Die tierschutzrechtliche Verbandsklage [1 ed.] 9783428552580, 9783428152582

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Die tierschutzrechtliche Verbandsklage [1 ed.]
 9783428552580, 9783428152582

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Schriften zum Umweltrecht Band 186

Die tierschutzrechtliche Verbandsklage

Herausgegeben von

Michael Kloepfer und Hans-Georg Kluge

Duncker & Humblot · Berlin

MICHAEL KLOEPFER / HANS-GEORG KLUGE (Hrsg.)

Die tierschutzrechtliche Verbandsklage

Schriften zum Umweltrecht Herausgegeben von Prof. Dr. Michael Kloepfer, Berlin

Band 186

Die tierschutzrechtliche Verbandsklage

Herausgegeben von

Michael Kloepfer und Hans-Georg Kluge

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2017 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: Konrad Triltsch GmbH, Ochsenfurt Druck: Meta Systems Publishing & Printservices GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-4247 ISBN 978-3-428-15258-2 (Print) ISBN 978-3-428-55258-0 (E-Book) ISBN 978-3-428-85258-1 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Am 24. Juni 2016 fand in der Humboldt-Universität zu Berlin eine Tagung mit dem Titel „Die tierschutzrechtliche Verbandsklage“ statt. Veranstalter der Tagung waren die Forschungsplattform Recht (FPR) mit ihrem gemeinnützigen Forschungszentrum Umweltrecht e.V. (FZU), die Anwaltskanzlei Röttgen, Kluge & Hund PartG mbB, die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt sowie die ERNA-GRAFFStiftung für Tierschutz. Die Referate der Tagung werden in diesem Tagungsband zum Teil wörtlich, größtenteils aber in überarbeiteter Form wiedergegeben. Zusätzlich ist in diesem Band ein Beitrag von Herrn Martin-Sebastian Abel enthalten, der aus Zeitgründen nicht mehr Eingang in das Tagungsprogramm finden konnte. Den Referenten und Teilnehmern der Tagung gebührt unser herzlicher Dank. Ihre engagierten Vorträge und Diskussionsbeiträge ermöglichten einen regen Dialog über das neue Rechtsinstrument der tierschutzrechtlichen Verbandsklage aus der Sicht von Rechtswissenschaft und Praxis. Wir danken auch Herrn Rechtsanwalt Michael Hund, Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichtes a.D., der die Plenardiskussion souverän moderierte. Unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Frau Yasemin Skowronek, Frau Sonja Wende sowie auch Herrn Maximilian Strobel, danken wir für die wertvolle Unterstützung bei der Organisation und Durchführung der Tagung sowie der Vorbereitung für diesen Tagungsband. Anregungen und Kritik zum vorliegenden Band richten Sie bitte an uns per E-Mail unter [email protected] oder unter [email protected]. Berlin, im Frühjahr 2017

Michael Kloepfer, Hans-Georg Kluge

Inhaltsverzeichnis Michael Kloepfer Begrüßung und Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Hans-Georg Kluge Begrüßung und Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Madeleine Martin Das Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Ralph Schönfelder Ermittlungsverfahren in Tierschutzstrafsachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

31

Felix Herzog Dem Klagen der Tiere eine Stimme geben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

47

Günter Hager † Die tierschutzrechtliche Verbandsklage – Rechtspolitische Diskussion . . . . . . .

61

Matthias Rossi Föderale Regelungsbefugnisse für Verbandsklagerechte im Tierschutzrecht . . .

73

Peter Knitsch Erfahrungen mit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene – Rechtspolitische Diskussion und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 Martin-Sebastian Abel Über die Notwendigkeit von Mitwirkungs- und Klagerechten im Tierschutz – ein Plädoyer für den Wettbewerbsföderalismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 Peter Kremer Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht und im Tierschutzrecht – Gemeinsamkeiten, Überschneidungen und Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127

Begrüßung und Einführung Von Michael Kloepfer Ich begrüße Sie herzlich zu der Tagung „Die tierschutzrechtliche Verbandsklage“ an der Humboldt-Universität zu Berlin, der Mutter aller modernen deutschen Universitäten. Die HU – die frühere Friedrich-Wilhelms-Universität – verdankt ihre Entstehung maßgeblich den Überlegungen der großen preußischen Reformer nach der Niederlage gegen Napoleon. Ihre bis heute beherzigenswerte Einsicht war, dass die Bildung der Bevölkerung die Grundlage eines jeden modernen Staates ist. Die so entstandene deutsche Reformuniversität in Berlin gewann in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts Weltruhm, dessen Glanz freilich im NS-Staat verloren ging und während der sowjetischen Besatzung bzw. zu DDR-Zeiten nicht wieder errungen werden konnte. Nach 1989 strebt die HU nun wieder eine Spitzenposition in der Gruppe der deutschen und europäischen Universitäten an. Dabei sind wir – so glaube ich – auf einem guten Weg. Veranstalter der Tagung ist neben der Forschungsplattform Recht und ihrem Forschungszentrum Umweltrecht e.V. auch die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, die ERNA-GRAFF-Stiftung für Tierschutz und die Anwaltskanzlei Röttgen, Kluge & Hund PartG mbB. Herr Rechtsanwalt Kluge wird die genannten Stiftungen und die Anwaltskanzlei Röttgen, Kluge & Hund vorstellen. Die Forschungsplattform Recht besteht aus vier Forschungszentren als gemeinnützige Vereine: Das Forschungszentrum für Umweltrecht (FZU), für Technikrecht (FZT) und für Katastrophenrecht (FZK) sowie dem Institut für Gesetzgebung und Verfassung (IGV). Durch die Forschungsplattform Recht wurden in den letzten 20 Jahren schon fast 70 Tagungen in Berlin veranstaltet. Dabei haben fast alle Bundesumweltminister bei uns gesprochen. Im Februar 2014 haben wir zum Beispiel eine Tagung zu dem prozessualen Thema „Rechtsschutz im Umweltrecht“1 organisiert, in der die Verbandsklage im Umweltrecht ein dominierendes Thema darstellte. Das Umweltrecht erwies sich einmal mehr als modernes Pioniergebiet unserer Rechtsordnung. Das gilt gerade auch für das Thema unserer heutigen Veranstaltung.

1 Siehe den dazu veröffentlichten Tagungsband Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, Schriften zum Umweltrecht (SUR), Band 183, 2014.

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1. Außerhalb des Umweltrechts2 gibt es inzwischen Verbandsklagen beispielweise im Wettbewerbsrecht3, im Verbraucherschutzrecht4, im Behindertengleichstellungsrecht5 und eben im Tierschutzrecht. Forderungen nach Verbandsklagen auch in anderen Rechtsgebieten (z. B. im Denkmalschutzrecht6) liegen vor. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage wurde auf Landesebene 2007 erstmalig in Bremen7 eingeführt. Bis heute sind sechs weitere Bundesländer8 gefolgt. Nicht unwesentlich für die Einführung der Verbandsklagen war die im Jahre 2002 erfolgte Ergänzung des Art. 20a GG um den Schutz der Tiere. Hierdurch hat der Tierschutz Verfassungsrang9 erhalten, was freilich den Abgleich mit anderen Verfassungsgütern des Grundgesetzes nicht ersetzt, sondern – zur Lösung etwaiger Verfassungskollisionen – erforderlich macht. Der Tierschutz ist ein Thema von grundsätzlicher wie von aktueller Bedeutung zugleich. Das Tierschutzrecht eignet sich nicht nur für wissenschaftliche Aufsätze, Monographien und Kommentierungen, sondern eben auch für Tagungen. Mit der heutigen Tagung sollen in sinnvoller und fruchtbarer Weise Wissenschaft und Praxis zusammengeführt werden, wie schon der Veranstalterkreis zeigt. Das Thema der Tagung orientiert sich somit an dem Mantra der Forschungsplattform Recht: der Zusammenführung von Rechtswissenschaft und Rechtspraxis.

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Gesetz über ergänzende Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-Richtlinie 2003/35/EG (UmwRG) vom 8. April 2013, BGBl. I S. 753, zuletzt geändert am 20. 11. 2015, BGBl. I S. 2069; § 64 des Gesetzes über Naturschutz und Landschaftspflege (BNatSchG) vom 29. Juli 2009, BGBl. I S. 2542, zuletzt geändert am 31. 8. 2015, BGBl. I S. 1474; sowie die meisten Landesnaturschutzgesetze. 3 Siehe § 8 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG) vom 3. März 2010, BGBl. I S. 254, zuletzt geändert am 17. 2. 2016, BGBl. I S. 233. 4 Siehe § 3 des Unterlassungsklagengesetzes (UKlaG) vom 27. August 2002, BGBl. I S. 3422, zuletzt geändert am 11. 4. 2016, BGBl. I S. 720. 5 Siehe § 15 des Gesetzes zur Gleichstellung behinderter Menschen (BGG) vom 27. April 2002, BGBl. I S. 1468, zuletzt geändert am 19. 12. 2007, BGBl. I S. 3024. 6 So z. B. Guckelberger, Denkmalschutz und Eigentum, NVwZ 2016, S. 17. 7 Bremen: Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine vom 25. September 2007, Brem.GBl. S. 455, zuletzt geändert am 24. 1. 2012, Brem.GBl. S. 24. 8 Baden-Württemberg: Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen (TierSchMVG) vom 12. Mai 2015, GBl. S. 317; Hamburg: Hamburgisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (HmbTierSchVKG) vom 21. Mai 2013, HmbGVBl. S. 247; Nordrhein-Westfalen: Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW) vom 25. Juni 2013, GV. NRW. S. 416; Rheinland-Pfalz: Landesgesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine (TierSchLMVG) vom 3. April 2014, GVBl. S. 44, zuletzt geändert am 27. 11. 2015, GVBl. S. 383; Saarland: Gesetz über das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände (TSVKG) vom 26. Juni 2013, Amtsbl. I S. 268; Schleswig-Holstein: Gesetz zum Tierschutz-Verbandsklagerecht (SchlHTierSVbKlG) vom 22. Januar 2015, GVOBl. Schl.-H. S. 44. 9 Kloepfer, Umweltrecht, 4. Auflage 2016, § 3 Rn. 32.

Begrüßung und Einführung

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2. Das Thema unserer Tagung und das Problem des ineffektiven behördlichen Gesetzesvollzugs im Tierschutzrecht kann analog zu den Vollzugsproblemen im Umweltrecht betrachtet werden. Jedenfalls leiden das Umweltrecht, das Denkmalschutzrecht und das Tierschutzrecht bekanntlich an einem administrativen Vollzugsdefizit. Dem können gerade auch Verbandsklagen entgegenwirken. Die Verbandsklage dient der privaten Implementationskontrolle zur Beanstandung der Verletzung objektiv-rechtlicher Normen. Dies gilt für das Umwelt- und Denkmalschutzrecht, aber gerade auch für das Tierschutzrecht, das aus verschiedenen Gründen unter einem administrativen Vollzugsdefizit leidet. Die Verbandsklage will diesem Defizit des Vollzugs des Tierschutzrechts begegnen. Die Behörden sollen dabei insbesondere auch angehalten werden, wegen drohender Verbandsklagen ihre Entscheidungen sorgfältig vorzubereiten und zu begründen. 3. Im Umweltrecht, aber auch im Denkmalschutzrecht und eben im Tierschutzrecht fehlt zunächst, insbesondere bei gewerblichen Interessen an Umweltgütern, Denkmälern und an Tieren und Tierhaltung, – der Sache nach – die klassische Rechtserzwingungsposition des Einzelnen für objektive Rechtspositionen des Umweltschutzes, des Denkmalschutzes und des Tierschutzes. Der Grundrechtsschutz des Eigentümers von Umweltgütern, Denkmälern und Tieren erfasst nicht zwingend auch die objektiven Belange des Umweltschutzes, des Denkmalschutzes und des Tierschutzes. Über Art. 14 GG lassen sich weder ein Grundrecht auf Umweltschutz noch ein Grundrecht auf Denkmalschutz oder ein Grundrecht auf Tierschutz ableiten. Das individuelle Eigentumsrecht eignet sich also kaum zur Verbesserung des Vollzugs des Tierschutzrechts (bzw. des Umweltschutzrechts und des Denkmalschutzrechts). Im Allgemeinen ist der Eigentümer typischerweise „Patron“ oder Schutzherr seines Eigentums und wird in dieser Eigenschaft regelmäßig Beeinträchtigungen seines Eigentums abzuwehren versuchen. Gerade dies ist freilich im Umwelt-, Denkmalund Tierschutzrecht häufig anders. Die Eigentümer von Umweltgütern, von Denkmälern und eben auch von Tieren haben – jedenfalls wenn sie Unternehmer sind – regelmäßig ein entscheidendes Interesse an einem möglichst hohen Profit durch Umweltgüter, Denkmäler und durch Tiere. Diese ökonomische Motivation gerät aber nur zu leicht in Kollision mit den Zielen des Umweltschutzes, des Denkmalschutzes und des Tierschutzes: Der Waldeigentümer möchte in seinem Wald möglichst viele Bäume schlagen, der Denkmaleigentümer strebt unter Umständen einen Umbau seines denkmalgeschützten Fachwerkhauses für einen Supermarkt an und der Eierproduzent ist an einer größeren Eierproduktion auf engem Raum, der Hähnchenproduzent an Tieren mit unnatürlich viel Fleisch interessiert. Der Eigentümer wird deshalb häufig an behördlichen Maßnahmen zum Schutze der Umwelt, von Denkmälern und von Tieren in seinem Eigentum nicht wirklich interessiert sein, sondern eher an Ausnahmen von deren Anordnungen oder an Duldungen bzw. schlicht an behördlicher Inaktivität. 4. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage, um die es hier gehen soll, ist von ihrer Konstruktion her eine altruistische Verbandsklage zugunsten objektiver tierschutzrechtlicher Rechtspositionen, die dem Umstand Rechnung tragen soll und kann,

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dass sich die Rechtspositionen im Tierschutzrecht dem Gedanken der individuellen rechtlichen Erzwingbarkeit bisher regelmäßig entziehen. Durch eine Verbandsklage können diese Rechtspositionen grundsätzlich effektiver geschützt werden. Zwar ist die Erzwingung der Einhaltung geltenden Rechts an sich eine Schlüsselaufgabe der vollziehenden Gewalt des Staates: Die Exekutive hat die Gesetze des Staates zu exekutieren. Was soll man aber tun, wenn diese vollziehende Gewalt des Staates dieser Aufgabe nicht oder nur begrenzt gerecht wird, sei es aus politischen, insbesondere aus lokalpolitischen Gründen (z. B. in Hinblick auf die Steuerkraft großer Massentierhaltungsbetriebe), sei es aber auch in Hinblick auf die unzureichende Personalausstattung oder in Hinblick auf Informationsdefizite bei den Behörden? Wenn die an sich hierfür zuständige vollziehende Gewalt das geltende Tierschutzrecht nicht zu vollziehen vermag, kann die tierschutzrechtliche Verbandsklage die entstehende Vollzugslücke bekämpfen. Aber auch bei unterschiedlichen Rechtsauffassungen zwischen Behörden und Verbänden kann eine Verbandsklage rechtliche Klarheit durch Richterspruch schaffen. 5. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage darf aber nicht nur unter dem Aspekt einer Konfliktlage zwischen staatlichen Behörden und Verbänden gesehen werden. Erstrebenswert wäre die Anreicherung der Diskussion um die tierschutzrechtliche Verbandsklage durch den Aspekt der Kooperation zwischen Staat und Gesellschaft wie dieser beispielhaft allgemein beim Kooperationsprinzip im Umweltrecht10 konzipiert wurde. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage kann auch als Chance begriffen werden, dass der Staat am Sachverstand, an der fachlichen Kompetenz und an der Einsatzbereitschaft von Verbänden als Teil der Gesellschaft partizipiert. 6. Das Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht lässt sich freilich nicht nur durch ein Verbandsklagerecht, sondern auch auf andere Weise beseitigen oder doch wenigstens verringern. Dabei ist zunächst an die Verbesserung der Ausstattung der Behörden, an die Steigerung der Zahl der Bediensteten, sowie an die Verbesserung der Arbeitsmöglichkeiten und der Ausbildung zu denken. Aber selbst eine Verbesserung der sachlichen und persönlichen Ausstattung der Tierschutzbehörden und eine verbesserte Ausbildung der Bediensteten erledigt die Frage nach dem Verbandsklagerecht im Tierschutz nicht automatisch. Bisweilen geht es eben nicht nur um die unzureichende Ausstattung und Ausbildung bei den Tierschutzbehörden, sondern auch um den fehlenden Willen der Behörden zum Einschreiten. Die Verbandsklage wäre jedenfalls nicht allein seligmachend. Es gibt auch andere Möglichkeiten und Instrumente zur Beseitigung und Verringerung des Vollzugsdefizits im Tierschutzrecht. Zu denken ist etwa an: – Tierschutzbeauftragte des Staates11, 10

Kloepfer, Umweltrecht, 4. Auflage 2016, § 4 Rn. 129 ff. Als Vorbilder können hier dienen: Zum einen der/die Wehrbeauftragte gem. Art. 45b des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland (GG) vom 23. Mai 1949, BGBl. S. 1, 11

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– Tierschutzanwälte12, – Tierschutzombudsmänner/-frauen, – Tierschutzkommissionen des Staates, – Konkurrentenklagen im Tierschutzrecht13. Diese institutionellen Möglichkeiten können an die Stelle von tierschutzrechtlichen Verbandsklagen treten; vorstellbar ist aber auch, dass die Instrumente nebeneinander angewendet werden können. Hinzu kommen natürlich noch andere – allgemeine – Einwirkungsmöglichkeiten zur Verbesserung des Tierschutzes etwa wie: – Petitionen, – Informationszugangsrechte gegenüber Behörden, – Einwirkungsmöglichkeiten über Medien, Pressekampagnen etc., – Demonstrationen, – Bürgerinitiativen, Volksgesetzgebung, – parlamentarische Anfragen und u. U. Untersuchungsausschüsse. 7. Schließlich spricht manches dafür, Tierschutzverbänden über die Verbandsklagen hinaus Rechte zur Beteiligung an Verwaltungsverfahren einzuräumen, wie dies bereits in fast allen landesrechtlichen tierschutzrechtlichen Verbandsklagegesetzen normiert worden ist.14 Jedenfalls könnten diese Verbandsbeteiligungsrechte in Verwaltungsverfahren recht wirksam sein. zuletzt geändert am 23. 12. 2014, BGBl. I S. 2438 in Verbindung mit dem Gesetz über den Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages (WBeauftrG) vom 16. Juni 1982, BGBl. I S. 677, zuletzt geändert am 5. 2. 2009, BGBl. I S. 160 und zum anderen der/die Datenschutzbeauftragte gem. § 4f Bundesdatenschutzgesetz (BDSG) vom 14. Januar 2003, BGBl. I S. 66 zuletzt geändert am 25. 2. 2015, BGBl. I S. 162. 12 Siehe z. B. von 2007 – 2010 Rechtsanwalt für Tierschutz in Strafsachen des Kantons Zürich Antoine F. Goetschel. 13 Gem. des § 46 UGB-KomE wurde eine öffentlich-rechtliche Konkurrentenklage von Anlagenbetreibern, Produktherstellern oder -vertreibern zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit behördlicher Maßnahmen durch die Konkurrenten begünstigt werden, vorgeschlagen. Im Tierschutzrecht könnte eine solche Konkurrentenklage einen unlauteren Wettbewerb bekämpfen, der entsteht, wenn ein Wettbewerber das Tierschutzrecht einhält, der andere aber nicht. Die tierschutzrechtliche Konkurrentenklage könnte dann dazu dienen, dass die Wettbewerbsvorteile des Rechtsbrechers (durch Kostenvorteile) von einem rechtstreuen Wettbewerber bekämpft werden. 14 Bremen: § 2 des Gesetzes über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine vom 25. September 2007, Brem.GBl. S. 455, zuletzt geändert am 24. 1. 2012, Brem.GBl. S. 24; Baden-Württemberg: § 2 des Gesetzes über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen (TierSchMVG) vom 12. Mai 2015, GBl. S. 317; Nordrhein-Westfalen: § 2 des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW) vom 25. Juni 2013, GV. NRW. S. 416; Rhein-

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8. Statt einer prozessrechtlichen Konstruktion, wie sie inzwischen im geltenden deutschen Recht (insbesondere im Umweltrecht aber auch bei den bisherigen landesrechtlichen Regelungen zum Verbandsklagerecht im Tierschutzrecht15) existiert, ließe sich auch an ein Klagerecht für Tiere denken, wie es in der berühmten in Hamburg erhobenen Klage der Robben gegen Verklappungsgenehmigungen zugrundegelegt wurde.16 Allerdings würde dies faktisch ohnehin wohl wieder zu einem Verbandsklagerecht bzw. zu Treuhandklagen durch Verbände führen, weil Tiere sich eben vor Gericht nicht artikulieren können. Das Klagerecht für Tiere ist eine Ergänzung des grundsätzlichen Konzepts der Tierrechte, dass letztendlich aus der US-amerikanischen Diskussion um die Rechte der Natur17 stammt. Dieses Konzept der Rechte der Tiere hat sich in der Welt bisher nur vereinzelt durchgesetzt (z. B. in Neuseeland hinsichtlich der Menschenaffen18). Das Konzept der Rechte der Tiere hat für Tieraktivisten sicherlich einen hohen Reiz, aber auch für manchen Intellektuellen. Auch wenn die Vermenschlichung – wie in unseren Märchen und bei Disney – von Tieren wohl ein Irrweg für die Entwicklung des Konzepts darstellt, sind Tierrechte jedenfalls nicht per se unvorstellbar und schon gar nicht verfassungswidrig. Die Einzigartigkeit des Menschen wegen dessen Ebenbildlichkeit mit Gott19 ist eine Frage des Glaubens, sie ist aber gerade kein Verfassungsgrundsatz. Einer Rechtsordnung, die seit langem reine Kopfgeburten von Juristen, nämlich juristische Personen (d. h. bloßen Organisationen oder gedanklichen Konstruktionen), als Rechtsträger kennt, sollte es gelingen, auch Tiere als existente Lebewesen mit Rechten auszustatten, wenn dies gewünscht wird. Erforderlich für die Schaffung der Verbandsklage ist die Einführung von Tierrechten aber nicht. Die rein prozessrechtliche Konstruktion der Verbandsklage würde ausreichen. Zudem wäre die Schaffung von Tierrechten ein wesentlicher Systembruch in unserer Rechtsordnung, der politisch – wenn überhaupt – nur mit Mühe durchzusetzen sein dürfte. Entscheidend für die Antwort auf die Frage nach den Tierrechten sollte letztlich die nüchterne Antwort auf die Frage sein, ob sich mit solchen Rechten die Situation des Tierschutzes und – genauer – des Vollzugs des Tierschutzrechts wirklich effektiv verbessern lässt und ob nicht politisch leichter zu lösende land-Pfalz: § 1 des Landesgesetzes über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine (TierSchLMVG) vom 3. April 2014, GVBl. S. 44, zuletzt geändert am 27. 11. 2015, GVBl. S. 383; Saarland: § 2 des Gesetzes über das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände (TSVKG) vom 26. Juni 2013, Amtsbl. I S. 268; SchleswigHolstein: § 2 des Gesetzes zum Tierschutz-Verbandsklagerecht (SchlHTierSVbKlG) vom 22. Januar 2015, GVOBl. Schl.-H. S. 44. 15 Siehe Nachweise in den Fußnoten 7 und 8. 16 VG Hamburg, Entscheidung vom 22. 09. 1988 – 7 VG 2499/88, nach der die Seehunde in der Nordsee im Verwaltungsstreitverfahren nicht beteiligungsfähig waren. 17 Grundlegend dazu Sierra Club v. Morton, 405 U.S. 727 (1972); zudem Stone mit seinem Standardwerk „Should Trees Have Standing?“, 1972. 18 Siehe Animal Welfare Act 1999, in: Public Act 1999, Number 142 in Neuseeland. 19 Siehe 1. Mose 1, 27.

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andere konstruktive Möglichkeiten wie die rein prozessrechtlich konstruierte Verbandsklage zu vergleichbaren Erfolgen führen können. 9. Wir wären nicht in einer wissenschaftlichen Veranstaltung, wenn in dieser Einführung nicht auch auf die Einwände gegen solche tierschutzrechtlichen Verbandsklagen kurz eingegangen würde. Wir planen hier keine Bekenntnisveranstaltung, sondern eine Erkenntnisveranstaltung, bei der die Argumente zugunsten aber auch zulasten der Verbandsklage dargestellt und erörtert werden sollen, wobei am Schluss eine sorgfältige Abwägung stehen sollte, um einschlägige politische Entscheidungen zu erleichtern. Das gegen die umweltrechtliche Verbandsklage früher häufig angeführte Argument, hierdurch würde es zu einer Rechtsschutzlawine kommen, hat sich insgesamt im Umweltrecht nicht bewahrheitet. Warum sollte dies bei der tierschutzrechtlichen Verbandsklage anders sein? Nun zu den möglichen Einwänden im Einzelnen: Es kann Probleme bei der Gesetzgebungskompetenz für die Einführung von tierschutzrechtlichen Verbandsklagen auf Landesebene geben. Hat der Bundesgesetzgeber mit der Verwaltungsgerichtsordnung nicht seine Kompetenz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG ausgeschöpft? Ernster zu nehmen ist der Einwand der weiteren Juridifizierung des politischen Lebens in Deutschland. Sind Richter wirklich die politisch besseren Entscheider? Geht die Macht der Richter bisweilen nicht jetzt schon zu weit? Der Gesetzgeber kann der Gefahr der übergroßen Richtermacht allerdings durch möglichst detaillierte Entscheidungen im Tierschutzrecht entgegenwirken. Der Vollzug geltenden Rechts ist jedenfalls rechtsstaatsgeboten und nicht rechtsstaatsfremd. Von daher ist eine tierschutzrechtliche Verbandsklage durchaus legitimierbar. Schwerwiegend könnten die Einwände wegen einer weiteren Stärkung der Gruppen-, Verbands- und Lobbyherrschaft in Deutschland sein. Der Trend zur Herrschaft von Gruppen und der Egoismen von Kollektiven etc. ist in der Bundesrepublik Deutschland ungebrochen. Selbst bei einem ausgeglichenen Gruppenpluralismus (z. B. bei Beteiligungen sowohl von Tierschutzverbänden wie von Tierzüchtern und Tiernutzerverbänden) realisieren Verbände typischerweise nicht das Gemeinwohl, sondern jeweils nur Teilwohle. Entscheidender Wahrer des Gemeinwohls ist und bleibt der Staat mit seinen demokratisch legitimierten Vertretern. Den Verbänden fehlt jedenfalls diese allgemeine demokratische Legitimation. Sie sind durch ihre Mitglieder, nicht aber durch das Volk legitimiert. Und schließlich: Die Verbandsklage ist zwar als altruistische Verbandsklage konstruiert, faktisch kann sie sich aber häufig durchaus (auch) als quasi-egoistische Verbandsklage erweisen. Die Tierschutzverbände nehmen bei Verbandsklagen nicht nur die Interessen von Tieren wahr, sondern eben auch ihre eigenen Interessen: Die Aktionsmöglichkeiten der Verbände werden erweitert, ihre Legitimation bei ihren Mitgliedern durch von ihnen betriebene Verfahren gestärkt und auf diese Weise das Einwerben von Spenden bzw. von Erbschaften erleichtert.

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10. Die angesprochenen Nachteile dürfen nicht verschwiegen, sondern müssen diskutiert und – wie erwähnt – mit den bereits erwähnten Vorteilen abgewogen werden. Es gibt viele Argumente sowohl für, wie aber auch gegen die tierschutzrechtliche Verbandsklage. Man wird sehen, wie sich dies in unserer Tagung abbilden wird. Insgesamt spielt zugunsten der Verbandsklage im Umweltrecht jedenfalls der Umstand eine ausschlaggebende Rolle, dass die dortigen Verbandsklagen eine weitaus höhere Erfolgsquote aufweisen als die normalen Betroffenenklagen. Dies kann mit dem erhöhten juristischen Sachverstand vieler Verbände erklärt werden. Bei einer deutlich höheren Erfolgsquote wird im Ergebnis die teure und knappe Ressource Rechtsschutz jedenfalls recht effektiv eingesetzt. Dies spricht im Ergebnis für die Einführung einer Verbandsklage im Tierschutzrecht. 11. Tierschutz ist seit langem ein umstrittenes politisches und rechtliches Thema. Nicht verwunderlich ist daher, dass auch die Meinungen zu einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage stark variieren. Ich hoffe deshalb auf lebendige Diskussionen mit unseren Gästen, unter denen sich unter anderem Vertreter von Tierschutzverbänden, von Tierarztverbänden, von Veterinärämtern, und auch Vertreter aus der Politik und Wissenschaft befinden. Ich wünsche Ihnen und mir eine spannende Tagung.

Begrüßung und Vorbemerkung Von Hans-Georg Kluge Sehr geehrter Herr Professor Kloepfer, meine sehr verehrten Damen und Herren, ich darf Sie im Namen von drei Organisationen heute willkommen heißen. Weil wir für Begrüßungen nicht allzu viel Zeit verwenden wollen und ich einen Bezug zu allen drei Mitveranstaltern habe, begrüße ich Sie also in alphabetischer Reihenfolge im Namen der Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, der ERNA-GRAFF-Stiftung für Tierschutz und der Rechtsanwaltskanzlei Röttgen, Kluge & Hund sehr herzlich zu dieser Veranstaltung, die wohl mit dieser speziellen Themenstellung keine Vorläufer hat. Die Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt setzt sich seit ihrer Gründung im Jahr 2000 deutschlandweit für die Abschaffung der Massentierhaltung ein und macht mit Informationskampagnen auf die Vorteile der veganen Lebensweise aufmerksam. Die Tätigkeit der Stiftung, die neben der Information der Öffentlichkeit und klassischer Presse- und Medienarbeit auch Verhandlungen mit Betrieben der Lebensmittelwirtschaft umfasst, erfolgt fast ausschließlich spendenfinanziert. Die ERNA-GRAFF-Stiftung für Tierschutz mit Sitz in Berlin ist eine gemeinnützige Stiftung, die sich der Förderung des Tierschutzes verschrieben hat. Gegründet bereits im Jahr 1983 von Erna Graff, der langjährigen Präsidentin und Ehrenpräsidentin des Tierschutzvereins für Berlin und Umgebung, setzt sich die Stiftung mit Rechtsgutachten und gezielter Pressearbeit für eine stärkere Beachtung des Tierschutzes in Politik, Recht und Gesellschaft ein. Neben juristischer Expertise bemüht sich die Stiftung in verschiedenen Projekten um die Tierschutzbildung zur Verbreitung des Tierschutzgedankens. Dazu gehört auch die Kofinanzierung der weltweit ersten Stiftungsprofessur für vegane Ernährung an der staatlich anerkannten, privaten Fachhochschule des Mittelstands in Bielefeld (FHM). Es sind heute auch die beiden Stiftungsvorsitzenden anwesend, Herr Dr. Eisenhart von Loeper und Herr Mahi Klosterhalfen. Diese beiden Kollegen in den jeweiligen Stiftungsvorständen werden sich sicher später an den regen Diskussionen beteiligen. Was Herrn Dr. von Loeper angeht, hat er sich seit vielen Jahren intensiv auch in die juristische Debatte zum Tierschutzrecht eingebracht, und ich bin als

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Herausgeber nach wie vor sehr stolz darauf, dass er sich an unserem gemeinsamen Tierschutzkommentar so intensiv beteiligt hat und dies nun bei der zweiten Auflage wieder tun wird. Für die Anwaltskanzlei Röttgen, Kluge & Hund bin nicht nur ich anwesend. Viel wichtiger ist, dass auch der namensgebende Partner Herr Rechtsanwalt Michael Hund heute hier anwesend ist. Und niemand kann nachher bei dieser öffentlich-rechtlichen Fragestellung besser moderieren, als der frühere Vizepräsident des Bundesverwaltungsgerichts und Berliner Verfassungsgerichtshofes. Michael, ich freue mich sehr, dass Du die Aufgabe der Moderation heute hier übernimmst. Auch unser dritter namensgebender Kanzleipartner wäre heute gerne anwesend gewesen. Herr Rechtsanwalt Dr. Norbert Röttgen ist aber in seiner anderen Funktion als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages leider unabkömmlich. Einen Tag nach der großen Abstimmung in Großbritannien zum BREXIT ist das natürlich auch kein Wunder. Was ich aber auch sehr dezidiert in seinem Namen sagen kann: Auch er bekennt sich nachdrücklich dazu, dass sich unsere Kanzlei, die sich in erster Linie den vielen Facetten der Nachhaltigkeit im Recht verschrieben hat, auch nachhaltig um das Tierschutzrecht kümmert. Bei ihm geschieht das weniger als Hundehalter, der er neuerdings auch ist, denn als jemand, der sich nachdrücklich zur Bewahrung der Schöpfung bekennt. Das Wort Bewahrung erinnert an die Verantwortung des Menschen für seine Umwelt, während der Begriff der Schöpfung neben seinem metaphysischen Inhalt auch den Gedanken einer gemeinsamen, christlich geprägten Welt der Menschheit und aller Lebewesen ausdrückt. Lassen Sie mich bitte einige grundsätzliche Bemerkungen zum Thema unserer heutigen Tagung machen, zur tierschutzrechtlichen Verbandsklage als solcher. Bürokratieabbauer – und eigentlich bin ich seit Jahren auf diesem Feld auch und gerade in der Politik tätig gewesen – haben sehr grundsätzliche Einwände gegen Verbandsklagen im Allgemeinen und die tierschutzrechtliche Verbandsklage im Besonderen. Und die lauten regelmäßig, dass bürokratische Belastungen durch die hohe Regelungsdichte in Gesetzen und Vorschriften ein wichtiger Kostenfaktor für Unternehmen seien. Insbesondere kleine und mittelständische Unternehmen würden aufgrund fehlender oder kleinerer Rechts- und Verwaltungsabteilungen überproportional belastet. Und zusätzliche Normen würden überdies eine Aufblähung des öffentlichen Dienstes bedeuten, weil die Einhaltung von Normen überwacht werden müssten. Und das sei nun einmal Sache des Staates. Was nun die tierschutzrechtliche Verbandsklage im Besonderen betrifft, wird zusätzlich von ihren Gegnern eingewandt, dass das Verbandsklagerecht in die Landwirtschaft und die damit verbundene Tierhaltung eingreifen würde. Zahlreiche Haltungsverordnungen, die besonders bei Genehmigungsverfahren greifen würden, und das Instrument des Cross-Compliance, böten Kontrollmechanismen genug, in diesen Bereichen den Tierschutz ausreichend zu kontrollieren und sicherzustellen. Die in Bezug auf den Tierschutz gemachten Erfahrungen machten eine Verbandsklage auch weiterhin überflüssig und würden die durch Bürokratie belastete Landwirt-

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schaft noch weiter beschweren. Man müsse auch auf europäischer Ebene Agrar-Betriebe wettbewerbsfähig halten. Und das könne man nicht, wenn man mit Landwirten im EU-Ausland konkurrieren müsse, die sich einer Verbandsklage nicht ausgesetzt sähen. Hinzu komme, dass bei Einführung des Verbandsklagerechtes unterschwellig bisweilen unterstellt würde, Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen würden durch die zuständigen Behörden zu nachlässig geprüft. In der täglichen Praxis gestalte es sich aber so, dass Amtstierärzte und Ordnungsbehörden vor Ort gewissenhaft Missständen nachgingen und Verstöße abstellten. Ich persönlich nehme diese Einwände sehr ernst, weil sie generell nicht ohne Berechtigung sind. Das habe ich insbesondere während meiner Tätigkeit als Landrat erfahren. Nicht nur viele Bürger und kleine Unternehmen werden durch ausufernde gesetzliche Regelungen häufig überfordert. Überlastet wird oft auch die Verwaltung, die die Einhaltung von neuen Regelungen überwachen muss, etwa mit der Folge steigender Personaletats. Wir hätten es sehr gern gesehen, wenn ein oder mehrere Gegner einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage heute hier ihre nachvollziehbaren Argumente vorgetragen hätten. Leider haben wir gerade aus dem politischen Bereich nur Absagen bekommen. Das ist schade. Warum spricht aus Sicht der Veranstalter, für die ich hier spreche, gleichwohl viel für eine tierschutzrechtliche Verbandsklage? Vorab möchte ich als ehemaliger Angehöriger des öffentlichen Dienstes auf das Argument zu sprechen kommen, dass die Behörden durch weitere Normen zusätzlich belastet würden, obwohl sie doch auch im Bereich des Tierschutzes das ihnen Mögliche täten. Diesem Argument muss entgegengehalten werden, dass auch bei dessen unterstellter vollständiger Richtigkeit gleichwohl selbst die Tierärztekammern von einem Vollzugsdefizit im Bereich des Tierschutzes ausgehen. Denn das Bestehen eines Vollzugsdefizits haben etwa die beiden Tierärztekammern in NordrheinWestfalen in ihrem Schreiben vom 20. 08. 2011 an den Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes NordrheinWestfalen, in welchem sie eine tierschutzrechtliche Verbandsklage ablehnten, selbst eingeräumt. Hinzu kommt, dass die Beamten der Veterinär- und Genehmigungsbehörden oftmals einem interessenorientierten Druck etwa von Nutztierhaltern ausgesetzt sind. Das kann ich aus eigener Erfahrung als früherer Landrat gerade auch mit Blick auf Erfahrungsberichte aus anderen Kreisen als dem eigenen bestätigen. Der stete Kontakt der Veterinärämter mit Tierhaltern, gerade auch solchen, die tierschutzrechtlichen Anforderungen nicht genügen, führt bei einigen Amtsträgern – glücklicherweise aber nicht bei allen – zu einer Hemmung hinsichtlich eines energischen Vorgehens. Da könnte es etwa Probleme mit dem obersten Chef, in der Regel also dem Landrat, geben oder aber mit bestimmten Mitgliedern im Kreistag, die ihrerseits auch wieder in der Lage sind, auf den Landrat als Behördenleiter Einfluss zu nehmen. Die Einführung einer Verbandsklage im Tierschutz würde daher gerade den im kommu-

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nalen Bereich handlungswilligen, aber durch politischen und sonstigen Druck gebremsten Amtstierärzten Rückendeckung geben und helfen, das bestehende Vollzugsdefizit zu bekämpfen. Für Amtsträger, insbesondere die Amtsleiter, besteht das zusätzliche Problem der Kosten. Der im Laufe eines Haushaltsjahres – etwa durch die Beschlagnahme von Tieren mit der danach erforderlichen kostenträchtigen Unterbringung – auftretende Mehrbedarf muss anderweitig unter Ausschöpfung aller Einsparungs- und sonstigen Finanzierungsmöglichkeiten vom zuständigen Verantwortlichen innerhalb des Budgets ausgeglichen werden. Mit anderen Worten: Führt der zuständige Leiter des Veterinäramtes zu viele kostenträchtige Maßnahmen zur Beseitigung tierschutzwidriger Zustände durch, muss er anderswo einsparen, etwa bei der ihm ebenfalls obliegenden Lebensmittelüberwachung. Dieses zugrundliegende Prinzip der sogenannten Budgetverantwortlichkeit hat dabei oftmals zur Folge, dass Gelder dort eigesetzt werden, wo sie den persönlichen Interessen des Amtsträgers am meisten nutzen bzw. dort, wo möglicherweise entstehende Haftungen und Risiken unterbunden werden müssen. Die Tiere kommen daher in Budgetplanungen der Veterinärämter gegenüber Risikobereichen wie der Lebensmittelüberwachung oftmals zu kurz. Der daraus resultierende niedrige Stellenwert des Tierschutzes in den Behörden ist auch während meiner Amtszeit als Landrat mehrfach offen zu Tage getreten. So kam es immer wieder zu Beschwerden von Mitarbeitern, wonach etwa die Unterbringung von beschlagnahmten Tieren für die Behörden zu teuer seien und dies zu Lasten anderer wichtiger behördlicher Aufgaben gehe. Ähnlich wird in einer neueren Veröffentlichung zur tierschutzrechtlichen Verbandsklage unter Darstellung eines konkreten Falles argumentiert.1 Danach betrugen die Kosten einer Kommune für die Einziehung und die anschließende artgerechte Unterbringung eines Zirkuselefanten 40.000 Euro. Unter diesen Umständen kann die Versorgung fortgenommener oder eingezogener Tiere schnell den behördlichen Etat übersteigen. Gegen eine erfolgreiche (Verbands-)Klage darf aber kein Behördenleiter oder kommunaler Kämmerer mehr mit der „Einrede der leeren Kasse“ argumentieren. Notfalls müssen die notwendig werdenden Mittel nachbewilligt werden, selbst dann, wenn sich die betreffende Kommune in der Haushaltssicherung befindet. Hinzu kommt, dass Amtstierärzte aufgrund der seit Jahren vorherrschenden chronischen Unterbesetzung gar nicht in der Lage sind, die vorgeschriebenen Überprüfungsintervalle von landwirtschaftlichen Betrieben gemäß der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung und der entsprechenden EU-Richtlinien einzuhalten. Bestünde die Möglichkeit einer Klage gegen ein solches Untätigbleiben, würde dies der betroffene Amtsveterinär deshalb manchmal sogar begrüßen. Auch hier gilt: Die drohende Klage und ein nachfolgendes öffentliches Bekanntwerden des tierschutzwidrigen Zustandes würde die politisch Ver-

1 Siedler, Simone: Die Verbandsklage im Tierschutz – ein Mittel das im Grundgesetz formulierte Staatsziel praktisch durchzusetzen?, Ludwigsburg 2010, S. 30.

