1998, 1998 Recueil de Jurisprudence I-4657 Rn. 13; EuGH, Rs. 104/01 – Libertel, Urteil v. 6. 5. 2003, 2003 Recueil de Jurisprudence I-3793, Rn. 46; EuGH, Rs. C-329/02 P. – Sat. 1, Urteil v. 16. 9. 2004, 2004 Recueil de Jurisprudence I-8317 Rn. 24. 96 EuGH, Rs. C-122/10 – Konsumentenombudsmannen, Urt. v. 12. 5. 2011, abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm. 97 EuGH, Rs. C-122/10 – Konsumentenombudsmannen, Urt. v. 12. 5. 2011, Rn. 22 und 23 abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm. 98 EuGH, Rs. C-122/10 – Konsumentenombudsmannen, Urt. v. 12. 5. 2011, Rn. 22 und 23 abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm (Hervorhebungen durch die Verf.).

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perception du consommateur moyen, normalement inform¦ et raisonnablement attentif et avis¦.»99

Zusammengefasst kommt der genauen Formulierung des Leitbildes daher keine weitere Bedeutung zu. Vielmehr ist das jeweilige unionsrechtliche Verbraucherschutzniveau einzelfallabhängig anhand tatsächlicher und normativer Kriterien zu ermitteln. Diese Einschätzung soll im Folgenden anhand der Einschränkung des Maßstabes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers durch den EuGH in Einzelfällen und in den sich anschließenden Kapiteln anhand der Regelungsbereiche anderer Grundfreiheiten sowie des Sekundärrechts überprüft und weiter ausgeführt werden. 4. Die Berücksichtigung der Struktur der angesprochenen Personenkreise Bereits 1989, also lange bevor der EuGH das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ausdrücklich entwickelt hat, erkannte er die besondere Schutzbedürftigkeit einzelner Personenkreise an. In der Rechtssache Buet ging es um ein französisches Verbot der Kundenwerbung an der Haustür für den Verkauf von pädagogischem Material. Der EuGH bestätigte zwar die Eröffnung des Anwendungsbereiches des heutigen Art. 34 AEUV, sah das Verbot allerdings aus Gründen des Verbraucherschutzes als gerechtfertigt an. Zwar sei ein Rücktrittsrecht bei Haustürgeschäften für gewöhnlich als milderes Mittel ausreichend, um Erfordernissen des Verbraucherschutzes gerecht zu werden. Jedoch handele es sich bei den potentiellen Kunden häufig um Personen, die aufgrund eines Bildungsrückstandes, den sie aufholen wollen, besonders schutzlos gegenüber Verkäufern von pädagogischem Material seien, da diese ihnen vermittelten, die Benutzung des angebotenen Materials sichere ihnen eine berufliche Zukunft.100 In dieser Entscheidung statuiert der EuGH somit eine vom Maßstab des an der Allgemeinheit gemessenen Durchschnittsverbrauchers abweichende Rechtfertigungsmöglichkeit, wenn und soweit der von einem Produkt hauptsächlich angesprochene Verkehrskreis Merkmale aufweist, die einen höheren Schutzstandard erforderlich erscheinen lassen.101 Das vermeintliche Abweichen vom europäischen Verbraucherleitbild bei 99 EuGH, Rs. C-122/10 – Konsumentenombudsmannen, Urt. v. 12. 5. 2011, Rn. 22 und 23 abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm (Hervorhebungen durch die Verf.). 100 EuGH, Rs. 382/87 – Buet, Urteil v. 16. 5. 1989, 1989 Slg. 1235. 101 In EuGH, Rs. C-313/94 – Graffione, Urteil v. 26. 11. 1996, 1996 Slg. I-6039 = EuZW 1997, 245 Rn. 26 erwähnt der EuGH beiläufig ebenfalls, dass für die Feststellung einer Irreführungsgefahr auf die angesprochene Verbrauchergruppe abzustellen ist.

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besonders schutzwürdigen Adressatengruppen lässt sich nach dem oben Dargelegten gut erschließen. Das anzulegende Verbraucherschutzniveau unterliegt Wertungen. Bei besonders schutzwürdigen Adressatengruppen müssen trotz der dominierenden europarechtlichen marktwirtschaftlichen Ziele aufgrund von Verhältnismäßigkeitserwägungen Verbraucherschutzaspekte mehr in den Vordergrund treten. Ein Widerspruch ergibt sich hier nicht. Diese Entscheidung untermauert vielmehr die gefundene Einschätzung, dass das konkret anzulegende Verbraucherschutzniveau einzelfallabhängig und wertend bestimmt werden muss. Ein wesentlicher Gesichtspunkt hierbei ist die Struktur der von einer Geschäftshandlung angesprochenen Adressaten. Ähnlich verfährt der EuGH hinsichtlich sozialer, kultureller oder sprachlicher Eigenheiten der Adressaten in den Mitgliedstaaten. Auch hier ist immer der Durchschnittsmaßstab der konkret angesprochenen Verbrauchergruppe anzulegen. Ein Italiener kann eine Angabe anders verstehen als ein Franzose, ein Deutscher anders als ein Spanier.102

II.

Ausgewählte andere Grundfreiheiten

Nachdem nun die Rolle und die Inhalte des Verbraucherschutzes im Hinblick auf die Warenverkehrsfreiheit geklärt sind, fragt sich, wie sich das Verbraucherschutzniveau im Rahmen der anderen Grundfreiheiten darstellt bzw. ob es sich überhaupt anders als bei der Warenverkehrsfreiheit darstellen kann. Im für diese Untersuchung interessierenden Bereich der irreführenden Handlungen gibt es hinsichtlich anderer Grundfreiheiten als der Warenverkehrsfreiheit kaum Urteile des EuGH. In keinem Urteil stellt der EuGH ausdrücklich auf den Maßstab des »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers« ab. Dies mag der Grund dafür sein, dass in der Literatur das primärrechtliche Verbraucherleitbild (fast) immer nur anhand der Warenverkehrsfreiheit entwickelt und dann als für das gesamte Primärrecht geltend verallgemeinert wird.103 Diese Vorgehensweise führt jedoch – wenn auch im Ergebnis für den Regelfall korrekt104 – zu einer methodisch etwas zu vergröberten Ermittlung des Verbraucherleitbildes der Grundfreiheiten in der Auslegung des EuGH und muss daher als verkürzt angesehen werden.105 Es gilt zu hinterfragen, ob Fragen der Irreführung etwa bei Dienstleistungen von vorne102 EuGH, Rs. C 220/98 – Est¦e Lauder, Urteil v. 13. 1. 2000, 2000 Slg. I-117 Rn. 29 ff. 103 Z.B. Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 42 ff.; Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S. 117 ff. (153 f.). 104 Siehe unten Teil 1, 3. Abschnitt. 105 Eine Ausnahme stellt die Darstellung von Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003, S. 62 ff. für den Bereich der Finanzdienstleistungen dar.

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herein genauso zu bewerten sind wie bei die Warenverkehrsfreiheit betreffenden Sachverhalten. Jedoch soll auch in dieser Arbeit nur auf die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV, und die Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV, als bezüglich der Ermittlung des Verbraucherleitbildes relevante Grundfreiheiten eingegangen werden. Denn erstens spielte in der bisherigen Rechtsprechung des EuGH das Argument des Verbraucherschutzes als Rechtfertigungsgrund für einen Eingriff in die Grundfreiheiten der Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV, oder des Kapital- und Zahlungsverkehrs, Art. 63 AEUV, – soweit ersichtlich – keine relevante Rolle. Zweitens dient die Darstellung der Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz bei anderen Grundfreiheiten als der Warenverkehrsfreiheit in erster Linie der Bestätigung und Vertiefung der bereits gefundenen Ergebnisse. Im Folgenden wird sich zeigen, dass ein Erkenntnisgewinn durch eine Auseinandersetzung mit weiteren Grundfreiheiten nicht zu erlangen wäre. Möchte man demnach ermitteln, ob der EuGH implizit auch bei den Grundfreiheiten der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit der Information der Verbraucher vor weitergehenden Beschränkungen der Grundfreiheiten Vorrang einräumt und ferner das in der Maßstabsfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zum Ausdruck kommende Schutzniveau anlegt, müssen einzelne Urteile ausgewertet werden. Da, wie bereits dargelegt, der Anknüpfungspunkt für die Entwicklung des Verbraucherleitbildes bei allen Grundfreiheiten identisch ist, werden im Folgenden Urteile zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit zusammen dargestellt. Vorangestellt seien die Anwendungsbereiche dieser Grundfreiheiten in der gebotenen Kürze. A.

Die Anwendungsbereiche der Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit

1. Die Niederlassungsfreiheit, Art. 49, 54 AEUV Art. 49 AEUV bestimmt, dass Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats grundsätzlich verboten sind. Art. 54 AEUV erweitert den Anwendungsbereich auf Gesellschaften. Der sachliche Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit erfasst »alle Maßnahmen, die den Zugang zu einem anderen Mitgliedstaat als dem Sitzmitgliedstaat und die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in jenem Staat dadurch ermöglichen oder auch nur erleichtern, dass sie die tatsächliche Teilnahme der betroffenen Wirtschaftsbeteiligten am Wirtschaftsleben des letztgenannten Mitglied-

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staats unter denselben Bedingungen gestatten, die für die inländischen Wirtschaftsbeteiligten gelten.«106

In Abgrenzung zur Dienstleistungsfreiheit erfordert der Anwendungsbereich der Art. 49, 54 AEUV eine Niederlassung. Nach dem EuGH ist dies die »tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in einem anderen Mitgliedstaat auf unbestimmte Zeit.«107 Neben der festen Einrichtung erfordert das Merkmal der Niederlassung im Gegensatz zur Dienstleistung die Dauerhaftigkeit der wirtschaftlichen Tätigkeit.108 Wie sich aus dem Wortlaut des Art. 49 AEUV ergibt, handelt es sich bei der Niederlassungsfreiheit über ein allgemeines Diskriminierungsverbot hinaus um ein umfassendes Beschränkungsverbot. Da der Umfang des Beschränkungsverbotes nicht für die Ermittlung, sondern nur für die Reichweite des europäischen Verbraucherleitbildes relevant ist, soll an späterer Stelle nur im Überblick hierauf eingegangen werden.109 2. Die Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV Nach Art. 56 AEUV sind Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs durch die Mitgliedstaaten zum Nachteil Angehöriger anderer Mitgliedstaaten grundsätzlich verboten. Art. 62 i. V. m. Art. 54 AEUV erweitert den Anwendungsbereich auf Gesellschaften. Aus Art. 57 Abs. 1 AEUV ergibt sich ein negativer definitorischer Ansatz der Dienstleistungsfreiheit.110 In den Anwendungsbereich fallen daher alle vorübergehend und gegen Entgelt erbrachten, grenzüberschreitenden wirtschaftlichen Tätigkeiten, die nicht vom Anwendungsbereich der anderen Grundfreiheiten erfasst sind. In den Anwendungsbereich fallen somit die Dienstleistungserbringungsfreiheit, bei der sich der Dienstleistungserbringer zum Zweck der Leistung in einen anderen Mitgliedstaat begibt, die Dienstleistungsempfangsfreiheit, bei der sich der Dienstleistungsempfänger in einen anderen Mitgliedstaat begibt sowie die Grenzüberschreitung nur durch die Dienstleistung selbst.111 Wiederum gilt über das allgemeine Diskriminierungsverbot hinaus ein umfassendes Beschränkungsverbot.

106 EuGH, Rs. C-411/03 – Sevic, Urteil v. 13. 12. 2005, 2005 Slg. I-10805 Rn. 18; Bröhmer in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 43 AEUV Rn. 9. 107 EuGH, Rs. C-221/89 – Factortame, Urteil v. 25. 7. 1991, 1991 Slg. I-3905 Rn. 20. 108 Bröhmer, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 43 AEUV Rn. 13. 109 Vgl. Teil 1, 1. Abschnitt, III. 110 Kluth in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 56, 57 AEUV Rn. 7. 111 Streinz, Europarecht, 9. Aufl. 2012 Rn. 913.

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B.

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Die Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit

Ebenso wie bei der Warenverkehrsfreiheit besteht der Anknüpfungspunkt für den Verbraucherschutz bei der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit in der Rechtfertigung von Eingriffen durch nationale Maßnahmen und Regelungen. Verbraucherschutz ist auch hier kein geschriebener Rechtfertigungsgrund (vgl. Art. 36 AEUV, Art. 52 [ggf. i. V. m. 62] AEUV).112 Maßgeblich für die Ermittlung des Verbraucherleitbildes ist somit entsprechend dem Anknüpfungspunkt bei der Warenverkehrsfreiheit die Prüfung der Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Eingriffe aus Gründen des Allgemeininteresses. Inwieweit Gründe des Verbraucherschutzes anerkannt werden können, bestimmt sich parallel zur Rechtfertigung eines Eingriffes in die Warenverkehrsfreiheit nach dem von den Verträgen in der Auslegung des EuGH festgelegten Verbraucherschutzniveau. Dieses Niveau dient auch hier als Maßstab für die Überprüfung der Verhältnismäßigkeit einer mitgliedstaatlichen Maßnahme. Fraglich ist daher nur, ob dieses Verbraucherschutzniveau im Rahmen der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit ein anderes ist bzw. sein kann als im Rahmen der Warenverkehrsfreiheit. Um dies zu klären, werden im Folgenden Entscheidungen des EuGH ausgewertet, bei denen die Rechtfertigung nationaler Eingriffe in die genannten Grundfreiheiten aus Verbraucherschutzgründen in Frage stand. 1. Darstellung ausgewählter Urteile mit Verbraucherbezug Zunächst sei vorweggenommen, dass es sich bei der folgenden Darstellung nur um eine Auswahl an Urteilen des EuGH mit Verbraucherbezug handelt. Eine Auswertung der Gesamtheit aller ergangenen Urteile kann aufgrund ihrer Vielzahl an dieser Stelle nicht geleistet werden. a) Das Verbraucherleitbild bei Gewinnspielen und Sportwetten In der Rechtssache Schindler113 hatte der EuGH über die Zulässigkeit eines nationalen Verbotes der Durchführung von Lotterien außerhalb festgelegter strenger Ausnahmen zu entscheiden. Das Verbot stand der Einfuhr von Werbematerialien und Losen in einen Mitgliedstaat, um die in diesem Staat wohnenden Personen an einer in einem anderen Mitgliedstaat veranstalteten dort zulässigen Lotterie teilnehmen zu lassen, entgegen. Der EuGH stellte fest, dass derartige Verbote zwar eine Beschränkung der Dienstleistungsfreiheit darstellten, jedoch aus Gründen des Verbraucherschutzes und der Sozialordnung ge112 Strittig ist auch hier, ob die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe nur für Beschränkungsverbote oder auch (zumindest) für indirekte Diskriminierungen gelten, vgl. Fn. 31. 113 EuGH, Rs. C-275/92 – Schindler, Urteil v. 24. 3. 1994, 1994 Slg. I-1039.

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rechtfertigt sein könnten. Die Gründe für die Möglichkeit einer Rechtfertigung sah der EuGH in den »Besonderheiten der Lotterien«. Zunächst sei bei Lotterien aufgrund der Höhe der Beträge, die durch sie eingenommen werden können, und der Höhe der Gewinne, die sie den Spielern bieten können, die Gefahr von Betrug und anderen Straftaten erhöht. Ferner könnten Lotterien die Verbraucher zu Ausgaben verleiten, die schädliche persönliche und soziale Folgen haben könnten. Hinsichtlich der Frage, wie weit mitgliedstaatliche Verbote reichen dürfen, ließ der EuGH den Mitgliedstaaten einen weiten Gestaltungsspielraum und begründete dies mit der Notwendigkeit, dass jeweils den soziokulturellen Besonderheiten des einzelnen Staates Rechnung getragen werden müsse. Der EuGH erkennt somit im Hinblick auf Glückspiele eine besondere Schutzbedürftigkeit der Verbraucher an und billigt sehr weitgehende nationale Reglementierungen des Lotteriewesens, um betrügerischem Handeln Einhalt zu gebieten sowie Missbrauchs- und Suchtgefahren auf Verbraucherseite einzudämmen. Maßstab ist somit in diesem Bereich nicht der »durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher«, sondern ein besonders schutzbedürftiger und zum rationalen, wirtschaftlich und sozial unschädlichen Umgang mit Glücksspielen nicht fähiger Verbraucher. In diese Rechtsprechung reiht sich eine Vielzahl von Urteilen ein. Genannt sei beispielsweise das Urteil Zenatti114, in dem der EuGH ausdrücklich auf die Entscheidung Schindler115 Bezug nahm. In Streit standen nationale Vorschriften, die bestimmten Einrichtungen das Recht zur Annahme von Wetten über Sportereignisse vorbehielten. Mit Verweis auf seine Begründung im Urteil Schindler betonte der EuGH, dass es im Ermessen der einzelnen Mitgliedstaaten liege, inwieweit sie auf ihren Gebieten Schutz vor Lotterien und Glücksspielen gewähren wollen.116 In die gleiche Richtung weisen beispielsweise die Urteile Gambelli, Läärä und Liga Portuguesa de Futebol Profissional.117 Und auch aus den in jüngerer Zeit ergangenen Urteilen Avalon vom 8. 9. 2010 und Ladbrokes Betting vom 3. 6. 2010, in denen der EuGH der Beurteilung eines Sportwettenmonopols durch die nationalen Gerichte als nicht gerechtfertigtem Verstoß gegen die Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit im Grundsatz folgte,118 ergibt sich nichts anderes. Der EuGH hält ausdrücklich an seiner 114 115 116 117

EuGH, Rs. C-67/98 – Zenatti, Urteil v. 21. 10. 1999, 1999 Slg. I-7289. EuGH, Rs. C-275/92 – Schindler, Urteil v. 24. 3. 1994, 1994 Slg. I-1039. EuGH, Rs. C-67/98 – Zenatti, Urteil v. 21. 10. 1999, 1999 Slg. I-7289 Rn. 33. EuGH, Rs. C-243/01 – Gambelli, Urteil v. 6. 11. 2003, 2003 Slg. I-13031 Rn. 63 ff.; EuGH, Rs. C-124/97 – Läärä, Urteil v. 21. 9. 1999, 1999 Slg. I-6067 Rn. 13 ff., 31 ff.; EuGH, Rs. C-42/07, Liga Portuguesa de Futebol Profissional, Urteil v. 8. 9. 2009, 2009 Slg. I-7633 Rn. 55 ff. 118 EuGH, Rs. C-316/07 – Avalon, Urteil v. 8. 9. 2010, WRP 2010, S. 1338 (1348 f. [Rn. 107]); EuGH, Rs. C-258/08 – Ladbrokes Betting, Urteil v. 3. 6. 2010 Rn. 26, abrufbar unter http:// eur-lex.europa.eu/de/index.htm.

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Rechtsprechung in den Rechtssachen Schindler, Zenatti u. a. fest.119 Denn dass es möglicherweise an einer Rechtfertigung fehle, ergebe sich in diesen Fällen nicht aus der grundsätzlichen Unzulässigkeit staatlicher Gewinnspiel- und Sportwettenmonopole, sondern allein daraus, dass im konkreten Fall keine kohärente und systematische Politik zur Beschränkung des Glücksspiels bestehe und damit das rechtfertigende Ziel eines besonders hohen Verbraucherschutzniveaus nicht erreicht sei.120 b) Das Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen121 Im Urteil Versicherungen122 ging es um die europarechtliche Zulässigkeit des Erfordernisses der Niederlassung und Zulassung in Deutschland von in Deutschland tätigen, aber in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Direktversicherungsunternehmen aus Gründen des Allgemeininteresses und zwar genauer des Verbraucherschutzes. Auch wenn irreführende Handlungen daher nicht unmittelbar Gegenstand des Verfahrens waren, gibt dieses Urteil genauere Hinweise auf das Verbraucherverständnis des EuGH außerhalb der Warenverkehrsfreiheit. Der EuGH sieht im Versicherungssektor die Besonderheit, dass es sich um »einen im Hinblick auf den Schutz der Verbraucher als Versicherungsnehmer und Versicherter besonders sensiblen Bereich« handele und macht dies an der Tatsache fest, dass die konkrete Leistung des Versicherers von zukünftigen Ereignissen abhänge, deren Eintritt bzw. Zeitpunkt des Eintritts bei Abschluss des Vertrages noch ungewiss sei.123 Infolgedessen trage der Versicherungsnehmer erstens ein erhöhtes wirtschaftliches Risiko, da er sich in einer schwierigen Lage befinden könne, sollte er nach einem Schadensfall keine Entschädigung von der Versicherung erhalten. Zweitens resultiere die besondere Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers aus der Komplexität des Produktes Versicherung.124 Im Ergebnis hält der EuGH aufgrund dieser Erwägungen das nationale Zulassungserfordernis für mit der Dienstleistungsfreiheit vereinbar, das Niederlassungserfordernis hingegen nicht. 119 EuGH, Rs. C-316/07 – Avalon, Urteil v. 8. 9. 2010, WRP 2010, 1338 (1345 [Rn. 74 ff.]). 120 EuGH, Rs. C-316/07 – Avalon, Urteil v. 8. 9. 2010, WRP 2010, 1338 (1345 ff. [Rn. 74 ff., 83, 106 f.]); EuGH, Rs. C-258/08 – Ladbrokes Betting, Urteil v. 3. 6. 2010, 2010 Rn. 27 ff. abrufbar unter http://eur-lex.europa.eu/de/index.htm. In jüngerer Zeit ist eine Vielzahl von Urteilen zur Vermarktung von Sportwetten im Internet ergangen, die genannten Entscheidungen sind nur beispielhaft erwähnt. 121 Vgl. dazu insgesamt: Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003. 122 EuGH, Rs. 205/84 – Versicherungen, Urteil v. 4. 12. 1986, 1986 Slg. 3755. 123 EuGH, Rs. 205/84 – Versicherungen, Urteil v. 4. 12. 1986, 1986 Slg. 3755, Rn. 30. 124 EuGH, Rs. 205/84 – Versicherungen, Urteil v. 4. 12. 1986, 1986 Slg. 3755, Rn. 30; Vgl. hierzu auch Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003, S. 77.

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Wie Zwicker zu Recht feststellt, bescheinigt der EuGH in diesem Urteil dem Verbraucher eine nur begrenzte Fähigkeit zur Verarbeitung von Informationen.125 Die alleinige Information als milderes Mittel gegenüber anderweitigen nationalen Verbraucherschutzmaßnahmen versage hier folglich. Ähnliche Erwägungen hinsichtlich eines nationalen Zulassungserfordernisses für in anderen Mitgliedstaaten ansässige und zugelassene Kreditinstitute folgten in der Rechtssache Parodi126 mit Verweis auf den Bankensektor als »im Hinblick auf den Schutz der Verbraucher besonders sensiblen Bereich«, wobei der EuGH die Prüfung des Zulassungserfordernisses in dem konkreten Fall den mitgliedstaatlichen Gerichten überließ. In der Entscheidung Alpine Investments127 sah der EuGH das niederländische Verbot des »cold calling« (= unaufgeforderte Kontaktaufnahme per Telefon zu Werbezwecken)128 möglicher Kunden in anderen Mitgliedstaaten hinsichtlich des Vertriebes von Kapitalanlagen in Warenterminverträgen aus Gründen des guten Rufes des nationalen Finanzsektors und letztlich mittelbar aus Verbraucherschutzgründen als gerechtfertigt an. Nach dem EuGH sei »die Privatperson, die im Allgemeinen durch das ›cold calling‹ überrascht wird, nicht in der Lage, sich über die Risiken, die sich aus der Art der ihr vorgeschlagenen Transaktionen ergeben, zu informieren oder die Qualität und den Preis der Dienstleistungen des Anbieters mit den Angeboten des Konkurrenten zu vergleichen.« Der Warenterminmarkt sei äußerst spekulativ und für wenig erfahrene Kapitalanleger schwer durchschaubar, was es erforderlich mache, sie vor den aggressivsten Methoden der Kundenwerbung zu schützen.129 Zwar waren – wie bereits in der Rechtssache Versicherungen keine irreführenden Handlungen betroffen. Dennoch lassen sich folgende Schlüsse ziehen: Obwohl es zunächst nur um eine erste Kontaktaufnahme und nicht um einen unmittelbaren Vertragsschluss ging, traut der EuGH dem Verbraucher nicht zu, auf derartige Werbemaßnahmen angemessen zu reagieren, indem er sich vor einem etwaigen Vertragsabschluss umfassend informiert. Wie bereits im Urteil Versicherungen130 bescheinigt der EuGH dem Verbraucher folglich eine nur

Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003, S. 77. EuGH, Rs. C-222/95 – Parodi, Urteil v. 9. 7. 1997, 1997 Slg. I-3899 Rn. 22. EuGH, Rs. 384/93 – Alpine Investments, Urteil v. 10. 05. 1995, 1995 Slg. I-1141. Heute in allgemeiner Form in Art. 13 der RL 2002/58/EG v. 12. 07. 2002 geregelt, wobei sich die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung für ein sog. Opt-In- oder Opt-Out-System entscheiden können. 129 EuGH, Rs. 384/93 – Alpine Investments, Urteil v. 10. 05. 1995, 1995 Slg. I-1141, Rn. 46. 130 EuGH, Rs. 205/84 – Versicherungen, Urteil v. 4. 12. 1986, 1986 Slg. 3755.

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begrenzte Kapazität zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen, wenn es um komplexere Dienstleistungen des Finanzsektors geht.131 In der Rechtssache Sichteinlage132 hingegen judizierte der EuGH, dass bei bestehender Möglichkeit des Verbrauchers, eine informierte Entscheidung zu treffen, jede weitergehende mitgliedstaatliche Regelung des Verbraucherschutzes nicht als Eingriff in die Niederlassungsfreiheit gerechtfertigt werden kann. In der Sache ging es um ein französisches Verbot der Verzinsung von Sichteinlagekonten, also von Konten, bei denen keine Laufzeit oder Kündigungsfrist vereinbart ist. Zweck des Verzinsungsverbotes war zum einen die Erhaltung der Kostenfreiheit der Kontoführung. Die französische Regierung ging nämlich davon aus, dass eine Verzinsung von Sichteinlagekonten zum Nachteil der Verbraucher durch eine Erhöhung der Kosten für die Grunddienstleistungen der Banken refinanziert werden müsse. Zum anderen sollte langfristiges Sparen gefördert werden, indem die Verbraucher veranlasst werden sollten, ihr Geld auf verzinslichen Laufzeitkonten anzulegen. Das Verbot wurde von der französischen Tochtergesellschaft einer spanischen Gesellschaft angegriffen. In Spanien war die Verzinsung zulässig. Der EuGH gab der Klägerin Recht und sah es als milderes Mittel an, dem Verbraucher die Möglichkeit zu geben, sich entweder für ein unverzinsliches Sichteinlagenkonto und die Aufrechterhaltung der Kostenfreiheit der Kontoführung oder aber für ein verzinsliches Sichteinlagenkonto mit kostenpflichtiger Kontoführung zu entscheiden.133 Ähnlich wie in seiner Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit lässt der EuGH in diesem Urteil somit anklingen, dass in Bereichen, die für den Verbraucher relativ leicht zu durchdringen sind, der Information gegenüber anderen nationalen Maßnahmen zur Verwirklichung des Verbraucherschutzes als milderes Mittel Vorrang einzuräumen ist. c) Das Verbraucherleitbild im Markenrecht Im Markenrecht ergibt sich bei der Dienstleistungsfreiheit und der Warenverkehrsfreiheit ein identisches Bild, da Voraussetzung der Eintragungsfähigkeit einer Marke stets die Unterscheidungskraft ist, gleichgültig, ob es sich um Waren oder Dienstleistungen handelt. Abgestellt wird hierbei regelmäßig auf die Sichtweise des »normal informierten und angemessen aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers«.134 Die Rechtsprechung des EuGH hierzu folgt den zur Warenverkehrsfreiheit ermittelten Grundsätzen. Da somit aus

131 132 133 134

Zwicker, Das europäische Verbraucherleitbild bei Finanzdienstleistungen, 2003, S. 79. EuGH, Rs. C-442/02 – Sichteinlage, Urteil v. 5. 10. 2004, 2004 Slg. I-8961. EuGH, Rs. C-442/02 – Sichteinlage, Urteil v. 5. 10. 2004, 2004 Slg. I-8961, Rn. 22. Z.B.: EuGH, Rs. C-329/02 P – Sat. 1, Urteil v. 16. 09. 2004, Slg. I-8317 = EuZW 2004, 632.

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diesen Urteilen kein weitergehender Erkenntnisgewinn möglich ist, soll der Bereich des Markenrechts nicht weiter vertieft werden. 2. Auswertung der dargestellten Urteile Im Folgenden soll der Frage nachgegangen werden, welchen Maßstab der EuGH innerhalb der anderen Grundfreiheiten und hier aufgrund der gehäuften Anzahl an Urteilen insbesondere innerhalb der Dienstleistungsfreiheit an den Verbraucher anlegt. Gleichzeitig ist zu klären, welche Rolle der Information des Verbrauchers hierbei zukommt. Insbesondere die Urteile zu Gewinnspielen und Sportwetten wie z. B. Schindler135, Zenatti136 und Avalon137 sowie das Urteil Alpine Investments138 erwecken den Eindruck, dass der EuGH nicht ebenso wie in seiner Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit von der Maßstabsfigur des »durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers« ausgeht. Die Anerkennung der Schutzbedürftigkeit der Verbraucher vor den Betrugsund Suchtgefahren des Lotterie- oder Wettspieles scheint sich nicht mit diesem Leitbild zu vertragen, welches vordergründig ein viel höheres Maß an Eigenverantwortlichkeit verlangt. Gleiches gilt für die Feststellung, der Verbraucher lasse sich durch unaufgeforderte Anrufe schnell zu risikoreichen Anlagegeschäften verleiten. Es wäre jedoch sehr widersprüchlich, würde der EuGH hinsichtlich der Dienstleistungsfreiheit ohne sachlichen Grund von anderen Maßstäben ausgehen als bei der Warenverkehrsfreiheit. Das Urteil Schindler139 gibt Anhaltspunkte, welcher sachliche Grund für dieses unterschiedliche Verbraucherverständnis sprechen könnte: Die Formel des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers wird vom EuGH im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung mitgliedstaatlicher Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes gebraucht. Die Verhältnismäßigkeitsprüfung dient dem Ausgleich widerstreitender Interessen. Hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit streitet häufig der freie Wettbewerb und mit ihm die Verwirklichung des Binnenmarktes gegen den Verbraucherschutz. Im Normalfall gibt das Verbraucherleitbild eine Orientierung dafür, welcher Raum dem Argument des Verbraucherschutzes innerhalb der vorzunehmenden Abwägung von den rechtssetzenden und -anwendenden Organen gegeben werden darf.

135 136 137 138 139

EuGH, Rs. C-275/92 – Schindler, Urteil v. 24. 3. 1994, 1994 Slg. I-1039. EuGH, Rs. C-67/98 – Zenatti, Urteil v. 21. 10. 1999, 1999 Slg. I-7289. EuGH, Rs. C 316/07 – Avalon, Urteil v. 8. 9. 2010, WRP 2010, 1338. EuGH, Rs. 384/93 – Alpine Investments, Urteil v. 10. 05. 1995, 1995 Slg. I-1141. EuGH, Rs. C-275/92 – Schindler, Urteil v. 24. 3. 1994, 1994 Slg. I-1039.

Die Entwicklung des Verbraucherleitbildes durch den EuGH

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Abweichungen gelten jedoch, wenn besonders schutzbedürftige Gruppen betroffen sind.140 In den Fällen Schindler, Zenatti und Alpine Investments liegen ähnliche Konstellationen in Bezug auf die Dienstleistungsfreiheit vor. Widerstreitende Interessen sind die Dienstleistungsfreiheit und die Wettbewerbsfreiheit auf der einen Seite, der Verbraucherschutz auf der anderen Seite. Im konkreten Fall bewertet der EuGH allerdings die Interessen am freien Dienstleistungsverkehr als weniger gewichtig als er es regelmäßig in seiner Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit tut. Er räumt dem Vorrang der Information keinen so ausgedehnten Raum ein wie bei der Warenverkehrsfreiheit.141 Dies ermöglicht einen höheren Verbraucherschutz. Dennoch folgt daraus nicht, dass der EuGH hinsichtlich der Frage, wie Verbraucher rein tatsächlich strukturiert sind, nach Belieben schwankt. Vielmehr erfolgt die unterschiedliche Gewichtung der Verbraucherinteressen anhand einer Abwägung der widerstreitenden Interessen. So legt etwa Reich142 dar, dass gerade bei langfristigen Dienstleistungen nicht einfach auf die Information des Verbrauchers vertraut werden könne. Waren seien im Gegensatz zu Dienstleistungen greifbare Gegenstände, sodass es viel eher ausreichen könne, ein informierendes Etikett an die Stelle eines Verbotes zu setzen. Bei Dienstleistungen hingegen ergebe sich der Vertragsinhalt erst aus den Vertragsbedingungen und dem in ihnen vereinbarten Leistungsbündel. Diese Eigenschaft des Dienstleistungsvertrages mache ihn letztlich auch zu einem »besonders sensiblen Bereich«, welcher begründe, weshalb über informatorische Maßnahmen hinausgehende Eingriffe der Mitgliedstaaten in die Dienstleistungsfreiheit zulässig sein müssten. Infolgedessen müsse der Gesetzgeber des Empfangsstaates außerdem in verstärktem Maße unterschiedliche Erfahrungen, Traditionen sowie Verbrauchsgewohnheiten berücksichtigen dürfen. Im Einzelfall mag es durchaus fragwürdig sein, ob Einschränkungen der Dienstleistungsfreiheit tatsächlich eher gerechtfertigt sind als solche der Warenverkehrsfreiheit. Beispielsweise fragt es sich, ob die Rechtssachen Schindler und Zenatti tatsächlich derart weitgehende Einschränkungen des Binnenmarktes aus Gründen des Verbraucherschutzes erfordern und nicht etwa eine Verpflichtung der Veranstalter zur Aufklärung über Suchtgefahren ausreichend wäre. Ähnliche Fragen stellen sich hinsichtlich des Urteils Alpine Investments143, bei dem es schließlich nur um eine erste Kontaktaufnahme per Telefon ging. Sicher hätte hier ein Gleichlauf mit der Rechtsprechung des EuGH zur Waren140 EuGH, Rs. 382/87 – Buet, Urteil v. 16. 5. 1989, 1989 Slg. 1235; siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 4. 141 Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 2003, S. 106. 142 Reich, Europäisches Verbraucherrecht, 2003, S. 106. 143 EuGH, Rs. 384/93 – Alpine Investments, Urteil v. 10. 05. 1995, 1995 Slg. I-1141.

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

verkehrsfreiheit sowie die Anerkennung des Vorrangs der Information den Vorteil stärkerer Kontinuität gehabt. Nichtsdestotrotz ist die Erklärung Reichs für die unterschiedliche Gewichtung des Informationsvorranges bei den unterschiedlichen Grundfreiheiten richtig.144 Dies belegen vor allem die Urteile Versicherungen145 und Parodi146, in denen der EuGH den erhöhten Verbraucherschutz ausdrücklich mit der Komplexität der vertraglich vereinbarten Dienstleistungen sowie dem hohen wirtschaftlichen und schwer kalkulierbaren Risiko für den Verbraucher begründet. Zwangsläufig bergen komplexere Lebenssachverhalte eine erhöhte Gefahr betrügerischen Handelns. Begrüßenswert ist daher auch die Entscheidung Sichteinlage147, da der EuGH hier aufgrund der fehlenden Komplexität und der fehlenden Erforderlichkeit eines Verbotes auch bei einem die Dienstleistungsfreiheit betreffenden Sachverhalt der Information der Verbraucher den Vorrang gab. Insgesamt bestätigt die Untersuchung der dargestellten Urteile zur Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit den bereits hinsichtlich der Warenverkehrsfreiheit getroffenen Befund: Das an den jeweiligen Sachverhalt anzulegende Verbraucherschutzniveau bestimmt sich nach den dem konkreten Regelungsgebiet des Einzelfalles zugrundeliegenden Wertungen. Hierfür gibt das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers eine erste Orientierung, welche jedoch stets der Überprüfung und Konkretisierung bedarf. Beispielsweise wird im Rahmen der Finanzdienstleistungen häufig von einem nur bis zu einem gewissen Grade informierbaren Verbraucher auszugehen sein.

III.

Der Zusammenhang zwischen der Ausweitung des Schutzbereiches einer Grundfreiheit und der Bedeutung des Verbraucherschutzargumentes

Im Primärrecht kommt dem Verbraucherschutz als ungeschriebenem Rechtfertigungsgrund allein deshalb ein recht erhebliches Gewicht zu, weil der EuGH die Grundfreiheiten nicht nur als reine Diskriminierungsverbote, sondern kontinuierlich als umfassende Beschränkungsverbote interpretiert und dadurch ihren Anwendungsbereich sehr weit fasst. Jedoch besteht nur unter der Voraussetzung, dass der Anwendungsbereich einer Grundfreiheit eröffnet ist,148 144 145 146 147 148

Ähnlich: Roth, VuR 2007, 161 (163 f.). EuGH, Rs. 205/84 – Versicherungen, Urteil v. 4. 12. 1986, 1986 Slg. 3755. EuGH, Rs. C-222/95 – Parodi, Urteil v. 9. 7. 1997, 1997 Slg. I-3899 Rn. 22. EuGH, Rs. C-442/02 – Sichteinlage, Urteil v. 5. 10. 2004, 2004 Slg. I-8961. Und (jedenfalls) keine direkte Diskriminierung vorliegt, vgl. oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. A.

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Raum für den Einfluss des Verbraucherschutzes als Rechtfertigungsgrund. Somit kann – jedenfalls aufgrund unionsrechtlicher Verpflichtung – das unionsrechtliche Verbraucherleitbild aufgrund primärrechtlicher Regelungen nur dann die Anwendbarkeit bzw. Auslegung des § 263 StGB beeinflussen. Dies muss im weiteren Verlauf der Untersuchung im Blick behalten werden, da im Einzelfall die Eröffnung des Anwendungsbereiches einer Grundfreiheit aus primärrechtlicher Perspektive erst die Frage der Notwendigkeit der Berücksichtigung des Maßstabes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers aufwirft. Mit anderen Worten: Wenn der Anwendungsbereich einer Grundfreiheit nicht eröffnet ist, sind mitgliedstaatliche Regelungen zum Verbraucherschutz unabhängig vom zugrundeliegenden Leitbild aus primärrechtlicher Perspektive immer zulässig. § 263 StGB kann von vornherein unabhängig vom unionsrechtlichen Verbraucherleitbild ausgelegt und angewendet werden. Da jedoch die Grenzen der Anwendungsbereiche der Grundfreiheiten in vielerlei Hinsicht recht umstritten sind und aus einer genaueren Untersuchung und Grenzziehung keine Erkenntnisse für die Frage des abstrakten Einflusses primärrechtlicher Täuschungsschutzstandards im Bereich des Verbraucherschutzes zu erwarten sind, soll diese Problematik nicht umfassend ausgeführt, sondern nur anhand eines Beispielfalles zur »Keck-Rechtsprechung«149 bei der Warenverkehrsfreiheit verdeutlicht werden:150 In der Rechtssache Keck und Mithouard ging es um die Frage, ob ein französisches Verbot, Waren unter dem Einstandspreis weiterzuverkaufen gegen die Warenverkehrsfreiheit verstößt. Der EuGH verneinte dies und legte fest, dass nationale Regelungen, die allein Verkaufsmodalitäten beschränken oder verbieten, nicht unter den Begriff der Maßnahme gleicher Wirkung fallen, sofern sie für alle Wirtschaftsteilnehmer im Inland gleichermaßen gelten und den Absatz inländischer Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich und tatsächlich in gleicher Weise berühren.151 Er sah den Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit somit nicht als eröffnet an. Folglich versteht der EuGH den heutigen Art. 34 AEUV hinsichtlich Verkaufsmodalitäten als reines Diskriminierungsverbot. Regelungen, welche Warenmodalitäten betreffen, sollen hingegen immer am Maßstab des Art. 34 AEUV zu messen sein und unterliegen somit einem umfassenden Beschränkungsverbot. Dabei sollen Warenmodalitäten betroffen sein, wenn eine nationale Vorschrift spezifische,

149 EuGH, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 – Keck und Mithouard, Urteil v. 24. 11. 1993, 1993 Slg. I-6097. 150 Es geht also in dieser Entscheidung um die Frage der Eröffnung des Anwendungsbereichs der Warenverkehrsfreiheit und nicht um Verbraucherschutz auf Rechtfertigungsebene. 151 EuGH, Verb. Rs. C-267/91 und C-268/91 – Keck und Mithouard, Urteil v. 24. 11. 1993, 1993 Slg. I-6097, 6131, Rn. 16.

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

unmittelbare Beschaffenheitsmerkmale eines Erzeugnisses regelt.152 Verkaufsmodalitäten sollen hingegen Regelungsgegenstand sein, wenn die Art und Weise des Verkaufs oder der Verkaufsförderung ausgestaltet wird, ohne dass dies rechtliche oder tatsächliche Auswirkungen auf die unmittelbare Produktbeschaffenheit hat.153 Betrachtet man den Sachverhalt aus Keck und Mithouard nun aus dem Blickwinkel der Fragestellung dieser Arbeit, ergibt sich Folgendes: Sollte ein Sachverhalt existieren, der auf seine Tatbestandsmäßigkeit nach § 263 StGB überprüft werden muss und bei dem reine Verkaufsmodalitäten Gegenstand der Täuschung sind, kann von vornherein keine Bindung an das unionsrechtliche Verbraucherleitbild aufgrund primärrechtlicher Regelungen bestehen. Denn die vom EuGH vorgenommene Differenzierung nach Waren- und Verkaufsmodalitäten hat zur Folge, dass die Mitgliedstaaten im Bereich der Regelung von Verkaufsmodalitäten die Möglichkeit haben, ein höheres Verbraucherschutzniveau anzulegen als im Bereich der Regelung von Warenmodalitäten. Schließlich besteht nach dieser Unterscheidung im Rahmen diskriminierungsfreier Regelungen nur bei Letzteren die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 34 AEUV. Diese Rechtsprechung hat in der Literatur Widerspruch hervorgerufen. Niemöller beispielsweise kritisiert, dass die in der Keck-Entscheidung erfolgte rein formale Abgrenzung weder dem Regelungsgehalt der Warenverkehrsfreiheit noch dem Binnenmarktprinzip gerecht werde.154 Im für diese Arbeit relevanten Bereich der Irreführung kommt es vor allem bei der Kennzeichnung von und Werbung für Produkte zu nur schwer zu lösenden Abgrenzungsproblemen. Geht es etwa um möglicherweise den Verbraucher irreführende Kennzeichnungen bzw. Werbung auf der Verpackung eines Produktes selbst, handelte es sich bei den zugrundeliegenden nationalen Vorschriften nach obiger Definition um Warenmodalitäten. Daher wäre der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit eröffnet und eine Rechtfertigung des Verbots der irreführenden Kennzeichnung aus Gründen des Verbraucherschutzes am Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu prüfen. Identische irreführende Kennzeichnungen und Werbeslogans auf Plakaten, in Zeitschriften oder der Rundfunkwerbung wären hingegen Verkaufsmodalitäten; der Anwendungsbereich der Warenverkehrsfreiheit wäre bereits nicht eröffnet und daher kein Raum für eine Maßgeblichkeit des Verbraucherleitbildes auf Rechtfertigungsebene. Deshalb fordert etwa Hecker, Produktwerbung generell dem Anwendungsbereich des Art. 34 AEUV unterfallen zu lassen. Lebensmittelproduzenten sähen sich ansonsten gedrängt, 152 Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S.133. 153 Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S. 133. 154 Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S. 143.

Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht

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in stärkerem Maße das Produkt selbst als Werbeträger einzusetzen.155 Mit dem Inkrafttreten und der Umsetzung der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken und der sogenannten Health-Claims-Verordnung dürfte diese Problematik jedoch an Brisanz verloren haben, da der Bereich der irreführenden Werbung gegenüber Verbrauchern dort umfassend und einheitlich geregelt ist. Als Fazit bleibt festzuhalten, dass die Relevanz europäischer Verbraucherschutzstandards im primärrechtlichen Bereich bereits an der fehlenden Eröffnung des Anwendungsbereiches einer Grundfreiheit scheitern kann und dieser daher bei der einzelfallbezogenen Anwendung des § 263 StGB immer genau in den Blick genommen werden muss.

2. Abschnitt: Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht Wie bereits erwähnt156 wird das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers nur in zwei sekundärrechtlichen Bestimmungen ausdrücklich aufgegriffen. Dies ist zum einen die mittlerweile umgesetzte157 Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken158 und zum anderen die Verordnung über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel159 (sog. Health-Claims-Verordnung). Bereits vor Erlass dieser Rechtsakte betonte aber beispielsweise Leible160, dass »der verständige Verbraucher grundsätzlich Maßstabsfigur für die Auslegung aller in EG-Verordnungen enthaltenen Irreführungsverbote sowie solcher des nationalen Rechts ist, die auf einer zu einer abschließenden Harmonisierung führenden EGRichtlinie beruhen.«

Im Folgenden soll daher zunächst der Frage nachgegangen werden, welche Rolle das Verbraucherleitbild im Rahmen der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken und der Health-Claims-Verordnung spielt. Im Anschluss daran sollen 155 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 64. 156 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt am Anfang. 157 Erstes Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb v. 22. 12. 2008, BGBl. I-2949. 158 Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11. 5. 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450 EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates. 159 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20. 12. 2006 über nähwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. 160 Leible, EuZW 1998, 528 (529).

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

die Aussagen Leibles und anderer Autoren161 überprüft werden, nach denen das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers auch im Sekundärrecht das maßgebliche Verbraucherschutzniveau im Wesentlichen einheitlich festlege.

I.

Die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern

Die am 11. 5. 2005 vom Europäischen Parlament und dem Rat verabschiedete Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken kann derzeit aufgrund ihres weiten Anwendungsbereiches als die zentrale das europäische Verbraucherleitbild in Bezug nehmende sekundärrechtliche Regelung bezeichnet werden. In Deutschland erfolgte ihre (verspätete) Umsetzung durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. 12. 2008 (in Kraft seit dem 30. 12. 2008).162 Die Umsetzung der Vorschriften hinsichtlich irreführender Geschäftspraktiken, Art. 5, 6, 7 der Richtlinie, erfolgte durch die §§ 3, 4, 5, 5a UWG. Auch nach der Umsetzung der Richtlinie durch diese UWGNovelle ist jedoch eine richtlinienkonforme Auslegung geboten. Dies gilt umso mehr, als die Umsetzung nicht wortlautgetreu und in einigen Punkten etwas ungenau erfolgte.163 A.

Grundlagen

Nach Art. 1 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken verfolgt diese den Zweck, »durch Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über unlautere Geschäftspraktiken, die die wirtschaftlichen Interessen der Verbraucher beeinträchtigen, zu einem reibungslosen Funktionieren des Binnenmarkts und zum Erreichen eines hohen Verbraucherschutzniveaus beizutragen.«

Erkennbar ist erneut das Wechselspiel der Verwirklichung des Binnenmarktes einerseits und des Zieles eines hohen Verbraucherschutzes andererseits. Gleichzeitig fällt auf, dass diese beiden Ziele von der Richtlinie nicht in einem Widerspruch gesehen werden, dem Verbraucher als Akteur im europäischen Binnenmarkt vielmehr eine entscheidende Rolle zu dessen Verwirklichung eingeräumt wird. Verbraucher müssen durch die Unternehmen in die Lage 161 Z.B.: Keßler, WRP 2007, 714 (716). 162 BGBl. 2008 I S. 2949. 163 Köhler, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2009, S. 101.

Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht

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versetzt werden, informierte Entscheidungen treffen zu können. Hierdurch werden Marktintransparenzen beseitigt und Wettbewerb gefördert.164 Die Richtlinie ist daher ihrer Intention nach keine wettbewerbsrechtliche Regelung, sondern eine reine Verbraucherschutzbestimmung.165 Die Richtlinie regelt unlautere Geschäftspraktiken im Verhältnis von Unternehmern zu Verbrauchern (sogenanntes Business-to-Consumer-Verhältnis), Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie. In diesem Bereich wirkt sie vollharmonisierend, Erwägungsgrund 13 sowie Art. 3 Abs. 5, 4 der Richtlinie.166 Zwar können nach Art. 3 Abs. 5 der Richtlinie bis zum 12. 6. 2013 weiterhin auch nationale Vorschriften angewendet werden, die strenger als die Richtlinie sind, sofern sie ursprünglich zur Umsetzung von Richtlinien erlassen wurden. Da jene letzte Voraussetzung für § 263 StGB jedoch nicht zutrifft, scheidet eine Berücksichtigung dieser Ausnahmeregelung in der weiteren Darstellung von vorneherein aus. Nur wenige Gebiete sind vom Anwendungsbereich ausgenommen. Beispielsweise sind dies: das Vertragsrecht, Art. 3 Abs. 2, Vorschriften in Bezug auf Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten, Art. 3 Abs. 3, und berufsständische Regelungen, Art. 3 Abs. 8 sowie nach Erwägungsgrund 9 der Richtlinie unter anderem Vorschriften zum Schutz des geistigen Eigentums sowie Niederlassungsbedingungen und Genehmigungsregelungen, einschließlich solcher, die sich unionsrechtskonform auf Glücksspiele beziehen. Hinsichtlich Finanzdienstleistungen, die im Fernabsatz erbracht werden können, und Immobilien gibt die Richtlinie nur eine Mindestharmonisierung vor, Art. 3 Abs. 9. Positiv formuliert sind von dem Anwendungsbereich der Richtlinie bis auf diese Ausnahmen alle Geschäftspraktiken erfasst, die geeignet sind geschäftliche Entscheidungen von Verbrauchern zu beeinflussen, Art. 3 Abs. 1, 5 Abs. 2 b) der Richtlinie. Inhaltlich deckt die Richtlinie im Bereich des Verbraucherschutzes gegen irreführende und aggressive Geschäftspraktiken somit nahezu alle denkbaren Konstellationen ab. Bereiche, die vom EuGH früher anhand der Warenverkehrsfreiheit oder der Dienstleistungs- und Niederlassungsfreiheit entschieden wurden167, sind nun überwiegend sekundärrechtlich harmonisiert.168 Nach Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie sind unlautere Geschäftspraktiken verboten. Der Begriff des »Durchschnittsverbrauchers« wird erstmals in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie aufgegriffen. Diese weit gefasste Generalklausel legt fest, was unter einer unlauteren Geschäftspraktik zu verstehen ist. Danach liegt eine solche vor, wenn 164 165 166 167 168

Züllighoven, Verbraucherschutz durch Informationspflichten, 2010, S. 420. Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 43. Vgl. auch Steinbeck, WRP 2006, 632. vgl. die Beispiele oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 1., 2. und II. B. 1. vgl. Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 7.

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

»sie den Erfordernissen der beruflichen Sorgfaltspflicht widerspricht und sie in Bezug auf das jeweilige Produkt das wirtschaftliche Verhalten des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder des durchschnittlichen Mitglieds einer Gruppe von Verbrauchern, wenn sich eine Geschäftspraxis an eine bestimmte Gruppe von Verbrauchern wendet, wesentlich beeinflusst oder dazu geeignet ist, es wesentlich zu beeinflussen«.

§ 3 Abs. 2 Satz 3 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie legt fest, in welchen Fällen der Durchschnitt der Verbraucher aus einer besonders schutzwürdigen Gruppe heraus zu ermitteln ist. Voraussetzung hierfür ist, dass es sich um Geschäftspraktiken handelt, »die voraussichtlich in einer für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbaren Art und Weise das wirtschaftliche Verhalten nur einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von (erg.: besonders schutzbedürftigen) Verbrauchern wesentlich beeinflussen.«

Als Beispiele unlauterer Geschäftspraktiken bestimmt Art. 5 Abs. 4 einerseits solche, die irreführend und andererseits solche, die aggressiv sind. Diese beiden Fallgruppen wiederum werden in den Art. 6 und 7 sowie Art. 8 und 9 der Richtlinie konkretisiert. Da im Rahmen des § 263 StGB mit seinem Tatbestandsmerkmal der Täuschung nur die Fallgruppe der irreführenden Geschäftspraktiken relevant sein kann, wird im Folgenden auf nähere Ausführungen zu aggressiven Geschäftspraktiken verzichtet. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie bestimmt, dass eine Geschäftspraxis als irreführend gilt, »wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise, einschließlich sämtlicher Umstände ihrer Präsentation, selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher (erg.: in Bezug auf einen oder mehrere der dort nachstehend aufgeführten Punkte) täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn in jedem Fall tatsächlich oder voraussichtlich zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte.«

Es folgt eine Aufzählung der täuschungsgeeigneten Umstände. Art. 7 der Richtlinie regelt den Fall der unlauteren Geschäftspraktik durch irreführendes Unterlassen. Dies kann nach Maßgabe der Richtlinie vor allem durch Vorenthalten von Informationen, die der Durchschnittsverbraucher für das Treffen einer informierten geschäftlichen Entscheidung benötigt, geschehen. In der Folge wird der Umfang der Informationspflichten näher konkretisiert. Zu erwähnen ist ferner die sogenannte »black list« von insgesamt 31 per-seVerboten, die sich im Anhang I der Richtlinie befindet. Es handelt sich hierbei um einzelne Fallgruppen, deren Vorliegen ohne Wertungsvorbehalt als irre-

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führend gilt. Beispielsweise ist es nach Nr. 20 des Anhangs I der Richtlinie verboten, »ein Produkt als »gratis«, »umsonst«, »kostenfrei« oder Ähnliches zu beschreiben, obwohl der Verbraucher weitere Kosten als die Kosten zu tragen hat, die im Rahmen des Eingehens auf die Geschäftspraktik und für die Abholung oder Lieferung der Ware unvermeidbar sind.«

Nr. 21 des Anhangs I der Richtlinie verbietet es etwa, »Werbematerialien eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beizufügen, die dem Verbraucher den Eindruck vermitteln, dass er das beworbene Produkt bereits bestellt hat, obwohl dies nicht der Fall ist.«169

B.

Auswertung

Analysiert man die dargestellten Vorschriften, stellt man fest, dass die Richtlinie für die Frage des Vorliegens einer verbotenen irreführenden und damit unlauteren Geschäftspraktik einen 3-Stufen-Test etabliert:170 Auf der ersten Stufe ist zu überprüfen, ob die unternehmerische Verhaltensweise unter eines der im Anhang aufgeführten abschließenden und somit nicht analogiefähigen per-se-Verbote fällt. Verneint man dies, ist auf der zweiten Stufe festzustellen, ob es sich um eine irreführende Geschäftspraktik im Sinne der Art. 6, 7 der Richtlinie handelt. Erst wenn auch dies abgelehnt wird, ist die unternehmerische Praktik anhand der Generalklausel des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie auf ihre Lauterkeit hin zu überprüfen. Festzuhalten ist, dass die Richtlinie exakt das vom EuGH entwickelte Verbraucherleitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers als grundsätzlich maßgebliches Verbraucherschutzniveau aufgreift. Sehr deutlich ergibt sich dies aus Erwägungsgrund 18 der Richtlinie, welcher lautet: »Es ist angezeigt, alle Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken zu schützen; der Gerichtshof hat es allerdings in seiner Rechtsprechung (…) für erforderlich gehalten, die Auswirkungen auf einen fiktiven typischen Verbraucher zu prüfen. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechend und um die wirksame Anwendung der vorgesehenen Schutzmaßnahmen zu ermöglichen, nimmt diese Richtlinie den Durchschnittsverbraucher, der angemessen gut unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist, unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren in der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab, enthält aber auch Bestimmungen zur Vermeidung der Ausnutzung von Verbrauchern, deren Eigenschaften sie für unlautere Geschäftspraktiken besonders anfällig machen. Richtet sich eine Geschäftspraxis 169 Vgl. zu weiteren Fallgruppen den Anhang dieser Arbeit. 170 Köhler, in: Die Europäisierung des Kartell- und Lauterkeitsrechts, 2009, S. 101 (102).

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Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

speziell an eine besondere Verbrauchergruppe wie z. B. Kinder, so sollte die Auswirkung der Geschäftspraxis aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt werden. (…) Der Begriff des Durchschnittsverbrauchers beruht dabei nicht auf einer statistischen Grundlage. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen.«

Innerhalb des Anwendungsbereiches der Richtlinie scheint damit eine Fixierung des europäischen Verbraucherleitbildes auf der Ebene des sekundären Unionsrechts erfolgt zu sein.171 Dies gilt jedoch nur, sofern kein per-se-Verbot der »black list« eingreift. Wie in den Entscheidungen des EuGH ist eine Abweichung von diesem Schutzstandard außerdem dann angezeigt, wenn Adressaten irreführender Geschäftshandlungen besonders schutzwürdige Gruppen sind, Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie. Darüber hinausgehend legt die Richtlinie sogar fest, dass die Irreführungseignung einer Angabe immer am Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers der angesprochenen Gruppe und nicht etwa der Allgemeinheit zu bestimmen ist, Art. 5 Abs. 2 b) und Erwägungsgrund 19 der Richtlinie. Das Verständnis der jeweiligen Adressaten kann in Abhängigkeit von Vorkenntnissen und Intelligenz sehr unterschiedlich sein.172 Beruht die »Leichtgläubigkeit« nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtline jedoch nur auf Nachlässigkeit, Bequemlichkeit oder Uninteressiertheit, sind die angesprochenen Verbraucherkreise mangels Schutzwürdigkeit nicht geschützt.173 Insgesamt tritt in der Richtlinie der bereits im Rahmen der Analyse der Rechtsprechung des EuGH getroffene Befund, dass der Maßstab des Durchschnittsverbrauchers nicht abstrakt, sondern konkret und einzelfallbezogen am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientiert zu bestimmen ist, viel deutlicher als in den Urteilen des EuGH zu Tage; dies betont besonders Erwägungsgrund 18, wonach »alle Verbraucher« und nicht nur die mindestens durchschnittlichen zu schützen sind.174 Im Ergebnis ist somit abzustellen auf den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der jeweils angesprochenen Gruppe, wobei die besondere Schutzbedürftigkeit einzelner in diesem Personenkreis befindlicher benachteiligter Verbrauchergruppen in der Abwägung zwar Berücksichti171 Keßler, WRP 2007, 714 (716). 172 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 209, Fn. 32 und v. a. in der Vorauflage: Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, S. 187. 173 Peterek, Schutz erwachsener Verbraucher, 2008, S. 79 ff.; Scherer, WRP 2008, 563 (568 f.); Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 27. 174 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 209, Fn. 32 und v. a. in der Vorauflage: Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, S. 189 f.; Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 52.

Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht

59

gung finden muss, aber nicht überbewertet werden darf, um die Freiheit unternehmerischen Handelns nicht zu sehr zu beeinträchtigen.175

II.

Die Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel176

Die sogenannte Health-Claims-Verordnung legt sehr dezidiert die Zulässigkeit der Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben über Lebensmittel und Nahrungsergänzungsmittel fest. Ihr Ziel ist es, in der Europäischen Union einheitlich mehr Klarheit, Unmissverständlichkeit und Aussagekraft bei Lebensmittelinformationen zu schaffen, um ein hohes Verbraucherschutzniveau zu erreichen und außerdem durch national unterschiedliche Bestimmungen bestehende Behinderungen des Warenverkehrs sowie Wettbewerbshindernisse zu beseitigen.177 Nach der Verordnung sind nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben im Lebensmittelbereich nur noch zulässig, wenn sie von der Verordnung ausdrücklich zugelassen sind, Art. 8 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 der Verordnung; das heißt, alles, was nicht zugelassen ist, ist verboten. Hinsichtlich nährwertbezogener Angaben sind die Listen zulässiger Angaben mittlerweile weitgehend fertiggestellt und veröffentlicht.178 Hinsichtlich gesundheitsbezogener Angaben sollte die Veröffentlichung im Juni 2011 abgeschlossen sein179, seit 16. Mai 2012 liegt jedenfalls teilweise eine Veröffentlichung vor.180 Insbesondere müssen Lebensmittel, die mit nährwert- oder gesundheitsbezogenen Angaben beworben werden sollen, insgesamt bestimmten von der Kommission als gesund eingestuften Nährwertprofilen181 entsprechen, Art. 4 Abs. 1 der Verordnung. Erforderlich ist darüber hinaus in jedem Fall der wissenschaftliche Nachweis des Wahrheitsgehaltes der jeweiligen Angabe, z. B. Art. 5 Abs. 1 a) und Art. 6 der Verordnung. Individuelle, in den (teilweise zukünftigen) Listen nicht aufgeführte gesundheitsbezogene Angaben können über ein Zulassungsverfahren bewilligt werden. Im Bereich der Irreführungsverbote gilt im Übrigen Folgendes: 175 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, S. 190. 176 Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20. 12. 2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel. 177 Vgl. Erwägungsgründe (1) und (2) der Verordnung. 178 Vgl. den Anhang der Verordnung sowie die Verordnung EG Nr. 16/2010. 179 http://www.efsa.europa.eu/en/press/news/nda110408.htm; Stand: 8. 4. 2011. 180 Verordnung (EU) Nr. 432/2012. 181 Die nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung ursprünglich bis zum 19. Januar 2009 vorgesehene Veröffentlichung dieser Nährwertprofile wurde von der Kommission auf voraussichtlich Anfang 2011 verschoben und ist noch immer nicht erfolgt.

60

Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

In Erwägungsgrund 16 der Verordnung wird ausdrücklich auf die Maßstabsfigur des Durchschnittsverbrauchers verwiesen und diese folgendermaßen beschrieben: »Es ist wichtig, dass Angaben über Lebensmittel vom Verbraucher verstanden werden können und es ist angezeigt, alle Verbraucher vor irreführenden Angaben zu schützen. Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften hat es allerdings (…) für erforderlich gehalten, die Auswirkungen auf einen fiktiven typischen Verbraucher zu prüfen. Entsprechend dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und im Interesse der wirksamen Anwendung der darin vorgesehenen Schutzmaßnahmen nimmt diese Verordnung den normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher unter Berücksichtigung sozialer, kultureller und sprachlicher Faktoren nach der Auslegung des Gerichtshofs als Maßstab, zielt mit ihren Bestimmungen jedoch darauf ab, die Ausnutzung von Verbrauchern zu vermeiden, die aufgrund bestimmter Charakteristika besonders anfällig für irreführende Angaben sind. Richtet sich die Angabe speziell an eine besondere Verbrauchergruppe wie z. B. Kinder, so sollte die Auswirkung der Angabe aus der Sicht eines Durchschnittsmitglieds dieser Gruppe beurteilt werden. Der Begriff des Durchschnittsverbrauchers beruht dabei nicht auf einer statistischen Grundlage. Die nationalen Gerichte und Verwaltungsbehörden müssen sich bei der Beurteilung der Frage, wie der Durchschnittsverbraucher in einem gegebenen Fall typischerweise reagieren würde, auf ihre eigene Urteilsfähigkeit unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs verlassen.«

Dieser Erwägungsgrund 16 der Health-Claims-Verordnung ist nahezu wortlautgleich zu Erwägungsgrund 18 der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken. Obwohl letzterer den »Durchschnittsverbraucher, der angemessen unterrichtet und angemessen aufmerksam und kritisch ist« an dieser Stelle anstatt des »normal informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers« in Bezug nimmt, ist inhaltlich Identisches gemeint. Der EuGH hat in neueren Urteilen in der deutschen Übersetzung das Wort »durchschnittlich« durch »normal« ausgetauscht, ohne inhaltliche Änderungen des Maßstabes vorzunehmen.182 Es ist daher davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber diesen Wandel der Formulierung ebenfalls ohne inhaltliche Änderung vollziehen wollte. Die Verordnung bekennt sich somit zu einem inhaltsgleichen Leitbild und erkennt außerdem ebenfalls die erhöhte Schutzbedürftigkeit besonderer Adressatengruppen an. Nach Art. 3 der Verordnung dürfen nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben nicht falsch, mehrdeutig oder irreführend sein, dürfen keine Zweifel über die Sicherheit und/oder die ernährungsphysiologische Eignung anderer

182 Z.B. in EuGH, Rs. C-104/01 – Libertel, Urteil v. 6. 5. 2003, 2003 Slg. I-3793 Rn. 46; EuGH, Rs. C-329/02 – Sat. 1, Urteil v. 16. 9. 2004, 2004 Slg. 8317 Rn. 24; Vgl. hierzu: Köhler in Köhler/ Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 22. Vgl. auch oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. c).

Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht

61

Lebensmittel wecken und nicht zum übermäßigen Verzehr eines Lebensmittels ermutigen oder diesen wohlwollend darstellen. Nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung ist die Verwendung – wissenschaftlich abgesicherter – nährwert- oder gesundheitsbezogener Angaben nur zulässig, wenn vom durchschnittlichen Verbraucher erwartet werden kann, dass er die positive Wirkung, wie sie in der Angabe dargestellt wird, versteht. Das dichte und aus dem Blickwinkel der Lebensmittelbranche sehr strenge Regelungswerk der Verordnung stellt an die Verständigkeit oder Informationsbereitschaft von Verbrauchern keine hohen Anforderungen. Häufig wird deshalb kritisiert, die Verordnung beschränke die Lebensmittelbranche mehr als zum Schutz eines Durchschnittsverbrauchers erforderlich.183 Zuzustimmen ist dieser Kritik insoweit, als nicht davon gesprochen werden kann, dass die HealthClaims-Verordnung insgesamt auf dem unionsrechtlichen Verbraucherleitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers fußt. Denn dafür verlangt sie dem Verbraucher zu wenig Eigeninitiative bei der Beurteilung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben ab. Dennoch muss festgehalten werden, dass sie ebenso wie die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken jedenfalls hinsichtlich des einzelnen Aspektes der Auslegung der irreführenden Angabe exakt dieses vom EuGH entwickelte Leitbild in Bezug nimmt.

III.

Die Maßgeblichkeit und Reichweite des Verbraucherleitbildes im Bereich täuschungsgeeigneter Handlungen für das Sekundärrecht insgesamt

Es hat sich gezeigt, dass das Europäische Recht auch sekundärrechtlich das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers aufgreift. Insbesondere die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken verdeutlicht, dass der Bereitstellung von Informationen für Verbraucher vor dem Hintergrund des Zieles der Verwirklichung des Binnenmarktes in weiten Teilen Vorrang gegenüber solchen nationalen Regelungen einzuräumen ist, die zu einer weitergehenden Beschränkungen der Unternehmer führen. Jedoch muss betont werden, dass die Richtlinie sich nicht durchgängig am Durchschnittsverbraucher orientiert. Insbesondere die per-se-Verbote des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG gehen über diesen Schutzstandard hinaus. Sachlich deckt die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken den Bereich der Irreführungen – als Voraussetzung möglicherweise betrugsrelevanten Verhaltens – fast vollständig ab, indem sie nach ihrem Art. 2 c) und d) sämtliche 183 Gorny, ZLR 2003, 253 (258); Meisterernst, ZLR 2002, 569 ff.