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antwortlichen zum Handeln zwingen,2 etwa indem mehr finanzielle Mittel für den Tierschutz zur Verfügung gestellt werden würden. Unser Votum für die Verbandsklage hat darüber hinaus einen recht tiefen juristischen Hintergrund. Denn die Überprüfung bestimmter Rechtsakte im Tierschutzbereich ist im Wege einer Klage regelmäßig nicht möglich. Lassen Sie mich das bitte näher erläutern – und die Juristen unter Ihnen mögen mir nachsehen, dass ich es für die Nichtjuristen unter uns vergleichsweise rudimentär erläutere. Das deutsche Recht ist geprägt durch den Grundgedanken des subjektiven Rechtsschutzes. Das bedeutet zweierlei: Zum einen, dass nur derjenige befugt ist, zu klagen, der durch das von ihm beanstandete Verhalten bzw. den beanstandeten Zustand möglicherweise in seinen eigenen Rechten verletzt ist. Besteht diese Voraussetzung nicht, ist die Klage von vornherein unzulässig. Zum anderen bedeutet das: Nur Träger von eigenen Rechten sind klagebefugt. Da aber Tiere im deutschen Recht nicht Träger von Rechten sein können, sind Klagen von Tieren, die natürlich durch Treuhänder erhoben werden könnten, auch unter diesem Gesichtspunkt von vornherein unzulässig. Zwingend ist das übrigens nicht. So wurde in Neuseeland vor ein paar Jahren ein Gesetzentwurf eingebracht, wonach Primaten Träger eigener Rechte sein sollen. Und in der Philosophie wird insbesondere in der angelsächsisch geprägten Ethik, dort vor allem im Utilitarismus, schon lange vertreten, dass auch Tiere Träger eines eigenen subjektiven Moralstatus sein können, Träger moralischer Rechte also. Auch deutsche Tierschützer haben deshalb schon mehrfach gefordert, Tiere vor dem Gesetz als Subjekte anzuerkennen, zumindest aber als Mitgeschöpfe. So reichten Greenpeace, BUND und WWF bereits im Jahr 1988 im Namen der Robben im Wattenmeer eine berühmt gewordene Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland ein, um das Verklappen von Dünnsäure zu stoppen. Damit erschienen erstmals Tiere nicht mehr als Objekte, sondern als Subjekte vor Gericht. Der Prozess ging natürlich verloren, die Richter des Verwaltungsgerichts urteilten in schönstem Juristendeutsch: „Der Schutz des Tieres als einem Mitgeschöpf ist nur als sittliche Pflicht, nicht aber als Recht dieses Geschöpfes selbst ausgeformt.“3

Es ist aber keineswegs ausgeschlossen, dass es irgendwann einmal auch im deutschen Recht die Möglichkeit geben wird, dass Tiere Klagen erheben. Ich will hier gar nicht bewerten, ob das gut oder schlecht ist. Ich begnüge mich mit der Prognose, dass es noch sehr lange dauern wird, ehe es in Deutschland so weit sein wird. Und auch das Staatsziel Tierschutz ändert an dieser Situation überhaupt nichts. Subjektive Rechte der Tiere werden damit nämlich nicht begründet. Es geht einzig und allein darum, dem Staat eine Schutzverpflichtung für die Tiere aufzuerlegen.

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Vgl. dazu die Nachweise bei Siedler a.a.O. VG Hamburg, NVwZ 1988, 1058.

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Die fehlende Klagemöglichkeit von Tieren bzw. ihren Treuhändern ist der wesentliche Grund dafür, dass Tierschützer und Tierrechtler schon viele Jahre auch für ihren Bereich die Einführung der Verbandsklage fordern. Eine Klagemöglichkeit also, mit der ein Verband kraft Gesetzes ermächtigt wird, die Rechtmäßigkeit staatlichen oder anderen Handelns durch Gerichte überprüfen zu lassen. Das Land Schleswig-Holstein hat sich im Bundesrat schon früh mehrfach darum bemüht, den Tierschutzverbänden ein solches Recht auch auf Bundesebene zu verschaffen. Allerdings waren Mehrheiten dafür nie in Sicht. So haben einige Bundesländer individuell für ihren Zuständigkeitsbereich Abhilfe geschaffen. Bremen, Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und das Saarland haben inzwischen landesrechtlich tierschutzrechtliche Verbandsklagen geschaffen und Niedersachsen wird wohl bald dazu stoßen. Ob das juristisch überhaupt möglich ist, die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene, ist durchaus umstritten. Darüber wird uns heute Herr Prof. Rossi etwas berichten. Bei den ersten beiden in Deutschland erhobenen Verbandsklagen, mit deren Erhebung unsere Kanzlei beauftragt war, haben die Gerichte aber keine Bedenken gegen die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer landesrechtlichen Tierschutzverbandsklage erhoben. Die Veranstalter, für die ich hier spreche, sind auch deshalb Befürworter der Verbandsklage im Tierschutzrecht, weil sie das mildere Mittel zu den bisher von den Tierschutzorganisationen gewählten Instrumenten darstellt, wenn sie der Meinung sind, eine Veterinärbehörde würde geltendes Tierschutzrecht nicht einhalten. Bisher wurden entweder Dienstaufsichtsbeschwerden erhoben, also formlose Rechtsbehelfe, die zu Recht mit den 3 F‘s versehen werden: formlos, fristlos, fruchtlos. Oder aber es wurden gleich Strafanzeigen gegen die Amtsveterinäre gestellt wegen Tierquälerei durch Unterlassen nach § 17 TierSchG. Diese führten regelmäßig auch nicht zum Erfolg. Und sie haben eine ganze Reihe von Nachteilen. Der eine besteht darin, dass die Staatsanwälte in der Regel in diesen Bereichen des besonderen Verwaltungsrechts nicht gerade sehr erfahren sind. Herr Erster Staatsanwalt Ralph Schönfelder aus Stuttgart, der nachher zu uns spricht, ist hier eine der wenigen Ausnahmen. Ein weiterer Nachteil dieser Verfahrensweise ist aber, dass alle in den Behörden Betroffenen, die sich einer Strafanzeige ausgesetzt sehen, natürlich auch das persönliche und soziale Unwerturteil, das in der Stellung einer Strafanzeige liegt, durchaus verspüren und deshalb besonders verstimmt sind. Ihnen ist oft nicht bewusst, was der Grund für das Stellen dieser Strafanzeige ist, eben nämlich das Fehlen einer anderweitigen juristischen Überprüfungsmöglichkeit. Deshalb vorneweg als einleitende Bemerkung der heutigen Veranstaltung meine These: Obwohl Verbandsklagen generell heutzutage alles andere als willkommen sind, weil sie als bürokratietreibend gelten, wird man über ihre flächendeckende Einführung ernsthaft nachdenken müssen, damit die Gerichte über die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Veterinärbehörden entscheiden können, die dazu primär berufen

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sind, nämlich die Verwaltungsgerichte. Diese spielen aber im Augenblick bei der Überprüfung tierschutzrechtlicher Sachverhaltskonstellationen kaum eine Rolle. Ich weiß das, weil ich als OVG-Richter Berichterstatter zum Tierschutzrecht war und dabei immer wieder mit Erstaunen feststellte, dass die eigentlichen Entscheidungen zum Tierschutzrecht, etwa zur Frage, was ein „vernünftiger Grund“ im Sinne des Tierschutzrechts ist, um einem Tier Schmerzen, Schäden oder Leiden zuzufügen, durch die Strafrichter getroffen wurden. Das kann nicht richtig sein. Doch genug der Vorrede. Lassen Sie uns mit der Veranstaltung beginnen. Auf eines möchte ich aber noch hinweisen: Die gute Seele dieser Veranstaltung ist Frau Yasemin Skowronek, die diese Veranstaltung ganz wesentlich vorbereitet und organisiert hat. Sie steht für Rückfragen, soweit es die Zeit erlaubt, zur Verfügung. Auch inhaltliche Fragen können Sie ihr stellen. Frau Skowronek promoviert an der Humboldt-Universität bei Prof. Kloepfer zur tierschutzrechtlichen Verbandsklage und ist nach meiner Beobachtung dabei schon sehr gut vorangeschritten. Meine Damen und Herren, Mark Twain hat einmal gesagt, dass das menschliche Gehirn eine großartige Sache sei, dass es aber leider nur bis zu dem Zeitpunkt funktioniere, an dem ein Vortragender aufstehe, um eine Rede zu halten. Ich versichere Ihnen: Dieses Phänomen werden Sie heute nicht erleben. Wir haben gute Referenten gewinnen können, deren Gehirn bei Reden erst so richtig in Schwung kommt. Diesen Referenten wünsche ich in diesem Sinne also gelungene, weil geistvolle Vorträge, den Zuhörern einen hohen Informationsgewinn und uns allen ein entspanntes Zusammensein bei angenehmer Atmosphäre.

Das Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht Von Madeleine Martin Aus meiner persönlichen Erfahrung sind es vor allem zwei Bereiche, die zu einem Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht führen. Zum einen weist die den Tierschutz betreffende Gesetzgebung vielfältige Defizite auf. So fehlen für verschiedenste Tierarten oder Bereiche (z. B. für Pferde, Rinder, Qualzucht bei Heim- oder Nutztieren etc.) konkretisierende Verordnungen. Gesetze z. B. aus dem Emissionsschutz oder dem Naturschutzrecht stehen Tierschutzbelangen oft ausdrücklich diametral entgegen und der Gesetzgeber sucht dafür bis heute keine handhabbaren Kompromisse. Das Tierschutzgesetz selbst enthält viele unbestimmte Rechtsbegriffe, Ausnahmen und Einschränkungen. Manche Tatbestände sind nicht strafbewehrt, was die Umsetzung ins Leere laufen lassen kann.1 Zum anderen gibt es die Vollzugsdefizite, deren Ursachen in den zuständigen Verwaltungen liegen. Jahrelang gleicher Personalstand bei ständigem Aufgabenzuwachs2 sowie mangelnde Aus- oder Fortbildung aller Mitarbeiter auf der Veterinärbehörde – nicht nur der Amtstierärzte – all das führt zu Defiziten im Vollzug. Gleiches gilt für unzureichende Ausstattung und fehlende Aus- und Fortbildung bei der Polizei und der Justiz. Oft fehlen sogar finanzielle Mittel, um z. B. Tiere überhaupt anderweitig unterbringen zu können.3 Handeln kostet Geld (und Nerven) – nicht Handeln hingegen ist umsonst. Im Tierschutz engagierte Amtstierärzte sind zudem vielfältigem Druck ausgesetzt – davor schrecken weniger Engagierte zurück. Tiermedizin studiert man nicht unbedingt mit dem Ziel, auf ein Veterinäramt zu gehen. Wer träumt nicht von der eigenen Praxis, der Arbeit als praktischer Tierarzt/-ärztin? Freiberufliches Arbeiten ohne Chef und Chefin – niemanden als sich selbst und seinem Gewissen verpflichtet. Dazu kommt noch ein positives soziales Image – der Tierarzt als Helfer der ratsuchenden Tierhalter! Seine Unterstützung ist gewünscht! Auf einem Veterinäramt erfährt man aber eine ganz andere Situation. Als Amtstierarzt/-ärztin ist man eingebunden in klare Hierarchieebenen, die sich weit über das eigentliche Amt zumeist über eine Mittelebene bis ins Ministerium fortsetzen. Sowohl fachlich als auch dienstrechtlich gibt es Vorgesetzte. 1

Kuhtz, S. 44, S. 49. Goldhorn, S. 94 ff.; Kuhtz, S. 41 ff., S. 48; Martin, S. 87 ff. 3 Kuhtz, S. 42, S. 124; Bergschmidt, S. 28. 2

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Man arbeitet als Vollzugsbeamter, der die Tierhalter zwar zunächst berät, aber wenn dieser Beratung nicht gefolgt wird, gegen den Halter ungewünschte Maßnahmen und belastende Vorgaben einleiten muss. Juristisch wird der Amtstierarzt heute als „Garant“ für den Vollzug des Tierschutzgesetzes gesehen, was ja auch rechtliche Konsequenzen haben kann.4 Das führt in der Regel nicht zu einem positiven Image und ist verbunden mit Konfrontationen. Die Belastungen engagierter Tierärzte im Bereich Tierschutz sind vielfältiger Natur. Tierschutzfälle geben tiefe Einblicke in tierisches Leid und nicht selten auch in menschliches Leid. Schwierige Lebenssituationen einzelner Tierhalter rechtfertigen aber dennoch nicht, dass auf Dauer Tiere leiden. So bedarf es auch in diesen Fällen dann verwaltungsrechtlicher Maßnahmen. Schnell sitzt der engagierte Amtstierarzt zwischen vielen Stühlen und muss Druck von vielen Seiten standhalten. Leider erweist sich aber auch mancher Tierbesitzer als uneinsichtig und nicht bereit, seine Tierhaltung freiwillig zu verbessern. Gerade solche Tierhalter sind natürlich eine Quelle des Druckes auf Amtstierärzte – je mehr Tierhaltungen man kontrolliert, desto häufiger erlebt man das: Dienstaufsichtsbeschwerden und Strafanzeigen gegen engagierte Tierärzte sind mittlerweile an der Tagesordnung. Nicht selten stehen dann auch die entsprechenden Lobbyverbände dem Tierhalter kritiklos zur Seite. Beleidigungen, Beschimpfungen, Drohungen, tätliche Angriffe durch Tierhalter oder ihre Unterstützer bei Kontrollen und Einziehungen bzw. Wegnahmen von Tieren nehmen zu. Da tröstet es wenig, dass andere Berufsgruppen – ob Polizeibeamte oder Rettungssanitäter – auch in steigendem Maße von Aggressionen betroffen sind. In jedem Falle tragen natürlich Tierschutzorganisationen durchaus zu den Belastungen und dem Druck auf Veterinärbedienstete bei, allein dadurch, dass sie Fälle anzeigen und nicht lockerlassen. Je nach Kompetenz der jeweiligen Organisation sind die Anzeigen fundiert und berechtigt oder auch nicht – Kümmern muss sich der Amtstierarzt in jedem Fall darum. Tierschutzfälle werden zudem von Medien beachtet. Zwischen „Hosianna“ und „Kreuziget ihn“ liegen für Amtstierärzte in der Presse oft nur Tage. Last, but not least: natürlich versuchen zuweilen auch Fachvorgesetzte oder politisch Verantwortliche Druck aufzubauen und den Vollzug bestehender Rechtsvorschriften zu „mildern“. Wie gesagt: Vollzugshandeln kostet Geld und bringt Unruhe. Die Kommunalisierung der Veterinärämter in vielen Bundesländern hat diese Problematik nach meiner Wahrnehmung für im Tierschutz aktive Amtstierärzte eher verstärkt. Wer immer wieder Kosten verursacht und z. B. landwirtschaftliche Verbände gegen sich aufbringt, kann sich durchaus plötzlich mit anderen Dienstaufgaben wiederfinden – auch im Jahre 2016. Aber es gibt noch eine Gruppe, die dem Druck auf engagierte Kolleginnen und Kollegen Vorschub leistet und so ganz maßgeblich zum Vollzugsdefizit beiträgt. Lei4 Emmert, S. 1 ff.; Hirt/Maisack/Moritz, § 17 TierSchG Rn. 94; Kemper, Die Garantenstellung, S. 185 ff.; ders., Besondere Bedeutung, S. 233 ff.; Pfohl, S. 211 ff.

Das Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht

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der sind dies zuweilen Kolleginnen und Kollegen, die nicht lösungsorientiert handeln oder offen untätig bleiben. Da wird eine tierschutzwidrige Tierhaltung regelmäßig über viele Monate oder Jahre nach Anmeldung besucht – nicht etwa kontrolliert. Obwohl sich die Tierhaltung auch nach wiederholter Ermahnung des Tierhalters als unverändert tierschutzwidrig erweist, werden keine oder keine geeigneten Maßnahmen durchgeführt. Übernimmt ein neuer Amtstierarzt den Bezirk, sieht er sich erheblichen Problemen gegenüber, denn die Tierhaltung wurde ja unbeanstandet oft über Jahre geduldet. In den Akten fehlen dabei immer wieder gut dokumentierte Einzeltierbegutachtungen, mit Blick nicht nur auf Ernährungs- und Pflegezustand, sondern vor allem auf die Tiergesundheit und Verhalten der Tiere. Die Besichtigung erfolgt zuweilen mit „Röntgenblick“ aus der Entfernung. Verhaltensstörungen werden oft nicht erwähnt und/oder nicht gewertet. Fachlich seriöse Befundung erfordert Zeit und den Mut, auch vor Gericht zu seinen eigenen Befunden zu stehen. Wenn z. B. Bären in einem Zirkus rund 20 Jahre langanhaltende Stereotypien zeigen, die mit dem Schlagen des Kopfes gegen die Käfigwand enden – und dies bis 2015 nicht nachhaltig verfolgt wurde – so kann man das nur als „Vollzugsdefizit“ bezeichnen. Maßgabe für Maßnahmen im Vollzug des Tierschutzgesetzes sollte doch immer sein, dass es den Tieren letztlich nachhaltig besser geht. Wenn sich oft über Jahre nichts an der Tierhaltung ändert, ist vielleicht eine andere Strategie geboten. Einige Fälle gelten dann bei manchen Kollegen und Kolleginnen als „ständig grenzwertig“ oder „unlösbar“, werden aber gelöst, sobald auf dem Veterinäramt andere Personen mit denselben Fällen betraut sind. Das sollte zu denken geben. Diejenigen, die dann zielorientiert die Fälle nachhaltig lösen, dürfen sich letztlich mit dem Halter, dessen Rechtsanwalt und schließlich oft auch einem Richter auseinandersetzen, der verstehen möchte, warum die Zustände Jahre lang toleriert wurden. Besonders folgenreich ist auch die leichtfertige Eintragung des Vermerks „ohne besonderen Befund“ in Bestandsbüchern z. B. bei Zirkusbetrieben. In fast allen Gerichtsverfahren zu tierschutzwidrigen Tierhaltungen in Zirkussen, denen ich als Gutachterin, Zeugin oder Zuhörerin beiwohnte, wurden die Amtstierärzte mit solchen Einträgen konfrontiert. „Wieso bemängeln Sie den Käfigwagen und die Tiere, wenn sich Ihre vier Kollegen vorher an den zu geringen Maßen des Wagens und den Verhaltensstörungen der Tiere nicht gestört haben?“, lautet leider eine häufig gestellte Frage vor Gericht. Eine oberflächliche Beurteilung erschwert denen die Arbeit, die richtig hinschauen und die Gesetze anwenden, zudem zeigt sich der Tierarzt in der Öffentlichkeit damit nicht gerade als „Garant für Tierschutz“. Bevor man leichtfertige Einträge tätigt bzw. sich nicht die notwendige Zeit für eine fachlich saubere Kontrolle nehmen will oder kann, bleibe man doch besser dem Betrieb fern. Solche kritischen Äußerungen am amtstierärztlichen Handeln gefallen nicht jedem, sind aber gerade an dieser Stelle ausdrücklich nötig. Dadurch ist die belasten-

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de Situation der besonders engagierten Amtstierärzte besser zu verstehen. Aber dies erklärt auch die Vollzugsdefizite, die definitiv nicht nur durch Personalmangel auf Veterinärämtern entstehen. Vollzugsdefizite sind auch in der Justizverwaltung zu finden. Auch hier herrscht chronischer Personalmangel, der Richter und Staatsanwälte gleichermaßen betrifft. Auch hier fehlen noch flächendeckende Fortbildungen zu dem juristischen Randbereich „Tierschutzrecht“ oder werden aus Zeitmangel oder Desinteresse nicht besucht und natürlich gibt es auch hier mehr oder weniger motivierte und kompetente Persönlichkeiten.5 Wie kann man nun all diese Vollzugsdefizite beheben? Sinnvoll und überfällig ist es natürlich, zunächst den Personalmangel in Justiz, Polizei und Veterinärverwaltungen nachhaltig und angemessen zu beheben. Die notwendige Anzahl von Stellen für Tierärzten und Verwaltungsfachleuten für ein Veterinäramt muss endlich nach zeitgemäßen Schlüsseln ermittelt werden. Wer immer noch glaubt, für die Berechnung der Mitarbeiteranzahl eines Veterinäramtes reiche die Anzahl der Großvieheinheiten und der Bewohner des Landkreises, lebt definitiv nicht mehr in diesem Jahrhundert. Hier sind längst zusätzlich andere Kenngrößen notwendig. Die Anzahl der Anzeigen im Bereich Tierschutz pro Jahr ist meines Erachtens genauso zu berücksichtigen wie die ungefähre Zahl der Heimtiere (die sich über Daten des Zentralverbandes Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands e.V. (ZZF) und des Industrieverbandes Heimtierbedarf (IVH) erschließen lässt). Genauso ist zu berücksichtigen, wie lange eine Routinekontrolle im Tierschutz tatsächlich dauert oder auch die Anzahl pro Jahr auszustellender Genehmigungen nach § 11 TierSchG. Nur wenn man all das zugrunde legt, kann man meines Erachtens korrekt ermitteln, wieviel Mitarbeiterstellen ein Veterinäramt braucht. Amtstierärzte sollten vor ihrer amtlichen Tätigkeit aber auch unbedingt Erfahrungen als praktische Tierärzte gesammelt haben. Entscheidungsfreude und Konfliktfähigkeit sind zudem hilfreich im Vollzug des Tierschutzgesetzes. Im Rahmen der Fürsorgepflicht sollte der Arbeitgeber nicht nur fachliche Fortbildungen ermöglichen, sondern auch solche, die z. B. in Deeskalation schulen. Um einem Burnout engagierter Kolleginnen und Kollegen vorzubeugen, sind regelmäßig Supervisionen anzubieten. Wer wirklich Vollzugsdefizite minimieren will, muss verschiedenste Wege gehen. Qualitätsmanagement auf einem Veterinäramt nach EU-Isonorm 90001 kann hilfreich sein, bedarf aber einer zeitgemäßen, sinnvollen Ausarbeitung, sonst wird es eher zum bürokratischen Hindernis. Innerhalb der Justiz sind Verbesserungen natürlich auch möglich. Tierschutzstaatsanwälte, wie man sie im Kanton Zürich einige Zeit erfolgreich einsetzte, oder Schwerpunktstaatsanwaltschaften können zielführend sein. Ebenso könnte 5

Bergschmidt, S. 19, S. 22.

Das Vollzugsdefizit im Tierschutzrecht

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man für den Tierschutz eine analoge Stelle wie die im Umweltministerium Nordrhein-Westfalen verankerte Stabsstelle Umwelt- und Verbraucherschutzkriminalität schaffen.6 Mit all diesen Möglichkeiten hat man aber ein Problem des Vollzuges definitiv nicht behoben: die Verfahrensungleichheit, die dadurch verursacht wird, dass Tiere das sie betreffende Verwaltungshandeln nicht juristisch auf seine Rechtmäßigkeit hinterfragen können. Es besteht ein offensichtliches Ungleichgewicht. Der Tierhalter kann jeden Bescheid rechtlich überprüfen lassen. Gegen rechtswidrige Bescheide zu Ungunsten der Tiere oder im Falle des Untätigbleibens von Behörden steht zur Zeit niemandem ein Rechtsbehelf zu.7 Dies kann nur verändert werden, wenn man Personen oder Organisationen mit einem Klagerecht ausstattet. Hier kämen Landestierschutzbeauftragte als Klagebefugte in Frage. In Bezug auf Genehmigungen von Tierversuchen kämen auch Mitglieder der gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 TierSchG Tierschutzgesetz berufenen Ethikkommissionen in Betracht. Es gibt keinen wirksameren Weg, Tierschutz mit Leben zu füllen, als sich dafür übliche rechtsstaatliche Methoden dienstbar zu machen.8 Da wir aber ein Verbandsklagerecht seit vielen Jahren im Naturschutzrecht verankert haben, nachweislich ohne von einer Klagewelle überrollt worden zu sein, bietet sich für mich diese Möglichkeit am einfachsten an.9 Mittlerweile haben sieben Bundesländer ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen geschaffen. Die Zukunft wird also zeigen, wie und ob dieses neue Recht den Vollzug des Tierschutzgesetzes tatsächlich verändert. Dennoch – auch mit Verbandsklagerecht – kann aus meiner Sicht Vollzug nur dann erfolgreich sein, wenn die auf den verschiedenen Ebenen agierenden politisch Verantwortlichen den Vollzug tierschutzrechtlicher Vorschriften tatsächlich wollen und nachhaltig unterstützen.

Literatur Bergschmidt, Angela: Eine explorative Analyse der Zusammenarbeit zwischen Veterinärämtern und Staatsanwaltschaften bei Verstößen gegen das Tierschutzgesetz, Thünen Working Paper 41, Braunschweig 2015. Emmert, Dagmar: Amtshaftung und Garantenstellung des Amtstierarztes – Wunsch und Wirklichkeit, in: Bundesverband der beamteten Tierärzte (Hrsg.), Amtstierärztlicher Dienst und Lebensmittelkontrolle 1/2011, S. 1 – 3. Goldhorn, Wolfgang: Befunde, Gravamina, Vollzugsdefizite, in: Evangelische Akademie Bad Boll (Hrsg.), Tierarzt – Berufener Tierschützer, Bad Boll 1992, S. 94 – 102. 6 Vgl. MKULNV NRW, abrufbar unter: https://www.umwelt.nrw.de/ministerium-verwal tung/aufbau-und-aufgaben/stabsstelle-umwelt-und-verbraucherschutzkriminalitaet/. 7 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, Einf. Rn. 91. 8 von Loeper, S. 20 ff. 9 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, Einf. Rn. 88 f.

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Kemper, Rolf: Die Garantenstellung der Amtstierärztinnen und Amtstierärzte im Tierschutz, in: Christa Blanke (Hrsg.), Tierschutz in Deutschland, Frankfurt am Main 2014, S. 185 – 210. – Deutschland, Frankfurt am Main 2014, S. 233 – 241. Kuhtz, Martina: Möglichkeiten und Probleme beim Vollzug tierschutzrechtlicher Bestimmungen, Berlin 1998. Loeper, Eisenhart von: Das Tierschutzgesetz von 1986, in: Evangelische Akademie Baden (Hrsg.), Herrenalber Protokolle 88, Karlsruhe 1992, S. 20 – 29. Maisack, Christoph/Hirt, Almuth/Moritz, Johanna: Tierschutzgesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2016. Martin, Madeleine: Befunde, Gravamina, Vollzugsdefizite, in: Evangelische Akademie Bad Boll (Hrsg.), Tierarzt – Berufener Tierschützer, Bad Boll 1992, S. 87 – 93. Pfohl, Michael: Strafbarkeit von Amtstierärzten, in: Christa Blanke (Hrsg.), Tierschutz in Deutschland, Frankfurt am Main 2014, S. 211 – 231.

Ermittlungsverfahren in Tierschutzstrafsachen Von Ralph Schönfelder

I. Einleitung 1. Tierschutz damals Die Einstellung zu Tieren und das Empfinden, wie man mit Tieren umgeht, waren schon immer wechselvoll. Im alten Ägypten wurde Verstorbenen eine Schriftrolle mitgegeben, um die Toten mit der Unterwelt vertraut zu machen und ihnen zu helfen, dort Prüfungen zu bestehen. Das Totenbuch des Ani, eines königlichen Tempelschreibers aus der Zeit etwa 1.300 vor Christus, enthält u. a. eine Liste von Sünden, von denen man einzeln erklären sollte, dass man sie nicht begangen habe – quasi die Grundlage der 10 Gebote. Eine der magischen Formeln, die der Tote aufsagen sollte, um vor den Richtern zu bestehen, fing an mit: „Ich habe kein Unrecht gegen Menschen begangen“ und fuhr fort mit „Ich habe keine Tiere misshandelt“.1 Auch kennen wir alle das Sprichwort „Quäle nie ein Tier zum Scherz, denn es fühlt wie du den Schmerz“ oder „Wer plagt sein Pferd und Rind, hälts schlecht mit Weib und Kind“. Trotzdem werden auf dem Land noch junge Katzen in den Sack gesteckt und ertränkt oder gegen die Scheunenwand geschlagen. Das hat Tradition. 1925 empfahl man in Bezug auf Hunde: „Wenn mehr als drei oder vier Junge da sind, ersäufe man die anderen oder gebe sie fort, denn nur aus wenigen entsteht eine gute Zucht“.2 Noch 1962 wägte man im „Handbuch für alle Tierschutzfragen“ ab, ob die Tötung nicht unterzubringender Jungtiere „am besten durch eine totale Zertrümmerung des Kopfes erfolgen sollte“ – „indessen ist dies nicht jedermanns Sache“, oder durch Ertränken, was „dann nicht bedenklich sei, wenn die ganz jungen Tiere in einem wasserdurchlässigen, beschwerten Sack mindestens 10 bis 12 Stunden unter Wasser bleiben“. Ihre Schmerzempfindlichkeit sei „gering“.3 Bei „wilden“ Tieren hörte der Spaß Mitte der fünfziger Jahre endgültig auf: „Zur Vertilgung des Wolfes gelten alle Mittel, Pulver und Blei ebenso wie das ausgelegte Gift, die verborgene 1

Hagen/Hagen, S. 13. Schmidt-Hoffmann, S. 255 ff. (S. 257); zum Umgang mit überzähligen Welpen auch Ort, NuR 2010, 853 (858 ff.). 3 Stolting/Zoebe, S. 25. 2

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Schlinge […] Strychnin in Aas gestreut […] sind die wirksamsten […] Mittel der Bekämpfung“.4 2. Tierschutz heute Inzwischen haben viele Menschen eine andere Einstellung zu Tieren. Trotzdem werden, wahrscheinlich nicht zu Unrecht, in Stellungnahmen zur Verbandsklage Vollzugsdefizite im Tierschutzrecht beklagt. Den für den Vollzug zuständigen Landesbehörden fehle es an Personal, Sachkunde sowie finanziellen Mitteln, um die Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorschriften flächendeckend zu gewährleisten,5 selbst engagierte Amtstierärzte würden häufig von ihren Vorgesetzten ausgebremst6 und wer auf die Hilfe der Staatsanwaltschaft rechne, werde meist enttäuscht7. Wenn man aber davon ausgeht, dass das Verbandsklagerecht in erster Linie eine präventive Wirkung entfaltet,8 lohnt ein Blick auf die große Masse der – leider – alltäglichen Tierschutzfälle und die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit der Strafverfolgungsund Veterinärbehörden.

II. Tatsächliche und rechtliche Situation bei der Staatsanwaltschaft Voranzustellen ist einerseits, dass Tierschutzdelikte zu den Umweltstrafsachen gehören. Aus den Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Nr. 268 RiStBV) ergibt sich, dass dem Schutz der Umwelt, neben den Strafnormen des 29. Abschnitts des Strafgesetzbuches (§§ 324 ff. StGB), auch Strafnormen des sogenannten Nebenstrafrechts dienen, unter anderem die Strafvorschriften im Bundesnaturschutzgesetz (§§ 71, 71a BNatSchG) und im Tierschutzgesetz, Tierschutzdelikte also den Umweltstrafsachen zuzuordnen sind.9 Deshalb wurden Tierschutzdelikte auch bei den Tagungen der deutschen Richterakademie in Trier im Rahmen des Umweltstrafrechts behandelt.

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Brehm/Rietschel, S. 549. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage, Startseite zu dieser Tagung (abrufbar unter www.tagungverbandsklage2016.de). 6 Albert Schweitzer Stiftung für unsere Mitwelt, Verbandsklagerecht im Tierschutz (abrufbar unter https://albert-schweitzer-stiftung.de/themen/verbandsklagerecht). 7 Kluge, Schriftliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf für das Verbandsklagerecht im Tierschutz, S. 8. 8 Maisack, Stellungnahme der DJGT, S. 10. 9 Pfohl, in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), § 54 Rn. 104, 109; weitergehend Kloepfer/Heger, Rn. 335, 354 f., die auch Normen des BJagdG einbeziehen. 5

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Andererseits stellt Nr. 255 Abs. 1 RiStBV klar, dass auch die Straftaten des Nebenstrafrechts Zuwiderhandlungen sind, die ein sozialethisches Unwerturteil verdienen. Deshalb seien solche Zuwiderhandlungen nach den gleichen Grundsätzen und mit dem gleichen Nachdruck zu verfolgen wie Zuwiderhandlungen gegen Vorschriften des Strafgesetzbuchs. Entsprechend des Organisationsstatuts der Staatsanwaltschaften vom 20. 11. 2003 (OrgSta Nr. 19 Abs. 1 Satz 2h) sollen Umweltschutzstrafsachen in Spezialdezernaten zusammengefasst werden, da ihre Bearbeitung besondere Kenntnisse und Erfahrungen erfordern. Dies steht einer Zuteilung der bei der Staatsanwaltschaft eingehenden Tierschutzanzeigen „im Turnus“, also über mehrere Abteilungen der Staatsanwaltschaft verteilt, entgegen. Bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart werden, so wie auch bei vielen anderen Staatsanwaltschaften, Tierschutzdelikte wie auch die anderen Umweltdelikte in der Wirtschaftsabteilung bearbeitet. Dem Vorteil einer Bearbeitung durch Dezernenten in einer Wirtschaftsabteilung, also meist erfahrene Kollegen, steht in der Praxis entgegen, dass diese Kollegen in ihrem Dezernat, sofern die Staatsanwaltschaft nicht so groß ist, dass ein oder mehrere Staatsanwälte ausschließlich Umweltdelikte bearbeiten, zugleich zahlreiche umfangreiche Ermittlungsverfahren, sogenannte „große Wirtschaftsstrafsachen“, mit einem oft in die Millionen gehenden Schaden führen. In derartigen Verfahren wird durch die Anwälte der Geschädigten und der Beschuldigten um jeden Satz gerungen, egal ob das Verfahren mit einer Anklage oder einer Verfahrenseinstellung endet. Vermeintlich einfach gelagerte Verfahren können vor diesem Hintergrund leicht hintenangestellt werden, insbesondere bei hinzukommenden, vorrangig zu bearbeitenden Haftsachen. Auch wenn der Zeitaufwand für die Bearbeitung von Tierschutzstrafsachen bei der internen Verteilung richtigerweise wie bei allen anderen Umweltdelikten hoch bewertet wird, kann es im Einzelfall bei der personellen Unterdeckung vieler Staatsanwaltschaften und der damit einhergehenden extremen Überlastung vieler Kollegen passieren, dass Verfahren von dem einen Staatsanwalt eingestellt werden, in denen ein anderer Kollege Anklage erhoben hätte.10 Ohne dem weiteren Vortrag vorzugreifen (siehe unten Ziffer IV.), erscheint mir persönlich trotzdem die Einrichtung von Schwerpunkstaatsanwaltschaften wenig erstrebenswert, da dem möglichen Vorteil einer Sachkunde des Staatsanwalts die größere Entfernung zu den Behörden vor Ort entgegensteht.11 Der interne Druck kann schließlich dazu verleiten, die Möglichkeiten, die uns die StPO bietet, nicht auszuschöpfen. So gibt es von Kollegen schon mal den Hinweis, dass ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz doch nicht strenger bestraft werden

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Iburg, NuR 2010, 395 (396); Hirt/Maisack/Moritz, § 17 TierSchG, Rn. 124 ff. Ablehnend für das Umweltrecht insgesamt auch Pfohl, in: Müller-Gugenberger (Hrsg.), § 54 Rn. 332. 11

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dürfe als eine Körperverletzung (an einem Menschen).12 Der völlig überlastete Dezernent aus der Allgemeinabteilung, der jeden Monat eine große Zahl von Massendelikten wie Diebstahl, Betrug und Körperverletzungen bearbeitet, schaut irritiert, wenn in einem Fall, in dem die Presse ausführlich über einen Jogger berichtete, der einen kleinen Welpen ohne erkennbaren Grund totgetreten hat, beim Amtsgericht als Fahndungsmaßnahme die Veröffentlichung eines Phantombildes beantragt wird, da es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handelt oder in einem Verfahren gegen einen unbekannten Pferde-Ripper die Erhebung von Verkehrsdaten gem. § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO beantragt wird. Nicht unerwähnt bleiben soll, dass das Amtsgericht jeweils entsprechend beschlossen hat und der Jogger ermittelt und verurteilt wurde.

III. Anzeigenerstattung Gemäß § 158 Abs. 1 Satz 1 Strafprozessordnung kann die Anzeige einer Straftat bei der Staatsanwaltschaft oder den Behörden und Beamten des Polizeidienstes, aber auch den Amtsgerichten, mündlich oder schriftlich erstattet werden. Unter einer Strafanzeige versteht man die Mitteilung eines Sachverhaltes, der nach Meinung des Anzeigenerstatters Anlass für eine Strafverfolgung bietet.13 Wer den Verdacht hat, dass ein Tier leidet, möchte darüber hinaus bzw. vorrangig, dass der tierschutzwidrige Zustand möglichst sofort beendet wird. 1. Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Bei einer großen Staatsanwaltschaft wie der in Stuttgart, zuständig für die Amtsgerichte Stuttgart, Stuttgart Bad Cannstatt, Ludwigsburg, Leonberg, Böblingen, Nürtingen, Kirchheim, Schorndorf, Esslingen, Waiblingen und Backnang, werden jedes Jahr über 100.000 Verfahren gegen einen oder mehrere namentlich bekannte Täter und eine entsprechend große Zahl gegen unbekannte Täter geführt. Eine schriftliche Anzeige gegen eine namentlich beschuldigte Person wird von der Posteingangsstelle als Js-Verfahren registriert, solche gegen eine unbekannte Person als UJs-Verfahren. Danach wird grob, also ohne juristische Prüfung, sondern nach dem ersten Anschein, an Hand eines vielseitigen Geschäftsverteilungsplans versucht abzuschätzen, welche der über 20 Abteilungen der Staatsanwaltschaft Stuttgart zuständig sein könnte. Anschließend wird die Anzeige dieser Abteilung, konkret dem Abteilungsleiter, vorgelegt, der einerseits als Jurist entscheidet, ob seine Abtei12 Zur richtigen Einordnung immer noch lesenswert: VGH Baden-Württemberg, Urteil v. 15. 12. 1992, NuR 1994, 487 f., wonach tierische Leiden nicht ernster genommen werden als menschliche, aber das Tier einen angemessenen Schutz brauche, da es grundsätzlich schwächer und gefährdeter sei als der Mensch. 13 Meyer-Goßner/Schmitt, § 158 StPO Rn. 1.

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lung gemäß dem Geschäftsverteilungsplan zuständig ist und andererseits, welcher seiner Dezernenten den Fall bearbeiten soll. Das klingt kompliziert, aber die Vielzahl der Gesetze und die zunehmende Spezialisierung bei der Polizei und anderen Rechtsanwendern erfordert auch eine Spezialisierung bei den Staatsanwälten. Die Staatsanwaltschaft ist auf Grund des Legalitätsprinzips (§ 152 Abs. 2 StPO) verpflichtet, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern auf Grund konkreter Tatsachen ein Anfangsverdacht besteht. Vage Anhaltspunkte oder bloße Vermutungen reichen nicht aus.14 Ergibt sich also aus der Anzeige auf Grund konkreter Tatsachen ein Anfangsverdacht für eine Straftat gem. § 17 TierSchG, wird der zuständige Dezernent bei der Staatsanwaltschaft die Anzeige der örtlich zuständigen Polizeibehörde seines Bezirks zur Ermittlung des genauen Sachverhalts und der Beschuldigten sowie deren anschließender Vernehmung als Beschuldigte übersenden. 2. Anzeige direkt bei der Polizei Entsprechend dem oben Geschilderten ist auch die Spezialisierung bei der Polizei weit fortgeschritten. In Baden-Württemberg sind Delikte aus dem Bereich Gewerbe/ Umwelt bei den Polizeipräsidien angesiedelt. Verstöße gegen das Tierschutzgesetz werden vereinzelt aber auch durch die Polizeihundeführer sowie Kollegen der Polizeireviere vor Ort, etwa beim ersten Zugriff, bearbeitet. Eine Anzeige wird bei jeder dieser Dienststellen aufgenommen, dann aber unter Umständen intern weitergeleitet. 3. „Anzeige“ beim Landratsamt a) Aufgaben des Veterinäramtes Anders als Staatsanwaltschaft oder Polizei ist das Veterinäramt keine Strafverfolgungsbehörde. Den Veterinärämtern kommt eine gänzlich andere Aufgabe zu, nämlich gemäß § 16 bzw. § 16a TierSchG die Tierhaltung zu überwachen und einzuschreiten, um festgestellte Verstöße zu beseitigen und künftige Verstöße zu verhindern. Dabei kann die Veterinärbehörde, sofern die Tierhaltung zu beanstanden ist, zunächst versuchen, durch Hinweise und Anregungen die Einsicht des Tierhalters zu fördern und so Verbesserungen der Tierhaltung zu erzielen. Erfahrungsgemäß ist diese Vorgehensweise oft erfolgreich.

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Meyer-Goßner/Schmitt, § 152 StPO Rn. 4 m.w.N.

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b) Bußgeldverfahren Selbst wenn eine Ordnungswidrigkeit festgestellt wird, ist die Veterinärbehörde nicht verpflichtet, ein Bußgeldverfahren einzuleiten. Vielmehr entscheidet die Behörde über die Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten im pflichtgemäßen Ermessen, sog. Opportunitätsprinzip, geregelt in § 47 Abs. 1 Satz 1 OWiG. c) Abgrenzung von Ordnungswidrigkeit zu Straftat Eine deutliche Zäsur, die in der Praxis größte Schwierigkeiten bereitet, tritt ein, wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass der Umgang mit Tieren einen Straftatbestand erfüllt. Das kann neben § 17 TierSchG der Tatbestand des § 20 TierSchG sein, also der Verstoß gegen ein gerichtlich verhängtes Tierhalteverbot. Aber auch Straftaten wie Betrug (§ 263 StGB) oder Urkundendelikte (§§ 267 ff. StGB) sind Taten, die immer wieder vom Veterinäramt im Rahmen von Tierkontrollen aufgedeckt werden, etwa im Zusammenhang mit der Einfuhr von Hundewelpen. Betrachten wir den Ablauf an dem Beispiel, dass ein Hundebesitzer mit seinem Hund an einem warmen Tag zum Baggersee fährt und dort feststellt, dass er den Hund nicht mit zum See nehmen darf. Er sperrt den Hund in den Wagen und erfrischt sich im See. Zumindest wenn der Hund nach Öffnung des Wagens entkräftet herausgetragen werden muss oder gar stirbt, würde sicherlich jedes Veterinäramt das Vorliegen einer Ordnungswidrigkeit gem. § 18 Abs. 1 Nr. 2b TierSchG prüfen. Der Hund hat ohne Zweifel gelitten. Die Leiden waren auch erheblich, wobei die herrschende Meinung davon ausgeht, dass das Merkmal der „Erheblichkeit“ nur Bagatellfälle ausgrenzen soll.15 Meiner Meinung nach bestehen aber auch Anhaltspunkte für eine Straftat gem. § 17 Nr. 2b TierSchG. Weiter zu prüfen wäre insoweit, ob die Leiden länger anhaltend waren und ob der Halter vorsätzlich handelte. Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals „länger anhaltend“ ist nach herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur nicht auf das Zeitempfinden eines Menschen abzustellen, sondern auf das wesentlich geringere Vermögen des Tieres, physischem oder psychischem Druck standzuhalten. Es reichen deshalb insbesondere bei Todesangst bereits einige Minuten, und das nahezu unabhängig von der betroffenen Tierart.16 Auch wenn man umgangssprachlich davon reden könnte, der Täter habe seinen Hund getötet, wäre juristisch sauber zwischen Tötungsvorsatz gem. § 17 Nr. 1 TierSchG und einem Vorsatz bzgl. § 17 Nr. 2b TierSchG zu unterscheiden. In der Regel wird dem Täter nicht vorgeworfen, er habe seinen Hund ohne vernünftigen Grund gem. § 17 Nr. 1 TierSchG getötet, sondern er habe es zumindest billigend in Kauf 15

BGH, Urteil v. 18. 02. 1987, NJW 1987, 1833 (1834); Pfohl, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo, § 17 TierSchG Rn. 71. 16 Ausführlich Hirt/Maisack/Moritz, § 17 TierSchG Rn. 92 m.w.N.; so wohl auch Hackbarth/Lückert, S. 177; a.A. Metzger, in: Erbs/Kohlhaas (Hrsg.), § 17 TierSchG Rn. 28.

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genommen, dass dem Hund länger anhaltende erhebliche Leiden durch die Hitze im Wagen zugefügt werden (§ 17 Nr. 2b TierSchG) – auch wenn die Leiden im konkreten Fall in den Tod übergehen. Es wäre ein Fehler, zunächst zutreffend zu definieren, dass der bedingt vorsätzlich Handelnde mit dem Eintreten des schädlichen Erfolgs in der Weise einverstanden ist, dass er ihn billigend in Kauf nimmt oder dass er sich wenigstens mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet, während der bewusst fahrlässig Handelnde mit der als möglich erkannten Folge nicht einverstanden ist und deshalb auf ihren Nichteintritt vertraut und dann insoweit nun nicht mehr zutreffend von Fahrlässigkeit und somit nur von einer Ordnungswidrigkeit auszugehen. Greift man, da es im Tierschutzbereich insgesamt wenig höchstrichterliche Entscheidungen gibt, auf die Rechtsprechung zur Abgrenzung von bedingtem Vorsatz zu bewusster Fahrlässigkeit bei Körperverletzungs- und Tötungsdelikten zurück17, so wird dort eine Gesamtschau aller objektiven und subjektiven Tatumstände für erforderlich erachtet. Übertragen auf den Beispielsfall käme einerseits der objektiven Gefährlichkeit des Verweilens in einem geschlossenen Wagen bei sommerlichen Temperaturen und andererseits der Tatsache, dass das jedem bekannt ist, weshalb heute die meisten Wagen über eine Klimaanlage verfügen und man den Wagen bei großer Hitze zunächst durchlüftet, bevor man einsteigt, als wesentlichem Indikator eine erhebliche Bedeutung zu. Auch wäre zu berücksichtigen, dass nach der Rechtsprechung des BGH der Bejahung des Tötungsvorsatzes selbst ein unerwünschter Erfolg der billigenden Inkaufnahme nicht entgegensteht.18 d) Abgabepflicht bei Anhaltspunkten für eine Straftat Folgt man dieser Argumentationskette, gibt es für das Veterinäramt in derartigen „Hund im Wagen“-Fällen Anhaltspunkte dafür, dass eine Straftat gemäß § 17 Nr. 2b TierSchG vorliegen könnte. Die abschließende Entscheidung, ob eine Straftat vorliegt, obliegt nicht der Verwaltungsbehörde. Gemäß § 41 OWiG gibt die Verwaltung die Sache an die Staatsanwaltschaft ab, wenn Anhaltspunkte dafür vorhanden sind, dass die Tat eine Straftat ist. Entsprechende Regelungen finden sich auch in vielen Verwaltungsvorschriften der Ministerien. Dass die Entscheidung, ob eine Straftat vorliegt, der Staatsanwaltschaft obliegt, folgt auch aus der Gesetzessystematik. § 41 Abs. 2 OWiG regelt, dass die Staatsanwaltschaft die Sache an die Verwaltungsbehörde zurückgibt, wenn sie nach Prüfung davon absieht, ein Strafverfahren einzuleiten.

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BGH, Urteil v. 14. 01. 2016 – 4 StR 84/15 (LG Berlin), NZV 2016, 189 ff. BGH, Urteil v. 14. 01. 2016, NZV 2016, 189 ff. (191) m.w.N.

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e) Überleitung in das Strafverfahren Wird ein Verhalten, das den Straftatbestand des § 17 TierSchG erfüllt, unzutreffend als Ordnungswidrigkeit eingestuft, so erfährt der Staatsanwalt davon erst, wenn der Betroffene gegen den Bußgeldbescheid Einspruch einlegt. Die Akten werden bei einem zulässigen Einspruch über die Staatsanwaltschaft dem zuständigen Amtsgericht vorgelegt, § 69 Abs. 3 OWiG. Durch diese Vorlage wird die Staatsanwaltschaft gemäß § 69 Abs. 4 OWiG für das Verfahren zuständig. Das bedeutet, die Staatsanwaltschaft soll prüfen, ob das Verfahren in diesem Stadium einzustellen ist, ob weitere Ermittlungen erforderlich sind oder, was der Regelfall ist, die Akten zur Entscheidung über den Einspruch gegen den Bußgeldbescheid kurzfristig an das zuständige Amtsgericht weiterzuleiten sind. Die Pflicht zur Prüfung würde, wenn die Verwaltungsbehörde übersehen hat, dass der hinreichende Verdacht einer Straftat besteht, dazu führen, dass der Staatsanwalt das Bußgeldverfahren in ein Strafverfahren überleitet19 und weitere Ermittlungen in Auftrag gibt, den Beschuldigten vernimmt oder durch die Polizei vernehmen lässt und schließlich Anklage erhebt. Der Bußgeldbescheid wird gegenstandslos, der Einspruch kann jetzt nicht mehr zurückgenommen werden. f) Eilbedürftige Maßnahmen Bei der Feststellung eines akut tierschutzwidrigen Zustands kann der Bürger sich sowohl an die Polizei als auch an das Veterinäramt wenden. Die Polizei ist jederzeit zu erreichen und kurzfristig vor Ort, etwa um die Scheibe an einem abgestellten PKW einzuschlagen und den Hund zu retten. Allerdings werden von der Polizei meist nach Abklärung des Sachverhalts weitere Personen hinzugezogen, etwa ein Tierarzt. Wenn der Bürger z. B. bemerkt, dass Pferde auf einem Hanggelände durch knietiefen Schlamm waten müssen, um in den durchfeuchteten Unterstand zu gelangen, ist sicherlich das Veterinäramt erster Ansprechpartner. Es kann gem. § 16a TierSchG jederzeit die zur Beseitigung festgestellter oder zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen treffen. Dabei darf man nicht den Fehler machen, aus den Worten „kann insbesondere“ in § 16 Abs. 1 S. 2 TierSchG auf ein Ermessen der Behörde bzgl. der Frage des „Ob“ des Eingriffs zu schließen. § 16 Abs. 1 S. 2 TierSchG bedeutet ein Auswahlermessen bei der Frage, welches Verhaltensgebot die Behörde dem Betroffenen auferlegt. Der Imperativ in § 16a Abs. 1 S. 1 TierSchG („trifft“) zeigt aber, dass die Behörde kein so genanntes Entschließungsermessen hat, sondern zum Einschreiten verpflichtet ist.20

19 20

Göhler, § 69 OWiG Rn. 54. VG Berlin, Beschluss v. 19. 02. 2013, 24 L 25.13; so bereits Kemper, S. 21 f. m.w.N.

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4. Inhalt der Anzeige Niemand verlangt, dass derjenige, der eine Anzeige erstattet, also einen Sachverhalt mitteilt, von dem er glaubt, dass das Tier leide oder eine Handlung verboten sei, juristische oder tiermedizinische Kenntnisse hat. Wer altmodisch einen „Betreff“ voranstellt, erleichtert die Erfassung als Verstoß gegen das Tierschutzgesetz. Inhaltlich sollte eine schriftliche Anzeige ähnlich wie die Alarmierung des Rettungsdienstes aufgebaut sein. Es sollte kurz beschrieben werden, ob und wenn ja welche Personen der Straftat verdächtigt werden, wo sich die Tierhaltung bzw. der Tatort befindet und wann die Beobachtung gemacht wurde. Der Hauptteil ist die möglichst genaue Beschreibung der betroffenen Tiere bzw. der erlittenen Verletzungen. Zur Beweissicherung sollten Verletzungen am eigenen Tier unverzüglich durch einen Tierarzt dokumentiert werden. Verletzungen bei anderen Tieren können beschrieben, aber auch durch Lichtbilder dokumentiert werden. Wichtig ist abschließend die Angabe, wer die Beobachtung gemacht hat und wie man den Anzeigenerstatter und mögliche Zeugen erreicht.21 Derart vollständige Angaben ermöglichen es den Behörden, den Vorgang einzuordnen und unverzüglich mit den Ermittlungen zu beginnen, ohne zeitaufwändig nachzufragen.

IV. Zusammenarbeit der Behörden Nachdem ich dargelegt habe, wie es sein sollte, muss ich einräumen, dass gerade bei der Zusammenarbeit in Einzelfällen zahlreiche Probleme auftreten. Zunächst wird in der Verwaltung vielfach, geprägt vom Gedanken der Zusammenarbeit mit dem Bürger, davon ausgegangen, dass der Tierhalter „dies alles“ doch nicht wollte. Unkritisch wird vom Veterinäramt, aber auch von Polizei und Bußgeldstelle deshalb nur eine Ordnungswidrigkeit angenommen. Auch haben viele Veterinärämter die Erfahrung gemacht, dass „die Staatsanwaltschaft“ doch alles einstellt. Um bei den „Hund im Wagen“-Fällen zu bleiben: Dass die Einschätzung, derartige Fälle würden von der Staatsanwaltschaft oft eingestellt, nicht so falsch ist bzw. war, zeigt die Dissertation der Tierärztin Frau Weber-Herrmann aus dem Jahr 1996.22 Bei 20 von ihr ausgewerteten Fällen, von denen zehn tödlich endeten, wurden neun Verfahren eingestellt, und dies trotz des tödlichen Ausgangs in vier dieser neun Fälle. Selbst für drei in der prallen Sonne verendete Schäferhundwelpen wurde eine Geldstrafe von nur 20 Tagessätzen verhängt. Wohl aufgrund derartiger Erfahrungen gehen einige Ämter lieber nur von einer Ordnungswidrigkeit aus, zumal der Tierhalter dann eine vom Veterinäramt als notwendig empfundene Sanktion erfährt, nämlich ein Bußgeld zahlen muss. Nicht aus21 So bereits Hackbarth/Lückert, S. 178 f.; Ort/Reckewell, in: Kluge (Hrsg.), vor § 17 TierSchG Rn. 22. 22 Weber-Herrmann, S. 45, S. 103.

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schließen kann man, dass in Zeiten leerer Kassen auch der Gedanke eine Rolle spielt, dass neben der fehlenden Sanktion der Verwaltung zusätzlich auch noch das Bußgeld entgeht, wenn die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren einstellt, ohne das Verfahren wenigstens zur Verfolgung der Ordnungswidrigkeit in eigener Zuständigkeit gem. § 43 OWiG zeitnah an die Verwaltungsbehörden abzugeben. Unabhängig davon, welche Gründe im Einzelnen vorliegen, stellt eine derartige Vorgehensweise auf beiden Seiten eine Fehlentwicklung dar. Wer als Staatsanwalt allzu leichtfertig Tierschutzdelikte einstellt, muss sich auch vor Augen führen, wie dies vom Veterinäramt aufgenommen wird. Mit oft großem personellem und zeitlichem Aufwand, zusammengefasst in einem mehrseitigen Gutachten, werden Anhaltspunkte für eine Straftat beschrieben. Und statt die Sache jetzt wenigstens gemäß § 43 OWiG abzugeben, wird das Verfahren mit einem Satz endgültig eingestellt. Andererseits muss sich die Behörde über die rechtliche Einordnung und die höhere Wertigkeit einer Straftat gegenüber einer Ordnungswidrigkeit hinaus unter praktischen Gesichtspunkten vor Augen führen, dass im Beispielsfall bei einem Bußgeldbescheid mit üblicherweise ein paar hundert Euro ein Straftäter seiner gerechten Bestrafung entgeht, nämlich einer Verurteilung zu etwa 50 Tagessätzen. Da sich eine Geldstrafe aus Tagessatzanzahl und Tagessatzhöhe zusammensetzt, wären dies mindestens 10 Euro Tagessatzhöhe, wenn der Täter nur Einnahmen vergleichbar einem Arbeitslosen oder Sozialhilfeempfänger hat. Das bedeutet, der als Geldstrafe zu zahlende Betrag wird mindestens bei 500 Euro, häufig im Bereich von über 1.500 Euro liegen. Zudem hat der Täter jetzt einen Eintrag im Bundeszentralregister. Er kann sich zwar bei einem Vorstellungsgespräch als nicht vorbestraft bezeichnen, hat aber eine Voreintragung, die in einer Behördenauskunft, auch nach einem Umzug, zu Recht auftaucht. Für die effektive Verfolgung von Verstößen gegen das TierSchG ist es m. E. unerlässlich, dass der Staatsanwalt Kontakt zu den Stellen aufbaut und hält, die mit diesen Delikten auf Seiten von Polizei und Verwaltung betraut sind. Kontakttreffen selbst, d. h. alleine zu organisieren, ist für den Staatsanwalt als Einzelkämpfer zeitintensiv, aber langfristig betrachtet sinnvoll. Bei den Teilnehmern werden auch überörtliche Veranstaltungen gut angenommen. Im Oktober 2013 fand in Baden-Württemberg eine ganztägige Fortbildungsveranstaltung des Justizministeriums und des Ministeriums für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz unter dem Titel „Die Kooperation der Strafverfolgungs- und Veterinärbehörden beim Tierschutz“ statt. Neben zusätzlichen lokalen Kontakttreffen ist es lohnend, die Bereitschaft zur telefonischen Beantwortung von Fragen anzubieten. Ziel ist es, dass der Polizist vor Ort eine Straftat überhaupt als solche erkennt und aufnimmt (Stichwort „seine Sache“), aber auch seine Kollegen vom Fachdienst sowie das Veterinäramt unverzüglich hinzuzieht. Entsprechend sollte bei diesen Stellen außerhalb der Kernzeiten ein Notdienst eingerichtet sein.

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Schließlich sollten auch die mit tierschutzrechtlichen Vorgängen betrauten Verwaltungsmitarbeiter bei der Bußgeldstelle in die Kommunikation eingebunden werden. Bei der Gelegenheit kann man ihnen auch ans Herz legen, Vorgänge im Zweifelsfall der Staatsanwaltschaft zur Entscheidung vorzulegen und sich nicht davon abschrecken zu lassen, dass es angeblich noch Kollegen geben soll, die derartige Straftaten nicht vorgelegt haben wollen. Im besten Fall kommt es zu einem vernünftigen Miteinander, d. h. zügiger Vorlage geeigneter Fälle, ohne unsachgemäß alles ungeprüft der Staatsanwaltschaft vorzulegen. Ebenso als Sollvorschrift formuliert wie Nr. 255 Abs. 2 Satz 1 RiStBV ist § 15 Abs. 2 TierSchG, wonach die zuständige Behörde für die Durchführung des Tierschutzgesetzes, so z. B. die untere Verwaltungsbehörde, den beamteten Tierarzt als Sachverständigen beteiligen soll. Umfang von Schmerzen und Leiden und deren Auswirkungen auf eine Tierart müssen im Strafverfahren aber nicht zwangsläufig durch einen Sachverständigen ermittelt werden.23 Die Staatsanwaltschaft und erst Recht die Gerichte sind darüber hinaus in ihrer Entscheidung frei, ob und wen sie als Sachverständigen beauftragen.24 Selbst bei einfach gelagerten Fällen ist die Begutachtung durch einen Sachverständigen aber sinnvoll.25 Einerseits sollte man als Jurist in medizinischen Fragen seine eng gesteckten Grenzen kennen, andererseits kann man dann in einer Anklage auf die Ausführungen des Veterinärs als Sachverständigem verweisen. Eigene Ausführungen des Staatsanwalts, etwa zum Stopfmagen, überzeugen dagegen in der Regel nicht. Die Wirkung von sachverständigen Ausführungen sollte nicht unterschätzt werden. Das sachlich vorgetragene Gutachten eines beamteten Veterinärarztes, der auf Frage meist auf eine langjährige Berufserfahrung verweisen kann und oft auf bestimmte Tierarten spezialisiert ist, hat für die Überzeugungsfindung des Gerichts höchsten Wert. Bilder von der Tierhaltung, erst recht ein kurzes Video, beenden erfahrungsgemäß unsinnige Einlassungen in der Hauptverhandlung.

V. Akteneinsicht des Anzeigenerstatters und Klageerzwingungsverfahren Ganz allgemein gilt im Strafprozessrecht, dass einem Anwalt für eine Privatperson oder eine sonstige Stelle Akteneinsicht gem. § 475 Abs. 1, Abs. 4 StPO gewährt werden kann, wenn ein berechtigtes Interesse dargelegt wird. Gemäß § 475 Abs. 1 S. 2 StPO sind Auskünfte zu versagen, wenn der hiervon Betroffene ein schutzwür23 Ort/Reckewell, in: Kluge (Hrsg.), vor § 17 TierSchG Rn. 29; anders Lorz/Metzger, § 17 TierSchG Rn. 30, § 15 TierSchG Rn. 22 und § 1 TierSchG Rn. 29. 24 Missverständlich insoweit OVG Lüneburg, Urteil v. 18. 06. 2013, NuR 2013, 584 (585). 25 Pfohl, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo, § 17 TierSchG Rn. 151.

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diges Interesse an der Versagung hat. Es bedarf also einer sachgerechten Abwägung zwischen den verschiedenen Interessen. Wenn Privatpersonen oder Tierschutzorganisationen Anzeige wegen Verstoßes gegen das Tierschutzgesetz erstatten, steht dem sich für den Anzeigenerstatter legitimierenden Anwalt kein Akteneinsichtsrecht zu.26 Nicht ausreichend ist der Vortrag, man benötige Akteneinsicht, um eine Beschwerde gegen die Einstellungsverfügung begründen zu können.27 Einerseits ist grundsätzlich jedermann befugt, Anzeige zu erstatten, andererseits hängt die strafprozessuale Stellung eines Anzeigenerstatters maßgeblich davon ab, ob er auch Verletzter ist. Ist der Anzeigenerstatter zugleich Verletzter, kann er gegen die Einstellung des Verfahrens gem. § 172 StPO Beschwerde einlegen und gegen einen eventuell ablehnenden Bescheid das Klageerzwingungsverfahren betreiben, wobei für dieses Verfahren das Oberlandesgericht gem. § 172 Abs. 4 StPO zuständig wäre. Verletzter ist, wer durch die behauptete Tat unmittelbar in einem von der Strafrechtsordnung anerkannten Rechtsgut beeinträchtigt ist.28 Auch bei weiter Auslegung reicht es nicht aus, nur allgemein von einer behaupteten Tat wie jeder andere Bürger betroffen zu sein. Vielmehr muss die in Betracht kommende Strafrechtsnorm rechtliche Positionen gerade dieser Person schützen.29 Geschütztes Rechtsgut des Tierschutzes ist u. a. die sittliche Ordnung in den Beziehungen zwischen Mensch und Tier,30 aber auch Leben und Wohlbefinden insbesondere von Wirbeltieren, verstärkt durch die Aufnahme des Tierschutzes als Staatsziel in Art. 20a GG. Tierschutzvereinen und -organisationen kommt in Bezug auf Verstöße gegen das Tierschutzgesetz der Status eines Verletzten nicht zu.31 Alleine aus der selbstgesetzten Satzung eines Vereins kann kein berechtigtes Interesse i.S.d. § 475 StPO abgeleitet werden. Dementsprechend kann das Aussetzen einer Belohnung zur Ergreifung des Täters durch einen Tierschutzverein nicht dazu führen, dass auf diesem Wege ein Akteneinsichtsrecht geschaffen wird, für das es sonst keine Grundlage gäbe. Insofern überwiegt bei der Abwägung der Schutz des Beschuldigten einem gewillkürten Interesse. Nach wohl herrschender Meinung ist auch der Eigentümer des Tieres nicht Verletzter.32 26 Kluge, Schriftliche Stellungnahme zum Gesetzentwurf für das Verbandsklagerecht im Tierschutz, S. 8. 27 LG Stuttgart, Beschluss v. 10. 08. 2007, 5 AR 9/07. 28 Meyer-Goßner/Schmitt, § 172 StPO Rn 9. 29 OLG Karlsruhe, Beschluss v. 10. 11. 2000, NStZ-RR 2001, 112 ff. 30 Hirt/Maisack/Moritz, § 1 TierSchG Rn 3 ff. 31 Moldenhauer, in: Hannich (Hrsg.), KK-StPO, § 172 StPO Rn. 30 unter Verweis auf OLG Hamm, Beschluss v. 18. 12. 1969 – 3 Ws 596/69, MDR 1970, 946. 32 OLG Stuttgart, Beschluss v. 01. 03. 2010 – 2Ws 176/09; Meyer-Goßner/Schmitt, § 172 StPO Rn. 12; ebenso Pfohl, in: Joecks/Miebach (Hrsg.), MüKo, § 17 TierSchG Rn. 149 u. Rn. 170, der ergänzend darauf hinweist, dass § 303 StGB „als Privatklagedelikt einem Klageerzwingungsverfahren ebenfalls nicht zugänglich ist“; anders wohl Moldenhauer, in: Hannich (Hrsg.), KK-StPO, § 172 StPO Rn. 30.

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Bei Versagung der Akteneinsicht wäre es möglich, gegen den entscheidenden Staatsanwalt eine Dienstaufsichtsbeschwerde zu erheben. Dieser Dienstaufsichtsbeschwerde würde durch den Dienstvorgesetzten entsprochen, wenn die Sachbehandlung des Staatsanwalts zu beanstanden wäre. Schließlich könnte der Antragsteller gem. § 478 Abs. 3 StPO einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach Maßgabe des § 161 Abs. 3 StPO stellen. Ohne eine grundlegend neue Definition der Begriffe „berechtigtes Interesse“ und „Verletzter“ erscheint dieser Weg aber nicht erfolgversprechend.

VI. Schlussfolgerungen für die Praxis Tatsächliche und angebliche Verstöße gegen das Tierschutzgesetz werden von der Bevölkerung zunehmend wahrgenommen. Die überregionale Presse berichtet über das Schreddern von Eintagsküken oder die Bedingungen der Schweinemast ebenso wie die Lokalzeitung über das Strafverfahren vor dem Amtsgericht. Dass man solche Urteile des Amtsgerichts kaum in den juristischen Datenbanken wie etwa Juris oder in Fachzeitschriften wie „Natur und Recht“ findet, liegt daran, dass Tierschutzfälle rechtlich oft einfach gelagert sind und die Karawane weiterzieht. Da einige juristische Kommentare nur veröffentlichte Gerichtsentscheidungen zitieren, finden sich unveröffentlichte Urteile und Beschlüsse nur selten in der Literatur.33 Die hohe Öffentlichkeitswirkung von Verfahren, in denen dem Beschuldigten ein Verstoß gegen das Tierschutzgesetz vorgeworfen wird, zeigt sich auch darin, dass Täter die öffentliche Hauptverhandlung scheuen und Strafbefehlsanträge meist annehmen. Insofern ist zum Schutz des Angeschuldigten auch eine gewisse Zurückhaltung bei der Bemessung der Strafe angebracht, damit derjenige, der einen Strafbefehlsantrag ohne Hauptverhandlung akzeptiert, sog. Geständnisfiktion, sich nicht schlechter stellt als derjenige, der in der Hauptverhandlung die Tat einräumt und wegen des Geständnisses nun eine mildere Strafe erhält. Die frühzeitige Einbindung des Amtstierarztes erleichtert die Akzeptanz von Entscheidungen. So bereitet z. B. die Verfolgung von Tätern und Gehilfen in Fällen des Schächtens keine Probleme, wenn sich die Entscheidung nicht nur auf die Aussage engagierter Laien stützt, sondern sachkundige Amtstierärzte an den wenigen Festtagen auffällige Betriebe vermehrt kontrollieren und so die Handelnden vielleicht sogar noch auf frischer Tat antreffen. Abschließend vielleicht noch die Bitte, das Recht, eine andere Meinung zu haben, den beamteten Tierärzten, aber auch Staatsanwälten und Richtern zuzubilligen. Es gibt für Tierärzte keinen, an objektiven Kriterien festzumachenden fixen Punkt, ab dem Leiden erheblich sind. Ebenso sind Juristen unterschiedlicher Auffassung darüber, wie man Begriffe wie etwa den des vernünftigen Grundes auslegt. So sahen aktuell der sachbearbeitende Staatsanwalt und seine Vorgesetzten keinen ver33

Anders z. B. Hirt/Maisack/Moritz, Tierschutzgesetz.

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Ralph Schönfelder

nünftigen Grund zur Tötung von Eintagsküken und hatten Anklage erhoben, während das Amtsgericht sowie das Landgericht Münster anderer Meinung waren und deshalb die Eröffnung des Hauptverfahrens abgelehnt haben.34 Literatur Brehm, Alfred Edmund/Rietschel, Peter: Das Tierreich nach Brehm, Berchtesgaden 1955. Erbs, Georg/Kohlhaas, Max (Hrsg.): Strafrechtliche Nebengesetze, 207. Aufl., 207. Erg.-Lieferung, München 2016. Göhler, Erich (Hrsg.): Ordnungswidrigkeitengesetz, 16. Aufl., München 2012. Hackbarth, Hansjoachim/Lückert, Annekatrin: Tierschutzgesetz, 2. Aufl., München/Berlin 2002. Hagen, Rose-Marie/Hagen, Rainer: Meisterwerke im Detail, Band 2, Köln 1995. Hannich, Rolf (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zur Strafprozessordnung, 7. Aufl., München 2013. Iburg, Ulrich: Mängel des geltenden Tierschutzstrafrechts aus der Sicht der Staatsanwaltschaft, NuR 2010, S. 395 ff. Joecks, Wolfgang/Miebach, Klaus (Hrsg.): Münchener Kommentar zum Strafgesetzbuch, Band 6, 2. Aufl., München 2013. Kemper, Rolf: Die Garantenstellung der Amtstierärztinnen und Amtstierärzte im Tierschutz, Rechtsgutachten im Auftrag des Hessischen Ministeriums für Umwelt, ländlichen Raum und Verbraucherschutz, Berlin 2006. Kloepfer, Michael/Heger, Martin: Umweltstrafrecht, 3. Aufl., Berlin 2014. Kluge, Hans-Georg (Hrsg.): Tierschutzgesetz, Stuttgart 2002. – Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz, Umwelt, Naturschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz u. a. des nordrhein-westfälischen Landtages am 30. 11. 2011 zum Entwurf der Landesregierung zu einem Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine, Berlin 2011. Lorz, Albert/Metzger, Ernst: Tierschutzgesetz, Kommentar, 6. Aufl., München 2008. Maisack, Christoph: Stellungnahme der Deutschen Juristischen Gesellschaft für Tierschutzrecht e.V. (DJGT) zu dem Entwurf eines Gesetzes über das Verbandsklagerecht und die Mitwirkungsrechte von Tierschutzvereinen in Sachsen-Anhalt, Berlin/Stuttgart 2014. Maisack, Christoph/Hirt, Almuth/Moritz, Johanna: Tierschutzgesetz, Kommentar, 3. Aufl., München 2016. Meyer-Goßner, Lutz/Schmitt, Bertram: Strafprozessordnung, Kommentar, 59. Aufl., München 2016. Müller-Gugenberger, Christian (Hrsg.): Wirtschaftsstrafrecht, 6. Aufl., Stuttgart 2015. 34

LG Münster, Beschluss v. 07. 03. 2016, 2 Kls 540 Js 290/15 – 7/15, NuR 2016, 292 ff.

Ermittlungsverfahren in Tierschutzstrafsachen

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Ort, Jost-Dietrich: Zur Tötung unerwünschter neonater und juveniler Tiere, NuR 2010, S. 853 – 861. Schmidt-Hoffmann, Heinrich: Unser Tierarzt, Berlin 1899. Senge, Lothar (Hrsg.): Karlsruher Kommentar zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten, 4. Aufl., München 2014. Stolting, Hermann/Zoebe, Gerhard: Das Tier im Recht, Handbuch für alle Tierschutzfragen, Frankfurt a.M./Wien 1962. Weber-Herrmann, Michaela: Zur Hitzebelastung von Hunden in parkenden Personenkraftwagen mit Fallbeispielen für daraus resultierende juristische Konsequenzen für den Verursacher, München 1996.

Dem Klagen der Tiere eine Stimme geben Von Felix Herzog Es ist eine Übung zur Erweiterung der moralischen Vorstellungskraft, wenn man Tiere nicht bloß als verletzliche und leidende Individuen sieht, sondern auch als Nachbarn, Freunde, Mitbürger und Angehörige unserer wie ihrer Gemeinschaften. Sue Donaldson & Will Kymlicka, Zoopolis (2013)

I. Aus dem Leben und Sterben der Tiere Fritz Fritz ist vor ein paar Minuten ausgeschlüpft. Mit tausenden von anderen Eintagsküken ist Fritz auf einem Laufband. Eine Mitarbeiterin der Kükenbrüterei setzt Fritz nach der Feststellung des männlichen Geschlechts auf ein Band in den Tod. Nach wenigen Momenten fällt er am Bandende in einen Shredder und wird in tausend Stücke zerrissen. Sehr sensible Beobachter dieser Szene meinen, einen Entsetzensschrei von Fritz gehört zu haben – kurz bevor er vom Band kippt. Andere würden sagen, dass Fritz überhaupt kein Bewusstsein darüber hat, was ihm da geschieht. Das OVG Münster kann nicht erkennen, dass hier irgendetwas nicht stimmt. Es erklärt zu dieser Tötungsmaschinerie: „Das Tierschutzgesetz erlaubt das Töten von Tieren, wenn dafür ein vernünftiger Grund im Sinne des Gesetzes vorliege. Für die Tötung männlicher Küken besteht ein solcher Grund. Zur Feststellung eines vernünftigen Grundes ist eine Abwägung der betroffenen Belange vorzunehmen. Dabei sind ethische Gesichtspunkte des Tierschutzes und menschliche Nutzungsinteressen zu berücksichtigen, ohne dass einem der Belange ein strikter Vorrang zukommt […] Die Aufzucht der ausgebrüteten männlichen Küken aus einer Legehennenrasse ist für die Brütereien mit einem unverhältnismäßigen Aufwand verbunden. Würden diese Küken aufgezogen, wären sie von den Brütereien praktisch nicht zu vermarkten.“

Und weiter: „Die Tötung der Küken ist Teil der Verfahren zur Versorgung der Bevölkerung mit Eiern und Fleisch. Die wirtschaftliche Gestaltung dieser Verfahren ist für die Brütereien als Erzeuger der Küken unvermeidbar.“1 1

OVG Münster vom 20. 05. 2016, Az.: 20 A 488/15, A 530/15.

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Felix Herzog

Offenbar gab es einen beherzten Staatsanwalt bei der StA Münster, der diesen Vorgang als Tötung von Tieren ohne vernünftigen Grund (§ 17 TierSchG) angeklagt hat. Ihm hat das Landgericht Münster in einem Nichteröffnungsbeschluss vom 7. März 20162 eine tüchtige Lektion darüber erteilt, wie die Interessen der Geflügelindustrie in einer verfassungskonformen güterabwägenden Auslegung des Tatbestands Berücksichtigung finden müssen. Das Urteil ist symptomatisch für eine verbreitete Geringschätzung des Lebens der Tiere unter dem Diktat ökonomischer Interessen und noch deutlicher darin als das Urteil des OVG Münster. Es heißt dort: „Sinn und Zweck des Tierschutzgesetzes ist es, einer an ökonomischen Gesichtspunkten ausgerichteten Tiernutzung Grenzen zu setzen. Das Interesse von Tiernutzern und das der Integrität des Tieres sind gegeneinander zu stellen. Das Tierschutzgesetz strebt nicht an, Tieren jegliche Beeinträchtigung ihres Wohlbefindens zu ersparen, sondern wird beherrscht von der dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechenden Forderung, Tieren nicht ohne vernünftigen Grund vermeidbare, das unerlässliche Maß übersteigende Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen. Als allgemeine Vernunftgründe sind u. a. alle erdenklichen ökonomischen Ziele, die Nutzung des Tieres zu Nahrungszwecken des Menschen oder zur Verwendung als Futtermittel anerkannt.“

Das Gericht teilt dann weiter mit, dass die Kükentötung in der beschriebenen Weise mittlerweile einhellig im Schrifttum und den Kommentierungen zu § 17 TierSchG als ein Fall der Tötung ohne vernünftigen Grund angesehen wird, weil „einzig ersichtlicher Grund für die Tötung der Eintagsküken wirtschaftliche Erwägungen“ seien. Das Gericht bezeichnet dieses Argument als „für sich überzeugend“, aber strafrechtlich zu kurz greifend. Und zieht dann die strafverfassungsrechtliche Trumpfkarte: „Die Strafjustiz ist aufgrund der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 103 Absatz 2 GG gehindert, ohne ergänzende Willensbekundung des Strafgesetzgebers nunmehr die Norm des § 17 TierSchG auf Fälle der Tötung von männlichen Eintagsküken anzuwenden und dies unbeschadet der Frage, ob der angeklagte Sachverhalt unter den Wortlaut des § 17 TierSchG gefasst werden kann oder nicht. Denn der Gewährleistungsinhalt des Art. 103 Absatz 2 GG umfasst neben der Bestimmtheit des Wortlauts einer Strafnorm auch das Erfordernis der Vorhersehbarkeit der Bestrafung für den Angeschuldigten.“

Nach wortreichen Ausführungen zum Wesen des Rückwirkungsverbotes und zur jahrzehntelangen Duldung solcher Tötungspraktiken wird (mit einer kaum versteckten Ohrfeige für Tierschutzaktivisten) zusammengefasst: „Die Kammer gewinnt die Überzeugung, dass angetrieben durch geänderte Wertvorstellungen der Gesellschaft, die schließlich auch zur Aufnahme der Belange der Tiere in Verfassungsrang geführt haben, ein vormals unbeanstandet gebliebener Sachverhalt nunmehr wegen eines geänderten Bewusstseins unter die Strafnorm subsumiert werden soll, um das gesellschaftlich gewünschte Ergebnis zu erzielen, dass die als verwerflich empfundene Tätigkeit nunmehr unterbleibt. Folgte man dem, würde das bedeuten, dass bloß durch eine Änderung gesellschaftlicher Vorstellungen Sachverhalte der Strafbarkeit unterfallen, die 2

LG Münster, Beschluss vom 7. März 2016, Az. 2 Kls 540 Js 290/15 – 7/15.

Dem Klagen der Tiere eine Stimme geben

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zuvor nicht als strafbar angesehen worden sind, und zwar, ohne dass der Strafgesetzgeber insoweit tätig geworden ist.“

Die Frage ist indes, ob es eine Kontinuitätsgewähr der Nicht-Anwendung von Strafnormen geben kann, die mit offenen, wertausfüllungsbedürftigen Tatbestandsmerkmalen – wie dies für das Merkmal „ohne vernünftigen Grund“ der Fall ist – arbeiten. Es ist von der Logik der Rechtsanwendung klar und auch unbestritten, dass die Rechtsprechung sich in solchen Konstellationen an dem gesellschaftlichen Werte- und Bewertungswandel orientieren kann und muss. In einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts aus dem 2011 sind hierzu zwei maßgebliche Leitgedanken zu finden.3 Änderungen der Bewertung eines Sachverhalts durch die Justiz sind danach unter Vertrauensschutzgesichtspunkten unbedenklich, wenn sie hinreichend begründet sind und sich im Rahmen einer vorhersehbaren Entwicklung halten. Und: Die Änderung der Rechtsprechung zu einem Straftatbestand begründe jedenfalls dann keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 2 GG, wenn nicht im Vorfeld der Änderung durch ein Mindestmaß an Kontinuität in der Rechtsprechung ein Vertrauenstatbestand begründet werden konnte. Im Hinblick auf die allein ökonomisch motivierte Tötung von Küken kann ein Vertrauenstatbestand bereits mangels irgendeiner gefestigten Rechtsprechung nicht vorliegen. Jedoch war schon seit vielen Jahren den Kommentierungen zu entnehmen, dass die Kükentötung aus rein ökonomischen Gründen als ein exemplarischer Fall der „Tötung ohne vernünftigen Grund“ anzusehen ist. Das entspricht der (auch politisch artikulierten) Auffassung von breiten Kreisen der Bevölkerung. Der Gesetzeswille, massenweise brutal am Profit orientierte Tiertötungen strafrechtlich zu ächten, bestand schon immer, nur konnte sich die Shredderung von Eintagsküken als ein denkbarer Fall noch nicht in den Materialien des historischen Gesetzgebers finden, und es bedurfte einer normativen gesellschaftlichen Verständigung darüber, dass eine solche vom bloßen ökonomischen Kalkül geprägte Vorgehensweise keinen „vernünftigen Grund“ für sich beanspruchen kann. Wilma Wilma hat die Selektion überlebt, weil dies „der wirtschaftlichen Gestaltung des Verfahrens“ entspricht. Sie eignet sich für die Hühnermast. Sie soll nun so schnell wie möglich das optimale Schlachtgewicht erreichen. Weil das Käuferpublikum besonders das Brustfilet schätzt, sind Wilmas Vorfahren so ausgewählt worden, dass sich der Brustmuskel besonders kräftig entwickelt. Auf die Statik des Bewegungsapparates ist dabei keine Rücksicht genommen worden. Wilma schleppt sich durch den Stall und kippt immer wieder um. Manche sensiblen Beobachter solcher Szenen packen ihre Beobachtungen in die Worte, man würde im ganzen Stall das Seufzen der Hühner hören.

3

BVerfG 2 BvR 1230/10 – 16. Mai 2011 (BGH/LG Potsdam).