62

Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

Tätigkeiten im Geschäftsverkehr erfasst, die unmittelbar mit der Absatzförderung, dem Verkauf oder der Lieferung von Waren oder Dienstleistungen an Verbraucher zusammenhängen.184 Im Bereich irreführender bzw. täuschender Handlungen kann daher sekundärrechtlich eine Abweichung von den Regelungsinhalten der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nur für solche Sachverhalte gelten, die nicht in deren Anwendungsbereich fallen bzw. ausdrücklich von ihr ausgenommen worden sind. Persönlich regelt die Richtlinie das Verhältnis zwischen Unternehmern und Verbrauchern, Art. 3 Abs. 1. Auf Beziehungen von Verbrauchern untereinander könnte das Leitbild daher keine Anwendung finden. Explizite sekundärrechtliche Regelungen existieren – soweit ersichtlich – jedenfalls nicht. Sachlich nimmt die Richtlinie – wie bereits ausgeführt185 – einzelne Bereiche von ihrem Anwendungsbereich aus. Die ausgenommenen Bereiche werden jedoch keine unmittelbaren Fragen betrugsrelevanter Irreführungen bzw. Täuschungen zum Gegenstand haben. Niederlassungs- und Genehmigungserfordernisse mögen zwar – wie oben zu den Finanzdienstleistungen dargestellt – mittelbar dem Schutz der Verbraucher vor irreführenden Finanzprodukten dienen. Eine nicht beantragte Genehmigung wird aber schwerlich unmittelbar eine tatbestandsmäßige Betrugshandlung zum Nachteil eines Verbrauchers sein können. Gleiches gilt für berufsständische Regelungen, Art. 3 Abs. 8 der Richtlinie. Eine Abweichung vom Verbraucherleitbild der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken könnte für Regelungen im Zusammenhang mit Finanzdienstleistungen, die im Fernabsatz erbracht werden können, und mit Immobilien gelten, für welche die Richtlinie in ihrem Art. 3 Abs. 9 eine Öffnungsklausel beinhaltet, die es den Mitgliedstaaten gestattet, ein höheres Verbraucherschutzniveau festzulegen. Wie dargelegt,186 wurde bereits bisher im Bereich der Finanzdienstleistungen vom EuGH generell ein strengerer Schutzmaßstab angelegt, sodass durch die Richtlinie die Einschätzung des besonders schutzbedürftigen Verbrauchers in diesem Regelungszusammenhang hinsichtlich der Finanzdienstleistungen (eingegrenzt auf den Fernabsatz) fortgeführt wird. Letztlich statuiert die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken in ihrem Art. 3 Abs. 4 den Vorrang von Rechtsvorschriften der Gemeinschaft (Anm.: jetzt Union), die besondere Aspekte unlauterer Geschäftspraktiken regeln. In diesem 184 Siehe aber die Ausnahmen oben Teil 1, 2. Abschnitt, I. A. 185 Siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, I. A.; Art. 3: Vertragsrecht, Vorschriften in Bezug auf die Gesundheits- und Sicherheitsaspekte von Produkten, Geistiges Eigentum, Internationales Zivilprozessrecht, Niederlassungs- und Genehmigungsbedingungen, berufsständische Regelungen. 186 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, II. B. 1. b).

Das Verbraucherleitbild im Sekundärrecht

63

Zusammenhang ist ein höherer Verbraucherschutzstandard vor allem denkbar bei Regelungen der Union, die für alle Mitgliedstaaten in gleichem Maße vollharmonisierend gelten, da eine Gefährdung der Verwirklichung des Binnenmarktes hier unwahrscheinlicher ist: Beispielsweise erklärt sich das durch ein strenges Regelungsgefüge allgemein höhere Schutzniveau der Health-Claims-Verordnung trotz ihrer ausdrücklichen Bezugnahme auf den Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers dadurch, dass prinzipiell entgegenstehende Wertungen – wie vor allem die Verwirklichung des Binnenmarktes – für ihren Regelungsbereich eben weniger Berücksichtigung finden mussten und somit normativ dem Verbraucherschutz mehr Gewicht beigemessen werden konnte. Als Verordnung bewirkt sie eine für alle Mitgliedstaaten geltende Vereinheitlichung des Binnenmarktes völlig unabhängig davon, welches Verbraucherschutzniveau sie festlegt. Einseitige, durch nationale Maßnahmen bedingte Behinderungen des Wettbewerbs oder des sonstigen freien Marktes sind im Grundsatz ausgeschlossen; die Verwirklichung des Binnenmarktes ist mithin nicht gefährdet. Die ausdrückliche Bezugnahme auf das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers in Erwägungsgrund 13 der Health-Claims-Verordnung dient als Klarstellung des Auslegungsmaßstabes auslegungsbedürftiger Begriffe, wie z. B. der Irreführung in Art. 3 der Verordnung. Denn in dem Moment, in dem die Verordnung Begriffe verwendet, die ausgelegt werden müssen, können diese von den jeweiligen Mitgliedstaaten mit unterschiedlichen Inhalten gefüllt werden. Hierdurch kann es trotz der Verbindlichkeit der Bestimmungen der Verordnung in den Mitgliedstaaten zu uneinheitlichen Handhabungen und damit zu Behinderungen der Verwirklichung des Binnenmarktes kommen. Interpretationsbedürftige, den Verbraucherschutz betreffende Begriffe müssen daher unter Abwägung aller einfließenden Wertungen im Sinne des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes ausgelegt werden. Allein dies kommt in der Bezugnahme der Verordnung hierauf zum Ausdruck. Als weiteres Beispiel, in dem das Unionsrecht im vollharmonisierten Bereich einen gegenüber dem Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers erhöhten Schutzmaßstab gestattet, lässt sich Erwägungsgrund 51 der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel nennen. Danach kann die Kommission in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten über die Irreführungsverbote der Richtlinie 2005/29/EG hinausgehende Kriterien für bestimmte Werbeaussagen über kosmetische Mittel festlegen. Im Ergebnis lässt sich folgendes festhalten: Außerhalb des strengen Ausnahmekataloges der Richtlinie über unlautere

64

Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung

Geschäftspraktiken ist im Bereich irreführender Handlungen für die Mitgliedstaaten keine Abweichung vom Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zulässig. Jedoch weicht die Health-Claims Verordnung durch ihr strenges Regelungsgefüge von diesem Verbraucherleitbild ab und es existieren weitere sekundärrechtliche Abweichungen im von der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken ausgenommenen Bereich. Aus diesem Grund ist der Aussage Leibles nur bedingt zuzustimmen, dass der verständige Verbraucher grundsätzlich Maßstabsfigur für die Auslegung aller Irreführungsverbote sei, die entweder in Verordnungen der Union oder im nationalen Recht geregelt sind, das auf zu einer abschließenden Harmonisierung führenden Richtlinie der Union beruht. Dies gilt nämlich nur für Begriffe, die durch die Mitgliedstaaten einheitlich ausgelegt werden müssen. Im vollharmonisierten Bereich geht das Unionsrecht teilweise über den Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers hinaus. Voraussetzung ist eine innerhalb des konkreten Regelungsgefüges ausdrückliche europarechtliche Entscheidung zur Abweichung von diesem Leitbild. Insgesamt aber ist auf europäischer Ebene eine restriktive und wertende Auslegung des Irreführungsbegriffes gefordert.187

3. Abschnitt: Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse Sowohl im Primärrecht als auch im Sekundärrecht bedient sich das Unionsrecht der Maßstabsfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers. Hierbei handelt es sich um keine Formel, der ein starrer Inhalt zugedacht werden kann. Vielmehr ist sie als Orientierungshilfe zu verstehen, mittels deren – auf der Basis tatsächlicher Gegebenheiten – im Einzelfall unter Berücksichtigung des Regelungsgefüges des konkreten Sachverhaltes normativ ermittelt werden kann, welches Verbraucherschutzniveau im Sinne eines verständigen Durchschnittsverbrauchers vertretbar erscheint, ohne den Binnenmarktgedanken und sonstige fallbezogene Wertungsmomente zu vernachlässigen. Das vom EuGH in seiner Rechtsprechung zur Warenverkehrsfreiheit entwickelte und sodann immer weiter auch im Sekundärrecht fortgeführte Leitbild ist nicht im Sinne eines Dogmas zu verstehen. Es beschreibt nur die grundsätzliche Leitlinie des Unionsrechts im Verbraucherschutz. Dies belegt die Erkenntnis, dass sich überall dort, wo es auftaucht, Fälle finden lassen, bei denen besonders schutzwürdigen Verbrauchern durch Abwägung der unterschiedlichen Interessen gegeneinander ein für sie günstigerer Wertungsmaßstab zuerkannt wird. Gleiches gilt beispielsweise für Ge187 Niemöller, Das Verbraucherleitbild, 1999, S. 193 f.

Zusammenfassung der Untersuchungsergebnisse

65

schäfte mit besonders hoher Komplexität oder hohem wirtschaftlichem Risiko für Verbraucher und für die Inhalte der unionsrechtlichen Health-Claims-Verordnung. Allgemein bekannt ist, dass das nationale Recht von unionsrechtlichen Regelungen in weiten Teilen beeinflusst und überlagert wird. Es stellt sich daher die Frage, ob und wenn ja inwieweit die gefundenen Ergebnisse zur unionsrechtlichen Maßstabsfigur des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers Berücksichtigung bei der Anwendbarkeit und Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes nach § 263 StGB zu finden haben. Das Verbraucherleitbild ist jedoch »nur« Ausfluss des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf unionsrechtlicher Ebene, da es sowohl primärrechtlich als auch sekundärrechtlich dazu dient, die teilweise widerstreitenden Interessen von Unternehmen und Verbrauchern in einen marktgerechten Ausgleich zu bringen. Sollte eine Neuinterpretation des § 263 StGB erforderlich sein, könnte dies heißen, dass eine gesonderte, auf § 263 StGB bezogene strafrechtliche und Fragen des Vermögensschutzes einbeziehende Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgen müsste.

Teil 2: Vorüberlegungen und Grundlagen zur Relevanz des unionsrechtlichen Verbraucherschutzverständnisses für den deutschen Betrugstatbestand

Bevor ein eigener Ansatz zur Lösung des möglichen Konfliktes zwischen europäischen Täuschungsschutzstandards im Bereich des Verbraucherschutzes und der deutschen Betrugsdogmatik entwickelt wird, werden im Folgenden die bisherigen Ansätze dargestellt. Dies ermöglicht eine genauere Lozierung der Problemstellung.

1. Abschnitt: Die bisherigen Ansätze I.

Die Ansicht Thomas’

Bereits 1991 ermittelt Thomas einen Einfluss des europäischen Rechts auf § 263 StGB, »soweit der Warenverkehr betroffen ist.« Er führt seine Diskussion zwar nicht anhand des europäischen Verbraucherleitbildes, sondern in Bezug auf das Weinrecht am Merkmal der Verkehrsfähigkeit. Hierbei betont er jedoch, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis die Auslegung des Kernstrafrechts in weiten Teilen vom Unionsrecht determiniert werde. Für die Tatbestandsmerkmale »Täuschung« und »Irrtum« des § 263 StGB sei dann nur noch relevant, ob sich der Irrtum des Getäuschten auf die Einhaltung EG-rechtlicher Vorschriften bezog.188

II.

Die Ansicht Kühls

In seinem Aufsatz zur Europäisierung der Strafrechtswissenschaft nennt Kühl einleitend einige Beispiele zum Einfluss des Unionsrechts auf das deutsche Strafrecht.189 Unter anderem führt er den von Dannecker190 erstmals erkannten 188 Thomas, NJW 1991, 2233 (2237). 189 Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (780 ff.).

68

Vorüberlegungen und Grundlagen

und ausführlicher diskutierten Einfluss der EG-Öko-Verordnung aus dem Jahr 1991191 auf § 263 StGB an. Die Verordnung legt fest, unter welchen Voraussetzungen Produkte als aus ökologischem Landbau stammend bezeichnet werden dürfen. Ihr komme gegenüber nationalen Täuschungsschutzvorschriften Vorrang zu, sodass sich allein aus ihren Bestimmungen die maßgebliche Verbrauchererwartung und daraus folgend der berechtigte Erwartungshorizont möglicher Betrugsopfer ergebe. Hieraus resultiere eine Einschränkung des Betrugstatbestandes im Bereich konkludenten Täuschungsverhaltens.192 Im weiteren Verlauf seiner Darstellung ermittelt Kühl einen zweiten Bereich eines möglichen Einflusses des Unionsrechts sowohl auf das Zivilrecht als auch auf § 263 StGB, und zwar das Gebiet der übertreibenden Anpreisungen und marktschreierischen Reklame, bezüglich deren die deutsche Rechtsprechung traditionell strenger sei als das Unionsrecht. Dies führt er jedoch nicht weiter aus.193 In der Folge konstatiert er : »Dass man in der richtlinienkonformen Auslegung eine faktische Teilentmachtung des nationalen Gesetzgebers sehen kann, zeigt – auch wenn man das nicht so dramatisch sieht –, dass die Strafrechtswissenschaft die mittelbare Einwirkung des EG-Rechts in das nationale Strafrecht mit Aufmerksamkeit beobachten sollte.«194

III.

Die Ansicht Tiedemanns

Nach Tiedemann legte die deutsche Rechtsprechung zur Auslegung des Irreführungsbegriffes des alten § 4 UWG den Maßstab eines flüchtigen Verbrauchers zugrunde. Dies habe damals im Widerspruch zu der Rechtsauffassung in anderen Mitgliedstaaten sowie der Rechtsprechung des EuGH gestanden, die sich normativ an der »Maßfigur eines aufmerksamen, verständigen oder ›mündigen‹ Verbrauchers« orientierten.195 Bei grenzüberschreitenden Sachverhalten seien im Hinblick auf Art. 30 EGV (heute Art. 34 AEUV) damals auch die deutschen Rechtsanwender gezwungen gewesen, den (Anm. ehemaligen) § 4 UWG anhand dieser Maßstabsfigur auszulegen; bei reinen Inlandssachverhalten habe sich diese Vorgehensweise aufgrund des Gebotes der richtlinienkonformen Auslegung zumindest empfohlen.196 190 Dannecker, WiVerw 1996, 190 (203). 191 Damals: Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 v. 24. 6. 1991, ABl 1991 L 198, S. 1; heute: Verordnung (EG) Nr. 834/2007 v. 28. 6. 2007. 192 Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (782 f.). 193 Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (783). 194 Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (784). 195 Tiedemann in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, 2000, 551 (554). 196 Tiedemann in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, 2000, 551 (554 f.).

Die bisherigen Ansätze

69

Mittlerweile müssten sowohl das UWG als auch § 263 StGB am »Maßstab der Grundfreiheiten der EU« ausgelegt werden.197 Zusätzlich müsse die Richtlinie 2005/29/EG Beachtung finden.198 Hieraus folge jedoch nicht, dass von nun an generell nur noch der verständige Durchschnittsverbraucher von § 263 StGB geschützt sei. Mit Hecker sei jedoch eine Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit bei der öffentlichen Publikumswerbung »zumindest diskutabel«. Es ginge dabei »um eine auf Art. 291 AEUV gestützte unionsfreundliche Auslegung.«199 Bei Individualtäuschungen hingegen sei das Opfer schutzbedürftiger, weil solche Täuschungen gefährlicher seien.200

IV.

Die Ansicht Danneckers

Dannecker erkennt einen weitreichenden Einfluss des Unionsrechts auf den deutschen Betrugstatbestand aufgrund dessen Vorrangs an.201 Im durch das Sekundärrecht harmonisierten Bereich ergebe sich hieraus die Verpflichtung zur Anwendung des europarechtlichen Verbraucherschutzmaßstabes auch auf rein innerstaatliche Sachverhalte.202 Am Beispiel der EG-Öko-Verordnung203 zeigt er den europarechtlichen Einfluss auf konkludente Täuschungshandlungen auf. Der berechtigte Empfängerhorizont werde durch diese Verordnung festgelegt.204 Generell stellt er fest, dass es (zumeist) keine systematische Einflussnahme des EG-Rechts auf das nationale Strafrecht gebe und es daher nur von Zufälligkeiten abhänge, ob in einzelnen Bereichen EG-rechtliche Vorschriften auf dieses einwirken. Hieraus resultiere ein Gerechtigkeits- und Gleichheitsproblem.205 Einen wesentlichen Grund für die zunehmende Beeinflussung durch das EG-Recht und die daraus resultierende »Zweispurigkeit« des nationalen Strafrechts sieht Dannecker auf der Ebene des Primärrechts in der Ausweitung des Verständnisses der – nur auf grenzüberschreitende Sachverhalte anwendbaren – Grundfreiheiten von bloßen »Diskriminierungsverboten zu Freiheitsrechten angenäherten Beschränkungsverboten«.206 Durch das Verbraucherleitbild des EuGH werde die Möglichkeit der Rechtfertigung von Eingriffen in die Grund197 198 199 200 201 202 203

Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 40. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 40. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 40. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 40. Dannecker, JURA 2006, 173 (174 f.); Dannecker, Wiverw 1996, 190 (198). Dannecker, WiVerw 1996, 190 (199 f., 203). Damals: Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 v. 24. 6. 1991, ABl 1991 L 198, S. 1; Heute: Verordnung (EG) Nr. 834/2007 v. 28. 6. 2007. 204 Dannecker, WiVerw 1996, 190 (203). 205 Dannecker, JURA 2006, 173 (175); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (699). 206 Vgl. hierzu oben Teil 1, 1. Abschnitt, III.

70

Vorüberlegungen und Grundlagen

freiheiten aus Gründen des Verbraucherschutzes begrenzt.207 Dies führe zwingend zu einem gegenüber der bisherigen innerdeutschen Dogmatik restriktiveren Anwendungsbereich des § 263 StGB.208 Inhaltlich gehe es hierbei um die Grenzen zulässigen Verhaltens der Marktteilnehmer. Denn ein im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten liegendes europarechtlich zulässiges Verhalten könne nicht über § 263 StGB sanktioniert werden; dies verstieße gegen die jeweils anwendbare Grundfreiheit.209 Gleichzeitig folge aus den Grundfreiheiten keine Verpflichtung zur Gleichbehandlung rein nationaler Sachverhalte. Es bestehe daher die »Gefahr einer Zweispurigkeit des konkreten Rechtsgebiets«.210 Da die deutsche Rechtsordnung jedoch auf Widerspruchsfreiheit angelegt sein müsse und Inländerdiskriminierungen möglichst zu vermeiden seien, plädierte er zunächst für eine Anwendung des europarechtlichen Maßstabes auch auf Sachverhalte ohne europarechtlichen Bezug.211 Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordere eine Gleichbehandlung von rein nationalen Sachverhalten und solchen mit europarechtlichem Bezug. Denn wenn ein Ausländer wegen eines bestimmten Verhaltens nicht bestraft werden könne, sei die Bestrafung eines Inländers hinsichtlich des gleichen Verhaltens wegen fehlenden Strafbedürfnisses weder erforderlich noch angemessen.212 Mit Blick auf § 263 StGB sprach sich Dannecker sogar noch weitergehend dafür aus, das Verbraucherleitbild generell und nicht nur in den Fällen, in denen europarechtliche Regelungen allein aufgrund fehlenden grenzüberschreitenden Bezugs nicht eingreifen, als normativen Maßstab innerhalb der bekannten Restriktionsansätze zum Betrugstatbestand zu etablieren.213 Im Ergebnis habe auch schon bisher festgestanden, dass es normativer Kriterien zur Abgrenzung von verbotenen und erlaubten Unwahrheiten bedürfe. Von dieser Sichtweise scheint er jedoch nur ein knappes Jahr später abzurücken, wenn er meint, dass das Unionsrecht nicht einheitlich vom verständigen Verbraucher ausgehe, sondern in Teilbereichen das Leitbild des flüchtigen Verbrauchers zugrunde lege.214

207 208 209 210 211 212 213

Dannecker, Wiverw 1996, 190 (205 f.). Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (704). Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (706, 711) am Beispiel der Warenverkehrsfreiheit. Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (706). Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (707 ff., 712 f.). Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (709 f., 712). Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (713); anders (wohl) noch ders., WiVerw 1996, S. 190 (210). 214 Dannecker, JURA 2006, 173 (175).

Die bisherigen Ansätze

V.

71

Die Ansicht Heckers

Aus rein nationaler Perspektive steht Hecker allen bisherigen Begrenzungsversuchen des Tatbestandes des § 263 StGB, die an die Selbstverantwortung des Opfers appellieren,215 aus jeweils rechtsdogmatischen Gründen ablehnend gegenüber216. Jedoch befürwortet er teilweise eine solche Begrenzung aufgrund europarechtlicher Vorgaben.217 In der Folge unterscheidet er zwischen Sachverhalten mit grenzüberschreitendem Bezug, die durch primärrechtliche Regelungen zwingend überlagert werden, Sachverhalten im durch Sekundärrecht harmonisierten Bereich und allen anderen Sachverhalten. Hinsichtlich ersterer sei das Ergebnis der Unanwendbarkeit des § 263 StGB von vorneherein klar. Deshalb müsse man weder mühevoll eine teleologische Reduktion des objektiven Tatbestandes des § 263 StGB begründen noch auf die Konstruktion eines strafrechtlichen Rechtfertigungsgrundes aufgrund europarechtlich eingeräumter Befugnisse rekurrieren. Die schlichte Feststellung der Nichtanwendung des § 263 StGB stehe im Einklang mit der herrschenden Doktrin über das Verhältnis von Unionsrecht und mitgliedstaatlichem Recht. Außerdem erspare dieser Ansatz »dem Rechtsanwender auch die Probleme, die mit der Suche nach einer passenden und überzeugenden strafrechtsdogmatischen Lozierung der gemeinschaftsrechtlichen (Anm.: jetzt unionsrechtlichen) Wertungsvorgaben verbunden sind.«218

Bereits an dieser Stelle ist anzumerken, dass Hecker in diesem Punkt nicht zuzustimmen ist, da nach herrschender Doktrin dem radikalen Ergebnis der Nichtanwendbarkeit einer nationalen Norm immer die Prüfung der Möglichkeit einer unionsrechtskonformen Auslegung vorauszugehen hat.219 Es macht dogmatisch einen Unterschied, ob der Einzelne aufgrund der Nichtanwendbarkeit einer Norm freigesprochen wird oder weil ihre (europarechtskonforme) Anwendung zu einem Freispruch führt. Denn die Souveränität des nationalen Gesetzgebers ist durch den Ausspruch der Nichtanwendbarkeit einer Norm wesentlich stärker betroffen als durch die Anwendung einer Auslegungsregel.220 Im Bereich des durch Sekundärrecht harmonisierten nationalen Täuschungsschutzrechts besteht nach Hecker hingegen eine Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung.221 Zwar liege nach herrschender Meinung dem 215 216 217 218 219 220 221

Vgl. unten Teil 3, 1. Abschnitt II. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 228 f., 262, 274 ff. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 282. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 286. Dannecker, JURA 2006, 173 (175). Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 520. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 287.

72

Vorüberlegungen und Grundlagen

§ 263 StGB eine individualschützende Konzeption zugrunde, der die Auslegung des objektiven Tatbestandes des § 263 Abs. 1 StGB anhand einer normativ vorgegebenen Verkehrsauffassung fremd222 sei.223 Hinsichtlich des harmonisierten Bereiches nötige aber die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung zur Abkehr von tradierten Interpretationsmustern.224 Ob die Neuinterpretation am Täuschungs- oder Irrtumsmerkmal anzusetzen habe, könne man aufgrund identischer Ergebnisse in der Rechtsanwendung letztlich offenlassen.225 Die vom Unionsrecht vorgegebenen Wertungsvorgaben zur Verkehrsauffassung zwängen zu verordnungs- bzw. richtlinienkonformer Auslegung und hätten die Funktion eines Tatbestandskorrektivs, welches einen Bereich erlaubten Risikos hinsichtlich solcher Tatbestände schaffe, die den Schutz vor Täuschungen bezwecken.226 Als Zwischenfazit erkennt Hecker somit für die Bereiche bindender europarechtlicher primär- und sekundärrechtlicher Vorgaben eine zwingende »sektorale Europäisierung des nationalen Täuschungsschutzstrafrechts«.227 Im nicht durch Sekundärrecht harmonisierten Bereich ohne primärrechtliche Bindungen an europäische Täuschungsschutzstandards plädiert Hecker hinsichtlich der Publikumswerbung für eine »freiwillige« »gemeinschaftsrechtsfreundliche (Anm.: jetzt unionsrechtsfreundliche) Interpretation der Täuschungsschutztatbestände.«228 Die nationale Rechtsdogmatik stehe vor der Entscheidung, das Spannungsverhältnis zwischen deutschem und europäischem Täuschungsschutzstrafrecht entweder zugunsten des europäischen Rechts aufzulösen oder fortbestehen zu lassen, da es im nichtharmonisierten Bereich weder ein Gebot noch ein Verbot unionsrechtskonformer Auslegung gebe.229 Zur Vermeidung von Inländerdiskriminierungen spricht sich Hecker in der Folge für eine den Tatbestand des § 263 StGB anhand des normativen unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes korrigierende230 Auslegung der Merkmale Täuschung und Irrtum aus und begreift diese Vorgehensweise auch hier ohne konkretisierende Verortung im Tatbestand als Fallgruppe betrugsstrafrechtlich

222 Es ist sehr fraglich, ob nicht auch die rein nationale Doktrin auf die Verkehrsauffassung zurückgreift, vgl. unten Teil 3, 1. Abschnitt, I. A., B. 1. 223 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 290 am Beispiel der EG-ÖkoVO, Verordnung (EWG) Nr. 2092/91 des Rates vom 24.6.91 über den ökologischen Landbau und die entsprechende Kennzeichnung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Lebensmittel. 224 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 290. 225 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 290 f. 226 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 291, 296, 304 f. 227 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 305, 286. 228 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 287. 229 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 307. 230 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 328.

Die bisherigen Ansätze

73

erlaubten Risikos.231 Gleichzeitig betont er den Charakter des § 263 StGB als individualschützendes Delikt, für dessen Interpretation es eigentlich nur auf den Verständnishorizont des Einzelnen und nicht einer Verkehrsauffassung ankommen könne. Infolgedessen möchte er die vorgeschlagene tatbestandsbegrenzende Auslegung des § 263 StGB im Sinne einer Sonderdogmatik auf den Bereich der gewerblichen232 Publikumswerbung verstanden wissen233 und kommt zu folgendem Schluss: »Die wettbewerbsstrafrechtliche Betrugskomponente geht als speziellere Tatbestandsalternative der individualrechtlichen Betrugskomponente vor.«234 Die so gefundene täuschungsschutzstrafrechtliche Privilegierung der Publikumswerbung führe zu einer Wertungssymmetrie und dadurch im Bereich der Publikumswerbung zu Rechtssicherheit.235 Auch wenn nach der Rechtsprechung und herrschenden Lehre eine aus europarechtlichen Vorgaben resultierende rechtliche Besserstellung von EG-Ausländern keinen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG begründen könne, seien Inländerdiskriminierungen im Bereich des Strafrechts so weit wie möglich zu vermeiden, da den Bürgern schwerlich zu vermitteln sei, weshalb ein Verhalten eines Inländers mit den Mitteln des Strafrechts – als in die Freiheitssphäre der Bürger am stärksten eingreifende Maßnahmen – zu sanktionieren sei, wenn dasselbe Verhalten eines EG-Ausländers nicht einmal wettbewerbsrechtlich zu beanstanden sei.236

VI.

Die Ansicht Soykas

Soyka beschränkt seine Untersuchung der Auswirkungen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts auf den deutschen Betrugstatbestand zunächst auf den durch die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken sekundärrechtlich harmonisierten Bereich und fügt im Folgenden Überlegungen zur Behandlung von Täuschungshandlungen an, die von unionsrechtlichen Vorgaben nicht tangiert werden.237 Aufgrund der vollharmonisierenden Wirkung der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken dürfe ein nach ihr lauteres Verhalten nicht durch nationales Recht verboten werden.238 EG-rechtlich gelte für alle Irreführungsverbote der Maßstab der Eignung zur Täuschung eines verständigen Verbrauchers. Daher müsse dieses Eignungselement ebenfalls in 231 232 233 234 235 236 237 238

Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 320. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 326. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 322. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 325. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 332 ff. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 335 f. Soyka, wistra 2007, 127 ff. Soyka, wistra 2007, 127 (129).

74

Vorüberlegungen und Grundlagen

die Auslegung des Betrugstatbestandes eingefügt werden und führe zu einem liberaleren Täuschungsschutzmaßstab als bisher. Eine Ausnahme könne nur für die per-se-Verbote des Anhangs der Richtlinie gelten.239 Im Anwendungsbereich der Richtlinie sei daher die deutsche Betrugsdogmatik zum Schutz auch der Leichtgläubigen nicht mehr relevant. Aus den unterschiedlichen Täuschungsschutzmaßstäben bei rein nationalen und EG-rechtlich beeinflussten Sachverhalten folge eine Zersplitterung des Betrugstatbestandes. Trotz tragfähiger Bedenken sei ihr durch eine einheitliche und umfassende Beachtung des unionsrechtlichen Täuschungsschutzmaßstabes bei der Auslegung des § 263 StGB zu begegnen, da nur auf diese Weise die Strafbarkeit eines Handelns vorhersehbar bleibe und somit den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots entsprochen werden könne. Ferner streite das Argument der Rechtssicherheit sowie der Vermeidung von Wertungswidersprüchen für dieses Ergebnis.240 Dem Hauptkritikpunkt des eingeschränkten Opferschutzes könne mit einem Verweis darauf begegnet werden, dass auch das Unionsrecht bei der Frage des konkret anzulegenden Maßstabes im Grundsatz den im jeweiligen Fall vorhersehbar angesprochenen Verkehrskreis berücksichtigt wissen wolle und den Anbietern erhöhte Informationspflichten auferlege.241 Die neue Interpretation des Betrugstatbestandes sei derart auszugestalten, dass im Bereich konkludenter Täuschungen der europarechtliche Maßstab zur Bestimmung des – bereits bisher normativ zu ermittelnden – objektiven Empfängerhorizonts heranzuziehen sei. Im Bereich ausdrücklicher Täuschungen könne die Korrektur aufgrund des bisherigen Fehlens normativer Elemente nur durch die Einführung einer normativen Komponente der Eignung zur Täuschung als Voraussetzung tatbestandsmäßigen Verhaltens erfolgen.242

VII.

Die Ansichten Hebenstreits und Satzgers

Hebenstreit sieht die Frage des Einflusses des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes auf den deutschen Betrugstatbestand noch nicht als geklärt an, hält ihn aber jedenfalls für möglich.243 Nach Satzger stehen Kollisionen mit primärem und sekundärem Unionsrecht bereits fest. Eine unionsrechtskonforme Auslegung des Täuschungsbegriffes am Maßstab des europäischen Verbraucherleit239 240 241 242 243

Soyka, wistra 2007, 127 (129). Soyka, wistra 2007, 127 (131 ff.). Soyka, wistra 2007, 127 (132). Soyka, wistra 2007, 127 (132 f.). Hebenstreit in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011, § 59 Rn. 5a.

Die bisherigen Ansätze

75

bildes sei in diesen Fällen ausdrücklich erforderlich; hierdurch komme es zu einer »Zersplitterung des Täuschungsschutzniveaus« des § 263 StGB.244

VIII.

Die Ansicht Verghos

Nach Vergho ist der unionsrechtliche Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers für eine Anwendung im Strafrecht nicht geeignet. Im Übrigen ergebe sich eine Verpflichtung zu dessen Beachtung im Strafrecht auch nicht aus unionsrechtlichen Vorgaben.245 In seiner Darstellung unterscheidet er zwischen Tatbeständen, denen strafrechtliche Rechtsgüter zugrunde liegen und solchen Tatbeständen, die seiner Meinung nach nur die Dispositionsfreiheit schützen und deshalb illegitim seien. Da § 263 StGB das Rechtsgut Vermögen schützt, ist nur auf Verghos Ausführungen zum Einfluss des Verbraucherleitbildes auf Delikte, die seiner Meinung nach strafrechtliche Rechtsgüter schützen, einzugehen. In diesem Bereich sprächen spezifisch straf- und verfassungsrechtliche Gründe gegen eine Berücksichtigung des Leitbildes. Diese Gründe seien auch durch das Unionsrecht anerkannt.246 Zum einen widerspreche eine Beachtlichkeit des Verbraucherleitbildes dem Rechtsgüterschutzprinzip.247 Nach dem Verbraucherleitbild sei eine Irreführung erst dann zu bejahen, wenn eine Wettbewerbshandlung für ungefähr über 20 Prozent der Verbraucher irreführungsgeeignet sei (sog. Relevanzsschwelle).248 Die Maßgeblichkeit des Leitbildes für das Strafrecht würde deshalb dazu führen, dass eine Minderheit von unverständigen Verbrauchern vom Rechtsgüterschutz ausgenommen werden würde. Dies sei dem Rechtsgüterschutzprinzip jedoch fremd, da Individualrechtsgüter nicht distributiv seien.249 Außerdem verstoße die Ausgrenzung einer Minderheit aus dem Schutz des Betrugstatbestandes gegen Art. 3 Abs. 1 GG.250 Zum anderen würde ein Zwang zur Übertragung des Verbraucherleitbildes in das Strafrecht dem Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG nicht gerecht werden, da jenes nichts anderes sei als »Worthülse und Projektionsfläche, die jede beliebige Beurteilung der Irreführungsgefahr im Einzelfall legitimieren

244 245 246 247 248 249 250

Satzger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 263 Rn. 11, 66 ff. Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 119 f., 301; Vergho, wistra 2010, 86. Vergho, wistra 2010, 86 (90). Vergho, wistra 2010, 86 (91). Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 126. Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 126 f.; Vergho, wistra 2010, 86 (92). Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 126.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

kann«.251 Es fehle bisher an einem durch die Rechtsprechung hinreichend konkretisierten Irreführungsbegriff und damit an der Vorhersehbarkeit für den Normadressaten.252 Mindestvoraussetzung sei die gesetzliche Festlegung einer (möglichst prozentualen) Relevanzschwelle.253 Gleichzeitig sei es nicht Aufgabe der Rechtsprechung, sondern der Gesetzgebung, genau herauszuarbeiten, ab wann eine Angabe irreführend sei.254 Favorisiere man eine starke Normativierung des Leitbildes, wäre der Angeklagte zudem »allein dem Richter ausgeliefert«, sodass in gegen Art. 103 Abs. 2 GG verstoßender Weise nicht mehr der Gesetzgeber, sondern die Judikative über die Strafbarkeit eines Verhaltens entscheide.255 Unter anderem aus diesem Grund sei der Begriff des Irrtums i. S. d. § 263 StGB schon bisher rein tatsächlich auszulegen, woran das Leitbild nichts ändern dürfe. Ferner sei dem Leitbild eine innerhalb einer Verhältnismäßigkeitsprüfung vorzunehmende Interessensabwägung immanent, welche aufgrund der Unvorhersehbarkeit ihres Ergebnisses nicht mit dem Bestimmtheitsgebot zu vereinbaren sei, soweit es um die Feststellung der Tatbestandsmäßigkeit eines Verhaltens gehe.256 Als dritten Gesichtspunkt führt Vergho aus, dass auch unter dem Blickwinkel des europäischen Binnenmarktgedankens kein Bedürfnis existiere, eine betrügerische Werbung zuzulassen, auf die nur unverständige Verbraucher hereinfielen. Rechtsgüterverletzende Geschäftspraktiken hätten immer ausreichende Abwägungsrelevanz, um Eingriffe in die Warenverkehrsfreiheit zu rechtfertigen.257 Auch die Rechtsprechung des EuGH erkenne bei der Verletzung von Rechtsgütern einen höheren Schutzstandard an.258 Eine Versagung des Schutzes besonders leichtgläubiger Verbraucher sei auch von der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken nicht bezweckt. Dies ergebe sich beispielsweise aus Erwägungsgrund 19 der Richtlinie. Hinzu komme, dass nach diesem Erwägungsgrund auf die Sichtweise besonders schutzwürdiger Verbraucher abzustellen sei, wenn vernünftigerweise vorhersehbar ist, dass nur sie von der Geschäftspraktik beeinflusst werden. Da § 263 StGB nur bei vorsätzlichem Handeln

251 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 138; Vergho, wistra 2010, 86 (88). 252 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 139. 253 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 141; ähnlich Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 319 f., der jedoch der Auffassung ist, durch seinen Vorschlag einer Mindestirreführungsquote von 15 % den Bestimmtheitsanforderungen genügen zu können. 254 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 143. 255 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 142; Vergho, wistra 2010, 86 (89). 256 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 142. 257 Vergho, wistra 2010, 86 (91); vgl. auch Vergho, Maßstab der Verbraucherwartung, 2009, S. 302 f. 258 Vergho, wistra 2010, 86 (91).

Die bisherigen Ansätze

77

verwirklicht sei, liege Vorhersehbarkeit immer vor und eine Diskrepanz zwischen dem Wettbewerbsrecht und dem Betrugstatbestand sei nicht denkbar.259 Viertens schütze § 263 StGB nur vor unwahren Angaben. Diese seien allerdings trotz des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers auch unionsrechtlich umfassend verboten. Dies ergebe sich bereits aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG, wonach unwahre Angaben immer irreführungsgeeignet seien.260 Überdies folge aus den grundlegend unterschiedlichen Konzeptionen der Tatbestände des Wettbewerbsrechts einerseits und des § 263 StGB andererseits, dass eine wertungsmäßige Gleichstellung nicht angezeigt sei.261

IX.

Die Ansichten Eiseles und Boschs

Nach Eisele folgt insbesondere aus den sekundärrechtlichen Irreführungsverboten im Bereich des Wettbewerbsrechts keine zwingende Akzessorietät für § 263 StGB. Dies liege zum einen an den unterschiedlichen Schutzrichtungen von § 263 StGB und den Regelungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb. Zum anderen sei der Betrugstatbestand mit den Tatbestandsmerkmalen des Vermögensschadens und der Bereicherungsabsicht an engere Voraussetzungen geknüpft als die Irreführungsverbote des Wettbewerbsrechts.262 Bosch geht zwar nicht vertieft auf die Einflüsse des Unionsrechts auf die deutsche Betrugsstrafbarkeit ein. Jedoch klingt auch bei ihm an, dass Kollisionen aufgrund der unterschiedlichen Zwecksetzungen der Rechtsmaterien nicht in Betracht kämen.263

X.

Die Ansicht Ruhs’

Ruhs ist der Auffassung, die bisherige Betrugsdogmatik stehe vor »völlig neuen Herausforderungen«, da das unionsrechtliche Täuschungsschutzniveau nur durch eine normative Auslegung des Tatbestandes des § 263 StGB erreicht werden könne; eine solche sei der bisherigen Betrugsdogmatik mit ihrem individualschützenden Charakter fremd.264 Sowohl bei Publikumswerbung als auch bei Individualtäuschungen dürften die Tatbestandsmerkmale der Täu259 260 261 262 263 264

Vergho, wistra 2010, 86 (91). Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 302; Vergho, wistra 2010, 86 (92). Vergho, wistra 2010, 86 (92). Eisele, NStZ 2010, 193 (196). Bosch, Festschrift für E. Samson, 2010, S. 241 (243 Fn. 12). Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (579).

78

Vorüberlegungen und Grundlagen

schung und des Irrtums nur noch dann bejaht werden, wenn »ein wettbewerbsstrafrechtlich nicht mehr erlaubtes Risiko in Form einer kollektiven Irreführungsgefahr geschaffen wurde.«265 Dies sei nur dann der Fall, wenn bei einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher eine Fehlvorstellung hervorgerufen werde. Dieser Maßstab müsse zur Erzielung kriminalpolitisch sinnvoller Ergebnisse auch im nichtharmonisierten Bereich gelten. Nur so würden eine Zersplitterung des Täuschungsschutzstrafrechts und Konflikte mit dem Bestimmtheitsgebot verhindert.266

XI.

Fazit und Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

Die bisherige Diskussion über den Einfluss des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes auf den deutschen Betrugstatbestand führt zu recht divergierenden Ergebnissen und scheint verschiedenste Fragestellungen eher aufzudecken als wirklich überzeugend zu lösen. Diese sollen im Folgenden aufgegriffen werden. Hierbei stellt sich zunächst die Frage, ob das Europarecht mit der Mehrheit der genannten Autoren eine Berücksichtigung des Maßstabes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers verlangt oder aber hierzu gerade nicht verpflichtet. Es ist daher in einem ersten Schritt zu klären, ob und wenn ja inwieweit eine Bindungswirkung losgelöst vom Einzelfall primär- und/oder sekundärrechtlich besteht. Ist der abstrakte Einfluss des Unionsrechts auf den Betrugstatbestand bejaht, fällt auf, dass die genannten Autoren erstens häufig nicht überprüfen, ob die jeweils für Einzelfälle gefundenen Ergebnisse tatsächlich von denjenigen sich nach der bisherigen Dogmatik ergebenden abweichen und damit das unionsrechtliche Verbraucherschutzniveau zu einer Neuinterpretation zwingt. Zweitens lässt sich feststellen, dass die vom Verbraucherleitbild geforderte sachverhaltsbezogene Abwägung teils recht oberflächlich und deshalb nicht immer sachgerecht erfolgt. Ein Beispiel hierfür bildet der Fall des »Haarverdicker-Doppelhaar«267: Nach Ansicht vieler Autoren könne die Täuschung über die Wirksamkeit eines Haarwuchsmittels aufgrund der Pflicht zur Interpretation des Betrugstatbestandes anhand des Verbraucherleitbildes nicht mehr tatbestandsmäßig sein.268 265 266 267 268

Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (579 f., 581). Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (582). BGHSt 34, 199. So z. B. Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 34; Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 328 f.; Soyka, wistra 2007, 127 (128, 133); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (711); Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (580).

Die Bindung an das Unionsrecht

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Jedoch entschieden in jüngerer Zeit in ähnlich gelagerten Fällen beispielsweise der Bundesgerichtshof269 und das OLG Jena270 – m. E. im Einklang mit dem unionsrechtlichen Verbraucherleitbild und daher unionsrechtskonform271 –, dass wettbewerbsrechtlich eine Irreführungseignung vorliegt. Damit kann die Möglichkeit einer Betrugsstrafbarkeit nicht ohne eine genauere Analyse verworfen werden.272 Es ist daher in einem zweiten Schritt der tatsächliche Einfluss des Verbraucherleitbildes auf den deutschen Betrugstatbestand unter Berücksichtigung der herkömmlichen Dogmatik zu untersuchen und festzulegen, in welchen Fällen es überhaupt nur zu abweichenden Ergebnissen kommen kann. Sollten Kollisionen des Betrugstatbestands mit dem Unionsrecht tatsächlich möglich sein, ist zu untersuchen, wie diese möglichst schonend aufgelöst werden können.

2. Abschnitt: Die Bindung an das Unionsrecht Wie dargelegt, ist das Verbraucherleitbild keine isolierte und starre europarechtliche Konstruktion, sondern die abstrakte Umschreibung des grundsätzlichen Verbraucherschutzniveaus im unionsrechtlichen Regelungsgefüge. Es kann im Einzelfall anhand der einfließenden Wertungen unterschiedlich mit Inhalt zu füllen sein. Darüber hinaus kann sich im konkreten Regelungszusammenhang sogar ein abweichendes, höheres Verbraucherschutzniveau ergeben. Folglich kann auch die Frage der Bindung des Strafrechts an dieses europäische Verbraucherschutzniveau nicht isoliert vom jeweiligen Regelungszusammenhang beantwortet werden. Die Fragestellung ergibt sich wie folgt: Jeder Täuschungshandlung im Sinne des deutschen Betrugstatbestandes kann ein (außerstrafrechtlicher) Regelungsbereich zugrunde liegen, der unionsrechtlich bindend bestimmt oder beeinflusst wird. Hierbei kann das im konkreten Fall relevante europarechtliche Verbraucherschutzniveau die ziviloder verwaltungsrechtliche Rechtsposition des Täuschungsadressaten maßgeblich festlegen. Die jeweils einschlägigen unionsrechtlichen Regelungen müssen nach ihrer Rechtsnatur unterschieden werden. Sodann stellt sich die Frage, inwieweit die einschlägigen außerstrafrechtlich bindenden, unionsrechtlichen Regelungen die Anwendung bzw. die Auslegung des § 263 StGB jeweils beeinflussen können. In einem eigenen Unterabschnitt werden die hierzu geäußerten Bedenken Verghos aufgegriffen und diskutiert, ob die Argumente des 269 GRUR 2006, 429 f. (Vorinstanzen: OLG Stuttgart, 10. April 2003, Az.: 2 U 180/02; LG Heilbronn, AfP 2003, 80). 270 Urt. v. 21. 5. 2003, Az 2 U 967/02. 271 Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt II. A. 1. 272 Hierzu ausführlicher unten Teil 3, 2. Abschnitt, II. A.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

Rechtsgüterschutzprinzips sowie des Bestimmtheitsgebots aus nationaler Sicht tatsächlich dazu führen, dass bereits abstrakt keine Verpflichtung zur Beachtung des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers im Strafrecht besteht. Außerdem wird untersucht, ob aufgrund der divergierenden Regelungszwecke der Rechtsmaterien keine solche Verpflichtung existiert.

I.

Konstellationen möglicherweise bestehender unionsrechtlicher Beeinflussungen

Zunächst stellt sich die Frage, welcher Art die unionsrechtliche, möglicherweise Einfluss auf den deutschen Betrugstatbestand ausübende Norm jeweils ist und welche Wirkung von ihr ausgeht. Hierbei kann es sich im Grundsatz um primärrechtliche Normen in Form der Grundfreiheiten einerseits und um sekundärrechtliche Normen wie Verordnungen und Richtlinien (ggf. in Ergänzung der die Richtlinie umsetzenden nationalen Norm) andererseits handeln. In einem zweiten Schritt ist zu überprüfen, ob die gefundene Norm aufgrund des Anwendungsvorranges des Unionsrechts oder aber infolge unionsrechtskonformer Auslegung möglicherweise Einfluss auf § 263 StGB ausüben könnte. Diese beiden Schritte sind erforderlich, um bestimmen zu können, welche Wertungen und Prinzipien das konkrete Zusammenspiel von nationalem Betrugsstrafrecht und EG-Recht bestimmen und letztendlich zu einer Bindungswirkung für § 263 StGB führen – oder eben nicht. A.

Rechtsnatur und Wirkung der möglicherweise die Anwendung des § 263 StGB beeinflussenden unionsrechtlichen Regelungen

Aus unionsrechtlicher Sicht kann eine primärrechtliche Überlagerung des der Täuschungshandlung zugrundeliegenden Sachverhaltes nur bei Vorliegen eines so genannten grenzüberschreitenden Bezugs zwingend sein. Sekundärrechtlich ist der grenzüberschreitende Bezug keine Voraussetzung. Nachfolgend soll daher zwischen Primärrecht und Sekundärrecht differenziert werden. 1.

Rein primärrechtlicher Einfluss

a) Sachverhalte mit grenzüberschreitendem Bezug Neben dem Erfordernis eines sogenannten grenzüberschreitenden Bezuges ist erste und wichtigste Voraussetzung eines rein primärrechtlichen Einflusses durch die Grundfreiheiten, dass die dem jeweiligen Sachverhalt zugrundeliegende Rechtsfrage nicht Gegenstand einer abschließenden Regelung des se-

Die Bindung an das Unionsrecht

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kundären Unionsrechts ist. Denn im Falle einer abschließenden Harmonisierung ist das nationale Recht an der betreffenden sekundärrechtlichen Regelung zu messen und nicht am primären Unionsrecht.273 Wie bereits dargestellt274 deckt die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken betrugsrelevantes Verhalten nahezu vollständig ab. Es fällt daher schwer, überhaupt einen Fall zu finden, bei welchem die Täuschungshandlung nicht zugleich in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie bzw. genauer des sie umsetzenden Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb fällt. Jedoch ist beispielsweise das Verhältnis von Verbrauchern untereinander aus dem persönlichen Anwendungsbereich der Richtlinie ausgenommen, vgl. Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG. Gleichzeitig genießt auch der einzelne Verbraucher den Schutz der Grundfreiheiten, z. B. hinsichtlich mitgliedstaatlicher Regelungen zu rein privat veranlassten Veräußerungsgeschäften. Im Bereich der Grundfreiheiten spielt das unionsrechtliche Verbraucherleitbild dann eine Rolle, wenn es um die Rechtfertigung eines Eingriffes in eine Grundfreiheit aus Gründen des Verbraucherschutzes geht. Eine solche Rechtfertigung kann nämlich von vornherein nur dann greifen, wenn der mitgliedstaatliche Eingriff erforderlich und angemessen ist, um den durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zu schützen.275 Demnach können grundsätzlich Sachverhalte existieren, bei denen das über den Rechtfertigungsgrund des Verbraucherschutzes entwickelte Verbraucherleitbild zu den Grundfreiheiten die Auslegung und Anwendung des deutschen Betrugstatbestandes beeinflusst. b) Rein innerdeutsche Sachverhalte Wie dargelegt kann sich aus primärrechtlichen Regelungen bei rein innerdeutschen Sachverhalten keine Pflicht zur Berücksichtigung des Verbraucherleitbildes ergeben. Der Frage, ob aus der möglicherweise unterschiedlichen Behandlung rein nationaler Sachverhalte und solcher mit grenzüberschreitendem Bezug aus nationalstaatlicher Sicht ein »Gleichheits- und Gerechtigkeitsproblem«276 folgt, das mit Art. 3 GG, dem Gebot der Einheit der Rechtsordnung, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit sowie dem Bestimmtheitsgebot konfligiert und zu einem Mangel an Rechtssicherheit führt, soll daher erst an späterer Stelle nachgegangen werden.277 Dort wird sich vor allem zeigen, dass die Rege273 EuGH, Rs. C-324/99 – Daimler/Chrysler, Urteil v. 13. 12. 2001, 2001 Slg. I-9897 Rn. 32; EuGH, Rs. C-322/01 – Doc Morris, Urteil v. 11. 12. 2003, 2003 Slg. I-14887 Rn. 64; Roth, VuR 2007, 161 (163); Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf. C Rn. 10. 274 Siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, I. A. 275 Hierzu ausführlich Teil 1, 1. Abschnitt. 276 so Dannecker, JURA 2006, 173 (175, 178); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (699). 277 Siehe unten Teil 3, 6. Abschnitt, II.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

lungsmechanismen des Unionsrechts zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen sogar zur tatbestandlichen Bestimmtheit des § 263 StGB beitragen. Außerdem wird festzustellen sein, dass rein nationale Sachverhalte mit unionsrechtlich überlagerten nie so vergleichbar sein werden, dass ein Verstoß gegen Art. 3 GG oder das Gebot der Einheit der Rechtsordnung zu konstatieren wäre. 2. Sekundärrechtlicher Einfluss Unter das Sekundärrecht der Union fallen nach Art. 288 AEUV Verordnungen, Richtlinien, Beschlüsse, Empfehlungen und Stellungnahmen als wichtigste Handlungsformen der Union.278 Sie werden von den Organen der Union erlassen. Da Beschlüsse im wesentlichen Gestaltungs- und Organisationsakte sind und Empfehlungen und Stellungnahmen keine Bindungswirkung zukommt,279 sollen im Folgenden nur Verordnungen und Richtlinien in den Blick genommen werden. a) Verordnungen Die Verordnung hat in allen Mitgliedstaaten unmittelbar verbindliche Wirkung und ist daher direkt und ohne weitere nationalstaatliche Maßnahmen anwendbar, Art. 288 Abs. 2 AEUV. Die Festlegung auf das Leitbild eines durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers in einer Verordnung gilt somit innerhalb des Regelungsbereiches dieser Verordnung verbindlich in jedem betroffenen Mitgliedstaat. Ein Beispiel hierfür bildet die Health-Claims-Verordnung, nach der das Vorliegen einer Irreführungseignung anhand des Maßstabes des Durchschnittsverbrauchers beurteilt werden muss.280 b) Richtlinien Nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist die »Richtlinie (…) für jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird, hinsichtlich des zu erreichenden Ziels verbindlich, überlässt jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel.«

Für die Umsetzung ihrer Ziele durch die Mitgliedstaaten setzt die Richtlinie eine Frist. Somit entfaltet sie im Grundsatz keine unmittelbare Wirkung gegenüber den Bürgern der einzelnen Mitgliedstaaten, sondern verpflichtet die Mitgliedstaaten zu ihrer Integration in das mitgliedstaatliche Recht durch einen natio278 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 4 Rn. 51 ff.; zusätzlich gibt es »sonstige Rechtsakte«. 279 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 4 Rn. 55. 280 Siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, II.

Die Bindung an das Unionsrecht

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nalen Umsetzungsakt. Naheliegend wäre daher die Annahme, dass die Inhalte einer Richtlinie erst dann Wirkung für das Strafrecht entfalten können, wenn sie durch die sie umsetzenden Normen Bestandteil der nationalen Rechtsordnung werden281 – und zwar auch dann nur mittelbar in Form der sie transformierenden Vorschriften. Folge dieser Sichtweise wäre aber, dass immer dann, wenn ein Mitgliedstaat eine Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umsetzt oder aber dies fehlerhaft erfolgt, die Verwirklichung der Richtlinienziele konterkariert würde. Sogar bei richtliniengetreuer Transformation könnte die Durchsetzung ihrer Regelungsinhalte gefährdet sein, käme allein der Durchführungsnorm Bedeutung für die Rechtsanwendung in den Mitgliedstaaten zu. Denn es sind Fälle denkbar, in denen der Wortlaut der grundsätzlich richtlinienkonformen Normen einen weiten Interpretationsspielraum einräumt, welcher für sich genommen auch die Möglichkeit einer richtlinienwidrigen Auslegung tragen würde.282 Vermehrt wird dieser Fall dann eintreten, wenn der nationale Gesetzgeber deshalb zulässigerweise auf einen Umsetzungsakt verzichtet, weil bereits nationale Normen existieren, die richtlinienkonform ausgelegt werden können und es deshalb einer Transformation nicht bedarf. Ferner ist denkbar, dass der Gesetzgeber zwar eine richtlinienkonforme Umsetzungsnorm erlässt, daneben aber Normen weiter existieren, deren Inhalte aufgrund ausfüllungsbedürftiger Rechtsbegriffe sowohl richtliniengemäß als auch richtlinienwidrig ausgelegt werden können.283 Eine solche Konstellation einer korrekt in nationales Recht umgesetzten Richtlinie, welche auf andere Regelungsbereiche (hier : § 263 StGB) ausstrahlt, könnte die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken schaffen, die durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. 12. 2008 umgesetzt wurde. Denn trotz der im Grundsatz unterschiedlichen Regelungsbereiche der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken (Wettbewerbsrecht) und des deutschen Betrugstatbestands (Vermögensschutz), ist es denkbar, dass die Richtlinieninhalte Auswirkungen auf bestimmte Anwendungsbereiche des § 263 StGB zeitigen. Der Grund hierfür liegt in der möglichen teilweisen Überschneidung einzelner wettbewerbsrechtlicher Regelungsbereiche mit betrugsrelevanten Verhaltensweisen. Denn die wirksame Durchsetzung der wettbewerbsrechtlichen Regelungen der Richtlinie sowie der sie umsetzenden Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb wäre gefährdet, würden nach den dortigen Vorschriften zulässige Geschäftspraktiken als im Sinne des § 263 StGB tatbestandsmäßiges Verhalten interpretiert werden. Neben der aus unionsrechtlicher Sicht auszublendenden Proble281 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 7. 282 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 338 ff. 283 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 339.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

matik, ob nicht bereits aus rein nationaler Perspektive der Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung und die damit verbundene Pflicht zur Vermeidung von Normwidersprüchen einen Gleichklang der Rechtsanwendung bei Betrugskonstellationen mit wettbewerbsrechtlichem Bezug erfordern, stellt sich die Frage nach unionsrechtlichen Mechanismen zur effizienten Durchsetzung der Regelungsinhalte von Richtlinien. Diesbezüglich haben sich mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts einerseits und mit der Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung andererseits zwei Prinzipien entwickelt, um dem in Art. 4 EUV verankerten Gebot der Unionstreue gerecht werden zu können. B.

Anwendungsvorrang oder unionsrechtskonforme Auslegung?

Wie soeben gezeigt wurde, stellt sich die Frage des Anwendungsvorrangs bzw. der unionsrechtskonformen Auslegung sowohl für potentiell irreführende Handlungen, die aufgrund der Eröffnung des Anwendungsbereiches einer Grundfreiheit und fehlender Rechtfertigungsmöglichkeit eines Verbotes der Handlung aus Gründen des Verbraucherschutzes zulässig sind, als auch für solche, die aufgrund von sekundärrechtlichen Verordnungen und Richtlinien, in denen das Verbraucherleitbild – geschrieben oder ungeschrieben – eine Rolle spielt, unionsrechtlich erlaubt sind. Prinzipiell wirkt das Unionsrecht direkt über zwei Mechanismen auf das nationale Recht ein: Den Anwendungsvorrang des Unionsrechts einerseits und die unionsrechtskonforme Auslegung mit ihrem Unterfall der richtlinienkonformen Auslegung andererseits. Im Grundsatz sind diese beiden Möglichkeiten der Bindung nationaler Rechtsanwender an unionsrechtliche Vorgaben mittlerweile anerkannt,284 in ihren Einzelheiten jedoch weiterhin umstritten. Für die Zwecke dieser Arbeit genügt eine Darstellung der Grundstrukturen von Anwendungsvorrang und unionsrechtskonformer Auslegung. Für eine vertiefte Auseinandersetzung sei auf die einschlägige Literatur und Rechtsprechung verwiesen.285

284 Vgl. nur Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 478 ff., 518 ff.; Heise, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, 1998, S. 3. 285 EuGH, Rs. 8 – 77 – Sagulo, Urteil v. 14. 7. 1977, 1977 Slg. 1495 Rn. 6; EuGH, Rs. 271/82 – Auer, Urteil v. 22. 9. 1983, 1983 Slg. 2727 Rn. 19; EuGH, Rs. 63/83 – Kirk, Urteil v. 10. 7. 1984, 1984 Slg. 2689 sowie die Nachweise in den folgenden Fn.; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002; Hellert, Der Einfluss des EG-Rechts auf die Anwendung nationalen Rechts, 2001; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, Kap. 6; Heise, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, 1998; Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994.

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1.

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Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts

a) Grundlagen Das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts prägt das Verhältnis des deutschen Rechts zum primären und sekundären Unionsrecht. Weit überwiegend ist anerkannt, dass das Unionsrecht eine eigenständige Rechtsordnung darstellt, die in die einzelnen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten mit Inkrafttreten des EWG-Vertrages aufgenommen wurde und für diese im Grundsatz seither verbindlich ist.286 Hieraus – sowie aus der Notwendigkeit, die Verwirklichung der Vertragsziele nicht zu gefährden, um die Funktionsfähigkeit der Union zu sichern – leitet der EuGH den Anspruch des Unionsrechts auf Anwendungsvorrang ab.287 Aus deutscher, verfassungsrechtlicher Sicht ergab sich die Eingliederung der damaligen Gemeinschaftsrechtsordnung in das nationale Recht durch die Übertragung von Hoheitsrechten und der damit verbundene Anwendungsvorrang des Gemeinschaftsrechts früher aus Art. 23 Abs. 1 GG; heute ergibt sie sich für das Gemeinschaftsrecht bzw. nun Unionsrecht aus dem spezielleren Art. 24 Abs. 1 GG.288 Dass dem Recht der Union Vorrang vor nationalen Regelungen zukommt, da nur so deren Ziele – wie etwa die Verwirklichung des Binnenmarktes – erreicht werden können, wird heute nicht mehr bestritten. Ebenfalls anerkannt ist die Vorrangwirkung in Form eines Anwendungsvorrangs und nicht etwa eines Geltungsvorrangs.289 Zwar besteht auch mit dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon jedenfalls hinsichtlich irreführender bzw. täuschender Handlungen keine direkte strafrechtliche Rechtssetzungskompetenz der Union. Jedoch entfaltet der Anwendungsvorrang des Unionsrechts seine Auswirkungen auch auf das Strafrecht, da außerstrafrechtliche Ge- und Verbote, die unionsrechtswidrig und daher vom Anwendungsvorrang überlagert sind, strafrechtlich flankiert sein können bzw. strafrechtliche Normen direkt im Widerspruch zu primärrechtlichen Regelungen stehen kön-

286 EuGH, Rs. 6/64 – Costa/ENEL, Urteil v. 15. 7. 1964, 1964 Slg. 1253 (1269 f.); BVerfGE 22, 293 (295 f.); BVerfGE 31, 145 (173 f.); BVerfGE 37, 271 (277 f.); Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 56; Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 10/5 f. 287 EuGH, Rs. 6/64 – Costa/Enel, Urteil v. 15. 7. 1964, 1964 Slg. 1251 (1269 f.); EuGH, Rs. 11/70 –Internationale Handelsgesellschaft, Urteil v. 17. 12. 1970, 1970 Slg. 1125 Rn. 3; EuGH, Rs. 106/77 – Simmenthal, Urteil v. 9. 3. 1978, 1978 Slg. 629 Rn. 17/18; EuGH, Rs. 249/85 – Albako, Urteil v. 21. 5. 1987, 1987 Slg. 2345 Rn. 14 ff.; EuGH, Rs. C-213/89 – Factortame, Urteil v. 19. 6. 1990, 1990 Slg. I-2433 Rn. 18 ff. 288 BVerfGE 22, 293 (295 f.); BVerfGE 31, 145 (173 f.); BVerfGE 71, 223 (242); Ruffert, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 1 AEUV Rn. 17 m.w.N. 289 Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 37; Ruffert, in Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 1 AEUV Rn. 16, 18.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

nen.290 Für diese strafrechtlichen Normen folgt dann aus der Feststellung des Anwendungsvorranges des Unionsrechts im konkreten Fall, dass der aus nationaler Sicht erfüllte Straftatbestand nicht angewendet werden darf, weil sein Anwendungsbereich beschränkt wird.291 Der EuGH verfährt mit dem Strafrecht nicht anders als mit sonstigem nationalen Recht.292 Umstritten ist im Einzelnen die inhaltliche Reichweite dieses Grundsatzes. Aus unionsrechtlicher Perspektive findet er seine Grenzen durch bestimmte, in den Verfassungen aller Mitgliedstaaten verankerte Garantien.293 Aus deutscher Perspektive soll er nur durch Art. 79 Abs. 3 GG begrenzt werden.294 Mindestvoraussetzung des Anwendungsvorrangs ist jedenfalls, dass eine Kollision zwischen nationalem Recht und dem Recht der Union vorliegt.295 Diese wiederum erfordert als Mindestvoraussetzung, dass der kollidierenden unionsrechtlichen primär- oder sekundärrechtlichen Norm eine unmittelbare Wirkung und damit verbindliche Normgeltung zugesprochen werden kann.296 b) Die unmittelbare Wirkung Für Verordnungen folgt diese unmittelbare Wirkung aus ihrer Rechtsnatur, Art. 288 Abs. 2 AEUV. Im Bereich der Grundfreiheiten wird die unmittelbare Normgeltung im Grundsatz überwiegend bejaht.297 Zwar ist die Frage nach der unmittelbaren Wirkung der Grundfreiheiten zum Nachteil Privater noch nicht abschließend gelöst. Da der primärrechtliche Einfluss des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durch290 Heise, Europäisches Gemeinschaftsrecht und nationales Strafrecht, 1998, S. 12, 18. 291 Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 478. 292 EuGH, Rs. 82/71 – S.A.I.L., Urteil v. 21. 3. 1972, 1972 Slg. 119 Rn. 5; EuGH, Rs. 203/80 – Casati, Urteil v. 11. 11. 1981, 1981 Slg. 2595 Rn. 27; EuGH, Rs. C-274/96 – Bickel und Franz, Urteil v. 24. 11. 1998, 1998 Slg. 7637 Rn. 17; dazu: Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 154 f. 293 Dannecker, JZ 1996, 869 (873, 871). 294 BVerfGE 37, 271 (280 f.): »Solange I«; BVerfGE 73, 339 (387): »Solange II«; BVerfGE 89, 155, (174 f.): »Maastricht«. 295 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 10; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 28; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 478. 296 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 10; Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 29; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 67; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 480; a. A.: Langenfeld, DÖV 1992, 955 (963); Weber in OLG OldenburgFestschrift, 1989, 699 (702); Bleckmann, Europarecht, 6. Aufl. 1997, Rn. 1175, der jedoch anerkennt, dass seine Auffassung der des EuGH widerspricht. 297 Z.B.: Leible/T. Streinz, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der europäischen Union, 42. Lief. 2010, Art. 34 AEUV Rn. 20; Forsthoff, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Das Recht der europäischen Union, 42. Lief. 2010, Art. 45 AEUV Rn. 229; Ress/Ukrow, in Grabitz/Hilf/ Nettesheim, Das Recht der europäischen Union, 42. Lief. 2010, Art. 63 AEUV Rn. 128.

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schnittsverbrauchers auf die Auslegung oder Anwendung des § 263 StGB jedoch eine restriktivere und damit beschuldigtengünstigere Handhabung dieses Tatbestandes als bisher zur Folge hätte, muss diese Problematik hier nicht geklärt werden. Die Maßgeblichkeit des Verbraucherleitbildes bei der Auslegung und Anwendung des Betrugstatbestandes ist nämlich für keine Privatperson unmittelbar nachteilig. Auch aus der möglichen persönlichen Betroffenheit des irregeführten Verbrauchers ergibt sich nichts anderes. Zwar kann dieser ein eigenes Interesse an der strafrechtlichen Verfolgung des Täuschenden haben und zivilrechtliche Schadensersatzansprüche aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 263 Abs. 1 StGB geltend machen wollen. Da er sich hierbei jedoch nicht darauf berufen würde, das Handeln einer Privatperson verstoße gegen ihm durch den EGVertrag gewährte Freiheitsrechte, läge eine nur mittelbare Drittwirkung vor. Diese hindert eine unmittelbare Normgeltung nach allgemeiner Ansicht nicht. Denn die Frage nach der unmittelbaren horizontalen Drittwirkung der Grundfreiheiten muss nur dann beantwortet werden, wenn es originär um ein Verhältnis zwischen zwei Privaten geht.298 § 263 StGB regelt aber nicht das Verhältnis zwischen zwei Privatpersonen, sondern die Voraussetzungen, unter denen eine Person durch den Staat strafrechtlich verfolgt werden darf. Es wäre bereits die Norm des § 263 StGB, die die Privatautonomie des Täuschenden aus unionsrechtlicher Sicht zu weitgehend beschränkt, und nicht etwa erst ein Verhalten des Verbrauchers (z. B. Geltendmachung eines Anspruches im Zivilverfahren). Mit anderen Worten: Nicht der Verbraucher wird durch das betrügerische Handeln des Täuschenden in seinen Grundfreiheiten beschränkt, sodass ein Nachteil für ihn entstünde, wenn dieses nicht mehr bestraft werden würde. Vielmehr ist die Art der Anwendung und Interpretation des § 263 StGB durch die Gerichte für den Täter im Verhältnis zum Staat nachteilig. Im Anwendungsbereich von Richtlinienbestimmungen muss die Frage nach der unmittelbaren Wirkung im Einzelfall komplexer beantwortet werden. Denn im Grundsatz haben Richtlinien nur gegenüber den Mitgliedstaaten verbindlichen Charakter und damit keine direkte Wirkung, Art. 288 Abs. 3 AEUV. Eine unmittelbare Wirkung wird nur dann ausnahmsweise anerkannt, wenn die Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt ist, zumindest teilweise nicht fristgemäß umgesetzt wurde und (jedenfalls) den Staat gegenüber seinen Bürgern verpflichtet.299 Eine herausragende Bedeutung im Bereich der irreführenden Handlungen kommt der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken zu. Diese Richtlinie kann nur dann unmittelbar wirken, wenn eine richtlinienkonforme Auslegung des § 263 StGB nicht möglich sein 298 Vgl. dazu Streinz/Leible, EuZW 2000, 459 (465 f.). 299 Zur unmittelbaren Wirkung von Richtlinien, die (auch) Bürger belasten vgl. Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 11 f.

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sollte. Sollte § 263 StGB nämlich richtlinienkonform ausgelegt werden können, ist jedenfalls hinsichtlich dieser Norm von einer fristgemäßen Umsetzung der Richtlinienbestimmungen auszugehen. Eine unmittelbare Wirkung läge nicht vor. Wie bereits dargelegt, erfolgte eine zwar verspätete, aber nun ordnungsgemäße Umsetzung der Richtlinie durch das Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 22. 12. 2008, sodass das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb wegen des effet utile richtlinienkonform interpretiert werden und gegebenenfalls auf § 263 StGB ausstrahlen muss. Im Extremfall kann dies – im Rahmen des Möglichen – zu einer völligen Neuinterpretation des Betrugsdelikts zwingen. Die Pflicht zur richtlininenkonformen Auslegung strahlt nämlich auf alle Regelungsbereiche aus, da die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts nur auf diese Weise möglich ist.300 Sollte eine richtlinienkonforme Auslegung des § 263 StGB dennoch scheitern, wäre eine direkte Wirkung der Richtlinie 2005/29/EG im Sinne eines Anwendungsvorrangs für den in dieser Untersuchung interessierenden Bereich insoweit zu bejahen, als der Tatbestand des § 263 StGB Täuschungen umfassender untersagt als die Richtlinie. Die Grenzen der dort normierten Irreführungsverbote sind inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt, hinsichtlich § 263 StGB müsste man von einer teilweise nicht fristgemäßen Umsetzung ausgehen. Für den Angeklagten hätte die Richtlinie eine begünstigende Wirkung, da sie zur Straflosigkeit seiner Täuschungshandlung führen würde.301 Teilweise wird die Reichweite des Anwendungsvorrangs im Strafrecht davon abhängig gemacht, ob eine direkte oder indirekte Kollision vorliegt.302 Eine direkte Kollision bestehe dann, wenn nationales Recht und das Recht der Union einen identischen Sachverhalt unterschiedlich regelten, zum Beispiel das nationale Strafrecht ein Verhalten verbiete, welches unionsrechtlich erlaubt ist.303 Indirekt sei eine Kollision dann, wenn die Durchsetzung und praktische Wirksamkeit des Unionsrechts durch nationale Regelungen mittelbar beeinträchtigt werde. Dies sei beispielsweise der Fall, wenn nationales Verfahrensrecht die Einstellung eines Strafverfahrens aus Opportunitätsgründen vorsehe und hiervon Gebrauch gemacht werde.304 Selbst wenn man dieser Unterteilung zustimmt,305 ergibt sich im für diese Untersuchung interessierenden Bereich keine 300 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 339 f. 301 Vgl. auch Dannecker, JURA 2006, 173 (174). 302 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 15 ff.; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 483 ff. 303 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 21. 304 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 22. 305 A. A.: Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 39 f.

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Aufweichung des Anwendungsvorrangs aus dem Gedanken des »strafrechtlichen Schonungsgebots«.306 Da unionsrechtlich und strafrechtlich inhaltlich das gleiche Sachgebiet »Täuschungsschutz« betroffen ist, läge eine direkte Kollision vor. Für diese gilt: Ist ein Verhalten unionsrechtlich erlaubt, muss auf Bestrafung verzichtet werden.307 Ausnahmen können sich aus nationaler Perspektive nur dann ergeben, wenn der in Art. 79 Abs. 3 GG verankerte verfassungsrechtliche Mindeststandard nicht mehr gewahrt wäre.308 2. Die unionsrechtskonforme Auslegung Aus dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts kann sich die Unanwendbarkeit einer nationalen Norm ergeben. Daneben folgt aus diesem Vorranggedanken und der damit verbundenen Pflicht zur Unionstreue – mittlerweile im Grundsatz unumstritten – die Pflicht der Mitgliedstaaten, ihr nationales Recht (soweit wie möglich) in Übereinstimmung mit dem Unionsrecht auszulegen – und zwar unabhängig von dessen unmittelbarer Anwendbarkeit.309 Kann über die Mechanismen der unionsrechtskonformen Auslegung eine Kollision des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht verhindert werden, bleibt die nationale Norm anwendbar. Ihren Ursprung findet die unionsrechtskonforme Auslegung in der Entwicklung der Grundsätze des EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung. Mittlerweile anerkannt besteht diese Pflicht zur Auslegung im Lichte des Unionsrechts jedoch nicht nur für Richtlinien, sondern für das gesamte primäre und sekundäre Unionsrecht.310 Das Gebot der richtlinienkonformen Auslegung hat der EuGH bereits im Jahre 1984 in den Rechsachen von Colson und Harz aus Art. 4 Abs. 3 EUV (ex-Art. 10 EGV – vormals Art. 5 EWGV) und Art. 288 AEUV (ex-Art. 249 Abs. 3 EGV – vormals Art. 189 Abs. 3 EWGV) geschlossen und in seiner Entscheidung Kolpinghuis-Nijmegen vertieft.311 Seine dortige Rechtsprechung hat er immer wieder bestätigt.312 Wertet man die zentralen Urteile des EuGH zur richtlinienkonformen Auslegung aus, ergibt sich für das Strafrecht folgendes Bild: Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung folgt aus Art. 288 AEUV (exArt. 249 Abs. 3 EGV) i. V. m. der Verpflichtung zur Unionstreue aus Art. 4 Abs. 3 306 Vgl. hierzu Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 486, 166 ff. 307 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 10; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 491; Dannecker, JURA 2006, 173. 308 BVerfGE 37, 271 (280 f.): »Solange I«; BVerfGE 73, 339 (387): »Solange II«; BVerfGE 89, 155 (174 f »Maastricht«. 309 Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 518 (Richtlinie), 519 (Primärrecht). 310 Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 518 f.; Jarass, EuR 1991, 211 (223); Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. 4 EUV Rn. 92. 311 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 335 ff. 312 Z.B. EuGH, Rs. C-54/96 – Dorsch Consult, Urteil v. 17. 9. 1997, 1997 Slg. I-4961 Rn. 43.

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EUV (ex-Art. 10 EGV), da danach die Beachtung der Richtlinieninhalte nicht nur der Gesetzgebung, sondern allen Trägern öffentlicher Gewalt obliegt. Hiervon erfasst sind auch die Gerichte.313 Außerdem erstreckt sich diese Verpflichtung über die Auslegung des zur Durchführung der Richtlinie erlassenen Gesetzes hinaus auf das gesamte nationale Recht, welches stets im Lichte des Wortlauts und des Zwecks der relevanten Richtlinie auszulegen ist – gleichgültig, ob vor oder nach der Richtlinie erlassen.314 Gleichzeitig kann eine Richtlinie »für sich allein und unabhängig von zu ihrer Durchführung erlassenen innerstaatlichen Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates nicht die Wirkung haben, die strafrechtliche Verantwortlichkeit derjenigen, die gegen die Vorschriften der Richtlinie verstoßen, festzulegen oder zu verschärfen«.315

Die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung geht nämlich nur so weit wie der Beurteilungsspielraum, den das nationale Recht einräumt, und findet ihre Grenzen vor allem in den allgemeinen Rechtsgrundsätzen und insbesondere in dem Grundsatz der Rechtssicherheit und im Rückwirkungsverbot.316 Grundsätzlich wird man hierzu alle verfassungsrechtlich garantierten Strafrechtsprinzipien, soweit sie in den Mitgliedstaaten allgemeingültige Rechtsgrundsätze sind, zählen können.317 Relevant werden können vor allem die Wortlautgrenze, das Analogieverbot, das Rückwirkungsverbot sowie das Gebot gesetzlicher Bestimmtheit.318 Wenn auch in ihren genauen Rechtsgrundlagen und Einzelheiten umstritten, findet die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung sowohl in der Literatur als auch in der deutschen Rechtsprechung breite Zustimmung.319 Bereits an dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass Fragen zur richtlinienkonformen Auslegung im Strafrecht zumeist im Zusammenhang mit einer strafbarkeitserweiternden Wirkung der unionsrechtlichen Regelung diskutiert werden. Die hierzu erörterten Fragen stellen sich jedoch nicht, da eine Maß313 EuGH, Rs. 14/83 – von Colson, Urteil v. 10. 4. 1984, 1984 Slg. 1891 Rn. 12; EuGH, Rs. 79/83 – Harz, Urteil v. 10. 4. 1984, 1984 Slg. 1921 Rn. 26. 314 EuGH, Rs. 79/83 – Harz, Urteil v. 10. 4. 1984, 1984 Slg. 1921 Rn. 26; EuGH, Rs. C-54/96 – Dorsch Consult, Urteil v. 17. 9. 1997, 1997 Slg. I-4961 Rn. 43. 315 EuGH, Rs. 80/86 – Kolpinghuis-Nijmegen, Urteil v. 8. 10. 1987, 1987 Slg. 3969 Rn. 13. 316 EuGH, Rs. 14/83 – von Colson, Urteil v. 10. 4. 1984, 1984 Slg. 1891 Rn. 12; EuGH, Rs. 80/86 – Kolpinghuis-Nijmegen, Urteil v. 8. 10. 1987, 1987 Slg. 3969 Rn. 13. 317 Dannecker, JZ 1996, 869 (873, 871). 318 Köhne, Die richtlinienkonforme Auslegung im Umweltstrafrecht, 1997, S. 118. Bei anderen deutschen verfassungsrechtlichen Garantien, wie etwa dem Schuldprinzip, ist fraglich, ob sie als allgemeine Rechtsgrundsätze der Mitgliedstaaten gelten. 319 Vgl. nur : BVerfG v. 26. 9. 2011, Az. 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 veröffentlicht in juris, dort Rn. 46 ff.; BVerfGE 75, 223 (237); Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 335 f.; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 518 f.; Kahl, in: Calliess/Ruffert, EUV/AEUV, 4. Aufl. 2011, Art. Art. 4 EUV Rn. 92; von Bogdandy/Schill, in Grabitz/Hilf/Nettesheim, Recht der Europäischen Union, 41. Lief. Juli 2010, Art. 4 EUV Rn. 94.

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geblichkeit des Verbraucherleitbildes für § 263 StGB eine beschuldigtengünstigere Rechtsanwendung als bisher zur Folge hätte. Der Vorteil der unionsrechtskonformen Auslegung anderenfalls kollidierender nationaler Normen besteht darin, dass sie nicht zu dem Ergebnis der Nichtanwendbarkeit dieser Normen führt. Dadurch kann dieses unter dem Gesichtspunkt der Souveränität der nationalen Rechtsordnung einschneidendere Ergebnis verhindert werden, ohne dass gegen das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts verstoßen würde.320 Der unionsrechtskonformen Auslegung kommt damit unter anderem eine Rolle der Konfliktvermeidung zu.321 Daher sind ihre Möglichkeiten der Anpassung nationaler Normen gegenüber dem Mechanismus des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts vorrangig zu prüfen. Vergleichbar ist diese Vorgehensweise aus deutscher Perspektive mit dem Verhältnis der verfassungskonformen Auslegung zur Erklärung der Verfassungswidrigkeit einer Norm.

C.

Zusammenfassung

Das Unionsrecht unterteilt sich in primärrechtliche und sekundärrechtliche Regelungen. Primärrechtlich können die Grundfreiheiten die Anwendbarkeit und Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes beeinflussen. Voraussetzung ist zum einen ein grenzüberschreitender Bezug des zu beurteilenden Sachverhaltes. Zum anderen darf der Sachverhalt nicht abschließend sekundärrechtlich geregelt sein. Sekundärrechtliche Einflüsse sind aufgrund von Verordnungen und Richtlinien möglich. Unter der Voraussetzung der unmittelbaren Wirkung der jeweiligen Regelung kommt dem Unionsrecht grundsätzlich Anwendungsvorrang zu. Dies gilt grundsätzlich auch für das Strafrecht. Verordnungen sind bereits aufgrund ihrer Rechtsnatur unmittelbar anwendbar. Bei den Grundfreiheiten liegt zumindest hinsichtlich des Gegenstandes dieser Arbeit immer eine unmittelbare Wirkung vor. Richtlinien wirken nur dann unmittelbar, wenn sie inhaltlich unbedingt und hinreichend bestimmt sind, zumindest teilweise nicht fristgemäß umgesetzt worden sind und (jedenfalls) den Staat gegenüber seinen Bürgern verpflichten. Die Richtlinie 2005/29/EG wäre unmittelbar anwendbar, sollte sie durch die Änderung des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb nicht richtig umgesetzt worden sein. Dies wäre der Fall, wenn nach ihren Vorschriften zulässige Verhaltensweisen nach § 263 StGB strafbar wären. Als Ausprägung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts besteht die 320 Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 520. 321 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 10 Rn. 1; Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 520.

92

Vorüberlegungen und Grundlagen

Pflicht der Mitgliedstaaten zur unionsrechtskonformen Auslegung ihrer nationalen Normen. Ihre Möglichkeiten sollten ausgeschöpft werden, bevor die Unanwendbarkeit einer nationalen Norm ausgesprochen wird. Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung besteht unabhängig von einer unmittelbaren Normgeltung. Im Strafrecht findet diese Verpflichtung aus unionsrechtlicher Perspektive ihre Grenzen in den verfassungsrechtlich garantierten Strafrechtsprinzipien, soweit sie in allen Mitgliedstaaten gelten. Im Folgenden soll somit untersucht werden, ob das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers mit dem Tatbestand des § 263 StGB in Einklang gebracht werden kann oder etwa doch aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die partielle Unanwendbarkeit des § 263 StGB erklärt werden muss. Um dies zu klären, stellt sich vorgelagert die Frage, ob das Leitbild überhaupt zumindest potentiell mit § 263 StGB kollidieren kann oder ob es nicht von vornherein an einer Bindung des Strafrechts an das Verbraucherleitbild fehlt.

II.

Prinzipiell fehlende Bindung des Strafrechts an unionsrechtliche Verbrauchererwartungen?

A.

Fehlende Bindung wegen überragenden nationalen Verfassungsrechts?

Bevor eine unionsrechtliche Verpflichtung zur Berücksichtigung des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers weiter diskutiert wird, sollen die – auf nationalem Verfassungsrecht fußenden – Einwände Verghos aufgegriffen und diskutiert werden. Im Falle ihrer Stichhaltigkeit wäre zu fragen, ob und inwieweit sie als gemeinsamer verfassungsrechtlicher Besitzstand in allen Mitgliedstaaten gelten und damit auch vom Unionsrecht anerkannt werden. Sollte es an dieser Anerkennung fehlen, wäre zu fragen, ob aus diesen Verfassungsverstößen nach deutscher, nationalstaatlicher Sichtweise die Nichtanwendbarkeit vorrangigen Unionsrechts folgt.322 1. Rechtsgüterschutzprinzip und Gleichheitsgebot (Art. 3 Abs. 1 GG) Nach Vergho ist das Verbraucherleitbild ungeeignet, für die Anwendung und Auslegung des § 263 StGB zumindest präzisierend maßgeblich zu sein, weil es Minderheiten in einer gegen Art. 3 Abs. 1 GG und damit gegen das Rechtgüterschutzprinzip verstoßenden Weise schutzlos stelle.323 Nach dem Rechtsgü322 Hierzu: BVerfGE 37, 271 (280 f.): »Solange I«; BVerfGE 73, 339 (387): »Solange II«; BVerfGE 89, 155, (174 f.): »Maastricht«. 323 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 126.

Die Bindung an das Unionsrecht

93

terschutzprinzip stünden Individualrechtsgüter jedem Individuum gleichermaßen zu.324 Ob durch die Implementation des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers in die deutsche Betrugsdogmatik eine Minderheit überhaupt über das bisherige Maß hinaus benachteiligt werden würde, sei zunächst dahingestellt.325 Der Ansatz Verghos ist bereits als solcher weder unter dem Aspekt des Rechtsgüterschutzprinzips noch unter dem Blickwinkel des Gleichheitsgebotes schlüssig. a) Das Rechtsgüterschutzprinzip als Gebot zur Sanktionierung durch Strafrecht Bereits ein abstraktes Gebot zur Schaffung und Anwendung von Strafnormen aus dem Rechtsgüterschutzprinzip herzuleiten, hätte einer vertieften Auseinandersetzung bedurft, welche die Arbeit Verghos vermissen lässt. Dabei wäre zutage getreten, dass selbst bei dessen – gewagter – abstrakter Befürwortung aus dem Rechtsgüterschutzprinzip jedenfalls konkret auf das Verbraucherleitbild bezogen keine Verpflichtung des Gesetzgebers oder der Judikative zur Bestrafung von Täuschungshandlungen, die an unverständige Verbraucher gerichtet sind, folgen kann. Ob das Strafrecht seine Legitimation erst durch den Schutz von Rechtsgütern erhält, ist bereits umstritten.326 Teils wird auch vertreten, ein Rechtsgut konstituiere sich schlicht aus den vom Gesetzgeber in einer Strafvorschrift aufgenommenen Wertungen und Zwecken.327 Doch selbst wenn man mit dem Rechtsgutsbegriff die Frage nach der Legitimation einer Strafvorschrift verbindet, bezieht sich dies nur auf die strafbarkeitsbegrenzende Funktion des Rechtsgüterschutzes; d. h. eine Verhaltensweise, durch welche kein Rechtsgut verletzt oder zumindest potentiell gefährdet wurde, dürfte danach nicht bestraft werden.328 Vergho hingegen hält es umgekehrt für mit dem Rechtsgüterschutzprinzip unvereinbar, dass unverständige Verbraucher aus dem Schutzbereich des § 263 StGB ausgenommen würden. Nach seinem Verständnis lässt sich der Rechtsgutstheorie somit ein Gebot zur Sanktionierung bestimmter Verhaltensweisen durch das Strafrecht entnehmen. Jedoch wird aus der Rechtsgutstheorie außer von Vergho – soweit ersichtlich – von keinem weiteren Strafrechtsdogmatiker eine Pflicht zur Schaffung und Anwendung von Strafnormen abgeleitet. Diese Fragestellung tangiert nämlich die Rechtsgutstheorie im eigentlichen Sinne gar 324 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 126. 325 Hierzu vgl. eingehend unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. 326 Vgl. nur Hefendehl/von Hirsch/Wohlers (Hrsg.), Die Rechtsgutstheorie, 2003; Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (41 ff.) m. w. N. 327 Amelung, in: Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 155 (156 ff.). 328 Swoboda, ZStW 122 (2010), 24 (36 f.); Hassemer, in: Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57 (61); Sternberg-Lieben, in: Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 65.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

nicht. Das gilt selbst für diejenigen Vertreter, die einen unmittelbaren Bezug der Rechtsgutstheorie zur Verfassung anerkennen329 und deshalb theoretisch Parallelen zu den grundrechtlichen objektiven Schutzpflichten ziehen könnten. Da Vergho nicht begründet, weshalb die Rechtsgutstheorie nach seinem Verständnis zur Pönalisierung rechtsgutsverletzender Verhaltensweisen verpflichte, ist zu vermuten, dass er diese Idee eigentlich nicht aus der Rechtsgutstheorie, sondern direkt aus der Verfassung entnimmt. Hierfür spricht, dass er seine Argumentation maßgeblich auf einen Verstoß gegen Art. 3 GG stützt. In der Grundrechtsdogmatik ist seit längerem anerkannt, dass aus manchen Grundrechten und grundrechtsgleichen Rechten neben Abwehrrechten der Bürger gegenüber dem Staat auch objektive Schutzpflichten des Staates gegenüber seinen Bürgern abzuleiten sind.330 Somit kann eine irgendwie geartete Verpflichtung des Gesetzgebers zum wirksamen Schutz von Rechtsgütern zwar grundsätzlich aus den Freiheitsgrundrechten in ihrer Funktion als objektive Schutzpflichten abgeleitet werden.331 Ob diese objektiven Schutzpflichten sich nun aber auf eine Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung von Strafnormen hin konkretisieren, erscheint fraglich. Möglicherweise mag dies für die Fälle gravierender Grundrechtsverletzungen gelten, bei denen nur die Schaffung von Strafnormen als effektives Schutzmittel erscheint.332 Grundsätzlich aber ist der Gesetzgebung in Anerkennung demokratisch legitimierter Entscheidungsspielräume ein weiter »Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum«333 zuzuerkennen. Mit jeder Schaffung von Verbotsnormen durch den Gesetzgeber werden Freiheitsräume der Bürger eingeschränkt.334 Die Abwägung von Gemeinwohl und individueller Freiheit sowie die Auslotung kollidierender Freiheitsrechte obliegen dem Gesetzgeber und nicht der Strafrechtsdogmatik.335 So ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Gesetzgeber insgesamt frei, ein Rechtsgut, dessen Schutz ihm wesentlich erscheint, gerade mit den Mitteln des Strafrechts zu verteidigen. Die Art und Weise des Rechtsgüterschutzes liege jedenfalls grundsätzlich in seinem Ermessen.336 So entschied das 329 Sehr str., den Bezug zur Verfassung bejahend: z. B. Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 92 m.w.N.; Hassemer, in: Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57 (59). 330 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 28. Aufl. 2012, Rn. 78 ff. 331 Hufen, Staatrecht II, 3. Aufl. 2011, § 5 Rn. 5 f.; Vgl. z. B. zur Menschenwürde: BVerfG NStZ 2002, 606; zur Menschenwürde des werdenden Lebens: BVerfGE 39, 1, 41 ff.; BVerfGE 88, 203 (251). 332 vgl. zur Menschenwürde: BVerfG NStZ 2002, 606; BVerfGE 88, 203 (257). 333 BVerfGE 88, 203 (262). 334 Hufen, Staatrecht II, 3. Aufl. 2011, § 5 Rn. 6. 335 Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 95. 336 BVerfGE 50, 142 (162); BVerfGE 88, 203 (254, 262); Hufen, Staatsrecht II, 3. Aufl. 2011, § 5 Rn. 6; Hassemer, in: Die Rechtsgutstheorie, 2003, S. 57 (61).

Die Bindung an das Unionsrecht

95

Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Tatbestandes des Schwangerschaftsabbruches aus dem Jahre 1993, dass es innerhalb des Gestaltungsspielraumes des Gesetzgebers liege, den Schwangerschaftsabbruch für zwar rechtswidrig, aber straffrei zu erklären, wenn ihm zum Schutz des ungeborenen Lebens eine Konfliktberatung der schwangeren Frau mit anschließender Bedenkzeit vorausging. Hintergrund der gesetzgeberischen Regelung war die Annahme, dass das ungeborene Leben durch eine präventive Beratung der schwangeren Frau, die ihr Möglichkeiten der Bewältigung ihrer neuen Lebenssituation aufzeigt, besser geschützt werden kann als durch gegen die Frau gerichtete repressive Strafdrohungen.337 Selbst wenn man nun der Meinung ist, aus der Verfassung eine Verpflichtung des Gesetzgebers und damit korrelierend sogar einen Anspruch der Opfer zur Schaffung von Strafnormen gegen für strafwürdig befundenes Verhalten ableiten zu können,338 wird dies somit nur im absoluten Ausnahmefall gelten. Die bloße, auf sachlichen Gründen beruhende Entscheidung über die Reichweite und Grenzen des durch § 263 StGB gewährten Vermögensschutzes ist jedoch kein solcher Ausnahmefall. Rechtsgüter sind zumeist nur fragmentarisch geschützt. Dies gilt gerade auch für § 263 StGB.339 Die Rechtsgutstheorie ist daher als Grundlage für eine Verpflichtung des Gesetzgebers, ein Verhalten strafrechtlich zu verfolgen, ungeeignet. Im Übrigen würde sich die Frage stellen, ob sich bei grundsätzlicher Bejahung objektiver Schutzpflichten des Gesetzgebers diese nur auf die Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte beziehen oder aber auf jedes Rechtsgut. Das Vermögen ist nämlich grundrechtlich als solches nicht geschützt, sondern nur das Eigentum, Art. 14 GG. Sollten sich die Schutzpflichten auf jedes Rechtsgut beziehen, wäre sehr fraglich, anhand welcher Maßstäbe sich bestimmen lässt, was strafrechtlich zwingend zu schützendes Rechtsgut ist und was nicht. Aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich im Übrigen nichts anderes: b)

Der Gleichheitsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG als Gebot zur Anwendung von Strafnormen Nach Vergho widerspricht es dem Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, dem »geistig weniger flexiblen Verbraucher« über eine am Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers orientierte Auslegung u. a. des § 263 StGB den Schutz durch das Strafrecht zu versagen.340 Er stützt seine These des Verstoßes gegen das Rechtsgüterschutzprinzip somit nicht auf die unmittelbare Vernachlässi337 338 339 340

BVerfGE 88, 203 (270). So z. B. Holz, Justizgewähranspruch des Verbrechensopfers, 2007, S. 94 f. Ebenso: Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 195. Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 126, 298 f.

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Vorüberlegungen und Grundlagen

gung einer staatlichen Pflicht zum Schutz eines aus den Grundrechten abgeleiteten Rechtsguts Vermögen, sondern auf eine nur mittelbare. Denn erst die Ungleichbehandlung einer Minderheit gegenüber der Durchschnittsbevölkerung soll zu einem Grundrechtsverstoß führen. Leider begründet Vergho nicht näher, weshalb in der – seiner Meinung nach durch die Implementation des Leitbildes des Durchschnittsverbrauchers erfolgenden – Begrenzung des Schutzbereiches des Rechtsguts Vermögen zu Lasten einer unverständigen Minderheit ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liege. Diese in nur einem Satz von Vergho aufgestellte Behauptung lässt eine das gefundene Ergebnis mit Überzeugungskraft versehende Auseinandersetzung mit den Inhalten des Art. 3 GG vermissen. Art. 3 Abs. 1 GG verlangt, wesentlich »Gleiches gleich, Ungleiches entsprechend seiner Eigenart verschieden zu behandeln.«341 Voraussetzung der Gleichbehandlung von wesentlich Gleichem in Bezug auf Personen, Sachverhalte etc. ist zunächst deren Vergleichbarkeit. Es bedarf also eines Bezugspunktes (sog. tertium comparationis).342 Vergho würde als solchen Bezugspunkt hinsichtlich § 263 StGB vermutlich das Rechtsgut Vermögen der verständigen Verbraucher einerseits und dasjenige der unverständigen Verbraucher andererseits wählen. Eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung läge sodann im fehlenden Schutz des Vermögens der unverständigen Verbraucher durch Instrumente des Strafrechts. Diese Sichtweise ist in mehrerlei Hinsicht problematisch. Zunächst stellt sich die Frage, ob überhaupt von einer Vergleichbarkeit der Sachverhalte i. S. d. Art. 3 GG ausgegangen werden kann. Denn der Schutz des § 263 StGB würde unverständigen Verbrauchern nicht per se und für alle Lebensbereiche versagt. Schließlich würden durch das Verbraucherleitbild bestimmte täuschungsgeeignete Verhaltensweisen unabhängig vom jeweiligen Täuschungsadressaten respektive Vermögensinhaber insgesamt aus dem Tatbestand des § 263 StGB ausgenommen, mitnichten die Vermögensinhaber ungleich behandelt, sondern verschiedene täuschungsrelevante Verhaltensweisen. Diese wären somit zu vergleichender Bezugspunkt und nicht die Vermögen der einzelnen Verbrauchergruppen. Sämtlichen betrugsrelevanten Verhaltensweisen kann aber keine von Art. 3 Abs. 1 GG vorausgesetzte Vergleichbarkeit zugesprochen werden. Selbst wenn man dennoch meint, über das Vermögen oder die Täuschungshandlungen ein tertium comparationis konstruieren zu können, kann hieraus nicht die Verpflichtung zur Pönalisierung von Täuschungshandlungen, die an unverständige Verbraucher gerichtet sind, folgen. Denn wenn es nicht um aus den Freiheitsrechten abgeleitete objektive Schutzpflichten geht, sondern im 341 Z.B. BVerfGE 42, 64 (72); BVerfGE 50, 142 (162). 342 Pieroth/Schlink, Staatsrecht II, 28. Aufl. 2012, Rn. 463.

Die Bindung an das Unionsrecht

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Rahmen des Gleichheitsgrundsatzes darum, Vermögen der einzelnen Bürger in identischer Weise zu schützen, wird man dem Gesetzgeber, solange es für die getroffene Differenzierung einen sachlichen Grund gibt, einen noch weiteren Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum zuerkennen müssen. Denn eine mögliche Grundrechtswidrigkeit ergibt sich nicht bereits unmittelbar aus der fehlenden Bestrafung der Schädigung eines Rechtsguts »Vermögen«, sondern erst aus einem Vergleich mit einer – im Übrigen nur ähnlich gelagerten – Beeinträchtigung des Vermögens eines anderen Bürgers. Der (auch nur möglicherweise existierende) Ausnahmefall einer Verpflichtung des Gesetzgebers zur Schaffung von Strafnormen ist somit noch unwahrscheinlicher. Auch das Bundesverfassungsgericht erkennt in seiner Rechtsprechung zu Art. 3 Abs. 1 GG diesen weitreichenden Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hinsichtlich der Schaffung von Strafnormen an und beschränkt sich im Sinne eines Untermaßverbotes auf die Beanstandung der Überschreitung äußerster Grenzen – d. h. wenn für die vom Gesetzgeber »getroffene Differenzierung sachlich einleuchtende Gründe schlechterdings nicht mehr erkennbar sind, so dass ihre Aufrechterhaltung als willkürlich beurteilt werden müsste.«343 Die Maßgeblichkeit des Verbraucherleitbildes für die Auslegung des Betrugstatbestandes wäre von diesem Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers erfasst, da ein vollumfänglicher Vermögensschutz von Verfassungs wegen sowieso nicht gefordert sein kann, das Verbraucherleitbild eine Daseinsberechtigung hat344 und daher mit der Bindung an das Unionsrecht insgesamt ein sachlicher Grund vorliegt. Etwaige Vermögenseinbußen einzelner werden zugunsten des freien Wettbewerbs in Kauf genommen. Zudem wird die Absenkung der Täuschungsschutzstandards von erhöhten Informationspflichten flankiert, welche einen gewissen Ausgleich schaffen.345 Von einer willkürlichen, gegen das Untermaßverbot verstoßenden Ungleichbehandlung durch die Implementation des Verbraucherleitbildes in den deutschen Betrugstatbestand kann im vorliegenden Randbereich des Vermögensschutzes nicht die Rede sein. Wie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Tatbestand des Schwangerschaftsabbruchs zeigt, genießt selbst das Rechtsgut Leben keinen lückenlosen Strafrechtsschutz.346 Überdies käme wohl auch niemand auf die Idee zu behaupten, der Diebstahlstatbestand verstoße gegen Art. 3 Abs. 1 GG bzw. das Rechtsgüterschutzprinzip und sei daher verfassungswidrig, weil das Eigentum dann nicht mehr geschützt 343 344 345 346

BVerfGE 50, 142 (162). Siehe oben Teil 1, 3. Abschnitt. Vgl. oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 1. So judizierte das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten Urteil zur Verfassungsmäßigkeit des Schwangerschaftsabbruches, BVerfGE 88, 203 (253): »Der Schutz des Lebens ist nicht in dem Sinne absolut geboten, dass dieses gegenüber jedem anderen Rechtsgut ausnahmslos Vorrang genösse.«

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Vorüberlegungen und Grundlagen

wird, wenn es dem Täter an einer Zueignungsabsicht fehlt.347 Allein aus der Tatsache, dass die Erfüllung des Betrugstatbestandes die Mitwirkung des Opfers erfordert, kann sich nichts anderes ergeben. Die Strafbarkeit von den verständigen Verbraucher täuschenden Handlungen einerseits und die Straflosigkeit von »nur« den unverständigen Verbraucher täuschenden Verhaltensweisen andererseits wäre somit von vorneherein keine gegen Art. 3 GG verstoßende Ungleichbehandlung der Geschädigten und erst Recht kein Verstoß gegen das Rechtsgüterschutzprinzip. Einen Anspruch des geschädigten unverständigen Verbrauchers auf Bestrafung des Getäuschten aus den Gleichheitsrechten abzuleiten, ist verfehlt. 2. Bestimmtheitsgebot, Art. 103 Abs. 2 GG Der Einwand Verghos, eine Maßgeblichkeit des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers für die Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes würde gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG verstoßen348, bedarf einer eingehenderen Untersuchung. Dem Bestimmtheitsgebot liegen zwei Prinzipien zugrunde. Diese sind das Prinzip der Gewaltenteilung – der Gesetzgeber bestimmt, was Gesetz ist und der Richter wendet das Gesetz an – sowie in besonderer Ausgestaltung des Willkürverbotes die Erkennbarkeit der Grenzen straflosen und strafbaren Tuns für Jedermann, die dem Einzelnen eine klare Orientierung für sein Handeln gibt.349 Zutreffend ist, dass das Verbraucherleitbild als normative Maßstabsfigur auslegungsbedürftig und damit zu einem gewissen Grad unbestimmt ist. Es muss jedoch nicht geklärt werden, ob das Verbraucherleitbild zu unbestimmt ist, sondern, ob der Betrugstatbestand durch eine wie auch immer ausgestaltete Maßgeblichkeit unionsrechtlicher Grundsätze und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen für dessen Auslegung zu unbestimmt würde. Art. 103 Abs. 2 GG regelt nämlich nicht die Bestimmtheit von Auslegungsregeln, sondern die Bestimmtheit der Gesetzesworte. Fast alle Gesetzesworte bergen einen gewissen Grad an Unbestimmtheit, da Sprache interpretationsbedürftig ist.350 Daher erkennt das Bundesverfassungsgericht an, dass es »wertausfüllungsbedürftiger Begriffe« bedarf, um der »Vielgestaltigkeit des Lebens« gerecht zu werden.351 Das Tatbestandsmerkmal der Täuschung in § 263 StGB ist ein normativer Begriff, dessen Verfassungsmäßigkeit – soweit ersichtlich – nicht in Frage steht. Ob nun durch eine Implementation des Verbraucherleitbildes in 347 348 349 350

Beispiel entnommen aus Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 2 Rn. 95. Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 132 ff., 139 ff. BVerfGE 47, 109 (120); Rudolphi, SK-StGB, 26. Lfg. 1997, § 1 Rn. 11. Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 5 Rn. 69; Schmitz in MüKo-StGB, Bd. 1, 2. Aufl. 2011, § 1 Rn. 40. 351 Z.B. BVerfGE, 4, 352 (358); BVerfGE 47, 109 (120 f.); BVerfGE 48, 48 (56).

Die Bindung an das Unionsrecht

99

diesen Täuschungsbegriff (oder aber in den Irrtumsbegriff) eine verfassungswidrige Unbestimmtheit entstehen würde, erscheint unwahrscheinlich, lässt sich abschließend aber erst klären, nachdem untersucht worden ist, welche Änderungen sich gegenüber der bisherigen Auslegung ergeben würden. Mindestvoraussetzung eines Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 2 GG wäre nämlich, dass der schon jetzt normative Elemente beinhaltende Tatbestand des § 263 StGB durch die Orientierung am unionsrechtlichen Verbraucherleitbild unbestimmter als bisher würde. Daher soll die Auseinandersetzung mit Art. 103 Abs. 2 GG an dieser Stelle nicht zu Ende geführt, sondern an späterer Stelle wieder aufgegriffen werden. Hinterfragt werden muss dann auch die Diskussion darüber, ob Tatbestände durch ihre Abhängigkeit von unionsrechtlichen Regelungen in den Bereich von Blankettnormen geraten, was im Hinblick auf das Bestimmtheitsgebot problematisch sein kann.352 Im Ergebnis wird sich zeigen, dass es sich bei dem Tatbestandsmerkmal der Täuschung nicht um ein Blankett, sondern um ein normatives Tatbestandsmerkmal handelt. Dieses kann durch die Abhängigkeit von unionsrechtlichen Regelungen sogar bestimmter werden. 3. Zusammenfassung Aus verfassungsrechtlichen Grundsätzen lassen sich – jedenfalls zu diesem Zeitpunkt der Untersuchung – keine Gründe dafür ableiten, dass das unionsrechtliche Verbraucherleitbild bei der Auslegung und Anwendung des § 263 StGB nicht berücksichtigt werden müsste. Weder aus der Rechtsgutstheorie noch aus objektiven Schutzpflichten des Grundgesetzes lässt sich eine Pflicht zur umfassenden Pönalisierung vermögensschädigender täuschender Verhaltensweisen ableiten. Aus Art. 3 GG folgt kein Gebot, täuschende Verhaltensweisen, auf die nur unterdurchschnittlich informierte, aufmerksame oder verständige Verbraucher hereinfallen können, mit Mitteln des Strafrechts zu verbieten. Ob eine Implementation des Verbraucherleitbildes in den Betrugstatbestand eine verfassungswidrige Unbestimmtheit des Täuschungsmerkmales oder des Irrtumsbegriffes zur Folge hätte, lässt sich erst abschließend klären, nachdem die konkreten Auswirkungen auf § 263 StGB untersucht worden sind. Bereits jetzt lässt sich aber feststellen, dass dies unwahrscheinlich ist. Die eingangs aufgeworfene Problematik, dass ein Verstoß gegen nationales Verfassungsrecht aus unionsrechtlicher Perspektive nur dann Bedeutung erlangen kann, wenn es sich bei den verletzten Verfassungsnormen um allgemeine Rechtsgrundsätze handelt, die zum gemeinsamen Besitzstand aller Mitgliedstaaten gehören, muss daher nicht weiter erörtert werden. Gleiches gilt für die Frage, ab wann aus nationaler Perspektive eine Verletzung der Garantie aus Art. 79 Abs. 3 GG vorliegt. 352 Siehe unten Teil 3, 6. Abschnitt, I.

100 B.

Vorüberlegungen und Grundlagen

Fehlende Bindung wegen divergierender Regelungszwecke?

Bereits abstrakt könnte eine Bindung der Auslegung des Betrugs an unionsrechtliche Maßstäbe jedoch aufgrund der divergierenden Regelungszwecke der Rechtsmaterien ausgeschlossen sein.353 1.

Die unterschiedlichen Regelungsinhalte von Betrugsstrafrecht und unionsrechtlichem Verbraucherschutz Der erste und offensichtlichste Unterschied zwischen dem Betrugsstrafrecht und den unionsrechtlichen Bestimmungen zum Verbraucherschutz besteht in deren Regelungszwecken. Während das Betrugsstrafrecht allein dem Vermögensschutz dient, hängt die Intention des unionsrechtlichen Verbraucherschutzes immer vom konkreten Regelungszweck ab, in dem Verbrauchererwartungen eine Rolle spielen. Bezweckt sein kann beispielsweise der Schutz der Dispositionsfreiheit, der Gesundheit, des Vermögens. Immer konkurriert der Verbraucherschutz mit anderen Zielen wie etwa der Verwirklichung des Binnenmarktes. Der durch den Betrugstatbestand bezweckte Vermögensschutz hingegen wird weniger stark durch gegenläufige Interessen begrenzt. Zwar kann die Formulierung des Tatbestandes selbst als Ergebnis einer Abwägung zwischen allgemeiner Handlungsfreiheit und Vermögensschutz angesehen werden. Doch seine Auslegung ist im Grundsatz nicht abwägungsoffen. Verursacht jemand mit Vorsatz und in der Absicht rechtswidriger Bereicherung durch Täuschung einen Irrtum, der vermittelt über eine Vermögensverfügung des Opfers zu einem Schaden führt, ist er zu bestrafen. Ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen dem Betrugsstrafrecht und dem unionsrechtlichen Verbraucherschutz besteht darin, dass die Grundkonzeption des Betrugstatbestandes auf eine Interaktion zwischen zwei einzelnen Personen ausgerichtet ist. Im Gegensatz hierzu gewinnt die unionsrechtliche Verbrauchererwartung und mit ihr das Verbraucherleitbild vornehmlich in den Fällen Bedeutung, in denen ein Einzelner, meist Unternehmer, sich an eine nur bestimmbare oder unbestimmte Vielzahl von Adressaten wendet.354 Hecker kommt daher zu dem Ergebnis, das unionsrechtliche Verbraucherleitbild sei nur in Fällen der Publikumswerbung für die Auslegung des nationalen Betrugstatbestandes bindend.355 Dem wäre nur dann pauschal zuzustimmen, wenn feststünde, dass unionsrechtlich überlagerte Normen niemals reine Individualtäuschungen tangieren. Zwar stimmt es, dass wettbewerbsrechtliche Verstöße immer nur bei einer gewissen Marktbreite vorliegen können.356 Da aber bereits 353 354 355 356

So: Eisele, NStZ 2010, 193 (196); Bosch, Festschrift für E. Samson, 2010, S. 241 (243 Fn. 12). Ähnlich: Eisele, NStZ 2010, 193 (196). Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 322 ff.; vgl. auch oben Teil 2, 1. Abschnitt, V. Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311 (1329).

Die Bindung an das Unionsrecht

101

aus der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken bzw. dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb hervorgeht, dass diese Marktbreite auch dann existieren kann, wenn die unlautere Geschäftspraktik in der Vornahme mehrerer, aber jeweils einzelner Individualtäuschungen besteht, können diese nicht von vornherein aus der Untersuchung der Maßgeblichkeit des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes für den deutschen Betrugstatbestand ausgeschieden werden.357 2.

Die prinzipielle Irrelevanz der divergierenden Zwecke für die Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung Allein aus der Tatsache, dass das Unionsrecht mit der Konkretisierung von Verbraucherschutzstandards nicht beabsichtigte, Einfluss auf das deutsche Betrugsstrafrecht auszuüben, kann nicht gefolgert werden, das unionsrechtliche Verbraucherleitbild müsse im Betrugsstrafrecht keine Beachtung finden; dies kann auch nicht aus den unterschiedlichen Regelungszwecken abgeleitet werden.358 Denn es ist grundsätzlich denkbar, dass eine unionsrechtlich zulässige und am Maßstab des Durchschnittsverbrauchers gemessene Handlung aus rein nationaler Perspektive als täuschende Verhaltensweise nach § 263 StGB zu bestrafen wäre. In diesen Fällen aber muss eine Bestrafung des Täuschenden – möglichst durch unionsrechtskonforme Auslegung – ausscheiden, da ansonsten gegen das Prinzip des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts verstoßen würde. Die wirksame Durchsetzung des Unionsrechts würde vereitelt, wenn eine danach zulässige Verhaltensweise gleichzeitig den nationalen Straftatbestand des Betruges erfüllen würde. 3.

Straflosigkeit unionsrechtlich zulässigen Verhaltens als ausreichende Berücksichtigung des Unionsrechts Das Unionsrecht verpflichtet dazu, Kollisionen durch unionsrechtskonforme Auslegung zu vermeiden und, wenn dies nicht möglich ist, kollidierende nationale Normen nicht anzuwenden.359 Hingegen legt es nicht fest, auf welche Art und Weise anknüpfend an welche Tatbestandsmerkmale die unionsrechtskonforme Auslegung zu erfolgen hat. Es kommt allein darauf an, dass das Ergebnis der Auslegung nationaler Normen nicht zu einer Kollision mit unionsrechtlichen Vorgaben führt. Solange dies nicht der Fall ist, ist es gleichgültig, ob die Ausscheidung unionsrechtlich zulässiger Verhaltensweisen aus dem Betrugs357 Vgl. z. B. Nr. 31 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG; Auch Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 326 f. gesteht dies hinsichtlich des alten UWG ein. 358 So aber Eisele, NStZ 2010, 193 (196); ebenso Bosch,, Festschrift für E. Samson, S. 241 (243 Fn. 12); in eine ähnliche Richtung geht auch die Argumentation Verghos, vgl. oben Teil 2, 1. Abschnitt VIII. 359 Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. B.

102

Vorüberlegungen und Grundlagen

tatbestand über die gleichen Kriterien wie im Unionsrecht erfolgt oder aber über betrugsdogmatisch eigenständige Mechanismen. Jede andere Ansicht würde zum einen in unverhältnismäßiger – da nicht erforderlicher – Weise die Souveränität des einzelnen Mitgliedstaates beschneiden. Zum anderen sind die Mitgliedstaaten viel eher als die Union in der Lage, unionsrechtskonforme Auslegungsergebnisse über Interpretationswege zu erreichen, die mit ihrer eigenen, nationalspezifischen Dogmatik in Einklang stehen, das Unionsrecht aus nationaler Sicht weniger als Fremdkörper erscheinen lassen und dadurch auf höhere Akzeptanz stoßen. Für diese Arbeit heißt dies, dass eine unionsrechtskonforme Auslegung des Betrugstatbestandes nicht zwingend über die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums erreicht werden muss. Erforderlich ist nur, dass unionsrechtlich zulässige Verhaltensweisen nicht nach § 263 StGB strafbar sind. Läge beispielsweise in allen denkbaren Konstellationen, in denen der Maßstab der Verbrauchererwartung über die unionsrechtliche Zulässigkeit eines Verhaltens entscheidet, bereits nach der bisherigen nationalen Betrugsdogmatik kein Schaden vor und wären diese Verhaltensweisen daher bereits aus rein nationaler Sicht straflos, wäre kein Raum für eine unionsrechtskonforme Auslegung des Betrugstatbestandes. Beispielsweise erscheint es möglich, dass der EuGH mit Vergho dem Eintritt eines Vermögensschadens ein so erhebliches Gewicht beimisst, dass aufgrund »überragender Abwägungsrelevanz« vermögensschädigende Handlungen, die nach der nationalen Dogmatik den Betrugstatbestand erfüllen, immer wettbewerbsrechtlich verboten sind.360 Im nächsten Teil ist daher zu untersuchen, ob es potentiell irreführende Verhaltensweisen geben kann, die unionsrechtlich zulässig, aber aus rein nationaler Perspektive nach § 263 StGB zu bestrafen sind.

360 So Vergho, wistra 2010, 86 (91); Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 131, 301.

Teil 3: Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts auf die Anwendbarkeit und die Auslegung des Betrugstatbestandes

Da sich weder aus den grundlegenden Prinzipien des Unionsrechts noch aus dem nationalen Verfassungsrecht Gründe ableiten lassen, weshalb unionsrechtliche Verbrauchererwartungen bei der Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes keine Beachtung zu finden haben, muss geklärt werden, wie sich die dargelegte abstrakte Verbindlichkeit des Täuschungsschutzverständnisses des Primär- und Sekundärrechts konkret auf die Betrugsdogmatik auswirkt. Die mildeste Möglichkeit der Harmonisierung des nationalen Rechts mit dem Unionsrecht ist die unionsrechtskonforme Auslegung. Nur wenn über ihre Mechanismen kein Gleichklang der nationalen Betrugsdogmatik mit den europäischen Täuschungsschutzstandards zu erreichen sein sollte, greift der Anwendungsvorrang des Unionsrechts ein.361

1. Abschnitt: Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB Voraussetzung des Erfordernisses unionsrechtskonformer Auslegung ist, dass ein Tatbestand des nationalen Rechts derartige Berührungspunkte mit dem Unionsrecht hat, dass es bei Zugrundelegung einer bestimmten Interpretation der nationalen Tatbestandsmerkmale zu Ergebnissen kommt, die mit dem Unionsrecht unvereinbar sind. In solchen Fällen läge eine Kollision vor. Es gilt nun, diese Berührungspunkte des § 263 StGB herauszufiltern und zu schauen, inwiefern das Unionsrecht eine von der bisherigen Doktrin abweichende Auslegung fordert und inwiefern diese über das Instrument der unionsrechtskonformen Auslegung realisierbar ist. Eine Besonderheit der Konstellation dieser Arbeit liegt darin, dass es sich bei § 263 StGB nicht um eine Norm handelt, die insgesamt den Regelungsgehalt einer oder mehrerer unionsrechtlicher Vorschriften, wie etwa der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken, tangiert. Die Definition einer Täuschung 361 Vgl. oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. B.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

kann aus unionsrechtlicher Sicht im Ausgangspunkt wie bisher rein nationalstaatlich erfolgen und muss – wenn überhaupt – nur im konkreten Einzelfall auf unionsrechtliche Erfordernisse abgestimmt werden. Daher kann im Unterschied zu den meisten bisher in Rechtsprechung und Literatur ausführlicher diskutierten Fällen richtlinienkonformer Auslegung im Strafrecht – auch wenn die Grenzen fließend scheinen – eigentlich nur von unionsrechtskonformer Rechtsanwendung im Einzelfall gesprochen werden; für Fälle ohne Bezug zum Unionsrecht ist eine von der bisherigen Dogmatik abweichende abstrakte Auslegung des Betrugstatbestandes zunächst nicht angezeigt.362 Ziel dieser Arbeit ist es deshalb jedenfalls an dieser Stelle nicht, allgemeingültige Begriffsdefinitionen der Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB unabhängig von der Existenz eines unionsrechtlichen Bezuges zu schaffen, welche mit dem unionsrechtlichen Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers in Einklang stehen. Zunächst soll es allein darum gehen, Sachverhalte aufzufinden, die tatsächlich mit europarechtlichen Vorgaben konfligieren und für diese eine unionsrechtskonforme Handhabung des § 263 StGB zu finden. Ob hieraus die Allgemeingültigkeit der gefundenen Auslegungsergebnisse abzuleiten ist, wäre erst im Anschluss zu klären. Doch auch die Rechtsanwendung in Einzelfällen ist von dem Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung betroffen.363 Da die Grundsätze unionsrechtskonformer Auslegung bei generellen Norminterpretationen in identischer Form wie bei der nur in Einzelfällen erforderlichen Berücksichtigung des Unionsrechts gelten, soll der Begriff im Folgenden beibehalten werden. Erschwert wird das Vorhaben der unionsrechtskonformen Auslegung des § 263 StGB jedoch dadurch, dass die Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes bereits aus nationaler Perspektive keineswegs unstrittig ist. Im für diese Untersuchung interessierenden Bereich betrifft dies zunächst die Tatbestandsmerkmale der Täuschung und des Irrtums. Die Handhabung in der Rechtsprechung sowie die vielfältigen Versuche in der Literatur, den Betrugstatbestand diesbezüglich in überzeugender Weise zu erfassen und auszulegen, sollen im Folgenden dargelegt werden. Ein besonderes Augenmerk wird auf den – häufig in der Natur des § 263 StGB begründeten und daher nicht lösbaren – Unzulänglichkeiten der jeweiligen Auffassungen liegen. Auf diese Weise wird die Basis dafür geschaffen werden, die Schnittstellen mit den Inhalten des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu ermitteln. Gleichzeitig wird aufgezeigt werden, dass auf 362 Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 329 Fn. 40. 363 Vgl. nur die Ausführungen von Kopp/Ramsauer, VwVfG 13. Aufl. 2012, § 48 Rn. 7 ff. zur Rücknahme von Verwaltungsakten, die in europarechtswidriger Weise Subventionen bewilligen.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

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rein nationaler Ebene eine klare Grenzziehung zwischen betrügerischen Verhaltensweisen und erlaubter Geschäftstüchtigkeit abstrakt noch nicht gelungen ist und die Einflüsse des Europarechts als Chance betrachtet werden könnten, mehr Klarheit in die Randbereiche der Betrugsstrafbarkeit zu bringen. Die Grundstruktur des § 263 StGB lässt sich folgendermaßen skizzieren: Tatbestandsmäßig handelt, wer vorsätzlich und in der Absicht sich rechtswidrig zu bereichern durch eine Täuschung bei einem anderen einen Irrtum erregt oder unterhält, welcher diesen zu einer Vermögensverfügung veranlasst, die zu einem Vermögensschaden führt. Die Auslegung dieser Tatbestandsmerkmale ist bereits in ihrem groben Ausgangspunkt von zwei gegenläufigen Strömungen geprägt. Während die einen einen möglichst umfassenden strafrechtlichen Schutz auch vor insbesondere leicht erkennbaren Täuschungen postulieren, fordern die anderen auf unterschiedlichste Art und Weise Einschränkungen des Opferschutzes. Auf den ersten Blick scheinen sich diejenigen Ansichten, die an die Selbstverantwortung jedes Einzelnen appellieren,364 besser mit dem Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers vereinbaren zu lassen als diejenigen, die für einen umfassenden Opferschutz einstehen. Demgegenüber entspricht es der herrschenden Meinung in der deutschen Strafrechtswissenschaft, dass ein weitreichender Schutz vor betrügerischen Verhaltensweisen sowohl historisch vom Gesetzgeber gewollt als auch nach wie vor anzustreben ist.365 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit der deutschen Betrugsdogmatik erscheint daher unumgänglich. Die Schwierigkeiten mit dem deutschen Betrugstatbestand beginnen bereits bei der Gesetzesformulierung der Täuschungshandlung. Danach handelt tatbestandsmäßig, »wer durch Vorspiegelung falscher oder durch Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen einen Irrtum erregt oder unterhält«. Nach Ansicht vieler ist dieser Wortlaut missglückt, da sich zum einen die drei in § 263 StGB genannten Handlungsmodalitäten inhaltlich überschnitten und zum anderen Tatsachen nicht »falsch« sein könnten, sondern nur Aussagen über Tatsachen.366 Auch wenn jedenfalls dem ersten Einwand zuzustimmen ist, stellt dies zunächst kein größeres Problem dar, lässt sich die Tathandlung doch griffig

364 Z.B.: Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 35 f.; Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 65 ff.; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 273, 298; Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984, S. 169, 183 ff., 192. 365 Vgl. z. B.: Göbel, Die strafrechtliche Bekämpfung der unseriösen Geschäftstätigkeit, 2007, S. 25; Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 69 f.; Geisler, NStZ 2002, 86 (88). 366 Rengier, Strafrecht BT I, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 1; Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 25; Kargl, Festschrift für K. Lüderssen, 2002, 613 (615); Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 6; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 7.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

beschreiben als »Täuschung über Tatsachen«367 bzw. etwas komplizierter formuliert als ein Verhalten, durch das im Wege einer Einwirkung auf das intellektuelle Vorstellungsbild eines anderen eine Fehlvorstellung über Tatsachen erregt oder unterhalten werden kann.368 Definiert man nun die Tatsache in Abgrenzung zum Werturteil als jeden konkreten Vorgang oder Zustand der Vergangenheit oder Gegenwart, der dem Beweis zugänglich ist369 und zählt man zur aktiven Täuschung neben der ausdrücklichen auch die konkludente370, lassen sich viele Verhaltensweisen relativ eindeutig unter den Tatbestand des § 263 StGB subsumieren – oder eben genauso eindeutig nicht. Ergänzt wird diese Systematik um die Tathandlung der Täuschung durch Unterlassen. Die Schwierigkeiten dieser Vorgehensweise treten erst in den Randbereichen tatbestandsmäßigen Verhaltens oder anders formuliert an den Grenzen der Begriffshöfe von Tatsache/Werturteil und Täuschung auf. Allein hinsichtlich des Tatsachenbegriffes bestehen mannigfaltige Diskussionen in unterschiedlichen Konstellationen und werden beispielsweise unter den Schlagworten »innere Tatsachen«, »Werturteile mit Tatsachenkern«, »Werturteile mit besonderer Fachkompetenz«, »Marktschreierische Anpreisungen« und »Rechtsausführungen« geführt.371 Dies sei anhand von drei Fragestellungen beispielhaft verdeutlicht: Ist die Zahlungsbereitschaft eine (»innere«) Tatsache und kann sie damit Täuschungsgegenstand sein? Gilt die Werbeanpreisung »Deutschlands bestes Waschmittel« als Tatsachenaussage im Sinne des § 263 StGB? Ist die Rechtsausführung eines Anwaltes, hinsichtlich des zugrundeliegenden Sachverhaltes bestehe nach ständiger Rechtsprechung kein Schadensersatzanspruch, als Tatsachenaussage zu bewerten? An diesen Stellen kommt man mit den soeben genannten Auslegungsleitlinien nicht weiter und steht vor der Schwierigkeit, betrugsrelevante Verhaltensweisen von erlaubter Geschäftstätigkeit konsistent und in Übereinstimmung mit Wortlaut, Historie, Systematik und Telos des § 263 StGB abzugrenzen. Hierzu findet sich in der Literatur eine kaum noch zu überschauende Vielzahl an 367 Volk, JuS 1981, 880 (881). 368 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 6; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 6. 369 Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 114; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 6 f.; die wohl h. M. sieht auch sog. »innere Tatsachen« als vom Tatsachenbegriff erfasst an: Rengier, Strafrecht BT I, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 4; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 8; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 4 f.; Cramer/ Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 8; Hoyer, in SK-StGB, 60. Lfg., 2004, § 263 Rn. 12 f. 370 Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 21; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 7 ff. 371 Vgl. die Ausführungen beispielsweise bei: Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 7 ff.; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 10; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 5; Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg., 2004, § 263 Rn. 13 ff.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

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Auslegungsvorschlägen. Sie alle haben das Ziel, die Tathandlung »Täuschung« sowie das Tatbestandsmerkmal »Irrtum« widerspruchsfrei, nachvollziehbar und vorhersehbar zu erfassen. Hinsichtlich der drei Täuschungsalternativen ist eine Besonderheit zu beachten: Die konkludente Täuschung sowie die Täuschung durch Unterlassen bergen innerhalb der Betrugsdogmatik noch weitaus komplexere Fragestellungen als die ausdrückliche Täuschung, da sich die Frage nach der Normativität des Täuschungsbegriffes dort besonders stellt. Die Ansätze der herrschenden Meinung, die einen weitreichenden Opferschutz befürworten, erweisen sich als gangbarster Weg der Auslegung des Betrugstatbestandes. Daher wird auf der Basis einer Analyse dieser Ansätze zunächst die eigene Meinung zur Auslegung des Betrugstatbestandes aus nationaler Perspektive dargestellt. Eine Einschränkung des Opferschutzes ist im Wortlaut des § 263 StGB nämlich nicht vorgesehen und daher dogmatisch nicht überzeugend begründbar.372 Außerdem gibt es keinen vernünftigen Grund dafür, die Handlungsfreiheit des Täuschenden aus dem Gedanken der Selbstverantwortung des Opfers heraus zu Lasten der Handlungsfreiheit rechtstreuer Bürger zu erweitern.373 Die Forderungen nach einer Berücksichtigung der Selbstverantwortung des Opfers als strafbarkeitsbegrenzendes Kriterium erweisen sich als nicht haltbare Bestrebungen der Umsetzung eigener kriminalpolitscher Überzeugungen.374 Erst im Anschluss erfolgt daher eine Befassung mit den Befürwortern der im Detail sehr unterschiedlich ausgestalteten restriktiven Ansätze.375 Die Täuschung durch Unterlassen wird im Anschluss an die Darstellung der Täuschung durch aktives Tun behandelt.

I.

Die opferfreundliche Auslegung der aktiven Täuschung

In den Einzelheiten ist auch unter den Befürwortern eines weitreichenden Opferschutzes sehr vieles umstritten und dadurch recht unübersichtlich. Grundlage der Betrugsdogmatik nach der herrschenden Meinung ist die von der Verfasserin geteilte Überzeugung, dass geschütztes Rechtsgut des Betrugs allein das Vermögen ist.376 Insbesondere schützt § 263 StGB nicht die Dispositions372 Hecker, Strafbare Produktwerbung 2001, S. 275. 373 Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 14 Rn. 21. 374 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 275 f.; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 86. 375 Ausführlich und im Einzelnen zu den restriktiven Ansätzen unten Teil 3, 1. Abschnitt, II. 376 BGHSt 16, 220 (221); Arzt in Arzt/Weber/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 1; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 2; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 1; Tiedemann in LKStGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 18 m.w.N.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

freiheit.377 Die Dispositionsfreiheit als solche muss immer auf einen Gegenstand bezogen sein. Bei § 263 StGB ist dieser Gegenstand das Vermögen, welches bereits als solches geschütztes Rechtsgut ist.378 Dem Schutz der Dispositionsfreiheit kann darüber hinaus keine eigenständige Bedeutung zukommen, da § 263 StGB keinen Freiheitsschutz bezweckt, der über den auf das Vermögen bezogenen hinausgeht.379 Zwar wird ein täuschendes Verhalten immer zu einer Einschränkung der Dispositionsfreiheit des Irrenden führen. Jedoch ist dieses Verhalten im Ergebnis nur dann tatbestandlich relevant, wenn es kausal und zurechenbar eine vermögensschädigende Verfügung des Irrenden verursacht. Dem Schutz der Dispositionsfreiheit kommt keine eigenständige Bedeutung zu. Um die Vielzahl an Auslegungsvorschlägen handhaben zu können, werden zunächst die grundlegenden Voraussetzungen einer aktiven Täuschungshandlung im Allgemeinen skizziert, bevor die zentralen Begriffe der Verkehrsanschauung sowie der Tatsache näher beleuchtet werden. A.

Die Täuschungshandlung

Eine Täuschung durch aktives Tun kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen. Teilweise wird vertreten, dass jede Tätigkeit, die einen Irrtum des Opfers über Tatsachen herbeiführe, eine Täuschungshandlung des Täters sei; der Begriff sei daher weitgehend »bedeutungsleer«.380 Folge dieser Sichtweise wäre, dass nicht nur die Einwirkung auf die Vorstellung des Täters eine Täuschungshandlung wäre, sondern bei gleichbleibender Vorstellung des Opfers auch die Veränderung tatsächlicher Gegebenheiten.381 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden, da der Wortlaut des § 263 StGB die Täuschungshandlung als »Vorspiegelung falscher oder Entstellung oder Unterdrückung wahrer Tatsachen« beschreibt und nicht etwa irgendeine Tätigkeit ausreichen lässt, die zur Erregung eines Irrtums führt. Die Systematik des § 263 StGB unterscheidet zwischen der Tathandlung der Täuschung und dem Taterfolg des Irrtums.382 Das Tatbestandsmerkmal der Täuschung dient dazu, die straffreie Veranlassung einer Selbsttäuschung von der vom Täter zu verantwortenden Irrtumserregung abzugrenzen.383 Die kausale Verursachung eines Irrtums des Opfers allein als 377 Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 4. 378 Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 4. 379 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 29. Ähnlich: Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 124 f.; Vergho, wistra 2010, 86 (88), der hieraus allerdings die generelle Untauglichkeit der Dispositionsfreiheit als Rechtsgut ableitet. 380 Arzt in Arzt/Weber/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 35; Mahnkopf/Sonnberg, NStZ 1997, 187. 381 Arzt in Arzt/Weber/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 46 f. 382 Garbe, NJW 1999, 2868 (2869); Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 14. 383 Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 56.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

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Täuschungshandlung zu definieren, würde nicht genügen, um die Verantwortlichkeit des Täters für eine daraufhin erfolgende Selbstschädigung des Getäuschten plausibel zu begründen. Denn ein so formulierter Tatbestand würde es nicht in befriedigender Weise ermöglichen, die Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer gegeneinander abzuschichten.384 Beispielsweise fällt es grundsätzlich in den Verantwortungsbereich des Adressaten, eine objektiv richtige Tatsachenbehauptung korrekt zu verstehen.385 Nach herrschender Meinung setzt die aktive Täuschungshandlung daher eine »kommunikative Einwirkung auf einen anderen Menschen« bzw. mit anderen Worten ein Verhalten mit Erklärungswert voraus.386 Problematisch sind – vor allem bei der nicht eindeutig ausdrücklichen Täuschung – die Voraussetzungen, unter denen einem Verhalten ein bestimmter Erklärungswert entnommen werden kann. Das Vorliegen und der Inhalt sowohl der ausdrücklichen als auch der konkludenten Täuschungshandlung sollen sich »im Rahmen der Verkehrsauffassung und des Empfängerhorizonts« bestimmen.387 Dabei täusche der Täter ausdrücklich, wenn er die Unwahrheit ausdrücklich mündlich, schriftlich oder durch eindeutige Gesten zum Ausdruck bringe.388 Konkludent täusche er, wenn er die Unwahrheit zwar nicht expressis verbis entäußere, aber durch sein Verhalten nach der Verkehrsanschauung miterkläre.389 Die Abgrenzung zwischen ausdrücklicher und konkludenter Täuschung verlaufe fließend.390 Da es sich bei beiden Verhaltensweisen um Formen gleichwertigen aktiven Tuns handele, sei eine genaue Abgrenzung jedoch auch nicht erforderlich.391 Für die Frage, ob ein 384 Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 94; Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 56. 385 Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 398 (406). 386 BGHSt 3, 69 ff.; Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 10; Kargl, Festschrift für K. Lüderssen, 2002, 613 (616); Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (315); Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 14; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 12; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 76; Tiedemann in LKStGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 23; a. A. Frisch, Festschrift für G. Jakobs, 2007, 97 (101 f.). 387 Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 18 ff.; inhaltlich ebenso: BGHSt 29, 165 (167); BGHSt 33, 244 (248); Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 11; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 35. Aufl. 2012, Rn. 496; Riggert, MDR 1990, 203; Tiedemann in LKStGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 25; Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 28. 388 Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 78. 389 BGHSt 47, 1 (3); BGHSt 51, 165 (170); Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 13 f. 390 Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 78; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 26. 391 Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 8; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 35. Aufl. 2012, Rn. 496; str., vgl. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 11; a. A. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 27, der jedenfalls hinsichtlich der Vorgehensweise der h. M. eine genaue Abgrenzung für erforderlich hält, da danach bei der ausdrücklichen Täuschung weder eine Erheblichkeitsprüfung noch eine Verteilung von Informations- und Irrtumsrisiken erfolge.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Verhalten mit ausdrücklichem Erklärungswert vorliegt – also unabhängig von einem tatsächlichen Erklärungswillen des Täters etwas durch verbale, gestische oder Schriftzeichen mitgeteilt wird392 –, erweist sich der Maßstab der Verkehrsanschauung ebenso wie bei der Abgrenzung von Tatsache und Werturteil grundsätzlich als geeignet. Gleiches gilt für die konkludente Täuschung, auch wenn es hier mehr Schwierigkeiten und Meinungsverschiedenheiten gibt. Die Inhalte des Begriffes der Verkehrsanschauung sind folglich Dreh- und Angelpunkt für die Frage, wann eine Täuschungshandlung im Einzelfall vorliegt. Deshalb ist ausführlich auf sie einzugehen. Weiterhin kommt es nicht auf das Täuschungsbewusstsein des Täters an; dies wird erst im subjektiven Tatbestand relevant.393 Denn der Wortlaut des § 263 StGB umschreibt das Tatbestandsmerkmal der Täuschung ohne auf die Vorstellung des Täters Bezug zu nehmen.394 Ob aber tatsächlich eine Täuschung vorliegt, hängt vor allem davon ab, ob Tatsachen vorgespiegelt wurden. Neben dem Begriff der Verkehrsanschauung kommt daher dem Tatsachenbegriff eine bedeutende Rolle zu. Dieser soll erst im Anschluss erörtert werden, da die Abgrenzung von Tatsache und Werturteil nach der herrschenden Meinung ebenfalls anhand der Verkehrsanschauung erfolgt. B.