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Felix Herzog

Einen bekannten deutschen Staatsrechtslehrer hat eine solche Empathie für das Leben der Hühner einmal zu folgender spöttischer Bemerkung veranlasst: „Den Raumbedarf für das Ruhen nach Länge mal Breite der Hennen zu bestimmen, entspricht eher bürgerlichen Ruhevorstellungen. Was Hennen davon halten, weiß man nicht genau. Dem Vernehmen nach unterscheiden sich die Schlafgewohnheiten des Federviehs beträchtlich von denen des Menschen.“

Und weiter: „[…] mit der Entdeckung des Individuums in der Reformation trennte sich Mensch und Tier […] Die Säkularisierung von Politik und Recht machte den einzelnen schließlich zum Rechtssubjekt, auf das hin die gesamte Rechtsordnung fokussiert ist. Die Religion wurde zur Privatsache, und die Gesellschaft verwandelte sich von einer göttlichen Schöpfungsordnung in einen Inbegriff von Kommunikationen, deren wichtigstes Thema der Problemlösungsvergleich ist. Dabei können Tiere nicht mitreden. Sie sind nicht Personen, sondern Sachen.“4

Mit dem notorischen Argument, dass Tiere nicht mitreden können und deswegen ihre Klagen nicht angehört werden müssen, werden wir uns gleich näher beschäftigen. Max Max sitzt in einem so genannten Primatenstuhl vor einem Bildschirm und drückt beim Erscheinen bestimmter Zeichen eine Taste. Das ist kein Spiel für Max. Seine Mitwirkung wird dadurch erreicht, dass er beim Drücken der Taste jeweils eine Belohnung in Form von Wasser erhält. Während der Versuchswoche erhält Max überhaupt nur dann Wasser, wenn er bei dem Versuch mitwirkt. Im Primatenstuhl ist der Kopf von Max fixiert; seine Gehirnaktivität wird durch in das Gehirn eingeführte Elektroden gemessen. Um den Kopf fixieren zu können, wird auf den Schädel von Max operativ eine Haltungsvorrichtung angebracht. Außerdem werden operativ Öffnungen für das Einführen der Elektroden angelegt. Findet man diese Lage von Max grauenvoll und beklagenswert, dann bekommt man schnell zu hören, dass Max im Dienste der Wissenschaft tätig ist und im Übrigen gut versorgt wird. Die Experimente dienten dem wichtigen Ziel, das Wissen über grundlegende Mechanismen der Wahrnehmung, der selektiven Aufmerksamkeit und des Arbeitsgedächtnisses zu vertiefen. Dies würde der Humanmedizin ganz neue Perspektiven eröffnen. Die Belastung der Affen dabei sei allenfalls mäßig/mittel. Einem bedeutenden amerikanischen Primatenforscher, der zu bedenken gibt, „Wenn ein Eingriff beim Menschen Schmerzen oder Leid verursacht, wird man zunächst einmal davon ausgehen können, dass dieser Eingriff auch bei betroffenen Tie4 Roellecke, Die artgemäßen Bedürfnisse der Legehennen und der Menschen, NJW 1999, 3245 f.

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ren zu Schmerzen oder Leid führt“, wird ein „unkritischer Anthropomorphismus“ vorgeworfen.5 Im ersten Teil meiner Ausführungen habe ich bewusst „den Dingen einen Namen gegeben“. Wenn wir von Fritz, Wilma und Max sprechen, dann verlassen wir die Ebene der Beschreibung eines moralisch indifferenten Vorgangs von Tiertötung und Tierquälerei, es geht nicht um irgendein Küken oder irgendeinen Makaken, sondern wir fragen nach der Befindlichkeit von Lebewesen, denen es gerade so ergeht. Wir eröffnen eine Ebene, die auch dem zentralen rechtlichen Begriff in § 1 Satz 1 des Tierschutzgesetzes gerecht wird: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen.“ Mitgeschöpflichkeit eröffnet eine Dimension von Beziehung. Wesen, zu denen wir eine Beziehung haben, geben wir einen Namen und sprechen nicht von „dem Ding da“. Kulturtheoretisch verweist diese Herangehensweise auf eine der fundamentalen Bedingungen für Anerkennung – auf die Bereitschaft, die Perspektive des anderen Wesens als Subjekt eines Lebens einzunehmen. Und wir eröffnen die Ebene der Empathie, indem wir dem Leid einen Namen geben.

II. Die Hybris der Aufklärung gegenüber den Tieren Es gibt eine lange und wirkungsmächtige Erbschaft der dunklen Seite der Aufklärung, was unser Verhältnis zu Tieren anbelangt. Um die Macht und Suprematie des vernunftbegabten Wesens „Mensch“ herauszustellen, wurden die Tiere herabgesetzt und aus dem Kreis derjenigen Wesen, denen man mit Verstehen und Anerkennung gegenübertreten sollte, ausgeschlossen.6 Descartes hat das auf die Spitze getrieben, indem er den Tieren überhaupt eine wesenshafte Existenz abgesprochen hat. In Tieren sah er nur gefühllose Automaten. Seine Argumentation stützte Descartes im Kern auf die fehlende Sprachfähigkeit: „Dadurch lässt sich auch der Unterschied zwischen den Menschen und Tieren erkennen. Denn es ist sehr bemerkenswert, dass es keine so stumpfsinnigen und dummen Menschen gibt, sogar die sinnlosen nicht ausgenommen, die nicht fähig wären, verschiedene Worte zusammenzuordnen und daraus eine Rede zu bilden, wodurch sie ihre Gedanken verständlich machen; wogegen es kein anderes noch so vollkommenes und noch so glücklich ver-

5

Näheres kann man im sog. Makaken-Urteil des OVG Bremen Az. 1 A 180/10; 1 A 367/10 aus dem Jahre 2012 nachlesen. 6 Eindringlich hat dies Jacques Derrida in seinen postum veröffentlichten Vorträgen „Das Tier, das ich also bin“, Wien 2010, dargelegt.

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Felix Herzog anlagtes Tier gibt, das etwas Ähnliches tut […] Dies beweist nicht bloß, dass die Tiere weniger Vernunft als die Menschen, sondern dass sie gar keine haben.“7

Und Hegel ergänzt – man glaubt es kaum –, der wesensmäßige Unterschied zwischen Menschen als Vernunftswesen und den moralisch irrelevanten Tieren liege vor allem auch darin begründet, „dass nur der Mensch der Religion fähig ist, das Tier aber keine Religion hat, so wenig als ihm Recht und Moralität zukommt“.8 Kritisch-erkenntnistheoretisch wäre es korrekt, zu sagen, dass wir über keine gesicherten Erkenntnisse über die Sprachen der Tiere verfügen. Was die Tiere denken, ist uns nicht bekannt, weil sie es nicht in einer uns zugänglichen Sprache artikulieren. Eine fehlende Sprachfähigkeit und damit Denkfähigkeit lässt sich aus der Dissonanz zwischen den Sprachen der Tiere und unserer Sprache nicht begründen. Dass wir generell – auch im Hinblick auf andere menschliche Wesen – nicht gesichert sagen können, was Wesen denken und fühlen, wenn man ihnen zum Beispiel Schmerz zufügt oder Zuneigung entgegenbringt, ist ein allgemeines Problem der Erkennbarkeit des Fremdpsychischen.9 Gleichwohl legen neuere linguistische Forschungen nahe, dass nach der so genannten (von der Evolutionstheorie inspirierten) Kontinuitätshypothese kein kategorialer Unterschied zwischen der Kommunikation von Tieren und menschlicher Sprache existiert.10 Dies lässt insbesondere auf Forschungen mit Menschenaffen stützen, die mit der menschlichen Gebärdensprache vertraut gemacht werden können und in der Lage sind, damit komplex selbst über Metathemen wie den Tod zu kommunizieren.11 Jeder, der in einer näheren Beziehung zu Tieren steht – dies gilt besonders für Menschen mit ihren Gefährtentieren –, kann zahlreiche in ihrer Evidenz kaum bestreitbare Begebenheiten berichten, dass Tiere zu einem differenzierten Gefühlsleben und einer Expression in der Lage sind, die einen unmittelbar sinnlich berührt. Das betrifft insbesondere auch solche Gefühlslagen, die für den Tierschutz bedeutsam sind – wie Angst, Verzweiflung, Bedrängnis und schwindende Lebensfreunde. Das war schon Charles Darwin bekannt. Nach der These von Darwin in seiner Studie The expression of the emotions in man and animals können wir die Expressionen von Tieren deswegen problemlos deuten, weil wir in evolutionärer Verwandtschaft zu ihnen stehen.12 7

Descartes, Bericht über die Methode, die Vernunft richtig zu führen und die Wahrheit in den Wissenschaften zu erforschen, Stuttgart 2001, Kapitel V; Hervorhebung durch den Autor. 8 Hegel, Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften im Grundrisse, 1817, Einleitung, § 1. 9 Donaldson/Kymlicka, Zoopolis, Berlin 2013, S. 70; grundsätzlich dazu der epochale Essay von Nagel, What Is It Like to Be a Bat?, Stuttgart 2016, passim. 10 Hermes, Über Sprache und Tierkommunikation, in: TEXperimenTales, 19/02/2013. 11 Vgl. dazu die Homepage der Gorilla Foundation über das Gorillaweibchen Koko, abrufbar unter http://www.koko.org. 12 Die (illustrierte) Originalstudie ist abrufbar unter http://www.gutenberg.org/files/1227/ 1227-h/1227-h.htm; vgl. auch Masson/McCarthy, Wenn Tiere weinen, Reinbek 1995.

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Wenn wir Tiere sehen, die in unserer Wahrnehmung leiden, dann sollten wir auf die moralische Frage, was uns das angeht und welchen moralischen Status das davon betroffene Wesen hat, nicht mit der Gegenfrage antworten, kann das da sprechen, sondern zunächst an der offenkundigen Expression des Leids anknüpfen. Das ist der fundamentalste Ansatz der Tierethik, den Jeremy Bentham in seinen Principles of Morals and Legislation schon 1789 vorgeschlagen hat. Zum moralischen Status der Tiere schreibt er: „The question is not, Can they reason? nor Can they talk? but, Can they suffer?“13

Damit nähern wir uns einen weiteren Schritt dem Titel dieses Aufsatzes an.

III. Rechtliches Gehör für die Klagen der Tiere Wer leidet, klagt über seine Lage. Auch wer in einer unzugänglichen Sprache spricht, kann in der emotionalen Expression seiner Laute und seines Verhaltens gut verstanden werden. Wer anhaltend jammert, dem geht es offensichtlich andauernd schlecht. Wer in Lethargie verfällt, der ist von seinen Lebensumständen erschöpft. Wer beginnt, seinen Kopf gegen die Wand seines Gefängnisses zu schlagen, befindet sich offensichtlich in einer verzweifelten Lage. Aber wie findet ein Tier nun rechtliches Gehör mit seiner Klage? Die Emanzipationsgeschichte der beladenen, geknechteten und entrechteten Menschen lässt sich – zugegebenermaßen grob – in zwei Schritten beschreiben: – Give them a voice – Anerkennung, dass Menschen eine Stimme haben und angehört werden müssen. – Give them rights – Anerkennung, dass Menschen sich auf unveräußerliche Rechte berufen können. Davon sind die Tiere weit entfernt. Die Emanzipationsgeschichte der Tiere hat aber durch den Wertewandel der letzten Jahrzehnte einen Schritt auf die erste Stufe gemacht. Wir nähern uns jedenfalls der moralischen Position an, dass es da etwas von den Tieren zu hören gibt, auf das Menschen hören sollten. Niemand wird heute mehr sagen können, dass man mit Tieren völlig achtlos ohne jede Rücksicht umgehen kann. Eine offene Frage bleibt freilich, ob man auf ihre Klagen hören muss.

13

Bentham, The Principles of Morals and Legislation (1789), ch. XVII.

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Ein wichtiger Etappensieg ist insofern die Aufnahme des Tierschutzes in Art. 20a GG. Um in der Metapher zu bleiben: Art. 20a GG formuliert als Staatsziel, dass den Tieren Gehör verschafft werden muss.14 Ähnlich lässt sich Art. 13 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union interpretieren: „Bei der Festlegung und Durchführung der Politik der Union in den Bereichen Landwirtschaft, Fischerei, Verkehr, Binnenmarkt, Forschung, technologische Entwicklung und Raumfahrt tragen die Union und die Mitgliedstaaten den Erfordernissen des Wohlergehens der Tiere als fühlende Wesen in vollem Umfang Rechnung.“

Wenn von dem „Wohlergehen der Tiere als fühlende Wesen“ die Rede ist, dann kann das nur so verstanden werden, dass Tiere emotional über ihr Wohlergehen kommunizieren können und dass darauf gehört werden soll. Jedenfalls wird niemand in verantwortlicher Position heute mehr sagen können, ihm sei das Leiden der Tiere egal und man könne ihre Klagen einfach vergessen. Aber das ist noch ein paternalistischer Ansatz und nicht notwendig mit der Anerkennung von Tierrechten verbunden. Sich um das Wohlergehen der Tiere zu kümmern ist tugendhaft, aber etwas anderes als Abwehrrechte der Tiere gegen Leidzufügung anzuerkennen. Ein Anerkennung des Status der Tiere als Subjekte eines Lebens oder – wie Carolin Raspé sagen würde15 – als „tierliche Personen“ ist im Emanzipationsprozess der Tiere noch lange nicht erreicht. Es lassen sich folgende Etappen beschreiben: 1. Wir sollen Tiere rücksichtsvoll behandeln. 2. Wir sollen es um der Tiere selbst willen tun. 3. Wir schulden den Tieren ein respektvolles Verhalten. 4. Weil es ihr Recht ist, respektvoll behandelt zu werden. 5. Dieses Recht kann in ihrem Namen von Menschen eingefordert werden.

IV. Tiere als Kläger … Groß war die Häme in der Öffentlichkeit, als im September 1988 Anwälte beim Verwaltungsgericht Hamburg eine Klage einreichten: „Antrag […] der Seehunde in der Nordsee – Antragsteller –, vertreten durch […], gegen die Bundesrepublik Deutschland – Antragsgegnerin –, vertreten durch […], wegen: Einbrin-

14 15

Vgl. Caspar/Schröter, Das Staatsziel Tierschutz in Art. 20a GG, Bonn 2003, S. 17 ff. Raspé, Die tierliche Person, Berlin 2013 (Schriften zur Rechtstheorie, Heft 263), passim.

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gung von Abfallstoffen in die Hohe See, Verbrennung von Abfallstoffen auf der Hohen See […]“.

Bevor das Gericht den Klägern oberlehrerhaft erklärte, dass ein solches Antragsrecht in unserer Rechtsordnung für Robben nicht vorgesehen ist, konnte es sich nicht eine Prise typischen Juristenhumor verkneifen: „Die Anträge der Ast. zu l sind gleichfalls unzulässig. Das ist schon deshalb anzunehmen, weil unbestimmt und auch nicht bestimmbar ist, welche species (Phocá vitulina, Ph. hispida, auch Halichoerus cristata u. weitere?) in welcher Anzahl und näherer örtlicher Verbreitung das Antragsrecht als vermeintliches Rechtssubjekt wahrnimmt“.16

Eher kopfschüttelnde Reaktionen (was in Amerika so alles möglich ist …) hat die Nachricht von folgenden Verfahren 2014 ausgelöst: „Drei Gerichte im US-Bundesstaat New York haben Klagen der Organisation Nonhuman Rights Project (NhRP) abgewiesen, mit denen sie die Freilassung von vier Schimpansen auf dieser Grundlage erreichen wollte. Die Tierschutzgruppe hatte sich in ihren Klagen auf das Habeas-Corpus-Prinzip berufen, das jedem das Recht auf eine richterliche Haftprüfung zugesteht. Demnach ist eine Inhaftierung ohne Gerichtsurteil – bis auf Ausnahmefälle – verboten“.17

Widerrechtlich inhaftierte Schimpansen – ist das abwegig? Überspannt? Stoff für eine Karikatur, aber nicht für eine ernstzunehmende rechtstheoretische Überlegung? Die rechtstheoretische Diskussion in Deutschland liegt um Jahrzehnte hinter der angloamerikanischen Entwicklung zurück. Animal Rights zählt an allen bedeutenden amerikanischen Law Schools zu den wichtigen Fächern, man kann entsprechende Masterprogramme wählen und regelmäßig finden Kongresse statt. In der rechtstheoretischen Diskussion werden fast alle maßgeblichen rechts- und sozialphilosophischen Ansätze unserer Zeit in die Dimension der Animal Rights weitergedacht.

V. … weil sie sich auf unveräußerliche Rechte berufen können Ich möchte einige der Positionen skizzieren, um zu zeigen, warum Klagen auf die Befreiung von Affen oder gegen die massenhafte Tötung von Eintagsküken keine abwegigen Projekte von Tierrechtsaktivisten, sondern konsequente Schritte auf dem Weg zur Emanzipation der Tiere sind. Ein von Tom Regan vertretene Position greift für die Begründung von Tierrechten auf die heuristische Frage zurück, ob Tiere „Subjekte eines Lebens“ (experiencing

16

VG Hamburg, Beschl. v. 22. 9. 1988 – 7 VG 2499/88. Bericht der Süddeutschen Zeitung vom 11. Dezember 2013, abrufbar unter: http://www. sueddeutsche.de/wissen/gerichtsurteile-in-den-usa-wir-erkennen-schimpansen-nicht-als-perso nen-an-1.1840866. 17

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subjects of a life) sein können. Dafür müssten sie einige Bedingungen erfüllen.18 In Anwendung auf Vögel wären zum Beispiel folgende Gesichtspunkte zu prüfen:19 Sind Vögel in der Welt? Sind Vögel der Welt gewahr? Merken sie, was mit ihnen geschieht? Ist das, was mit ihnen geschieht, für sie von Bedeutung, unabhängig davon, ob es sonst jemanden interessiert? Gary Steiner hat den Kern dieser Kriterien herausgearbeitet: „Ein Wesen, das sein Leben von innen erfährt und dem das Leben besser oder schlechter vorkommen kann, ist kein Ding, sondern ein Selbst.“20

Nach diesen Maßstäben sind Vögel Subjekte eines Lebens genau wie wir. Wir teilen unser Leben mit ihrem Leben21, wir können ihnen begegnen und wir haben sie dabei mit Respekt zu behandeln. Barbara Smuts hat das einmal mit einem schönen Bild so ausgedrückt, dass bei der emotionalen Begegnung mit Tieren zu spüren ist, „dass im Inneren des anderen Körpers jemand ,daheim‘ ist“.22 Tiere können mit Recht verlangen, dass man sie in diesem „Daheim“ in Frieden lässt und nicht das Leben, in das sie sich gerade einrichten, zerschreddert. Das soll noch einmal kurz im Hinblick auf die Situation von Fritz durchdacht werden. Phänomenologisch ist es völlig gleichgültig, ob Küken ein Bewusstsein23 davon haben, jetzt ins Leben auf eigenen Beinen zu treten. Wir brauchen auch nicht die Erklärungsdimension eines Willens zum Leben. Es geht darum, was der Fall ist – Fritz ist am Leben. Das Leben beginnt für Küken wie Fritz nicht mit der Perspektive, dass es sogleich wieder im Shredder enden wird. Wir brauchen dafür gar nicht anthropomorphistisch bestimmte Erwartungen von Fritz an das Leben zu unterstellen, sondern Fritz hat faktisch eine natürliche Lebenserwartung von ca. 20 Jahren. Wenn Fritz jetzt auf das Selektionsband zum Shredder gesetzt wird, dann ist das für sein Leben von fundamentaler Bedeutung. Es wird nämlich kurze Zeit nach seiner Geburt gleich wieder vorbei sein. 18 Regan, Wie man Rechte für Tiere begründet, in: Wolf (Hrsg.), Texte zur Tierethik, Stuttgart 2008, S. 33 ff. 19 Unter Anwendung der Kriterien bei Regan, Von Menschenrechten zu Tierrechten, in: Schmitz (Hrsg.), Tierethik, Berlin 2014, S. 102 ff. 20 Steiner, Animals and the Moral Community, New York 2008, S. XII. 21 Nussbaum, Jenseits von „Mitleid und Menschlichkeit“: Gerechtigkeit für nichtmenschliche Tiere, in: Schmitz (Hrsg.), Tierethik, Berlin 2014, S. 176 ff. 22 Smuts, Encounters with Animal Minds, Journal of Consciousness Studies 8/5-7, 2001, S. 308. 23 Vgl. Donaldson/Kymlicka (o. Fn. 9), S. 60 ff.

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Nüchterne juristische Betrachtungen werden sich dieser Dimension des Geschehens nicht öffnen wollen. So etwas lässt sich schwer in eine Abwägung zu der Frage umsetzen, ob es einen vernünftigen Grund für die Tötung von Fritz gibt. Dass auch die Tötungsart moralisch relevant sein könnte, entgeht jemanden, der Fritz als irgendein Küken unter Tausenden ansieht, völlig, weil er Fritz nicht als ein empfindendes Wesen anerkennt. Gary Francione sieht als zentralen Anknüpfungspunkt für den moralischen Status von Tieren deren Empfindungsfähigkeit an. Man dürfe die moralische Anerkennung nicht mit kognitiven Fähigkeiten von Tieren verknüpfen, weil man sonst in die Falle laufe, eine Klassengesellschaft der Tiere zu schaffen – alle Rechte für Delfine, keine Rechte für Küken.24 Den Kern der Entrechtung von Tieren besonders im Hinblick auf die Nutzung in der Landwirtschaft oder zu Tierversuchen macht nach Francione das Konzept des menschlichen Eigentums an Tieren aus: „Zwar verlangen Tierschutzgesetze, dass wir menschliche und tierliche Interessen gegeneinander abwägen, um so abzuschätzen, ob die Nutzung von Tieren zulässig ist. Was wir abzuwägen vorgeben, sind die Interessen von EigentümerInnen gegen die Interessen ihres Eigentums. Da Tiere menschliches Eigentum sind, steht das Ergebnis dieser Abwägung bereits fest.“25

Die Position der Menschen gegenüber den Tieren als Eigentümer verwandelt diese vom moralischen Status eines empfindungsfähigen Selbst mit unveräußerlichen Rechten zurück in ein Ding, über das nach Gutdünken verfügt werden kann. Diese juristische Konstruktion des Mensch-Tier-Verhältnisses wäre also radikal in Frage zu stellen. Mit der Radikalität von Donaldson/Kymlicka wäre in einer politischen Theorie der Tierrechte eine Integration der Tiere in das Konzept der Staatsbürgerschaft zu fordern: „Wenn man die Beziehungen zwischen Mensch und Tier im Lichte der vertrauten Kategorien der Staatsbürgerschaftstheorie – […] – begreift, kann das dazu beitragen, sowohl die charakteristischen Ansprüche bestimmter Tier gegenüber uns Menschen als auch die symptomatischen Ungerechtigkeiten zu ermitteln, die wir den Tieren antun.“26

Eine Diskussion dieses Ansatzes ist dringend und wichtig, um den Kampf für die Rechte der Tiere voranzubringen, sprengt aber hier den Rahmen. Es fehlt noch der Schritt zur Erhebung der Klagen von Tieren über die Verletzung von Rechten und ihnen zugefügtes Leid. Der amerikanische Rechtsphilosoph Joel Feinberg hat aus der Tatsache, dass Tiere Leiden erfahren und dass sie dies nicht einfach wie ein Ding über sich ergehen lassen müssen, auf ihr Recht geschlossen, ein 24 Francione, Empfindungsfähigkeit, ernst genommen, in: Tierethik (hrsg. von F. Schmitz), Berlin 2014, S. 153 ff. 25 A.a.O, S. 160. 26 Donaldson /Kymlicka (o. Fn. 9), S. 118 f.

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gutes Leben im Sinne eines leidensfreien Lebens zu führen. Doch wie kommen die Tiere zu diesem Recht?27 Rechte – so das überzeugende Argument von Feinberg – sind nicht daran gebunden, dass ihre Träger sie in einem juridischen Sinne verstehen, und auch nicht daran, dass die Träger sie selber artikulieren und einfordern können. Natürlich haben Säuglinge das Recht auf ein gutes Leben, obwohl sie dieses Recht weder verstehen noch artikulieren können. Demente oder geistig behinderte Menschen haben das Recht, nicht wie ein Ding, sondern unter Achtung ihrer unveräußerlichen Rechte respektvoll durch ihre BetreuerInnen behandelt zu werden. Entscheidend im Hinblick auf die Rechte der Tiere ist, dass sie zwar nicht aus eigener Initiative Verfahren zur Durchsetzung ihrer Rechte in Gang setzen können, dass es für menschliche Wesen aber unbestritten ist, dass Bevollmächtigte oder Anwälte, die in ihrem Namen sprechen, tätig werden können. Niemand würde argumentieren, dass die Rechte eines Säuglings auf Nahrung, Pflege und emotionale Zuwendung nicht vertreten werden können, weil ein Säugling gar nicht verstehen kann, was vor sich geht. So soll es nach Feinberg auch für die Tiere gelten: „Das Tier selbst beansprucht sein Recht durch das stellvertretende Eingreifen seines menschlichen Anwalts, der in seinem Namen und in seiner Sache spricht.“28

Zur Begründung dieser Position, dass es Anwälte für Tiere geben kann und geben muss, macht Feinberg auf den Kern aller Vertretung von Rechten aufmerksam: Wenn man anerkennt, dass ein Wesen Rechte hat, dann folgt daraus, dass es auch Interessen hat, die an diese Rechte geknüpft sind. Das fundamentale übergreifende Interesse ist, dass die Rechte gewahrt werden. Mit diesem Interesse können sich Tiere nicht von sich aus an Gerichte wenden, um ihre Interessen durchzusetzen. Anwälte der Tiere sind also Vertreter der Interessen der Tiere und versehen deren Klagen mit der erforderlichen juristischen Form. Wenn Sie mir soweit folgen möchten, dann würde ich mit Blick auf die Anerkennung der Rechte von Tieren formulieren, es sind die Tiere selbst, die ihre Anwälte mit der Wahrnehmung der Rechte beauftragen. So war das ja auch in der Robbenklage 1988 konzipiert. So vorzugehen und jede Häme darüber zurückzuweisen, ist von immenser symbolisch-rechtspolitischer Bedeutung im Kampf um die Anerkennung von eigenen Rechten der Tiere.

27

Feinberg, Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1986, S. 140 ff. 28 Feinberg, Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, Stuttgart 1986, S. 145 f.

Dem Klagen der Tiere eine Stimme geben

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Ob Anwälte der Tiere im strengen Sinne Rechtsanwälte sind, ob man dies über Tierrechtsbeauftragte oder im Wege der Verbandsklage organisiert, ist Gegenstand weiterer Beiträge in diesem Band. Eines erscheint mir noch wichtig: Diejenigen, die für die Rechte der Tiere aufstehen, dürfen ihre Aufgabe nicht paternalistisch begreifen, sondern müssen sie aus den unveräußerlichen Rechten der Tiere schöpfen.

Die tierschutzrechtliche Verbandsklage – Rechtspolitische Diskussion Von Günter Hager †

I. Einführung Entsprechend meinem Thema diskutiere ich die tierschutzrechtliche Verbandsklage vornehmlich unter rechtspolitischem Aspekt. Einzelheiten der bereits existierenden tierschutzrechtlichen Verbandsklagen bleiben weithin ausgeblendet. Meine Ausführungen betreffen ausschließlich die sog. altruistische Verbandsklage, die ein von subjektiven Rechten gelöstes Klagerecht eröffnet. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage wird zunächst unter dem Aspekt der Systemgerechtigkeit, sodann unter dem Aspekt der Sachgerechtigkeit gewürdigt.

II. Systemgerechtigkeit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage Im Umwelt- und Naturschutz gibt es schon seit längerem ein Verbandsklagerecht. Zu klären bleibt, ob und inwieweit sich eine tierschutzrechtliche Verbandsklage in das bestehende System einfügen lässt. Dies erfordert eine Gegenüberstellung beider Verbandsklagen. 1. Die naturschutzrechtliche Verbandsklage Sinn und Zweck der naturschutzrechtlichen Verbandsklage erschließen sich vor dem Hintergrund des Gesamtsystems des öffentlichen Rechts, das deshalb kurz beleuchtet werden soll. Im öffentlichen Recht ist das dominante Handlungsinstrument der Verwaltungsakt. Die Behörde tritt dem Bürger gegenüber und erlässt einseitig den Verwaltungsakt oder erlässt diesen eben nicht. Die Richtigkeitsgewähr liegt darin, dass das Handeln der Behörde auf der Grundlage eines Gesetzes erfolgen muss. In Deutschland ging jedenfalls in der Vergangenheit der Bürger davon aus, dass das Handeln der Behörde rechtmäßig ist. Diese Haltung wurzelt darin, dass Träger der Behörde das sog. Berufsbeamtentum ist. Bei Max Weber heißt es hierzu: Das moderne Beamtentum hat sich entwickelt „zu einer spezialistisch durch langjährige Vorbildung fachgeschulten hochqualifizierten geistigen Arbeiterschaft mit einer im In-

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teresse der Integrität hochentwickelten Ehre, ohne welche die Gefahr furchtbarer Korruption und gemeinen Banausentums als Schicksal über uns schweben und auch die rein technische Leistung des Staatsapparates bedrohen würde, dessen Bedeutung für die Wirtshaft, zumal mit zunehmender Sozialisierung, stetig gestiegen ist und weiter steigen wird“.1 Dieser Institution vertraut der Bürger. Das skizzierte Bild entspricht nicht mehr der heutigen Wirklichkeit. Der Bürger mischt sich verstärkt in öffentliche Angelegenheiten ein. Mittel sind Demonstrationen, Bürgerinitiativen und Klagen. Eine verwaltungsgerichtliche Klage setzt aber voraus, dass der Kläger die Verletzung eigener Rechte geltend machen kann. Im Umweltrecht bereitet dieses Erfordernis Schwierigkeiten, da die Umweltgüter in vielen Fällen keinem Rechtsträger zugewiesen sind. Es entsteht eine Rechtsschutzlücke. Das ist die Stunde der naturschutzrechtlichen Verbandsklage. Die naturschutzrechtliche Verbandsklage soll die konstatierte Lücke ausfüllen. Anerkannte Naturschutzvereine können, ohne in eigenen Rechten verletzt zu sein, in bestimmtem Umfang Rechtsbehelfe gegen Verletzungen des Naturschutzrechtes einlegen. Ziel ist die Behebung des Vollzugsdefizits.2 Auf Bundesebene wurde die naturschutzrechtliche Verbandsklage in § 64 BNatSchG eingeführt. Mit dieser Regelung soll den Anforderungen der Aarhus-Konvention entsprochen werden.3 Nach der Konvention genügt im Umweltbereich für die Beschreitung des Rechtswegs, dass sich die betroffene Öffentlichkeit auf ausreichende Interessen berufen kann (Art. 9 II (a)). Als Ergebnis können wir festhalten: Die naturschutzrechtliche Verbandsklage dient der Schließung von systembedingten Rechtsschutzlücken. 2. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage Die tierschutzrechtliche Verbandsklage scheint gut mit der naturschutzrechtlichen Verbandsklage zu harmonieren.4 Sie schließt ebenfalls eine Lücke, und zwar eine Lücke, die gleichsam naturgegeben ist. Die Tiere können ihre Interessen und die Einhaltung tierschutzrechtlicher Normen nicht selbst geltend machen. Es bedarf eines menschlichen Treuhänders. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage springt hier helfend ein. Unterstrichen wird die Parallelität zwischen der naturschutzrechtlichen und der tierschutzrechtlichen Verbandsklage durch Art. 20a GG, der den Tierschutz dem Umweltschutz gleichstellt. 1

Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1980, 831. Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 8 Rdnr. 35. 3 Hierzu Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 8 Rdnr. 40; Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Umweltrecht, 5. Aufl. 2003, § 5 Rdnr. 59. 4 Siehe näher zur tierschutzrechtlichen Verbandsklage Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft: eine rechtliche Neukonstruktion auf philosophischer und historischer Grundlage, 1999, 513 ff. 2

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Dennoch besteht zwischen der naturschutzrechtlichen und der tierschutzrechtlichen Verbandsklage ein freilich mehr theoretischer als praktischer Unterschied, wie vor allem Caspar schön herausgearbeitet hat.5 Die naturschutzrechtliche Verbandsklage schützt öffentliche Interessen.6 Die naturschutzrechtliche Verbandsklage hat ein ökologisches Anliegen. Die tierschutzrechtliche Verbandsklage schützt dagegen „tierspezifische Individualinteressen“.7 Die tierschutzrechtliche Verbandsklage hat ein moralisches Anliegen. Der Unterschied zwischen den beiden Verbandsklagen tritt klar hervor, wenn wir uns fragen, um welcher Interessen willen wir Schutz gewähren. 8 Die Natur schützen wir um unser und um der zukünftigen Generationen willen. Das Tier schützen wir um seiner selbst willen. Das Beispiel einer Verbandsklage für Denkmäler mag das Gesagte noch verdeutlichen.9 Eine Verbandsklage für Denkmäler schützt wie die naturschutzrechtliche Verbandsklage öffentliche Interessen. Wir schützen die Denkmäler nicht um ihrer selbst willen, sondern um der zukünftigen Generationen willen. Anders liegt es bei der tierschutzrechtlichen Verbandsklage. Das Tier hat Regungen und Triebe, eigene Interessen. Wir schützen das Tier um seiner eigenen Interessen willen. Dieser Spezifität des Tierschutzes entspräche deshalb die Einführung einer Tierschutzklage auf der Grundlage von Eigenrechten des Tieres. Bereits in der Genesis wird die Schaffung der Tiere klar von der Schaffung der geologischen und vegetabilischen Natur abgegrenzt.10 Im Hinblick auf die theoretischen Grundlagen ist das Verbandsklagemodell unstimmig und bleibt hinter dem Eigenrechtsmodell zurück. In den praktischen Ergebnissen besteht freilich kein Unterschied.11 Es ist deshalb nachvollziehbar, dass der Gesetzgeber bei Einführung einer Tierschutzklage dem tradierten Modell der naturschutzrechtlichen Verbandsklage folgt. Damit ist die Systemgerechtigkeit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage dargetan, noch nicht ihre Sachgerechtigkeit.

5 Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft: eine rechtliche Neukonstruktion auf philosophischer und historischer Grundlage, 1999, 513 ff. 6 Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft: eine rechtliche Neukonstruktion auf philosophischer und historischer Grundlage, 1999, 514. 7 Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft: eine rechtliche Neukonstruktion auf philosophischer und historischer Grundlage, 1999, 516. 8 Hierzu siehe vor allem Feinberg, Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, 2001, 140. 9 Feinberg, Die Rechte der Tiere und zukünftiger Generationen, in: Birnbacher (Hrsg.), Ökologie und Ethik, 2001, 140, 149 ff. 10 Gen I,1 – 2,4a. 11 Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft: eine rechtliche Neukonstruktion auf philosophischer und historischer Grundlage, 1999, 514.

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III. Sachgerechtigkeit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage 1. Contra-Argumente Das Standardargument gegen die Einführung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage ist der damit verbundene Verlust an Effizienz. Das Effizienz-Argument tritt in zwei Varianten auf. Zunächst wird geltend gemacht, die tierschutzrechtliche Verbandsklage würde zu einer Prozessflut führen.12 Dieses Argument schlägt fehl. Sorgfältige Untersuchungen zur naturschutzrechtlichen Verbandsklage haben ergeben, dass die Verbände mit ihrem Klagerecht sparsam umgehen, im Fall der Klageerhebung dann aber überdurchschnittlich erfolgreich sind.13 Man kann die Vermutung wagen, dass diese Ergebnisse auch für eine tierschutzrechtliche Verbandsklage Gültigkeit haben. Sodann wird auf die Gefahr verwiesen, dass das Klagerecht zu unangemessenen Verzögerungen führen könnte. Der Einwand kommt vornehmlich aus der Wissenschaft, die eine massive Beeinträchtigung der Forschung befürchtet. Auch dieser Einwand greift nicht.14 Der einstweilige Rechtsschutz sichert ein zügiges Verfahren. Nehmen wir an, die Genehmigung zur Durchführung eines Tierversuchs wurde von einem Tierschutzverein angefochten, die Genehmigung ist aber voraussichtlich rechtmäßig, der eingelegte Rechtsbehelf also voraussichtlich unbegründet, dann können Behörde oder Gericht den Genehmigungsinhaber zur sofortigen Ausnutzung der Genehmigung instand setzen (§ 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO). Ist dagegen die Genehmigung voraussichtlich rechtswidrig, ist die mit der Verbandsklage verbundene Verzögerung zum Schutz des Tieres geboten. Im Übrigen darf das Effizienz-Argument nicht isoliert gesehen werden. Die Effizienz ist eine Spielart der Ökonomie. In unserer Wirtschaftsgesellschaft droht der Effizienz und der Ökonomie ein zu hoher Stellenwert eingeräumt zu werden. Im Tierschutzrecht steht aber der Effizienz und der Ökonomie der Lebensschutz des Tieres gegenüber. 2. Pro-Argumente Die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage wird regelmäßig auf den bereits angesprochenen Abbau von Vollzugsdefiziten gestützt. Hinzutreten aus meiner Sicht die Klärung rechtlicher Grundsatzfragen, die Nutzung der kreativen Kraft der Verbandsklage sowie die Verstärkung des materiellen Tierschutzrechts.

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Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Einf. Rdnr. 92. Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Einf. Rdnr. 92 unter Hinweis auf Schmidt/Ziesche/Tryjanowski, NuR 2012, 77 ff. 14 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Einf. Rdnr. 92. 13

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a) Abbau von Vollzugsdefiziten Die tierschutzrechtliche Verbandsklage stellt eine zusätzliche Rechtmäßigkeitskontrolle der Behörden dar, so dass diese gehalten werden, das Tierschutzrecht zu beachten,15 wodurch das Vollzugsdefizit verringert wird. Verknüpft mit dem Vollzugsdefizit-Argument ist das Ungleichgewichts-Argument.16 Wird einer wissenschaftlichen Einrichtung die Genehmigung für einen Tierversuch verweigert, so kann sich die Einrichtung hiergegen mit einer Klage wehren. Wird dagegen die Genehmigung erteilt, gibt es ohne Verbandsklage gegen die Genehmigung keine Klagemöglichkeit. Der Schutz des Tieres fällt aus. Es besteht also in dem Dreieck „Tiernutzer, Behörde und Tier“ ein Ungleichgewicht, was sich dann in Vollzugsdefiziten niederschlägt. Die Verbandsklage korrigiert diese Ungleichheit. Die Verbandsklage sichert damit einen effektiven Tierschutz, wie er durch Art. 20a GG gefordert wird. b) Klärung rechtlicher Grundsatzfragen Verbandsklagen vermögen eine raschere Klärung von rechtlichen Grundsatzfragen herbeizuführen, was mit einem erheblichen Zuwachs an Tierschutz verbunden sein kann. Dies belegt das Legehennen-Urteil des BVerfG. Das BVerfG hatte im Jahre 1999 die Hennenhaltungsverordnung für nichtig erklärt, die Verordnung stammt aus dem Jahr 1987, der maßgebliche § 2 TierSchG aus dem Jahr 1986. Hier fragt man sich doch, ob die Nichtigkeit nicht früher festgestellt worden wäre, wenn es eine Verbandsklage gegeben hätte.17 Unter diesem Aspekt ist auch die später noch genauer zu betrachtende Rechtsprechung zur Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung geeigneter Küken aufschlussreich. Die Rechtsprechung, welche die Tötung als zulässig beurteilte, wies in den Gründen u. a. daraufhin, dass die Tötungspraxis „jahrzehntelang“ akzeptiert worden sei.18 Auch hier fragt man sich, ob die gerichtliche Auseinandersetzung dann, wenn es eine Verbandsklage gegeben hätte, nicht früher stattgefunden und möglicherweise ein anderes Ergebnis erbracht hätte. Über die vorgestellten tradierten Argumente hinaus hat die Einführung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage weiterreichende, in der Struktur der Verbandsklage angelegte, positive Effekte.

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Im Hinblick auf die altruistische Verbandsklage im Allgemeinen Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 8 Rdnr. 35. 16 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Einf. Rdnr. 91. 17 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, Einf. Rdnr. 91. 18 OLG Hamm, Beschluss vom 10. 05. 2016, Az.: 4 Ws 113/16; OVG Münster vom 20. 05. 2016, Az.: 20 A 488/15, A 530/15.

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c) Die tierschutzrechtliche Verbandsklage als kreative Kraft bei der Entscheidungsfindung Im Folgenden soll die berühmte Entscheidung Tennessee Valley Authority (im Folgenden TVA genannt) v. Hill näher betrachtet werden.19 Der Fall dient hier als Vorbild für die kreativen Möglichkeiten der Verbandsklage. Zum Verständnis der Entscheidung bedarf es eines kurzen Blickes auf den Endangered Species Act (ESA). Zweck des ESA ist der Artenschutz. Nach Sec. 4 ESA hat der Minister gefährdete oder bedrohte Arten in eine Artenschutz-Liste aufzunehmen. An die Aufnahme in die Liste knüpft sich ein weitreichender Schutz. Sec. 7 ESA verpflichtet Bundesbehörden, in Abstimmung mit dem Minister und mit dessen Hilfe sicherzustellen, dass jede von ihnen bewilligte, finanzierte oder ausgeführte Aktion „is not likely to jeopardize the continued existence“ einer der aufgelisteten Arten. Der prozessualen Absicherung der Regelung dienen citizen suits gemäß sec. 11(g) ESA. Klageberechtigt ist jede Person. Die Bürger agieren als „private attorneys general“.20 Zu beachten ist allerdings die einschränkende verfassungsrechtliche Voraussetzung eines „standing“, also einer „injury in fact“.21 Umweltschutzgruppen klagen regelmäßig auf der Grundlage des sec. 11(g) ESA, um gefährdete Arten zu schützen. Die citizen suits lassen sich ganz grob insoweit mit der Verbandsklage vergleichen, als sie wie diese Klagerechte ohne eigene Rechtsverletzung gewähren. Nach dieser kurzen Einführung in den ESA darf ich mich nun dem TVA-Fall genauer zuwenden. TVA wurde 1933 gegründet. Aufgabe von TVA war es, die ökonomische und soziale Wohlfahrt der Bevölkerung des Tennessee-Beckens zu fördern. 1959 plante TVA die Errichtung eines Dammes, das Tellico Project. Die Bauarbeiten begannen 1967. Normalerweise fanden Projekte von TVA allgemeine Zustimmung, dieses Mal aber waren die lokalen Einrichtungen gespalten. Umweltschutzinteressen und ökonomische Interessen stießen aufeinander. Die Ereignisse spitzten sich zu, als 1973 eine neue Fischart entdeckt wurde, welche die Bezeichnung „snail darter“ erhielt. Einige Monate später trat der Endangered Species Act (ESA) in Kraft. Umweltschutzgruppen sahen in dem neuen Gesetz ihre Chance, den Damm zu stoppen. Erster Schritt war, den Fisch auf die Liste gefährdeter oder bedrohter Arten zu setzen. Die zuständige Behörde, der Fish and Wildlife Service (FWS), zögerte das Verfahren jedoch hinaus. Währenddessen trieb TVA den Bau des Dammes voran. Die Kläger erhoben daraufhin 1976 eine citizen suit nach Sec. 11 (g) ESA. Sie beriefen sich auf Sec. 7 ESA: Der Bau des Dammes würde die Existenz des snail darter gefährden. Die Parteien befanden sich im Verfahren der Preliminary 19 Zum Hintergrund, dem Prozessverlauf und den rechtlichen Aussagen der Entscheidung umfassend die Studie von Doremus, The Story of TVA v. Hill: A Narrow Escape for a Broad New Law, in: R. J. Lazarus/O. A. Houck, Environmental Law Stories, 2005, 109 ff. Die folgende Analyse beruht weitgehend auf dieser Studie. 20 Bennet v. Spear, 520 U.S. 154 (1997). 21 Siehe Lujan v. Defenders of Wildlife, 504 U.S. 555 (1992).