Die Verkehrsanschauung – insbesondere bei der konkludenten Täuschung

Die dargestellten Auslegungsmethoden der herrschenden Meinung zur Täuschungshandlung weisen in ihren Randbereichen eine gewisse Unschärfe auf, da das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Verhaltens von einem wertausfüllungsbedürftigen Begriff abhängt: der Verkehrsanschauung. Bei der konkludenten Täuschung kommt die Problematik der Normativität des Täuschungsbegriffes in stärkstem Maße zum Tragen, da der Erklärungswert mangels direkter Äußerung danach ermittelt werden muss, was nach der Verkehrsanschauung als miterklärt gilt. Ihre Legitimation erhält die konkludente Täuschung daher, dass in einer komplexen Welt nicht alle Vorgänge explizit zum Gegenstand menschlicher Äußerungen gemacht werden können, sondern vielfach aufgrund von Konventionen als erklärt unterstellt werden müssen. Die meisten praktisch relevanten Schwierigkeiten bestehen demnach im Rahmen der Abgrenzung von konkludenter Täuschung und Täuschung durch Unterlas392 Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 27. 393 Str., so auch Mitsch, Strafrecht BT 2/1, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 25; Rose, wistra 2002, 13 (17); Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 14; Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 58; a. A. die wohl h. M., vgl. z. B. Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 9 m.w.N. 394 Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 58.

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sen. Dennoch wird sich zeigen, dass die im Folgenden gefundenen Ergebnisse zur Verkehrsanschauung dort, wo es erforderlich ist, auf die ausdrückliche Täuschungshandlung vollständig übertragbar sind. Dies liegt darin begründet, dass der Begriff der Verkehrsanschauung ein wertausfüllungsbedürftiger ist; er ist für jeden Einzelfall gesondert mit Inhalten zu füllen. Gleiches gilt für den Tatsachenbegriff, der jedoch gesondert behandelt wird.395 Regelmäßig wird hier faktischen Elementen größeres Gewicht beizumessen sein als normativen. Teilweise wird die Verkehrsanschauung auch als sozialer Sinngehalt oder als objektiver Empfängerhorizont bezeichnet. Gleichgültig, welchen Begriff man bevorzugt, geht es immer darum, aus einem Verhalten (bzw. bei der ausdrücklichen Täuschung aus einer Äußerung) mittels praktischer Regeln über dessen Erklärungsbedeutung auf eine konkrete, bedeutungshaltige Erklärung zu schließen.396 Die Verkehrsanschauung ist somit zunächst nichts anderes als die Umschreibung eines Auslegungsmaßstabes. Zu widersprechen ist daher denjenigen, die meinen, eine Orientierung an diesem Maßstab sei der traditionellen Betrugsdogmatik insgesamt fremd.397 Zwar stimmt es, dass der Betrug als individualschützendes Vermögensdelikt konzipiert ist. Dennoch müssen Verhaltensweisen, die nicht auf den ersten Blick eindeutig unter den Tatbestand des § 263 StGB subsumiert werden können, ausgelegt werden. Dass dies anhand objektiver Kriterien erfolgt, ist nichts Neues. Die Diskussion um die korrekte Bestimmung der Verkehrsanschauung war über eine längere Zeit hinweg in zwei Lager gespalten. Die Vertreter der sogenannten »faktischen Betrachtungsweise«398 standen Befürwortern eines normativierenden Auslegungsmaßstabes399 gegenüber. Letztere sehen in dem Abstellen auf auch faktische Elemente einen unnötigen und fragwürdigen Rückgriff auf Fiktionen.400 Mittlerweile hat die Sichtweise, dass in die Bestimmung der Verkehrsanschauung sowohl faktische als auch normative Gesichtspunkte einzufließen haben, Einzug gehalten.401 In der Rechtsprechung findet sich zudem vermehrt die Vorstellung, der Täuschungsgehalt eines Verhaltens bestimme sich zusätzlich nach den Absichten des Täters.402 Bereits an dieser Stelle lässt sich eine Parallele zu unionsrechtlichen Ver395 396 397 398 399 400 401 402

Siehe unten Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. Vogel in: Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (315). So Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 226, 290. So noch in einer Vorauflage: Cramer in Schönke/Schröder, StGB, 26. Aufl. 2001, § 263 Rn. 15. Z.B. Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 28 f. Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 28 ff. BGHSt 51, 165 (169 f.); Kasiske, GA 2009, 360 (364); Krack, ZIS 2007, 103 (107); Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (316); Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. Z.B. BGHSt 47, 1; BGH StV 2004, 535 (536).

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brauchererwartungen skizzieren: Das Verbraucherleitbild wird ähnlich wie der Begriff der Verkehrsanschauung als Maßstab zur Ermittlung täuschungs- bzw. irreführungsgeeigneter Angaben herangezogen. Und auch hier gibt es Diskussionen darüber, inwieweit faktische und normative Elemente den Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers prägen. Erinnert sei daran, dass eine konsistente Auslegung sowohl faktische als auch normative Gegebenheiten zu berücksichtigen hat.403 Ob diese Parallele etwas zu bedeuten hat bzw. für eine unionsrechtskonforme Auslegung nutzbar gemacht werden kann, kann jedoch erst geklärt werden, nachdem der Begriff der Verkehrsauffassung eingehender untersucht worden ist. Hierzu muss in einem ersten Schritt geklärt werden, was sich hinter den Begriffen »faktische« und »normative« Verkehrsanschauung verbirgt und inwieweit subjektive Elemente zur Beurteilung einer Verhaltensweise als Täuschung Berücksichtigung finden müssen. Im Anschluss sind die genaueren inhaltlichen Kriterien zur Bestimmung der Verkehrsanschauung festzulegen. 1. Faktische und normative Bestimmung der Verkehrsanschauung Zunächst sei klargestellt, dass eine rein faktische Betrachtungsweise der Verkehrsanschauung trotz dieser ursprünglichen Namensgebung404 noch nie erfolgte, da jedenfalls die konkludente Täuschung naturgemäß nicht ohne normative Auslegungselemente auskommt. Denn der Rückschluss auf eine konkludente Täuschung erfolgt immer durch die Bewertung des Gesamtverhaltens einer Person. Dieses muss notwendig auf seinen Bedeutungsgehalt hin beurteilt werden, welcher gesellschaftlichen Konventionen und damit einer normativen Prägung unterliegt.405 Ferner würde die – meines Erachtens daher gar nicht realisierbare – Befürwortung einer rein faktischen Betrachtungsweise bedeuten, dass die tatsächlichen Erwartungen der jeweiligen Teilnehmer am Rechtsverkehr stets ex post ermittelt werden müssten, um auf die Täuschungsqualität einer Verhaltensweise schließen zu können. Widerspricht man der fehlenden Realisierbarkeit, wäre diese Vorgehensweise erstens zumindest unpraktikabel;406 zweitens – und dies ist der gewichtigere Einwand – wäre damit ein gegenüber der Normativierung des Täuschungsbegriffes noch weiter erhöhtes Maß an Rechtsunsicherheit und Unbestimmtheit verbunden, da ex ante schwerlich vorhersehbar wäre, aus welchen Verhaltensweisen die maßgeblichen Verkehrs403 Vgl. oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. a). 404 So noch in einer Vorauflage: Cramer in Schönke/Schröder, 26. Aufl. 2001, § 263 Rn. 14. 405 Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 348; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 258; Krack, ZIS 2007, 103 (107); Tiedemann, Festschrift für U. Klug, Band II, 1983, S. 405 (407); Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. 406 So Kasiske, GA 2009, 360 (364).

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kreise auf welche Tatsachen schließen und auf welche nicht. So findet sich nunmehr auch bei denjenigen, die ihre Umschreibung der Verkehrsanschauung ursprünglich als »faktische Betrachtungsweise« titulierten, der Hinweis, dass es einzelfallabhängig sei, ob faktische oder normative Elemente bei der Auslegung der Täuschungshandlung dominieren müssten.407 Es soll daher in dieser Arbeit keine Entscheidung zwischen einer »faktischnormativen« und einer rein »normativen« Betrachtungsweise getroffen werden. Eine solche Entscheidung wäre nämlich eine künstliche. Die selbst von ihren jeweiligen Vertretern408 eingestandene (regelmäßige) Ergebnisgleichheit der »faktisch-normativen« und der rein »normativen« Betrachtungsweise belegt diese Einschätzung. Die jeweiligen Ansätze unterscheiden sich weniger in ihren Inhalten, denn in ihrem Ausgangspunkt und ihrer Schwerpunktsetzung.409 Während die erstgenannten Ansätze feststellen wollen, was objektiv tatsächlich nach den Gesamtumständen als miterklärt angesehen werden muss und dafür zunächst an reale Gegebenheiten anknüpfen, um diese sodann anhand normativer Regeln zu bewerten, fragen die zweitgenannten direkt nach der Risikoverteilung des jeweiligen Geschäftstyps und finden damit ihren Ausgangspunkt in normativen Regeln, deren Existenz aber von tatsächlichen Gegebenheiten beeinflusst ist.410 So oder so ist der Täuschungsbegriff des § 263 StGB normativiert.411 Dies ist auch erforderlich, da nur auf diese Weise ein einheitlicher Vermögensschutz gewährleistet werden kann.412 Selbst wenn man beispielsweise mit der faktisch-normativen Betrachtungsweise verlangt, dass sich aus der Sicht des Täuschungsadressaten aus einer bestimmten Verhaltensweise des Täters auf einen Erklärungswillen schließen lässt, wird man diesen anhand der sich für einen objektiven Empfänger in der konkreten Situation darstellenden Gesamtumstände feststellen müssen, sodass auch nach dieser Auffassung im Ergebnis eine objektive Auslegung erfolgt.413 Umgekehrt können auch normative Abwägungen nicht ohne Anknüpfung an faktische Elemente erfolgen. Ein reiner Normativismus ohne Bezug auf die dem jeweiligen Sachverhalt zu407 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15. 408 »Normativ«: z. B. Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 30; »faktisch-normativ«: z. B. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15. 409 Kasiske, GA 2009, 360 (364); Krack, ZIS 2007, 103 (107); Radtke, Jura 2007, 445 (450); Hoffmann, GA 2003, 610 (614); Kargl, Festschrift für K. Lüderssen, 2002, 613 (617); Cramer/ Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. 410 Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (316). 411 Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 348; Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 258; Tiedemann, Festschrift für U. Klug, Band II, 1983, S. 405 (407); Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. 412 Bosch, wistra 1999, 410 (413); Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. 413 Rose, wistra 2002, 13 (16).

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grundeliegenden tatsächlichen Gegebenheiten ist abzulehnen, da er die Gefahr ideologischer und selbstgenügsamer Begriffsbildungen birgt, die der Kritik von außen aufgrund eines künstlich erschaffenen, in sich konsequenten Wertungssystems entzogen sind.414 Faktisch-normativ verstanden birgt die Normativierung des Täuschungsbegriffes weder die Gefahr einer unvorhersehbaren Ausweitung der Betrugsstrafbarkeit,415 noch vermögen rechtsnormative Kriterien per se die Restriktion einer ausufernden Täuschungsdogmatik zu gewährleisten.416 Die Normativität des Täuschungsbegriffes ist dann schlicht nichts anderes als Realität. Eine nachvollziehbare Handhabung des Täuschungsmerkmals erfolgt erst dann, wenn die faktischen Gegebenheiten und normativen Gesichtspunkte eines jeden Einzelfalles umfassend analysiert, ausgewertet und abgewogen werden – wenn also juristisch saubere Auslegungsarbeit geleistet wird. Es ist jedoch möglich, allgemeine Kriterien als Werkzeuge für diese Auslegungsarbeit zu entwickeln. Zusammengefasst liegt der nun folgenden Darstellung die Erkenntnis zugrunde, dass die beiden Betrachtungsweisen von identischen Maßstäben ausgehen417 und sich daher nur in der Wortwahl unterscheiden. Infolgedessen differenziert sie nicht weiter, sondern konzentriert sich auf die eigentliche Problematik, maßgebliche Bewertungskriterien zur Bestimmung der Verkehrsanschauung herauszuarbeiten. Vorab wird zu der Idee einer Subjektivierung des Täuschungsbegriffes in der gebotenen Kürze Stellung bezogen. 2. Der subjektive Ansatz der Rechtsprechung Nach der jüngeren Rechtsprechung soll ein wesentliches Kriterium zur Bestimmung der konkludenten Täuschung die Absicht des Täters sein, einen Irrtum zu erregen.418 In der Literatur ist die Einführung dieser subjektiven Komponente in das objektive Tatbestandsmerkmal der Täuschung zu Recht heftig kritisiert worden.419 Da der subjektive Tatbestand des § 263 StGB eine Bereicherungsabsicht verlangt und der Irrtum des Opfers für diese Bereicherung notwendiges Zwischenziel ist, wird regelmäßig auch Absicht hinsichtlich des Irrtums vorliegen; das Täuschungsmerkmal hätte keine eigenständige Bedeutung mehr.420 Außerdem führt eine zu starke Betonung des verfolgten Zweckes einer Handlung im objektiven Tatbestand dazu, dass vornehmlich rein subjek414 Küpper, Grenzen der normativierenden Strafrechtsdogmatik, 1990, S. 196. 415 So Trüg/Habetha, JZ 2007, 878 ff.; Jahn/Maier, JuS 2007, 215 (217); Schlösser, NStZ 2005, 423 (425 f.). 416 So aber : Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 25. 417 So auch Krack, ZIS 2007, 103 (107). 418 BGHSt 47, 1; BGH, StV 2004, 535 (536); OLG Frankfurt, NJW 2003, 3215. 419 Vgl. nur Schneider, StV 2004, 537 (538 f.); Pawlik, StV 2003, 297 (298); Geisler, NStZ 2002, 86 (88); Rose, wistra 2002, 13 (17); Krack, JZ 2002, 613. 420 Scheinfeld, wistra 2008, 167 (169); Krack, JZ 2002, 613.

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tive Absichten selbst beim vollendeten Delikt über die Strafbarkeit der jeweiligen Handlung entscheiden. Dies steht jedoch im Widerspruch zu der freiheitssichernden Funktion des Strafrechts, die allein dadurch gewährleistet sein kann, dass die Grenzen straflosen Verhaltens zumindest bei Vollendung einer Tat anhand objektiver Kriterien tatbestandlich klar umrissen sind.421 Auch bei der Versuchsstrafbarkeit muss sich der Tatentschluss auf die Verwirklichung dieser objektiven Merkmale beziehen. Hinzu kommt, dass durch das Abstellen auf die Absicht des Täters einen Irrtum zu erregen, nicht eindeutig festgelegt werden kann, wann ein Verhalten keinen Täuschungswert hat.422 Subjektive Kriterien beeinflussen die Bestimmung der Verkehrsanschauung daher entgegen der Tendenzen in der Rechtsprechung nicht. 3.

Die konkrete inhaltliche Ausgestaltung der Verkehrsauffassung

a) Die Gewichtung faktischer und normativer Kriterien Die korrekte Gewichtung faktischer und normativer Kriterien kann nicht generalisiert werden, da sie einzelfallabhängig ist. Objektive faktische Gegebenheiten können im Einzelfall so sehr ins Gewicht fallen, dass sie die Verkehrsanschauung allein prägen. Voraussetzung ist allerdings, dass es sich hierbei um gefestigte tatsächliche Anschauungen handelt, da der Täuschungsbegriff anderenfalls konturenlos würde. Ein Beispiel hierfür ist die bei einem Vertragsschluss miterklärte Zahlungsfähigkeit. Weiterhin wird sich die Bestimmung der Verkehrsauffassung bei der ausdrücklichen Täuschung regelmäßig im Wesentlichen an tatsächlichen Kriterien orientieren. Durch die ausdrückliche Äußerung bestehen nämlich im Regelfall mehr tatsächliche Anhaltspunkte, die auf eine Täuschungsqualität des Täterverhaltens schließen lassen, als bei einer konkludenten Täuschung. Ebenso können aber allein normative Kriterien zur Annahme einer Verkehrsanschauung führen. Da die tatsächlichen Vorstellungen der betroffenen Verkehrskreise nur empirisch für jeden Einzelfall untersucht werden können, ist Dreh- und Angelpunkt der weiteren Darstellung allein die Frage, anhand welcher normativen Kriterien der Maßstab der Verkehrsanschauung zu bestimmen ist. Ausgangspunkt der herrschenden Meinung ist die Annahme, dass der von einem Erklärungswillen getragene Erklärungsinhalt einer Verhaltensweise nach allgemeinen Interpretationsregeln zu ermitteln ist. Hierbei sei der Erklärungswert eines Verhaltens unter Berücksichtigung des Gesamtverhaltens des Täters festzustellen, wobei die konkrete Situation des Einzelfalles und die Beziehungen zwischen Täter und 421 Schneider, StV 2004, 537 (539); Pawlik, StV 2003, 297 (298). 422 Krack, JZ 2002, 613.

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Opfer beachtet werden müssten.423 Abzustellen sei auf den objektiven Empfängerhorizont; dieser Horizont sei wesentlich von den tatsächlichen Erwartungen der betroffenen Verkehrskreise beeinflusst.424 Große – und nach der »normativen Betrachtungsweise« alleinige425 – Relevanz komme der Pflichten- und Risikoverteilung unter den Geschäftspartnern sowie der Herrschaft über die maßgeblichen Informationen zu. Diese Kriterien schwankten in Abhängigkeit von dem konkret in Frage stehenden Geschäftstyp stark.426 Unabhängig von der individuellen Vertragsgestaltung müsse immer ein »Minimum an Redlichkeit im Geschäftsverkehr verbürgt bleiben«.427 Dieses letztgenannte Kriterium gelte generell, ermögliche es insbesondere aber auch, in bestimmten Verhaltensweisen (konkludente) Täuschungen zu erblicken, die sich an besonders unerfahrene, sorglose oder naive Adressaten richteten.428 Notgedrungen ergebe sich aus diesem Erfordernis der wertenden Abwägung des Einzelfalles eine breit gefächerte Kasuistik.429 All diese aufgezählten Kriterien dienen dazu, konkretere Maßstäbe für die normative Bewertung einer Verhaltensweise als Täuschung zu liefern und sind daher in ihrer Gesamtheit zu befürworten. Dass es sich hierbei um recht unbestimmte Umschreibungen handelt, ist unvermeidbar, da eine Vielzahl von Handlungen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen unter den Begriff der Täuschung im Sinne des § 263 StGB fallen kann. b)

Das Wechselspiel außerstrafrechtlicher Wertungen und strafrechtsautonomer Kriterien Die weitere normative Konkretisierung des Begriffes der Verkehrsanschauung hängt wesentlich davon ab, ob für die Bestimmung der Risikoverteilung außerstrafrechtliche oder aber strafrechtsautonome Kriterien maßgeblich sind.430 Für eine Anknüpfung an außerstrafrechtliche und hier vor allem zivilrechtliche Regelungen spricht zunächst, dass diese die tatsächlichen Anschauungen des Verkehrs wesentlich prägen und somit zumindest indizielle Wirkungen entfalten.431 Weiterhin sind zivilrechtliche Aufklärungspflichten und Irreführungs423 BGHSt 51, 165 (169 f.); Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 12. 424 BGHSt 51, 165 (170). 425 Rose, wistra 2002, 13 (16); Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 29. 426 BGH, Beschluss v. 6.9.2001 – 5 StR 318/01, BGHR StGB § 263 Abs. 1 Täuschung 22 = NStZ 2002, 144 (145); Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15. 427 BGHSt 51, 165 (171); Garbe, NJW 1999, 2868 (2869); Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15. 428 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15. 429 Vgl. beispielsweise die Aufzählungen in den Kommentierungen von Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 16 ff.; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 9 ff. 430 Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (317). 431 Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 350.

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verbote für eine Vielzahl von Geschäftstypen detailliert normiert. Ihre Maßgeblichkeit hat gegenüber einer rein strafrechtsautonomen Bestimmung der Verkehrsauffassung häufig den Vorteil stärkerer Transparenz. Gegen eine rein strafrechtautonome Bewertung spricht weiterhin, dass sich Kriterien, die auf völlig eigenständigen Prinzipien fußen, schwer finden lassen. Denn gerade das Vermögensstrafrecht steht in enger Verbindung zum Zivilrecht.432 In der zivilrechtlich normierten Risikoverteilung kommt der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck. Andererseits darf sich das Strafrecht dem Zivilrecht nicht unreflektiert anschließen. Denn die Aufgabe des Strafrechts besteht nicht darin, vor allen sanktionsbedürftigen Verhaltensweisen Schutz zu gewähren, sondern nur vor denjenigen, die auch strafbedürftig sind.433 Überwiegend und in zustimmungswürdiger Weise findet sich daher die vermittelnde Ansicht, dass die jeweilige Verkehrsanschauung im Regelfall maßgeblich durch eine Anlehnung an außerstrafrechtliche Regelungen (z. B. im Allgemeinen Teil des BGB vor allem an die §§ 133, 157, 242 BGB) sowie durch dem Wandel der Zeit unterliegende Verkehrsgebräuche vorgeprägt ist; dies soll jedoch strafrechtsautonome Erwägungen nicht ausschließen.434 Beispielsweise können Verkehrssitten rechtsunwirksam sein oder zivilrechtliche Regelungen nicht in ausreichendem Maße bestehen.435 Weiterhin erfüllen zivilrechtliche Risikoverteilungen häufig eine andere Funktion als strafrechtliche, was dann eine von zivilrechtlichen Maßstäben abweichende Bewertung erfordert.436 Bei der Entwicklung strafrechtsautonomer Bewertungskriterien kommt den Grundprinzipien der Rechtsordnung sowie insbesondere den wirtschaftlichen Grundprinzipien des Wirtschaftsverfassungsrechts große Bedeutung zu.437 Durch strafrechtsautonome normative Bewertungen einer Verhaltensweise durch die Gerichte werden neue Verkehrsauffassungen geschaffen.438 Hierdurch gestaltet das Strafrecht zugleich zivilrechtliche Maßstäbe mit.439 Ein beachtlicher Vorteil dieser Vorgehensweise liegt in der Wahrung des Grundsatzes der Einheit der Rechtsordnung, nach dem

432 Hefendehl, NStZ 2001, 281 (284). 433 Volk, JuS 1981, 880. 434 Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 352; Arzt in Arzt/Weber /Heinrich/ Hilgendorf, Strafrecht Besonderer Teil, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 38; Kasiske, GA 2009, 360 (365); Tiedemann, Festschrift für U. Klug, Band 2, S. 405 (407); Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. 435 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30. 436 Kasiske, GA 2009, 360 (365). 437 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 30, 50. 438 Rose, wistra 2002, 13 (17); Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 30. 439 Kasiske, GA 2009, 360 (365).

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Widersprüche im System der Gesamtrechtsordnung zu vermeiden sind.440 So wäre nur schwer zu vermitteln, weshalb eine Verhaltensweise, die zivilrechtlich als erlaubte Geschäftstüchtigkeit gilt, nach § 263 StGB tatbestandsmäßig sein sollte. Ob jedoch eine zivilrechtlich unerwünschte täuschende Verhaltensweise nach § 263 StGB verboten ist, kann abschließend erst entschieden werden, wenn auch strafrechtsautonome Erwägungen erfolgt sind. Denn nur so bleibt die ultima-ratio-Funktion des Strafrechts gewahrt. Hingegen ist dem Einwand zu widersprechen, dass in einer Anknüpfung an außerstrafrechtliche Wertungsmaßstäbe ein Verstoß gegen das Bestimmtheitsgebot aus Art. 103 Abs. 2 GG liegen könnte.441 Der Begriff der konkludenten Täuschung ist per se ein unbestimmter und wertausfüllungsbedürftiger. Eine Anknüpfung an das Zivilrecht hat sogar konkretisierende Wirkung und füllt das Täuschungsmerkmal des Betrugstatbestandes vorhersehbarer aus als eine rein strafrechtsautonome Bewertung. c) Konkretisierung der normativen Kriterien bei der konkludenten Täuschung Die bereits gefundene Basis zur Bestimmung der Täuschungshandlung reicht für die ausdrückliche Täuschung regelmäßig aus. Für die Auslegung einer konkludenten Täuschung müssen die normativen Kriterien hingegen weiter konkretisiert werden: Zur Ermittlung der Risikoverteilung bezüglich des jeweiligen Geschäftstyps bzw. der Abgrenzung von Verantwortungsbereichen wird häufig auf die Lehre von der objektiven Zurechnung zurückgegriffen. Der Täter müsse eine rechtlich missbilligte Gefahr schaffen, die sich vermittelt über den Irrtum und die Vermögensverfügung des Opfers in dem konkreten Erfolg eines Vermögensschadens realisiere.442 Ob die vom Täter geschaffene Gefahr rechtlich missbilligt war, hänge davon ab, ob der Irrtum in seinen Verantwortungsbereich falle und deshalb als »sein Werk« erscheine.443 Jedoch kann das Vorliegen einer konkludenten Täuschung nicht von der Bejahung der objektiven Zurechnung des Irrtums abhängig sein. Dies sind zwei unterschiedliche Fragestellungen. Bereits das Vorliegen einer konkludenten Täuschung als solche muss wertend über die Verantwortungsbereiche von Täter und Opfer ermittelt werden, da anders nicht aus einem Gesamtverhalten auf einen Erklärungswert geschlossen werden kann. Bedient man sich der Inhalte der Lehre von der objektiven Zurechnung hingegen nur als Gedanken- und Argumentationsstütze, um die eigentlichen Kriterien des Orientierungsrisikos bezüglich des jeweiligen Geschäftstyps bzw. der Abgren440 441 442 443

Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 352; Garbe, NJW 1999, 2868 (2869). Diese Frage wird aufgeworfen von Loos, JR 2002, 77 (78). Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 351. Krack, JZ 2002, 613 (614).

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zung von Verantwortungsbereichen besser beschreiben zu können, geht es inhaltlich um dasselbe. Notwendige Voraussetzung dafür, dem Täter das Orientierungsrisiko aufzuerlegen, ist zunächst, dass er rein tatsächlich die alleinige »Informationsherrschaft« innehat, d. h. über weiterreichende Informationen als das Opfer hinsichtlich der Grundlagen des konkreten Geschäfts verfügt.444 Liegt dies vor, ist in einem zweiten normativen Schritt festzustellen, dass dem Opfer eine eigene Zuständigkeit zur Einholung der für das konkrete Geschäft relevanten Informationen nicht oblag. Da unsere (Zivil-) Rechtsordnung jedoch grundsätzlich dazu verpflichtet, sich nötige Informationen eigenständig zu beschaffen und jeder grundsätzlich für seinen Kenntnisstand selbst verantwortlich ist,445 wird eine konkludente Täuschung an dieser Stelle zumeist abzulehnen sein. Etwas anders gilt bei einer ausnahmsweise anderen zivilrechtlichen Risikoverteilung oder der Existenz sonstiger Kriterien sozialer Zumutbarkeit.446 So hat ein Geschäftspartner zwar grundsätzlich keine Aufklärungspflichten; eine Verlagerung des Orientierungsrisikos kann aber beispielsweise dann vorliegen, wenn in den vertraglichen Beziehungen Beratungselemente vereinbart sind.447 Im Bereich der konkludenten Täuschung kommt somit der viktimodogmatische Gedanke zur Geltung, dass die Sanktionierung eines Verhaltens mit Mitteln des Strafrechts nur dann angezeigt ist, wenn das Opfer sich normativ nicht selbst in zumutbarer Weise gegen die Beeinträchtigung seiner Rechtsgüter zur Wehr setzen kann.448 Diese Sichtweise ist auch unter dem Blickwinkel des »berechtigten Vertrauens«449 plausibel, welches sich entgegen des Ansatzes Frischs als ein Kriterium unter vielen zur Bestimmung der Verkehrsanschauung darstellt. Denn das Opfer ist immer dann besonders schutzwürdig, wenn es vertrauen muss, weil es keine andere Wahl hat.450 Die Notwendigkeit einer Einschränkung des Opferschutzes über das Kriterium der Informationsobliegenheit resultiert letztlich daraus, dass dem Täter – anders als bei der ausdrücklichen Täuschung, für die es stärker nach außen tretende Anzeichen gibt – eine konkludente Täuschung nur dann unterstellt werden kann, wenn man ihm nach den unsere Gesellschaft prägenden Wertungen ein Verhalten zuschreiben kann, dass eindeutig abstrakt und allgemein in der konkreten Situation täuschend ist. 444 Kasiske, GA 2009, 360 (365 f.). 445 Seibert, Die Garantenpflichten beim Betrug, 2007, S. 351; Kasiske, GA 2009, 360 (366); Krack, JZ 2002, 613; Rose, wistra 2002, 13 (16); Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (322). 446 Kasiske, GA 2009, 360 (366 f.). 447 Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 29. 448 Kasiske, GA 2009, 360 (367). 449 Vgl. hierzu weiter unten die Ansicht von Frisch Teil 3, 1. Abschnitt, I. C. 1. 450 Kasiske, GA 2009, 360 (367).

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Abschließend sei auf zwei weitere Anknüpfungsmöglichkeiten an das Zivilrecht hingewiesen. Zwar muss das Erklärungsverhalten einer konkludenten Täuschung nicht in der Abgabe einer konkludenten Willenserklärung im Sinne des Zivilrechts bestehen.451 Dennoch erfolgt die Auslegung empfangsbedürftiger Willenserklärungen nach §§ 133, 157, 242 BGB in gleicher Weise wie diejenige der konkludenten Täuschung normativ und anhand der Verkehrsanschauung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles.452 So lässt sich im Recht der Willenserklärungen eine Bestätigung für die Forderung nach der Wahrung eines Minimums an Redlichkeit im Geschäftsverkehr bei der Auslegung des Betrugstatbestandes finden. Denn nach § 157 BGB, der bestimmt, dass Verträge so auszulegen sind, wie Treu und Glauben es mit Rücksicht auf die Verkehrssitte erfordern, wird dem Handelnden grundsätzlich eine redliche Denk- und Handlungsweise unterstellt.453 Diese Wertung, die es zugunsten eines dynamischen Wirtschaftsverkehrs rechtfertigt, den Zusagen seines Geschäftspartners grundsätzlich zu vertrauen, muss auch in die Auslegung des Betrugstatbestandes einfließen. Dies kann geschehen, indem die Beurteilung der Grenzen des Minimums an Redlichkeit im Geschäftsverkehr ebenfalls anhand einer Anknüpfung an das Zivilrecht erfolgt. Als weitere Parallele lässt sich Folgendes aufzeigen: Für das Vorliegen einer konkludenten Willenserklärung reicht es aus, wenn von einem Verhalten aus der Sicht eines objektiven Dritten aufgrund eines »nach außen tretenden Vollzugsmoments« auf die Existenz eines Geschäftswillens geschlossen werden kann. Dieser muss nicht gesondert erklärt werden.454 Auch bei der konkludenten Täuschung kann es auf einen tatsächlichen Erklärungswillen nicht ankommen. Sowohl die konkludente Täuschung als auch die konkludente Willenserklärung sind eben keine vorrechtlichen Kategorien.455 Alle diese Kriterien dienen dazu, eine argumentativ überzeugende Auslegung des Tatbestandsmerkmals der konkludenten Täuschung zu ermöglichen. Wie die Ausführlichkeit der Darstellung zeigt, bleibt dies ein recht langwieriges Unterfangen. Die Verschiedenartigkeit der betrugsrelevanten Sachverhalte führt dazu, dass sich über den Begriff der Verkehrsanschauung nur wenig detaillierte allgemeine Kriterien entwickeln lassen.456 Daher liegt der Versuch nahe, vollständig neue Ansätze zur Bestimmung einer konkludenten Täuschung zu 451 Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 208 Fn. 671; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 25. 452 Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 208. 453 Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 140 f. 454 Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 137. 455 Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 147. Jedoch folgt hieraus nicht, dass die Dogmatik der konkludenten Willenserklärung für das Strafrecht nicht fruchtbar ist. Vielmehr zeigt sich, dass es auch bei der konkludenten Täuschung auf einen tatsächlichen Erklärungswillen nicht ankommen kann. 456 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15.

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schaffen, um die immer noch recht abstrakten Kriterien weiter zu konkretisieren und eine höhere Transparenz zu erzielen. Die folgende Darstellung wird jedoch zeigen, dass hierdurch ebenfalls kein weitergehender Erkenntnisgewinn zu erzielen ist.

C.

Die Untauglichkeit der Gegenentwürfe zum Kriterium der Verkehrsanschauung

Generell sind zwei unterschiedliche methodische Vorgehensweisen, die zu einer präziseren Definition der konkludenten Täuschung führen sollen, zu beobachten. Während die einen – wie soeben ausführlich dargelegt – ihre Untersuchung an den Begriff der Verkehrsanschauung anknüpfen, versuchen die anderen, sich hiervon zu lösen und einen eigenständigen Ausgangspunkt zu finden. Die bei allen Autoren identische und übergeordnete Fragestellung bleibt aber : Wie lässt sich am besten umschreiben, welchen Bedeutungsgehalt man einer Verhaltensweise beimessen darf ? Ob dieses »man« nun durch den Begriff der Verkehrsanschauung ersetzt oder durch irgendwelche anderen Begriffe umschrieben wird, ist letztlich unerheblich. Die eigenständigen Ansätze, die meinen, die herkömmliche Auslegung der konkludenten Täuschung anhand der Verkehrsanschauung sei überholt, müssen sich allerdings einem – nicht unbeachtlichen – Kritikpunkt stellen: Orientiert man sich nicht am Begriff der Verkehrsanschauung, besteht die hohe Wahrscheinlichkeit, diesen unbestimmten Begriff durch mindestens ebenso unbestimmte zu ersetzen457 und dadurch die Verwirrung eher zu erhöhen als zu deren Lösung beizutragen. Alle Gegenentwürfe können sich als alte Inhalte der Verkehrsanschauung im neuen Gewand umschreiben lassen. Dennoch: Jede Ansicht, die schlüssig etwas zur Beantwortung der obigen Frage beiträgt, hat ihre Berechtigung und birgt Erkenntnisgewinn. Dies gilt unabhängig davon, ob sie sich (vermeintlich) außerhalb des tradierten bereits dargestellten Systems befindet oder innerhalb. Gleichzeitig weist jeder Vorschlag gewisse Unzulänglichkeiten auf. Denn normative Begriffe wie die konkludente Täuschung lassen sich nur bis zu einem gewissen Grad konkretisieren, da immer eine einzelfallbezogene, wertende Auslegung erforderlich ist. Insgesamt ist der höchstmögliche Präzisierungsgrad meines Erachtens durch die Literatur bereits erreicht worden. Daher wird in dieser Arbeit kein weiterer »neuer« Ansatz entworfen, sondern eine Verbindung der bereits bestehenden Ansätze postuliert. Dies muss eine Auswertung derjenigen Ansätze einbeziehen, 457 Vgl. z. B. hinsichtlich des Kriteriums der »Verkehrssicherungspflichten« von Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 ff.: Kasiske, GA 2009, S. 360 (363); hinsichtlich des »Rechts auf Wahrheit«: Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 6, 8.

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die sich von dem Begriff der Verkehrsanschauung lösen. Ihre Synthese mit den zum Begriff der Verkehrsanschauung entwickelten Kriterien führt zu dem erstrebten höchstmöglichen Grad an Präzisierung. 1. Das »berechtigte Vertrauen« Einen Gegenentwurf zur Konkretisierung der konkludenten Täuschung anhand des Kriteriums des Verhaltens mit Erklärungswert und der Verkehrsanschauung soll nach Frisch die Konzeption des »berechtigten Vertrauens« des Opfers darstellen.458 Eine konkludente Täuschung liege danach vor, wenn das Opfer bei einem bestimmten Verhalten des Täters von einem bestimmten – nicht vorliegenden – Sachverhalt ausgehen durfte. Dieses »Vertrauen-Dürfen« lasse sich in verschiedene Fallgruppen einteilen: Zunächst seien die Fälle der Selbstbindung zu nennen, bei welchen der Einzelne seine Handlungsfreiheit im Verhältnis zu einer anderen Person selbst beschränke und dadurch seinem eigenen Verhalten einen bestimmten Bedeutungsgehalt gebe. Als zweite Fallgruppe begründeten die unterschiedlichen Interessen der an einem Geschäft Beteiligten oder genauer ihre offensichtlichen und unmittelbar einleuchtenden berechtigten Erwartungen ein solches Vertrauen. Denn unter Vernünftigen sei nicht nur die Existenz dieses berechtigten Vertrauens akzeptiert, sondern es herrsche sogar Übereinstimmung darüber, dass es das Vernünftigste sei, von bestimmten Gegebenheiten einfach auszugehen.459 Wer sich nun entgegen dieser berechtigten Erwartungen verhalte, täusche, wenn er dies vorsätzlich tue. Die Ergebnisse dieses Ansatzes entsprechen im Wesentlichen denen der Rechtsprechung.460 Der Grund hierfür liegt darin, dass er inhaltlich nichts anderes als die Analyse der Risikoverteilung des konkreten Geschäftstyps sowie die Abgrenzung von Verantwortungsbereichen einfordert. Diese Tatsache wird von Frisch ignoriert. Denn entgegen dessen Auffassung fordert die herrschende Meinung nicht unausgesprochen das gleiche, sondern wählt nur andere Begrifflichkeiten für inhaltlich Identisches. Teilweise werden für die Umschreibung des »berechtigten Vertrauens« sogar identische Begrifflichkeiten verwendet: So seien die Grenzen berechtigten Vertrauens erreicht, wenn die Feststellung des konkreten Sachverhaltes in den Zuständigkeitsbereich des Verfügenden selbst falle, er somit das Orientierungsrisiko trage.461 Da der Begriff des »berechtigten Vertrauens« mindestens genauso unbestimmt, aber unbekannter als derjenige der Verkehrsanschauung ist, besteht kein Grund für eine Befolgung dieses Ansatzes. Zwar betont er die – wohl von niemandem mehr bestrittene – von einer »tat458 459 460 461

Frisch, Festschrift für G. Jakobs, 2007, S. 97 (102). Frisch, Festschrift für G. Jakobs, 2007, S. 97 (106). Frisch, Festschrift für G. Jakobs, 2007, S. 97 (107). Frisch, Festschrift für G. Jakobs, 2007, S. 97 (110).

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

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sächlichen« Erklärung losgelöste Normativität des Täuschungsbegriffes, bringt darüber hinausgehend aber keinen Erkenntnisgewinn. 2. Die »Verletzung kommunikativer Verkehrssicherungspflichten« Den gleichen Einwand unnötiger Verkomplizierung ohne weiterführenden Erkenntnisgewinn trifft der Vorschlag, die konkludente Täuschung über die Kategorie der Schaffung einer verkehrspflichtwidrigen Gefahr im Sinne der Fahrlässigkeitsdogmatik zu bestimmen.462 Danach seien normative Kriterien für die Ablehnung solcher »kommunikativer Verkehrssicherungspflichten« beispielsweise das Gebot der Einheit der Rechtsordnung, das Selbstverantwortungsprinzip sowie das Verbot der Überspannung von Verkehrspflichten.463 Eine Verkehrssicherungspflicht ist jedoch keine vorrechtliche Kategorie. Daher müsste sie anhand eines Kriteriums ähnlich der Verkehrsanschauung bestimmt werden. Man dreht sich also im Kreis. Das Bestehen einer anerkannten Verkehrssicherungspflicht im Einzelfall hat aber natürlich bereits nach der Dogmatik der herrschenden Meinung Auswirkungen auf die Verkehrsanschauung und damit auf die normative Bewertung eines Verhaltens als konkludente Täuschung. D.

Der Tatsachenbegriff

Nach § 263 StGB muss sich die Täuschungshandlung auf Tatsachen beziehen. Wie bereits erwähnt, fällt unter den Begriff der Tatsache nach herrschender Meinung in Abgrenzung zum Werturteil jedenfalls jeder konkrete Vorgang oder Zustand der Vergangenheit oder Gegenwart, der dem Beweis zugänglich ist; nach der herrschenden Meinung sind auch sogenannte »innere« Tatsachen erfasst.464 Relevant ist also die Beschreibung etwas – äußerlich oder innerlich – Realen. Keine Tatsachen sollen dagegen zukünftige Ereignisse und Werturteile sein; letztere zeichneten sich dadurch aus, dass durch Elemente persönlichen Dafürhaltens Tatsachen zu Normen in Beziehung gesetzt würden.465 Auch wenn eine genaue Grenzziehung zwischen dem, was noch betrugsrelevante Tatsache und dem, was schon (irrelevantes) Werturteil ist, schwierig 462 So Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (322). 463 Vogel, Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (324). 464 Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 4; Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 114; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 6, 8; Lackner/ Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 4; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 8; Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 12 f.; ob »innere Tatsachen« als erfasst anzusehen sind, wird in dieser Arbeit nicht entschieden, da keine Relevanz für die Frage des Einflusses des Verbraucherleitbildes besteht. 465 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 9; Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 12.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

ist466, muss man sich bewusst sein, dass Tatsache und Werturteil sich begrifflich gegenseitig ausschließen und damit abstrakt klar trennbar sind. Die Grenzziehung fällt deshalb so schwer, weil sich Tatsache und Werturteil grammatikalisch häufig nicht unterscheiden und erst durch Auslegung ermittelt werden muss, ob eine Äußerung über eine Tatsache erfolgte oder ein Werturteil ist.467 Verkompliziert wird dies dadurch, dass viele menschliche Äußerungen sowohl dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptungen als auch wertende Elemente enthalten468 und zusätzlich die anzulegenden Auslegungsmaßstäbe nach wie vor unklar sind. Häufig findet man die vage Feststellung, dass der Erklärungsinhalt einer Äußerung (und damit auch dessen Tatsachenkern) anhand des sozialen Sinngehalts oder der Verkehrsauffassung zu bestimmen sei.469 Im Bereich marktschreierischer Anpreisungen beispielsweise werden von der herrschenden Meinung Aussagen wie z. B. »kein Waschmittel wäscht weißer« aus dem Kreis der täuschungsgeeigneten Tatsachenbehauptungen ausgeschlossen, wenn sie für den durchschnittlichen Teilnehmer am Rechtsverkehr nach dem konkreten Sinngehalt in ihrem konkreten Zusammenhang völlig ungefährlich sind.470 Dies ist vor allem deshalb interessant, weil die Aussage mittels verschiedener Qualitätsprüfungen grundsätzlich überprüfbar wäre und deshalb unter Zugrundelegung der genannten Definition sehr wohl als Tatsachenbehauptung eingestuft werden könnte.471 Teilweise wird daher sogar bezweifelt, dass das Begriffspaar Tatsache-Werturteil eine sachgerechte Auslegung des Täuschungsmerkmals ermöglicht.472 Der Begriff des Werturteils diene letztlich nur dazu, solche Fälle auszuscheiden, »in denen die vorgetäuschte Tatsache für eine rationale Vermögensverfügung des Opfers ›ohnehin‹ keine Rolle spielen durfte.« »Ohnehin« meine dabei, bereits von ihrem Inhalt her, d. h., selbst, wenn sie real wäre.473 Dennoch soll an dem Begriff der Tatsache im Folgenden festgehalten werden – schließlich ist er in § 263 StGB ausdrücklich verankert und der Rechtsanwender an den Wortlaut gebunden.

466 467 468 469 470 471 472 473

Vgl. z. B. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 9. Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 75, 187. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 221. Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 10; Satzger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 263 Rn. 18; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 25; vgl. dazu Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 66, 68. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 9; Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 18; Lackner in LK-StGB, 10. Aufl. 1988, § 263 Rn. 15. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, 222; Kargl, Festschrift für K. Lüderssen, 2002, 613 (625). Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 20. Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 73 ff.; Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 21.

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1. Das Unmögliche als Tatsache Teilweise wird gefordert, auf Unmögliches gerichtete Behauptungen als nicht vom Tatsachenbegriff erfasst anzusehen. Tatsachen zeichneten sich dadurch aus, dass sie wirklich seien; ihre Behauptung impliziere daher die Möglichkeit ihrer Wahrheit.474 Vom Begriff der Beweiszugänglichkeit seien sowohl das positive als auch das negative Ergebnis erfasst.475 Maßstab zur Bewertung des Möglichen sei, dass »bestehende Naturgesetze (erg. nicht) außer Kraft gesetzt werden müssten«.476 Unmöglich hingegen seien die Dinge, die gegen Denkgesetze und Erfahrungsregeln verstießen.477 Dem ist zu widersprechen. Nach dem Wortlaut des § 263 StGB geht es gerade auch um das Vorspiegeln von Tatsachen, somit um das Vorgeben eines Bezuges zur Realität. Niemand würde bezweifeln, dass Münchhausen seinem Publikum regelmäßig Tatsachen wie etwa den Ritt auf einer Kanonenkugel vorspiegelte. Im Begriff des Vorspiegelns ist die Behauptung unmöglicher Tatsachen geradezu angelegt. Außerdem bleibt unklar, wie eine Abgrenzung zwischen Möglichem und Unmöglichem bewerkstelligt werden soll. Häufig wird die Verkehrsanschauung Dinge (noch) für möglich halten, die nach der Meinung von Experten völlig ausgeschlossen sind und umgekehrt. Wer beispielsweise würde ex ante mit absoluter Sicherheit behaupten wollen, dass es vollkommen unmöglich ist, dass es auf irgendeinem Planeten dieser Galaxie eine Form von Leben gibt? Mehr als das Urteil »sehr unwahrscheinlich« wird man den wenigsten Menschen entlocken können. Der Kreis derjenigen Umstände, die gesichert »unmöglich« sind, wäre sehr klein. Und selbst innerhalb dieses engen Kreises erscheinen Betrügereien möglich. Tatsachen zeichnen sich eben nicht durch naturwissenschaftliche Nachprüfbarkeit, sondern durch intersubjektive Nachprüfbarkeit aus,478 die eben auch vorgespiegelt werden kann. Es bleibt somit bei den Begriffsdefinitionen der herrschenden Meinung. Diese sollen in dieser Arbeit nicht detailliert konkretisiert werden. Wie stark der (zumindest vorgespiegelte) Realitätsbezug einer Äußerung nach der Verkehrsauffassung sein muss, um (noch) als Tatsachenaussage zu gelten, bedarf einer eigenständigen umfassenden Untersuchung. Im Folgenden wird auf diese Problematik nur soweit eingegangen, wie es für die Zwecke dieser Arbeit erforderlich ist. 2. Die Rolle der Verkehrsauffassung bei der Auslegung des Tatsachenbegriffs Um eine Äußerung als Tatsachenaussage oder Werturteil einordnen zu können, kommt es maßgeblich auf die Verkehrsauffassung an. Diese spielt deshalb eine 474 475 476 477 478

Thomma, Die Grenzen des Tatsachenbegriffs, 2003, S. 313, 316. Thomma, Die Grenzen des Tatsachenbegriffs, 2003, 314 f. Thomma, Die Grenzen des Tatsachenbegriffs, 2003, S. 317. Thomma, Die Grenzen des Tatsachenbegriffs, 2003, S. 321. Bitzilekis, Festschrift für H.J.Hirsch, 1999, S. 29.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Rolle, weil eine Äußerung zur Feststellung ihres Tatsachengehaltes denknotwendig normativ anhand eines objektiven, auf die jeweilige Situation bezogenen Maßstabes ausgelegt werden muss.479 a) Der wertneutrale Ausgangspunkt Der Maßstab der Verkehrsanschauung ist jedoch zunächst nur geeignet, zu beurteilen, ob eine Äußerung vorlag, die sich auf eine reine Tatsache im Sinne eines konkreten Vorgangs oder Zustands der Vergangenheit oder Gegenwart, der dem Beweis zugänglich ist, bezog. Weiterhin erweist sich das Kriterium der Verkehrsanschauung als geeignet dafür, jede auch mit wertenden Komponenten versehene Aussage daraufhin zu überprüfen, ob ihr irgendein Tatsachenelement entnommen werden kann. Fraglich ist hingegen, ob dieser Maßstab dafür geeignet ist, solche Äußerungen auf ihre Tatbestandsmäßigkeit hin zu überprüfen, die zwar Tatsachenelemente enthalten, insgesamt nach der Verkehrsanschauung möglicherweise jedoch eher als Werturteile erscheinen. Teilweise wird davon ausgegangen, dass eine Bewertung anhand des Maßstabes der Verkehrsanschauung in diesen zweideutigen Fällen der traditionellen Betrugsdogmatik fremd sei. Da es sich bei § 263 StGB um ein individualschützendes Delikt handele, gehe es immer allein darum, ob bei einem individuellen Adressaten eine Fehlvorstellung über Tatsachen hervorgerufen werde.480 Hiergegen ist einzuwenden, dass über den Begriff der Verkehrsanschauung auch bei zweideutigen Aussagen die Tatsachenelemente herausgefiltert werden können. Ob diese den Irrtum des Opfers sodann kausal verursachen, ist eine nachgelagerte Frage. b) Die Einschränkung des Tatsachenbegriffs bei fehlender Irreführungseignung Viele sehen die Problematik, dass eine Vielzahl an Äußerungen mit wenig Realitätsbezug auch einen Tatsachenkern enthält, hierdurch nicht als gelöst an. Die Beschränkung der Strafbarkeit vermögensschädigender Täuschungen auf Tatsachenaussagen liege in der von ihnen ausgehenden besonderen Gefährlichkeit für die geschützten Rechtsgüter.481 Deshalb sei es abzulehnen, jede Äußerung mit noch so geringem Bezug auf Tatsachen als tatbestandsmäßig anzusehen. Es bedürfe daher bereits nach der tradierten Dogmatik normativer Auslegungskriterien. Insbesondere bei Werbebotschaften und reklamehaften Übertreibungen soll nach weit verbreiteter Ansicht die Frage, ob eine Äußerung einen ausreichend fassbaren und dem Beweis zugänglichen Tatsachenkern 479 Vgl. Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 25 f. 480 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 226, 290. 481 Nill, Der strafrechtliche Täuschungsschutz gegen irreführende Werbung, 2002, S. 26; Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 111.

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enthält und damit tatbestandsmäßig sein kann, davon abhängig sein, ob ihr nach der Verkehrsanschauung eine Irreführungseignung innewohnt.482 Teilweise wird eine Ausscheidung von Tatsachenbehauptungen im engeren Sinne über das Kriterium des nach der Verkehrsanschauung erkennbaren offensichtlichen Übertreibungsgehalts, teilweise über die danach erkennbare mangelnde Ernsthaftigkeit vorgenommen.483 Im Ergebnis sei bezweckt, entscheidungserhebliche Sachverhalte herauszufiltern.484 Teilweise wird hiervon abweichend mit im Wesentlichen gleichem Ergebnis eine Orientierung am Geltungs-485 oder Wahrheitsanspruch486 bzw. der Verlässlichkeit487 der jeweiligen Äußerung gefordert. Ob solche zu bejahen sind, wird inhaltlich über die zu dem Begriff der Verkehrsauffassung entwickelten Kriterien bestimmt.488 So soll ein Geltungsanspruch bzw. Verlässlichkeit nur denjenigen Tatsachenaussagen zukommen, die »betrugsrelevant« seien. In den Fällen, in denen nicht offensichtlich eine Tatsache oder ein Werturteil vorliege, sei eine Orientierung am Schutzzweck der Norm des § 263 StGB geboten und immer dann, wenn der Gefährlichkeitsgrad einer Tatsachenbehauptung nicht erreicht sei, von einem Werturteil auszugehen.489 Ob ein ausreichender Geltungsanspruch vorliege, richte sich grundsätzlich nach dem Verständnis eines »durchschnittlich gebildeten und geschäftserfahrenen Bürgers« unter Berücksichtigung des Gesamtzusammenhangs bzw. nach der Verkehrsauffassung.490 Kritisiert wird die von der herrschenden Meinung vorgenommene Ausscheidung von Werbeanpreisungen und ähnlichem aufgrund offensichtlicher Übertreibung bzw. mangelnder Ernsthaftigkeit soweit ersichtlich immer nur aufgrund der Verortung der Problematik, nie jedoch aufgrund ihrer grund482 BGHSt 46, 196 (199); BGHSt 47, 1 (5); Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 306; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 10; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 66; Hoyer in SK-StGB, 60. Lief. 2004, § 263 Rn. 18. 483 Ernsthaftigkeit: BGH, wistra 1992, 255; Satzger in Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB, 2009, § 263 Rn. 22; Hoyer in SK-StGB, 60. Lief. 2004, § 263 Rn. 18; Übertreibung: Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 10. 484 Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 68. 485 Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 187, 193 f., 199. 486 Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 398 (403 ff.). 487 Nill, Der strafrechtliche Täuschungsschutz gegen irreführende Werbung, 2002, S. 26 ff. 488 So auch Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, Rn. 66a. 489 Nill, Der strafrechtliche Täuschungsschutz gegen irreführende Werbung, 2002, S. 26 ff.; Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 184. 490 Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 187, 193 f., 199; Eine Ausnahme gelte aber, wenn Adressaten Alte und geistig Schwache seien: Hier sei eine »individuelle Opferperspektive« zugrunde zu legen. Ein tatbestandsmäßiges Verhalten sei nur dann zu verneinen, wenn der Irrtum auf grober Fahrlässigkeit des besonders schutzbedürftigen Opfers beruhe. Dies erfordere die besondere Gefahr, die für diesen Personenkreis von irreführendem Verhalten ausgehe sowie übergeordnet das Sozialstaatsprinzip, S. 187, 200 f.

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sätzlich fehlenden Berechtigung.491 Das Ergebnis ist eine nach wie vor große Unsicherheit bei der Subsumtion des Tatbestandsmerkmals der Tatsache. Dies verwundert nicht weiter, da sämtliche vorgeschlagenen Abgrenzungskriterien recht vage sind und immer einer ausführlichen Einzelfallabwägung bedürfen. Daher stellt sich viel grundlegender die Frage, ob der unbestreitbar im Grundsatz fehlenden Schutzwürdigkeit des Opfers vor Aussagen wie beispielsweise »kein Waschmittel wäscht weißer« tatsächlich über eine Durchbrechung der prinzipiell für richtig gehaltenen Betrugsdogmatik hinsichtlich des Tatsachenbegriffes492 Rechnung getragen werden muss. c) Kritik an der Beachtlichkeit der Irreführungseignung Die wortlautgetreue Definition des Tatsachenbegriffs fällt bereits schwer genug. Daher sollte genau überprüft werden, ob Sinn und Zweck des § 263 StGB in Fällen von Werbeanpreisungen tatsächlich eine teleologische Abweichung erfordern. Wichtig erscheint es daher zum einen, hinsichtlich der Definition des Tatsachenbegriffes prinzipiell auf einen ausreichenden (zumindest vorgespiegelten) Realitätsbezug zu achten. Wie genau dieser zu umschreiben ist, wäre Gegenstand einer eigenen Abhandlung und kann daher in dieser Arbeit nicht geklärt werden. Zum anderen ist es notwendig, das Tatbestandsmerkmal der Täuschung nicht isoliert zu betrachten, sondern den Betrugstatbestand vollständig zu erfassen. Häufig fällt nämlich auf, dass im Bereich der Produktwerbung Sachverhalte, die von der Rechtsprechung nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zu beurteilen waren und bei denen eine wettbewerbsrechtliche Irreführungseignung abgelehnt wurde, in der Literatur als Beleg für die Notwendigkeit der Restriktion bzw. Reduktion des Tatsachenbegriffes des Betrugstatbestandes herangezogen werden.493 Aufgrund der sehr unterschiedlichen Regelungszwecke von Vermögensschutzstrafrecht und Wettbewerbsrecht sind diese Vergleiche ohne eingehende Begründung jedenfalls bedenklich. Die Verkehrsanschauung wird bei unvoreingenommener Betrachtung – trotz deutlicher gradueller Unterschiede – ausdrücklichen Äußerungen wie z. B. »kein Waschmittel wäscht weißer«, »die meistgekaufte Rasierklinge«, »die meistgelesene Illustrierte« oder »die größte und modernste Kaffeerösterei«494 aufgrund ihrer Nachprüfbarkeit die Tatsachenqualität nicht absprechen.495 In Frage 491 Siehe z. B. die Kritik bei Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 165 f.; vgl. auch Thomma, Die Grenzen des Tatsachenbegriffs, 2003, S. 306. 492 So Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 165 f. 493 Vgl. z. B. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 222, 228, 290, 297 f., 304 f. 494 Beispiele entnommen aus Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 304; Hekker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 222. 495 Ähnlich: Nill, Der strafrechtliche Täuschungsschutz gegen irreführende Werbung, 2002,

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kommt daher nur eine teleologische Reduktion des Tatsachenbegriffes. Diese ist jedoch nur dann erforderlich und damit zulässig, wenn der Rechtsanwender Sinn und Zweck einer Norm nur dadurch gerecht werden kann, dass seine Norminterpretation hinter dem eigentlichen Wortlaut zurückbleibt.496 Für den Tatsachenbegriff ist diese Vorgehensweise jedoch nicht erforderlich, da die weiteren Tatbestandsmerkmale des Betruges bereits dazu führen, dass nach Sinn und Zweck des § 263 StGB nicht strafwürdiges Verhalten aus dem Tatbestand ausgeschieden wird. Werbebehauptungen wie die soeben aufgezählten können als objektive Täuschungen angesehen werden, ohne dass dies allein für den Werbetreibenden eine Strafbarkeit wegen Betruges zur Folge hätte. Daher ist kein Raum für eine teleologische Reduktion: Jedenfalls ein normativer Durchschnittsverbraucher erkennt die Unwahrheit aufgrund des offensichtlichen Übertreibungsgehaltes.497 Erwirbt er dennoch den beworbenen Gegenstand, dann nicht aufgrund eines Irrtums, sondern aufgrund anderer Motive. Zwar mag die übertreibende Werbeaussage für die Kaufentscheidung aus emotionalen Gründen mitursächlich gewesen sein, jedoch fehlt es an einem Irrtum über den Wahrheitsgehalt der Aussage. Die Bejahung des Tatbestandsmerkmales der ausdrücklichen Täuschung mit Tatsachen ist für den Werbenden hinsichtlich der Bewertung seines Verhaltens als Betrug bei einem durchschnittlichen Adressaten im Ergebnis somit unschädlich. Es bedarf hier keiner teleologischen Reduktion des Tatsachenbegriffes. Doch wie sieht es nun mit einer Person aus, die der Werbeanpreisung Glauben schenkt, einem Irrtum unterliegt und sich allein aufgrund dieses Irrtums zum Kauf der Ware beispielsweise in einem Supermarkt veranlasst sieht? Diese Person erwirbt ein Waschmittel etc., verfügt somit über ihr Vermögen. Dies tut sie jedoch zu exakt demselben Preis wie alle anderen von der Werbung angesprochenen sich nicht irrenden Verbraucher. Vergleicht man nun den Gesamtwert des Vermögens dieser Person, die dieses Waschmittel zum Marktpreis erworben hat vor und nach der Vermögensverfügung, wird sich kein Schaden feststellen lassen. Die bloß subjektive Bewertung von Leistung und Gegenleistung durch die verfügende Person, die Verfehlung von Affektionsinteressen oder sonstigen rein persönlichen Wertschätzungen sind bei der Feststellung eines Schadens in der Regel unbeachtlich.498 Die Bejahung der Täuschung führt somit wiederum nicht zu einer Betrugsstrafbarkeit des Werbenden. Freilich setzt diese Ansicht voraus, dass Konstruktionen wie die des subjektiven SchadenseinS. 21, der sich allerdings für eine teleologische Reduktion des Tatsachenbegriffes ausspricht. 496 Zippelius, Juristische Methodenlehre, 11. Aufl. 2012, S. 56; Brandenburg, Die teleologische Reduktion, 1983, S. 75. 497 Ebenso: Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 307. 498 Hoyer in SK-StGB, 60. Aufl. 2004, § 263 Rn. 206.

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schlags oder der Zweckverfehlungslehre nicht zu weitgehend befürwortet werden und zumindest im Grundsatz im Gegensatz zu neueren Tendenzen in der Rechtsprechung499 am rein objektiv auszulegenden Schadensbegriff festgehalten wird. Bereits eine Orientierung am Wortlaut »Schaden« legt diese Vorgehensweise jedoch sehr nahe.500 Nun möchte man einwenden, dass durchaus Fälle denkbar sind, in denen man einen Schaden bejahen kann und damit nach der hier vertretenen Auffassung der objektive Tatbestand des § 263 StGB vollständig vorliegt. Auch wenn dies nicht ausgeschlossen ist, so ist doch zu bemerken, dass weitere Voraussetzung einer Betrugsstrafbarkeit der Vorsatz und die Absicht rechtswidriger Bereicherung sind. Diese Voraussetzungen werden regelmäßig bei der Verwendung reißerischer Werbeslogans nicht vorliegen, da der Werbende jedenfalls keinen Schädigungsvorsatz haben wird. Wer es in Bereicherungsabsicht aber zumindest für möglich hält und billigend in Kauf nimmt, dass eine andere Person durch die eigene täuschende Verhaltensweise einem Irrtum unterliegt, der diese Person zu einer vermögensschädigenden Verfügung veranlasst, erscheint jedenfalls bei Zugrundelegung eines restriktiven Schadensbegriffes nicht schutzwürdig. Hiergegen kann auch nicht geltend gemacht werden, das Erfordernis der Leichtigkeit des Wirtschaftsverkehrs werde nicht ausreichend berücksichtigt. Denn seine Grenzen sollte dieses bei der wohlgemerkt vorsätzlichen durch Täuschung verursachten Schädigung anderer, zumeist schwächerer, Mitbürger finden. Eine falsche Aussage über Tatsachen aufgrund ihres nach der Verkehrsanschauung erkennbaren Übertreibungsgehaltes nicht als Täuschung einzustufen, hieße, entweder besonders leichtgläubigen Adressaten den Schutz durch den Betrugstatbestand in Einzelfällen zu versagen oder aber eine wortgleiche Aussage in Abhängigkeit vom jeweiligen konkreten Empfänger der Werbebotschaft einmal als tatbestandsmäßige Täuschung einzustufen und ein anderes Mal nicht. Wäre die Aussage »Kein Waschmittel wäscht weißer« nach der Verkehrsanschauung keine Täuschung und würde jemand einem Menschen mit geistiger Behinderung dieses Waschmittel zu einem völlig überzogenen Preis verkaufen, müsste man diese Aussage entweder in diesem Fall doch als Täuschung einstufen oder aber das Verhalten als tatbestandslos ansehen. Ersteres führt zu zusätzlichen und wie dargelegt unnötigen Unsicherheiten bei der Auslegung des Betrugstatbestandes. Letzeres ist jedenfalls nach der herkömmlichen Betrugsdogmatik nicht gewollt. Daher ist die Aussage »kein Waschmittel wäscht weißer« insgesamt als Täuschung anzusehen. 499 Vgl. hierzu nur die Darstellung bei Hebenstreit in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011, § 59 Rn. 15 ff. 500 Ähnlich: Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 27.

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Unbehagen bereitet die Ablehnung der Eignungskomponente allein denjenigen, die den Begriff der Täuschung nicht zunächst als sozialadäquates und damit wertneutrales Verhalten ansehen, das erst durch weitere Tatbestandsmerkmale zu strafwürdigem Unrecht wird. Führt man sich jedoch vor Augen, dass vermutlich jeder Mensch im Schnitt mehrmals täglich lügt, d. h. vorsätzlich täuscht, sollte die Bewertung einer Täuschung als zunächst neutrales Verhalten jedoch leicht fallen. Die Suggestion unter Zuhilfenahme verzerrter oder falscher Tatsachendarstellungen ist ein gesellschaftlich akzeptiertes Werbemittel der Marktwirtschaft. Der Begriff der Tatsache bedarf einer Auslegung anhand der Verkehrsanschauung somit allein hinsichtlich der objektiven Deutung von Äußerungen. So ist sowohl das Vorliegen einer Tatsache als auch deren Wahrheit an der objektiven Sachlage zu messen.501 Für Äußerungen wie »kein Waschmittel wäscht weißer« gibt es unabhängig von der konkreten Situation nach der Verkehrsanschauung nur eine Deutungsmöglichkeit: Es wird behauptet, dass auf dem Markt derzeit kein Waschmittel verfügbar sei, das weißer wasche. Wenn dies nicht der Wahrheit entspricht, handelt es sich um eine Täuschung. Schwieriger ist die Beurteilung des Bedeutungsgehalts einer Aussage wie »Red Bull verleiht Flügel«. Nach der Verkehrsanschauung kann die Aussage »Flügel verleihen« für sich genommen zwei unterschiedliche Bedeutungen haben. Zum einen kann gemeint sein, dass einem Menschen nach dem Konsum des Getränkes tatsächlich Flügel wachsen. Zum anderen kann aber auch im übertragenen Sinn gemeint sein, dass ein Mensch sich nach dem Konsum des Getränkes besonders beschwingt fühlt. Der genaue objektive Bedeutungsgehalt einer solchen Behauptung lässt sich daher nur unter Berücksichtigung der konkreten Umstände beurteilen. Richtet sich die Äußerung etwa als Werbeslogan im Fernsehen an alle Zuschauer, geht es nach der Verkehrsanschauung um das Beschwingtsein. Wird das Getränk hingegen einer psychisch kranken und besonders leichtgläubigen Person mit der Bemerkung angeboten, das Getränk verleihe Flügel und hat die Person zuvor geäußert, hinfort fliegen zu wollen, wird auch nach der Verkehrsanschauung das tatsächliche Flügel-Wachsen gemeint sein.502 Hiermit ist – im Gegensatz zu der Rolle der Verkehrsanschauung bei der konkludenten Täuschung – keine Einführung eines Eignungselementes verbunden503, da allein auf die objektive Sachlage abgestellt wird. Für diese Sichtweise streitet im Übrigen, dass in denjenigen Strafnormen, die Täuschungen im Vorfeld von Irrtum und Schaden sanktionieren, die Erheblichkeit als Eignungselement ausdrücklich Tatbestandsmerkmal ist, vgl. §§ 264, 264a, 265b 501 Ausführlicher zur objektiven Wahrheit: Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 251. 502 Siehe dazu auch unten Teil 3, 2. Abschnitt II. B. 503 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 27.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

StGB. Hätte der Gesetzgeber auch für § 263 StGB ein Eignungselement gewollt, hätte er dies regeln können. Bereits eingangs wurde vermutet, dass verschiedene Minderheitsauffassungen, die auf unterschiedlichste Weise vermehrt an die Selbstverantwortung des Einzelnen appellieren, besser mit dem Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu vereinbaren sein könnten, als die soeben herausgearbeitete Auslegung des § 263 StGB auf der jedenfalls grundsätzlichen Linie der herrschenden Meinung. Die Möglichkeiten einer restriktiven Auslegung des Betrugstatbestandes sind daher im Folgenden zu untersuchen, obwohl ihnen aus nationalstaatlicher Perspektive gegenüber der herrschenden Meinung nicht der Vorzug zu geben ist.

II.

Ältere und neuere Tendenzen zur restriktiven Auslegung des Betrugstatbestandes

Tendenzen zur restriktiven Auslegung des Betrugstatbestandes gibt es bereits seit längerer Zeit. Die verschiedenen Lehren setzen entweder bei der Täuschung, beim Irrtum, beim Schaden504 oder beim Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum an. Zur Täuschung bzw. zum Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum existieren zwei größere Richtungen: Nach einer neueren Sichtweise sollen nur solche Verhaltensweisen tatbestandsmäßig sein, die einen Anspruch des Opfers auf Wahrheit verletzen. In eine ähnliche Richtung gehen neuere Ansätze, die eine allgemeine Abgrenzung nach Verantwortungsbereichen vornehmen möchten und nicht mehr nach den drei Tatvarianten differenzieren. Bereits länger plädiert wird für eine Restriktion des Betrugstatbestandes bei leicht zu durchschauenden Verhaltensweisen bzw. bei sonst nach dem sogenannten Verantwortungsprinzip durch das Opfer zu tragenden Risiken. A.

Die Täuschungshandlung als Verletzung von Wahrheitspflichten

Nach einem neueren Ansatz soll ein Irrtum des Opfers dem Täter nur dann zuzurechnen sein, wenn dieser mit der Täuschungshandlung dessen Anspruch auf Wahrheit verletzt habe.505 Hintergrund ist die Idee einer freiheitssichernden Funktion des Betrugstatbestandes und die Erkenntnis der Unzulänglichkeit einer rein faktischen Auslegung des § 263 StGB. Dieser Tatbestand bezwecke 504 Das Tatbestandsmerkmal des Schadens soll zunächst außer Betracht bleiben. 505 Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 65 ff.; Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 398 ff.; Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 60 ff.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

133

nicht – wie nach herrschender Auffassung506 – allein den Schutz des Vermögens, sondern auch der Dispositionsfreiheit als Bestandteil des Vermögensbegriffes.507 Teilweise wird der Fokus auch vollständig auf die Freiheit der Person, über ihr Vermögen zu verfügen, gelegt.508 Die Frage nach der objektiven Zurechnung des Irrtums des Opfers509 bzw. in deren besonderer Ausprägung die Eigenschaft des Betruges als Delikt mit vertypter mittelbarer Täterschaft510 müsse Ausgangspunkt jeder weiteren Überlegung sein. Eine betrugsrelevante Täuschung liege somit nicht bereits bei jeder unwahren Tatsachenaussage vor, sondern erst dann, wenn der Täter seinen Handlungsspielraum unerlaubt zu Lasten des Getäuschten erweitere, indem er einen Wahrheitsanspruch des Getäuschten verletze. Eine Zurechnung des Irrtums und der daraus resultierenden selbstschädigenden Vermögensverfügung des Opfers erfolge aufgrund der normativen Zuständigkeit des Täters.511 Die Zuständigkeitskriterien werden unterschiedlich festgelegt. Pawlik rekurriert auf strafrechtsautonome, betrugsrelevante Garantenstellungen.512 Kindhäuser hingegen bestimmt die betrugsrelevanten Diskrepanzen zwischen der berechtigten Erwartung des Getäuschten und der tatsächlichen Informationsleistung anhand der »üblichen Auslegungsregeln« aus der Perspektive eines objektiven Dritten in Abhängigkeit von den Umständen des Einzelfalles.513 Ergeben könnten sich Wahrheitspflichten hiernach kraft Gesetzes oder Institution oder aber aufgrund der Inanspruchnahme von Vertrauen.514 Diese Auslegungsversuche sind aufgrund ihrer fehlenden Notwendigkeit und Verankerung im Betrugstatbestand abzulehnen.515 Es folgt nicht erst aus außerstrafrechtlich begründeten Wahrheitspflichten, sondern unmittelbar aus der Norm des § 263 StGB selbst, dass der Täter für selbstschädigende Vermögens506 BGHSt 16, 220 (221); Arzt in Arzt/Weber/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 1; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, Rn. 3; Lackner/Kühl, StGB, 27. Aufl. 2011, § 263 Rn. 2; Cramer/ Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 1/2. 507 Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14 f.: Dispositionsfreiheit und Vermögen seien keine separaten Rechtsgüter des Betruges, sondern die Dispositionsfreiheit gehöre zu den definierenden Merkmalen des Vermögensbegriffs. Anders noch: Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 398, (399). 508 Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 105. 509 Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 4. 510 Kindhäuser, Festschrift für G. Bemmann, 1997, 339 (351); Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 60. 511 Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 74; Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 63 ff. 512 Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 77 f. 513 Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 61. 514 Kindhäuser, ZStW 103 (1991), 398 (404). 515 Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 96 f.; Kargl, Festschrift für K. Lüderssen, 2002, 613 (614); Hoyer in SK-StGB, 60. Lfg. 2004, § 263 Rn. 5.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

verfügungen des Opfers, die es aufgrund der mittels Täuschung bewirkten Irrtumserregung getroffen hat, einstehen muss.516 Außerdem müsste eine zwingende Akzessorietät zu zivilrechtlichen Wahrheitspflichten – wie von Kindhäuser postuliert – erst begründet werden.517 Letztlich wird durch die Sichtweisen Pawliks und Kindhäusers die Problematik der Grenzen betrugsrelevanten Verhaltens nur von den im Tatbestand verankerten Begriffen von Täuschung, Irrtum und Schaden auf den Begriff der Wahrheitspflicht verlagert, da nicht konturenscharf festgelegt werden kann, anhand welcher Maßstäbe diese Wahrheitspflichten zu bestimmen sind.518 Bereits nach der herrschenden Auffassung ist der Täuschungsbegriff von Normativität geprägt.519 Insbesondere hinsichtlich der konkludenten Täuschung, bei der nach der herrschenden Meinung die Verkehrsanschauung maßgebliches Kriterium ist, zeigt sich, dass die Auffassungen Pawliks und Kindhäusers gegenüber den herkömmlichen keinen weiteren Erkenntnisgewinn bringen, sondern diese nur bestätigen. Dies erklärt sich dadurch, dass die Wortwahl zur Bestimmung einer Wahrheitspflicht nahezu identisch zu derjenigen hinsichtlich der Konkretisierung der Verkehrsanschauung ist. Gewählt werden Kriterien der objektiven Zurechnung, der Verteilung des Informationsrisikos »nach üblichen Auslegungsregeln«, der Zuständigkeit und des berechtigten Vertrauens. Anhand der Bemühungen von Pawlik und Kindhäuser wird allerdings sehr deutlich, dass ihnen insoweit zuzustimmen ist, als eine sachgerechte Auslegung des § 263 StGB häufig nicht ohne normative Kriterien erfolgen kann, d. h. die Verantwortlichkeit des Täters für einen beim Getäuschten eingetretenen Vermögensschaden – jedenfalls in Grenzfällen – nicht ohne eine wertende Betrachtungsweise ermittelt werden kann.

B.

Restriktion des Betrugstatbestandes über Verantwortungsbereiche

In der neueren Literatur wird teilweise versucht, über die Schaffung von Verantwortungsbereichen von Täter und Opfer eine restriktive Auslegung des Betrugstatbestandes zu erreichen. Exemplarisch zu nennen sind die Konzeptionen Wittigs520 und Gaugers521. Nach Wittig ist die Abgrenzung der verschiedenen Täuschungsalternativen durch eine allgemeine Abgrenzung der Verantwor516 Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, 74. 517 Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 248. 518 Gössel, Strafrecht BT 2, 1996, § 21 Rn. 2; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 5a f., 8. 519 Kargl, Festschrift für K. Lüderssen, 2002, 613 (617 f.); ausführlich oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. A., B. 520 Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 381 ff. 521 Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 205, 220 ff.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

135

tungsbereiche von Täter und Opfer zu ersetzen. Ein Betrug soll nur dann möglich sein, wenn dem Opfer die Sorge um die Informationsbeschaffung abgenommen ist, die zur Wahrung seiner Vermögensinteressen erforderlich ist. Sie bildet einzelne Fallgruppen, auf die dies zutreffen soll. Gauger möchte die Verantwortungszuständigkeit für einen Irrtum des Opfers über einen einheitlichen Haftungsgrund in Form von Garantenpflichten begründen. Der Täter müsse nämlich eine Gefahrlage für fremdes Vermögen geschaffen haben, die über das von jedermann zu tragende allgemeine Lebensrisiko hinausgehe und sich nicht als Verwirklichung des vom Opfer selbst geschaffenen Sonderrisikos darstelle.522 Hinsichtlich dieser beiden Konzeptionen gelten inhaltlich die gleichen Einwände wie zu den Ansätzen, die auf eine Wahrheitspflicht abstellen. Im Ergebnis werden die Probleme, die mit der Auslegung der Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB verbunden sind, nur auf die Ebene der Verantwortungszuständigkeit verlagert.523 Ob eine solche Verantwortungszuständigkeit im Einzelfall vorliegt, wird sowohl von Wittig als auch von Gauger anhand einer Abwägung entschieden. Dies kann bereits deshalb nicht überzeugen, weil die entwickelten Abwägungsmodelle nicht präziser sind als diejenigen der herrschenden Meinung.524 Wann genau die Sorge um die Informationsbeschaffung dem Opfer abgenommen ist oder ab wann die durch den Täter geschaffene Gefahrlage über das allgemeine Lebensrisiko hinausgeht, lässt sich abstrakt nicht für jeden Einzelfall gültig weiter definieren und ist daher sehr ungenau. Relevant wird hier letztlich wieder, wie die Verkehrsanschauung das in Frage stehende Verhalten einstuft. Weiterhin bestehen keine überzeugenden Gründe dafür, die herkömmliche Unterscheidung der drei Täuschungsvarianten aufzugeben. Zum einen ist im Wortlaut des § 263 StGB – wenn auch etwas unglücklich formuliert – gerade angelegt, dass es Täuschungshandlungen verschiedener Art gibt. Zum anderen ermöglicht die Einordnung einer Verhaltensweise als ausdrückliche oder konkludente Täuschung oder aber als Täuschung durch Unterlassen eine strukturiertere Ermittlung der einzelfallabhängigen faktischen und normativen Anforderungen, die an ein Verhalten gestellt werden müssen, um es als Täuschung zu qualifizieren. So gesteht auch Wittig ein, dass eine ausdrückliche Täuschung in aller Regel unter § 263 StGB zu subsumieren sei.525 Weshalb dies nicht an der Handlungsform liegen soll, bleibt unklar. Denn dass eine »strafrechtliche Missbilligung«526 des Täterverhaltens entsteht, ohne dass diese Einschätzung auf umfangreiche normative Überlegungen gestützt werden muss,

522 523 524 525 526

Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 205, 220 ff. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 5a. Zu Wittig: Pawlik, GA 2006, 540 (542). Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 382 ff. Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 384.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

liegt ja gerade daran, dass der Täter aktiv ausdrücklich nach der Verkehrsauffassung eine unwahre Tatsachenbehauptung aufstellt. C.

Restriktion des Betrugstatbestandes durch einschränkende Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale

Zur Ausscheidung bestimmter, meist leicht zu durchschauender, Verhaltensweisen aus dem Betrugstatbestand werden teilweise aber auch erhöhte Anforderungen an den Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum gestellt. Andere fordern eine teleologische Reduktion527 des Täuschungsbegriffes bzw. des Betrugstatbestandes insgesamt. Generell sind alle diese Eingrenzungsversuche bestrebt, den Kriterien der Eigenverantwortlichkeit und der Subsidiarität des strafrechtlichen Vermögensschutzes eine stärkere Bedeutung zu geben als es die herrschende Meinung praktiziert.528 1.

Restriktion durch erhöhte Anforderungen an den Zusammenhang zwischen Täuschung und Irrtum Diskutiert wird eine Einschränkung des Opferschutzes über den Kausalzusammenhang sowie über die objektive Zurechnung. Naucke bewerkstelligt seine Forderung nach einer erhöhten Eigenzuständigkeit des Einzelnen für den Schutz seines Vermögens529 durch eine Eingrenzung des Betrugstatbestandes auf der Ebene des Kausalzusammenhanges zwischen Täuschung und Irrtum. Ein reiner Bedingungszusammenhang sei nicht ausreichend; vielmehr sei ein adäquater Zusammenhang im Sinne einer allgemeinen Eignung zur Täuschung zu fordern.530 Fälle, in denen die Täuschung »schwach, leicht zu bewerkstelligen oder einfach zu entdecken war«, könnten so aus dem Tatbestand ausgeschieden werden. Die Täuschungseignung sei anhand eines normativen Verfahrens zu ermitteln. Hierbei sei ein wesentlicher Gesichtspunkt, ob das Opfer für seine Täuschungsanfälligkeit selbst einzustehen habe, was beispielsweise bei Kindern oder Geisteskranken nicht der Fall sei. Unabhängig von der Frage, ob eine generelle Ausscheidung bestimmter Verhaltensweisen aus dem Betrugstatbestand sinnvoll und erwünscht sein kann, muss Naucke bereits im Ansatz widersprochen werden. Der Kausalzusammenhang legt nach der conditio-sine-qua-non Formel fest, dass eine Handlung nur dann tatbestandsmäßig sein kann, wenn sie sich als eine Bedingung darstellt, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten 527 Teilweise auch nur als restriktive Auslegung bezeichnet. In dieser Arbeit wird jedoch davon ausgegangen, dass es sich um teleologische Reduktionen handelt. 528 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 275. 529 Naucke, Festschrift für K. Peters, 1975, S. 109 (116). 530 Naucke, Festschrift für K. Peters, 1975, S. 109 (118).

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

137

Gestalt entfiele.531 Nach der Lehre von der gesetzmäßigen Bedingung ist ein Verhalten dann Ursache eines Erfolges, wenn dieser Erfolg mit dem Verhalten durch eine Reihe von Veränderungen gesetzmäßig verbunden ist.532 Beim Betrug stellt sich die Problematik, dass die Kausalität aufgrund des Tatbestandsmerkmals des Irrtums immer psychisch vermittelt ist. Unter der Annahme, dass menschliche Handlungen nicht vollständig determiniert sind, erweist sich das in den zitierten Formeln zum Ausdruck kommende rein deterministische Kausalitätsverständnis deshalb zwar als ungeeignet. Dennoch kann grundsätzlich jede menschliche Verhaltensweise von der Außenwelt beeinflusst sein, sodass auch feststellbar sein muss, ob eine Beeinflussung durch den potentiellen Betrugstäter erfolgte und zum Irrtum des Opfers führte.533 Anhand welcher Kriterien diese Beeinflussung zu ermitteln ist, soll in dieser Arbeit nicht entschieden werden. Jedenfalls ist der Kausalzusammenhang dem Allgemeinen Teil des Strafrechts zuzuordnen und muss daher auch für Delikte, bei denen psychische Zustände oder menschliche Handlungen Dritter zum tatbestandlichen Erfolg gehören, allgemeingültig bestimmt werden.534 Es ist nicht schlüssig, ihm unter Verwendung des identischen Begriffs »Kausalzusammenhang« für einen einzelnen Tatbestand des Besonderen Teils – nämlich für den Betrug – einen anderen Inhalt beizumessen. Fordert man für den Betrugstatbestand einen engeren Zusammenhang als den üblichen schlichten Kausalzusammenhang, müsste hierfür zur Vermeidung von Verwechselungen eine andere Begrifflichkeit geschaffen werden. Selbst wenn man mit einer früheren Auffassung die Adäquanz des Kausalzusammenhangs fordert,535 ergibt sich nichts anderes. Denn Naucke legt dem Begriff der Adäquanz einen anderen Inhalt zugrunde als die Anhänger der Lehre vom adäquaten Zusammenhang bei anderen Delikten; gerade leicht zu durchschauende Täuschungen sind häufig Gegenstand betrügerischer Verhaltensweisen, die – wie die Realität zeigt – durchaus geeignet sind, Irrtümer zu bewirken.536 Stimmt man Nauckes Lehre inhaltlich zu, könnte es daher möglicherweise konsistenter sein, die Problematik bei der objektiven Zurechnung zu verorten, da diese selbst normative Erwägung ist.537 Diesen Weg schlagen die von Naucke betreute Arbeit Kurths sowie die Arbeit Harborts ein. Danach sei im Wege einer normativen Betrachtung unter Rekurs Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl. 2012, § 4 Rn. 9 ff. Kühl, Strafrecht AT, 7. Aufl. 2012, § 4 Rn. 22. Schulz, Festschrift für K. Lackner, 1987, S. 39 (45). Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 99. Z.B.: Bockelmann/Volk, Strafrecht AT, 4. Aufl. 1987, S. 64 f.; v. Hippel, Deutsches Strafrecht, Band 2, 1930, S. 147 ff.; siehe dazu auch Maurach/Zipf, Strafrecht AT/1, 8. Aufl. 1992, § 18 II Rn. 30 ff. 536 Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 87, 147. 537 Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 35 f.

531 532 533 534 535

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

auf den Schutzzweck der Norm der Schutzbereich des Betrugstatbestandes über das Kriterium der objektiven Zurechnung einzuschränken, wenn ein Mitverschulden des Opfers vorliege.538 Grund hierfür sei der fragmentarische und subsidiäre Charakter des strafrechtlichen Vermögensschutzes.539 Dort, wo es ausreichende Möglichkeiten gebe, sich selbst zu schützen, bedürfe es des Strafrechts nicht. Gleichzeitig erkennt Kurth die Gefahr, die für besonders schutzwürdige Personenkreise von einer solchen Restriktion des Betrugstatbestandes ausgeht und fordert eine Beschränkung der Zurechnungslimitierung auf bestimmte Fallgruppen, wie z. B. »Fälle der Bequemlichkeit«.540 Harbort möchte der Problematik besonders schutzwürdiger Personenkreise Rechnung tragen, indem Voraussetzung für eine Berücksichtigung der Opfermitverantwortung sei, dass das Opfer objektiv zumindest leichtfertig handelt und zusätzlich subjektiv die Risiken seiner Handlung ausreichend überblickt.541 Doch auch gegen eine Berücksichtigung der Opfermitverantwortung über das Kriterium der objektiven Zurechnung müssen Bedenken hervorgebracht werden. Ein Erfolg ist einer Person dann objektiv zurechenbar, wenn diese eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen hat, die sich in einem Erfolg realisiert hat.542 Daran, dass sich auch die Gefahr einer leicht zu durchschauenden Täuschung im konkreten Erfolg realisiert, besteht kein Zweifel. Deshalb könnte es nur an der rechtlichen Missbilligung fehlen. Eine Antwort darauf, weshalb eine leicht zu durchschauende Täuschung im Gegensatz zu einer komplexeren Täuschung aufgrund des fragmentarischen Charakters des Strafrechts nicht rechtlich zu missbilligen sein soll, bleiben die Verfasser aber schuldig. Nicht schlüssig erscheint die Annahme, ein Verhalten sei allgemein dann nicht mehr strafbedürftig, wenn sich das Opfer selbst schützen könnte. Folge wäre eine Gesellschaft des Misstrauens.543 Viel streitet daher dafür anzunehmen, dass das Vorliegen einer Täuschung deren rechtliche Missbilligung impliziert.544 Der Eintritt der normtypischen Gefahr einer irrtumsbedingten Selbstschädigung ist nicht von der Intensität einer Täuschung abhängig.545 Ferner ist zumindest fraglich, ob die betrugsspezifische Problematik des leichtgläubig irrenden Op-

538 Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 52; Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984, S. 169, 183 ff., 192. 539 Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984, S. 177 ff. 540 Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984, S. 180, 192, 195. 541 Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 58 ff. 542 Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 11 Rn. 47. 543 Roxin, Strafrecht AT 1, 4. Aufl. 2006, § 14 Rn. 21. 544 Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes, 2002, S. 161; Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 67 f.; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 162. 545 Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 101.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

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fers, die aus dem Charakter des § 263 StGB als Selbstschädigungsdelikt folgt, über ein Auslegungsinstrument des Allgemeinen Teils gelöst werden sollte.546 2.

Teleologische Reduktion des Täuschungsbegriffes bzw. des Betrugstatbestandes insgesamt Aufgrund der soeben aufgezeigten erheblichen Schwierigkeiten, die mit einer Implementierung viktimodogmatischer Bestrebungen in die Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB verbunden sind, findet sich unter den Befürwortern einer Begrenzung des Opferschutzes vermehrt die Auffassung, dass dieses Ziel am besten über eine teleologische Reduktion entweder des Täuschungsbegriffes oder aber des Betrugstatbestandes insgesamt zu erreichen sei. Diese ermögliche es, Täter- und Opferperspektive gleichermaßen zu berücksichtigen.547 Das Recht sei geprägt von dem Prinzip der Eigenverantwortung und des berechtigten Vertrauens; nicht jedes Vertrauen sei schützenswert.548 Daher sei nur die listige, schwer durchschaubare Täuschung eine geeignete Tathandlung des Betruges.549 Dies gelte jedoch nicht hinsichtlich besonders schutzwürdiger Personengruppen.550 Nach Ellmer sind solche Täuschungshandlungen, die allein aufgrund grober Fahrlässigkeit des Opfers einen Irrtum erregen können, nicht nach § 263 StGB tatbestandsmäßig, da es in diesen Fällen an dem erforderlichen Grad konkreter Gefährlichkeit fehle.551 Das Opfer habe nicht berechtigt vertrauen dürfen, da der Irrtum vermeidbar gewesen sei.552 Anzulegen sei ein subjektiver Maßstab.553 Nach Hennings ist ein Betrug abzulehnen, wenn das Opfer bewusst gegen seine eigenen Interessen handelt und außerdem nicht besonders schutzbedürftig ist.554 546 Wittig, Das tatbestandsmäßige Verhalten des Betrugs, 2005, S. 323; Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes, 2002, S. 161; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 161. 547 Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes, 2002, S. 192; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 273, 298; Arzt, MschrKrim 67 (1984), 105 (113), der seine Konzeption jedoch für gescheitert erklärt: Arzt in Arzt/Weber/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 6. 548 Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes, 2002, S. 181 ff., 186 ff.; Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 278, 298; Arzt, MschrKrim 67 (1984), 105 (113). 549 Arzt, MschrKrim 67 (1984), 105 (112). 550 Arzt in Arzt/Weber/Hilgendorf, Strafrecht BT, 2. Aufl. 2009, § 20 Rn. 49a. 551 Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 287; vgl. auch Hilgendorf, Tatsachenaussagen und Werturteile im Strafrecht, 1998, S. 187, 200 f., der den Maßstab subjektiver grober Fahrlässigkeit bei besonders schutzwürdigen Opfern anlegen will. 552 Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 281 f. 553 Ellmer, Betrug und Opfermitverantwortung, 1986, S. 283. 554 Hennings, Teleologische Reduktion des Betrugstatbestandes, 2002, S. 191.

140

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Der Vorschlag, die Bejahung einer Täuschung bzw. des Betrugstatbestandes insgesamt von der Frage abhängig zu machen, ob das Opfer sich grob fahrlässig irrte bzw. bewusst gegen seine eigenen Interessen handelte, ist jedoch ebenfalls grundsätzlich abzulehnen. Er vermischt das Tatbestandsmerkmal der Täuschung mit dem des Irrtums.555 Schließlich fällt die Täuschungshandlung allein in den Einflussbereich des Täters. Der Irrtum jedoch gehört der Sphäre des Opfers an. Der Gesetzgeber hätte Fälle des unberechtigten Vertrauens aus dem Tatbestand herausnehmen können. Stattdessen hat sich der Gesetzgeber des Preußischen Strafgesetzbuchs bewusst dafür entschieden, auch leichtgläubige Opfer in den strafrechtlichen Schutz einzubeziehen;556 die heutige Fassung des Betrugstatbestandes basiert auf der damaligen.557 Die teleologische Reduktion ist zwar grundsätzlich auch im Strafrecht verfassungsrechtlich legitim, dient in der hiesigen Konstellation aber nicht der Auslegung anhand des gesetzgeberischen Willens, sondern der Umsetzung eigener rechtspolitischer Überzeugungen.558 Überzeugend lässt sich nämlich ebenfalls argumentieren, dass gerade die Täuschung leichtgläubiger Opfer vom Schutzbereich des § 263 StGB erfasst sein müsse, da ansonsten denjenigen Tätern, die bewusst leichtgläubige und daher besonders schutzwürdige Opfer auswählen, Tür und Tor geöffnet wären. Die Methode dieser Täter, nämlich einen Vermögensschaden durch Täuschung herbeizuführen, wäre die gleiche.559 Für alle Formen der Eingrenzung des Betrugstatbestandes gilt: Jenseits des Wortlautes des § 263 StGB werden allgemeine Prinzipien etabliert.560 Auch leicht zu erfüllende Schutzmaßnahmen schränken jedoch die Handlungsfreiheit sowie die Leichtigkeit des Geschäftsverkehrs rechtstreuer Bürger ein. Es gibt aber keinen überzeugenden Grund dafür, die Handlungsfreiheit des Täuschenden in diesen Fällen zu Lasten der Handlungsfreiheit der rechtstreuen Bürger zu erweitern.561 Auch das Argument, ein zu weitgehender Opferschutz führe zu einer staatlich geförderten Leichtgläubigkeit seiner Bürger,562 verfängt nicht. Denn niemand wird ein für ihn möglicherweise nachteiliges Geschäft allein deshalb abschließen, weil er darauf vertraut, über die Mittel des Strafrechts einen ein-

555 Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 29; Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 227. 556 Goltdammer, Die Materialien zum Strafgesetzbuche für die Preußischen Staaten, Theil II, 1852, S. 544 f. 557 Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 69 m.w.N. 558 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 276. 559 So Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 225, 227; Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 70. 560 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 275. 561 Roxin, Strafrecht AT I, 4. Aufl. 2006, § 14 Rn. 21. 562 So z. B. Naucke, Festschrift für K. Peters, 1975, S. 109 (114 f.).

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

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getretenen Schaden wieder ausgleichen zu können.563 Hieran wird auch ein möglicherweise bestehendes Vertrauen auf eine abschreckende Wirkung des Strafrechts nichts ändern, denn ein solches Vertrauen ist in vielen Fällen zu abstrakt und grundsätzlich, um in der konkreten Interaktion mit dem Täter konkretes Vertrauen in dessen Verhaltensweisen zu schaffen. Hinzu kommt, dass das Prinzip der Subsidiarität des Strafrechts nur besagt, dass das Strafrecht gegenüber allen anderen staatlichen, ebenso erfolgversprechenden Mitteln zurückzutreten hat. Es gilt hingegen nicht gegenüber Selbstschutzmaßnahmen des Bürgers.564 Von allen viktimodogmatischen Ansätzen ist der Versuch einer Einschränkung über das Kriterium der objektiven Zurechnung am plausibelsten. Denn er bekennt sich offen dazu, dass eine Berücksichtigung des Opfermitverschuldens im Wortlaut des § 263 StGB eigentlich nicht angelegt ist. Trotz aller Skepsis und berechtigten Einwände soll dieser Auslegungsvorschlag im Blick behalten werden. Sollte es nicht möglich sein, die dogmatisch überzeugendere herrschende nationale Betrugsauslegung mit dem unionsrechtlichen Verbraucherleitbild zu vereinbaren, könnte dieser Ansatz der Ausgangspunkt für eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 263 StGB sein. Die unionsrechtskonforme Auslegung des § 263 StGB auf der Linie der herrschenden Meinung wäre aufgrund ihrer aus nationaler Sicht im Grundsatz überzeugenderen Vorgehensweise und daraus folgend höheren innerstaatlichen Akzeptanz jedoch zu bevorzugen.

III.

Zusammenfassung: Die aktive Täuschung

Für den weiteren Verlauf der Untersuchung werden die im Folgenden zusammengetragenen Ergebnisse zugrunde gelegt: Es existieren zwei Strömungen zur Bestimmung einer aktiven Täuschung. Die einen fordern eine restriktive Auslegung, die anderen einen umfassenden Opferschutz. Im Wortlaut des § 263 StGB ist eine restriktive Handhabung des Betrugstatbestandes nicht angelegt. Allein die kriminalpolitische Überzeugung, die Betrugsstrafbarkeit sei restriktiv zu handhaben, reicht zur Durchsetzung von Restriktionstendenzen nicht aus. Überzeugende Argumente fehlen. Daher wird mit der herrschenden Meinung ein weitreichender Schutz durch den Betrugstatbestand befürwortet. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn das unionsrechtliche Verbraucherleitbild mit der herkömmlichen deutschen Betrugsdogmatik nicht zu vereinbaren sein

563 Krack, List als Straftatbestandsmerkmal, 1994, S. 66. 564 Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 79 f., 225 f.; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 175, 176 ff.

142

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

sollte. In diesem Fall ist der ehrlichste Weg einer teleologischen Reduktion der Täuschungshandlung zu beschreiten. Die aktive Täuschung über Tatsachen kann sowohl ausdrücklich als auch konkludent erfolgen. Voraussetzung hierfür ist, dass ein Verhalten mit Erklärungswert vorliegt. Auslegungsmaßstab ist die Verkehrsanschauung. Hinsichtlich des Tatsachenbegriffes sowie der ausdrücklichen Täuschung insgesamt ist Bestrebungen zur Einführung eines Eignungselements über den Begriff der Verkehrsanschauung eine Absage zu erteilen. Dagegen ist die konkludente Täuschung stärker normativiert, sodass mit ihrer Ausrichtung an der Verkehrsauffassung die Anerkennung eines Eignungselements verbunden ist. Denn im Gegensatz zur ausdrücklichen, muss bei der konkludenten Täuschung keine Äußerung, sondern ein Verhalten interpretiert werden. Der Maßstab der Verkehrsanschauung dient hier als Werkzeug für die Deutung von Interaktionen des Menschen mit seiner Umwelt. Die Verkehrsanschauung ist ein stark normativ geprägter Begriff. Auf den Bedeutungsgehalt einer Verhaltensweise kann nämlich nur mittels normativer Kriterien geschlossen werden, die dem gesellschaftlichen Wandel unterliegen. Aufgrund ihres Bezuges zur Gesellschaft knüpfen diese Kriterien immer an tatsächliche Gegebenheiten an. Je genauer die tatsächlichen Gegebenheiten eines Sachverhaltes der Auslegung zugrunde gelegt werden, desto fundierter kann die normative Beurteilung einer Verhaltensweise erfolgen. Eine rein normative Auslegung ohne Anknüpfung an tatsächliche Gegebenheiten ist abzulehnen, da sie die Gefahr birgt, ohne Rücksicht auf gesellschaftliche Entwicklungen Wertungssysteme zu schaffen, die aufgrund ihrer in sich schlüssigen Maßstäbe gegen Kritik von außen immun sind. Eine Entscheidung zwischen den in der Literatur als faktisch-normativ und rein normativ bezeichneten Betrachtungsweisen ist dennoch nicht zu treffen, da sie beide tatsächliche und normative Gegebenheiten berücksichtigen und somit inhaltlich identisch sind. Die normative Beurteilung richtet sich nach dem objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles. Hinsichtlich der Untersuchung des Gesamtverhaltens des Täters kommt der Pflichten- und Risikoverteilung des jeweils zugrundeliegenden Geschäftstyps eine maßgebende Bedeutung zu. Erste Voraussetzung einer Zuschreibung der Verantwortlichkeit an den Täter ist jedoch seine tatsächliche Informationsherrschaft. Liegt diese vor, ist sowohl faktisch als auch normativ zu bestimmen, bei welchem Beteiligten jeweils das Orientierungsrisiko lag bzw. wie deren Verantwortungsbereiche voneinander abzugrenzen sind. Hierbei kommt dem außerstrafrechtlichen, insbesondere dem zivilrechtlichen Regelungsgefüge eine starke indizielle Bedeutung zu. Die tatsächliche Relevanz dieses Regelungsgefüges ist aber immer am Sinn und Zweck des strafrechtlichen Täuschungsmerkmals zu messen. Dort, wo keine oder nur unzureichende außerstrafrechtliche Kategorien existieren,

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

143

bewertet das Strafrecht vollständig autonom. Hierdurch trägt es zu einer Prägung neuer Verkehrsanschauungen bei und wirkt auf andere Rechtsgebiete ein. Dieses Wechselspiel hat positive Auswirkungen auf das Postulat nach der Einheit der Rechtsordnung. Diejenigen Literaturmeinungen, die eine von dem Begriff der Verkehrsanschauung gelöste, eigenständige Auslegung einfordern, können nicht überzeugen. Denn sie schaffen nur neue unbestimmte Rechtsbegriffe, die gegenüber dem besser austarierten Begriff der Verkehrsanschauung keine Vorteile bringen. Jedoch lassen sich deren Erkenntnisse gut in das bestehende System integrieren. So können Gesichtspunkte des berechtigten Vertrauens sowie das Bestehen von Verkehrssicherungspflichten bei der Beurteilung des Orientierungsrisikos der Geschäftspartner eine tragende Rolle spielen. Als letzter Prüfungsschritt ist zu fragen, ob das gefundene Ergebnis mit einem Minimum an Redlichkeit im Geschäftsverkehr vereinbar ist. Denn dieses Kriterium stellt die Grenze der Möglichkeiten individuell-vertraglich ausgestalteter Risikoverteilungen dar. Insgesamt hat die bisherige Untersuchung zur Bestimmung des Begriffes der Täuschung in § 263 StGB gezeigt, dass eine genaue Grenzziehung zwischen betrügerischen Verhaltensweisen und erlaubter Geschäftstätigkeit abstrakt nicht gefunden werden kann, sondern immer von einer einzelfallbezogenen Auslegung abhängig ist. Trotz aller Bemühungen existiert somit notgedrungen eine breit gefächerte Kasuistik an Einzelfallentscheidungen. Zuzustimmen ist Cramer/Perron: »Eine weitergehende Präzisierung der Abgrenzung von (konkludentem) Tun und Unterlassen, welche zugleich zur Entscheidung verschiedenartiger Sachverhalte in der Lage ist, erscheint wegen der Natur der Sache unmöglich.«565

Mangels überzeugender Alternativen wird an der Verkehrsauffassung als grundsätzlich maßgeblichem Kriterium der Auslegung festgehalten.

IV.

Die Täuschung durch Unterlassen

Nach herrschender Meinung ist eine Täuschung nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen möglich, sofern eine relevante Garantenstellung des Täters besteht.566 Teilweise wird die Möglichkeit einer Täuschung durch Unterlassen jedoch abgelehnt.567 Der historische (preußische) Gesetzgeber habe 565 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15; im Ergebnis ebenso: Vogel in Gedächtnisschrift für R. Keller, 2003, 313 (324). 566 BGHSt 39, 392, 397 ff.; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 35. Aufl. 2012, Rn. 503; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 38; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 135. 567 Herzberg, Die Unterlassung im Strafrecht und das Garantenprinzip, 1972, S. 74; Naucke,

144

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

eine Betrugsstrafbarkeit durch Unterlassen nicht gewollt.568 Weiterhin könne bei einem reinen Unterlassen keine Bereicherungsabsicht vorliegen; ein zielgerichteter Wille des Unterlassungstäters auf Herbeiführung des tatbestandlichen Erfolges sei von vornherein ausgeschlossen, weil der Täter hierfür nicht kausal werde.569 Diese Ansichten sind abzulehnen. Ein Indiz für die Möglichkeit einer Täuschung durch Unterlassen ist der Wortlaut »unterhalten« in § 263 StGB, der darauf hinweist, dass nicht notwendig ein aktives Verhalten mit Erklärungswert erforderlich ist.570 Hinzu kommt, dass im Zusammenhang mit der Einführung des § 13 StGB das Erfordernis der Modalitätenäquivalenz im Gesetzgebungsverfahren gerade im Hinblick auf eine Betrugsstrafbarkeit durch Unterlassen diskutiert wurde.571 Jedenfalls der neuere Gesetzgeber ging also davon aus, dass Täuschungen durch Unterlassen grundsätzlich möglich sind.572 Weiterhin kann ein Unterlassen durchaus zielgerichtet sein – nämlich dann, wenn es dem Täter gerade auf den Eintritt des tatbestandsmäßigen Erfolges ankommt.573 Nach alledem besteht kein Anlass, § 13 StGB auf § 263 StGB nicht anzuwenden. Im Einzelnen ist auch unter den Befürwortern der Täuschung durch Unterlassen vieles umstritten und die Abgrenzung zur konkludenten Täuschung recht unklar.574 Weitgehende Einigkeit besteht jedenfalls dahingehend, dass neben herkömmlichen und eindeutigen Garantenstellungen – wie aus Ingerenz oder Gesetz – zur Begründung einer solchen nicht jedwede auf das Vermögen des Opfers im Allgemeinen bezogene Beziehung ausreicht, sondern ein besonderes Vertrauensverhältnis bestehen muss, aus dem sich Aufklärungspflichten im Sinne von Einstandspflichten gerade für das Vermögen des anderen ergeben.575 Dies sei nur dann der Fall, wenn »nach den Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs die Verantwortlichkeit für das Unwissenheitsrisiko nicht alleine bei dem anderen Vertrags-/Geschäftspartner liegen soll.«576

568 569 570 571 572 573 574 575 576

Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 214; Grünwald, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 289 ff. Naucke, Zur Lehre vom strafbaren Betrug, 1964, S. 214. Grünwald, Festschrift für H. Mayer, 1966, S. 289 ff. Ranft, JURA 1992, 66 (67). Gallas, in: Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommision, Bd. 12, 1959, S. 80 f. Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 67 f. Ausführlich: Gauger, Die Dogmatik der konkludenten Täuschung, 2001, S. 68 f. m. w. N. Vgl. die Nachweise bei Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 38a. BGHSt 39, 392 (398); Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 29 f.; Hefendehl in Müko-StGB, 2006, § 263 Rn. 138, 141 f. BGHSt 39, 392, 398; Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 29; Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 35. Aufl. 2012, Rn. 506; vgl. auch die Systematisierung bei Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 146 f.

Die rein nationale Auslegung des § 263 StGB

145

Die Grenze zwischen einem straffreien Verhalten und einer Täuschung durch Unterlassen wird somit ähnlich wie die Beurteilung eines Verhaltens als konkludente Täuschung anhand einer Abgrenzung von Verantwortungsbereichen vorgenommen. Auch hier geht es um die Frage, ob das Aufklärungsrisiko beim Täter lag oder nicht. Gewöhnliche vertragliche Pflichten begründen grundsätzlich keine Aufklärungspflichten.577 Denn im Bereich der Täuschung durch Unterlassen gilt ebenfalls, dass jeder grundsätzlich selbst für die Beschaffung relevanter Informationen verantwortlich ist. Ebenso wie die Verkehrsanschauung bei der aktiven Täuschung sind die Gepflogenheiten des Geschäftsverkehrs bei der Täuschung durch Unterlassen somit nichts anderes als die Umschreibung eines Auslegungsmaßstabs.

V.

Der Irrtum

Denkbar wäre es grundsätzlich, eine normative Überlagerung des Betrugstatbestandes durch das unionsrechtliche Verbraucherleitbild auf der Irrtumsebene zu prüfen. Unter einem Irrtum wird überwiegend ein Widerspruch zwischen Vorstellung und Wirklichkeit verstanden, wobei es genügt, wenn der Getäuschte die Wahrheit der Tatsachenbehauptung für möglich hält.578 Nach anderen, der Viktimodogmatik zuzuordnenden Forderungen, soll das Opfer nur dann schutzbedürftig sein, wenn sein Irrtum eine bestimmte Qualität aufweist. So fordern die einen, das Opfer müsse die Richtigkeit einer Tatsache für wahrscheinlicher579 als bzw. ebenso wahrscheinlich580 wie deren Unrichtigkeit halten, das Opfer dürfe also keine bewusste Risikoentscheidung getroffen haben; die anderen verlangen, dass sich die tatsächlichen Zweifel des Opfers auf konkrete Anhaltspunkte gründen.581 Diese Eingrenzungsversuche sind jedoch aus den bereits genannten Gründen abzulehnen, die für alle viktimodogmatischen Ansätze gelten:582 Das Tatbestandsmerkmal des Irrtums wird instrumentalisiert, um jenseits des Wortlauts eigene rechtspolitische Überzeugungen durchzusetzen.583 Das Prinzip der Eigenverantwortung ist im Wortlaut des § 263 StGB nicht angelegt. Auch bei Zweifeln des Opfers verursacht der Täter zurechenbar eine 577 Ranft, JURA 1992, 66 (67). 578 Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 50; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 54 f. 579 Sonnen, wistra 1982, 123 (128); Dästner, ZRP 1976, 36 (37); Giehring, GA 1973, 1 (22). 580 Krey, Strafrecht BT 2, 12. Aufl. 1999, Rn. 373. 581 R. Hassemer, Schutzbedürftigkeit des Opfers und Strafrechtsdogmatik, 1981, S. 5; Amelung, GA 1977, 1 (6 f.). 582 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, II. C. 2. 583 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 275 f.; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 86.

146

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Fehlvorstellung des Opfers, wenn dieses Opfer sich entscheidet, dem Täter trotz Zweifeln Glauben zu schenken.584 Das Prinzip der Subsidiarität des Strafrechts gilt nicht gegenüber Selbstschutzmaßnahmen des Bürgers.585 Hinzu kommt, dass mit den vorgeschlagenen Kriterien zur Bestimmung eines tatbestandsmäßigen Irrtums keine eindeutige Abgrenzung und damit Bestimmtheit des Tatbestandsmerkmals erreicht werden kann.586 Im Übrigen muss auf die genauen Anforderungen an einen Irrtum für die Zwecke dieser Arbeit nicht weiter eingegangen werden, da dieses Tatbestandsmerkmal für eine unionsrechtskonforme Auslegung untauglich ist: Die Lehren zur Einschränkung des Betrugstatbestandes bei Zweifeln des Opfers können von vornherein nicht als Ausgangspunkt einer unionsrechtskonformen Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes im Lichte des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes dienen. Zweifel betreffen immer eine individuelle Person und einen individuellen Vorgang. Das Leitbild hingegen ist ein genereller und abstrakter normativer Maßstab. Es ist abhängig von allgemeingültigen Kriterien. Beispielsweise wären tatsächliche Zweifel eines Opfers, welches den Anforderungen an einen Durchschnittsverbraucher entspricht, unionsrechtlich entsprechend der bisherigen herrschenden Meinung im Betrugsstrafrecht für die Bejahung einer Irreführung(-seignung) unbeachtlich. Infolgedessen wäre eine Integration des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes in den Betrugstatbestand auf der Ebene des Irrtums nur über ein normatives Eignungselement möglich. Genauer formuliert wäre zu prüfen, ob das jeweilige Opfer in der konkreten Situation der Maßstabsfigur eines Durchschnittsverbrauchers entsprach und somit überhaupt tatbestandlich relevant irren konnte. Auch wenn insbesondere bei der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen normative Elemente hinzugezogen werden, handelt es sich bei dem Tatbestandsmerkmal des Irrtums im Grundsatz um ein rein tatsächliches, psychologisches Element, seine Feststellung ist Tatfrage.587 Nach der Rechtsprechung und herrschenden Literaturmeinung folgt aus der (auch nur objektiven) Vermeidbarkeit des Irrtums grundsätzlich keine tatbestandliche Einschränkung.588 Da normative Erwägungen dem Irrtumsmerkmal somit grundsätzlich fremd sind, erweist es sich als ungeeignet zur Implementierung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes in den Betrugstatbestand. 584 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 86. 585 Paschke, Der Insertionsoffertenbetrug, 2007, S. 79 f., 225 f.; Hillenkamp, Vorsatztat und Opferverhalten, 1981, S. 175, 176 ff. 586 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 86. 587 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 315; Eisele, NStZ 2010, 193 (195); Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 80. 588 BGH, NStZ 2003, 313 (314); Günther, Festschrift für T. Lenckner, S. 69 (74 f.); Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 55a; Hoyer in SK-StGB, 60. Lief. 2004, § 263, Rn. 69 ff., 72.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

147

Das Verbraucherleitbild ist ein stark wertausfüllungsbedürftiger Begriff. Seine Implementierung in den Begriff des Irrtums würde dessen grundsätzliche Natur eines rein psychologischen Zustandes ins Wanken bringen.589

2. Abschnitt: Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben im Bereich aktiven Tuns Bevor im Folgenden die Erforderlichkeit und die Möglichkeiten unionsrechtskonformer Auslegung des § 263 StGB diskutiert werden, sei in Erinnerung gerufen, über welche unionsrechtlichen Regelungen unionsrechtliche Verbrauchererwartungen auf den deutschen Betrugstatbestand einwirken könnten: Zu unterscheiden sind das Primärrecht und das Sekundärrecht. Primärrechtlich kommt dem Verbraucherleitbild über die Möglichkeit der Rechtfertigung mitgliedstaatlicher Eingriffe in die Grundfreiheiten aus Gründen des Verbraucherschutzes Bedeutung zu. Voraussetzung ist jedoch das Vorliegen eines grenzüberschreitenden Bezuges. Anders verhält es sich im Sekundärrecht. Ausdrücklich wird das Verbraucherleitbild nur von der Health-Claims-Verordnung und von der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken einbezogen. Innerhalb deren Regelungsbereiche gilt das Leitbild auch für rein nationale Sachverhalte. Bei den sekundärrechtlichen Regelungen, die das Leitbild zwar nicht ausdrücklich in Bezug nehmen, dieses aber ebenfalls relevanter Auslegungsmaßstab ist, ist eine Einzelfallbetrachtung erforderlich. Die folgende Darstellung beschränkt sich zunächst auf den Bereich des Sekundärrechts. Die nur selten möglichen Fälle, in denen die Irreführungseignung einer Verhaltensweise allein nach dem Primärrecht zu beurteilen ist, werden erst im Anschluss erörtert. Voraussetzung der Notwendigkeit unionsrechtskonformer Auslegung ist, dass eine bestimmte Art der Interpretation nationaler Normen zu Ergebnissen führt, die im Widerspruch zu unionsrechtlichen Regelungen stehen; nur dann liegt eine echte Kollision vor. Ihre Grenzen findet die unionsrechtskonforme Auslegung in den Beurteilungsspielräumen, die das nationale Recht einräumt. Relevant sind hier vor allem die in allen Mitgliedstaaten geltenden verfassungsrechtlich garantierten Strafrechtsprinzipien.590 Es sind nun diejenigen Fälle herauszuarbeiten, die tatsächlich eine Abweichung von der tradierten Betrugsauslegung erfordern. Nur wenn die Notwen589 Ebenso: Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 315. 590 Vgl. oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. B. 2.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

digkeit unionsrechtskonformer Auslegung bejaht wird, ist auf deren Möglichkeiten und Grenzen vertieft einzugehen. Unter den Betrugstatbestand lassen sich mannigfaltige Verhaltensweisen aus den unterschiedlichsten Lebensbereichen subsumieren, die von unterschiedlichsten unionsrechtlichen Normen überlagert werden oder eben auch nicht. Die abstrakte Ermittlung von unionsrechtlich zulässigen, aber nach § 263 StGB grundsätzlich strafbaren Verhaltensweisen erweist sich deshalb als äußerst problematisch. Die geeignetste methodische Vorgehensweise besteht darin, über die Auswertung konkreter Einzelsachverhalte zu der Erkenntnis allgemeingültiger Kriterien zu gelangen. Daher werden zunächst einzelne Fallgruppen, die sich bereits nach der rein nationalen Doktrin an der Grenze zu straflosem Verhalten einordnen lassen, dargestellt und am Maßstab des Unionsrechts ausgewertet. Im Anschluss wird aus den gewonnen Erkenntnissen heraus ermittelt, ob Fälle unionsrechtlich zulässigen Verhaltens, die nach § 263 StGB grundsätzlich zu bestrafen wären, überhaupt denkbar sind und wenn ja, welche Voraussetzungen hierfür gegeben sein müssen. Wie bereits festgestellt, enthält die Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken sehr detaillierte Bestimmungen zu irreführenden Handlungen; innerhalb ihres Anwendungsbereiches wirkt sie vollharmonisierend und abschließend.591 Sollte es tatsächlich einen Einfluss des Unionsrechts auf den deutschen Betrugstatbestand geben, wird dieser maßgeblich durch diese Richtlinie und die sie umsetzenden Vorschriften des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb bestimmt werden. Der Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ist nur eröffnet, wenn der jeweilige Sachverhalt nicht bereits durch Sekundärrecht umfassend geregelt ist. Zur besseren Veranschaulichung werden im Folgenden allgemeine und immer wieder relevante Fragestellungen der Richtlinie 2005/29/EG der fallgruppenbezogenen Einzelauswertung vorangestellt.

I.

Die Vorgaben nach der Richtlinie 2005/29/EG

A.

Die wettbewerbsrechtliche Eignungskomponente – insbesondere bei der unwahren Angabe

Nach Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG gilt eine Geschäftspraktik als irreführend, wenn sie falsche Angaben enthält und somit unwahr ist oder wenn sie in irgendeiner Weise selbst mit sachlich richtigen Angaben den Durchschnittsverbraucher über in dieser Norm katalogartig aufgeführte Punkte 591 Siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, I. A.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

149

täuscht oder ihn zu täuschen geeignet ist und ihn zu einer geschäftlichen Entscheidung veranlasst, die er ansonsten nicht getroffen hätte. Nach der Durchführungsnorm des § 5 Abs. 1 UWG ist eine geschäftliche Handlung irreführend, wenn sie unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben über bestimmte, dort katalogartig aufgeführte Umstände enthält. Nach dem Wortlaut dieser beiden Regelungen ist zunächst nicht ganz klar, ob unwahre Angaben per se als irreführend gelten und damit verboten sind oder aber deren Täuschungseignung erforderlich ist. Denn bei unbefangener Lektüre vor allem des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/ 29/EG könnte man zu dem Ergebnis gelangen, dass jedenfalls ausdrücklich unwahre Angaben per Fiktion immer als irreführend gelten.592 Mit dieser Sichtweise wäre jedenfalls hinsichtlich der Tathandlung der ausdrücklichen Täuschung die Frage, ob das Verbraucherleitbild als Eignungskomponente auf den Betrugstatbestand einwirkt, schnell beantwortet. Da sich die ausdrückliche Täuschung durch die mündliche, schriftliche oder durch eindeutige Gesten erfolgende Äußerung unwahrer Tatsachen auszeichnet und die Unwahrheit einer Angabe auch im Unionsrecht gerade keiner normativen Überprüfung unterläge, wäre diese auch nicht am Leitbild zu messen. Das Leitbild wäre für die ausdrückliche Täuschung ohne Relevanz, die Einführung einer Eignungskomponente in den Betrugstatbestand diesbezüglich nicht erforderlich.593 Ist man hingegen gegenteiliger Auffassung, fließt über die Irreführungseignung bzw. die Eignung zur Veranlassung einer geschäftlichen Entscheidung ein grundsätzlich am Verbraucherleitbild orientiertes Wertungsmoment in die Prüfung der unwahren Angabe im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG ein. Jedenfalls der deutsche Gesetzgeber scheint sich nach § 5 UWG dafür entschieden zu haben, dass die Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auch bei der unwahren Angabe eine Irreführungseignung voraussetzt. In der Begründung zum Gesetzesentwurf heißt es, dass nicht jede unwahre Angabe zwangsläufig auch die Unzulässigkeit der Geschäftspraktik zur Folge habe.594 Diese Sichtweise wird vom Wortlaut des § 5 UWG gedeckt, wonach unwahre oder sonstige zur Täuschung geeignete Angaben irreführend sind. Denn es ist zumindest möglich, die unwahre Angabe als Sonderfall der täuschungsgeeigneten Angabe zu begreifen.595 Bereits vor Erlass der Richtlinie 2005/29/EG unterschied Art. L. 121 – 1 des französischen Code de Consommation hinsichtlich irreführender Werbung zwischen der unwahren und der zur Täuschung geeig592 So Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 85 f.; Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311 (1330); Lettl, GRUR 2004, 449 (456); zum alten UWG ebenso: Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 67 f., 79. 593 So Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 85 f. 594 BT-Drs. 16/10145, S. 23. 595 Wiring, NJW 2010, 580 (581).

150

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

neten Angabe;596 dies hinderte die französische Praxis nicht, in beiden Alternativen die Irreführungseignung zu prüfen.597 Der Interpretation der Richtlinienvorgaben durch den deutschen Gesetzgeber ist aus vielerlei Gründen zuzustimmen.598 Zunächst orientieren sich sämtliche Regelungen der Richtlinie 2005/29/EG, gleichgültig ob sie irreführende oder aggressive Geschäftspraktiken betreffen, am Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers sowie an der Entscheidungserheblichkeit einer Geschäftspraktik für das Verhalten dieses Verbrauchers599, vgl. Art. 5 Abs. 2 b), Art. 6 Abs. 1, Art. 7 Abs. 1, Art. 8 der Richtlinie 2005/29/EG. Es gibt keinen plausiblen Grund dafür, allein bei unwahren Angaben hiervon abzurücken. Bereits die frühere Irreführungsrichtlinie 84/450/EWG rekurriert für die Bestimmung einer irreführenden Angabe auf den potentiellen Widerspruch zwischen den subjektiven Vorstellungen der angesprochenen Verkehrskreise und der Realität.600 Außerdem spricht die Formulierung in Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie, die Geschäftspraktik müsse »in jedem Fall«, d. h. sowohl bei unwahren als auch bei sachlich richtigen Angaben, geeignet sein, den Durchschnittsverbraucher zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, für das Relevanzerfordernis auch bei der unwahren Angabe.601 Weiterhin erfordern teleologische Gründe diese Sichtweise: Bereits zur Auslegung des Betrugstatbestandes wurde festgestellt, dass es grundsätzlich richtig ist, den Tatsachenbegriff auch bei offensichtlicher Übertreibung oder offensichtlich fehlender Ernstlichkeit nicht einzuschränken.602 Über eine restriktive Handhabung des Schadensbegriffes sowie über das Vorsatzerfordernis können derartige Tatsachenaussagen bei Lebenssachverhalten, bei denen es erforderlich ist, aus dem Tatbestand des Betruges recht eindeutig ausgeschieden werden.603 Das Lauterkeitsrecht verfügt über solche Tatbestandsmerkmale jedoch nicht. Für die Bestimmung der unwahren Angabe muss aber aus den gleichen Gründen wie für die der unwahren Tatsache beim Betrug ein objektiver 596 Bis zum 5. Januar 2008 war Art. L-121 – 1 Code de la Consommation mit folgendem Wortlaut in Kraft: »Est interdite toute publicit¦ comportant (…) des all¦gations (….) fausses ou de nature — induire en erreur (…). »Verboten ist jede Form von Werbung, die Behauptungen enthält, welche falsch oder irreführungsgeeignet sind« 597 Sosnitza, GRUR 2007, 462 (467). 598 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 207; Wiring, NJW 2010, 580 (581); Sosnitza, WRP 2008, 1014 (1028); Steinbeck, WRP 2006, 632 (634); Apostolopoulos, GRURInt 2005, 292 (296 f.); Henning-Bodewig, GRURInt 2005, 629 (631); Ohly in Piper/Ohly/ Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 54. 599 Leistner, ZEuP 2009, 56 (58, 75 f.); Steinbeck, WRP 2006, 632 (634). 600 Sosnitza, WRP 2008, 1014 (1028). 601 Steinbeck, WRP 2006, 632 (634). 602 Siehe dazu oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. c). 603 Vgl. oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. c).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Maßstab gelten, der nicht anhand der Verkehrsauffassung korrigiert wird.604 Wäre infolgedessen jede unwahre Angabe lauterkeitsrechtlich per se untersagt, hieße dies, Werbeanpreisungen wie z. B. »kein Waschmittel wäscht weißer« zu verbieten. Ebenso verboten wäre die werbewirksame Aussage eines Prominenten, er nehme ein beworbenes Produkt aufgrund seiner wohltuenden Wirkung täglich zu sich, wenn er es in Wirklichkeit nur wöchentlich oder sogar gar nicht konsumiert. Zwar bezweckt die Richtlinie 2005/29/EG in erster Linie den Verbraucherschutz. Dennoch besteht ihr Sinn und Zweck nicht darin, gängige und von Durchschnittsverbrauchern zweifelsohne als lauter angesehene Werbemaßnahmen zu untersagen. Schließlich ist die Leichtigkeit des Wirtschafts- und Handelsverkehrs eines der primären Ziele des Unionsrechts. Dass die Richtlinie ganz allgemein übertreibende und reißerische (unwahre) Behauptungen nicht untersagen will, geht ausdrücklich aus ihrem Art. 5 Abs. 3 hervor. Danach bleibt selbst dann, wenn eine Geschäftspraktik voraussichtlich nur das wirtschaftliche Verhalten einer eindeutig identifizierbaren Gruppe von Verbrauchern wesentlich beeinflussen wird, die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, unberührt. Diese Sichtweise erfordert im Übrigen auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, nach dem die unternehmerische Handlungsfreiheit nicht unangemessen eingeschränkt werden darf.605 Eine Geschäftspraktik kann daher generell nur dann unlauter sein, wenn sie geeignet ist, eine geschäftliche Entscheidung des Verbrauchers zu beeinflussen.606 Dies ist bei unwahren Angaben dann der Fall, wenn sie irreführungsgeeignet sind. Der letzte Halbsatz des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/23/EG gilt somit auch für die unwahre Angabe. Teilweise wird behauptet, bei ausdrücklich unwahren Angaben komme es nicht auf deren Irreführungseignung, wohl aber auf die Eignung zur Beeinflussung der geschäftlichen Entscheidung des Verbrauchers an.607 Dem ist jedoch zu widersprechen, da selbst bei Annahme einer weiten Kausalität kein Fall denkbar ist, bei dem die Beeinflussung des Verbrauchers durch die unwahre Angabe nicht über deren Irreführungseignung vermittelt ist. Liegt keine Irreführungseignung vor, ist die unwahre Angabe nicht einmal entfernt kausal für die Verbraucherentscheidung. Der irreführenden Geschäftspraktik ist die Täuschungseignung als wesentliches Merkmal immanent.608 Daher kommt es im Ergebnis auch gar nicht darauf an, ob man bei ausdrücklich unwahren Angaben eine Irreführungseignung oder nur die Eignung zur Beeinflussung der ge604 605 606 607 608

Sehr str.; ebenso für die unwahre Angabe in § 16 UWG: Claus, Jura 2009, 439 (441). Wiring, NJW 2010, 580 (581). Wiring, NJW 2010, 580 (581); Apostolopoulos, GRURInt 2005, 292 (296). Ohly in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, Einf C Rn. 54. Ähnlich: Wiring, NJW 2010, 580 (581); vgl. auch: Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5 Rn. 2.70.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

schäftlichen Entscheidung fordert. Zur besseren Verortung der gedanklichen Prüfungsschritte erscheint es jedoch hilfreich, die Irreführungseignung einer unwahren Angabe separat zu überprüfen. Vergleichbar ist diese Stufenfolge mit den Merkmalen Irrtum und Vermögensverfügung beim Betrug, wobei hier die Eignung bekanntlich nicht ausreicht. Ohne Irrtum würde eine Täuschung nie kausal und zurechenbar zu einer Vermögensverfügung führen. Die unwahre Angabe ist damit nichts anderes als ein Regelfall der irreführenden Angabe. Sie hat als erste Alternative des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/ 29/EG gegenüber der zweiten Alternative nur klarstellende Funktion. Da unwahre Angaben per se leichter geeignet sind, irrezuführen als wahre Angaben, sind an die Überprüfung der Irreführungseignung einer unwahren Angabe für den Durchschnittsverbraucher jedoch weniger hohe Anforderungen zu stellen als an diejenige einer sachlich richtigen Angabe. Durch eine unwahre Angabe ist deren Irreführungseignung für den Durchschnittsverbraucher – und damit deren Eignung zur Beeinflussung einer geschäftlichen Entscheidung – widerlegbar indiziert:609 Die Irreführungseignung im Sinne der Richtlinie 2005/29/EG ist ein normativer Begriff. Das tatsächliche Vorliegen einer unwahren Angabe fließt als maßgebliches Bewertungskriterium in die Bestimmung der Irreführungseignung ein. Nur wenn aufgrund anderer Bewertungskriterien eine Irrführungseignung ausscheidet, ist die Indizwirkung widerlegt. Dies kann beispielsweise dann der Fall sein, wenn der Übertreibungsgehalt der Geschäftspraktik für den Durchschnittsverbraucher als Adressat der Maßnahme ohne Weiteres erkennbar ist. Im Vergleich hierzu ist eine sachlich richtige Angabe hingegen immer wertneutral, sodass von vornherein andere Bewertungskriterien gefunden werden müssen. Die Widerlegung der Indizwirkung bei der unwahren Angabe wird beispielsweise in den Fällen nicht gelingen, in denen zugesichert wird, eine Ware sei mit besonders hochwertigen Materialien verarbeitet worden, wenn in Wahrheit nur minderwertige verwendet wurden. Dies gilt aus normativen Gründen selbst dann, wenn sich die Minderwertigkeit dem Durchschnittsverbraucher bei kurzer Betrachtung der Ware geradezu aufdrängt. Das wirtschaftliche Verhalten eines Verbrauchers ist bereits dann beeinflusst, wenn er durch die unwahre Angabe veranlasst wird, sich mit einem Angebot überhaupt erst zu beschäftigten.610 Daher ist der Moment der ersten Wahrnehmung der unwahren Angabe der relevante Zeitpunkt für die Beurteilung der Irreführungseignung. So handelt ein Händler unlauter, wenn er Kunstpelzmäntel ausdrücklich als echte Pelzmäntel anpreist; und zwar selbst dann, wenn dies für den durchschnittlich in-

609 Für Indizwirkung ebenfalls: Sosnitza, GRUR 2007, 462 (467). 610 Lettl, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2013, S. 239 f.

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formierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher auf den ersten Blick erkennbar ist. Als vorläufiges Ergebnis ist somit festzuhalten, dass das Wettbewerbsrecht auch bei unwahren Angaben die Feststellung der Irreführungseignung anhand des Maßstabes des Durchschnittsverbrauchers des jeweils angesprochenen Adressatenkreises verlangt.611 Da die unwahre Angabe die Irreführungseignung widerleglich indiziert, ist nur in Zweifelsfällen eine ausführliche Überprüfung dieser Irreführungseignung erforderlich. Gleichzeitig ist aber zu betonen, dass diese Eignungskomponente nicht über eine restriktive Interpretation der unwahren Angabe Berücksichtigung findet, sondern über die Kriterien der Irreführungseignung und Erheblichkeit für die Verbraucherentscheidung. Insgesamt fragt sich, ob die Fälle unwahrer Angaben, die im Lauterkeitsrecht über diese Kriterien ausgeschieden werden, im Betrugsstrafrecht bereits nach der herkömmlichen Auslegung der Tatbestandsmerkmale Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung, Schaden, Vorsatz und Bereicherungsabsicht ebenfalls tatbestandslos sind oder aber eine unionsrechtskonforme Auslegung nur über die Einführung eines Eignungsmerkmales in den Begriff der ausdrücklichen Täuschung des Betrugstatbestandes erreicht werden kann. Dieser Frage soll im folgenden Kapitel nachgegangen werden. Im Übrigen finden die Fälle konkludenter Täuschungen ihre Entsprechung in der 2. Alternative des Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG bzw. in den »sonstigen zur Täuschung geeigneten Angaben« des § 5 UWG. Da die konkludente Täuschung bereits nach nationalem Recht anhand der normativ geprägten Verkehrsauffassung zu bestimmen ist, wäre eine Implementierung des Verbraucherleitbildes in den Betrugstatbestand hier dogmatisch weitaus einfacher zu bewerkstelligen als bei der ausdrücklichen Täuschung. Zu fragen wäre allein nach den Unterschieden zwischen wettbewerbsrechtlicher Eignungskomponente und den Kriterien zur Bestimmung einer Verkehrsanschauung. B.

Die Bestimmung der angesprochenen Verkehrskreise und der »besonders schutzwürdigen Gruppe von Verbrauchern«

Die Irreführungseignung einer Geschäftspraktik bestimmt sich gemäß Art. 5 Abs. 2 b) der Richtlinie 2005/29/EG nach dem Verständnishorizont des Durchschnittsverbrauchers, den sie erreicht oder an den sie sich richtet oder, wenn sie sich an eine bestimmte Verbrauchergruppe wendet, nach deren Durchschnittsmitglied. Ergänzend bestimmt Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG, dass die Geschäftspraktik aus der Perspektive eines Durchschnittsmitglieds einer aufgrund geistiger oder körperlicher Gebrechen, Alter oder Leichtgläu611 Ebenso zum alten UWG: BGH v. 20. 12. 2001 – I ZR 215/98, GRUR 2002, 715 (716).

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

bigkeit besonders schutzwürdigen Gruppe beurteilt werden muss, wenn für den Gewerbetreibenden vernünftigerweise vorhersehbar war, dass sie nur das wirtschaftliche Verhalten dieser Gruppe wesentlich beeinflussen würde. Diese Vorschriften finden ihre Entsprechung in § 3 Abs. 2 Sätze 2 und 3 UWG. Der Ermittlung der relevanten Verbrauchergruppe kommt somit maßgebliche Bedeutung zu. Da es sich beim Wettbewerbsrecht um objektives »Marktverhaltensund Marktkommunikationsrecht« handelt, muss jedenfalls im Grundsatz rein objektiv und unabhängig von den Vorstellungen des Gewerbetreibenden festgestellt werden, wer die angesprochene Verbrauchergruppe ist.612 1.

Der nach § 3 Abs. 2 Satz 2 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 2 b) der Richtlinie 2005/29/EG angesprochene Durchschnittsverbraucher Aus § 3 Abs. 2 Satz 2 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 2 b) der Richtlinie 2005/29/EG ergibt sich zunächst, dass es zur Bestimmung einer Irreführungseignung nicht auf den Durchschnitt der Allgemeinheit, sondern der jeweiligen Zielgruppe ankommt.613 Richtet sich eine Wettbewerbshandlung an verschiedene Adressatengruppen, reicht die Irreführungseignung gegenüber einer dieser Gruppen für ein wettbewerbsrechtliches Verbot aus.614 Je nach der Adressatenstruktur einer Wettbewerbshandlung unterscheidet sich somit die inhaltliche Ausgestaltung des Verbraucherleitbildes.615 Da mit dieser Regelung jedoch keine Aushöhlung des grundsätzlichen Leitbildes des an der Allgemeinheit orientierten durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers verbunden sein soll, kommt es auf den Durchschnitt einer bestimmten Adressatengruppe nur dann an, wenn die Wettbewerbshandlung eindeutig auf eine solche objektiv fokussiert ist.616 Und auch in diesem Fall ist darauf zu achten, den Durchschnitt dieser Gruppe direkt als Maßstab zu nehmen und nicht erst aus der angesprochenen Verbrauchergruppe heraus eine (besonders schutzwürdige) Vorauswahl zu treffen und deren Durchschnitt zu ermitteln, d. h. z. B. gegebenenfalls Orientierung an Alten, aber nicht speziell an

612 Züllighoven, Verbraucherschutz durch Informationspflichten, 2010, S. 255 f. 613 Züllighoven, Verbraucherschutz durch Informationspflichten, 2010, S. 254 ff.; Lettl, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2013, S. 77; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 32; Podszun in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 3. Aufl. 2013, § 3 Rn. 70. 614 Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5 Rn. 2.75 (zum Tatbestand der irreführenden Werbung). 615 Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 32; Sosnitza in Piper/Ohly/ Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 2 Rn. 100; Lubberger in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl.2010, § 40 Rn. 37. 616 Lubberger in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 40 Rn. 40.

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dementen Alten oder an Fachleuten, aber nicht an besonders fachkundigen Fachleuten.617 Im Zusammenhang mit der Auslegung des grundsätzlich als Delikt der Individualtäuschung ausgestalteten Betrugstatbestandes ist die Frage des relevanten Adressatenkreises bei Einzeladressaten besonders interessant. So wird vertreten, bei Werbung gegenüber einem Einzelnen sei auf dessen objektiv erkennbaren Verständnisgrad abzustellen.618 Erkenne ein Verkäufer beispielsweise, dass ein einfach strukturierter Kunde trotz der Hinweise in der Werbung und in dem Vertragsformular nicht begreife, dass er das ohne gesondertes Entgelt abgegebene Mobiltelefon durch einen Netzvertrag mit erheblichen monatlichen Mindestbelastungen finanzieren müsse, treffe ihn neben der vorvertraglichen (§ 311 II BGB) auch eine wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflicht.619 Nur wenn die Konstitution des Kunden für den Verkäufer bzw. Gewerbetreibenden nicht erkennbar sei, könne er sich am Maßstab des Durchschnittsverbrauchers orientieren. Diese Sichtweise bürdet dem Gewerbetreibenden zwar in Einzelfällen recht hohe Informations- und Aufklärungspflichten auf. Ihr ist dennoch zuzustimmen, da zum einen das Unionsrecht selbst höchsten Wert darauf legt, Verbrauchern eine informierte Entscheidung zu ermöglichen und Gewerbetreibende hierfür stark in die Pflicht nimmt. Zum anderen ist eine zu weitreichende Einschränkung der Grundfreiheiten des Gewerbetreibenden in den Fällen, in denen er die Unverständigkeit des einzelnen Verbrauchers erkennen und durch einfache Hinweise beheben kann, ausgeschlossen. Ob nun bei Individualtäuschungen eine Kollision des Betrugstatbestandes mit der Richtlinie 2005/29/EG überhaupt noch möglich ist, hängt davon ab, wann von einer (wettbewerbsrechtlichen) objektiven Erkennbarkeit des Irrtums des Verbrauchers für den Gewerbetreibenden auszugehen ist. Ob der von § 263 StGB vorausgesetzte Vorsatz hinsichtlich dieses Irrtums immer auch dessen wettbewerbsrechtliche Erkennbarkeit impliziert, soll an späterer Stelle ausführlich geklärt werden. Im Ergebnis ist dies zu verneinen, weil die Erkennbarkeit wettbewerbsrechtlich ausschließlich nach objektiven Kriterien und daher unabhängig vom Vorsatz des Gewerbetreibenden festzustellen ist.620

617 Lubberger in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 40 Rn. 41 u. Fn. 93. 618 Züllighoven, Verbraucherschutz durch Informationspflichten, 2010, S. 261; Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5 Rn. 2.84. 619 Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5 Rn. 2.84. 620 Vgl. unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. C.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

2.