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Injunctions. Hier steht den Gerichten grundsätzlich ein weiter Abwägungsspielraum zur Verfügung. Der District Court bejahte zwar eine Gefährdung des snail darter durch den Damm; gleichwohl lehnte er einen Baustopp ab.22 Das Projekt war vor Inkrafttreten des ESA genehmigt worden. TVA hatte in gutem Glauben Anstrengungen zur Bewahrung des snail darter unternommen. Der Kongress stellte nach Unterrichtung von der Existenz des snail darter über 29 Millionen $ für das Projekt zur Verfügung und der Präsident hatte die Zuweisung gezeichnet, nachdem der Fisch auf die Liste gesetzt worden war. Der Damm war zu 80 % errichtet. Mehr als 78 Millionen $ öffentlicher Mittel waren bereits aufgewandt worden. Ungefähr 53 Millionen $ wären verloren, falls das Projekt gestoppt würde. 20 bis 23 Millionen $ seien noch zu investieren. In Abwägung all dieser Umstände, so schloss Richter Taylor, könne es nicht die Absicht des Kongresses gewesen sein, dass der ESA das Tellico Project anhalte.23 Die nächste Instanz, der Court of Appeals, billigte zwar die Tatsachenfeststellung, dass der Damm die Existenz des snail darter gefährde, missbilligte aber die Abwägung.24 Der ESA enthalte keine Freistellung für bereits laufende Projekte.25 Hierfür gebe es keinen handhabbaren rechtlichen Standard. Wie weit der Damm vollendet sei, spiele keine Rolle für die Berechnung der sozialen und wissenschaftlichen Kosten, die das Verschwinden einer einmaligen Art mit sich bringe. Ebenso lehnte der Court of Appeals die Annahme ab, der Kongress habe durch seine Zuweisung das Projekt stillschweigend von dem ESA freigestellt. Wenn das Prinzip der Gewaltenteilung seine Kraft behalten solle, müsse der Kongress frei über Mittelzuweisungen entscheiden können, umgekehrt müssten Gerichte ihr Vorrecht verteidigen, das Recht so anzuwenden, wie sie es vorfänden.26 Der amerikanische Supreme Court bestätigte die Entscheidung des Court of Appeals mit 6 zu 3 Stimmen.27 Chief Justice Burger gab das Urteil des Gerichts wieder. Er folgte einer strengen Interpretation des ESA. Bei Inkraftsetzung des statute sei es die klare Absicht des Kongresses gewesen, den Trend zur Auslöschung von Arten zu stoppen, „whatever the cost“.28 Sei die Bedeutung eines statute erkannt und seine Verfassungsmäßigkeit erwiesen, „the judicial process comes to an end“.29 Die individuelle Einschätzung der Klugheit oder Unklugheit der eingeschlagenen Richtung sei bei der Interpretation beiseite zu schieben. Das Gericht schien damit für den ESA jegliche Abwägung ausgeschlossen zu haben. Aussagegehalt und Gewicht der 22

Hill v. Tennessee Valley Authority, 419 F. Supp. 753 (E.D. Tenn. 1976). Hill v. Tennessee Valley Authority, 419 F. Supp. 753, 760 (E.D. Tenn. 1976). 24 Hill v. Tennessee Valley Authority, 549 F. 2d 1064 (6th Cir. 1977). 25 Hill v. Tennessee Valley Authority, 549 F. 2d 1064, 1071 (6th Cir. 1977). 26 Hill v. Tennessee Valley Authority, 549 F. 2d 1064, 1073 (6th Cir. 1977). 27 Tennessee Valley Authority v. Hill, 437 U.S. 153, 98 S. Ct. 2279 (1978). 28 Tennessee Valley Authority v. Hill, 437 U.S. 153, 184, 98 S. Ct. 2279, 2297 (1978). 29 Tennessee Valley Authority v. Hill, 437 U.S. 153, 194, 98 S. Ct. 2279, 2302 (1978).

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TVA-Entscheidung sind heute in den USA umstritten,30 was hier nicht weiter interessiert. Die Geschichte war damit aber nicht zu Ende.31 Der Kongress ordnete die Vollendung des Dammes an, und zur Überraschung aller wurde der snail darter nicht ausgerottet. Er wurde zwar aus dem Bereich des Dammes vertrieben. Aufgrund des Umsiedlungsprogramms von TVA kam es aber anderenorts zu einer Reproduktion der Population. Gewiss hat der Fisch seinen Urgrund verloren, aber in neuem Grund überlebt. Gesiegt hat aber auch nicht das Tellico Project, denn ihm war kein Erfolg beschieden. Gewonnen hat letztlich das Recht, das seine Kraft gezeigt hat.32 Resultat war ein befriedigendes Ergebnis. Sie fragen: Was hat die Entscheidung mit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage zu tun? Zum einen betreffe sie nicht den Tierschutz, sondern den Artenschutz. Zum andern äußere sie sich überhaupt nicht zur citizen suit; denn deren Voraussetzungen waren problemlos gegeben. Ich habe Ihnen die Entscheidung vorgestellt, gewiss weil es sich um eine zentrale und attraktive, inzwischen aber auch umstrittene Entscheidung zum Umweltrecht handelt, vor allem aber, weil sie die kreative Kraft der Verbandsklage demonstriert. Ohne die citizen suit wäre der Damm glatt errichtet worden. Die zuständige Behörde zeigte sich eher zurückhaltend gegenüber dem Schutz des Fisches. Tellico selbst trieb das Projekt voran. Die Klage der Umweltschutzgruppen änderte die Situation total. Auf allen involvierten Ebenen setzte eine umfassende Diskussion ein. Der Damm wurde zwar schlussendlich gebaut, gleichwohl überlebte der Fisch dank eines Umsiedlungsprogramms. Was lehrt uns die Entscheidung? Auf der Positivseite ist zu vermerken: Verbandsklagen verbreitern den Gegenstand des Streites, entbinden Kreativität und bereiten damit neue Weg vor. Sie sind ein Motor der Entscheidungsfindung. Voraussetzung hierfür ist aber, dass die Regelungen zur Verbandsklage nicht nur Klagerechte eröffnen, sondern bereits im Vorfeld Mitwirkungs- und Informationsrechte begründen. Ein solches Partizipationsrecht ist heute weithin vorgesehen. So lautet schon der genaue Titel der nordrhein-westfälischen Verbandsklage: „Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine“. Eine solche umfassende Konfliktbegleitung von der Planung bis zum Abschluss eines tierschutzrelevanten Projekts dürfte Konsenslösungen fördern. Damit betrete ich ein neues Gebiet, das ich nur streifen kann. Konsenslösungen sind ein Gewinn; freilich nur dann, wenn

30 Ruhl, The Endangered Species Act’s Fall from Grace in the Supreme Court, 36 Harv. Env. L. Rev. 487 (2012). 31 Siehe Doremus, The Story of TVA v. Hill: A Narrow Escape for a Broad New Law, in: R. J. Lazarus/O. A. Houck, Environmental Law Stories, 2005, 109, 131 ff. 32 Doremus, The Story of TVA v. Hill: A Narrow Escape for a Broad New Law, in: R. J. Lazarus/O. A. Houck, Environmental Law Stories, 2005, 109, 136 ff., 140.

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sie rechtlich strukturiert sind und produktive Lösungen schaffen.33 Auf der Negativseite ist zu vermerken: Verbandsklagen tragen die Gefahr überflüssiger Prozesse und sinnloser Diskussionen in sich. Abhilfe schafft hier nur ein strenges Verfahrensrecht. Vor allem geschieht dies durch Präklusionsvorschriften, die schuldhaft verspätetes Vorbringen ausschließen (§ 64 I Nr. 3 BNatSchG). Was sich in der vorgestellten Entscheidung bereits abgezeichnet hat, dass nämlich die tierschutzrechtliche Verbandsklage auch materiell-rechtliche Auswirkungen hat, soll abschließend noch vertieft werden. d) Die tierschutzrechtliche Verbandsklage als Mittel zur Verstärkung des materiellen Tierschutzrechts Die Verbandsklage eröffnet zunächst nur den Weg vor die Gerichte, der materielle Tierschutz wird dadurch im Prinzip nicht berührt. Vielleicht weist jedoch die Verbandsklage auch einen Weg zu einem materiell besseren Tierschutz. Diese Frage führt uns in die Tiefen der Hermeneutik, in die Lehre vom Vorverständnis des Rechtsanwenders34, die ich nun an der jüngst ergangenen spektakulären Entscheidung des OVG Münster zur Zulässigkeit der Tötung männlicher, nicht zur Schlachtung geeigneter Küken, genauer erläutern darf.35 Bekanntlich hat das OVG die Rechtmäßigkeit der Tötung der Tiere bejaht. Für die rechtliche Beurteilung kommt es entscheidend darauf an, ob die Tötung der Tiere auf einem vernünftigen Grund beruht, denn nur dann ist die Tötung rechtmäßig (§§ 1 S. 2, 17 Nr. 1 TierSchG). Was aber ist ein vernünftiger Grund? Der vernünftige Grund ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der im Wege der Interpretation zu konkretisieren ist. Die Feststellung eines vernünftigen Grundes erfordert eine Abwägung zwischen den Erhaltungsinteressen des Menschen und den ethischen Belangen des Tierschutzes.36 Ein vernünftiger Grund kann nur dann bejaht werden, wenn die Nutzungsinteressen des Menschen höher zu gewichten sind als die Beeinträchtigung des Tieres. Die Abwägung der kollidierenden Interessen ist ein umfassender Argumentationsprozess. Alle relevanten Fakten und Erkenntnisse sind zu berücksichtigen. Cardozo, ein berühmter amerikanischer Richter mit poetischen Neigungen, hat den Abwägungsprozess wunderbar beschrieben: „So also the duty of a judge becomes itself a question of degree, he is a useful judge or a poor one as he estimates the measure accurately or loosely. He must balance all his ingredients, his philosophy, his logic, his analogies, his history, his cus33 Allgemein zur Steuerung durch Konsens Kloepfer, Umweltrecht, 3. Aufl. 2004, § 5 Rdnr. 480 ff., 504 ff., Sparwasser/Engel/Voßkuhle, Grundzüge des öffentlichen Umweltschutzrechts, 5. Aufl. 2003, § 2 Rdnr. 192 ff. 34 Hierzu grundlegend Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 1970. 35 OVG Münster vom 20. 05. 2016, Az.: 20 A 488/15, A 530/15. 36 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG, 3. Aufl. 2016, § 1 TierSchG Rdnr. 30 ff., 53 ff.

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toms, his sense of right, and all the rest, and adding a little here and taking out a little there, must determine, as wisely as he can, which weight shall tip the scales.“37 Die Rationalität des Argumentationsprozesses ändert aber nichts an der Offenheit der Abwägung und damit an der Offenheit der Interpretation. Jetzt ist Raum für das Einfließen des Vorverständnisses. Unter Vorverständnis verstehen wir die fallrelevanten Hintergrundsannahmen des Norminterpreten. Diese werden gespeist durch den Zeitgeist. Der Zeitgeist umfasst die in einer Gesellschaft herrschenden Gerechtigkeitsvorstellungen, die Erwartungen der Gesellschaft, wie ein rechtlicher Konflikt zu lösen sei. Man muss sich mit der Einsicht bescheiden, dass der Zeitgeist und das durch ihn geprägte Vorverständnis des Norminterpreten die Interpretation leiten.38 Diese objektiven Elemente geben zwar nicht ein bestimmtes Ergebnis vor, schließen aber bestimmte inakzeptable Argumentationslinien aus. Die objektiven Elemente werden überlagert durch subjektive Elemente, wie die persönliche Sicht des Rechtsanwenders. Die Subjektivierung ist unter Menschen unvermeidbar. Sie bleibt aber eingebunden durch die dargelegten objektiven Elemente. Was den Tierschutz anbelangt, befindet sich unsere Gesellschaft in einer widersprüchlichen Schwebelage. Einerseits wollen wir mehr Tierschutz und lehnen Massentierhaltung ab, andererseits wollen wir auf preiswerte Versorgung mit Nahrungsmitteln, insbesondere mit Fleischprodukten, nicht verzichten. In der Entscheidung des OVG ist die Abwägung zwischen den ökonomischen Interessen des Menschen und den ethischen Belangen des Tierschutzes zugunsten der ökonomischen Interessen ausgefallen. Das Vorverständnis senkte die Waagschale zugunsten der Ökonomie und zu Lasten des Tierschutzes. Zeitgeist und Vorverständnis sind freilich nicht fixiert, sondern unterliegen ständigem Wandel.39 Ein Beispiel aus einem ganz anderen Gebiet mag das Gesagte verdeutlichen. Nach der Rechtsprechung des BGH waren sog. Mätressen-Testamente zunächst regelmäßig sittenwidrig, bis dann der BGH eine Kehrtwendung vollzog und solche Testamente anerkannte.40 Grund hierfür war ein Wertewandel in der Gesellschaft, der ein neues Vorverständnis kreierte, was dann eine Rechtsprechungsänderung zur Folge hatte. Ein effektiver Tierschutz setzt eine neue Sicht auf das Tier voraus. Ein solcher Wertewandel zeichnet sich ab. Er ist aus ethischer Sicht geboten. Das Tier ist Mitgeschöpf. Es ist dem Menschen anvertraut. Der Mensch ist für das Tier verantwortlich.41 Daraus fließen das Schädigungsverbot und die Hilfspflicht. Die neue Wahrnehmung des Tieres bewirkt eine Veränderung unseres Vorverständnisses vom rich37

Cardozo, The Nature of the Judicial Process, 1921, 161 f. Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Aufl. 1991, 157 ff. 39 Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Aufl. 1991, 174 ff. 40 BGHZ 53, 375; hierzu Würtenberger, Zeitgeist und Recht, 2. Aufl. 1991, 181, dem dieses schöne Beispiel gedankt sei. 41 Grundlegend zur Verantwortung Jonas, Das Prinzip Verantwortung, Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, 1. Aufl. 1984. 38

Die tierschutzrechtliche Verbandsklage – Rechtspolitische Diskussion

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tigen Umgang mit dem Tier, was sich wiederum im Recht niederschlägt. Abwägungen fallen dann anders aus. Wie aber wird ein solcher Bewusstseinswandel bewirkt? Entscheidendes Mittel ist der Dialog, der ethische, rechtliche und politische Diskurs. Ein rationaler Diskurs vermittelt Informationen, verhilft zu neuen Einsichten und öffnet damit den Weg zu einer neuen Einstellung des Menschen. Gerichtsverfahren zu Kernproblemen des Tierschutzes lösen nicht selten einen solchen Diskurs aus. Diesen fruchtbaren Prozess könnte die Verbandsklage anstoßen, ihr käme eine Initiativfunktion zu. Das prozessuale Institut würde Antrieb einer materiell-rechtlichen Umorientierung.

IV. Schlussbemerkung Die tierschutzrechtliche Verbandsklage ist gewiss systemgerecht und, wie ich meine, auch sachgerecht. Sie hilft Vollzugsdefizite zu korrigieren. Sie etabliert ein ausgeglichenes Verhältnis in dem Dreieck Tiernutzer, Behörde und Tier. Grundsatzfragen werden einer rascheren Lösung zugeführt. Darüber hinaus enthält die tierschutzrechtliche Verbandsklage die Potenz, kreative Lösungen zu fördern. Hierbei dürften Absprachen eine wichtige Rolle spielen. Effizienzverluste lassen sich durch ein strenges Verfahren in vernünftigen Grenzen halten. Vor allem aber ist die tierschutzrechtliche Verbandsklage ein Mittel, den in der Gesellschaft notwendigen Bewusstseinswandel in Gang zu setzen. Dieser letzte Punkt ist m. E. von entscheidender Bedeutung. Die Anforderungen an einen tiergerechten Umgang mit dem Tier und die Wahrnehmung des Tieres als Mitgeschöpf müssen zunächst im Bewusstsein des Menschen verankert sein, um sodann nach außen projiziert zu werden und Änderungen in der Realität und im Recht zu bewirken.

Föderale Regelungsbefugnisse für Verbandsklagerechte im Tierschutzrecht Von Matthias Rossi*

I. Einführung „Wer weniger Tierschutz durchsetzen will, darf klagen. Wer den Tieren zu dem Schutz verhelfen will, der ihnen rechtlich zusteht, dem sind dagegen die Hände gebunden“, so beschrieb der Präsident des Deutschen Tierschutzbundes e.V. bereits im Jahre 2013 die rechtliche Situation auf Bundesebene.1 Zur Herstellung einer „Waffengleichheit“2 setzen sich daher vor allem Tierschutzorganisationen3 und einige politische Parteien4 vehement für die Einführung einer Verbandsklage im Tierschutzrecht ein, dem Modell der Verbandsklage im Umweltrecht folgend. Da auf Bundesebene aber bislang alle politischen Versuche scheiterten, ein Klagerecht für Tierschutzorganisationen zu normieren,5 ergriffen einzelne Bundesländer die Initiative * Der Autor ist Inhaber des Lehrstuhls für Staats- und Verwaltungsrecht, Europarecht sowie Gesetzgebungslehre an der Universität Augsburg. Er dankt seinem Mitarbeiter, Herrn Thomas Pardeller, für die Unterstützung bei der Vorbereitung des Vortrags. Sämtliche Internetquellen wurden zuletzt am 12. 07. 2016 aufgerufen. 1 Deutscher Tierschutzbund e.V., Tierschutz-Verbandsklage im Bundestag, Pressemeldung v. 05. 06. 2013, www.tierschutzbund.de/news-storage/recht/050613-verbandsklage-bundestag. html. 2 Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft, 1999, S. 498 f. 3 Z. B. Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V., Ja! zur Einführung der Tierschutz-Verbandsklage auf Bundesebene, www.tierrechte.de/ja-zur-einfueh rung-der-tierschutz-verbandsklage-auf-bundesebene; Deutscher Tierschutzbund e.V., Verbandsklage, www.tierschutzbund.de/information/hintergrund/recht/ verbandsklage.html. 4 Z. B. BayernSPD Landtagsfraktion, Verbandsklagerecht für Tierschutzverbände endlich auch in Bayern umsetzen, Pressemitteilung v. 01. 12. 2014, http://bayernspd-landtag.de/presse/ pressemitteilungen/?id=247599; Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, 25 Antworten auf 25 Fragen zum Grünen Tierschutzgesetz, Meldung v. 29. 06. 2012, https://www.gruene-bun destag.de/themen/tierschutz/25-antworten-auf-25-fragen-zum-gruenen-tierschutzgesetz.html. 5 Die Initiative der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 21. 11. 1995 (BTDrs. 13/3036, S. 17) wurde abgelehnt (vgl. Plen.-Prot. 13/207 S. 18918). Die BR-Initiative des Bundeslandes Schleswig-Holstein vom 19. 02. 2004 (BR-Drs. 157/04) fand keine Mehrheit (BR-Drs. 157/04(B)). Die Initiative der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 23. 05. 2012 (BT-Drs. 17/9783) wurde in zweiter Beratung am 13. 12. 2012 zurückgewiesen (vgl. Plen.-Prot. 17/214 S. 26368).

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und schufen Verbandsklagerechte auf Landesebene. Bislang haben die Bundesländer Bremen (2007),6 Nordrhein-Westfalen (2013),7 Saarland (2013),8 Hamburg (2013),9 Rheinland-Pfalz (2014),10 Baden-Württemberg (2015)11 und Schleswig-Holstein (2015)12 die Initiative ergriffen und ein Verbandsklagerecht auf Länderebene geschaffen. Bei allen Unterschieden im Detail zielen diese Gesetze sämtlich darauf ab, anerkannten Tierschutzvereinen die Möglichkeit zu geben, die im Tierschutzgesetz verankerten Interessen von Tieren verwaltungsgerichtlich durchzusetzen, ohne die Verletzung eigener Rechte geltend machen zu müssen.13 Sie schaffen also sämtlich die Möglichkeit einer altruistischen Verbandsklage.14 Rechtspolitisch ist das Instrument der tierschutzrechtlichen Verbandsklage durchaus umstritten.15 Ausweislich ihrer Begründungen zielen die bisher erlassenen Landesgesetze z. B. darauf, „ein Ungleichgewicht bei den Klagemöglichkeiten zu beseitigen“,16 eine bessere Kontrolle und Berücksichtigung der Tierschutzinteressen beim Gesetzesvollzug zu realisieren17 oder einen Beitrag zur Verwirklichung des Staatsziels Tierschutz aus Art. 20a GG zu leisten.18 Damit werden rechtspolitische Forderungen verschiedener Tierschutzorganisationen aufgegriffen, die diese Kernüberle-

6 Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (TSVbklG) v. 25. 09. 2007 (Brem. GBl. 2007, S. 455), zuletzt geändert durch Nr. 2.1 i.V.m. Anl. 1 ÄndBek vom 24. 1. 2012 (Brem. GBl. 2012, S. 24). 7 Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW) v. 25. 06. 2013 (GV. NRW. 2013, S. 416). 8 Gesetz Nr. 1810 über das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzverbände (Tierschutzverbandsklagegesetz – TSVKG) v. 26. 06. 2013 (ABl. I 2013, S. 268). 9 Hamburgisches Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (Hamburgisches Tierschutzverbandsklagegesetz – HmbTierSchVKG) v. 21. 05. 2013 (HmbGVBl. 2013, S. 248). 10 Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzvereine (TierSchLMVG) v. 03. 04. 2014 (GVBl. 2014, S. 44), zuletzt geändert durch Gesetz v. 27. 11. 2015 (GVBl. 2015, S. 383). 11 Gesetz über Mitwirkungsrechte und das Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen (TierSchMVG) v. 12. 05. 2015 (GBl. 2015, S. 317). 12 Gesetz zum Tierschutz-Verbandsklagerecht (TierSchVKG SH) v. 22. 01. 2015 (GVOBl. 2015, S. 44). 13 Rheinland-Pfalz LT-Drs. 16/2712, S. 8; vgl. § 1 TSVbeklG, § 1 I HmbTierSchVKG. 14 Zu den Arten und Begrifflichkeiten von Verbandsklagen vgl. z. B. Schmidt/Schrader/ Zschiesche, Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, 2014, S. 1 f.; differenziert auch Schlacke, in: Schlacke/Schrader/Bunge, Informationsrechte, Öffentlichkeitsbeteiligung und Rechtsschutz im Umweltrecht. Aarhus-Handbuch, 2010, S. 393 ff. 15 Ein Überblick über den Meinungsstand findet sich bspw. bei Raspé, Die tierliche Person. Vorschlag einer auf der Analyse der Tier-Mensch-Beziehung in Gesellschaft, Ethik und Recht basierenden Neupositionierung des Tieres im deutschen Rechtssystem, 2012, S. 324 ff. 16 So etwa die nordrhein-westfälische Begründung, NRW LT-Drs. 16/177, S. 11. 17 Saarland LT-Drs. 15/385, S. 8; Bremen LT-Drs. 17/39, S. 6. 18 Baden-Württemberg LT-Drs. 15/6593, S. 10; NRW LT-Drs. 16/177, S. 12.

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gungen zu einer Reihe weiterer Argumente ausdifferenzieren.19 Sie gehen stets von der Prämisse eines Vollzugsdefizits, jedenfalls aber eines Kontrolldefizits im Tierschutzrecht sowie von der Annahme aus, dass Tiere einen (weiteren) Stellvertreter benötigten, um ihre Interessen (gerichtlich) durchsetzen zu können. Die Verbandsklage ermögliche es Tierschützern, als „Anwälte“ der Tiere aufzutreten. Die Gegner bzw. die Skeptiker einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage zweifeln demgegenüber schon an diesen Prämissen. Die verschiedenen Kontrollinstrumente im Tierschutzrecht seien ausreichend, um ein Vollzugsdefizit zu verhindern bzw. zu offenbaren und zu beseitigen. Zudem fungierten namentlich die Veterinärmediziner bereits nach geltendem Recht als fachkundige Anwälte der Tiere. Darüber hinaus werden – reflexartig – weitere Argumente bemüht, die sich bei näherer Betrachtung weitgehend nur als Behauptungen entpuppen und die Argumentation deshalb insgesamt eher schwächen als stärken – insoweit nehmen sich die befürwortenden und die skeptischen Argumente wenig. So wird befürchtet, die Verbandsklage führe zu einer Prozessflut und somit zu einer Überlastung der Gerichte, zudem würden die verwaltungsverfahrensrechtlichen Verfahren in die Länge gezogen. Insgesamt seien erhebliche Belastungen für den Wirtschaftsstandort Deutschland im Bereich Forschung und Pharmatechnik zu befürchten. Schließlich sei das Strafrecht ein geeignetes Mittel, um tierschutzrechtswidrige Zustände zu ahnden. Entgegen diesen leicht widerlegbaren („Prozessflut“) bzw. rechtsstaatlich zweifelhaften Argumenten (Negierung des ultima-ratio-Charakters des Strafrechts) werden Überlegungen grundsätzlicherer Art regelmäßig weder von den Befürwortern noch von den Gegnern einer Verbandsklage in den Vordergrund gestellt.20 Dabei mag man zum einen der weiteren Verrechtlichung und der mit ihr einhergehenden Machterweiterung der Gerichte durchaus skeptisch gegenüber stehen – nicht nur aus der Perspektive der Gewaltenteilung, sondern vor allem auch aus der übergeordneten Perspektive der Möglichkeiten und Grenzen des Rechts. Zudem wird nach wie vor darauf hingewiesen, dass mit einer Aufweichung des subjektiv-rechtlichen Rechtsschutzsystems auch die Idee personaler Freiheit verloren geht, die für das gesamte deutsche Rechtssystem prägend ist.21 Weiterhin ist bei einer Stärkung von Verbänden stets die Frage aufgeworfen, wer und wie das Gemeinwohl in einer Demokratie definiert wird bzw. definiert werden sollte, das keinesfalls identisch mit bestimmten Teilinteressen und auch mehr als die Summe verschiedener Teilinteressen ist. Mit der grundsätzlich egalitären Konzeption demokratischer Öffentlichkeit verträgt sich eine privilegierte Beteiligung von Interessengruppen jedenfalls nicht ohne 19 Überblick bei Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V., Ja! zur Einführung der Tierschutz-Verbandsklage auf Bundesebene, https://www.tierrechte.de/ ja-zur-einfuehrung-der-tierschutz-verbandsklage-auf-bundes-ebene. 20 Vgl. aber Ruthig, Verbandsklagen als Rechtsproblem, in: Geis u. a. (Hrsg.), Von der Kultur der Verfassung, Festschrift für Friedhelm Hufen zum 70. Geburtstag, 2015, S. 625 ff. 21 Vgl. etwa Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts – Umfang des Verwaltungsrechtsschutzes auf dem Prüfstand, Gutachten Teil D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, Manuskript S. 38 f.

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weiteres. Umgekehrt ist erstens zu bedenken, dass mit der erforderlichen Anerkennung klagebefugter Verbände die Gefahr einer Popularklage auch weiterhin gebannt ist. Zudem zeigen erste Erfahrungen, dass Verbandsklagen häufiger als Individualklagen zum Erfolg führen und unabhängig vom konkreten Ergebnis jedenfalls schneller Rechtssicherheit bewirken – sie dienen insofern nicht nur dem Tierschutz, sondern insgesamt auch dem Recht. Freilich dürfen die grundsätzlichen Überlegungen nicht überbewertet werden. Denn die praktische Bedeutung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage ist bislang jedenfalls ausgesprochen gering.22 Zwar verfügt allein Bremen mit rund neun Jahren über eine längere Erfahrung, während die anderen Länder nur auf drei oder noch weniger Jahre zurückblicken können. Gleichwohl scheint das Instrument – soweit mit den üblichen juristischen Datenbanken ersichtlich – bislang nur in Nordrhein-Westfalen und hier von Animal Rights Watch (ARIWA) in Fällen genutzt worden zu sein, die sich zunächst auf die Gewährung von Akteneinsicht beschränkten.23 In einem ersten Fall ging es um einen Hundehandel, der im Verdacht stand, illegal Welpen aus Osteuropa zu importieren. ARIWA rief nach eigenen Angaben mittels Verbandsklage das VG Arnsberg an, da das Kreisveterinäramt Siegen-Wittgenstein die Einsicht in relevante Akten verweigert hatte. Nach der mündlichen Verhandlung am 30. 11. 2015 stellte die Behörde die geforderten Akten zur Verfügung,24 so dass sich die Klage insoweit erledigte. Auch in einem anderen Fall, der eine Kastenstandhaltung von Schweinen betraf, ging es zunächst um ein Auskunftsverlangen.25 Das VG Münster negierte indes das Recht einer Tierschutzorganisation auf Akteneinsicht in Verwaltungsakte eines Veterinäramtes im Zusammenhang mit einem Verfahren nach § 16a TierSchG.26 ARIWA hingegen sieht sich ohne vorgelagertes Informationsrecht seiner Möglichkeit beraubt, effektiv von der Verbandsklage Gebrauch zu machen.27 Nun darf die praktische Bedeutung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage nicht allein von der Zahl und dem Ausgang gerichtlicher Verfahren beurteilt werden. Vielmehr kann schon die präventive Wirkung möglicher Verbandsklagen bereits zu einem verbesserten Vollzug des materiellen Tierschutzrechts führen. Nachweisen 22 Zu empirischen Untersuchungen vgl. Schmidt/Zschiesche/Tryjanowski, NuR 2012, S. 77 ff. 23 Vgl. Animal Rights Watch e.V. (ARIWA), Veterinärbehörden vereiteln Durchführung des Tierschutz-Verbandsklagerechts durch Rechtsbruch, Meldung v. 09. 10. 2015, https://www. ariwa.org/aktivitaeten/aufklaerung/aktionenarchiv/963-2015-10-06-12-10-57.html. 24 Vgl. Erna-Graff-Stiftung für Tierschutz, Akteneinsicht im ersten Tierschutz-Verbandsklageverfahren Deutschlands erzwungen, Pressemitteilung v. 08. 12. 2015, http://www.ernagraff-stiftung.de/wp-content/uploads/2015-12-08_PM_Akteneinsicht_ Siegen.pdf. 25 Animal Rights Watch e.V. (ARIWA), Tierquälerische Kastenstand-Haltung vor dem Aus?, Meldung v. 12.11.14, http://www.ariwa.org/aktivitaeten/aufgedeckt/recherchearchiv/ 818-kastenstandhaltung.html. 26 VG Münster, Urt. v. 19. 04. 2016 – 1 K 2781/14. 27 Vgl. Animal Rights Watch e.V. (ARIWA), Schnelle Änderung des Tierschutz-Verbandsklage-Gesetzes nötig, Meldung v. 25. 04. 2016, http://www.ariwa.org/aktivitaeten/aufklae rung/aktionenarchiv/1162-2016-04-25-10-24-12.html.

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lässt sich dies zwar kaum, nachgewiesen ist es bislang jedenfalls nicht. Doch entfaltet letztlich jedes Kontrollinstrument mittelbare Kontrollwirkungen schon durch den bloß möglichen, nicht erst durch seinen tatsächlichen Gebrauch.28 Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass Forderungen nach einer möglichst flächendeckenden bundesweiten Verbandsklagemöglichkeit für Tierschutzvereine weiter aufrechterhalten werden. Auch in den Bundesländern, die noch kein Verbandsklagerecht normiert haben, gab es in der Vergangenheit bereits entsprechende Gesetzesinitiativen.29 In Niedersachsen liegt ein Gesetzentwurf der rot-grünen Landesregierung vor,30 zu dem am 18. 05. 2016 im zuständigen Ausschuss des Landtags eine öffentliche Anhörung stattfand.31 Das Gesetz wird womöglich noch vor der Sommerpause verabschiedet werden. In Brandenburg zielt ein Volksbegehren gegen Massentierhaltung u. a. auf die Einführung eines Mitwirkungs- und Klagerechts für anerkannte Tierschutzverbände.32 Dagegen hat sich ein entsprechender Gesetzentwurf in Sachsen-Anhalt, der von der Fraktion DIE LINKE initiiert33 und in den Ausschüssen kontrovers diskutiert wurde,34 mit Ablauf der 6. Wahlperiode in diesem Jahr erledigt.35 Angesichts der bisherigen Gesetzgebung in einigen und den aktuellen Gesetzgebungsaktivitäten in anderen Ländern, aber auch angesichts der Ablehnung eines tierschutzrechtlichen Verbandsklagerechts auf Bundesebene stellt sich die Frage, wem im Bundesstaat die Gesetzgebungskompetenz für die Einführung einer Verbandsklage im Tierschutzrecht zusteht. Ausgehend von dem Befund, dass die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage der freien politischen Entscheidung der jeweiligen Gesetzgeber überlassen ist (II.), werden deshalb die Grundsätze der vertikalen Gesetzgebungskompetenzverteilung rekapituliert (III.), bevor sodann untersucht wird, ob die Verwaltungsgerichtsordnung (IV.) oder das Tierschutzgesetz (V.) eine Sperrwirkung gegenüber der Landesgesetzgebung entfaltet. Weil dies im Ergebnis verneint wird, werden abschließend die Handlungsoptionen des Bundesgesetzgebers skizziert (VI.). Eine kurze Zusammenfassung rundet den Beitrag ab (VII.).

28 Vgl. zu den Kontrollzielen allgemeiner Informationsfreiheitsgesetze Rossi, Informationszugangsfreiheit und Verfassungsrecht, 2004, S. 94 f., S. 235 ff. 29 Bayern LT-Drs. 17/4408; MV LT-Drs. 6/3334. 30 Entwurf eines Gesetzes über Mitwirkungs- und Klagerechte von Tierschutzorganisationen, Niedersachsen LT-Drs. 17/5329. 31 Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz und Landesentwicklung, Kurzbericht zur 53. Sitzung am 18. 05. 2016. 32 Näher Aktionsbündnis Agrarwende Berlin-Brandenburg, https://www.volksbegehrenmassentierhaltung.de/volksbegehren/. 33 Sachsen-Anhalt LT-Drs. 6/2713. 34 Vgl. insb. die Anhörung im Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten, Textdokumentation 6/LAN/40 zu Veröffentlichung im Internet über die öffentliche Anhörung in der 40. Sitzung des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten am 10. 09. 2014. 35 Sachsen-Anhalt LT-Drs. 6/4886, S. 2.

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II. Freie politische Entscheidung zur Einführung einer Verbandsklage Im demokratischen Verfassungsstaat ist der Gesetzgeber vor allem dann gebunden, wenn er tätig wird. Ob er tätig wird, ist grundsätzlich seiner politischen Einschätzung und seinem politischen Gestaltungswillen vorbehalten. Pflichten zum Erlass bestimmter Gesetze oder zum Gebrauch bestimmter Instrumente gibt es nur ausnahmsweise, sie lassen sich entweder verfassungsrechtlich aus grundrechtlichen Schutzpflichten, daneben unter Umständen auch aus Gleichheitsgedanken ableiten, sind ausnahmsweise staatsorganisatorisch begründet (Wahlrecht, Parteienrecht, Abgeordnetenrecht) oder europarechtlich, mitunter auch völkerrechtlich fundiert. Auch die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage wird in der politischen Diskussion zuweilen als verfassungsrechtliche Pflicht dargestellt. 1. Keine Verpflichtung aus Art. 20a GG Zur Begründung einer solchen verfassungsrechtlichen Pflicht wird überwiegend die Staatszielbestimmung zu Gunsten der Tiere bemüht. Seit 2002 ist der Tierschutz als Staatszielbestimmung in Art. 20a GG enthalten. Kurz vor der Wahl zum 15. Deutschen Bundestag im September 2002 gab die CSU unter dem Eindruck des SchächtUrteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. 1. 200236 ihre ablehnende Haltung gegenüber einer Staatszielbestimmung Tierschutz auf,37 so dass die nach Art. 79 Abs. 2 GG erforderlichen Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat erreicht wurden.38 Seitdem schützt der Staat nicht nur „die natürlichen Lebensgrundlagen“, sondern auch „die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ Ausweislich der Gesetzesbegründung sollen die Tiere durch Art. 20a GG „vor nicht artgemäßer Haltung, vermeidbaren Leiden sowie der Zerstörung ihrer Lebensräume“39 geschützt werden. Um das Verständnis dieser Norm, genauer gesagt deren Schutzrichtung, wird seit jeher kontrovers gestritten.40 Überwiegend wird mit dem Verweis auf die menschenbezogene Ausrichtung des Grundgesetzes der anthropozentrische Charakter der Staatszielbestimmung betont, der deshalb jedenfalls keine Eigenrechte der Tiere begründe.41 Der Schutzzweck der Norm liege allein 36

BVerfGE 104, 337. Zur Diskussion um die Einführung einer Staatszielbestimmung vgl. Kloepfer/Rossi, JZ 1998, S. 369 ff. 38 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 31. 7. 2002, BGBl. I S. 2862. 39 BT-Drs. 14/8860, S. 3. 40 Zur Diskussion vgl. Schröter, NuR 2007, S. 468, 472; Murswiek, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 20a Rn. 22 ff. 41 Kloepfer, Verfassungsrecht, Bd. I, 2011, S. 398. 37

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in einem Sittlichkeitsschutz.42 Zum Teil wird aber auch eine pathozentrische Schutzrichtung in den Vordergrund gestellt, die die Würde der Tiere und ihre Leidensfähigkeit in den Vordergrund stellt und Tieren Eigenrechte zuspricht.43 Um diese Eigenrechte wirksam durchsetzen zu können, bedürfe es zwingend – also schon verfassungsrechtlich – der Möglichkeit einer Verbandsklage.44 Weil Tiere ihre Rechte45 nicht selbst wahrnehmen könnten, brauche es einen Vertreter, um diese gerichtlich durchzusetzen.46 So verständlich es auch sein mag, dass die politische Forderung nach einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage verfassungsrechtlich unterfüttert werden soll, so wenig kann dieses Argument bei rechtlicher Betrachtung durchdringen. Ganz generell ist in einer Demokratie – auch in einer rechtsstaatlichen – davor zu warnen, die Verfassung als dezisionistisches Programm zu begreifen. Mit ihrer limitierenden Funktion zieht die Verfassung den staatlichen Gewalten äußere Grenzen, innerhalb derer sich „der politische Wille“ durch Argument und Gegenargument formt und letztlich in einem geregelten Verfahren durch Mehrheitsbeschluss eine rechtliche und damit verbindliche Gestalt annimmt. Wer das Verfassungsrecht vorschnell als Argument bemüht, verkennt die Gestaltungsfähigkeit und -bedürftigkeit sämtlicher Lebensbereiche, ignoriert die demokratische Entscheidungsfindung und bringt auch fehlenden Respekt gegenüber förmlich getroffenen Mehrheitsentscheidungen zum Ausdruck. Art. 20a GG ist gegenüber diesem demokratischen Entscheidungsverfahren aber ganz bewusst offen, wie der – mit Blick auf Art. 20 Abs. 3 GG redundante – Passus „im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung“ zeigt.47 Dementsprechend ist der – bzw. sind die – Gesetzgeber durch die Staatszielbestimmung Tierschutz nicht dazu verpflichtet, eine tierschutzrechtliche Verbandsklage einzuführen. Selbst wenn man im Übrigen der pathozentrischen Auslegung des verfassungsrechtlichen Tierschutzes folgte, wäre noch nicht entschieden, wer „Anwalt“ der Tiere oder Treuhänder ihrer Interessen sein sollte.48 Neben den zahlreichen Tierschutzverbänden kämen insofern auch die Veterinärärzte, kämen 42

Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20a Rn. 56. 43 Loeper/Reyer, ZRP 1984, S. 205, 208; vgl. Leisner, NVwZ 1988, S. 988 ff.; Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft, S. 343 ff. 44 Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft, S. 511; v. Loeper, Tiere brauchen einen Anwalt, S. 10, abrufbar auf tierrechte.de. 45 Grundlegend zu Natur- und Tierrechten schon Leimbacher, Die Rechte der Natur, 1988, S. 26 ff.; vgl. jüngst auch Raspé, Die tierliche Person, 2012, passim, insb. S. 298 ff. 46 Lorz/Metzger, TierSchG Kommentar, 6. Aufl. 2008, Einf. Rn. 63; v. Loeper, Tiere brauchen einen Anwalt, S. 2 f., abrufbar auf tierrechte.de; vgl. auch Bremen LT-Drs. 20/3512, S. 2. 47 Die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers – bis zu einer durch das Untermaßverbot markierten Grenze – betonend Faller, Staatsziel „Tierschutz“, 2004, S. 200 ff. 48 Nicht diese Frage beantwortend, aber gleichwohl lesenswert Brandt, Merkur 7/2016, S. 5 ff.