Der nach § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG angesprochene besonders schutzbedürftige Verbraucher § 3 Abs. 2 Satz 3 i. V. m. Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG ist als Konkretisierung hinsichtlich der angesprochenen Verbrauchergruppe zu verstehen, wenn es um die Frage deren besonderer Schutzbedürftigkeit geht. Einigkeit besteht dahingehend, dass hinsichtlich der besonderen Schutzbedürftigkeit einzelner Verbrauchergruppen restriktiv zu verfahren ist, um auch hier die Möglichkeiten der Werbung in den Massenmedien nicht unverhältnismäßig einzuschränken und die Richtlinienziele nicht zu konterkarieren.621 Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG muss als eng begrenzte Ausnahme zum grundsätzlich gültigen Leitbild vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher verstanden werden. Zum besonders schutzbedürftigen Personenkreis gehören deshalb nur Verbrauchergruppen, die aufgrund von Umständen, die sie nicht beeinflussen können, weder durchschnittlich informiert noch aufmerksam und verständig sind; der Grund hierfür kann beispielsweise in einer geistigen Behinderung liegen. Verhalten Verbraucher sich lediglich nicht so, wie es von einem durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zu erwarten ist, obwohl sie es könnten, sind sie nicht besonders schutzbedürftig.622 Hieraus ergibt sich, dass die bereits aufgeworfene Frage, ob Kollisionen auch bei Individualtäuschungen überhaupt denkbar sind, jedenfalls vom Standpunkt der besonderen Schutzwürdigkeit her zu bejahen ist: Verhält sich der einzelne Verbraucher weniger verständig, informiert oder aufmerksam, als er es könnte, besteht keine wettbewerbsrechtliche Aufklärungspflicht des Gewerbetreibenden und damit keine wettbewerbsrechtliche Irreführungseignung. Wettbewerbsrechtlich ist das Verhalten zulässig. Gleichwohl ist es in einem solchen Fall möglich, dass sich der Werbende nach nationalem Recht wegen Betrugs strafbar macht. Die Berücksichtigung der Schutzbedürftigkeit hängt zudem davon ab, wann dem Unternehmer »vernünftigerweise vorhersehbar« ist, dass die Geschäftspraktik nur das wirtschaftliche Verhalten einer solchen, zudem eindeutig identifizierbaren, Gruppe voraussichtlich wesentlich beeinflussen wird. Wann dies bei irreführenden Geschäftspraktiken vorliegt, ist noch nicht abschließend geklärt. Zunächst wurde die »vernünftigerweise Vorhersehbarkeit« dann bejaht, wenn sich die Irreführungseignung dem Unternehmer aufdrängt. Der Begriff 621 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 209, Fn. 32 und v. a. in der Vorauflage: Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 8. Aufl. 2009, S. 190; Scherer, WRP 2008, 563 (569); Seichter, WRP 2005, 1087 (1091); Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311 (1330); Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 3 Rn. 84. 622 Scherer, WRP 2008, 563 (568), vgl. auch die anschaulichen Beispiele Scherer, WRP 2008, 563 (569 f.).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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des Aufdrängens befand sich schon vor der Reform des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb in ähnlichem Zusammenhang in dessen § 4 Abs. 2. Das »Aufdrängen« soll nach teilweise vertretener Ansicht nicht schon bei grober Fahrlässigkeit, sondern nur bei mindestens bedingtem Vorsatz623 bzw. nahezu bedingtem Vorsatz624 des Unternehmers gegeben sein. Ohne genauere Darstellung klingt jedoch auch an, dass die »vernünftigerweise Vorhersehbarkeit« keinen zumindest bedingten Vorsatz erfordert.625 Richtigerweise kann es jedoch nicht auf in der Person des Gewerbetreibenden liegende subjektive Kriterien ankommen, da zum einen Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie den Schutz von Minderheiten vor aus deren Perspektive irreführungsgeeigneten Angaben bezweckt. Zum anderen geht es im Wettbewerbsrecht nicht um die Ahndung vorwerfbaren Verhaltens, sondern um die Wahrung des Wettbewerbs als Institution.626 Relevant ist somit eine objektive Vorhersehbarkeit. Erforderlich ist, dass die Geschäftspraktik objektiv dazu bestimmt ist, gerade besonders schutzbedürftige Verbraucherkreise in ihrem wirtschaftlichen Verhalten wesentlich zu beeinflussen bzw. in anderen Worten sich objektiv gezielt an diese richtet.627 Kriterien dieser objektiven Bestimmung können beispielsweise der Inhalt der Geschäftspraktik oder ihr Medium sein.628 Allerdings kommt es nicht darauf an, dass die Geschäftspraktik ausdrücklich an diese Adressatengruppe adressiert ist; ein solches Verständnis wäre wiederum zu eng und würde dem Missbrauch Tür und Tor öffnen.629 Da es somit auf einen rein objektiven Maßstab ankommt, ist eine Kollision des Betrugstatbestandes mit dem Unionsrecht auch bei Individualtäuschungen grundsätzlich möglich. Der Gewerbetreibende kann bei einem unterdurchschnittlich informierten, aufmerksamen oder verständigen Verbraucher vorsätzlich einen Irrtum hervorrufen, ohne dass die Schutzbedürftigkeit des Opfers nach objektiven Kriterien vernünftigerweise vorhersehbar war. Diese Fälle werden allerdings sehr selten sein. Bevor nun die bisher getroffenen Feststellungen für die Frage des Erfordernisses unionsrechtskonformer Auslegung des Betrugstatbestandes allgemeingültig fruchtbar gemacht werden, wird zur Veranschaulichung der Problematik die Auswertung verschiedener konkreter Fallgruppen vorangestellt.

623 624 625 626 627

Hecker, WRP 2006, 640 (646). Seichter, WRP 2005, 1087 (1091). Glöckner/Henning-Bodewig, WRP 2005, 1311 (1330). Schünemann in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 2. Aufl. 2009, § 3 Rn. 454. Scherer, WRP 2008, 563 (566); Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 3 Rn. 84. 628 Scherer, WRP 2008, 563 (566). 629 Scherer, WRP 2008, 563 (566).

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

II.

Fallgruppenauswertung als Ausgangspunkt zur Ermittlung der Notwendigkeit unionsrechtskonformer Auslegung

A.

Wundermittel

Im Randbereich der Betrugsstrafbarkeit befinden sich geschäftliche Handlungen, die Heilwässer, Abmagerungskuren, Haarwuchsmittel und ähnliches unter abenteuerlich klingenden Behauptungen ihrer Wirksamkeit anpreisen und die infolgedessen von nicht wenigen Verbrauchern erworben werden. Ob es sich hierbei zumeist nur um einfache unseriöse Geschäftstätigkeiten oder aber strafbare betrügerische Verhaltensweisen handelt, ist seit jeher umstritten. Am Beispiel einer viel beachteten Entscheidung des BGH aus den 80er Jahren630 soll die Problematik sowohl unter unionsrechtlichem als auch unter betrugsstrafrechtlichem Licht beleuchtet und auf eine mögliche Kollision beider Rechtsmaterien hin untersucht werden. Hierbei sollen als Wundermittel alle Produkte gelten, die entweder zum Verzehr oder zur äußerlichen Anwendung bestimmt sind und denen Wirkungen beigelegt werden, die sie überhaupt nicht oder fast nicht haben. 1.

BGHSt 34, 199: Liftingbad, Schlankpille und Haarverdicker

a) Inhalt der Entscheidung Am 22. 10. 1986 verurteilte der BGH einen Anbieter verschiedener Wundermittel wegen Betrugs. In dessen Sortiment befanden sich unter anderem folgendermaßen in Anzeigen beworbene Präparate: das »Hollywood-Lifting-Bad« aus »taufrischem Frischzellenextrakt«, das mit »100 %iger Figurgarantie« im Blitztempo von nur zwölf Bädern wieder schlank, straff und jung forme, die »Schlank-Pille M-E-D 300«, nach deren Einnahme man sogar reichlich essen müsse, »damit die ungeheure Fettabschmelzkraft mit genügend Nahrung ausgeglichen« werde, sowie der »Haarverdicker-Doppelhaar«, der das Haar binnen zehn Minuten verdopple.631 In Wirklichkeit waren diese Präparate jedoch völlig wirkungslos. Erworben wurden sie dennoch innerhalb kurzer Zeit von vielen Verbrauchern. Der BGH stellte unter anderem explizit fest, dass es sich bei den Anzeigentexten nicht um reine Werturteile, sondern um beweisbare Tatsachenaussagen handelte. Selbst wenn die meisten Besteller die Anzeigentexte als übertreibend einstuften, so würden sie dennoch an eine minimale Wirkung glauben, da sie sonst das jeweilige Produkt nicht erwerben würden. Die Produkte

630 BGHSt 34, 199. 631 BGHSt 34, 199 (200).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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hätten jedoch nicht einmal im Kern die versprochene Wirkung und wären daher ihren Preis auch nicht wert.632 Diesem Ergebnis der Strafbarkeit nach § 263 StGB ist aus nationaler Sicht mit der hier befürworteten Auslegung des Betrugstatbestandes zuzustimmen. Dass die Produkte straffende, fettschmelzende bzw. haarverdickende Wirkungen hätten, sind Tatsachenaussagen. Diese sind objektiv unrichtig, sodass eine ausdrückliche Täuschung im Sinne des § 263 StGB vorliegt. Denn eine solche ist von einem objektiven Eignungselement unabhängig. Der kausale Irrtum über die Wirksamkeit veranlasst die Besteller zu einer Vermögensverfügung. Diese hat einen Schaden zur Folge, da ein völlig wirkungsloses Produkt nicht den Verkehrswert des für ein wirksames Produkt gezahlten Kaufpreises hat. Auch die übrigen Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB sind erfüllt. Schwieriger zu beurteilen wäre der Sachverhalt dann, wenn eine minimale Wirkung der Produkte nachweisbar gewesen wäre, was jedoch nicht der Fall war.

b) Bewertung des Sachverhaltes auf der Grundlage des Unionsrechts Zu prüfen ist daher, ob eine Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des § 263 StGB nach derzeit geltendem Recht bei einem ähnlich gelagerten Sachverhalt zu einem anderen Ergebnis als in der BGH-Entscheidung zwingen würde. Dies wäre dann der Fall, wenn Werbemaßnahmen wie die soeben beschriebenen nunmehr wettbewerbsrechtlich zulässig wären: Teilweise wird dies jedenfalls für den Bereich der Publikumswerbung mit der Begründung vertreten, der verbindliche Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers erlaube keine andere Interpretation.633 Da der aufgeklärte Verbraucher Werbeanpreisungen wie sie dem Sachverhalt der genannten BGH-Entscheidung634 zugrunde lagen, keinen Glauben schenke, sei diese Form unternehmerischen Werbens wettbewerbsrechtlich zulässig. Somit könne sie auch nicht nach § 263 StGB verboten sein.635 Dieser Schlussfolgerung schließt sich die wettbewerbsrechtliche Rechtsprechung nicht an. Beispielsweise war im Jahre 2003 Gegenstand eines wettbe632 BGHSt 34, 199 (201); in der Entscheidung geht es dem BGH vor allem um die Klärung der Frage, ob ein vertraglich eingeräumtes Rücktrittsrecht einen vollwertigen Ausgleich für die wirkungslosen Produkte darstellt und damit ein Schaden abzulehnen ist. Er verneinte dies. 633 Hecker, Europäisches Strafrecht, 4. Aufl. 2012, § 9 Rn. 34; Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 304 f., 342; Soyka, wistra 2007, 127 (128, 133); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (711); Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (580). 634 BGHSt 34, 199 (200). 635 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 304 f., 342; Soyka, wistra 2007, 127 (128, 133); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (711); Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (580).

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

werbsrechtlichen Urteils des Thüringer Oberlandesgerichts eine Anzeigenwerbung folgenden Inhalts: »Bellaform-Schlankkapseln – 10 Kilo in 2 Wochen…Man kann ganz normal essen und trotzdem abnehmen…Denn der Körper baut das Körperfett im Nu zu Energie um….Sie können essen, was sie wollen und werden trotzdem jeden Tag schlanker (…).«636

Das Oberlandesgericht Thüringen hatte zu überprüfen, ob die Angaben irreführend im Sinne des § 3 UWG a. F. waren. Der Auslegung des § 3 UWG a. F. legte das Gericht das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu Grunde.637 Diese Auslegung entsprach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 3 UWG a. F., welche von unionsrechtlichen Einflüssen geprägt war.638 Da es der Wahrheit widerspreche, dass mit dem beworbenen Präparat die angepriesenen Wirkungen erreicht werden könnten, liege eine objektiv unwahre Angabe vor. Auch unter Zugrundelegung des Maßstabes des situationsadäquat durchschnittlich informierten, aufgeklärten und verständigen Verbrauchers sei diese unwahre Angabe irreführungsgeeignet und damit geeignet, die wirtschaftliche Entschließung der angesprochenen Verbraucher zu beeinflussen. Es könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Werbung so übertrieben wäre, dass sie von vornherein von niemandem als ernsthaft wahrgenommen werde. Berücksichtigt werden müsse insbesondere auch, dass »zeitgeistbedingt selbst bei vielen, durchaus durchschnittlich aufgeklärten und informierten Verbrauchern mit Übergewicht ein besonderes Wunschdenken im Hinblick auf eine ›Traumfigur‹ besteht und daher streng rationale Überlegungen auch beim durchschnittlich informierten Verbraucher nicht im Vordergrund stehen, sondern emotionale Überlegungen, die eine leichte Verführbarkeit nach sich ziehen.«639

Im Übrigen wird in der Entscheidung betont, dass es sich bei Schlankpillen um Produkte handele, die dem Gesundheitsbereich angehörten und die deshalb besondere Gefährdungen für den menschlichen Körper bergen würden.640 In Anbetracht der konträren Auffassungen darüber, wie verständig sich der Durchschnittsverbraucher gegenüber Werbebotschaften über Wundermittel verhält, könnte man zu der Schlussfolgerung gelangen, der Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers sei eben ungeeignet dafür, die Irreführungseignung und damit die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit unwahrer Angaben zu bestimmen. 636 637 638 639 640

Thüringer OLG – 2 U 967/02, Urt. v. 21. 5. 2003, Magazindienst 2003, S. 819. Thüringer OLG – 2 U 967/02, Urt. v. 21. 5. 2003, Magazindienst, 2003, S. 829 (820). Vgl. nur BGH, GRUR 2000, 619 (621); BGH, GRUR 2004, 605 (606). Thüringer OLG – 2 U 967/02, Urt. v. 21. 5. 2003, Magazindienst 2003, S. 819 (820 f.). Thüringer OLG – 2 U 967/02, Urt. v. 21. 5. 2003, Magazindienst 2003, S. 819 (821).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Dass dem nicht so sein muss, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt.641 Vielmehr sind sowohl die Ausführungen Heckers, Danneckers und Soykas als auch die Argumentation des Thüringer OLG allein deshalb problematisch, weil die Sachverhalte weder ausreichend in ihren rechtlichen Kontext eingebettet noch bei der Anwendung des unionsrechtlichen Verbraucherleitbildes das mit ihm einhergehende normative Abwägungserfordernis ausreichend berücksichtigt werden. Zuzugeben ist allerdings, dass eine umfassende unionsrechtliche Bewertung seit Erlass der Richtlinie 2005/29/EG und anderer Regelungen leichter fällt als zuvor. Möchte man beurteilen, ob eine unwahre Angabe nach dem Unionsrecht aufgrund ihrer Irreführungseignung verboten ist oder nicht, ist folgendes Vorgehen ratsam: In einem ersten Schritt ist zu überlegen, welche unionsrechtlichen Regelungen bzw. welche nationalen Durchführungsnormen bei der Bewertung des konkreten Sachverhaltes eine Rolle spielen könnten. Gelangt man hierbei zu der Erkenntnis, dass das Ergebnis der Bewertung von einer unionsrechtlichen Regelung abhängt, die das Verbraucherleitbild in Bezug nimmt, ist in einem zweiten Schritt herauszuarbeiten, welche Interessen im Lichte des Verbraucherleitbildes unter Berücksichtigung des tatsächlichen Verkehrsverständnisses für die Annahme der Irreführungseignung sprechen und welche dagegen. Im Anschluss sind diese gegenläufigen Interessen zu gewichten und dem überwiegenden Interesse ist der Vorrang einzuräumen. Nach heutiger Rechtslage, die allerdings im Zeitpunkt der Entscheidungsreife der zitierten Urteile sowie der Beiträge Heckers und Danneckers teilweise noch nicht galt, wären die unwahren Angaben, das »Hollywood-Lifting-Bad« aus taufrischem Frischzellenextrakt forme mit 100 %iger Figurgarantie im Blitztempo von nur zwölf Bädern wieder schlank, straff und jung, die Einnahme der »Schlank-Pille M-E-D 300« bzw. der »Bellaform-Schlankkapseln« führe dazu, dass man essen könne, soviel man wolle und der »Haarverdicker-Doppelhaar« verdopple das Haar binnen zehn Minuten, wie folgt auf ihre wettbewerbsrechtliche Irreführungseignung hin zu überprüfen: Alle drei Werbeaussagen sind Geschäftspraktiken zwischen einem Unternehmer und Verbrauchern. Deshalb sind im Grundsatz allein die Regelungen des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, welches die vollharmonisierende Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken umsetzt, anwendbar.642 Da es sich bei allen Anpreisungen um unwahre Angaben handelt, wäre anhand des Maßstabes des Durchschnittsverbrauchers des angesprochenen Adressaten641 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. a), b) und 3. Abschnitt. 642 Grundsätzlich könnte die dargestellte Werbung auch nach Art. 3, 2 b) der Werberichtlinie irreführend und damit verboten sein. Da sie jedoch nur den Schutz Gewerbetreibender untereinander bezweckt, wird hierauf nicht weiter eingegangen.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

kreises zu überprüfen, ob sie ausnahmsweise nicht irreführend sind. Jedoch existiert gerade im Bereich des Täuschungsschutzes eine Vielzahl von Normen in produktspezifischen Spezialregelungen, die ihren Ursprung ebenfalls im Unionsrecht haben und dem Lauterkeitsrecht zuzurechnen sind.643 Wird eine Verhaltensweise von einer solchen Norm als täuschungsgeeignet eingestuft, geht diese der Richtlinie 2005/29/EG als speziellere Norm vor, Art. 3 Abs. 3 der Richtlinie 2005/29/EG644 bzw. ist diese Konkretisierung des den §§ 5, 5a UWG zugrundeliegenden Rechtsgedankens.645 Dabei berührt der Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers alle diese Bestimmungen zum Täuschungsschutz mehr oder weniger stark. Zu untersuchen ist deshalb zunächst, ob die zitierten Angaben zu Liftingbad, Schlankheitspillen und Haarverdicker bereits gemäß spezielleren unionsrechtlichen Regelungen zum Täuschungsschutz bzw. gemäß deren Durchführungsvorschriften verboten oder ausdrücklich erlaubt sind. Einschlägig könnten insbesondere Vorschriften im Bereich des Arzneimittel-, Lebensmittel- und Kosmetikmittelwerberechts sein.646 aa) Ausgewählte Regelungen des lebensmittelrechtlichen Täuschungsschutzes Begonnen werden soll die Untersuchung mit Vorschriften des lebensmittelrechtlichen Täuschungsschutzes. Relevant sind hier vor allem die größtenteils auf unionsrechtlichen Vorgaben beruhenden Vorschriften des LFGB.647 Bedeutung kommt auch der bereits etwas ausführlicher dargestellten Health-ClaimsVerordnung (EG) 1924/2006 zu.648 Voraussetzung der Anwendbarkeit dieser Regelungswerke bzw. deren Vorschriften über Lebensmittel ist, dass der betroffene Gegenstand ein Lebensmittel ist, § 11 LFGB bzw. Art. 1 Abs. 2 i. V. m. Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006. Nach Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (i.V.m § 2 Abs. 2 LFGB) sind Lebensmittel bzw. Nahrungsergänzungsmittel mit Ausnahme der in Art. 2 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 aufgeführten Gegenstände (z. B. Arzneimittel und kosmetische 643 Die den Bereich der Werbung und des Marketings betreffenden Vorschriften des Lebensmittel- und Heilmittelbereichs werden ausdrücklich dem Lauterkeitsrecht zugeordnet, Henning-Bodewig, GRURInt 2010, 549 (555). 644 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 240 ff.; Henning-Bodewig, GRURInt 2010, 549 (555); Meyer in Meyer/Streinz, LFGB, 2. Aufl. 2012, § 11 LFGB Rn. 17. 645 Wehlau, LFGB, 2010, § 11 Rn. 166. 646 Vgl. auch die bei Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 242 aufgezählten Beispiele. 647 Bedeutung kommt vor allem der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 zu; vgl. dazu beispielsweise die Darstellung bei Pfohl in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011 § 72 Rn. 2 ff. 648 Vgl. oben Teil 1, 2. Abschnitt, II.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Mittel) alle Stoffe oder Erzeugnisse, die dazu bestimmt sind oder von denen nach vernünftigem Ermessen erwartet werden kann, dass sie in verarbeitetem, teilweise verarbeitetem oder unverarbeitetem Zustand von Menschen aufgenommen werden. Dies trifft zwar weder für das Hollywood-Lifting-Bad noch für den Haarverdicker-Doppelhaar, jedoch für die Schlankpille M-E-D 300 bzw. die Bellaform-Schlankkapseln zu.649 Die Eröffnung des Anwendungsbereiches der Health-Claims-Verordnung setzt weiterhin voraus, dass es um die Beurteilung nährwert- und gesundheitsbezogener Angaben geht. Anderenfalls wäre allein die allgemeinere Bestimmung zum Täuschungsschutz des § 11 Abs. 1 Nr. 2 LFGB anwendbar. Bei den Behauptungen, man müsse sogar reichlich essen, um eine ungeheure Fettabschmelzkraft auszugleichen bzw. der Körper baue das Körperfett im Nu zu Energie um, handelt es sich jedoch sogar um gesundheitsbezogene Angaben. Diese stehen unter einem präventiven Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, sofern nicht die beworbenen Produkte bestimmten Nährwertprofilen entsprechen und die Werbeaussagen ausdrücklich in die Liste der zugelassenen Angaben aufgenommen sind, Art. 10 der Verordnung (EG) Nr. 1924/2006. Die Veröffentlichung dieser Liste durch die Kommission ist zwar immer noch nicht vollständig abgeschlossen, jedoch bestimmt Art. 12 der Verordnung bestimmte Angaben als per se unzulässig. Hierzu gehören nach Art. 12 b) der Verordnung Angaben über Dauer und Ausmaß der Gewichtsabnahme. Überdies dürfen nach Art. 13 Abs. 1 c) der Verordnung gesundheitsbezogene Angaben, die die schlankmachenden oder gewichtskontrollierenden Eigenschaften des Lebensmittels oder die Verringerung des Hungergefühls oder ein verstärktes Sättigungsgefühl oder eine verringerte Energieaufnahme durch den Verzehr des Lebensmittels beschreiben oder darauf verweisen, nur gemacht werden, wenn sie sich auf wissenschaftliche Erkenntnisse stützen und vom durchschnittlichen Verbraucher richtig verstanden werden. Da weder die Schlankpille M-E-D 300 noch die Bellaform-Schlankkapseln irgendeine gewichtsreduzierende Wirkung hatten, stützten sie sich zwangsläufig nicht auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse und sind demnach nach der Health-Claims-Verordnung verboten. Auch über ein Zulassungsverfahren nach Art. 15 – 18 der Verordnung wäre keine Erlaubnis zu erlangen, da hierfür der Nachweis der Wirksamkeit erbracht werden müsste. Ersichtlich dienen die ausgewerteten Vorschriften neben dem Gesundheitsschutz auch dem Irreführungsschutz der Verbraucher. Die Werbung mit den 649 Im Einzelnen ist die Abgrenzung zu Arzneimitteln sehr schwierig, vgl. Pfohl in MüllerGugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011, § 72 Rn. 9 ff. Für die Zwecke dieser Arbeit wird davon ausgegangen, dass den Schlankheitsmitteln keine pharmakologische Wirkung beigemessen wurde.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Schlankpillen in der zitierten Form ist unionsrechtlich untersagt. Es besteht keine Kollision des Unionsrechts mit der herkömmlichen Auslegung des Betrugstatbestandes in diesem Bereich. bb) Ausgewählte Regelungen über Arzneimittel und kosmetische Mittel Das Hollywood-Lifting-Bad sowie der Haarverdicker-Doppelhaar sind zwar keine Lebensmittel und unterfallen den soeben ausgewerteten Regelungen daher nicht. Jedoch könnten sie Arzneimittel oder kosmetische Mittel sein. Arzneimittel sind unter anderem Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen, § 2 Abs. 1 Nr. 2 AMG i. V. m. Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 2001/83/EG.650 Kosmetische Mittel sind u. a. Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen, die ausschließlich oder überwiegend dazu bestimmt sind, äußerlich am Körper des Menschen zur Veränderung des Aussehens angewendet zu werden, jedoch nicht, wenn sie zur Beeinflussung der Körperformen bestimmt sind, § 2 Abs. 5 LFGB i. V. m. Art. 1 der Richtlinie 76/768/EWG. Schlankheitsbäder wie das Hollywood-Lifting-Bad sind aufgrund der angepriesenen Beeinflussung der Körperformen wohl als Arzneimittel einzuordnen.651 Dies muss in dieser Arbeit jedoch nicht abschließend entschieden werden. Das Inverkehrbringen von Arzneimitteln ist von vorneherein vom Vorliegen einer Genehmigung abhängig, § 21 AMG, der die dort genannten Richtlinien umsetzt. Im Übrigen sind Angaben über Wirkungen verboten, die nicht wissenschaftlich belegt sind, § 8 Abs. 1 Nr. 2 a) AMG. Kosmetische Mittel sind parallel zu gesundheitsbezogenen Angaben verboten, wenn ihnen Wirkungen beigelegt werden, die ihnen nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen, § 27 Abs. 1 Nr. 1 LFGB i. V. m. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 76/768/ EWG bzw. ab 11. 7. 2013 Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009. Da die beiden Präparate erwiesenermaßen völlig wirkungslos waren, wäre ihr Vertrieb und erst recht die zitierte Werbung unionsrechtlich verboten. Das Verbot besteht sowohl aus Gründen des Gesundheits- als auch des Täuschungsschutzes. Entsprechend der zu den Schlankheitspillen getroffenen Bewertung,652 besteht auch hinsichtlich der unwahren Angaben bezüglich des Liftingbads und des Haarverdickers kein unionsrechtlicher Widerspruch zur Strafbarkeit dieser Werbehandlungen nach § 263 StGB. 650 Vormals: Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie 65/65/EWG. Vgl. auch Art. 128 Satz 2 der Richtlinie 2001/83/EG. 651 So Wehlau, LFGB, 2010, § 2 Rn. 271. 652 Vgl. oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. A. 1. b) aa).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Im Ergebnis sind Anpreisungen völlig wirkungsloser Wundermittel auch unter Zugrundelegung des Maßstabes des Durchschnittsverbrauchers entgegen in der letzten Zeit gehäufter anderweitiger Behauptungen immer als irreführungsgeeignet einzustufen, da speziellere unionsrechtliche Regelungen diese Bewertung vorgeben und auch keine Umstände vorliegen, die sonstige Zweifel an der Unlauterkeit der Handlungen begründen. Denn derartige Wundermittel werden immer als Kosmetika, Lebensmittel oder sogar Arzneimittel einzustufen und Werbebotschaften entsprechend den Beispielsfällen unionsrechtlich per se täuschungsgeeignet sein. Infolgedessen zwingt das Unionsrecht in diesem Bereich nicht zu einer Neuinterpretation und restriktiveren Handhabung des Betrugstatbestandes auf nationaler Ebene. Der Sachverhalt in der Entscheidung BGHSt 34, 199 wäre heute auf die gleiche Weise wie damals zu beurteilen. 2. Abwandlung von BGHSt 34, 199: Wundermittel im Kern wirksam Schwieriger zu bewerten sind Konstellationen, in denen Wundermittel mit im Kern wahren, aber übertrieben dargestellten Angaben beworben werden. Diese Problematik stellt sich jedoch nur bei Kosmetika. Aussagen wie beispielsweise »Die neuartigen Joghurtkulturen von Himbeeryogi fördern ihre Verdauung. Nie wieder Völlegefühle. Versprochen.« würden selbst dann nicht das Zulassungsverfahren nach der Health-Claims-Verordnung erfolgreich passieren, wenn es wahr wäre, dass das Verdauungssystem durch die Joghurtkulturen positiv beeinflusst wird. Denn dieser Effekt wäre minimal und könnte eine ungesunde Lebensweise nicht ausgleichen, geschweige denn dafür sorgen, dass nie wieder Völlegefühle auftreten. Ähnliches gilt bei arzneimittelbezogenen Angaben. In diesen beiden Regelungsbereichen sind übertreibende Werbeaussagen aufgrund des strengen unionsrechtlichen Regelungsgefüges generell verboten. Da diese Verbote wiederum neben Gründen des Gesundheitsschutzes auch aus Gründen des Täuschungsschutzes bestehen, präjudiziert ihre Wertung die Frage, ob die Werbeanpreisungen im Sinne des Wettbewerbsrechtes geeignet sind, den Durchschnittsverbraucher irrezuführen. Das Unionsrecht hat hier ein sehr strenges Schutzniveau etabliert, welches aufgrund seiner vollharmonisierenden Wirkung die Verwirklichung des Binnenmarktes nicht gefährdet. Aufgrund der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts muss jedoch nicht jedes unionsrechtliche Verbot strafrechtlich und schon gar nicht vermögensstrafrechtlich flankiert sein. Diese Fälle können somit weiterhin national eigenständig nach § 263 StGB ausgelegt werden.653 Fälle der Werbung mit im Kern wirksamen Kosmetika, bei denen der übertreibende Werbeslogan unions- und damit wettbewerbsrechtlich zulässig und gleichzeitig nach der bisherigen Auslegung des § 263 StGB Gegenstand einer 653 Ausführlicher hierzu unten Teil 3, 2. Abschnitt, II. D. 2.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Täuschung ist, könnten jedoch zu einer Kollision führen. Voraussetzung einer solchen Diskrepanz zwischen Wettbewerbsrecht und Betrugsstrafrecht im Bereich ausdrücklich unwahrer Angaben ist, dass deren Irreführungseignung im Sinne des § 5 Abs. 1 1. Alt. UWG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 1. Alt. der Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken widerlegt werden kann. Ob dies bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen einer Strafbarkeit wegen Betrugs überhaupt der Fall sein kann, wird an späterer Stelle abstrakt erörtert, da sich diese Problematik im Laufe der Untersuchung noch öfter stellen wird.654 Selbst wenn dies zu bejahen sein sollte, wären die Fälle tatsächlicher Diskrepanzen der beiden Täuschungsbegriffe jedoch sehr gering, da nach dem Unionsrecht bei unwahren Angaben keine allzu hohen Anforderungen an die Irreführungseignung zu stellen sind und umgekehrt übertreibende Anpreisungen im Kern wirksamer Kosmetika – wenn überhaupt – nur sehr selten zur Annahme einer Täuschung nach § 263 StGB führen werden. Beispielsweise wäre im Fall des Haarverdicker-Doppelhaares – vorausgesetzt, man ordnet ihn als Kosmetikmittel ein – selbst bei einer im Kern vorhandenen minimalen Wirksamkeit auch aus unionsrechtlicher Perspektive nicht zu entkräften, dass die Angabe »verdoppelt ihr Haar in zehn Minuten« irreführend ist. Zum einen ist die Angabe so konkret, dass sie nicht als wissenschaftlich erwiesen im Sinne von § 27 LFBG i.Vm. Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 78/768/EWG bzw. ab 11. 7. 2013 Art. 20 der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 angesehen werden kann und schon deshalb verboten ist. Überdies wird für durchschnittliche Adressaten dieses Produktes der allmähliche Ausfall ihrer Kopfhaare mit einem hohen Leidensdruck verbunden sein. Ähnlich wie bei Schlankheitskapseln werden daher bei ihnen strenge Vernunfterwägungen nicht im Vordergrund stehen, sondern emotionale Überlegungen, die eine leichte Verführbarkeit zur Folge haben.655 Im Übrigen erfordert auch das übergeordnete Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes keine andere Sichtweise, da – wie das immer wieder betonte Erfordernis wissenschaftlicher Nachprüfbarkeit zeigt – auch die Interessen des Unionsrechts nicht dahin gehen, den freien Warenverkehr von eher fragwürdigen Produkten zu ermöglichen, die allein deshalb verkehrsfähig sind, weil Werbebotschaften gezielt unrealistische Hoffnungen von Verbrauchern ausnutzen. Aus diesem Grund ist es auch unproblematisch, in die Abwägung am Maßstab des vom Verhältnismäßigkeitsprinzip geprägten Verbraucherleitbildes einzustellen, dass der Verbraucher sich vor allem aufgrund leichter Verführbarkeit zum Kauf des jeweiligen Produktes hinreißen lassen wird. Der Unternehmer verfolgt nämlich keinen aus der Sicht des Unionsrechts schützenswerten 654 Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. 655 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. A. 1. b): Thüringer OLG – 2 U 967/02, Urt. v. 21. 5. 2003, Magazindienst 2003, S. 819 (820 f.).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Zweck. Leitidee des Unionsrechts ist der mündige Verbraucher, der durch seine informierte Entscheidung für Marktransparenz und gesunden Wettbewerb sorgt. Wird der im Kern wirksame Haarverdicker nun aber beispielsweise mit dem Werbeslogan »fühlbar dichteres Haar in Windeseile« beworben, besteht auch nach rein nationaler Betrugsdogmatik kein Anknüpfungspunkt für eine Strafbarkeit. Denn sowohl die »Windeseile« als auch die »Fühlbarkeit« sind sehr vage und nicht allgemeingültig definierbare Begriffe, sodass diese Botschaft nach der Verkehrsanschauung aufgrund des fehlenden Bezuges zu realen Gegebenheiten als Werturteil einzustufen wäre. B.

Marktschreierische Anpreisungen

Marktschreierische Anpreisungen von Produkten bereiten bereits nach der nationalen Betrugsdogmatik erhebliche Schwierigkeiten. Dieser Arbeit liegt ein sehr weiter Tatsachenbegriff im Betrugstatbestand zugrunde. Tatsachen liegen selbst dann vor, wenn ihr Übertreibungsgehalt offensichtlich bzw. der Mangel an Ernstlichkeit objektiv erkennbar ist. Infolgedessen ist auch eine Täuschung nach § 263 StGB im Regelfall zu bejahen.656 Die Richtlinie 2005/29/EG hingegen spricht sich im Rahmen der Üblichkeit explizit für die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit solcher Angaben aus, Art. 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2005/29/EG. Sie gelten somit grundsätzlich nicht als irreführungsgeeignet. Es stellt sich daher die Frage, ob im Wege unionsrechtskonformer Auslegung übertreibende Aussagen doch aus dem Tatsachenbegriff des § 263 StGB ausgeschieden werden müssen. Hierzu folgende Beispiele: Fall 1: Unternehmer U wirbt im Fernsehen für ein Lifestyle-Getränk mit dem Slogan: »Red Bull verleiht Flügel«. Dabei nimmt er billigend in Kauf, dass einzelne, aufgrund individueller Einschränkungen besonders leichtgläubige Verbraucher meinen, nach dem Konsum des Getränkes könne man tatsächlich kurzzeitig fliegen. Wahr ist hingegen, dass das Getränk aufgrund des Inhaltsstoffes Taurin eine aufputschende Wirkung hat.657 V erwirbt eine Dose des Getränkes in einem Supermarkt zum marktüblichen Preis von 1,69 E und ist nach dessen Konsum enttäuscht darüber, dass er nicht fliegen kann. Fall 2: Der geistig etwas zurückgebliebene V hat noch nie etwas von Red Bull gehört und erklärt gegenüber dem Magier M, er würde so gerne fliegen können. M behauptet gegenüber V, wenn er das Lifestyle-Getränk konsumiere, würden ihm Flügel verliehen und bietet es ihm für 150 E an. V erwirbt das Getränk und stellt enttäuscht fest, dass 656 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. c). 657 Dies sei für die Zwecke dieser Arbeit unterstellt. Ob dies wirklich so ist, scheint wissenschaftlich noch nicht geklärt zu sein. Vgl. z. B.: http://www.welt.de/wissenschaft/article1517505/Wa-rum_Energy_Drinks_keine_Fluegel_verleihen.html; Stand: 4. 1. 2008.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

ihm der geplante Rundflug nicht gelingt. Ziel des M war es, in V den Irrtum hervorzurufen, der Konsum des Getränkes bewirke tatsächlich, dass man durch entsprechende Armbewegungen fliegen könne, und ihn dadurch zur Zahlung des überhöhten Preises zu bewegen.

1. Bewertung nach nationalem Betrugsstrafrecht Fall 1: Ob die Aussage, Red Bull verleihe Flügel, eine ausdrückliche Täuschung ist, ist anhand der Verkehrsanschauung zu beurteilen. Nach der Verkehrsanschauung kann »Flügel verleihen« grundsätzlich zwei unterschiedliche Bedeutungen haben. Es kann gemeint sein, dass einem Menschen nach dem Konsum Flügel wachsen oder aber im übertragenen Sinne, dass ein Mensch sich nach dem Konsum beschwingt fühlt. Daher ist auf den konkreten Zusammenhang der Äußerung abzustellen. Als Werbebotschaft im Fernsehen richtet sich die Äußerung an die Allgemeinheit. Diese versteht das Flügel-Verleihen im übertragenen Sinne. Da der Konsum des Getränkes tatsächlich eine aufputschende Wirkung hat, liegt keine ausdrückliche Täuschung vor. U hat sich nicht wegen Betrugs strafbar gemacht. Fall 2: Anders sieht es in Fall 2 aus. Hier liegt nach der Verkehrsauffassung eine ausdrückliche Täuschung vor. Ein objektiver Dritter würde die Äußerung des M im konkreten Kontext nämlich so verstehen, dass einem Menschen nach dem Konsum des Getränkes tatsächlich Flügel wachsen. Hieran ändert auch die Tatsache nichts, dass ein Durchschnittsverbraucher einer solchen Behauptung keinen Glauben schenken würde. Dies ist allein für die Frage des Irrtums relevant. Weiterhin liegen bei V Irrtum und Vermögensverfügung vor. Außerdem ist Vallein deshalb bereit, den überhöhten Preis von 150 E zu zahlen, weil er meint als Gegenleistung ein Mittel zu erhalten, nach dessen Konsum er fliegen kann. Da er aber lediglich ein Getränk mit aufputschender Wirkung erhält, dessen Marktwert weit unter 150 E liegt, erleidet er einen Vermögensschaden. M wusste von der Irrtumsanfälligkeit des V und handelte hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale vorsätzlich und in der Absicht rechtswidriger Bereicherung. M wäre nach § 263 StGB zu bestrafen. 2. Bewertung auf der Grundlage des Unionsrechts Fall 1: Bei »Red Bull« handelt es sich um ein Lebensmittel, da dieses Produkt dazu bestimmt ist, von Menschen aufgenommen zu werden.658 Daher ist die auf unionsrechtlichen Richtlinien beruhende Spezialvorschrift659 des § 11 LFGB zum lebensmittelrechtlichen Täuschungsschutz vorrangig zu den Bestimmun658 Vgl. die Definition in Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (ggf. i.V.m § 2 Abs. 2 LFGB). 659 Str. ob lex specialis oder nur Konkretisierung, siehe die Nachweise in Fn. 656 f.

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gen der Richtlinie 2005/29/EG anzuwenden. Der Anwendungsbereich der Health-Claims-Verordnung ist hingegen nicht eröffnet, da es sich bei der Äußerung »Red Bull verleiht Flügel« um keine nährwert- oder gesundheitsbezogene Angabe handelt. Nach § 11 Abs. 1 Satz 1 LFGB ist es verboten, Lebensmittel unter irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung in den Verkehr zu bringen oder für Lebensmittel allgemein oder im Einzelfall mit irreführenden Darstellungen oder sonstigen Aussagen zu werben. Nach § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB liegt eine Irreführung insbesondere vor, wenn einem Lebensmittel Wirkungen beigelegt werden, die ihm nach den Erkenntnissen der Wissenschaft nicht zukommen oder die wissenschaftlich nicht hinreichend gesichert sind. Der in dieser Vorschrift verwendete Begriff der Irreführung ist eng verwandt mit dem wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbot nach §§ 5, 5a UWG i. V. m. Art. 5 ff. der Richtlinie 2005/29/EG, da beide Verbote eine identische Schutzrichtung haben660 bzw. § 11 LFGB lex specialis zu §§ 5, 5a UWG ist661. Infolgedessen ist das lebensmittelrechtliche Irreführungsverbot am identischen Maßstab des Durchschnittsverbrauchers auszulegen wie das allgemein wettbewerbsrechtliche.662 Da sich der Werbeslogan »Red Bull verleiht Flügel« objektiv an die Allgemeinheit richtet und nicht nur geeignet ist, das wirtschaftliche Verhalten besonders schutzwürdiger Verbraucher wesentlich zu beeinflussen, ist der Maßstab zur Beurteilung der Irreführungseignung der Angabe im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB entsprechend § 3 Abs. 2 UWG i. V. m. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG der Durchschnittsverbraucher am Maßstab der Allgemeinheit. Dieser versteht die Angabe im übertragenen Sinne so, dass der Konsum des Getränkes eine – wenn auch möglicherweise nur sehr leichte – aufputschende Wirkung hat. Für den Durchschnittsverbraucher handelt es sich daher nicht um eine ernsthafte konkrete Wirkaussage, sondern um eine unspezifische Werbeanpreisung mit nur im Kern wahrer Aussage. Als solche ist die Angabe nicht nach § 11 LFGB verboten.663 Diese Sichtweise wird durch die Regelung des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2005/29/EG bestätigt, wonach die übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen vom Irreführungsverbot unberührt bleibt. Die Angabe »Red Bull verleiht Flügel« ist lebensmittelrechtlich zulässig. Ein Widerspruch zur deutschen Betrugsdogmatik besteht hier nicht. Fall 2: Auch hier stellt sich die Frage, ob gegen das Irreführungsverbot aus § 11 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 LFGB verstoßen wurde. Wiederum sind als Auslegungs660 Wehlau, LFGB, 2010, § 11 Rn. 18. 661 Henning-Bodewig, GRURInt 549 (555); Meyer in Meyer/Streinz, LFGB, 2. Aufl. 2012, § 11 Rn. 17; a. A.: Wehlau, LFGB, 2010, § 11 Rn. 166. 662 Wehlau, LFGB, 2010, § 11 Rn. 18. 663 Vgl. Wehlau, LFGB, 2010, § 11 Rn. 78.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

maßstab die allgemein wettbewerbsrechtlichen Regelungen heranzuziehen. Aufgrund der ausdrücklichen Regelung des Art. 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2005/29/EG ist dieser Fall 2 auf den ersten Blick schwieriger zu bewerten als Fall 1. Es fragt sich, ob die Aussage des M deshalb lebensmittelrechtlich zulässig ist, weil sie eine übliche und rechtmäßige Werbepraxis, übertriebene Behauptungen oder nicht wörtlich zu nehmende Behauptungen aufzustellen, wäre, wenn sie als Werbung an die Allgemeinheit gerichtet wäre und M einen marktüblichen Preis fordern würde. Bei Art. 5 Abs. 3 Satz 2 der Richtlinie 2005/ 29/EG handelt es sich um eine Rückausnahme vom erhöhten Schutzniveau bei besonders schutzwürdigen Verbrauchern. Hinter ihr steht die Überlegung, dass für eine Beurteilung der Lauterkeit von Werbung, die an eine Vielzahl unterschiedlichster Adressaten gerichtet ist, immer auch das schwächste Glied einer Kette bei der Ermittlung des durchschnittlichen Verständnisses der angesprochenen Verkehrskreise berücksichtigt werden müsste und dies zu einer unangemessenen Beschränkung von Werbung führen würde.664 Besteht der angesprochene Personenkreis hingegen nur aus besonders schutzwürdigen Verbrauchern und behauptet der Werbende bewusst Dinge, die für den jeweiligen Adressatenkreis missverständlich sind, in der Hoffnung, dass ein Teil der angesprochenen Verbraucher auf sein Angebot hereinfällt, sind die Interessen des Unternehmers nicht schutzwürdig.665 Dies muss erst Recht bei einem einzelnen Adressaten gelten. Daher bleibt es in diesen Fällen bei dem erhöhten Schutzstandard im Sinne des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG.666 Im Beispielsfall schenkt V dem M allein aufgrund eines strukturellen Defizits dahingehend Glauben, dass er nach dem Konsum des Getränkes fliegen könne. Er ist besonders schutzwürdig. Das Verhalten des M wäre somit auch aus unionsrechtlicher Sicht lebensmittelrechtlich und wettbewerbsrechtlich unzulässig. Das Ergebnis der Strafbarkeit des M nach § 263 StGB kollidiert nicht mit unionsrechtlichen Regelungen. Regelmäßig ergibt sich auch dann keine Kollision, wenn man die beiden geschilderten Ausgangsfälle kombiniert, d. h., wenn es sich um einen offenkundig unwahren Werbeslogan handelt, der an die Allgemeinheit gerichtet ist und in der Hoffnung, dass ein paar wenige unverständige Verbraucher darauf hereinfallen, ein überhöhter Preis gefordert wird. Weshalb dem so ist, bedarf einer etwas komplexeren Untersuchung der Wechselwirkungen zwischen den Tatbestandsmerkmalen der wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverbote und des Betrugstatbestandes. Diese recht abstrakten Untersuchungen sollen erst im Anschluss an die Auswertung der konkreten Einzelsachverhalte erfolgen. Zum 664 Dreyer in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 3. Aufl. 2013, § 5 B Rn. 17. 665 Ähnlich: Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 33. 666 Dreyer in Harte-Bavendamm/Henning-Bodewig, UWG, 3. Aufl. 2013, § 5 B Rn. 18, 47.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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einen wird die Analyse der Einzelsachverhalte nämlich die Anknüpfungspunkte für die Ermittlung allgemeiner Wechselwirkungen zwischen den wettbewerbsrechtlichen Irreführungsverboten und dem Betrugstatbestand liefern.667 Zum anderen ist nach Abschluss der Auswertung der Einzelsachverhalte eine eingängigere Darstellung möglich. Deshalb wird die Kombination der beiden Ausgangsfälle erst an späterer Stelle dargestellt.668

C.

Kaffeefahrten

Ein weiterer Bereich, in dem es häufig zur Ausnutzung eher leichtgläubiger Verbraucher kommt, sind die sogenannten Kaffeefahrten. Hierbei handelt es sich um als Städtereisen, Bildungsreisen oder ähnliches getarnte Werbeveranstaltungen. Teilnehmer sind meist ältere Personen, die sich von den Veranstaltungen ein wenig Abwechslung erhoffen. Das »Unterhaltungsprogramm« der Reise besteht zu einem weit überwiegenden Teil in ausgeklügelten Werbe- und Verkaufsförderungsmaßnahmen, die den Veranstaltern den Absatz bestimmter Produkte in großen Mengen garantieren sollen. Dies wird in der Werbung für die Reise jedoch entweder gar nicht oder nur im »Kleingedruckten« aufgedeckt. Die Besichtigung der Sehenswürdigkeiten des Reiseortes oder andere Aktivitäten werden den Reisenden, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt ermöglicht. Fallbeispiel: Rentner R findet in seinem Briefkasten ein Prospekt mit folgender Anzeige: »Topangebot! Reise nach Berlin! Umfangreiches Freizeitprogramm mit Stadtführung. Unterhaltung garantiert. Reichhaltiges Mittagsmenü, das man einfach mitnehmen muss.669 Zum Schnäppchenpreis von 5 Euro. Alles inklusive.«

R ist begeistert über dieses Schnäppchen, bucht und zahlt sofort. Die Reise entpuppt sich schließlich als Werbeveranstaltung eines Herstellers von Rheumadecken. Dies war in der Anzeige zwar erwähnt, der Hinweis jedoch so unauffällig gestaltet, dass kein Teilnehmer ihn las. Die Rheumadecken werden den Teilnehmern in einer vierstündigen Werbeveranstaltung zu einem Preis von 100 E als sehr hochwertige Decken mit echter Lamafellfüllung angepriesen, die im Gegensatz zu manch anderer Decke wirklich zur Verbesserung des Wohlbefindens beitrügen. In Wirklichkeit handelt es sich um sehr minderwertige Decken, die mit synthetischen Stoffen gefüllt sind und bereits nach halbjähriger Benutzung entsorgt werden müssen. In Bettenhäusern ist das identische Modell für 15 E zu erwerben. Da R von der Begeisterung, die der Werbeveranstalter 667 Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt III. am Anfang. 668 Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. 3. a). 669 Beispiel zum Mittagsmenü entnommen aus BGH, wistra 2002, 467.

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ausstrahlt, angesteckt wird und an die hohe Qualität glaubt, erwirbt er eine Decke, obwohl er überhaupt nicht unter Rheuma leidet und sie daher für ihn völlig nutzlos ist. Die Veranstaltung findet in Räumen eines abgelegenen Gasthofes am Stadtrand von Berlin statt, sodass die Reisenden faktisch zur Teilnahme gezwungen sind. Anschließend werden die müden und hungrigen Teilnehmer eine halbe Stunde im Bus durch die Innenstadt gefahren, während eine professionelle Stadtführerin die wichtigsten Sehenswürdigkeiten knapp erläutert. Am Abend bekommen die Teilnehmer eine Dose Linsensuppe mit nach Hause. Hätte R von dem Ablauf der Reise in dieser Form und der schlechten Qualität der Decke gewusst, hätte er von einer Buchung abgesehen und die Decke nicht erworben. Abwandlung: Es handelt sich tatsächlich um eine hochwertige Decke, für die in Bettenhäusern ein ähnlicher Preis gezahlt werden müsste. Allerdings ist sie nicht mit Lamafell gefüttert, sondern mit hochwertigen synthetischen Materialien. R hätte sie unter normalen Bedingungen dennoch nicht erworben, da sie für ihn nutzlos ist. 1. Bewertung nach nationalem Betrugsstrafrecht Fragt man nach der Strafbarkeit des Veranstalters, sind zwei mögliche Täuschungshandlungen zu unterscheiden: Zum einen die Täuschung über den Charakter der Fahrt als Werbeveranstaltung und die Qualität der angebotenen Speisen und zum anderen die Täuschung über die Qualität der beworbenen Decken.670 Ob eine Täuschung über den Charakter der Busreise vorliegt, entscheidet sich danach, inwieweit die Tatsache »Werbeveranstaltung« bei einer objektiven Gesamtbetrachtung nach der Verkehrsanschauung als ausdrücklich oder konkludent miterklärt anzusehen ist. Eine ausdrückliche Erklärung darüber, dass keine Werbeveranstaltung abgehalten werde, erfolgte nicht. Zur Bestimmung einer konkludenten Täuschung ist das tatsächliche Verständnis der angesprochenen Verkehrskreise ebenso relevant wie die Risikoverteilung zwischen Veranstaltern und Teilnehmern. Rein tatsächlich erkannte kein Teilnehmer den Hinweis auf die Werbeveranstaltung, jedoch kann von einem Irrtum nicht auf eine (konkludente) Täuschung geschlossen werden.671 Problematisch ist, wer das Informationsrisiko zu tragen hatte. Da bei einem Preis von 5 E nach dem objektiven Empfängerhorizont recht schnell zu erkennen ist, dass die Kosten der Reise weitaus höher liegen werden und deshalb der Unternehmer seinen Gewinn anderweitig generieren wird, wird man – wie in den meisten Fällen der Kaffee670 Allgemein zu Kaffeefahrten: Göbel, Die strafrechtliche Bekämpfung der unseriösen Geschäftstätigkeit, 2007, S. 74 f. 671 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. A.

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fahrten – nach der bisherigen Betrugsdogmatik einen täuschenden Gesamteindruck der Anzeige nicht annehmen können.672 Letztlich kann diese Frage jedoch offen bleiben, da jedenfalls ein Schaden abzulehnen ist. Die Reise ist trotz der intensiven Werbemaßnahmen allein aufgrund der Busfahrt, der halbstündigen Führung und der Dose Linsensuppe den Preis von 5 E objektiv wert.673 Dass es sich hierbei nicht – wie von R erwartet – um ein besonders günstiges Schnäppchen handelt, ist irrelevant, da § 263 StGB allein bestehendes Vermögen und keine Gewinnerwartungen schützt. Etwas anderes kann nur dann gelten, wenn sich eine Gewinnerwartung bereits objektiv zu einem Vermögenswert konkretisiert hat674, was vorliegend nach dem Gesamteindruck der Werbeanzeige nicht der Fall ist. Anders sieht es hingegen im Ausgangsfall mit dem Angebot der Rheumadecken aus. Der Veranstalter behauptet eine hochwertige Füllung der Decken mit Lamafell. In Wirklichkeit ist die Rheumadecke jedoch mit minderwertigen synthetischen Stoffen gefüllt. Es handelt sich um eine ausdrückliche Täuschung. R erwirbt die Decke allein aufgrund seines Irrtums über ihre Eigenschaften. Hierauf beruhend erleidet er einen Schaden, denn eine Decke mit synthetischer Füllung ist ca. 85 E weniger wert als eine Decke mit den angepriesenen Eigenschaften. Die subjektiven Tatbestandsmerkmale sind ebenfalls erfüllt. In der Abwandlung liegt trotz der Täuschung über die Art der Füllung der Decke kein Betrug vor, da aufgrund der Gleichwertigkeit von angepriesener und tatsächlicher Decke kein Schaden gegeben ist. Das reine Affektionsinteresse des R ist nicht geschützt. Selbst wenn man die Kriterien eines sogenannten »individuellen Schadenseinschlages« sehr weit ziehen würde, liegt kein Schaden vor, da die Verwendung der Decke für R nicht unzumutbar ist.675 2. Bewertung nach der Richtlinie 2005/29/EG Solf hält Werbeveranstaltungen der geschilderten Art wettbewerbsrechtlich für »eindeutig unzulässig«.676 Dem ist jedoch aus folgenden Gründen nicht zuzustimmen: Die Verschleierung des Charakters einer Veranstaltung als Werbefahrt fällt unter das Verbot des unionsrechtskonformen § 4 Nr. 3 UWG, nach dem der 672 So auch Göbel, Die strafrechtliche Bekämpfung der unseriösen Geschäftstätigkeit, 2007, S. 84. 673 Göbel, Die strafrechtliche Bekämpfung der unseriösen Geschäftstätigkeit, 2007, S. 84. 674 Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 122. 675 Vgl. im Einzelnen Göbel, Die strafrechtliche Bekämpfung der unseriösen Geschäftstätigkeit, 2007, S. 79 sowie zum »individuellen Schadenseinschlag« unten Teil 3, 3. Abschnitt, III. B. 1., 2. 676 Solf in Wabnitz/Janovsky, Handbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts, 3. Aufl. 2007, 14. Kap. Rn. 35.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Werbecharakter von geschäftlichen Handlungen nicht verschleiert werden darf. Ob eine solche Verschleierung vorliegt, richtet sich nach dem Verständnis des Durchschnittsverbrauchers des angesprochenen Verkehrskreises, § 5 Abs. 1 Nr. 1, § 3 Abs. 2 UWG i. V. m. Art. 6 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 b), 3 Satz 1 der Richtlinie 2005/29/EG. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Anzeigen von der Allgemeinheit zur Kenntnis genommen werden, weil es sich nicht um gezielte Posteinwurfsendungen handelt, ist dem Unternehmer objektiv vorhersehbar, dass sich in erster Linie aufgrund des Zeitaufwandes nur ältere Menschen und Hausfrauen angesprochen fühlen werden.677 Dennoch handelt es sich bei dieser Adressatengruppe nicht per se um besonders schutzbedürftige Verbraucher im Sinne von § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinie 2005/ 29/EG. Die Entscheidung für die Teilnahme an einer Kaffeefahrt erfolgt nämlich regelmäßig nicht aufgrund geschäftlicher Unerfahrenheit oder altersbedingt leichter Verführbarkeit.678 Der Grund dafür, dass die jeweilige Adressatengruppe den kleingedruckten Hinweis auf die Werbeveranstaltung nicht liest, liegt in der Regel nicht darin, dass sie dies nicht könnte, sondern darin, dass sie zu nachlässig ist, sich zu informieren.679 Nachlässigkeit und Bequemlichkeit werden jedoch über das unionsrechtliche Verbraucherleitbild nicht geschützt.680 Da der Unternehmer auf den Werbecharakter hinwies, liegt keine Verschleierung im Sinne des § 4 Nr. 3 UWG vor. Die Geschäftshandlung ist wettbewerbsrechtlich zulässig. Dieses Ergebnis kollidiert jedoch nicht mit § 263 StGB, da es in den Fällen der Kaffeefahrten immer entweder an einer Täuschung oder an einem Schaden fehlen wird. Unter einem »reichhaltigen Mittagsmenü« hingegen versteht auch der Durchschnittsverbraucher eine Verköstigung vor Ort. Daher ist die Bezeichnung für eine Dose Linsensuppe im Kontext der Anzeige allgemein irreführend und deshalb wettbewerbsrechtlich unzulässig. Für die Beschaffenheit der Rheumadecke gilt nichts anderes, es handelt sich um ausdrücklich unwahre Angaben, für die eine Vermutung der Irreführungseignung gilt, die vorliegend nicht widerlegt ist. Auch hier ergibt sich keine Diskrepanz zu den hinsichtlich der Strafbarkeit nach § 263 StGB gefundenen Ergebnissen. Das Wettbewerbsrecht gewährt sogar einen umfassenderen Schutz, da auch bei wirtschaftlicher Gleichwertigkeit von angepriesener und verkaufter Decke eine Irreführungseignung und damit wettbewerbsrechtliche Unzulässigkeit vorliegt. 677 Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 3.14; Bruhn in Gloy/Loschelder/ Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 50 Rn. 36. 678 So aber : Bruhn in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 50 Rn. 36; Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 4 Rn. 3.14. 679 Scherer, WRP 2008, 563 (570). 680 Allgemeine Meinung; vgl. nur Scherer, WRP 2008, 563 (570) und oben Teil 1, 2. Abschnitt I., Teil 3, 2. Abschnitt, I., B. 2.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

D.

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Rechnungsähnliche Angebotsschreiben

Eine sehr praxisrelevante und in der strafrechtlichen Literatur in jüngerer Zeit recht intensiv diskutierte Fallgruppe ebenfalls im Randbereich betrügerischen Verhaltens ist der sogenannte Insertionsoffertenbetrug.681 Hierbei werden Angebotsschreiben verschickt, die derart rechnungsähnlich gestaltet sind, dass bei einer Vielzahl von Empfängern der Eindruck entsteht, es handele sich um eine Rechnung über eine zuvor vertraglich vereinbarte und erbrachte Leistung. Aufgrund dieses Irrtums zahlen einige Empfänger mittels des beigefügten und bereits vorausgefüllten Überweisungsträgers den vermeintlich geschuldeten Betrag. Der Angebotscharakter des Schreibens geht nur aus einem kleingedruckten und unauffälligen Hinweis hervor. Der Absender ist entweder zu einer Leistung bereit, deren Wert weit unter dem im Schreiben genannten Betrag liegt, oder er will von vorneherein gar keine Leistung erbringen.682 Zwar betreffen diese Insertionsofferten meistens ein vermeintliches Vertragsverhältnis zwischen zwei Unternehmern, jedoch gibt es auch Fälle, in denen gezielt Verbraucher angeschrieben werden.683 1. Bewertung nach nationalem Betrugsstrafrecht Aufgrund des vorhandenen – wenn auch sehr kleingedruckten – Hinweises auf den Angebotscharakter der Schreiben liegt regelmäßig keine ausdrückliche Täuschung vor. Die Rechtsprechung lehnte in der Vergangenheit auch eine konkludente Täuschung teilweise ab, wenn sich die Schreiben an Gewerbetreibende richteten. Es könne erwartet werden, dass geschäftlich erfahrene Personen ein Angebot vollständig lesen und den Angebotscharakter erkennen. Das Bestehen einer vorhergehenden Bestellung sei daher nicht konkludent miterklärt.684 Jedoch zeichnet sich gegenwärtig ein Wandel ab.685 So bejahte das OLG Frankfurt unter ausdrücklicher Abkehr von vergangenen Entscheidungen eine konkludente Täuschung mit der Begründung, die Rechnungsmerkmale würden in der relevanten Insertionsofferte derart hervorgehoben, dass ein Empfänger gerade davon abgehalten werde, das Schreiben genauer zu studieren.686 Mehrere Senate des Bundesgerichtshofes sind nunmehr der Auffassung, eine konkludente Täuschung liege sowohl gegenüber Gewerbetreibenden als auch gegenüber Privatpersonen immer dann vor, wenn nach dem Gesamterklärungswert des Begriff übernommen von BGHSt 47, 1. Rose, wistra 2002, 13. Vgl. z. B. BGHSt 47, 1: »Todesanzeigen«. Vgl. z. B. BGH, Beschluss v. 22. 2. 1979, NStZ 1997, 186; OLG Frankfurt, Beschluss v. 17. 8. 1994, NStZ 1997, 187; LG Frankfurt, Beschluss v. 1. 10. 1999, NStZ-RR 2000, 7 (8). 685 Z.B.: LG Bochum, WRP 2000, 330; OLG Frankfurt, NJW 2003, 3215; LG Frankfurt, WRP 2005, 642. 686 OLG Frankfurt, Beschluss v. 31. 10. 2001, NStZ-RR 2002, 47 (48). 681 682 683 684

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Schreibens objektiv trotz wahrer gegenteiliger ausdrücklicher Angaben der Eindruck einer Zahlungspflicht erweckt wird und subjektiv die Absicht besteht, diesen Eindruck zu erwecken.687 Mit anderen Worten soll sich eine konkludente Täuschung durch eine Einwirkung auf die Vorstellung des Getäuschten auszeichnen, die objektiv geeignet und subjektiv dazu bestimmt ist, beim Adressaten eine Fehlvorstellung über tatsächliche Umstände hervorzurufen.688 Die Einführung dieser subjektiven Komponente ist jedoch abzulehnen.689 Das Vorliegen einer konkludenten Täuschung ist auch bei rechnungsähnlichen Angebotsschreiben allein danach zu bestimmen, ob dieses nach seinem Gesamteindruck faktisch-normativ geeignet ist, einen Irrtum hervorzurufen. Maßstab dieser objektiven Eignung ist die Verkehrsanschauung des jeweils betroffenen Verkehrskreises. Neben faktischen Gegebenheiten bestimmt sich diese nach der normativen Verteilung des Orientierungsrisikos nach den Gesamtumständen oder mit anderen Worten nach den Verantwortungsbereichen von Täter und Opfer.690 Eine wesentliche Rolle spielt hierbei der Rekurs auf die Gesamtrechtsordnung.691 Ob unter dieser Prämisse eine Täuschung gegenüber Gewerbetreibenden vorliegt, soll an dieser Stelle nicht abschließend geklärt werden, da das Verbraucherleitbild des Unionsrechts auf das gefundene Ergebnis keinen Einfluss nehmen wird.692 Richtet sich die Insertionsofferte an Verbraucher, wird man bei der Beurteilung der Verteilung des Informationsrisikos des Einzelfalles zu berücksichtigen haben, dass an die Sorgfalt von Verbrauchern nach der Gesamtrechtsordnung geringere Anforderungen zu stellen sind als an diejenige von Unternehmern.693 Zu Lasten der Anbieter von Anzeigen wird man die verwirrende Gestaltung ihrer Angebote in die normative Abwägung einstellen müssen. Zwar gehört es in ständiger Rechtsprechung nicht zur Aufgabe des Betrugstatbestandes sorglose Menschen vor ihrer eigenen Sorglosigkeit zu schützen.694 Dennoch ist unter Berücksichtigung der den Tätern bekannten besonderen Situation, in der sich die Verbraucher, an die die Angebotsschreiben gezielt gesendet werden, zumeist befinden, das Vorliegen einer

687 BGHSt 47, 1; BGH, StV 2004, 535 (536); hinsichtlich der Einführung der subjektiven Komponente dem Vorschlag Schröders, Festschrift für K. Peters, 1974, 153 (157 f.) folgend. 688 BGHSt 47, 1 (5); OLG Frankfurt, Beschluss v. 13. 3. 2003, NJW 2003, 3215. 689 Vgl. oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. B. 2. 690 Pawlik, StV 2003, 297 (299); Krack, JZ 2002, 613 (614); Rose, wistra 2002, 13 (16 f.). Eine ausführliche Darstellung der Unterschiede dieser normativen Ansätze findet sich bei Grau, Sozialadäquate Geschäftstüchtigkeit oder strafbarer Betrug?, 2009, S. 106 – 142. 691 Geisler, NStZ 2002, 86 (87). 692 Vertiefte Ausführungen z. B. bei Pawlik, StV 2003, 297 (299 ff.); Rose, wistra 2002, 13 (16 f.); Garbe, NJW 1999, 2868 (2869 f.). 693 Pawlik, StV 2003, 297 (301). 694 BGHSt 47, 1 (4); BGHSt 3, 99 (103).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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konkludenten Täuschung regelmäßig zu bejahen.695 Aus unionsrechtlicher Sicht könnte nun bedenklich sein, dass der wahre Charakter der Angebotsschreiben für einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher bei sorgfältiger Prüfung in den meisten Fällen durchaus erkennbar wäre. 2. Bewertung nach der Richtlinie 2005/29/EG Doch auch im Falle rechnungsähnlicher Angebotsschreiben ergibt sich aus dem Unionsrecht aufgrund des Maßstabes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers keine Verpflichtung zur Straflosigkeit: Die Bewertung nach der Richtlinie 2005/29/EG über unlautere Geschäftspraktiken fällt sehr eindeutig aus: Nach Nr. 22 des Anhangs des UWG i. V. m. Nr. 21 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG sind Geschäftspraktiken ohne Wertungsvorbehalt verboten, wenn »Werbematerialien eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beigefügt wird, die dem Verbraucher den Eindruck vermitteln, dass er das beworbene Produkt bereits bestellt hat, obwohl dies nicht der Fall ist.«

Auf eine Irreführungseignung nach § 5 Abs. 1 UWG i.Vm. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG kommt es also gar nicht mehr an. Die Geschäftspraktik ist wettbewerbsrechtlich unzulässig. Man könnte nun auf die Idee kommen, die unionsrechtliche generelle Unzulässigkeit führe aus der Sicht der Union zu einer Verpflichtung der deutschen Gerichte, das Versenden rechnungsähnlicher Angebotsschreiben umfassend als strafbar anzusehen. Doch die Richtlinie 2005/29/EG überlässt den Mitgliedstaaten die Wahl der Sanktionen bei Verstößen gegen die umgesetzten Richtlinienbestimmungen, Art. 13 der Richtlinie 2005/29/EG. Jedenfalls bei ausdrücklich unwahren Angaben gegenüber einem größeren Kreis von Personen steht mit § 16 UWG ein weiterer Straftatbestand zur Verfügung, bei dem der Eintritt eines Vermögensschadens kein Tatbestandsmerkmal ist.696 Im Übrigen müssen die Sanktionen nicht strafrechtlicher Natur sein. Es gibt auch nach Inkrafttreten des Lissabonner Vertrages jedenfalls für den in dieser Arbeit interessierenden Bereich keine allgemeine unionsrechtliche Kompetenz, die Mitgliedstaaten zur Schaffung von bzw. zur Ausweitung existierender Strafnormen zu verpflichten.697 Zwar kann sich eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten zur 695 Vgl. Krack, JZ 2002, 613 (614). 696 Vgl. zu § 16 UWG bei Kaffeefahrten z. B. BGH, wistra 2002, 467. 697 Vgl. zu den Folgen des Lissabonner Vertrages für das Strafrecht: Kubiciel, GA 2010, 99 ff.; zu der Verpflichtung zu strafrechtlicher Sanktion allgemein: Satzger, Europäisierung des Strafrechts, 2001, S. 500 ff.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Schaffung von Strafnormen aus dem Effektivitätsgebot des Art. 4 Abs. 3 AEUV ergeben, wenn nur solche Sanktionen in Anbetracht der Schwere der Tat wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sind.698 Im Bereich des Wettbewerbsrechts sind jedoch die zivilrechtlichen Sanktionen außerhalb des § 16 UWG als ausreichend wirksam anzusehen.699 Eine andere Frage ist, ob insbesondere die umgesetzten Regelungen der Richtlinie 2005/29/EG derart auf den Betrugstatbestand einwirken, dass bereits nach den Grundsätzen der rein nationalen Betrugsdogmatik die zur Beurteilung des Vorliegens einer konkludenten Täuschung maßgebliche Verkehrsanschauung durch sie determiniert wird. Es ist denkbar, dass der nationale Begriff der Verkehrsanschauung an den unionsrechtlichen Begriff der Verbrauchererwartung angepasst werden muss. Dies könnte deshalb der Fall sein, weil die Verkehrsanschauung wesentlich durch normative Kriterien geprägt wird und außerstrafrechtliche Normen – wie hier des Wettbewerbsrechts – grundsätzlich geeignet sind, die Risikoverteilung unter den Geschäftspartnern auch für § 263 StGB verbindlich festzulegen. Außerdem fragt sich, ob unionsrechtliche per-seVerbote die nationale normative Verkehrsanschauung so sehr prägen, dass eine einzelfallbezogene Interessenabwägung gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt erfolgen muss. Zumindest besteht die Möglichkeit, dass unionsrechtliche Verbote indizielle Wirkungen bei der Beurteilung der Verteilung des Informationsrisikos entfalten.700 Wenn unionsrechtliche Regelungen zur Verbrauchererwartung die nationale Verkehrsanschauung verbindlich festlegen sollten, könnte dies auch für den umgekehrten Fall unionsrechtlich zulässigen Verhaltens gelten. Zwar spielen diese Aspekte aus unionsrechtlicher Sicht in der hiesigen Konstellation wie beschrieben keine Rolle. Die Abhängigkeit der konkludenten Täuschung von unionrechtlichen Regelungen bereits nach der nationalen Doktrin könnte aber in anderen Fällen über das Vorliegen einer echten Kollision des Betrugstatbestandes mit dem Unionsrecht entscheiden bzw. dazu führen, dass eine Kollision vermieden wird. Diese Frage ist nach Abschluss der Bewertung der Einzelsachverhalte eingehend und im Zusammenhang zu untersuchen.701 Bereits an dieser Stelle sei vorweggenommen, dass der nationale Begriff der Verkehrsanschauung abstrakt nach wie vor eigenständig zu bestimmen ist. Unionsrechtlichen Regelungen kommt aber für die Bestimmung der nationalen Verkehrsanschauung faktisch und normativ ein so starkes Gewicht zu, dass in den meisten Fällen unionsrechtliche Verbrauchererwartung 698 Jens, Der nationale Strafrechtsanwender unter dem Einfluss des Europäischen Gemeinschaftsrechts, 2006, S. 197, 213; Schröder, Europäische Richtlinien und deutsches Strafrecht, 2002, S. 195. 699 BT-Drs. 15/1487, S. 26; Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 16 Rn. 2. 700 Von Indizwirkung geht Eisele, NStZ 2010, 193 (196) aus. 701 Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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und nationale Verkehrsanschauung identisch sind. Hierdurch werden Kollisionen vermieden. E.