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Kommissionen, kämen etwa auch neu zu schaffende Ämter in Betracht. Hier offenbart sich die Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, der zwar dazu angehalten ist, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Tiere zu treffen,49 dabei aber über einen erheblichen Beurteilungs- und Entscheidungsspielraum verfügt.50 Er muss in Abwägung mit anderen verfassungsrechtlichen Belangen und im vorgesehenen verfassungsrechtlichen Verfahren entscheiden, welches Schutzniveau er wählen möchte und welche konkreten Instrumente er zur Verbesserung des Tierschutzes erlassen will, mithin wer Sachwalter der Tiere und deren Interessen sein soll. Art. 20a GG ist mit Blick auf die Verbandsklage insofern neutral: Weder verpflichtet die Staatszielbestimmung den bzw. die Gesetzgeber, die Verbandsklage im Tierschutzrecht einzuführen,51 noch schließt die Norm diese Möglichkeit aus.52 2. Gleichlauf zu Klagemöglichkeiten „zu Lasten“ des Tierschutzes Auch die Begründung, eine tierschutzrechtliche Verbandsklage müsse eingeführt werden, um einen Gleichlauf mit Klagemöglichkeiten „zu Lasten“ des Tierschutzes herzustellen, ist allein ein politisches, kein verfassungsrechtliches Argument. Soweit hier eine „Ungleichbehandlung“ in Bezug auf Rechtsschutzmöglichkeiten als Grund für eine Handlungspflicht des Gesetzgebers suggeriert wird, liegt jedenfalls keine Verletzung, ja noch nicht einmal eine Beeinträchtigung des allgemeinen Gleichheitsgrundrechts vor. Art. 3 Abs. 1 GG postuliert allein eine Gleichheit „aller Menschen“ vor dem Gesetz, nicht hingegen eine Gleichheit von Tieren und Menschen. Soweit als Vergleichsgruppe deshalb nicht unmittelbar die Tiere, sondern mittelbar die Tierschutzverbände herangezogen werden, liegt ein Zirkelschluss in dem Sinne vor, dass als Voraussetzung der Ungleichbehandlung angenommen wird, was als deren Folge doch erst postuliert wird. Zudem wird übersehen, dass die Klagemöglichkeiten „zu Lasten des Tierschutzes“ allein daraus resultieren, dass sich der Tierschutz als öffentlicher Belang zur Beschränkung grundrechtlicher Freiheiten darstellt und allein die darin liegende Möglichkeit der Rechtsverletzung nach Art. 19 Abs. 4 GG einen effektiven Rechtsschutz fordert.

49 Scholz, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 20a Rn. 76; Murswiek, in: Sachs, GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 20a Rn. 51a. 50 In Bezug auf das Sozialstaatsprinzip BVerfGE 100, 271, 284. 51 Gärditz, in: Landmann/Rohmer, Umweltrecht Kommentar, Bd. I, Stand: 01. 08. 2015, Art. 20a Rn. 63; Schulze-Fielitz, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20a Rn. 56; Happ, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 173. 52 So Fest/Köpernik, DVBl. 2012, S. 1473, 1475.

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3. Verbandsklagerechte in anderen Rechtsbereichen Soweit der Gesetzgeber in anderen Rechtsbereichen, namentlich im Verbraucherschutzrecht53 und im Umweltrecht,54 Verbandsklagemöglichkeiten geschaffen hat, zwingt ihn dies nicht, sie auch im Tierschutzrecht einzuführen. Das allgemeine Gleichheitsrecht ist hier erneut nicht berührt und kann insoweit keine verfassungsrechtliche Pflicht des (zuständigen) Gesetzgebers zur Einführung von Verbandsklagen im Tierschutzrecht begründen. 4. Europa- bzw. völkerrechtliche Determinierung Anders als im Umweltrecht, in dem mit der Aarhus-Konvention eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Einführung einer Verbandsklage in bestimmten Bereichen besteht,55 die ihre besondere Verbindlichkeit vor allem durch die Umsetzung der Konvention durch eine entsprechende EU-Richtlinie56 erhalten hat,57 gibt es im Tierschutzrecht keine entsprechende völker- und/oder europarechtliche Verpflichtung. Vorbehaltlich der Berufung auf die binnenmarktbezogene allgemeine Harmonisierungskompetenz des Art. 114 AEUV und abgesehen von der tierschutzrechtlichen Querschnittsklausel des Art. 13 AEUV fehlt der EU insoweit auch die Rechtsetzungskompetenz.58 5. Ergebnis Die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Konsequenzen eine tierschutzrechtliche Verbandsklage einzuführen ist, liegt im Ergebnis in der freien politischen Entscheidung des zuständigen Gesetzgebers. Er kann, er muss aber nicht Tierschutzverbänden die Möglichkeit einräumen, die Einhaltung des „nur“ objektiven Tierschutzrechts durch Gerichte überprüfen zu lassen.

53 Vgl. Unterlassungsklagengesetz (UKlaG) Seit der letzten Änderung durch Art. 3 des Gesetzes vom 11. 4. 2016, BGBl. I S. 720, sind die Abmahnbefugnisse von Verbraucherschutzverbänden auch auf datenschutzrechtliche Verstöße ausgeweitet. 54 Vgl. § 64 BNatSchG sowie § 2 UmwRG. 55 Zu den Folgen der Aarhus-Konvention auf die Ausweitung der Klagebefugnis im Umweltrecht vgl. bspw. Schlacke/Schrader/Bunge, Aarhus-Handbuch, 2010, S. 393 ff; Bruckert, NuR 2015, S. 541 ff.; Ekardt, NVwZ 2015, S. 772 ff. sowie die Beiträge von Franzius und Krüper, in: Kloepfer (Hrsg.), Rechtsschutz im Umweltrecht, 2014, S. 145 ff. und 163 ff. 56 Vgl. Art. 4 RL 2003/35/EG vom 26. Mai 2003. 57 Zu dem Charakter eines europäisiertes internationalen Umweltverwaltungsrechts vgl. Rossi, in: Möllers/Voßkuhle/Walter, Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 165 ff. 58 So (zur Rechtslage vor dem Vertrag von Lissabon) auch Faller, Staatsziel „Tierschutz“, 2004, S. 39 ff.

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III. Grundsätze der vertikalen Kompetenzverteilung Wenn die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage also im freien politischen Ermessen des Gesetzgebers liegt, ist in der föderalistischen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bestimmen, wessen politische Entscheidung maßgeblich ist, die des Bundes oder die der einzelnen Länder. Die Beantwortung dieser Frage bestimmt sich nicht nach Zweckmäßigkeitserwägungen, sondern ausschließlich nach der verfassungsrechtlich vorgenommenen vertikalen Kompetenzverteilung, die ebenso abschließend wie verbindlich ist und insbesondere nicht zur Disposition, auch nicht zur konsentierten, von Bund und Ländern steht. 1. Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Länder Die grundgesetzliche Kompetenzverteilung geht in Bezug auf die Gesetzgebung von einem Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Länder aus. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder im Grundsatz – und das heißt auch im Zweifel – das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Dieses Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der Länder ist nicht nur eine verfassungspolitische Grundentscheidung, sondern vor allem auch eine systembedingte Notwendigkeit: In einem mehrstufigen Rechtssystem müssen der Geltungsvorrang und die grundsätzliche Rechtsetzungskompetenz auf die verschiedenen Ebenen verteilt werden, weil ansonsten der mehrstufige Charakter verloren geht. Kommt also dem Bundesrecht nach Art. 31 GG Vorrang vor dem Landesrecht zu, dann muss die grundsätzliche Gesetzgebungszuständigkeit bei den Ländern liegen. Neue oder jedenfalls von der Verfassung nicht explizit dem Bund zugewiesene Sachbereiche unterfallen insoweit stets der Gesetzgebungskompetenz der Länder. 2. Zugriffsrecht des Bundes im Rahmen der konkurrierenden Gesetzgebung Im Bereich der sog. konkurrierenden Gesetzgebung gilt dieser Grundsatz freilich nur, solange und soweit der Bund nicht von seiner Gesetzgebungskompetenz gem. Art. 72 Abs. 1 GG Gebrauch gemacht hat. In dem Maße, in dem der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch macht, tritt eine Sperrwirkung ein, die eine eigenständige gesetzliche Regelung durch die Länder ausschließt. Allerdings durfte der Bund seine konkurrierende Gesetzgebung lange Zeit nur ausüben, wenn tatsächlich ein Bedürfnis nach einer bundesweiten Regelung bestand. Diese in Art. 72 Abs. 2 GG normierten Voraussetzungen wurden nach der Wiedervereinigung 1994 bewusst verschärft, um den Ländern mehr Gesetzgebungsbefugnisse einzuräumen. Aus der sog. Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG wurde die sog. Erforderlichkeitsklausel, die dem Bund den Gebrauch der konkurrierenden Gesetzgebung erheblich erschwerte und ihn vor allem auch der Kontrolle durch das

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Bundesverfassungsgericht unterwarf, wie der politisch ambitionierte Bundesgesetzgeber zum Teil erstaunt feststellen musste.59 Insofern sicherte Art. 72 GG dem Bund zwar den Zugriff auf die Materien der konkurrierenden Gesetzgebung, befreite ihn aber nicht von einer sachlichen Rechtfertigung. Diese noch zu Beginn der 90er Jahre explizit gewollte Begründungslast des Bundesgesetzgebers wurde 2006 im Rahmen der sog. Föderalismusreform I zum Teil aufgegeben. Seit der Föderalismusreform unterfallen nicht mehr alle, sondern nur noch ausgewählte Sachbereiche der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG. Für die anderen – die meisten – Sachbereiche ging der verfassungsändernde Gesetzgeber, ging also die Große Koalition im Jahre 2006, davon aus, dass hier stets bundesgesetzliche und also bundesweite Regelungen erforderlich seien. In diesem Bereich der sog. unkonditionierten konkurrierenden Gesetzgebung60 ist der Bund von dem Nachweis einer Erforderlichkeit, ist er von jeder Begründungslast befreit. Das von Art. 70 Abs. 1 GG angeordnete Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Länder ist insofern in ein Zugriffsrecht des Bundes zu Lasten der Länder gewandelt worden.61 Ob angesichts dieser voraussetzungslosen Umkehr des Grundsatz-Ausnahme-Verhältnisses für zahlreiche Sachbereiche überhaupt noch von einer „konkurrierenden“ Gesetzgebung gesprochen werden kann, erscheint fraglich, jedenfalls aber euphemistisch. Denn eine „Konkurrenz“ findet nur noch insoweit statt, wie der Bund sie zulässt. Die Differenzierung innerhalb der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes zwischen Sachmaterien, die ohne und solchen, die nur unter Beachtung der Erforderlichkeitsklausel vom Bund gesetzlich geregelt werden dürfen, wirkt sich auch auf die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage aus. Zwar verfügt der Bund unabhängig von der Frage, ob eine solche Verbandsklage primär dem Prozessrecht oder eher dem materiellen Recht des Tierschutzes zugewiesen wird, über eine Gesetzgebungsbefugnis. Denn er darf sowohl nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG das „gerichtliche Verfahren“ ausgestalten als auch nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG den Tierschutz regeln. Gleichwohl ist zwischen diesen sachlichen Anknüpfungspunkten zu differenzieren, weil das gerichtliche Verfahren nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG Gegenstand der unkonditionierten Gesetzgebung ist, so dass der Bund unabhängig von einer Erforderlichkeit im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG gesetzgebend tätig werden darf, während der von Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG umfasste Tierschutz unter die enumerativ benannten Kompetenztitel des Art. 72 Abs. 2 GG fällt und der Bund insoweit nur unter der Voraussetzung gesetzgeberisch tätig werden darf, dass und soweit eine 59 Vgl. BVerfGE 106, 62 (Altenpflegegesetz); BVerfGE 110, 141 (Kampfhunde); BVerfGE 111, 10 (Ladenschlussgesetz); BVerfGE 111, 226 (Juniorprofessur); BVerfGE 112, 226 (Studiengebühren); BVerfG, Urt. v. 21. 7. 2015 – 1 BvF 2/13 (Betreuungsgeld). 60 Zur begrifflichen Unterscheidung zwischen konditionierter und unkonditionierter konkurrierender Gesetzgebung vgl. Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2006, Art. 72 GG Rn. 6. 61 Ähnlich Uhle, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2006, Art. 72 GG Rn. 11 („der Sache nach eine Vorranggesetzgebung“ des Bundes).

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bundesrechtliche Regelung entweder zur Herstellung gleicher Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist. Freilich gelten diese besonderen Voraussetzungen erst seit dem Inkrafttreten des veränderten Art. 72 GG im Jahre 2006; zuvor erlassenes Bundesrecht gilt nach Art. 125a GG als Bundesrecht fort. Für die Frage, ob die Länder gesetzlich Verbandsklagen im Tierschutzrecht einführen dürfen, ist deshalb allein die Frage entscheidend, ob das verfassungskonform in Kraft gesetzte Bundesrecht Sperrwirkung entfaltet oder nicht. Erst mit Blick auf die aktuellen Handlungsoptionen des Bundes werden die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel wieder bedeutsam. 3. Sperrwirkung Fällt die Regelung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage also in die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes, ist es durchaus denkbar, dass das bereits erlassene Bundesrecht Sperrwirkung gegenüber den Landesgesetzgebern erzeugt. Allerdings ist mit Blick auf die inhaltlich-umfängliche Begrenzung der Länder durch Art. 72 Abs. 1 GG („soweit“) von einer Sperrwirkung nur auszugehen, wenn der Bund eine „erschöpfende und damit abschließende“ Regelung getroffen hat.62 Der bloße Umstand, dass der Bund eine Materie überhaupt gesetzlich geregelt hat, reicht für die Annahme einer „erschöpfenden“ Regelung insofern nicht aus. Vielmehr muss im Rahmen einer Gesamtwürdigung des betreffenden Normkomplexes festgestellt werden, ob eine Regelung erschöpfend ist.63 Ausschlaggebend ist, ob ein spezieller Sachverhalt umfassend und lückenlos geregelt ist oder zumindest nach dem (objektiven) Willen des Gesetzgebers umfassend und lückenlos geregelt sein sollte.64 Mit Blick auf die tierschutzrechtliche Verbandsklage kann sich eine solche Sperrwirkung zum einen aus der bundesrechtlichen Normierung der Verwaltungsgerichtsordnung (III.), zum anderen aber auch aus einer Gesamtwürdigung des Tierschutzgesetzes (IV.) ergeben. Sollte aus einer Gesamtwürdigung dieser beiden Gesetze eine Sperrwirkung gegenüber den Ländern folgen, wären die Länder nicht nur künftig von der Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage ausgeschlossen, es wären auch sämtliche bereits erlassene Landesgesetze nichtig. Die – wenigen – zwischenzeitlich ergangenen verwaltungsgerichtlichen Urteile zu diesen Gesetzen wären ihrer materiellrechtlichen Grundlage beraubt, ihre Rechtskraft wäre durchbrochen. Die verbindliche Entscheidung über die Frage, ob den entsprechenden Landesgesetzen die Sperrwirkung von Bundesrecht entgegensteht, kann freilich nur das Bun62

Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 27. BVerfGE 7, 342, 347; Uhle, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 83; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 27. 64 BVerfGE 109, 190, 230. 63

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desverfassungsgericht treffen. Es könnte bspw. im Wege eines konkreten Normenkontrollantrags von einem Verwaltungsgericht angerufen werden (Art. 100 Abs. 1 GG); ebenso gut könnte es aber auch von der Bundesregierung, einem Viertel der Mitglieder des Bundestages oder einer Landesregierung mit einer abstrakten Normenkontrolle befasst werden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG). Nicht auszuschließen ist zudem, dass die Frage nach der Kompetenz der Länder zur Einführung von Verbandsklagemöglichkeiten im Tierschutzrecht auch im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfassungsgericht gebracht werden kann (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG). Ohne eine verfassungsgerichtliche Feststellung ihrer (formellen) Verfassungswidrigkeit durch das Bundesverfassungsgericht dürfen und müssen die gesetzesanwendenden Behörden und Gerichte ebenso wie die Tierschutzverbände und sonstigen betroffenen Privatpersonen aber weiterhin von der Verfassungskonformität der Landesgesetze in sieben, mit Niedersachsen demnächst in acht Bundesländern ausgehen.

IV. Öffnungsklausel in der VwGO Das gerichtliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten ist Gegenstand der Verwaltungsgerichtsordnung. 1. Abschließende Regelung Mit der Verwaltungsgerichtsordnung hat der Bundesgesetzgeber das gerichtliche Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nach mehrfacher Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts65 und ganz herrschender Meinung erschöpfend und abschließend geregelt.66 Die vollständige und umfassende Regelung sollte die Zersplitterung des Verwaltungsprozessrechts beseitigen67 bzw. soll einer solchen vorbeugen. Den Landesgesetzgebern ist es deshalb grundsätzlich untersagt, eigene Regelungen zum Verwaltungsprozessrecht treffen. 2. Öffnungsklausel in § 42 Abs. 2 VwGO Dies gilt jedoch nicht, soweit im Bundesgesetz selbst ein Regelungsvorbehalt zugunsten der Länder enthalten ist. Die Möglichkeit solcher Öffnungsklauseln ist mit 65

BVerfGE 20, 238, 248; 21, 106, 115; 35, 65, 73; 37, 191, 198; 83, 24, 30. Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 27; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 74 Rn. 28; Kunig, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 6. Aufl. 2012, Art. 74 Rn. 19. 67 BVerfGE 20, 238, 248; Schmidt-Aßmann/Schenk, in: Schoch/Schneider/Bier (Hrsg.), VwGO Kommentar, Bd. I, 2015, Einl. Rn. 66; Sodan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Großkommentar, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 11; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 74 Rn. 26. 66

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dem System der Kompetenzverteilung im Allgemeinen und Art. 72 Abs. 1 GG im Besonderen vereinbar, weil der Bund die von Art. 74 GG benannten Sachgebiete nicht regeln muss, sondern nur regeln kann und weil Art. 72 Abs. 1 GG explizit auch die teilweise Regelung zulässt. Im Ergebnis bewirken bundesgesetzliche Öffnungsklauseln ein Ineinandergreifen von Bundes- und Landesrecht, wie es für die frühere Rahmengesetzgebung charakteristisch war.68 Insofern gewinnt § 42 Abs. 2 VwGO an Bedeutung, der zwar an der Systementscheidung des Art. 19 Abs. 4 GG für einen Individualrechtsschutz festhält, indem grundsätzlich die Verletzung eines subjektiven Rechts geltend gemacht werden muss, aber nur, „soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.“ Dieser Vorbehalt räumt insbesondere dem Landesgesetzgeber die Möglichkeit ein, die Klagebefugnis abweichend von § 42 Abs. 2 VwGO zu regeln.69 Insbesondere können die Länder auf das Erfordernis der Verletzung eigener, subjektiver Rechte verzichten und landesrechtliche Klagemöglichkeiten für Verbände einführen.70 Auch der Bund hat im Übrigen namentlich im Naturschutzrecht und später auch im Umweltrechtsbehelfsgesetz abweichende Regelungen getroffen, wenngleich der Öffnungsklausel in § 42 Abs. 2 VwGO insofern nur klarstellende, nicht hingegen ermächtigende Wirkung zukommt, weil der Bund sich nicht selbst ermächtigen muss.71 3. Beschränkte Befugnis Wegen der Öffnungsklausel in § 42 Abs. 2 VwGO entfaltet die VwGO des Bundes keine Sperrwirkung gegenüber der Einführung von Verbandsklagemöglichkeiten auf Landesebene. Allerdings ist die Kompetenz der Länder auf die jeweilige Landesverwaltung beschränkt, erstreckt sich also nicht auf die Zulassung einer Verbandsklage gegenüber Maßnahmen anderer Länder oder gar des Bundes.72 Weil das Tierschutzgesetz aber nach Maßgabe des Art. 84 GG von den Ländern als eigene Angelegenheit ausgeführt wird, ist die Ausklammerung des Bundesvollzugs ohne große praktische Bedeutung. Schwerer wiegt dagegen aus der Perspektive der Befürworter einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage, dass der Vollzug des Tierschutzgesetzes nicht in allen Ländern durch eine Verbandsklage der gerichtlichen Kontrolle bzw. der gerichtlichen 68

Vgl. Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 72 Rn. 25. BVerfGE 20, 238, 249; Schmidt-Kötters, in: Posser-Wolff (Hrsg.), VwGO Kommentar, 2. Aufl. 2014, § 42 Rn. 213. 70 Sodan, in: Sodan/Ziekow (Hrsg.), VwGO Großkommentar, 4. Aufl. 2014, § 42 Rn. 402; Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 74 Rn. 27. Gerade mit Blick auf diese Möglichkeit schlägt Gärditz vor, die Öffnungsklausel in § 42 Abs. 2 VwGO zu streichen: Gärditz, Funktionswandel der Verwaltungsgerichtbarkeit unter dem Einfluss des Unionsrechts, Gutachten D zum 71. Deutschen Juristentag 2016, Manuskript S. 38. 71 Deutlich Wysk, VwGO, 2011, § 42 Rn. 102. 72 Happ, in: Eyermann, VwGO Kommentar, 14. Aufl. 2014, § 42 Rn. 171. 69

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Kontrollierbarkeit unterworfen wird. Hier mag sich unter Umständen der föderal gewollte, jedenfalls aber zulässige Wettbewerb der Rechtsordnungen zu einem Standortwettbewerb verdichten, auch wenn es angesichts der historisch gewachsenen und vielfältigen Voraussetzungen unterworfenen Tiernutzung kaum vorstellbar ist, dass allein die Möglichkeit der Verbandsklage in einem Land zu einem Standortwechsel in ein anderes Land führt.

V. Sperrwirkung des Tierschutzgesetzes? Die Öffnungsklausel in § 42 Abs. 2 VwGO mag das Fehlen einer bundesrechtlich begründeten Sperrwirkung gegenüber der Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene indizieren, kann eine solche Sperrwirkung indes nicht vollständig ausschließen. Denn wenn man eine Verbandsklage weniger prozedural als Sonderregelung gegenüber dem Zulässigkeitserfordernis einer Klagebefugnis und mehr materiell als Instrument zur Durchsetzung des Tierschutzrechts begreift, kann sich eine Sperrwirkung auch aus dem Tierschutzgesetz ergeben. Wie skizziert, fällt auch der Tierschutz nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG in die konkurrierende Gesetzgebungsbefugnis des Bundes, so dass die Länder nach Art. 72 Abs. 1 GG von Regelungen gesperrt sind, „solange und soweit“ der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis durch Gesetz Gebrauch gemacht hat. 1. Tierschutzgesetz als relevanter Maßstab Zu klären bleibt indes, ob das Tierschutzgesetz überhaupt als relevanter Maßstab für die Frage der Sperrwirkung gegenüber landesrechtlichen Verbandsklagen herangezogen werden kann. Zum Teil wird insofern behauptet, die Erweiterung der Klagemöglichkeit sei eine rein prozessuale Frage des Verwaltungsprozessrechts, die ausschließlich am Maßstab der VwGO, nicht hingegen an tierschutzrechtlichen Normen zu messen sei.73 Dies freilich kann bei näherer Betrachtung nicht überzeugen. Hervorzuheben ist zunächst, dass sich die kompetenzrechtlich relevante Sachmaterie nicht formal nach der Verortung in einem bestimmten Gesetz, sondern materiell nach seinem Regelungsgehalt bestimmt. Die Kompetenzordnung gilt insofern nicht für ein Gesetz, sondern für gesetzliche Bestimmungen. Anderenfalls wäre dem Gesetzgeber die Möglichkeit genommen, sachlich zusammenhängende Aspekte in einem Gesetz zu regeln, das nach der Wertung des Grundgesetzes auf unterschiedlichen Kompetenznormen beruht. Vielmehr besteht insoweit Einigkeit, dass der Rückgriff auf unterschiedliche Kompetenznormen im Sinne einer Mosaikkompetenz zulässig ist. Der Zuordnung zu einem bestimmten Gesetz kann allein indizierende 73 Kluge, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des nordrhein-westfälischen Landtags zum Gesetzesentwurf „Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine“ am 31.11.11, S. 11.

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Wirkung zukommen. Insofern ist es kompetenzrechtlich irrelevant, ob die Möglichkeit einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage etwa in der Verwaltungsgerichtsordnung, im Tierschutzgesetz, im Umweltrechtsbehelfsgesetz oder in einem eigenständigen Gesetz verortet wäre. Hervorzuheben ist sodann, dass auch in Bezug auf die umweltrechtliche Verbandsklage umstritten war, ob diese allein oder jedenfalls primär prozessual oder auch materiell geprägt war. Das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz des Bundes wie alle seine bisherigen Änderungen74 rekurrieren allein auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG,75 stellen also auf den prozessualen Charakter der Verbandsklage ab. Hingegen wird hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Ausmaß die EU Verbandsklagerechte im Umweltrecht einführen kann, auf die materielle Kompetenz im Umweltrecht verwiesen.76 Auch die Richtlinie 2003/35/EG, die die zweite und dritte Säule der Aarhus-Konvention auf eine europarechtliche Ebene hebt,77 wurde allein auf Art. 175 EGV, den Vorläufer des heutigen Art. 192 AEUV, mithin auf die umweltrechtliche Kompetenz der EU, gestützt. Dieser Widerspruch lässt sich allein politisch erklären, nicht hingegen juristisch auflösen. Ganz offensichtlich wird die Argumentation ergebnisbezogen geführt. Bei rechtlicher Betrachtung kommt man – insbesondere bei zweifelhaften Fällen – dagegen nicht umhin, zur Bestimmung der maßgeblichen Kompetenzgrundlage auf den Schwerpunkt der Regelung und den überwiegenden Sachzusammenhang abzustellen.78 Auch die Zielsetzung der Regelung ist maßgeblich für die Kompetenzbestimmung. Im Übrigen kann eine erschöpfende Regelung auch durch mehrere Gesetze in ihrem Zusammenspiel erreicht werden.79 Vor diesem Hintergrund ist deutlich, dass die Verbandsklage als ein Instrument verstanden wird, um die Durchsetzung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen und mit ihnen den Tierschutz zu stärken.80 Etwas überspitzt, in der Sache jedoch zutreffend wird die tierschutzrechtliche Verbandsklage deshalb zum Teil auch als eine 74 Vgl. z. B. die Begründung zur Änderung des Umwelt-Rechtsbehelfsgesetzes zur Umsetzung der Altrip-Entscheidung des EuGH, BR-Drs. 361/15, S. 4. 75 Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs BR-Drs. 522/06, S. 11. 76 Vgl. z. B. Epiney, NVwZ 1999, S. 485, 491 f. 77 Zu dieser Form des europäisierten internationalen Verwaltungsrechts vgl. die Beiträge von Durner und Rossi, in: Möllers/Voßkuhle/Walter (Hrsg.), Internationales Verwaltungsrecht, 2007, S. 165 ff. 78 Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 70 Rn. 62. 79 Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 72 Rn. 28; m.w.N. und unter Verweis auf BVerfGE 34, 9, 28. 80 Vgl. z. B. die Gesetzesbegründung im Saarland, Saarland LT-Drs. 15/385, S. 8; ebenso Stellungnahme der DJGT zum Entwurf eines Gesetzes über das Verbandsklagerecht und die Mitwirkungsrechte von Tierschutzvereinen in Sachsen-Anhalt v. 07.09.14, S. 3; ähnlich offen selbst Kluge, Schriftliche Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des nordrhein-westfälischen Landtags zum Gesetzesentwurf „Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine“ am 31.11.11, S. 4 f.

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staatliche Förderungsmaßnahme zu Gunsten des Tierschutzes verstanden,81 so dass entsprechende Gesetze deutlich mehr Bezug zum Tierschutz als zum Verwaltungsprozessrecht aufweisen. Für diese Zuordnung, jedenfalls aber für die kumulative Einschlägigkeit des Kompetenztitels Tierschutz spricht im Übrigen auch, dass die bisher erlassenen Landesgesetze nicht schlicht mit der Möglichkeit einer Verbandsklage eine Ausnahme von der subjektiven Rechtsverletzung im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO haltmachen, sondern zudem etwa auch Mitwirkungs- und vor allem auch Informationsrechte der tierschutzrechtlichen Verbände im vorgelagerten Verwaltungsverfahren normieren. Dies mag man bei sehr weiter Auslegung noch unter die Rahmenbedingungen einer verwaltungsprozessualen Regelung subsumieren, doch sehr viel näher liegt es, hier die tierschutzrechtliche Relevanz in den Vordergrund zu stellen. Das Tierschutzgesetz des Bundes ist deshalb ein relevanter Maßstab für die Frage, ob die Länder an der Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklagemöglichkeit nach Art. 72 Abs. 1 GG gehindert sind oder nicht. 2. Abschließende Regelung? Auch das Tierschutzgesetz hindert die Länder nur dann an der Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage, wenn es als erschöpfende und abschließende Regelung zu qualifizieren ist. Erkennbar ist die Verbandsklage im Tierschutzgesetz jedoch weder ausdrücklich positiv normiert noch explizit ausgeschlossen. Von einer abschließenden Regelung kann deshalb nur ausgegangen werden, wenn der Bundesgesetzgeber die Verbandsklage bewusst nicht geregelt hat.82 Insofern muss eine Gesamtwürdigung des gesamten Tierschutzgesetzes vorgenommen werden, muss auf das Gesetz selbst, den Regelungszweck, die Entstehungsgeschichte und die Gesetzesmaterialien zurückgegriffen werden.83 a) Indizwirkung der Zulässigkeit von Verbandsklagen im Naturschutzrecht? Die erforderliche Gesamtwürdigung des Tierschutzgesetzes mag dabei möglicherweise durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts beeinflusst werden.84 Das Bundesverwaltungsgericht hatte sich nämlich mit der Frage der Zulässigkeit landesrechtlicher Verbandsklagen neben bundesrechtlichen Regelungen zu befassen. Im konkreten Fall aus dem Jahr 1993 ging es um die Zulässigkeit eines landesrechtlich eingeräumten Verbandsklagerechts im überwiegend bundesrechtlich geregelten Naturschutzrecht. Das Bundesverwaltungsgericht hat eine Sperrwirkung 81

Vgl. Caspar, DÖV 2008, S. 145, 148. Zu den Voraussetzungen eines absichtsvollen Unterlassens vgl. bspw. Uhle, in: Maunz/ Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 93. 83 BVerfGE 98, 265, 300. 84 So z. B. Caspar, DÖV 2008, S. 145, 150. 82

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des BNatSchG verneint, da keine abschließende und erschöpfende bundesgesetzliche Regelung vorliege. Dies gelte unbeschadet des Umstandes, dass der Gesetzgeber in § 29 BNatSchG den Verbänden explizit ein Mitwirkungsrecht eingeräumt habe und die im Gesetzgebungsverfahren ausführlich erörterte Verbandsklage bewusst nicht geregelt habe.85 Trotz vermeintlicher Parallelen kann diese Rechtsprechung indes nicht auf die Zulässigkeit einer landesrechtlichen Verbandsklage im Tierschutzrecht übertragen werden. Denn anders als das TierSchG wurde das damalige BNatSchG aus dem Jahre 1977 als Rahmengesetz i.S.d. Art. 75 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG a.F. erlassen. Die Rahmengesetzgebung war – anders als die konkurrierende Gesetzgebung – aber stets auf die Konkretisierung und Ausfüllung durch die Länder zugeschnitten. Dem Bund war – anders erneut als bei der konkurrierenden Gesetzgebung – die umfassende und erschöpfende Regelung der Sachmaterie gerade verboten.86 Wenn das Bundesverwaltungsgericht insofern den abschließenden Regelungscharakter des BNatSchG verneint und einen entsprechenden Gestaltungsspielraum der Länder angenommen hat, ist dies der Besonderheit der Rahmengesetzgebung zuzuschreiben, kann mithin aber nicht auf die konkurrierende Gesetzgebung übertragen werden. Dementsprechend lässt sich die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur landesrechtlichen Verbandsklage im bundesrechtlich determinierten Naturschutzrecht nicht auf das Tierschutzrecht übertragen. b) Unzulässiger Schluss von der Kompetenz auf ihren Gebrauch Eine Gesamtwürdigung des Tierschutzgesetzes hat im Wege der historischen Auslegung auch die Entstehungsgeschichte zu berücksichtigen. Insofern ist daran zu erinnern, dass für bundesweite Tierschutzregelungen zunächst 1971 im Wege der Verfassungsänderung eine entsprechende Kompetenz des Bundes geschaffen werden musste, von der der Bund dann im Jahre 1972 durch den Erlass des Tierschutzgesetzes Gebrauch gemacht hat. Der zeitlich-sachliche Zusammenhang zwischen der verfassungsrechtlichen Begründung der Tierschutzgesetzgebungskompetenz und ihrem Gebrauch durch den Gesetzgeber spreche für einen abschließenden Charakter des Tierschutzgesetzes, wird nun argumentiert.87 Denn ausweislich der Gesetzesmaterialien sollte die rechtliche Zersplitterung durch ein „neuzeitliches, bundeseinheitliches Tierschutzrecht“ ersetzt werden.88 Tatsächlich ist der Erlass des Tierschutzgesetzes eng mit der Grundgesetznovelle verbunden. Der Bundesgesetzgeber wollte bereits in der 4. und 5. Legislaturperiode ein Bundestierschutzgesetz

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BVerwG NVwZ 1993, S. 891. Rozek, in: Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar, 5. Aufl. 2010, Art. 75 Rn. 16 ff. 87 Löwer, WissR, Beiheft 16, S. 114, 124. 88 Vgl. die entsprechende Gesetzesbegründung, BT-Drs. 6/101, S. 3. 86

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erlassen89, war hierzu allerdings kompetenzrechtlich nicht befugt. So waren die gescheiterten Gesetzesinitiativen der Auslöser für die Neufassung des Art. 74 Abs. 1 GG, die dem Bund erst die umfassende Kompetenz zur Schaffung einer „bundeseinheitlichen Lösung“ eröffnete.90 Der Gesetzgeber war bei Erlass des Tierschutzgesetzes deshalb auch selbst der Auffassung, die neuen Herausforderungen im Spannungsfeld zwischen technischem Fortschritt und Tierschutz „nur im Rahmen eines neuzeitlichen, bundeseinheitlichen Tierschutzgesetzes“ lösen zu können.91 Viel spricht insofern für eine erschöpfende Regelung des Tierschutzrechts.92 Dem Regelungswillen des Bundesgesetzgebers kann allerdings nur indizielle Bedeutung zukommen,93 schon weil anderenfalls jede tatsächliche Fortentwicklung des Regelungsbereichs ignoriert werden müsste. Im Übrigen darf nicht zwingend von einer umfassenden Kompetenzzuweisung auf den Umfang ihres Gebrauchs geschlossen werden.94 Vielmehr muss auch insofern die Entwicklungsoffenheit des jeweiligen Sachgebiets mitbedacht werden. Deutlicher: Was 1972 als umfassende Regelung des Tierschutzrechts verstanden wurde oder jedenfalls verstanden werden konnte, kann sich in Ansehung neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse und gewandelter politischer Einschätzungen im Jahre 2016 unter Umständen nur als Teilbereich darstellen. Die Kompetenzzuweisung in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG ist insofern offen – sie bezieht sich stets auf den aktuellen Erkenntnisstand. Das Tierschutzgesetz selbst hinkt solchen Entwicklungen dagegen hinterher – es muss regelmäßig angepasst werden und kann nicht auf Dauer beanspruchen, den Regelungsbereich des Tierschutzes stets abschließend zu regeln. In Konkretisierung dieser allgemeinen Überlegungen ist festzuhalten, dass sich der Gesetzgeber bei Erlass des TierSchG nicht mit verfahrensrechtlichen Aspekten, insbesondere nicht mit der Frage der Einführung einer Verbandsklage, auseinandergesetzt hat.95 Insofern kann das Tierschutzgesetz jedenfalls nicht von Beginn an als erschöpfende Regelung verstanden werden.

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BT-Drs. 6/85 und BT-Drs. 5/934. BT-Drs. 6/1584; vgl. zur Entwicklung des Tierschutzrechts etwa Caspar, Tierschutz im Recht der modernen Industriegesellschaft, 1998, S. 277 ff. 91 BT-Drs. 6/2559, S. 9. 92 Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. II, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 9; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 27; Uhle, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 88. 93 Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 74 Rn. 26; Oeter, in: v. Mangold/Klein/Stack (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 73; Kunig, in: v. Münch/Kunig, Bd. II, 6. Aufl. 2012, Art. 72 Rn. 9. 94 Im Ergebnis ebenso Caspar, DÖV 2008, S. 145, 147. 95 Caspar, DÖV 2008, S. 145, 149. 90

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c) Erschöpfende Regelung durch Novellen von 1986 und 1992 Allerdings hat der Bundesgesetzgeber durch zahlreiche Änderungen des Tierschutzgesetzes weiter von seiner Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG Gebrauch gemacht. Je konkreter und detaillierter ein Sachbereich aber normiert ist, desto eher ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber eine erschöpfenden Regelung i.S.d. Art. 72 Abs. 1 GG treffen wollte.96 Zur Verbandsklage im Tierschutzrecht hat sich der Gesetzgeber in diesen Änderungen zwar nicht verhalten. Er hat aber zahlreiche andere Instrumente eingeführt, die zu einer Verbesserung des Tierschutzes und zu einer Vollzugskontrolle beitragen sollen. Das gilt zunächst für die Tierschutzbeauftragten, die nach § 10 TierSchG allen Einrichtungen, die Tierversuche unternehmen, verpflichtend vorgeschrieben sind. Sie haben nach § 5 Abs. 4 Nr. 1 TierSchVersV die Aufgabe, auf die „Einhaltung von Vorschriften, Bedingungen und Auflagen im Interesse des Tierschutzes zu achten“. Ihnen kommt somit eine Garantenstellung für das Wohlergehen der in der Einrichtung befindlichen Tiere zu, die sie dazu verpflichtet, etwaige Verstöße gegen tierschutzrechtliche Bestimmungen zu beseitigen.97 Eine Verletzung ihrer gesetzlichen Pflichten ist zudem strafrechtlich sanktioniert.98 Die Tierschutzbeauftragten lassen sich insoweit als Sachwalter der Tiere und deren Interessen verstehen. Als weiteres Instrument zur Verbesserung des Tierschutzes ist die Tierversuchskommission in § 15 TierSchG eingeführt worden. Sie hat die zuständigen Behörden bei der Überwachung der Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorschriften zu unterstützen.99 In der Tierversuchskommission sind gemäß § 42 Abs. 2 TierSchVersV auch die Tierschutzorganisationen mit mindestens einem Drittel aller Kommissionsmitglieder vertreten.100 Die Tierschutzverbände werden auf diesem Weg beteiligt und können bei Behördenentscheidungen mitwirken. Dies könnte dafür sprechen, dass der Gesetzgeber eine abschließende Regelung in Bezug auf die Beteiligung der Verbände treffen wollte. Schließlich hat der Gesetzgeber im Jahre 1992 noch eine Regelung über Schiedsverfahren bei Tiertransporten in das Tierschutzgesetz aufgenommen (§ 16i TierSchG). Hierbei handelt es sich um ein besonderes Verfahren außerhalb des verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes. Behörde und Transporteur können ihren etwaigen Streit außergerichtlich durch den Schiedsspruch eines Sachverständigen aus dem von der EU erstellten Verzeichnis beilegen. Selbst wenn der Gesetzgeber mit dieser Norm fremdbestimmt eine EU-Richtlinie umgesetzt hat, die ihrerseits primär die Verwirk96

Uhle, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 87. So Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG Kommentar, 3. Aufl. 2016, TierSchVersV § 5 Rn. 10; Lorz/Metzger, TierSchG Kommentar, 6. Aufl. 2008, Einf. Rn. 124. 98 Goetschel, in: Kluge (Hrsg.), TierSchG Kommentar, 2002, § 8b Rn. 5. 99 Vgl. BT-Drs. 10/3158, S. 28; Kluge, in: Kluge (Hrsg.), TierSchG Kommentar, 2002, § 15 Rn. 2. 100 Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG Kommentar, 3. Aufl. 2016, TierSchVersV § 42 Rn. 2. 97

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lichung des europäischen Binnenmarkts im Blick hatte,101 kann die detaillierte und spezielle Regelung doch durchaus Sperrwirkung für Verbandsklagen im Bereich des Tiertransportrechts entfalten.102 Insgesamt ist nicht zu leugnen, dass der Bundesgesetzgeber mit den Novellierungen des Tierschutzgesetzes in den Jahren 1986 und 1992 erneut von seiner Kompetenz aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG Gebrauch gemacht hat. Ob das Tierschutzgesetz damit aber einen abschließenden Charakter erhalten hat, der die Länder von der Einführung einer Verbandsklage ausschließt,103 muss bezweifelt werden.104 Erstens ist die Verbandsklage weder explizit im Gesetzestext noch implizit im Gesetzgebungsverfahren ausgeschlossen worden. Die eingeführten Instrumente sind zudem nur beratender bzw. sektoraler Art, während eine Verbandsklage umfassend auf den Vollzug des gesamten Tierschutzrechts bezogen sein könnte.105 Im Vergleich zu den drei skizzierten Instrumenten stellt sich das verwaltungsprozessrechtliche Instrument einer Verbandsklage als aliud dar. Allein aus der Normierung anderer Instrumente zur Verbesserung des Tierschutzes lässt sich nicht auf den Ausschluss einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene schließen. d) Keine Ermächtigung an den Landesgesetzgeber Das Tierschutzgesetz enthält keinen Vorbehalt zu Gunsten der Landesgesetzgebung, der im Umkehrschluss erkennen lassen würde, dass landesrechtliche Regelungen im Übrigen ausgeschlossen sein sollten.106 Zwar ermächtigt § 13b TierSchG die Landesregierungen zum Erlass einer Rechtsverordnung in Bezug auf freilebende Katzen. Dieser Bestimmung kann aber nicht entnommen werden, dass das Tierschutzgesetz im Übrigen abschließend wäre. Denn mit dieser Vorschrift grenzt das Tierschutzgesetz nicht den Sachbereich des formellen Bundesgesetzgebers von dem der formellen Landesgesetzgeber ab, sondern delegiert nach Maßgabe und im Einklang mit Art. 80 GG einen Teilbereich des von ihm beanspruchten Regelungsbereichs an die Landesregierungen als Verordnungsgeber. Anders als die formellen Landesgesetzgeber sind die Landesregierungen dabei an Inhalt, Zweck und Ausmaß der gesetzlichen Verordnungsermächtigung gebunden.

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Hirt/Maisack/Moritz, TierSchG Kommentar, 3. Aufl. 2016, §§ 16f – 16i Rn. 1. Vgl. Caspar, DÖV 2008, S. 145, 150. 103 Löwer, WissR, Beiheft 16, S. 114, 124; Metzger, in: Erbs/Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze, TierSchG, Stand: 2016, Vor § 1 Rn. 9. 104 v. Loeper, in: Kluge (Hrsg.), TierSchG Kommentar, 2002, Einf. Rn. 169; Hirt/Maisack/ Moritz, TierschG Kommentar, 3. Aufl. 2016, Einf. Rn. 92; Caspar, DÖV 2008, S. 145, 152. 105 Fest/Köpernik, DVBl. 2012, S. 1473, 1477. 106 Zu solchen Vermutungen vgl. BVerfGE 20, 238, 256; 21, 106, 115; 24, 367, 386. 102

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e) Sperrwirkung durch Ablehnung einer Landesinitiative im Bundesrat? Zum Teil wird die Auffassung vertreten,107 der Bund hätte seinen Willen, keine tierschutzrechtliche Verbandsklage zuzulassen, dadurch zum Ausdruck gebracht, dass der Bundesrat im Jahre 2004 einen Antrag des Landes Schleswig-Holstein abgelehnt hat, der auf eine Bundesratsinitiative zur Einführung einer bundesweiten Verbandsklage im Tierschutzrecht gerichtet war.108 Der Bundesrat folgte damals der Empfehlung des Wirtschaftsausschusses, befürchtete Gefahren für den Wirtschaftsstandort Deutschland und erachtete die bestehende Rechtslage im Übrigen als ausreichend.109 Allerdings muss bestritten werden, dass diese Beschlussfassung im Bundesrat tatsächlich den Willen des Bundesgesetzgebers repräsentiert. Denn hinsichtlich der Willensbekundung des Bundesgesetzgebers ist vorrangig auf den Bundestag zu rekurrieren, ohne dessen Beschluss nach Art. 77 Abs. 1 GG grundsätzlich110 keine Gesetze in Kraft treten können.111 Da vorliegend die Initiative des Bundesrates nicht dem Bundestag zugeleitet wurde, konnte sich das Parlament mit dem Thema aber nicht befassen, konnte mithin keinen Willen bilden und hat vor allem auch keinen zum Ausdruck gebracht. Beschlüsse des Bundesrates sind für die Willensbekundung „des Bundesgesetzgebers“ (im Singular) zwar nicht irrelevant. Vielmehr können sie sogar maßgeblich sein, etwa wenn der Bundesrat Einspruch gegen ein vom Bundestag beschlossenes Gesetz einlegt und der Einspruch weder im Vermittlungsverfahren zu einem Kompromiss führt noch später vom Bundestag überstimmt wird. Noch deutlicher wird die Willensbekundung bei Zustimmungsgesetzen durch die Verweigerung der Zustimmung. In beiden Fällen kommt den Beschlüssen des Bundesrates maßgebliche Bedeutung für die Ermittlung des Willens „des Bundesgesetzgebers“ zu. Anders verhält es sich indes, wenn nicht über einen bereits im Bundestag verhandelten Gesetzentwurf, sondern über die Frage abgestimmt wird, ob eine Gesetzesinitiative durch den Bundesrat ergriffen werden soll. Der Antrag des Landes Schleswig-Holstein ist für sich genommen noch keine Gesetzesinitiative, sondern nur die Initiative zur Initiative. Mit seiner Ablehnung bekundet der Bundesrat insofern nur seine Haltung als initiativberechtigtes Organ, nicht hingegen seine Haltung als mitwirkungsberechtigtes Gesetzgebungsorgan. Vielmehr kann sich eine Sperrwirkung gegenüber den Ländern nur aus bzw. nach der Durchführung eines Gesetzge-

107 LT-SH Drs. 18/1060, Stellungname der DGAR zum Gesetzesentwurf des Tierschutzverbandsklagerechts v. 09. 04. 2013, S. 5. 108 BR Drs. 157/04. 109 BR Drs. 157/1/04. 110 Etwas anderes gilt nur für den Gesetzgebungsnotstand nach Art. 81 GG. 111 Caspar, DÖV 2008, S. 145, 151.

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bungsverfahrens ergeben.112 Deshalb kann der Beschluss des Bundesrates, keine Initiative zur Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage zu ergreifen, nicht als Indiz für einen absichtsvollen Regelungsverzicht des Tierschutzgesetzes gewertet werden. f) Tierschutznovelle 2013 – Ablehnung einer Gesetzesinitiative Anders verhält es sich indes mit der letzten Änderung des Tierschutzgesetzes im Jahre 2013. Denn im Zuge des 3. Änderungsgesetzes, mit dem auf Initiative der Bundesregierung113 im Wesentlichen die Versuchstier-Richtlinie der EU114 umgesetzt werden sollte, brachte die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen einen weiteren Gesetzesentwurf ein115 der explizit auf ein Verbandsklagerecht für anerkannte Tierschutzorganisationen zielte.116 Die Gesetzesinitiative wurde als Änderungsantrag im Rahmen der Beratung und Beschlussfassung des 3. Änderungsgesetzes behandelt – und im Ergebnis von der Mehrheit des Bundestages abgelehnt.117 In dieser Ablehnung kommt nun unmissverständlich der Wille des Bundesgesetzgebers zum Ausdruck, auf Bundesebene kein Verbandsklagerecht im Tierschutzrecht einführen zu wollen. Erkennbar wird insofern ein absichtsvoller Regelungsverzicht,118 der nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nicht explizit im Gesetzestext zum Ausdruck kommen muss.119 Vielmehr ist der Wille des Gesetzgebers bereits dort feststellbar, wo sich das Parlament mit einer bestimmten Frage auseinandergesetzt hat, diese aber dann nicht weiter verfolgt bzw. nicht geregelt hat.120 Dabei ist es unerheblich, zu welchem Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens sich der Bundestag mit der entsprechenden Frage befasst hat.121 Bis zu einer erneuten Befassung des Bundestages mit dem Thema einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage ist juristisch deshalb davon auszugehen, dass eine solche Klagemöglichkeit 112 Oeter, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 58; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 35; Uhle, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 103. 113 BT-Drs. 17/10572. 114 Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates der EU vom 22. September 2010 zum Schutz der fu¨ r wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere, ABl. EU Nr. L 276/33. 115 BT-Drs. 17/9783. 116 BT-Drs. 17/9783, S. 35. 117 BT- Drs. 17/11811. 118 Vgl. BVerfG NJW 1972, 859; BVerfGE 32, 319, 327 f.; BVerfG NJW 2015, 44, 45; BVerfGE 113, 348, 371. 119 BVerfG, Beschluss v. 6. 10. 2009, NVwZ 2010, S. 247, 248. 120 BVerfGE 98, 265, 312 ff.; Uhle, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 93; krit. dazu: Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72. Rn. 25. 121 BVerfGE 98, 265, 313; Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 25.

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auf Bundesebene nicht gewollt ist und deshalb weder im Tierschutzgesetz noch in der Verwaltungsgerichtsordnung normiert ist. 3. Unterschied zwischen Regelungsverzicht auf Bundesebene und Sperrwirkung auf Landesebene Dieser Regelungsverzicht auf Bundesebene führt aber noch nicht automatisch zu einer Sperrwirkung auf Landesebene. Vielmehr ist jedenfalls dann zwischen dem Regelungsverzicht auf Bundesebene und einer Sperrwirkung auf Landesebene zu differenzieren, wenn in Bezug auf die streitige Materie bereits Landesrecht erlassen worden ist. Dies hat das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zum Bayerischen Schwangerenhilfegesetz in Bezug auf abweichendes Landesrecht zugunsten eines Fachärztevorbehalts deutlich zum Ausdruck gebracht:122 „Eine Sperrwirkung für abweichendes Landesrecht ist dem Gesetz indessen nicht zu entnehmen. Hierzu genügte ein Regelungsverzicht nicht. Vielmehr hätte es einer ausdrücklichen Vorschrift bedurft, da dem Bundesgesetzgeber bei seiner Novellierung die uneinheitliche Rechtslage in den Ländern bekannt war. (…) Hätte sie (die bundeseinheitliche Regelung) einen Gynäkologenvorbehalt abschließend verhindern wollen, hätte dies schon um der Rechtsklarheit willen deutlich ausgesprochen werden müssen, weil dann älteres Landesrecht außer Kraft gesetzt worden wäre.“123

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war zwar innerhalb und außerhalb des Senats sehr umstritten. Die Senatsmehrheit hatte teilweise (nicht in dem oben zitierten Passus) eine Sperrwirkung zu Lasten des Landesgesetzgebers angenommen und deshalb einzelne Normen des BaySchwHEG für verfassungswidrig erklärt.124 Der Bund habe die Thematik Lebensschutz in einem Gesamtkonzept geregelt und damit abschließend von seiner Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs Gebrauch gemacht. Dagegen konnten die Richter Papier/Graßhoff/Haas gerade keinen absichtsvollen Regelungsverzicht feststellen, wie sie in einem Sondervotum zum Ausdruck brachten. Sie warfen der Senatsmehrheit vor, die grundgesetzliche Kompetenzverteilung zu missachten.125 Demgegenüber ging den Richtern Kühling und Jaeger die von der Senatsmehrheit angenommene Sperrwirkung nicht weit genug. In einem weiteren Sondervotum äußerten sie die Überzeugung, dass der Bund von seiner Gesetzgebungsbefugnis des Art. 74 Abs. 1 Nr. 19 GG abschließend Gebrauch gemacht habe und dem Freistaat Bayern deshalb jegliche Kompetenz fehle, überhaupt nur irgendeinen Teilbereich der ärztlichen Berufsausübung unter ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt zu stellen.126 Angesichts dieser Zerstrittenheit in-

122

BVerfGE 98, 265. BVerfGE 98, 265, 307. 124 BVerfGE 98, 265, 313 ff. 125 Vgl. BVerfGE 98, 265, 329 ff., insb. 345. 126 BVerfGE 98, 265, 359 f.

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nerhalb des Senats verwundert es nicht, dass die Entscheidung auch in der Literatur aus unterschiedlichen Gründen auf Kritik gestoßen ist.127. Für die Frage nach der Sperrwirkung des Tierschutzgesetzes gegenüber der Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene spielen diese Meinungsverschiedenheiten aber keine Rolle. Denn der zitierte Abschnitt aus der Entscheidung war nicht von dem gerichtsinternen Streit betroffen und ist, soweit ersichtlich, auch im Schrifttum nicht kritisch kommentiert worden. Vor allem aber sind es drei wesentliche Argumente, die für die Differenzierung zwischen einem Regelungsverzicht auf Bundesebene und einer Sperrwirkung gegenüber der Landesebene sprechen: a) Rechtsklarheit Das erste Argument wird bereits vom Bundesverfassungsgericht selbst betont: Wenn es auf Landesebene bereits Gesetze gibt, deren verfassungsrechtliche Grundlage durch die vermeintliche Sperrwirkung des Bundesgesetzes in Frage gestellt wird, dann sind an einen absichtsvollen Regelungsverzicht aus Gründen der Rechtsklarheit höhere Anforderungen zu stellen. Denn eine Sperrwirkung führte in solchen Fällen nicht nur dazu, dass die Landesgesetzgeber künftig von der Gesetzgebung ausgeschlossen sind, sondern auch zur Nichtigkeit der bereits erlassenen Landesgesetze. Zweifel an der Sperrwirkung führten deshalb bei Behörden und Gerichten wie auch bei den betroffenen Privaten zu erheblicher Unsicherheit, ob das formal in Kraft befindliche Landesgesetz angewendet werden kann oder ob es nicht mangels Kompetenz nichtig ist. Um solche Zweifel auszuschließen, fordert das Bundesverfassungsgericht „eine ausdrückliche Vorschrift“, was ebenso nachvollziehbar ist wie freilich auch im Widerspruch zu der prinzipiellen Möglichkeit eines absichtsvollen Regelungsverzichts steht. b) Bundestreue Neben der Rechtsklarheit wird der Bundesgesetzgeber vor allem durch den Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens dazu verpflichtet, eine etwaig intendierte Sperrwirkung gegenüber dem Landesgesetzgeber explizit deutlich zu machen. Der Grundsatz bundesfreundlichen Verhaltens – die Bundestreue – wird als ungeschriebener Verfassungsgrundsatz unmittelbar aus dem Bundesstaatsprinzip abgeleitet.128 Er verpflichtet den Bund und die Länder im jeweilig gegenseitigen Verhältnis zu wechselseitiger Rücksichtnahme129 und verdichtet sich u. a. als Kompetenzaus-

127

Vgl. z. B. Hillgruber, ZfL 2000, S. 46, 55; Rüfner, ZG 1999, S. 366, 375. Zu Einzelheiten vgl. die Darstellung bei Kloepfer, Verfassungsrecht Bd. I, 2011, § 9 Rn. 197 ff. 129 BVerfGE 12, 205, 254. 128

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übungsschranke: Jede Ebene muss bei der Inanspruchnahme eines Kompetenztitels auch die Kompetenzen der jeweils anderen Ebene berücksichtigen. Heruntergebrochen auf die konkurrierende Gesetzgebung folgt aus der Bundestreue für die Länder insoweit das Gebot, nicht kategorisch auf der Vermutung der Gesetzgebungszuständigkeit nach Art. 70 Abs. 1 GG zu beharren, wenn deutlich ist, dass der Bund von einem konkurrierenden Gesetzgebungstitel umfassend Gebrauch machen wollte. Umgekehrt verpflichtet der Grundsatz der Bundestreue den Bund erstens, nicht missbräuchlich die umfassende Inanspruchnahme eines Gesetzgebungstitels zu behaupten, um die Länder an weitergehender Gesetzgebung zu hindern, und deshalb zweitens, den umfassenden Regelungsanspruch hinreichend zum Ausdruck zu bringen. Dies gilt drittens um so mehr, wenn die Länder nicht nur künftig von der Gesetzgebung ausgeschlossen werden sollen, sondern wenn eine vorherige Gesetzgebung der Länder rückwirkend außer Kraft gesetzt werden soll. Der Bundesgesetzgeber trägt insoweit auch eine Verantwortung für in Kraft befindliches Landesrecht. c) Zweifelsfallregelung Schließlich spricht auch das in Art. 70 Abs. 1 GG deutlich zum Ausdruck kommende Grundsatz-Ausnahme-Verhältnis zu Gunsten der Länder dafür, dass der Bund eine Sperrwirkung im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung explizit darlegen und nicht nur stillschweigend dadurch in Anspruch nehmen kann, dass er auf Bundesebene nicht regelnd tätig wird. Kann der Wille des Bundesgesetzgebers nicht einwandfrei und eindeutig festgestellt werden, so reaktualisiert sich die Vermutung des Art. 70 Abs. 1 GG zu Gunsten der Länder, ist also im Zweifel von einem Verbleib der Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern auszugehen.130 4. Regelungsverzicht des Bundes ohne Sperrwirkung gegenüber den Ländern Folgt man dieser grundsätzlichen Differenzierung zwischen dem Regelungsverzicht auf Bundesebene und einer Sperrwirkung auf Landesebene, wird deutlich, dass die in der Zurückweisung der Gesetzesinitiative der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Ausdruck kommende Ablehnung gegenüber einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Bundesebene nicht zugleich auch eine Sperrwirkung gegenüber der Einführung einer solchen Verbandsklage in den Ländern entfalten kann.

130 Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 159; Oeter, in: v. Mangold/Klein/Stack (Hrsg.), GG Kommentar, Bd. II, 6. Aufl. 2010, Art. 72 Rn. 75; Uhle, in: Maunz/Dürig (Begr.), Art. 72 Rn. 84; Jarass, NVwZ 1996, S. 1041, 1044.

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Denn als der Bundestag am 13. 12. 2012 den Antrag zurückgewiesen hat,131 war nicht nur das Gesetz über das Verbandsklagerecht in Bremen seit mehr als fünf Jahren in Kraft,132 sondern wurden auch bereits in den Ländern Hamburg und NordrheinWestfalen entsprechende Gesetzentwürfe beraten. In Hamburg war der Gesetzentwurf am 13. 03. 2012 in die Bürgerschaft eingebracht worden,133 der dort am 16. 05. 2013 angenommen wurde.134 Das Gesetz wurde am 04. 06. 2013 im GVBl. veröffentlicht und trat am 1. 10. 2013 in Kraft.135 In Nordrhein-Westfalen war der entsprechende Gesetzentwurf am 04. 07. 2012 in den Landtag eingebracht worden,136 wo er am 19. 06. 2013 angenommen wurde.137 Das Gesetz wurde am 05. 07. 2013 im GVBl. veröffentlicht und trat am folgenden Tag in Kraft.138 Im Saarland wurde das entsprechende Gesetz zwar erst am 13. 03. 2013 und somit zu einem Zeitpunkt auf den Weg gebracht, als der Bundestag und der Bundesrat über das 3. Gesetz zur Änderung des Tierschutzgesetzes bereits beraten hatten, allerdings war es bereits zuvor in der politischen Diskussion. Im Ergebnis musste dem Bundesgesetzgeber somit klar sein, dass eine etwaige Sperrwirkung nicht nur zur Nichtigkeit des bereits in Kraft befindlichen Bremer Gesetzes geführt hätte, sondern zugleich auch die Gesetzesvorhaben in Hamburg und Nordrhein-Westfalen untergraben hätte. Dabei muss davon ausgegangen werden, dass der Bundesgesetzgeber Kenntnis von diesen landesrechtlichen Entwicklungen hatte oder jedenfalls hätte haben müssen. Insbesondere den Mitgliedern des Ausschusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sowie dem Bundesrat bzw. einigen seiner persönlichen Mitglieder musste bekannt sein, dass es in Bremen ein solches Verbandsklagerecht gab und in anderen Ländern eingeführt wird. Unter solchen Umständen genügt ein Schweigen nicht, um eine Sperrwirkung gegenüber den Ländern zu entfalten. Vielmehr ist insofern eine explizite gesetzliche Regelung oder jedenfalls doch eine klarstellende Willensbekundung des Bundesgesetzgebers zu fordern.139 An dieser fehlt es indes – weder hat der Bundesgesetzgeber Verbandsklagen auf Landesebene normativ im Gesetz selbst ausgeschlossen noch ist diese Frage im Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens überhaupt diskutiert worden. Die föderale Regelungsbefugnis für tierschutzrechtliche Verbandsklagen liegt insofern derzeit bei den Ländern.

131

Plen.-Prot. 17/214 S. 26368. Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (TSVbeklG) v. 25. 09. 2007 (Brem. GBl. 2007, S. 455). 133 LT-Drs. 20/3512. 134 Plen.-Prot. 20/60 S. 4644. 135 HmbGVBl. 2013, S. 248. 136 LT-Drs. 16/77. 137 Plen.-Prot. 16/33 S. 2911 ff. 138 GVBl. NRW 2013, S. 416. 139 Vgl. BVerfGE 49, 343, 359. 132

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VI. Handlungsoptionen für den Bundesgesetzgeber Vor dem Hintergrund dieser kompetenzrechtlichen Ausgangslage bleiben dem Bund politisch im Wesentlichen drei Handlungsoptionen: er kann erstens untätig bleiben (1.), zweitens selbst ein bundeseinheitliches Verbandsklagerecht normieren (2.) oder drittens die Sperrwirkung für die Länder zu aktivieren versuchen (3.). 1. Untätigbleiben Der Bund ist auch nach der Einführung von tierschutzrechtlichen Verbandsklagen in acht Bundesländern nicht verpflichtet, seinerseits tätig zu werden. Ebenso wie die Länder nicht zur Homogenität hinsichtlich der Rechte der Tierschutzverbände verpflichtet sind,140 wird auch der Bund nicht durch die heterogene Rechtslage zur vereinheitlichenden Gesetzgebung verpflichtet. Auch die Tatbestandsmerkmale der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG – so diese denn wegen des materiellen Tierschutzgehalts und entgegen dem prozeduralen Charakter einer Verbandsklage überhaupt einschlägig ist – vermögen keine Pflicht des Bundes zu begründen, weil sie nicht als Voraussetzungen einer Gesetzgebungspflicht, sondern als Grenzen einer Rechtsetzungsbefugnis konzipiert sind. Insofern kann der Bund weiterhin untätig bleiben mit der Folge, dass die Regelungskompetenz bei den Ländern verbleibt. Die bisher erlassenen Verbandsklagegesetze können deshalb in Kraft bleiben oder auch verändert oder aufgehoben werden, ganz nach der politischen Entscheidung in den jeweiligen Ländern. Ebenso können in anderen Ländern Verbandsklagemöglichkeiten geschaffen werden oder eben auch nicht. 2. Normierung eines bundeseinheitlichen Verbandsklagerechts Sollte die heterogene Rechtslage indes als unbefriedigend empfunden werden, könnte der Bund ein bundeseinheitliches Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisationen normieren, wie es von Tierschützen nach wie vor gefordert wird. Dies hätte weitreichende Konsequenzen für die Bundesländer: Sie wären nicht nur in Zukunft von der Gesetzgebung ausgeschlossen, vielmehr wären auch die bereits erlassenen Gesetze ab Inkrafttreten einer entsprechenden bundesrechtlichen Regelung nichtig, unabhängig davon, ob sie inhaltlich von der bundesrechtlichen Regelung abwichen, ihr eins zu eins entsprächen oder sie auch nur ergänzten.141

140

Vgl. BVerfGE 49, 343, 359. Vgl. BVerfGE 102, 99, 115; 109, 190, 230; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 135 Rn. 159. 141

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a) Einschlägigkeit der Erforderlichkeitsklausel Allerdings wird in Bezug auf die Regelungsbefugnis des Bundes die Frage erneut bedeutsam, ob eine Verbandsklagebefugnis (eher) dem „gerichtlichen Verfahren“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG oder dem „Tierschutz“ im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG zuzuordnen ist. Denn während das „gerichtliche Verfahren“ nicht von Art. 72 Abs. 2 GG genannt wird und deshalb in die unkonditionierte konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 72 Abs. 1 GG fällt, darf der Bund auf dem Gebiet des Tierschutzes nur unter den Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG tätig werden. Hier ist in der politischen Diskussion auf rechtstaatliche Kohärenz zu achten: Wenn allein die Kompetenz des Bundes zur Regelung des „gerichtlichen Verfahrens“ aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG maßgeblich für eine Regelung der tierschutzrechtlichen Verbandsklage sein sollte und die Zulässigkeit der Einführung von Verbandsklagemöglichkeiten auf Landesebene deshalb schon wegen der Öffnungsklausel des § 42 Abs. 2 VwGO zulässig sein sollte, dann führt dies in der Konsequenz dazu, dass der Bund eine Verbandsklage im Tierschutzrecht ohne Rücksicht auf die Erforderlichkeitsklausel regeln – und das heißt prinzipiell auch ausschließen – darf. Überzeugender ist es hingegen, die Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage wegen ihrer formellen und materiellen Zielsetzung dem Tierschutzrecht zuzuordnen, weshalb eine bundesrechtliche Regelung zum Verbandsklagerecht am Maßstab der Erforderlichkeitsklausel gemessen werden muss. b) Begründung der Erforderlichkeit Ob eine bundesgesetzliche Regelung zum Verbandsklagegerecht der Erforderlichkeitsklausel entsprechen würde, ist schwer zu prognostizieren. Denn das Bundesverfassungsgericht hat in einer (erstaunlich) konsequenten Rechtsprechung die Erforderlichkeitsklausel des Art. 72 Abs. 2 GG unter Berufung auf den Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers von 1994 stets sehr eng interpretiert,142 gleichzeitig aber nicht zu einer unüberwindbaren Hürde modifiziert.143 Entscheidend ist vor allem, dass mit dem Wortlaut des Art. 72 Abs. 2 GG und den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die drei Alternativen des Art. 72 Abs. 2 GG – die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse, die Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse und die Wahrung der Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse – streng voneinander zu unterscheiden und dementsprechend auch eigens zu begründen sind. 142 Vgl. BVerfGE 106, 62 (Altenpflegegesetz); BVerfGE 110, 141 (Kampfhunde); BVerfGE 111, 10 (Ladenschlussgesetz); BVerfGE 111, 226 (Juniorprofessur); BVerfGE 112, 226 (Studiengebühren); BVerfG, Urt. v. 21. 7. 2015 – 1 BvF 2/13 (Betreuungsgeld). 143 Vgl. z. B. die fast schon apodiktische Feststellung, dass für den Erlass des Gentechnikgesetz „die Voraussetzungen der Erforderlichkeitsklausel vorliegen“, BVerfGE 128, 1, 34.

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Für die tierschutzrechtliche Verbandsklage scheint dabei der 2. Alternative – der Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse – die größte Bedeutung zuzukommen. Diese Alternative kann nach dem BVerfG aber „nicht so verstanden werden, dass die Setzung bundeseinheitlichen Rechts stets erforderlich wäre. Unterschiedliche Rechtslagen für die Bürger sind notwendige Folge des bundesstaatlichen Aufbaus. Auf allen in Art. 74 und Art. 75 GG genannten Gebieten lässt das Grundgesetz eine Rechtsvielfalt prinzipiell zu. Einheitliche Rechtsregeln können in diesen Bereichen aber erforderlich werden, wenn eine unterschiedliche rechtliche Behandlung desselben Lebenssachverhalts unter Umständen erhebliche Rechtsunsicherheiten und damit unzumutbare Behinderungen für den länderübergreifenden Rechtsverkehr erzeugen kann. Um dieser sich unmittelbar aus der Rechtslage ergebenden Bedrohung von Rechtssicherheit und Freizügigkeit im Bundesstaat entgegen zu wirken, kann der Bund eine bundesgesetzlich einheitliche Lösung wählen.“144 Ob die heterogene Rechtslage bezüglich der Möglichkeiten einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage tatsächlich zu erheblichen Rechtsunsicherheiten führt, kann aufgrund der noch wenigen Erfahrungen mit diesem Instrument noch nicht beurteilt werden. Da auf Bundesebene derzeit auch keine Initiative erkennbar ist, ein bundesweites Verbandsklagerecht einzuführen, sei die Frage deshalb offen gelassen. 3. Aktivierung der Sperrwirkung für die Länder Freilich müsste die Erforderlichkeitsklausel auch bei der dritten Option des Bundes beachtet werden, nämlich bei der Möglichkeit, eine Sperrwirkung für die Länder zu entfalten, ohne selbst auf Bundesebene eine tierschutzrechtliche Verbandsklage einzuführen. Ein solches generelles „Verbot“ von Verbandsklagen im Tierschutzrecht wirft allerdings zahlreiche kompetenzrechtliche Fragen auf, die in diesem Kontext nur umrissen, nicht aber beantwortet werden sollen. Denn so überzeugend die Differenzierung zwischen einem Regelungsverzicht auf Bundesebene und einer Sperrwirkung gegenüber der Landesebene auch ist, so ungeklärt ist doch, welche Anforderungen der Bundesgesetzgeber erfüllen muss, um nicht nur für die Bundesebene einen Regelungsverzicht, sondern auch für die Landesebene eine Sperrwirkung anzuordnen. Kernfrage ist vor allem, ob ein „absichtsvoller Regelungsverzicht“ bzw. ein „beredtes Schweigen“ unter Art. 72 Abs. 1 GG in seiner durch die Verfassungsreform von 1994 gefundenen Fassung überhaupt noch möglich ist. Einerseits soll dies nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers wohl noch möglich sein,145 anderseits ist dies mit dem neuen Wortlaut kaum noch vereinbar. Denn die 144

BVerfGE 106, 62, 146. So – allerdings nur unter Berufung auf BVerfGE 98, 265, 313, nicht hingegen auf die Gesetzgebungsmaterialien des verfassungsändernden Gesetzgebers verweisend – Degenhart, in: Sachs (Hrsg.), GG Kommentar, 7. Aufl. 2014, Art. 72 Rn. 25. 145

Föderale Regelungsbefugnisse für Verbandsklagerechte im Tierschutzrecht

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Verfassungsreform hat Art. 72 Abs. 1 GG insofern verschärft, als die Landesgesetzgebung jetzt nur noch gesperrt wird, soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit „durch Gesetz“ Gebrauch macht. Doch wie kann der Bund überhaupt „durch Gesetz“ handeln, wenn er gerade kein Gesetz erlassen will? Und wer ist „der Bundesgesetzgeber“ im Singular, auf dessen Willensbekundung es ankommt?146 Wäre es rechtsmissbräuchlich, wenn die Bundesregierung oder eine (Regierungs-)Fraktion des Bundestages ein Gesetz allein mit dem Ziel initiiert, es zur Aktivierung der Sperrwirkung abzulehnen? (Begrifflich ließe sich dies in Anlehnung an die „unechte Vertrauensfrage“ etwa als „unechte Gesetzesvorlage“ bezeichnen.) Sämtliche dieser Fragen wären freilich obsolet, wenn der Bundesgesetzgeber eine Sperrwirkung für die Landesgesetzgeber allein durch eine explizite gesetzliche Vorschrift entfalten könnte. Nur sie bringt den mehrheitlich gefassten politischen Willen des Bundesgesetzgebers hinreichend klar zum Ausdruck. Somit spricht im Ergebnis einiges dafür, dass der Bundesgesetzgeber nach der Neufassung des Art. 72 Abs. 1 GG durch die Verfassungsreform von 1994 keine Möglichkeit mehr hat, eine Sperrwirkung gegenüber den Ländern allein durch einen „absichtsvollen Regelungsverzicht“ zu erzeugen.

VII. Zusammenfassung und Ausblick Föderale Regelungsbefugnisse für Verbandsklagerechte im Tierschutzrecht stehen nach derzeitiger Rechtslage sowohl dem Bund als auch den Ländern zu, dem Bund allerdings nur unter Beachtung der Erforderlichkeitsklausel, den Ländern immer nur bezogen auf ihre eigene Landesverwaltung. Weder Bund noch Länder sind dabei zur Einführung einer tierschutzrechtlichen Verbandsklage verpflichtet. Macht der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch, verlieren die Länder ihre Regelungsbefugnis. Bereits erlassene Landesgesetze würden nichtig. Dieser kompetenzrechtliche Befund zeugt nicht von einer Schwäche rechtsstaatlich gebotener Klarheit, sondern ist Ausdruck der innovativen Kraft des Föderalismus.

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Vgl. hierzu jüngst Wischmeyer, JZ 2015, S. 957 ff.

Erfahrungen mit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene – Rechtspolitische Diskussion und Ausblick Von Peter Knitsch

I. Einleitung Die Einführung eines Verbandsklagerechts für anerkannte Tierschutzvereine in Nordrhein-Westfalen war Bestandteil der letzten beiden rot-grünen Koalitionsverträge. Nachdem der Gesetzentwurf in der 15. Legislaturperiode der Diskontinuität unterfiel, wurde er am 4. Juli 2012 erneut in den Landtag eingebracht und am 19. Juli 2013 als Gesetz über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW) verabschiedet.

II. Inhalt und Systematik Das Gesetz enthält in § 1 das Klagerecht, in § 2 die Mitwirkungs- und Informationsrechte und regelt in § 3 die Anerkennungsvoraussetzungen. 1. Klagerecht anerkannter Tierschutzvereine Das TierschutzVMG NRW bestimmt in § 1 die Fallgruppen, in denen anerkannten Vereinen ein Klagerecht zusteht. Darüber hinaus enthält § 1 TierschutzVMG NRW Zulässigkeitsvoraussetzungen und eine Präklusionsregelung. Das Klagerecht erstreckt sich auf alle Rechtsbehelfe nach den Vorschriften der VwGO (Widerspruch, Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage) einschließlich der Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz nach § 80 Absatz 5 und § 123 VwGO. Eine Ausnahme gilt für den Bereich der Tierversuchsgenehmigungen. Hier steht den Vereinen nur die Klageart der Feststellungsklage zu, eine aufschiebende Wirkung besteht nicht. Darüber hinaus ist die Klage nur zulässig, wenn zuvor mindestens zwei Mitglieder der Kommission nach § 15 TierSchG das Vorhaben abgelehnt haben.

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2. Mitwirkungs- und Informationsrechte anerkannter Tierschutzvereine Hinsichtlich der in § 2 TierschutzVMG NRW statuierten Mitwirkungs- und Informationsrechte anerkannter Tierschutzvereine ist zwischen den „obligatorischen“ Mitwirkungs- und Informationsrechten nach § 2 Absatz 1 und denen, die den Vereinen nach § 2 Absatz 2 in Verbindung mit Absatz 5 nur „auf Verlangen“ bzw. „auf Antrag“ gewährt werden („fakultativ“), zu unterscheiden. a) Obligatorische Mitwirkungs- und Informationsrechte Vor dem Erlass von tierschutzrelevanten Rechts- und Verwaltungsvorschriften durch die für Tierschutz zuständigen Behörden des Landes und vor der Erteilung von tierschutzbezogenen Genehmigungen nach Bau- oder Immissionsschutzrecht ist anerkannten Tierschutzvereine die Gelegenheit zur Einsicht- und Stellungnahme zu gewähren. b) Fakultative Mitwirkungs- und Informationsrechte In Genehmigungs- oder Erlaubnisverfahren nach § 4a Absatz 2 Nummer 2 TierSchG („Schächten“), § 6 Absatz 3 TierSchG (Schnäbel- und Schwänzekürzen), § 8 Absatz 1 TierSchG (Tierversuchsgenehmigungen) und § 11 Absatz 1 TierSchG (tierschutzrechtliche Erlaubnisse) sowie für Baugenehmigungsverfahren von Kleintierställen können sich die Vereine auf eigene Initiative einbringen. Zur Ermöglichung dieses fakultativen Rechts auf Mitwirkung eröffnet § 2 Absatz 5 TierschutzVMG NRW den anerkannten Tierschutzvereinen einen „vorgelagerten“ Informationsanspruch gegenüber der Behörde auf Mitteilung von Anzahl und Gegenstand laufender Verwaltungsverfahren. Die Stellung eines Antrages auf fortlaufende Information („Dauerantrag“) ist möglich. Anschließend kann der Verein nach § 2 Absatz 2 TierschutzVMG NRW in diesen laufenden Verwaltungsverfahren die Mitwirkung verlangen, Akteneinsicht nehmen und eine Stellungnahme abgeben. Die Behörde hat die Äußerung des Vereins in das Verfahren einzubringen und die Erkenntnisse oder Argumente bei der Entscheidung einzubeziehen. Die anerkannten Vereine haben zu beachten, dass sie in einem späteren Klageverfahren nicht mit Einwendungen gehört werden, die sie schon im Mitwirkungsverfahren hätten vorbringen können, dies aber unterlassen haben. In diesem Falle greift die Präklusion nach § 1 Absatz 3 TierschutzVMG NRW. Eine Besonderheit stellt die Mitwirkung und Information im Hinblick auf Tierversuchsgenehmigungsverfahren dar. Soweit der Verein einen Antrag nach § 2 Absatz 5 TierschutzVMG NRW gestellt hat, werden ihm die Informationen über den Zugang zu einem elektronischen und

Erfahrungen mit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene

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passwortgeschützten Verfahrensregister bereitgestellt. Das Verfahrensregister ist beim Landesamt für Natur-, Umwelt und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen (LANUV) eingerichtet. Es enthält das Aktenzeichen, die Nichttechnischen Projektzusammenfassungen zu den im Genehmigungsverfahren befindlichen laufenden Tierversuchsvorhaben, die Angabe der Tierarten und der Tierzahlen sowie das voraussichtliche Datum der Kommissionssitzung. Zur Erleichterung und Vereinheitlichung des Vollzuges wurden vier konkretisierende Erlasse herausgegeben. Im Einzelnen waren dies Erlasse an die Bauaufsichtsbehörden (Bereich Bauvorhaben), an die Umweltbehörden (Bereich Immissionsschutz), an das Landesamt (Bereich Tierversuchsgenehmigungsverfahren) und an die Kreisordnungsbehörden (Bereich tierschutzrechtliche Verwaltungsverfahren nach dem TierSchG). Die Erlasse wurden zuvor – soweit jeweils betroffen – mit den kommunalen Spitzenverbänden, dem Bau- und dem Forschungsministerium, dem Landesamt und den anerkannten Vereinen beraten. Mit Urteil vom 19. April 2016 hat das VG Münster entschieden, dass bei Verfahren nach § 16a TierSchG für anerkannte Vereine kein Anspruch auf Mitwirkung und Information (Akteneinsicht) nach dem TierschutzVMG NRW bestehe. Das TierschutzVMG regele für diese Fallgruppe in § 1 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 lediglich das Klagerecht. Allerdings könne sich ein Mitglied des anerkannten Vereins in diesen Fällen die begehrten Informationen als natürliche Person auf Grundlage des § 4 IFG NRW beschaffen.1 3. Anerkennungsverfahren Die Vorschrift des § 3 TierschutzVMG NRW bestimmt, unter welchen Voraussetzungen ein Tierschutzverein in Nordrhein-Westfalen anerkannt werden kann. Eine Anerkennung ist unter bestimmten Voraussetzungen auch für Vereine möglich, die ihren Sitz nicht in Nordrhein-Westfalen haben. Zuständig für die Anerkennungen der Vereine ist das Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Zum 1. Juni 2016 sind neun Vereine anerkannt. Bei fünf antragstellenden Vereinen konnte eine Anerkennung nicht ausgesprochen werden, da die Anerkennungsvoraussetzungen nicht vorlagen oder die für die Prüfung erforderlichen Unterlagen nicht vollständig beigebracht wurden. Bisher anerkannte Vereine sind: 1. Animal Rights Watch e.V., 2. Bundesverband Tierschutz e.V., 3. Deutscher Tierschutzbund e.V., 1

VG Münster, Urteil vom 19. April 2016, Aktenzeichen: 1 K 2781/14.

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4. Deutsches Tierschutzbüro e.V., 5. Europäischer Tier- u. Naturschutz e.V., 6. Landestierschutzverband NRW, 7. Menschen für Tierrechte/Bundesverband der Tierversuchsgegner e.V., 8. Bund gegen Missbrauch der Tiere e.V. – Landesgeschäftsstelle NRW, 9. Ärzte gegen Tierversuche e.V. Im Februar 2015 haben mehrere der anerkannten Vereine als GbR das „Landesbüro Verbandsklagerecht anerkannter Tierschutzverbände in NRW“ gegründet. Inzwischen haben sich insgesamt sieben der neun anerkannten Vereine dem Landesbüro angeschlossen. Der Sitz des Landesbüros ist in Düsseldorf. Das Landesbüro steht den Behörden als zentraler Ansprechpartner zur Verfügung und nimmt eine Bündelungsfunktion wahr. Es koordiniert die Ein- und Ausgänge von Informationen, so dass sich der bürokratische Aufwand für die Behörden reduziert. Das Landesbüro nimmt außerdem stellvertretend für die angeschlossenen Vereine an Terminen wie z. B. Veranstaltungen, Sitzungen im Landtag oder Fachgesprächen teil. Den anerkannten Vereinen ist u. a. bei der Verordnung über Zuständigkeiten und zur Übertragung von Ermächtigungen zum Erlass von Rechtsverordnungen auf dem Gebiet des Tierschutzrechts (Zuständigkeitsverordnung Tierschutz NRW – ZustVO Tierschutz NRW) und dem Entwurf von Materialien zur Erstellung einer Verordnung zum Schutz freilebender Katzen in bestimmten Gebieten nach § 13b TierSchG zur Handreichung an die Kreisordnungsbehörden Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden.

III. Fazit und Ausblick Mit dem TierschutzVMG NRW wurde „Neuland“ beschritten. Erstmals können durch das Gesetz Entscheidungen einer verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterzogen werden. Dies stärkt sowohl den Tierschutz, als auch den Rechtsstaat. Die ersten Erfahrungen mit dem Verbandsklagerecht lassen jedoch das Treffen folgender Feststellungen zu: – Die vor Einbringung des Gesetzes in den Landtag geäußerten Befürchtungen einer Überprüfung von Behörden und Gerichten mit Anträgen und Klagen haben sich trotz weitreichend eingeräumter Klage-, Informations-, und Mitwirkungsrechte nicht bewahrheitet.