»Abofallen«

Sehr ähnlich gelagert zu den Fällen rechnungsähnlicher Angebotsschreiben sind die sogenannten Abofallen. Hierbei wird zumeist im Internet702 ein kostenpflichtiges Abonnement einer bestimmten Dienstleistung (z. B. Routenplaner, Gedichte-Archive, Online-Spiele etc.) angeboten. Dabei werden die Websites so gestaltet, dass die Kostenpflichtigkeit der Dienstleistung auf den ersten Blick nicht erkennbar ist. Entweder findet sich der Hinweis hierauf nur im unteren Teil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die aufgerufen werden müssen, bevor die Dienstleistung nutzbar ist, oder sehr versteckt am unteren Ende der Website, das nur nach mehrmaligem Scrollen erreichbar ist. Ein gut sichtbarer Hinweis hingegen erscheint häufig darauf, dass eine Anmeldung auf der Website die Teilnahme an einem Gewinnspiel ermögliche. Im Ergebnis werden die Nutzer zu unbewussten Vertragsabschlüssen per Mausklick verleitet.703 Nach nationalem Betrugsstrafrecht wird man das Vorliegen einer konkludenten Täuschung über die Kostenpflichtigkeit des Angebots parallel zu den Fällen rechnungsähnlicher Angebotsschreiben anhand einer normativen Beurteilung und hier insbesondere durch eine Abgrenzung der Risikobereiche und Informationspflichten bzw. der Verantwortungsbereiche der Beteiligten vornehmen müssen.704 Interessant im Zusammenhang dieser Arbeit ist folgender Hinweis des OLG Frankfurt darauf, dass ein durchschnittlich informierter und verständiger Verbraucher nicht damit rechnen müsse, dass die angebotene Leistung kostenpflichtig ist. Der Durchschnittsverbraucher sei zahlreiche kostenlose Internetdienstleistungen gewohnt.705 Da die meisten Internetseiten über Werbung finanziert werden und deren Besuch daher tatsächlich kostenlos sind, ist dem OLG Frankfurt zuzustimmen. Der Durchschnittsverbraucher erwartet im Falle der Kostenpflichtigkeit einen deutlichen Hinweis hierauf. Liegt eine konkludente Täuschung vor, hängt die Frage, ob Vermögensverfügung und Schaden gegeben sind, von der jeweiligen Ausgestaltung der Website ab.706 702 Teilweise aber auch über per Post versandte Angebotsschreiben. Jedoch dürfte in diesen Fällen aufgrund des Erfordernisses einer Rücksendung des Schreibens mit Unterschrift eine konkludente Täuschung selten vorliegen. Vom Verbraucher kann erwartet werden, dass er genau liest, was er unterschreibt. 703 Vgl. z. B.: OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 17.12.2010 – 1 Ws 29/09, NJW 2011, 398. 704 Eisele, NStZ 2010, 193 (195); Bosch, Festschrift für E. Samson, 2010, S. 241 (247 f.). 705 OLG Frankfurt a.M., Urt. v. 17.12.2010 – 1 Ws 29/09, NJW 2011, 398 (400). 706 Vgl. genauer Eisele, NStZ 2010, 193 (197) und zu zivilrechtlichen Vorfragen Blasek, GRUR 2010, 396 f.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Ähnlich wie bei rechnungsähnlichen Angebotsschreiben gilt wettbewerbsrechtlich ein per-se-Verbot der Abofallen ohne Wertungsmöglichkeit, Nr. 21 des Anhangs zu § 3 III UWG i. V. m. Nr. 20 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG. Danach ist es verboten, ein Angebot mit Worten, die eine Unentgeltlichkeit suggerieren, zu umschreiben, wenn tatsächlich eine Gegenleistung verlangt wird; auf eine Irreführungseignung kommt es nicht an.707 Regelmäßig liegen zusätzlich Verstöße gegen § 4 Nr. 11 UWG i. V. m. § 1 I 1 oder VI Preisangabenverordnung vor708. Damit fragt sich auch hier allein, inwieweit wettbewerbsrechtliche Vorgaben möglicherweise nach der nationalen Doktrin akzessorisch zum Betrugsstrafrecht sind und deshalb konkludente Täuschungen angenommen werden müssen.709

III.

Zwingende Maßgeblichkeit des sekundären Unionsrechts für die Auslegung des Betrugstatbestandes in Einzelfällen?

Trotz großer Anstrengung ist es der Verfasserin nicht gelungen, einen konkreten Fall zu konstruieren, in dem das sekundäre Unionsrecht zu einer von der bisherigen Betrugsdogmatik abweichenden Auslegung zwingt. Dies liegt daran, dass eine Verhaltensweise auch in Anbetracht des grundsätzlichen Maßstabes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers viel wahrscheinlicher wettbewerbsrechtlich unzulässig als nach § 263 StGB strafbar ist. Das muss jedoch nicht immer der Fall sein. Da das echte Leben weitaus mannigfaltigere Sachverhalte bereithält als die Phantasie der Verfasserin, muss die Vermutung, dass es nie zu einer Kollision des Betrugsstrafrechts mit dem sekundären Unionsrecht kommen kann, anhand abstrakter und allgemeingültiger Überlegungen überprüft werden. Forscht man nach möglichen Ursachen für die Schwierigkeiten, einen Fall der echten Kollision des Betrugstatbestandes mit dem Unionsrecht zu bilden, lassen sich mehrere Anknüpfungspunkte finden: Erstens divergieren die Begriffe der betrugsrelevanten Täuschung und der wettbewerbsrechtlichen Täuschungseignung nicht so sehr, wie von einigen Verfassern angenommen.710 Bestehen Divergenzen, dann meist in der Form, dass die wettbewerbsrechtliche Verbots707 Vgl. hierzu Blasek, GRUR 2010, 396 (399). 708 Blasek, GRUR 2010, 396 (398 f.); Eisele, NStZ 2010, 193 (196). 709 Vgl. oben zu rechnungsähnlichen Angebotsschreiben Teil 3, 2. Abschnitt, II. D. 2. und unten Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2. 710 Vgl. z. B. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 290; Soyka, wistra 2007, 127 ff.; Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (704); Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (576 ff.); Tiedemann in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, 2000, S. 551 (555).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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norm umfassender ist als die betrugsstrafrechtliche. Der Beweis, dass es auch umgekehrt sein kann, steht noch aus.711 Zweitens wird über das Wettbewerbsrecht die Dispositionsfreiheit der Verbraucher geschützt, über das Betrugsstrafrecht hingegen das Vermögen. Der Tatbestand des Betruges ist deshalb zumindest in einem Punkt definitiv an engere Voraussetzungen geknüpft als derjenige des Verbotes unlauterer geschäftlicher Handlungen: Seine Verwirklichung erfordert nach geltendem Recht einen Vermögensschaden.712 Infolgedessen ist eine Geschäftspraktik bereits dann wettbewerbsrechtlich unzulässig, wenn sie täuschungsgeeignet und geeignet ist, die geschäftliche Entscheidung eines durchschnittlichen Verbrauchers der angesprochenen Gruppe zu beeinflussen. Weit im Vorfeld von Vermögensschädigungen ist bereits die nähere Befassung mit einem Angebot, das ohne die irreführungsgeeignete Angabe nicht weiter beachtet worden wäre, eine solche Entscheidung.713 Wegen Betrugs kann hingegen nur strafbar sein, wer nicht nur durch irreführende Handlungen die nähere Befassung mit einem Produkt bewirkt, sondern sogar einen Irrtum und darauf beruhend eine selbstschädigende Vermögensverfügung. Drittens ist wegen Betrugs nur strafbar, wer vorsätzlich handelt. Die Unlauterkeit einer Wettbewerbshandlung bestimmt sich hingegen im Grundsatz rein objektiv und unabhängig von den Vorstellungen und Beweggründen der Gewerbetreibenden. Sie hängt also auch in diesem Punkt von weniger Voraussetzungen ab. Eine Kollision des § 263 StGB mit dem auf sekundärem Unionsrecht beruhenden Lauterkeitsrecht ist daher nur dann möglich, wenn kumulativ folgende Voraussetzungen erfüllt sein können: Es handelt sich um eine im Sinne des § 263 StGB täuschende Verhaltensweise, die wettbewerbsrechtlich nicht täuschungsgeeignet ist. Es gibt ein Opfer, das kausal auf dieser Verhaltensweise beruhend einem tatsächlichen Irrtum unterliegt und daraufhin eine Vermögensverfügung trifft, die sich vermögensschädigend auswirkt. Dies alles hat der Gewerbetreibende in der Absicht rechtswidriger Bereicherung vorhergesehen und zumindest billigend in Kauf genommen. A.

Die wettbewerbsrechtlich zulässige Täuschung im Sinne des § 263 StGB

Eine wettbewerbsrechtlich nicht täuschungsgeeignete und damit dort zulässige, aber betrugsrelevante Täuschung kann es nur dann geben, wenn der betrugs711 Siehe unten Teil 3, 2. Abschnitt IV. 712 Ob sich dieses Tatbestandsmerkmal in Anbetracht der ausufernden Regelungen der §§ 264, 264a, 265b StGB nach Ansicht der Gesetzgebung auch noch streichen ließe, sei dahingestellt. 713 Lettl, Wettbewerbsrecht, 2. Aufl. 2013, S. 239.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

strafrechtliche Täuschungsbegriff weiter sein kann als der wettbewerbsrechtliche Begriff der Täuschungseignung. Mit den Begriffen der Mengenlehre gesprochen müssten wettbewerbsrechtliche Täuschungseignung und betrügerische Täuschung über eine gemeinsame Schnittmenge verfügen und die betrugsrelevante Täuschung nicht nur Teilmenge der wettbewerbsrechtlichen Täuschungseignung sein. Dies erscheint zunächst als Paradoxon, ist die Täuschungseignung doch begrifflich im Vorfeld der Täuschung angesiedelt. Auflösen lässt sich dieser Widerspruch, wenn der betrugsstrafrechtliche und der wettbewerbsrechtliche Täuschungsbegriff nicht inhaltsgleich sind. Dem strafrechtlichen Täuschungsbegriff ist ein objektives Eignungselement jedenfalls bei der ausdrücklichen Täuschung fremd;714 Gegenstand einer ausdrücklichen Täuschung kann jede objektiv unwahre Aussage sein.715 Bei der (betrugsstrafrechtlichen) konkludenten Täuschung und im Wettbewerbsrecht gibt es eine objektive Eignungskomponente.716 Statt der Täuschungseignung könnte man synonym den Begriff der objektiven Irreführungseignung verwenden. »Nicht täuschungsgeeignete Täuschungen« sind deshalb grundsätzlich dann denkbar, wenn es entweder wie bei der (betrugsstrafrechtlichen) ausdrücklichen Täuschung auf eine an einem bestimmten Maßstab orientierte Irreführungseignung nicht ankommt oder aber wie eventuell bei der (betrugsstrafrechtlichen) konkludenten Täuschung die Maßstäbe zur Bestimmung der Irreführungseignung divergieren. Voraussetzung einer Kollision mit dem Unionsrecht ist in dieser zweiten Fallgruppe, dass die Anforderungen an eine Irreführungseignung bei der betrugsstrafrechtlichen konkludenten Täuschung leichter zu erfüllen sein können als bei der wettbewerbsrechtlichen. 1.

Die wettbewerbsrechtlich zulässige und nach § 263 StGB von einer Irreführungseignung unabhängige Täuschung Eine ausdrückliche Täuschung i. S. d. § 263 StGB ist gegeben, sobald eine nach der Verkehrsanschauung unwahre Tatsachenbehauptung vorliegt, und zwar unabhängig davon, ob sie nach der allgemeinen Verkehrsanschauung generell irreführungsgeeignet ist.717 Sie ist gleichwohl wettbewerbsrechtlich zulässig, wenn sie nicht im Sinne des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb normativ geeignet ist, den Durchschnittsverbraucher des angesprochenen Verkehrskreises zu täuschen und seine geschäftliche Entscheidung zu beeinflussen.718 Gegenstand eines vollendeten Betrugs kann eine solche ausdrückliche 714 715 716 717 718

So auch Soyka, wistra 2007, 127 (133). Str., vgl. oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. c), II. Soyka, wistra 2007, 127 (132). Str., vgl. oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2 c), II. Vgl. zum wettbewerbsrechtlichen Erfordernis der Täuschungseignung auch bei wahren Angaben oben Teil 3, 2. Abschnitt, I. A.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Täuschung nur dann sein, wenn ein angesprochener Verbraucher tatsächlich irrt. Erfüllen kann diese Voraussetzungen nur eine Verhaltensweise, die bei einer Person einen Irrtum bewirkt, bei der es sich im Gruppenvergleich um einen normativ unterdurchschnittlich informierten, aufmerksamen oder verständigen Verbraucher handelt. Die Verhaltensweise ist nämlich nicht einmal geeignet, eine durchschnittliche Person der angesprochenen Verbrauchergruppe zu täuschen.719 Handelt es sich bei dem Irrenden um einen normativ mindestens durchschnittlichen Verbraucher, ist jede ausdrückliche Täuschung im Sinne des § 263 StGB zugleich wettbewerbsrechtlich unzulässig. Auf den ersten Blick könnte eine Diskrepanz zwischen wettbewerbsrechtlichem und betrugsstrafrechtlichem Täuschungsbegriff in dem – allerdings rein theoretischen – Fall eines real vollständig homogenen Adressatenkreises ausgeschlossen sein. Richtet sich eine Geschäftspraktik nämlich an einen solchen real vollständig homogenen Adressatenkreis, könnte man annehmen, jeder Adressat sei zugleich Durchschnittsverbraucher. Verneint man nun am Maßstab dieser Adressaten eine Irreführungseignung, hieße dies, dass auch tatsächlich niemand irrt, da ja jeder Durchschnittsverbraucher ist. Die Verhaltensweise wäre wettbewerbsrechtlich zulässig. Zugleich könnte ein vollendeter Betrug nicht verwirklicht sein, da es bereits am Tatbestandsmerkmal des Irrtums fehlt. Jedoch kommt es nicht darauf an, ob die irrenden Verbraucher tatsächlich unterdurchschnittlich konstituiert sind. Relevant ist allein, dass sie die Voraussetzungen eines normativen Durchschnittsverbrauchers nicht erfüllen. Es kann Fälle geben, in denen das Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes wettbewerbsrechtlich eine normative Abweichung vom tatsächlichen (durchschnittlichen) Verkehrsverständnis erfordert.720 (Sehr) theoretisch könnten alle angesprochenen Verbraucher über einen Umstand irren, der normativ nicht als irreführungsgeeignet gilt. Dies ist rein tatsächlich allerdings nahezu ausgeschlossen, da eine Verpflichtung zur Änderung der tatsächlich irreführenden Angabe in diesen Fällen regelmäßig nicht unverhältnismäßig sein wird, wenn man bedenkt, dass eine Irreführungsgefahr, der alle angesprochenen Adressaten unterliegen, nicht mehr als geringfügig eingestuft werden kann. Wahrscheinlicher ist, dass der irrende Verbraucher im Gegensatz zu vielen anderen angesprochenen Verbrauchern normativ unterdurchschnittlich konstituiert ist. Sollte also tatsächlich einmal ein Fall auftreten, in dem eine einen normativ unterdurchschnittlichen Verbraucher betreffende und im Sinne des § 263 StGB 719 So z. B. im ersten »Red-Bull«-Fall, oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. B. 2. 720 Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 226 f., neben dem Binnenmarktgedanken genannte Gründe: grundrechtliche Wertungen, Schutz besonderer Besitzstände, Notwendigkeit des allmählichen Aufbaus neuer Systeme, die nicht sofort perfekt sein können, Verwendung unentbehrlicher Fachausdrücke.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

ausdrückliche Täuschung wettbewerbsrechtlich nicht als täuschungsgeeignet gilt, müsste aber auch nur dann über die Möglichkeiten unionsrechtskonformer Auslegung oder sogar über den Anwendungsvorrang des Unionsrechts nachgedacht werden, wenn nach der rein nationalen Auslegung des Betrugstatbestandes alle Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB zu bejahen wären. Diese Untersuchung steht jedoch noch aus. Da aufgrund der geringen Abhängigkeit der ausdrücklichen Täuschung von normativen Vorgaben zu vermuten ist, dass die Implementierung unionsrechtlicher Verbrauchererwartungen in den Betrugstatbestand hier nur über die Einführung einer normativen Eignungskomponente zu erreichen und deshalb dogmatisch eher schwierig wäre, soll solange auf die Entwicklung eines Ansatzes hierzu verzichtet werden, wie noch nicht erwiesen ist, dass er auch erforderlich ist. 2.

Die wettbewerbsrechtlich zulässige, aber nach der nationalen Verkehrsanschauung irreführungsgeeignete Täuschung Eine wettbewerbsrechtlich zulässige, betrugsrelevante konkludente Täuschung kann nur dann vorliegen, wenn Fälle möglich sind, in denen nach dem Eignungsmaßstab »unionsrechtliche Verbrauchererwartung« eine Irreführungseignung abzulehnen, nach dem Maßstab »nationale allgemeine Verkehrsanschauung« aber anzunehmen ist. Sollte dies möglich sein, gilt das zur ausdrücklichen Täuschung Ausgeführte entsprechend. a)

Identität von nationaler Verkehrsanschauung und unionsrechtlicher Verbrauchererwartung? Begrifflich erfasst die nationale allgemeine Verkehrsanschauung alle am Verkehr beteiligten Personen, die unionsrechtliche Verbrauchererwartung hingegen – wie der Name sagt – nur Verbraucher.721 Dennoch wird die Inhaltsgleichheit der beiden Begriffe behauptet.722 Jedenfalls hinsichtlich der Auslegung des Betrugstatbestandes trifft dies jedoch nicht zu. Die jeweilige Verkehrsanschauung bestimmt sich immer anhand des konkreten Adressatenkreises der Täuschungshandlung. Beispielsweise ist ein höherer Maßstab anzulegen, wenn nur geschäftserfahrene Unternehmer Adressaten sind, als wenn zumindest auch Verbraucher angesprochen werden sollen. Die unionsrechtliche Verbrauchererwartung hingegen kann dann keine Rolle spielen, wenn nur Unternehmer angesprochen sind. Daher erfasst der Begriff der allgemeinen Verkehrsanschauung mehr Konstellationen. Dennoch könnte es sein, dass die Begriffe von allgemeiner Verkehrsanschauung und unionsrechtlicher Verbrauchererwartung dann deckungsgleich sind, wenn sich eine täuschende Verhaltensweise zumin721 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 37. 722 So: Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 38.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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dest auch an Verbraucher richtet. Wären die beiden Begriffe in diesen Fällen identisch oder der Begriff der nationalen Verkehrsanschauung immer restriktiver, wäre eine Kollision des nationalen Betrugsstrafrechts mit dem Unionsrecht im Bereich konkludenter Täuschungen nicht möglich. aa) Die inhaltlichen Maßstäbe Sowohl die unionsrechtliche Verbrauchererwartung als auch die Verkehrsanschauung sind stark normative Begriffe. Das tatsächliche Verständnis der Adressaten mit all seinen empirischen Komponenten ist jedoch jeweils die Basis für die normative Ermittlung der Verbrauchererwartung bzw. Verkehrsanschauung.723 Hinter beiden Begriffen steht ein bestimmtes, typisiertes Schutzniveau. Im sekundären Unionsrecht wird dieses häufig durch die Formel vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher der angesprochenen Verbrauchergruppe umschrieben. Im deutschen Recht existiert eine solche personifizierte Maßstabsfigur nicht. Stattdessen wird das Schutzniveau umfangreich anhand zahlreicher Kriterien entwickelt. Es stellt sich daher die Frage, ob diese umschreibenden Kriterien mit dem unionsrechtlichen Verbraucherleitbild völlig, teilweise oder gar nicht kongruent sind. Der deutschen Verkehrsanschauung kann ebenso wie der unionsrechtlichen Verbrauchererwartung kein starrer Inhalt zugedacht werden. Beide bestimmen sich nach den dem konkreten Regelungsgebiet des Einzelfalles zugrundeliegenden Wertungen. Jedoch ist die unionsrechtliche Verbrauchererwartung und mit ihr die Irreführungseignung unabhängig vom grundsätzlichen Verbraucherleitbild sehr häufig durch per-se-Verbote determiniert,724 sodass keine Einzelfallabwägung mehr stattfindet. Nach der in dieser Arbeit favorisierten Auslegung ist die normative Verkehrsanschauung im Sinne des § 263 StGB in starkem Maße von außerstrafrechtlichen Regelungen abhängig.725 Auch die Normen des Unionsrechts und mit ihnen diejenigen, die sich auf unionsrechtliche Verbrauchererwartungen beziehen, fallen hierunter.726 Wäre es nun so, dass diese Normen bereits aus nationaler Sicht die Verkehrsanschauung immer verbindlich festlegen, wäre im Bereich konkludenter Täuschungen eine Kollision des Betrugs mit dem Unionsrecht ausgeschlossen.

723 Str., siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. a) und Teil 3, 1. Abschnitt, I. B. 1. 724 Vgl. nur die Nrn. 1 – 23 und Nr. 31 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG bzw. die Nrn. 1 – 24 des Anhangs des UWG oder die Bestimmungen der Health-Claims-Verordnung, siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, I. A., II. 725 Vgl. oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. B. 3. b). 726 Ähnlich: Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 50.

186 bb)

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Die Rolle außerstrafrechtlicher Regelungen zur Bestimmung der nationalen Verkehrsanschauung Außerstrafrechtliche Regelungen entfalten deshalb für die Bestimmung einer konkludenten Täuschung eine starke Indizwirkung, weil in ihnen zum einen der gesetzgeberische Wille hinsichtlich der Risikoverteilung unter den Geschäftspartnern zum Ausdruck kommt und zum anderen deshalb, weil sich tatsächliche Verkehrsauffassungen auch in Abhängigkeit von gesetzlichen Regelungen bilden und verfestigen. Wären beispielsweise seit mehreren Jahren Haustürgeschäfte gesetzlich untersagt, würde nach einem gewissen Zeitraum auch die Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr davon ausgehen, bei einer an der Wohnungstür schellenden Person handele es sich um einen seriösen Versicherungsvertreter. Das Gleiche gilt hinsichtlich der Wirksamkeit von Wundermitteln, weil ihr Vertrieb bei völliger Wirkungslosigkeit gesetzlich untersagt ist, hinsichtlich des Angebotscharakters von Schreiben, weil dieser gesetzlich vorgeschrieben deutlich hervortreten muss oder der Kostenpflichtigkeit von Internetdienstleistungen, weil hierauf klar und deutlich hingewiesen werden muss. Aufgrund der gesetzlichen Verbote hält der Durchschnittsverbraucher ein angebotenes Wundermittel für wirksam, ein rechnungsähnliches Schreiben für eine Rechnung und eine Internetdienstleistung für kostenlos. Wäre beispielsweise die Versendung rechnungsähnlicher Angebotsschreiben zulässig, ist davon auszugehen, dass eine größere Anzahl an Unternehmern auf diese Geschäftspraktik zurückgreifen würde, da keine Sanktionen zu befürchten wären. In Reaktion hierauf würden Verbraucher aufgrund von Wahrscheinlichkeitsüberlegungen und ihres Erfahrungswissens derartige Angebotsschreiben intensiver prüfen als sie es im Falle eines gesetzlichen Verbots derartiger Geschäftspraktiken tun. Diese Indizwirkung entfaltet in umgekehrter Richtung ebenfalls Wirkungen. Ist ein Verhalten ausdrücklich gesetzlich und im hiesigen Kontext genauer gesagt unionsrechtlich erlaubt, wird häufig auch keine tatsächliche Verkehrsauffassung feststellbar sein, die zu einem Abweichen vom zivilrechtlichen Grundsatz führt, dass jeder für die Beschaffung von Informationen grundsätzlich selbst verantwortlich ist. Eine normative Abweichung von unionsrechtlicher Verbrauchererwartung und nationaler Verkehrsanschauung ist daher extrem unwahrscheinlich. Dennoch bleibt es aus der nationalen Perspektive bei einer reinen Indizwirkung außerstrafrechtlicher – und damit auch unionsrechtlicher – Regelungen. Strafrechtsautonome – bei § 263 StGB insbesondere auf den Vermögensschutz bezogene – Erwägungen können zu einer anderen Risikoverteilung zwingen als es der unionsrechtlichen entspricht. Außerstrafrechtliche Maßstäbe, nach denen eine Irreführung von Verbrauchern abzulehnen ist, prägen die allgemeine Verkehrsanschauung nie so sehr, dass automatisch ohne Einzelfallprüfung eine konkludente Täuschung i. S. d. § 263 StGB abzulehnen ist.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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b)

Konsequenzen der eigenständigen Bestimmung der nationalen Verkehrsanschauung Zwar hat die Tatsache der Eigenständigkeit des Begriffs der konkludenten Täuschung vor allem zur Folge, dass Geschäftspraktiken wettbewerbsrechtlich viel wahrscheinlicher als irreführungsgeeignet gelten als betrugsstrafrechtlich. Das folgt insbesondere aus den vom Unionsrecht vollharmonisierten Bereichen, in denen ein hohes Verbraucherschutzniveau verankert ist, weil eine Gefährdung der Verwirklichung des Binnenmarktes ausgeschlossen ist.727 Hinzu kommt, dass die am Maßstab der Verkehrsanschauung zu beurteilende konkludente Täuschung aufgrund der ultima-ratio-Funktion des Strafrechts eher restriktiver anzunehmen sein wird als es unionsrechtlichen Irreführungsverboten entspricht. Eine Kollision ist dann ausgeschlossen. Dennoch ist es jedenfalls abstrakt nicht ausgeschlossen, dass die nationale Betrugsauslegung auch bei der konkludenten Täuschung eine Irreführungseignung dort bejaht, wo das Unionsrecht sie ablehnt Dies kann dann der Fall sein, wenn die Bejahung einer wettbewerbsrechtlichen Irreführungseignung von einer Bewertung am abwägungsoffenen Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers abhängt. Zu diesem Ergebnis muss man bereits deshalb gelangen, weil Interessenabwägungen immer eine gewisse Unsicherheit bergen. Bildlich gesprochen: Reicht man einem Wettbewerbsrechtler und einem Strafrechtler jeweils eine Waage, um zu beurteilen, ob eine Geschäftspraktik irreführungsgeeignet bzw. nach der Verkehrsanschauung in ihr eine konkludente Täuschung zu erblicken ist und geht man davon aus, dass beide die einschlägigen unionsrechtlichen Regelungen im Blick haben, werden ihnen dennoch teilweise unterschiedliche Abwägungsparameter einfallen, die in die Waagschalen zu werfen sind. Teilweise werden ihnen auch dieselben in den Sinn kommen, aber sie werden sie unterschiedlich gewichten. Dieses Phänomen existiert ja bereits unter Strafrechtlern, wie die teils sehr widersprüchliche Kasuistik zur konkludenten Täuschung zeigt;728 und dies, obwohl beide die Geschäftspraktik im Gegensatz zum Wettbewerbsrechtler aus strafrechtlicher Perspektive beurteilen würden. Beim Vergleich des abwägenden Wettbewerbsrechtlers mit dem Strafrechtler verschärft sich diese unterschiedliche Berücksichtigung und Gewichtung der Abwägungsparameter, da sich zusätzlich die Ausgangsperspektiven ihrer Überlegungen unterscheiden. Beispielsweise betonen unionsrechtliche Verbrauchererwartungen allgemein stärker, dass die reine Bereitstellung von In727 V.a. Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG, Irreführungsvorschriften des Arznei-, Heilmittel und Kosmetikmittelwerberechts, Regelungsbereich der Health-Claims-Verordnung, siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, I. A., II. und Teil 3, 2. Abschnitt, II. A. 1. b), 2. 728 Vgl. z. B. Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 14/15.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

formationen grundsätzlich Vorrang gegenüber solchen nationalen Regelungen hat, die zu weiterreichenden Beschränkungen der Gewerbetreibenden führen. Generell ist der Binnenmarktgedanke auf unionsrechtlicher Ebene ein starker Abwägungsparameter, wohingegen er aus rein nationalstaatlicher Sicht keine Rolle spielt. Der Strafrechtler hingegen wird dem Gedanken des Rechtsgüterschutzes möglicherweise ein so starkes Gewicht beilegen, dass er trotz erkannter fehlender wettbewerbsrechtlicher Irreführungseignung in Einzelfällen eine konkludente Täuschung gerne bejahen würde. Dies gilt jedenfalls so lange, wie er den Anwendungsvorrang des Unionsrechts nicht als stärksten Abwägungsparameter anerkennt.729 c) Relativierung durch ähnliche Wertungskriterien Nichtsdestotrotz dürfen die vielen identischen Wertungskriterien von nationaler Verkehrsanschauung und unionsrechtlicher Verbrauchererwartung nicht übersehen werden. So berücksichtigt das Unionsrecht die Privatautonomie und fragt danach, welche Auswirkungen eine Fehlentscheidung des Verbrauchers auf seinen Lebensbereich hätte und welche Risiken mit dem Erwerb des jeweiligen Produktes verbunden wären. Diese Abwägungsparameter lassen sich problemlos unter den Punkt »Risikoverteilung unter den Geschäftspartnern«, wie er bei der Ermittlung der nationalen Verkehrsanschauung verwendet wird, subsumieren. Weiterhin fragt das unionsrechtliche Verbraucherleitbild nach dem jeweiligen Adressatenkreis. Ähnlich wird zur Ermittlung der nationalen Verkehrsanschauung verfahren – diese bestimmt sich nach dem objektiven Empfängerhorizont unter Berücksichtigung des konkreten Geschäftstyps und der Umstände des Einzelfalles. Bei der Beurteilung einer Verhaltensweise als Täuschungshandlung ist zu überprüfen, ob ein Minimum an Redlichkeit im Geschäftsverkehr gewahrt wurde. Dies ist zu verneinen, wenn der Täter die Leichtgläubigkeit und Unerfahrenheit besonders schutzwürdiger Personengruppen objektiv gezielt ausgenutzt hat. Somit besteht der wesentliche Unterschied zwischen den unionsrechtlichen Verbrauchererwartungen und der nationalen Verkehrsanschauung bei Verhaltensweisen, deren Adressaten zumindest auch Verbraucher sind, darin, dass über das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers verstärkt unionsrechtliche Wertungsparameter und hier vor allem der Vorrang von Informationen und der Binnenmarktgedanke einfließen.730

729 So z. B. Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 119 f. 730 Soyka, wistra 2007, 127 (132).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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d) Fazit Obwohl außerstrafrechtliche und damit auch unionsrechtliche Regelungen die normative Verkehrsanschauung und mit ihr die Grenzen einer konkludenten Täuschung nach § 263 StGB maßgeblich bestimmen und die Wertungsparameter unionsrechtlicher Verbrauchererwartungen und nationaler Verkehrsanschauungen in weiten Teilen identisch sind, besteht keine vollständige Kongruenz. Es wäre daher in einem zweiten Schritt zu überprüfen, ob diese über eine unionsrechtskonforme Auslegung zu erreichen ist. Ebenso wie bei der ausdrücklichen Täuschung wäre dieser Schritt jedoch dann nicht erforderlich, wenn trotz der Möglichkeit unterschiedlicher Abwägungsergebnisse zur Frage der Irreführungseignung im Ergebnis eine Betrugsstrafbarkeit aufgrund konkludenter Täuschung immer dann ausscheiden würde, wenn die Geschäftspraktik wettbewerbsrechtlich zulässig ist. Das wäre gegeben, wenn in allen denkbaren Konstellationen wettbewerbsrechtlich zulässiger konkludenter Täuschungen zumindest ein Tatbestandsmerkmal des § 263 StGB nicht vorliegt.

B.

Die Vermeidung von Kollisionen durch das Tatbestandsmerkmal des Schadens

Von Vergho stammt die Idee, dass das Verbraucherleitbild aus unionsrechtlicher Sicht für die Auslegung des deutschen Betrugstatbestandes nicht verbindlich sein könne, weil dem Argument des Verbraucherschutzes immer dann nach der Rechtsprechung des EuGH ausreichende Abwägungsrelevanz zukomme, wenn es auf ein Rechtsgut – d. h. hinsichtlich des Betrugstatbestandes auf das Vermögen – konkretisiert werden könne.731 Zwar stimmt es, dass es nie Ziel der Entwicklung des Verbraucherleitbildes war, Geschäftspraktiken zu gestatten, die Rechtsgüter der Verbraucher verletzen.732 Unabhängig von einer im Ergebnis möglichen Berechtigung der Sichtweise Verghos erscheinen seine Ausführungen jedoch etwas zu pauschal, da die Vermögenseinbuße bei einzelnen Verbrauchern zumindest in Einzelfällen der in Kauf genommene Reflex einer grundsätzlich zulässigen binnenmarktorientierten Verbraucherschutzregelung sein könnte. Das Unionsrecht ist nicht dem umfassenden Vermögensschutz von Verbrauchern verpflichtet. Hinzu kommt, dass jeder Mitgliedstaat individuell festlegt, was unter einem Vermögensschaden zu verstehen ist. Unter anderem mit der Figur des »individuellen Schadenseinschlags« ist der deutsche Schadensbegriff recht weitreichend. Selbst wenn man Vergho im Grundsatz zustimmen würde, müsste geklärt 731 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 131, 301; Vergho, wistra 2010, 86 (91). 732 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 129.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

werden, ob der unionsrechtliche und der deutsche Schadensbegriff identisch sind oder wenigstens ersterer nicht enger ist. Es fragt sich also, ob nach den derzeitigen Bestimmungen des unionsrechtlich determinierten Wettbewerbsrechts eine im Sinne des § 263 StGB vermögensschädigende Verhaltensweise rein tatsächlich nicht immer auch wettbewerbsrechtlich unzulässig ist – und dies, obwohl unionsrechtlich keine abstrakte Verpflichtung zum lückenlosen Vermögensschutz der Verbraucher besteht. Diese Frage drängt sich umso mehr auf, wenn man bedenkt, dass die Fälle »nicht täuschungsgeeigneter Täuschungen« wenn überhaupt bisher gegeben, zumindest extrem selten sein werden. 1. Die Voraussetzungen eines Vermögensschadens Ein Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB liegt dann vor, wenn sich bei Saldierung des Vermögens des Opfers vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung eine Minderung des Gesamtwertes ergibt. Die Feststellung eines Schadens hängt daher wesentlich davon ab, welcher Vermögensbegriff ihr zugrunde gelegt wird.733 Die personalen Vermögensbegriffe, nach denen das Vermögen der wirtschaftlichen Potenz des Vermögensinhabers entspricht734 bzw. sich anhand dessen anerkennenswerter persönlicher Interessen bestimmt735, sollen nicht weiter untersucht werden, da sie zu Recht heute kaum noch vertreten werden. Sie vermögen es nämlich nicht, dem Tatbestandsmerkmal des Schadens eine im Sinne des Vermögensschutzes strafbarkeitseinschränkende Funktion zu verleihen, da das ausschlaggebende Kriterium letztlich die Verfehlung eines vom Vermögensinhaber verfolgten wirtschaftlichen Zwecks sein soll.736 Hiermit sind die Konturen zu einer bloßen Verletzung der Dispositionsfreiheit, die von § 263 StGB gerade nicht geschützt werden soll, nicht zu zeichnen.737 Nicht abschließend geklärt ist, ob einem rein wirtschaftlichen oder aber einem juristisch-ökonomischen Vermögensbegriff der Vorzug zu geben ist.738 Für die hier interessierenden Fragen ist dies allerdings irrelevant. Der Unterschied liegt allein darin, dass der wirtschaftliche Vermögensbegriff einer Person ein Wirtschaftsgut bereits dann zuordnet, wenn es ihr faktisch unterworfen ist, und der juristisch-ökonomische Vermögensbegriff zusätzlich fordert, dass das 733 Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 117 ff. 734 Vgl. z. B. Otto, Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 70; ausführliche Kritik hierzu bei: Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 313 ff. m. w. N. 735 Z.B. Bockelmann, JZ 1952, 461 (464). 736 Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 314 f. 737 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 233. 738 Vgl. zu den Unterschieden und dem Streitstand z. B. Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 298 ff.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Wirtschaftsgut der Person nach der rechtlichen Güterordnung auch zusteht.739 Es kann daher für die folgenden Zwecke der gemeinsame Ausgangspunkt einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise zugrunde gelegt werden.740 Die meisten Fälle, in denen unionsrechtliche Verbrauchererwartungen und mit ihnen das Leitbild vom durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbraucher zum Tragen kommen, betreffen Handlungen im Zusammenhang mit der Anbahnung, dem Abschluss und der Abwicklung von Verträgen. Zumeist wird daher die Saldierung von Leistung und Gegenleistung bei der Schadensberechnung eine Rolle spielen. Bei gegenseitigen Verträgen liegt grundsätzlich kein Schaden vor, wenn Leistung und Gegenleistung objektiv wirtschaftlich ausgewogen sind; das Vermögen hat sich zwar in seiner Zusammensetzung verändert, aber nicht in seinem Wert.741 Der Grund für diesen auf weitgehendem Konsens beruhenden Befund ist, dass § 263 StGB eben nicht die Dispositionsfreiheit, sondern (nur) das Vermögen schützt.742 Ein objektiv ausgewogenes Wertverhältnis liegt jedenfalls im Grundsatz immer dann vor, wenn der normativ unterdurchschnittlich informierte, aufmerksame oder verständige Verbraucher ein Produkt zum Marktpreis erwirbt. Als Marktpreis wird gemeinhin der Preis verstanden, der für das Produkt unter den konkreten zeitlichen und örtlichen Verhältnissen nachhaltig erzielbar ist.743 Unter dem Stichwort des sogenannten »individuellen Schadenseinschlags« macht die herrschende Meinung im deutschen Betrugsstrafrecht hiervon eine Ausnahme. Danach soll selbst dann ein Vermögensschaden vorliegen können, wenn die Saldierung der Vermögenspositionen des Opfers vor und nach der irrtumsbedingten Vermögensverfügung rein objektiv gar keine Werteinbuße ergibt. Hintergrund ist die Idee, dass »die meisten Gegenstände nicht für alle Menschen den gleichen Vermögenswert haben, weil sie nicht für alle gleich brauchbar sind«744. Da aber andererseits der Betrug seinen Charakter als Vermögensdelikt verlieren würde, wenn es allein darauf ankäme, dass sich das Opfer geschädigt fühlt, soll Voraussetzung sein, dass entweder die erworbene Leistung nicht zu dem vertraglich vorausgesetzten Zweck oder anderweitig zumutbar verwendet werden kann745, dass das Opfer zu weiteren Vermögensschädigungen genötigt wird oder aber, dass es infolge der Erfüllung der Verpflichtung au-

739 740 741 742 743 744 745

Cramer/Perron in Schönke/Schröder, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 82 f. Ebenso: Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 229. Rengier, Strafrecht BT 1, 15. Aufl. 2013, § 13 Rn. 161. Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. am Anfang. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 230 m.w.N. BGHSt 16, 321 (325 f.). BGHSt 16, 321 (326).

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

ßerstande ist, seinen Lebensunterhalt weiter in einer nach seinen persönlichen Lebensverhältnissen angemessenen Weise zu bestreiten.746 In Erinnerung gerufen sei an dieser Stelle, dass eine direkte Kollision des Betrugs mit dem Wettbewerbsrecht auch theoretisch nur dann möglich ist, wenn es sich bei dem potentiellen Opfer um einen Verbraucher handelt, der sich in der konkreten Situation normativ unterdurchschnittlich informiert, aufmerksam oder verständig verhält, obwohl er sich anders verhalten könnte.747 Unter dieser Voraussetzung gibt es hauptsächlich zwei Fallgruppen, in denen es innerhalb vertraglicher Beziehungen zu einem Schaden kommen kann. Entweder liegt die vertraglich vereinbarte Gegenleistung über dem Marktpreis oder aber es handelt sich um einen »individuellen Schadenseinschlag« bei marktmäßig ausgeglichener Gegenleistung. Spätestens dadurch, dass der vollendete Betrug einen Vermögensschaden erfordert, werden die meisten Täuschungsfälle, in denen unionsrechtliche Verbrauchererwartungen eine Rolle spielen, vor einer echten Kollision des Betrugs mit dem Unionsrecht bewahrt. Im Folgenden wird aufgezeigt werden, dass dies daran liegt, dass immer dann, wenn nach der deutschen Betrugsdogmatik ein Vermögensschaden vorliegt, die Täuschungshandlung im Regelfall auch wettbewerbsrechtlich als irreführungsgeeignet gilt. Dieser Befund ergibt sich aus dem Wechselspiel eines auf nationaler Ebene eher restriktiv gehandhabten Schadensbegriffes und eines wettbewerbsrechtlich indirekt recht umfassenden Vermögensschutzes der Verbraucher. Bei genauerer Lektüre gestehen dies auch Verfechter einer Normativierung des Täuschungsbegriffes des § 263 StGB aufgrund (angeblicher) unionsrechtlicher Vorgaben ein.748

2. Bewertung der innerhalb des Marktpreises liegenden Gegenleistung Bei einer innerhalb des Marktpreises liegenden Gegenleistung liegt im Grundsatz kein Schaden vor. Bezieht sich der Irrtum des Verbrauchers etwa allein darauf, ein besonders günstiges Angebot anzunehmen und erhält er in Wirklichkeit nur einen wirtschaftlich gleichwertigen Gegenleistungsanspruch, ist der Tatbestand des Betrugs nicht verwirklicht.749 Die Restriktionsfunktion dieses Tatbestandsmerkmals in § 263 StGB entfaltet ihre Wirkung und verhindert eine Kollision mit wettbewerbsrechtlichen Vorgaben recht umfassend. Etwas anderes könnte allerdings in den Fällen des »individuellen Schadenseinschlags«750 gelten. 746 747 748 749 750

BGHSt 16, 321 (328 f.). Vgl. auch Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 177 ff. Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 1., 2. am Anfang. Vgl. z. B. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 241. Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 232. Zu den objektiven Voraussetzungen siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. 1.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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Es liegt aber auch nach strafrechtlichen Grundsätzen allgemein im Verantwortungsbereich des Erwerbers eines Gegenstandes zu prüfen, ob dieser für seine Zwecke tauglich ist oder nicht. Dies gilt selbst dann, wenn der Erwerb nur aufgrund eines durch die Geschäftspraktik des Gewerbetreibenden ausgelösten Irrtums erfolgte. Denn eine Geschäftspraktik, die normativ nicht geeignet ist, den Durchschnittsverbraucher der Verbrauchergruppe, an die sie sich richtet, in die Irre zu führen, wird grundsätzlich nicht dadurch nach § 263 StGB unzulässig, dass normativ unterdurchschnittliche Verbraucher auf sie hereinfallen und rein objektiv Vermögenseinbußen im Sinne des »individuellen Schadenseinschlags« erleiden. Dies liegt unmittelbar auf der Hand, wenn man bedenkt, dass eine andere Sichtweise zur Folge hätte, dass den Gewerbetreibenden vor jedem Geschäftsabschluss umfassende Prüfpflichten träfen, die er nur unter Verletzung der Privatsphäre des Verbrauchers befolgen könnte. Mindestvoraussetzung der Legitimation der Figur des »individuellen Schadenseinschlags« ist deshalb, dass die individuelle Brauchbarkeit während der Vertragsverhandlungen von den Parteien ausdrücklich oder konkludent thematisiert wurde.751 Ebenso liegt es grundsätzlich allein im Verantwortungsbereich des Erwerbers, zu klären, ob er sich einen Gegenstand leisten kann und welche Folgeaufwendungen gegebenenfalls erforderlich werden. Dies fällt nicht in die Risikosphäre seines Geschäftspartners. Grundsätzlich muss es deshalb dabei bleiben, dass nur aus der Differenz von Gegenleistung und objektivem Marktwert (bzw. der Marktwertspanne) des geleisteten Wirtschaftsguts ein Vermögensschaden folgt. Etwas anderes kann nur in Ausnahmefällen bei Vorliegen besonderer Umstände gelten.752 Keinesfalls begründet das rein subjektive Empfinden des Getäuschten, geschädigt worden zu sein, einen solchen Schaden. Andernfalls würde die strafbarkeitsbegrenzende Wirkung des Schadensmerkmals aufgehoben und § 263 StGB von einem Vermögensdelikt zu einem Delikt gegen die Dispositionsfreiheit.753 Ohne dass in dieser Arbeit eine exakte Linie gezogen werden soll, wann genau die Figur des »individuellen Schadenseinschlags« anerkannt werden muss, ist zu berücksichtigen, dass der Marktwert eines Wirtschaftsgutes nur eine von vielen Bewertungsmöglichkeiten darstellt. Vermögen ist die »Gesamtheit aller Güter einer natürlichen oder juristischen Person, abzüglich der Verbindlichkeiten«754. Je nach gewählter Bewertungsmethode kommt man zu ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Statt des Marktpreises könnte der konkrete Anschaffungswert, der 751 Mitsch, Strafrecht BT 2/1, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 103; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 641 f. 752 Wie sie z. B. BGHSt 16, 321 (328 f.) zugrunde lagen. 753 Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 121; Tiedemann in LKStGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 32. 754 Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 91.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Wert bei Weiterveräußerung, der Wiederbeschaffungswert eines identischen, aber neuwertigen Guts oder eben auch der Wert, den der einzelne Vermögensinhaber mit dem Gegenstand in der Zukunft generieren kann, angesetzt werden. Auch im Bilanzrecht kommt es nicht immer zum Ansatz des Marktwertes.755 Über den Gedanken, dass ein Wirtschaftsgut immer nur den Wert hat, der mit ihm in der Zukunft erwirtschaftet werden kann, kann die Zwecksetzung durch den Getäuschten zumindest bei kommerzieller Nutzung anhand objektiver Kriterien die Reichweite des Vermögensschutzes bestimmen.756 Jedenfalls hinsichtlich der Fallgruppe fehlender Verwendungsmöglichkeit ist anzuerkennen, dass derselbe Gegenstand für unterschiedliche Personen einen unterschiedlichen Wert haben kann.757 Bei Verbrauchern wird zwar selten bezweckt sein, mit dem irrtumsbedingt erworbenen Gegenstand Gewinne zu erzielen. Regelmäßig wird eine mit Gewinnerzielungsabsicht über ihr Vermögen verfügende Person nämlich nicht mehr als Verbraucher einzustufen sein. Veranschaulichen lässt sich dies am Beispiel der progressiven Kundenwerbung, welche nach § 16 Abs. 2 UWG strafbar ist. Die Verbrauchereigenschaft im Sinne des § 16 Abs. 2 UWG lässt sich in den meisten Fällen allein damit begründen, dass der Zeitpunkt der Deliktsvollendung regelmäßig bereits im Vorfeld einer Vertragsanbahnung liegt. Relevant ist nämlich der »Zeitpunkt, in welchem der Geworbene erstmals durch das Absatzkonzept des Veranstalters in der Weise angesprochen wird, dass die Werbung unmittelbar in die Abnahme des Produkts einmünden soll.«758

In diesem Zeitpunkt ist der Geworbene noch Verbraucher, da er bei Kenntnisnahme des Absatzkonzepts objektiv noch nicht zu Erwerbszwecken im Sinne von § 14 Abs. 1 BGB handelt.759 Die Vollendung des Betrugstatbestandes hingegen setzt eine Vermögensverfügung des Irrenden voraus. Als solche kommt frühestens der Abschluss des Vertrages als Vertriebspartner760 in Betracht. In diesem Zeitpunkt ist der Irrende jedoch – jedenfalls im Regelfall – bereits objektiv zu Erwerbszwecken im Sinne von § 14 Abs. 1 BGB und damit nicht mehr als Verbraucher tätig.761 Motiv für den Abschluss des Vertrages ist es nämlich, 755 Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 32. 756 Ähnlich: Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 642; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 126. 757 BGHSt 16, 321 (325 f.); Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 121; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 642. 758 BGH wistra 2011, 270 (272 Rn. 25). 759 Ähnlich: Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 16 Rn. 36. 760 Bzw. der Abschluss eines Vertrages über ein anderes Produkt, welcher vom Täter zur Bedingung für die Aufnahme als Vertriebspartner gemacht wird und allein deshalb unterzeichnet wird. 761 Ausdrücklich offen gelassen von BGH wistra 2011, 270 (272 Rn. 28); So wie hier: Kilian,

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

195

durch geschäftliches Handeln eigenen Gewinn zu erzielen. Die Verbrauchereigenschaft endet bereits im Zeitpunkt der Existenzgründung.762 Jedoch ist dies im Ergebnis für die Frage des Vorliegens eines »individuellen Schadenseinschlags« unerheblich, da man selbst bei fehlender Gewinnerzielungsabsicht im Sinne des Bilanzrechts gedanklich eine Abschreibung auf den Wert Null vornehmen können wird, wenn keinerlei Verwendungsmöglichkeit besteht.763 Grundsätzlich ist die Idee des »individuellen Schadenseinschlags« daher legitim, sie sollte aber auf eng umgrenzte Extremfälle beschränkt bleiben764, damit der Schadensbegriff nicht konturenlos wird. Insbesondere Fälle, in denen ein »individueller Schadenseinschlag« vorliegt, weil vermögensschädigende Folgeinvestitionen notwendig werden oder infolge der Verpflichtung die bisherige Art der Lebensführung nicht beibehalten werden kann, werden extrem selten zu bejahen sein.765 Bei einer innerhalb des Marktpreises liegenden Gegenleistung könnte es somit in sehr eng umgrenzten Fällen zu einer echten Kollision des Betrugs mit dem Wettbewerbsrecht kommen. Voraussetzung ist aber der unwahrscheinliche Fall, dass die jeweilige Täuschungshandlung im Sinne des § 263 StGB, die zu einem »individuellen Schadenseinschlag« führt, wettbewerbsrechtlich zulässig ist. Dies ist immer zu überprüfen, bevor eine echte Kollision konstatiert wird. Möglich ist dies nur bei Opfern, die sich uninformierter, unaufmerksamer oder unverständiger verhalten, als sie es könnten. Im grundlegenden »Melkmaschinenfall«766, in dem der Verkäufer mit der nur kurzzeitigen besonderen Günstigkeit seines Angebots warb, käme beispielsweise das per-se-Verbot der Nr. 7 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG bzw. der Nr. 7 des Anhangs des UWG zum Tragen, nach dem »die unwahre Angabe, bestimmte Waren oder Dienstleistungen seien allgemein oder zu bestimmten Bedingungen nur für einen sehr begrenzten Zeitraum verfügbar, um den Verbraucher zu einer sofortigen geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, ohne

762 763 764

765 766

Strafbare Werbung, 2011, S. 107 ff., 110, wobei der Vorstellung zu widersprechen ist, dass eine Strafbarkeit nach § 16 UWG ausscheide, wenn der Geworbene durch späteren Vertragsabschluss seine Verbrauchereigenschaft verliert. § 16 UWG ist nämlich zuvor schon vollendet.. Palandt, BGB, 72. Aufl. 2013, § 13 Rn. 3. Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 634. Mitsch, Strafrecht BT 2/1, 2. Aufl. 2003, § 7 Rn. 103; Fischer, StGB, 60. Aufl. 2013, § 263 Rn. 150; Cramer/Perron in Schönke/Schröder, StGB, 28. Aufl. 2010, § 263 Rn. 121; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 632 ff.; Tiedemann in LK-StGB, 12. Aufl. 2012, § 263 Rn. 180; A. A.: Pawlik, Das unerlaubte Verhalten beim Betrug, 1999, S. 271 ff., 290 ff.; Kindhäuser in NK-StGB, 3. Aufl. 2010, § 263 Rn. 262 ff., 284 ff., die den Schaden generell nach einem intersubjektiven Maßstab ermitteln möchten. Vgl. z. B.: Wessels/Hillenkamp, Strafrecht BT 2, 35. Aufl. 2012, Rn. 551 f.; Hefendehl in MüKo-StGB, 2006, § 263 Rn. 650 ff. m. w. N. BGHSt 16, 321 (322).

196

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

dass dieser Zeit und Gelegenheit hat, sich auf Grund von Informationen zu entscheiden«

unzulässig ist. Die Opfer im Melkmaschinenfall wären somit nach der heutigen Rechtslage auch als normativ unterdurchschnittlich informierte, aufmerksame oder verständige Verbraucher umfassend wettbewerbsrechtlich geschützt. Eine echte Kollision läge nicht vor. 3. Bewertung der über dem Marktpreis liegenden Gegenleistung Der häufigste Fall von Täuschungshandlungen im Anwendungsbereich des Wettbewerbsrechts betrifft Fälle, in denen vom Opfer irrtumsbedingt ein synallagmatischer Vertrag mit über dem Markpreis liegender Gegenleistung eingegangen oder erfüllt wird. Bei über dem Marktpreis liegenden Gegenleistungen werden jedoch sehr häufig wettbewerbsrechtlich per-se-Verbote einschlägig sein, sodass eine Kollision von vornherein ausscheidet. Beispielsweise bestimmt Nr. 18 des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG i. V. m. Nr. 19 des Anhangs des UWG, dass eine Geschäftspraktik unzulässig ist, die in einer »unwahre(n) Angabe über die Marktbedingungen oder Bezugsquellen, um den Verbraucher dazu zu bewegen, eine Ware oder Dienstleistung zu weniger günstigen Bedingungen als den allgemeinen Marktbedingungen abzunehmen oder in Anspruch zu nehmen«

besteht. Auch der normativ unterdurchschnittlich informierte, aufmerksame oder verständige Verbraucher wird häufig allein deshalb zur Zahlung eines erhöhten Preises bereit sein, weil der Gewerbetreibende ihm vorspiegelt, das Produkt sei nur kurzzeitig verfügbar bzw. nur exklusiv bei ihm zu erwerben. Unter diesen Umständen ist die Bestrafung des Gewerbetreibenden aufgrund seiner eigentlichen Täuschungshandlung unionsrechtlich unbedenklich, da sich sein Verhalten in einer Gesamtbetrachtung als unlauter darstellt. Auf die Sicht eines Durchschnittsverbrauchers kommt es nicht an. Zusätzlich sind folgende wichtige Erwägungen zu ergänzen: Da ein Vermögensschaden nach § 263 StGB bei einer über dem Marktpreis liegenden Gegenleistung zu bejahen ist, kann die Restriktionsfunktion des Schadensbegriffes in diesen Fällen nicht wie bei marktmäßig ausgeglichenen Leistungen vor einer direkten Kollision bewahren. Entscheidend ist deshalb, ob Täuschungshandlungen im Sinne des § 263 StGB bei kausal darauf beruhenden Vermögensverfügungen, die sich als über dem Markpreis liegende Gegenleistungen darstellen, immer auch außerhalb von per-se-Verboten wettbewerbsrechtlich unzulässig sind oder nicht. Für die Annahme der generellen wettbewerbsrechtlichen Unzulässigkeit gibt es zwei Anknüpfungspunkte:

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

a)

197

Der Einfluss der Höhe der geforderten Gegenleistung auf die Bestimmung der objektiv gezielt angesprochenen Verbrauchergruppe Die Bewertung einer Geschäftspraktik als irreführend ist am Maßstab des Durchschnittsverbrauchers der angesprochenen Verbrauchergruppe vorzunehmen. Wie bereits dargestellt kommt es für die Bestimmung der objektiv gezielt angesprochenen Verbrauchergruppe nicht darauf an, dass die Geschäftspraktik ausdrücklich an diese Adressatengruppe gerichtet ist; ein solches Verständnis wäre zu eng und würde dem Missbrauch Tür und Tor öffnen.767 Relevant ist vielmehr beispielsweise der konkrete Inhalt der Geschäftspraktik oder ihr Medium.768 Zu fragen ist danach, ob dem Unternehmer objektiv vorhersehbar war, dass sich nur bestimmte Personenkreise von seiner Geschäftspraktik angesprochen fühlen werden oder aber die Allgemeinheit. Andernfalls könnte der jeweilige Gewerbetreibende durch eine geschickte Platzierung seiner Geschäftspraktik auf dem Markt die Regelungen zur besonderen Schutzbedürftigkeit von Verbrauchern leicht umgehen ohne dass es hierfür einen anerkennenswerten Grund gäbe. Nur wenn der irrende und betrogene Verbraucher dem normativen Durchschnitt innerhalb seiner Vergleichsgruppe nicht entspricht, kann eine Geschäftspraktik überhaupt wettbewerbsrechtlich zulässig sein. Dass ein solcher Fall eintritt, setzt voraus, dass nach einem normativen Verständnis andere Verbraucher existieren und objektiv von der Geschäftspraktik angesprochen werden, die den Anforderungen entsprechen, die im konkreten Regelungszusammenhang wettbewerbsrechtlich an einen durchschnittlichen Adressaten gestellt werden und deshalb tatsächlich nicht irren. Besteht eine Geschäftspraktik aber darin, dass für ein Produkt eine über dem Marktwert liegende Gegenleistung verlangt wird, wird es regelmäßig so sein, dass ein Irrtum nach objektiven Gesichtspunkten Voraussetzung für die Bereitschaft ist, das Produkt zu diesem Preis zu erwerben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich bei der Geschäftspraktik um eine Verhaltensweise handelt, die zugleich den Tatbestand des Betruges erfüllt. Daher werden Wettbewerbshandlungen, nach denen ein über dem Marktwert liegender Preis gefordert wird, sehr regelmäßig objektiv gezielt an eine schwächer konstituierte Verbrauchergruppe gerichtet sein. Innerhalb dieser Gruppe entspricht der an der Allgemeinheit gemessen normativ unterdurchschnittlich konstituierte Verbraucher wieder dem Durchschnitt. Dann liegt aber eine wettbewerbsrechtliche Irreführungseignung vor. Veranschaulichen lässt sich dies durch eine leichte Abwandlung des bereits dargestellten zweiten Red-Bull Falls, in dem ein angeblicher Magier eine Dose »Red Bull« zu einem Preis von 150 E anbietet und behauptet, dieses Getränk verleihe 767 Scherer, WRP 2008, 563 (566). 768 Scherer, WRP 2008, 563 (566).

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Flügel. Richtet der Magier sich nämlich nicht an eine Einzelperson, sondern befindet er sich auf einem Marktplatz und bietet das Getränk zu diesen Konditionen der Allgemeinheit an, wird sich seine Geschäftspraktik objektiv gezielt dennoch immer nur an Menschen mit geistigen Einschränkungen richten.769 Auch von der Allgemeinheit wird der Magier dahingehend verstanden werden, dass er behauptet, nach dem Konsum des Getränkes würden einem Menschen Flügel wachsen. Werden hingegen auch nicht irregeführte Verbraucher von seiner Geschäftspraktik beeinflusst und erwerben infolgedessen etwa eine Ware oder Dienstleistung, die der irregeführte Verbraucher ebenfalls erwirbt bzw. wären grundsätzlich bereit, diese zu erwerben, wird man davon ausgehen müssen, dass es sich bei der geforderten Gegenleistung doch um einen Preis innerhalb der Marktpreisspanne handelt und deshalb kein Schaden vorliegt. So liegt der Fall beispielsweise dann,770 wenn das Getränk »Red Bull« an einem Bahnhof zu einem Preis angeboten wird, der über dem im örtlichen Supermarkt geforderten liegt, und der Gewerbetreibende billigend in Kauf nimmt, dass einzelne Verbraucher es nur erwerben, weil sie meinen, anschließend für kurze Zeit fliegen zu können.771 Etwas anderes wird nur dann gelten können, wenn trotz der Forderung eines erhöhten Marktpreises nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich die Geschäftspraktik objektiv gezielt an einen besonders schutzwürdigen Adressatenkreis wendet. Dies wird selten der Fall sein, da sich der Sinn einer solchen Wettbewerbshandlung wegen zu prognostizierender Erfolglosigkeit regelmäßig nicht erschließen wird. Jedenfalls würde dies voraussetzen, dass der irregeführte und betrogene Verbraucher nicht normativ unterdurchschnittlich konstituiert ist, sondern sich nur normativ unterdurchschnittlich aufmerksam, informiert oder verständig verhält, obwohl er sich anders verhalten könnte. b)

Die »Abwägungsrelevanz« des Vermögensschadens nach der Rechtsprechung des EuGH Geklärt werden soll an dieser Stelle, ob Vergho darin beizupflichten ist, dass dem Argument des Vermögensschutzes wettbewerbsrechtlich und nach der Rechtsprechung des EuGH losgelöst von einzelnen Sondertatbeständen ein solches Gewicht zukommt, dass eine täuschende Handlung bei Eintritt eines Vermögensschadens immer auch wettbewerbsrechtlich irreführungsgeeignet und damit verboten ist.772 Zur besseren Veranschaulichung sei zunächst die Annahme unterstellt, dass 769 Vgl. hierzu auch den zweiten »Red-Bull«-Fall, siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. B. 770 Wobei in diesem Fall schon keine Täuschung vorliegen wird, vgl. oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. B. 1. 771 Vgl. hierzu auch den ersten »Red-Bull«-Fall, siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. B. 772 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 131, 301; Vergho, wistra 2010, 86 (91).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

199

alle Adressaten einer Geschäftspraktik tatsächlich einem kausal auf einer betrugsrelevanten Täuschung beruhenden Irrtum unterliegen (würden), dennoch im Sinne des Wettbewerbsrechts als normativ unterdurchschnittlich gelten und die Geschäftspraktik daher aus unionsrechtlicher Perspektive nicht irreführungsgeeignet ist. Damit ein solcher Fall überhaupt eintreten kann, müsste der EuGH bei der wettbewerbsrechtlichen Beurteilung einer betrugsrelevanten Verhaltensweise innerhalb der Abwägung zur Feststellung einer normativen Irreführungseignung relevante Parameter finden können, die so gewichtig sind, dass eine Abweichung vom tatsächlichen Verkehrsverständnis der angesprochenen Verbrauchergruppe erforderlich ist, die den normativen Durchschnitt derart stark nach oben korrigiert, dass nicht nur eine graduelle Diskrepanz zu tatsächlichen Verhältnissen besteht, sondern dass kein Adressat der Geschäftspraktik diesem Maßstab entspricht. Ohne Schadenseintritt ist eine solche Divergenz der Maßstäbe von betrugsrelevanter Täuschung und wettbewerbsrechtlicher Irreführungseignung grundsätzlich denkbar : Meint beispielsweise jeder Adressat einer vollständig homogenen Gruppe, eine bestimmte in einem Lebensmittelgeschäft zum üblichen Preis angebotene Sauce hollandaise sei mit Butter hergestellt, weil sie nur dann so benannt werden dürfe, und geht aus dem Zutatenverzeichnis hervor, dass sie in Wirklichkeit mit Pflanzenfett hergestellt ist773, liegt wettbewerbsrechtlich aufgrund des großen Einflusses der Warenverkehrsfreiheit in die Abwägung zur Ermittlung der Verbrauchererwartung keine Irreführungseignung vor, obwohl jeder angesprochene Adressat rein tatsächlich irrt. Selbst wenn man nun annimmt, dass die nationale Betrugsdogmatik in solchen Fällen eine konkludente Täuschung bejaht,774 weil sie die normative Risikoverteilung anders einschätzt, würde man jedoch – wie in vielen anderen Fällen – keinen Schaden annehmen können, da davon auszugehen ist, dass der Marktpreis bzw. die Marktpreisspanne, die noch keinen Vermögensschaden im Sinne des § 263 StGB begründen würde, die identische wäre, wenn alle Verbraucher von der genauen Zusammensetzung der Soße wüssten. Dies gilt auch dann, wenn das mit Butter hergestellte Konkurrenzprodukt gleich viel kostet. Die Marktpreisspanne bestimmt sich bei Lebensmitteln nicht nur anhand deren Zusammensetzung. Hiervon allein hängt die Bereitschaft der meisten Verbraucher, ein Produkt zu kaufen, nämlich nicht ab. Relevant sind vielmehr viele verschiedene Faktoren wie z. B. (individueller) Geschmack, Aufmachung des Produkts, Werbung, Markenbewusstsein etc. 773 Vgl. oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 1.: EuGH, Rs. C-51/94 – Sauce hollandaise, Urteil v. 26. 10. 1995, 1995 Slg. I-03599, Rn. 41, wobei in der Realität sicher nicht alle Adressaten der Gefahr der Irreführung ausgesetzt waren. 774 Wobei dies sehr fraglich ist, siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2. zur konkludenten Täuschung.

200

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Vergegenwärtigt man sich jedoch erneut die bereits ausführlich dargestellte Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz, liegt der Verdacht nahe, dass Interessen an der Verwirklichung des Binnenmarktes derzeit (v. a. über ein weitreichendes Verständnis der Grundfreiheiten) nur dann höher als der Verbraucherschutz zu bewerten sind, wenn bei den angesprochenen Verbrauchern keine Vermögensschäden im restriktiven Sinne775 entstehen. Dem Verbraucher entsteht kein Vermögensschaden, wenn er annimmt, ein Marsriegel sei größer776, ein Getränk habe einen höheren Alkoholgehalt777, ein eierlegendes Huhn sei mit anderem Futter versorgt worden778, jedes im Inland erhältliche Bier entspreche dem Deutschen Reinheitsgebot779 usw.780 In den Fällen hingegen, in denen tatsächlich Vermögensschäden drohen (aber in den relevanten Entscheidungen nicht einmal nachweisbar eingetreten sind!), orientiert sich der EuGH bisher sehr stark am tatsächlichen Verkehrsverständnis. Versicherungsgeschäfte781, Glücksspiele782, Wetten783 und Bankgeschäfte784, die ihrer Natur nach ein erhöhtes Risiko und Schadenspotential für den Verbraucher bergen, dürfen von den Mitgliedstaaten weitgehend reglementiert werden, solange dies nicht aus rein nationalprotektionistischen Gründen erfolgt. Dies ist auch vor dem Hintergrund des im Verbraucherleitbild zum Ausdruck kommenden Abwägungsprozesses unmittelbar einleuchtend, wenn man bedenkt, dass (möglicherweise) vermögensschädigende Verhaltensweisen große Auswirkungen auf den Lebensbereich des Verbrauchers haben können, ein wirksamer Schutz gewöhnlich nur über Verbote erreicht werden kann und infolgedessen die Privatautonomie des Gewerbetreibenden selbst unter Berücksichtigung des Binnenmarktgedankens in der normativen Abwägung nicht allzu schwer ins Gewicht fällt.785 In den Fällen, in denen alle Adressaten einer Geschäftspraktik rein tatsächlich gefährdet sind, sich irrtumsbedingt selbst zu schädigen, muss Vergho daher dahingehend zugestimmt werden, dass im Falle von tatsächlichen Verletzungen des Rechtsguts Vermögen die Abwägung immer zu Ungunsten des gemeinsamen Binnenmarktes ausfallen wird.786 Bereits bei unbefangener Betrachtung wäre 775 776 777 778 779 780 781 782 783 784 785 786

D.h. ohne die Fälle des individuellen Schadenseinschlags und der Zweckverfehlungslehre. EuGH, Rs. C-470/93 – Mars, Urteil v. 6. 7. 1995, 1995 Slg. I-1923. EuGH, Rs. 120/78 – Rewe (»Cassis de Dijon«), Urteil v. 20. 2. 1979, 1979 Slg. 649. EuGH, Rs. C-210/96 – Gut Springenheide, Urteil v. 16. 7. 1998, 1998 Slg. I-4657. EuGH, Rs. 178/84 – Reinheitsgebot, Urteil v. 12. 3. 1987, 1987 Slg. 1227. Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 1. Z.B. EuGH, Rs. 205/84 – Versicherungen, Urteil v. 4. 12. 1986, 1986 Slg. 3755. Z.B. EuGH, Rs. C-275/92 – Schindler, Urteil v. 24. 3. 1994, 1994 Slg. I-1039. Vgl. näher oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 1. Z.B. EuGH, Rs. C-316/07 – Avalon, Urteil v. 8. 9. 2010, WRP 2010, 1338 ff. Z.B. EuGH, Rs. 384/93 – Alpine Investments, Urteil v. 10. 5. 1995, 1995 Slg. I-1141. Vgl. zum Abwägungserfordernis auch oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3 b). Die Abwägungsrelevanz des drohenden Vermögensschadens ebenfalls betonend: Lettl, GRUR 2004, 449 (455).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

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unmittelbar einleuchtend, dass eine Geschäftspraktik, die das Vermögen aller Adressaten schädigen kann, nicht mehr als objektiv lauter bezeichnet werden kann. Dies heißt jedoch nicht, dass der EuGH bei drohenden Vermögensschäden des Einzelnen die wettbewerbsrechtliche Irreführungseignung immer annehmen würde. Da der drohende Vermögensschaden aber ein starker Abwägungsparameter ist, ist Voraussetzung einer wettbewerbsrechtlichen Zulässigkeit, dass es sich zum einen um keine hohen drohenden Vermögensschäden handelt und zum anderen, dass sich das Opfer wesentlich nachlässiger verhält als der weit überwiegende Teil der angesprochenen Verbraucher und sehr leicht die Täuschung hätte erkennen können, wenn es gewollt hätte.

C.

Die Vermeidung von Kollisionen durch die Tatbestandsmerkmale des Vorsatzes und der Bereicherungsabsicht

Übrig bleiben daher nur sehr wenige Fälle, in denen eine Kollision des Tatbestands des Betrugs mit dem Unionsrecht zumindest abstrakt möglich erscheint. Außerhalb synallagmatischer Vertragsbeziehungen bestehen umfassende wettbewerbsrechtliche Spezialverbote, sodass eine Kollision sehr unwahrscheinlich ist. Bestehen solche Spezialverbote nicht, ist es zumindest theoretisch möglich, dass der Getäuschte innerhalb der angesprochenen Verbrauchergruppe normativ als unterdurchschnittlich gilt und für ein Produkt aufgrund einer betrügerischen Verhaltensweise einen Preis spürbar oberhalb des Marktwertes zahlt. Weiterhin ist es abstrakt möglich, dass ein normativ unterdurchschnittlicher Verbraucher aufgrund eines Irrtums ein Produkt zwar zum Marktpreis erwirbt, der Erwerb für ihn aber nach den Grundsätzen des »individuellen Schadenseinschlags« einen Vermögensschaden darstellt. Nun ist weitere Voraussetzung einer Betrugsstrafbarkeit, dass der Täuschende mit Vorsatz hinsichtlich der Verwirklichung aller Tatbestandsmerkmale, d. h. hinsichtlich Täuschung, Irrtum, Vermögensverfügung, Schaden und jeweils Kausalität, sowie in der Absicht rechtswidriger Bereicherung handelt. Insbesondere bei Vergho klingt an, dass das dolose Verhalten des Gewerbetreibenden derart stark zu Lasten des Binnenmarktgedankens in die Abwägung einfließen müsse, dass immer von dessen wettbewerbsrechtlicher Unzulässigkeit auszugehen sei.787 Zu untersuchen ist deshalb, ob eine Geschäftspraktik, die die Bedingungen der soeben genannten Fallgruppen erfüllt, selbst bei Vorliegen des subjektiven Tatbestandes des § 263 StGB noch lauter sein kann: Beim Wettbewerbsrecht handelt es sich um objektives »Marktverhaltens- und 787 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 302.

202

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Marktkommunikationsrecht«.788 Frühere Ansichten, die eine unlautere (damals genannt »sittenwidrige«) Wettbewerbshandlung nur bei Vorliegen objektiver und subjektiver Komponenten bejahten, sind überholt.789 Außerhalb besonderer Tatbestände (z. B. § 4 Nr. 10 UWG) hängt die Bejahung einer Unlauterkeit daher allein davon ab, wie sich die Wettbewerbshandlung rein objektiv darstellt. Relevanz erlangt dieser Richtungswechsel zwar vor allem dahingehend, dass nunmehr auch Handlungen als unlauter gelten können, die früher wegen fehlenden Nachweises der subjektiven Kenntnis des Gewerbetreibenden nicht sittenwidrig und damit wettbewerbsrechtlich zulässig waren. Aus dem generellen Verzicht auf ein subjektives Element muss aber zwingend im Umkehrschluss abgeleitet werden, dass ein solches in Form der subjektiven Betrugsmerkmale nicht konstituierendes Element einer Unlauterkeit sein kann. Der Vorsatz des Gewerbetreibenden ist für die Beurteilung seines Verhaltens als lauter oder unlauter somit ohne Bedeutung. Zwar wird teilweise vertreten, dass dann, wenn der Werbende bewusst für einen gewissen Teil seiner Adressaten missverständliche Behauptungen aufstelle und darauf spekuliere, dass dieser Teil auf sein Angebot hereinfalle, von einer Irreführungseignung auszugehen sei, da es in diesem Fall nicht mehr um den Schutz des Gewerbetreibenden vor unzumutbaren Anforderungen gehe, sondern um den Schutz sozial und intellektuell schwächerer Schichten.790 Insbesondere beim Einzeladressaten müsse der Gewerbetreibende auf dessen jeweiligen Verständnisgrad eingehen und den Verbraucher bei erkannten Missverständnissen umfassender informieren.791 Richtigerweise kann hiermit jedoch nur gemeint sein, dass der Gewerbetreibende auf die besonders schutzwürdige Konstitution seines Geschäftspartners Rücksicht zu nehmen hat, wenn er diese erkennt bzw. sie für ihn erkennbar ist. Mit anderen Worten treffen den Gewerbetreibenden auch bei für seinen unterdurchschnittlichen Geschäftspartner bewusst irreführendem Verhalten nur dann erhöhte Informationspflichten, wenn es sich bei ihm um einen besonders schutzwürdigen Verbraucher im Sinne des § 3 Abs. 2 Satz 3 UWG i. V. m. Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2005/29/EG handelt. Das Bewusstsein des Gewerbetreibenden, mit seiner Wettbewerbshandlung einen Irrtum hervorzurufen, ist solange ohne Belang, wie seine Beachtung nur zur Folge hätte, Verbraucher vor ihrer eigenen Sorglosigkeit zu schützen, obwohl sie in der Lage wären, sich selbst zu schützen und dies nur aus Bequemlichkeit nicht tun. Denn es gilt das Leitbild 788 Züllighoven, Verbraucherschutz durch Informationspflichten, 2010, S. 255. 789 Vgl. nur Emmerich, Unlauterer Wettbewerb, 9. Aufl. 2012, S. 58; Sosnitza in Piper/Ohly/ Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 3 Rn. 37 m.w.N. 790 So Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 33. 791 Bornkamm in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5 Rn. 2.84; Sosnitza in Piper/ Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 5 Rn. 120.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

203

des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers, über welches eine normativ-objektive Risikoverteilung unter den Geschäftspartnern etabliert wird, die von inneren Beweggründen und sonstigen subjektiven Merkmalen unabhängig ist. Dahinter steht ein ausgewogenes System des Ausgleichs der Interessen von Unternehmern und Verbrauchern, bei dem es allein darum geht, das Maß an Rücksicht festzulegen, das der Unternehmer objektiv gegenüber dem Verbraucher bei seinen prinzipiell in einer freien Marktwirtschaft gewünschten, unternehmerischen Handlungen aufzubringen hat.792 Das derzeitige Verbraucherleitbild ist von der Idee geprägt, dass es in den Verantwortungsbereich des Verbrauchers fällt, sich selbstverantwortlich Informationen zu verschaffen und sich mit zur Verfügung gestellten Informationen vertraut zu machen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können. Hieran ändern die inneren Beweggründe des Gewerbetreibenden nichts.

IV.

Zusammenfassung: Möglichkeiten der Kollision im Bereich sekundärrechtlicher Vorgaben bei aktivem Tun

Fälle, in denen ein Verhalten nach dem sekundären Unionsrecht zulässig und gleichzeitig nach § 263 StGB grundsätzlich strafbar ist, kann es theoretisch geben. Dennoch erscheint es nahezu unmöglich, konkrete Fallgruppen zu bilden, bei denen es zu einer Kollision des Betrugstatbestandes mit sekundärrechtlichen Vorgaben kommt. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen bestehen im Bereich des Irreführungsschutzes der Verbraucher sehr umfassende sekundärrechtliche per-se-Verbote, die ohne Wertungsvorbehalt bestimmte Wettbewerbshandlungen umfassend bereits im Vorfeld einer Betrugsstrafbarkeit untersagen. Zum anderen erkennt das sekundäre Unionsrecht die besondere Schutzbedürftigkeit bestimmter Personengruppen an. Gemeint sind dabei Personen, die sich beispielsweise aufgrund einer Behinderung oder aufgrund ihres Alters nicht wie der Durchschnittsverbraucher verhalten können.793 Werden solche Personen durch eine geschäftliche Handlung getäuscht, steht einer Strafbarkeit des Täuschenden nach § 263 StGB eine wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der Verhaltensweise in der Regel nicht entgegen. Regelmäßig sind Kollisionen der beiden Rechtsmaterien daher nur dann denkbar, wenn sich das Betrugsopfer weniger informiert, aufmerksam oder verständig verhält, als es könnte. Bei ausdrücklichen Täuschungen wird eine 792 Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 1 Rn. 21 f. 793 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, I. B. 2.

204

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

Kollision jedoch meist auch dann verhindert und zwar dadurch, dass eine unwahre Tatsachenaussage i. S. d. § 263 StGB mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch wettbewerbsrechtlich als irreführungsgeeignet gilt. Bei der konkludenten Täuschung ist ebenfalls ein weitgehender Gleichlauf mit den unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz vor Irreführungen zu verzeichnen. Als normativer Rechtsbegriff hängt das Vorliegen einer konkludenten Täuschung nämlich sehr stark von außerstrafrechtlichen Regelungen und Wertungen ab, zu denen eben auch die Normen des sekundären Unionsrechts zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen gehören.794 Ist im Einzelfall kein Gleichlauf des unionsrechtlichen Begriffs der Irreführung mit dem Täuschungsbegriff des § 263 StGB gegeben, verhindert die zusätzliche Voraussetzung eines Vermögensschadens in § 263 StGB Kollisionen recht umfassend.795 Bei einer innerhalb des Marktpreises liegenden Gegenleistung des Verbrauchers sind Kollisionen nur bei »individuellem Schadenseinschlag« denkbar. Bei einer über dem Marktpreis liegenden Gegenleistung wird sich die Wettbewerbshandlung regelmäßig objektiv nur an besonders schutzwürdige Personenkreise richten, sodass jedenfalls in den meisten Fällen auch ein wettbewerbsrechtliches Verbot bestehen wird. Wiederum ist eine Kollision somit ausgeschlossen. Gestützt wird dieses Ergebnis dadurch, dass der EuGH in Fällen drohender Vermögensschäden der Verbraucher regelmäßig nationale Beschränkungen der Grundfreiheiten recht großzügig als gerechtfertigt ansieht.796 Hingegen verhindert das Vorsatzerfordernis in § 263 StGB keine Kollisionen.797 Da eine wettbewerbsrechtliche Irreführungseignung rein objektiv zu beurteilen ist, können auch vorsätzliche vermögensschädigende Verhaltensweisen jedenfalls theoretisch wettbewerbsrechtlich zulässig sein.

3. Abschnitt: Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben im Bereich des Unterlassens Eine Täuschung nach § 263 StGB kann nicht nur durch aktives Tun, sondern auch durch Unterlassen erfolgen.798 Das Wettbewerbsrecht erkennt die Möglichkeit der Irreführung durch Unterlassen ebenfalls an, § 5a UWG i. V. m. Art. 7 der Richtlinie 2005/29/EG. Parallel zum aktiven Tun verhindert auch hier das 794 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. B. 3. b) und 2. Abschnitt, III. A. 2. a). 795 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. 796 Die Möglichkeit einer Kollision deshalb ablehnend: Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 131, 301; Vergho, wistra 2010, 86 (91). 797 In diese Richtung aber : Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 302. 798 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, IV.

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit sekundärrechtlichen Vorgaben

205

strafrechtliche Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens eine Kollision recht umfassend. Vergleicht man die Täuschung durch Unterlassen nach § 263 StGB mit der Irreführung durch Unterlassen nach § 5a UWG i. V. m. Art. 7 der Richtlinie 2005/ 29/EG, ergibt sich folgendes Bild: Unabhängig von normativen Verbrauchererwartungen gilt ein Verstoß gegen unionsrechtlich normierte Informationsanforderungen immer als irreführende Unterlassung, § 5a IV UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 5 der Richtlinie 2005/29/EG.799 Der Betrug durch Unterlassen erfordert eine Garantenstellung. Neben den herkömmlichen Garantenpositionen kann eine solche vorliegen, wenn den Täter normativ eine Aufklärungspflicht traf.800 Bereits aufgrund des Erfordernisses der Modalitätenäquivalenz nach § 13 StGB liegt jedoch nicht in jeder Verletzung unionsrechtlich normierter Informationsanforderungen eine strafrechtliche Garantenpflichtverletzung. In diesem Punkt sind die Voraussetzungen der unionsrechtlichen Zulässigkeit somit enger, eine Kollision demnach ausgeschlossen. Im Übrigen liegt eine wettbewerbsrechtliche Irreführung durch Unterlassen dann vor, wenn eine für die Entscheidungsfähigkeit des Verbrauchers wesentliche Information vorenthalten wird, § 5a Abs. 2 UWG i. V. m. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2005/29/EG. Maßstab der Wesentlichkeit ist der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher der angesprochenen Verbrauchergruppe. Einigkeit besteht – ähnlich wie zur Garantenstellung beim Betrug – dahingehend, dass den Gewerbetreibenden keine allgemeine Informationspflicht über sein Produkt trifft.801 Dies widerspräche der von der Richtlinie getroffenen Risikoverteilung.802 Erforderlich ist vielmehr die konkrete Eignung, durch das Verschweigen eines Umstands die angesprochenen Verbraucher in die Irre zu führen.803 Wesentlichkeit liegt nur dann vor, wenn eine Aufklärungspflicht besteht.804 Auch beim Betrug durch Unterlassen kommt es darauf an, ob den Täter eine Aufklärungspflicht trifft.805 Eine Kollision des Betrugs mit dem Unionsrecht ist daher nur dann möglich, wenn strafrechtlich weitergehende Aufklärungspflichten angenommen werden können als wettbe799 Köhler in Köhler/Bornkamm, UWG, 31. Aufl. 2013, § 5a Rn. 5; Helm in Gloy/Loschelder/ Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 59 Rn. 145. 800 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, IV. 801 BGH, GRUR 2007, 251 (252); Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 5a Rn. 11. 802 Helm in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 59 Rn. 123. 803 Helm in Gloy/Loschelder/Erdmann, Handbuch des Wettbewerbsrechts, 4. Aufl. 2010, § 59 Rn. 123. 804 Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 5a Rn. 9. 805 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, IV.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

werbsrechtlich. Da wettbewerbsrechtlich immer dann eine Aufklärungspflicht bejaht wird, wenn die Gefahr einer unlauteren Beeinflussung der Adressaten durch Täuschung über den tatsächlichen Wert des Angebots besteht,806 ist eine echte Kollision nahezu ausgeschlossen. Denkbar ist sie wiederum nur gegenüber einem innerhalb seiner Vergleichsgruppe normativ unterdurchschnittlich informierten, aufmerksamen oder verständigen Verbraucher. Jedoch ist die Aufklärungspflicht bei der strafrechtlichen Täuschung durch Unterlassen ähnlich wie bei der konkludenten Täuschung die Verkehrsanschauung anhand einer normativen Risikoabwägung zu bestimmen. Die zur konkludenten Täuschung getroffenen Feststellungen gelten daher entsprechend.807 Dies bedeutet, dass das Vorliegen strafrechtlicher Aufklärungspflichten sehr häufig von außerstrafrechtlichen Regelungen abhängt, zu denen auch die wettbewerbsrechtlichen Informationsanforderungen gehören. Wenn überhaupt, so wird es daher bereits nach der nationalen Betrugsdogmatik nur ganz ausnahmsweise möglich sein, eine strafrechtliche Aufklärungspflicht gegenüber einem unterdurchschnittlich informierten, aufmerksamen oder verständigen Durchschnittsverbraucher anzunehmen, wenn eine solche wettbewerbsrechtlich explizit gerade nicht besteht.

4. Abschnitt: Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit primärrechtlichen Vorgaben Wie dargelegt sind im durch das Sekundärrecht harmonisierten Bereich Fälle nahezu ausgeschlossen, in denen der Anwendungsvorrang des Unionsrechts zu einer von der herkömmlichen Auslegung des § 263 StGB abweichenden zwingt. Grundsätzlich denkbar ist, dass diese weitgehende Kongruenz unionsrechtlicher und nationaler Maßstäbe im primärrechtlich geregelten Bereich nicht vorliegt. Selbst wenn dies zu bejahen sein sollte, wären jedoch keine gravierenden Auswirkungen zu befürchten, da der Bereich der Irreführungen sekundärrechtlich mittlerweile so umfassend abschließend geregelt ist, dass nur sehr wenige Fälle denkbar sind, in denen das Primärrecht Anwendung findet.808 Die Klärung des abstrakten Einflusses des Primärrechts auf die Auslegung des § 263 StGB ist grundsätzlich schwieriger als des Sekundärrechts, da die Regelungen zu den Grundfreiheiten notwendigerweise allgemeiner gehalten sind als die detailliert geregelten Irreführungsverbote des Sekundärrechts. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der Grundfreiheiten kommt der Rechtsprechung des 806 BGH, GRUR 2003, 538 (539); BGH, GRUR 2006, 161 (162); BGH, GRUR 2007, 251 (252); Sosnitza in Piper/Ohly/Sosnitza, UWG, 5. Aufl. 2010, § 5a Rn. 11. 807 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2. 808 Vgl. oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. A. 1. a).

Möglichkeiten der Kollision des § 263 StGB mit primärrechtlichen Vorgaben

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EuGH daher das entscheidende Gewicht zu.809 Die sekundärrechtlichen Verbraucherschutzstandards orientieren sich an dieser Rechtsprechung; beispielsweise Erwägungsgrund 18 der Richtlinie 2005/29/EG stellt dies ausdrücklich klar. Deshalb stellt sich nun umgekehrt die Frage, ob primärrechtliche Grundsätze zum Verbraucherschutz überhaupt von den im Sekundärrecht verankerten abweichen, wenn letztere nach der Intention der Union doch gerade dem Primärrecht entstammen sollen. Dass der Verbraucherschutz im Primärrecht und im Sekundärrecht durch das identische Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers geprägt wird, wurde bereits an anderer Stelle dargelegt.810 Im Primärrecht erlangt der Verbraucherschutz als möglicher Rechtfertigungsgrund einer nationalen Regelung, die in eine Grundfreiheit eingreift, Geltung.811 So etwas wie die sekundärrechtlichen per-se-Verbote kann es in diesem Zusammenhang nicht geben, da mangels unionsrechtlicher Harmonisierung immer eine Gefährdung der Verwirklichung des Binnenmarktes im Raum steht. Wird ein Eingriff in eine Grundfreiheit festgestellt, hängt eine Rechtfertigung aus Gründen des Verbraucherschutzes daher immer vom zugrundeliegenden Leitbild ab. Scheitert die Rechtfertigung aus Gründen des Verbraucherschutzes an diesem Leitbild, ist eine Kollision des § 263 StGB mit primärrechtlichen Vorgaben abstrakt möglich. Im Primärrecht ist dieses Verbraucherleitbild ebenso abwägungsoffen wie im Sekundärrecht. Der Grund für die weitgehende Kongruenz sekundärrechtlicher und nationaler Maßstäbe zum Schutz vor Irreführungen ist, dass zum einen immer dann, wenn Adressaten konstitutionell besonders schutzbedürftig sind, unionsrechtlich auf deren Horizont abzustellen ist.812 Zum anderen ist der drohende Vermögensschaden ein starker Abwägungsparameter.813 Gleichzeitig verhindert das Tatbestandsmerkmal des Vermögensschadens in den verbleibenden Fällen einer Divergenz des sekundärrechtlichen und betrugsstrafrechtlichen Irreführungsbegriffs zumeist eine echte Kollision. Die Grundsätze zum Schutz besonders Schutzbedürftiger sowie zur Abwägungsrelevanz des Vermögensschadens entstammen aber gerade der Rechtsprechung des EuGH zum Verbraucherschutz bei den Grundfreiheiten.814 Deshalb muss primärrechtlich zwangsläufig das Gleiche gelten wie sekundärrechtlich. Echte Kollisionen des Betrugstatbestandes mit den Grundfreiheiten sind praktisch nahezu ausgeschlossen und überhaupt nur dann 809 810 811 812

Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt. Siehe oben Teil 1. Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. A., II. B. am Anfang. EuGH, Rs. 382/87 – Buet, Urteil v. 16. 5. 1989, 1989 Slg. 1235; siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 4. 813 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. 3. b). 814 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 4. und Teil 1, 1. Abschnitt, II. B. 2.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

möglich, wenn sich das Opfer äußerst nachlässig verhält, obwohl es sich anders verhalten könnte und der drohende Vermögensschaden als gering einzustufen ist.

5. Abschnitt: Unionsrechtskonforme Auslegung oder Anwendungsvorrang? Trotz des Ergebnisses, dass echte Kollisionen des Tatbestandes des Betrugs mit dem Unionsrecht sowohl primär- als auch sekundärrechtlich sehr unwahrscheinlich sind, überschneiden sich die unionsrechtlichen Regelungen und die Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB nicht so sehr, dass ein Widerspruch abstrakt völlig ausgeschlossen ist. Daher muss ein in sich stimmiges System gefunden werden, wie mit einem Fall echter Kollision umzugehen wäre. Hier bietet sich eine Unterscheidung nach der ausdrücklichen Täuschung einerseits und nach den anderen Täuschungsformen andererseits an. Jeweils fragt sich, ob eine unionsrechtskonforme Auslegung in Übereinstimmung mit der nationalen Betrugsdogmatik möglich ist oder aber aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die Nichtanwendbarkeit des § 263 StGB die einzige Lösung ist.

I.

Unionsrecht und ausdrückliche Täuschung

Diese Arbeit schließt sich der Auffassung an, dass eine ausdrückliche Täuschung in jeder unwahren Tatsachenbehauptung liegt, ein normatives Eignungselement ist ihr fremd.815 Verharrt man bei diesem Befund, ist eine unionsrechtskonforme Auslegung des § 263 StGB bei der ausdrücklichen Täuschung nicht möglich, da dem unionsrechtlichen Begriff der Irreführung ein Eignungselement häufig gerade immanent ist. In der Literatur werden jedoch seit längerer Zeit und unabhängig von der Anerkennung unionsrechtlicher Einflüsse vermehrt Stimmen laut, die über unterschiedlichste Mechanismen eine Einschränkung der Betrugsstrafbarkeit fordern.816 Durch die Befolgung eines dieser Ansätze könnten möglicherweise echte Kollisionen des Betrugstatbestandes mit dem Unionsrecht vollständig verhindert werden. Wie dargelegt, erscheint die Einschränkung über das Kriterium der objektiven Zurechnung aus der Sicht der nationalen Betrugsdogmatik hierbei als der gangbarste Weg.817 Danach soll im Wege einer normativen Betrachtung unter Rekurs auf den Schutzzweck der 815 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. c), II. 816 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, II. 817 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, II. C. 2.

Unionsrechtskonforme Auslegung oder Anwendungsvorrang?

209

Norm der Schutzbereich des Betrugstatbestandes einzuschränken sein, wenn das Opfer ein Mitverschulden trifft.818 Besonders schutzbedürftige Personenkreise sollen von dieser einschränkenden Auslegung nicht betroffen sein. Im Wege unionsrechtskonformer Auslegung wäre nicht national eigenständig zu formulieren, wann eine Person zu einem solchen besonders schutzbedürftigen Personenkreis gehört. Vielmehr wären die bereits dargestellten unionsrechtlichen Wertungen einfach zu übernehmen.819 Besonders schutzbedürftig ist eine Person dann, wenn in ihr ein strukturelles Defizit vorliegt, das sie besonders anfällig für Täuschungen macht und normativ nicht von ihr erwartet werden kann, dass sie dieses Defizit behebt. Problematisch an dieser Lösung ist jedoch, dass das Unionsrecht dem bequemen und nachlässigen Verbraucher sekundärrechtlich nicht generell den Schutz vor Irreführung versagt.820 Nur ganz ausnahmsweise sind überhaupt Fälle denkbar, in denen eine Irreführung nach dem Unionsrecht abzulehnen ist, wenn ein vollendeter Betrug vorliegt.821 Im vollharmonisierten Bereich ist eine Gefährdung des Binnenmarktes ausgeschlossen. Hier etabliert das Unionsrecht häufig einen weitaus höheren Verbraucherschutzstandard als auf den ersten Blick über das Leitbild des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers zu erreichen wäre. Dies betrifft beispielsweise die Werbung mit Arznei-, Heil- und Lebensmitteln822 oder die Verbote des Anhangs I der Richtlinie 2005/29/EG. Die Befürworter einer vollumfänglichen Einschränkung des § 263 StGB limitieren den Opferschutz folglich viel weitreichender als es unionsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen entspricht. Aufgrund der unterschiedlichen Gewichtung des Binnenmarktgedankens ist das unionsrechtliche Verbraucherschutzniveau recht uneinheitlich.823 Da unionsrechtliche Irreführungsverbote nicht strafrechtlich und schon gar nicht vermögensstrafrechtlich flankiert sein müssen,824 führt die generell einschränkende Auslegung des § 263 StGB zwar tatsächlich zu Unionsrechtskonformität. Jedoch erscheint sie nicht opportun. Viele gute Gründe sprechen für die herkömmliche Auslegung der ausdrücklichen Täuschung.825 Diese generell nicht mehr gelten zu lassen, nur weil es eventuell einmal zu einer Kollision 818 Kurth, Das Mitverschulden des Opfers beim Betrug, 1984, S. 169, 183 ff., 192; Harbort, Die Bedeutung der objektiven Zurechnung beim Betrug, 2010, S. 52. Vgl. oben Teil 3, 1. Abschnitt, II. C. 1. 819 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, I. B. 2. 820 Siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, III. 821 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. 822 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. A. 823 Ähnlich: Dannecker, JURA 2006, 173 (175). 824 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. D. 2. 825 Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, II., III.

210

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

mit dem Unionsrecht kommen könnte, wäre ein sehr schmerzhaftes Ergebnis. Verträglicher ist es, anzuerkennen, dass im Bereich ausdrücklicher Täuschungen eine unionsrechtskonforme Auslegung nicht möglich ist. Folge ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts die Unanwendbarkeit des § 263 StGB im Falle einer (sehr unwahrscheinlichen) echten Kollision. Dies gilt auch sekundärrechtlich für den vorwiegend durch die Richtlinie 2005/29/EG vollharmonisierten Bereich, da unmittelbare Anwendbarkeit zu bejahen ist.826

II.

Unionsrecht und konkludente Täuschung bzw. Täuschung durch Unterlassen

Da eine generell einschränkende Auslegung des § 263 StGB demnach nicht angezeigt ist, ist zu untersuchen, ob auch bei der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen nur durch die Nichtanwendung des § 263 StGB im Falle einer Kollision Unionsrechtskonformität erreicht werden kann. Eventuell könnte aufgrund des stärkeren Einflusses der Normativität des Täuschungsbegriffes eine unionsrechtskonforme Auslegung möglich sein. Zur Ermittlung einer konkludenten Täuschung ist der Erklärungsgehalt eines Verhaltens nach der Verkehrsanschauung festzustellen. Diese Verkehrsanschauung bestimmt sich nach faktischen und normativen Gegebenheiten. Das Recht der Union und mit ihm alle unionsrechtlichen Grundsätze und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen ist eine solche normative Gegebenheit.827 Diese muss bereits nach der herkömmlichen Auslegung als starker Abwägungsparameter in die Ermittlung des Erklärungsgehalts einer Verhaltensweise einfließen.828 Infolgedessen ist die unionsrechtskonforme Auslegung der konkludenten Täuschung rechtstechnisch sehr einfach zu bewältigen. Die Notwendigkeit der unionsrechtskonformen Auslegung prägt den Abwägungsvorgang zur Ermittlung einer Verkehrsanschauung ohne Ausnahme so sehr, dass ausnahmsweise faktische und strafrechtsautonom normative Erwägungen keine Rolle mehr spielen. Ist ein Verhalten unionsrechtlich erlaubt, liegt in ihm keine konkludente Täuschung. Da die Täuschung durch Unterlassen in ebenso starkem Maße wie die konkludente Täuschung von einer wertenden Betrachtung abhängt, kann hier nichts anderes gelten. Ist eine Verhaltensweise unionsrechtlich nicht als irreführend einzustufen, liegt auch strafrechtlich keine Garantenstellung in Form einer Aufklärungspflicht vor. 826 Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. B. 1. b). 827 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2 a) aa). 828 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2 a) – d).

Vereinbarkeit der unionsrechtskonformen Auslegung

211

Die Irrelevanz strafrechtsautonomer Kriterien ist aus Sicht der Strafrechtsdogmatik für den für diese Untersuchung interessierenden Bereich als unproblematisch einzustufen. Regelmäßig werden strafrechtsautonome Erwägungen dem ultima-ratio-Gedanken und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspringen und damit strafrechtlich zu einer für den Beschuldigten günstigeren Risikoverteilung Anlass geben als zivilrechtlich. Das Unionsrecht wirkt sich jedoch ebenfalls nur für den Beschuldigten günstig aus. Die Irrelevanz faktischer Gegebenheiten ist deswegen zumindest erträglich, weil sich tatsächliche Verkehrsanschauungen mit der Zeit an gesetzliche Wertungen anpassen. Die gefundenen Ergebnisse zum Umgang mit dem unwahrscheinlichen Fall einer Kollision des § 263 StGB mit dem Unionsrecht sind nun abschließend auf ihre Vereinbarkeit mit möglicherweise übergeordneten Prinzipien zu überprüfen.

6. Abschnitt: Die Vereinbarkeit der unionsrechtskonformen Auslegung und des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts mit übergeordneten Prinzipien I.

Art. 103 Abs. 2 GG

Möglicherweise gibt es im Strafrecht Einschränkungen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts und der unionsrechtskonformen Auslegung aus verfassungsrechtlichen Gründen bei Verstößen gegen die Regelung des Art. 79 Abs. 3 GG oder sogar darüber hinaus.829 Eine Auseinandersetzung mit dieser Problematik wäre jedoch nur dann erforderlich, wenn aus nationaler Sicht tatsächlich Verstöße gegen verfassungsrechtliche Prinzipien zu konstatieren wären. Da die Einflüsse des Unionsrechts nur die Straflosigkeit zum Vorteil des Beschuldigten bewirken können, kommt allein ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz aus Art. 103 Abs. 2 GG in Betracht. Nach Vergho geht mit der Maßgeblichkeit unionsrechtlicher Verbrauchererwartungen für die Auslegung des § 263 StGB eine verfassungswidrige Unbestimmtheit des Tatbestands des Betrugs einher.830 Zunächst scheint Vergho davon auszugehen, dass der Betrug durch die Anerkennung der Einflüsse des Unionsrechts zu einem Blankett würde.831 Straftatbestände sind häufig dann schwer mit dem Bestimmtheitsgrundsatz zu vereinbaren, wenn sie als Blankette dynamisch auf das Unionsrecht in der jeweils 829 Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. B. 1., 2. 830 Vgl. oben Teil 2, 1. Abschnitt, VIII., 2. Abschnitt, II. A. 2. 831 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 134, S. 134 Fn. 46, S. 41.

212

Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

gültigen Fassung verweisen.832 Ein Blankett liegt jedoch nur dann vor, wenn das mit Strafe bedrohte Verhalten nicht vollständig in der Strafnorm selbst umschrieben wird, sondern mittels einer Bezugnahme auf andere Vorschriften.833 Da der Tatbestand des § 263 StGB trotz der einzelfallabhängig möglichen Einflüsse des Unionsrechts das strafbare Unrecht nach wie vor selbst vollständig bestimmt, handelt es sich jedoch bei der Täuschung um ein normatives Tatbestandsmerkmal und nicht um ein Blankett. Fälle tatsächlicher Beeinflussung des § 263 StGB durch das Unionsrecht sind bei ausdrücklichen Täuschungen nahezu ausgeschlossen. Bei konkludenten Täuschungen und Täuschungen durch Unterlassen ergeben sich nur geringe Änderungen zur bisherigen Dogmatik. Die Normativität des Täuschungsbegriffes als solche begründet keine verfassungswidrige Unbestimmtheit. Im Bereich konkludenter Täuschungen wird sogar erst durch die Anerkennung normativer Kriterien eine möglichst klare Grenzziehung zwischen erlaubten und strafbaren Verhaltensweisen erreicht. Wäre zur Beurteilung eines Verhaltens als Täuschung allein auf tatsächliche Gegebenheiten abzustellen, bestünde in weitaus stärkerem Maße die Gefahr, dass sich der Rechtsanwender allein von subjektiven Einschätzungen leiten lässt. Diese kann der Rechtsunterworfene nicht vorhersehen. Demnach tragen die Regelungsmechanismen des Unionsrechts zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen sogar zur tatbestandlichen Bestimmtheit bei. Ist ein Verhalten unionsrechtlich zulässig, kann es nicht nach § 263 StGB strafbar sein. Außerdem prägen unionsrechtliche Regelungen die tatsächliche Verkehrsauffassung mit. Aus den einzelfallabhängigen möglichen Einflüssen des Leitbildes des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers ergibt sich nichts anderes, da diese Maßstabsfigur nicht vager ist als der nationale Begriff der Verkehrsanschauung.834 Die Vereinbarkeit mit Art. 103 Abs. 2 GG gilt auch für den Bereich ausdrücklicher Täuschungen. Nur ganz ausnahmsweise wird eine ausdrücklich unwahre Angabe nach dem Unionsrecht aufgrund des Verbraucherleitbildes nicht als irreführend gelten.835 Möglich erscheint dies beispielsweise bei marktschreierischen Anpreisungen. Vorausgesetzt in einem solchen Fall wären alle anderen Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB zu bejahen, wird die Tatsachenqualität oder der Täuschungscharakter der Angabe bereits nach der na832 Schmitz in MüKo-StGB, Bd. 1, 2. Aufl. 2011, § 1 Rn. 53 ff. 833 BVerfGE 78, 205 (213); Jescheck/Weigend, Lehrbuch des Strafrechts AT, 5. Aufl. 1996, S. 111; Schmitz/Wulf in MüKo-StGB, Nebenstrafrecht II, 2010, § 370 AO Rn. 13. 834 a. A.: Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 139; Bömeke, Wie dumm darf der Verbraucher sein?, 2005, S. 68; Lettl, Der lauterkeitsrechtliche Schutz vor irreführender Werbung in Europa, 2004, S. 345; Kempf/Schilling, wistra 2007, 41 (43); bereits früher : Thieme, NJW 1966, 1436 (1439); Grebing, wistra 1982, 83 (89). 835 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, I. A.

Vereinbarkeit der unionsrechtskonformen Auslegung

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tionalen Auslegung des § 263 StGB regelmäßig sehr umstritten sein.836 Durch den zusätzlichen Einfluss des Unionsrechts auf diesen Abgrenzungsstreit wird das Täuschungsmerkmal nicht unbestimmter. Vielmehr bewirkt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts auch hier eine deutlichere Vorhersehbarkeit der Straflosigkeit des Täuschenden und damit – entgegen gegenteiliger Verlautbarungen – sogar eine Erhöhung der Rechtssicherheit. Es ist somit kein Grund ersichtlich, weshalb das Unionsrecht für die Auslegung und Anwendung des § 263 StGB abstrakt nicht verbindlich sein sollte. Aus nationaler Perspektive stellt sich daher allein die Frage, ob sich hieraus aufgrund übergeordneter Prinzipien Konsequenzen für Betrugsfälle ohne Bezüge zum Unionsrecht ergeben.

II.

Das »Gleichheits- und Gerechtigkeitsproblem«837

In den Mechanismen des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts wird teilweise ein »Gerechtigkeits- und Gleichheitsproblem« gesehen, da die Strafbarkeit ähnlich gelagerter Sachverhalte allein von dem Bestehen oder Nichtbestehen unionsrechtlicher Einflüsse abhängen könne.838 Infolgedessen wird vorgeschlagen, im Falle von Publikumswerbung oder sogar generell auch bei rein nationalen Sachverhalten eine Strafbarkeit nach § 263 StGB nur bei Täuschungen gegenüber mindestens durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchern anzunehmen.839 Andernfalls käme es zu Inländerdiskriminierungen, die unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht zu rechtfertigen wären.840 Derartigen Restriktionstendenzen ist jedoch eine Absage zu erteilen. Zum einen berücksichtigen sie nicht ausreichend, dass das Unionsrecht keineswegs durchgängig nur den Durchschnittsverbraucher schützt, sondern der Verbraucherschutz eher uneinheitlich ausgestaltet ist.841 Zum anderen prägen unionsrechtliche Regelungen insbesondere im Bereich der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen die tatsächliche Verkehrsauffassung so sehr, dass unionsrechtlich determinierte Sachverhalte und rein nationale Sachverhalte, die nicht 836 837 838 839

Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. b), c), II. So Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (699). Soyka,, wistra 2007, 127 (130 ff.); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (699). Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 322 ff.; Soyka, wistra 2007, 127 (132); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697; Ansicht (wohl) geändert in Dannecker, JURA 2006, 173 (175); Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (581 f.). 840 Dannecker, ZStW 117 (2005), 697; Ansicht (wohl) geändert in Dannecker, JURA 2006, 173 (175). 841 So auch Roth, VuR 2007, 161 (163, 164). Vgl. auch oben Teil 1, 3. Abschnitt.

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Tatsächliche Auswirkungen des Unionsrechts

durch außerstrafrechtliche Regelungen überlagert werden, nie so vergleichbar sein werden, dass Gleiches ungleich behandelt wird. Das gleiche würde bei rein national zivilrechtlich geregelten Sachverhalten gelten. Im Bereich ausdrücklichen Täuschens ist eine Divergenz nationaler und unionsrechtlicher Maßstäbe so unwahrscheinlich, dass hieraus ebenfalls kein gegen Art. 3 GG verstoßendes Gleichheitsproblem folgt. Denn der eine Kollision provozierende Sachverhalt wäre so einmalig, dass es ebenfalls an einer Vergleichbarkeit fehlen würde. Mangels Vergleichbarkeit der Sachverhalte wäre ebenfalls kein Verstoß gegen das Gebot der Einheit der Rechtsordnung oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit feststellbar.

III.

Fazit

Ein Verstoß gegen nationales Verfassungsrecht ist nicht feststellbar. Es besteht kein Grund dafür, in dem unwahrscheinlichen Fall einer Kollision des Betrugs mit unionsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen die Prinzipien des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts und die unionsrechtskonforme Auslegung in Frage zu stellen. Insbesondere aus dem in Art. 103 Abs. 2 GG verankerten Bestimmtheitsgebot ergibt sich nichts anderes. Sachverhalte, deren rechtliche Bewertung durch Normen der Union möglicherweise überlagert wird, werden sich immer an der Grenze der Betrugsstrafbarkeit nach der nationalen Dogmatik abspielen. In diesen Fällen trägt das Unionsrecht sogar zur tatbestandlichen Bestimmtheit bei, da für den Einzelnen die Straflosigkeit seines Verhaltens vorhersehbarer ist als wenn es allein auf eine strafrechtsautonome normative Bewertung durch den Rechtsanwender ankäme. Weiterhin besteht kein Anlass dafür den (nur vermeintlich) generellen Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers insgesamt auf das Betrugsdelikt zu übertragen. Verstöße gegen Art. 3 GG, gegen das Gebot der Einheit der Rechtsordnung oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit aufgrund unionsrechtlicher Einflüsse sind nämlich nicht feststellbar, da es an einer Vergleichbarkeit unionsrechtlich überlagerter Sachverhalte mit rein nationalen Sachverhalten immer fehlen wird.

Zusammenfassung der Ergebnisse

Die Frage, ob unionsrechtliche Grundsätze und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen die Auslegung und Anwendung des deutschen Betrugsdelikts beeinflussen, beantwortet sich wie folgt: Eine grundlegende Neuinterpretation des Betrugstatbestandes aufgrund unionsrechtlicher Grundsätze und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen ist weder erforderlich noch zweckmäßig. Dennoch besteht ein abstrakter Einfluss des unionsrechtlichen Verbraucherschutzniveaus auf den deutschen Betrugstatbestand. Das Gleiche gilt für die Prägung der Verkehrsanschauung bei der konkludenten Täuschung und der Aufklärungspflichten bei der Täuschung durch Unterlassen Das Ziel eines möglichst hohen Verbraucherschutzes ist in Art. 114 Abs. 3 AEUV, Art. 169 Abs. 1 AEUV verankert. Seine Grenzen findet der Verbraucherschutz aus der Perspektive des Unionsrechts in dem übergeordneten Ziel der Verwirklichung des Binnenmarktes, welches primärrechtlich in erster Linie über die umfassende Gewährleistung der Grundfreiheiten erreicht werden soll. Gründe des Verbraucherschutzes rechtfertigen Eingriffe in die Grundfreiheiten daher nur beschränkt.842 Maßstab ist der durchschnittlich informierte, aufmerksame und verständige Durchschnittsverbraucher der angesprochenen Verbrauchergruppe. Grundsätzlich hat die Information der Verbraucher Vorrang vor weitreichenderen mitgliedstaatlichen Beschränkungen der Gewerbetreibenden, sofern sie als ausreichendes Instrument des Verbraucherschutzes anzusehen ist. Die Inhalte dieses Maßstabes sind auf der Grundlage des tatsächlichen Verkehrsverständnisses wertend zu ermitteln.843 Insbesondere bei drohenden Vermögensschäden sind an den Durchschnittsverbraucher keine allzu hohen Anforderungen zu stellen.844 Gehört der angesprochene Verbraucher einer besonders schutzwürdigen, explizit angesprochenen Personengruppe 842 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I., II. 843 Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 3. a), III. 844 Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. 3. b).

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Zusammenfassung der Ergebnisse

an, sind weitreichendere Beschränkungen der Grundfreiheiten legitim. Besonders schutzwürdig ist eine Verbrauchergruppe dann, wenn sie aus Personen besteht, bei denen ein strukturelles Defizit vorliegt, das sie besonders anfällig für Täuschungen macht und normativ nicht von ihnen erwartet werden kann, dass sie dieses Defizit beheben.845 Sekundärrechtlich weicht die Union teilweise von dem skizzierten Verbraucherleitbild ab und gewährt einen umfassenderen Verbraucherschutz. Dies liegt daran, dass in vollharmonisierten Bereichen die Gefährdung der Verwirklichung des Binnenmarktes unwahrscheinlicher ist.846 Abstrakt entfalten die unionsrechtlichen Grundsätze und Regelungen zum Verbraucherschutz auch für das Strafrecht verbindliche Wirkung. Dies folgt aus dem Grundsatz des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts und der Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung. Voraussetzung einer echten Kollision ist die unmittelbare Anwendbarkeit der unionsrechtlichen Regelung. Die Pflicht zur unionsrechtskonformen Auslegung gilt sogar außerhalb echter Kollisionen.847 Aus dem nationalen Verfassungsrecht oder allgemeinen Rechtsgrundsätzen, die in allen Mitgliedstaaten gelten, kann für den Untersuchungsbereich dieser Arbeit keine Ausnahme abgeleitet werden.848 Dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts ist im Bereich des Täuschungsschutzes mit dem Ergebnis der Straflosigkeit unionsrechtlich zulässigen Verhaltens Genüge getan. Über welche Tatbestandsmerkmale des § 263 StGB dieses Ergebnis erreicht wird, ist gleichgültig.849 Umgekehrt müssen unionsrechtliche Irreführungsverbote nicht strafrechtlich und schon gar nicht vermögensstrafrechtlich flankiert sein.850 Fälle echter Kollisionen des Betrugsdelikts mit dem Unionsrecht sind abstrakt denkbar, praktisch allerdings so gut wie ausgeschlossen. Dies liegt zum einen an der Anerkennung der Abwägungsrelevanz drohender Vermögensschäden sowie der besonderen Schutzwürdigkeit bestimmter Personenkreise durch den EuGH. Ein weiterer Grund sind die unionsrechtlich häufig sehr hohen Verbraucherschutzstandards im Bereich des vollharmonisierten sekundären Unionsrechts.851 Zum anderen liegen die Gründe hierfür in der deutschen Betrugsdogmatik, obwohl eine opferfreundliche Auslegung des Betrugstatbestandes zu befürworten ist. Die Auslegung des Täuschungsmerkmals erfolgt bei der ausdrück845 846 847 848 849 850 851

Siehe oben Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 4. und Teil 3, 2. Abschnitt, I. B. 2. Siehe oben Teil 1, 2. Abschnitt, III. Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, I. B. 2. Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, II. A. und Teil 3, 6. Abschnitt, I. Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, II. B. 3. Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, II. D. 2. Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. 3. b); Teil 1, 1. Abschnitt, I. B. 4.; Teil 3, 2. Abschnitt, I. B. 2.; Teil 3, 2. Abschnitt, II.

Zusammenfassung der Ergebnisse

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lichen Täuschung anhand der faktisch-normativen Verkehrsanschauung, wobei es gleichgültig ist, ob sich die Allgemeinheit von der Täuschung in die Irre führen lassen würde.852 Die konkludente Täuschung und die Täuschung durch Unterlassen bestimmen sich ebenfalls nach faktisch-normativen Kriterien. Hierbei kommt außerstrafrechtlichen Wertungen ein erhebliches Gewicht zu.853 Zu diesen gehören auch die Grundsätze und Regelungen des Unionsrechts zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen als Teil der Rechtswirklichkeit in Deutschland. Als solche prägen sie die tatsächliche Verkehrsauffassung ebenso wie die normative.854 Von dieser aber hängt die Auslegung des Täuschungsmerkmals bei der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen im Wesentlichen ab. Folge ist ein zumeist harmonisches Wechselspiel des Unionsrechts mit dem Betrugsstrafrecht. Verbleibende Divergenzen zwischen dem unionsrechtlichen Begriff der Irreführung und dem betrugsstrafrechtlichen der Täuschung sind zumeist im Ergebnis unschädlich, da das Tatbestandsmerkmal des Schadens in § 263 StGB echte Kollisionen sehr weitgehend verhindert.855 In Einzelfällen sind Kollisionen dennoch nicht ausgeschlossen. Im Bereich ausdrücklicher Täuschungen führt der Anwendungsvorrang des Unionsrechts dann zur Nichtanwendbarkeit des § 263 StGB. Bei der konkludenten Täuschung und der Täuschung durch Unterlassen ist die Unionsrechtskonformität über eine unionsrechtskonforme Auslegung erreichbar. Die außerstrafrechtliche, unionsrechtliche Risikoverteilung gibt im Falle unionsrechtlicher Zulässigkeit eines Verhaltens verbindlich vor, dass aus normativen Gründen einem Verhalten kein Täuschungswert beigemessen werden kann bzw. keine Aufklärungspflicht besteht.856 Aus dem Bestimmtheitsgebot nach Art. 103 Abs. 2 GG folgt nichts anderes. Durch die normative Überlagerung des Täuschungsbegriffes werden die Grenzen straflosen Verhaltens sogar vorhersehbarer.857 Eine Übertragung der unionsrechtlichen Grundsätze und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen auf Sachverhalte ohne Bezug zum Unionsrecht ist nicht angezeigt. Dies erklärt sich zum einen aus der hohen Unwahrscheinlichkeit echter Kollisionen und zum anderen daraus, dass unionsrechtlich überlagerte Fälle nicht mit rein nationalen vergleichbar sind. Zudem schützt das Unionsrecht selbst teilweise den flüchtigen und nachlässigen Verbraucher.858 852 853 854 855 856 857 858

Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. D. 2. c), III. Siehe oben Teil 3, 1. Abschnitt, I. B. 3. b), IV. Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. A. 2. a). Siehe oben Teil 3, 2. Abschnitt, III. B. Siehe oben Teil 3, 5. Abschnitt. Siehe oben Teil 2, 2. Abschnitt, II. A. 2.; Teil 3, 6. Abschnitt, I. Siehe oben Teil 1, 3. Abschnitt; Teil 3, 2. Abschnitt, II. A.; Teil 1, 1. Abschnitt, II. B. 2.

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Zusammenfassung der Ergebnisse

Paradoxerweise ist somit sowohl denjenigen Autoren in weiten Teilen zuzustimmen, die die Anerkennung der Abhängigkeit der deutschen Betrugsstrafbarkeit von unionsrechtlichen Grundsätzen und Regelungen zum Schutz der Verbraucher vor Irreführungen einfordern859 als auch jenen, die meinen, das unionsrechtliche Verbraucherleitbild zwinge gerade nicht zu einer Neuinterpretation des Betrugstatbestandes:860 Unionsrechtlich zulässiges Verhalten darf aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht nach nationalem Recht strafbar sein. Hieran ändern auch die unterschiedlichen Schutzzwecke der Rechtsmaterien nichts. Gerade im Bereich der Betrugsstrafbarkeit hat dieser Befund jedoch dogmatisch keine größeren Folgen. Dies liegt vor allem daran, dass der Betrug als Vermögensdelikt bereits nach der nationalen Dogmatik eng mit dem Zivilrecht und der Gesamtrechtsordnung verzahnt ist.861 Zu dieser Gesamtrechtsordnung gehören fraglos auch alle Normen unionsrechtlichen Ursprungs. Daher ist die Herausarbeitung und Betonung der Wechselwirkungen der unterschiedlichen Rechtsmaterien zwar verdienstvoll.862 Hieraus jedoch das Erfordernis einer Abkehr von der bisherigen Betrugsauslegung abzuleiten, ist verfehlt. Jeglicher Notwendigkeit entbehrt schließlich die Forderung nach einer umfassenden Einschränkung der deutschen Betrugsstrafbarkeit durch eine Orientierung am Maßstab des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsverbrauchers.863 Vor dem Hintergrund, dass ein Einfluss des Unionsrechts auf § 263 StGB zwar abstrakt besteht, der allerdings nicht zu einer umfassenden Neuinterpretation des Betrugstatbestandes zwingt, lässt sich das Ergebnis dieser Arbeit mit der volkstümlichen Redewendung zusammenfassen, dass man nichts so heiß isst, wie man es kocht.

859 Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 286 ff.; Soyka, wistra 2007, 127 ff.; Dannecker, JURA 2006, 173 (174 ff.); Dannecker, ZStW 117 (2005), 697 (704 ff.); Dannecker, Wiverw 1996, 190 (198 ff.); Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (782 ff.); Thomas, NJW 1991, 2233 (2237); Tiedemann in 50 Jahre Bundesgerichtshof, Band IV, 2000, 551 (554 f.); Tiedemann in LKStGB, 12. Aufl. 2012, vor § 263 Rn. 40; Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (576 ff.); Hebenstreit in Müller-Gugenberger/Bieneck, Wirtschaftsstrafrecht, 5. Aufl. 2011, § 59 Rn. 5a (wobei er einen Einfluss nur für möglich hält); Satzger in Satzger/Schmitt/ Widmaier, StGB 2009, § 263 Rn. 11, 66 ff. 860 Vergho, Maßstab der Verbrauchererwartung, 2009, S. 119 f., 301; Vergho, wistra 2010, 86; Eisele, NStZ 2010, 193 (196); Bosch, Festschrift für E. Samson, 2010, S. 241 (243 Fn. 12). 861 Hefendehl, NStZ 2001, 281 (284). 862 Z.B. durch Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 291, 296, 304 f.; Kühl, ZStW 109 (1997), 777 (782 f.); Dannecker, Wiverw 1996, 190 (203); Thomas, NJW 1991, 2233 (2237). 863 So aber : Soyka, wistra 2007, 127 (130 ff.); Dannecker, ZStW 117 (2005), S. 697 (707 ff., 712 f.); Ruhs, Festschrift für R. Rissing-van Saan, 2011, S. 567 (576 ff.); für den Bereich der Publikumswerbung: Hecker, Strafbare Produktwerbung, 2001, S. 307, 320 ff.

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Anhang I der Richtlinie 2005/29/EG des EUROPÄISCHEN PARLAMENTS UND DES RATES vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/ 27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken)

GESCHÄFTSPRAKTIKEN, DIE UNTER ALLEN UMSTÄNDEN ALS UNLAUTER GELTEN Irreführende Geschäftspraktiken 1. Die Behauptung eines Gewerbetreibenden, zu den Unterzeichnern eines Verhaltenskodex zu gehören, obgleich dies nicht der Fall ist. 2. Die Verwendung von Gütezeichen, Qualitätskennzeichen oder Ähnlichem ohne die erforderliche Genehmigung. 3. Die Behauptung, ein Verhaltenskodex sei von einer öffentlichen oder anderen Stelle gebilligt, obgleich dies nicht der Fall ist. 4. Die Behauptung, dass ein Gewerbetreibender (einschließlich seiner Geschäftspraktiken) oder ein Produkt von einer öffentlichen oder privaten Stelle bestätigt, gebilligt oder genehmigt worden sei, obwohl dies nicht der Fall ist, oder die Aufstellung einer solchen Behauptung, ohne dass den Bedingungen für die Bestätigung, Billigung oder Genehmigung entsprochen wird. 5. Aufforderung zum Kauf von Produkten zu einem bestimmten Preis, ohne dass darüber aufgeklärt wird, dass der Gewerbetreibende hinreichende Gründe für die Annahme hat, dass er nicht in der Lage sein wird, dieses oder

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ein gleichwertiges Produkt zu dem genannten Preis für einen Zeitraum und in einer Menge zur Lieferung bereitzustellen oder durch einen anderen Gewerbetreibenden bereitstellen zu lassen, wie es in Bezug auf das Produkt, den Umfang der für das Produkt eingesetzten Werbung und den Angebotspreis angemessen wäre (Lockangebote). 6. Aufforderung zum Kauf von Produkten zu einem bestimmte Preis und dann a) Weigerung, dem Verbraucher den beworbenen Artikel zu zeigen, oder b) Weigerung, Bestellungen dafür anzunehmen oder innerhalb einer vertretbaren Zeit zu liefern, oder c) Vorführung eines fehlerhaften Exemplars v in der Absicht, stattdessen ein anderes Produkt abzusetzen (»bait-andswitch«-Technik). 7.

Falsche Behauptung, dass das Produkt nur eine sehr begrenzte Zeit oder nur eine sehr begrenzte Zeit zu bestimmten Bedingungen verfügbar sein werde, um so den Verbraucher zu einer sofortigen Entscheidung zu verleiten, so dass er weder Zeit noch Gelegenheit hat, eine informierte Entscheidung zu treffen. 8. Verbrauchern, mit denen der Gewerbetreibende vor Abschluss des Geschäfts in einer Sprache kommuniziert hat, bei der es sich nicht um eine Amtssprache des Mitgliedstaats handelt, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, wird eine nach Abschluss des Geschäfts zu erbringende Leistung zugesichert, diese Leistung wird anschließend aber nur in einer anderen Sprache erbracht, ohne dass der Verbraucher eindeutig hierüber aufgeklärt wird, bevor er das Geschäft tätigt. 9. Behauptung oder anderweitige Herbeiführung des Eindrucks, ein Produkt könne rechtmäßig verkauft werden, obgleich dies nicht der Fall ist. 10. Den Verbrauchern gesetzlich zugestandene Rechte werden als Besonderheit des Angebots des Gewerbetreibenden präsentiert. 11. Es werden redaktionelle Inhalte in Medien zu Zwecken der Verkaufsförderung eingesetzt und der Gewerbetreibende hat diese Verkaufsförderung bezahlt, ohne dass dies aus dem Inhalt oder aus für den Verbraucher klar erkennbaren Bildern und Tönen eindeutig hervorgehen würde (als Information getarnte Werbung). Die Richtlinie 89/552/EWG864 bleibt davon unberührt.

864 Richtline 89/552/EWG des Rates vom 3. Oktober 1989 zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fern-

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12. Aufstellen einer sachlich falschen Behauptung über die Art und das Ausmaß der Gefahr für die persönliche Sicherheit des Verbrauchers oder seiner Familie für den Fall, dass er das Produkt nicht kauft. 13. Werbung für ein Produkt, das einem Produkt eines bestimmten Herstellers ähnlich ist, in einer Weise, die den Verbraucher absichtlich dazu verleitet, zu glauben, das Produkt sei von jenem Hersteller hergestellt worden, obwohl dies nicht der Fall ist. 14. Einführung, Betrieb oder Förderung eines Schneeballsystems zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist. 15. Behauptung, der Gewerbetreibende werde demnächst sein Geschäft aufgeben oder seine Geschäftsräume verlegen, obwohl er dies keineswegs beabsichtigt. 16. Behauptung, Produkte könnten die Gewinnchancen bei Glücksspielen erhöhen. 17. Falsche Behauptung, ein Produkt könne Krankheiten, Funktionsstörungen oder Missbildungen heilen. 18. Erteilung sachlich falscher Informationen über die Marktbedingungen oder die Möglichkeit, das Produkt zu finden, mit dem Ziel, den Verbraucher dazu zu bewegen, das Produkt zu weniger günstigen Bedingungen als den normalen Marktbedingungen zu kaufen. 19. Es werden Wettbewerbe und Preisausschreiben angeboten, ohne dass die beschriebenen Preise oder ein angemessenes Äquivalent vergeben werden. 20. Ein Produkt wird als »gratis«, »umsonst«, »kostenfrei« oder Ähnliches beschrieben, obwohl der Verbraucher weitere Kosten als die Kosten zu tragen hat, die im Rahmen des Eingehens auf die Geschäftspraktik und für die Abholung oder Lieferung der Ware unvermeidbar sind. 21. Werbematerialien wird eine Rechnung oder ein ähnliches Dokument mit einer Zahlungsaufforderung beigefügt, die dem Verbraucher den Eindruck vermitteln, dass er das beworbene Produkt bereits bestellt hat, obwohl dies nicht der Fall ist. 22. Fälschliche Behauptung oder Erweckung des Eindrucks, dass der Händler nicht für die Zwecke seines Handels, Geschäfts, Gewerbes oder Berufs handelt, oder fälschliches Auftreten als Verbraucher. 23. Erwecken des fälschlichen Eindrucks, dass der Kundendienst im Zusam-

sehtätigkeit (ABl. L 298 vom 17. 10. 1989, S. 23). Geändert durch die Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. L 202 vom 30. 7. 1997, S. 60).

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menhang mit einem Produkt in einem anderen Mitgliedstaat verfügbar sei als demjenigen, in dem das Produkt verkauft wird. Aggressive Geschäftspraktiken 24. Erwecken des Eindrucks, der Verbraucher könne die Räumlichkeiten ohne Vertragsschluss nicht verlassen. 25. Nichtbeachtung der Aufforderung des Verbrauchers bei persönlichen Besuchen in dessen Wohnung, diese zu verlassen bzw. nicht zurückzukehren, außer in Fällen und in den Grenzen, in denen dies nach dem nationalen Recht gerechtfertigt ist, um eine vertragliche Verpflichtung durchzusetzen. 26. Kunden werden durch hartnäckiges und unerwünschtes Ansprechen über Telefon, Fax, E-Mail oder sonstige für den Fernabsatz geeignete Medien geworben, außer in Fällen und in den Grenzen, in denen ein solches Verhalten nach den nationalen Rechtsvorschriften gerechtfertigt ist, um eine vertragliche Verpflichtung durchzusetzen. Dies gilt unbeschadet des Artikels 10 der Richtlinie 97/7/EG sowie der Richtlinien 95/46/EG865 und 2002/ 58/EG 27. Aufforderung eines Verbrauchers, der eine Versicherungspolice in Anspruch nehmen möchte, Dokumente vorzulegen, die vernünftigerweise nicht als relevant für die Gültigkeit des Anspruchs anzusehen sind, oder systematische Nichtbeantwortung einschlägiger Schreiben, um so den Verbraucher von der Ausübung seiner vertraglichen Rechte abzuhalten. 28. Einbeziehung einer direkten Aufforderung an Kinder in eine Werbung, die beworbenen Produkte zu kaufen oder ihre Eltern oder andere Erwachsene zu überreden, die beworbenen Produkte für sie zu kaufen. Diese Bestimmung gilt unbeschadet des Artikels 16 der Richtlinie 89/552/EWG über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. 29. Aufforderung des Verbrauchers zur sofortigen oder späteren Bezahlung oder zur Rücksendung oder Verwahrung von Produkten, die der Gewerbetreibende geliefert, der Verbraucher aber nicht bestellt hat (unbestellte Waren oder Dienstleistungen); ausgenommen hiervon sind Produkte, bei denen es sich um Ersatzlieferungen gemäß Artikel 7 Absatz 3 der Richtlinie 97/7/EG handelt. 30. Ausdrücklicher Hinweis gegenüber dem Verbraucher, dass Arbeitsplatz

865 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Oktober 1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr (ABl. L 281 vom 23. 11. 1995, S. 31). Geändert durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 (ABl. L 284 vom 31. 10. 2003, S. 1).

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oder Lebensunterhalt des Gewerbetreibenden gefährdet sind, falls der Verbraucher das Produkt oder die Dienstleistung nicht erwirbt. 31. Erwecken des fälschlichen Eindrucks, der Verbraucher habe bereits einen Preis gewonnen, werde einen Preis gewinnen oder werde durch eine bestimmte Handlung einen Preis oder einen sonstigen Vorteil gewinnen, obwohl: - es in Wirklichkeit keinen Preis oder sonstigen Vorteil gibt, oder - die Möglichkeit des Verbrauchers, Handlungen in Bezug auf die Inanspruchnahme des Preises oder eines sonstigen Vorteils vorzunehmen, in Wirklichkeit von der Zahlung eines Betrags oder der Übernahme von Kosten durch den Verbraucher abhängig gemacht wird.

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