Erfahrungen mit der tierschutzrechtlichen Verbandsklage auf Landesebene

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– In ausgewählten Fällen wird von den durch das TierschutzVMG NRW eingeräumten Rechten Gebrauch gemacht. Hierbei handelt es sich überwiegend um „Pilotverfahren“ zur grundsätzlichen Klärung bestimmter Fragestellungen. – Dies bestätigt die Prognosen des Gesetzgebers hinsichtlich einer allenfalls geringen Belastung der Kommunen und Gerichte. Das Gesetz ist vorläufig auf fünf Jahre befristet. Zum Ablauf des Jahres 2017 soll überprüft werden, ob es sich bewährt hat. Im Rahmen der Evaluation von Gesetzen werden die Regelungsmaterien erneut betrachtet und einer Wirksamkeitskontrolle unterzogen.

Über die Notwendigkeit von Mitwirkungsund Klagerechten im Tierschutz – ein Plädoyer für den Wettbewerbsföderalismus Von Martin-Sebastian Abel

I. Ausgangslage in Nordrhein-Westfalen Als erstes Bundesland hatte die Freie Hansestadt Bremen 2007 ein Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine eingeführt.1 Seitdem wurde seitens des organisierten Tierschutzes die Forderung nach einem bundesweiten Verbandsklagerecht erhoben. Zudem wurden in Landtagswahlkämpfen durch Wahlprüfsteine an die Parteien und durch verschiedene Aktionen die Einführung des Verbandsklagerecht auf Landesebene gefordert.2 Die bisherige Rechtslage hat es Tierhalter*innen bzw. Tiernutzer*innen ermöglicht, gegen Behördenbescheide zu tierschutzrechtlichen Regelungen zu klagen, die aus deren Sicht zu weitgehend waren. Auf der anderen Seite gab es für Tierschutzverbände keine rechtlichen Möglichkeiten, um Verordnungen, Genehmigungen und Praxis der Tierhaltung gerichtlich überprüfen zu lassen. Dies war ein deutliches Ungleichgewicht zu Lasten des Tierschutzes, denn gegen zu viel Tierschutz konnte geklagt werden, gegen Entscheidungen zu Lasten der Tiere nicht. Im Bereich des Tierschutzes und der gesetzlichen Grundlage ist dies besonders problematisch, da das vom Bund verantwortete Tierschutzgesetz (TierSchG) eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe beinhaltet: angefangen von der Frage, was ein „vernünftiger Grund“ zur Tötung eines Tieres ist, bis hin zur Frage, wer die Unerlässlichkeit eines Tierversuchs prüfen kann und ob es überhaupt Kriterien dazu gibt. Diese Situation bestand, obwohl der Tierschutz bereits 2001 als Staatsziel in die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen aufgenommen wurde (Abs. 29a bzw. Artikel 7 Abs. 2) und wenig später auch das Grundgesetz (Art. 20a GG) dahingehend geändert wurde.

1

Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine (TSVbklG) v. 25. 09. 2007 (Brem. GBl. 2007, S. 455), zuletzt geändert durch Nr. 2.1 i.V.m. Anl. 1 ÄndBek vom 24. 1. 2012 (Brem. GBl. 2012, S. 24). 2 Vgl. Albert Schweitzer Stiftung, Tierschutz in der Landtagswahl Nordrhein-Westfalen 2010, abrufbar unter: https://albert-schweitzer-stiftung.de/wp-content/uploads/Tierschutz-inder-Landtagswahl-Nordrhein-Westfalen-2010.pdf.

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Im Jahr 2009 brachte die Fraktion der GRÜNEN im Landtag von Nordrhein-Westfalen einen Gesetzesentwurf 3 zur Einführung eines Verbandsklagerechts ein, der von der Mehrheit (CDU/FDP) des Hauses abgelehnt wurde. Ein weiterer Gesetzentwurf der Fraktionen von GRÜNEN und SPD aus dem Jahr 20114 unterlag der Diskontinuität aufgrund der vorgezogenen Neuwahl. Nach der Landtagswahl 2012 haben sich die Parteien von SPD und GRÜNEN dann im Koalitionsvertrag 2012 auf eine erneute Gesetzesinitiative zur Einführung eines Verbandsklagerechts verständigt. Im Frühjahr 2013 setzte sich die Auffassung mehrheitlich durch, dass die Mitwirkungsmo¨ glichkeiten, die das Tierschutzgesetz bislang vorsah, nicht geeignet waren, an dem beschriebenen rechtlichen Ungleichgewicht etwas zu a¨ ndern. Zwar waren Mitwirkungsmo¨ glichkeiten in Tierschutz- und Tierversuchskommissionen sowie in Landesbeira¨ ten fu¨ r Tierschutz in Nordrhein-Westfalen analog zu §15 und §16b TierSchG seit langer Zeit erprobt, jedoch beschränkt auf eine rein beratende Funktion des organisierten Tierschutzes. Ziel der neuerlichen Gesetzgebung war es, anerkannte Verbänden in die Stellung eines Treuha¨ nders fu¨ r Tiere zu versetzen, der die Interessen der Tiere stellvertretend im Verfahren geltend machen und auch einklagen kann.

II. Naturschutz als Vorbild Vorbild war das erprobte Klagerecht für Naturschutzverbände, das seit 2000 in Nordrhein-Westfalen in Kraft war. Die Naturschutzverbände führen für die Organisation ihrer Arbeit ein eigenes Büro, welches aus Landesmitteln unterstützt wird. Die Mitarbeiter*innen vermitteln Beratungsleistungen für Kommunen, Verbände und Antragssteller*innen. Sie werden vorab bei größeren Planungs- und Bauvorhaben beteiligt, unterstützen aber auch die Arbeit vor Ort. Die bewährte Praxis im Naturschutzrecht hat gezeigt, dass die zur Erhebung einer Verbandsklage berechtigten Vereine von diesem Recht nur mit großer Zuru¨ ckhaltung Gebrauch machen. Nach einer auf der Internetseite des Bundesamts fu¨ r Naturschutz5 vero¨ ffentlichten Studie wurden zwischen 2007 und 2010 jährlich lediglich 25 Verbandsklagen erhoben, in den Jahren 2002 bis 2006 waren es etwa 27 Klagen. Die Studie offenbart aber auch, dass die Klagen den Kern des Problems treffen, denn ihnen wurde in mehr als 40 Prozent der Fälle stattgegeben. Zum Vergleich: die Erfolgsquote bei Verwaltungsgerichtsprozessen beträgt lediglich 15 Prozent.6

3 Landtag NRW, Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drs. 14/9760 v. 01. 09. 2009. 4 Landtag NRW, Gesetzentwurf der Landesregierung, Drs. 15/2380 v. 13. 07. 2011. 5 Bundesamt für Naturschutz, Die Entwicklung der Verbandsklage im Natur- und Umwelt schutzrecht von 2007 bis 2010, 2011. 6 Sachverständigenrat für Umweltfragen, Umweltgutachten 2002, BT Drs. 14/8792, S. 117 m.w.N.

Notwendigkeit von Mitwirkungs- und Klagerechten im Tierschutz

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III. Beratungen und Änderungen des Parlaments am Gesetzentwurf Die von den Gegner*innen einer solchen Regelung immer wieder geäußerte Vermutung, die Einführung eines Verbandsklagerecht könnte zu einer wahren Klageflut führen, wurde von den Befürworter*innen mit Verweis auf diese Untersuchungen entkräftet. Außerdem wurde auf die Praxis im Bundesland Bremen verwiesen, wo seit der Einführung im Jahr 2007 nicht eine Verbandsklage erhoben wurde.7 In seinen Beratungen hob das Parlament zudem die sinnvolle Einschränkung der Klagemöglichkeiten auf anerkannte Verbände hervor. Auf Initiative des Parlaments wurde bereits im Gesetzentwurf eine geänderte Regelung für den Tierschutz in der Wissenschaft mit verabschiedet. In der Anhörung der Fachausschüsse im Landtag wurde dieser Bereich zuvor besonders kontrovers diskutiert.8 Einzelne Sachverständige fürchteten einen Eingriff in die Wissenschaftsfreiheit und die Verzögerung von Tierversuchsreihen in der Forschung. Die Lösung dieser Problematik im Wissenschaftsbereich wurde durch die Beschränkung der Klagemöglichkeit auf eine Feststellungsklage gelöst, die zusätzlich mit dem Abstimmungsverhalten der Tierschutzverbände in den Kommissionen nach § 15 TierSchG verknüpft wurde. Verbände können seitdem einzig und allein die Versuche beklagen, die in den Ethikkommissionen von den Vertreter*innen des Tierschutzes abgelehnt wurden.9

IV. Entwicklungen in anderen Ländern Bundesländer mit Verbandsklagen für Tierschutzverbände Bremen (seit 2007) Saarland (seit 2013) Hamburg (seit 2013) Rheinland-Pfalz (seit 2014) Schleswig-Holstein (seit 2014) Nordrhein-Westfalen (seit 2014) Baden-Württemberg (seit 2015) Niedersachsen (2016)

Der Vergleich der unterschiedlichen Landesregelungen offenbart viele Gemeinsamkeiten in den wesentlichen Regelungskreisen: 7

Landtag NRW, Plenarprotokoll 16/33 vom 19. 06. 2013, S. 2911 ff. Landtag NRW, Ausschussprotokoll 16/163 vom 20. 02. 2013. 9 Vgl. § 1 Abs. 2 TierschutzVMGNRW. 8

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– In allen Regelungen werden Anerkennungsverfahren für die klageberechtigten Verbände gesetzlich festgeschrieben. – Der Mitwirkungsbereich orientiert sich an dem Rahmen bestehender Mitwirkungsrechte in Bundesrecht oder Landesrecht. Eine Besonderheit stellt die Regelung in Rheinland-Pfalz dar, die Verbände von ihren Mitwirkungsrechten (und damit Rechtsbehelfen) in Zoos ausschließt.10 In Baden-Württemberg wird eigens für die Verbandsklage ein Gemeinsames Büro für die anerkannten Verbände im Gesetz eingeführt.11 Im Saarland ging die Einführung des Verbandsklagerechts mit der Einsetzung eines Landestierschutzbeauftragten einher.12

V. Ausblick – Länder üben Reformdruck auf den Bund aus Nach § 2 TierSchG muss die Unterbringung eines Tieres art- und verhaltensgerecht erfolgen. Bisher wurde gerichtlich nicht überprüft, ob beispielsweise die eingeschränkten Haltungsbedingungen in einer Großmastanlage für Puten mit dem Tierschutzgesetz vereinbar sind. Zudem erlaubt das Tierschutzgesetz nach wie vor die Anpassung von Tieren an die Haltungsbedingungen, wie zum Beispiel durch Schnabelkürzen: In § 6 TierSchG heißt es, dass das Schnabelku¨ rzen bei Legehennen und auch das Schwanzku¨ rzen bei Schweinen nur dann erlaubt werden darf, wenn es „unerla¨ sslich“ ist. Amtsveterinär*innen, die nach geltendem Recht eine Haltung beurteilen sollen, werden unter den Bedingungen der konventionellen Tierhaltung sicherlich zu dem Schluss kommen müssen, dass in diesem konkreten Fall die Modifizierung unerlässlich sei, um Verletzungen der Tiere zu vermeiden. Ob die Bauweise eine andere Haltung zulässt, könnte ohne das Verbandsklagerecht nicht gerichtlich überprüft werden. Allein die Möglichkeit einer Klage durch Verbände wird praktisch zu einer Stärkung der fachlichen Aufsicht durch die Veterinärämter führen. Die Tierschutzverbände, die bereits bei der Planung miteinbezogen werden müssen, können nun die Garantenstellung für den Tierschutz einnehmen, indem sie gerichtlich prüfen lassen, ob es in diesem Fall wirklich unerla¨ sslich ist, dem Tier Schmerzen zuzufügen, oder ob nicht eher die Haltungsbedingungen durch Bescha¨ ftigungsmaterial und Ru¨ ckzugsra¨ ume zu verbessern sind. Über diese Frage gibt es unterschiedliche Auffassungen. Jedoch hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem sog. „Legehennen-Urteil“13 neue Maßstäbe gesetzt: nunmehr benötigt es keine Feststellung von Leiden oder Verhaltensstörungen der Tiere, sondern die Einhaltung und der Schutz der Grundbedürfnisse gelten fortan 10

Vgl. § 1 Abs. 2 S. 3 TierSchLMVG RLP. Vgl. § 4 TierSchMVG BW. 12 Vgl. § 4 TSVKG SL. 13 BVerfGE 101,1 – 45 (NJW 1999, 3253).

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als Maßstab für artgerechte Haltung. Dazu zählen die Funktionskreise Nahrungssuchverhalten, Ruhezeiten, Mutter-Kind-Verhalten, Erkundung und Körperpflege, die weitgehend erfüllt werden müssen. Alle Tierschützer*innen werden aus ihrer Arbeit Beispiele kennen, wo diese Maßstäbe definitiv verletzt werden. Mit dem Verbandsklagerecht hat der organisierte Tierschutz nun ein scharfes Schwert in der Hand, um für die Einhaltung des Tierschutzgesetzes zu kämpfen. In Nordrhein-Westfalen bahnt sich eine erste Klage gegen die Errichtung einer Großmastanlage an – es wird spannend, ob die Überprüfung geltenden Rechts und geltender Verordnungen den Maßstäben des Bundesverfassungsgerichts und dem Anspruch vieler Menschen an eine artgerechtere Tierhaltung standhalten wird.

Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht und im Tierschutzrecht – Gemeinsamkeiten, Überschneidungen und Unterschiede Von Peter Kremer Die Tierschutz-Verbandsklage orientiert sich erkennbar an der Struktur der Umwelt-Verbandsklage nach dem Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG). Vergleicht man beispielsweise § 1 des Gesetzes über das Verbandsklagerecht und Mitwirkungsrechte für Tierschutzvereine (TierschutzVMG NRW) mit § 2 UmwRG, so wird offensichtlich, dass die Umwelt-Verbandsklage der Tierschutz-Verbandsklage als Vorbild dient.1 Aufgrund der im Sommer 2017 erfolgten Änderung des UmwRG2 wird es künftig in dem zentralen Bereich der Genehmigung von Tierhaltungsanlagen zu Überschneidungen zwischen der Tierschutz-Verbandsklage und der Umwelt-Verbandsklage kommen. Der Beitrag zeigt diese Überschneidungen sowie strukturbedingte materiell-rechtliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden Verbandsklagebereiche auf.

I. Überblick über die Entwicklung der Klagemöglichkeiten der Umwelt- und Naturschutzverbände Die Rechte von Naturschutzverbänden fanden erstmals in § 29 Bundes-Naturschutzgesetz (BNatSchG) in der Fassung vom 20. 12. 1976 ihren Niederschlag. Die Naturschutzverbände erhielten das Recht, in bestimmten, im Gesetz aufgezählten Fällen Einsicht in die einschlägigen Sachverständigengutachten zu nehmen und sich zu diesen zu äußern. Es handelte sich um ein reines Mitwirkungsrecht, materielle Klagerechte waren damit nicht verbunden. Wurde gegen das Mitwirkungsrecht verstoßen, so konnten die Verbände (nur) wegen Verletzung ihres Mitwirkungsrechts Behördenentscheidungen gerichtlich angreifen. 1

Eine Ausnahme bilden die Feststellungsmodelle in Hamburg und Bremen (Gesetz über das Verbandsklagerecht für Tierschutzvereine vom 25. 9. 2007 – Bremen – sowie Gesetz zur Stärkung des Tierschutzes und des Schutzes der Bevölkerung vor gefährlichen Tieren vom 21. 5. 2013 – Hamburg –). 2 Gesetz zur Anpassung des Umwelt-Rechtsbehelfgesetzes und anderer Vorschriften an europa- und völkerrechtliche Vorgaben, BGBl. I, S. 1298 ff., 1. 6. 2017.

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Weitergehende, teilweise auch materielle Klagerechte wurden in sehr unterschiedlicher Ausprägung auf Landesebene eingeführt (1979 Bremen, 1980 Hessen, 1981 Hamburg, 1983 Berlin, 1987 Saarland; nach der Wiedervereinigung 1992 in Brandenburg, Sachsen und Sachsen-Anhalt, 1993 Thüringen, 1994 Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, 2000 Nordrhein-Westfalen, 2002 Mecklenburg-Vorpommern; keine Länderregelungen in Bayern und Baden-Württemberg).3 Mit der Neufassung des BNatSchG im Jahr 2002 wurde in § 61 erstmals ein materielles Verbandsklagerecht eingeführt.4 Naturschutzverbände konnten nach dieser Vorschrift bestimmte naturschutzrechtliche Befreiungen sowie Planfeststellungsbeschlüsse und Plangenehmigungen gerichtlich anfechten. Zur Begründetheit einer Klage mussten sich die Naturschutzverbände auf Vorschriften stützen, die zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt waren, eine Berührung ihres satzungsgemäßen Aufgabenbereichs nachweisen und sich am vorangegangenen Verwaltungsverfahren beteiligen. Erstmals wurde die sog. Präklusion eingeführt, wonach die klagenden Verbände mit allen Gesichtspunkten ausgeschlossen waren, die im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragen worden waren, obwohl sie hätten vorgetragen werden können. Mit der Änderung des BNatSchG zum 1. 3. 2010 wurden in den §§ 63, 64 BNatSchG die Klagemöglichkeiten materiell leicht ausgeweitet. Eine deutliche Ausweitung der materiellen Verbandsklagerechte erfolgte durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG), mit dem eine Vorgabe des Europarechts im Jahr 2006 umgesetzt wurde.5 In den Anwendungsbereich des UmwRG und damit die materielle Überprüfungsbefugnis für Umweltverbände fielen nunmehr alle Vorhaben, für die eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchgeführt werden musste, sowie förmlich genehmigungsbedürftige Anlagen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) und mit diesen Anlagen in Verbindung stehende wasserrechtliche Erlaubnisse, Planfeststellungsbeschlüsse für Deponien nach dem Abfallrecht und (ab dem 29. 1. 2013) Entscheidungen nach dem Umweltschadensgesetz. Hinsichtlich der allgemeinen Klagevoraussetzungen orientierte sich das UmwRG an der naturschutzrechtlichen Verbandsklage. Die klagenden Verbände mussten also die Verletzung von Vorschriften, die dem Umweltschutz dienen, geltend machen, im satzungsgemäßen Aufgabenbereich berührt sein und sich im Verfahren schriftlich ge3

Schmidt/Schrader/Zschiesche, Die Verbandsklage im Umwelt- und Naturschutzrecht, München 2014, S. 5. 4 § 61 BNatSchG in der Fassung vom 25. 3. 2002. 5 Gesetz zu ergänzenden Vorschriften zu Rechtsbehelfen in Umweltangelegenheiten nach der EG-RL 2003/35/EG (Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz – UmwRG), vom 7. 12. 2006. Das Gesetz diente der Umsetzung von Artikel 3 Nr. 7 und Artikel 4 Nr. 4 der Richtlinie 2003/35/ EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter umweltbezogener Pläne und Programme und zur Änderung der Richtlinien 85/337/EWG und 96/61/EG des Rates in Bezug auf die Öffentlichkeitsbeteiligung und den Zugang zu Gerichten (ABl. EU Nr. L 156 S. 17).

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äußert haben. Im Verwaltungsverfahren nicht vorgetragene Argumente waren präkludiert. Die Ursprungsfassung des UmwRG enthielt außerdem eine weitreichende Beschränkung, nach der klagende Umweltverbände nur solche verletzten Umweltvorschriften geltend machen konnten, die gleichzeitig dem Schutz Dritter dienten. Damit war die Klagemöglichkeit der Verbände auf eine Stellvertreterfunktion für Drittbetroffene reduziert. In der sog. Trianel-Entscheidung stellte der EuGH im Mai 2011 fest, dass eine derartige Beschränkung auf drittschützende Rechte mit den europarechtlichen Vorgaben nicht vereinbar war.6 Weder die Einführung des materiellen Klagerechts im BNatSchG noch das Inkrafttreten des UmwRG führten zu der von der Industrie vermuteten Klagewelle: Der Anteil der umwelt- und naturschutzrechtlichen Verbandsklagen an den gesamten Verfahren vor den Verwaltungsgerichten liegt bei 0,03 %.7 Die Erfolgsquote der umwelt- und naturschutzrechtlichen Verbandsklagen liegt mit 40 bis 45 % deutlich höher als die allgemeine Erfolgsquote von Verwaltungsklagen, die lediglich bei 10 bis 12 % liegt.8 Dies zeigt, dass von dem Instrument der Verbandsklage im Natur- und Umweltschutzrecht sehr moderat Gebrauch gemacht wird. Die weit überdurchschnittliche Erfolgsquote wiederum zeigt, dass die Klagen in vielen Fällen berechtigt waren und der Korrektur rechtswidriger Verwaltungsentscheidungen dienten.

II. Überschneidungen mit der Tierschutz-Verbandsklage Tierschutzrechtliche Vorschriften sind nicht Gegenstand der naturschutzrechtlichen Verbandsklage nach § 64 BNatSchG. Diese verlangt die Geltendmachung von Vorschriften, die zumindest auch den Belangen des Naturschutzes und der Landschaftspflege zu dienen bestimmt sind. Nicht so eindeutig war der Befund hinsichtlich der Überprüfungsbefugnis nach dem UmwRG in seiner bisherigen Fassung. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG a.F. mussten klagende Verbände geltend machen, dass Entscheidungen oder deren Unterlassen Rechtsvorschriften, die dem Umweltschutz dienen, widersprechen. Mit der im Juni 2017 erfolgten Änderung des UmwRG9 ist diese Beschränkung für einen großen Teil des Anwendungsbereichs des UmwRG entfallen. Insbesondere 6

EuGH, 12. 5. 2011, C-115/09. Schmidt/Schrader/Zschiesche, a.a.O., S. 178 ff. 8 Schmidt/Zschiesche, Verbandsklagen im Natur- und Umweltschutzrecht 2011 und 2012 unter Berücksichtigung der Entwicklung von 2007 bis 2010, eine empirische Untersuchung im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz, Fachgebiet I 2.1, Berlin/Bernburg 2013. 9 Siehe oben Fn. 2. 7

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bei der Überprüfung UVP-pflichtiger10 Genehmigungen sind die anerkannten Naturschutzvereinigungen künftig befugt, alle rechtlichen Aspekte – und damit auch den Tierschutz – zur gerichtlichen Überprüfung zu stellen.11 Diese neue gerichtliche Überprüfungsbefugnis der Naturschutzvereinigungen kommt in erster Linie bei Neugenehmigungen zum Tragen. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 UmwRG n.F. erfasst nunmehr auch die gerichtliche Überprüfung von Überwachungs- oder Aufsichtsmaßnahmen. Hierfür gilt allerdings weiterhin die Beschränkung auf dem Umweltschutz dienende Vorschriften, so dass der Frage nachzugehen ist, ob der Tierschutz Umweltschutz im Sinne des UmwRG ist. Ist das der Fall, dann können Naturschutzvereinigungen auch bei bestehenden Anlagen die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Vorgaben überprüfen lassen. Es lässt sich mit beachtlichen Argumenten vertreten, dass der Tierschutz unter den Begriff des Umweltschutzes in § 2 Abs. 1 Nr. 1 UmwRG fällt. Das UmwRG dient u. a. der Umsetzung von Artikel 11 der Richtlinie über die Umweltverträglichkeitsprüfung.12 Die UVP-RL bzw. im nationalen Recht das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) ist also eine Art Mutter- oder Rahmengesetz für das UmwRG. Der Umweltbegriff ist in § 2 Abs. 1 UVPG legaldefiniert und erfasst auch Tiere, und zwar ohne Unterscheidung zwischen wildlebenden, domestizierten oder „nutzbaren“ Tieren.13 Das UVPG erfasst die Umwelt in ihrer Gesamtheit einschließlich der darin vorkommenden lebenden „Bestandteile“. Das UVPG beschränkt sich also nicht auf einen engeren Begriff der Ökologie.14 Auch das Gesetzgebungsverfahren bei Einführung von Art. 20a GG gibt einen Hinweis darauf, dass der Tierschutz als Bestandteil 10

Die UVP-Pflicht von Tierhaltungsanlagen ist in Anlage 1 Ziffer 7 des UVPG geregelt. Einbezogen sind auch alle Genehmigungen, die im förmlichen immissionsschutzrechtlichen Verfahren ergehen, siehe § 1 Abs. 1 Nr. 2 UmwRG. In der Regel überschneiden sich bei Tierhaltungsanlagen die UVP-Pflicht und die förmliche immissionsschutzrechtliche Genehmigungspflicht. 12 Richtlinie 2011/92/EU des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (Kodifizierter Text), ABl. L 26 vom 28. 1. 2012, S. 1. 13 § 2 UVPG lautet: 11

„(1) Die Umweltverträglichkeitsprüfung ist ein unselbständiger Teil verwaltungsbehördlicher Verfahren, die der Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben dienen. Die Umweltverträglichkeitsprüfung umfasst die Ermittlung, Beschreibung und Bewertung der unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen eines Vorhabens auf 1. Menschen, einschließlich der menschlichen Gesundheit, Tiere, Pflanzen und die biologische Vielfalt, 2.Boden, Wasser, Luft, Klima und Landschaft, 3. Kulturgüter und sonstige Sachgüter sowie 4. die Wechselwirkung zwischen den vorgenannten Schutzgütern“. 14 Siehe BVerwG, Urteil vom 10. 10. 2012, Az. 9 A 18/11, Rz. 11.

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des verfassungsrechtlichen Schutzes der natürlichen Lebensgrundlagen verstanden worden ist, woran die spätere explizite Aufnahme der Tiere in Art. 20a GG nichts änderte.15 Folgt man diesem Gedanken, dann gehört der Tierschutz im Anwendungsbereich des UmwRG zu denjenigen Belangen, die materiell-rechtlich von den Umweltverbänden gerichtlich überprüft werden können. Die oben angesprochene Frage, ob der Tierschutz im Umweltbegriff des UVPG enthalten ist und damit dem Anwendungsbereich des UmwRG unterfällt, spielt seit der Gesetzesänderung außerdem eine Rolle für Vorhaben, die nicht unter § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 UmwRG fallen. Das betrifft vor allem kleinere Vorhaben, bei denen die Schwelle zur UVP-Pflicht oder zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbedürftigkeit nicht überschritten wird. Für diese kleineren Anlagen gilt gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 UmwRG, dass nur dem Umweltschutz dienende Vorschriften in die gerichtliche Überprüfungsbefugnis der Verbände fallen.16 Zusammengefasst: Bei der Neugenehmigung oder wesentlichen Änderung von Tierhaltungsanlagen ab einer bestimmten Größe können die anerkannten Naturschutzvereinigungen die tierschutzrechtlichen Vorgaben künftig auf den gerichtlichen Prüfstand stellen und die Einhaltung tierschutzrechtlicher Vorgaben in der Genehmigungsentscheidung überprüfen. Bei kleineren Tierhaltungsanlagen und gegenüber bestehenden Anlagen hängt die Überprüfungsbefugnis der Naturschutzvereinigungen davon ab, ob der Tierschutz Teil des Umweltschutzbegriffs im Sinne des UmwRG ist. Dafür streiten beachtliche Argumente.

III. Übertragbarkeit von Erfahrungen mit der Umwelt-Verbandsklage Teilbereiche der Regelungen zur Tierschutz-Verbandsklage entsprechen denen der Umwelt-Verbandsklage, so dass auf entsprechende Erfahrungen zurückgegriffen werden kann.

15

Siehe Bundestags-Drucksache 12/8165 vom 28. 6. 1994, wo es bei der Darstellung der Position der Fraktion der CDU/CSU heißt, dass der Tierschutz im Begriff der „natürlichen Lebensgrundlagen“ enthalten sei. 16 Der Gesetzesvorschlag für § 1 Abs. 1 Nr. 5 UmwRG lautet: „(1) Dieses Gesetz ist anzuwenden auf Rechtsbehelfe gegen folgende Entscheidungen: […] 5. Verwaltungsakte, die die Zulässigkeit von anderen als den in den Nummern 1 bis 2b genannten Vorhaben unter Anwendung umweltbezogener Rechtsvorschriften des Bundesoder Landesrecht regeln […]“.

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1. Präklusion In allen Anfechtungsmodellen (Nordrhein-Westfalen, Saarland, Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg) gibt es eine Regelung zur Präklusion, die der des § 2 Abs. 3 UmwRG entspricht. Nach dieser Vorschrift sind im gerichtlichen Verfahren alle Argumente präkludiert, die nicht bereits im Verwaltungsverfahren schriftlich vorgetragen worden sind. Die Präklusionsvorschrift im UmwRG hat der EuGH zu großen Teilen als unvereinbar mit den europarechtlichen Vorgaben qualifiziert.17 Das BVerwG hat daraufhin seine diesbezügliche Rechtsprechung korrigiert und die Fortgeltung der Präklusionsregelungen im Anwendungsbereich der UVP- bzw. der IE-RL18 aufgehoben.19 Bis zu dieser Judikatur wurden die Präklusionsregelungen im Bereich der Naturschutz- bzw. Umweltverbandsklage von den Gerichten sehr restriktiv gehandhabt. Einige Beispiele aus der Rechtsprechung: • BVerwG, 23. 11. 2007, 9 B 38/07, Ortsumgehung Celle: Flora und Fauna müssen verortet werden. • BVerwG, 29. 09. 2011, 7 C 21/09, Ersatzbrennstoffverbrennungsanlage: Wechselwirkung zwischen Tiefe der Antragsunterlagen und Tiefe des präklusionsverhindernden Vortrags. • BVerwG, 12. 01. 2012, 9 A 21/11, 9 A 21/11 (9 A 12/10), OU Freiberg (Anhörungsrüge): Hinweispflicht auf die Möglichkeit des Vorhandenseins nicht erfasster LRT. • BVerwG, 6. 11. 2012, 9 A 17/11 Lückenschluss A 33: Vortrag zu geeigneteren Trassenvarianten. • OVG Sachsen-Anhalt, 21. 03. 2013, 2 M 154/12, Windpark: Fehlende FFH-Vorprüfung muss benannt werden, auch wenn inhaltlich alles vorgetragen wurde. Die Anforderungen an einen die Präklusion verhindernden Vortrag der Umweltverbände im Verwaltungsverfahren waren teilweise so hoch, dass die Darlegungslast über das hinausging, was seitens der Antragsteller für beantragte Genehmigungen vorgelegt werden musste. Es ist einerseits zu erwarten, dass zumindest ein Teil der Gerichte diesen strengen Maßstab nunmehr auf die Präklusionsregelungen bei der Tierschutz-Verbandsklage anwenden wird. Auf der anderen Seite dürfte die Präklusion bei der Tierschutz-Verbandsklage eine deutlich geringere Hürde darstellen. Denn bei der Tierschutzverbandsklage wird es zu einem großen Teil darauf ankommen, Argumente gegen 17

EuGH, Urteil vom 15. 10. 2015, C-137/14. Richtlinie 2010/75/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 über Industrieemissionen (integrierte Vermeidung und Verminderung der Umweltverschmutzung), Abl. L 334/167 vom 17. 12. 2010. 19 BVerwG, Urteil vom 22. 10. 2015, 7 C 5/13. 18

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grundsätzlich standardisierte Haltungsbedingungen vorzutragen (dazu gleich unten). Die Tierschutzverbände werden es also leichter haben, die Präklusionshürde zu nehmen. 2. Schwerpunkte der materiell-rechtlichen Prüfung Bei der rechtlichen Beurteilung von Anlagen nach dem Natur- und Umweltschutzrecht (ohne Tierschutzrecht) sind die Auswirkungen der Anlage auf den konkreten Standort bzw. die konkrete Standortumgebung entscheidend. Bei der materiell-rechtlichen Überprüfung muss also vor allem untersucht werden, welche Auswirkungen (z. B. stoffliche Immissionen, Lärm, Wirkungen eines Gebäudes, Wirkungen von Verkehr etc.) auf die konkrete Umgebung prognostiziert werden. Die Empfindlichkeit der konkreten Umgebung muss jeweils im Einzelfall für den konkreten Standort ermittelt werden. Es gab und gibt sowohl auf der Ebene der Verwaltung als auch auf der Ebene von Vorhabenträgern Bemühungen, derartige Auswirkungen standardisiert zu bewerten. Dazu wurden Leitfäden und Arbeitshilfen u. a. zur Erfassung und Berechnung der Emissionen von Anlagen bzw. Vorhaben, zur Berechnung von Immissionen für typische Umgebungskonstellationen und zu Beeinträchtigungen typischer Umgebungsbestandteile (beispielsweise stickstoffempfindlicher Biotope oder lärmempfindliche Brutvogelarten) entwickelt. Beispiele hierfür sind das Rechenprogramm AUSTAL2000 für die Berechnung von Geruchs- und Stickstoffimmissionen20, Methodenstandards zur Erfassung von Brutvögeln21, Merkblätter zu Querungshilfen für Tiere bei Straßenbauvorhaben22, der sog. Stickstoffleitfaden Straße zur Erfassung und Bewertung von N-Einträgen aus der Benutzung von Straßen23 oder das sog. Critical-Load-Konzept für die Bewertung der Stickstoffempfindlichkeit bestimmter Lebensraumtypen.24 Derartige Standardisierungen erhielten teilweise den Charakter von Rechtsverordnungen oder normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften (siehe einige der Anhänge zum BImSchG sowie die Technische Anleitung Luft und die Technische Anleitung Lärm), teilweise handelte es sich um Verwaltungsempfehlungen, die länderweise unterschiedlich durch nur intern bindende Erlasse

20 Abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/themen/luft/regelungen-strategien/aus breitungsmodelle-fuer-anlagenbezogene/uebersicht-kontakt#. 21 Südbeck et al., Methodenstandards zur Erfassung der Brutvögel Deutschlands, 2005. 22 Zum Beispiel Brinkmann et al., Planung und Gestaltung von Querungshilfen für Fledermäuse, 2012. 23 FGSV, Stickstoffleitfaden Straße – Hinweise zur Prüfung von Stickstoffeinträgen in der FFH-Verträglichkeitsprüfung für Straßen –, Entwurf November 2014. 24 Umweltbundesamt, Modellierung und Kartierung atmosphärischer Stoffeinträge und kritischer Belastungsschwellen zur kontinuierlichen Bewertung der ökosystemspezifischen Gefährdung der Biodiversität in Deutschland – PINETI (Pollutant INput and EcosysTem Impact), Teilbericht 4, Critical Load, Exceedance und Belastungsbewertung, 2014.

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eingeführt wurden (beispielsweise die Geruchs-Immissionsrichtlinie25), teilweise wurden Leitfäden von länderübergreifenden Arbeitsgruppen gebildet (beispielsweise der Leitfaden des Länderarbeitskreises Immissionsschutz zur Bewertung von Stickstoffeinträgen26), teilweise wurden auch Leitfäden oder Arbeitshilfen von Büros erstellt, die von Vorhabenträgern beauftragt wurden. Die Rechtsprechung war in vielen Fällen bereit, derartige Bewertungsschemata zu übernehmen, ohne bisher einheitlich herausgearbeitet zu haben, welche formellen und materiellen Anforderungen hierfür gestellt werden müssen. Derartigen Standardisierungen waren und sind jedoch Grenzen gesetzt, da die Implementierung unterschiedlicher Standortbedingungen nur teilweise gelingt. Dies gilt beispielsweise für meteorologische Fragen bei der Ausbreitungsberechnung von Schadstoffen, für die Ausbreitungsbedingungen von tieffrequentem Schall, für den Versuch, die Empfindlichkeit bestimmter Tierarten zu verallgemeinern, für das Ausbreitungsverhalten bestimmter Stoffe in Gewässern etc. Im Bereich des Tierschutzrechts oder jedenfalls im Bereich der Haltungsbedingungen für Nutztiere werden sich voraussichtlich andere Fragen stellen. Während es beim klassischen Natur- und Umweltschutzrecht auf die Auswirkungen der Anlage, den konkreten Standort und dessen Empfindlichkeit ankommt, kann davon ausgegangen werden, dass im Bereich des (Nutz-)Tierschutzrechts die Haltungsbedingungen, die gerichtlich überprüft werden sollen, weitgehend einheitlich und standardisiert sind. Es wird also sehr viel leichter sein, die konkreten Verhältnisse zu identifizieren, die dann der rechtlichen Überprüfung unterliegen. Defizite dürfte es dagegen im Bereich der Bewertung der Auswirkungen geben. Eine der zentralen Fragen wird beispielsweise sein, welche Verletzungs- bzw. Schädigungsraten bei Nutztieren noch mit der Vorgabe aus § 2 bzw. § 17 Nr. 2b TierSchG zu vereinbaren sind.27 Denkbar ist beispielsweise, dass die Rechtsprechung als Maßstab eine Verletzungsrate annimmt, die derjenigen der Tiere in freier Wildbahn entspricht. Hier muss ein Maßstab entwickelt werden. Sodann wird sich die Frage stelle, wie derartige Verletzungsraten ermittelt werden (beispielsweise durch Erfassungen bei der Ausstallung der Nutztiere). In den Fällen der gerichtlichen Anfechtung einer Anlagengenehmigung sind die Auswirkungen der beantragten Haltung auf die Tiere noch nicht bekannt, die Anlage ist noch nicht errichtet. Da aber für die Genehmigung nachgewiesen werden muss, 25 LAI, Feststellung und Beurteilung von Geruchsimmissionen (GeruchsimmissionsRichtlinie), 2008. 26 LAI, Leitfaden zur Ermittlung und Bewertung von Stickstoffeinträgen der Bund/LänderArbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz, 2012. 27 Siehe hierzu das Gutachten Hörning 2006, Zur Tiergerechtheit der intensiven Schweinehaltung – eine Literaturstudie anhand ausgewählter Beispiele –, das auf Verletzungsraten von bis zu 75 % in der konventionellen Schweinemast kommt; darauf aufbauend Kremer 2006, Rechtsgutachten, Zur Unvereinbarkeit der in der geplanten Schweinemastanlage Haßleben vorgesehen Haltungsbedingungen mit den Vorgaben aus den §§ 2, 2a, 17 und 18 TierSchG.

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dass die Haltungsbedingungen mit den Vorgaben des Tierschutzrechts übereinstimmen, müssen Prognoseverfahren entwickelt werden. Angesichts der typischerweise einheitlichen Haltungsbedingungen von Nutztieren dürfte dies grundsätzlich möglich sein. Sollte sich herausstellen, dass es bei Haltungsbedingungen, die der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung entsprechen, zu Verletzungs- oder Schädigungsraten kommt, die mit den Vorgaben aus § 2 bzw. 17 TierSchG nicht vereinbar sind, würde dies sowohl zur Aufhebung einer angefochtenen Genehmigung als auch inzident zur Aufhebung der jeweiligen Teile der Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung führen.28 Bei der Ermittlung von Verletzungs- oder Schädigungsraten, die ja anhand bereits bestehender Tierhaltungsanlagen erfolgen muss, wird es um die Frage gehen, inwieweit bestimmte festgestellte Verletzungs- oder Schädigungsraten auf die zugelassenen Haltungsbedingungen als solche zurückzuführen sind und welchen Anteil das konkrete „Management“ der einzelnen Anlage hat. Verwaltung und nachfolgend Rechtsprechung werden hierfür Maßstabe entwickeln müssen. Man kann also zusammenfassen: Bei tierschutzrechtlich begründeten Anfechtungsklagen gegen Anlagengenehmigungen wird die Prognose der Auswirkungen der zugelassenen Haltungsbedingungen auf die Tiere im Vordergrund stehen. Dazu müssen entsprechende Untersuchungen angestellt und Verfahren entwickelt werden, die es, soweit ersichtlich, bisher nicht gibt. Voraussetzung hierfür wiederum ist die Erfassung der Auswirkungen bereits praktizierter Haltungsbedingungen auf die Tiere. Man darf davon ausgehen, dass es in nächster Zeit zu entsprechenden empirischen Untersuchungen kommen wird bzw. vorliegende empirische Untersuchungen standardisiert und aufbereitet werden müssen, damit sie von der Rechtsprechung verwendet werden können. Im Bereich der tierschutzrechtlich begründeten Überwachungsklage gegen Tierhaltungsanlagen wird die Erfassung der Auswirkungen der Haltungsbedingungen in dem konkreten Betrieb im Vordergrund stehen. Sowohl für die anlagenunabhängige Identifizierung der Auswirkungen von zugelassenen Haltungsbedingungen auf die Tiere als auch für die Erfassung der Auswirkungen bereits bestehender Tierhaltungen wäre es sehr begrüßenswert, wenn eine verpflichtende Zustandskontrolle der Tiere bei der Ausstallung eingeführt würde.

28 Dazu BGH, 18. 2. 1987, 2 StR 159/86; lesenswert auch OLG Karlsruhe, 29. 10. 2015, 3 Ss 433/15 – AK 170/15.

Autorenverzeichnis Abel, Martin-Sebastian, Mitglied des Landtages von Nordrhein-Westfalen Hager, Günter †, Prof. em. Dr., Universität Freiburg Herzog, Felix, Prof. Dr., Universität Bremen Kloepfer, Michael, Prof. em. Dr., Humboldt-Universität zu Berlin, Präsident der Forschungsplattform Recht, Forschungszentrum Umweltrecht Kluge, Hans-Georg, Rechtsanwalt, Röttgen, Kluge & Hund Rechtsanwälte, Berlin Knitsch, Peter, Staatssekretär im Ministerium für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Naturund Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen Kremer, Peter, Rechtsanwalt, Kremer Werner Rechtsanwälte, Berlin Martin, Madeleine, Dr. med. vet., Landestierschutzbeauftragte Hessen Rossi, Matthias, Prof. Dr., Universität Augsburg Schönfelder, Ralph, Erster Staatsanwalt, Staatsanwaltschaft Stuttgart